Regimen Christianum: Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (8.–14. Jahrhundert) 9783110835366, 9783110063868


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German Pages 673 [676] Year 1970

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
TEIL I: Regimen Imperium und Sacerdotium Ihr Verhältnis im Verständnis der Zeit (9. — 13. Jahrhundert)
TEIL II: Das Regimen Christianum in der Kontroverse über das Verhältnis der Gewalten um 1300 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts
TEIL III: Die Bedeutung des Regimen Christianum im Rahmen des Verhältnisses von Regnum Imperium und Sacerdotium für die Entfaltung des Gewalten-Verständnisses
SAMMELWERKE UND ZEITSCHRIFTEN
SCHRIFTENVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
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Regimen Christianum: Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (8.–14. Jahrhundert)
 9783110835366, 9783110063868

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WILHELM KÖLMEL REGIMEN C H R I S T I A N U M

REGIMEN CHRISTIANUM WEG UND E R G E B N I S S E DES GEWALTENVERHÄLTNISSES UND DES GEWALTENVERSTÄNDNISSES (8. bis 14.

Jahrhundert)

VON

WILHELM KÖLMEL

WALTER DE G R U Y T E R & CO. BERLIN 1970

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

A r c h i v - N r . 3392 701

© 1970 by Walter de G r u y t e r & Co., vormals G. J . Gösdien'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 P r i n t e d in Germany O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: T h o r m a n n & Goetsch, Berlin

UXORI MEAE

VORWORT Die mit Konstantin dem Großen einsetzende und nach ihm benannte geschichtliche Wende, die von ihrer Kennzeichnung her auf das Bündnis der beiden Gewalten und damit auf das Bild von „Thron und Altar" verweist, bringt für die weltliche Gewalt eine Situation, die von dem Phänomen und der greifbaren Existenz der in der Kirche präsenten Heilsbotschaft geprägt ist. In dieser Situation geht es, wo es sidi doch um „potestas" handelt, zwangsläufig um autoritativen und potestativen Vorrang. Aber hinter dem Ringen um diesen Vorrang steht die dauernd anwesende Frage nach dem Verständnis des Neuen, das mit dem Christentum jeweils andrängt. Diese Frage sucht in der historischen Realisation die Antwort auf ihre Anliegen. Die vorliegende Studie will eingehender und bewußter, als es bisher geschah, den Blick auf dieses Spezifikum einer Epoche lenken. Sie hat dafür als Leitwort einen auf dem Höhepunkt der großen Kontroverse erscheinenden Begriff, den des „regimen christianum" erhalten. Sie unternimmt ihr Vorhaben nidit spekulativ abstrakt, was ihr erlaubt hätte, großräumiger und apodiktischer zu sprechen, sondern orientiert sich an den kleinen Schritten des geschichtlichen Verlaufs und muß daher auch die politische Konfrontation des Machtkampfes sich jeweils gegenwärtig halten. Daher wird ihr Urteil differenzierter, so wie es eben der geschichtliche Prozeß fordert, in dem göttliches Geschick und menschliche Not und Freiheit unablässig und oft unentwirrbar aufeinander treffen. Die Studie sucht aber immer wieder auf die wesentlichen Anliegen vor und jenseits der machtpolitischen Auseinandersetzung zu kommen und sie dem Blick freizuhalten. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Entfaltung des Gewaltenverhältnisses und Gewaltenverständnisses bis ins 13. Jahrhundert geschildert. Der zweite Teil bringt die Interpretation der Gewaltenlehre auf dem Höhepunkt der großen „controversia" und ihrer geschichtlichen Auswirkung um 1300 bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts. Der dritte Teil geht, die Ergebnisse auswertend, dem Thema der Bedeutung des „regimen christianum" für die Entwicklung des Gewaltenverständnisses nach. Die Studie lag als Habilitationsschrift der Philosophischen Fakultät der Universität München vor. Für mannigfaltige Förderung sei an dieser Stelle besonders Herrn Univ. Professor Dr., Dr. h. c. Johannes Spörl, München, gedankt. Für Mithilfe bei der Korrektur des Drucks danke ich Herrn Studienrat F. Roll (Staufen). Aufrichtiger Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihren großzügigen Druckkostenzuschuß, sowie dem Verlag und seinen Mitarbeitern für die umsichtige Betreuung der Arbeit. Mannheim/München

Wilhelm Kölmel

INHALTSVERZEICHNIS TEIL I:

REGIMEN IMPERIUM UND SACERDOTIUM — IHR VERHÄLTNIS IM VERSTÄNDNIS DER ZEIT (9.—13. Jahrhundert)

Seite

I. Die Fragestellung II. Die begriffliche Umschreibung des regimen diristianum III. Die temporale Gewalt — Herrschaft und Staat IV. Das Imperium V. Imperium und Regnum als regimen christianum VI. Regimen christianum im politischen Bewußtsein der Zeit vom 10.—13. Jahrhundert

18 30 48 69

a) Die Ordines der Herrsdierweihe und Herrsdierkrönung

87

b) Das christliche Herrscheramt vor und nadi dem Investiturstreit

VII. Fürstliche und geistliche Höchstgewalt

3

107

a) Fürstliche Höchstgewalt

144

b) Geistliche Höchstgewalt

160

VIII. Die „potestas papae in temporalibus" — Grundlagen IX. Das Eigenverständnis der Kirche im Verhältnis zur Temporalgewalt im Zuge der Kirchenreform X . Die Entfaltung der hierokratischen These bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts

170 196

a) Die theologische und kanonistische Argumentation

205

vor allem Innozenz' III. c) Innozenz IV.

233 246

b) Die päpstliche Temporalgewalt in den Aussagen der Päpste,

TEIL II: DAS REGIMEN CHRISTIANUM IN DER KONTROVERSE ÜBER DAS VERHÄLTNIS DER GEWALTEN UM 1300 BIS ZUR MITTE DES 14. JAHRHUNDERTS

Einleitung A. Die hierokratische These in der Entfaltung I. Die hierokratische These in der Theologie II. Die „Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii"

263 265 276

X

Inhaltsverzeichnis Seite

B. Ägidius Romanus — Das System des Soliustismus I. Ägidius Romanus: Der naturale Staat und die Heilsgerechtigkeit II. Der erlöste Mensch und die geistlich-weltliche Gewalt der Kirche III. Wesenszüge der geistlich-weltlichen Gewalt: Das sakramental-pneumatische und das juridische Element IV. Das Ägidianische System der „iurisdictio primaria et superior" und der „iurisdictio immediata et executoria" V. Ägidius und die Lehre von der direkten und der indirekten zeitlichen Gewalt in der Kirche VI. Der princeps terrenus in der Lehre des Ägidius (nach: „De ecclesiastica potestate") C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlichweltlichen Gewalt I. Das soziale Gefüge in der neuen Wirklichkeit des Heils II. Potestas regia spiritualis und temporalis bei Jakob von Viterbo a) Die hierarchische Gewalt b) Das Verhältnis des hierarchischen Amtes zur potestas saecularis

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers in der Sicht des Jakob von Viterbo

291 304

312

321 336 355

361

370 372

380 389

D. Bonifaz VIII., Die Bulle „Unam Sanctam" und der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik des 14. Jahrhunderts I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam Sanctam" II. Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik des 14. Jahrhunderts

422

E. Regimen Christianum in der Sicht der nicht-ekklesiarchen und der regal-imperialen Doktrin Die Begründung der Fragestellung I. Von Hervaeus Natalis zu Petrus Johannes Olivi II. Stimmen aus dem Frankreich Philipps des Schönen

455 459 467

398 408

Inhaltsverzeichnis

XI Seite

III. Die imperiale Konzeption a) Die Konzeption der Ghibellinen und des Imperium b) Römisches Reich und Weltmonarchie: Engelbert von Admont und Dante

IV. Marsilius von Padua und Ockham: Allgewalt der „universitas civium" — der „principatus respectu liberorum"

491 504

517

a) Grundlegende Positionen des Defensor pacis und die Gewaltenlehre

518

b) Das „regimen christianum" in der Sicht Wilhelm Ockhams

534

V. Ludwig der Bayer und Avignon: Kaiserrecht aus Eigenrecht; der letzte Kampf zwischen Papst und Kaiser

553

TEIL III: D I E B E D E U T U N G D E S R E G I M E N C H R I S T I A N U M IM R A H M E N D E S V E R H Ä L T N I S S E S V O N REGNUM/IMPERIUM U N D SACERDOTIUM FÜR DIE ENTFALTUNG DES GEWALTENVERSTÄNDNISSES

I. Einheit und Vielfalt der Ordnung im Verständnis der Gewalten (monothematisdie und polythematische Struktur der Ordnung und des Ordnungsverständriisses) a) Einleitung: Einheit und Differenz als Problematik des Gewaltenverständnisses b) Das Verhältnis der Gewalten als Einheit der Ordnung c) Die Differenz der Ordnungen und Gewalten

569 574 587

II. Regimen christianum als Einbezug der Weltordnung in die Heilsordnung: Die hierokratisch-ekklesiardie Lösung a) Thematik und historische Position b) Die philosophische und theologische Argumentation der ekklesiardien Doktrin c) Die hierokratisch-ekklesiardie Doktrin und die direkte Gewalt in zeitlichen Dingen

III. Die ekklesiarche Doktrin und die Problematik des kirdienpolitischen Integralismus (Integrismus) — naturale und restaurativ-instaurative Temporalität

591 594 598

605

IV. Regimen christianum als Verständnis des temporalen Eigenstandes a) Die Einsicht in den Eigenstand der temporalen Gewalt als Ergebnis des Gewaltenverhältnisses und Gewaltenverständnisses

609

XII

Inhaltsverzeichnis Seite

b) Mundaneität und Säkularismus: Die Ambivalenz der Säkularität

V. Die geschichtliche Thematik des regimen christianum im Blick auf die systematische Frage: Regimen christianum als Ekklesialität und Mundaneität Exkurs I. a) Zu Cencius II. b) Ordo von Stavelot und Frühdeutscher Ordo

Exkurs II.

Das päpstlidi-temporale Christusvikariat bei Innozenz IV.

Sammelwerke und Zeitschriften Schriftenverzeichnis

611

620 626 628 630

633

a) Quellen

635

b) Darstellungen

639

Personenregister Sachregister

655 659

TEIL I Regimen Imperium und Sacerdotium Ihr Verhältnis im Verständnis der Zeit (9. — 13.

Jahrhundert)

I. Die Fragestellung DIE FRAGESTELLUNG: Zum Begriff des „regimen christianum". — Zuordnung und Trennung der geistlichen und weltlichen Gewalt. — Historischer und systematischer Gegenstand der Betrachtung. — Schwierigkeiten der historischen Interpretation. — Die zeitgeschichtliche Bedingtheit des Verhältnisses und Verständnisses der Gewalten. — Die Klärung der Zeitbedingtheit als Aufgabe und Hilfe für die systematische Betrachtung.

Unter den Begriffen, mit denen die dem Investiturstreit folgende Epoche vom 11.—14. Jahrhundert Wesenszüge von Herrschaft und Gewalt zum Sprechen bringt1 — regnum, imperium2, auctoritas, potestas®, corona4, dominium5, 1

Zur Begriffsgesdiichte: Für die spätantik, frühmittelalterliche Zeit jetzt: W. Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff; bes. auch S. 293 ff die Auseinandersetzung mit Erdmann, Forschungen zur politischen Ideenwelt S. 11 ff. — Zum Begriff des regnum in fränkisch-karolingischer (einschließlich westgotischer) Zeit: H . Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen (in: Königtum), besonders zu Wipo, Gesta Chuonradi c. 7: Si rex periit, regnum permansit, a.a.O. S. 185 ff. — Ferner den Sammelband Corona regni (Wege der Forschung III) — P. Claßen, Corona imperii (Festschrift P. E. Schramm), S. 90 ff. — Für das 13. und 14. Jahrhundert G. Post, Studies in Medeival Legal thought, 1964. — Zur Geschichte des Wortes Staat: A. O. Meyer, Zur Geschichte des ersten Wortes „Staat", in: Welt als Geschichte 10 (1950), 229 ff. — Weihnacht, Staat, 1968, bringt für unsere Zeit nichts Neues. Zum Begriff der Herrschaft zuletzt K. Bosl, Herrscher und Beherrschte, in: Frühformen, S. 135 ff und: Die alte deutsche Freiheit (ebda. S. 206 zu dominus, dominium und frö, truhtín, hérro, hertum) und W. Schlesinger, Herrschaft u. Gefolgschaft, H Z 176 (1953) S. 225 ff. s Eine Monographie zum Begriff des regnum, die noch aussteht, müßte den Sinnfeldern von regnum als: Herrschaft über Volk und Land, als Gebiet, als Ganzheit aller Elemente, die einen „Staat" konstituieren, endlich als regnum christianum nachgehen. Bereits die karolingische Zeit zeigt die verschiedenen Akzentuierungen: als Herrschaft: regni a Deo nobis concessi consortes, M G H Cap. I n . 45; als Gebiet, a. a. O. passim: u. a.: regnum gubernare (Cap. I., S. 273; II, 166: ecclesiam et regnum nobis commissum gubernare; II, 320: regionibus regni nostri). Regnum als Ganzheit aller staatlichen Elemente ist nur soweit zu fassen als das Staatsgedenken und die staatliche Wirklichkeit selbst gediehen sind. Das heißt, es stellt sich die Frage nach Herrschaft, Personenverband und transpersonaler Auffassung. vgl. Anm. 1 zu H . Beumann. Ohne auf diese Fragen näher eingehen zu können, zeigt eine Durchsicht des Gebrauches von regnum in den karolingischen Quellen, daß es in der Mehrzahl mit der königlichen Gewalt und Herrschaft das Gebiet meint, also herrschaftliches Gebiet oder: königliche Herrschaft und herrschaftliches Gebiet. — Zu imperium vgl. W. Suerbaum passim, besonders 293 ff. — H . Löwe, Kaisertum und Abendland, H Z 196 (1963), 529 ff. — K. F. Werner, Das hochmittelalterliche Imperium, H Z 200 (1965) 1 ff. — C. Erdmann wurde in Anm. 1 schon genannt. Auch für „imperium" steht eine begriffsgeschichtliche Monographie noch aus. ' Zu auctoritas und potestas vgl. W. Ensslin, Auctoritas und potestas, H J 74 (1955) 661 ff. Ferner die Bemerkungen von W. Ullmann, Die Machtstellung des Papsttums, S. 14, 31 ff, 255 f. Dazu unten Anm. 11. — Für den Fragenbereich des Verhältnisses sacerdotiumregnum/imperium ist die wohl wichtigste Äußerung zu dem Terminus auctoritas die Glosse des Rufinus zu D X X I I , ius auctoritatis-amministrationis (Rufinus ed. H . Singer, S. 47). l*

I. Die Fragestellung

4

iurisdictio*, maiestas7 — findet sich audi immer wieder das von der Antike her vertraute Wort regimen8. Es bedeutet, in der genannten Begriffsskala, tätige Inhaberschaft herrschaftlicher Gewalt. Mit den andern Ausdrücken hat es ein Gemeinsames, unbeschadet der Tatsache, daß jeder Begriff entsprechend seinem Sinnbereich einen differenzierten Aspekt kundtut und zudem im Wandel von Herrschaft zu „Staat"", von gentilem Herrschaftsdenken zur institutionellen Zu corona vgl. P. E. Schramm, Herrsdiaftszeichen 1, 55 fi; 2, 379 ff. — P. Claßen, Corona imperii, 90 ff. — F. Härtung, Die Krone als Symbol der monarchischen Herrschaft im ausgehenden Mittelalter, 6 ff. — J . Karpat, Zur Geschichte des Begriffs corona regni (In: Corona regni, 70 ff) und die übrigen im Sammelband: Corona regni (1961) vereinigten Arbeiten. — Ferner H. Beumann (vgl. Anm. 1) a.a.O. S. 211 ff. 5 dominium — in frühmittelalterlichen Quellen erscheint es als Verfügungsgewalt und Verfügungsbereidi des Herrn: vgl. M G H Cap. I, S. 195: Monasteria . . . s u b nostro regimine dominio site; S. 259 (815): a Saracenorum potestate se subtrahentes nostro dominio libera et prompta voluntate se subdiderunt. — Dominus im Eidesformular Karls (Cap. I S. 101): sicut per drictum debet esse homo domino suo, sieht Th. Mayer, Staatsauffassung in der Karolingerzeit (in: Königtum, S. 178) als Ausdruck des Gefolgschaftsverbandes. — Unter dem Einfluß des römischen Rechtes wird dominium Ausdrude des Eigentumsrechtes (vgl. Irnerius zu V I I I , 29: a principe dominium impetret, ed. Fitting S. 285), im Staatsrecht zum Ausdruck der obrigkeitlichen Gewalt, vgl. Aegidius, De eccl. pot. I, 9 : er nennt es II, 10 „dominium potestativum" und gliedert es ein in das dominium universale der Kirche. Die Determinatio compendiosa faßt zuvor schon die hoheitliche Gewalt der Kirche und des Kaisers als dominium, vgl. c. 2. Zu dominium als Königsherrschaft: K . Bosl in Frühformen S. 206. — Zu dominium mundi R. Holtzmann, Dominium mundi und imperium merum in: Zeitsdlr. f. Kirdiengesdi. 61 (1942) S. 191 ff und K. Bosl, Frühformen S. 388. 6 iurisdictio als Inbegriff der herrscherlichen Gerichtshoheit und im weiteren Sinn als herrscherliche Gewalt tritt im 12. Jahrhundert hervor, vor allem im kanonischen Recht. Vgl. van de Kerckhove, La notion iurisdictionis in iure romano, Ius pontificum, 16 (1936) S. ? ff, 22 ff. — S. Mochi Onory, Fonti canonistiche S. 136 f. In der Determinatio comp, wird die kaiserliche Hoheit als iurisdictio vorgestellt: „Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii". 7 Zu maiestas vgl. G.Post, Studies, S. 350 zu Rufinus, zu C. 25 (ed. H.Singer S. 421): Duo sunt maxime, in quibus Romanae ecclesie maiestas inaltatur: potestas ligandi et solvendi, et dignitas ecclesias dispensandi; ferner D L I I I 109 (1137) Lothar I I I : Cum imperialis celsitudinis maiestas ob hoc a deo condita et ordinata sit, ut ecclesiam dei servare et tueri debeat (vgl. H. Fichtenau, Arenga S. 77); Post, S. 341, zu D. 48, 4 Ad legem Juliam maiestatis (Glosse des Jakob v. Revigny: maiestas = maior status). 8 Zu regimen vgl. M G H Cap. I, n, 45 (806, Divisio regnorum: regnum atque imperium istud, sicut hactenus fuit in regimine atque ordinatione et omni dominatu regali atque imperiali. — n. 192: sub nostro regimine dominio site sunt (vgl. Anm. 5). — n. 159 (823?): ut populus noster pacifice sub nostro regimine vivere possit. — Cap. I I n. 205: crimen faciens regnum et regis regimen mutat. — n. 227 (840): in vestri regiminis tempore. — Hinkmar, De ordine palatii, Cap. II, S. 512: „in regimine regni" (c. 1). — Krönung Karls in Lothringen (869), Salbungsformel, Cap. I I , n. 302: et ungat te in regni regimine. — Deutscher Krönungsordo (ed. Vogel-Elze) I, n. 22, S. 257: regnique tuo regimini commissi utilis executor regnatorque profieuus Semper appareas. Im Kaiserordo (Elze IV, V, V I I I ) im Gebet: Deus in cuius manu corda sunt regum: famulo tuo regimen tuae appone sapientiae. — M G H Const. II, 280: Commissi nobis celitus cura regiminis. Aegidius Romanus, De eccl. pot. II. c. 14; vgl. Tl. II, Anm.: 61. — Heinrich v. Gent, Tl. II, Anm. 15 • Zu den drei Fragenkreisen: a) Personenverbandsstaat und institutioneller Flächenstaat, b) Herrschaft und Gefolgschaft, c) Herrschaft und Genossenschaft: a) Th. Mayer, Der Staat 4

I. Die Fragestellung

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Amtsauffassung von diesem Wandel mitgeprägt wird. Das Gemeinsame ist, sehr allgemein gesagt, die Fähigkeit, einen entscheidenden Zug herrschaftlicher Gewalt zu benennen: Im Bereich der weltlichen Gewalt den Besitz zwingender Rechte über Volk und Land, über „Land und Leute"1"; im Bereich der geistlichen Gewalt, wo freilich im Regelfall nur die Begriffe auctoritas, potestas, iurisdictio" im Gebrauch sind, die mit dem Priester- und Lehramt verbundene Hir-

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der Herzoge von Zähringen (1933), Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates (in: Herrschaft und Staat 284 ff), Staatsauffassung in der Karolingerzeit (in: Königtum 169 ff); dazu H . Beumann, Zur Entwicklung usw. (vgl. Anm. 1) S. 213 f. — b) O. Brunner, Land und Herrschaft bes. S. 187 f (zur Terminologie), 206 ff (Wesen des Landes), 292 ff (Haus als Kern aller Herrschaft). — W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft; Herrschaft und Gefolgschaft H Z 176 (ergänzte Fassung in: Herrschaft und Staat, S. 135 ff): Dazu: H . Kuhn, Die Grenzen der germ. Gefolgschaft SavZfR. Germ. Abt. 73 (1956) 1 ff und K. Wührer ebda. 76 (1959) 1 ff. — K. Bosl, in B. Gebhardt, Handbuch d. dt. Gesch. I, 585 ff; ferner in: Herrscher u. Beherrschte (Frühformen S. 135 ff, Das Hochmittelalter, ebda. S. 386 ff; Raumordnung im Aufbau d. ma. Staates ebda. S. 359 ff). c) O. v. Gierke, Das dt. Genossenschaftsrecht, 1: Rechtsgeschichte d. dt. Genossenschaft (Neudruck 1954); K. Bosl, Herrscher u. Beherrschte S. 149 ff; K. Jordan, Herrschaft u. Genossenschaft (1961). — Ferner H . Mitteis, Land u. Herrschaft (in Herrschaft u. Staat, S. 20 ff, Besprechung von O. Brunner); O. Brunner, Moderner Verfassungsbegriff u. ma. Verfassungsgesch. ebda. S. 1 ff und die weiteren in diesem Band vereinigten Aufsätze von Tellenbach, Bader u. Zimmermann. — Zur Terminologie von Staat vgl. ferner unten Anm. 76 und 77. W. Schlesinger, Herrschaft und Gefolgschaft (in: Herrschaft u. Staat) S. 178 f. — Zu Feudalismus und Personenverbandsstaat vgl. auch die Bemerkungen von F. Graus, in: Das großmährische Reich, Tschechoslowak. AK. d. W., 1966, S. 144 f. Zu iurisdictio im kanonischen Recht vgl. die in Anm. 6 genannte Literatur. — Zwischen auctoritas und potestas besteht im philosophisch-theologischen Sprachgebrauch ein Unterschied, der im römischen Rechtsdenken seine Wurzeln hat. Hierzu: R. Heinze, Auctoritas, Hermes 60 (1925) S. 348 ff. Auctoritas ist die innere Überlegenheit, aus der heraus Satzungen erfolgen können, potestas die Fähigkeit des Durdisetzens und Wirksammachens. Gelasius I. nennt in seinem Brief an Anastasius die Gewalt der pontífices: auctoritas sacra ta, die der Kaiser: regalis potestas (Thiel I, 349). W. Ulimann, Die Machtstellung S. 32 ff interpretiert dies im Sinne seiner These vom Prinzip der funktionalen Ordnung. Darnach hat der Papst die auctoritas, also Norm und Richtschnur zu geben, der Kaiser ist auf die Rolle eines Gehilfen zurückgedrängt, S. 42. Richtig ist daran, daß in der späteren Diskussion, bei Vergleich der beiden Gewalten, der weltlichen Gewalt nicht auctoritas zugesprochen wird, vgl. Reg. Innozenz III. n. 62 (Venerabilem): ius et auctoritas examinandi personam electam in regem et promovendam ad imperium ad nos spectat; n. 33: nos auctoritate beati Petri et nostra eum in regem recipimus. Hier ist von der höheren, mit der geistlichen Würde gegebenen Zuständigkeit die Rede. Andrerseits wird im Vergleich der Gewalten nur von potestas gesprochen: n. 18: Principibus datur potestas in terris, sacerdotibus autem potestas tribuitur et in celis. Das entspricht dem Sprachgebrauch des Gelasius selbst: vgl. Thiel, 567 f: sie actionibus propriis dignitatibusque distinetis officia potestatis utriusque discrevit. Der Gebrauch von auetoritas-potestas ist demnach nicht so zwingend, daß er durchgehalten wird. Entsprechend wird in der späteren Diskussion auch nicht auf diesem Unterschied eine eigene Argumentation aufgebaut, sondern man spricht von der jeweiligen potestas. Bei einem der radikalen Hierokraten, Aegidius Romanus, spielt der Unterschied überhaupt keine Rolle mehr, er nennt seinen Traktat: De ecclesiastica potestate, auctoritas ist bei ihm literarische Autorität (I, 5; I, 6; II, 7; II, 9). Auf den schwankenden Sprachgebrauch bei Gelasius hat schon Ensslin H J 74 (1955) S. 661 ff hingewiesen. — Zum scholastischen Begriff der auctoritas vgl. R. Linhardt, Die Sozialprinzipien des Hl. Thomas von Aquin, 1932, S. 168. Ebenso R. Hauser, Autorität und Macht, S. 370 ff, der seine

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I. Die Fragestellung

tengewalt des Hierarchen, vornehmlich des Papstes". Gegenüber auctoritas und potestas betont unser Wort regimen die lenkende Funktion, und zwar allgemeiner, als es regnum und imperium zu tun vermögen, die in unserer Zeit auf eine historische Erscheinung, die Königsherrschaft und das Kaisertum, konzentriert sind". Dennoch verleugnet regimen nicht seine Beziehung zu „regere", zur monarchischen Form der Führung. Dem Wort eignet eine gewisse Geschmeidigkeit, die dazu beigetragen haben mag, daß es in der Terminologie einen festen Platz behauptet. In der Verbindung „regimen christianum" gibt ihm eine Schrift aus jener Zeit um 1300, in der die mit dem Investiturstreit aufflackernde Kontroverse um regnum und sacerdotium ihrem letzten Höhepunkt zustrebt, einen profilierten Platz. Jakob von Viterbo behandelt in seiner Schrift über Wesen, Herkunft, Funktion und Ziel der herrschaftlichen Gewalt: „de regimine christiano" nicht nur die weltliche, sondern auch die geistliche Gewalt 14 . Diese Verbindung sagt sehr viel. Indem nämlich beide Gewalten in dem einen Begriff des „regimen christianum" gesehen werden, ist offenbar ausgesprochen, daß die in ihren Aufträgen und Funktionen getrennten Gewalten dennoch einer Einheit zugehören, jener Einheit, die in „regimen christianum" sich darstellt. Damit ist zugleich darauf verzichtet, die beiden Gewalten nur distinktiv als Ordnungsformen getrennter Bereiche zu sehen und es bei dieser Bereichstrennung zu belassen. Augenscheinlich bedeutet die Bereichstrennung nicht die letzte Aussage und die letzte Wirklichkeit. Diese sind vielmehr in einer zuordnenden Einheit zu suchen. Umgekehrt ist aber mit der Zuordnung auch schon wieder die Frage der Trennung gestellt.

1!

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ganze Darstellung unter diese Zweiheit stellt, und in Autorität die „innere Lebensüberlegenheit", in potestas das „Wirksamwerden ihrer Wertfülle", „das kraftvolle Sichtbarwerden ihres Wesensreichtums" (S. 377) sieht. — Der obigen begriffgeschichtlichen Erläuterung ist noch anzufügen, daß Rufinus auch dem weltlichen Herrscher" auctoritas" zubilligt (vgl. S. 226 f ) . Sofern später dem Papst — in der Kanonistik seit dem Ende des 12. Jahrhunderts — ein „imperium" zugesprochen wird, gehört es in den Bereich der imitatio imperii (vgl. C C n. 17: Ad imitationem imperii nostri), ohne daß damit im Augenblick mehr als eine terminologische Verwandtschaft zum C C behauptet sein soll. — Eine andere Quelle ist die liturgische Gewandsymbolik. Zentrale Bedeutung kommt hier der Kopfbedeckung zu, die nachweisbar endgültig bei Innozenz III. in die geistliche Tracht der Mitra und die „weltliche" Tracht des regnum sich teilt, aus dem dann die Tiara (14. Jahrhundert) sich bildet (vgl. hierzu Anm. 270, 271). Die Belege bei Andrieu, Les ordines Romani IV, S. 169 ff zeigen eine Linie, die von der weißen Herrscherhaube (camelaucum), die zuerst bei den byzantinischen Herrschern nachgewiesen ist, über das phrygium ( C C n. 16) zum regnum (corona) führt. Zur Gewandsymbolik: J. Braun, Die liturgische Gewandung, 1914, S. 452 ff. — Zur kaiserlichen Gewandsymbolik im Sinne der imitatio sacerdotii: Schramm, Denkmale der dt. Könige, S. 46 f. Zu den „imperator" Nennungen außerhalb des Reichsgebietes und den sich hieran anschließenden Interpretationen vgl. C. Erdmann, Forschungen S. 31 ff zur spanischen, S. 38 ff zur englischen Kaiseridee. — P. E. Schramm, Das kastilisdie Königtum und Kaisertum während der Reconquista (Festschrift G. Ritter, 1950; zugleich für die weitere Literatur: H. Hüffer, A. y P. Ballesteros). — H. Löwe, Von den Grenzen des Kaisergedankens, S. 349 ff zu den Kaisernennungen nach 800 (S. 370 gegen Drögereit, Kaiseridee u. Kaisertitel, Zschr. SavSt. Kan. Abt. 1952, 24 ff. Vgl. unten Kapitel IV S. 49 ff. ed. H. X. Arquilliire, Etudes de Theologie Historique, Paris 1926.

I. Die Fragestellung

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Denn Zuordnung in eine Einheit impliziert von selbst auch die Grenzen, über die hinweg das Zuordnen sich vollziehen soll. So sind in der zuordnenden Einheit des „regimen christianum" jederzeit auch die Grenzen und die Trennung der Gewalten gegenwärtig. Mit diesen Andeutungen wird bereits so vieles ausgesagt, daß wir — um nicht verfrüht Fragenkomplexe festzulegen — in den engeren Sachgehalt des Leitwortes unserer Studie gehen müssen, wenn wir unsere Aufgabe umfassend und präzis zugleich stellen wollen. Der engere Sachgehalt des Begriffes regimen christianum führt unmittelbar in die mit der konstantinischen Wende anhebende Verbindung der weltlichen Macht mit der Gemeinschaft und dem Glauben der Christen. Diese Verbindung wiederum stellt sidi uns als historisches und systematisches Thema. Die zweifache Thematik ergibt sich aus dem Sein und Dasein, dem Wesen und der geschichtlichen Existenz des regimen christianum, das seinem Sein und Wesen nach einer dem geschichtlichen Verlauf vorausliegenden und diesen tragenden Wirklichkeit angehört, jener nämlich der Natur- und Heilsordnung. Der Naturordnung, indem Herrschaft und Gewalt der Ganzheit menschlichen Ordnungsverhaltens entwachsen, der Heilsordnung, indem regimen in Verbindung zu einer die natürliche Ordnungsganzheit übersteigenden und gleichzeitig umgreifenden Heilsbotschaft und einer in ihr gestifteten universitas fidelium gebracht ist. Diese Verbindung ist systematisch erfaßbar und muß auch immer wieder neu in ihren Prinzipien und Elementen durchdacht werden. D a sie jedoch geschichtlich existent wurde und wird, im zeitlichen Verlauf konkretisiert und entsprechend den jeweiligen Stufen ihrer Erfaßbarkeit realisiert wird, stellt sie zugleich ein geschichtliches Thema dar. Das sind schlichte Fakten. Sie werden genannt, um den eigenen Gedankengang an seine methodischen Voraussetzungen zu erinnern. Die sachgegebene Verflechtung von historischer und systematischer Thematik zeigt, daß unsere Studie, auch wenn sie zuerst und vorwiegend historisch orientiert ist, nicht auskommen kann, ohne auf jene überzeitliche, die geschichtliche Diskontinuität, den Wandel kontinuierlich tragende Sinnwirklichkeit und die ihr entspringenden Fragen zu achten. Das heißt, sie dient einer Aufgabe, die, nach rückwärts gerichtet, zugleich — wie alle geschichtliche Betrachtung — auf die Wesenheiten selbst und damit wie von selbst auf die Gegenwart und auf die Zukunft sich wendet. Die geschichtliche Erscheinung und ihre Interpretation bringt „die Sache selbst" ins Gespräch. Die Sache selbst, hier die Zuordnung von weltlicher und geistlicher Führung, kann, was das Prinzip im allgemeinen angeht, ungehindert anerkannt sein, vornehmlich in einer Umgebung, der beide Gewalten als selbstverständliche Gegebenheiten einer von der Heilswirklichkeit durchwalteten Welt gelten, wie es Gelasius I. für Jahrhunderte formulieren kann: „Sed cum ad verum ventum est eumdem regem atque pontificem (seil. Christus), ultra sibi nec imperator pontificis nomen imposuit, nec pontifex regale fastigiüm vindieavit". Mit diesem Wort zieht der Papst eine klare Trennlinie zum heidnischen Staatskult und seinem Kaiserpriestertum, mit der zweiten und berühmteren Formel definiert er dem Imperator in Byzanz, Anastasius, gegenüber die Zuordnung der Gewal-

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ten in der einen Welt: „Duo quippe sunt, imperator auguste, quibus principaliter mundus hic regitur: auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas. In quibus tanto gravius est pondus sacerdotum, quanto etiam pro ipsis regibus hominum in divino reddituri sunt examine rationem" 14 *. Wir dagegen, die wir gewohnt sind, die in weltlichen Ordnungsgebilden wie: regnum, imperium, état, estate15, Staat anwesende Gewalt in ihrem Eigenstand, in ihrer Eigengesetzlichkeit, in ihrer Eigenverantwortung zu sehen und in die vernünftige Klarsicht kritischer Reflexion zu nehmen, und die wir ebenso bemüht sind, die Zuständigkeit des Hierarchischen aus den Wurzeln und Grenzen seines Auftrags zu bestimmen, uns fällt es schwer, die Zuordnung beider Bereiche in das Stichwort: regimen christianum zu stellen. Wir wissen über uns die Last der Geschichte und den Spruch derselben Geschichte zu allen Versuchen, das Geistliche voreilig mit weltlichen Geschäften zusammenzubringen oder umgekehrt, das Weltliche als Herr über das Geistliche zu sehen. Diese Distanz ist unumgänglich, wir können uns aus der Geschichte nicht davonstehlen. Dennoch dürfte es klar sein, daß die Last der Geschichte unserm Urteil hinderlich sein kann, da wir notgedrungen „vorbelastet" uns an die Interpretation eines so umstrittenen Tatbestandes machen, wie er uns in den Fakten und Problemen von: regnum und sacerdotium entgegenkommt. Wir wissen zu vieles, um unbefangen genug die eine oder die andere Seite anhören zu können, und wiederum zu wenig, um rechtzeitig exakt und überall, wo es dringlich wird, das in der historischen Situation sich offenbarende Sein und Wesen, die Elemente selbst sauber von den flüchtigen Bedingungen des geschichtlichen Wandels trennen und isolieren zu können. Dennoch bleibt dies eine der vordringlichen Aufgaben, auch der vorliegenden Untersuchungen, darauf zu achten, ob nur zeitlich bedingte und mit dem Wandel der Zeit überfällige Gegebenheiten vorliegen, oder inwieweit die dem Wandel entzogene Sache selbst bereits im Gespräch sich befindet. Dazu gehört dann folgerichtig, auch die Konzeption der Jetztzeit und ihre Sprache zu überprüfen und sie nun, soweit dies gegenüber der eigenen Situation möglich ist, auf ihre Bedingtheit zu befragen. Dazu gehört schließlich, dem Wandel der Zeit und dem ihr eigenen Wandel der Sprache gemäß, das, was sich inzwischen an die tradierte Terminologie angesetzt und angereichert hat, zu entfernen und den Formeln einer vergangenen Epoche nur das abzuverlangen, was sie zu geben vermögen. Diese Bemerkung mag als überflüssig gelten, jedoch wird der Fragenbereich des regimen christianum erweisen, ob bereits alles terminologische Erbgut das Scheidewasser der Kritik passiert hat. Für den Bereich des dominium temporale gilt das, angesichts der Ausbildung eines rational und auto14a

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Thiel I, S. 567 f (Tractatus IV, n. 11) zu: Sed cum ad verum ventum (aufgenommen in D X C V I c. 6, aber mit textlichen Veränderungen, v o r allem: quoniam idem mediator Dei et hominum, homo Christus Jesus . . . anstatt: quoniam Christus memor fragilitatis humanae . . . ) . — Thiel I, Ep. n. 12, 2 S. 350 f zu Duo quippe. Zu: „estat du roialme, estate of the realm" und zum Entstehen der den sich bildenden neuen Staat und das Staatsdenken umgebenden Terminologie: ratio statuts vgl. G. Post Studies, S. 322 ff, 404 ff (Statut von York). Siehe auch unten Anm. 93 ff. status, estat, estate, immer in Verbindung mit Genitivattributen: regis, regni, coronae rei publicae, civitatis bilden die sprachliche (und sachliche) Vorstufe zu „Staat", état, State.

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nom organisierten Staates mit seiner selbstverständlichen Abgrenzung gegenüber allem Geistlichen, ganz besonders. Die soeben angesprochene Entwicklung hin zur etatistisdien, und fügen wir hinzu gesellschaftlichen Autonomie, führt dazu, daß wir in allem, was Staat, Gesellschaft betrifft, die Grenzen zu jenem Raum, der mit dem Wort ecclesia umschrieben sei, überall dort zu ziehen geneigt sind, wo das öffentliche saekulare Interesse endet. Grenzziehung also aus der Eigengesetzlichkeit des Saekularen. Die weltlidi intendierte, trennende Perspektive des Gewaltenverhältnisses dominiert. Davon wird auch die theologische Interpretation berührt, in der man sichtlich bemüht ist, die Trennlinie der Bereiche wenigstens in allem, was institutionell, juridisch sich auswirkt, in Rücksicht auf den Eigenstand der Welt zu ziehen und diese Welt, soweit es begründbar erscheint, sich selbst zu überlassen, was leicht in die Optik eines Rückzuges von der Welt geraten kann". Das mit der sogenannten „konstantinischen Wende" — Stodkmeier hat die unbedingte Relevanz des Ausdrucks fraglich gemacht" — etablierte enge Bündnis von Staat und Kirche, Thron und Altar, ordnet dagegen den saekularen Raum samt seinen Zwecken lange Zeit dem höheren Ziel des Glaubens und der Gemeinschaft der Gläubigen so unter, daß auch die institutionell juridische Ordnung der Welt an entscheidenden Stellen ihrer herrschaftlichen Struktur den in der Gemeinschaft der Gläubigen, sprich: Kirche, und ihren Uberlieferungen vorhandenen institutionellen Möglichkeiten erschlossen wird und man sich vom Staat her darauf einläßt. Markant und unübersehbar vollzieht sich das in der kirchlichen Erhebung des Herrschers, wie sie zuerst in Byzanz, dann bei den Westgoten, schließlich bei den Karolingern zu beobachten ist18. Es setzt sich fort in der jederzeit auch von der weltlichen Seite anerkannten geistlich-seelsorgerlichen Verantwortung und Überordnung der Kirche, wie es wiederum Gelasius sinnträchtig im Anschluß an den Kernsatz von „Duo quippe" formuliert: „Nosti enim, fili clementissime, quod licet praesidens humano generi dignitate, rerum tarnen praesulibus divinarum devotus colla submittis atque ab eis causas tuae 16

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Die heutige Theologie und das Glaubensverständnis, in denen zwar oft und sogar im Sinne eines zentralen Anliegens vom Verhältnis zur Welt und zur Aufgabe in der Welt gesprochen wird, haben es offenbar schwer, das institutionelle Verhältnis konkret zu beschreiben. Man kommt nur zu allgemeinen Beschreibungen, wie der im Handbuch theol.Grundbegriffe I, S. 821: hier wird nur vom Verzicht auf Wirkformen gesprochen, die „faktisch etwa im Mittelalter und seiner Auffassung von Kirche und Welt seitens der Kirche ausgeübt wurden". Zur Jetztheit heißt es nur, daß „neue Möglichkeiten erschlossen" würden. Die von Konstantin im Verhältnis von Staat und Kirche eingeleitete Epoche weist so divergente Erscheinungen auf, wie die Vorherrschaft der weltlichen Gewalt in Byzanz (vgl. hierzu auch W. Ullmann, Machtstellung S. 50, Anm. 39), bei den Merovingern, den ersten Karolingern, Ottonen und Saliern, im westfränkischen Gebiet und England, wie das Übergewicht der Kirche gegenüber den weströmischen Kaisern nach dem Investiturstreit, mit all den Angriffen gegen das hierokratische System. Was gemeinsam bleibt, ist ein institutionelles Bündnis, das in der Formel Thron und Altar zum Ausdruck kommt. — Zur „konstantinischen Wende" vgl. P. Stockmeier in H J 82, 1963, S. 1 ff. Zur kirchlichen Erhebung der Herrscher, die die Torqueskrönung verdrängt: O. Treitinger, Die oström. Kaiser- u. Reichsidee S. 27 f; W . Ensslin, Zur Frage der ersten Kaiserkrönung; Zu Spanien, W . Ewig, Zum christl. Königsgedanken (Salbung des Königs Wamba) S. 36.

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salutis expectas" 19 . In der „universitas fidelium", der „christianitas"' 0 ist diese geistliche Uberordnung und ihre Anerkennung gesellschaftlich fundiert. Daß diese Überordnung, obwohl zunächst nur geistlidi-rechtlicher Natur, leicht zu einer Vermengung der Aktionen und Intentionen und damit auch zum Weitergreifen der spiritualen kirchlichen Rechtsfolgen in den saekularen Rechtsbereich der universitas fidelium, des populus diristianus führen kann und auch führte, ist genügend bekannt. Solche offensichtlichen Schwächen der wechselseitigen Zuordnung entbinden den Betrachter jedoch nidit davon, eben dieses System der Zuordnung der Gewalten als solches in seinem vollen Gewicht mit der Trennung der Gewalten zu konfrontieren. Anders gewendet, man darf die Zuordnung nicht von vornherein, im Stil der Perspektiven der eigenen Zeit und nun auf ihre historische Bedingtheit verkürzt, nur als Ruine in die Betrachtung nehmen, eben als eine Ruine der durch Konstantin eingeleiteten Epoche. Wobei man, wenn schon beim System der Gewaltenzuordnung der Name Konstantin fällt, doch eher an die kaiserpriesterliche Reichskirche der Spätantike zu denken hat, als an eine politische Überordnung der Kirche. Daß es jedoch kaum ratsam ist, die historische Dualität von regnum und sacerdotium nur als Relikt einer verflossenen Spanne Zeit zu beschreiben, ergibt sich schon daraus, daß in diesem Phaenomen Thesen zu Wort kommen, die auf dem Höhepunkt der auf diese Dualität zielenden Lehrdefinition eine höchst autoritative Artikulation erfahren (Unam sanctam) und die damit eine über ihre Zeit hinausweisende Geltung beanspruchen. Durch die theologische Diskussion seit Bellarmin 21 sind zwar entscheidende Klärungen erfolgt, trotzdem bleibt auch darnach etwas Entscheidendes als geltende Lehrmeinung erhalten, daß nämlich die Heilsbotschaft die weltliche Ordnung nicht einfadi ausläßt und sich selbst überläßt. Das bedeutet, daß die sogenannte „Eigengesetzlichkeit der Welt" auch weiter kontrovers bleibt. Andrerseits überträgt ja auch der heutige Betrachter seine Maßstäbe nach rückwärts. Das geschieht schon, wenn wir etwa die Meinung vertreten, daß die Formen eines regimen christianum für uns keine Geltung besitzen und nicht mehr erstrebbar sind. Ungewollt, aber aus den Dingen heraus unvermeidbar, treffen sich demnach nicht nur Feststellungen zu einer geschichtlichen Beschreibung, sondern auch Urteile, die nach mehr als partikulärer Geltung streben. Vielleicht kann man, um die Situation des Betrachters noch einmal zu umreißen, pointiert sagen, daß für die Dominanz der distinktiven Perspektive die Schwierigkeiten dann lästig werden, wenn die Frage der Koordination und Kooperation der Bereiche sich stellt, während es der die Gewalten zuordnenden Sehweise schwer fällt, eine tragbare Trennung zu bestim10 10

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Thiel I, n. 12, S. 351. Capitulare Lothars I. de expeditione contra Sarracenos facienda (846) M G H , Cap. I n. 203: tantum malum in ecclesia Christi contigerit, ut et ipsa Romana ecclesia, quae caput est diristianitatis, fidelium manibus traderetur. — Zu diristianitas, unten S. 246 und Tl. III, Anm. 44 a. F. X . Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 296 ff; S. 304 ff zur Diskussion um Bellarmin (Th. Bozius, Carerius), die Intrige gegen Bellarmins Lehre von der indirekten Gewalt durch P. Arator (S. 305 Anm. 31), den ersten Prozeß, der unter Sixtus V. zur Indizierung Bellarmins und Vittorias führt.

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men. Der langwierige Prozeß der Unterscheidung der divina und saecularia (regalia), der mit Wido von Ferrara einsetzt, dann über Ivo von Chartres, die Investiturverhandlungen mit Frankreich und England, über die Vorgänge von 1111 schließlich zum Wormser Konkordat führt, zeigt das beispielhaft18. Die geschichtliche Betrachtung muß das Aushandeln und die Bewertung des Rechts und der Rechtsstandpunkte andern Disziplinen überlassen. Was sie jedoch unternehmen kann, das ist das Freilegen des historischen Prozesses und der mit ihm gegebenen Bedingungen. Der allgemeinen Erörterung hierzu seien noch einige detaillierte Bemerkungen angeschlossen. Die Darstellung des Verhältnisses von „Kirche und Staat", „Papst und Kaiser" stand lange Zeit im Blickwinkel der politischen Ansprüche und der entsprechenden Auseinandersetzungen. Weltherrschaft des Papstes oder Weltherrschaft des Kaisers. Dann hat Dempf in seinem großen Wurf des „Sacrum Imperium", nachdem schon zuvor das Feld bereitet war, die Äußerungen zum Fragenbereich des regimen christianum in den größeren und wesentlicheren Zusammenhang der „mittelalterlichen Geschidits- und Gemeinschaftslehren" gestellt", und R. W. und A. I. Carlyle haben das Thema in die Darstellung der politischen Theorie des Abendlandes verwoben84. Dempf übernimmt die Ansicht von R. und A. Carlyle, daß „der Rechtsanspruch direkter Oberherrschaft des Papstes in temporalibus erst unter dem Einfluß des römischen Rechts von den Kanonisten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufgestellt und damit die mittelalterliche Nebenordnung der Gewalten gesprengt wurde" 25 . Dies ist ihm der Beweis für seine überraschende Deutung der kurialistischen Thesen als „pseudokonservativ", da „die scheinbar extrem mittelalterliche Partei der Kurialisten gar nidit mehr mittelalterlich ist". Sie sei vielmehr bestimmt von den drei Hauptfaktoren der Neuzeit: Wissenschaft, juristischer Bildung und geldwirtschaftlichem Denken, durch das allein auch das aus der „gebildeten Öffentlichkeit verdrängte Bürgertum an der Bestimmung der neuen Zeit teilnimmt"". Inzwischen hat die kanonistische Forschung, vorab Gillmann, Stickler, ferner Post, Kempf, Ullmann, Mochi Onory so wichtiges Material erschlossen261, daß 28

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Wido von Ferrara, De scismate Hildebrandi, LdL I, S. 564: N a m omnia quae sunt episcopalis officii, spiritualia sunt, divina sunt, quia licet per ministerium episcopi, tarnen a sancto Spiritu conceduntur. At vero iudicia secularia et omnia, quae a mundi principibus et secularibus hominibus aecclesiis conceduntur, sicut sunt curtes et praedia omniaque regalia, licet in ius divinum transeant, dicuntur tarnen secularia, quasi a secularibus concessa. — Zum Inhalt der Regalien siehe die Aufzählung in M G H Const. I. n. 85 von 1111 und MG Konst. I. n. 175, 1158. Hierzu Appelt, Friedrich Barbarossa und das römische Recht. Rom. Hist. Mitt. 5, 1961, S. 18 ff. Appelt betont, daß der Begriff der Regalien älter sei als die römisch-rechtliche Festlegung in Roncaglia.

' Sacrum Imperium, 1962®, II. Teil: Die mittelalterlichen Geschidits- und Gemeinschaftslehren. — Die Zeit um 1300, beginnend mit den Altliberalen, nimmt er zur politischen Renaissance. 24 A History of Mediaeval political theory in the West I—VI, besonders Bd. V, VI. 25 Dempf a. a. O. S. 442. Der Beweis, daß die kurialistische Lehre gar nicht mehr mittelalterlich sei, ist für Dempf durch die Carlyles endgültig geführt. 29 Dempf S. 442.

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mit Sicherheit gesagt werden kann, die sogenannte Lehre von der potestas diretta papae in temporalibus, wenn wir diesen Ausdruck vorläufig übernehmen, finde sich bereits im ersten Fünftel des 13. Jahrhunderts kanonistisch vertreten und in ihren vorbereitenden Ansätzen im nachgratianischen 12. Jahrhundert formuliert. Damit sind aber die soeben zitierte Verbindung der Kurialisten mit den im späteren 13. Jahrhundert feststellbaren gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen und die entsprechende Charakteristik der extrem kurialistischen Doktrin hinfällig. Ihre Formierung muß daher in eine doch noch anders geartete Umwelt zurückverfolgt werden. Gewiß wird damit nicht die inhaltliche Aussage als solche unerheblich oder verliert an Schärfe. Es geht nur darum, die zeitbedingten Relationen zu bestimmen. In diesem Zusammenhang spielt d i e korporative Umwelt eine Rolle, auf die die Kurialisten mit ihren Thesen maßgeblich hinzielen: Idee und Wirklichkeit der Kirche. Nun steht die Ekklesiologie und die Gesdiichte der Ekklesiologie gerade für unsern Zeitraum nodi in den Anfängen. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Zeit noch keinen expliziten Traktat über die Kirche kennt. Wenn Arquillière die Schrift des Jakob von Viterbo, die unserer Studie ihren Titel lieh, „le plus ancien traité de l'Eglise" nennen kann, dann ist damit zugleich darauf verwiesen, daß wir vor 1302 keine geschlossenen Darstellungen besitzen, in denen über wesentliche Züge der Kirche ausführlich gehandelt wird, wir haben uns mit verstreutem Material zu befassen17. Daß nun die Ekklesiologie gerade, und wie S6*

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Für jetzt sei auf die in der Bibliographie genannten Schriften verwiesen. Das Material, das die vorausgehende kanonistisdie Forschung mit Massen, Schulte, Singer, Thaner vorgelegt hatte, kann jetzt im großen Zusammenhang der Richtungen und Schulmeinungen gesehen werden. Zum Traktat Jakobs siehe unten Teil II, C, I—IV. Die Formulierung Arquillères darf natürlich nicht vergessen lassen, daß die Frage nach dem Wesen der Kirche, und z w a r nach dem korporativen Wesen, in der kirchlichen Öffentlichkeit schon lange thematisch anklingt. Es sei erinnert an die Pariser Synode von 829 (Mansi, XIV, I, c. 2, col. 537), deren Niederschlag in der Relation der Bischöfe an Ludwig zu finden ist, mit der Definition „Quod universalis sancta Dei ecclesia unum corpus eiusque caput Christus sit" (c. 2) und c. 3: „Quod eiusdem ecclesiae corpus in duabus principaliter dividatur eximiis personis" (MGH, Cap. II, n. 196, S. 29). Der geistige Kopf der Synode, Jonas von Orléans, wiederholt in seiner: De institutione regia, ed. Reviron, S. 134 fast wörtlich diese Definition: „quia universalis Ecclesia corpus est Christi et eius caput idem est Christus, et in ea due principaliter exstant eximie persone, sacerdotalis videlicet et regalis". — Der Investiturstreit läßt die Frage nach der Kirche, und in ihr zuerst nach den eximie persone, in der neuen Sicht wachwerden, die sich aus der Forderung ergibt: „ut laici ecclesiastica non disponant" (Placidus, liber de honore ecclesiae, c. 11 LdL II, 578). Er ist deshalb nicht allein in der primär heranstehenden Perspektive der hierarchischen Ordnung, sondern auch als Ringen um ein anderes Verständnis der Kirche zu sehen. Wir haben die Frage nach der Gewalt in der Kirche und die nach dem Wesen der Kirche, die zweite stellt sich in der ersten. Placidus von Nonantula stellt die Frage: Quid sit ecclesia? zu Beginn seines Traktates, er beantwortet sie mit Augustin: „Domus autem Dei est populus Dei, id est aecclesia Dei" (LdL II, S. 575) Augustinus Enarr. in psalm. 126, c. 3; PL, 37, c. 1668 f. Die im 9. J a h r hundert beigefügte sacerdotal-regale Führung der Kirche durch die beiden eximie personae erscheint nicht mehr. Das bedeutet für die konservative Sicht eine Trennung, die Trennung des geistlichen und weltlichen Schwertes in der Kirche nach der bisherigen Ordnung (Briefe Heinrichs IV. n. 13), wie sie der Traktat „De unitate ecclesiae conservanda" wirkungsvoll schildert (LdL II, S. 184 ff), indem er den Gregorianern zuruft:

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andere Beispiele zeigen, nicht zufällig in Verbindung mit der Gewaltenlehre in Gang kommt, erweist, wie entscheidend die Gewaltenlehre für die Ausbildung der Auffassung von der Kirche ist und wie zwischen beiden eine aufschlußreiche Verbindung zu erwarten ist48. Was die Abhängigkeit der zum Thema des regimen christianum vorliegenden zeitgenössischen Antworten und Lösungen von den politischen und gesellschaftlichen Wandlungen im allgemeinen angeht, so wird niemand bestreiten, daß das, was für die Konkretisierung des Glaubensgutes hinein in die Geschichte gilt, erst recht für die Gestaltung des Christlichen in der Welt zutrifft28. Die einfache Tatsache, daß mit der unaufhaltsamen Ausbildung des rational geordneten Staates und der rational organisierten demokratisch-industriellen Gesellschaft die im regimen christianum sich darstellende Frage nach dem Verhältnis von „Kirche und Staat" in einer Weise beantwortet wird, die gewohnte Maßstäbe hinter sich läßt, zeigt nach rückwärts, wie intensiv und gestaltkräftig die angedeuteten Relationen sein müssen. Wie diese Relationen freilich, über so einleuchtende und gewohnte Formeln wie: Thron und Altar, institutionellkooperative Rechtsbindung von Staat und Kirche (regnum und sacerdotium) hinaus im einzelnen zu bestimmen sind, ist bei näherem Zusehen so komplex und differenziert, wie die Umwelt in ihrer Struktur und in ihrem Leben sich uns gibt. Eine wertvolle Hilfe bieten auf jeden Fall die Ergebnisse der jüngeren Forschungen auf dem Gebiet der Verfassungs- und jetzt auch auf dem der Sozialgeschichte, wie sie von Th. Mayer, Mitteis, O. Brunner, W. Schlesinger, Bosl umsichtig und zielbewußt erarbeitet wurden und werden. Wesentlich scheint mir hierbei die Einsicht in das Wesen und die Struktur der Herrschaft, in den personalen Charakter des Staatlichen, in die verschiedenen Formen der Mitherrschaft, die von vornherein kundtun, daß wir es — im Verhältnis zur entfalteten Staatswirklichkeit der neuen Zeit — mit einer Königsgewalt zu tun haben, die,

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„Vae illis, qui oderunt unitatem ecclesiae, presumentes in hominibus partes facere. (Augustin, In Joh. ev. X I I , 3, 9.) Utinam voluerint hoc attendere, qui partes in hominibus fecerunt, ut faciunt scindentes unitatem ecclesie". Das Kirchenverständnis der folgenden Zeit mußte erweisen, wie a) die Kirdie in ihrer selbständigen hierarchischen Ordnung, b) wie die Einordnung der regalis potestas zu verstehen seien. Noch sdiärfer gefaßt: Gehörte das regnum nur dem mundus an oder auch der Kirche? Umfaßt die ecclesia auch die weltliche Ordnung oder ordnet sie ausschließlich die spiritualia? Hugo von St. Viktor gibt die für das 12. Jahrhundert fundierteste theologisdie Antwort in: De sacramentis II, c. 2 ff ( P L 176, c. 416 ff). Hier ist die weltumfassende Sicht in das Bild der: quasi duo latera corporis unius vertieft. Vgl. dazu unten: S. 136 ff. Die Verbindung des Themas der Kirdie mit dem Traktat über die potestas zeigen die übrigen kurialen Schriften des Aegidius Romanus, Augustinus Triumphus und Alvarus, aber auch die Schriften Ockhams und des Defensor pacis. Merzbadier, Wandlungen im Kirchenbegriff, SavZfR 3 9 (1953) 274 ff sieht die Wandlung in Richtung auf die Gleich Setzung von Kirdie mit deren spiritual-temporaler Vollmacht im Papste, wobei die Zeit vor dem Investiturstreit, die »völlig in einer harmonischen Theokratie lebte", beendet wurde (S. 275, nadi Seidlmayer, Das Mittelalter (Unser Erbe 1948) S. 33, 97). Für die Entfaltung des Kirdienverständnisses und damit des gesellsdiafllidien Selbstverständnisses scheint es mir aber auch wichtig zu sein, daß die Diskussion über die Kirdie und die Frage nach der Kirdie sidi so betont im Zusammenhang des Verhältnisses von regnum und sacerdotium stellen und vom Verständnis dieses Verhältnisses her geprägt sind.

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in sich beschränkt, auf die Herrschaftsteilhabe der nachgeordneten Herrschaftsträger angewiesen ist". In Verbindung mit der Sozialgeschichte zeigt die Verfassungsgeschichte die konkrete Ausformung der herrschaftlichen Struktur vom König hinab bis zu den niedersten Herren, die Spannungen im „System von Über- und Unterordnungen" (Bosl),30 das Ringen der Könige mit gentilisch auftretenden und in gentilischen Formen operierenden Teilhabern der Macht. Die gesellschaftlichen Wandlungen prägen und beeinflussen nicht nur das regnum, sondern bei der engen Verflechtung von ecclesia und regnum auch deren Verhältnis. Adelige Hochkirdie und ihr Bund mit dem Königtum zeigen, was diese Eintracht im Sinne eines regimen christianum vermag. Zugleich führt die Problematik dieses Bundes zu einer der tiefsten Erschütterungen der Epoche zwischen der ersten und letzten Krönung eines Kaisers durch den Papst, zuerst in Rom zuletzt in Bologna, zwischen Karl dem Großen und Karl V. Die Bedeutung der nachgeordneten Herrsdiaftsträger im Investiturstreit und in den ihm folgenden zwei Jahrhunderten ist bekannt. Eine wichtige Rolle kommt in diesen Auseinandersetzungen jenen politisch und sozial bedeutsamen Gruppen zu, die aus differenzierten Formen der Unfreiheit aufsteigen, den Ministerialitäten, unter denen den Dienstmannen, die aus der „familia" des Königs hervorgehen, hödiste Verantwortung zufallen kann, wie das Beispiel staufischer Ministerialer zeigt*1. Dann den Urbanen Gruppen, die ebenfalls aus dem Reservoir unfreier Schichten (servientes, mancipia) aufsteigen38. In beiden Gruppen wachsen dem König und Kaiser im Streit um die Regalien unersetzliche Helfer zu. Die Stärke der Urbanen Bewegung wird vor allem auch deutlich in Italien, wo Valvassoren und Bürgertum (Pataria) ihre Selbständigkeit gegen den Kaiser im Bund mit dem Papst anstreben3®. Schließlich findet im 13. Jahrhundert die transpersonale und institutionelle Konzeption des königlichen Amtes und des königlichen Landes ihren eifrigsten Förderer im Stand der Legisten, der wieder ohne die Bildung einer königlichen Verwaltung, die mit gelehrten Rechtskundigen arbeitet, nicht zu denken ist. Andrerseits tragen die überwiegend den nichtfeudalen Schichten entstam2(1

so S1

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Zu Herrschaft und Herrschaftsteilhabe zuletzt vor allem K. Bosl, Herrscher und Beherrschte in: Frühformen S. 135 ff, bes. 141 ff und Potens und pauper a. a. O. S. 106 ff mit weiterer Literatur. Ferner die Anm. 9 zitierten Arbeiten. Bosl, Herrscher und Beherrschte a. a. O. S. 149. Zu den Vorstufen der Ministerialität vgl. die Diskussion um die Bedeutung der Königsfreien. H . Dannenbauer sieht in der Königsfreiheit (Königszinser) eine Voraussetzung für die spätere Ministerialität, die wohlhabenden Königsfreien steigen auf, während die Nichtbegüterten absinken (Die Freien im karolingischen Heer, Festschrift Th. Mayer I. S. 49 ff). K. Bosl leitet die Königsministerialen aus den höheren Schichten der Unfreien ab (Vorstufen der deutschen Königsdienstmannschaft in Frühformen S. 228 ff; Das ius ministerialium bes. S. 311 ff). Er nennt die Königsfreiheit: freie Unfreiheit in: Frühformen S. 195). — Zur staufischen Ministerialität a. a. O. Die Reichsministerialität S. 327 ff. — Zu Königsfreiheit ferner: Th. Mayer, in: Das Problem der Freiheit in der deutschen u. schweizer. Geschichte (1955) S. 7 ff. — Kritisch: D. A.Bullough in: Past & Present, 45, 8 ff. Freiheit und Unfreiheit, in: Frühformen S. 199, und Das ius ministerialium ebda. S. 302 ff. Zur Pataria: A. Violante, La pataria milanese e la riforma ecclesiastica, 1955; G. Miccoli, Per la storia della Pataria milanese, Boll, dell.' Istituto per il Medio Evo e Arch. Muratoriano 70, 1958, S. 43 ff.

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menden Dekretisten und Dekretalisten die Entwicklung des Rechtssystems der kirchlichen Obergewalt in zeitlichen Dingen. In der bewegten Klage eines Otto von Freising, des hochadligen Bischofs und Gelehrten, kann man sozialgeschichtlich zugleich die Stimme jenes reichskirchlichen Bundes von regnum und sacerdotium vernehmen, der in der weltlichen Adelsherrschaft und der überwiegend adligen Hochkirche verwurzelt ist". Santifaller hat eindrucksvoll auf die beherrschende Stellung des Adels in der ottonisch-salischen Reichskirche verwiesen®5. Mit dem Gesagten sind einige Leitlinien genannt, in denen der Weg unserer Betrachtung sidi deren zentralem Vorhaben nähert, der Diskussion über das Verhältnis der beiden Gewalten in der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Das seit dem 11. Jahrhundert kontrovers gewordene Königs- und Kaiserrecht und die Entfaltung der päpstlichen Ansprüche verdichten sich hier zu äußersten Positionen. Diese Diskussion hat in den Darstellungen von H . Finke, R. Scholz, Rivière, Dempf, R. und A. Carlyle schon eine wertvolle und eingehende Interpretation gefunden, so daß ein erneutes Aufgreifen des Themas eine Begründung erfordert. Eine Begründung ist einmal gegeben, um mit dem Nächsten zu beginnen, in der schon erwähnten Einsicht, daß es kaum genügt, nur die Spekulation sprechen zu lassen, sondern daß diese, nun anhand der Ergebnisse der verfassungs- und sozialgeschichtlichen Forschung, in die gesellschaftliche und politische Umgebung einzubetten ist. Dazu kommen die Ergebnisse der Forschung über die Herrschaftszeichen, die Krönungssymbolik, deren Quellen übersichtlich zugänglich geworden sind. Ausgezeichneten Dienst leisten die Veröffentlichungen der bereits erwähnten kanonistisdien Forschung, die es erlauben, die historischen Konturen schärfer nachzuziehen. Zum andern haben eigene Studien zu so markanten und gegensätzlichen Sprechern der Zeit Johanns XXII. und Ludwigs des Bayern: Ockham, Augustinus Triumphus, Alvarus Pelagius gezeigt, daß es notwendig ist, einige gewohnte Interpretationsschemata anhand der quellenmäßigen Aussagen erneut zu überprüfen". Wir werden zu fragen haben, inwieweit unsere Kennzeichnung und Klassifizierung der kurialistischen Lehren nicht selbst jenen Voraussetzungen entstammen, die wir eingangs als Wandlung von der zuordnenden zur distinktiven Perspektive darlegten, also selbst zeitbedingt sind. Diese Klärung kann aber nur erfolgen vor dem Hintergrund und in Beachtung der systematischen Thematik. Die historische Betrachtung muß ihr geöffnet sein, will sie sich nicht im 34

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Otto von Freising, Chronicon, Prolog Buch VII, und VII, c. 16 zum Konkordat von Worms: „Exhinc ecclesia libertati ad plenum restituta paceque ad integrum reformata in magnum montem crevisse . . . invenitur." L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems, Osterr. Akademie d. Wiss. 229, 1: 76 ff. Santifaller zählt für die Zeit vom 7.—11. Jahrhundert unter 627 Bischöfen — bei 224 Bischöfen unbekannter Herkunft — 393 Bischöfe edelfreier Abstammung. 9 Bischöfe sind Bürgerliche oder unfreien Standes, bzw. Ministerialen. — Vgl. auch A. Schulte, Der Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter; grundlegend. W. Kölmel: Ockham u. seine kirchenpolitischen Schriften, bes. 213 ff, 226 ff. — Einheit u. Zweiheit der Gewalt, HJ 82, 1963, bes. 141 ff. — Paupertas und potestas, FranzStud. 1964, S. 60 ff. — Wilhelm Ockham — der Mensch zwischen Ordnung u. Freiheit, S. 214 ff.

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Kreise drehen. Handelt es sich doch um das tiefere Thema, wie in regimen christianum das „christianum" verstanden wird, d. h. um die Objektivation der von Christus gestifteten und im Glauben tradierten Botschaft in den Wandel der Zeit am Modell des Herrschaftlichen, der auctoritas sacrata pontificum und der regalis potestas. Die Objektivation des „christianum" im Bereich des regimen in eine bestimmte und unwiederholbare Epoche stellen, heißt aber nichts anderes als die historische Situation an jene Grenze führen, an der sich die Diskontinuität der historischen Stunde mit der Kontinuität der tragenden Grundlagen berührt. Die jüngsten Untersuchungen zum Fragenkreis des regnum und sacerdotium enden mit der Stauferzeit. Die radikal hierokratische Doktrin um 1300 wird genannt und gegenüber der vorausgehenden Zeit in ihrem Extremismus und an ihrem Extremismus charakterisiert, ohne auf sie im einzelnen einzugehen, ohne an sie die entscheidende Frage zu stellen, was ihre Aussage im Ganzen der Objektivation des „christianum" zu sagen hat". Ein Grund mehr, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf die Zeit um 1300 lenken, und ihre Aussagen noch einmal selbst zu Wort kommen. Was dabei im übrigen die eben genannten Extremismen innerhalb der hierokratischen Doktrin und die hierokratische Doktrin als Ganzes angeht, so kann man in der fast verwirrenden Vielfalt der Äußerungen zwei markante Gruppen der heutigen Urteilsbildung herausheben: Die eine sucht den Extremismus, d.h. die streng hierokratische Gruppe, ich nenne sie seit langem auch „ekklesiarch", auf einen möglichst kleinen Kreis der Aussagen zu reduzieren, wobei gleichzeitig deren Auftreten zeitlich hinausgeschoben wird. Im wesentlichen auf die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, also auf Bonifaz VIII. hin. Damit würde also dieser Zeit die ganze Verantwortung für die Extremismen zufallen, und die Kritik, die Gestalten wie Innozenz III. und Innozenz IV. verschonen würde, müßte um so unerbittlicher dann die Publizistik um 1300 treffen. Eine Schlüsselstellung fällt nach dem Stand der heutigen Betrachtung, mehr noch als Innozenz III., nun Innozenz IV. zu. Die

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F. Kempf, Papsttum u. Kaisertum, spricht im Ausblick S. 323 ff nur kurz davon, daß die römische Kirche „bald die Grenzen", „die Innozenz III. noch eingehalten wissen sollte" überschritt; daß es „als Folge des päpstlichen Pyrrhussieges zu den übersteigerten Forderungen Innozenz IV. und Bonifaz V I I I . " kam. — Ders. in: Kanonistik u. kuriale Politik A H P 1963 muß naturgemäß mit Innozenz III. enden. — M. Maccarone, „Potestas directa" e „potestas indirecta" bringt S. 38 ff die maggiori teologi della seconda metà del secolo X I I I und schließt dann noch Remigius (de' Girolamini) und Petrus Olivi an S. 44 ff. — Ders. in „Vicarius Christi" beschränkt sidi auf die Geschidite des päpstlichen Titels. — Mochi Onory schließt mit der Kanonistik des Pontifikates von Innozenz III. — A. M. Stickler in seinen zahlreichen bahnbrechenden Untersuchungen beschränkt sich auf das 12. und angehende 13. Jahrhundert, in seinen vorläufig zusammenfassenden Aufsätzen: Sacerdozio e regno nelle nuove ricerche, und: Imperator vicarius Papae bleibt er ebenfalls in diesem Zeitraum. — Seine Schüler R . C. Lara, Coacción ecclesiastica und I. A. Cantini, De autonomia judicis saecularis interpretieren im Sinne der Stidderschen Arbeiten über die Zweischwerterlehre (hierzu S. 219 ff). — Zu weiterer Literatur und Einzeluntersuchungen vgl. Bibliographie zu: Baethgen (Reichsvikariat), Feine (Approbationsanspruch),Hageneder (Deposition), H . Hoffmann (Zweischwerterlehre), Kempf, Pacaut (Innozenz IV.), Ladner (plenitudo potestatis), Merzbacher (Aegidius).

I. Die Fragestellung

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einen, vorab Cantini, dem jetzt P. Herde folgt, Tierney, eingeschränkt auch Watt, rechnen ihn der päpstlichen Tradition und Innozenz III. zu, F. Kempf dagegen hat bereits in seiner Darstellung Innozenz' III. von den übersteigerten Forderungen Innozenz' IV. und Bonifaz' VIII. gesprochen, so daß sie zu den Extremen zu redinen wären57*. Eine ganz andere Sicht ergibt sich aus jener Deutung, die, wie die bekannte These von W. Ullmann, die hierokratische Linie bereits sehr früh entfaltet und im 12. Jahrhundert voll ausgebildet sieht. Oder die — wie H. Hoffmann — die Ausbildung der Doktrin in den Investiturstreit verlagert37". Für unsere Betrachtung wird sich, angesichts dieses Standes der Deutung, u. a. auch die Frage ergeben, wieweit der Extremismus um 1300 etwas Neues darstellt und wie seine Thesen der Gesamttradition der kirchlichen Gewaltenlehre zu konfrontieren sind.

»7« Zu Cantini vgl. Teil III, Anm. 502 ff (mit Text). — Zu P. Herde Teil II, Anm. 509. Herde meint, daß „Eger cui levia" nicht mehr als Quelle für die Ideen Innozenz' IV. benutzt werden könne (vgl. hierzu Anm. 509, Teil II). Die Ideen des „Pamphletes" seien jedoch repräsentativ für gewisse radikale Kreise an der Kurie und bildeten dann eine „Vorstufe zu den extrem hierokratischen Auffassungen der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert" (a. a. p . S. 508). — B. Tierney, The continuity of papal political theory, Mediaeval Studies 7, 1965, 232 ff. — J. A. Watt, The theory of papal monardiy in the thirteenth century, Traditio X X , 1964, meint S. 248, daß Innozenz IV. „had nothing to add to In Genesi and Venerabilem and his view of the constitutional relationship of pope and emperor was, in all its essentials, that of Innocent III. — S. 250, Anm. 50 wendet er sich aber gegen die These Cantinis von der „paritas" of the powers bei Innozenz IV. — F. Kempf, Papsttum und Kaisertum bei Innozenz III., S. 325 und ders.: Kanonistik und kuriale Politik, A H P , 1, 1963. — Weiter W. Ullmann, Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter, 1960. — H . Hoffmann, Die beiden Schwerter im Hochmittelalter, DA 20, 1964, S. 384 ff. 2

Kölmel

II. Die begriffliche Umschreibung des regimen christianum Vorbemerkungen zur Terminologie: Die begriffliche Umschreibung des spiritualen und temporalen Bereichs seit dem 4. Jahrhundert. — Verschiedene Aspekte der Terminologie. — Die generische (spezifische) Differenz der Bereiche in der neueren begrifflichen Abgrenzung seit Bellarmin. — Die Problematik des »Monismus".

In der einführenden Betrachtung wurde betont, daß es erforderlich sei, die tradierte Terminologie auf ihren jeweiligen Sinngehalt zu überprüfen. Wir betrachten daraufhin, soweit es im Rahmen unseres Vorhabens möglich ist, die Ausdrücke für die Sachbereiche, in denen sich die beiden Gewalten bewegen, auf die hin ihre Aufgaben gestellt sind und mit denen sie ihre Ziele gemeinsam haben. Die im 12. und 13. Jahrhundert allgemein gebrauchten Attribute spiritualtemporal (spiritualis-temporalis, bzw. materialis gladius), spiritual-terren (spiritualis-terrena potestas) haben sich im Laufe der Zeit aus einer Vielfalt terminologischer Möglichkeiten ausgesondert. Hippolyt von Rom nennt die weltlichen politischen Angelegenheiten die „ßctaiXixa jtQctyiJ.aTa'"8, Konstantin spricht allgemein von den: terrena". In diesem „terrena" wird bereits gegenüber der römischen Ämtersprache40 ein deutlicher Unterschied gesetzt. Terrenum ist nur zu begreifen im Kontrast zum caeleste. Hier spricht die christliche Heilsund Weltansicht, die das Gesamte der zivilen Angelegenheiten in das „Irdische" einordnet, womit zunächst all das gemeint ist, was nicht unmittelbar Inhalt der in der Kirche selbst zu gestaltenden Heilsordnung ist. Aber diesen „terrena" gehört eben nun nach Konstantin auch die Sorge dafür, daß auch der „cultus Catholicae religionis" überall blühe". Journet meint zu Recht, daß die Kaiser selbst den „avènement d'une chrétienté du type sacral" vorbereiteten, indem sie die Christen als die einzigen wahren Glieder des Imperiums ansahen". Auf die Einzelheiten der konstantinischen Reichskirchenpolitik sei jetzt nicht eingegangen, wesentlich bleibt, daß schon die Terminologie, sozusagen auf den Hippolyt, Kommentar zu Daniel III, 20 (Graec. Corp. Script. I, S. 162) zit. bei Rahner, S. 52. M Epistola ad Nicomedienses (Theodoret, Hist. eccl. I, c. 19) PG 87, c. 964. 1 0 Den terrena entspricht ein Celeste, bzw. eine Ordnung, die es mit dem caeleste zu tun hat, die Kirche; vgl. Hosius v. Cordoba: der Kaiser solle sich nicht in die „èxxXsaiacmxà" einmischen, umgekehrt kann der Bischof sich nicht in die »¿lqx^I èrti Tfjç Yfjç", also die terra, einschalten: CSEL, 65, S. 184. zit. bei Kahner S. 122. Vgl. das Schreiben Konstantins an die 314 in Arles versammelten Bischöfe, dazu: Instinsky, Bischofsstuhl S. 60. — Die tradierte Terminologie für die öffentlichen Dinge, die negotia publica, den Bereich der res publica = res populi im Unterschied zur res privata (dazu Suerbaum, Staatsbegriff, S. 5 ff) kennt diesen Begriff des terrenum nicht. 41 Zitiert bei Pilati S. 35, Anm. 15. « Ch. Journet, L'Eglise du Verbe Incarné I, S. 278. 58

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ersten Blick, verrät, daß der weltliche Bereich nicht autark in sich abgeschlossen nur für sich bleiben und nur die weltlichen Dinge ordnen will, sondern sich einer Heilsfunktion geöffnet weiß. Daß dies im konstantinischen Zeitalter und der folgenden byzantinischen Epoche im Stile eines Kaiserapostolates und eines Kaiserpriestertums verstanden und praktiziert wurde, tut der Grundsicht als solcher keinen Eintrag. Uberblickt man die weiteren Bezeichnungen, so kann man drei Aspekte unterscheiden. Der eine ist der schon angeführte kosmisch-kreatürliche. Dem terrenum steht gegenüber, oder besser: ist übergeordnet das caeleste. Konstantin selbst verwendet im Donatistenstreit dieses Attribut sehr markant 45 . Für terrenum findet sich auch das Attribut saeculare, dem griechischen vtoqnxov entsprechend in der Verbindung der saecularis potestas, des saeculare iudicium. Der zweite Aspekt sammelt unter dem Attribut des „humanuni" die weltliche Ordnung und stellt sie dem divinum gegenüber, wie es von der Kirche und ihrer Hierarchie verwaltet wird 44 . Schließlich erscheint bei Gelasius I. in der berühmten Passage „Cud ad verum" jenes Absetzen der „spiritalis actio" von den „carnalia" und den negotia secularia, womit diese negotia in eine Beziehung zu den carnalia geraten45. Gelasius gibt keine Erläuterung, wie das carnale und seine Beziehung zum negotium im einzelnen zu verstehen sind, es liegt aber nach dem biblischen Sprachgebrauch nahe, eben auch an die von der Sünde verderbte Natur zu denken, an das Fleisch, das im Widerstreit zum Geist steht und von diesem gelenkt werden muß4". Wir sind bei jener Sicht der irdischen Dinge, die diese unter dem Gesetz und im Bann der Sünde und ihrer Folgen sieht. Bei Augustinus wird diese Welt der Sünde als eine durch die Zeiten und über die Völker reichende Gemeinschaft des „amor sui", der menschlichen Selbstgenügsamkeit und Selbstherrlichkeit (secundem hominem) gesehen47. Freilich beginnen im Verständnis Augustins sofort die Schwierigkeiten, wenn man 43

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Optatus Milevitanus App. 5, C S E L X X V I . S. 209.— D a s Wortfeld saeculum, saeculare findet sich ebda.: saeculare (caelestia) iudicium, perquirunt saecularia relinquentes caelestia. Orígenes spricht von saeculi legibus (PG 14, 1227).— Der Ausdruck negotia saecularia (Leo I. P L 54, 828) hat das neutestamentliche Vorbild der lateinischen Fassung, vgl. 2 Tim. 2, 4 : „ N e m o militans D e o implicat se negotiis saecularibus", was wiederum Gelasius I. in der grundlegenden Ausführung „ C u m ad verum" (Thiel I, S. 568) unmittelbar zitiert. Siehe Anm. 45. Humanum in verschiedenen Verbindungen: Tertullian Apologeticum 28, C S E L 69, S. 77): humano dominio; Orígenes (PG 14, 1228) von: divina-humana lex: Papst Symmadius von dem rerum humanarum princeps (Thiel I, S. 705). Thiel I, S. 568 (Tractatus IV n. 11): quatenus spiritalis actio a carnalibus distaret incursibus, et D e o militans (folgt 2 Tim. 2, 4) . . . , ac vicessime non ille rebus divinis praesidere videretur, qui esset negotiis saecularibus implicatus. Zu Fleisch im biblischen Sinn: Handbuch theol. Grundbegriffe, II, 146 f (Rom. 8, 4—10; Gal. 3, 3; Joh. 3, 6; 6, 13; 1 Petr. 3, 18 (noch Anm. 46), Mark. 14. 18), Fleisch als Sitz der Sünde. D c D X V 1: Q u o d (genus humanum) in dúo genera distribuimus, unum eorum, qui secundum hominem, alterum eorum, qui secundum Deum vivunt. — X I V 28: Fecerunt itaque civitates duas, amores duo, terrenam seil, amor sui usque ad contemptum Dei, caelestem vero amor Dei usque ad contemptum sui. Denique illa in se ipsa, haec in Domino gloriatur. . . . Illi in prineipibus eius vel in eis, quas subiugat, nationibus dominandi libido dominatur.

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nun die konkreten staatlichen Gebilde zwischen civitas Dei und civitas diaboli lokalisieren will. Denn hier taucht sogleich die naturrechtliche Ordnung selbst auf, in der das iudicium saeculare zuerst gründet48. Dieser Frage können wir freilich hier nicht weiter nachgehen. Was jedoch aus den Worten des Augustinus mit Sicherheit hervorgeht, das ist die Anfälligkeit der „regna" für jene Gegenordnung, die sich im Bild des latrocinium kundtut (DcD IV, 4). Stellt man es in die Uberlieferung jener Stimmen, die den tyrannischen heidnischen Staat anklagen, dann erhält es noch mehr Gewicht". Das Bild vom regnum, das den späteren Jahrhunderten zuwächst, ist trotz aller königpriesterlichen Würde auch das der lauernden Sünde und Tyrannei. Es wird überall dort wirksam, wo die Kirche das „divinum iudicium" gegen einen tyrannus und sein Regiment anruft und damit zugleich ihre geistliche Überlegenheit ins Spiel bringt. Diese Überlegenheit ist die der „spiritualis actio", sie entspringt dem geisterfüllten Gnadenleben der Kirche, so daß das Verhältnis der Bereiche, in dem auf der einen Seite die in der Gnade beheimatete „spiritualis actio" nach einem Verhältnisglied tendiert, das in der körperhaften Natur gegeben ist, von vorherein auf eine hierarchische Führung hin angelegt ist. Wir werden noch sehen, wie diese gestufte Gegenüberstellung sich im Vergleich von anima und corpus für die Kennzeichnung des Gewaltenverhältnisses auf eine anschauliche Formel verdichtet. Der soeben geschilderte terminologische Befund bleibt in der folgenden Zeit erhalten, an einer Stelle jedoch, bei der Bezeichnung der Gewalten und ihrer Funktion, erfolgt eine bemerkenswerte Akzentuierung. Dies geschieht in der Zweischwerterlehre. Dem Attribut für die Rechtsgewalt der Kirche: spiritualis tritt als sehr häufig gebrauchtes Epitheton für die weltliche Zwangsgewalt — neben: temporalis, terrenus — das Wort: materialis (seltener auch: corporalis) gegenüber50. Herrschaftsträger und Herrschaftsfunktion im Bereich 48

In: Typik und Atypik, Festschrift I. Spörl, Anm. 5, habe ich zur Frage der Interpretation anhand der Deutung J. Ratzingers in: Gesdiichtsdenken S. 55 ff kurz Stellung genommen " Die Erfahrung der Märtyrerzeit wird lebendig im Bild Daniels, den die Statthalter, in denen der Böse wirkt, in die Grube werfen (Danielkommentar III, 20 ff; zitiert bei Rahner S. 56). Die Gewalt des Staates wird aber auch in den arianisdien Wirren deutlich, sodaß Hosius von Cordoba den K o n s t a n t i a daran erinnern kann, daß er schon zur Zeit, da Maximinian, der Großvater des Konstantius gegen den Glauben wütete, Zeugnis ablegte, ein Zeugnis, das er jetzt unter dem christlichen Kaiser wiederholen will (PG 25, 744; zit. bei Rahner S. 118). Vgl. auch Lucifer von Calaris, De regibus apostaticis (CSEL 14, S. 35 ff; zit. bei Rahner S. 142 ff). 50 Den ursprünglichen Begriffen: potestas regalis, regia (vgl. Gelasius, D u o quippe; Karolingisdie Zeit: M G H Cap. I, S. 72 (797) und passim), ferner potestas saecularis: (MGH II, 102; 401), gesellt sidi hinzu das Attribut: terrena (vgl. Hugo v. St. Viktor, D e sacr. II, 2 c. 4, PL 176, 418); rex terrenus: H. C. Bosham (III. c. 24 bei: J. C. Robertson, Materials for the history of Thomas Becket, 3 (1877), 268; vgl. Hoffmann, Zweischwerterlehre S. 95); von temporalis iurisdictio spricht die Dekretale: X , II, 28, 7 Si duobus. Bei Huguccio ist das Attribut temporalis (temporalia) geläufig: vgl. zu c. 1 D 22 omnes: utrumque gladium spiritualem et temporalem (Lecler, L'argument S. 316); temporalia zu D X C V I , c. 6 (Calasso, lmpero, S. 64). Zu materialis: Honorius Aug. LdL III, 75 (Summa gloria c. 26: gladius materialis). — De anulo (LdL III, 725: gladium portat sed materialem). — Vor allem Bernhard von Clairvaux, De consid. 1. 4, III c. 7: gladius materialis. Bei den

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des Saekularen sind — jedenfalls im Rahmen dieser Formel und des ihr zugrunde liegenden Bildes — bezogen auf das, was „materialiter", „corporaliter" im Schwertzwang erledigt werden kann; das schließt aber von selbst ein die Relation auf die körperhafte Natur der Welt und des Menschen. So daß das, was in der heidnisch-christlichen Tradition als Heil des Königs erscheint: Die „pax populorum", „tutamen patriae", „cura languorum, gaudium hominum, temperies aeris, serenitas maris, terrae fecunditas, solacium pauperum, hereditas idiorum" (Pseudo-Cyprian 51 ), die „fortuna" Widukinds", das Herrscherglück, aber auch das: „rex eris, si recte facias" (Isidor)53 sich auf das materialkörperlich verstandene zeitliche Wohl erstreckt. Daß diese Deutung der Schwertformel auf dieses sich jeweils zurückbeziehen muß und damit eingeschränkte Bedeutung hat, sei nicht übersehen. Es kann jedoch auch nicht übersehen werden, daß die begriffliche Sammlung der königlichen Rechte und Pflichten, und somit die Verwirklichung der zeitlichen Ordnung in der Funktion des Herrschers, im Bilde eines gladius materialis die auf den materiellen Bereich zielenden Herrschaftselemente so intensiviert und ins Licht bringt, daß die auch in der Schwertgewalt existente und agierende geistige Gewalt und deren Zielsetzung überlagert und verdunkelt wird. Selbstverständlich gilt das explizit nur für den Raum, in dem die Formel als auszeichnendes Merkmal der Gewalt erscheint; das ist die kirchenpolitische Diskussion vor allem. Aber gerade hier werden ja für das Bewußtsein der Zeit die Grenzen und Verhältnisse kritisch geklärt. Die Interpretation der Diskussion über regnum und sacerdotium wird Dekretisten und Dekretalisten wird überwiegend von gladius materialis gesprochen; Belege bei Stickler. Imperator vicarius Papae, S. 182 (Sa Parisiensis zu D X X I I I c. 1 ad v. salvo), S. 188 (Ecce vicit lco) und passim (183, 202). Alanus, Tancred ebenso (zu Alanus, Schulte. Zur Lit. der Comp, antiquae, Sitz. Ber. Wien. Ak. 66, S. 89 f zu c. si duobus 7. de appell, ad. v. juris); Tankred (Gillmann, AKR 98, S. 408 Anm. 4). Zu Gladius corporalis: Eboracensis, De consccratione, LdL III, S. 674: gladius quippe eorum (regum) etsi per materiam corporeus est, sed per virtutem sacramenti Spiritus sanctus est. Hier ist der Charakter der körperlichen Zwangsgcwalt der weltlichen Herrschaft im Sinne der Zeit nicht abgestritten (vgl. die folgenden Zeilen a . a . O . : ut in eo feriant peccatores ac vindicant iniuriam), aber im Stil der rex-sacerdos Idee wird das Schwert spiritualisiert. — Ohne diesen Zusatz heißt es im Traktat X X der Yorker Schriften, Böhmer S. 474: In passione Domini duo fuisse gladii — . . . unum corporalem, quo secularis princeps reos interficiat, alium spiritualem. — Ähnlich H . v. Bosham (vgl. oben) S. 268: Duos reges, caelestis rex Christus et rex terrenus, duae cocrtiones, spiritualis et corporalis. Ecce duo gladii. — Aegidius Romanus, de eccl. pot. II, 10 S. 88 f erläutert den Begriff des gladius temporalis bzw. corporalis: sed est unus et idem gladius temporalis et corporalis, quia unus et idem gladius est qui habet iudicium sanguinis et iudicat de corporibus et iudicat etiam de rebus temporalibus sub sua potestate constitutis. — Dies ist die detaillierteste Definition des weltlidien Schwertes im Rahmen einer scholastischen Darlegung über die temporale Gewalt. — Der Begriff der körperlichen Gewalt ist zu sehen im Ganzen der Tradition, die mit Johannes Chrysostomus zum erstenmal greifbar wird, vgl. Arquilliire, Augustinisme gladius sanguinis Anm. 54 S. 114. PG 56, c. 125 f. 51 Pseudo-Cyprianus, S. 53. — Dazu E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken S. 38 f. !S Widukind, Rerum Gest. Sax. I, c. 25: Sunt nobis, frater, copiae e x e r c i t u s . . . preter fortunam et mores. Fortuna, frater, cum nobilissimis moribus Heinrico cedit, rerum publicarum secus Saxones summa est. " Isidor, Etymologiae IX 3, 1; PL 82, c. 341.

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noch zeigen, welche Bedeutung der Formel vom gladius materialis und verwandter Termini in diesem Zusammenhang zukommt. Daß die begriffliche Formulierung der königlichen Herrschaft sich so auf die mit dem Schwertzwang (gladius sanguinis, iudicium sanguinis") gegebenen Funktionen konzentrieren kann, setzt nicht nur ein bestimmtes Verständnis der Gewalt überhaupt voraus, dessen Wurzeln und Hergang noch genau zu untersuchen wären, sondern lassen auch auf eine eigene Vorstellung des mundus und seines ordo schließen. Denken wir an unsere Auffassung der weltlichen Hoheit und der weltlichen Ordnung, so sehen wir diese heute als ganzheitliche Entfaltung rational gesteuerter, dem gesellschaftlichen Gestaltungswillen entwachsender Einheiten, wobei die weltliche Hoheit die zwingende Ordnungsmitte eines Staates darstellt. Dem „Spiritualen" steht damit im „Temporalen" eine Ganzheit gegenüber, die es aus ihrem entfalteten Wesen heraus gar nicht erlauben würde, die temporale Gewalt, den „Staat" im Sinnbild eines gladius materialis zu erfassen und von dieser Formel her das Verhältnis zur geistlichen Gewalt und zur Kirdie zu diskutieren. Wenn aber das Verhältnis von regnum und sacerdotium in so exponierter Weise in der Formel des gladius spiritualis und materialis dargestellt werden kann und wenn dazu, wie es in der kirchenpolitischen Diskussion des 12. und 13. Jahrhunderts geschieht, die anima dem gladius spiritualis, das corpus dem gladius materialis zugesprochen wird, dann haben wir jene gestufte, in der anima als dem Zielpunkt gipfelnde irdische Schöpfung; im Schema dargestellt: nova creatura creatura

caeleste anima corpus terrenum

gladius spiritualis homo gladius materialis

Der Mensch, in der Mitte zwischen dem caeleste und dem terrenum stehend, hat in sich und sieht vor sich die anima als den Ort, an dem die irdische Ordnung ihre Spitze hat und der zugleich die Stelle darstellt, an der das caeleste, die Erlösung unmittelbar und entscheidend die Welt trifft. Hier fällt die Entscheidung, nach der für den Einzelnen und die Gesellschaft Schöpfung und Erlösung zu ihrem Ziel gelangen; der gladius spiritualis wacht darüber, daß diese Entscheidung getroffen werden kann und daß die Gnadenmittel der Kirche in der rechten Weise ausgeteilt werden. Die „Stunde der Wahrheit" ereignet sich im Raum des gladius spiritualis, der gladius materialis und das terrenum können aus sich heraus die Entscheidung nicht herbeiführen, sie können nur die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der populus christianus in M

Johannes von Salisbury, Policraticus IV, 3: Hunc ergo gladium de manu ecclesiae accipit princeps, cum ipsa tarnen gladium sanguinis omnino non habeat. PL 199 c. 416. Glossa Palatina (Stidder, Salesianum 15 (1953) S. 588 f zu D 63 c. 23 ad. v. patricius ar. ecclesiam posse concedere gladium sanguinis. — iudicium sanguinis bei Aegidius Romanus vgl. Anm. 50. — Der Begriff gladius sanguinis wird selten gebraucht. Der Sache nach sieht man in der Kanonistik wie in der Publizistik, vor allem in der theologischen Deutung die Aufgabe des Herrschers in der körperlichen Strafgewalt. Grundlegendes Bibelzitat ist 1 Petr. 2, 14: sive ducibus tamquam ab eo (rege) missis ad vindictam malefactorum, laudem vero bonorum.

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Ruhe und Friede lebt. Die innerste Dynamik der Gesellschaft strebt der Entscheidung für die Ewigkeit zu, und entsprechend verteilen sich die Funktionen der Gewalten. Diese für die weltliche Ordnung subsidiäre Funktion trägt dazu bei, daß in der Formel des gladius materialis die geschilderte Verkürzung der weltlichen Gewalt auf die körperliche Schwertgewalt nicht als ungenügend empfunden wird. Sie entsprach bruchlos einer Weltsicht und einer Hierarchie der Werte und Funktionen, in der es von den Laien hieß, nachdem in kräftigen Farben deren Bindung an das carnale geschildert war: „carnalem, quia divinum non habent, evaginant gladium" (Regensburger Briefsammlung55). Wenn wir die Terminologie unseres Fragenkreises weiter in die Neuzeit verfolgen, so ist zunächst, vom allgemeinen Wandel der Sprache abgesehen, wenig Veränderung festzustellen. Bei näherem Zusehen ergeben sich jedoch genau jene Verschiebungen der Begriffe, die für die Wandlung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse kennzeichnend sind, so daß umgekehrt die letzteren in der ersten sich widerspiegeln. Unübersehbar ist das bei jenen Ausdrücken, die den Staat und die Kategorien des Staatlichen in seiner vollen Entfaltung treffen. Auch der kirchliche Sprachgebrauch nimmt daran Anteil, vielleicht nach einigem Zögern, und e r interessiert besonders, weil ja im Verständnis der Kirche die Loslösung von den traditionellen Vorstellungen nur langsam vor sich ging". In den Verlautbarungen Leos XIII., in denen endgültig ein Strich unter die Vergangenheit gezogen und die Grundlinien für ein Verhältnis zur Staatswirklichkeit der Gegenwart abgesteckt werden (Diuturnum illud, Immortale Dei, Sapientiae christianae), ist die Rede von status, publica potestas, das Attribut für die weltliche Gewalt heißt jetzt auch civilis potestas57. Die Zeit der Terminologie von regnum und sacerdotium, die noch wenige Jahrzehnte zuvor von Gregor XVI. gegen Lamenais gebraucht worden war (1832: Mirari vos arbitramur), ist vorbei58. Der Ausdrude civilis potestas in den Formeln für das Verhältnis von Kirche und Staat schließt jetzt auch die aus den modernen Revolutionen entwachsenen Demokratien ein, das Ja zum Staat der bürgerlichen Freiheit und Selbstverantwortung ist grundsätzlich gesprochen". 55

M G H Briefsamml. der Zeit Heinrichs IV. (1950) Regensburger rhetor. Briefe, n. 10, S. 323. 58 Der Weg, den die kurialen Thesen im 15. und 16. Jahrhundert bis Bellarmin zurückgelegt haben, die allmähliche Ausbildung der Lehren von der potestas indirecta, die dann Bellarmin formuliert, und zwar unter großen Schwierigkeiten, vgl. dazu P. X . Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 304 ff, ist bisher nur in zusammenfassenden Uberblicken behandelt. Vgl. M. Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie, S. 101 ff, mit wertvollen Hinweisen. — Arnold gibt S. 315 ff eine auf Turrecremata, Pighius, Vittoria, Soto konzentrierte Skizze. Pilati führt S. 335 ff einzelne Texte an, die als Überblick instruktiv sind. — Maccarone, Vicarius Christi S. 235 ff behandelt die Epoche von der mit dem Titel gegebenen Fragestellung. — Zu wünschen sind Monographien in der Art derjenigen über den Panormitanus, vgl. K. W. Nörr, Kirche und Konzil bei Nicolaus de Tudeschis, 1964. 57 Leo XIII.: Immortale Dei, Denzinger 1866: Itaque Deus humani generis procurationem inter duas potestates partitus est, seil, ecclesiasticam et civilem. 58 Von Leo XIII. in: Immortale Dei a. a. O. zitiert: qui Ecclesiam a regno separari mutuamque imperii cum sacerdotio concordiam abrumpi discupiunt. Denzinger 1867. " Hierzu H. Maier, Revolution u. Kirche, 1959, 2. Aufl.

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Der Staat, den Leo XIII. anspricht, hat in bürgerlichen Dingen das „supremum imperium" (Diuturnum illud; Denzinger 1858)®°. In ihrer anerkannten Selbständigkeit bildet die zivile Gewalt, wie die geistliche, gleichsam einen umschriebenen Kreis: „unde aliquis velut orbis circumscribitur, in quo sua cuiusque actio iure proprio versetur" (Denzinger 1866). Dieser „orbis circumscriptus" wird später von Pius XII. sehr sorgfältig nachgezogen und gegen jeden Totalitarismus und Autoritarismus abgegrenzt, „beide Gewalten, die Kirche wie der Staat sind souverän"61, wie er in der Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Geschichtswissenschaften v. 7. September 1955 ausdrücklich erklärt. Die Staatsgewalt „muß aus sich selbst und mittels der Ausübung ihrer Funktionen darnach streben, daß der Staat eine echte Gemeinschaft sei, innig geeint im letzten Ziel, nämlich dem Gemeinwohl"' 2 . Diesen Äußerungen zugrunde liegt die wichtige Unterscheidung des „genere suo maxima", der generischen Differenz, wie sie Leo XIII. in: Immortale Dei festgestellt hat: „Itaque Deus humani generis procurationem inter duas potestates partitus est, scilicet ecclesiasticam et civilem, alteram quidem divinis, alteram humanis praepositam. Utraque est in suo genere maxima: habet utraque certos, quibus contineatur, términos eosqué sua cuiusque natura causaque próxima definitos" (Denzinger 1866). „In ihrer Gattung die höchste" das bedeutet für die weltliche Gewalt die Anerkennung eines eigenen Bereiches im Sinne der spezifisch saekularen Kategorien: ihres Ursprungs, ihrer Funktion, Wirksamkeit und ihres Zieles inmitten und für die naturrechtlich und positivrechtlich geordnete Gemeinschaft, die wir Staat nennen. Mit der generischen Abgrenzung, die zur Folge hat, daß von den beiden Gewalten: „neutra paret alteri" 65 , (womit die Nichtunterordnung in spezifischen Fragen des jeweiligen Sachbereichs gemeint ist) ergibt sich, daß das Problem der Zuordnung sich der Sache und dem Ausdrude nach erneut stellt, eine Frage, wenn wir nur beim Terminologischen bleiben, die keineswegs gelöst ist, für die sich aber gerade aus der Betrachtung des regimen christianum ganz bestimmte Gesichtspunkte ergeben. Die Trennung der Bereiche ist nämlich nicht das einzige, was uns in den autoritativen Äußerungen der Päpste jetzt begegnet, es kommt hinzu die Zuordnung der Bereiche, die sich aus der Tatsache ergibt, daß in den res humanae auch das sacrum, die salus animorum, der cultus Dei existent sind". Es kommt hinzu die Königsherr60

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Denzinger 1858: Quae in genere rerum civilium versantur, ea in potestate supremoque imperio eorum esse agnoscit (Ecclesia Christi) et declarat. — Immortale Dei, Denzinger 1866: Utraque est in suo genere m a x i m a . . . unde aliquis velut orbis circumscribitur, in quo sua cuiusque actio iure proprio versetur. Der Papst sagt. Lehren Pius XII. hrsg. v. Michael Chinigo dt. B. Wuestenberg (1956), S. 364 ff. Ansprache zur Eröffnung des Gerichtjahres der S. Rota Romana, 1945 (vgl. Der Papst sagt, S. 279 ff). Zitiert bei M. Schmaus, Kath. Dogmatik III, 1, S. 672 ff. Sapientiae christianac (AAS 22, 1889/90 S. 397): Ecclesia et civitas suam habet utraque potestatem, neutra paret alteri. Immortale Dei: Quidquid igitur est in rebus humanis quoquo modo sacrum, quidquid ad salutem animorum cultumve Dei pertinet, sive tale illud sit natura sua, sive rursus tale intelligatur propter causam, ad quam refertur, id est omne in potestate arbitrioque Ecclesiae. Denzinger 1866.

II. Die begriffliche Umschreibung des regimen christianum

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schaft Christi, die zwar geistlicher Natur, aber allumfassender Wirksamkeit ist". Trennung und Zuordnung der Gewalten haben kirchlicherseits ihre theologische und kanonistische Vorgeschichte für die heutige Situation in den verschiedenen Lösungen und ihren terminologischen Formulierungen (potestas indirecta, directiva, consultativa), unter denen der potestas indirecta deshalb eine besondere Bedeutung zukommt, weil mit diesem Begriff Bellarmin den Durchbrudi über die kurialistische Lehre erreicht. Er definiert zugleich die sogenannte potestas directa so, daß die folgenden Interpretationen mit diesen Formulierungen die frühere kuriale und die spätere kirchliche Anschauung unterscheiden. Nach Bellarmin bedeutet indirekte Gewalt der Kirche, daß das Weltliche nur Sekundärobjekt (Materialobjekt), also nicht Primärobjekt (Formalobjekt) sein könne. Anders ausgedrückt, die Kirche kann nur um geistlicher Belange und Ziele willen in das Weltliche eingreifen, sie hat keine unmittelbare weltliche Gewalt, den Kirchenstaat ausgenommen". Potestas directa papae in temporalibus ist darnadi bestimmt, daß Formal- und notwendig auch Materialobjekt der Gewalt das Weltliche darstellt, da unter den vier Möglichkeiten der Kombinationen — a) F(ormalobjekt) : geistlich, M(aterialobjekt) : geistlich. — b) F: geistlich, M: weltlich. — c) F: weltlich, M: geistlich. — d) F: weltlich, M: weltlich — a und d als rein geistliche bzw. rein weltliche bereits ausscheiden und c) eine Form des Staatskirchentums darstellt. Man kann auch, die beiden Gewalten gegenüberstellend, sagen, die indirekte Gewalt handelt um geistlicher Ziele willen, die direkte Gewalt um weltlicher Ziele willen. Man hat sich nun, ohne sich vielleicht im einzelnen um logische Präzision zu kümmern, daran gewöhnt, die kurialistische Lehre als direkte weltliche Gewalt der Kirche auszugeben, und sieht dies darin begründet, daß das Kaisertum etwa vom Papst abgeleitet wird oder ihm das Recht zugestanden wird, kraft spiritual-temporaler Vollgewalt den Kaiser abzusetzen. Hierzu ist, jetzt nur vom begriffsgeschichtlichen Standpunkt gesprochen, klar zu halten, daß der Begriff der potestas directa für die zeitgenössische Terminologie der Kuria65

Pius XI., Quas primas: Vcrumtamen eiusmodi regnum praecipuo quodam modo et spirituale esse et ad spiritualia pertinere, cum ea, quae ex Bibliis supra protulimus, verba planissime ostendant, tum Christus Dominus sua agcndi ratione confirmât. Denzinger 2195. — Turpiter ceteroquin erret qui a Christo homine rerum civilium quarumlibet imperium abiudicet, cum is a Patre ius in res creatas absolutissimus sie obtineat, ut omnia in suo arbitrio sint posita. . . . Itaque prineipatus Redemptoris nostri universos complectitur homines. Denzinger 2196. " Arnold a. a. O. S. 357 ff. — Vgl. die Vat. Lat. 7342, 56 f Examen, c. 4 mitgeteilte Stelle: Ego id solum efficere volui, potestatem pontificiam a Deo immediate aeeeptam non esse formaliter temporalem, sed spiritualem. . . potestas pontificia, in se spiritualis, extenditur tarnen ad temporalia, quatenus spiritualibus subordinantur. (S. 358 Anm. 93). — In: De potestate S. Pontif. c. 5, w o er die Begriffe directe und indirecte erläutert (vgl. dazu auch unten S. 401 ff) heißt es, daß die spirituale Gewalt sich directe: ut obiectum suum primarium auf das Spirituale beziehe, dagegen indirecte, id est per ordinem ad spiritualia, reductive et per necessariam consequentiam, ut sie loquamur, respicere temporalia, ut obiectum secundarium. — In Auct. Bell. 433 (Arnold S. 356 Anm. 88) heißt es: spiritualia per se et primo ad Pontificem, cuius potestas proprie spiritualis est pertinere; temporalis vero secundario et consequenter, quod etiam indirecte dici solet.

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II. Die begriffliche Umschreibung des regimen diristianum

listen wie ihrer Gegner keinesfalls die Bedeutung hat, die er heute besitzt. Die Tatsache, daß Gillmann erst 1918 anhand einiger Glossen der Dekretalisten zwischen 1210 und 1220, den Gebrauch des Adverbs „directe" nachweisen konnte und so diesen Begriff über Innozenz IV. zurückführte", zeigt offensichtlich, wie selten diese Terminologie sein muß. Die Gillmannschen Zeugnisse beziehen sich auf die Dekretalen Novit (c. 3 Comp. III de iudis. II, 1) und Per venerabilem (qui filii sint legitimi IV, 17, 13) und stellen fest, daß der Papst nur aus einem spiritualen Grund (ratione peccati), womit das „decernere de peccato" Innozenz' III. aufgenommen ist, oder „per consequentiam" in weltliche Dinge eingreifen kann. So der Galensis: ad v. cit. iudicare de feudo: „Directe, sed tarnen ratione peccati et inducendo ad penitentiam, ut VI. q. I. Illi, qui, et XXII. q I Predicandum, XXIII. q. IUI. Ecce, et sie per consequentiam coget restituere feudum". Per venerabilem (c. 13, IV, 17), das die abschlägige Antwort an Wilhelm von Montpellier in der Frage der Legitimation seiner unehelichen Kinder enthält: „Plenam habet potestatem (papa) in hoc, quia ex quo legitimat aliquem in spiritualibus, per consequens est legitimatus in temporalibus, ut infra sequitur. Tarnen per hoc non probatur, quod dominus papa habeat iurisdictionem (temporalem) . . Item quia ad papam nichil spectat de temporalibus ut supra de appellationibus 1. I. . . . Unde per quandam consequentiam legitimat, set non directe. Sepe enim permittitur per consequentiam, quod non per se permittitur. — Und Vincentius Hispanus: „ad v. (Novit) non enim intendimus c. cit. 3. Comp. III, II, 1: § Directe, set indirecte cognoscendo . . ita per consequentiam feudum restituet. Und später: „Ergo papa de temporali iurisdictione non debet intromittere nisi indirecte ratione peccati". Die angeführte Unterscheidung: directe-indirecte, die später, wie gesagt, auch Innozenz IV. aufnimmt, führt jedoch nicht zu einem durchgängig gebrauchten terminus technicus: directa potestas. In den kurialistischen Traktaten der folgenden Jahrzehnte, hinein ins 14. Jahrhundert, findet sich der Ausdruck weder in der wichtigen Determinatio compendiosa, nodi bei Heinrich von Cremona und Jakob von Viterbo, die mit Aegidius Romanus die ekklesiarche Doktrin formulieren' 8 . Auch die überlieferten Äußerungen des engsten Mitarbeiters Bonifaz' VIII., des Matthaeus d'Aquasparta, und des Papstes selbst in den bekannten Konsistoriaireden von 1302 — im Streit mit Philipp dem Schönen — und 1303 vor den Gesandten Albrechts I. benutzen nicht den Be67

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F. Gillmann, Von wem stammen die Ausdrücke usw., A K K 98 (1918) S. 407—409. Innozenz IV. hat in seinem Apparat zu I, 2 t c. 13 N o v i t ad v. iudicare de feudo: „Directe; secus indirecte, quia non potest agere poenitentiam, si non restituat (Ausg. Frankfurt 1570) f. 193 d die Unterscheidung bekannt gemacht, sie wurde zunächst aber dodi nicht allgemein geläufig. Jedenfalls nicht so geläufig, wie es nach der neuzeitlichen Terminologie, die mit wenigen Ausnahmen von direkter Gewalt spricht, aussieht. Die Determinatio spricht c. 25 von plena potestas, c. 3 von plenitudo potestatis. — Jakob nennt die Gewalt: summa, plena, prima (II, 5 ff). Eine auetoritas secundum immediatam executionem generaliter et regulariter (II, 7) lehnt er ab. — Der besonders radikale Heinrich von Cremona, in dem R. Scholz, Publizistik I, S. 45 den ersten und radikalsten Kurialisten sieht, kennt den Ausdruck potestas directa ebenfalls nicht. — Ebensowenig F. M. Mayronis, der gegen die Monarchia Dantes schreibt.

II. Die begriffliche Umschreibung des regimen christianum

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griff der direkten Gewalt". Eine Ausnahme bildet Aegidius Romanus, der im 3. Buch seines Traktates über die kirchliche Gewalt eine „iurisdiccio directa et regularis" von einer „iurisdiccio . . que non est directa et regularis" unterscheidet70. Erstere definiert er als „superior et primaria" der päpstlichen „potestas absoluta" entsprechend, ihr gemäß kann der Papst „ex culpa vel ex causa (potest) animadvertere in potestates terrenas" (III, c. 7). Das „ex culpa vel ex causa" schränkt die „iurisdiccio directa" von vornherein ein. Alvarus Pelagius gebraucht den Begriff „immediate", den Aegidius ebenfalls verwendet (III c. 7), in doppeltem Sinn a) als lenkende Gewalt, im Sinne des bernhardinischen „nutus" 71 , b) als immediat im Sinne der unmittelbaren spezifischen Aktion. Die oben geschilderte Unterscheidung der Kanonisten: directe—indirecte behandelt nur Remigio de' Girolami explizit, auf den zuerst M. Grabmann aufmerksam gemacht hat. Er wendet sich gegen die Meinung, daß der Papst „principaliter" eine auetoritas super temporalia habe71. Audi wenn sich das eine oder andere Zeugnis für die Verwendung des Terminus „directe (directa)" noch finden läßt, soviel steht fest, daß der Ausdruck „potestas directa" in den maßgeblichen Äußerungen sidi nicht findet und daß die übrige Verwendung des Attributs nur einen vereinzelten Gebrauch erweist. Von der Terminologie her ist damit die Bezeichnung der kurialistischen Lehre als potestas directa in temporalibus unhistorisch, wir übertragen einen später geprägten Begriff auf die Epoche seit dem Investiturstreit. Die zweite Frage wäre, ob nicht der Sache nach die Formel doch zutrifft. Hier wäre zu untersuchen, ob die Lehre von der spiritual-temporalen Vollgewalt des Papstes dem entspricht, was mit potestas directa im Sinne jener Unterscheidungen, die seit dem 17. Jahrhundert getroffen werden, gemeint ist. Der Lehre des Aegidius von der iurisdictio superior et primaria ( = iurisdiccio directa et regularis) kommt hier eine Schlüsselposition in der Interpretation zu. In jüngster Zeit hat sich endlich zur Kennzeichnung der Gewaltenlehre das Begriffspaar: monistisch—dualistisch weitgehend durchgesetzt7®. Der Begriff

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Dupuy, S. 73 ff. Matthaeus spricht von iurisdictio temporalis de i u r e . . . — Bonifaz VIII a. a. O. S. 77 f spricht nur von Unterwerfung ratione peccati. — Auch in den Verhandlungen mit Albrecht I., in der Konsistorialansprache vor den Gesandten Albrechts 1303, also wenige Monate nach der Ansprache vor den Gesandten Philipps, in der die schärfste Formulierung fällt, M G H Const. IV n. 173, sie nec aliqua terrena potestas aliquid habet, nisi quod reeipit ab ccclesiastica potestate ist nicht von direkter Gewalt die Rede. In der Approbation, a. a. O. n. 174, heißt die entscheidende Formel: „de apostolice plenitudine potestatis". De eccl. pot. III, 7 (S. 181): Zwei Arten der temporalen päpstlichen Gewalt: unam directam et regulärem, et hec est, ut diximus, iurisdictio superior et primaria quam habet, ipse in Omnibus, tam super potestates terrenas, quam super temporalia, racione cuius ex culpa vel ex causa potest animadvertere in potestates terrenas. Aliam quidem iurisdictionem habet summus pontifex super temporalibus rebus, que non est directa et regularis, sed est certis causis inspectis et casualis; et hec iurisdictio non solum est superior et primaria, sed est immediata et executoria." Vgl. W. Kölmel, Paupertas und potestas, S. 88 Anm. 84, 85. M. Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotel. Philosophie, S. 27 ff. — Maccarone, Potestas directa S. 16 ff erwähnt die Arbeit Grabmanns nicht. F. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 309 ff. — H. Barion in SavZfR kan. Abt. 46

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II. Die begriffliche Umschreibung des regimen christianum

„dualistisch" bedarf keiner Erläuterung; der Ausdruck „monistisch" enthält jedoch eine Unklarheit, da nicht gesagt ist, worauf sich der Monismus beziehen soll. Er kann sich ja beziehen auf die Gewalt selbst oder nur auf den Inhaber der Gewalten. Im letzteren Fall einer monistischen Inhaberschaft — bei getrennten Gewalten — hätten wir die mit der Terminologie der potestas directa gegebene Lösung: Der Papst als Inhaber der höchsten geistlichen und der höchsten weltlichen Gewalt. Im Falle einer monistischen Gewalt hätten wir eine Absorption der geistlichen durch die weltliche Gewalt oder eine Absorption der weltlichen durch geistliche Gewalt. Wobei die Absorption, wenn wir die von H. Barion vorgebrachte und von Kempf begrüßte Unterscheidung von monophysitischem und monotheletischem Monismus anwenden, als monophysitisch oder monotheletisch auszugeben wäre. Monophysitisch, wenn der Unterschied der Gewalten geleugnet würde oder wenn er verwischt würde, monotheletisch, wenn die Begründung des politischen Wollens und der herrschaftlichen Entscheidungen jeweils nur vom weltlichen oder nur von der geistlichen Zielsetzung her entschieden würde, ein eigenständiger weltlicher Zielwillen ausgeschaltet wäre74.

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(i960), 484 ff zu Saggi storici intorno al Papato (MHP X X I , 1959) entwickelt in seiner Kritik zur Kontroverse Kempf-Ullmann seine Ansicht vom Monismus als Monotheletismus. — Nörr, Nicolaus Tudeschis, S. 69, Anm. 36 charakterisiert die Kontroverse als Alternative von Monismus — Dualismus. — H . Hoffmann, Die beiden Schwerter, DA, 20, 1964 S. 78 ff operiert mit dem genannten Begriffschema. Kempf selbst verwendet in A H P 1 (1963) S. 27 ff, wo er erneut (vgl. zuvor schon SavZfR 47) [1961] S. 305 ff) zu Barion Stellung nimmt, das Begriffspaar nicht mehr, sondern spricht jetzt durchgehend von: dualistisch-hierokratisch (S. 28, 30, 31, 35, 37, 38, 40, 43, 49). Barion in der Anm. 73 angeführten Besprechung. Kempf A H P , 1, 1963, S. 27 ff sieht in der Barionschen Unterscheidung von monophysitisch-monotheletisch (dyophysitisch-dyotheletisch) einen wichtigen methodischen Wink; B. lasse es mit Recht nicht als Dualismus gelten, wenn die beiden Gewalten einfach nebeneinander gestellt werden, ebenso komme es auf das politische Wollen, das Funktionieren der Gewalten an. — Nach Barion a. a. O. S. 492 bedeute die Dekretale Novit ille c. 13 X ; II, 1 eine Leugnung des dualistischen Prinzips, wenn sie auch statisch strukturell (non enim intendimus iudicare de feudo) dualistisch sei. Denn sie proklamiere eine Vorherrschaft der geistlich-rechtlichen Beurteilung (decernere de peccato) über die weltlich-rechtliche Seite, die nur als monotheletisch, als monistisch hierokratisch zutreffend gekennzeichnet sei. Als Beispiele erwähnt er die Divisio 806 und 817, bzw. die Glosse des Huguccio zu c. 3 C. 15 q. 6 (Mochi S. 155, 2). — Hierzu ist vorläufig rein terminologisch zu bemerken, daß sowohl das Attribut monophysitisch wie monotheletisch auf das Gewaltenverhältnis nicht angewandt werden kann, da auch die hierokratische Lehre die generische Differenz der Gewalten anerkennt und ebenso getrennte Funktionen voraussetzt. Im Hinblick auf die späteren Ausführungen kann jetzt schon gesagt werden, daß die Beschränkung der potestas temporalis auf das corporale, auf das iudicium sanguinis zeigt, daß hier ein Bereich bleibt, der nie monotheletisch aufgesaugt wird, weder hinsichtlich seiner spezifischen Teleologie noch seiner spezifischen Funktion. Jedenfalls nicht in Analogie zur Christologie, und auf eine solche Analogie kommt es ja entscheidend an. — Das Problem, das sich hinsichtlich der ordinatio des Temporalen „ad spiritualia" stellt, ist das der Unter- und Überordnung. Wenn die Divisio von 817 (MGH Cap. I, 136) im Unterschied zur Divisio von 806 (a. a. O. n. 45) als Grund angibt: ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur, so ist zuvor gesagt, es solle nidit: amore filiorum aut gratia unitas imperii a Deo nobis conservati divisione humana scinderetur, d. h. wir haben nicht eine von kirchlichen Interessen aufgesaugte weltliche Willensrichtung, sondern zwei Gesichtspunkte: die unitas imperii und

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„Absorption der geistlichen durch die weltliche Macht?" ist die Frage, die sich beim Defensor pacis stellt, „Absorption der weltlichen durch die geistliche Gewalt?" ist ein Kernproblem der ekklesiarchen Doktrin". Damit sind unserer Betrachtung bereits von der Terminologie und den in ihr sich anmeldenden Sachfragen bestimmte Aufgaben gestellt.

das scandalum ecclesiae. Das zweite wird durdi die divisio humana hervorgerufen, was nicht bedeutet, daß nicht auch die divisio humana einen politischen Schaden bewirke. Denn sie steht j a im Satz in offensichtlicher Verbindung zum amor filiorum, zum Familieninteresse. Wenn schon der status ecclesiae als Grund für eine Entscheidung im Sinne eines guten status imperii angegeben wird, wenn daraus eine Rangordnung der Gründe abgeleitet werden soll, dann kann es nur im Sinne einer höheren und niederen Wertung sein. Aber so wenig bei Christus selbst aus dem Gehorsam der menschlichen Natur und ihres Willens gegenüber dem göttlichen Willen ein Monotheletismus hergeleitet werden kann, so wenig kann es auch aus der Rangordnung supranaturaler und naturaler Werte geschehen. 75

Vgl. hierzu Teil I I B , V I ; E , I V .

III. Die temporale Gewalt — Herrschaft und Staat DIE TEMPORALE GEWALT: „ S t a a t " und königliche Herrschaft. — Die Stellung des Königs im System der herrschaftlichen Ordnung. — Personale und transpersonale Staatlichkeit. — Konstitutive und funktionale Elemente der Königswürde. — Die Erhebung des Königs. — Offenheit und transzendierende Einfügung der weltlichen Gewalt in die Heilsordnung. — Reduktion der weltlichen Gewalt auf staatliche Grundrechte. — Bedürfnis der Legitimation.

Wenn wir die in der Publizistik des 13./14. Jahrhunderts üblichen Begriffe der potestas spiritualis und der potestas terrena (temporalis, regalis) auf die konkreten Verhältnisse hin befragen, denen sie konfrontiert sind und die rückwirkend auch die Spekulation und die Diskussion prägen, dann werden wir naturgemäß auf d i e Gegebenheiten zu achten haben, die im Verständnis und im Verhältnis der Gewalten maßgeblich ins Spiel kommen. Diese Gegebenheiten stellen sich dar in dem, was königliche Herrschaft und kirchliches Amt begründet, was sie trägt und sich funktional aus der jeweiligen potestas ergibt. Dabei spiegelt sich die wesenhafte Verschiedenheit der Gewalten nach Herkunft und Auftrag auch in ihrer Geschichte wieder, so daß der Weg des regnum und der des sacerdotium, die Entfaltung der potestas jene polare Spannung wiederholt, die in der Begegnung von Weltenlauf und Heilsbotschaft selbst zu beobachten ist. Eine Spannung freilich, die in der mittelalterlichen Ära nicht zur unbedingten Antinomie wird, da Begründung und Auftrag der Gewalten keine Aporien darstellen, sondern aus Schrift und Tradition erkenntlich sind, und zwar im Sinne gegenseitiger Zuordnung. Das ist ihre gemeinsame und im Kern unbestrittene Grundlage. An dieses Grundgesetz von Spannung und Zuordnung sei deshalb erinnert, weil entsprechend der Wesensverschiedenheit der Gewalten die Verhältnisglieder und die Vergleichsglieder im einzelnen sich nidit in einer niveaugleichen sondern höchstens analogen Spezifik entsprechen, aber dennoch, von Fall zu Fall, in gemeinsame rechtliche Formen einzubringen sind, man denke an die kirchliche Promotion des Herrschers oder an die Position der Regalien in der kirchlichen Verfassung. Konsequenter saekularistischer Pluralismus würde sagen, man wolle Unvereinbares vereinbaren. Es kommt hinzu, daß geistliches und weltliches Gefüge ineinander verfugt sind, daß die Übergänge bis in den Alltag hinein, und gerade im Alltag, fließen, so daß es um so notwendiger erscheint, die Gewalten in ihrem Bereich aufzusuchen, bevor ihr Verhältnis betrachtet wird. Wir wenden uns zuerst dem Raum zu, dessen Position im Mittelpunkt der Erörterungen steht, auf das Temporale also. An seiner Einordnung scheiden sich die Geister, hier stoßen geistlicher Anspruch und weltliche Selbstbehauptung aufeinander. Um die Wirklichkeit der potestas temporalis besser zu vergegenwärtigen, werfen wir zunächst einen Blick auf die politische Ordnung als Ganzes. Freilich begegnet uns hier sofort eine kontroverse Interpretation. Während H . Mit-

III. Die temporale Gewalt — Herrschaft und Staat

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teis seine umfassende Darstellung unter den Titel: „Staat des hohen Mittelalters" nimmt und jetzt noch G. Post den Ausdruck Staat verteidigt," hat sich mit O. Brunner, W. Schlesinger eine Auffassung durchgesetzt, die das Ganze der obrigkeitlichen Lenkung im Begriff der Herrschaft zusammenfaßt. K. Bosl hat in eindrucksvollen Darlegungen diese Sidit strukturanalytisdi und sozialgeschichtlidi erweitert und vertieft77. „Staatliche" Gewalt in der Zeit bis zum endgültigen Durchbruch des Staates als administrative „Anstalt", des institutionellen Flächenstaates im 13./14. Jahrhundert ist darnach existent in den regna — imperium und Sondergebilde wie Venedig seien hier übergangen — als Herrschaft des Königs, als Herrschaftsteilhabe der niederen Herrschaftsträger, die wieder in sich ein höchst komplexes und dynamisch differenziertes Gebilde darstellen. Gegenüber der geschlossenen, in sich ruhenden Einheit einer die Gemeinschaft hoheitlich bindenden Ordnung, in der sich ein Volk und ein Land als rechtlich Ganzes im Sinne von „Staat" verstehen, haben wir nun die auf den Herrscher konzentrierte Führung, freilich nicht auf den König allein. Denn grundlegend bleibt, daß die obrigkeitliche Gewalt nicht ausschließlich in einer Hand verharrt, sondern an Untergeordnete in Form von Teilherrschaft vergeben werden kann. Die potestas regalis ragt heraus aus dem Kreis genossenschaftlicher Teilgewalten, die sich aus dem in sich wieder gestuften Kreis des Adels ergänzen, wobei jedoch die Stellung eines Fürsten und Herrn auch sehr wohl auf Rechten eigener Herkunft ruhen kann78. Diese Teilhabe an der Königsherrschaft kann, wie das Stammesherzogtum des 10. Jahrhunderts erweist, eine fast königliche Selbständigkeit erreichen, man denke an den Liutpoldinger Arnulf von Bayern, den Liudolfinger Heinrich, die 918 zum König gewählt werden, wobei dem Bayern dann doch Designation, die regalia insignia und die fortuna fehlen; man denke auch an Burchard I. von Schwaben78. In ihren Händen liegen Gericht, Heerbann, Schutz des Friedens, Eigenrecht über die Kirche in ihrem Stammesgebiet. Obwohl es den Ottonen gelang, die Macht dieses jüngeren Stammesherzogtums entscheidend zu brechen oder zu treffen, so blieb doch in Bayern ein beträchtlicher Teil alter Herrschaftsrechte bestehen, anderwärts bildete sich aus dem Kreis der Reichsaristokratie, mit Hilfe des erblich 76

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H . Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters (1955 5 ). — G. Post, Studies in Medieval Thought, Ratio publicae utilitatis, S. 242 f und bes. S. 247 ff. Trotz bestimmter Einschränkungen, it is therefore not absurd to call medieval kingdoms States (S. 249). — Vgl. auch K. Bosl, Herrscher und Beherrschte in: Frühformen S. 136 f. Frühformen bes. in Herrscher und Beherrschte, S. 137 ff, Potens und pauper, a. a. O. S. 106 ff; Baumordnung im Aufbau des mitelalterlichen Staates a. a. O. S. 359 ff. — Dazu die Anm. 9 zitierten Arbeiten. Zu Herrschaftsrechten des Adels aus eigenem Recht, vgl. Th. Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen d. modern, dt. Staates H Z 159 (1939) S. 463 f (Herrschaft u. Staat, S. 290 f). W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft (1964 1 ). Widukind, Rer. Gest. Sax. I, c. 25—27; K. Reindel, Die staatliche Entwicklung Bayerns vom Ende der Agilolfingerzeit bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts, Zeitschr. f. Bayer. Landesgesch. 25 (1952: S. 665 ff; Herzog Arnulf u. das Regnum Bavariae, ebda. 17 (1954). — K. Bosl, Das bayerische Stammesherzogtum, ebda. 25 (1962), S. 275 ff. — Ders. Herrschet u. Beherrschte, in Frühformen, S. 144 t. Jetzt auch Wege der Forschung LX, 1965, Zur Geschichte der Bavern.

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gewordenen Lehngutes, ebenfalls erblich gewordener Amtsrechte, Kirchen vogtei und autogener Rechtstitel (eigenrechtlicher Immunitäten) ein Fürstenstand, der sich im 12. Jahrhundert deutlich abschließt, und aus dessen Kreis schließlich jenes Kollegium sich bildet, dem die Königswahl zusteht. Daß in diesem fürstlichen Stand kirchliche Vorsteher eingeschlossen sind und in den drei geistlichen Kurfürsten wichtigste Funktionen bei der Erhebung des Königs und in der Verwaltung des Reiches ausüben, führt mitten in jene den rein weltlichen Rechtsund Gewaltenbereich überschreitende Verwurzelung des Reiches, die mit dem Wort Reichskirche gekennzeichnet ist. Diese zweifache Gründung der Reichsgewalt und Königsherrschaft in den geistlichen und weltlichen Herrschaftsträgern stärkte das Reich über den Investiturstreit hinaus, wirkt aber zugleich in die Entscheidung für oder gegen das regnum im Augenblick, da es um die Einheit von sacerdotium und ecclesia geht. Die Teilhabe an der Königsherrschaft setzt sich fort in den übrigen Gliedern des Hochadels, in deren Kreis seit dem 12. Jahrhundert der aus der „familia" des Adels, der Kirche und des Königs selbst aufsteigende Stand der Ministerialen Eingang findet. Aus ihnen gelangt eine kleine Gruppe schließlich sogar in den Reichsfürstenstand und zur Landeshoheit und tritt in den engeren Ring der Führungsschichten80. Auszeichnung dieser Herrschaftsträger ist es, an der Beschlußfassung des Königs im Kreis der Zeugen mitzuwirken, wie sie in den königlichen Urkunden auftreten, und so zugleich als Potentes die Mitsprache der zu politischem Handeln voll Berechtigten und Fähigen zu vertreten 81 . Man kann diesen, von seinen germanischen Wurzeln her personal verstandenen Herrschaftsverband (Th. Mayer) für unsere Fragestellung noch schärfer umreißen, wenn man dem Zusammenspiel von personalen und transpersonalen Vorstellungen und Motivationen nachgeht. Als geschichtliche Entwicklung meint dieses Zusammenspiel den Weg vom Personenverbandsstaat zum institutionellen Flächenstaat. Daß diese Entwicklung nicht als Aufeinanderfolge zweier säuberlich in sich geschiedener Epochen zu verstehen ist, ergibt sich aus den Urteilen und Darlegungen von Th. Mayer, O. Brunner und W. Schlesinger, so daß es von selbst zur Frage kommt, wie das regnum von personalen und institutionell-transpersonalen Elementen und Impulsen geprägt wird 88 . 80

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K . Bosl, Die alte dt. Freiheit, S. 208 ff; Vorstufen der dt. Königsdienstmannschaft S. 250 ff; D a s ius ministerialium S. 308 ff; Die Reichsministerialität S. 333 ff: jeweils in: Frühformen a. a, O. — D a z u ders. Die Reichsministerialität der Salier und Staufer. O. Frh. v. Dungern, Adelsherrschaft im Mittelalter bes. S. 12 ff; Th. Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen d. modern, dt. Staates, in: Herrschaft u. Staat, S. 290 ff; G. Tellenbadi, Vom karol. Reichsadel zum dt. Reichsfürstenstand, S. 192 f in: Herrschaft u. S t a a t ; K . Bosl, Herrscher und Beherrschte, S. 142 ff, in: Frühformen. — Vgl. unten Anm. 90 zum Gedanken des ministerium und der Herrschaftsteilhabe. — Zu „potentes" grundlegend Bosl in Frühformen: S. 106 ff. Th. Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen usw. S. 294 ff. — Ders.: Die Staatsauffassung in der Karolingerzeit, S. 169 ff zeigt, wie unter K a r l d. Gr. „eine neue Auffassung von Königtum" (S. 171) sich bildet. Königtum als „Gewalt" und von Gott erteilter A u f t r a g ; Zeugnisse: die Staatstheologie des Jonas und die Eidesformeln von 802, 854, 858. — O. Brunner, Land u. Herrschaft, S. 521: In Wirklichkeit sind die europäischen Staaten Zumindestens seit der fränkischen Zeit sowohl Personenverbandsstaat wie institutioneller

III. Die temporale Gewalt — Herrschaft und Staat

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Terminologisch begegnet man dem Ausdruck personal verstandener Herrschaft in allen Begriffen, die das obrigkeitliche Verhältnis als Band zwischen dem Herrn und seinem (Gefolgs-) Mann nicht als Gehorsams- bzw. Befehlsrelation von Institution und Untertan dartun. Der König ist der „rex Francorum", des Stammes Verbandes83, hier wird zugleich der gentilische Charakter des Herrschaftaufbaus sichtbar, dem „Dominus" schwört der „homo" die Treue84. Die fideles, die der König immer wieder in seinen Urkunden anspricht, sind der in der Person des Königs praesenten potestas regalis verbunden 85 . Im Lehenswesen, das im 10. bis 12. Jahrhundert seine Höhe erreicht und mit dessen Hilfe der König, besonders auch im 12. Jahrhundert (Friedrich Barbarossa), die auseinanderstrebenden Herrschaftsteilhaber an das regnum und seine Person zu binden sucht, bringen homagium (hominium), fidelitas und commendatio die personale Seite dieses personaldinglichen Rechtsverhältnisses zum Ausdruck86. Die ligeitas, die sich im westfränkischen Gebiet gleichzeitig ent-

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Flächenstaat. — Das ist in dieser Allgemeinheit eine deutliche Wendung gegen Mayer. — Nicht so sdiarf urteilt W. Schlesinger, in: Herrschaft u. Gefolgschaft, S. 179 f: „Es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß die königliche Herrschaft des frühen Mittelalters auch flächenhaften Charakter gehabt hat." — Vgl. auch H. Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen, S. 213 f: Die personalen Bindungen „sind zugleidi ein Element der Raumordnung, die als solche über die Person h i n a u s w e i s t . . . " — Vgl. auch K. Bosl, Raumordnung im Aufbau des mittelalterlichen Staates, S. 360 f. — „Darum können wir heute in einem ausgleichenden Urteil sagen, daß auch die frühmittelalterliche Herrschaft eine Herrschaft über Land und Leute war", vor allem seit dem 11./12. J a h r hundert trat „der Raum, entscheidend als Substanz der Staatsgestaltung und des Staatsaufbaus in den Vordergrund". Zum merovingischen Königstitel: rex Francorum, vir inluster (vgl. M G H Cap. I, n. 7) vgl. Th. Mayer, Staatsauffassung i. d. Karolingerzeit, S. 170.— MGH Cap. I, n. 34 (S. 101) zu 802: Sacramentale qualiter repromitto ego, quod ab isto die inantea fidelis sum domno K a r o l o . . . sicut per drictum debet esse homo domino suo. Zum Begriff des „fidelis" im Rahmen der Entwicklung der Königsdienstmannschaft vgl. K. Bosl, Vorstufen der dt. Königsdienstmannschaft, S. 252 f ; S. 262: fidelis mit der Leistung eines Treudiensteides verbunden; ebda. S. 306. Zum Lehnswesen, L. Ganshof, Feudalism, 1952. — Homagium, fidelitas, commendatio spielen für die Beurteilung des Verhältnisses von Papst und Kaiser unter Lothar III., Barbarossa (1157), dann in der kanonistischen Lehre und der späteren ekklesiarchen Doktrin eine wichtige Rolle. Der Streit zwischen Heinrich VII. und Clemens V. über die Bedeutung des Fidelitätseides schließt gewissermaßen die Diskussion ab. — Während homagium das Lehensverhältnis von anderen Dienst- und Treueverhältnissen (Ministerialität) unterscheidet, ist fidelitas sowohl im Rahmen der personal-dinglichen Gegenseitigkeit spezifisch, als auch kann sie eine rechtliche Treueverpflichtung allgemeiner Art bezeichnen. Vgl. zum letzteren, E. Eichmann, Kaiserkrönung, Bd. I, S. 236 ff. Zu commendatio in vassaticum und commendatio in mundeburdium, homagium und commendatio vgl. Bosl, Das ius ministerialium, Frühformen S. 285 f und: Anfänge und Ansatzpunkte dt. Gesellschaftsentwicklung, Frühformen S. 33 f. W . Kienast, Untertaneneid und Treuevorbehalt in Deutschland u. Frankreich; Poehlmann, Das ligische Lehnsverhältnis; Bosl in Gebhard, Handbuch I. S. 632 f ; Frühformen S. 164, 320 f. M G H Cap. II, S. 47: Regale namque ministerium specialiter est populum Dei gubernare et regere cum equitate et iustitia; M G H Conc. II, 2, S. 652: Quapropter in throno regiminis positus est ad iudicia recta peragenda . . . causa quam iuxta ministerium sibi commissum administrat. — Vgl. auch E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken, S. 67, in: Das

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wickelt, setzt in ihrer reifen Form mit dem Treuevorbehalt für den König den ligius in eine einzigartige Bindung zum obersten Herrn 87 . Wie stark personale Auffassung der Gewalt sich ausprägen kann, zeigt die consultatio der Pariser Synode von 829. In ihrem Reformprogramm, das den institutionellen Charakter des Königtums so eindeutig betont88, wird trotzdem die auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas der Gelasiusformel eingeführt mit der Grundsatzerklärung zur geistlich-weltlichen Ordnung: (c. III) Quod eiusdem ecclesiae corpus in duabus principaliter dividatur eximiis personis. Principaliter itaque totius sanctae Dei ecclesiae corpus in duas eximias personas, in sacerdotalem videlicet et regalem, sicut a sanctis patribus traditum accepimus, divisum esse novimus; de quae re Gelasius etc.8". Die geistliche und weltliche Gewalt stellen sich dar in den eximiae personae, nicht in einer anstaltartig organisierten und als solche sichtbaren Institution, auf die personae konzentriert sich die Realisation von auctoritas sacrata und regalis potestas. Diese personae können politische Bindungen wiederum in intensiv personale Formen kleiden: Im Vertrag von Savonni^re (862) zwischen Ludwig dem Deutschen, Karl dem Kahlen und ihrem Neffen Lothar II. wird von jedem die Freundschaftsformel wiederholt: „ita mihi familiaris et amicus atque adiutor secundum rationabilem possibilitatem extiterit, sicut nepos patruo et christianus rex christiano regi esse per rectum debet, sie ei privatus et amicus . . . esse volo"90. Und Berengar verspricht der Witwe Widos (898): „Promitto ego Berengarius tibi Ageltrudae, relicta quondam imperatoris, quia ab hac ora et deineeps amicus tibi sum, sicuti recte amicus amico esse debet"91. Vor dem Hintergrund der personalen Struktur der staatlichen Herrschaft werden solche Aussagen zu mehr als nur diplomatischen Kontaktformeln. Den sprachlichen Ausdruck transpersonal (territorial-institutionell) verstandener Herrschaft wird man in Begriffen suchen, die das Amt, das Land oder das Ganze der herrschaftlichen Relationen bezeichnen. Den Begriff Status, das Ahnwort von Staat, den in sprachschöpferischer Leistung Tertullian verwendet, allerdings immer in konkreter Bestimmung (Romanus, Judaicus, Israelis), fällt aus, da er sich nicht durchsetzt. Seine Weiterentwicklung liegt zwar nicht mehr völlig im Dunkeln 92 , nachdem G. Post begonnen hat, ihn ins 13. Jahrhundert

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Königstum. — Th. Mayer, Staatsauffassung i. d. Karolingerzeit, a. a. O. S. 174 f, 176. — F. L. Ganshof, Charlemagne et le serment, S. 259 ff. — Person und ministerium werden anschaulich 829 getrennt: ut primum quiequid in vobis, id est in persona et ministerio vestro, corrigendum inveniretur . . . corrigeretis. M G H Conc. II, 2, S. 667. M G H Cap. II, S. 29; Conc. II, 2, S. 610. M G H Cap. II, n. 243, S. 164, 165. — Vgl. auch die bezeichnende Wendung in der Admonitio Ludwigs des Fr. (823—25), Cap. II, n. 150, S. 363: „Sed quamquam summa huius ministerii in nostra persona consistere videatur, tarnen et divina auetoritate et humana ordinatione ita per partes divisum esse cognoscitur, ut unusquisque vestrum in suo loco et ordine partem nostri ministerii habere cognoscatur." Hier ist einmal der personale Gedanke mit der Auffassung des ministerium verbunden, zum andern wird die Herrschaftsteilhabe (summa huius ministerii . . . per partes divisum esse) in den Gedanken des ministerium verbunden. Ein interessanter Versuch, die Adelsherrschaft in die Königsherrschaft im Sinne des ministerium spekulativ zu verbinden. Vgl. auch Ewig a. a. O. S. 71. M G H Cap. II n. 231, S. 126.

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zurückzuverfolgen, also in die Zeit kurz vor seiner Renaissance93. Aber auch hier ist er noch mit einem Attribut verbunden, erscheint also in der Redeform, die auch in den Jahrhunderten zuvor durchlaufend festzustellen ist"4: So in karolingischer Zeit als status communis, status ecclesiae, status regis, status regni, status populi, status rei publicae. Der Sinn ist offensichtlich Bestand, Zustand in vorwiegend positiver Intention, d. h. status spricht umfassend die bestehende und wahrende Beschaffenheit der öffentlichen Ordnung an. Diese positive Bedeutung wird sichtbar, wenn es heißt: „ad Dei et sanctae ecclesiae ac nostrum et regni nostri honorem et statum atque communem nostram salvationem"95, oder: „et ut status rei publicae nostrae in hoc non videatur infirmari"". Status kann sogar mit salus gleichgesetzt werden: „quae generali ter ad salutem vel statum regis et regni pertinebant" 97 . Auch dort, wo zunächst nur eine indifferente Dokumentation greifbar ist (im Sinn von : Zustand) weist status doch auf eine positive Intention (den wünschenswerten rechten Zustand)98. — An der skizzierten Verwendung von status ändert sich in der Folgezeit nichts Entscheidendes, jedoch sammelt sich mit der Entfaltung der königlichen Stellung in Richtung auf eine institutionelle Souveränität und auf den souveränen Staat in den gewohnten Verbindungen: status regni, status regis, status rei publicae diese neue Wirklichkeit an99. Aber dieser Prozeß gehört bereits in jenes Stadium, 92

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A. O. Meyer, Zur Geschichte des Wortes „Staat", Welt als Geschichte 10, 1950, S. 230 urteilt nur summarisch: „Die Weiterentwicklung des Wortes vom 7.—14. J a h r h u n d e r t . . . liegt völlig im Dunkeln". — Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff S. 300 versucht keine weiteren Belege heranzuziehen. — Zu status bei Tertullian: Suerbaum a. a. O. S. 122 ff und S. 300. G. Post, Studies in Medieval Thought, bes. S. 247 ff zu: ratio status regis. Vgl. Post a . a . O . S. 247. — Einige Belege aus karolingischer Zeit: de communi societate et statu, M G H Cap. I, S. 305; status ecclesiae, Cap. I, S. 30, 25; 189, 5; 248, 20; 274, 40; 394, 20; II, 44, 20: ecclesiae status infirmatur et regnum periclitatur. II, 74, 15: de Dei voluntate et statu sanctae ecclesiae ac regni et communi nostro et vestro profectu consideramus. — Cap. I, S. 270, 35 (Ordinatio imperii): De statu totius regni; II, S. 336: et regni nostri honorem et statum. — II, 428, 10: de statu ac salute populi diristiani. — I, S. 274, 30: Einleitung zu den Capitularien : si quid in ecclesiasticis negotiis si ve in statu rei publicae emendatione dignum perspexissemus. M G H Cap. II, n. 275 (869) S. 336, 25. — Capitulare v. Pitres. — Karl d. Kahle. Cap. II, n. 212 (850, Ludwig II). Hinkmar, De ordine palatii, c. 33 (MGH Cap. II S. 528). Cap. II, n. 217, S. 93: c. 4 De statu rei publicae inquirendum, ubi, cum iter dictaverit domnus imperator, recipi debeant per singula ministeria ab eo directi legati; unde eis administrentur obsequia, unde paraveredi. — Zu den paraveredi (parafridi) vgl. K. Bosl, Frühformen, S. 265, sie versorgen den Kurierdienst. — Zur Bedeutung von status vgl. auch die in Anm. 99 genannten Belege zu: de statu ac pace. G. Post, Studies a. a. O. vgl. Anm. 93. — In den ottonisdien Diplomen finde ich den Ausdruck status — ohne Vollständigkeit zu beanspruchen — in DO I n. 170, 177: de statu regni nostri; n. 265, 280 ähnlich: pro statu et incolumitate regni vel imperii nostri n. 300: status et prosperitas esse creditur regni vel imperii terreni. Ebenfalls in n. 333, 417. — In DO II n. 199: pro statu et pace imperii. — DO H II n. 486: ad regendum totius rei publicae status nos provexit. — DO K II n. 210: ad statum Romanae rei publicae, que per nos regitur; n. 239: ad statum rei publicae; DO H IV n. 170: statum rei publicae magnificaverunt. Lothar III. Wahlanzeige, Const. I, 112: de statu et pace regni.

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in dem die tatsächlichen und spekulativen Grundlagen des Verhältnisses längst kontrovers geworden sind, so daß er in die Betrachtung der Diskussion um 1300 selbst zu nehmen ist. Erst 1325 läßt sich, vorläufig, das Wort „status" in isolierter Verwendung feststellen10". Ist somit der Ausdruck status für die Entwicklung des Staatsdenkens und der entsprechenden Terminologie in der Zeit vom frühen Mittelalter bis zum 13. Jahrhundert wenig ergiebig, so liefern die Begriffe res publica und vor allem regnum fruchtbareres Material. Der aus dem Altertum in so reicher Vielfalt angebotene Terminus res publica erlebt in karolingischer Zeit eine relativ häufige Verwendung. Diese deutet unverkennbar auf das mit Karl dem Großen intensiv einsetzende Bemühen, den gentilen Partikularismus der adligen Teilgewalten zu überwinden und eine übergreifende Administration des Großreiches, aufruhend auf einem entsprechenden Untertanenverband, zu schaffen101. In der ottonisch-salischen Epoche scheint das Wort zurückzutreten — freilich mit ansteigendem Gebrauch unter Otto III., Heinrich II., Konrad II. — was gut zu einer stärker personal ausgerichteten Königsherrschaft paßt. Mit dem Durchbruch einer neuen Staatsgesinnung gewinnt der Begriff neue Kraft. Friedrichs I. Kanzlei spricht neben sacrum imperium von der „diva res publica" 102 . 100

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A. O. Meyer (vgl. Anm. 92) S. 230. Älteste Nennung bei Ferrarius de Apilia (Finke, Acta Aragonensia, I, 395 f). Vgl. minister rei publicae. Bei Karl dem Großen zunächst in den italischen Kapitularien: Cap. I n. 93, 98. Später, neben den italischen Kapitularien, in Paris 829, Cap. II, S. 48; dann 851, Cap. II, S. 73. Weitere Zeugnisse Cap. II, Register S. 660, 1. Spalte zu minister rei publicae, ferner S. 695, 2. Sp. zu res publica. — Vgl. Ewig a. a. O. S. 72 f Suerbaum, S. 290 ff. — F. Crosara, Respublica e respublicae, Atti del congresso internazionale di diritto romano. IV, 1953, S. 229 ff. — Ewig sieht in res publica im karolingischen Sinn, nachdem es zuvor ausschließlich für das Imperium Romanum galt, den „weltlichen Sektor des Imperium Christianum". — Daß der Begriff res publica die öffentlichstaatliche Sphäre bezeichnet, ergibt sich deutlich aus dem Gebrauch: Cap. II, n. 293 S. 403 (845/46): quod ad rem publicam pertinuit. — S. 195, 30: quo res publica indiget subsidium. — ebda. Cap. I I n. 270, S. 300: tam ex re publica quam ex rebus ecclesiasticis. — n. 273, S. 322: ut res publica, quod de illis habere debet, non perdat. — n. 254, S. 255: seu reipublicae administratores (Synode von Köln). — n. 297, S. 432 (Synode v. Kiersy 858): in palacio vestro, sicut comes palatii est in causis rei publicae. — n. 228 (850, Paris): nullamque reipublicae debent administrare dignitatem. — n. 216: exactores rei publicae (dieser Ausdruck laufend in italischen Urkunden üblich). — Cap. I, n. 179 (821): Pro statu regni et rei publicae. Nach Belegen, die ich gesammelt habe, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, findet sich res publica unter Otto I. in italischen Urkunden für den überlieferten Begriff: rei publicae exactor (minister): D O I 254, 260, 334, 356, 407, 408, 413; in 334 für Volterra: ad rei publicae vel nostrae imperialis partem. Einmal in singulärer Bedeutung: D O I 201: „quia ipse Guntrammus contra rem publicam nostrae regiae potestatis rebelies extitit". — Bei Otto I I I findet sich antikisierender Gebrauch: D O I I I 331: pro restituenda re publica cum marchione nostro Hugone . . . et consilia imperii nostri cum venerabili papa Silvestro secundo et cum aliis nostris optimatibus tractavimus. — D O 364: tocius rei publicae functione. — ebda. 324 für Leo v. Vercelli: prosperetur nostrum imperium triumphet Corona nostre militie, propagetur potentia populi Romani et restituatur res publica. — Etwas vom Nachklang dieser Diktion vermeint man bei Heinrich II. zu spüren: D H II 263: ad summum rei publicae culmen regendum promovit. — 269 (1013

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Aufschlußreich dürfte schließlich der Ausdruck regnum selbst sein. Sicher gewinnt er in der späten römischen Kaiserzeit, gegenüber der früheren odiosen Bedeutung, unter spürbar christlichem Einfluß immer mehr Raum. Bei Augustinus, dem Orosius folgt, wird er, gerade an klassischen Stellen, zur Bezeichnung eines staalichen Verbandes überhaupt103, wobei die monarchische Form zwar eingerechnet ist, aber nicht das entscheidende Kriterium als solches darstellt. Regnum wird dann für das neue Großkönigtum im germanischen Bereich benutzt und trifft hier mit dem im germanisch-keltischen Sprachbereich gewachsenen Wortfeld „Reich" (germ. rikja, kelt. rigiom) zusammen. Es erfaßt hier den Personenverband des Heerkönigtums, das aber unter dem Einfluß der spätantiken Verfassungswirklichkeit und durch die eigene innere Entwicklung sich weiterbildet. Es wird daher schwer sein, gerade in Gebieten mit formkräftiger römischer Tradition, bei allgemeinen Formulierungen noch festzuhalten, wo im Begriff des regnum jeweils die Grenzen zwischen personalen und transpersonalen Vorstellungen verlaufen. Hinzukommt, daß der Personenverbandsstaat selbst institutionell — territoriale Elemente in sich trägt, wie es Schlesinger betont und Beumann und Bosl ihm zustimmen104. Die transpersonal — institutionelle Seite des Begriffs ist sicher praesent in der Formulierung des achten Konzils von Toledo: „unde non personae, sed potentiae suae haec deberi non ambigit (regalis ordo). Regem enim iura faciunt, non persona . . . . quae ergo Frankfurt): qui divinae pietatis concessu in solio regni sedemus, quamvis tocius rei publicae cura ad nos disponenda respiciat. — 486 (Paderborn 1023) ähnlich: ad regendum totius rei publicae statum nos provexit. Und vor allem 307 (1014): Quoniam divinae dispositionis Providentia nos ad regendam tocius rei publicae monarchiam apostolica benedictione provexit. — Bei Konrad II. ist, vor allem in italischen Diplomen weiterhin gegenüber dem 10. Jahrhundert häufigerer Gebrauch festzustellen: DK II 210: ad statum Romanae rei publicae, quae per nos regitur; dto 254; 280: rei publicae nostri imperii hucusque per nostrum Italicum regnum. — DK II 93: ecclesiarum nec non et rei publicae pressura. — 154: publicae rei et communi hominum utilitari. — M G H Const. I n. 39 (1027): pro tocius rei publicae longe lateque procuranda utilitate. — Ferner DK II 131, 132, 239 (ad statum rei publicae), 263 (pro rei publicae commodo), 293 (rei publicae curam), 298 (rei publicae augmentum).. — Bei Heinrich III. und IV. finde ich weniger Belege, was noch nichts bedeutet, solange keine umfassende Registrierung erfolgt ist : D H III 12: quam rei publicae debuerunt; D H IV 170: statum rei publicae magnificans. — Dei Wortgebrauch in der staufischen Zeit bei Barbarossa sieht res publica im Kreis der zentralen Begriffe: sacrum imperium, honor imperii: M G H Const. I n. 161: Quia divina providente dementia Urbis et Orbis gubernacula tenemus, iuxta diversos eventus rerum et successiones temporum sacro imperio et divae rei publicae consulere debemus. — n. 177: Imperialem decet sollertiam ita rei publicae curam gerere. — 211: ad conservandum rei publicae statum. — Zu den genannten Begriffen kommt das regimen Romani orbis (n. 216: infeodatio Raimunds von Barcelona). 103

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Augustinus DcD IV, 4: Remota itaque iustitia, quid sunt regna etc. — Zur Terminologie, Suerbaum S. 198 ff. — Spörl in: Augustinus — Schöpfer einer Staatslehre H J 74, 1955, S. 68 weist die Deutung R. Th. Marshall, Studies in the politicai and socio-religious terminology of the „De civ. Dei" (The Cath. Univ. of America, Patrist. Studies L X X X V I ) S. 91 : remota iustitia bedeute nur eine kurze methodische Ausklammerung — zurecht. W. Schlesinger, Herrschaft u. Gefolgschaft S. 179 ff. — H. Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen S. 213 f. — K. Bosl, Raumordnung im Aufbau des ma. Staates, in Frühformen S. 360 f.

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honori debentur, honori deserviant, et quae reges accumulant, regno relinquant" 105 . Eine transpersonale Sinngebung von regnum läßt sich audi weiterhin verfolgen. So, wenn davon gesprochen wird, daß die Könige: „consilio atque auxilio" ihrer Treuen: „sanetam Dei ecclesiam et regnum nobis commissum gubernare" sollen10". Der Text nimmt im Begriff regnum, das hier Volk und Land umgreift, sowohl das beherrschte Substrat, die in der Königsherrschaft geordnete Einung von Volk und Land, für sich, als auch setzt er das Herrschen (gubernare) für sich. Freilich wird kurz darauf vom „populus in regno nostro" gesprochen107. Die letzte Wendung rechtfertigt es, regnum und Herrschaft gleichzusetzen, freilich nur, sofern man in regnum nicht das Gebiet bezeichnet sieht. Die erste Formel (regnum gubernare) zeigt jedoch, daß regnum und Herrschaft nicht unbedingt identisch sein müssen108. Die der Person des Königs vorausgehende Existenz des regnum ist ferner dort genannt, wo es in Verbindung mit den Herrschaftszeichen auftritt, die dann später allein zum Symbol königlicher Herrschaft und Würde werden können: Thron und Krone. Der Thron, die Thronsetzung, wie sie als Vorbild der Folgezeit zuerst in Byzanz dann bei den Westgoten nachzuweisen ist10', läßt den Herrscher mit dem Thron den Besitz seiner Herrschaft ergreifen. Die doppelte Thronsetzung, wie sie bei Otto I. 936 erscheint, weltlich dann kirchlich, zeigt noch die Möglichkeit einer Aufeinanderfolge zweier Akte; in dem deutschen Krönungsordo wenige Jahrzehnte später schließt die kirchliche Thronsetzung den Krönungsakt ab. Die Begleitformel: „Sta et retine amodo locum quem hueusque paterna sucessione tenuisti, hereditario iure tibi delegatum per auetoritatem Dei omnipotentis" erweist, daß das regni solium eine den König selbst überdauernde, seine Königsgewalt mit begründende Gegebenheit dar105

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PL 84 c. 431; vgl. dazu Ewig, Zum diristl. Königsgedanken S. 35; H. Beumann a. a. O. S. 222 sieht in der Stelle immer noch einen Erweis für den „Personenverband" und das gentile Staatsgedenken. Grund sind ihm Stellen aus dem 4. Konzil und aus dem Königseid, in denen regnum „Herrschaft" bedeutet, vgl. a. a. O. „Regnum" hat aber in seinem Sinnbereich sowohl die personale wie die transpersonale Komponente. Die Formulierung des 8. Konzils verrät augenscheinlich das transpersonale Element. M G H Cap. II, n. 244, S. 166 (865, Pakt von Tusey zwischen Ludwig d. Dt. und Karl d. Kahlen). a. a. O.: et ad regni soliditatem et defensionem, qualiter populus in regno nostro iustitiam et pacem ac tranquillitatem habeat. Dazu gehören die Ausdrücke, in denen regnum eindeutig „Land" meint: M G H Cap. I, 198: per regnum pergere; I, 126: divisio regnorum; II, 321: regni loca; II, 147: regni territoria; II, 303: regni habitatores. Zum römischen Amtssessel (tribunal), dem Kaiserthron vgl. H. U. Instinsky, Bischofsstuhl u. Kaiserthron, S. 14 ff. — Byzanz: H . Orange, Keiseren pa Himmelstronen, 194$, S. 179, Ewig, Zum christl. Königsgedanken S. 11: Kaiserthron und Thron Salomos. — Schramm Herrschaftszeichen I, S. 318. — Thronsetzung bei den Westgoten: Isidor v. Sevilla, Hist. Gothorum c. 51: Primusque etiam inter suos regali veste opertus in solio resedit. N a m ante eum (Leovigild 568—586) et habitus et consessus communis ut populo ita et regibus erat. — Schramm a. a. O. S. 319 verweist als älteste Darstellung eines thronenden germanischen Fürsten auf Agilulfs (590—616) Helmplatte.

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stellt110. Regnum ist eine eigene, den König übersteigende Wirklichkeit, die sich jedoch, wenn sie ergriffen ist, im König wiederum darstellt. In Verbindung mit corona, zeigt regnum ebenfalls die dem König übertragene Herrschaft, die lothringische Krönung Karls des Kahlen (869) setzt sogar das Aufsetzen des Diadems in Parallele zu „obtinere regnum"111. Bekanntlich kann regnum sogar für corona stehen, wie umgekehrt Corona sich später verselbständigt und zum Zeichen königlicher Herrschaft und des königlichen Reiches, aber auch der kaiserlichen Herrschaft wird112. Regnum, allgemein als königliche Herrschaft und als Reich zugleich, erscheint ferner in dem alten Konsekrationsgebet: „Deus inenarrabilis auctor mundi, conditor generis humani, gubernator imperii, confirmator regni", und schließlich haben wir die berühmte Erzählung Wipos von der Antwort Konrads II. an die aufrührerischen Pavesen, die das palatium nach dem Tode Heinrichs II. zerstört hatten „cum nullum regem haberemus". Die Antwort des Königs: „Si rex periit, regnum remansit, sicut navis remanet cuius gubernator cadit" (Gesta Chuonradi c. 7)I1S. Daß jedoch die Pavesen, die schon 1004 nach dem Aufstand gegen Heinrich II. als Unterlegene vor dem König gestanden hatten, die „fides et honor" gegenüber dem toten Herrscher so prononciert vor dem neuen König anzubringen wagten, führt wieder in jene Verfassungswirklichkeit, in der rex und regnum als Personenverband praesent sind und aus der eine derartige Verteidigung überhaupt erst diskutabel werden kann. Diese Komponente im Begriff des regnum als personaler Herrschaft ist natürlich im Wort selbst schwer zu fassen, sie ist aber doch unverkennbar da, wenn vom regnum nostrum, regnum fratris, patris die Rede ist, wenn in dieser Terminologie die divisio regnorum vor sich geht 1 ". Die Begriffsgeschichte von regnum — wie auch des anderen Ausdrucks res publica — zeigt bereits aus diesen Hinweisen eine Ambivalenz, genauer eine Mehrwertigkeit der Bedeutung, und diese ist wieder typisch für die vielgestaltige und doch auch homogene Ordnungsvorstellung. Vielgestaltig, indem die verfassungsmäßigen Elemente, die naturhaft und unabhängig von geschichtlichen Situationen das Ordnungsganze einer politischen Gemeinschaft herstellen, 110

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Widukind, Rer. gestarum Sax. II, c. 1. — Dt. Ordo, Vogel n. 25, S. 258 f. — Vgl. auch unten S. 106 f. M G H Cap. II, n. 276, S. 340 f: Et quia, ut in historiis sacris legimus, reges, quando regna obtinuerunt, singulorum regnorum sibi diademata imposuerunt, non incongruum videtur istis venerabilibus episcopis, si vestrae unanimitati placet, ut in obtentu regni, unde vos ad illum sponte convenistis et vos ei commendastis, sacerdotali ministerio ante altare hoc coronetur et sacra unctione consecretur. — Die Wahl, Kommendation sind in die Erhebung: obtentus regni eingeschlossen. F. Härtung, Die Krone als Symbol der monarchischen Herrschaft (In: Corona regni S. 1 ff). — P. Claßen, Corona Imperii (Festschrift P. E. Schramm) S. 90 ff. Konsekrationsgebet: Deus inenarrabilis usw. vgl. Elze S. 188 Nachweis. — Zu Wipo vgl. H . Beumann, Zur Entwicklung transpers. Staatsvorstellungen, S. 185 ff. Divisio regnorum (806) M G H Cap. I, n. 45: regnum nostrum, passim; fratris sui in cuius regno (S. 129); sua quisque portione contentus. — Vgl. auch Divisio 831, Cap. II n. 194. — regnum patris: M G H Cap. II n. 207, S. 77. — n. 246 S. 169 (paternum). — fratris (fraternum): Cap. II n. 279, S. 351.

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wie: Volk, Land, Herrschaft, herrschaftliche Einrichtungen, greifbar sind und nach Gestaltung drängen. Homogen, indem alles, was in diesen Gegebenheiten zum Ausdruck kommt, auf die königliche Herrschaft und die Person des Königs sich sammelt, oder, wenn man den Blick über den König hinaus auf die verschiedenen Formen eigenständiger oder delegierter Adelsherrschaft richtet, auf Herrschaft und den Herrn konzentriert ist. Damit ist bereits ausgesagt, daß der überaus fruchtbare Begriff der personalen Herrschaft nicht unzulässig geschwächt werden soll, er wird sich gerade für unsere Betrachtung noch als recht ertragreich erweisen. Es wird nur hinzugefügt, daß das Bild vom Staat als Herrschaft eine Dominante, eine „Grundlinie", wenn man will, in einem lebendigen Komplex politischer Struktur darstellt11®. Diese Überlegung legt von selbst nahe, daß im geschichtlichen Verlauf bis ins 13. Jahrhundert in die Dominanz der personalen Herrschaft eingewoben sind Tendenzen und Gestaltungen institutionell-transpersonaler Art. Tatsächlich ist das auch festzustellen, freilich je verschieden in Voraussetzung, Weise, Intensität, Erfolg und eingeschränkt auf die jeweilige Stufe der politischen Entwicklung. Bei Westgoten und Merovingern ist die unmittelbare Nähe der spätantiken Reichs- und Verwaltungstradition sichtbar, im Gefolge des Ereignisses von 800 wird die Kaiserwürde als Institution wirksam, das personale Gefolgschaftsverhältnis ist übergangen, wenn es 829 heißt: „Quod potestati regali, quae nonnisi a Deo ordinata est, humiliter atque fideliter cuncti debeant subiecti". Bei den Saliern hat die Antwort Konrads II. gezeigt, wie im 11. Jahrhundert das Staatsdenken „die Schwelle des Personalen" (Bosl) überschreitet116, Königslandpolitik, Verwendung des Dienstrechtes und der Dienstmannen (Ministerialen), die Erweiterung der Regalien mit Hilfe des römischen Rechtes durch Barbarossa, die Entfaltung einer neben dem König und über ihm stehenden Begriffsskala (corona, sacrum imperium, dignitas) sind Zeichen einer Verstaatlichung, die zwar nicht im Reich selbst, aber dafür um so intensiver in den Landesherrschaften sich durchsetzt. Das gilt für Deutschland; in den westeuropäischen Königreichen, vor allem in Frankreich, wo die institutionellen Traditionen lebendiger blieben und wo das ligische Lehensrecht mit dem Treuevorbehalt gegenüber dem Herrscher das Königtum stärkt, wird der König zum „rex imperator in regno suo", der „habet enim omnia iura in manu sua quae ad coronam et laicalem potestatem pertinent" (Bracton)117. Inwieweit nun der geschilderte Einschlag des Institutionell-Transpersonalen in die personal verstandene und praktizierte Herrschaft für das Verständnis von regnum und sacerdotium bedeutsam wird, kann erst beantwortet werden, wenn der Weg des christlichen Königsgedankens in unserm Zeitraum verfolgt ist, schreibt man ihm doch einen besonderen Einfluß auf den Amts- und An115

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W. Schlesinger spricht in: Herrschaft u. Gefolgschaft (in: Herrschaft u. Staat) S. 136 von einer „Grundlinie". Zur abendländischen Idee der Person und des personalen „Staates" vgl. auch K. Bosl, Die germanische Kontinuität, Frühformen S. 86 f. — und: Die alte deutsche Freiheit, Frühformen S. 205 f. Bracton, De legibus (ed. Woodbine, II, 160. — Vgl. auch G. Post, Studies, S. 342.

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staltscharakter des Königtums zu. Darüber sollte man jedoch nicht vergessen, das sei schon vorweg angemerkt, daß der christliche Königsgedanke auch immer betont personal orientiert ist, auf die Aufgaben und Pflichten des Königs selbst, so daß der personalen Herrschaft auch von dieser Seite eine Orientierung eigener Prägung zuströmt. Wir fragen daher abschließend danach, was in der dominant personalen Herrschaft die Person und Stellung des Königs besonders auszeichnet, und kommen damit im weiteren zu den konstitutiven Elementen der königlichen Gewalt. Folgende Merkmale kann man als kennzeichnend anführen: 1. Ein erstes ergibt sich aus dem Verhältnis von Person und Amt. Die Entschuldigung der Pavesen zeigte, wie mit dem Ineinandergehen von Institution und Person argumentiert werden konnte. Gewiß, daß Trennlinien gezogen werden, zeigt das Staatsdenken der Theologen (Jonas von Orleans, Hinkmar) im 9. Jahrhundert, erweist die Antwort Konrads selbst, aber die Trennung ist nicht so explizit und allzeit wirksam entfaltet, daß die Auffassung von einer überpersönlichen Gewalt sowohl das Bewußtsein wie die Verfassungswirklichkeit gestaltet. Für das Verhältnis von regnum und sacerdotium bedeutet das, daß dem sacerdotium nicht eine selbständig ausgebildete Realkategorie: Amt, Anstalt, Gewalt gegenübersteht — auch dort nicht, wo von potestas regalis gesprochen wird — sondern sich das alles in der Person des Königs sammelt und konkretisiert. Man hat es immer mit dem König zu tun. Was über potestas regalis gesagt wird, hat als Pendant den König, aber nicht eine entsprechend aktualisierte Institution. 2. Zum Wesen des Gefolgschaftsverbandes und später des Lehenswesens gehört es, daß die Gefolgsmannen und später die Lehensträger dem König im Band des Dienstes und der Treue (fidelitas) verpflichtet sind. Unabhängig von der Entfremdung der Lehen sammelt sich so im König der Treueverband der untergeordeten Teilhaber an der Gewalt, und indem die herrscherliche Beziehung zum „populus", das politisch nur in den „potentes" in Tätigkeit tritt118, als persönlicher Bund zu den „fideles" politisch wirksam wird, ist das Verhältnis zum Volk und die in ihm gegebene Aufgabe des Schutzes und der Wahrung des Rechts in den im König gipfelnden Treubund der Schwertträger konzentriert. 3. Die königlichen Diplome spiegeln diese Wirklichkeit getreulich wider. Der dem König verpflichtete Treuverband ist da in den fideles, deren Rat häufig zur Begründung eines Entscheids erwähnt wird und die als Zeugen fungieren; hier sehen wir das genossenschaftliche Prinzip der germanisch-mittelalterlichen Herrschaft am Werk. Der Herrscher ist da als Inhaber der höchsten Gewalt, nicht als Vollstrecker eines genossenschaftlichen Willens, sondern kraft eigener Gewalt, der potestas regalis. In seinem Namen beginnt die Urkunde, er fällt den Sprudi, gewiß nicht im Sinne des absoluten Dominats der Spätantike, auch noch nicht in der Weise des späteren, souveränen „legibus solutus", er steht selbst ja in einem höheren Recht, und er soll mit Zustimmung seines Volkes 118

K. Bosl, Herrscher und Beherrschte, Frühformen S. 141 ff. — Potens und Pauper, Frühformen 107 ff; besonders S. 120: Schichtung der Gesellschaft nach dem Maßstab der vorhandenen oder nicht vorhandenen Verfügungsgewalt, Macht, Herrschaft vor dem Hintergrund der Königsherrschaft.

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handeln. Aber das, was als höchste staatliche Gewalt erscheint, ist eben da als persönliches Handeln des Königs. Selbstverständlich liegen in der genossenschaftlichen Mitwirkung und der königlichen Gewalt Spannungen, sie betreffen jedodi nidit den Grundsatz und die Tatsache, daß über Jahrhunderte hinweg die staatlich-herrschaftliche Gewalt personal repraesentiert und aktualisiert wird. Starke Persönlichkeiten und Zeiten überlegener Königsmacht vermögen es, das feste Bewußtsein der dem Herrscher eigenen Stellung unverkennbar auszuprägen, freilich in der Sprache und im Rahmen ihrer Zeit. Das läßt sich über die Jahrhunderte hinweg an der Herrsdiaftssymbolik und am Selbstverständnis des regnum, wie es in der Selbstbekundung der Herrscher und ihrer Kanzleien uns entgegentritt, zuweilen sehr deutlich greifen. Vom Merovinger, dem „rex Francorum vir inluster" über den großen Karl, den „serenissimus augustus, a Deo coronatus magnus pacificus imperator, Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum atque Langobardorum" über den „magnus imperator" Otto I., seinen Enkel, den „servus Jesus Christi et Romanorum augustus" und „servus apostolorum", zu den Briefen Heinrichs IV., zu der staufischen Programmatik verläuft der Weg des herrscherlichen Selbstverständnisses unserer Epoche11'. 4. Die christliche Gewaltenlehre hat diese persönliche Verantwortung einzigartig intensiviert. Wie sich auch der Herrscher im regnum Christi verstehen mag, als:180 iaajtoatoXog, ßaaiXeiig xai IsQevg, gratia Dei rex, divina favente dementia rex (imperator), vicarius Christi, diristus Domini, typus Christi gemeinsam ist die Überzeugung, daß er von Gott erwählt und begnadet ist, in Seinem Auftrag zu herrschen. Im germanischen Bereich trifft; die charismatische 119

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Einzelbelege: Merovinger: Childebert, 596, M G H Cap. I n. 7, S. 15. — Karl d. Gr. Divisio regnorum, 806, Cap. I n. 45, S. 126. — Otto I.: D O I 340 (967): magno imperatore et a Deo coronato. — Otto I I I : D O II n. 344, 389. — Heinrich IV. Register, Erdmann bes. n. 11 ff. — Zur staufischen Programmatik vgl. unten S. 143 ff. — Vgl. auch H . Fichtenau, Arenga, S. 63 ff. — Zu Friedrich II., vgl. das Proeemion zu den Konstitutionen von Melfi, Huillard Breholles, IV, 1, 3. Zu: „isapostolos" vgl. Ewig, Zum christl. Königsgedanken, S. 10 f; ebda, zum Titel: „TpKJxaiÖExaTog"; Ewig, Das Bild Constantins im frühen Mittelalter, H J 75 (1956), S. 1 ff bes. S. 37 ff. — „ßaoü.eiic; v.ai legex)?": vgl. den Brief Gregors II. an Leo III. (um 730) bei E. Caspar, Gregor II. u. der Bilderstreit. Ztschr. f. Kirchengesch. 52 (1933) S. 84 (wiederholt bei H . Rahner, Kirche u. Staat, S. 450. — gratia Dei rex: Pippin, Cap. I, n. 17 (755—768), Brief an Lullus; als Titulatur in den Diplomen unter Karl, vgl. Cap. I, n. 19 (796). — divina favente dementia rex: allgemein im 9. Jahrhundert: DK III (883) n. 78: Karolus divina favente dementia imperator; D Arn (890) 75: Arnulfus divina favente dementia rex; 152: imperator; ebenso D K I 33; D H I 2; vicarius Christi: Dt. Ordo, Vogel n. 22: Jesu Christo, cuius nomen vicemque gestare crederis. — Zum Verhältnis des Deutschen (Mainzer) Ordo zum Frühdeutschen Ordo und Ordo der sieben Formeln (Stavelot) vgl. unten Anm. 273. — vicarius Christi ferner: Wipo, Gest Chuonradi c. 3: vicarius es Christi. — Friedrich I. M G H Const. I n. 240, vgl. unten S. 149. — christus Domini: Synode von Hohenaltheim (916): M G H Const. I n. 624: manum suam in christum Domini mittens. — Heinrich IV., Erdmann n. 12: indignus inter christos ad regem sum unctus. — Friedrich I. M G H Const. I n. 165: nobis, christo eius. — typus Christi: Deutscher Ordo (Frühdeutscher Ordo, Ordo v. Stavelot) und, über Kaiserordo XVI, der kuriale Ordo Elze XVIII haben die Schlußformel: cuius typum geris in nomine (Vogel n. 19, Schwertformel).

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Erwählung auf jene dem Herrscher zugesprochene Verbindung zum Göttlichen, die wir mit Königsheil bezeichnen. Das Wirkverhältnis beider Anschauungen zu besprechen, gehört nicht hierher, da es seinen Platz in der Diskussion um das Kontinuitätsproblem hat, sicher bleibt, daß der Sakralcharakter des Herrschers in christlichem Geist umgeformt wird. Gott krönt mit Ruhm und Ehre und setzt ihn über das Volk, wie es die Ordines eindringlich wiederholen: „Coronet te Deus Corona gloriae atque iustitiae, honore et opere fortitudinis"; „qui te famulum tuum regni fastigio dignatus est sublimare" 121 . Die kirchliche Weihe heiligt nicht nur den Herrscher, sie verbindet ihn und sein Werk mit dem ewigen Reich Christi, „sine fine" möge der „virtutum triumpho gloriosus iustitiaeque cultor egregius" mit Christus, dessen Abbild er ist, herrschen122. So zielt die Herrscherweihe auf die innerste Bestimmung des Menschen selbst. Hier stoßen wir auf einen Wesenszug des christlichen Königsgedankens, der dem personalen Charakter der Herrschaft, zunächst in der Person des Königs, eine den natürlichen Bereich so entschieden übersteigende Zielsetzung gibt, daß sich wahrscheinlich für die Stellung des Königs überhaupt Weiterungen einstellen, wenn man nur einmal folgerichtig die Funktion des so radikal in die Heilswirklichkeit eingefügten Herrschers im Hinblick auf eine christliche Gemeinschaftsordnung zu Ende denkt. Damit sind wir aber bei der Frage, inwieweit die personale Orientierung des christlichen Königsgedankens auf Verständnis und Verhältnis von regnum und sacerdotium einwirkt. Um sie fruchtbar zu beantworten, muß man das berücksichtigen, was zuvor als spezifische Wesensmerkmale der personalen Herrschaft festgehalten wurde und darf dann eine Einwirkung dort annehmen, wo die Beziehung regnum-sacerdotium den personalen Bereich — beim Herrscher selbst und seinem Verhältnis zu den Untergeordneten — eigens berührt und Lösungen anbietet, die letztlich nur in der streng personalen Sphäre zu Hause sind und damit den personalen Kern aller staatlichen Ordnung treffen. In dem, was bisher zu Herrschaft und Staat vorgebracht wurde, liegen aber noch weitere Hinweise für unser Vorhaben. Angedeutet in der kirchlichen Erhebung des Königs, der Herrschaft selbst, wie der Herrschaftsteilhabe seien sie kurz mit den Stichworten: „Offenheit und transzendierendeEinfügung, Reduktion der Gewalt, Herkommen und Ubereinkunft bei der Thronfolge" umschrieben. „Offenheit und transzendierende Einfügung" betreffen einen für das Verständnis des regimen christianum grundlegenden Unterschied zur antiken und neuzeitlichen Staatsauffassung, sofern beide den Staat als ein geschlossenes autarkes Gebilde ansehen: Der antike Staat als der in sich ruhende Kultstaat der politisch organisierten Kultgemeinde samt ihrer unterworfenen Glieder, die ihren letzten Ausdruck in dem um den Divus Caesar zentrierten imperium findet; die Neuzeit, mit der rational geplanten und konstituierten Einheit des politischen Gesamtwillens der Nation, des Volkes, der Gesellschaft, die 121

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Coronet te Deus: Zuerst bei Krönung Karls (869): M G H Cap. II, n. 302. — qui famulum tuum: Deutscher Ordo, Vogel n. 1. — Deutscher Ordo, Vogel n. 19.

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ihre Begründung und ihr Ziel in sich selbst trägt und nur auf sich gewendet operiert. — Dagegen faßt die im mittelalterlichen Herrscher präsente Staatlichkeit sich nicht als „fertig" und autark in ihren natürlichen Zielen auf. Indem sie potestas grundsätzlich und zuerst auf das „a Deo" der geoffenbarten biblischen Aussage (Rom. 13,1; „desuper" Joh. 19,11) gründet — die in der lex regia, Inst. 1, 2, 6; D. 1, 4,1, und bei Hieronymus, c. 24 D. 93, genannten Faktoren: populus, exercitus haben in Relation zum „a Deo" mediativen Charakter123 —, indem über die temporalen Ziele des Königsschutzes und der Rechtswahrung hinaus immer wieder auch die Förderung des „divinus cultus" mit dem Ziel der „in consortio sanctorum aeterni regni coronam" sichtbar wird124, ist die staatlich-herrschaftliche Ordnung nicht introvertiert und immanent weltlich begriffen, ihre Beschreibung ist mit der Darstellung ihrer temporalen Aufgaben nicht abgeschlossen. Sie ist offen, und zwar im Sinne einer vertikalen Offenheit. Als Offenheit nach oben zum Bereich der Ubernatur und der Heilsbotschaft übersteigt die potestas terrena eine nur auf sich gewendete Immanenz temporaler Autarkie und im Ubersteigen fügt sie sich in die Normgebung und Zielsetzung der „religio christiana" und der „fides catholica" ein, sie transzendiert in die Lebensordnung des „populus christianus". Die kritische Frage, die sich hierbei sofort einstellt, ob ein solches transzendierendes Einfügen auch für die potestas qua potestas ausgesprochen wird, ist in der konkreten geschichtlichen Situation immer im Hinblick darauf zu beantworten, daß die potestas eben im König angesprochen wird, daß die personale Struktur der Herrschaft anwesend ist, daß sie vielleicht sogar eine zwar nicht unbedingte und schlechthinige, aber doch situationeile Voraussetzung dafür bildet, daß das transzendierende Einfügen so wirksam und für jene Zeiten so glaubwürdig und auch unbefangen vollzogen werden kann. Wir stoßen hier wahrscheinlich auf innere Beziehungen des personalen Ordnungsdenkens und der Ordnungswirklichkeit zur vertikalen Offenheit der politischen Konzeption. Nun besagen aber vertikale Offenheit und Transzendieren nicht eine Hinwendung zu einer Ideologie oder einem System ethischer Normen. Der übernatürliche Bereich, auf den zu die weltliche Gewalt intendiert ist, tritt ihr als eine im Glauben, den Sakramenten und im Recht hierarchisch gefügte Gemein123 Freilich gelangt erst das spätere Staatsdenken dazu, die mediative Bedeutung der im Volk ruhenden Gewalt, die sie dem Fürsten überträgt, herauszuarbeiten. Ockham prägt dafür die klassische Formel: Dialog III, 2, 1 c. 26: a Deo sed per homines. — Vgl. dazu, Verf.: Ockham u. seine kirchenpol. Schrift. S. 105 und S. 202 ff, vgl. auch Breviloquium III, 14: Die Gewalt, Gesetze und menschliche Rechtsanordnungen zu gründen, lag zuerst und prinzipiell beim Volk. — Zu Marsilius: S. 518 ff. Ferner: Verf. in FranzStud. 48, 308 ff. 124 Die Förderung des divinus cultus ist häufige Begründung der Herrscherpflicht: D O I 471: nostre exigat sublimitatis officium . . . divino cultu per orbem dilatando. — D O I 373: Ad hoc nos divina potentia ad imperiali culminis provexit apicem, ut omnium maxime divinorum cultui mancipatorum frugibus consulamus. — Vgl. auch a. a. O. n. 294, D H II 304. — Die Verbindung der irdischen Aufgabe, vor allem des Schutzes und der Förderung der Kirche, mit dem ewigen Herrscherlohn: D H II 307: „ut, qui coronam terreni imperii concessit, post emensum huius vitae spacium ea etiam coronari permittat, quae non auferatur in eternum". — Die Kronformel: Accipe signum gloriae der Kaiserordines, vgl. Elze I ff (und S. 187) enthält die oben zitierte Schlußformel.

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schaft entgegen, die selbst in sich zugleich in höchster Weise personal und institutionell gegründet ist. Personal in Christus und seinem Stellvertreter, seinen Aposteln, institutionell in den ordines, officia und dem ius ecclesiae. Auf Schritt und Tritt trifft das regimen christianum auf die Kirche in ihren Vorstehern, auf die Disziplin des Gehorsams und der Unterordnung. Damit muß sich entscheiden, ob die in der vertikalen Offenheit und im transzendierenden Einfügen vorhandene und angebotene Spiritualität auch zur rechtlichen Disziplin werden muß. Die „Reduktion der Gewalt" bezieht sich auf die bereits im Verhältnis Staat—Herrschaft angesprochene Tatsache, daß im Verband des regnum die Befugnis des rex auf „Grundrechte" der staatlichen Gewalt konzentriert ist: die allgemeine Lenkung des Volkes (gubernare, gubernator), die Führung des Treuverbandes einschließlich der Heerfolge, den bewaffneten Schutz, den zwingenden Rechtsspruch im Königsgericht, auf „Gebot und Verbot" 1 ! 4 a . Dazu kommen jene Rechte, die im Gefolge des Investiturstreites als bestehende königlidie Eigenrechte formuliert werden, die regalia, und die mit der gesonderten Formulierung auch immer mehr die Existenz eines eigenen Königs- und Staatsrechtes erhalten 125 . Daß der spätere Betrachter die Königsrechte, die wiederum auch in Händen der Untergewalten sein können, eigens aufsuchen muß, und daß die Formulierung der Königsrechte selbst beweglich ist, zeigt deutlich den Unterschied zur voll entfalteten Staatsgewalt der neuen und erst recht der neuesten Zeit. Vom Standpunkt des heutigen Beobachters, der vor sich den Staat hat, der sich für die gesamten öffentlichen Dinge und gesellschaftlichen Verhältnisse, für Wissenschaft, Kunst und Familie verpflichtet weiß und für sie seine Gewalt einsetzt, ist diese im Verband des regnum auf ursprüngliche und einfädle Aufgaben reduziert. Für jene Zeit selbst stellt diese „Reduktion der Gewalt" allerdings keine Rückentwicklung, sondern die Entfaltung und Realisierung der Möglichkeiten dar, wie sie aus dem germanischen Erbe und der noch weiterwirkenden antiken Tradition vorhanden sind. Daß die Zeit die Eingrenzung der Gewalt auf grundlegende herrschaftliche Befugnisse in ihrem Selbstverständnis als „selbstverständlich" annimmt, ersieht man aus jener häufig zitierten Wendung des Petrusbriefes über die Aufgaben des rex und seiner duces: „ad vindictam malefactorum, laudem vero bonorum" (1 Petr. 2, 13/14) 126 . Die in dieser Formel zu Tage tretende vereinfachte Darstellung der weltlichen Gewalt und ihre Annahme in der Zeit, da sich das Verhältnis von regnum und sacerdotium in der kirchenpolitischen Diskussion ausbildet, hilft das noch besser zu verstehen, was im Vergleich zur modernen Staatlichkeit als Reduktion der 121ä

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Zu Gebot und Verbot: F. Graus, Die „Gewalt" bei den Anfängen des Feudalismus und die Gefangenenbefreiungen der merovingischen Hagiographie, Jahrb. d. Wirtschaftsgesch., 1961, I, S. 61 ff. — K. Bosl, Herrscher u. Beherrschte, Frühformen, S. 137. Zum Verhältnis: regalia und römisches Recht vgl. H . Appelt, Friedrich Barbarossa und das römische Recht, Rom. Hist. Mitt. 5, 1962, S. 18 ff, bes. S. 2 7 ff. — K. Bosl, Raumordnung im Aufbau des mittelalt. Staates, Frühformen S. 3 7 2 f. — Das Hochmittelalter in der dt. und europ. Gesch., ebda. S. 394. Vgl. schon Origenes, Komment, zu Rom. Brief P G 14, 1226. Die Petrusstelle wird häufiger zitiert als Rom. 13, 4.

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Gewalt bezeichnet wurde. Man wird auch nicht fehlgehen, wenn man in dieser Eingrenzung der Gewalt einen der Ansätze für jene Vorstellung der potestas terrena als gladius corporalis sieht, die dann mit dem Vergleich anima-corpus so wichtig für die kuriale Argumentation wird. Hier dürften innere Zusammenhänge anzunehmen sein. Ein d r i t t e s für die Beurteilung des Verhältnisses von regnum und sacerdotium bedeutsames Kriterium ist gegeben in der mit „Thronfolge notwendigen Anerkennung" des rechtmäßigen Herrschers. Von der germanischen Uberlieferung her sind im Geblütsrecht, in dem sich zugleich Sakralität und adelige Idoneität sammeln, und in der Wahl (Schilderhebung beim Heerkönig) zwei grundlegende Faktoren vorhanden, die schon Tacitus nennt: „reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt" (Germania, c. 7). Wie sich die Stärke des Geblütsrechtes127 bei Merovingern, Karolingern, den nachfolgenden Westfranken und Ostfranken über die kritischen Einbrüche hinweg behauptet, wie im ostfränkischen Bereich das Wahlrecht eindeutig Boden gewinnt, während in Westfranken das Geblütsrecht zum reinen Erbrecht wird, das braucht nicht wiederholt zu werden. Festzuhalten ist jedoch, daß zwischen dem vorgegebenen Herkommen, das im Faktor des Geblütsrechtes präsent ist, und der jeweiligen Übereinkunft, die in Wahl (Designation) zumindest dem Prinzip nach ad hoc zu treffen ist, eine Spannung möglich ist, die sofort virulent werden kann, wenn das Herkommen nicht mächtig genug ist, von sich aus den Faktor Wahl (Designation) zu lenken. Die abendländische Königsgeschichte zeigt das sehr deutlich. Das Nebeneinander verschiedener Legitimitätsfaktoren führt dann folgerichtig, beim Fehlen einer festen Thronfolgeordnung, zu einem Legitimitätsbedürfnis eigener Art. Da es keinen einmaligen und integralen konstitutiven Akt gibt, der in sich, wie in modernen Konstitutionen, die staatliche Gewalt als Ganzes verleiht, treffen wir auf eine Reihe von Bedingungen, die als Ganzes die Erhebung des Königs integrieren; was nicht heißt, daß sie jeweils gleiches Gewicht besitzen: Besitz der Herrschaftszeichen, gipfelnd in Krönung und Thronsetzung und Akklamation. Da das Herkommen durch Ubereinkunft konkretisiert werden muß, wird letztere um so bedeutsamer, je mächtiger die Personen sind, von denen die Übereinkunft abhängt. Die Geschichte des Karolingerreiches zeigt das in ihrer Weise, das deutsche Königtum wird seit dem 12. Jahrhundert unwiderruflich mit der Stärke seiner Wähler konfrontiert. Im System eines Königtums inmitten einer und über einer Adelsherrschaft mit ihren Teilherrschaften wird das Legitimitätsbedürfnis dann von selbst darnach streben, die Königsherrschaft so auszuzeichnen und von den übrigen Großen abzuheben, daß sie nicht als Teil sondern als höchste und damit für das Ganze verbindliche Gewalt unbestritten vor Volk und Land dasteht. Wir werden sehen, welche Bedeutung gerade in diesem Zusammenhang der kirchlichen Erhebung zukommt. Augenscheinlich erfordert die in der Ganzheit der Herrscherpromotion gegebene volle Legitimität des Herrschers über die weltlichen 127

Zu Tacitus Germ. 7 vgl. Bosl, Reges ex nobilitate usw., Frühformen S. 62 ff. — B. spridit kommentierend von „Geblütsheiligkeit". — W. Schlesinger, Über germ. Heerkönigtum, in: Königtum, S. 105 meldet gegen „Geblütsrecht" Bedenken an: „um weiter nichts als um ein Wort für ein unerklärtes Phänomen (nämlich: Verschränkung von Erbrecht und Wahl)".

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konstitutiven Akte hinaus, obwohl diese für den kirchlichen Akt — von der Kaiserkrönung abgesehen — bindend sind, doch jene höhere Weihe, in der sich zugleich das Ineinandergreifen von saekularer und spiritualer Ordnung kundtut. Nehmen wir die für das Zweigewaltenverhältnis wesentlichen Merkmale des regnum zusammen, so haben wir die lebendige Vielfalt von Herrschaftsträgern mit dem König an der Spitze, die sich um so mehr vom institutionell organisierten Staatswesen der neuen Zeit abhebt, als sie im Untergrund sakraler Traditionen und Uberzeugungen verwurzelt ist. Soweit es „Staatslehre" gibt, erscheint sie intendiert auf die „eximia persona" des Königs, ist als admonitio an den Herrscher gerichtet, ist sie Fürstenspiegel, aber in diesem speculum erscheint zugleich die Offizienlehre der Kirche. Erst im 12. Jahrhundert sehen wir ein Staatsdenken sich fixieren, das die im Staat sich darstellende naturalhumane Gesetzlichkeit zur Wirkung bringt (Johann von Salisbury), was dann in der Aristotelesrezeption des 13. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung gelangt, ohne daß freilich der Rahmen der Heilsordnung gesprengt wird. Wir haben den dominant personalen Charakter der Herrschaft verfolgt, Staat, staatlicher Verband, staatliche Gewalt treten vor allem als personal herrschaftliche Funktion und personal herrschaftliche Relation in Erscheinung. Die Gewalt ist auf die grundlegenden Rechte der Königsherrschaft konzentriert, auf die königliche Schutz- und Zwangsgewalt, sie kann in der Gewaltenlehre als gladius corporalis auftreten. Diese Verfassungswirklichkeit gibt die historischen Bedingungen für das Verständnis des regnum im Zweigewaltenverhältnis.

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Zu Johannes von Salisbury: J . Spörl, Grundformen, S. 98 ff. — Vgl. unten S. 141 ff.

IV. Das Imperium Regionale oder universale Geltung. — Das Imperium im politischen Bewußtsein in Spanien, England, Frankreich. — Das Selbstzeugnis des Reiches. — Karl der Große. — Die Situation des Imperium nach dem Investiturstreit. — Kontroverses Selbstverständnis. — Eigenständigkeit des Imperium gegenüber dem Sacerdotium (ecclesia). — Die staufische reformatio imperii. — Die Resonanz in der Kanonistik, imperium und divisio regnorum. — Der Zusammenstoß der Universalgewalten und die universale Struktur des Imperium.

Wenn es zutrifft, daß „der Kampf zwischen regnum (und nicht Imperium!) und sacerdotium nichts dem Kaisertum Spezifisches war" und das Imperium sich in der Situation nach dem Wormser Konkordat „als wesentlich nicht mehr unterschieden in die Vielzahl der übrigen regna" einreihte, dann kann eine Betrachtung des Imperium als weltliches Gebilde dem Verständnis von regnum und sacerdotium im Grunde nicht mehr beisteuern, als daß der zum Kaiser promovierte König gegenüber Rom „in einer besonders schwierigen Situation" sich befand 129 . In dieser Sicht wird die eigene Problematik, die das Imperium in das Verhältnis der Gewalten einbringt, beiseite geschoben und das Thema regnum sacerdotium auf die „Parallelität der Situation Papst-König-Landeskirche" vereinfacht130. Wir stehen demnach als erstes vor der Frage nach der weltlichen Position und Bedeutung des 800 erneuerten Imperium Romanum. Sie zu beantworten, ist deshalb schwierig, weil das Imperium sich nicht als solches bildet, wie Rom selbst, oder ein bestehendes Gebilde fortsetzt wie Byzanz, sondern auf ein zu imperialer Macht und Geltung gelangtes Großkönigtum im Sinne der translatio imperii „übertragen" wird, wie es 800 und 962 der Fall ist. Es deckt sich seiner herrschaftlichen Macht nach mit dem Gebiet des zum Kaiser erhobenen Königs und seinem regnum bzw. seinen regna. Die Titulatur Karls des Großen zeigt das in markanter Klarheit, wenn nach dem feierlichen „Romanum gubernans imperium" das „qui et per misericordiam Dei rex Francorum atque Langobardorum" folgt131. Wenn man es ausschließlich dabei beläßt, dann wäre Imperium ein Bündel von regna, ein „oberkönigliches 12» Vgl. K. F. Werner, Das hochmittelalterliche Imperium im polit. Bewußtsein Frankreichs H Z 200 (1965) S. 58, Anm. 1. — W. meint, daß „die Erkenntnis", daß der Kampf zwischen regnum (und nicht imperium!) und sacerdotium nichts dem Kaisertum Spezifisches war, zunehmend Gemeingut der Forschung geworden sei. a. a. O. — Zum folg. Abschnitt vgl. auch J. Spörl, Pie rex caesarque future. Beiträge zum hochmittelalterlichen Kaisergedanken in: Unterscheidung u. Bewahrung, Festschrift H . Kunisch, 1961, S. 331 ff. 130 Werner a . a . O . : spricht von einer „völligen Parallelität der Situation Papst-König-Landeskirche", sie habe es Gregor VII. erlaubt, das Sinnbild Sonne-Mond auf die regna anzuwenden. Es habe nur eine Sonne, aber viele Monde (regna). Das deutsche regnum sei durch seine Bindung an das imperium nur ein Sonderfall. — 151 M G H Cap. I n. 45, 75, 76.

IV. Das Imperium

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Großreich" (Erdmann) 132 , von einer universalen Geltung kann keine Rede mehr sein. Nachdem diese Perspektive von Werner, der vorausgehende Überlegungen (Barraclough, Löwe, Bezzola) energisch weiterführt, zu einem umfassenden Angriff auf die „irrige" Vorstellung einer materiellen oder auch ideellen Universalität des Reiches formuliert wurde, sei das Bild, mit dem lange herrschende Mißverständnisse beseitigt werden sollen, kurz skizziert. Werner, der vom politischen Bewußtsein Frankreichs im 10.—20. Jahrhundert her argumentiert, stellt fest, daß im Westen des 9.—10. Jahrhunderts bereits die Überzeugung der Unabhängigkeit ausgebildet sei, während darnach das Imperium der deutschen Herrscher ein italisches „stadtrömisches" Imperium geblieben sei, das sich nicht am einstigen Imperium Romanum orientiere, sondern an der Stadt Rom, „die allein das Kontinuum darstellt, das diese neuen römischen Kaiser mit den einstigen verbindet" 133 . Es war „auch für seine besten Freunde nie mehr als eine Teilherrschaft, niemals ein universales Reich", dem die Königtümer des Westens nichts, dagegen Byzanz viel verdankten. Dem Imperium verbleibe eine dignitas (EhrenVorrang), das hohe Mittelalter sei die „Welt der Könige und Fürsten, nicht die Welt des universalen Kaisers", es gäbe keine primär am Imperium orientierte Einheit des Abendlandes, des Geschichts-und Weltbildes; das Auftreten eigenstaatlicher Souveränität sei nicht ein Signum der Moderne, schon im frühen Mittelalter sei das Abendland geprägt von der Pluralität politisch selbständiger Gebilde 134 . Man kann dieser Deutung dankbar sein für die Entschlossenheit, mit der sie, wenn auch aus dem notwendigerweise beschränkten Blickwinkel partikulärer Zeugnisse, gegen jede Mystifizierung des Reiches zu Felde zieht. Sie zwingt dazu, Faktum und Begriff des Universalen differenzierter zu fassen, als das bisher geschah. Es wäre jedoch Zeitverlust, im Sinne dieser Differenzierung bei der Beteuerung zu verweilen, daß der Kaiser über seinen Herrschaftsbereich (Deutschland — Burgund — langobardisches Italien, dazu temporäre Lehnshoheiten) hinaus keine Rechtsansprüche in Westfranken ausgeübt hat, daß von 152

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C. Erdmann, Forschungen zur Ideenwelt, S. 14. — Hierzu die Kritik von W. Suerbaum, Vom antiken zum mittelalterlichen Staatsbegriff S. 293 ff. — Nach Werner S. 59 ist das Abendland seit dem Ende des alten Imperiums in Wahrheit das Wirkungsfeld einer Vielzahl von regna oder aber vorübergehend geraffter regna-Bündel (so bei Karl d. Gr.). — H . Löwe, H Z 196, 1963, 558 f trennt das Imperium Romanum im Sinne seines Bezuges zur christianitas von Reich als Herrschaft, es ist „ein geistliches Imperium der römischen Kirche". Als Vorgänger seiner methodischen Absicht, die Reaktion auf das Imperium in und außerhalb des realen Machtbereichs zu trennen, nennt W. vor allem H . Löwe, Kaisertum u. Abendland H Z 196 (1963), 529 ff. — Von den Grenzen des Kaisergedankens in der Karolingerzeit D A 14 (1958) S. 345 ff. — G. A. Bezzola, Das ottonische Kaisertum in der franz. Geschichtsschreibung des 10. und beginnenden 11. Jahrh. 1956. — Zu obigen Zitaten vgl. Werner a . a . O . bes. S. 18 ff. — S. 55 ff. G. Barraclough, The Mediaeval Empire. Idea and Realty, 1950 sucht I. Bryce, The Holy Roman Empire, 1864, zu korrigieren. Werner a . a . O . S. 58 ff. — In seiner neuesten Arbeit: Königtum u. Fürstentum im französischen 12. Jahrhundert, 1968 (Vort. u. Forsch. X I I ) , erweitert er sein Bild von der Pluralität der regna auf die fürstliche Infrastruktur: „Die politische Welt des Abendlandes im 11. Jahrhundert war nicht zuletzt eine Welt der Fürsten" (S. 177).

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einer Universalherrschaft keine Rede sein kann. Die Kritik an der vermeintlich universalen Geltung des Kaisertums muß sich daher notwendig auf das politische Bewußtsein, auf den Bereich der politischen Ideen beziehen, obwohl diese Linie offensichtlich schlecht einzuhalten ist135. Dennoch sei nicht unterlassen, auf jene Ansprüche gegenüber Byzanz hinzuweisen, die das Reich an der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert in der Rechtsnachfolge des westlichen Imperium Romanum dartun, ich meine die Süditalienpolitik Ottos II. und später Heinrichs 11. Oder auf jene Ansätze zu herrschaftlicher Betätigung außerhalb des Reichsgebietes, die erweisen, daß in der Tatsache des Imperium potentiell übergreifendes Handeln gegeben war. Das gilt unzweideutig für Otto II., auf den H. Hirsch und W. Holtzmann zu Recht verweisen. Wenn auch der Papst die Kaiserrechte: die „Legitimatio per rescriptum principis", Universitäten zu gründen, Könige zu ernennen auf der Höhe seiner Macht selbst ausübte, so zeigen diese Rechte trotz der päpstlidien Konkurrenz die universalen Konturen des Kaiseramtes 1 ". Was die Geltung des Imperium im politischen Bewußtsein angeht, so haben die vorgelegten Zeugnisse ihre partikuläre Bedeutung, sie zeigen an ihrem Platz die Grenzen und auch die fallweise geringe Wirkung der imperialen Ordnung im jeweiligen Bewußtsein der Zeit. Den einschränkenden Stimmen stehen jedoch gerade auch aus dem Westen jene Zeugnisse gegenüber, die eine andere Sprache sprechen. Für Spanien urteilt Maravall, die Idee eines christlichen Kaisertums habe sowohl in der karolingisdien Version als auch unter den Ottonen und Saliern ein Echo gefunden137. Später setzte Kritik ein — Negativwirkung des Investiturstreites, wie später in Frankreich? —, die Opposition gegen ein imperiales dominium mundi ist begleitet vom Anspruch des KönigKaisers in Kastilien. Die Selbständigkeit Spaniens wird sichtbar in der Glossierung der Dekretale Per venerabilem mit ihrem Satz: „quum rex (Philipp II. August) ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat" (Comp. III, IV. 17, 13) durch Laurentius und Vincentius Hispanus138. Für Bernhard Compostel135 Werner gesteht S. 54 zu, daß der Imperator vor dem Investiturstreit, »nur in seiner größten Zeit", in Gestalt der römisdien Schutzherrschaft die Funktion einer christlichen Instanz innegehabt habe. — Aber gerade diese »Instanz", ein Wesenszug des 800 erneuerten Kaisertums, erlaubt bei der Verflechtung kirchlicher und weltlicher Maßnahmen übergreifende politische Akte. Das zeigt das Verhältnis zu Polen, Böhmen, Ungarn. Vgl. Dazu H. Hirsch, Das Recht der Königserhebung S. 2 ff, 17 ff.

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H. Hirsch, Das Recht der Königserhebung S. 2 ff zu Otto III. — S. 40 f zu den Sonderrechten des Kaisers. — W. Holtzmann, Das mittelalterliche Imperium u. die werdenden Nationen, S. 8 ff. — S. 13 f zu Otto III.: Mitentscheid bei Streit um ein spanisches Bistum. — Zur Politik in Süditalien vgl. Verf.: Rom und der Kirchenstaat, S. 49 ff, 71 ff. — Zu den Kaiserrechten vgl. auch Anm. 345. J. A. Maravall, Vom Lehnswesen zur stand. Herrschaft in: Der Staat 4 (1965) S. 307 bis 340. — S. 309. In Spanien findet die Idee eines christlichen Kaisertums sowohl in ihrer ersten karolingischen Version als auch unter den Ottonen vom 9.—11. Jahrhundert ein Echo. Später gäbe es Kritik. F. Gillmann, Joh. Galensis, S. 514 n. 2. — Modii-Onory S. 284. — Vgl. Dazu auch F. Gillmann, Des Lautentius Apparat S. 41 (ältere Schicht des Tankredapparates zur Comp. III (zu c. 3 Novit III 1 ad v. »cur alienum").

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lanus Antiquus ist der griechische Kaiser der verus imperator 1 ". Sogar Johannes Teutonicus urteilt zur Translationslehre: „Sic enim regimen mundi, excepto regimine hyspanie, translatum est ad theutonicos"140. Dagegen fragt und antwortet der für seine Zeit wichtige Raimund von Pennafort: „Sed numquid subsunt omnes reges et principes imperatori? Videtur quod sic de mero iure"140. Die Diskussion war also, nachdem einmal die Frage der Selbständigkeit der regna ins Bewußtsein gehoben und de facto anerkannt war, für Vincentius Hispanus sogar de iure galt 141 , in vollem Gang. Sie zeigt jedoch, bei und trotz der Opposition gegen den „unus imperator" (In apibus; 41 C. VII q. I), daß die universale Position des Imperium etwas galt und keineswegs nur Angelegenheit staufischer Parteigänger war. Zugleich wird schon jetzt ersichtlich, daß die Kontroverse über das Imperium nicht nur mit dem Prozeß der nationalen Entwicklung zusammenhing, sondern in die kirchenpolitische Auseinandersetzung selbst verflochten war. Hier erhielt sie freilich einen neuen Akzent, den nämlich des Verhältnisses ecclesia (papa) und imperium. Für England sei auf jene Briefstelle Heinrichs II. hingewiesen, die Rahewin mitteilt und die für R. Holtzmann einen zentralen Beleg seiner jetzt umstrittenen Interpretation des kaiserlichen Vorrangs bildet, daß nämlich dem Kaiser eine auetoritas imperandi zuerkannt sei142. Wenn auch der Begriff „auetoritas imperandi" keineswegs für die konkrete Situation rechtlich klar genug bestimmt und umgrenzt ist, so sagt er doch mehr aus als einen Rangvorzug unter Glei189

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R. Stidder, Sacerdotium e regnum nei decretisti, Salesianum 15 (1953) S. 589: Glossa Palatina zu D X C V I c. 11 v. divinitus: Non ergo a papa, h. (uguccio) et b. (ernhardus Compostellanus) ; nam a celesti maiestate habet gladii potestatem,.. . Quod concedo de vero imperatore. Set quis est verus imperator? Dicit b. quod Constantinopolitanus ; iste alius (der 'westliche Kaiser) procurator est sive defensor Romane ecclesie, ar. de cons. D. V „In die" et huic Romana ecclesia concedit gladium et coronam. Set contra, Extra III de elect. venerabilem. Dicitur ibi, quod romana ecclesia transtulit imperium in occidentem a grecis et ita iste romanus est verus. — Vgl. Dazu auch F. Kempf, Innozenz III. S. 240 f. Zitiert bei Maravall a . a . O . S. 311; vgl. Anm. 137. Gillmann, Johannes Galensis, S. 514: zu c. 2 Per venerabilem c. 13, X, 4, 17: v. quum rex ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat: de facto. Jo. Immo de iure. S. de iudit. Novit. — Jo. ist nach Gillmann S. 513 Johannes Galensis. R. Holtzmann, Der Weltherrschaftsgedanke HZ 159 (1939) S. 255 zu Rahewin, Gesta Friderici III c. 7: Regnum nostrum et quiequid ubique nostre ditioni subicitur vobis exponimus, et vestre committimus potestati, ut ad vestrum nutum omnia disponantur et in omnibus vestri fiat voluntas imperii. Sit igitur inter nos et populos nostros dilectionis et pacis unitas indivisa, ita tarnen, ut vobis, qui dignitate preminetis, imperandi cedat auetoritas, nobis non deerit voluntas obsequendi. — Der Imperator hat nach H. also die Autorität, das Gericht, das Ansehen, kraft dessen er gebieten kann. Die auetoritas ist keine rechtlich fundierte Befehlsgewalt, sie beruht auf dem Ansehen, das kaiserliche Würde verleiht, ihr entspreche der freie Wille Folge zu leisten. — Nach W. Holtzmann, Das mittelalterliche Imperium, S. 18 Anm. 20 sei diese Lehre von der geistesgeschichtlichen Forschung „meist beifällig" aufgenommen worden. — Nach Werner, S. 50 sei sie „von der Kritik analysiert und abgelehnt worden". Er bezieht sich auf F. Röhrig DA 7 (1944), 200—203 und H. Löwe, Kaisertum u. Abendland, S. 531 f. — Von der Existenz einer staufischen Weltherrschaftsidee geht aus: H. J. Kirfel, Weltherrschaftsidee und Bündnispolitik, 1959, freilich als Ausdruck von Intentionen, die in der Umgebung des Kaisers vertreten werden (vgl. S. 68 ff). Aber (S. 213): Weltherrschaftsgedanke, Kaiserliche Vorrangstellung, Souveränität der Könige standen unvermittelt nebeneinander.

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dien. Der Sinn von „auctoritas" liegt in Richtung einer höheren Gewalt, der aber nicht unmittelbare Befugnisse zustehen1". Daß aus dem englischen Bereich kritische Stimmen gegenüber dem staufischen Imperium zu hören sind und Kanonisten wie Richardus Anglicus und Alanus der imperialen die partikularplurale Konzeption entgegensetzen, bestätigt nur das soeben bei der Betrachtung Spaniens gewonnene Bild144. Was endlich Frankreich selbst angeht, so stößt man zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen auf eine Ordnungsvorstellung, die nicht bei einem Pluralismus der eigenständigen regna stehen bleibt, sondern ihnen übergeordnet das Imperium weiß, wobei man allerdings sofort hinzufügen muß, daß das „übergeordnet" immer im Zusammenhang mit dem Universalismus 14J

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Dieser Sinn von auctoritas wird deutlich aus dem auch bei Rahewin III c. 20 mitgeteilten Brief der deutschen Bischöfe in der Affaire von Besançon (MGH Const. I n. 167): „A pictura cepit, ad scripturum pictura processit, scriptura in auctoritatem prodire conatur". — Gemeint ist der von der kaiserlichen Seite als Herabsetzung der Krone verstandene Ausdruck der „bénéficia", der Verleihung der Kaiserwürde durch den Papst. Die Verleihung der Krone begründet keine auctoritas, sondern nur die „patri nostro reverentia" (a. a. O.), diese reverentia ergibt sidi aus der Sohnschaft des gläubigen Herrschers gegenüber dem geistlichen „pater". Auctoritas wäre dann jede, sei es in der Verleihung, sei es in ihr folgenden Akten zum Ausdruck kommende herrschaftliche Stellung gegenüber dem Kaiser als dem „homo pape" (vgl. Rahewin III, 12 zur Lateraninschrift). Damit ist noch nicht gemeint, daß Friedrich dem Papst unterstellen will, er wolle eine unmittelbare weltliche Ober-Kaiserherrschaft über ihn praktizieren. Davon ist in der Diskussion von Besançon nicht die Rede. — Die Deutung von auctoritas als einer in dem Inhaber der Gewalt ruhenden höheren Weisungsbefugnis ergibt sich auch aus der kurze Zeit später formulierten berühmten Stelle bei Rufinus zu D 22, 1 (ed. Singer, S. 47): ius auctoritatis ius amministrationis. Und zwar hat der Papst: ius auctoritatis terreni imperii, eo modo, quia primum sua auctoritate imperatorem in terreno regno consecrando confirmât et post tarn ipsum quam reliquos saeculares istis saecularibus abutentes sola sua auctoritate pene addicit et ipsos eosdem post penitentes a b s o l v i t . . . — Also auctoritas als Recht der Vergabung der Krone und Weihe, — das ist die Streitposition von Besançon-, und Zensur „ratione peccati", wie es kurze Zeit später formuliert wird. Vgl. dazu auch unten S. 128 ff. Zu Stimmen gegen das Imperium. Am bekanntesten wohl Joh. v. Salisbury, vgl. Ep. 59, 64, 185 (PL 199 c. 39, 49, 194). — Ep. 49: Quis Teutonicos constituit iudices nationum? Quis hanc brutis et impetuosis hominibus auctoritatem contulit, ut pro arbitrio principem statuant super c a p i t a . . . hominum. — Dazu J. Spörl, Grundformen, S. 99 ff (vgl. unten S. 159); und: Rainald v. Dassel u. sein Verhältnis zu Joh. v. Salisbury, Festschrift E. Eichmann (1940), S. 249 ff. — Zu Richard Anglicus (v. More): Gillmann Rieh. Anglicus, AKK 107 (1927): et sicut in spirituali gladio omnes sunt subditi pape, ita in seculari omnes imperatori ut. VII. subq. 1. In apibus (c. 41) . . .Set contra: Patet reges multos imperatori non subici. Videtur enim, quod sicut per violentiam essent subditi, quod violenter possint ad propriam redire libertatem. Item leguntur reges invicti preeipiente domino, quod de imperatore non invenitur. N a m universitas civitatis, multo magis regni iurisdictionem et imperium conferre potest, ut in aut. de defensoribus ci. prg. Interim (Nov. 15 c. I) et exercitus eligit imperatorem pari ratione et regem ut X C I I I Legimus. Item cum uterque tam imperator quam rex eadem auctoritate eadem consecratione, eodem crismate inungitur, unde ergo potestatis diversitas? — S. 626 — Zu Alanus: zu c. si duobus 7. de appell. v. juris (Schulte, Stzb. Wien. Ak. 66 (1870) S. 89 f: Et quod dictum est de imperatore, dictum habeatur de quolibet rege vel principe, qui nulli subest. Unusquisque enim tantum iuris habet in regno suo, quantum imperator in imperio. Divisio enim regnorum de iure gentium a papa approbatur, licet antiquo iure gentium imperator unus in orbe esse deberet.

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der Kirche zu sehen ist. Wir stoßen hier auf eine zweite Ausformung der universalen Geltung des Imperium, von der später noch zu reden sein wird. In die genannte Linie gehört unvermeidlich Adso mit seiner am Imperium orientierten Geschichtseschatologie145. „Hoc autem tempus nondum venit, quia licet videamus Romanorum regnum ex maxima parte destructum, tarnen quamdiu reges Francorum duraverint, Romani regni dignitas ex toto non peribit". Das hier genannte „regnum Romanum", von den fränkischen Königen gehalten, ist nicht einfach identisch mit einem „lockeren regna-Gefüge", unter dessen Königen immer einer Imperator ist. Die Identität trifft nur teilweise zu, und zwar für den faktischen Besitzstand, der Text selbst setzt jedoch das Romanum imperium so deutlich für sich und als eine eigene politische Ordnung, daß es über diesen Besitzstand hinausweist 1 ". Adso gehört in die Mitte des 10. Jahrhunderts. Das Ansehen des inzwischen an die Ostfranken übertragenen Kaisertums erfuhr im 11. Jahrhundert unter Kaiser Heinrich II. eine auffallende Steigerung. Bei seinem Zusammentreffen mit Robert II. (1023) wurde nach Ausweis der Bischofschronik von Cambrai „de statu imperii" verhandelt. Das Imperium und sein Wohlergehen, das Heil der tief gefallenen Christenheit sollten zur gemeinsamen Angelegenheit werden. Bekanntlich sollte eine zweite Synode in Pavia (nach der ersten 1022) nun mit Robert und dem Episkopat beider regna folgen. Im Rahmen der ganzen Politik Heinrichs seit 1014, und vor allem seit dem Besuch Benedikts VIII. in Bamberg, zu der auch der Süditalienzug gehört, gewinnt der „status imperii" die klaren Konturen einer das engere Reichsgebiet übergreifenden, auch in Westfranken anerkannten Aktion147. Die Früchte dieser Politik reiften in der imperialen Stellung über die nächsten Generationen hinweg. Universaldatierungen bis in den Anfang des 12. Jahrhunderts haben diese Geltung des Imperium 115

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E. Satkur, Sibyllinische Texte und Forschungen, 1898, Adso, Epistola ad Gerbergam reginam: De ortu et tempore Antichrist!, S. 109 f. Der Gedankengang Adsos ist folgender. Nach 2 Thess. 2, 3: nisi venerit discessio primum „kommt der Antichrist erst": nisi prius discesserint omnia regna a Romano imperio, que pridem subdita erant. Hoc autem tempus nondum venit, quia licet videamus usw. (vgl. oben), das heißt solange die reges Francorum das imperium halten: Romani regni dignitas ex toto non peribit, quia in regibus suis stabit. Die dignitas Romani regni besteht noch, wenn auch die Macht ex maxima parte destructum. Die Trennung der regna vom imperium Romanum trägt demnach den Charakter der discessio, und da diese discessio bereits im eschatologischen Bezug steht, ist sie auch endzeitlich. Für das imperium bedeutet das aber, daß es als innere Mitte der weltlichen Ordnung noch die einstige dominatio weiterführt, nun in Form der dignitas. So kann es dann dazu kommen, daß Adso mit dem eschatologischen Ausblick auf den unus ex regibus Francorum schließt, der das Romanum imperium ex integro tenebit, qui in novissimo tempore erit. Et ipse erit maximus et omnium regum ultimus. Aus der dignitas wird wieder eine universale Herrschaft des größten und letzten Kaisers. Sackur a. a. O. Zur Süditalienpolitik unter Benedikt VIII. und Heinrich II. vgl. Verf., Rom und der Kirchenstaat S. 73 ff. — Die in ihrer Form einzigartige Begegnung Heinrichs mit Robert (Gesta episc. Camer. M G H SS 7, 480, III c. 37), der Versuch einer gemeinsamen kirchlich-weltlichen Aktion der Reform, das seit Heinrich II. zu beobachtende Ansehen des Kaisertums im Westen (vgl. hierzu auch Werner S. 23 f), sind auf dem Hintergrund der gemeinsamen Politik von Papst und Kaiser zu sehen und verständlich.

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festgehalten" 8 . Wenn sich andererseits gerade von westfränkischem Gebiet her der Widerstand gegen das kaiserliche Kirchenregiment gleich nach Sutri regt (Ubi enim inveniuntur imperatores locum Christi obtinere?: de ordinando pontifice auctor gallicus, LdL I, 14) und später Ablehnung und Anerkennung des Imperators sich deutlich an dessen Haltung zur Kirche ablesen lassen149, so sind wir wieder bei jener Form imperialer Universalität, die ihre Wurzeln in der Konzeption eines imperium christianum hat. Daß Frankreich schließlich im 12. Jahrhundert besonders markant die königliche Gewalt und das eigenstaatliche Bewußtsein ausbildet, bedarf an dieser Stelle keiner wiederholenden Erläuterung150. Der Blick auf die politisdie Vorstellungsweise in den regna ergibt, daß das Bild des Imperium, das nach dem Sturz der Staufer in der voll entfalteten Antithetik von Papst und Kaiser, sei es als unmittelbarer Auftrag innerhalb der kosmisch-soteriologischen Ordnung — so die ghibellinische Sicht —, sei es als Saekularfunktion via Kirche im corpus christianum — so die ekklesiarche Doktrin — , erscheint, nicht erst eine post festum aufkommende Nachdeutung einer Vergangenheit darstellt, die für sich selbst gar keine universale Ordnungsgröße im Bewußtsein trug. Dieses Bild ist vielmehr verwurzelt in der Tradition des Imperium und wächst aus ihr, wobei gewiß die Universalität nicht als uniforme Größe, sondern in ihrer lebendig sich wandelnden Vielfalt zu beschreiben ist. In die differenzierte, abendländische Resonanz des Kaisertums ist jedoch immer auch das Selbstzeugnis des Reiches zu stellen, denn ohne Kenntnis des imperialen Selbstverständnisses ist dessen Resonanz nur einseitig und halb begriffen. Beginnen wir mit Karl dem Großen selbst, so haben wir das, trotz Ulimanns Einspruch, klare Zeugnis der Kaisersiegel: Renovatio Romani imperii 151 . Erneuert wird die unterbrochene Uberlieferung des spätantiken Reiches, die Erneuerung freilich geschah in Rom, formal durch den Papst, dem der fränkische Großkönig seine im christlichen Glauben geeinten regna bot. So fließen in der Renovatio weltlich antike und christliche Gestaltkräfte zusammen. Unmißverständlich ist auch die feierliche Titulatur mit dem: „Romanum gubernans 148

Zu den Universaldatierungen: Werner S. 2 9 ff, sie setzen ein unter Heinrich II. und reichen bis 1106, Heinrich IV.

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Vgl. hierzu die aufschlußreichen Ausführungen von Werner S. 40 ff: die Angriffe sind überwiegend nicht gegen den Kaiser oder die Deutschen als solche gerichtet, vielmehr ist nur der „Feind der (Papst)-Kirche, der dieser nicht dienen, sondern ihr seinen Willen aufzwingen will, verfemt".

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Zum Verhältnis Frankreich-Reich vgl. auch P. E. Schramm, Der König v. Frankreich, S. 180 ff.

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P. E . Schramm, Kaiserbilder, 7 a-c. — Ulimann, Machtanspruch S. 170 meint, der Ausdruck „Romanum imperium" in Karls Inschrift sei als religiöser Begriff zu werten, der mit dem politischen Terminus nichts als den Namen gemein habe. — Unabhängig von der Reichspolitik Karls spricht die Titulatur der Urkunden, vor allem die feierliche Benennung „Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum atque Langobardorum" M G H Cap. I. n. 45 (Divisio 806) eine andere Sprache. Imperium ist hier eindeutig ein politischer Begriff, der dem im rex Francorum und Langobardorum genannten Bereich, überlegen ist.

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imperium"1". Indem hier die Reichslenkung bestimmt von den Königsherrschaften abgesetzt ist (Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum), wird einmal die vor 800 existente Herrschaft und ihr Gebiet gegenüber einem offensichtlich weiteren Begriff (Romanum imperium) unterschieden, zum andern erhält in der Paarung Romanum imperium — rex Francorum (es heißt nicht: gubernans — regnum Francorum) „imperium" den Sinn eines überpersönlichen politischen Gebildes, während die Königstitulatur das personale Moment der Herrschaft zur Darstellung bringt. Die Ordinatio imperii des Sohnes (817) stellt über den Teilgebieten der reges die unitas imperii heraus, in der dem Kaiser die „maior potestas" zukommt1". Für den Urenkel Karls, Ludwig II., betont Anastasius gegenüber Byzanz die durch die päpstliche Salbung realisierte Überlieferung des nomen, der dignitas und der imperialis potestas Roms154. Eine Kaiserwürde, die derart in der Nachfolge Roms begriffen und trotz faktischer Beschränkung wie im Falle Ludwigs II. als Nachfolge manifestiert wird, kann in der Interpretation nicht auf eine Ebene mit den vereinzelt auftauchenden Kaisertitulaturen (England, Spanien) gebracht werden. Die letzteren bestätigen eine zweite Tradition des Wort- und Sachfeldes: imperium, die nicht auf das Romanum imperium zielt und nicht universal sein will; wird in dieser partikularen Bedeutung das Moment der höchsten Gewalt artikuliert, dann sind wir bei jener Linie, die schließlich im Prinzip des imperialen Königtums des „rex imperator in regno suo"155 endet. 152

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DK 197 (801): Karolus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericodiam Dei rex Francorum et Langobardorum. — P. Claßen, Romanum gubernans imperium, DA 9, 1952, S. 120 sieht in dem Titel, daß Karl den Anspruch auf das römische Reich aufnimmt. Ordinatio imperii, M G H Cap. I n. 136, S. 270: Sed quamvis haec admonitio devote ac fïdeliter fieret, nequaquam nobis nec his qui sanum sapiunt visum fuit, ut amore filiorum aut gratia unitas imperii a Deo nobis conservati divisione humana scinderetur, ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur et ofiensam illius in cuius potestate omnium iura regnorum consistunt incurreremus (vgl. hierzu auch Anm. 74: These Barions). — Lothar steht a . a . O . n. 5, S. 271 die major potestas zu: ut senior frater, quando ad eum aut unus ambo fratres sui cum donis, sicut praedictum est, venerint, sicut ei maior potestas Deo annuente fuerit adtributa, ita et ipse illos pio fraternoque amore largiori dono remuneret. — Das Motiv des scandalum in ecclesia durch politisches Zerwürfnis findet sich an wichtigen Stellen auch später: vgl. Heinrich IV, Reg. Erdmann n. 13. — Besonders der Traktat: De unitate ecclesiae conservanda, LdL II, 185 ff. — Friedrich I. nach Besançon, Rahewein, Gesta Friderici III, 13; de quibus, nisi Deus avertat, totum corpus ecclesie commaculari, unitatem scindit inter regnum et sacerdotium scisma fieri. — M G H Epp. 7, S. 389. — Chron. Salern. M G H SS. III, S. 523. A. Henggeier, Die Salbungen u. Krönungen des Königs und Kaisers Ludwigs II. 844, 850, 872 sucht nachzuweisen, daß Ludwig erst 872 gekrönt und 850 nur gesalbt wurde. Schnürer, Die Anfänge der abendl. Völkergemeinschaft S. 267 f verwertet die Darstellung seiner Schülerin. Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff S. 295 ff plädiert dafür, daß imperium im frühen Mittelalter nidit als Staatsterminus galt, der zur Verwendung für beliebige Reiche zur Verfügung gestanden hätte (S. 299), sondern daß man den Terminus weitgehend „als prägnanten Terminus zur Bezeichnung des römischen Reiches" betrachtete, des einzigen nodi bestehenden Reiches mit universalem Geltungsansprudi.

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Unter den Ottonen ist Otto I. selbst, in seinem Ansatz, mehr als nur imperialer Großkönig, das zeigt sein Einschwenken in die karolingische Tradition in Frankreich, in Italien, wo immer ihm mit der Kaiserwürde die Vertretung des westlichen Imperium gegenüber Byzanz zufällt. E r trägt „coronam, summam et universalem", wie es die Kanzlei Johannes' X I I . in der Urkunde für Magdeburg ausdrückt 154 . Otto III. bleibt singulär, aber angesichts der Überlieferung ist singulär so zu verstehen, daß er in seltener Konsequenz aus seinem Amt, dem römischen und stadtrömischen Erbe und seiner Erneuerung, der imperial-sacerdotalen Eintracht in Papst und Kaiser die Richtlinien seines H a n delns zieht 1 ". Die das engere Reichsgebiet übergreifende imperiale Stellung und Verantwortung ist auch in der Zeit nacli Otto III. lebendig. Heinrich II., dessen Reichspolitik wir schon streiften, ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil seine Regierung zunächst unter der eingrenzenden Formel der „Renovatio regni Francorum" beginnt (Königssiegel 1 0 0 3 — 1 0 0 7 ) , aber später im Einsatz für den status imperii, der die Christenheit umgreift und in sie hineinwirkt, endet. Ismael (Melus) läßt ihn auf seinem Geschenk, dem Sternenmantel: „O decus Euröpae, cesar Heinrice" apostrophieren 158 , das war aus der Sicht des gegen Byzanz aufständischen Führers von Bari gesprochen. Mit Europa ist ein Thema angeschlagen, das in Gestalt des „mundus" die Vorstellung von der menschlichen „Welt" in das politische Programm bringt 159 . Otto III. hatte in der

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Andrerseits konnte Imperium, wie schon im antiken Gebrauch, auch für neuerstandene Reiche verwendet werden. Ein solches Reich konnte auch ideologisch an die Stelle des römischen Reiches treten. — D a ß die renovatio Romani imperii unmittelbar aus der römischen, in Byzanz institutionell, in Rom-Italien lokal-ideell präsenten römischen T r a d i tion wächst und damit, teils real teils potentiell dieses Erbe repräsentiert, ergibt sich aus dem Erhebungsakt selbst, wie aus der späteren Selbstinterpretation und dem Selbstverständnis dieses Imperium. J L 3690 Johann X I I . für Magdeburg: U B Magdeburg 1, 41, n. 28. . . . — Vgl. hierzu: H . Keller, Das Kaisertum Ottos d. G r . im Schrifttum seiner Zeit, D A 21 (1965) S. 358. — Zu den süditalischen Verhältnissen vgl. Verf. R o m u. der Kirchenstaat, S. 49 ff. — Werner a. a. O. S. 8, Anm. 2 spricht von „Neigung zu einer neuen, bedeutenderen Auffassung am ottonischen H o f " . Meine Auffassung zum Verhältnis von O t t o I I I . und Gerbert-Silvester in den römischen Fragen habe ich in: R o m u. d. Kirchenstaat S. 37 ff und Beitrag 2, S. 144 zu D O I I I 389 dargelegt. D O I I I sucht die Rechtsverbindlichkeit weiterer Restitutionen aufgrund der alten Privilegien zu beseitigen und weitere Vergabungen als Akte kaiserlicher liberalitas auszugeben. Vgl. auch: W . K ö l m e l : Die Kaiserliche Herrschaft in Ravenna, H J 88, 1968, 273 ff. Schramm-Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, 1962, n. 150. — Beschreibung S. 1 6 3 : Inschrift am Rande des Sternenmantels: O decus Europae, cesar Heinrice, beare/augeat imperium tibi rex qui regnat in evum ( M G H Poet. Lat. V , 362). — Zu Ismael, vgl. Verf. R o m u. d. Kirchenstaat S. 56, 73 ff. — Der Begriff „mundus" bedarf für jene Zeit noch sehr detaillierter terminologischer und inhaltlicher Klärung. D a ß man gewisse Synodaltexte nicht einfach in Richtung einer Gleichsetzung von ecclesia-mundus interpretieren sollte, so verlockend eine solche Deutung sich anbietet, wird unten S. 83 f näher ausgeführt. — Mundus ist auch in diesen Texten der von den in der Kirche existenten Gewalten regierte Bereich, so daß sich die Ordnungsfolge ergibt: Ecclesia, in ihr die Gewalten, diese lenken die Welt. Erst wenn diese Folge beachtet wird, kann man die „Einbeziehung" der Welt in die Kirche in den Blick nehmen. Diese Einbeziehung ist aber keine ontische, sondern eine gubernative, bzw. eine instaurative.

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berühmten Schenkungsurkunde D 389, in der die päpstlichen Privilegien zugleich mit dem CC angegriffen wurden, Rom angesprochen: „Romam caput mundi profitemur", Konrad II. wählte später (1033) die Devise: „Roma caput mundi regit Orbis frena rotundi", der Sohn Heinrich wurde auf der Rückseite der Bulle „spes imperii" genannt160. Solche Aussagen, die zugleich im Zusammenhang der Geschidite des politischen Weltverständnisses zu interpretieren wären, mußten gegenüber Byzanz früher oder später die Frage der Führung im orbis Romanus wieder aufrollen, aber hier zeigt sich bis in Details der kaiserlichen Gewandung (Lorum), daß der Westen sich dem Osten gegenüber behaupten will 1 ". Denselben auf den „mundus" bezogenen Gedankengang verrät die vom Papst 1014 überreidite, vom Kreuz überragte Kugel (Reichsapfel), eine sinnvolle Anspielung auf das in ihrer weitergreifenden Verantwortung geeinte Paar: sacerdotium — imperium. Wenige Tage später erreichte Heinrich die Aufnahme des Credo in die Messe, ein die imperiale Position höchst markant illustrierender Vorgang. Das Wort Karls von der „intus catholica fidei agnitio" war symbolkräftig realisiert worden (vgl. S. 582). Unter Heinrich III. erreicht zeitweilig die Kaisermacht einen Höhepunkt, und wenn Sutri 1046, trotz seiner weltweiten Wirkung, sich zunächst als Maßnahme des ottonisdisalischen Kirchenregimentes ergibt und in diesem Rahmen zu sehen ist, so zeigten die Ubergabe des principatus: „in electione Semper ordinandi pontificis", die Resonanz im Abendland, daß hier Akte von universaler Bedeutung gesetzt wurden1". Leo IX. hat, mit Humbert, in dem programmatischen Briefwechsel mit Byzanz, der die Bedeutung der antiqua Roma herausstellt, jenes Bild der beiden Arme gebraucht, die den westlichen und östlichen Kaiser darstellen. Die

160 161

1,!

Zum Begriff: instaurativ vgl. unten S. 605 ff (instaurativ/restaurative Temporalität im Unterschied zu mundan-originärer Temporalität). Vgl. Schramm, Kaiserbilder I, S. 212. Das Lorum (rote Binde), von den byzantinischen Kaisern um den Hals und den linken Arm geschlungen, wird im Westen übernommen: Schramm, Herrschaftszeichen I, 26 ff. — Heinrich II. ist mit dem Lorum dargestellt: Schramm, Denkmale, S. 47 und Abb. n. 141. — Schramm formuliert a . a . O . S. 48: Heinrich (in seinem Ornat) setzte die karolingische Tradition fort, er trachtete darnach, hinter den byzantinischen Kaisern nicht zurückzustehen. Er knüpfte an die Antike an und griff in den hohepriesterlichen Bereich hinüber. Die Überreichung der vom Kreuz gekrönten Sphaira, Rodulf Glaber Chronicon I, c. 5, M G H SS 7, S. 59, ist vieldeutig genug, wie auch die Überlassung durch Heinrich an Cluny. — Die Überreichung trifft einmal die Vorstellung der in der Kirche existenten Herrschaft der persona sacerdotalis und regalis über den mundus. Sie weist ferner in sich darauf hin, daß die Bestallung zu dieser Funktion, was den Kaiser angeht, im Krönigsakt erfolgte. Legt man den letzteren Hinweis so dar, als ob dem Kaiser vom Papst der Erdkreis anvertraut werde, so ist das terminologisch und inhaltlich unvollständig ausgedrückt, denn das Anvertrauen des Erdkreises sieht so aus, als ob eine saekulare Herrschaft über den orbis als solche, das heißt kraft weltlichen Rechtes übergeben werde. Aus der Symbolik: Kreuz-Kugel kann jedoch nur das herausgelesen werden, was diese Symbolik zu sagen vermag. Nämlich Übergabe der Herrschaft in der Ordnung des durch das Kreuz symbolisierten Reiches Christi. Dieser Auftrag ist universal, wie die Sphaira, er muß es, räumlich gesehen, nicht sein. Kreuz und Kugel sagt nicht mehr als die gelasianische Formel, freilich dies in der Vieldeutigkeit dieser Formel sowohl dem Umfang wie der Intensität nach. Aufnahme des Credo in die Messe, PL 142 c. 1061.

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weltliche Ordnung des Westens gipfelt im Kaiser 1 ". Man kann dementsprechend die Stellung des Kaisers im politischen Bewußtsein der Epoche vor dem Investiturstreit als die eines unbestrittenen und auch unreflektierten Vorrangs ansehen; und wenn man weiterfährt, daß das Imperium nach 962 dem Papsttum aus dessen stadtrömischer Enge zu stärkerer universaler Wirkung hilft, dann braucht man dabei noch nicht Klinkenbergs These zu folgen, daß in den Ereignissen um 962 der Papst gar nicht als der von Christus gesetzte allgemeine Hirte gelte und daß das Rom des 10. Jahrhunderts den leoninischen Primatsgedanken nicht gekannt habe 1 ". Tatsächlich erweist die Papstgeschichte der Zeit auch ohne diese Deutung, wie der päpstliche Stuhl an der Zusammenarbeit mit den Kaisern gewinnt. Trotz aller äußeren Hegemonie des Reiches, hat Rom selbst diese Hilfe gespürt. Der Satz Thietmars v. Merseburg zur strittigen Papstwahl von 1012 und zur Reise Gregors, des Kandidaten der Opposition gegen den Tuskulaner Benedikt VIII., nach Deutschland: „Ab omnibus hiis sacerdotibus summis adventus regis admodum desideratur" (VI, 10) gilt zwar nur für die kaiserlich gesinnten Päpste, insbesondere der „letzten Zeit", sicher seit den letzten Jahren Johannes' XV. und dessen Vorgänger Johannes XIII. und Johannes XIV., er gilt dann aber auch für Benedikt VIII., während dessen Bruder Romanus — Johannes XIX., der ehemalige „Senator Romanorum", vielleicht einer betont nationalen Haltung anhing 1 ". Die Wandlungskräfte, die im Investiturstreit in Verbindung mit den ideellen, sozialen und politischen Veränderungen freiwerden und sich in Kirchenreform, rationalem Denken der Frühscholastik, Aufblühen des kanonischen und zivilen Rechtes, im Aufstieg unfreier Schichten in der Dienstmannschaft und den Städten, der zentral gelenkten Königsverwaltung im Westen, als Streben nach einem neuen Daseins- und Ordnungsverhältnis dartun, mußten auch das Imperium treffen. Noch mehr, an der Tatsache, daß ein gesamtchristliches Unternehmen vom Rang des ersten Kreuzzuges ohne imperiale Lenkung über die historische Szene ging, kann man ermessen, wie sehr das Abendland der 16,1

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185

Vgl. Verf. Rom u. d. Kirchenstaat, S. 110 ff. — Obwohl das Haupt nicht präzisiert ist, ergibt sich, daß im Bilde des corpus Christus gemeint ist. Der Körper ist die Kirche. Leo nennt sich zum Sdiluß des Schreibens: vicarius eorum (der Apostelfürsten). Die genaue organische Funktion des vicarius im corpus, dessen Arme gleichsam die Kaiser sind, war nicht genannt, aber einer (späteren) Deutung, daß der vicarius das Haupt vertritt, war nicht der Weg versperrt. H . M. Klinkenberg, Der römische Primat im 10. Jahrhundert, ZRG kan. Abt., 41, 1955, S. 1 ff. — bes. S. 51 ff zu den Vorgängen 962. Der Papst galt darnach gar nidit als der von Christus gesetzte universale Hirte; S. 56 im Rom des 10. Jahrhunderts sei der leoninisdie Primatsgedanke unbekannt gewesen. — Dieser leoninisdie Primatsgedanke ist nach Klinkenberg, Papsttum u. Reichskirche bei Leo d. Gr., ZRG 38, 1952, S. 37 ff. — S. 107 eine juristische Ausweitung des dogmatischen Grundgedankens des Primates in Form einer bis ins Kleinste ausgebauten Verfassung. Thietm. Chronicon VI, 101 (VII, 1); Rom, 44. — Zu den Päpsten deutschfreundlicher Haltung vgl. Verf. Rom u. d. Kirchenstaat S. 28 f (Johann XIII.), Benedikt VII., Johann XIV. S. 32, Johann X V . 33 f; nach den beiden vom Kaiser ins Amt gebrachten Päpsten, Gregor V. und Silvester II., wissen wir über die Zeit von 1002—1012 zu wenig. Der Abt Hugo von Farfa flieht in dieser Zeit zu Heinrich II. (Rom S. 45 f). Heinrich war nach 1004, der Krönung zum Langobardenkönig, in Rom erwartet worden.

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herrschaftlichen Teilgewalten zu eigenem Handeln fähig war und wie das Papsttum selbst zur unmittelbaren Führung dieser Welt bereit war. Das Imperium mußte sich in dieser neuen Situation nicht nur arrangieren, es mußte sich auch auf seine Grundlagen hin besinnen und seine Ziele erneut entscheiden. Vielleicht ist dieser Zug der Reflexion, der bewußten Formierung, der sich notgedrungen kontrovers in einer latent kontroversen Umgebung vollziehen mußte, ein erstes, wenn auch recht allgemeines und unbestimmtes Kennzeichen der imperialen Situation des 12. Jahrhunderts, von der her jedoch solche Maßnahmen, wie die Erneuerung des Kaiserrechtes in Form der regalía mit Hilfe der Bologneser Schule und des römischen Rechtes, die reformatio imperii Barbarossas, die Konzeption der Funktion des Reiches, die in der zuerst 1157 im Aufgebot zur Italienfahrt auftauchenden Formel des sacrum imperium und der diva res publica eine höchste Steigerung erfährt 1 ", ein aufschlußreiches Profil erhalten. Kontroverse Reflexion im Unterschied zur unbefangenen Gegebenheit der „Königsherrschaft in der Kirche", das ist ja ein Merkmal, das von der Klärung und Distinktion des Spiritualen und Temporalen her angefangen überhaupt die Lage des regnum und das Verhältnis von regnum und sacerdotium markiert. Für das Imperium enthielt diese veränderte Lage den Zwang, sich entsprechend zu orientieren. Zu orientieren einmal in einer Welt, deren geistliche und damit, bei der Konkordanz Kirche und Welt, auch geistige Führung das erneuerte Papsttum hatte. Kann der Kaiser, ohne den honor imperii zu verletzen, einer Konzeption des Imperium zustimmen, die Reich und Kaiser zuerst und hauptsächlich (principaliter) in der Aufgabe des „protector et defensor huius sanctae romanae ecclesiae" sieht? Die dabei ist, die rechtlichen Möglichkeiten, die sich aus der Promotion des Herrschers in die Defensorschaft ergeben, in die Stufen einer hierarchisch gefügten Welt zu übertragen? Vom Prozeß der kontroversen Reflexion und der neuen Orientierung in einer veränderten Zeit her stellt sich ferner jener Vorgang, den man gerne, im Hinblick auf die Trennung der Spiritualien und Temporalien, als Entsakralisierung des Königtums, Saekularisierung des politischen Bereiches und Klerikalisierung der Kirche kennzeichnet 1 ". Die hier aufgeworfenen Fragen weisen bereits mitten hinein in das Verständnis des regimen christianum selbst und können daher erst im Rahmen des Gesamtthemas beantwortet werden. Für den Augenblick sei nur jene Thematik berührt, die im Begriff der Saekularisierung anklingt. Wenn wir in ihm das ausklammern, was seit dem siècle des lumières ihn charakterisiert, die Trennung der Bereiche nämlich im Sinne einer auf den Widerspruch von Offenbarung und Wissen gegründeten Autonomie der humanen

1,7

M G H Con st. I, n. 160 (an Otto von Freising): Quia divina providente dementia Urbis et Orbis gubernacula tenemus, iuxta diversos eventus rerum et successiones temporum sacro imperio et divae rei publicae consulere debemus (1157). Honorius, De imagine mundi P L 172, 121 ff. E r sieht in I, c. 1 die figura mundi als einer „in perpetuo motu" befindlichen: in modum pilae rotundae Schöpfung. Sie ist im göttlichen Geist entworfen (concipitur), „quae conceptio ardietypus mundus dicitur. — Vinzenz von Beauvais, Spéculum naturale (Basel 1486) I, c. 3 nennt sein Werk: „spéculum vel imago mundi".

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Ordnung, ihn also in dem Rahmen der Weitsicht des 12. und 13. Jahrhunderts sehen, dann stehen wir vor jenem zentralen Denkmotiv, das im Begriff des ordo universi anklingt. Wie sind mundus, wie saeculum, die zeitliche Konkretisierung der Welt, als eine in sich ruhende und doch nach oben geöffnete Ganzheit zu fassen? Honorius Augustodunensis hat diese Thematik mit dem Dreierakkord der „imago mundi" angeschlagen und ihr den Namen gegeben, der bis in das spéculum maius des Vinzenz von Beauvais der Spekulation den Weg weist1®8. In den Summen des 13. Jahrhunderts, bei Thomas von Aquin vor allen, wird die imago mundi sich darstellen in dem in ihr liegenden, freilich auf den letzten Zweck gerichteten Selbstzweck, dem ordo universi (Sth. I, 103, 2 zu 3). Auf den ordo politicus übertragen, wird sich dann auch hier die Frage stellen, inwieweit in der Rangfolge der Formen und Entelechien die Einzelzwecke der regna im höheren Zweck eines universalen imperium, in dem sich der ordo universi widerspiegelt, ihre Erfüllung finden. Wir stehen damit bei der Problematik der späteren Reichsspekulation, bei Dante vor allem. Aber auch in der späten staufischen Spekulation ist diese metaphysische Ausweitung des imperialen Gedankens greifbar. Relativer Selbstzweck des ordo universi, bzw. einer universalen politischen Ordnung führt von selbst zu zwei weiteren Fragen, der nach der Eigenständigkeit des imperium gegenüber dem sacerdotium und der nach der Eigenständigkeit der regna selbst. Beide müssen sich in dem Maße verschärfen, in dem in einer fast antinomischen Bewegung einmal die Unterordnung des Kaisers und der potestas terrena unter die Kirche betont wird und zugleich von der weltlichen Seite her die innerweltliche Sicherheit wächst; ferner, indem in ähnlicher Gegenläufigkeit einerseits der universale Reichsgedanke zum zentralen Ordnungssystem durchdacht, andererseits die Selbständigkeit der regna und ihrer superiores entfaltet wird. Die staufische reformatio imperii, das Programm Barbarossas: „quatinus per studii nostri instantiam catholica ecclesia suae dignitatis privilegiis decoretur et Romani imperii in pristinum suae excellentiae robur Deo adiuvante reformetur" (Wahlanzeige, 1152, MGH Const. I, n. 137) ist unverkennbar, wenn auch in den Formen der Maditbehauptung konservativ, als Antwort auf die Bedingungen einer sich wandelnden Welt geprägt. Auf dem Fundament eines starken Königslandes und einer Reichsministerialität (Bosl), einer sicheren Herrschaft in Italien und Burgund, wird das Königrecht zurückgeholt und gesteigert, gegen die italienischen Kommunen und die Kurie. Die Steigerung der herrscherlichen Macht ist im Weg von Roncaglia zu den Konstitutionen von Melfi deutlich sichtbar. Deutlich werden freilich auch die Grenzen der imperialen Herrschaft in den Konzessionen Friedrichs II. an die Landesherren. Die Eigenständigkeit der freien kaiserlichen Krone erscheint im Notenkrieg nach Besançon : „Liberam imperii nostri coronam divino tantum beneficio ascribimus; electio1,8

Zu Entsakralisierung des Herrscheramtes: Mayer-Pfannholz, Die Wende von Canossa, Hodiland 30, 1933, S. 402 ff. — H . Hirsch, Das Recht der Königserhebung durch Kaiser u. Papst S. 221 f. — F. Kempf, Innozenz III. S. 63 (die kirchlichen Reformer begannen, das Kaiser- und Königtum weitgehend zu entsakralisieren). — K. Bosl, Das Hochmittelalter in der deutschen u. europ. Geschichte, Frühformen S. 388 f. — F. Heer, Die Tragödie des H L Reiches baut auf dem Zerbrechen der alten Sakralordnung seine Darstellung auf.

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nis primam vocem Maguntino archiepiscopo, deinde quod superest caeteris secundum ordinem principibus recognoscimus; regalem unctionem Coloniensi, supremam vero quae imperialis est summo pontifici; quidquid praeter haec est, ex habundanti est, a malo est" ( M G H Const. I n. 167). Die universale Überlegenheit wird gegenüber den „reguli" betont herausgestellt 169 . In der Constitutio regni Austriae Friedrichs II. wird schließlich die kaiserliche Gewalt als Lichtmitte der übrigen Herrschaften proklamiert: „De fulgore throni cesarei, velut ex sole radii, sie cetere prodeunt dignitates, ut prime lucis integritas minorati luminis non sentiat detrimenta" ( M G H Const. II n. 261). Wiederum in merkwürdigem Kontrast, diesmal zur politischen Bedrängnis des gebannten Kaisers. Die kunstvolle Diktion verhüllt nur schwer die wirkliche Lage, die „prime lucis integritas" mußte sehr wohl die „minorati luminis detrimenta" in späterer Zeit noch erfahren. Die Constitutio samt der Erhebung Österreichs zum Königtum blieben Entwurf, das in der Majestätsarenga sich ankündende Kaiserrecht konnte sich nicht realisieren 170 , wie überhaupt auch in Augenblicken weitgespannter Lehenshoheiten das staufische Imperium weit entfernt von universaler Herrschaft blieb. Es hat jedoch die universale Potenz des Reichsgedankens und der Reichswirklichkeit in einer Weise dargetan, daß in seiner Zeit die universalen Anliegen, jetzt auch die Kreuzzüge, gerade mit ihm verbunden waren. Die an das Kaisertum sich anknüpfende Endzeiterwartung des 12. und 13. Jahrhunderts kam nicht von ungefähr. Als Träger der höchsten herrschaftlichen Gewalt im Abendland stand das Kaisertum in der Mitte der geschichtlichen Erwartung, in diesem Sinn hatten der Ligurinus und Gottfried von Viterbo mehr ausgesagt als nur bezahlte Tagesware 171 . Die Resonanz auf die Versöhnung Barbarossas mit dem Papst, auf die Absetzung seines Enkels in Lyon bezeugen in ihrer Weise diese universale Geltung, gewiß, wie schon früher angedeutet wurde, eine auch in der politischen Diskussion keineswegs unbestrittene Geltung. Wir begegneten schon einigen Kanonisten, die den imperialen Universalismus ablehnten (vgl. oben S. 50 f). Als Beispiel sei der Engländer Alanus zitiert, der an einer viel beachteten Stelle, in der er über den Papst als „iudex Ordinarius quoad spiritualia et quoad temporalia" spricht und ein beschränktes Absetzungsrecht gegenüber dem Kaiser (bei Haeresie, Simonie, dauernder Zwietracht und ähnlichem) vertritt, weiterfährt: „ E t quod dictum est de imperatore, dictum habeatur de quolibet rege vel principe qui nulli subest. Unusquisque enim tantum iuris habet in regno suo, quantum imperator in imK . Bosl, D i e Reichsministerialität der Salier und S t a u f e r I. und I I . — Ders. D a s Hochmittelalter in d. dt. Gesch., i n : F r ü h f o r m e n S. 394 f ; R a u m o r d n u n g im A u f b a u des mittelalterl. Staates, F r ü h f o r m e n S. 373 f. — Z u m Problem der reguli: H . J . K i r f e l , Weltherrsdiaftsidee und Bündnispolitik bes. S. 62 ff. — S. 212 f verneint er die Möglichkeit einer eindeutigen Definition des K a i s e r t u m s . Weltherrschaftsgedanke und S o u v e r ä n i t ä t der K ö n i g e stünden in staufischer Zeit unvermittelt nebeneinander. 170

171

Vgl. hierzu H . Hirsch, D a s Recht der Königserhebung durch K a i s e r u. P a p s t (Sonderdruck) S. 22 ff. — G . L a d n e r in M I O E G , E r g . B a n d 12. S. 144 f. Werner a . a . O . S. 5 4 : Mit B e r u f u n g auf Heinrich I V . (Reg. E r d m a n n n. 39) „etsi omnis t e r r a . . . regni mei terminus esset", der die Fähigkeit politischen R e a l i s m u s ' in einem besseren Lichte erscheinen lasse: „als es die rhetorischen Ergüsse höfischer Literaten tun, die als das zu nehmen sind, w a s sie waren, billige bezahlte T a g e s w ä r e " .

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perio. Divisio enim regnorum de jure gentium a papa approbatur, licet antiquo jure gentium imperator unus in orbe esse deberet" 172 . Die vom Papst approbierte divisio regnorum bezieht sich, wie ein Vergleich mit den übrigen Kanonisten ergibt, auf die Dekretalen Novit und Per venerabilem. Mochi Onory hat aus diesen Stimmen die These entwickelt, daß die Kanonistik am Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts vor allem, also mit Schwerpunkt im Pontifikat Innozenz' III., juristisch dieselben Probleme diskutierte, die sich der kirchlichen Führung des religiösen und politischen Lebens der Christenheit stellten, mit dem Ergebnis, daß das noch im Dekret Gratians enthaltene Prinzip des „unus imperator in orbe" „unheilbar zerbrochen wurde" (Huguccio zu 12 Dist. I und 2.II, q. 6,3: Scitote; C. VII, q. 1,45)173. Statt dessen erhebe sich aus der Diskussion das Bild des „rex qui nulli subest", an die Stelle der Einheit des Imperium trete die divisio regnorum. Damit ist die Kritik des imperialen Universalismus 174 verbunden mit der spekulativen Ausbildung der Souveränität und des modernen Staates. Dagegen steht die Deutung Calassos, daß Kanonisten und Legisten mit der Kirche die imperiale Ordnung verteidigten; die Konsistorialansprache Bonifaz' VIII. an die Gesandten Albrechts I. (1303) mit dem Satz „promovendus in imperatorem et monarcham omnium regum et principum terrenorum" (MGH, Const. IV, n. 173), ist ihm Beweis, daß nodi am Anfang des X I V . Jahrhunderts die universale imperiale Ordnung ihre ursprüngliche Form im politischen Bewußtsein der Kirche bewahrte17®. Catalano unterstreicht diese Ansicht für Huguccio, der dem Prinzip des unus imperator treu bleibe17'. Die kanonistischen Aussagen bestätigen die Thesen Mochi Onorys darin, daß in der Kanonistik der Jahrhundertwende eine Strömung zu Wort kommt, die das Reich mit dem faktischen Reichsgebiet identifiziert. Greifbar bei Richard Anglicus, Vincentius Hispanus und Alanus. Richard sagt zu c. 7 X . IV. 17 v. regi possessionum: „exercitus eligit imperatorem, pari ratione et regem, ut X C I I I . Legimus. Item cum uterque tarn imperator quam rex eadem auctoritate, 172 175

174 17ä

F. v. Schulte, Literaturgeschichte der Comp. SB Wien 1870, 66, S. 89 f. Mochi-Onory, Fonti canonistiche bes. S. 252 ff. — S. 287: „II principio fondamentale unus imperator in orbe ne uscì irrimediabilmente spezzato". — Huguccio, Texte bei G. C a t a lano, Impero, Regni e Sacerdozio. S. 62 (D I c. 12): in eos solos: et qui subsunt romano imperio nam hoc soli romani et qui subsunt romano imperio astringuntur. sed quid de francis et anglicis et aliis ultra montanis, numquid ligantur legibus romanis et tenentur vivere secundum eas? responde utique, quia subsunt vel subesse debent romano imperio, nam unus imperator in orbe, ut VII. q. 1 in apibus. S. 69 (2 C VI, 3, 2): Scitote (Scitote) v. unum regem: hic alibi appellatur iudex, ut VII. q. 1 in apibus videtur quod qualibet provincia debet habere suum regem, set imperator non debet esse nisi unus qui omnes reges debet preesse. — S. 75: C VII, 1, 41: imperator unus: debet esse hoc generale est et revelare causaliter tantum, quam aliter fit et forte male, ut. di X X I nunc autem. quid ergo de greculo? abusive et sola usurpatione dicitur imperator, solus enim romanus dicitur iure imperator, sub quo omnes reges debent esse, quicquid sit. Modii-Onory, a. a. O. S. 4, 174, 191 f, 287. Calasso, I glossatori e la teoria della sovranità, S. 82 f. — D a z u Catalano op. cit. S. 10. G. Catalano, Impero, regni e Sacerdozio nel pensiero di Uguccio da Pisa, 1959, S. 15 ff. — Die Überzeugung Huguccios von der Einheit der respublica Christiana führt ihn zum Verfechten der imperialen Ordnung. Sie könne in ihrer Krise allerdings nur „ratione pontificis" (S. 58) aufrecht erhalten werden. —

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eadem consecratione, eodem crismate inungitur, unde ergo potestatis diversitas?" — Vincentius meint zu Per venerabilem (IV, 17,13) v. recognoscat: „v. quum rex ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat: De facto. Jo. Immo de iure. S. de iudit. Novit 1'. e". Während Jo(hannes Galensis) den Papst nur im Sinne einer de facto Anerkennung interpretiert, sieht er darin eine de iure Bestätigung — Alanus wurde bereits (S. 61) angeführt. — Inwieweit Innozenz in Per venerabilem und Novit bewußt kanonistischen Ansichten entgegenkommt — es könnte nur die bei Richard Anglicus erscheinende Richtung sein, der nach F. Gillmann zwisdien 1191 und 1198 schreibt1" — bleibe dahingestellt. Mochi, der Huguccio in ähnlicher Tendenz interpretiert, nimmt es mit Sicherheit an178. Sicher ist, daß seine Dekretalen den Kanonisten Material liefern, wie Vincentius und Alanus zeigen. Innozenz spricht nur von „recognoscat", das klingt nach faktischer Feststellung, und so interpretiert ihn auch Johannes Galensis1". Bei Vincentius und Alanus wird 177

Zu Richard vgl.: F. Gillmann, Richard Anglicus, AKK, 107, 1927, S. 626; darnach Mochi-Onory S. 68, 238. — Vincentius Hispanus, Gillmann, Johannes Galensis als Glossator AKK 105, 1925, S. 513; darnach Mochi-Onory S. 282. — Eine gesonderte Bedeutung kommt auch Bernhardus Compostellanus und Laurentius Hispanus zu. Bernhardus Compostellanus erkennt zunächst nur den byzantinischen Kaiser als den wahren Kaiser an, lehnt also grundsätzlich nicht das universale Kaisertum ab. Zu Bernhard vgl. die Anm. 139 zitierte Stelle. — Laurentius Hispanus bringt in einer Glosse, die von G. Post, Some unpublished notes AKK 117, 1937 dem Galensis „S. 416", von Gillmann, Tankreds oder Laurentius Hispanus' früherer Apparat AKK 120, 1940, S. 204 dem Laurentius zugeschrieben wird, also umstritten ist, das regimen der Theutonici als reine Defensofschaft: Advocatus talis defensor intelligitur non patronus. Sed similis est ei tutori (zu v. favere c. 34 X I, 6). In der Glosse zu v. Grecis c. 34 X, I, 6 ebda, heißt es: „Et ita videtur, quod Romanus imperator sit verus imperator, non Constantinopolitanus. Quare ergo scribit ei papa tamquam imperatori, infra de maior. et obed. c. 2? Largo vocabulo quilibet potest dici imperator, qui habet quibus imperat. Unde quicumque est approbatus ab ecclesia, sive rex sive imperator, et est catholicus, eum credo imperatorem vel regem. Extra eccclesiam nullum credo imperatorem, qui habet de iure gladium materialem, qui a Deo processit, ar. X I V q. 5 „Nec enim". Unde credo quod Constantinus primo fuit verus imperator Rome; unde dico, quod post conversionem peccaret, si quos compelleret invitos sibi obtemperare vel obsequi nisi in eos, qui in eum primum consentirent. Nec credo Romanos potuisse ius imperii prescripsisse, sicut nec poterat Nemroth, de quo supra D VI in fine. Nec dico istos gladios equales; nam materialis recurrit ad spiritualem in casu pro iure reddendo, ut spiritualis invocat materialem tamquam ministrum suum pro facto quandoque supplendo (F. Gillmann, Des Laurentius Hispanus Apparat zur Compilatio III, S. 128). — Diese interessante Stelle, die zugleich den römischen Kaiser als den wahren Kaiser anerkennt und auch allen andern, die ein „imperium" ausüben (quibus imperat) und die katholisch sind, den Titel imperator zugesteht, bringt neben dem spanischen Standpunkt (vgl. oben S. 50) als neues Denkmotiv das vom wahren Kaiser in der Kirdie. Ihm schließt sich die Behauptung an, daß Konstantin der erste wahre Kaiser gewesen sei. Diese Argumentation wird später, vor allem seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, seit dem Hostiensis und Innozenz IV. (Eger cui levia) eine widitige Rolle spielen.

Mochi-Onory, S. 272: Sta di fatto, die la Per venerabilem assorbì elementi vitali dalla scienza canonistica contemporanea. Sta di fatto, die sull'attività normativa di Innocenzo III agì il pensiero del maestro bolognese. 17» p e r venerabilem (IV, 17, 13); Insuper quum rex ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat. — Zu Joh. Galensi: F. Gillmann, Johannes Galensis Apparat, AKK 118, 1938, S. 199: tantum. Set hoc de facto est. Quod de iure subest ei in utroque utpote habenti 178

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daraus eine Approbation, bzw. de iure Anerkennung der Unabhängigkeit der regna. Daneben ist jedoch von Huguccio her eine Anerkennung der universalen Position des Imperiums zu verfolgen. Huguccio erklärt zu C. V I q. 3,2 Scitote v. unum regem: „videtur quod qualibet provincia debet habere suum regem, set imperator non debet nisi unus qui omnes reges debet preesse" 180 . Johannes Teutonicus formuliert sehr entschieden zu Venerabilem (c. 34 X L, 6) also zur Translationslehre Innozenz' I I I . : „Sic enim regimen mundi translatum est ad Theutonicos; nam habent regimen Romane ecclesie . . . Et sie patet quod imperium non est apud Grecos, licet largo nomine appellaretur imperator, ut infra de maio.et obe. „Solite", sicut rex scaccorum dicitur rex; quoniam extra ecclesiam non est imperium, ut X X I V . q. 1 „Set illud". Est autem imperator ille super omnes reges, ut V I I q. 1 „In apibus" (c. 4 1 : imperator unus), et omnes nationes sub eo, ut X I q. 1 „Hec si quis, Volumus (diet. Grat. p. c. 36, c. 37). Ipse enim est prineeps mundi et dominus, ut ff. ad 1. „Rodiam deprecatio (D. 14, 2,9). Etiam iudei sub eo sunt, C. de iudeis, Judei (1, 9, 8), et omnes Provincie ut L X I I I D „Adrianus". Anschließend an Adrianus ist in dieser von Tancred überlieferten Glosse, nach Gillmann 181 , einzufügen: „nisi aliquis se doceat exemptum, ut X X I I I q. 8 „Econtra" nec aliquis regum potuit prescrib e s exemptionem, cum non habeat in hoc locum prescriptio. infra de prescr. „Cum ex officii; (c. 6 II, 17) nec aliquod regnum potuit exemi ab imperio, quia illud esset aeephalum, ut X X I D. „Submittitur" (c. 8), et esset monstrum sine capite, immo dieimus: De capite non dabunt imperatori tributum, nisi in hoc sint exempti, ff. de censibus (D. 50, 15) 1. ult. Omnia enim sunt in potestate imperatoris, X X I I I q. 8 „Convenior" (c. 21). Fatemur ergo quod Theutonici promeruerunt virtutibus imperium, ut X I X q. 2 „Ex his". Das war sehr klar gegen die dissidentische Richtung der Richard Anglicus, Vincentius Hispanus und Alanus gesagt. Tankred scheint dem Teutonicus zuzustimmen, wenn er ohne weiteren Einwand ihn mit dem Satz: „De iure tarnen subest ro(mano) imperio" (Zu Venerabilem) zitiert 182 . In der Mitte des Jahrhunderts nennt der Hostiensis182 in seiner Summe zum Thema der Legitimation durch den Papst, dem er übrigens die potestas legitimandi quoad spiritualia et temporalia zuspricht, den Kaiser: „dominus omnium temporalium", und zum Kaiserrecht heißt es: „Ipse est dominus mundi et omnes nationes sub eo sunt"18®.

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terreni et celestis claves imperii. Darnach Modii-Onory S. 278. Vgl. audi F. Kempf, Papsttum u. Kaisertum bei Innozenz III. S. 268 f. G. Catalano, Impero, regni, S. 69. Johannes Teutonicus bei G. Post, Some notes, A K K 117, 1937, S. 407. — Zu: Adrianus: Gillmann, A K K , 120, 1940, S. 205, Anm. 6 (206) — excepto regimine Hispanie wäre interpoliert, so daß die Folgerungen Modiis S. 280 entfielen. G. Post a. a. O. Tankred; Gillmann, Joh. Galensis als Glossator A K K 105, 1925, S. 514 n. 2 : v. quum rex ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat; De facto la (urentius). De iure tarnen subest ro (mano) imperio VII. q. 1. . . . Venerabilem. L'e. J o (hannes). Hostiensis, Summa super titulis decr. (Venedig 1480) zu 2, IV, 3, 1 7 : (qui filii legitimi). Freilich schränkt der Hostiensis diese Bemerkung im Verhältnis zum Papst ein. Der Kaiser, obwohl Herr omnium temporalium, non t a r n e n . . . Privilegium concedere in preiudicium alterius (des Papstes). Vgl. dazu unten: Der Papst hat für den Hostiensis die

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Die Determinatio compendiosa sieht das Imperium ganz in der Tradition der Danielschen Reichsvision und der Translationslehre; mit der Ankunft Christi geht die vierte monarchia mundi: „ad verum dominum, qui contulerat, scilicet Christum, cuius vices summus pontifex gerit"184. Konstantin wird dann dem Papst in Anerkennung dieses Tatbestandes seine Herrschaft überlassen, der die Translation „a Grecis ad Germanos" vornimmt. Damit stehen wir im imperialen Universalismus der kurialen Sicht, wie sie der von Calasso und Catalano gegen Modii Onory zitierte Bonifaz auf höchster Ebene anwendet (vgl. S. 62). Daß hier die temporale Jurisdiktion in Form der spiritual-temporalen Vollgewalt dem Papst zugesprochen wird und so das Imperium nicht im Kaiser sondern im Papst endet, ein „enden", das freilich noch möglich genau zu bestimmen ist, bedeutet keineswegs eine de iure Anerkennung der Formel „rex qui nulli subest." Das bemerkte schon der Galensis, wenn er zu dem Satz: „quum rex ipse in spiritualibus nobis subiaceat" bemerkt: „Tantum. Set hoc de facto est. Quod de iure subest ei in utroque, utpote habenti terreni et celestis claves imperii, XXII. (di) c. l 18t . Die Verbindung kaiserlicher Hoheit mit dem Universalismus des Papsttums mußte, ideell gesehen, der dem Imperium aus seiner eigenen Herkunft gegebenen universalen Bedeutung eine neue Weite und innere Bestimmtheit geben. Die monarchia, das dominium mundi, gewann Weite in dem Maß, in dem sich der universale Anspruch des vicarius Christi auf die Menschheit selbst bezog, sie gewann Bestimmtheit in dem Maß, in dem sie sich von dem herleitete, der die „terreni et celestis claves imperii" innehatte. Andererseits befruchtete die universale Konzeption des imperium Romanum auch das sacerdotium, wie die Geschichte der imitatio imperii eindringlich lehrt. Es ist eine geschichtliche Tatsache und eine geschichtliche Last zugleich, daß in einer bestimmten Epoche das päpstliche Ringen um universale Geltung in dieser Verbindung mit der universal-imperialen Konzeption sich vollzog, der Durchbruch unter Gregor VII., die glanzvolle Höhe unter Innozenz III., die letzte Unbedingtheit unter Bonifaz VIII. bringen das markant zur Anschauung. Daß die universale Konzeption des Imperium diese innere Kraft besaß, daß sie stark und undurchdringlich genug war, um einer Diskussion vom Range dieser Kontroverse Material zu bieten und in ihr zu bestehen, ohne sich aufzulösen, das enthüllt dodi die in ihr liegenden Potenzen. Die entscheidende Ausweitung der Kontroverse in ihrer letzten Phase in umfassende und äußerste Positionen war nur möglich, wenn und weil in der imperialen und sacerdotalen Konzeption Ordnungsvorstellungen universalen

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Legitimatio per rescriptum principis: quo ad spiritualia et temporalia et ipsum solum (per venerab.), cum enim causa matrimonialis spiritualiter pertineat ad ecclesiam adeo quod saecularis iudex de ipso cognoscere non potest, etiam si inciderit, nec de legitima filiatione (a. a. O.). Determinatio compendiosa (MGH Fontes iuris antiqui Germanici I) c. 25, S. 49. — c. 11, S. 26: Tunc autem translatum est imperium a Grecis ad Germanos, ut decretalis dicit Extra de electione c. Venerabilem (c. 34 X , I, 6) ubi glossa ordinaria dicit, quod extunc defecit imperium Constantinopolitanum, ut non proprie ulterius imperium dici possit. vgl. Anm. 179. —

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Ausmaßes bereit lagen. Daß sie in der Folgerichtigkeit juristischen, theologischen und politischen Denkens zusammenstießen, macht ihre Größe und Dramatik aus und verleiht ihr einen geschichtlichen Wert, den man als einzigartig bezeichnen kann, sofern man willens ist, nicht bei der Frage: Wer hatte recht? stehen zu bleiben. Diese Voraussetzungen geben dem politischen Werk und Denken, den Gestalten eines Innozenz III., Friedrich II., Bonifaz VIII., Dante, Ockham ihr die geschichtliche Beschränktheit sprengendes weltweites Profil. Somit, das kann jetzt schon gesagt werden, bedeutet Imperium für das Verständnis von regnum und sacerdotium mehr als nur seine Existenz und seine Ansprüche als territoriale Macht in Italien (vgl. S. 49). Es ist seinem Wesen nach mehr als regnum und birgt Fragen, die im Sach- und Ideenbereich des regnum nicht gegeben waren. Das wird vielleicht noch deutlicher, wenn wir das Gesagte noch einmal in einen Überblick nehmen. Das Bild, das uns das imperium Romanum bietet, ist weder das einer Universalherrschaft und eines Universalreiches auf dem Weg zum dominium mundi, noch ein imperiales Großkönigtum unter gleichgestellten regna in einer pluralistischen Welt selbständiger Gebilde mit dem einzigen Vorzug der Repräsentanz f ü r die andern, nicht über den andern. Beide Perspektiven interpretieren im Sinne einer fertigen Gleichförmigkeit. Das Imperium ist seiner Wirklichkeit und seinem ideellen Gehalt nach ein zugleich statisches und dynamisches Gebilde, eine lebendige Einheit im Wandel der politischen Struktur. Seine Universalität hat verschiedene Wurzeln und Zielsetzungen. Als römisches Reich, als politische Einheit des christlichen Westens und vielleicht des ganzen orbis christianus, als germanisches Großreich. Man tut gut daran, mehrere Aspekte einzusetzen, um der schwer zu fassenden Realität einer Ordnung gerecht zu werden, in der, wie in keinem anderen geschichtlichen Gebilde faktische Macht und ideelle Möglichkeit zueinander zu bringen sind, das einmal als Reich, im nächsten, oder vielleicht im gleichen Augenblick, als Reichsidee sich darstellt: Den Aspekt des universalen Wesens und der wechselnden Gestalt, der schon genannten Uberlieferungen, der weltlichen und geistlichen Komponente des Kaiseramtes, der machtpolitischen und ideellen Bedeutung, der Geltung und Resonanz innerhalb des politischen Bewußtseins. Die geschichtliche Entfaltung betrifft nicht nur die äußeren Bedingungen und die wechselnde Gestalt, sondern auch den Kern selbst. Auch er enthält, um einen glücklichen Ausdruck, den Th. W. Adorno in anderm Zusammenhang prägte, einen,,Zeitkern", der sich im jeweiligen politischen Bewußtsein ausformt 18 '. Wir können diese Ausformung verfolgen an der Universalität des Imperium selbst, als Fortsetzung des Römerreiches, als faktische Großmacht, als Führung der Christenheit, als metaphysisch begründete Ordnungseinheit, als weltlicher Arm der Kirche. Am Selbstverständnis des Imperium in der Zeit der hegemonialen Überlegenheit gegenüber der Kirche und der kontroversen Reflexion, samt ihren Versuchen, dem Imperium Geltung zu verschaffen, in der Stauferzeit also, läßt sich die Existenz und Wirkung dieses „Zeitkerns" ablesen. 18e

Th. W. Adorno, Über die Bildung eines zeitgenössischen Bewußtseins, Akzente, 12, 1965, S. 487 ff.

IV. Das Imperium

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Was das Imperium so eigenartig macht, ist die Tatsache, daß es sozusagen in verschiedenen Schichten und verschiedenen Struktur- und Konstitutionsebenen existiert. Es ist Herrschaftsgebiet, wenigstens drei regna umfassend (seit 962 Deutschland und langobardisches Italien, später Burgund); seine Konstitution als Imperium ist aber noch nidit mit diesem Gebiet gegeben, es bedarf dazu der Promotion eines Herrschers durch den Papst in Rom; 800 und 962 werden römisches Kaisertum und römisches Reich erneuert. Die Konstituierung von Kaiser und Reich vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen; der königlichen Herrschaft über Land und Volk, sie bildet die Voraussetzung für die Kandidatur zum Kaiser und bleibt die materielle Grundlage der kaiserlichen Herrschaft; dann auf der Ebene der Erhebung durch den Papst und der aus ihr folgenden Anerkennung durch die abendländische Welt. Die von Werner für Frankreich beigebrachten Zeugnisse machen evident, wie die Anerkennung des Kaisers an seine Stellung in der Kirche und sein gutes Verhältnis zu Rom gebunden ist187. Die rechtlich konstituierende Verbindung von Königsherrschaft und Erhebung zum Kaiser stellt die anerkannte Gewohnheit dar, daß der deutsche König nach 962 zum promovendus (electus) in imperatorem wird, die Titulatur rex Romanorum bringt das seit dem 12. Jahrhundert zum Ausdruck. Die Promotion durch den Papst gibt Kaiser und Reich eine die Königsherrschaft übersteigende Aufgabe, die Defensorschaft der Kirche, die Sorge für das Wohl des orbis christianus. Höhepunkte der kaiserlichen Herrschaft unter den Ottonen zeigen besonders deutlich, wie das Imperium als Verantwortung für ein größeres Ganze empfunden wird, der status imperii deckt sich mit dem Wohl der Christenheit (vgl. S. 50ff). Hier wird die geistig-geistliche Struktur des Imperium sichtbar, seine Existenz ist verbunden mit dieser Funktion in der Kirche und an der Kirche. Sieht man auf die materielle Grundlage des Imperium, die Königsherrschaft, dann ist strukturanalytisch gesehen das Reich als diese königliche Herrschaft existent. Man kann dies besonders markant an kaiserlosen Zeiten verfolgen, unter Konrad III. und nach dem Interregnum bis Heinrich VII., wobei die kaisergleidie Stellung des rex Romanorum (Konrad III.) die entscheidende Funktion der Königsherrschaft dartut. Die herrschaftliche Struktur des Imperium selbst fügt den Königsrechten nur wenig hinzu, neben den Kaiserrechten in Italien, die bereits der promovendus ausüben kann, die schon genannten kaiserlichen Reservate (vgl. S. 50). Es gibt kein eigenes „Reichsvolk", kein eigenes „Reichsland", und kann sie auch nicht geben, keine nennenswerten imperialen Einrichtungen und entsprechende Amtsinhaber. Die Ansätze unter Otto III. bleiben ephemer, 187



Werner a . a . O . S. 26 f zu Heinrich I I I ; S. 32 f zur Kritik am Einfluß des Kaisers über das Papsttum; S. 35 zur Auswirkung des „Pravilegium" von 1111; S. 38 ff Angriffe gegen die Kirchenpolitik der Staufer; S. 43: D a s hochmittelalterliche Kaisertum wurde also im 10. und 11. Jahrhundert in Frankreich an seinen Leistungen für die Kirche gemessen, im 12. wenigstens also ganz überwiegend mit „geistlichem" Maßstab, — was ja so ganz abwegig nicht war. (W. verweist im folgenden auf den Zynismus, die Kaiserrechte aus geistlicher oder gar göttlicher Quelle herzuleiten, gleichzeitig jedoch eine möglichst ungeistliche Politik zu begrüßen. — Nach Th. Sdiieffer, Heinrich II. und Konrad II. D A 8, 1951, S. 429 f).

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IV. Das Imperium

erst die späteren Reichsvikariate etwa, vor allem das Reichsvikariat in Italien, zeigen, daß das Reich fähig ist, eigene Organe zu bilden. Im übrigen ruht das Schwergewicht der Struktur des Imperium in Elementen des geschichtlichen, politischen und religiösen Bewußtseins, und zwar in all denen, die in den regna selbst auf eine höhere Einheit verweisen und derselben angehören. Der Tradition des imperium Romanum zuerst, dem Bedürfnis, einer politisch gemeinsam geordneten Welt anzugehören, der Zusammengehörigkeit der Christenheit des Westens. Im Kaiser haben diese Wünsche und dieses Bewußtsein ihre höchste Vertretung, er hat die Defensorsdiaft der Kirche. Uber der materiell herrschaftlichen Struktur, die überwiegend mit der Königsherrschaft selbst zusammenfällt, wölbt sich die geistig-geistliche Struktur einer Ordnungseinheit des politischen Bewußtseins, die sich nicht in rechtlichen und herrschaftlichen Kategorien erschöpft. Die Realisierung dieser Struktur ist angewiesen auf das J a zur Zusammengehörigkeit, man kann dieses J a als ein Gesetz des Anfangs bezeichnen, auch wenn es häufig nicht befolgt wurde. Es bedeutet Zusammenarbeit, wie es die Teilungsakte von 806 und 817 lapidar feststellen. Die Brüder sollen: „pacem atque caritatem cum fratre custodire", es werden die Pässe über die Alpen gewiesen: „ita ut Karolus et Hludowicus viam habere possint in Italiam ad auxilium ferendum fratri suo" (806; M G H Cap. I n. 45). Sie sollen jährlich zusammenkommen „de his quae necessaria sunt et quae ad communem utilitatem vel ad perpetuam pacem pertinent mutuo fraterno amore tractandi gratia ad seniorem fratrem cum donis suis veniant" ( M G H Cap. I n. 136, zu 817). Das ist zwar in der Sprache des regal-imperialen Familienverbandes gesagt, trotzdem kündigen sich in ihm die funktionalen Bedingungen an, denen das Imperium überantwortet war. Pax und amor (caritas) als Regeln des Verhaltens aktualisieren die unitas imperii. Damit sind wir im Zentrum mittelalterlichen Ordnungsverständnisses angelangt. Stärker als die regna war gerade das Reichsdenken auf solche Verhaltenskategorien angewiesen. Das bedeutet aber zugleich, daß im Imperium die mittelalterliche Ordnung in einer Intensität heransteht, die keinem anderen Gebilde beschieden war. Was nicht ausschließt, daß eben diese Ordnung zugleich plural verfaßt ist und sich zugleich plural versteht. Mit dem Begriff „Intensität" ist dieser Ambivalenz und diesem Dualaspekt Raum gelassen, und sind zugleich die Akzente gesetzt.

V. Imperium und Regnum als regimen christianum Begegnung der politischen Gewalt mit dem Christentum. — Verchristlichung des Herrsdieramtes nach Konstantin. — Ministerium des Herrschers. — Der Beitrag von Kirche und Theologie zur Konzeption des Herrsdieramtes. — Die Erhebung des Pippin. — Die Krönung 800 im gegenwärtigen geschichtlichen Verständnis. — Die Stellung des Kaisers im corpus christianum. — D a s Verhältnis zur ecclesia. — Der Herrscher „intra ecclesiam". — Die Zeit nach Karls Tod.

Kirche und Christentum begegnen der politischen Gewalt in der Form des vasallitischen jüdischen Gebietskönigtums und des Imperium selbst. Im jüdischen Königtum lebt die Überlieferung der einheimischen Könige, seiner Schicksale im und mit dem jüdischen Volk inmitten der orientalischen Kulturen. Diese Erfahrungen eines kleinen Volkes an der Nahtstelle zweier Kontinente und ihrer benachbarten Hochkulturen gehen mit den Büchern des Alten Testamentes über in das sich formende politische Bewußtsein der jungen christlichen Gemeinden, deren entscheidende Begegnung nun das Imperium selbst wird. Das Imperium Neros und Trajans, der Verfolgung und gespannten Duldung, das Imperium der ersten christlichen Kaiser in Rom und Byzanz. In dieser Begegnung bilden sich die Verhaltensregeln und die ersten Maßstäbe für die Anwendung der Botschaft Christi an seine Apostel und durch seine Apostel. Das A T kündet vom Auftrag des Königs im Heilsplan Gottes als Herrscher des auserwählten Volkes, jedoch erscheint dieser Auftrag historisch erst spät und setzt die Zeit der patriarchalischen und priesterlichen Stammesführung voraus, sieht sich auch weiterhin gegenüber der Synagoge und den Hohepriestern, damit, wie die spätere kuriale Typik meint, den Vorrang des sacerdotium in der Zweiheit der Gewalten präfigurierend, während die regale Gegentypik darin eine Bestätigung ihres funktionalen Dualismus sieht188. Der Schrift zufolge (I Samuel 8 ff) kam es zur Erhebung Sauls gegen den Willen Gottes, damit ist die Distanz der Auserwählung und des Heilsauftrages gegenüber der Nachahmung der anderen Völker (I Samuel: daß er uns richte wie bei allen Völkern), gegenüber monarchischer Allmacht (vgl. I Samuel 8, 11 ff) dargetan. Die Geschichte des jüdischen Königtums hat dann auch genügend Beispiele für apostatische und tyrannische Gewaltregierung geliefert. Der gesalbte König und der gewalttätig-abtrünnige Herrscher stehen im Königsbild des A T nebeneinander. Die alttestamentlidhe Uberlieferung wird im N T durch die Ableitung der Gewalt von Gott, durch die Anerkennung der Obrigkeit und durch das Münzgleichnis auf klare Grundregeln des Verhaltens und der Stellung des Christen in der politischen Ordnung normiert, die potestas ist ihm als potestas „desuper" (Joh. 19, 11), potestas nisi a Deo (Rom. 13, 1) Teil der göttlichen 198

W. Kölmel, Typik und Atypik S. 285 ff.

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V. Imperium und Regnum als regimen christianum

Ordnung selbst. Aber im gleichen Johannestext steht kurz zuvor auch jene Pilatusfrage: Tu es rex Judaeorum? (Joh. 18, 33) und die Antwort: Regnum meum non est de hoc mundo (18, 36). Damit war ein zweites bisher unbekanntes regnum proklamiert, ein regnum, das nicht in die Maßstäbe säkularer Provenienz paßt, aus dem sich aber doch Maßstäbe ableiten ließen, jene nämlich, die im regimen christianum erscheinen. Mit der Konversion Konstantins wird dieses Maßnehmen Ereignis, „eine weltliche Basileia" trat „in Analogie zur Königsherrschaft Christi" (Ewig)188. Das Kaisertum wird christlich, das heißt einmal, daß irdisches Imperium in Entsprechung zur göttlichen Weltregierung gesehen und in die biblische Geschichtschau einbezogen wird. Der Einbezug in diese Sdiau macht den Herrscher zum Nachfolger des jüdischen Königtums und stellt zwischen beiden jene Relationen her, die in der Herrschertypik und Herrscherweihe zum Ausdruck kommen" 0 . Der Einbezug des Kaiseramtes in die Verwirklichung der neutestamentlichen Botschaft bringt den Kaiser in eine unmittelbare Sendungsrelation zu Christus, Eusebius deutet die Vision Konstantins im Anschluß an die Vision des Paulus1®1. So konnte der Kaiser sogar zum „TQiffxaiöexaTog djtoaToXo?" und „laanoatoXo?" werden. In der Relationstypik, die sich vom AT in das N T und in die Zeit zwischen Auferstehung und Wiederkunft des Herrn hin spannt, deren Mitte Christus selbst ist, wird Konstantin zum Typus für die folgende Zeit, ein Vorgang, der sich in der fränkisch-karolingischen Zeit besonders eindrucksvoll wiederholt 1 ". Die verfassungsgeschichtlich erfaßbaren Wirkungen dieser „Verchristlichung" sind: Das herrscherliche Amt erscheint als Auftrag Gottes und wird in diesem Auftrag begründet, wie Gelasius I. sagt: „Si enim quantum ad ordinem pertinet publicae disciplinae, cognoscentes imperium tibi superna dis189 1.0

101 1.1

E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken S. 8 f. Die Ordines zur Herrscherweihe und Krönung stellen seit ihren frühesten Zeugnissen seit dem 9. Jahrhundert diese Relation dar. Salbungsgebet 869: M G H Cap. II, n. 302, S. 457: oleo gratiae Spiritus sancti, unde unxit sacerdotes, reges, prophetae et martyres, qui per fidem vicerunt regna. — Salbungsgebet 877: Cap. II n. 304, S. 461: Omnipotens sempiterne D e u s . . . qui Abraham famulum tuum de hostibus triumphare fecisti, Moysi et Josue populo tuo praelatis multiplicem victoriam tribuisti, humilem quoque David puerum tuum regni fastigio sublimasti, . . . et Salomonem sapientiae pacisque ineffabili munere ditasti.. . et hunc famulum tuum virtutibus quibus praefatos fideles tuos d e c o r a s t i . . . condecora, et in regni regimine sublimiter colloca. — Dazu das Gebet: Deus inenarrabilis auctor mundi (aus dem Sakramentar von Gellone), das dann in vielen Ordines ersdieint, u. a. im Deutschen Ordo, Vogel n. 12, und den Kaiserordines (vgl. Elze S. 188) mit seinen zahlreichen Hinweisen auf die Gestalten des AT: Abraham, Moses, Josua, Gedeon, Samuel, David, Salomo. — Vgl. auch Ewig a. a. O. 10 f. 12. — Dazu Treitinger, Die oströmische Kaiser- u. Reichsidee, S. 32 ff; 133 f, 145 ff. — Ewig, Das Bild Constantins, HJ 75, 1956, S. 1 ff. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken S. 10. — Das Bild Constantins, H J 75, S. 1 ff. Zur alttestamentlichen Heilstypik, in die das karolingische Haus seit Pippin einbezogen wird: Ewig, Zum christlichen Königsgedanken S. 45 ff mit zahlreichen Beispielen. — Hadrian I. spricht in dem bekannten Brief ( M G H Ep. III, S. 587) Karl auf das Vorbild Konstantins an. — Nach Ewig ist das christliche Kaiserbild der karolingischen Renaissance im Geiste der Zweigewaltenlehre auch vom Bild Konstantins getragen: Das Bild Constantins S. 37 ff.

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positione collatum, legibus tuis ipsi quoque antistites parent religionis, ne vel in rebus mundanis exclusae videantur obviare sententiae" (Thiel I, 351). Der Kaiser hat gewissermaßen die „otxovopiia" (Theophilus)185. Infolge dieses Auftrages gibt es audi zwischen den antistites und dem Kaiser, seinen Gesetzen ein „parere", der Hierarch ist vom Gehorsam gegenüber der bürgerlichen Ordnung (publica disciplina) nicht befreit. Wie mit diesem Gehorsam die Unterwerfung der weltlichen Seite in geistlichen Dingen in Einklang zu bringen war (rerum tarnen praesulibus divinarum devotus colla submittis, Gelasius a.a.O.), das mußte sich im spekulativen und praktischen Detail erst noch entscheiden. Die Herleitung der Gewalt von Gott scheidet den Herrscher sowohl vom Kaiser des heidnisdien Staatskultes wie von dem in magischer Sippenrelation zu den Göttern stehenden germanischen König, wenn auch beide Vorstellungen die sakrale Funktion des christlichen Königs in ihrer Weise erleichtern und unterstützen. An die Stelle der autonomen Macht des Divus Caesar, in dessen Gewalt sogar die Götter sind" 4 , der magischen Funktion des Sakralkönigs tritt jenes rational überschaubare und sozusagen juridisch klassifizierbare Verhältnis der Unter- und Uberordnung des Herrschers, das Tertullian klassisch formuliert: „sciunt (imperatores), quis illis dederit imperium; sciunt, qua homines, quis et animam; sciunt eum esse deum solum, in cuius solius potestate sint, a quo sint secundi, post quem primi, ante omnes et super omnes deos" 1 ". Der göttliche Auftrag an den Herrscher wandelt dessen Funktion und läßt jene Momente hervortreten, die das Regieren als Dienst, als diakoniaministerium, dartun, so daß später vom „ministerium regis" gesprochen werden kann und der königliche „Dienst" zugleich als Teilnahme am ministerium des bischöflichen Amtes und zwar im Sinne des „in exterioribus verus Dei cultor strenuusque contra omnes adversitates aecclesiae Christi defensor" (Deutscher Ordo n. 22)1M. In der letzten Formulierung haben wir schon einen ersten Abschluß einer gedanklichen Entwicklung vor uns, die das Königsamt in die hierarchische Stufung der Offizien nimmt, und zwar in die Offizien „intra ecclesiam". Denn christliche Herrschaft, göttlicher Auftrag, Ableitung der Gewalt von Gott, treffen ja die potestas regia nicht isoliert und isolieren sie auch nidit, sondern meinen sie nach dem Wort des Ambrosius: „Imperator enim intra Ecclesiam, non supra Ecclesiam est" oder des Isidor: „Principes m

1M

m 1M

Theophilus von Antiochien, Ad Autolycum I, 11 (J. C. Otto, Corpus Apologetarum christ. VIII, S. 32; Rahner, Kirche u. Staat, S. 42). Tertullian, Apologeticum 28, 3 ff (CSEL 69, S. 77); Rahner, Kirdie u. Staat S. 44; Multi denique dei habuerunt Caesarem i r a t u m . . . Ita qui sunt in Caesaris potestate, cuius et toti sunt, quomodo habebunt salutem Caesaris in potestate, ut eam praestare posse videantur, quam facilius ipsi a Caesare consequantur? Tertullian a. a. O. CSEL 69, S. 78; Rahner S. 46. Ministerium wird zu einem sehr häufig gebrauchten Begriff der Offizien-Terminologie der karolingisdien Zeit. Das gilt für den weltlichen wie für den kirchlichen Bereich; ministerium divinum: M G H Cap. I. 25, II 76; ministerium sacrum: Cap. I, 367; ministerium ministrorum dominationis regiae Cap. II. 116 (844): in persona et ministerio vestro (829, Synode v. Paris an Ludwig d. Fr.) Cap. II, 27; sehr häufig ministerium episcopale, aber auch vom ministerium comitis ist die Rede. Vgl. Index Cap. II S. 660 f. — Allgemein zum Gedanken des ministerium, Ewig, Zum diristl. Königsgedanken, S. 34, 59.

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saeculi nonnumquam intra Ecclesiam potestatis adeptae culmina tenent"197. Das christliche Staatsdenken prägt die Vorstellung vom Herrscher endlich in einer scheinbar heterogenen Richtung: Einmal hinsichtlich des Amtscharakters der Herrschaft, zum andern hinsichtlich der persönlichen Verantwortung. Was die vom christlichen Gedankengut geprägte persönliche Verantwortung angeht, so ist daran zu erinnern, daß die Kirche seit der apostolischen Zeit Amt und Amtsinhabe als Berufung und Erfüllung dieser Berufung sieht (1 Kor. 12; 2 Kor. 3). Vor dem ewigen Richter ist Rechenschaft für die Verwaltung abzulegen (Luk. 16, 2). Die politische Ethik gerät so in unmittelbaren Bezug zur personalen Heilsethik, diese trifft den Herrscher in seiner innersten Eigensphäre, wie es auch die Gnadenmittel bewirken sollen, die dem zu Krönenden gespendet werden: „usque ad interiora cordis" soll die Segenskraft der Salbung gelangen (Salbungsgebet)"8. Bis in die Krönungsordines ist der Anruf an die Verantwortung des Herrschers vor der Ewigkeit und seiner eigenen ewigen Bestimmung ein Leitmotiv christlicher Herrscherethik. Wir werden noch zu sehen haben, wie diese betont personale Intention für die Beurteilung des Verständnisses von regnum und sacerdotium zu verwerten ist. Was die Konzeption der potestas regalis als Amt betrifft, so ist sich die Forschung darin einig, daß Kirche und theologische Spekulation hier einen wichtigen Beitrag lieferten. Gewiß sind dabei die in das kirchliche Ämterwesen übernommenen römischen Vorstellungen lebendig, für die Entfaltung des Staatsdenkens in den Jahrhunderten nach der Wanderzeit bleibt es aber doch eine geschichtliche Erscheinung für sich, daß die Vorstellung vom königlichen Amt, von der potestas als officium, in Verbindung mit der christlichen Konzeption der Vorsteherschaft entfaltet wird. Daß dies auf den personalen, herrschaftlich gelenkten Gefolgschaftsverband hin geschieht, das kann die Bedeutung dieses Vorgangs nur erhöhen. Wir können ihn anschaulich bei Isidor von Sevilla verfolgen, in dessen Überlegungen die Gewalt, als die von ihrem Träger getrennte Ordnungsfunktion, als Summe der höchsten weltlichen Befugnisse hervortritt. Ewig spricht mit Recht von „Objektivation" und sieht Isidors Leistung „in der Objektivierung der Königsherrschaft zum Königsamt189. Die „principes saeculi" haben die „culmina potestatis adeptae", in der 1,7

188

1,9

Ambrosius, Gegen Auxentius, PL 16, c. 1018 (Bei H. Rahner, Kirche und Staat, S. 184). — Isidor v. Sevilla, Sententiae, III, c. 51, PL 83, c. 723. Zweck der potestas intra ecclesiam ist der Schutz der disciplina ecclesiastica (vgl. Anm. 199). Aber dieser Auftrag bringt eben die Königsgewalt samt ihrer Funktion in die Kirche. M G H Cap. II, n. 304 (für Ludwig d. Stammler 877) S. 461: Cuius sacratissima unctio super Caput eius defluat atque ad interiora eius descendat et cordis illius intima penetret. Im Deutschen Ordo (ebenso SO, Edgar, Fulrad — Ordo, Kaiserordines; vgl. Elze S. 179 zu Deus Dei filius) n. 18: per praesentem sacri unguinis infusionem spiritus paracliti super caput tuum infundat benedictionem eandemque usque ad interiora cordis tui penetrare faciat. — Zur persönlichen Verantwortung des Königs vgl. die von Ewig S. 34, Anm. 109 aus den Bestimmungen des 4. Toletanisdien Konzils zitierte Ermahnung: „Te quoque praesentem regem futurosque.. . principes . . . deposcimus, ut moderati et mites erga subiectos existentes cum iustitia et pietate populos a Deo vobis creditos rogatis, bonamque vicissitudienem qui vos constituit largitori Christo respondeatis. In den Etymologien kommt zunächst ein personal-funktionaler Aspekt zum Zug, wenn es heißt: Etym. IX, 3 (PL 82, c. 341 n. 1): Regnum a regibus dictum, nam sicut reges

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Kirche (vgl. dazu oben S. 72) sind „potestàtes", die potestas des princeps schützt die kirchliche Ordnung, sie befiehlt „per disciplinae terrorem". Die Beschlüsse der westgotisdien Reichskonzilien zeigen eine gleiche Konzeption. In den Akten des 8. Konzeils werden der „regalis ordo", die „potentia" als eigene Ordnungskategorie vorgestellt, ihnen entfließen die von der „persona" getätigten Ordnungsaktionen, auf sie müssen die Leistungen der membra subiecta totius plebis bezogen sein: „Regalis proinde ordo ex hoc cuncta sibi deberi convincit, ex quo se regere cuncta cognoscit, et inde conquisita non alteri, quam sibi iuste defendit". So folgt dann der berühmte Schluß: „unde non personae, sed potentiae suae (seil, regis) haec (die Einkünfte) deberi non ambigit. Regem enim iura faciunt, non persona, quia nec constat sui medioeritate sed sublimitatis honore800." König ist man aus dem die Grundlage eines Volkes, a regendo vocati, ita regnum a regibus. — Ebenso, a . a . O . n. 4; Reges a regendo vocati sunt enim sacerdos a santificando, ita et rex a regendo; non autem regit, qui non corrigit. Recte igitur faciendo regis nomen tenetur, peccando amittitur. Unde et apud veteres tale erat proverbium: Rex eris si recte facias, si non facias, non eris. — Ebenso Etym. IX, I I I n. 18: (PL 82 c. 544): Reges autem ob hanc causam apud Graecos basileis vocantur, quo tamquam bases populum sustinent, unde et bases Coronas habent. — Andrerseits erhält die „potestas" den Charakter einer eigenen Ordnungswirklichkeit, die der König erreicht: Principes, saeculi nonnumquam intra Ecclesiam potestatis adeptae culmina tenent, ut per eandem potestatem diseiplinam ecclesiasticam muniant Sent. III, 2, n. 4 (PL 83, c. 723). — Gott, der „eorum potestati suam Ecclesiam credidit" wird von den Fürsten Rechenschaft verlangen. — Der H a n d h a b u n g der potestas im Sinne von iustitia und pietas gilt der Tugendkatalog, den Isidor dem Herrscher vorstellt. Siehe auch Ewig, Zum christl. Königsgedanken S. 31 ff. — Der Gedanke des officium ist auch bei Pseudocyprian, De abusivis saeculi, n. 9 (rex iniquus) ausgedrückt: nomen, enim regis intellectualiter hoc retinet, ut subiectis omnibus rectoris officium p r o c u r e t . . . Quoniam in iustitia regis exaltatur solium et veritate solidantur gubernacula populorum (S. Hellmann, Pseudo-Cyprianus, Texte u. Untersuchungen zur altchristl. Literatur X X X I V , 1, 1910, S. 51). — Hierzu auch H . Büttner, Aus den Anfängen des abendländ. Staatsgedankens (Königtum, S. 161). Die Synode von Paris stellt mit Jonas v. Orleans (De institutione regia c. 4, PL 106, c. 206; Reviron p. 145) die Definition: Quid sit proprie ministerium regis. ( M G H Conc. II, 2, S. 651) und gibt die A n t w o r t : Regale ministerium specialiter est populum Dei gubernare et regere cum equitate et iustitia et, ut pacem et concordiam habeant, studere. Ipse enim debet primo defensor esse, ecclesiarum et servorum Dei, viduarum, orfanorum ceterorumque pauperum necnon et omnium indigentium. Ipsius enim terror et Studium huiuscemodi, in quantum possibile est, esse debet primo, ut nulla iniustitia fiat; — Er ist „in throno regiminis positus est ad iudicia recta peragenda". — „Scire etiam debet, quod causa, quam iuxta ministerium sibi commissum administrât, non hominum, sed Dei causa existit, cui pro ministerio, quod suseepit, in examinis tremendi die rationem redditurus est (a. a. O. S. 652). D a n n wird neben dem A T Isidor von Sevilla zitiert (vgl. Anm. 197), mit seiner Formel von den principes, die intra ecclesiam potestatis adeptae culmina tenent, ut per eandem potestatem diseiplinam ecclesiasticam muniant. — Die Verantwortung f ü r dieses ministerium sibi commissum wird wenige Jahre später für Ludwig d. Fr. zum Verhängnis, als die Reichsbischöfe (freilich auf Veranlassung Lothars) ihn zur Kirchenbuße bringen und ihn so von der Regierungsgewalt suspendieren: „ut post tantam talemque poenitentiam nemo ultra ad militiam saecularem rediret" ( M G H Cap. II, S. 54, 55). Vgl. Dazu auch Arquillière, L'Augustinisme politique S. 98 ff, 129 f. 200

Toletanum VIII, PL 84 c. 430 f. — Dazu Ewig, S. 34 f; H . Büttner (Königstum) S. 162. H . Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen (Königtum a. O.

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bildenden „ius"; reges a recte agendo vocati sunt, so sind sie auch die bases als einer Gemeinschaft, die „iuris consensu et concordi communione" geeint ist, populi, basileis, wie Isidor ausführt 101 . Ihre Herrschaft entwächst einer im vorgeordneten Sachgrund: dem Volk vorhandenen rechten Proportion der Gemeinschaft und des politischen Ordnungswillens. Nicht zufällig erscheinen solche Formulierungen in den Akten und als Akte kirchlicher Versammlungen. Offenbar war hier der Ort, an dem sich einmal das Bedürfnis derartiger Spekulationen einstellte und die Voraussetzungen dafür gegeben waren, Definitionen zu treffen. Die Männer der Kirche, zunächst noch überwiegend Romanen, brachten aus ihrer Vorbildung, der Uberlieferung ihrer Umgebung die Bedingungen mit, die sie an die Ordnung im Staatswesen stellten. Daß die staatliche Wirklichkeit nicht den Dekreten so entsprach, wie es deren Sprache ausgibt, fällt nur soweit ins Gewicht, als es vor Überbewertung dieser Aussagen warnen muß; es darf jedoch nicht dazu führen, den theoretischen und normativen Äußerungen nur idealen oder formalen Wert zuzumessen. Denn tatsächlich läßt sich auch weiterhin feststellen, wie das christliche Ordnungsdenken das System von Herrschaft und Gefolgschaft im Sinne von Amt und Amtspflicht angeht und so dem Land helfen will. Man denke an die vor allem von kirchlichen Kreisen getragenen Reformbestrebungen im karolingischen Reich des 9. Jahrhunderts, aus deren Erlebnis heraus noch der große Hinkmar von Reims seine „admonitio": De ordine palatii" verfaßt 8 ". An einer historischen Wende kann man schließlich geradezu exemplarisch verfolgen, wie die politische Entscheidung in Übereinstimmung mit der kirchlichen Auffassung gefällt wird, sich also in der christlichen Ordnungsvorstellung gesichert weiß. Ich meine die Erhebung Pippins zum König. Neben allen politischen Zweckerwägungen, von der fränkischen wie von der römischen Seite her, hat der Akt von 751 auch in der Thematik des regimen christianum seinen eigenen Platz. Nach den gut unterrichteten Reichsannalen geht es zwischen Childerich und Pippin einmal um das Mißverhältnis von regalis potestas und scheinbarem Königtum, zum andern um die Herstellung eines Einvernehmens von „potestas" und dem „vocari", der Königsnennung. Der spätere Einhard drückt das Mißverhältnis mit den Termini: velut potestate, inane regis vocabulum, inutile regis nomen einerseits und opes et potentia, summa imperii

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S. 215 ff) sucht im westgotisdien Staatsdenken das Zusammenwirken spätantiker institutioneller-transpersonaler und germanischer, gentilisdier Vorstellungen nachzuweisen. Hierzu verweist er auf Wendungen der übrigen Konzilien (regnum illius gentisque Gothorum: 4. Toletanum; u. a.), König und gens seien Inhaber des regnum. Isidor, Etym. IX, 3, n. 3; PL 82, c. 342. — Ewig a. a. O. S. 32. — Dazu Etym. IX, 6, n. 5. Hinkmar, D e ordine palatii ( A d m o n i t i o . . . ad regem Karolomannum per capitula, M G H Cap. II. 518 ff). — C. Brühl D A 20, 1964, S. 48 schlägt: Admonitio Hincmari als Titel vor. Hinkmar, S. 518: ad reerectionem honoris et pacis ecclesiae ac regni ordinem ecclesiasticum et dispositionem domus regiae in sacro palatio, sicut audivi et vidi, demonstrem. c. 12: Adalhardum senem et sapientem domni Caroli magni imperatoris propinquum et monasterii Corbeiae abbatem inter primos consiliarios primum, in adolescentia mea vidi. Cuius libelleum De ordine palatii legi et scripsi". S. 522.

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andrerseits aus20®. Es stehen sich demnach gegenüber, potestas, opes, summa imperii ohne Namen und: velut potestas, inane, vocabulum, inutile nomen. Notwendig ist jedodi, daß potestas und nomen übereinstimmen. Der Akzent der Verhandlungen liegt eindeutig auf dem Verhältnis dieser Realitäten, der potestas und ihrer Gestalt, hier fällt die Entscheidung. Man kann nicht sagen, daß potestas-nomen von den infrage stehenden Personen getrennt werden, aber die Verhandlungen werden auf diese Ordnungskategorien hin geführt. Bischof Burkhard von Würzburg und der spätere Abt Fulrad sind die Boten nach Rom, Papst Zacharias gibt die Antwort. Botschaft und Antwort entsprechen sidi nicht nur in ihren Trägern, sondern auch in der Diktion. Dem: interrogando de regibus in Francis, qui illis temporibus non habentes regalem potestatem, si bene fuisset an non, entspricht die Antwort: ut melius esset illum regem vocari, qui potestatem haberet, quam illum, qui sine regali potestate manebat. Hier ist offensichtlich ein Ordnungsdenken am Werk, das fähig ist, über die Fakten hinaus die elementaren Grundlagen der Herrschaft anzusprechen und sie begrifflich festzuhalten. Daß Pippin und seine Großen auf dieser Ebene den Machtwechsel vorbereiten, zeigt, daß er nicht allein auf Fakten, sondern auf Rückführung der Fakten auf die Grundlagen der politischen Ordnung seine Königsherrschaft begründen will. Das wird vollends deutlich, wenn man den Nachsatz der Annalen bedenkt: „ut non conturbaretur ordo, per auctoritatem apostolicam iussit Pippinum regem fieri". Büttner hat zu Recht in „ordo" hier nicht die temporäre zeitliche Umgebung, sondern die „von Gott gesetzte Weltordnung in ihrer augustinisch frühmittelalterlichen Ausprägung" gesehen1", er verweist dabei auf die jener Epoche geläufige Definition des Augustinus: ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loco tribuens dispositio (DcD19, 13). Daß in diesem ersten Stadium der Erhebung der ordo durch die auctoritas apostolica legitimiert wird — Wahl und Salbung werden die Erhebung realisieren — läßt erkennen, daß im Vorgehen Pippins die „normative Kraft des Faktischen" nur einen Teil des geschichtlichen Vorgangs ausmacht. Zu der Übereinstimmung von potestas und nomen, zur Bewahrung des ordo kommt die auctoritas des Vorstehers derselben Gemeinschaft, aus deren Ordnungsdenken der Akt von 751 sein eigentümliches Gepräge erhält und zu einer so folgenschweren Entscheidung wird. Die Erhebung Karls 800 krönt die Vorgänge von 751, wobei die politische Situation verwandte Züge aufweist. Zwar ist kein Herrscher abzusetzen, aber es ist ein neuer Rechtstitel gegenüber bestehenden Ansprüchen, denen des Kaisers in Byzanz, zu schaffen und die oströmische Hoheit endgültig zu beseitigen. Wieder hat sich potestas gebildet, die nach der entsprechenden Würde verlangt, so daß das Mißverhältnis von potestas und nomen mit der Erneuerung des Kaisertums im Westen beendet wird. Ein ordo ist damit hergestellt, der mit der römischen Kirche zusammen für diesen Westen gilt. ios

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Einhard Vita Karoli, c. 1: nec quicquam in se darum praeter inane regis vocabulum praeferebat. N a m et opes et potentia regni penes palatii praefectos, qui maiores domus dicebantur, et ad quos summa imperii pertinebat, tenebantur. H. Büttner, Aus den Anfängen des abendl. Staatsgedankens, Königtum, S. 162.

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Audi 800 ist unlösbar mit einer Entscheidung der auctoritas apostolica verbunden. Unter gewandelten Umständen und Voraussetzungen — zuerst mußte der conturbatus status ecclesiae wiederhergestellt werden (Einhard, c. 28) —, in einer von dem zu Krönenden selbst beanstandeten Weise, aber das ist im Hinblick auf die weitere Geschichte des Imperium sekundär. Sicher bleibt, daß auch 800 in der Entwicklung von Idee und Wirklichkeit des regimen christianum seine eigene Bedeutung besitzt. Ewig, der zuletzt das karolingisdie Kaisertum im Lichte des christlichen Königsgedankens betrachtete, hat überzeugend auf diese Komponente den Blidk gelenkt" 6 . Nachdem jedoch in jüngsten Deutungen das Kaisertum im Selbstverständnis Karls so verschieden apostrophiert wurde, wie bei Ullmann und Borst, muß das für die eigene Thematik Notwendige doch angefügt werden. Für Borst, der die Erhebung Karls — die Kaisernennung — im Gefolge jener Interpretationen deutet, denen die machtpolitische Kausalität das Entscheidende dünkt, kommt es darauf an, die Annahme des „imperatoris et augusti nomen" (Einhard), als freie Zustimmung des Mächtigen gegenüber der Vergangenheit zu sehen; Vergangenheit, das bedeutet doch wohl die Erbschaft der Antike. Die Annahme ist nicht Hinnehmen eines autoritativen Aktes, sondern Erfüllung der Spannung von menschlichem und numinosem Wort durch geschichtliches Wirken. Das läuft darauf hinaus, das Ereignis von 800 als freie Selbstbetätigung der Macht und ihres Inhabers zu sehen, als ein Ordnen, das sich zwischen dem Mächtigen, der durch seine Taten die göttliche Ordnung herstellt, und Gott abspielt, fast ist man versucht zu sagen, als ein Zusichkommen eines geschichtlichen Prozesses im Sinne Hegels20". Indem jedoch nicht berücksichtigt wird, wie dieses Handeln in die konkrete, von christlichen Ordnungskonzeptionen getragene Umgebung eingefügt ist, liegt es nahe, in all dem, was sich etwa in der Spekulation Alkuins zum imperium christianum vor 800, in der Rolle des Papstes, in der kirchlichen Rolle Karls selbst kundtut, nur begleitende Umstände oder eine Art geschichtliche Gewandung zu sehen, es jedenfalls an die Peripherie zu rücken. — Für Ullmann hatte die Renovatio Romani imperii nichts mit einer Wiederherstellung des römischen Imperiums zu tun, wenn imperium Romanum ein religiöses Konzept andeutete107. Der Ausdruck „Romanum imperium" im Siegel Karls ist als religiöser Begriff zu werten, der mit dem politischen Begriff „nichts als den Namen gemein hat". Die Einheit des westlichen Reiches ist eine Einheit des Glaubens in der Auslegung Roms. 205

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Ewig, Zum christlichen Königsgedanken S. 68 ff. — Ullmann, Machtanspruch der Päpste, S. 145 sieht in Leos Vorgehen 800 den Plan, Karl, der in Aachen ein zweites Rom beabsichtigte, zuvorzukommen. Grundlage sei das CC, S. 153. Vgl. auch oben Anm. 151. — A. Borst, Kaisertum u. Namentheorie im Jahre 800, Festschrift Schramm, 1964, S. 36 ff sieht die Bedeutung von 800 in einem Zusammenstimmen von nomen und officium. Borst a. a. O. S. 48 f: Karl nahm den Namen nicht an, „um daraus politische Vorteile zu ziehen, sondern grundsätzlich um die Willkür der lügnerischen und ohnmächtigen menschlichen Namen zu überwinden und um durch seine Taten die Ordnung der vom allmächtigen Gotteswort getragenen Schöpfung herzustellen". Ullmann, Machtanspruch S. 170, vgl. oben Anm. 151.

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So wertvoll der Hinweis auf die Einheit der lateinischen Christen als Fundament der Reichskonzeption Karls ist, das Programm der Renovatio, samt allem was ihm vorausgeht und ihm zuzurechnen ist — die Erhebung nach römisch-byzantinischem Kaiserrecht, die Adoration durch Leo III., das Gericht über die Papstgegner, die Amtssprache Karls (vgl. S. 54 f, — die geschichtlichen Umstände (Ablösung der byzantinischen Herrschaft im Dukat und Exarchat, Einstellen der Datierung nach dem byzantinischen Kaiser unter Hadrian I.) lassen die in der Erhebung Karls wirksame und zur Wirkung gebrachte römische Uberlieferung erkennen. Das Imperium Karls ist immer zu sehen im Zusammenspiel der, wie wir heute sagen, kirchlichen und weltlichen Faktoren, die freilich nicht getrennt ins Spiel gebracht werden, sondern in der Einheit der Ordnungsvorstellungen, wie sie sich im Kirchenregiment Karls, in der Einheitskonzeption von ecclesia-mundus (vgl. dazu S. 81 ff) darstellen. Damit ist zugleich das Stichwort für die in der Theorie der „Kaisernennung" heranstehende Motivik gegeben. Die Herrschaft Karls vor 800, ihre Resonanz in der Öffentlichkeit zeigen so eindeutig eine bewußte Verantwortung für den status ecclesiae, daß man die in der Erhebung von 800 zur Gestalt kommenden Ordnungskategorien nicht auf das geschichtliche Verwirklichen göttlicher Ordnung durch den Inhaber der Macht einengen darf, sondern sie als zugehörig zur konkreten Existenz dieser göttlichen Ordnung in Kirche, in christlicher Konzeption des regimen und des imperium sehen muß208. Alles was hier gesagt ist, vollzieht sich in dem kirchlich politischen Raum von ecclesia, populus christianus, imperium christianum, regnum Francorum und ist auf ihn bezogen. An Einzelheiten seien nur genannt: die Berufung in der Kirche, wie sie die Titulatur der Papstbriefe zum Ausdruck bringt, und die dann in den Libri Carolini von Karl selbst in seiner Weise aufgenommen wird 80 ', die Heilstypik des David-Rex, die schon auf Pippin angewandt wird; David ist aber den Libri Carolini zufolge: divinae incarnationis minister (I, 22). Für Cathwulf ist Karl denn auch der minister Deisl°, dieses ministerium geschieht im königlich-herrschaftlichen Wirken für die Kirche, als Vertreter Gottes soll er: super omnia membra eius custodire et regere, ihm folgt der Bischof: in secundo loco, in vice Christi tantum. Königsherrschaft wird zum regere ecclesiam, oder wie es die Libri Carolini sagen: (ecclesia) Cuius quoniam in sinu regni gubernacula Domino tribuente suscepimus (Praefatio). Hier ist nur vom Kirchenregiment 208

M9 !1

Der Sprache der Libri Carolini, der Capitularien vor 800 geht es nicht, allgemein oder in ihrer Bedeutung verengt, um eine vom allmächtigen Gotteswort getragene Schöpfung, sondern sie bewegt sidi in der konkreten geschichtlichen Existenz der von Christus gestifteten Ordnung. Vgl. die Admonitio generalis von 789, M G H Cap. I, S. 53: Considerans pacifico piae mentis intuitu una cum sacerdotibus et consiliariis nostris abundantem in nos nostrumque populum Christi regis clementiam . . . quatenus qui nostro regno tantos contulit honores, sua protectione nos nostrumque regnum in aeternum conservare dignetur." Die irdische Ordnung des Gottesreidies Christi möge sich, für Karl und sein regnum, in aeternum erfüllen. Diese Verbindung von Zeit und Ewigkeit findet sich auch im weiteren Text.

Einzelheiten und Belege sind gesammelt bei Ewig a. a. O. S. 50 f. ° Cathwulf M G H Ep. IV, S. 503 f: 504: Haec et his similia corrigere vel damnare pro vindicto legis . . . recte iudicare, quod minister Dei es in Omnibus et vindex.

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im regnum die Rede, die Angelegenheit der Libri Carolini zeigt jedoch Karl mit einer Frage der Gesamtkirche befaßt, also „orthodoxus" gegen Byzanz. Obwohl gerade in den Libri der scharfe Angriff gegen das heidnische Imperium erfolgt, der sich mit der Kritik im Prolog der Lex Salica deckt, und jede Sonderstellung des Kaisers in der Kirche abgelehnt wird, so zeigen sie doch gleichzeitig Karl in seiner herrscherlichen Verantwortung für den ganzen populus christianus, er handelt für die Gesamtkirche; der Satz daß ihm die Kirche ad regendum commissa sei, gewinnt so über die zuvor ausgesprochene Beschränkung „in sinu regni" hinaus eine faktisdie Geltung. So ist das Imperium von 800 nicht nur machtpolitisch als Großreich, sondern auch von der Stellung Karls im corpus diristianum vorbereitet. Die gesetzgebende Tätigkeit Karls nadi 800 bringt diese Impulse der karolingischen Herrschaft zur Reife. Ein Vergleich der Kapitularien seit dem Regierungsbeginn Karls, vor allem auch der Admonitio generalis von 789, mit denen, die im Capitulare missorum generale (802) einsetzen, läßt erkennen, wie das in der Admonitio umrissene Programm einer christlichen Lebensordnung im regnum Karls zu einer umfassenden staatlichen Ordnung ausgeweitet wird. Bezeichnenderweise nimmt Ansegis in seine Sammlung, mit Ausnahme der Admonitio ausschließlich Gesetze der kaiserlichen Zeit auf" 1 . Leitlinien dieses Programms sind gegeben in: „pax sit et concordia et unanimitas cum omni populo christiano inter episcopos, abbates, comités, iudices et omnes ubique seu maiores seu minores personas" (Admonitio n. 62). Alle sollen „secundum Dei praeceptum iusta viverent rationem iusto iudicio", „omnem in invicem in caritate et pace" 802)" ! . Auf „pax et Caritas" ist die Divisio regnorum 806 ausgerichtet, das Motto der Admonitio: pax, concordia, unanimitas klingt wieder auf in den späten im Stil einer einheitlichen Sprachregelung dekretierenden Kirchenversammlungen von 813"'. Zum Leben nach der „recta lex", dem „praeceptum Dei" gehört besonders auch der Schutz der Armen, Witwen und Waisen, der stetig genannt wird. Der Kaiser, der nach Ganshof nicht nur befiehlt, sondern predigt" 4 , hat das Volk durch die Erneuerung der fidelitas auf den Namen des Caesars (802) an sich und unter sich auf diese Ordnung verbunden, kirchliche und weltlidie Stände sollen einträchtig auf je ihrem Platz zusammenarbeiten. Kaiser und Papst wissen sich ebenfalls gebunden, die Reichsteilung von 806 wird nach Rom berichtet. Auf die Thematik des regimen diristianum hin läßt sich, das Gesagte weiterführend, zur Bedeutung des neuen weströmischen Kaisertums sagen, daß diese vorrangig in den ihr eigenen universalen Potenzen zu suchen ist. Das Friedensprogramm auf der Basis des fränkischen Großreiches und in Verbindung mit der römischen Kirche ist weit genug, um zur allgemeinen Ordnung 211

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M G H Cap. I, S. 394 ff. M G H Cap. I n. 33, S. 92. M G H Conc. II, 1 n. 34 (Arles), n. 36 (Mainz): ut pax et concordia sit atque unanimitas in populo Christiano. L. Ganshof, La fin du règne de Charlemagne. Zeitschrft. f. schweizer. Gesch. 28 (1948) S. 441.

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einer Völkergemeinschaft zu werden, die in der Kirche ihre Einheit, im Kaiser ihre politische Spitze hat. Die Existenz dieser politischen Spitze besagte, daß die Kirdie des Westens in ihrem Bereich einen Herrscher besaß, der als weltliche Gewalt die Einheit verkörperte, die in der Kirche bereits vorhanden war. Darin traf sidi die Universität des Imperium, ihrem Umfang nach eine potentielle, mit derjenigen der Kirdie, wobei das Zweikaiserproblem zwar die imperiale Universalität von vornherein eingrenzte, aber nicht schlechthin von der die ganze Kirche umspannenden Stellung des Papstes trennen konnte. Das Imperium war der Zeit ein Zeugnis dafür, daß Rom einmal Mittelpunkt eines westlichen und östlichen Reiches gewesen war, eine derartige Erneuerung, wie überhaupt jede Schaffung einer universalen politischen Organisation, war nur mit der Kirdie und im Verband der Kirche denkbar. Dieses: „mit und im Verband der Kirdie" ist noch genauer zu präzisieren. Ecclesia, im Kirchenverständnis der Zeit, ist zunächst die für sich bestehende Heilsorganisation, die „sancta Dei ecclesia", getrennt vom regnum 8 ". Das bedeutet jedoch nodi nicht, daß diese Heilsorganisation, ihr Fürsich kraft eigenen Rechts, endgültig im Sinne einer vom mundus und dem regnum juridisch, funktional und final getrennten Anstalt gesehen wird, wie eine spätere, immer schärfer trennende und die Bereiche in sidi verschließende Distinktion sie sieht. Karl und sein Kreis können von den ihm „in sinu regni" überlassenen „gubernacula", der ihm „ad regendum commissa" überlassenen Kirdie sprechen, umgekehrt kann „per auctoritatem apostolicam" ein Thronwechsel mit konstituiert werden (751), kann ein Kaiser erhoben und sein Nachfolger — wenn auch in fragwürdigem und vom Sohn inszenierten Verfahren (833) — zur Rechenschaft gezogen werden mit der Begründung, daß „in agro Dei, qui est ecclesia Christi" das Übel von der Wurzel an auszurotten sei"'. Offenbar ist eine Auffassung von ecclesia am Werk, die es dem sacerdotium ermöglicht, im regnum zu agieren, und dem regnum erlaubt, im gubernaculum der Kirche mitzuwirken. In diesem Verhältnis nur eine Verbindung zur Welt zu sehen, wäre zu schwach, denn es handelt sich ja um ein gegenseitiges Eingreifen; es als Identifikation von Kirche und Welt zu definieren, ginge zu weit, denn Kirche ist als solche als „sancta Dei ecclesia", für sich. Man kann das wechselseitige Agieren auch nicht nur als funktionales Ubergreifen über Grenzen in sonst geschlossene Bereiche ansehen, denn wenn dies nicht usurpativ oder nur geduldet geschehen soll, was weder in auctoritas 815

M G H Cap. I n. 150, S. 363: quia genitor noster et progenitores, postquam a Deo ad hoc electi sunt, in hoc praecipue studuerunt, ut honor sanctae Dei ecclesiae et status regni decens m a n e r e t . . . n. 2 nostram mediocritatem ad hoc constituere, ut sanctae suae ecclesiae et regni huius curam gereremus. 21 ' Libri Carolini, M G H Conc. II, Suppl. S. 2: Cuius (ecclesiae) quoniam in sinu regni gubernacula Domino tribuente suscepimus, necesse est e t c . . . . Quod quidem non solum nobis, quibus in huius saeculi procellosis fluctibus ad regendum commissa est. — 833: M G H Cap. II n. 197, S. 52: Die Bischöfe erklären weiter zur Begründung ihres Spruches „qualis sit vigor et potestas sive ministerium sacerdotale et quali mereatur damnari sententia, qui monitis sacerdotalibus obedire noluerit. Die Anklage beginnt mit dem Vorwurf: „per eius improvidentiam vel negligentiam in tantam venerit ignominiam et vilitatem, ut non solum amicis in moestitiam sed etiam inimicis venerit in derisionem" (das Reich).

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nodi in gubernaculum liegt, dann muß ein Mehr als nur ein Eingreifen über Grenzen hinweg vorliegen. Einen Fingerzeig, diesem „Mehr" näher zu kommen, gibt jene in variierenden Aspekten und Motivationen greifbare Uberlieferung, die den mundus, den temporalen Ordo als von der Heilsordnung durchwaltet dartut. Die Formeln des Ambrosius und Isidor vom Wirken des Königs „intra ecclesiam" wurden schon genannt, auch Gelasius spricht, genau besehen von einem Einbezug des mundus, wenn es heißt: principaliter mundus hic regitur, auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas (Thiel I, 351). Dazu gehört Augustinus selbst, dessen Konzeption des Gottesstaates in Verbindung mit der iustitia den christlichen Herrscher und die staatliche Gemeinschaft, die secundum Deum lebt, in die civitas Dei einbezieht. Dazu gehört jene Tradition der augustinischen Denkmotive, die Arquillière :Augustinisme politique nennt und denen zufolge der Staat „en quelque sorte, un organe de l'Église" würde 8 ". Das Durchwalten der temporalen Ordnung von der Heilsordnung zeigt sich aber auch von anderer Seite her in jener aus PseudoAugustin faßbaren, bei Cathwulf und in den Libri Carolini benutzten Typik, die den König also imago und vicarius Dei, den Bischof als Vertreter Christi sieht818. Der König herrscht nach Cathwulf: super omnia membra Dei und gibt am Tag des Gerichtes Rechenschaft. Schließlich haben wir jene berühmte Definition der Pariser Synode von 829, die deren Wortführer Jonas in seiner „De institutione regia", der zweiten Königsschrift nach der „Via regia" des Smaragd (813) wiederholt: „Principaliter itaque totius sanctae Dei ecclesiae corpus in duas eximas personas, in sacerdotalem videlicet et regalem . . . divisum esse novimus". Das war bezeichnend variierter Gelasius. Mit corpus ist gemeint das corpus mit dem caput: Christus"'. Was das wechselseitige Agieren der Gewalten trägt, ist nicht nur die theokratische Herleitung der Gewalten, ein Weiterwirken antik-staatskultischer Vorstellungen aus dem romanischen Raum, Sakralkönigtum, Vorrang der religiösen Weltsicht, sondern auch ein bestimmtes Bild der Kirche, das in sich und nach außen dynamischer und offener als in der modernen, juridischen und institutionell durchgeformten Bereichsautarkie erscheint. Gegenüber der Vorstellung der ecclesia als einer legalistisch, institutionell auf sich geschlossenen Amtsanstalt, die den institutionell und final autarken Staat als Pendant hat, haben wir das Bild einer offenen und dynamisch dem mundus zugewandten und ihn î17 218

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H . - X . Arquillière, L'Augustinisme politique S. 44 f. Cathwulf, M G H , Ep. IV, S. 503; Memor esto ergo semper rex m i . . . quod tu es in vice illius super omnia membra eius custodire et regere, et rationem reddere in die iudicii. Et episcopus est in secundo loco, in vice Christi tantum est. — Ferner: Pseudo-Augustin, Quaestiones CSEL 50, S. 63: Dei enim habere imaginem rex, sicut episcopus Christi. — Libri Carolini Conc. II Suppl. S. 166 (III c. 29) verwenden zwar nicht die Gottvatertypik, nehmen aber aus Pseudo-Augustin den Satz: Quamdiu ergo in eo dignitas est, honorandus est, si non propter se, vel propter ordinem. (Pseudo-A: a. a. O.). Jonas v. Orléans, ed. Reviron, I, S. 134: Sciendum omnibus fidelibus est, quia universaliter Ecclesia corpus est Christi et eius caput idem est Christus, et in ea due principaliter extant eximie persone, sacerdotalis (videlicet et regalis) tantoque est prestantior sacerdotalis quanto per ipsis regibus D e o est rationem redditurus (anschließend wird D u o quippe zitiert). — Synode v. Paris M G H Conc. II, S. 610. — Relatio episcoporum ebda. Cap. II, S. 29.

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durchdringenden Heilsgemeinschaft, bestimmt als corpus Christi mit Haupt und Gliedern, die umgekehrt die weltliche Gewalt in das ministerium Dei einläßt und sie dieses in ihrem Raum ausüben sieht. Die weltliche Gesellschaft nun, in der sowohl das sacerdotium Verantwortung übernehmen kann, wie auch die weltliche Gewalt in Form des Königsschutzes, der Defensorschaft, ein gubernaculum in der Kirche übernehmen kann, ist nicht eine nur natural oder gar indifferent gesehene Gemeinschaft, sondern ein originär, funktional und final definiertes Ganzes, nämlich der populus christianus, populus Dei, der seit der Merovingerzeit immer wieder in dieser Bestimmtheit angesprochen wird 220 . Wir haben nicht nur ein christlich verstandenes sakrales Königtum, sondern auch eine, freilich erst im christlichen Bereich, sakral verstandene Gesellschaft. Bedenkt man aber, wie nahe die Terminologie des populus Christianus (Dei) der Bestimmung der Kirche als Gottesvolk liegt, und wie in einer Kirchenauffassung, die noch nicht auf die institutionellen Privilegien des Klerus hin sich organisiert hat, in der der Laie bis zur Papstwahl aktiv ist, gerade das Gottesvolk hervortritt, dann wird die Konzeption der dynamischen und dem mundus zu offenen Kirche vollends deutlich. Die Kirche trifft nicht auf einen saekular indifferenten Raum, sondern findet sich im populus christianus wieder. Das wechselseitige Agieren der Gewalten vollzieht sich im gesellschaftlichen Raum des Gottesvolkes, der im Bilde des Jonas und der Pariser Synode, einmal sacerdotal, zum andern regal gelenkt ist. Daraus folgt einmal, daß die Kirchenherrschaft Karls nicht richtig gekennzeichnet ist, wenn nur von Herrschaft über die Kirche die Rede ist, aber dies nicht gleichzeitig als „regere intra ecclesiam" verstanden wird. Von diesem „intra ecclesiam" wird auch erst verständlich, wenn so häufig als eine der ersten Pflichten die Sorge für die Kirche genannt wird. Es folgt ferner, daß man in der Formel regnum-sacerdotium, solange nicht die institutionell-autarke Bereichstrennung der anhebenden Neuzeit anwesend ist, das zweite Glied nicht einfach mit Kirche gleichgesetzt werden kann. Nicht nur Karl, auch die Ottonen und Heinrich IV. handeln in der Kirche. Aber auch regnum besagt für die Zeit, von der wir zu sprechen haben, nicht den institutionell ausgebildeten Amststaat, sondern hat und versteht Staat als personale Herrschaft über Volk und Land, so daß auch auf weltlicher Seite nicht ein geschlossenes Gebilde „Staat" steht und der dynamisdi-offenen Kirche der Weg in den mundus erleichtert und auch geöffnet wird. Sie kann den institutionell und konstitutiv nicht ausgefüllten Raum einnehmen, wie es die Mitwirkung bei der Promotion des Herrschers besonders markant dartut. Die Thematik von regnum (imperium)-sacerdotium i!0

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M G H C a p . I n. 2 S. 2 (Childebert I . ) : C r e d i m u s hoc, D e o propitio, et a d n o s t r a m mercedem et a d salutem populi pertenere, si populus cristianus, relictam idolorum culturam. — C a p . I n. 10, K a r l m a n n , 7 4 2 : q u o m o d o lex D e i et aecclesiastica religio r e c u p e r e t u r . . . et qualiter populus christianus a d salutem a n i m a e pervenire possit. — C a p . I, n. 11, 7 4 3 : Statuimus q u o q u e cum consilio s e r v o r u m D e i et populi Christiani. — n. 12 S. 29, 744 (Pippin), wie n. 10. — n. 22, A d m o n i t i o generalis (789) S. 5 3 : ut vigili cura et sedula ammonitione p o p u l u m D e i a d pascua vitae aeternae ducere studeatis (vgl. A n m . 208). — n.. 33 (802) S. 9 7 : H o m i c i d i a p r o quibus perit m u l t i t u d o populi diristiani; ut auferetur penitus et inmunditia p o p u l o diristiano; S. 9 8 : scelus p o p u l o diristiano auferre. — Kölmel

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V. Imperium und Regnum als regimen christianum

stellt sich nach diesen Ergebnissen dar als das Verhältnis der Gewalten oder, auf die personale Herrschaft hin besehen, der Gewaltenträger in einer dynamisch offenen Kirdie und in einer Gesellschaft, die sich als populus christianus sakral verfaßt versteht Das Imperium als universale politische Spitze der westlichen Christenheit war von diesen Voraussetzungen her bestimmt, es entstand zudem in einer Welt selbständiger regna. Die Rolle Leos III. zeigt sich von den gesellschaftlichen Vorbedingungen und vom Bild der dynamisch offenen Kirche her nicht mehr nur als ein isolierter Akt päpstlicher Gewalt, sondern auch als geschichtlicher Auftrag, die im Selbstverständnis der Kirdie und der christlichen Gesellschaft wirkenden Tendenzen so zu Ende zu bringen, daß der sacerdotalen Führung der Kirche eine politische Spitze der Christenheit als Defensor ecclesiae zur Seite stand und so die Einheit einer Kirche, die ihre Offizien in die politische Ordnung eingefügt sah und den Königen und Kirchenherren ihr Recht in der Kirche zubilligte, sich gewissermaßen vollendete. Die entscheidende Beteiligung Roms an der Erhebung Karls, die Intensivierung des päpstlichen Verleihungsanspruchs im 9. Jahrhundert trieben dieses Wirken in die Welt hinein in einer Weise vor wie an keiner anderen Stelle der abendländischen staatlichen Organisation, verliehen auch dadurch dem Imperium für die Thematik des regimen christianum einen einzigartigen Rang. Sie brachten das regnum in eine Nähe zum sacerdotium, die sowohl die Chance der Verfügung über den päpstlichen Stuhl wie die Abhängigkeit vom Papst entsprechend nahe legte. Die Frage der Freiheit des sacerdotium wie der Selbständigkeit des regnum war daher im Verhältnis Papst-Kaiser in jene Dichte gesteigert, die sich dann in der Dramatik der großen Auseinandersetzungen entlädt. Nicht umsonst hat hier die Problematik des regimen christianum weltgeschichtliche Bedeutung erlangt. Dennoch blieb im Verhältnis imperium-sacerdotium eine Freiheit des Dialogs, die in den Landeskirchen nicht möglich war. So konnten auch die Fragen, nachdem einmal die Kontroverse im Investiturstreit bewußt und mit allen Konsequenzen eröffnet war, in einer Entschiedenheit gestellt und beantwortet werden, die ihresgleichen sucht. Und schließlich war in der ecclesia des Begriffspaares: imperiumsacerdotium, im Unterschied zur landeskirchlichen ecclesia mit dem auf ein regnum bezogenen Verhältnis: regnum-sacerdotium, die römische Kirche zugleich als Haupt der universalen Kirche, als caput christianitatis angesprochen; so hatte das Verhältnis beider Gewalten hier seine besondere Bedeutung für die Gesamtkirche und wurde auch so vom Abendland empfunden. In dieser universalen Intention, die sich wesensmäßig aus der Zweiheit Papst-Kaiser ergab, liegt nicht zuletzt der Grund dafür, daß die Frage nach dem Verhältnis von spiritualer und temporaler potestas, nach der Vollgewalt des Papstes und damit nach dem Wesen der ecclesiastica potestas gerade am Verständnis dieser Zweiheit in so unbedingter und so umfassender Weise gestellt wurde. Das im Rahmen unserer Betrachtung zum karolingisdien Imperium zu Sagende bliebe unvollständig, wenn nicht auf die interessante Reformtätigkeit nach Karls Tod unter seinem schwachen Nachfolger wenigstens soweit hingewiesen würde, als in ihr sich gewisse Strukturen und Möglichkeiten des künftigen Verhältnisses von regnum/imperium und sacerdotium abzeichnen. Hervor-

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stechender Zug dieser Reform ist die Aktivität des Reichsepiskopates, eine Aktivität, die freilich auf den Synoden gerade der Zeit vor Karls Tod (813) ein sehr nahes Vorbild hatte221. Daß sie als Pendant einen zu kirchlichem Gehorsam bereiten, seiner Familie gegenüber hilflosen Herrscher hatte, gab der Kirdie nicht nur Gelegenheit, in die Angelegenheiten des Reiches einzugreifen, sondern zeigt sie auch in der Rolle des Verteidigers der Einheit und des Friedens221'. Die Einheit des Reiches ist gesehen in der Einheit der Kirche. Diese Einordnung kann so weit gehen, daß regnum oder die regalis persona mit der sacerdotalis persona als die Glieder des unum corpus ecclesiae ausgegeben werden, in denen die Ordnungsstruktur der Kirche grundgelegt ist; heißt es doch, wie schon oben (S. 80) angeführt, daß das corpus totius sanctae Dei ecclesiae „principaliter", also dem principium der grundlegenden Ordnung nach, in die eximiae personae gegliedert (divisum) sei. Zur Bekräftigung, daß es sich bei dieser Gliederung um eine Einteilung der Ordnungsfunktionen handelt, folgt gleich darauf die Gelasiusstelle: Duo (hier Duae) quippe. Es liegt nahe, hier eine Identifikation oder ein Ineinandergehen von ecclesia und mundus zu sehen, denn dem Gelasiustext: „principaliter mundus hic regitur" entspricht das: „principaliter itaque totius sanctae Dei ecclesiae corpus" etc., an die Stelle von mundus sdieint einfach ecclesia zu treten. Dagegen kann man jedoch einwenden, daß in der Formel der Pariser Synode d i e Gewalten genannt werden, von denen der mundus regiert wird, mit dem Unterschied, daß jetzt beide als eximiae personae im corpus ecclesiae vorgestellt sind, so daß ecclesia und mundus weiterhin sich nicht decken, sondern auch in Paris das regere gegenüber und über den mundus aus der Einheit des corpus ecclesiae heraus zum Ausdruck gebracht ist. Im übrigen wird gerade auch in den Schreiben, die das Programm der Reformsynoden begleiten, sowohl von weltlicher wie von geistlicher Seite ecclesia und imperium/regnum auseinandergehalten, so daß sie als eigene Bereiche erscheinen222. Wir kommen der Sache näher, wenn wir das Bild des corpus und seiner grundlegenden Gliedund Ordnungsstruktur in den eximiae personae im Auge behalten. Der Einbezug der weltlichen Gewalt betrifft sie im Gewaltenträger, in der persona regalis. Die Frage nach dem regnum, nach dem also, was modern gesprochen 01

M G H Conc. II, 1 n. 34—38, S. 248 ff Synoden von Arles, Reims, Mainz, Cabillon, Tours. — M1 * Zur Darstellung K. F. Morrisons, The two Kingdoms, 1964, vgl. meine Besprechung in HJ, 89, 1969, S. 216 ff. 02 M G H Cap. I n. 137, S. 274 (818/19): in ecclesiasticis negotiis sive in statu reipublicae emendatione. — n. 150 vgl. Anm. 215. — Conc. II, 2 n. 50 (Einladung für Paris 829) S. 601: Et quia undique inimicos sanctae Dei ecclesiae commoveri et regnum a Deo nobis commissum infestare velle. — a. a. O. S. 667: (An Ludwig d. Fr. und Lothar) ut de profectu et exaltatione sanctae suae ecclesiae indesinenter cogitetis . . . N a m cum mucro divinus imperium vobis divinitus commissum interius exteriusque merito nostrae iniquitatis multifariis adtereret cladibus. — D a ß die karolingische Zeit bei aller korrespondierenden Zweieinigkeit der Gewalten die Bereiche selbst klar trennt, zeigt Walafried, der die geistliche Hierarchie, die der weltlichen Ämterordnung korresponiert, in der „spiritualis respublica universalis ecclesiae" sieht; M G H Cap. II, S. 514. 6*

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V. Imperium und Regnum als regimen christianum

„Staat" als weltliches Gebilde im Ganzen ausmacht, ist gar nicht gestellt und erscheint daher nicht im Blick. Der ekklesiologische und personale Aspekt bestimmen die Formulierung. Dem entspricht genau, wenn es später heißt, daß der König den populus Dei regieren soll: „Regale ministerium specialiter est populum Dei gubernare et regere cum equitate et iustitia et, ut pacem et concordiam habeant, studere"223. Hier ist entsprechend den personae eximiae die personale Gliedgemeinschaft genannt, die sich nun freilich mit dem populus Dei der Kirche deckt, jedoch in der Existenz im mundus oder anders gesagt im regnum. Dieser letzte Hinweis ist allerdings nicht genannt, über den weltlichen Bereich der res mundanae wird nicht explizit gehandelt. Bedeutet das, daß für die Zukunft die Einordnung der temporalen Gewalt in den Bereich der ecclesia sich nur auf die Gewalt in der Person des Herrschers bezieht, während der temporale Bereich als solcher für sich bleibt und nur im Sinne der Lenkung angegangen wird? Darauf zu antworten wäre verfrüht; bei den Aussagen im Stile des regere intra ecclesiam, die in der Pariser Synode eine sehr bestimmte Fassung erhalten, und beim Schweigen über die Position des regnum selbst läßt sich gerade von den Texten und dem in ihnen zutage tretenden kirchlichen und politischen Bewußtsein nicht auf ein Ineinandergehen von Kirche und Welt schließen, oder eine „übergreifende, beide Rechtsbereiche umfassende Einheit der ecclesia universalis" begründen224. Was wir allein vermögen, das ist, die oben gestellte Frage dahin zu präzisieren, daß Kirche in Bezug auf die regalis persona und ihre potestas, sodann auf den mundus, d. h. in verschiedener Relation zu sehen ist. In Bezug auf die persona regalis und ihre potestas meint sie das im corpus ecclesiae existente und in ihn einbezogene regimen über den populus, Dei, und zwar im Sinne der iustitia, der pax und concordia, der Ordnung in den res mundanae, während die persona sacerdotalis die Aufgabe des: „ad vitam aeternam ducatum", der Verwaltung der „sacra ministeria" innehat" 5 . Für die persona regalis bedeutet das, daß sie nicht als Spitze eines eigenständig gesehenen mundus in der Ordnung des mundus bleibt, sondern als persona ihre Gewalt über den populus Dei im Raum der Kirche ausübt. Das heißt nicht, daß sie Organ der Kirche ist, denn sie zählt nicht zu den ordines ecclesiastici, man kann auch nicht schließen, daß die weltliche Gewalt deshalb nur als ein „prolongement nécessaire de l'autorité ecclésiastique" (Arquillière) verstanden sei, oder der Staat als „function of the Church" (Ladner) galt, denn beides setzt voraus, daß Staat und Gewalt, konstitutiv und funktional, von der Kirche in Gang gebracht werden22'. Das liegt aber in der 225

M G H Conc. II, 2, n. 30, S. 651. — Cap. II n. 196, S. 47; Jonas v. Orléans, De institutione regia, ed. Reviron, IV S. 145 f. 124 Zitat bei F. Kempf, A H P , 1963, S. 30. — Die Formulierung Kempfs: „beide Rechtsbereiche umfassende Einheit" nimmt vorweg, daß der weltliche Rechtsbereich in der ecclesia universalis steht, wobei nicht deutlich wird, ob es sich um eine juridische Einheit handelt. Dann wäre der Eigenstand des weltlichen Rechtes nicht gewahrt. 225 M G H Conc. II, 2, n. 50, S. 611: in successoribus apostolorum religio Christiana vigere et salvatio subiectorum debeat consistere. — Cap. II n. 196, S. 29. I2 ' G. B. Ladner, The concepts of „Ecclesia" and „Christianitas" M H P 18, S. 50; Aspects of Mediaeval Thought on Church and State, Review of Politics 9 (1947), S. 408. Arquillière, L'Augustinisme politique S. 100, 102 meint, es sdieine, „que cette justice chrétienne ait

V. Imperium und Regnum als regimen christiänum

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Wendung von der persona regalis im corpus ecclesiae noch nicht, sie besagt nicht eine konstitutiv-funktionale Abhängigkeit, sondern einen korporativen Einbezug, wobei über die konstitutiv-juridische Position nichts behauptet war. — In Bezug auf den mundus stehen die Kirche, und in ihr die eximiae personae, in der Funktion des regere, sei es — entsprechend ihren Aufgaben — sie zum ewigen Ziel zu führen, die religio Christiana zu bewahren und die sacra ministeria zu verwalten, sei es, Gerechtigkeit und Frieden zu sichern. Daß das corpus ecclesiae mit dem caput Christus in der Konzeption der Heils- und Weltordnung so hervortritt und nicht nur die Gewalten genannt werden, wie es bei Gelasius der Fall ist, weist auf ein in der Zwischenzeit gewachsenes eigenes Kirchenbewußtsein hin. Die Vorstellung christlicher Herrschaft entfaltet sich im Rahmen dieser weiteren Sicht, die wir später noch näher zu kennzeichnen haben. Wir rühren aber hier, das sei jetzt schon gesagt, an einen zentralen Punkt des Verständnisses der Gewaltenlehre. Die Frage nach der Stellung des Imperium im Verband der Kirche, die uns zum Kirchenbild der Zeit um und nach 800 geführt hat, wäre aber nicht genügend beantwortet, wenn nicht die Verfassungswirklichkeit berücksichtigt würde, die sowohl die konkrete Grundlage des kirchlich-politischen Bewußtseins darstellt, wie sie auch als praktische Interpretation der spekulativen Äußerungen gelten kann. Der orthodoxus atque invictissimus augustus Ludwig, an den sich die Relatio der Pariser Synodalen richtet, hat in seinen Funktionen nicht nur die res mundanae, er gibt auch, wie seine Vorgänger Anordnungen „ad ordinem ecclesiasticum". Derselbe Wala, der die Funktion der beiden ordines in der Kirche im Sinne einer strengen Funktionstrennung des „intus divina", des „quae Dei sunt" und des „exterius humana" vertritt, ist maßgeblicher Ratgeber der Constitutio Romana (824) mit der Treueidverpflichtung des gewählten Papstes vor der Konsekration, dem gemeinsam papal-imperialen Missat und der Mitherrschaft im Patrimonium Petri227. In Anerkennung der königlichen Kirchenherrschaft berufen sich die Bischöfe, die sich weigerten, zu Gregor IV. ins Elsaß zu kommen, auf die „sacra iussio imperialis"; in derselben Linie kann es wenige Jahre später, auf der Synode von Diedenhofen heißen (844): ab hac eadem ecclesia vobis ad gubernandum commissa, pro qua ex ministerio regali reddi-

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absorbi l'ancien droit naturel de l'Etat". — Eine derartige Absorption würde allerdings sehr viel bedeuten, nämlich eine monophysitische Usurpation der Natur durch die Übernatur. Die Frage ist jedoch, ob die Standortbestimmung des regalen officium in der Kirche bereits eine Absorption des saekularen Bereichs selbst aussagt oder aussagen will, oder nur die christliche Funktion des ministerium regale benennt. Wala in Vita Adalberti ed. Dümmler, Abh. Berlin 1900, II, S. 62 (zit. bei J. Scharf: D A 17 [1961] S. 373 f): Unde primum considerari oportet intus divina, tam exterius humana, quia procul his duobus totius ecclesiae status administratur ordinibus, ut sit imperator et rex suo mancipatus officio, nec alia gerat. . . Episcopus et ministri ecclesiarum specialis quae Dei sunt, agant. — Zu intus-exterior vgl. Paulinus v. Aquileja (Brief der ital. Bischöfe) M G H Leg. Sect. III Conc. II, 1 n. 19 (794) S. 139: In hoc spiritali homine qui foras se ad exteriora appetenda effundit. M G H Cap. II n. 227, S. 113: (Diedenhofen, 844). Zu diesem Satz ist die Formulierung Isidors v. Sevilla zu halten: Sent. III, III, 51, n. 6 (PL 83, c. 723): Die Fürsten müssen Rechenschaft geben für die Kirche, „quam a Christo tuendam suscipiunt. N a m sive augeatur pax et disciplina Ecclesiae per fideles principes sive solvatur. Ille ab eis rationem exiget,

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V. Imperium und Regnum als regimen diristianum

turi estis regi regum rationem in die iudicii""8. Im gleichen Dokument fällt der Satz: „ab illo, qui solus merito et rex et sacerdos fieri potuit ita ecclesiam dispositam esse, ut pontificali auctoritate et regali potestate gubernetur", was die Synode von Kiersy (858) in ähnlicher Diktion wiederholt, aber den christologischen Aspekt vertieft und erweitert: Der König herrscht durch Christus, der als Gott „in carne veniens, qui solus rex fieri potuit et sacerdos, et in caelum ascendens suum regnum, id est ecclesiam, inter pontificalem auctoritatem et regiam potestatem gubernandum disposuit""'. Die ausschließliche Zuerkennung der rex-sacerdos-Würde an Christus konnte als deutliche Kritik an die königpriesterlichen Vorstellungen der Zeit Karls850 verstanden werden, wie auch die Polemik gegen die Symoniaca heresis in Paris und Diedenhofen 131 an ein Kernübel des Eigenkirchenwesens rührt. Die Kirche begnügte sich, wie wir wissen, nicht mit der Ergebung in die Zustände und Abwehr. Zum Thema: Imperium im Verband der Kirche gehört ebenso jener Prozeß der Einflußnahme auf die Angelegenheiten des Reiches, wie er sich im zähen und stillen Ringen um das Vorrecht der Kaiserkrönung, in den Vorgängen um die Amtsenthebung Ludwigs 833 und später seit der Mitte des Jahrhunderts im spürbaren Übergewicht über die karolingische Macht dartut.

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qui eorum potestati suam Ecclesiam credidit. (Vgl. hierzu auch Ewig, in: Königtum S. 32). — Der Brief der Bischöfe 833 mit der Berufung auf die „sacra iussio": M G H Ep. V., S. 228, er ist aus der Antwort Gregors IV. zu erschließen. Diedenhofen, Cap. II, S. 114 (c. 2). — Kiersy M G H Cap. II n. 297, S. 440. Zur rex et sacerdos Vorstellung der Zeit Karls vgl. als bekannteste Formulierung: Paulinus v. Aquileja (Brief der ital. Bischöfe) M G H Conc. II, 1 (794) S. 142: sit dominus et pater, sit rex et sacerdos, sit omnium Christianorum moderatissimus gubernator. — Zu Cathwulf vgl. Anm. 210. M G H Cap. II, n. 196, S. 30: Proinde oportet, ut in electione et ordinatione sacerdotis valde sit execranda Simoniaca heresis (829). — n. 227 (Diedenhofen) S. 114: submota funditus peste Symoniacae hereseos, sine dilatione iuxta auctoritatem canonicam aut episcopos a Deo datos et a vobis regulariter designaros et gratia sancti Spiritus consecraros. — Das königliche Designationsredit erscheint hier deutlich von der Symoniaca heresis abgesetzt. — Dieses Zeugnis paßt in die Linie der von L. Santifaller, Zur Geschichte des Ottonisdi-Salischen Reichskirchensystems (Oesterr. Ak. d. W. Phil.-hist. Kl. 229, 1) S. 119 f, S. 121 mitgeteilten Briefe Johannes X. v. 921: S. 120: Et sicut priores suos antecessores nostrorum antecessorum auctoritate episcopum per unamquamque parochiam ordinäre probabiliter statutum est, ita ut Carolus rex faciat confirmando iubemus. — S. 122: De hoc vero, quod Gislebertus contra vestra sceptra inutiliter gessit valde doluimus,, eo quod prisca constuetudo et regni nobilitas censuit, ut nullus episcopus ordinäre debuisset absque regis iussione (vgl. hierzu auch Brief 1, S. 120: Valde namque admirari non distulimus, cur contra rationem absque regis iussione agere pertemptastis, cum vobis reminiscentibus hoc nullo modo esse debeat, ut absque regali praeceptione in qualibet parochia episcopus sit consecratus. Die regalis praeceptio erscheint hier als Schutz gegen die Macht des Herzogs, hier des Gislebert von Lothringen. —

VI. Regimen christianum im polititischen Bewußtsein der Zeit vom 10.—13. Jahrhundert a) Die Ordines der Herrscherweihe

und

Herrscherkrönung

Die Ordines der Herrsdierweihe und Herrscherkrönung. — Ihre Bedeutung f ü r die politische Ideengeschichte. — Das Bild des Herrschers in den Ordines. — Die Promotion des Herrschers und die christliche Ordnung. —Weltliche und kirchliche Erhebung in ihrem Verhältnis. — Geschichtliche Entwicklung dieses Verhältnisses. — Niederschlag der geschichtlichen Entwicklung in den Ordines. — Die kirchliche Investitur mit den Insignien. — Die Salbung. — Herrscherweihe und die Stellung des Herrschers in der Kirche. — Die Weihe und Krönung als integrierende Bestandteile der Herrsdierpromotion.

Stellung und Aufgabe des christlichen Herrschers, wie sie das karolingische Zeitalter den folgenden Jahrhunderten übergibt, waren mehr als totes geschichtliches Material. Wie machtpolitisch dem Abendland eine weiterwirkende Verpflichtung überlassen wurde, so hatte auch die Vorstellung vom christlichen Herrscher — aus Herkommen, eigener Leistung und gedanklicher Arbeit — eine Form erhalten, die fruchtbar und lebendig blieb. Einen Beweis dafür liefern die Ordines zur Herrscherkrönung, deren Kern im 8-/9. Jahrhundert sich bildet, von denen aus die weitverzweigte Überlieferung der Krönungsordnungen herrührt und die mit der Symbolik der Herrschaftszeichen ein hervorragendes Zeugnis nicht nur der Herrschaftsauffassung im allgemeinen, sondern gerade auch des christlichen Ordnungsgedankens werden. Man muß sich immer vor Augen halten, daß die Ordines liturgische Texte sind, in denen weltliche Macht und Erhöhung dieser Macht in den Raum der Gnade unmittelbar zusammentreffen. Gegenüber der Spekulation der Publizistik haben die Ordines und die in ihnen erscheinenden Herrschaftzeichen den Vorteil, daß sie in den engeren Kreis der königlichen Umgebung selbst führen und so das Selbstverständnis des Herrschertums aus nächster Nähe darstellen. Da die Datierung der Ordines weithin als gesichert gilt, lassen sich auch die Wandlungen und ihre Hintergründe einigermaßen auf die Stellung und das Bild des Herrschers hin interpretieren. Eine Ausnahme bildet weiterhin Cencius II, dessen Ansatz von 1014 bis 1208 reicht. Es datieren zu 1 0 1 4 : Schwarzer, Eichmann: zu 1046: Fideer, Fabre-Duchesne; zu Ende des 11. Jahrhunderts: Klewitz; zu 1 1 1 1 : Ramackers; die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts nimmt Elze an: Schramm und Andrieu entscheiden sich für die Zeit kurz vor dem Pontifikat Innozenz' III.; Haller nimmt 1208 und Innozenz als Verfasser an"2. Die auseinanderstrebende 232

Datierung zu 962 (1. Datierung Eichmanns und A. Diemand, Das Ceremoniell der Kaiserkrönungen von Otto I. bis Friedrich II. (Hist. Abh. 1894) ist aufgegeben). — Datierung zu 1 0 1 4 : J. Schwarzer, Die Ordines der Kaiserkrönung, Forsch, z. dt. Gesch. 22 (1882), S. 159 ff. — E. Eichmann, Die Kaiserkrönung S. 151 ff, 234 ff. — Zu 1046: Ficker, Fabre-Duchesne, Le über Censuum, 1, 2, 1 4 1 4 ff. — Zu Ende des l l . J a h r h . Klewitz, Papsttum u. Kaiserkrönung, D A 4, 1941, 421 ff. — Zu 1 1 1 1 : J.

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V I . Regimen christianum im politischen Bewußtsein

Interpretation wird am stärksten deutlich in der Diskussion EichmannSchramm, wobei Eichmann Cencius II noch als Ausdruck des Königspriestertums sieht (Kaiserkrönung 2 3 4 ff), während Schramm ihn als Niederschlag der kurialen Ansprüche Ende des 12. Jahrhunderts sieht. Wie Datierung und Interpretation sich verschränken können, zeigt Ulimann, der trotz Ansatz zu 1014 (mit Eichmann) Cencius II. als Zeichen dafür nimmt, daß das scheinbar machtvolle Gebäude der königlichen Monarchie bereits untergraben war. C II überbrücke die Zeitspanne von 101 4 — 1 2 0 8 2 " . Der Drehpunkt der inhaltlichen Merkmale von C II scheint mir in der auffallenden Terminologie des zu Krönenden als electus zu liegen, was auf eine Zeit verweist, da in der königlichen Promotion in Deutschland die Wahl entscheidendes Gewicht erlangt. Nachdem übrige Kriterien, die Klewitz vorgebracht hat, auf das Ende des 11. Jahrhunderts verweisen, deutet die Bezeichnung „electus" auf die mit Lothar III. einsetzende Entwicklung, so daß ich für das zweite Viertel des 12. Jahrhunderts plädiere. Dieser Zeitraum würde auch gut zu den aufkommenden kurialen Ansprüchen passen, die auch den vieldeutigen Bildversen im Lateran von kaiserlicher Seite später zugeschrieben werden" 4 . Ebenso verrät der nur in Cencius II vorkommende Fidelitätseid (promitto spondeo polliceor . . . apostoli vicario fidelitatem) die Tendenz des Verfassers, den electus über die Defensorschaft hinaus in ein Treuverhältnis zu binden, das wiederum mehrfache Deutung finden konnte 2 ". D a jedoch Cencius II ein Einzelfall bleibt, „niemals abgeschrieben, nirgends verbreitet" 2 3 6 und

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534 235

Ramackers, in Quellen u. Forsch, aus ital. Arch. u. Bibl. 38, 1956, 16 ff. — 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts: R . Elze in Ausgabe M G H Fontes iuris antiqui I X , S. 35. — Dazu S a v Z f R kan. Abt. 71, 1954, 218. — P . E . Schramm, in A U F , X I , 1930, S. 285 ff. — M. Andrieu, Le Pontifical Romain, I I , 241. — 1 2 0 8 : J . Haller, D i e Formen der deutsch-römisdien Kaiserkrönungen, Quell, u. Forsch, aus ital. Arch. 33, 1944, S. 4 9 — 1 0 0 mit zahlreichen interessanten Einzelheiten. — W . Ullmann, Machtanspruch der Päpste, S. 371, 382. — S. 3 8 2 : Ordo C überbrückt die Zeitspanne von Heinrich I I . bis O t t o I V . Ideologisch sehen wir daher auf eine ununterbrochene Entwicklung (des hierokratischen Schemas). Vgl. Exkurs I, S Die Nachricht Thietmars (vgl. Anm. 234) wird sicher niemand im Sinne eines Lehensverhältnisses interpretieren. Man wird dies auch nicht für Cencius I I tun dürfen, wo zudem weder von Kommendation noch homagium die Rede ist. D a r a n ändert nichts, daß später die fidelitas des Kaisers in die juristische Interpretation gerät. — Vgl. Richard Anglicus, Stidder, Salesianum 15, 1953, S. 6 1 1 : Si autem obitiatur fidelitatem facit imperator, dicunt hoc non contingere ratione alicuius potestatis, quam accipiat ab eo (seil, a papa), sed illud facit, ut sciatur quod illi subest in spiritualibus nec hoc est facere fidelitatem quam fatiunt fideles dominis ut ex illo c. potest colligi: vel (tibi) dominus. — Richard ist Anhänger der Lehre, daß der Kaiser die Gewalt a solo Deo habere ( a . a . O . : videtur nobis securior via eorum, qui) S. 6 1 2 : dicunt quod imperator a solo D e o habet potestatem. — Dagegen ist Benencasa di Arezzo (Stickler a. a. O . S. 603) der Meinung: D 22 c. omnis: Solutio: ut rex habere potest gladii potestatem a prineipibus regni, set ut imperator non potest habere potestatem gladii, nisi iurat fidelitatem pape et eius auetoritate gladium accipiat. (Diese Nachrichten sind ein Hinweis auf einen Fidelitätseide des Kaisers. Darnach wäre allerdings Cencius I I (oder ein entsprechender Ordo) in Gebrauch gewesen!). — In der ekklesiarchen Doktrin kann die Determinatio compendiosa aus dem Fidelitätseid ein Lehensverhältnis konstruieren: a. a. O . c. 3 0 : sicut probatum est superius, imperator sit verus minister ecclesie, quam administrationem ab ipsa reeipit sub iureiurando sicut fidelis ecclesie sub titulo feudi".

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möglicherweise gar nicht benutzt wurde, bleibt sein Aussagewert beschränkter, als es zunächst aussieht. Nach diesen Vorbemerkungen wenden wir uns dem Bild des Herrschers zu, das uns die Ordines vorstellen, dann seien die für unser Thema anstehenden Fragen der Gewaltenlehre besprochen. Das Bild des Herrschers ist gegeben im Zusammenklang natürlicher Tugenden des Herrschers und der übernatürlichen Haltung des Christen. Es ist die Lebensordnung einer sakral geordneten Gesellschaft, die uns hier entgegentritt und für das regimen bestimmt ist. Das Gebet: „Prospice omnipotens Deus" erfleht dem Herrscher Tapferkeit und den Sieg über die Feinde (ut sit fortissimus regum, triumphator hostium; Elze II, 2), das Szeptergebet aus dem Ordo Coronationis von 877 (aufgenommen im Fulrad-Ordo und in Cencius II) erinnert an die königliche Schutzpflicht (virgam . . . qua te ipsum bene regas, sanctam ecclesiam, populum vid. christianum tibi a Deo commissum, regia virtute ab improbis defendas, pravos corrigas, rectos, ut viam rectam tenere possint, tuo iuvamine dirigas; Elze XIV, 41; MGH Cap. II, 461). In die segenbringende Funktion des Königs weist das im Freisinger und Mainzer Ordo erscheinende Gebet: „Benedic Domine", das dann auch in die Kaiserordines übergeht: Sit tuo clipeo protectus cum proceribus et ubique tua gratia victor esistat. . . . Locuplet eum tua praedives dextera. Frugifera optineat patriam, et eius liberis tribuas profitura. (Vogel LXXII n. 10; Elze II 8bc ff). In dieses Hochbild eines — auch germanischen Vorstellungen entsprechenden — Herrschers, sind nun die spezifischen Tugenden eines christlichen Königs verwoben: Schutz der Christenheit, Einsatz für den Glauben, liebende Fürsorge, Trost und Hilfe, Schutz der Witwen und Waisen 2 ". Ja, er kann sogar, wie es im Westfränkischen Ordo (Erdmannscher Ordo) bei der Szepterübergabe heißt:„ Accipe baculum, sacri regiminis signum, ut imbecelles consolides, titubantes confirmes, pravos corrigas, rectos dirigas in viam salutis aeternae, cooperante domino Jesu Christo" (n. 12, Schramm IV, S. 205). Natural-temporales und christliches Verhalten besagen aber kein mechanisches Nebeneinander, die politische Ethik wird von der Gegenwart des Heils durchdrungen, ja diese bedingt, daß Gerechtigkeit, Milde wirksam werden können, wie es die Kronformel sagt: „Accipe signum gloriae, in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti ut spreto antiquo hoste . . . sie iudicium et iustitiam diligas et misericorditer vivas etc. (Elze, I, 9; X, 10). Segen, Erfüllung der Herrschaft mit Gnade und innerer Kraft ist auch der offensichtlich spirituale Tenor des aus dem Gelasianischen Sakramentar stam-

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— Diese Interpretation ist jedoch, auch für die ekklesiardie Meinung, nidit die Regel. Vgl. S. 287. J. Haller, Formen der Kaiserkrönungen, S. 85. — Zur Benutzung, die H. ablehnt, vgl. aber die Bedenken, die in Anm. 235 angedeutet werden. Freilich muß nicht die spätere Diskussion über die fidelitas des Kaisers sich gerade auf Cencius II beziehen. — Zur Lateraninschrift und der Darstellung der Krönung Lothars III. vgl. unten S. 129. Deutscher Ordo, Vogel n. 20: auetor et stabilitor christianitatis et diristianae fidei. — a. a. O. n. 19: Schwertformel: viduas et pupillos clementer adiuves ac defendas desolata restaures, restaurata conserves, ulciscaris iniusta.

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menden Gebet: Prospice omnipotens Deus: sic illi largiaris benedictiones spiritualis gratiae. An diesen Wunsch schließt sich die Bitte um das natürliche Wohlergehen an: ut tribuas ei de rore caeli et de pinguedine terrae abundantiam frumenti et vini et olei, et omnium frugum opulentiam (Elze II, 2). Die herrscherliche Gewalt erstrahlt nun im hellsten Licht (et dignitas gloriosa regalis palatii maximo splendore regiae potestatis oculis omnium luce clarissima coruscare atque splendescere qua splendissimi fulguris maximo perfusa lumine videatur, Elze II, 2 a.a.O.). Es ist nun das regimen sapientiae (Elze X, 3), ihm entspricht die Wirkung im Volke selbst. Vor dem Segensgrund der Ewigkeit soll es im christlichen Leben wachsen (Deus inenarrabilis: Et ita populus iste pullulet coalitus benedictione eternitatis, ut Semper maneant tripudiantes in pace victores: Elze X, 5). So wird dem Herrscher selbst die Mitherrschaft in der Ewigkeit erfleht: die irdische Ordnung steht in unlösbarer Bindung zur ewigen Ordnung, sie ist in den Weg und Aufbruch zur Ewigkeit gestellt1®8. Leitbild ist Christus selbst, wie es der Karolingische Ordo (Elze XI) bei der Ubergabe des Szepters sagen läßt: „quia ideo unit te Deus deus tuus ad exemplum illius, quem ante secula unxerat oleo exultationis pre particibus suis, Jesum Christum dominum nostrum" (Elze XI, 6). So kann der Kaiser als Gesalbter von Johann VIII. „ad imitationem scilicet veri regis Christi filii sui" gedeutet werden"*, er wird zum typus Christi als der er in der Schwertformel (Vogel n. 19; Elze XVIII n. 32) erscheint: „cum mundi salvatore, cuius tipum geris in nomine". Er hat sogar die Stellvertretung des Herrn, also das königliche Christusvikariat (Vogel n. 22: cuius nomen vicemque gestare crederis), eine Sicht, die allerdings im Rahmen des päpstlichen Christusvikariates keinen Platz mehr hat und daher in den Kaiserordines nicht mehr auftritt. Was die Ordines wie ein Leitmotiv durchzieht, ist die Erhebung des Herrschers und seines Amtes in die neue Ordnung, die Christus hergestellt hat. Substanz und Form dieser Erhebung sind angezeigt in der „benedictio", der „consecratio", in ihrer Perspektive vollzieht sich die Übergabe der Insignien" 0 . Daß Segen, Weihe verschränkt sind in weltlich rechtliche Akte der Erhebung des M9

Wie es in der Stabformel des Westfränkischen Ordo heißt, vgl. oben S. 89, daß der Herrscher die Gerechten auf den Weg des ewigen Heiles führen solle, so durchzieht auch die Wegweisung für den Herrscher selbst die Blickrichtung auf die Ewigkeit: Deutscher Ordo, Vogel n. 17: quatinus iustitiam diligens (rex) per tramitem similiter iustitiae populum ducens, post peracta a te disposita in regali excellentia annorum curricula, pervenire ad aeterna gaudia mereatur. — n. 19: cum mundi salvatore, cuius typum geris in nomine, sine fine merearis regnare. — Kronformel, Elze I: aeterni regni coronam percipias". — Dazu das alte Gebet: Deus inenarrabilis: vgl. Übersicht bei Elze S. 188: Et ita populus iste . . sub eius imperio pullulet coalitus benedictione aeternitatis, ut Semper maneant tripudiantes in pace victuri. Johannes V i l i . Mansi, Coli. Sonc. XVII., App. 172 f. — vgl. Dazu E. Eidimann, Kaiserkrönung, S. 86 ff. i4 ° Die Überschriften der Ordines lauten: Benedictiones (869, 878: M G H Cap. II, S. 456, 461). — Edgar — Ordo (Schramm VII, S. 222) : Incipit consecratio regis. — Fulrad — Ordo, a. a. O. S. 237: . . ad regem consecrandum sive benedicendum. — Ebenso Deutscher Ordo, Vogel S. 246: ad benedicendum. — Ebenso oder ähnlich die Kaiserordines: Elze I, II, IV, V, VI, VII, V i l i , IX, X , X I (Benedictio ad ordinandum), XII, X I V , X V I , XVIII. N u r X V bringt: ad suscipiendam coronam imperii (Ordo v. Apamea).

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Herrschers, hat zur Folge, daß audi in der kirchlichen Erhebung ein Ringen um Positionen, Einfluß und Übergewicht zu beobachten ist; es ist aber nicht nur ein Ringen um Positionen vorhanden. In jeder Phase dieses Ringens kommen auch Grad und Weise der Einverwandlung einer temporalen Gegebenheit, der Herrschaft, in die Wirklichkeit eines regimen diristianum zur Wirkung. Diese Relation des Natürlichen zum Übernatürlichen, der Geschichte zur Heilsgeschichte ist immer wieder greifbar"1. Im alten Gebet: Deus inenarrabilis wird zuerst die Schöpfungsordnung entworfen, in ihr steht die irdische Herrschaft (Elze X, 5: Deus inenarrabilis auctor mundi, conditor generis humani, gubernator imperii, confirmator regni etc). Dann folgt der heilsgeschichtliche Aspekt, der Blick lenkt sich auf die in Abraham vorerwählten Herrscher (a.a.O.: qui ex utero fidelis amici tui patriardie nostri Abrahe preelegisti regem seculis profuturum), dieser wird in die Gottesfreundschaft der Moses, Josua, Gedeon, Samuel, David, Salomo gestellt. Die irdische Geborgenheit in Gott verbindet sich mit dem Gedeihen des Glaubens und der Liebe"2. Audi die Waffengewalt des Königs wird in dieser Hinordnung auf den christlichen Sdiwertdienst verstanden, wenn es in der ältesten erhaltenen Schwertformel heißt: „Accipe hunc gladium cum Dei benedictione tibi collatum ad vindictam malefactorum, laudem vero bonorum (1 Petr. 2, 14), in quo per virtutem Spiritus sancti resistere et eiicere valeas omnes tuos inimicos etc." (Westfr. Ordo, Schramm IV, S. 204). Eine Erwähnung des gladius spiritualis in einem auf die Sdiwertverleihung folgenden Gebet des Edgar Ordo (Sdiramm IV, S. 226): „ut omnis hostium suorum fortitudo virtute gladii spiritualis frangatur", ist für einen der Yorker Traktate (LdL III S. 677) sogar eine willkommene Gelegenheit, um daraus auch dem König flugs das spirituale Schwert zuzusprechen"'. Die Hilfe des geistlichen Sdiwertes be141

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Die natürliche Wertordnung erscheint etwa im Deutschen Ordo n. 1: in commune salutem; n. 3: Deus qui scis genus humanum nulla virtute posse subsistere; n. 7: Vis regnum tibi a Deo concessum secundum iustitiam patrum tuorum regere et defendere?; ferner n. 10, 12. — Der übernatürliche Bezug: n. 1: quatinus a tuae veritàtis tramite non recedat; — Das: Mitund Ineinandergreifen der natürlichen und übernatürlichen Bindungen zeigt der Satz: „Sis ei contra acies inimicorum lorica, in adversis galea, in prosperis patientia, in protectione clipeus sempiternus, et praesta, ut gentes illi teneant fidem, proceres sui habeant pacem, diligant caritatem, abstineant se a cupiditate, custodiant veritatem. Die Begriffsreihe: lorica, galea, patientia weist auf das natürliche soziale Verhalten; fides, Caritas, abstinentia (cupiditas), veritas auf die Heilsordnung. Pax gehört hier zum politischen sozialen Verhalten (proceres habeant pacem). Das Gebet: Deus inenarrabilis auctor mundi aus dem Sakramentar von Gellone findet sich in zahlreichen Ordines; siehe die Übersicht: Elze S. 188. M G H LdL III, S. 676 ff; 677: Gladius enim iste duplex est. Alius enim est in materia, alius in sacramento. In materia corpus, in virtute spiritus est et anathematis misterium optinet. Unde merito dici potest: ecce gladii duo hic, et responderi: satis est (Luc. 22, 38). — Im Ordo-Gebet heißt es (aus dem Gelasianischen Sakramentar; vgl. Übersicht Elze S. 189): Deus qui Providentia tua celestia simul et terrena moderaris, propiciare christianissimo regi nostro N., ut omnis hostium suorum fortitudo virtute gladii spiritualis frangatur, ac te pro ilio pugnante penitus conteratur. (Das Gebet steht auch Cencius II, Elze X I V n. 36). — Daß mit dem gladius spiritualis nicht das materielle Schwert gemeint ist, ergibt sich aus dem Nachsatz: te pugnante pro ilio. — Von einem Besitz des geistlichen Schwertes in der Hand des Königs ist nicht die Rede. Bezeichnend, daß es unbefangen in Cencius II aufgenommen werden kann.

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zieht sich jedoch hier auf die geistliche Kraft der Kirche. Dagegen wird der Waffendienst des Königs im Ordo der sieben Formeln (Order of Stavelot nach Bouman) in der Linie des Westfränkischen Ordo noch intensiver markiert: Verteidigung der Kirche, Gerechtigkeit, Schutz des Glaubens und der Gläubigen, schließlich: „viduas et pupillis clementer adiuves ac defendas, desolatarestaures, restaurata conserves, ulciscaris iniustas, confirmes bene disposita", um mit der schon zitierten Christustypik (cuius tipum geris; S. 97) zu schließen. Diese Formel gelangt über das Pontificale Romano-Germanicum (Vogel I. 255 f) in den für unsere Betrachtung besonders wichtigen kurialen Ordo der Kaiserkrönung vom Anfang des 13. Jahrhunderts (Elze, XVIII n. 32). Hier mit bezeichnenden Änderungen, enthält diese Formel doch jene Wendungen, die den mediativen Charakter der Funktion des Hierarchen kundtun (vgl. unten S. 281 ff). Damit sind wir bereits bei einem Thema, das unmittelbar in das Funktionsverhältnis der beiden Gewalten hineinreicht. Das Volk, das dem König anvertraut wird, ist der populus christianus (Deus inenarrabilis: et presta ut gentes illi teneant fidem, Elze X, 5; Szepterformel des Westfränkischen Ordo, Elze XIV, n. 41: populumque christianum tibi a Deo commissum), der fidelis populus (Elze II, 7: in protectione fidelium populorum). Der Heilsbezogenheit der königlichen Gewalt entspricht die Heilsbezogenheit der politisch organisierten und beherrschten Gemeinschaft. Das Reich selbst steht im Heilsplan Gottes (Sakramentar von Florenz, 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts: Deus qui ad praedicandum aeterni regni evangelium romanum imperium praeparasti; Elze IV, 8). DieOrdines bieten das ideale Bild eines höchsten Auftrags, dessen Erfüllung wir hier nicht an der enttäuschenden Wirklichkeit zu messen haben. Von diesen Mängeln unberührt bleibt die Geltung dieses Auftrages und damit auch die normative Bedeutung des kirchlichen Geschehens für die spätere Stellung des Herrschers. Denn wenn die Aufträge an den Herrscher im christlichen Volk anerkannt sein wollen und nicht usurpativ auftreten sollen, dann können sie nicht von der weltlichen Seite isoliert und in eigener Vollmacht sich selbst gegeben werden. Sie werden aus jener Folge der Offizien gesprochen, die mit der hierarchischen Struktur der ecclesia unlösbar verbunden ist. Noch bevor das Verhältnis der Gewalten selbst berührt ist, rühren wir so an eine Grundbedingung der Position des auch kirchlich promovierten Herrschers. Nicht einmal der zitierte Yorker Traktat kann ihr ausweichen, denn auch er muß zugestehen, daß nur der pontifex die Konsekration vollziehen kann und damit den König zum christus Domini macht: „Nec ideo minor est dicendus pontifice, quia consecrat eum pontifex" (LdL III S. 679). Bis hierher ist die Deutung der Herrscherweihe einfach und übersichtlich, einfach, wenn die weltliche Seite der Promotion und der kirchliche Akt für sich in ihrem Bereich betrachtet werden, das heißt, wenn die kirchliche Feier nur als spirituale Segnung eines rechtlich abgeschlossenen Aktes verstanden wird. Aber da die weltliche Erhebung, die Thronfolge, in einzelnen ihrer rechtsetzenden Akte in die Weihe und Krönung des Herrschers einbezogen sind, erlangt diese eine Bedeutung, die über eine rein kirchliche Zeremonie hinausgeht. Das Ineinandergehen von weltlichen und geistlichen Komponenten des Herrscheramtes wird selten so deutlich wie an der

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Weihe und Krönung, und da von diesem A k t her später zentrale Positionen des Gewaltenverhältnisses gedeutet werden, ist es notwendig, auf einige Einzelheiten einzugehen. Vorauszuschicken ist, daß Weihe und Krönung den konstitutiven weltlichen A k t — in den Geblütsrecht (Erbrecht), Designation, Wahl eingeschlossen sind — vollzogen sehen. Das sollte eigentlich die Sicht erleichtern, indem es ermöglicht, den weltlichen und kirchlichen A k t klar zu trennen und für sich zu werten, wobei dem weltlichen A k t konstitutive Bedeutung, dem kirchlichen A k t dagegen nur symbolische oder „überhöhende" Bedeutung zukäme. Auf das Ganze der Entwicklung und auf die spezifische rechtliche Substanz der Akte hin betrachtet, trifft eine solche Trennung der Akte und Zuweisung der grundlegenden weltlichen Herrschaftsrechte in den weltlichen A k t auch zu, dennoch zeigen einzelne Krönungen, ja sogar dauernde Einrichtungen, wie die Krönung des französischen Königs in Reims, vor allem seit dem 12. Jahrhundert, und die Kaiserkrönung selbst, daß der kirchlichen Erhebung mehr Gewicht als nur das der Symbolkraft zukommt244. Und wenn wir das, was die Verfassungsgeschichte als konstitutive Elemente der Thronfolge herausstellt und was uns die Berichte Widukinds (I, 26; II, 1), Thietmars (V, 3), Wipos (c. 1, 2) als typisch für das 11./12. Jahrhundert, der Bericht über die Wahl Lothars III. und Ottos über diejenige Barbarossas (Gesta Friderici II, 1) für das 12. Jahrhundert veranschaulichen, mit den Ordines vergleichen, dann erscheint die Promotion des Herrschers nicht in der klaren Abgrenzung von weltlichen und geistlichen Vorgängen, wie es die moderne, auf saubere rechtliche Trennung der Bereiche und Vorgänge bedachte Interpretation, nicht zu Unrecht, wünscht245. Die Ordi244

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P. E. Schramm, Der König v. Frankreich, S. 111. Gerade in der Zeit, in der die Wahl wegfiel (d. h. Ende des 12. Jahrhunderts) ist die Bedeutung der Krönung so gesteigert worden, daß man sie von nun an mit Recht das „achte Sakrament" der Franzosen nennen kann". Bericht über die Wahl Lothars III: MGH SS XII, S. 510 ff. — Die Erzählung Widukinds zu Heinrich I. (I, 26) bringt als konstitutive Elemente: Designation (I, 25), Übergabe der Insignien (I, 25) „Wahl" durch Fürsten und Grosse (unter Zustimmung des waffentragenden Umstandes (exercitus Francorum . . designavit eum regem coram omni populo) und des Volkes. Dazu kommen „fortuna et mores", das Königsheil. — Der Bericht über die Erhebung Ottos I. trennt deutlich die weltliche und kirchliche Promotion. Zur weltlichen Promotion gehört die Designation durch den Vater (II, 1), die nachfolgende „Wahl" durch das „Volk", d. h. die „duces ac prefectorum principes", die Teilhaber der Königsherrschaft (vgl. hierzu K. Bosl, Herrscher u. Beherrschte, Frühformen S. 143 f), „more suo fecerunt eum regem". Dazu gehören Thronsetzung (in solio ibidem constructo), Handgang und Treueversprechen (manus ei dantes ac fidem pollicentes), Heerfolge (operamque suam contra inimicos spondentes). — Dann erst folgt der kirchliche Akt, der freilich auch weltliche konstitutive Elemente enthält. So die Befragung des Volkes über den von den principes getätigten Akt und die Akklamatio (a cunctis principibus regem factum Oddonem; si vobis ista electio placeat, dextris in caelum levatis significate). In die Akklamation ist der Heilswunsch einbegriffen (clamore valido inprecati sunt prospera novo duci). — Heinrich II. wird nach der ersten Wahl (Thietmar V, 3) und der Krönung (V, 11) beim Umritt (V, 17) von den Sachsen nochmals in die Herrschaft eingewiesen, was die Anerkennung der Mainzer Wahl bedeutet. — Zu Umritt und Huldigung: Bosl, a. a. O. S. 147 ff. — Bei Konrad II. (Wipo, c. 1—3) sind Wahl und Weihe-Krönung ebenfalls klar getrennt. Ebenso bei dem bereits angeführten Bericht über Lothar III. — Dasselbe gilt für Friedrich I. (Otto v. Freising, Gesta Friderici, II, c. 1—3). Hier wird nun bereits die Wahl als ein besonderes

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nes stellen uns mehr Fragen, als sie uns Antworten geben, aber gerade das führt in die komplexe Situation der Herrschererhebung, in ihre lebendige und vielgestaltige Wirklichkeit. Da es keine festgelegte Thronfolgeordnung, geschweige denn eine schriftliche Fixierung, oder eine juristische Glossierung der Promotion, jedenfalls nicht in der Zeit der Ausbildung ihrer Formen gibt, sind wir gezwungen, diese lebendige Wirklichkeit wenigstens soweit zu erfassen, als sie für die Interpretation der Zweigewaltenlehre relevant ist. Daß aber die Promotion des Herrschers in der kirchenpolitischen Diskussion seit dem 12. Jahrhundert eine Quelle wichtiger Argumente wird, bedarf im Augenblick keiner besonderen Beweise. Als Ausgang unserer Betrachtung nehmen wir den Stand der Königserhebung am Ende des 9. Jahrhunderts, wie sie sich im Westfrankenreich ausbildet, denn hier wird der Grundstock der Ordines gebildet, die über den westfränkischen Ordo und den Ordo von Mainz die Krönung im westlichen Abendland bestimmen. Soweit notwendig, sei auch auf die Kaiserkrönung verwiesen. Ergebnis der Entwicklung auf den genannten Zeitpunkt ist, daß ein Kanon geschaffen wird, in dessen Rahmen auch die Investitur mit den Herrschaftszeichen fällt, sie wird selbst Teil des kirchlichen Aktes. Von hier aus kann man von einer Verkirchlichung der Herrscherpromotion sprechen. In den Generationen zuvor kann man feststellen, daß der Ablauf der rechtlich entscheidenden Vorgänge zwar soweit festliegt, als der coronandus schon in seinem Recht und Anspruch stehen muß, durch Geblüt („in Francorum regno reges ex genere prodeunt""'), Übertragung der Herrschaft vom Vater, durch Wahl und Zustimmung des „Volkes". Aber es lag noch in der Entwicklung, wie denn die Einweisung in die Herrschaft und das Ergreifen der Herrschaft im einzelnen gestaltet werden sollten. Die aus germanischem Herkommen berichtete Schilderhebung oder die Einweisung durch die Lanze sind in karolingisdier Zeit nicht greifbar; die Lanze gelangt, trotz der bevorzugten späteren Stellung der hl. Lanze im Königshort der Ostfranken, nicht in die Krönungsordnung2*7. Umritt und Huldigung erfolgen nach der Krönung, so daß sie nicht

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Merkmal des Romanum imperium herausgestellt: II, 1: Ubi cum de eligendo principe primates consultarent — nam id iuris Romani imperii apex, videlicet non per sanguinis propaginem descendere, sed per prineipum electionem reges creare, sibi tamquam ex singulari vendicat prerogativa — tandem ab omnibus Fredericus... petitur cunctorumque favore in regem sublimatur. Diese bemerkenswerte Aussage findet sich in Karls Libellus proclamationis gegen Wenilo, MGH Cap. II, n. 300, S. 450: Quia sicut dicit sanetus Gregorius et ex consuetudine olitana cognoscitis in Francorum regno reges ex genere prodeunt (Gregor Homil. in evang. X, c. 5) mihi a domno et genitore meo piae memoriae Hludowico augusto pars regni inter fratres meos reges divina dispositione est tradita. — Uberweisung der Lanze, Widukind I, 25. — Einweisung Heinrichs II. in Sachsen mit der hl. Lanze (Thietmar, V, 17). Zum Speersymbol, der römischen Vortragslanze vgl. A. Alfödi: Zum Speersymbol der Souveränität im Altertum, Festschrift Schramm S. 3 ff.: S. 6; „wie damals die militärische Investitur des Kaisers die Formen der Schilderhebung und der Torqueskrönung annahm (damals: Germanisierung des Heeres seit Konstantin), wirkte in der Formprägung des befriedeten Staatswesens das römische Vorbild mit gleicher Kraft auf die germanische Welt. Der Weg der römischen Vortragslanze, auch bei den neuen Herren die summa imperii zu sein, war also offen. — Damit ändern sich die Voraussetzungen

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zur Erhebung im engeren Sinn gehören. Der Brauch des Thrones, zuerst bei Leovigild in Spanien berichtet und hier als ungewöhnlich empfunden, hatte als wirkmächtiges Vorbild den kaiserlich-byzantinischen Thron" 8 . Die im spätrömisdien Kaisertum bekannte Torqueskrönung war in Byzanz durch Hauptkrönung abgelöst worden"'. Vergleicht man das, was zur Erhebung Pippins berichtet wird — electus, unctus, elevatus" 0 —, mit der Ordnung des späten 9. Jahrhunderts und des Mainzer Ordo im 10. Jahrhundert, so haben wir jetzt eine reich ausgestaltete und bemerkenswert differenzierte Zeremonie. Für die Zwischenzeit können wir im Ganzen der Herrschererhebung eine Linie weltlicher und kirchlicher Akte verfolgen. Die ersten sind gegeben in der Erhebung Pippins und später seiner Söhne (751, 768), der Krönung Ludwigs des Frommen und Lothars zum Mitkaiser (813, 817), der Krönung Karls des Kahlen durch Ludwig (838) und gleichzeitiger Investitur, dem Testament Karls an Ludwig den Stammler und die Ubergabe der Insignien durch seine Mutter Irmintrud261. Die Linie kirchlicher Akte stellt sich dar in: der zweimaligen Salbung Pippins (752 durch einen fränkischen Bischof, 754 durch Stephan II.), der Salbung der Söhne (768), der Salbung und Krönung der Söhne Karls in Rom (781), den Kaiserkrönungen 800, 816, 823 (Karl, Ludwig, Lothar), wobei die Krönungen Ludwigs und Lothars mit Salbungen verbunden waren, bei der Krönung Lothars die Investitur mit einem Schwert erscheint2". Es folgen die Salbung und Krönung Ludwigs II. 844 in Rom, mit Sdiwertinvestitur, seine Salbung und Krönung Ludwigs II. zum Kaiser (850, 872?), die kirchliche Segnung und Krönung der Tochter Karls des Kahlen Judith (856), seine eigene Salbung und Krönung in Metz (869) und zuvor schon in Orleans (848), Segnung und Krönung Irmintruds (866), Salbung und Krönung Ludwigs des Stammlers (877), dazu

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Höflers in H Z 157, 1938, S. 14 ff. — Zum Herrsdiaftszeidien der Lanze Schramm, Herrsdiaftszeichen II, S. 524 ff. — und: Schramm-Mütherich, Denkmale S. 27,39. Isidor, Historia Gothorum c. 51: Primusque (Leovigild) etiam inter suos regali veste opertus in solio resedit. N a m ante eum, et habitus et consessus communis ut populo ita et regibus erat. — D a z u Ewig, a . a . O . S. 25. — Zum Thron in römischer Zeit: H . U. Instinsky, Bischofsstuhl, S. 14 ff. — In Byzanz: O. Treitinger S. 32 ff. Treitinger, Die oströmische Kaiser- u. Reidisidee, S. 20 ff zu Torqueskrönung, S. 25 zur Bedeutung der kirchlidien Krönung. Sie war nach T. nidit notwendig, aber war, nachdem sie einmal geschaffen war, mehr als ein Schaustück. Annales regni Francorum zu 750: Pippinus secundum morem Francorum electus est ad regem et unctus per manum sanctae memoriae Bonefacii archiepiscopi et elevatus a Francis in regno in Suessionis civitate. Hildericus vero qui falso rex vocabatur tonsoratus est et in monasterium missus. (Quellen zur karol. Reichsgesch. I, S. 14). Erhebung Pippins 751, der Söhne: Annales regni Fr. zu 750, 768 (Quellen zur karol. Reichsgesch. S. 14, 22). — Ludwig Annales ebda zu 813, S. 102; Lothar, Annales zu 817, ebda S. 112; Zu Karl 838 vgl. Schramm, Der König v. Frankreich S. 13, er meint, man könne hier nidit von einer Krönung sprechen, da weder von Beteiligung der Geistlichen, nodi von einer festen Form, nodi von Salbung die Rede sei. — Zu 877: Annales Bertiniani (Quellen zur karol. Reidisgesch. II, S. 254 f), Schramm a. a. O. S. 56 ff. Pippins Salbungen 751/54: Annales regni Francorum zu 750, 754 (Quellen z. kar. Reidisgesch. S. 14); 781 ebda S. 40; Ludwig 816 Thegan, Vita Ludovici c. 17 (Quellen a. a. O. S. 226) Lothar 823: Vita Walae, M G H SS. II c. 17, S. 564: benedictionem honorem et nomen suscepi imperiali, officii, insuper diadema capitis et gladium. —

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schließlich die Kaiserkrönungen Karls des Kahlen, Karls III., Widos, Lamberts, Arnulfs253. Die Krönung in Orléans verband (zum ersten Male?) bei einer Königserhebung Salbung und Krönung, fügte als Investitur die Überreichung eines Szepters hinzu, eine Thronsetzung ist wahrscheinlich254. 869 wird Karl in der einer Synode ähnlichen Versammlung in der Stephanskirche in Metz, die von Hinkmar geleitet ist, gewählt; nachdem er ein Versprechen abgelegt hatte, gut und gerecht zu regieren, gesalbt und gekrönt, Palmzweig und Szepter sind die Insignien; 877 leistet Karl ein „promitto", dem die Kommendation und der Treueid der Großen folgt, Salbung und Krönung schließen sich an; weltlicher und kirchlicher Akt sind in einem Verfahren verbunden" 5 . Man sieht, die Investitur ist erst allmählich in die kirchliche Handlung einbezogen. Daß es neben der Krönung durch Papst und Bischof Krönungen durch den regierenden Herrscher selbst gibt, weist darauf, daß sie ebenso als weltlich konstituierender Akt empfunden werden. Die Krönungen in Lothringen 869 und in Compiègne 877 ergeben, daß „Wahl" und Kommendation in enger Verbindung mit dem kirchlichen Akt der Salbung und im Rahmen eines weltlich geistlichen Vorgangs getätigt werden können; die Investitur mit den Herrschaftszeichen gerät eindeutig in die kirchliche Erhebung. Das ostfränkische Gebiet hat an dieser Entwicklung keinen sichtbaren Anteil, obwohl es unwahrscheinlich ist, daß hier keine Königsweihen stattfanden256. Heinrich lehnt die Konsekration ab, er wird dafür später getadelt, aber das bleibt wirklich Ausnahme, die nur die Regel bestätigt, die mit der feierlichen Krönung Ottos I. 936 nun auch in Ostfranken greifbar einsetzt. In den Ordnungen zur Weihe und Krönung hat die skizzierte Entwicklung, die sich vor dem Hintergrund und im Rahmen des Kirchen- und Weltverständnisses, der personalen Herrschaftsauffassung, der Stellung der regalis potestas in der Kirche, ihres regimen in der Kirche entfaltet und in dieser Relation auch immer zu halten ist, bemerkenswerte Spuren hinterlassen. — Vorauszuschicken ist, daß auf die vorgängige weltliche Erhebung nicht explizit Bezug genommen wird, nur vereinzelt stoßen wir auf Andeutungen, die das Erbrecht oder die Wahl angehen. Hinkmar stellt in Metz 869 Karl den Kahlen vor: „heredem esse legitimum" (MGH, Cap. II. S. 339), sein Sohn Ludwig spricht 877 sein Wahl253

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Krönung Ludwigs II. zum König der Langobarden (mit Salbung) Lib. Pontif. II, c. 88. — Zu den Krönungen Ludwigs: A. Henggeier, Die Salbungen und Krönungen Lugwigs II., die freilich annimmt, daß Ludwig erst 872 zum Kaiser gekrönt worden sei. Ebenso G. Schnürer, Die Anfänge der abendl. Völkergemeinschaft S. 267 f. — Zu den Krönungen Karls des Kahlen und seiner Angehörigen: Schramm, der König von Frankreich, S. 21 ff, 33 ff, 56 ff. Zur Krönung in Orléans: Schramm a. a. O. S. 16 ff. Zu 869: M G H Cap. II n. 276, S. 302; zu 877 Cap. II n. 283, S. 304 und Annal. Bertiniani zu 877 (Quellen zur karol. Reichsgesch. II S. 254 f). D a ß auf der Synode von Hohenaltheim 916 ( M G H Const. I, S. 624) gegen aufständische Adlige das Anathem angekündigt wird mit der Begründung: „Quia sacrilegium peragit (der Eidbrecher gegen den König) manum suam in diristum Domini mittens anathema sit", kann nur schledit als symbolische Floskel erklärt werden. Vor allem auch, da es eine der ältesten Bezeichnungen dieser Art, nach der Erklärung Johanns VIII. zur Krönung Karls des Kahlen: Mansi XVII, App. 172, Eichmann Kaiserkrönung S. 86 ff, darstellt.

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versprechen als „misericordia domini Dei nostri et electione populi rex constitutus" (MGH, Cap. II. S.364), wobei allerdings von dieser „Wahl" nur das zu greifen ist, was die Annales Bertiniani als consensus der geistlichen und weltlichen Großen zur Krönung bezeichnen; das Testament des Vaters und die Investitur durch die Mutter werden nicht erwähnt257. Im Deutschen Ordo wird bei der Thronsetzung das Erbrecht unmittelbar angesprochen: „Sta et retine amodo locum quem hucusque paterna successione tenuisti, hereditario iure tibi delegatum per auctoritatem Dei omnipotentis et praesentem traditionem nostram" (Vogel n. 25, S. 258). Audi die Wahl wird erwähnt: „super hunc famulum tuum N . quem supplici devotione in regem elegimus" (Vogel n. 11, S. 250), wobei jedoch zu beachten ist, daß der zu Krönende erst nach der Akklamation von Klerus und Volk rex genannt wird (vgl. unten)258. Das Königsrecht wird vorausgesetzt, allerdings wird der Herrscher auch nicht als amtierender König vorgestellt, der nur noch eine kirchliche Segnung für sein Amt einholt oder erhält. Konsekration und Krönung sind selbst Teil der promotio des Herrschers. Der Deutsche Ordo im Pontificale Romano-Germanicum ist überschrieben: „Incipit ordo ad regem benedicendum quando novus a clero et populo sublimatur in regnum" (Vogel n. LXXII). Dabei ist „sublimare" ein häufig verwendeter Terminus für die Erhöhung des Herrschers25'. Im gleichen Ordo wird der König erst nach der Befragung des Volkes — nach dem scritinium — „Vis tali principi ac rectori te subicere etc.?" (Vogel, S. 249), und dem zweimaligen Fiat, also der Akklamation, als rex tituliert (Vogel n. 10: hunc regem nostrum), vorher ist er der princeps, oder princeps designatus. Da die Anspielung auf die „Wahl" nach der Akklamation fällt, bleibt sogar die Vermutung offen, daß das elegimus auf das kurz vorher erfolgte Fiat sich bezieht280, das dann vom Redaktor des Ordo als „electio" verstanden wäre. — Wie dem sei, man kann den Text gewiß nicht pressen, vor allem da sowohl Widukind, wie Wipo den 857

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Annales Bert, zu 877 (Quellen z. karol. Reichsgesdi. II, S. 254 f); S. 256: consensu omnium tarn episcoporum et abbatum quam regni primorum ceterorumque qui adfuerunt consecratus et coronatus est in regem Hlodowicus ab Hincmaro. Ullmann, Der Souveränitätsgedanke in den Krönungsordines, S. 79 f schließt aus dem Weihegebet Omnipotens aeterne Deus, in dem nach der Fassung im Deutschen Ordo (Vogel I S. 250) im Edgar-Ordo, Fulrad-Ordo (Schramm, S. 223, 238) die Formel erscheint: famulum tuum N . quem supplici devotione elegimus (eligimus), daß es ausschließlich die Bischöfe waren (nach dem Gebetstext) die den König wählten. Von den Laien, von einem Wahlakt sei nicht die Rede. Die vorausgehende Wahl sei so nur eine Designation, das entscheidende Element war die nachfolgende „Wahl" der Bischöfe. — N u n ist aber eligimus nur eine Lesart (vgl. Vogel a. a. O.). Das gleiche gilt für den Edgar und Fulrad-Ordo (vgl. Schramm a. a. O.). Damit fällt die Fassung „eligimus" als Beweis für die Designationsthese. In der Fassung „elegimus" ist der vorausgehende Wahlakt, bei dem auch die Bischöfe beteiligt sind, eingeschlossen. M G H Cap. II, n. 281, S. 357: si Deus et vos illum in regni regimine sublimaveritis; S. 366: in principatu, quo vos sublimari per divinam misericordiam optamus; — n. 304, S. 461: Salbungsformel (877): et in regni regimine sublimiter colloca; — Deutscher Ordo (Vogel I S. 246: Omnipotens sempiterne Deus, qui famulum tuum regni fastigio dignatus es sublimare, tribue ei; M G H Cap. II, S. 451: in regni solio sublimavit. Das „elegimus" hätte natürlich einen Doppelsinn. Es schließt ein die Wahl durch die Herrschaftsträger, wie — nun im Sinn des Redaktors des Ordo? — die Zustimmung des Volkes. Kölmel

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Gewählten bereits König nennen: „more suo fecerunt eum regem", „regem factum" (Widukind, II, 1); Wipo c. 3: rex pervenit Moguntiam; ibi c. consecrationem . . . devotus praestolabatur. Andrerseits werden Wahl und Krönung als derart zusammengehörend berichtet (vgl. Thietmar, Chronicon V, 11: Wahl, Krönung, Huldigung; ebenfalls Widukind und Wipo a.a.O.), daß auch die literarischen Quellen das Bild der ordines bekräftigen, dem zufolge Weihe und Krönung integrierende Bestandteile der Herrscherpromotion geworden sind. Ihre Funktion innerhalb der Promotion ergibt sich aus den Formeln der Investitur mit den Herrschaftsinsignien und den liturgischen Texten, vor allem zur Salbung. Die Investitur, im 9. Jahrhundert vom König selbst, dann in einzelnen Insignien (Schwert) von geistlicher Seite vorgenommen, schließlich fester Bestandteil der Weihe und Krönung, gehört zu Herrschaftsübergabe und Einweisung in die Herrschaft. Der Investitur bei der Krönung käme darnach die Bedeutung eines vollen weltlichen Rechtsaktes zu, was jedoch dadurch wieder eingeschränkt ist, daß der König schon vor der Krönung im Besitz der Insignien sein kann, man denke an die Übergabe an Konrad II. durch Kunigunde (Wipo c. 2). Trotzdem sollte man daraus nicht schließen, daß die im Rahmen von Weihe und Krönung erfolgende Investitur nur symbolisch-liturgischen Schauwert besitzt, dazu sprechen wieder gewisse Formeln eine zu deutliche Sprache. Eine pauschale Klassifizierung ist offenbar nicht möglich, so daß jetzt sdion gesagt werden kann, daß sich in der Investitur rechtlich-einweisende und symbolische mit den liturgischen Akten treffen, wobei ihre Wertung nur im Rahmen der Rechtskraft der gesamten Krönung zu bemessen ist" 1 . Gehen wir die Investiturformeln durch, so treffen wir in der Schwertformel die Einweisung in die Funktion der regalis potestas nach biblischem Vorbild: „Accipe hunc gladium cum Dei benedictione tibi collatum ad vindictam malefactorum, laudem vero bonorum (1 Petr. 2, 14; vgl. Anm.54)". Den weltlichen Aspekt nennt die Bemerkung des Redaktors im Deutschen Ordo: „Postea ab episcopis ensem accipiat et cum ense totum sibi regnum fideliter ad regendum . . commendatum" (Vogel n. 19). Bekräftigt wird diese Bemerkung durch das Wort des Konsekrators 936: „Accipe.. hunc gladium . . . auctoritate divina tibi tradita omni potestate totius imperii Francorum ad firmissimam pacem omnium Christianorum" (Widukind, II, 1). Noch deutlicher heißt es in Thronsetzungsformeln (vgl. oben), daß das regni solium: hereditario tibi delegatum per auctoritatem Dei omnipotentis et presentem *81 Die baculus-Formel des Ordo der fünf Formeln, Schramm IV, S. 208), vgl. folgende Seite 99, spricht unmittelbar von: „commendamus tibi gubernaculum regni Francorum". Die rechtlich konstitutive Einweisungskraft der Investitur wird in solchen Formeln besonders intensiv greifbar. Nimmt man sie zusammen mit der Schwertformel des Deutschen Ordo (vgl. oben Text): cum ense totum sibi regnum fideliter ad regendum, dann ergibt sich, daß solche Formulierungen keine abseitigen Gebilde darstellen, sondern einer bestimmten Vorstellung entstammen. — Die spätere Diktion des kurialen Ordo (Elze X V I I I ) vom 13. Jahrhundert bei der Schwertübergabe: n. 31: gladium evaginatum de altari sumit et ei tradit, curam intelligens imperii totius in gladio: benutzt nodi diese Vorstellung, auch wenn sie den Rechtsinhalt abschwächt, in dem jetzt nur von der cura imperii die Rede ist.

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traditionem nostrani (Vogel n. 25). — Der symbolische Charakter der Investitur zeigt sich in der Übergabe des Szepters: „Accipe sceptrum, regiae potestatis insigne, virgam scilicet rectam regni" (MHG Cap. II, S. 461 zu 877). Ebenso des Langstabes (baculum) im Westfränkischen Ordo: „Accipe baculum, sacri regiminis signum" (Schramm IV, S. 205), wobei das „sacrum regimen" auf die spezifisch christliche Aufgabe des Herrschers verweist, wie der folgende Text sie nennt: „ut imbecilles consolides titubantes confirmes, pravos corrigas, rectos dirigas in viam salutis aeternae (!)". Im Ordo der fünf Formeln wird dagegen das baculum als Zeichen der Herrschaftsein Weisung gedeutet: „Sub hoc baculo commendamus tibi gubernaculum regni Francorum in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, ut populum Domini iuste regas et ecclesias Sanctorum bene disponas" (Schramm IV, S. 208), ein Zeichen für die lebendige und vielgestaltige Interpretation der Insignien. Sinnbildliche Bedeutung hat der Ring: „Accipe anulum signaculum fidei" (Westfr. Ordo, Schramm IV, S. 204), auch die spätere Formel der Kaiserkrönung spricht von: „Accipe signum gloriae" (Elze I, X, XVIII). Die letztgenannten Aussagen weisen die Investitur betont auf die Funktion des Herrschers als „rex christianus", wie die Synode von Kiersy 858 Ludwig den Deutschen anspricht (MGH Cap. II, S. 430, 440, 441). Diese christliche Funktion durchzieht wie ein Leitfaden auch die übrigen In vesti turformeln: „in quo per virtutem Spiritus sancti " (Westr. Ordo n. 8, Schwertformel); oder mit dem Programm der christlichen Herrscherethik in der Schwertübergabe des Deutschen Ordo (vgl. oben S. 99), schließlich in der Szepterformel: „virgam virtütis, qua te ipsum bene regas, sanctam ecclesiam, populum videlicet christianum tibi a Deo commissum, regia virtute ab improbis defendas etc. (877; M G H Cap. II, S. 461). Die Einweisung des Herrschers in der Investitur der kirchlichen Erhebung ist über alle rechtlichen Potenzen, die ihr innewohnen, hinaus Einweisung in das regimen christianum mit all seinen Verpflichtungen, aber auch mit seiner Qualifikation für ein regnum, das seinen Platz innerhalb des regnum Christi selbst hat. Salbung und Krönung bringen das eindrucksstark zur Anschauung. Die Hauptsalbung Karls des Kahlen 869 stellt diesen in die Heilstradition der „sacerdotes, reges, prophetas et martyres", sie soll ihn würdig machen „eorum consortio in coelesti regno perfrui" (MGH Cap. II, S. 457). 877 verlautet sogar: „hunc famulum . . . multiplici honoris benedictione condecora et in regni regimine sublimiter colloca", wobei das sublimiter colloca in die Formel von 869 eingefügt ist (MGH Cap. II, S. 461). Es bezeichnet auf seine Weise genau jene andere Wendung vom „ungere in regem", „ungere in imperatorem", die uns in den Quellen des 9. Jahrhunderts begegnet2". In dieser 1,1



Ann. Fuld., M G H SS. I, S. 349: Pippinus et frater eius Ludovicus uncti sunt in reges" (Dazu: Eidimann, S. 63). — Ann. Bert, zu 850 (Ludwig II.): qui a Leone papa honorifice susceptus et in imperatorem unctus est (Quell, z. karol. Reichsgesch. S. 74). — M G H Cap. II, S. 340 (Hinkmar): sumpto dirismate, und adhuc habemus, peruncti et in regem sacrati; — S. 439 (Synode v. Kiersy an Ludwig d. Dt.): cum illis archiepiscopis et episcopis, qui consensu et voluntate populi regni istius domnum nostrum fratrem vestrum unxerunt in regem sacro dirismate divina traditione. — Diese Stelle ist deshalb so interessant, da sie den consensus des Volkes, also den weltlichen Promotionsakt mit der kirchlichen Weihe ver-

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Sicht hat die Salbung eine konstitutive Wirkung, sie hat ihr Vorbild in den Salbungen des Saul, des David und Salomon 2 ". Der Herrscher wird zum diristus Domini, an den Hand anzulegen nun bedeutet, Christus selbst zu verachten. Die Synode von Kiersy führt das, soweit ich sehe, in der fränkischen Geschichte und für die folgende Zeit zum ersten Mal und geradezu exemplarisch aus: „Et attendite, quam magni pendit sanctus David in loco illius (des Saul) electus et unctus a Domino mittere manum in christum Domini". Und: „Sic et qui infideliter et contumaci ter in unctum qualemcumque Domini manum mittit, dominum christorum Christum contemnit et in anima procul dubio spiritualis gladii animadversione perit" (MGH Cap. l i , S. 439) 2M . Darme ist ein Motiv ausgesprochen, das sowohl auf weltlicher wie geistlicher Seite, je in seiner Deutung im Verhältnis der Gewalten, an markanten Stellen wiederkehrt. Nach einem Brief an Kaiser Berengar nähert die Salbung das imperium so dem sacerdotium, daß es nur noch „parvum distat" ; die Synode von Hohenaltheim spricht erneut vom christus Domini; der Deutsche Ordo läßt bei der Handsalbung, die der Handsalbung des Bischofs korrespondiert, den Konsekrator sagen: „Unguantur manus iste de oleo sanctificato unde uneti fuerunt reges et prophetae et sicut unxit Samuhel David in regem, ut sis benedictus et constitutus rex in regno isto, super populum istum quem dominus Deus tuus dedit tibi ad regendum ac gubernandum" (Vogel S. 252). Heinrich IV. wirft Gregor vor, daß er den Gesalbten angetastet habe, der Yorker Traktat „De consecratione" wird die Salbung des Königs zum christus Domini als entscheidendes Argument gegen das sacerdotium ausspielen265. Andrerseits wird das sacerdotium aus der Salbung sein Vorrecht ableiten, wie es schon bei Hinkmar und Johannes VIII. anklingt2"8.

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bindet. — n. 300, S. 451 (Karl d. K. gegen Wenilo, 859): me secundum traditionem ecclesiasticam regem consecravit et in regni regimine dirismate sacro perunxit et diademate atque regni seeptro in regni solio sublimavit. — Siehe auch Anm. 265 (Heinrich IV.) ; 266 (Johann VIII., Johann XII.). M G H Cap. II, S. 457 (Salbung Karls (869): unde unxit sacerdotes, reges, prophetas et martyres. — Vgl. auch, Ullmann, Machtanspruch S. 232 f. Die Darlegung der Synode gilt bekanntlich Ludwig d. Dt., der gegen Karl den Kahlen vorging und die Bischöfe der Provinzen von Reims und Rouen nach Reims geladen hatte (Anm. Bert, zu 858). P. E. Schramm, Die Krönung in Deutschland, S. 257. — Heinrich IV.: Erdmann Reg. n. 12: Me quoque, qui licet indignus inter christos ad regem sum unctus. — Hohenaltheim, M G H Const. I, S. 623 f: vgl. Anm. 256. — Yorker Traktat, LdL III, S. 669: Unde una eademque videtur esse sanctificatio sacerdotis et regis et propter hoc virtus eadem, qua uterque uniformiter deificatur, et induendo dominum nostrum Jesum Christum fit et ipse diristus Domini . . . . Et propter hoc videtur esse potestas eadem. Johann VIII. zur Krönung Karls d. K., Mansi XVII, App. 172, 876: secundum priscam consuetudinem solemniter ad imperii Romani seeptra proveximus et augustali nomine decoravimus, unguentes eum oleo extrinsecus, ut interioris quoque spiritus saneti unetionis monstaremus virtutem. Christum hunc oleo laetitiae delibatum extrinsecus faciens, et prineipem populi sui constituens. — Die konstitutive Wirkung der Krönung zum Kaiser durch den Papst wird hier unmißverständlich ausgesprochen. — Dieselbe Spradie spricht Johannes XII. 962 gegenüber Otto I.: UB Magdeburg 1, 41 n. 28 (vgl. H . Keller DA 1965, S. 358): Quem paterno affectu suseipientes ad defensionem sanete Dei ecclesie in imperatorem cum beati Petri apostoli benedictione unximus.

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Wenn die Salbung dem Gesalbten eine eigene Stellung verleiht, die ihn in einen sakral verwehrten Raum stellt, der in der Meinung Heinrichs IV., die sicher repräsentativ gelten kann, auch dem sacerdotium „unantastbar" bleibt, dann wird in ihr augenscheinlich ein diesem Anspruch entsprechendes, ordnendes Ereignis gesehen. Man kann dieses Ereignis personal und institutionell werten. Personal, indem die „sacratissima unctio super caput eius defluat atque ad interiora eius descendat et cordis illius intima penetret" (877 zu MGH Cap. II., S. 461; ähnlich Cencius II, Elze X I V n. 27). Die unctio schafft die sakramentale Wirklichkeit, in der, wie der Konsekrator Konrads II. „inter sacra officia regiae unctionis" ausführt, die „Caritas Dei" den König „in virum alterum mutavit et numinis sui participem jecit" (Wipo c. 3). Institutionell, indem sie den Herrscher in jene Position bringt, die ihn in einem sakral verstandenen Königtum intra ecclesiam und in einer sakral verstandenen Gesellschaft (877: populum christianum tibi a Deo commissum Cap. II. S. 461 )2'7 adaequat konstituiert. Dabei ist nie außer acht zu lassen, daß der populus christianus, populus Domini (Ordo der fünf Formeln, Schramm IV, S. 208: ut populum Domini iuste regas) nicht eine ideologische Gruppe darstellt, sondern sich existentiell als sakramental verbundene Heilsgemeinschaft versteht, die mit dem König der Ewigkeit verbunden ist: „Et ita populus iste sub eius imperio pullulet coalitus benedictione aeternitatis, ut Semper maneant tripudiantes in pace victores" (Deus inenarrabilis: Vogel S. 252, 260). Weihe und Krönung sind auf diese politische organisierte Heilsgemeinschaft hingeordnet, die zugleich mit dem Herrscher in der Überlieferung des Volkes Gottes, geführt von Abraham, Moses, Josua, David steht (877; Cap. II. S. 461). Aber nicht nur die politische Gemeinschaft ist angesprochen. In dem im Westfränkischen Ordo und später in den Kaiserordines verwendeten Salbungsgebet: Domine Deus omnipotens, das römischen Ursprungs ist, findet sich der Satz, der nun auch für den Herrscher gilt: „huic famulo tuo prosperum imperatorie dignitatis concedas effectum, ut in tua dispositione constituto ad regendam ecclesiam tuam sanctam nihil ei presentia officiant"" 8 . Da die Formel ursprünglich für den hierarchischen Amtsträger bestimmt ist und später noch unbedenklich im kurialen Ordo des 13. Jahrhunderts figuriert (Elze X V I I I n. 17), kann man aus ihr nicht eine formelle Anerkennung einer weltlichen Kirchenherrschaft schließen. Man kann sie jedoch auch nicht so weit entwerten, daß sie zur nichtssagenden Floskel wird, sondern muß sie eben doch im Rahmen jener Wirklichkeit und jener Äußerungen sehen, die mit Eigenkirche, fränkisch1.7

Widukind II, 1: (Schwertübergabe an Otto): Accipe hunc gladium . . auctoritate divina tibi tradita omni potestate totius imperii Francorum ad firmissimam pacem omnium Christianorum. — Wipo I, 3: ut post caeleste magisterium christianum caperes imperium. Ad summam dignitatem pervenisti, vicarius es Christi. N e m o nisi illius imitator verus est dominator; oportet ut in hoc solio regni cogites de honore perenni. Magna felicitas est in mundo regnare, maxima autem in caelis triumphare. — Cantilena in Heinricum III. M G H in usuni schol. S. 8 0 : Quem Romani atque fidi Franci, clerus et populus Christo dicatus post Cuonradum adoptant domnum.

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Elze Verzeichnis S. 189. — Das Gebet ist wohl römischen Ursprungs. Th. Klauser, Jahrbuch f. Literaturwiss. 14 (1938) S. 451 f (Eichmann, S. 141 f). Die von Klauser zitierte Arbeit von P. Symon war nicht zugänglich.

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karolingischem Staatskirchentum gekennzeichnet sind. In der Sprache dieser Welt kann von einem gubernaculum, einem gubernare gegenüber der Kirche die Rede sein (vgl. S. 86). Daß sie mit der Salbung ein für den hierarchischen Amtsträger bestimmtes Gebet mit dem Wort von der regenda ecclesia auftaucht, weist auf jene weiteren bezeichnenden Einzelheiten der Herrschersalbung, die diese in die Nähe der Bischofssalbung führen. Die Herrschersalbung ist kein Sakrament, sie verleiht keinen priesterlichen ordo, darüber bestand kein Zweifel"*. Bedenkt man aber, daß die Hauptsalbung der Bischöfe im fränkischen Bereich (Ende des 8. Jahrhunderts) zuerst nachweisbar ist und der König ebenfalls am Haupt und mit Chrisam gesalbt wird, daß unter den Insignien der Langstab aufkommt, den auch die Bischöfe verwenden, dann ist bei allen Unterschieden zur Bischofsweihe, doch jenes Terrain anschaulich bereitet, in dem ein quasi pontifikales Bild der herrscherlichen Gewalt wachsen kann" 0 . Hier ist auch die zuerst in Cencius II erwähnte klerikale Gewandung, unter ihr die mitra, zu nennen (Elze X I V n. 19). Wenn die Deutung und Datierung Decker-Hauffs zutrifft, wäre sie in unmittelbaren Zusammenhang mit der Kaiserkrönung 962 zu bringen und gehörte zu dem „miro ornatu novoque apparatu" von dem Liutprand berichtet171. Die Kaiserkrone versinnbildliche darnach das himmlische Jerusalem; die Mitra, auf die die Bügelkrone aufgesetzt wurde, sie sei ein hohepriesterliches Zeichen, der Schlußstein der „rex et sacerdos"-Vorstellung. Die Wendung des Salbungsgebetes „ad regendam ecclesiam" bzw., um beim Deutschen Ordo zu bleiben, das „sanctas Dei aeccle2M

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Die Synode von Kiersy, die so deutlich den Weihecharakter Karls betont (vgl. Anm. 262), stellt anschließend ebenso unmißverständlich den unverwechselbaren bischöflichen Amtsund Weihecharakter heraus: M G H Cap. II, S. 439: Et nos episcopi Domino consecrati non sumus huiusmodi homines, ut, sicut homines saeculares, in vasallitico debeamus nos cuiuslibet commendare — sed ad defensionem et ad adiutorium gubernationis in ecclesiastico regimine nos ecclesiasque nostras committere — aut iurationis sacramentum, quos nos evangelica atque canonica auctoritas vetat, debeamus quoquomodo. Manus enim chrismate sacro peruncta, quae de pane et vino aqua mixto per orationem et crucis signum conficit corpus et Christi sanguinis sacramentum, abhominabile est, quicquid ante ordinationem fecerit, ut post ordinationem episcopatus saeculare tangat ullomodo sacramentum. Zur Herrschersalbung: E. Müller, Die Anfänge der Königsalbung, H J 56 (1938) S. 317 ff. Die fränkischen Könige werden, unabhängig von den Änderungen bei der Salbung des Kaisers, am Haupt und mit Chrisma gesalbt. — Zur Entwicklung der Salbung im Deutschen Ordo vgl. Anm. 273. — Zu baculus. Schramm, Der König von Frankreich, S. 60. Liutprand, Hist. Ottonis, c. 3. — Hierzu Decker-Hauff in: Schramm, Herrschaftszeichen II, S. 578 ff. Er deutet die Wiener Krone als „Corona super mitram". Mitra bedeute hier ein hohepriesterliches Zeichen, auf sie wurde die Krone aufgesetzt. Biblischer Beleg sei Eccl. 45, 14: Corona aurea super mitram. Die Mitra sei ein Schlußstein zur hohepriesterlichen Vorstellung vom rex et sacerdos. Der Ansatz einer Mitra unterhalb der Krone ist für D.-H. verbunden mit der erst für das 11. Jahrhundert aufkommenden bischöflichen Mitra (Leo IX., PL 143, S. 595. Dazu Braun, Die liturgische Gewandung S. 452 ff. Das 10. Jahrhundert würde demnach noch keine bischöfliche Mitra kennen. Das Privileg Leos IX. an Trier, eine Mitra zu tragen setzt aber die „Romana mitra" schon voraus: Romana mitra caput vestrum insignivimus, qua et vos et successores vestri in ecclesiis officiis Romano more utamini". Die kaiserliche Mitra mußte dann aber im Rom des Jahres 962 als Nachahmung, zumindest, der Romana mitra empfunden werden. Hierzu Decker-Hauff: Deer, Beitr. zur Kunstgesch. u. Archäologie des Ma., Abhandl. zur (Akten) zum 7. internat. Kongreß für frühmaeterl. Forsch. 1961, S. 261 ff.

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sias ac rectores ecclesiarum necnon et cunctum populum sibi subiectum iuste et religiöse regali Providentia iuxta morum patrum suorum defendere ac regere" (Vogel, S. 248), würde dann hohepriesterlichen Charakter annehmen. Audi ohne den genauen zeitlichen Ansatz der Krone zu 962 mußte die Mitra, deren Nennung bei Censius II sicher einen älteren Gebrauch festhält, das „parvum distat" von imperium und sacerdotium (vgl. S. 100) optisch und der Sache nach intensivieren" 1 . Nach der Deutung Decker-Hauffs war die Verbindung der Krone mit der weißen Mitra von weltlicher Seite aus vollzogen worden, damit war auch die „Vergeistlichung" des herrscherlichen Amtes Sadie dieser Seite, jedenfalls im Bereich der Herrschaftszeichen, der Weihe und Krönung. W i r befänden uns dann wieder auf jenem Terrain, aus dem A n schauungen entwachsen konnten, die dem Herrscher eine quasi-pontifikale Stellung zuschrieben. Der Deutsche Ordo und der Ordo der 7 Formeln (SO) unterstützen diese Tendenz, wenn es im Höhepunkt der Feier, der Krönung selbst, heißt: - n Für die Gesamtbeurteilung der Mitra ist wesentlich, daß sie als Zeichen hierarchischer Stellung gilt. Für den weltlichen Herrscher ist sie Zeichen seiner Eigenschaft als Kleriker. Cencius II (Elze X I V n. 19) spricht von mitra im Zusammenhang mit dem „fatiat eum clericum": Ibique fatiat eum clericum et concedit ei tunicam et dalmaticam et pluviale et mitram, caligas et sandalia, quibus utatur in Corona sua. — Eine andere Frage ist die Herkunft der Mitra, bzw. ihres Verhältnisses zu: Kamelaukion, Phrygium, Tiara. Klewitz, Die Krönung des Papstes SavZfR kan. Abt. 30, S. 109 f nimmt an, daß die Mitra sich aus dem weißen Phrygium, das im C C erwähnt ist (n. 16: frigium vero candido nitore), ableitet. Eichmann, Weihe und Krönung des Papstes, Münchener theol. Studien III, 1, S. 22—32 leitet die Mitra aus dem Kamelaukion ab. — Da Innozenz III. später klar den Unterschied von regnum und mitra als Unterschied von imperium (zu regnum gehörend) und mitra pontificium betont (PL 217, c. 665), darf man annehmen, daß schon vor ihm zwei Hauptinsignien getragen wurden: Eine, in signum temporalium, die andere, in signum spiritualium. Innozenz: Solus autem Petrus assumptus est in plenitudinem potestatis. In signum spiritualium contulit mihi mitram, in signum temporalium dedit mihi coronam; mitram pro sacerdotio, coronam pro regno, illius me constituens vicarium, qui habet in vestimento et in femore suo scriptum Rex regum et dominus dominantium, sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech (PL 217, 665). Sinngemäß wäre dann eine Reihe: Phrygium-regnumcorona zu ziehen, der gegenüber die liturgische Kopfbedeckung der Mitra steht, das heißt die Romana mitra, wie sie Leo anführt eine Identifikation von phrygium-mitra, in dem Sinne, daß ursprünglich nur das phrygium, sowohl im liturgischen wie außerliturgischen Raum in Gebrauch war, und später nur der Name wechselte (hierzu Ullmann, Machtanspruch S. 456). Was die Mitra selbst angeht, so nimmt Schramm unter Verweis auf DeckerHauff, Herrschaftszeichen S. 580 an, daß eine nachweisbar auch weltliche Mitra über zwei Menschenalter früher sei als die geistliche und nennt den Gebrauch des 11. Jahrhunderts auf geistlicher Seite eine „Wiedereinführung der Mitra" (Herrschaftszeichen I, S. 60). Beleg ist ihm die Wiener Krone, datiert zu 962, mit ihrer hohepriesterlichen Symbolik (vgl. vorige Anm. 271). — Nun wurde aber schon Anm. 271 darauf verwiesen, daß die Nachricht Leos IX. einen bestehenden und eingeführten Brauch voraussetzt. Braun, Liturgische Gewandung S. 442 nimmt auch bereits für 950 die Einführung der geistlichen Mitra an. Sofern also die Wiener Krone für 962 anzusetzen wäre, müßte die mit ihr verbundene Mitra eine Nachahmung einer geistlichen Kopfbedeckung sein und damit genau in die Linie weisen, die in Censius II erscheint. Mitren wurden nach Leo IX., zuerst von Nikolaus II. auch an weltliche Fürsten verliehen, so an den Herzog von Böhmen: Deusdedit, Collectio Canonum, I, ed. W. v. Glanvell, I, S. 385; Schramm, Herrschaftszeichen I, S. 74.

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VI. Regimen diristianum im politischen Bewußtsein

„Accipe coronam regni . . . eamque sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis expresse signare intellegas et per hanc te participem ministerii nostri non ignores, ita ut, sicut nos in interioribus pastores rectoresque animarum intellegimur, tu quoque in exterioribus verus Dei cultor strenuusque contra omnes adversitates aecclesiae Christi defensor regnique . . tuo regimini commissi utilis executor" (Vogel n. 22)"'. Die Krone als Zeichen der sanctitas, honor, opus fortitudinis — Petrus Damiani wird später in unverkennbarem Anklang diese Formel zitieren174 — und darin der Teilnahme am bischöflichen Amt in exterioribus, das ist eine ausgezeichnete Formulierung für das Verhältnis der Gewalten und der Stellung des Herrschers in der Kirche. Der Gegensatz: interiora — exteriora führt, wie schon Paulinus von Aquileja im 8. Jahrhundert ausführt, auf den homo spiritualis und den homo animalis275. Der pastor hat die spirituale Sorge für die anima, in der sich das ewige Schicksal des Menschen entscheidet, der rex für die exteriora als cultor, defensor, executor. Das Throngebet fügt dem hinzu, er solle im Auftrag Christi „mediator cleri et plebis" sein (Vogel n. 25). Teilnahme am bischöflichen ministerium; das regere ecclesiam besagt demnadi die lenkende Verantwortung für die exteriora der Kirche, zu denen alles gehörte, was vor dem Investiturstreit in Übung war, vor allem die Investitur der Bischöfe selbst. Die Kronformel des Deutschen Ordo schließt die Krönung mit dem Satz, der König möge mit Christus „cuius nomen vicemque gestare crederis, sine fine glorieris" (Vogel n. 22; SO n. 3, Vogel S. 261). Mit dem Christusvikariat des Königs, zu dem die Christustypik der Schwertformel zu halten ist (cuius typum geris in nomine, Vogel n. 19), ferner die christusförmige Mittlerschaft zwischen Klerus und Volk in der Thronformel (mediator Dei et hominum te mediatorem cleri et plebis. in hoc regni solio confirmet: Vogel n. 25), erhält das, was in Weihe, Investitur, Salbung und Krönung sich vollzog, seine letzte und höchste Begründung, auch für die Person des Herrschers. Der König soll: „in presenti seculo felicem et aeternae felicitatis . . esse consortem" (Vogel n. 23). Die Krone selbst, die Corona gloriae atque iustitiae verweist auf die Corona regni perpetui (869/877; MGH Cap. II, 457, 461). Dieselbe irdisch-himmlische Relation gilt für die Kaiserkrone das: signum gloriae. Auch sie soll gefolgt sein von der „aeterni regni Corona", die Christus „in consortio sanctorum" verleihen möge (Elze I, X, XIV, XVIII). Der Herrscher steht im endzeitlichen Bezug, wie der populus, den er zu regieren hat. Diese eschatologische Perspektive kann die Krone aber auch selbst darstellen, wie es Decker-Hauff an der Wiener Reichskrone nachgewiesen hat, sie ist ein Abbild, das auf das himmlische Jerusalem hinweist17'. Die Entwicklung der Krönung, vor allem der Kaiserkrönung, 273 I7
Auf sie kann im einzelnen nicht eingegangen werden. Neben der bereits erwähnten Unsicherheit der Summa Bambergensis (vgl. S. 211) zeigen Laurentius Hispanus und die Glossa Palatina markante Divergenzen. Laurentius, der nach einer von Guido Baysio überlieferten Glosse den Satz prägt: cum ex unctione demum sint r e g e s . . . liquet omnem principem regnorum a iudice ecclesie confirmationem et executionem consequi; actus tarnen diversi sunt" (F. Gillmann AKK 92, 219 f ; Baysio, Rosarium zu D. X c. 8), und der zu I, 6, 34 ad v. Grecis transtulit bemerkt: Unde quicumque est approbatus ab ecclesia, sive rex imperator, et est catholicus, eum credo imperatorem vel regem. Extra ecclesiam nullum credo imperatorem" (vgl. Anm. 502) — derselbe Laurentius wird von Tankred als ausgesprochener Gegner der Dependenz zitiert. Tankred zu IV, 17, 7: Solutio. Magister hugo dicit et bene, quod a solo deo habet potestatem in temporalibus imperator, papa vero in spiritualibus, et sic divisa est iurisdictio. Prius enim est imperator quam coronam aeeipiat a papa et gladium ab altari ut di X X I I I Legimus (c. 24). N a m ante fuit imperium quam apostolatus; et ante imperator quam apostolicus. laur. F. Gillmann, Joh. Galensis als Glossator, AKK 105, 1925 S. 541 Anm. 2. Für Laurentius gibt es offenbar eine gestufte Legitimität: die saekulare, die der Kaiser vor der Krönung besitzt, und die durch die „Approbatio" der Kirche erworbene als christlicher Herrscher. Die Glossa Palatina, die häufig Laurentius benutzt, sagt einerseits, daß der prineeps durch die Kirche die executio erlange (vgl. Anm. 468a), andrerseits heißt es: „imperator: ex sola enim electione prineipum dico eum verum imperatorem antequam a papa confirmetur (zu D. X C I I I c. 24 ad. v. imperator); Stickler, Salesianum 15, S. 588. —

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zu antworten, inwieweit die radikalen Positionen der späteren hierokratischen Anschauungen schon jetzt existent sind. Die hierokratische Interpretation der weltlich-päpstlichen Gewalt hat bis etwa 1220 grundlegende Positionen erreicht. Wir unterschieden die theologische Spekulation und die kanonistische Lehre, beide auch zeitlich deutlich getrennt. Gemeinsam ist ihnen, daß der Vorrang der dignitas sacerdotalis sich auch in der Konstitution der herrscherlichen Würde und im Gericht über den schlechten Herrscher kundtut. Damit ist das tradierte System eines relativ wechselseitigen Vorrangs in der Kirche zwischen der persona sacerdotalis und regalis zugunsten der hierarchischen kirchlich-weltlichen Offizienlehre beseitigt. Die theologische Interpretation, vor allem die einflußreiche Hugos von St. Viktor sieht den sacerdotalen Vorrang im Ganzen der sakramentalen Heilsgemeinschaft und der Heilsgeschichte. Hugo selbst hebt nicht die päpstliche Gewalt eigens hervor, aber seine Definitionen erweisen sich dennoch später bis in die Bulle „Unam sanctam" als sehr wirksam. — Die kanonistische Hierokratik, mit Paucapalea einsetzend, konzentriert sich auf die Herleitung der kaiserlichen Gewalt vom Papst und auf die vorhin erläuterte Deutung der kaiserlichen Herrschaft als: executio/usus des gladius materialis. Ihre Aussagen weisen interessante Varianten auf, ihre Argumente müssen auch nicht unbedingt auf einer Linie liegen, wie Laurentius Hispanus erweist 4 ". Die Kanonistik fügt die potestas temporalis in Gestalt der potestas imperatoris in das institutionell-juridische Rechtssystems der Dekretglossierung, später der Glossierung der Dekretalien. Damit erhält die hierokratische Lehre einen ausgesprochen institutionellen Charakter. Beide Seiten, die theologische wie die kanonistische tragen auf ihre Weise zur Entfaltung der Thesen bei. Der kanonistischen Interpretation kommt dabei dadurch die größere Bedeutung zu, als sie in Verbindung mit der kirchlichen Politik und Rechtspraxis effektiv wird. Die großen Juristenpäpste tragen das Ihrige dazu bei. Auf zwei Thesen kann man das Ergebnis der dekretistischen und dekretalistischen Interpretation bis 1220 zusammenfassen: 1) Gegen die Ableitung der kaiserlichen Gewalt „a solo Deo" auf der Linie von: Huguccio-Baziano, Glossatoren der Pariser und anglo-normannischen Schule wird die vermittelnde Funktion des vicarius Petri/Christi behauptet (Summa Reginensis: non minus a papa; a summo Pontífice secundario [nach Richard von Mores]). Laurentius Hispanus, an sich Vertreter der gottunmittelbaren Ableitung der Gewalt, führt mit dem Argument: Extra ecclesiam nullum credo imperatorem" die Diskussion auf die soliustistischen Thesen. Mit der populistischen Ableitung der Gewalt, die auch in der Dekretistik kräftig erscheint470 setzen 489

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Glossa Palatina: zu C. 8 ad v. discrevit: . . . liquet omnem principem regnorum a iudice ecclesie confirmationem et executionem consequi; Stidder, Salesianum 15, S. 588; Summa Bambergensis, a . a . O . S. 204: Dicendum est quod papa habet utrumque gladium, spiritualem auctoritate et executione, materialem auctoritate tantum". — Tankred, F. Gillmann, A K K 98, 1918, S. 408 Anm. 4: executionem gladii materialis quoad iuditium sanguinis imperatoribus et regibus ecclesia commisit, iurisdictionem vero causarum civilium aliquando per sacerdotes exercuit". Zu Laurentius vgl. Anm. 468 b. Et est sciendum, F. Gillmann A K K 107, S. 213 f: „Item ante hodie potest imperator uti gladio quam consecretur in imperatorem, populi electione, ei et in cum omnc ius et

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sich die hierokratischen Vertreter nicht ernstlich auseinander. 2) Der Kaiser ist dem Papst so untergeordnet, daß seine Absetzung als Folge der Verfügungsgewalt erscheint — Alanus dehnt diese Behauptung auch auf die andern Herrscher aus" 1 — und daß seine Herrschaft den Charakter einer executio des gladius materialis im Verhältnis zur verleihenden potestas des Papstes erhält. Der Begriff der executio wird rechtlich nicht umschrieben. Er kann auch, wie die Argumentation des Laurentius Hispanus zeigt, die volle kaiserliche Herrschaft beinhalten47*. Von Rufinus her besagt die kaiserliche Herrschaft mehr als untergeordnetes Ausführen gegebener Weisungen. Sie ist ebenfalls auctoritas. Damit ist implizit bereits die Frage nach dem rechtlichen Wesen dieser weltlichen Gewalt des Papstes gestellt. Ist sie (vgl. oben S. 206) nach Frage d) weltliche Gewalt im Sinne der späteren Terminologie der directa potestas? Soweit bis jetzt schon eine vorläufige Antwort gegeben werden kann, ist zu sagen: Die Herleitung der kaiserlichen Gewalt vom Papst bedeutet für den Papst Vergabe und damit Besitz des gladius materialis, wobei jedoch dieser „Besitz" noch zu klären wäre. Die aus der Dependenz folgende Gerichtsbarkeit über den Kaiser, das heißt eine direkte Absetzung aus eigener Machtfülle, gehört ihrerseits zu dieser weltlich-päpstlichen Gewalt, sie wird, etwa von Alanus in unmittelbarem Zusammenhang mit der Herleitung der kaiserlichen Gewalt genannt. Jedodi ist auch hier eine einschränkende Bemerkung zu machen, die zugleich zu den Argumenten überleitet, die den weltlichen Charakter der päpstlichen Gewalt wieder fraglich machen. Die päpstliche Gewalt über die Temporalien ist nämlich in einer eigenartigen, aber typischen Verschränkung zugleich nicht weltlicher Natur. Einmal darin, daß die Vergabe der kaiserlichen Gewalt überhaupt erst zusammen mit und auf Grund der Heilsordnung erscheint. Das monokephalische Argument, das Petrusvikariat, die Zweischwerterlehre erweisen das augenfällig. Wenn Alanus als erstes Argument nennt: „Verius est quod gladium habeat a papa. Est enim corpus unum ecclesiae. Item dominus utroque gladio usus e s t . . . Sed Petrum vicarium suum in terris in solidum constituit ergo

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omnem potestatem transfert" (lex regia). — Laurentius Hispanus, F. Gillmann, Des Laurentius Apparat S. 22: „Nam populus per electionem facit imperatorem, set non imperium". — Huguccio zu D. X C V I c. 6 (vgl. Anm. 457), Calasso S. 66: ego autem credo quod imperator potestatem gladii et dignitatem imperialem habet non ab apostolico set a principibus per electionem et populo. — Alanus, vgl. Anm. 451. — Zum Depositionsrecht bei Alanus: O. Hageneder, Päpstliches Recht der Fürstenabsetzung, A H P 1, 1963, S. 77 ff. — Allerdings führt H . nicht die Stelle des Alanus zu si duobus (Schulte a. a. O. vgl. Anm. 451) an, so spricht er nur vom Absetzungsrecht gegenüber dem Kaiser. Laurentius, F. Gillmann A K K 120 S. 221; G. Post, A K K 117, 1937, S. 414: „Sed die, quod aliud est ipsa iurisdictio per se inspecta que a deo processit et aliud quod ipsius iurisdictionis executionem consequatur aliquis per populum ut ibi dicitur . . . N a m populus per electionem facit imperatorem" (vgl. Anm. 470). Post schreibt die von Gillmann, Des Laurentius Apparat S. 22 dem Laurentius zugeschriebene Glosse dem Silvester Hispanus zu. G. hat die stärkeren Gründe. — Executio ist hier die konkrete herrschaftliche Gewalt also mehr denn nur „Ausführung".

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utrumque gladium ei reliquit" 4 ", dann verfügt der Papst nur als Haupt der Kirche über die Kaiserwürde und nur in der Nachfolge Christi und des Petrus. Dadurch ist es unmöglich gemadit, diese weltliche Gewalt isoliert als weltliche Gewalt im Sinne spezifischer saekularer Provenienz und saekularer Bereichsgeltung zu interpretieren. Sie entspringt kirchlicher Vorsteherschaft. Daß damit eine Fülle neuer Fragen aufgeworfen wird, bleibt zunächst sekundär. Für die Monokephalie bleibt aber Voraussetzung das tradierte Bild der einen, den mundus umgreifenden Kirche. Das heißt folgerichtig und im Gedankengang der Monokephalie, hier des Alanus, durchdacht — und man muß, um einer exakten Interpretation willen, genau in der Linie dieser Argumentation bleiben — die weltliche Gewalt des Papstes bezieht sich auf die Kirche, sie soll ja ein Haupt haben (ergo unum solum saput habere debet). Ein Paradox also, das sich auch so aussprechen läßt: Der Papst hat potestas über die Welt, weil über die Kirche. Aber dieses Paradox löst sich nur in der ihm vorausgehenden Sidit der Kirche und der Christusherrschaft selbst. Die Verschränkung von weltlicher und kirchlicher Gewalt setzt sidi fort in der richterlichen Verfügung über den Kaiser und die Fürsten, im Eingriff in die Temporalien. Es ist kein Eingreifen saekularer Wertigkeit, sondern erfolgt, sowohl negativ wie positiv aus Gründen der Heilsordnung. Es ist heilsrechtlich initiiert und motiviert. Negativ, indem der Papst nicht eingreifen kann, wenn nicht Gründe vorliegen, die der auch von der Kirdie zu sichernden geistlidi-weltlidien Gesamtordnung entspringen. Positiv, indem das Eingreifen aus heilsrechtlichen Motiven in Gang gebracht wird. Wiederum Alanus: Der Papst kann keineswegs den Kaiser „pro omni crimine" absetzen, sondern nur bei Hartnäckigkeit und auch hier nur dann, wenn ein scandalum eintritt: „Sed nec tum (bei Hartnäckigkeit) forte pro omni, sed solum pro tali quod scandalum induxit, ut est haeresis, symoniaca, discordia continua et si qua sunt similia". Im übrigen kann er nicht das gladius materialis „sibi retinere", denn Christus hat die Schwerter und die Offizien geteilt. Die Trennung der Offizien, die auch bei den radikalen Hierokraten Grundsatz bleibt" 4 , weist auf das bemerkenswerte Gefälle von der Dependenz zur Handhabung des gladius materialis. In der Ausübung der weltlichen Gewalt stellt sich die in der Dependenz vermißte Eigenständigkeit und Eigenverantwortung des Temporalen ein. Diese Eigenständigkeit betont ein m 474

Schulte Sitz. Ber. Wien. Ak. 66, 1970, S. 89. Summa Reginensis, Stickler, Salesianum 14, 1952, S. 494: et licet sint distincta officia utriusque potestatis, tarnen alterum pendet ex altero. — Summa Bambergensis, Stickler, Salesianum 15, S. 204 Anm.: Keine gegenseitige Appellation nach „si duobus"; ferner: potestas utraque in papa est, set executiones distincte sunt". — Johannes Galensis, F. Gillmann, AKK 98, 1918, S. 407: zu XII, 1, 13: (non enim intendimus iudicare de feudo) Directe, sed tarnen ratione peccati et inducendo ad p e n i t e n t i a m . . . Ecce et sie per consequentiam coget restituere feudum; zu XIV, 17, 13 (Per venerabilem): Plenam habet potestatem (papa) in hoc, quia ex quo légitimât in spiritualibus aliquem, per consequens est legitimatus in temporalibus, ut infra sequitur. Tarnen per hoc non probatur, quod dominus papa habeat iurisdiettonem ut. ff. de offïc. proconsul. (D I, 16). Item quia ad papam nichil spectat de temporalibus ut supra de appell. Si duobus (II, 28, 7). — Der Papst: „per quandam consequentiam légitimât, set non directe.

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im übrigen entschiedener Vertreter der weltlich-päpstlichen Gewalt wie Johannes Galensis in der Glosse zu „Per venerabilem" (IV, 17, 13), daß der Papst nicht das direkte Recht der Legitimatio per rescriptum besitze, sondern nur „per quandam consequentiam legitimat, set non directe""5. Es sind begrenzte Fälle, für die Tankred neun Gründe nennt: Fehlen eines Oberen, Nachlässigkeit des weltlichen Vorstehers, bei zweifelhaften Fällen (nach „Per venerabilem"), Kirchenland, Gewohnheitsrecht, kirchlichen Vergehen, bei Anzeige eines Verbrechens an ihn, bei Verdacht gegen den weltlichen Richter, bei gemischten Fällen (ratione connexitatis)47'. Diese Aufzählung gilt allgemein für den iudex ecclesiasticus, sie geht über Innozenz IV. später zu Ägidius Romanus und die folgende Publizistik, mit entsprechenden Veränderungen. Allerdings setzt das fallweise Eingreifen potentiell eine Fähigkeit allgemeiner Art voraus, und das ist wohl auch der Sinn dessen, daß Alanus vom Papst als „iudex Ordinarius omnium hominum de omni negotio"477. Der Papst hat entsprechend seinem universalem Amt eine Fähigkeit, wenn es nottut, überall einzugreifen. Die Formel „iudex Ordinarius" des Alanus stellt bereits eine äußerste Grenze dessen dar, was aus der kanonistischen Interpretation des beginnenden 13. Jahrhunderts den folgenden Generationen übergeben wird. Man kann füglich zweifeln, ob sie noch verschärft werden kann, will man nicht den Papst zu einem weltlichen Oberkaiser machen, wozu ja schon vor Alanus von Mißverständnissen keineswegs freie Anzeichen vorliegen. Ich denke an die imperator Bezeichnung in der Summa Coloniensis und Parisiensis478. Jedenfalls war mit derlei Auslassungen eine Linie sichtbar 475 478

477 478

Vgl. Anm. 474. Tankred, Glossa ordinaria, Stickler, Sacerdozio e regno, M H P 18 S. 24, Anm.: Iste est ergo unus casus, in quo iudex ecclesiasticus potest se immiscere seculari iurisdictioni sci. cum superior non invenitur. Alius est, cum iudex secularis negligit (iudicium vel) iustitiam facere ut J. c. prox; ar. X X I I I q. iv. administratores. Tertius, cum aliquid fuerit ambiguum et difficile et variatur inter iudices: J. qui fìlli sint legit., per venerabilem 1. e. quartus, cum est de terra supposita iurisdiction ecclesie: S. de appellationibus, si duobus (in fine). Quintus, si est de consuetudine, ut de suis malefactoribus iudicet ut S. e. tit. cum sit generale lib. II. Sextus in omni crimine ecclesiastico, puta sacrilegio, usura et similibus, ut VI q. II. c. i. et S. de usuris, quoniam in quibusdam (quoniam non solum). Septimus, cum per denuntiationem ratione criminis aliqua causa ad ecclesiam defertur. u. S. tit. prox. novit. Octavus, cum iudex secularis est suspectus et recusatur, ut hic in fine et in auth ut differentes iudices i et ij, c. ult. coli. vii;. Nonus est ratione connexitatis, quia potest iudex ecclesiasticus iudicare de dote, ex quo cognoscit de matrimonio ut S. de dote post divortium, de prudentia. Bibl. Cpit. Vercelli, Cod. ms. 89 f. 65 rb. Mitgeteilt von A. Stickler, M H P 18, S. 23. Summa Parisiensis zu C. II q. 6, c. 3: Omnis clericus, sedem, synodi et coram, quidem ad dominum papam. De saecularibus dicit, quid sit faciendum, sed non precipit. Vel possumus dicere quod ipse est verus imperator et imperator vicarius eius. ed. Laughlin, S. 108. — F. Schulte, Sitz, Ber. Wien. k. 64, 1870, S. 131 f. — Summa Coloniensis: „Quare imperator potest infamiam abolere, ideoque, cum papa super imperatorem, immo ipse verus imperator sit, non est dubium, eum idem posse . . . Imperator autem e contra abolitione sua civilia non ecclesiastica iura restituit." — Die letzte Bemerkung hinsichtlich des Kaisers zeigt, daß der Verfasser bei der Beseitigung der Infamie durch den Papst zunächst an die Beseitigung der kirchlichen Infamie, also eines ius ecclesiasticum, denkt, die dann auch für den weltlichen Bereich gilt, während der Kaiser nur ein „civile ius" restituieren kann. An einer zweiten Stelle heißt es: Hic quaeritur an a saeculari tribunali in causis pecu-

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geworden, die ebensoviele Fragen stellte, wie sie Lösungen gab. Es mußte sich herausstellen, wie die kanonistischen Thesen von der Theologie und wie sie im politischen Bewußtsein der Zeit aufgenommen wurden. Nach dem fehlenden publizistischen Widerhall, selbst in der Zeit des erbitterten Ringens mit Friedrich II., darf man annehmen, daß ihre Wirkung auf die kirchliche Rechtslehre beschränkt blieb. In der Praxis kam sie freilich in einem spektakulären und folgeschweren Ereignis zum Zug. Bei der Absetzung des Staufers 1245. Der Nachhall dieser Sentenz ist in der Publizistik der Jahrhundertwende nach dem Interregnum deutlich zu spüren. b) Die päpstliche Temporalgewalt in den Aussagen der Päpste vor allem Innozenz'

III.

Die päpstliche Temporalgewalt in den Aussagen der Päpste, vor allem Innozenz' III. — Hadrian IV. und Alexander III. — Innozenz III.: Die Doppelpoligkeit seiner Konzeption. — Die Dekretalen: „Venerabilem", „Novit", „Per Venerabilem". — Innozenz und das Imperium. — Die Idee der »Christianitas".

Das aus Kanonistik und Theologie gewonnene Bild bliebe unvollständig, wenn nicht auch wesentliche Aussagen der Päpste selbst zu Wort kämen. Für die offizielle kuriale Programmatik in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hat der den Streit in Besançon abschließende Brief Hadrians IV. (JL 10386) dadurch entscheidendes Gewicht, als er glaubwürdig versichert, „beneficium" sei als „bonum factum" und nicht in einer andern Bedeutung (alia significatione) zu verstehen und die Wendung „contulimus tibi indigne imperialis corone" besage nur ein Aufsetzen (imposuimus). Damit ist die Frage nach der konstitutiven Bedeutung des Aktes aus der Debatte genommen. Auch Alexander III., der umstrittene Nachfolger hat es vermieden, die Frage, zu der er seiner eigenen Vergangenheit nach (vgl. oben S. 222) eine Art Vorentscheidung getroffen hatte, aufzurollen. Was die Ausübung der weltlichen Gewalt im allgemeinen angeht, so hat er der Folgezeit als wichtigsten Passus die Dekretale: „si duobus" (II, 28, 7) hinterlassen mit dem Grundsatz, daß dort, wo keine eigene päpstliche Herrschaft besteht: „etsi de consuetudine ecclesiae teneat, secundum iuris rigorem credimus non tenere", nämlich die Appellation eines weltlichen Richters „ante iudicium vel post ad nostram audientiam". Diese klare Trennung der Rechtssphären wird später Ägidius Romanus einigen Kummer bereiten. Daß Alexander, wie Pacaut meint, die rufinische Unterscheidung von auctoritas und administratio zur Grundlage niariis ad papam appellari possit. Videtur hoc inde, quod papa verus imperator est. N o n dedignatur etiam imperator sanctam Romanam ecclesiam matrem suam agnoscere, cuius advocatus est et a qua imperiale decus accipit". Beide Stellen: Schulte a . a . O . S. 111. — Zum Treueeid der Bischöfe gegenüber dem Kaiser heißt es interessanterweise, a. a. O. S. 112: non omnem moderni temporis consuetudinem canonibus concordare, vel, quod potius est, imperatorem propter sacram unctionem in numéro laicorum non haberi". Stickler, Sacerdozio e regno M H P 18, S. 19 rechnet beide Summen „nella propria soluzione dei problemi pratici" zu den „perfetti dualisti".

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X. Die Entfaltung der hierokratisdien These bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts

seiner Politik gemacht habe, kann nicht als gesichert gelten. Im übrigen ist Rufinus mit seinen kierokratischen Interpreten nicht identisch479. Daß die Dinge trotzdem einer neuen Entscheidung zutrieben, ergab sich schon aus der staufischen Herrschaft in Italien, aus dem Schicksal der Mathildischen Allodien, aus der Umklammerung des Kirchenstaates durch die sizilische Erbschaft, aus der stadtrömischen, mit den Staufern sympathisierenden Opposition. Der Streit mit Urban III. konnte gefährlichste Ausmaße annehmen und wurde durch den frühen Tod Urbans erledigt. Heinrichs VI. Regierung bedeutet ein fortgesetztes Ringen der Kurie, einem übermächtigen Druck in Italien standzuhalten, aber über die Bannung wegen der Gefangennahme des Richard Löwenherz hinaus kommt es zu keinen Maßnahmen. Sein Tod gibt dem vier Monate später im Januar 1198 erhobenen Innozenz III. durch die Doppelwahl eine Entscheidung in die Hand, die fast modellhaft auf die inzwischen in der Kanonistik laut gewordenen Thesen zur Dependenz der kaiserlichen Würde paßte. Innozenz hat die Entscheidung in vollem Bewußtsein wahrgenommen und dadurch weist er der weiteren Entwicklung die Bahn, wobei jedoch, das sei vorweg bemerkt, „Entwicklung" und „Bahn" nicht einschichtig zu verstehen sind. Innozenz und sein Werk sind zu komplex, seine Impulse gehen in verschiedene Richtungen. Sowohl die Dekretale „Novit" (II, 13, 1) mit ihren Kernsätzen: „non enim intendimus iudicare de feudo" und „sed decernere de peccato, cuius ad nos pertinet sine dubitatione censura", wie die Dekretale „per venerabilem" (IV, 17, 13), in der er dem französischen König zugesteht, daß er „ipse superiorem in temporalibus minime recognoscat" stehen als äußerst wirkkräftige Anerkennungen temporalen Eigenstandes ebenso in seinem Programm, wie der Anspruch auf die „examinatio" des Kaiserkandidaten (Venerabilem; I, 34, 6), die Gewalt „super gentes et regna" aus der heraus er das „regium diadema" verleiht (PL 215, VI, 143; VII, 1). Die letzten Äußerungen weisen auf die Tatsache, daß unter seinem Pontifikat die kanonistisdien Thesen sich auf Alanus und Tankred hin verschärfen. Auch ein Vertreter der Eigenständigkeit des Imperium hinsichtlich seiner Gründung wie Laurentius Hispanus vertritt die Notwendigkeit der kirchlichen Approbation und Konfirmation: „Unde quicumque est approbatus ab ecclesia, sive rex sive imperator, et est catholicus, eum credo imperatorem vel regem"48*. Eine selbstsichere und unbedenklichere Argumentation madit sich breit, die Bedenken, wie sie noch wenige Jahre zuvor sichtbar werden (vgl. S. 211), scheinen an Kraft zu verlieren. Die überragende Geltung des Papstes hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine Art Doppelpoligkeit der Konzeption also. Trennung der Offizien einerseits, primatiale Führung andrerseits. Thesenmäßig kann man das Programm Innozenz' III. in folgenden Punkten darstellen: Er erkennt die zwei Gewalten in je ihrer Zuständigkeit an. Diese Zuständigkeit wird praesent „in

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M. Pacaut, Alexandre III, S. 218 ff. — Dagegen F. Kempf, Kanonistik und kuriale Politik S. 50 f (AHP, 1. 1963). Laurentius, F. Gillmann. Des Laurentius Apparat, S. 128 f (vgl. auch Anm. 469 und 501). — Weitere Stellen in Anm. 469,

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feudis" (Novit), das heißt die herrschaftliche, feudale Struktur der öffentlichen Ordnung folgt ihrer Gesetzlichkeit. Sie hat darin ihre eigene Zielrichtung, nämlich die Bewahrung dieser Ordnung. Ist also nicht monotheletisch ausgerichtet. Eine monotheletische Ausrichtung wird nur wirksam, wenn eine neue Ordnungsebene erreicht wird, also das „decernere de peccato" einsetzt. „Venerabilem" enthält neben dem Examinationsanspruch auch die Anerkennung des Wahlrechtes der deutschen Fürsten, freilich eingeschränkt durch die historischen Bedingungen, durch die Translation. Damit ist die Problematik der Krönung von 800 aufgerollt. In der Verleihung der Kaiserkrone und von Königskronen, aus dem Christus- und Petrusvikariat, zeigt sich die imitatio imperii auf einem Höhepunkt. Darnach wäre die hierokratische Forderung des „utrumque gladium" in der Hand des Papstes erfüllt a) im Sinne eines historischen Rechtes (Translation) b) in der primatialen Vergabegewalt. Nicht erfüllt ist sie im Verhältnis zum regnum (Frankreich). Unklar bleibt die Interpretation der päpstlichen Verfügung über die Krone im Verhältnis zum Grundsatz des „a solo D e o a , zur lex regia, zur populistischen Gründung der staatlichen Gewalt. Dieses Gerüst von Thesen ist nun aus dem reichen schriftlichen Material des Papstes anzufüllen, vor allem aus dem Register zum deutschen Thronstreit. Grundlegend bleibt auch für Innozenz die gelasianisdie Zweiheit. In immer neuen Bildern umschreibt er die Funktion von regnum und sacerdotium. Er sieht sie in den beiden einander zugewandten Cherubim (Reg. n. 2, 141), als zwei Säulen (ebda.), als die zwei „magna luminaria" (Sonne—Mond), schließlich im Bild der zwei Schwerter (Reg. n. 2, 32, 141, 179). Sie genügen, um in Eintracht den „status mundi" zu restaurieren (Reg. n. 179). Ihnen ist von Anfang an (principaliter) die Herrschaft dieses Zeitenlaufes anvertraut: „Nobis enim duobus regimen huius seculi principaliter est commissum" (Reg. n. 179). Die Zweischwerterlehre wird nicht subordinativ ausgewertet (Reg. 2, 141, 179), sie dient nur dazu, die koordinierenden Funktionen zu benennen. Das Gleiche gilt für die Zweilichterlehre (Reg. n. 2, 32, 141, 179). Die Sonne erleuchtet den Tag, das bezieht sich auf die spirituale Information (in spiritualibus spirituales informet; Reg. n. 32), der Vorrang, der sich von hier aus ergibt, ist spiritualer Natur. Der Mond strahlt in der Nacht, das ist illustrierend zum Petruswort (1. Petr. 2, 14) gesagt. Der Kaiser/König hat die Schwertaufgäbe, er besorgt die „exteriora". Im Grunde wiederholt sich die Uberzeugung Wazos von Lüttich hinsichtlich der beiden Funktionen (vgl. oben S. 196, Anm.414). Die mundus-ecclesia-Vorstellung, die wir in der karolingisdien Zeit feststellen können (vgl. S. 125 f), ist auch bei Innozenz nicht ganz verschwunden. Er verwendet zwar die Formel des Gelasius nicht mehr so unmittelbar auf die Relation: Kirche—Welt, aber wenn es heißt, daß die Kirche „celi nomine designatur" und somit die beiden luminaria eben in dieser Symbolik ecclesia-celum überhaupt erst einsichtig vorgestellt werden können, dann sind königliche und priesterliche Gewalt eben doch im Ordnungsfeld: Kirche gesehen.

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Was den Bereich des regnum/imperium angeht, so ist, wie schon angedeutet, eine relativ scharf unterschiedlich gezogene Distanz zwischen regnum und imperium hinsichtlich ihrer Eigenständigkeit sichtbar. Der König ist als oberster Lehensherr in lehensrechtlichen Fragen keinem kirchlichen Eingriff unterworfen. Einen Einspruch behält sich Innozenz vor, sofern der Bereich ins Spiel kommt, der mit der Sache und dem Begriff des „peccatum" gekennzeichnet ist. Die herrschaftlichen Relationen müssen so in Unordnung geraten sein, daß sie als „peccatum" gelten können. Man kann dagegen mit Recht einwenden, daß der Grundsatz „ratione peccati" letztlich unbegrenzte Eingriffe zuläßt. Im vorliegenden Fall handelt es sich freilich um einen durch seine Vorgeschichte und seine reditliche-politische Bedeutung sehr klar umgrenzten Fall. Es geht um den Lehenstreit zwischen Philipp August und Johann ohne Land, eine Appellation Johanns an den Papst war vorausgegangen, feierlich beschworene Verträge und der politische Friede als Ganzes waren Gegenstand der Auseinandersetzung und damit auch der päpstlichen Entscheidung. Wahrung des Rechts, Erhalt des Friedens waren in der Sicht der Zeit und der auf sie zukommenden Tradition aber zugleich der politischen und heilsrechtlichen Ordnung zugesprochen. Verletzung des Friedens und des Rechtes ist peccatum, übersteigt so eine rein weit-immanente Normierung und ruft das herbei, was zur Feststellung des peccatum gehört; Offenbarung, Heilsgeschichte, Heilsgesetz. Die Dekretale „Novit" verbindet Altes und Neues. Alt und überkommen ist die Anschauung, daß die zeitliche Ordnung nicht isoliert in einem autark abgeschirmten Eigenraum sich verwirklicht, sondern in die Schuldverhaftung der Erbsünde verflochten ist. Die irdische Ordnung steht nicht nur unter der „humana constitutio", sondern eher noch unter der „divina lex". Sie ist praesent in der von Christus gestifteten Ordnung, die dem Lenker der Kirche die Pflicht auferlegt „de quocumque peccato mortali corrigere quemlibet christianum" (Innozenz PL 215, c. 326 f). Neu ist, daß der Papst für einen politischen Streit die Kriterien zu bestimmen sucht, die einer correctio den Weg ebnen sollen. Der Grundsatz der „correctio", von Gregor VII. so unbeugsam praktiziert, wird nun auf ein politisches Exempel hin, in der Rechtssprache der Kanonistik formuliert. Innozenz folgt darin, wie Maccarone und Kempf betonen, seinem Lehrer Huguccio 491 . Er trennt und verbindet die Rechtsbereiche. Die Trennung bezieht sich auf die spezifische Eigenständigkeit, die Verbindung auf jenes Angewiesensein des Temporalen, das sich aus der Realität von Sünde und Heil ergibt. Im Bereich des Temporalen gibt es Sünde und existiert das durch die Kirche vermittelte Heil. In dieser Relation setzt das Eingreifen des Papstes ein, es ist der Punkt, an dem sich dann die spätere Terminologie des indirekten Eingreifens zu bilden beginnt. Johannes Galensis interpretiert „Novit" als Urteil „ratione peccati"; „Per venerabilem", also die Frage der Legitimatio per rescriptum, deutet er als „per 481

F. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 266 f. — Maccarone, Chiesa e stato nella dottrina di papa Innocenzo III, Lateranum 6, 1940, S. 68 ff.

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quandam consequentiam légitimât, set non directe"488. Ähnlich glossiert Laurentius Hispanus. Daß ein so engagierter Vertreter der hierokratischen Linie wie Galensis die spirituale Intention des päpstlichen Eingreifens fixiert, zeigt, daß das Anliegen des Papstes auch auf hierokratischer Seite verstanden wurde. Die in der Dekretale „Per venerabilem" gegebene Anerkennung der temporalen Höchstgewalt des französischen Königs fand in der Glossierung dagegen eine unterschiedliche Interpretation. Während Galensis und Laurentius Hispanus die Stelle: „superiorem in temporalibus minime recognoscat" nur mit „de facto" kommentierten, setzte Vincentius Hispanus sein „de iure" dagegen485. (Vgl. oben S. 63). Die eigene Meinung des Papstes ist darnach 188

Galensis: F. Gillmann, A K K 98, 1918, S. 407, vgl. Zitat Anm. 474. — Aus diesen Stellen geht klar hervor, daß auch der Galensis der Auffassung folgt, daß das „iudicare de feudo* „per consequentiam" erfolgt. — Aus der in Anm. 474 zitierten Glosse zu Per venerabilem (Gillmann A K K 98, S. 408) geht als Ansicht des Galensis hervor, d a ß einer Legitimation in spiritualibus von selbst (eo ipso) eine weltliche Legitimation folgt: „Ad hoc die, quod dominus papa non habet potestatem legitimandi in temporalibus, sed tarnen eo ipso, quod quis legitimatus est in spiritualibus intelligitur in temporalibus. Unde per quandam consequentiam légitimât, set non directe. Sepe enim permittitur per consequentiam, quod per se non permittitur". Hier wird auch bei einem Vertreter der hierokratischen Linie deutlich einmal der Unterschied der Bereiche, die je in sich gegründet sind, und das Umgreifen des spiritualen Bereichs. Das eo ipso bedeutet darin die Überordnung einer im spiritualen Bereich getroffenen Entscheidung. — Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 267 berücksichtigt in seiner Kritik am Galensis nicht diese Stellen, obwohl er die erstgenannte S. 265 als Beweis d a f ü r nimmt, daß der Galensis den Sinn von Per venerabilem als „ratione peccati" verstanden habe. K. bringt nur eine zweite Glosse (F. Gillmann, A K K 105, 1925 S. 541, w o der Galensis sich gegen die Meinung wendet, daß der Papst deshalb nicht den Herrschern „superior" sei, weil er nach dem ius commune über sie nicht richte. Und eine zweite Stelle (Gillmann, A K K 118, 1938, S. 199 Anm. 2), wo es zu „Per venerabilem" heißt, daß der Papst „in spiritualibus" dispensiere, mit Rechtsfolge f ü r die temporalia: „Tantum. Set hoc de facto est; quod de iure subest ei in utroque, utpote habenti terreni et celestis claves imperii. D. X X I I c. 1". Der Galensis tritt demnach f ü r eine spiritualtemporale Vollgewalt ein, die de iure universell ist, de facto aber nur casualiter eintreten kann. Das ist die Grundposition des „iudex Ordinarius" von Alanus, des Besitzes des weltlichen Schwertes „habitu", „potentia". Aber dieser Besitz ist jeweils nicht f ü r sich allein, sondern in Verbindung mit der Relation: spiritual-temporal im einzelnen, das heißt vom Wesen dieses „Besitzes" zu sehen. — Ähnlich urteilt Modii-Onory, Fonti canonistische S. 211 f : „l'azione papale resta pur sempre nell' ambito dell 'imperium spirituale del pontefice e soltanto indirettamente opera sul terreno temporale". — Von hier aus ist auch jene andere Stelle zu interpretieren, Gillmann, Des Laurentius Apparat, S. 74, in der Galensis zur temporalen päpstlichen Hoheit im Kirchenstaat bemerkt: „Maxime, dixit Johannes Galensis. Set 1. (aurentius) contra, quia eo teste non potest legitimare aliquem quo ad forum seculare, ubi non habet temporalem iurisdictionem, nisi prineeps hoc ei commiserit. — Laurentius tritt für eine sorgfältige Scheidung der Kompetenzbereiche ein (vgl. Anm. 469).

485

F. Gillmann, Joh. Galensis als Glossator, A K K 105, 1925, S. 513 f: zu IV, 17, 13 (Per venerabilem) ad v. recognoscat: de facto. Jo. Immo de iure. S. de iudit. N o v i t . Die Laurentiusglosse, Gillmann a. a. O. S. 514, Anm. 2: „De facto, la. De iure tarnen subest. To. imperio VII. Q. 1." Was Galensis angeht, so ist seine Meinung, daß der König, der in temporalibus superiorem minime recognoscat, dies nur de facto tut — vgl. auch MochiO n o r y S. 282 — zu der andern Glosse zu halten (vgl. Anm. 482), daß die Unterwerfung in spiritualibus eine de facto-Unterordnung bedeute, de iure jedoch der Papst die „claves terreni et celestis imperii" besitze.

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schwer zu bestimmen, jedoch sagt bereits eine faktische Anerkennung des französischen Standpunktes, daß er grundsätzlich nichts gegen den Anspruch einzuwenden hat, in temporalen Dingen höchste Instanz zu sein. Das liegt ganz in der Linie der anerkannten Bereichstrennung. Der Kaiserwürde gegenüber stehen die Verhältnisse anders. Zunächst nimmt Innozenz hier die ihm aus der Praxis der Kaiserpromotion entwachsende Aufgabe wahr, die Krone zu vergeben. Die Vergabe ist praktisch an die deutsche Vorwahl gebunden. Jetzt wird sie zur Entscheidung, nachdem eine Doppelwahl und die Bitte der weifischen Partei ihn zum Entscheid drängten484. Der Sache nach lag die Entscheidung bei ihm. Daran war an sich nichts mehr Bemerkenswertes, als es die durch die Doppelwahl geschaffene Situation beim Gegensatz von Staufern und Weifen bot. Es kam jedoch hinzu, daß das, was sich im 12. Jahrhundert in Praxis und Theorie herausgebildet hatte, mit dem Thronstreit in eine einmalige geschichtliche Entscheidung gerät und daß Innozenz dieser Situation sich mit vollem Bewußtsein stellt und sie in eine geschichtliche Tat formt. Für dieses Angehen der geschichtlichen Situation gibt es vielerlei Formeln, die freilich — ohne die Nuancen und das gerade bei Innozenz nur Angedeutete zu übersehen — alle auf die Begründung dessen hinzielen, was der Papst als Kern seines Vorgehens erkennen läßt, das: „ius et auctoritas examinandi personam electam in regem et promovendam in imperium" (Reg. n. 62). Dieses Recht gehört dem Papst: „qui eam inungimus, consecramus et coronamus" (a.a.O.). Was im Verhältnis des deutschen Königs und Kaiserkandidaten implizit immer schon heranstand und in der Wahlanzeige potentiell angedeutet war, das wird nun zum ersten Male rechtlich ausgeschöpft. Das Prüfen des Kandidaten zieht den Entscheid über den Kandidaten nach sich. Daß in dieser Inanspruchnahme und Entfaltung der in der Kaiserkrönung liegenden Möglichkeiten ein Novum erblickt wurde, darf man aus der Antwort der staufischen Seite, die in dieser Prüfung das Nachsehen hatte, entnehmen: „Ubinam legistis, o summi pontifices, ubi audistis, sancti patres, totius ecclesiae cardinales, antecessores vestros vel eorum missos Romanorum regum se electionibus immiscuisse sie, ut vel electorum personam gererent vel ut cognitores electionis vires trutinarent? Respondendi instantiam vos credimus non habere" (Reg. n. 61). Der Einwand litt daran, daß eine derartige Doppelwahl und Doppelkrönung eben auch ein Novum darstellten. Salbung, Konsekration und Krönung faßt Innozenz an andrer Stelle (Reg. n. 29: Deliberatio) zusammen im Bild des „finaliter pertinere", ihm gehört zu ein „principaliter". Das den päpstlichen An484

Reg. n. 3, S. 12: Petimus e r g o . . . (Berufung auf Kirdientreue der welfisch-englischen Seite) nos regiam dignitatem adeptos ad imperii consecrationem vocare dignemini. — Dazu vgl. Reg. n. 45, 6, 7, 8, 9, 10. — Dagegen die selbstbewußte staufische Diktion Reg. n. 12 und vor allem n. 14. Die staufisdie Haltung läuft darauf hinaus, die Wahl „in imperaturam Romani solii rite et sollempniter* Reg. n. 14 als allein rechtlich entscheidenden Akt darzutun. Die von Innozenz beanspruchte examinatio und Entsdieid in der Doppelwahl wird so zu einem „ad iura imperii manum cum iniuria" extendere, Reg. 14, S. 36; die Doppelwahl hat über sich keinen höheren Richter — Reg. n. 61: Romanorum enim regis electio, si in se scissa fuerit, non est superior iudex cuius ipsa sententia integranda, sed eligentium voluntate spontanea consuenda.

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spruch einleitende Recht sieht er in der Translation, das den Anspruch abschließende Recht sieht er darin, daß der: „imperator finalem a summo pontifice sive ultimam manus impositionem promotionis proprie accipit, dum ab eo benedicitur, coronatur et de imperio investitur" (Reg. n. 29). Zwischen „principaliter" und „finaliter", zwischen Translation und Promotion liegt die „electio" durch die Fürsten. Jedoch auch dieses Recht geht nach Innozenz auf die Translation des „Romanum imperium in persona magnifici Karoli a Grec i s . . . in Germanos" (Reg. n. 62), also auf das Ereignis von 800 zurück. Die Verbindung des germanischen regnum mit dem imperium ist durch das Papsttum geschaffen worden. Innozenz wendet sich damit gegen die staufische These, daß die Fürstenwahl die Erhebung eines Fürsten „in imperaturam Romani solii" bereits Herrschaftsrechte „in imperio et in terris, quas serenissimus frater suus habuit" verleihe und eine päpstlidie Einmischung in die getroffene Wahl verbiete (vgl. oben zu Regn. 61 und Reg. n. 14)485. Ohne in die Kaiserwahllehre Blochs zu geraten, darf man doch sagen, daß die „imperatura" mehr bedeutet als nur territorial-imperiale Herrschaftsrechte. Die Fürsten denken offenbar an das Verhältnis von weltlicher Königserhebung und kirchlicher Weihe, das heißt, die electio in imperaturam Romani solii madit den Gewählten zu der vom Papst zu krönenden Person. Eine Korrektur dieses Wahlentscheids durdi den Papst wird abgelehnt. Die historische Begründung des Papstrechtes, die klare Einschränkung auf den „regem in imperatorem postmodum promovendum" (Reg. n. 62) erweist, daß Innozenz keine Aussage über die weltliche Erhebung eines Herrschers an sich madien will. Man kann sie daher auch nidit als Pauschalurteil werten. Aber ist nicht in der Translation eine solche Aussage greifbar? Sicher nicht, denn an allen andern Stellen, die das Argument der Translation bringen, ist der Gedankengang der Deliberatio wiederholt (Reg. n. 18, 30, 31, 33, 62, 79); häufig verbunden mit dem Begriffspaar von principaliter und finaliter484. Die Kaiserwürde steht für Innozenz in einem eigenen Verhältnis, das sich von Anfang an (principaliter) aus den regna heraushebt. In Reg. n. 30 an Adolf von Köln wird diese Distanz sehr deutlidi: Er erklärt hier das finaliter mit dem Einschub: „finaliter, quia etsi alibi coronam regni acci485

H. Mitteis, Deutsche Königswahl, S. 120 ff, der die Lesung „imperatura" fand, sieht in ihr, im Unterschied zum Imperium im Sinne der überweltlidien, religiösen, sakralen, transzendenten Idee (S. 124), die „staatsrechtliche Stellung eines Kaisers im mitteleuropäischen R a u m . . . in Deutschland mit seinen Nebenländern* also einen engeren „Machtkomplex" den man nun in einem engeren Sinn das Imperium nannte. — D a ß jedoch „imperatura" nicht diese territoriale Einschränkung festlegt und der Unterschied eines engeren, territorialen und weiteren sakral-idealen Imperium nicht juristisch so scharf festliegt, zeigt der Wortgebrauch: Reg. n. 14 heißt es unmittelbar nach „imperatura", daß kein geeigneterer Kandidat gefunden sei ad sceptra et regimina sacri imperii gubernanda und, weiter unten: „niemand „in imperio et in terris, quas serenissimus frater suus habuit" solle ihm Herrsdiaft streitig machen. „Sacrum imperium" wäre das sakral-ideale Imperium, „in imperio et in terris" enthielte imperium als konkrete staatsrechtlich umschriebene Einheit. Wobei allerdings unklar bleibt, wo, im Verhältnis zu den „terrae" dieses imperium beginnt und aufhört. Finaliter-principaliter: Reg. n. 29, 30, 31, 33, 62, 79.

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piat, ab apostolica tarnen sede ultimam manus impositionem et coronam imperii recipit imperator". Die Krönung zum König wird hier als eigener Akt zugestanden, sie ist eigenen Rechtes. Die Zuständigkeit des Papstes beginnt mit der Intention auf das Imperium. Daß Innozenz so die Diskussion auf das Imperium konzentriert, entspricht im Grunde der kanonistischen Spekulation und deren Frage, ob der Kaiser sein Schwert vom Papst erhalte (vgl. S. 206 ff). Und diese Frage entspricht der historischen und faktischen Situation, in der das Kaisertum, enger als die übrigen regna, an die hierarchische Führung der Kirche gebunden ist. Nimmt es doch seinen Ursprung und seine jeweilige Verwirklichung in Rom selbst aus den Händen des Papstes. Innozenz hat diesen Bestand nüchtern und folgerichtig in seinem Sinn ausgelegt. Das Kaisertum wird so aus seiner Konstitution, gegen die staufische reformatio imperii mit ihrer gottunmittelbaren Sakralität des Imperium, kirchlich verstanden. Nicht umsonst betont Innozenz an den soeben genannten Stellen zur Translation als Zweck des Aktes von 800 die defensio ecclesiae. Die Sakralfunktion des Herrschertums wird somit in die hierarchische Stufung der Offizien mit ihren juridischen Konsequenzen eingefügt. Im Rahmen der gegenüber dem Imperium erscheinenden Konzeption ist auch die Inanspruchnahme imperialer Rechte zu verstehen. In der Erhebung Joannizas, des Bulgarenkönigs, beruft er sich zuerst auf seine universale Hirtengewalt, Kern ist Jer. 1, 10: Ecce te constitui super gentes et regna487. Für Innozenz besteht hierin sicher kein Unterschied zu der Position, in der Leo III. bei der Translation agierte. In der Annahme der Lehnshoheit über das Reich Johanns ohne Land, die ihm von diesem angetragen wurde, nennt er das Christusvikariat des Papstes und dessen universale Hirtengewalt zur Begründung der Annahme488. Dabei heißt es, daß Christus, der König und Hohepriester: „ita regnum et sacerdotium in ecclesia stabilivit, ut sacerdotale sit regnum et sacerdotium sit regale, sicut in epistola Petrus (1 Petr. 2, 9) et Moyses in lege (Exod. 19, 6) testantur, unum preficiens universis, quem suum in terris vicarium ordinavit, ut sicut ei flectitur omne genu celestium, terrestrium et etiam infernorum, ita illi omnes obediant et intendant, ut sit unum ovile et unus pastor". Die Könige achten daher ihre Herrschaft nur dann als ordnungsgemäß (rite), wenn sie dem Papst ehrfürchtig zu dienen sudien. Das entscheidende Verständnis geht um die Wendung: „ut sacerdotale sit regnum et sacerdotium sit regale". Auf das folgende Bild des universalen Hirten (unum ovile, unus pastor) bezogen, sieht es so aus, als ob das „sacerdotale sit regnum" und das Gegenglied eine päpstliche Oberherrschaft meinen, das heißt, als ob regnum und sacerdotium in der Hand des Papstes vereint wären. Der Text selbst nennt zuerst die von Christus angeordnete Stellung des regnum und sacerdotium, also der zwei Gewalten, in der Kirche. Sollte nun die das „ i t a . . . stabilivit" erläuternde Wendung „ut sacerdotale sit regnum etc." bedeuten, daß das 487

188

Diese Begründung findet sich sowohl im Schreiben an den Erzbisdiof von Zagora: PL 215, c. 156 f., wie im Privileg selbst: PL 215, c. 277 f. PL 216, c. 923 f.

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sacerdotium das regnum in Händen habe und königliche Herrschaft besitze, also eine Inhaberschaft der zwei Gewalten, so wäre das zuvor vom sacerdotium deutlich getrennte regnum nun anschließend in der Hand des Papstes mit dem sacerdotium vereint. Regnum wäre damit in doppelter rechtlicher Relevanz da: zuerst als rein weltlidie Herrschaft, dann als dieselbe weltliche Herrschaft in Händen des Papstes. Eine solche Deutung tut aber nicht nur dem Text Gewalt an, indem tautologisch im ersten Glied das Prädikativ (sacerdotale), im zweiten Glied das gleichbedeutende substantivische Subjekt einen Besitz aussagen sollen, obwohl nur eine vieldeutige Seinsaussage erfolgt. Sie widerspricht auch allen sonstigen Ausführungen über das Verhältnis von regnum und sacerdotium, die gerade im Register über den Thronstreit so ausführlich regnum und sacerdotium als getrennte Einrichtungen dartun48*. Ich würde daher auch nicht wie Kempf sagen, hier gipfle im Papst das vom kirchlichen Dienst her verstandene regnum und auch das sacerdotium, oder wie Hoffmann eine Bestätigung dafür sehen, daß nach rechter Ordnung alle Könige ihr Amt von der Kirche erhalten4"0. 189 y o r a J J e m Reg. n. 18, Konsistorialansprache an die Boten Philipps. Hier wird an der Gestalt des Meldiisededi sowohl die concordia wie die Verschiedenheit der Gewalten betont: „Sane, si distat inter civitatem et deitatem, distat utique inter regnum et sacerdotium. N a m etsi Meldiisededi in figura Christi precesserit, qui habet in vestimento et in femore scriptum: rex regum et dominus dominantium, sacerdos in eternum secundum ordinem Meldiisededi, ad notandam concordiam que inter regnum et sacerdotium debet e x t i s t e r e . . . ad notandum tarnen preminentiam quam sacerdotium habet ad regnum". Concordia der beiden in der Distanz von civitas und deitas existierenden Ordnungsbereidie, bei Preeminenz der dignitas sacerdotalis. — Die concordia ist zugleich „mutua subventio"; Reg. n. 97: „Sic sibi spiritualis et materialis gladius mutuant mutue subventionis auxilium et vicissim communicant vires suas, ut defectus suos ope vicaria supplantet uterque alterius perficiat imperfectum". 190 Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 289 f. scheint anzunehmen, daß das sacerdotale regnum zusammen mit dem sacerdotium regale den Papst meine, denn er bringt die Deutung von Reg. n. 18: „singuli proceres singulas habent provincias, et singuli reges singula regna; sed Petrus, sicut plenitudine sie et latitudine preminet universis" unmittelbar in Verbindung mit dem Privileg f ü r Johann: „Innonenz hat sich darüber noch deutlicher ausgesprochen", „Darüber" meint sowohl das im Papst gipfelnde von kirchlichen Dienst verstandene regnum als auch sacerdotium, vgl. Zitat oben im Text. — H . Hoffmann DA 20, 1964, S. 111: das Privileg für Johann zeige am klarsten, daß die Wendungen Innozenz III. zur Annahme drängen, er halte es für rechte Ordnung, daß alle Könige ihr Amt von der Kirche erhielten. 4,1 Die Aussage: „ut sacerdotale s i t regnum ect." ist deutlich unterschieden von einer Formel: „papa utrumque gladium habet". Im ersten Falle eine ontisdie heilsexistentielle Prädikatisierung, im zweiten Falle eine Verfügung über die materiale Sdiwertgewalt. — Daß Innozenz mit dem sacerdotale regnum in der karolingisdien Tradition spricht (vgl. folgende Anm. zu G. Ladner), kann nur approximativ gelten, da er ja sehr scharf im sakralen Charakter der Herrschersalbung die Differenz von pontifikaler und regaler Gewalt betont: I, 15, un.: Refert autem inter pontificis et prineipis unetionem, quia caput pontificis chrismate consecratur, bradiium vero prineipis oleo delinitur, ut ostendatur quanta sit differentia inter auetoritatem pontificis et prineipis potestatem". Dagegen bestehen keine Bedenken, im sacerdotale regnum sowohl das „regale sacerdotium" der „gens saneta" (1. Petr. 2, 9) anzusetzen, wie den Weihecharakter des gesalbten Königs. In Reg. 2 wird ja 1. Petr. 2, 9 eingeleitet mit dem Satz: „Petrus ad fidem conversis Christi dicebat"; damit ist der Sinnbezug des regale sacerdotium auf das genus electum der „ad fidem Christi conversis" gewahrt. 16 Kölmel

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Im Verständnis der Wendung „ut sacerdotale sit regnum etc." 4 * 1 kommt man wenigstens etwas weiter, wenn man sie mit solchen Stellen vergleicht, in denen ebenfalls das Wechsel Verhältnis: sacerdotale/regnum und sacerdotium/ regale mit einer Aussage über regnum und sacerdotium verbunden ist. Das Register über den Thronstreit hat zwei Beispiele. Im ersten Brief an die deutschen Fürsten (Reg. n. 2) führt Innozenz aus, daß die concordia zwischen regnum und sacerdotium von Christus selbst „in seipso", dem Königspriester dargetan wurde. Dazu bringt er 1 Petr. 2, 9 und Apok. 5, 10; ihnen schließen sich in wechselnden Bildern (Cherubim, Säulen, Zweilichter, Zweischwerter) Belege für die Eintrachtsordnung der beiden Gewalten an. Stellt der Petrusverweis das „regale sacerdotium" dar, das allen Gläubigen gilt (Innozenz: „Petrus ad fidem Christi conversis dicebat"), so bringt Apok. 5, 10 das Bild der beiden Gewalten: „Fecisti nos Deo nostro regnum et sacerdotes". An der zweiten Stelle, Reg. n. 141, wieder an die deutsche Adresse gerichtet, heißt es: „Ad designandum unitatis concordiam et concordiae unitatem que inter regnum et sacerdotium esse debet Moyses (Exod. 19, 6) in veteri lege regnum sacerdotale predixit, et Petrus in nova regale sacerdotium appellavit". Wiederum wird für die „unitas concordiae" auf das in Christus existente Königspriestertum, und das seines figurativen Abbildes, Melchisedech, verwiesen. Dann folgen in kurzer Zusammenfassung — mit Auslassung des Bildes der Cherubim — die Bilder von Reg. n. 2. Beim Zweilichterbild heißt es zum Verhältnis von pontificalis auctoritas et regalis potestas (Gelasius) „que si concordi fuerint amicitia et amica concordia counite, profecto sol et luna in ordine suo stabunt". Genau wie im Privileg für Johann haben wir hier zuerst die Apostrophierung von regnum und sacerdotium, dann die gleichen Bibelstellen, endlich (in der Reihenfolge geändert) die Begriffspaare: sacerdotale regnum und regale sacerdotium. Die kleinen Varianten eingerechnet ist die Parallelität offensichtlich, so daß für diesen Teil der Aussage ein gleicher Sinngehalt anzunehmen wäre, das heißt die in Christus begründete königpriesterliche concordia. Reg. n. 2 und 141 bleiben allerdings bei diesem Thema, während im Privileg die monokephalische Vorordnung des unus pastor sich unmittelbar anschließt. Hier ergibt sich freilich eine handfeste Schwierigkeit. Gilt die Aussage über den Vorrang des Papstes (unum preficiens etc.) als Begründung für eine Zweieinheit von sacerdotale/regnum und sacerdotium/ regale oder sind beide Aussagen nur koordiniert? Im ersten Fall (a) müßte sich das sacerdotale regnum auf den Papst beziehen, im zweiten Fall (b) würde es an die karolingische Tradition des „Rex in ecclesia" erinnern. Eine Interpretation im Sinne von a) zwingt jedoch dazu, Priestertum und rein weltliche Gewalt des „regnum" in der Hand des Papstes zu vereinen und das widerspräche, wie bereits ausgeführt, den gesamten sonstigen Ausführungen Innozenz' III. — Für eine Erklärung im Sinn von b) spricht der Verweis auf das allgemeine Priestertum des Petrusbriefes (1 Petr. 2, 9) und die besondere sakrale Weihe des Herrschers. Ladner nimmt denn auch die Stelle als Erweis für die karolingische Tradition bei Innozenz 4 ". Gegen eine solch 491

G. Ladner, The concepts: Ecclesia etc. MHP 18, S. 70: Innozenz stehe zuweilen offen-

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unbesehene Einordnung spridit jedoch, daß der Papst sehr bestimmt das sacerdotium vom regnum abhebt493. Eine „rex-sacerdos" Vorstellung in karolingischem Stil wäre Innozenz absolut fremd. Eine restlos überzeugende Entscheidung für die eine oder andere Lösung ist bei diesem Befund nicht zu fällen. Man könnte sich höchstens damit helfen, daß sowohl regnum wie das Attribut sacerdotale in der Wendung „sacerdotale regnum" in einem unspezifischen Sinn, d. h. regnum nicht als spezifisch weltliche Herrschaft und „sacerdotale" nicht im Sinn des spezifischen Amtspriestertums, gemeint wären. Aber auch damit wäre nicht viel geholfen, denn dann wäre die Aussagefähigkeit für den Satz: „ita regnum et sacerdotium in ecclesia stabilivit" allzu farblos und nichtsagend. Aus all diesen Gründen bietet die Wendung vom sacerdotale regnum keine sichere Basis, um darauf die Idee einer päpstlichen Weltherrschaft zu gründen. Mit Sicherheit sagt sie nicht mehr aus, als das, was Innozenz auch sonst verkündet, nämlich die im Papste gipfelnde Eintracht der königpriesterlichen Ordnung, wie sie Christus seinem Vikar übergeben hat. Die zweite Wendung: „ut sacerdotium... sit regale" ist einfach zu deuten. Sie sagt, daß auch dem sacerdotium ein regaler Charakter zukommt. Dieser stellt sich dar, wenn wir die Gesamtansdiauung des Papstes einbeziehen, in seinen Rechtstiteln gegenüber dem Kaiser, in der richterlichen Gewalt über die Herrscher (de peccato), in Maßnahmen: „certis causis inspectis". Das Privileg für Johann sagt nichts aus über eine weltliche Oberherrschaft kraft eigener weltlicher Titel, aus denen heraus Johann eo ipso zur Unterwerfung verpflichtet wäre. Der König unterwirft sich freiwillig; jetzt erst kommen im Papst regnum und sacerdotium zusammen. Zum gebotenen Gehorsam „in spiritualibus" kommt die freiwillige Unterwerfung „in temporalibus". Innozenz drückt dieses Doppelverhältnis sehr klar aus, wenn er Johann anredet: „Quod t u . . . teipsum et regna tua etiam temporaliter ei subicere decrevisti, cui noveras spiritualiter esse subiecta, ut in unam vicarii Christi personam, quasi corpus et anima, regnum et sacerdotium uniantur ad magnam utriusque commodum et augmentum". Es gehört in diesen Zusammenhang, daß weder im Privileg für Johann, noch im Register über den Thronstreit die dependistische Interpretation der Zweischwerterlehre, noch die Institutionsthese des Hugo von St. Viktor, noch die hierokratisch interpretierte Formel des Rufinus (auctoritas-administratio: vgl. S. 226 ff) ausgewertet werden. Daher ist die Aussage des Privilegs für Johann sehr wohl im Rahmen der Hirtengewalt zu verstehen. Der Papst gibt selbst den Hinweis, wenn er am Schluß der soeben gedeuteten Einleitung von dem unum ovile und dem unus pastor spricht. Das sacerdotium regale in den Händen des Papstes ist kein rechtliches Gebilde, das sich mit der spiritualen plenitudo sichtlich unter dem Einfluß der Carolingian tradition (nach Ladner S. 50: double leadership within the churdi, of priest and king) „so when he writes to John of England that Christ established in the Curch Regnum as well as Sacerdotium, in such a w a y that kingship be sacerdotal as well as priesthood royal". Vgl. hierzu Anm. 491. "» Vgl. Anm. 491 und 489. 16*

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potestatis deckt, es meint keine entsprechende universale weltliche Monarchie, aus der die übrigen Reiche ihre Titel abzuleiten hätten. Vielmehr stellt es ein vielschichtiges und differenziertes Ganze dar von spiritual-temporalen Ansprüchen (Jurisdiktion de peccato oder in den res mixtae), historischen Titeln (Translation), Funktionen die sidi im Rahmen der Sakralgesellschaft und der Sakralauffassung des Herrsdieramtes ergeben (Königsweihe) und schließlich „auch" territorialen Privilegien (Kirchenstaat, Lehnshoheiten). Das letztgenannte „auch" ist für die ganzen Titel anwendbar und wichtig und führt auf ein für Innozenz bezeichnendes Selbstverständnis und eine in ihrer feinen Nuancierung typische Selbstunterscheidung seiner temporalen Gewalt. An mehreren Stellen, an denen der Papst auf seine plenitudo potestatis zu sprechen kommt, unterscheidet er die Vollmacht in geistlichen Dingen von der „latitudo temporalium", „in temporalibus magnam . . „potestatem" und der „iurisdictio temporalis... in multis". Gegenüber der summa potestas in spiritualibus, die „nullis terminis" beschränkt ist, die „Semper et ubique" gilt, eine unverkennbar eingeschränkte Gewalt484. Am deutlichsten wird es in der Silvesterpredigt, wo er an der bekannten Stelle über das regnum (phrygium-tiara) und die mitra sagt: „Romanus igitur pontifex in signum imperii utitur regno et in signum pontificis utitur mitra; sed mitra Semper et ubique, regno vero nec ubique nec Semper; quia pontificalis auctoritas et prior et dignior et diffusior quam imperialis"495. Daß Innozenz die plenitudo potestatis in spiritualibus derart von den temporalen Titeln abhebt, zeigt, daß diese nicht eine unbeschränkte und überall geltende Hoheit darstellen, sondern an Bedingungen gebunden sind. Hier ist auf anderm Wege das bestätigt, was zuvor für das sacerdotium regale hinsichtlich dessen weltlichen Titeln gesagt wurde. Es stellt ein rechtliches Gebilde dar, hinter dem zwar die geistliche Vollgewalt steht, das aber nur dann zur Anwendung kommt, wenn Notwendigkeiten auftreten, die auf den hierarchischen Auftrag zielen, oder die weltlicher Initiative entstammen (CC, Kirchenstaat, Lehnshoheit). Damit wäre die spirituale Wurzel der temporalen Gewalt behauptet. Wie steht es aber mit einer Erhebung zum König (Joannitza)?. Schafft hier der Papst nidit weltliche Gewalt? Man kann hier mit Sicherheit sagen: keineswegs. Es handelt sich um eine Rangerhöhung eines Herrschers, der bereits saekular begründete Herrschaft besitzt. Innozenz ist vom weltlichen Ursprung der tempo484

195

Das Begriffspaar plenitudo-latitudo, vgl. hierzu auch Kempf, Papsttum S. 297 f; Ladner a. a. O. S. 68, findet sich an markanten Stellen: Reg. n. 18 (vgl. Anm. 490); ferner: PL 217, 665, Rede zum Weihetag: „spiritualem plenitudinem videlicet et latitudinem temporalium"; PL 215, c. 767: „in spiritualibus habet summam, verum etiam in temporalibus magnam"; PL 214,541: „iurisdictio spiritualis nullis terminis coarctetur, immo super gentes et regna sortita sit potestatem, in m u l t i s . . . eius extenditur iurisdictio temporalis". Maccarone, Vicarius Christ, S. 114 bezieht PL 215, 767 auf das „dominio temporale", Kempf, Papsttum S. 298 Anm. 48 stimmt zu, macht aber hinterher die Einschränkung, daß die magna potestas auch andere primatiale Rechte im Temporalen meinen könne. Der übereinstimmende Wortlaut in der Diktion macht es sicher, daß im Begriffspaar: plenitudo-latitudo und den Diminutiven eine gemeinsame Vorstellung waltet. Vgl. auch Text der Silvesterpredigt (Anm. 495 und Text). PL 217, c. 481 f.

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ralen Gewalt als soldier überzeugt. Die Diskussion im Thronstreit, w o er das sacerdotium dem regnum gegenüberstellt, zeigt das eindeutig496. Nimmt man das, was thesenartig vorausgestellt wurde (S. 233 ff) und dann in Einzelheiten zur Sprache kam, zusammen, dann ergibt sich hinter einer bewegten und variantenreichen Front von Aussagen, die von klarer Bestimmtheit bis zur schwer zu fassenden Andeutung reichen, doch ein einheitliches Grundbild. Es ist geprägt durch zwei wesentliche Komponenten: a) Das Ja zur generischen Eigenständigkeit des Temporalen in seinen ihm spezifischen Ordnungsgegebenheiten und b) durch die Kirdie und Welt einende concordia der Heilsordnung, die im Stellvertreter Christi ihr Haupt hat. Die in dieser Hauptschaft existenten weltlichen Rechtstitel bilden ein komplexes Ganzes, das historisch begrenzte wie auch dem Amt selbst entstammende universale Rechte enthält. Eine Sonderstellung nehmen die Ansprüche gegenüber dem Kaisertum ein, das dem Papst als eine Würde gilt, die von Anfang an und in ihrer jeweiligen Konstitutierung vom Papst abhängt (principaliter et fina«M Nach Reg. n. 18 entstehen: sacerdotium per ordinationem divinam, regnum autem per extorsionem humanam. Das bedeutet aber nicht ein höheres Alter, denn das sacerdotium „antiquitate precedit" (a. a. O.). Das gilt auch für das heidnische regnum, denn das sacerdotium des Abel geht der civitas des F.noch voraus (Reg. n. 18). — Kempf, S. 312 meint, daß Innozenz das Argument: „ante erat imperium quam papatus" nicht mehr oder doch nicht mehr ganz habe gelten lassen und so den Vorstoß des Laurentius geistig vorbereitet. Hierzu ist zu sagen: Was Laurentius angeht, so ist der Schluß (Kempf S. 242 ff) aus der Laurentiusglosse, in der dieser ein imperium extra ecclesiam ablehnt (vgl. Anm. 469): das Argument: „ante erat imperium" sei nun von L. fallen gelassen, deshalb gegenstandslos, da Laurentius dieses Argument ausdrücklich selbst verwendet: F. Gillmann, Joh. Galensis als Glossator, AKK 105, S. 541 Anm. 2, Tankredglosse (vgl. Anm. 469) zu IV, 7, 7: „Nam ante fuit imperium quam apostolatus (B. addit: et ante imperator quam apostolicus) laur. (D: la)". Laurentius hält demnach an der Meinung Huguccios fest, daß der Kaiser seine Gewalt a solo Deo habe, läßt aber dennoch das wahre Imperium an die Verbindung und Bestätigung der Kirche gebunden sein. Diese Dualität von: a solo Deo und ekklesialer Legitimität wird übrigens auch aus der entscheidenden Glosse des Laurentius selbst deutlich, wo es heißt (F. Gillmann, Des Laurentius Apparat): „Extra ecclesiam nullum credo imperatorem, qui habet de iure gladium materialem, qui a Deo processit, ar. X I V q. 5, Nec enim, c. 9". Der gladius materialis geht „a Deo" hervor. Damit ist die kreaturale Ordnung ausgesprochen; daß dennoch extra ecclesiam de iure von Laurentius kein Kaiser geglaubt wird und Konstantin der erste wahre Kaiser war (Unde credo quod Constantinus primo fuit verus imperator Rome; a . a . O . ) , das bezieht sich auf die geschichtlich und heilsgeschichtlich eingetretene Lage. In der in der Kirche präsenten und manifestanten Heilsordnung ist „wahre Ordnung" (verus imperator) mit Kirche verbunden. Die Entscheidung liegt im Attribut „verus". — Das Argument Innozenz' von der antiquitas des sacerdotium besagt demnach keinen inneren Bezug zu einem Laurentius, wie ihn Kempf interpretiert. Es ist somit eigens zu interpretieren. Wie, das sagt Innozenz selbst, indem er nach der Feststellung „antiquitate precedit" — nach Hugo von St. Viktor — weiterfährt, daß das sacerdotium in populo Dei durch göttliche Anordnung, das regnum durch die „extorsio humana" entstanden sei. Das gilt für den populus Dei. Ist schon hier das regnum menschlichen Ursprungs — die extorsio gilt dabei f ü r das tadelnswerte Streben eines populus Dei — so wird über den Staat an sich nichts gesagt. Das stellt auch Kempf, Reg. S. 49 Anm. 13 fest. Das heißt, die naturale Entstehung des Staates kommt nicht ins Gespräch. Das ist typisch für die heilsgeschichtlich operierende Argumentation der hierokratisdien Seite im allgemeinen. Ladner, S. 69 Anm. 68 sieht ebenfalls die royal power bei Innozenz als „a human Institution".

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liter). Die potestas regalis, das regnum, gewinnt in der Kirche von der in Christus gegründeten unitas concordiae her einen Sakralcharakter, der sie eben in ihrer Funktion in diese Eintracht bindet. Voraussetzung dafür bleibt die Existenz im Rahmen der Kirche. Kempf hat versucht, die Führerstellung über das Imperium und die regna aus dem Gedanken der Christianitas zu erklären 4 ' 7 . Aber so sehr der Gedanke der christianitas, als der christlichen Völkergemeinschaft, seit dem Investiturstreit lebendig ist, er läßt sich nicht so exakt und deutlich von der ecclesia selbst scheiden, daß daraus eine verschiedene rechtliche Relevanz entstünde. Gerade das Privileg für Johann zeigt eben auch die alte ekklesiologische Sicht, die sacerdotium und regnum in sich begreift. Andere Stellen erweisen wieder, daß ecclesia und imperium im Stil der institutionellen Bereichstrennung, die wir schon früher am Werk sahen, auseinandergehalten werden4*8. Uber einen Grundbegriff von ecclesia und regnum/imperium hinaus sind offenbar verschiedene Vorstellungen wirksam, die im Grunde um jenes alte und immer neue Problem kreisen, wie die saekulare Existenz der Christen korporativ erfaßt und realisiert werden kann. Existieren die Christen als Einzelne in der Welt, im Staat in ihren weltlichen Gruppen, oder gibt es so etwas wie christliche Gesellschaft, christlicher Staat und damit auch — christliche Obrigkeit. Damit sei die Betrachtung der Anschauungen Innozenz' III. abgeschlossen. Noch nicht befragt ist seine Position und sein Einfluß im Rahmen der Entfaltung der hierokratisdien Doktrin. Dies sei im Zusammenhang mit der Gestalt des Papstes besprochen, der bewußt seinen Namen wieder aufnimmt — Innozenz' IV. c) Innozenz

IV.

INNOZENZ IV. — Die sich verschärfende hierokratisdie Argumentation. — Trennung der Bereiche und begrenzte Eingriffsgewalt in der Lehre Innozenz' IV. — Die hierokratisdie Position des Papstes und „Eger cui levia". — Die universale Vollgewalt bei Innozenz IV.

Daß Wort und Werk Innozenz' III. auf die weitere Entfaltung und auch Verschärfung der hierokratisdien Thesen Einfluß ausübten, ist schwerlich zu bestreiten. Er übergibt zwar der Zukunft die Tradition der Zweigewaltenlehre und hat auch von sich aus klare Grenzen zwischen den Bereichen gesetzt, so daß seine Lehre niemals einlinig und monistisch interpretiert werden kann. Dennoch vollzieht sich in seinem Pontifikat jene bekannte Verhärtung der dependistisdien Thesen, die wir bei Alanus, Tankred und dem Galensis beobachten können. Folgende Punkte sind dabei für die weitere Entwicklung widitig: 1) Die dependistische Doktrin, wie sie Alanus und 497

4,8

Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 300 ff. — Eine eigene Definition der christianitas gibt Kempf sozusagen nur en passant S. 308: „da die Christianitas in der katholischen auf dem Papsttum beruhenden Solidarität der christlichen Völker und Reiche besteht". So in den Schlußformeln, wie Reg. n. 18: „ad utilitatem ecclesie et salutem imperii"; n. 29: „per Romanam ecclesiam imperii se honore privatum 01 (S. 77); n. 87: „duo . . . familiarius tangunt ecclesiam generalem, videlicet imperii Romani divisio et necessitas terre sancte"; n. 97: „ad honorem tarn ecclesie quam imperii".

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ihm folgend T a n k r e d vertreten. Sie ist nun audi in der bis dahin noch zögernden Theologie g r e i f b a r (Simon v o n T o u r n a y , W i l h e l m v o n A u x e r r e , Grosseteste) 1 ". R a d i k a l e Formulierungen w i e die Grossetestes: „Principes enim seculi, quidquid habent potestatis a D e o Ordinate, recipiunt ab ecclesia" und die Formel des A l a n u s v o m Papst als „iudex Ordinarius" lassen ahnen, w a s theologisch und kanonistisch noch folgen w i r d , w e n n die Zeit reif ist. D i e Formel v o m „iudex Ordinarius" meint, d a ß der Papst bei begründetem A n l a ß jederzeit eingreifen k ö n n e ; der A n l a ß w i r d f ü r das Depositionsrecht v o n A l a n u s dem K a i s e r gegenüber auf Haeresie, Simonie, Zwietracht und similia beschränkt, gegenüber untergeordneten Fürsten gilt auch eine „minor causa". T a n k r e d bezieht sich bei seiner Erklärung f ü r A l a n u s auf Innozenz Reg. n. 1 8 : „Et hoc t o t u m i n v e n i t u r expresse in quodam extra. Innoc. III. In genesi est". T a n k r e d legt den Papst in seinem Sinn fest, es bleibt aber doch bezeichnend, w i e Innozenz ausgelegt w e r d e n konnte 5 0 0 . 2) Im Zusammenhang mit dem Richteramt des Papstes entwickelt sich das Depositionsrecht; das V o r g e h e n gegen H a e r e t i k e r treibt diese Entwicklung weiter 5 0 1 . 4M

500

501

J. Lecler, L'Argument des deux glaives, Recherdies des sciences rel. XXII, S. 322 f ; Maccarone, ihm folgend, MHP 18, S. 35 ff; Zitat Grosseteste, Epist. ed. Luard, Rolls Series XXV, S. 91. F. Gillmann, AKK 105, 1925, S. 541 Anm. 2: Tankred argumentiert gegen Laurentius Hispanus, der die Meinung Huguccios gutheißt (Magister hugo dicit et bene), daß der Kaiser die Gewalt a solo Deo habe: „Ego vero dico cum alano (folgt die bekannte dependistische These des Alanus (vgl. Anm. 430, 451). Dann heißt es: „Et hoc totum etc. (wie oben). O. Hageneder, Päpstliches Recht der Fürstenabsetzung AHP 1, 1963 bes. S. 1 ff. — Die Arbeit leidet an einer begrifflichen Unklarheit. Hageneder geht davon aus, daß in der kurialen Praxis und der kanonistisdien Spekulation zwei sich ablösende, zum Teil auch überschneidende Grundsätze unterscheidbar sind: Eine indirekte Absetzung bei der die Deposition als Folge (per consequentiam) der Lösung vom Treueid sich ergibt: Simon von Bisigano, Juncker, Zschrft. Sav. Stift, kan. Abt. 15, 1926, S. 489 f: C. XV p. 6, c. 3: ad v. deposuit Id est deponentibus consensit, vel subditos ab eius fidelitate absolvit, quod per consequentiam fecit cum deponere infra XXXII p. V Preceptum supra C. I q. 4; Huguccio zu D. XCVI c. 6; Catalano, Impero, regni e sacerdozio nel pensiero di Uguccio, S. 66: quod dictum est papa eum posset deponere credo verum esse de voluntate et assensu principum si coram eo convincatur, quod tunc demum intelligo si convinctus et admonitus non vult cessare et satisfacere tunc debet excommunicari et omnes ab eius fidelitate debent removeri. Hageneder sieht diese Deposition, bei der der Papst in Form der Treueidlösung handelt und das weitere den Fürsten (dem Volk) überläßt, als Ausdruck einer „potestas indirecta". Vgl. S. 77: Durch die Ketzerdekretalen war die Vorstellung „von der potestas indirecta (per consequentiam) eines Huguccio und Innozenz' III. zum Grundsatz eines direkten Eingreifens des Papstes weitergeführt worden". Die direkte Absetzung entwickelt sich dann über die Konfiskation und das Angebot „terram exponat catholicis occupandam" (1. Laterankonzil c. 3; Hageneder, S, 69 Anm. 53) zum unmittelbaren Vorgehen, wie es Innozenz IV. gegen Friedrich II. praktiziert. — Beiden, dem indirekten und direkten Eingreifen ist auch nach H. gemeinsam, daß es „ratione peccati (criminis)" geschieht: S. 92: „stets irgend eine ratio peccati als Grundlage des päpstlichen Anspruchs diente". Damit beginnt aber die terminologische Problematik. H. stellt abschließend fest, daß auch Gegner der geistlich-weltlichen Vollgewalt am Depositionsrecht des Papstes in bestimmten Fällen (Haeresie, Unverbesserlichkeit) festhielten und zitiert neben Quidort, Odcham auch Bellarmin. Letzterer habe behauptet, daß der Papst „auf Grund seiner potestas spiritualis indirecta in temporalibus" einen Herrscher seiner Herr-

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3) Die Auffassung, wie sie Laurentius in seiner bereits zitierten Glosse (Extra ecclesiam nullum credo imperatorem; vgl. S. 226, 229) vertritt501®, wird später in der Illegitimitätstheorie und der soliustistischen Doktrin eine wichtige Rolle spielen. In Friedrich II. und seinem Logotheten, Petrus von Vinae vor allem, der aus Bologna kam, im straff verwalteten sizilischen Staat der Constitutiones von Melfi entstand dieser Konzeption ein Gegner, gegen den Bann und Lösung vom Treueid nicht viel ausrichteten, der nun selbst wortgewaltig und mit einer tiefen Überzeugung vom Eigenrecht des Imperium zum Angriff überging, an die Gesamtkirche, ein Generalkonzil appelliert und damit die Christenheit selbst zur Aktion ruft. Friedrich wurde gestürzt, aber die Geschichte hat gelehrt, wie dieser Ruf in den verschiedensten Formen weiterhallte. In Innozenz IV. kommt der Mann auf die Cathedra St. Petri, der den Schlußstrich unter das staufische Drama setzt, der Papst, in dem das institutionell-juridisdie Denken das Verhältnis von sacerdotium und regnum in einer Weise erfaßt, die bereits deutlich die Grenzen dieses Denkens kundtut. Das sei vorweg betont, nachdem J. A. Cantini in seiner wertvollen Untersuchung zur Autonomie des weltlichen Richters und zur weltlichen Vollgewalt in der Lehre Innozenz* IV. den Blick auf die andere Seite im Wirken dieses einflußreichen Dekretalisten gelenkt hat501. Cantini zeigt überzeugend, indem er über die wenigen bisher zu Rate gezogenen Stellen hinaus den Apparat zur Dekretalensammlung Gregors IX. und den Briefwechsel des Papstes auswertet, daß Sinibald Fieschi als Dekretalist wie als Papst sehr sdiafl berauben könne (durch Exkommunikation, Verbot des Gehorsams „ac proinde privare eum dominio in subditos"). Eingriff wegen einer ratio peccati ist f ü r Bellarmin Kennzeichen eines indirekten Eingreifens (vgl. dazu unten S. 336 ff). Damit kann aber das sogenannte direkte Depositionsrecht „ratione peccati" audi nicht als Beweis einer direkten Gewalt — jedenfalls im Sinne der seit Bellarmin gebräuchlichen Terminologie — bezeichnet werden. Im Sinne der Darlegungen Hageneders bezeichnet indirekte Gewalt ein Handeln in der geistlichen Sphäre mit geistlichen Mitteln (Exkommunikation), das weltliche Folgen nach sich zieht, die aber durch weltliche Aktion des Temporalen hergestellt werden. Direkte Gewalt ein Handeln aus geistlicher Intention, das unmittelbar weltliche Akte setzt. Das Kriterium liegt hier nicht in der Intention sondern in der „executio", der Manipulation selbst. Das heißt, die terminologische Schwierigkeit wird zu einem sachlichen Problem. !01 " Auf die verschiedenen Aspekte der Auffassung des Laurentius wurde bereits verwiesen, Anm. 469. Trotz der Ansicht vom „verus imperator" (hierzu Anm. 496) ist er überzeugt, daß von der Dependenz der Gewalt her keine Superiorität der geistlichen Gewalt hergeleitet werden k a n n : F. Gillman, Des Laurentius Apparat S. 41: „Es non videtur quod major sit papa imperatore quoad temporalia, ut D . X C V I cum ad verum (c. 6); nam ex eodem fönte processerunt imperium et sacerdotium, aut . . . N o n ergo in temporalibus est iudex, nisi in subsidium, cum secularis est negligens, infra t.proc. c. 1 et 2, vel imperio vacante, infra t.i c.l in fine. — Die Meinung des Laurentius ist deshalb besonders aufschlußreich, da sie erweist, daß die Lehre vom „wahren Kaiser" und vom „extra ecclesiam non credo imperatorem" nicht unbedingt mit der dependistischen Anschauung verbunden sein muß. Ml J. A. Cantini, De Autonomia judicis saecularis et de Romani pontificis plenitudine potestatis in temporalibus secundum Innocentium IV, Salesianum 23, 1961, S. 407 ff. — Innocenz, Apparatus in quinque libros Decretalium Venedig 1495.

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wohl die rechtlichen Sphären zu trennen weiß. Das ging im übrigen auch bereits aus seinen Bemerkungen hervor, auf die Gillmann aufmerksam gemacht hatte. So wenn er zu „Novit ad v. iudicare de feudo" bemerkt: „Directe (seil, non intendimus iudicare de feudo), secus indirecte, quia non potest agere poenitentiam, si non restituât"50'. Zu v. mortale ebda: „Nota crimen pacis fractae et periurii directe pertinere ad iudicium ecclesiae". Der Grund des Eingreifens ist spiritualer Natur. So kann Innozenz zu XIV, 17, 13 v. evaderet sagen: „Item aliqua conceduntur (iudici ecclesiastico) per consequentiam et indirecte, quae non conceduntur directe". Es bedeutet daher keine unverbindliche Aussage, wenn Fieschi in seinem Apparat erklärt: „Non est similitudo inter bona temporalia et ecclesiastica, quae sunt diversi iuris et diversi fori principalis; quia temporalia sunt de foro Imperatoris vel saeculari, et spiritualia sunt de foro Papae vel spirituali vel Ecclesiae"504. Weltlidies und Geistliches gehören verschiedenen Reditsund Zuständigkeitssphären an. Fieschi kann zusammenfassen: „Unus judex non habet se intromittere de pertinentibus ad alium, licet se ad invicem iuvare debent""5. Der letztgenannte Grundsatz ist für das Verständnis der Fälle, in denen ein Eingreifen möglich ist, m. E. entscheidend. Daß es einzeln genannte Fälle sind, erweist den Bedingungscharakter des Eingreifens und fordert zugleich, nach dem Grund der Bedingung zu fragen. Fiesdii nennt elf Fälle: Vakanz des Imperiums (1), Negligenz des weltB0S

504 505

F. Gillmann, AKK 98, 1918, S. 407 und Apparatus zu: 1,2,13 Novit ad. v. iudicare de feudo; IV, 17, 13 Per venerabilem. Auf die oben zitierte Stelle (per consequentiam et indirecte quae non conceduntur directe) folgt zu: v. recognoscat: de facto, nam de iure subest imperatori romano ut quidam dicunt. Nos contra. Imo papae. tamquam agit aliquando ut alius X X I I I q. 4 c. 42 si ecclesia. — Dieser Bezug auf X X I I I q. 4, c. 42 meint offenbar den Schlußsatz der Dekretale: „quia rex est, servat leges iusta preeipientes et contraria prohibentes convenienti vigore sanetiendo". Das „de iure" meint dann die richterliche Kontrolle des Rechts durch den Papst. Apparatus: zu 1,38,10 (de procuratoribus). Apparatus zu IV, 17, 13 (Per venerabilem). Es folgt später die bereits zitierte Stelle, dazu die bekannte Formel: Nos contra. Imo papae (Anm. 504) mit dem Anspruch der Oberhoheit über die regna. — Man muß die Glosse nicht nur in einzelnen ihrer Formulierungen nehmen, sondern auch als Ganzes. Dabei ergibt sich als Einleitung der Satz, daß der weltliche und geistliche Richter auf ihren Bereich beschränkt bleiben sollen, „licet se ad invicem iuvare debent". Also gegenseitige Subsidiarität. Weiter heißt es, daß zwar nach extra de appell. si duobus, II, 28, 7, der Papst keine Jurisdiktion in temporalibus habe; dennoch könne er eine iurisdicionem voluntariam exercere. Hierbei fällt zur Erklärung der zitierte Satz: „Item aliqua conceduntur per consequentiam et indirecte". Das heißt, der Papst kann eine freiwillige Jurisdiktion per consequentiam ausüben, wobei der Grundsatz der Subsidiarität vorwaltet. Er handelt dabei „de iure" aus seiner geistlichweltlichen Vollmacht. Es gilt die verschiedenen Begriffsreihen zu sehen: Einerseits: Verschiedenheit der Bereiche und ihrer Richter, Nichteinmischung temporalia et spiritualia diversa, diversos iudices habent, nec iudex habet se intromittere, freiwillige Gerichtsbarkeit, indirekt als Rechtsfolge. Andrerseits eine de iure Obrigkeit über die regna. Diese erklärt sich nicht dependistisdi (vgl. S. 251 zu II, 2, 10), sondern aus der plenitudo potestatis. Diese bedeutet nicht weltliche Herrschaft im spezifisch temporalen Sinn, denn der Papst hat ja nicht die zwangsläufig einsetzende iurisdictio contentiosa, sondern nur eine fallweise, bei Defekt der weltlichen Gewalt einsetzende iurisdictio voluntaria. Das wird sehr deutlich in der Glosse zu II, 2, 10. vgl. hierzu Anm. 506.

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X . D i e Entfaltung der hierokratischen These bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts

liehen Riditers (2), vor allem gegen Witwen, desgleichen gegen andere „miserabiles personae" (3, 4), bei schwierigen Fragen (5), bei Appellationen gegen einen der temporalen Hoheit der Kirche unterstehenden Richter (Alexander III.: si duobus) (6), bei Denunziation eines Vergehens (ratione peccati) (7), bei einem suspekten weltlichen Richter (8), in Dingen, die mit dem Spiritualen verbunden sind (Ehe, Mitgift) (9), andere Fälle eines crimen (ratio peccati: z. B. Verletzung der Friedensordnung) (10), wenn es sich um Kleriker oder Untergebene der Kirche handelt (II) 5 4 4 . N i m m t man die Fälle weg, die der temporalen Hoheit der Kirche selbst zustehen (6, 11) oder die sich aus einem spiritualen Ordnungszwecke ergeben (7, 9, 10), so bleiben die Sorge f ü r die Rechtsschwachen (2, 3, 4), die subsidiäre Funktion bei Versagen der weltlichen Seite (5, 8; dazu 2, 3, 4) und schließlich der Anspruch bei V a k a n z des Imperium. Er ergibt sich aus der Bindung des Kaisertums an das Papsttum und 508

A p p a r a t u s zu I I , 2 , 1 0 . Cantini S. 428 ff. — D i e Glosse begründet den Anspruch auf das Eingreifen in die temporale Sphaere, besonders audi bei V a k a n z des Imperium. Dieses V a k a n z r e d i t beruht auf der Hilfepflidit (propter defectum imperii). Wenn dagegen ein: „alius rector alii superiori quam imperatori subditus negligens est in reddenda ratione vel non esset rector in aliqua terra, tunc non devolvetur iurisdictio ad p a p a m , sed a d p r o x i m u m superiorem. N a m specialis coniunctio est inter p a p a m et imperatorem, quia p a p a eum consecrat et examinat et est imperator eius advocatus et iurat ei et ab eo imperium t e n e t . . et inde est quod in iure quod ab ecclesia romana tenet, succedit p a p a imperio v a c a n t e . " D a s heißt, die Jurisdiktion innerhalb eines nicht dem imperialen V e r b a n d angehörenden Rechtsbereiches (rector alii superiori q u a m imperatori subditus) oder eines hoheitlich noch nicht geordneten Landes ist bei Defekten durch den nächsten Superior zu regeln; das Kaiserreich steht dagegen, angesichts seiner engen Bindung (specialis coniunctio), die zugleich einzigartig ist, in einer andern L a g e . H i e r tritt das Vakanzrecht aus der Sache her ein. Vakanzrecht ergibt sich aus dem D e f e k t der Führung. Stellt sich dagegen ein D e f e k t im Imperium selbst ein (Rebellion der Untertanen), dann ergibt sich das Vakanzrecht nicht, im Gegenteil der P a p s t „debet eum (imperatorem) iuvare et d o m a r e " . Gerade die Bemerkung erweist wieder, daß die weltliche G e w a l t selbst in ihrer Funktion und ihren Angelegenheiten, sofern sie dem Recht dienen, f ü r sich ist. Innozenz fährt weiter: „Sed quid si alius rex est negligens vel alius prineeps qui superiorem non habet. Dicimus idem f. quod succedit in iurisdictione eius ar. X V . q. 6 Item alius (Absetzung Childerichs)". Sed hoc non facit quia ab eo teneat regnum. Der „rex qui nulli subest" hat über sich die geistlich-weltliche Superiorltät des Papstes, die bei D e f e k t eingreifen kann, denn „de iure" sind ja die regna dem apostolischen Stuhl Untertan. Als N o t s t a n d s gewalt entspringt aber diese weltliche Funktion des Papstes nicht den innerweltlichen Konstitutiven, die die weltliche G e w a l t selbst herstellen, sondern der plenitudo potestatis des Primates. D a s heißt, hier sind andere rechliche Kategorien am Werk. D a ß der P a p s t in die regna nicht unmittelbar wie ein weltlicher Herrscher eingreifen kann, ergibt sich aus der von Fieschi angefügten Bemerkung: „vel die, quod vacantibus regnis non poterit se intromitte're, nisi q u a n d o peteretur in m o d u m denunciationis ut. predicta c. novit (imperio)". H i e r wird der Unterschied der rechtlichen Position von regnum und imperium in der Konzeption des Papstes unübersehbar deutlich. Rechtsfolge im regnum bei D e f e k t der potestas regalis setzt Initiative — in der Rechtsform der denuntiatio — der weltlichen Seite v o r a u s ; Rechtsfolge im Imperium ist infolge der „specialis coniunctio" bei V a k a n z nicht daran gebunden. Ein Vergleich der von Innozenz genannten F ä l l e mit T a n k r e d , vgl. Anm. 476, zeigt, daß Inhalt und Schema gewahrt sind: In beiden Aufzählungen geht es um Fehlen eines superior (Tankred 1; Innozenz 1), D e f e k t des weltlichen Oberen (Tankred 2, 8; Innozenz 2 , 3 , 4 , 8 ) , schwierige Fälle (Tankred 3; Innozenz 3), kirchenrechtliche Fälle ( T a n k r e d 7, 4, 6 ; Innozenz 6, 7 , 1 0 ) , res mixtae (Tankred 9, Innozenz 9).

X . D i e E n t f a l t u n g der hierokratisdien These bis zur Mitte des 13. J a h r h u n d e r t s

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stellt eine Folge der Vergebung der Kaiserkrone dar (vgl. dazu auch unten). Die „specialis coniunctio" zwischen Papst und Kaiser, die sich in der Zweischwerterlehre, in der Interpretation des Vergaberechtes bei Innozenz III. konsequent entwickelt hat, schlägt sich nun auch in dem nach dem Sturz Friedrichs II. aktuell gewordenen Anspruch auf Reichsrechte in der Vakanz nieder. Aus dieser, speziell für die „specialis coniunctio" geltenden Gewalt kann man jedoch keine allgemeine Forderung für die weltliche Gewalt insgesamt erschließen. Das wird auch deutlich aus jenem andern vielzitierten Wort aus dem Apparat: „hoc non facit (Übernahme der Jurisdiktion eines Fürsten) quod (princeps) ab eo teneat regnum, sed de plenitudine potestatis quam habet, quia vicarius est Christi" (zu: X , II, 2, 10). Es handelt sich um Negligenz des princeps, also einen Fall der Subsidiarität. Indem Fieschi klar die Dependenz der weltlichen Gewalt in diesem Fall — es handelt sich um den rex oder einen alius princeps qui superiorem non h a b e t — beiseite läßt, zeigt er an, daß er nicht aus dem rechtlichen und politischen Fundament her agiert, aus der rex und princeps handeln, nämlich der weltlich gegründeten Gewalt, sondern aus einer höheren Ordnungseinheit, die er im Primat gegründet sieht. Die Hilfegewalt entspringt der im Christusvikariat existenten Einheit der Ordnung für Kirche und Welt507. Wenn wir demnach nach den Bedingungen fragen, unter denen ein Eingreifen zustande kommt, dann haben wir grundsätzlich ein „supplementum potestatis", eine die Mängel der weltlichen Ordnung ausgleichende Gewalt. Sie entspringt einer die regal-imperiale potestas überragende Gewalt, nämlich einer immer in Verbindung mit geistlicher Vollmacht operierenden Zuständigkeit. Diese Verbindung zu geistlicher Gewalt ist wesentlich. Sie verhindert, daß aus der Gewaltenhilfe eine reguläre weltliche Herrschaft wird, sie ist der Grund für die nur in Ausnahmen eintretende Jurisdiktion des Papstes. Die Gewalt des Papstes ist nicht identisch mit der natural-positivrechtlichen Gewalt des weltlichen Herrschaftsträgers, die kraft ihres eigenen Amtes zuerst zuständig ist. Sie wird nur wirksam, wenn die natural-positivrechtliche Institution aussetzt, bei Defekt der weltlichen Gewalt. Das ist auch der Sinn des Vakanzrechtes hinsichtlich des Imperium. Diese Distanz der päpstlichen Vollgewalt zur natural-positivrechtlichen Ordnung ist im Blick zu behalten, wenn jene Äußerungen anstehen, die in den bekannten hierokratischen Äußerungen: „Eger cui levia", der Antwort auf die Enzyklika Friedrichs II. nach seiner Absetzung, und einigen Stellen des Dekretalenapparates überliefert sind. Es handelt sich um die Glossierung von „Per venerabilem", wo Fieschi in der bewegten Diskussion um den Satz: „Superiorem in temporalibus ninime recognoscat" die Frage, ob nur „de facto" oder „de iure", mit der überraschenden Wendung abschließt: „De facto. N a m de iure subest Imperatori Romano, ut quidam dicunt. Nos contra; imo Papae" 5 0 7 3 . Vgl. E x k u r s I I , S . 630. 507» vgl. A n m . 503. — C a n t i n i S. 467 sieht in dieser Stelle eine nimia brevitas. E s sei g a n z unmöglich, hieraus allein die Meinung des P a p s t e s zu ersehen. E r verlangt zu Recht, d a ß die Ausdrücke de jure und de f a c t o im einzelnen zu ü b e r p r ü f e n seien und k o m m t

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Ferner um die Glossierung der Dekretale II, 2.10: Licet ex suscepto, wo der Papst als der Vikar des „naturalis Dominus et rex noster" Christus erscheint; um die Dekretale: „Quod super his" ( X , I I I , 34, 8), wo der Autor dem Papst auch die „plena potestas" über die infideles zuspricht. „Eger cui levia" stellt zweifellos die wichtigste und auch radikalste Verlautbarung dar. D a sie jedoch nur in dem von Albrecht von Beham redigierten Briefregister überliefert ist und begründete Zweifel bestehen, ob sie mit dem „Libellus Apologeticus" zu identifizieren ist, von dem Ptolomaeus von Lucca berichtet, ist es nidit möglich, das Dokument mit derselben unbefangenen Gewichtigkeit für Innozenz selbst in Anspruch zu nehmen, mit der die übrigen Zeugnisse zu interpretieren sind508. Ebensowenig kann man den Brief jedodh einfach aus der Beurteilung Innozenz' I V . herausnehmen, wie es Cantini versucht. Man muß, beim augenblicklichen Stand der Quellen, die Möglichkeit anerkennen, daß „Eger cui levia" offiziösen Charakter hat. Sicher aber stellt der Brief die Ansicht kurialer Kreise, besonders Albrechts selbst dar, so daß er auf jeden Fall für die Entwicklung der hierokratischen Lehre beweiskräftig bleibt. In folgenden Punkten gipfelt die Argumentation und bringt diese in die kuriale Tradition neue Aspekte: a) Der Principat über das Imperium ist „prius et naturaliter" bei der Kirdie; diese hat also nicht von Konstantin ihre Verfügung über das Imperium erhalten. Denn Christus, der „verus homo verusque deus", ist entsprechend „verus rex ac verus sacerdos", er übergibt dem apostolischen Stuhl „non solum pontificalem sed et regalem constituit monarchatum"; die beiden Schlüssel sind Zeichen „terreni simul ac celestis imperii", der Gewalt „in temporalibus super terram" und der „in spiritualibus super celos". b) Konstantin verzichtete, nachdem er der Glaubensgemeinschaft der Kirche beigetreten war, auf seinen bis dahin ungerechten

S08

zum Schluß, daß de facto soviel bedeutet wie „in actu" (S. 469) und de „jure" soviel wie „in potentia". G. Ladner, MHP 18, S. 71 Anm. 77, sieht keinen Grund, an der Authentizität der von C. Höfler, Albert von Beham und die Regesten Pabst Innozenz IV., 1848, im Register Alberts überlieferten Verteidigung zu zweifeln. J. Haller, Papsttum II, 420, spricht von zweifelhafter Authentizität. Cantini S. 410 ff mit ausführlicher Bibliographie sieht in dem Dokument möglicherweise ein Werk Alberts selbst. — O. Hageneder, Päpstliches Recht auf Fürstenabsetzung A H P 1, S. 86 Anm. 110 ist von den Argumenten Cantinis nicht immer überzeugt. — Ausgabe: E. Winkelmann, Acta Imperii inedita II n. 1035, S. 696 ff. Ein schwerwiegendes Argument für den offiziösen Charakter der Schrift sehe ich in der Person Alberts selbst, der lange genug an der Kurie tätig war und auch im Dienst Innozenz IV. steht. Seine einleitende Bemerkung: „Per dominum Papam litteris praemissis taliter est responsum" muß zwar nicht verbale Autorschaft bedeuten, läßt aber keinen Zweifel daran, daß es sich um ein päpstliches Dokument handelt. Cantini erwähnt nur Ptolomaeus von Lucca, der von einem libellum „Apologeticum" spricht (Hist. eccl. Muratori, Script, rer. Italicarum X I , 1146): „De hoc opere per plura saecula, nihil aliud, praeter antedictam notitiam, scriptum fuit" (S. 410). Jedoch gibt es eine zweite Erwähnung in dem wahrscheinlich von Ptolomaeus verfaßten Traktat: Determinatio compendiosa c. 29: „Item Innocentius IUI, licet non sit in corpore iuris, sed est quedam epistola apologetica ad Fredericum imperatorem" (Zur electio bei Kaiserpromotion). — c. 6 bringt eine inhaltlich, z. Tl. auch verbal, übereinstimmende Widergabe der Zweischwerterlehre in „Eger cui levia" (vgl. S. 301). — c. 26 verweist auf die Deutung des C C (collatio-cessio). Vgl. S. 330.

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Besitz: „illam inordinatam tyrampnidem, qua foris antea illegitime utebatur, humiliter ecclesie resignavit . . . et recepit intus a Christi vicario, successore videlicet Petri, ordinatam divinitus imperii potestatem". Hier ist die These der Illegitimität im Sinne der Heilsgerechtigkeit, die schon bei Laurentius Hispanus auftritt, bewußt in die kuriale Argumentation aufgenommen. Außerhalb der Kirche „ubi omnia edificant ad gehennam, a Deo nulla sit ordinata potestas" (vgl. S. 226). c) Die Kirche besitzt das weltliche Schwert potentiell (materialis potestas g l a d i i . . . in sinu ecclesie potentialis est), es wird aktual, im Sinne der Seinswirklichkeit des Daseins, der scholastischen zweiten Wirklichkeit (actus secundus) bei der Übergabe an den Herrscher (fit, cum transfertur in principem actualis). Benencasa von Arezzo hatte, wie wir sahen (vgl. S. 228), diese scholastische Unterscheidung bereits angewendet. — Die ganze Argumentation verfolgt das eingangs gegebene Schema: „prius naturaliter et potencialiter". Daß der apostolische Stuhl prius und potencialiter den „imperii principatus" besitzt, ist der christologischen Sicht nach verständlich. Daß dies auch „naturaliter" der Fall sei, bezieht sich offenbar auf die menschliche Natur Christi, dessen Stellvertretung auch die menschliche Natur einschließt. Damit wird die Lehre vom „naturalis Dominus et rex noster" (vgl. S. 255) auch für die weltliche Gewalt des Papstes benutzt. Was in der Anschauung Innozenz' IV. heraussticht, das ist die, im Unterschied zu Innozenz III. und dessen Trennung von geistlicher Vollgewalt und weltlicher Großgewalt (plenitudo und magnitudo potestatis (vgl. S. 244 f), undifferenzierte Anwendung der Vollgewalt auf den temporalen Bereich. Bedeutet das, daß der Papst auch eine undifferenzierte Verfügung über die regna beansprucht und das Verhältnis zum Kaisertum exemplarisch die Relation zur weltlichen Gewalt überhaupt darstellt? Gerade die Stelle, an der er die plenitudo potestatis gegenüber den principes in Anspruch nimmt, schließt er eine dependistische Deutung dieser Relation aus (vgl. S. 251). Eger cui levia bringt auch hier eine wichtige Unterscheidung. Der Text trennt sehr bestimmt die regna vom imperium. So heißt es, daß es sich anders mit dem König verhalte, der von den geistlichen Fürsten ein iuramentum erhalte oder der nach Erbrecht seine Herrschaft antrete, wie beim Kaiser, der vom Papst geweiht und gekrönt werde, der im Zuge der Translatio imperii von den Fürsten gewählt wird. Dann heißt es: „Itemque aliud est de reliquis regibus, quibus per hereditariam successionem suorum proveniunt iura regnorum, aliud de imperatore Romano, qui per liberam Germaniae principum electionem assumitur, in quos ius et potestas eligendi regem in imperatorem a nobis postmodum promovendum, sicut ipsi non abnuunt sed fatentur, ab apostolica sede pervenit, que olim imperium a Grecis transtulit in Germanos". (Winkelmann, S. 699). Das Argument der Fürstenwahl ersdieint übrigens in der Determinatio compendiosa als Hinweis auf eine „epistola apologetica ad Fredericum imperatorem" zusammen mit „Venerabilem". Der Verfasser fügt hinzu, daß dieser Brief nicht in das „corpus iuris" aufgenommen sei. Cantini hat diese Stelle übersehen, so daß die Erwähnung der Verteidigungsschrift des Papstes nicht

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auf die Historia Ecclesiastica des Ptolomeus beschränkt ist60®. Dieser einzige Hinweis auf ein Detail der Verteidigungsschrift des Papstes würde die Identität von Eger cui levia freilich erhärten. Ptolemaeus, als der mutmaßliche Verfasser der Determinatio, hat sicher die „epistola apologetica" inhaltlich vor sich gehabt, als er seinen Traktat verfaßte. Lehenseid und Erbrecht sind Bestandteile originär weltlicher Herrschaft, sie konstituieren eine Gewalt, die nicht vom Papst stammt. Das heißt, wir haben die gleiche Grundsicht, die audi Innozenz selbst vertritt, wenn er die dependistische These für das „regnum" ausklammert. Das hat aber, rückwirkend auch für die Interpretation der plenitudo potestatis des Papstes in Fragen des saekularen Bereiches, seine Folgen. Offenbar ist der principatus imperii, der in „Eger cui levia" behauptet wird, nicht eine Inhabersdiaft derart originär temporaler Rechtstitel, sie bedeutet keine universale temporale Vollgewalt im Sinne jenes in Lehnsrecht und Erbrecht sich manifestierenden Rechtsbereiches. Man muß daher versuchen, sie anders, das heißt, mit den in ihr selbst erscheinenden rechtlichen Kategorien zu deuten. Zu dieser Deutung sind bisher, soweit ich sehe, nur Ansätze sichtbar, die aber auf den eigentlichen Kern der Frage nodi nicht vorstoßen. So wenn Kempf mit Hilfe des Begriffs der christianitas eine Differenz der geistlich-weltlichen Gewalt zu bestimmen sucht (vgl. S. 245 f). Offenbar sollte man aber versuchen, die Differenzierung dort vorzunehmen, wo sie zuerst begründet liegt, nämlich im Begriff der „potestas" selbst. Man kann die hiermit angeschnittene Frage nicht schlüssig beantworten, solange nicht die Quellen zu Wort gekommen sind, in denen die geistlich-weltliche Vollgewalt in extenso begründet wird. Das geschieht in der Publizistik um die Jahrhundertwende und während dem Streit zwischen Avignon und Ludwig dem Bayern. Aber einige Wesenszüge können jetzt schon festgehalten werden. Die auf das Saekulargefüge bezogene plenitudo potestatis erscheint von ihrem Ursprung an und in ihrer Konkretisierung als diristologische und ekklesiologische Aussage. Sie tritt in Kraft unter besonderen Bedingungen, sei es als mit dem Primat verbundener historischer Rechtstitel (Imperium), sei es in Fällen spiritualer Relevanz oder bei Defekt der weltlichen Herrschaft (vgl. Anm. 506, 507). In jedem dieser Fälle steht die potestas in temporalibus im Ganzen und in der Einheit einer Ordnung, die sowohl in der Kirche die Welt umgreift, wie auch Kirche und Welt umgreift810. Aufgabe des Papstes 609

510

vgl. Anm. 508. Die Bezeichnung „epistola apologetica" trifft den Charakter von „Eger cui levia" genauer als der Ausdruck „libellus". Nach Fertigstellung des Textes erschien P. Herdes Studie zu „Eger" ( D A 23, 1967, 468 ff). Seine Ergebnisse bestätigen den offiziösen Charakter der Schrift. — Wenn freilich Herde in der ideellen Argumentation, Cantini folgend, aus den Äußerungen Innozenz' als Glossator ihn möglichst von dem Manifest zu trennen sucht, und „Eger" als Pamphlet der Kurie ausgibt, so widerspricht dem die bei Innozenz klar zutage tretende hierokratische Komponente, vor allem in der Eigenglosse zum Absetzungsdekret „Apostolicae dignitatis". Hier wird eine starke Ähnlichkeit der Sicht zu der entscheidenden Passage über Christus als den „naturalen" Herrn in „Eger" greifbar. Herde hat das nicht beachtet. D a ß die in der geistlich-weltlichen Vollgewalt erscheinende Ordnung nicht nur die Welt über die Kirche erfaßt, sondern audi Welt und Kirche erfaßt, ergibt sich aus der in

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als des „Hauptes" ist es, diese Einheit vom Haupt her zu bewahren, Haupt verstanden im Sinne: vicarius Christi. Die Konzeption dieses Christusvikariates (vgl. Exkurs II) zeigt die Befugnisse der geistlich-weltlichen Vollgewalt. Sie setzt den Papst in den Stand, den Kaiser abzusetzen und fallweise gegen jeden andern einzuschreiten: Zum Schutze des Naturrechtes gegen Heiden, gegen Juden: „si contra legem evangelii faciunt in moralibus, si eorum prelati eos non puniant" (III, 34, 8: de voto; Quod super his)511. Die Eigenglosse Innozenz' IV. (VI, II, 14, 2) zu seiner Absetzungssentenz gegen Friedrich II. (Ad apostolicae dignitatis; MGH Ep. saec. XIII, II n. 124, 88 ff) faßt dies alles zusammen und steigert es in das sehr kühne Bild der Stellvertretung Christi, des dominus naturalis, das sich audi anderswo im Dekretalenapparat des Fieschi findet (II, 2, 10: licet ex suscepto), und das man, übertragen auf den päpstlichen imperii principatus in der Wendung von Eger cui levia: „prius, naturaliter et potentialiter" vermuten möchte (vgl. S. 253). Die Eigenglosse zur Absetzungssentenz sagt, unter Berufung auf C. XV., q. 6, c. 3 „alius", d. h. der Formel Gregors VII.: „Zacharias . . . regem Francorum . . . a regno deposuit" (Reg. VIII. n. 21), daß Friedrich zu Recht der Würde beraubt sei, denn Christus „in hoc saeculo et etiam ab aeterno dominus naturalis fuit et de jure naturali in imperatores et quoscumque alios sententias depositionis ferre potuisset et damnationis et quascumque alias utpote in personas quas creaverat et donis naturalibus et gratuitis donaverat et in esse conservaverat. Eadem ratione et vicarius eius potest hoc." Der Vikar, das sei zuerst festgehalten, kann in den weltlichen Bereich, wie es Christus vermocht hätte, ein Urteil abgeben; er ist selbstredend nicht Stellvertreter in der kreaturalen Allmacht, das Vikariat bezieht sich nur (potest hoc) auf die Sentenzbefugnis „de iure naturali" gegen den Kaiser und „quascumque alias personas". Freilich ist auch schon mit der Sentenzbefugnis „iure naturali" viel gesagt, der Einbezug nämlich des naturrechtlichen Bereiches in die Begründung der geistlich-weltlichen Vollgewalt. Innozenz fährt weiter und erklärt das Vikariat mit Verweis auf den Primat Petri: „Nam non videretur discretus dominus fuisse, ut cum reverentia eius loquar, nisi unicum post se talem vicarium reliquisset, qui haec omnia posset. Fuit autem iste vicarius eius Petrus, Matthaeus 16 ultra medium". Dasselbe gilt für die Nachfolger, es wäre absurd, „si post mortem Petri humanam naturam a se creatam sine regimine unius personae reliquisset. Et argumentum ad hoc supra, qui filii sint legitimi, per venerabilem ultra medium (IV, 17, 13). De hoc notatur supra, de foro competenti licet (ex suscepto, II, 2, 10)". Das Vikariat gilt für die „humana natura" und ihr „regimen", so daß das Handeln „iure naturali" eben im „regimen" der menschlichen Natur ihr gubernatives Korrelat hat. Letztlich, so könnte man weiterfolgern, ist die Gewähr für die naturrechtliche Ordnung in der ordnenden Instanz des Christusvikariates aufgehoben. Und zwar, und nun kommt der doppelte Verweis auf IV, 17, 13 und II, 12, 10 zur Geltung,

511

Christus erscheinenden und existenten creatio und restaurano; vgl. III, 34, 8 (Anm. 507) omnes . . . sunt Christi per creationem. — Eigenglosse zur Deposition Friedrichs, S. 255 Christus als dominus naturalis. Vgl. Exkurs II, S. 630.

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für bestimmte Fälle 512 . Um in der Sprache von „Per venerabilem" zu sprechen: certis causis inspectis. Innozenz I I I . hatte in seiner Entscheidung diese „certae causae" sorgfältig abgesichert, und der Vermerk seines Nachfolgers „ultra medium" (vgl. oben) zielt genau auf diese Partie der Dekretale. Innozenz I I I . verweist auf das Münzgleichnis, auf die Ablehnung Christi, einen Erbstreit zu entscheiden (Luk. 12, 14) und gibt damit kund, daß die weltliche Gerichtsbarkeit für sich stehe. Wenn es trotzdem zu einem Eingriff komme, so dann, wenn nach dem Vorbild des A T , der „lex secunda", bei einem „difficile et ambiguum" (Deut. 17, 8—12) eine höchste Entscheidung erforderlich sei, und zwar sowohl bei einem: „criminale et civile (inter sanguinem et sanguinem)", einem: „ecclesiasticum et criminale (inter lepram et lepram)", einem: „tarn ecclesiasticum quam civile (inter causam et causam)". Rekurs an den apostolischen Stuhl also in Notfällen des kirchenrechtlichen, zivilrechtlichen und gemischt-rechtlichen Bereichs. Auf Innozenz I V . zurückgewendet besagt das, daß, außer den kirchenrechtlichen Fällen, das Christusvikariat über die „humana natura" und seine Befugnis „iure naturali" nur dann eintritt, wenn die Ordnung dieser „humana natura" eine letzte Entscheidung verlangt. Diese letzte Entscheidung ist verbunden mit dem Primat, das heißt in der Institution, in der sich, in diesem Fall, Heilsordnung und Naturordnung treffen. Damit ist eine Frage großer Tragweite angeschnitten, die nämlich, inwieweit überhaupt die natural-temporale Ordnung eine solche Instanz benötigt und ob sie im Primat der auf die Heilswirklichkeit verpflichteten „universitas fidelium" ihren Platz haben kann. Und ein zweites verbindet sich mit dem Satz des Papstes von der „absurditas" „si post mortem Petri humanam naturam a se creatam sine regimine unius personae reliquisset". Innozenz stellt sich die Struktur der „humana natura", der geschaffenen Menschenwelt, monokephalisch vor. Das erinnert an das philosophische Prinzip der „reductio ad unum", der generischen Einheit in einem Einen und Ersten, das von der scholastischen Theologie, etwa von Bonaventura, auf den Primat angewandt wird. Das heißt, wir sind dem Denkprozeß konfrontiert, der die ontisch-naturalen Kategorien zur Deutung und zum Verständnis der Heilswirklichkeit benutzt. Die ekklesiarche Publizistik, die aus der scholastischen Methode herkommt, wird daher auch die ratio naturalis zur Begründung der geistlich-weltlichen Vollgewalt heranziehen. Das beginnt schon bei der Determinatio compendiosa (c. 7: Ratio quaedam naturalis ad idem propositum ostendendum). Die Darstellung der Lehre Innozenz' I V . von der geistlich-weltlichen Vollgewalt wäre aber ungenügend, wenn nicht noch einmal auf die Tatsache verwiesen würde, daß bei aller Uberordnung des Papstes der temporale Bereich seine spezifische Eigenständigkeit behält. In derselben Glosse I I I , 34, 8; sii p e r venerabilem: Innozenz III. unterscheidet in Deut. 17, 8 — 1 2 tria iudicia: primum inter sanguinem et sanguinem, per quod criminale intelligitur et civile; ultimum inter lepram et lepram, per quod ecclesiasticum et criminale notatur; medium inter causam et causam, quod ad utrumque refertur tarn ecclesiasticum quam civile". Das „saeculare officium potestatis interdum et in quibusdam per se, nonnunquam autem et in nonnullis per alios exsequi consuevit".

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de voto, in der er die Gewalt auch über die Heiden kundtut, gesteht er ausdrücklich zu, daß auch die Ungläubigen eine legitime Jurisdiktion und dominium haben können: „sed dominia et possessiones et iurisdictiones licite sine peccato possunt esse apud infideles. Hec enim non tantum pro fidelibus sed pro omni racionabili facta sunt, ut est predictum. Ipse enim solem suum oriri facit super bonos et malos, ipse et volatilia pascit (Matth. V, 45, VI, 26), et propter hoc dicimus, quod non licet pape vel fidelibus auferre sua sive dominia sive iurisdictiones infidelibus quia sine peccato ea possident". Das klingt anders als die „inordinata tyrampnis", das „foris ubi omnia aedificant ad gehennam" von „Eger cui levia" (vgl. S. 253). Trotzdem ist das nicht unbedingt ein Grund, wie Cantini meint513, die Beziehung dieser „epistola apologetica" zu Innozenz IV. abzulehnen. Sofern „Eger cui levia" tatsächlich doch zu ihm gehört und Albrecht von Beham bestätigt wäre, ist es notwendig, beide Aussagen in ihrem Gehalt zu überprüfen. Die Glosse zu III, 34, 8 geht auf die naturrechtliche Sicherung des dominium und der iurisdictio aus, die „pro omni racionabili facta sunt". „Eger cui levia" spricht an der entscheidenden Stelle von dem pontificale iudicium, das der Papst fallweise (saltem casualiter) gegen jeden Christen ausüben kann. Die Situation ist demnach von jener der Glosse zu III, 34, 8 grundverschieden; hier (in Eger cui levia) handelt es sich um ein Vorgehen gegen jemanden, der sich in der Heilsgemeinschaft befindet, und der, wie der Fortgang zeigt, aus ihr ausgeschlossen wird514. Das „casualiter" wird erklärt mit: „si de ipso alius iustitie debitum nolit reddere vel non possit, maxime ratione peccati, ut peccatorem quemcumque, postquam in profundum viciorum venerit per contemptum, tamquam publicanum et ethnicum haberi constituât et a fidelium corpore alienum". Das ist eine Anspieleung darauf, daß Friedrich schon lange gebannt war; später wird dies sogar ausdrücklich erwähnt. Nach dieser Einleitung folgt die entscheidende Aussage: „sicque saltem per consequens privatum, si quam habebat, temporali regiminis potestate, que procul dubio extra ecclesiam efferri omnino non potest, cum foris, ubi omnia edificant ad gehennam, a deo nulla sit ordinata potestas". Achtet man auf den Wortlaut von „Eger cui levia", so wird der Anklang an bekannte kanonistische Darlegungen offensichtlich: Die Absetzung (privatum) ist eine Folge (saltem per consequens) der vorausgehenden Trennung von der Kirche, eingeschlossen der diese Trennung wieder verursachenden Bedingungen. Die Depositionssentenz „Ad apostolice dignitatis" zählt die „vicia" im einzelnen auf: periurium, pacis violatio, sacrilegium, heresis. Im Grunde haben wir die rechtliche Situation eines per consequentiam eintreten513 514

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Cantini, De Autonomia, Salesianum 23, 1961, S. 413, Anm. 33. Winkelmann, Acta Imperii inedita II, S. 698: Es heißt zunächst, daß der Papst das pontificale iudicium ausüben kann gegen quemlibet Christianum, dann folgen die Gründe auf Seiten des Beschuldigten, der weltlichen Justiz (si de ispo alius iustitie debitum nolit reddere), schließlich heißt es, der Papst könne den Christen „tamquam publicanum et ethnicum haberi constituât et a fidelium corpore alienum, sique saltem", vgl. oben Text. Die Absetzung erscheint in der Folge des Vorausgehenden, vor allem der Exkommunikation. Kölmel

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den Aktes im Bereich der temporalen Ordnung. Die auslösende Erstentscheidung liegt im spiritualen Bereich und in der Rechtshilfe bei Defekt der weltlichen Ordnung (si de ipso alius iustitie debitum nolit reddere vel non possit). Damit ergibt sich auch die Perspektive, in der das Wort fällt von der potestas, die außerhalb der Kirche als ordinata potestas nicht ausgeübt werden kann. Es ist die Perspektive von der Kirche und der christlichen Gemeinschaft her. „Eger cui levia" hat das christliche Regiment im Auge, nach den für es geltenden Kriterien ist die potestas extra ecclesiam eine inordinata. Das gilt auch für Konstantin, der zuvor einen heidnischen Staat regiert, der dazu noch von der Christenverfolgung befleckt war. Konstantins Herrschaft war eine „inordinata tyrampnis", in diesem Wort erscheint das Bild der heidnischen Caesaren. Im CC wird es noch durch den geplanten Mord an Kindern für den aussätzigen Kaiser illustriert (CC n. 6). In dieser Linie liegt es, wenn von einem früheren Mißbrauch der Herrschaft gesprochen wird: „legitime uteretur et, qui prius abutebatur potestate permissa; deinde fungeretur auctoritate concessa". Die natural begründete Herrschaft von III, 34, 8 ist hier noch nicht berührt. Freilich das ist hinzuzufügen, diese Thematik wird auch nicht in Einklang mit der These von der inordinata potestas extra ecclesiam gebracht515. Wir haben zwei Vorstellungsreihen, und es wird sich später zeigen, daß sich dieser Vorgang im Ganzen der ekklesiarchen Doktrin wiederholt. Die Konzeption Innozenz' IV. vom regimen christianum bietet so als Ganzes besehen einmal die natural-legitime Herrschaft jenes Zustandes, der nach dem Naturrecht lebt. Sie ist nicht sündhaft, kann aber, ohne Zugehörigkeit zur Heilsgemeinschaft auch nichts zum Heil beitragen. Die christliche Herrschaft befindet sich als imperium in einer „specialis coniunctio" zum Papst, der die Kaiserwürde vergibt. Als regnum erscheint die von Gott unmittelbar gesetzte königlidie Gewalt, sie ist vom Menschen her in innerweltlichen Rechtstiteln gegründet und ist in ihren Funktionen selbständig. Regnum benennt demnach die potestas in ihrer spezifischen Funktion als Zwinggewalt der bürgerlichen Ordnung selbst. Wir werden diesen Unterschied von imperium und regnum in markanter Weise während des nächsten Höhepunktes pontifikalherrscherlicher Reflexion bei Bonifaz VIII. wieder antreffen. Er stellt, wenn wir uns Innozenz III. zuwenden, die Varianten eingerechnet, offenbar ein Kontinuum der kurialen Konzeption dar. Die päpstliche Gewalt über die temporalia ergibt sich aus dem Primat und bei Defekt der weltlichen Gewalt. Sie ist in ihrem Handeln begrenzt im Sinne der ratio peccati und des subsidiären Eingreifens. Innozenz wird nicht müde, den bedingten Charakter seiner weltlichen Vollgewalt darzutun51". 515

Das „sine peccato" des dominium und der iurisdictio der infideles und das „foris, ubi omnia edificant ad gehennam", bzw. die „inordinata potestas" schließen sidi nicht aus. Jurisdiktion ohne Sünde meint die aktive sündige Aktion des Menschen, das andere den Zustand ohne Taufe und außerhalb der Heilsgemeinschaft, in dem auch das natürliche Tun allein nicht das Heil erwerben kann. Inordinata potestas ist gesehen von diesem Heilsbezug der Ordnung her. 51 ® Sowohl in I, 6, 34 betont Innozenz IV. im Verhältnis zur Kaiserwahl die auf moralische Prüfung (an sit criminosus vel ecclesiam negligens) beschränkte Rolle des Papstes. In die

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Er sucht die von Innozenz III. gegebenen Maßstäbe auf klar bestimmte Fälle zu definieren, in diesem Bemühen handelt er in der Tradition seines Vorgängers, steht er auch ganz in der Tradition, die beide Gewalten in ihrer Substanz und spezifischen Funktion trennt. Eine Verschärfung der hierokratisdien Position tritt bei ihm dadurdi ein, daß er die Differenzierung von geistlicher Vollgewalt und weltlicher Gewalt (plenitudo-latitudo; vgl. S. 244 f) nicht übernimmt, sondern hinsichtlich der Temporalien von plenitudo spricht (II, 2, 10). Er versteht das Christusvikariat im Sinne des „regimen unius personae" für die „natura humana". Es wäre voreilig, diesen zunächst philosophischen Begriff unbesehen soziologisch oder politisch festzulegen. „Humana natura" kann, so wie der Begriff, von Innozenz nicht weiter erläutert, dasteht, nur den ontisch-kreaturalen Kern und, hinsichtlich des regimen, dessen gubernative Struktur kennzeichnen. In dieser, offensichtlich bewußten begrifflichen Beschränkung, will Innozenz wohl vermeiden, daß mit dem Begriff des regimen unius personae jene innerweltlichen Rechtstitel verbunden werden, die sich sofort einstellen, wenn von societas humana die Rede wäre. Dennoch stellt, wie schon angedeutet, diese Auffassung des Christusvikariates noch Probleme genug. Vor allem das Kernproblem, das mit der sogenannten direkten weltlichen Gewalt grundlegend verbunden ist, das nämlich des Wesens dieser plenitudo potestatis in temporalibus. Ist und bleibt sie geistlichen Charakters oder stellt sie nicht doch weltliche Gewalt im Sinne der Spezifik dieser Gewalt dar? Darauf sei erst in der Gesamtbetrachtung des dritten Teiles dieser Studie geantwortet. Sofern „Eger cui levia" zu Innozenz selbst gehört und nicht ein Werk der Kurie darstellt, hätte er auch die Illegitimitätstheorie in seine Argumentation aufgenommen. Sicher ist, daß diese in seiner Zeit, wie das Beispiel des großen Hostiensis zeigt517, maßgeblich Raum gewinnt. Sie führt endgültig hinüber zur kurialen Doktrin der letzten Phase des Ringens zwischen der hierokratisdien und der imperial-regalen Seite um das Verständnis des regimen christianum in einer Welt, die nun dabei ist, die geschichtlichen Bedingungen zu verlassen, aus denen das christlich-sakrale Herrschertum und die weltliche Macht der Päpste wuchsen.

Wahl selbst kann er eingreifen bei Negligenz der Wähler oder bei Doppelwahl. — In 11,2, 10 betont er, nachdem er die 11 Fälle genannt hat und nadi dem heilsgesdiichtlidien Exkurs mit dem Abschluß des päpstlichen Christusvikariates, vgl. S. 630 f, nodi einmal: „Licet in multo distincta sind officia et regimina mundi, tarnen quandocumque necesse est, ad p a p a m recurrendum est, sive sit necessitas iuris . . . vel necessitas facti quia alius non sit iudex superior; sive facti, puta, quia de f a c t o minores iudices non possunt suas sententias exequi vel nolunt ut debent iustiam exercere (per venerabilem)". 517

17'

Hostiensis, In I I I Decretalium, D e voto et voti red. c. Q u o d super his: „Mihi tarnen videtur, quod in adventu Christi omnis honor et omnis principatus et omne dominium et iurisdictio de iure et ex causa iusta . . . omni infideli subtracta fuerit et ad fideles translata". Z u Hostiensis vgl. auch Teil II Anm. 30; weitere Stellen Pilati, S. 247 ff.

TEIL II

Das Regimen Christianum in der Kontroverse über das Verhältnis der Gewalten um 1300 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts

Einleitung Die hierokradscbe These in der spekulativen Situation um 1300. Vorstellung, Wirklichkeit des regimen christianum haben zu Beginn der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts — das sei als kurzes Fazit der vorausgehenden Betrachtung vermerkt — im Verständnis und Verhältnis von imperium/regnum und sacerdotium einen Zustand erreicht, der in sich schon die extremen Möglichkeiten des weiteren Weges andeutet. Gehen wir von der zuletzt besprochenen Thematik aus, der Gewalt des Papstes in zeitlichen Dingen, so haben wir in der Gewaltenkonzeption, die den Spruch gegen Friedrich II. trägt, das rechtlich folgerichtig durchgebildete Behaupten einer kausal einsetzenden geistlich-weltlichen Vollgewalt über die „humana natura". Der Vorrang des Spiritualen und des hierarchischen Amtes gegenüber der Wertigkeit der zeitlichen Dinge wird dort, wo im weltlichen Raum eine Verletzung der Heilsordnung auftritt (ratione peccati) oder bei Defekt der weltlichen Gewalt selbst, in weltliche Rechtstitel und Rechtsakte übersetzt. — Nehmen wir weiter das bereits über die fürstliche Höchstgewalt Gesagte vor, so führte die Ausbildung der Souveränität zur Frage, welches Schicksal der christliche Herrschaftsgedanke in dieser Entwicklung haben wird (S. 144 ff). Er muß sich in einer Umgebung behaupten, die vom Anstaltstaat und der mit Hilfe der Aristotelesrezeption und römischem Reditsdenken sich orientierenden politischen Theorie geprägt ist. Die konstitutive Kraft des Sakralkönigtums muß hier verblassen, seine rituelle Gestik, die einst auf einen unbefangen übernommenen königlichen Auftrag in der Kirche und über die Kirche verwies, muß nun einen neuen Sinn erhalten. Das alles vollzieht sich in einer Zeit tiefgreifender geistiger und gesellschaftlicher Umbrüche, ebenso aber auch zähen Beharrens am Überkommenen. Man kann darin einen zeitbeschränkten und zeitübergreifenden Vorgang erblicken und entsprechend die von geistlicher und weltlicher Seite aufgestellten Thesen auf ihre zeitliche und „überzeitliche" Aussagefähigkeit hin ansprechen und prüfen. In jeder dieser Betrachtungsweisen wird der jeweils andere Aspekt anwesend sein, keine kann die andere rundweg ausschließen, es sei denn, man sieht nur den historischen Vorgang und die Wandlung vom einen zum andern als relevant an. In ihrer historischen Aussagefähigkeit werden die Vorstellungen der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert über das regimen christianum darnach zu befragen sein, was sie aus der Tradition übernehmen, was sie Neues bringen und was sie der Zukunft als gestaltkräftiges Erbe übergeben. In ihrer metahistorischen Aussagefähigkeit wird interessieren, was sie zur Sache selbst je und heute zu sagen haben. Die Frage nach der geschichtlichen Wahrheit geht in diesem Augenblick in die Frage nach der nor-

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Einleitung

mativen Wahrheit selbst über. Unsere Betrachtung wird sich als historische auf die erste Frage beschränken, sie wird aber die Bedeutung der zweiten nicht aus dem Blick verlieren aus dem Bewußtsein, daß die Entscheidungen des geschichtlichen Augenblicks jene zweifache Wertigkeit besitzen, die der Situation, auf die hin sie entschieden werden, und die einer überzeitlichen Gesetzlichkeit, in die sie unabdingbar gestellt sind. Was die Thematik des regimen christianum im Rahmen des Verständnisses und Verhältnisses von imperium/regnum und sacerdotium angeht, so sind wir gewohnt, in den Thesen der hierokratischen Richtung nur das Zeitgebundene, den geschichtlichen Durchgang zu sehen. Was dagegen die Entfaltung der weltlichen Eigenständigkeit, die sorgfältige Trennung der Bereiche, die Ausbildung des je anderen in Welt und Kirche angeht, sind wir es gewohnt, sowohl die geschichtliche Formierung, die schrittweisen Passagen vom weniger zum mehr anzunehmen, wie in ihnen zugleich die Manifestation normativer Wahrheiten zu sehen; hier gestehen wir jene überzeitlichen Werte zu, die der Gegenseite verwehrt werden. Daß hiermit metahistorische Praemissen und Wertmaßstäbe ins Spiel geraten und bereits im Spiel sind, dürfte klar sein. Um au pair zu agieren, müßte den Vertretern jener Zeit die Gelegenheit offenstehen, über uns zu urteilen, aber der Herr der Geschichte läßt nur die Lebenden sprechen, über sich und über die Vergangenheit. Dem Urteil der Zukunft gegenüber müssen wir stumm bleiben. Jede Zeit und jeder Gedanke ist einem endgültigen Gericht ausgesetzt. Ein Trost bleibt, daß es jeder Generation auferlegt ist, das zu eruieren, was war und was gesagt wurde und es dabei zu belassen. Und wenn wir uns auch selbst nicht verteidigen können, so können wir hoffen, daß irgendwer sich unser annimmt, und wenn es auch nur hypothetisch geschieht, und darnach frägt, wenn schon nicht nach der Wahrheit, so wenigstens nach dem „Anliegen", das zur Gestaltung drängte. In diesem Sinn sei über die streng geschichtliche Betrachtung hinaus oder in sie eingefügt, die Frage darnach gestellt, was in der Diskussion, die in unserm Zeitraum einsetzt, und die durch den geistigen Rang einiger ihrer Sprecher zum Bedeutsamsten gehört, was sich in der politischen Ideengeschichte vorfindet, nun denn als „Anliegen" heransteht. Der Stoff sei so eingeteilt, daß im Anschluß an die letzten Partien des ersten Teils zunächst die hierokratischen Stimmen zu Wort kommen, dann mit Hervaeus, Olivi, Quidort und den Registen einsetzend ihre Kritiker auf geistlicher wie weltlicher Seite. Äußere Vollständigkeit kann nicht angestrebt werden. Entscheidend bleibt die Gewichtigkeit der Argumentation selbst.

A. D I E H I E R O K R A T I S C H E T H E S E IN DER E N T F A L T U N G

I. Die hierokratische These in der Theologie Kanonistische und theologische Argumentation. — Alexander von Haies, Vinzenz von Beauvais, Guibert von Tournay. — Die hierokratische Konzeption im Reflex der hochscholastischen Spekulation: Thomas von Aquin, Bonaventura, Heinrich von Gent und Wilhelm Durandus.

Die Interpretation der Gewaltenlehre war, wie bereits ausgeführt, nach der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die Zeit des Interregnum im wesentlichen von den Kanonisten, Dekretisten wie Dekretalisten, getragen. Die hierokratische Richtung unter ihnen gibt den Thesen von der Herleitung der kaiserlichen Gewalt vom Papst, darin eingeschlossen der kurialen Zweischwerterlehre, der Formel vom autoritativen und exekutiven Besitz der potestas temporalis die juridische Gestalt und ermöglicht so ihre Anwendbarkeit durch den kirchlichen Gesetzgeber. Die Theologie folgt nur allmählich diesen Formeln (vgl. S. 247); sichtlich verstärkt sich der hierokratische Einfluß in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, also im Interregnum nach dem Sturz der Staufer und nach Innozenz IV. Fast sieht es nach einer communis opinio aus (vgl. zum deutschen Landrecht S. 458). Trotzdem kann man nicht von einer tatsächlichen communis opinio sprechen, da die Kritik an den hierokratischen Thesen nie verstummt — Ägidius spricht offen von der „controversia", De eccl. pot. III c. 1 — und sie um so bestimmter auftritt, je mehr die ekklesiarche Konzeption publizistisch sich regt und ihre Argumente radikalisiert (vgl. S. 457). Was diese erste Stufe der Übernahme der kanonistischen Formeln auszeichnet, ist die starke Abhängigkeit von den Quellen, also den Kanonisten selbst. Sie beschränkt sich im ganzen auf den in den Glossen erarbeiteten Rahmen der Fragen und Antworten 1 . In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird der Einfluß der Aristotelesrezeption und der scholastischen Spekulation überhaupt wirksam, so im Prinzip der reductio ad unum (Bonaventura), in 1

Simon v o n Tournay stellt in der Art der Kanonisten die Frage: „quaeritur, an materialem gladium habeat princeps a pontifice". Die A n t w o r t erfolgt freilich in eigener Weise, Simon unterscheidet Gehorsam ratione persone und ratione dignitatis. Der Fürst ist in beiden Hinsichten gebunden. Ebenso wird das Treueband (iure iurandi) als religiöses Band für die Abhängigkeit verwertet, und zwar hier die Treueverpflichtung der U n t e r tanen. — Vgl. J. Warichez, Les „Disputationes" de Simon de Tournay, 1932, S. 239 (Maccarone, in M H P 18, S. 35). — Wilhelm von Auxerre bringt den Unterschied v o n : executio und Vergabung der Gewalt. „In veritate ecclecia duos habet gladios: unum quo utitur et quem habet in executionem, alterum non sie, sed solum in confcrendo" J. Lecler, L'argument des deux glaives, Redierches des sciences religieuses 7, 1931, S. 322.

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A. Die hierokratische These in der Entfaltung

der Anwendung der „ratio naturalis" (Determinatio c. 7) und der Lehre vom dominium. Die Argumentation selbst kann man thematisch auf folgende Punkte konzentrieren: a) Die allgemeine, in der Heilsordnung begründete Unterordnung des Temporalen unter das Spirituale; b) die kirchliche Erhebung des Herrschers, hier gewinnt die Formel Hugos von St. Viktor Bedeutung; c) die Deutung des „utrumque habet gladium" im Sinne der christozentrischen und hierarchischen Monokephalie; d) die funktionale Differenzierung von autoritativem Besitz und der executio der potestas; hier gewinnt die Formel Bernhards von Clairvaux ihr Gewicht; e) was die Kennzeichnung des Eingriffs in weltliche Angelegenheiten angeht, so wird nirgends von direkter weltlicher Gewalt gesprochen. Für die Bewertung der Argumentation ist das nicht unwesentlich2. Als Beispiele seien genannt, sie vermitteln zugleich das Gesamtbild: Zu a) Alexander von Haies sieht in der Eigenordnung der „potestatum saecularium" den König und den Kaiser als Höchstgewalten, in der Zusammenordnung sind jedoch die weltlichen Dinge auf die geistlichen hingeordnet: „sicut saecularia ordinantur ad spiritualia, ita potestas saecularis ad potestatem spiritualem"; von dieser Hinordnung her zitiert er Hugo von St. Viktor 3 . Zu b) Dem eben genannten Alexander, der die kirchliche Promotion des Herrschers als Ausdruck der ordinatio saecularium ad spiritualia sieht, können Vinzenz von Beauvais und Guibert von Tournay angefügt werden. Vinzenz zitiert Hugo, für Guibert, der die königliche Herrschaft ganz in der Kirche stehend sieht, empfängt der Fürst das Schwert von der Kirche: „de manu ecclesie princeps gladium accipit, eumdem ministrum ecclesie ostendit, quae cum gladium sanguinis omnino non habet, eo tarnen utitur per manum principis, cui contulit corporalem potestatem, spiritualium sibi in pontificibus auctoritate reservata" 4 . Die Sicht, in der das gesagt wird, wird uns noch später beschäftigen. Zu c) Die Vereinigung der Gewalten im Papst: Diese These wird von bedeutenden und bedeutendsten Sprechern der Scholastik anerkannt, Thomas von Aquin, Bonaventura, Heinrich von Gent, Wilhelm Durandus sind unter ihnen. 1

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M. Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie, Sitz Ber. Bayer. Ak. d. Wiss. 1934, Phil. hist. Kl. hat den Weg der Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat in der philophisdi-theologischen Spekulation des Jahrhunderts und der folgenden Epoche verfolgt. — Maccarone, „Potestas directa" e „potestas indirecta" nei teologi M H P 18, 1954, S. 27 ff geht v o n der Terminologie seines Titels aus. — Sehr nützlich bleibt die Übersicht bei G. Pilati, Chiesa e Stato, S. 207 ff. Alexander v o n Haies, Sth III q. 40, 2 Resolutio (Opera Quaracchi IV, S. 609). Pilati, S. 234. Guibert von Tournay, Eruditio regum et principum, Les philosophes Beiges, IX, 1914, I, 2. — Guibert sieht die herrschaftliche Ordnung in der Analogie der himmlischen Hierarchie, vgl. III, 2. und unten S. 268 f zu Bonaventura. — Ferner Verf.: Über spirituale und temporale Ordnung, Franz Stud, 36, 1954, S. 193 f.

I. Die hierokratische These in der Theologie

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Natürlich gilt das erste Interesse Thomas und Bonaventura selbst. Die vielzitierte Stelle aus dem Sentenzenkommentar, die zuletzt Eschmann nach mancher vorausgehenden abschwächenden Deutung nur als faktische Feststellung verstehen will, ist in ihrem Wortlaut aber so klar auf das regal-sacerdotale Christusvikariat bezogen, daß mehr gesagt ist als nur die Benennung eines Zustandes: Thomas spricht zuerst von der Trennung der Gewalten und der jeweiligen spezifischen Höchstgewalt und fährt fort: „Nisi forte potestati spirituali etiam saecularis potestas coniungatur, sicut in papa, qui utriusque potestatis apicem tenet, sei. spiritualis et temporalis, hoc illo disponente, qui est sacerdos et rex, sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech, rex regum et dominus dominantium" 5 . Niemand sollte diesen Passus isoliert interpretieren. Die Ordnungslehre des Aquinaten beweist aber, daß er von einem temporalen Weisungsrecht überzeugt ist. „Sed habet (ecclesia) etiam temporalem (gladium) quantum ad eius iussionem" (In IV Sent. d. 37); potestas saecularis subditur spirituali sicut corpus animae (ut Gregor. Naz. dicit orat. 17) et ideo non est usurpatum iudicium, si spiritualis potestas se intromittit de temporalibus quantum ad ea, in quibus subditur ei saecularis potestas vel quae ei a saeculari potestate relinquuntur" (Sth 2, II, q. 60, art. 6 ad. 3). Thomas sieht das Weisungsrecht beschränkt, es gilt nur für bestimmte Fälle und dort, wo die Kirche durch Privilegien temporale Herrschaft besitzt. Das kann für den Kirchenstaat und die übernommenen Lehnshoheiten gelten. Welches die übrigen Fälle sind, sagt Thomas nicht, man wird jedoch nicht fehl gehen, wenn man als Rahmen, nicht unbedingt im einzelnen, die bei Innozenz IV. erscheinenden Grundsätze annimmt, das heißt, Sonderrechte gegenüber dem Imperium, Eingreifen „ratione peccati" und bei Defekt der weltlichen Gewalt (vgl. S. 250). Grundsatz allgemeiner Art dürfte sein die in „De regimine prineipum" ausgesprochene Hinordnung der untergeordneten vorläufigen Ziele auf das letzte Ziel. Sorge für dieses Ziel, das zugleich ein Wesensziel der Dienstaufgabe des regnum ist, obliegt dem sacerdotium, vor allem dem Papst*. Darnach wäre die im Papst erscheinende Aufgipfelung 5

Thomas, In Sent. II d. 44, ad. 4; Grabmann S. 14 f neigt dazu, darin den Kirchenstaat zu sehen. Die anschließende Beziehung auf den Königspriester macht das nicht möglich. Ch. Journet, La Jurisdiction S. 138 ff nennt als zweite Möglichkeit die Beziehung auf die Christenheit. Grund sei die spirituale Unterordnung. — Daß Thomas als Grundlage der päpstlichen Gewalt das Priesterkönigtum Christi und damit das päpstliche Christusvikariat annimmt, behauptet auch Maccarone, Vicarius Christi- S. 139; Sacerdozio e regno M H P 18, S. 40. — Das Christusvikariat findet sich auch De regimine prineipum I, 14: „Regni ministerium . . . sacerdotibus est commissum, et praeeipue summo sacerdoti, successori Petri, Christi vicario, cui omnes reges populi christiani oportet esse subditos sicut ipsi domino Jesu Christo". Thomas sieht die Trennung der Offizien nach iussio und executio schon in Christus begründet: Vg. In Sent. III, d. 59,4: ad 2: Christus sind zwar alle Dinge „subiecta quantum ad potestatem quam a Patre super omnia aeeepit . . nondum tarnen sunt omnia subiecta quantum ad executionem suae potestatis: quod quidem erit in futuro". ' Thomas In Sent II, d. 44 ad 4: Potestas spiritualis et secularis utraque deducitur a potestate divina; et ideo in tantum saecularis potestas est sub spirituali inquantum est ei a Deo supposita, seil, in his, quae ad salutem animae pertinent; et ideo in his magis est obediendum potestati spirituali quam seculari. In his autem quae ad bonum civile

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A. Die hierokratisdie These in der Entfaltung

der Gewalten (utriusque potestatis apex) dem Wesen nach geistlicher Intention. Thomas will sicherlich mit der Wendung von der geistlich-weltlichen Spitze keine weltliche Herrschaft. Dagegen spricht die klare Trennung der Sphären, die nur „gelegentlich" (forte) durchbrochen wird. Dieses „gelegentlich" besagt klar, daß die Verbindung geistlicher und weltlicher Befugnisse im Papst nicht ein die weltliche Ordnung erstrangig begründendes Gesetz darstellt, sondern sich nur unter einem bestimmten Aspekt ergibt. Erstes Grundgesetz des Verhältnisses der Gewalten bleibt die Trennung der Bereiche und die spezifische Selbständigkeit des weltlichen Teiles im besondern. Bellarmin, der meint, man könne nicht ganz sicher die Meinung des Aquinaten festlegen (non tarn certum), hat dennoch recht, wenn er ihn zu jenen Theologen rechnet, die den Kern der weltlichen Gewalt der Kirche in ihrem geistlichen Auftrag sehen7. Bonaventuras Konzeption wäre eine eigene Untersuchung wert, denn er ist der Theologe, der die geistlich-weltliche Vollgewalt innerhalb eines Gesamtwerks vorträgt, das der Darstellung der großen Einheit des Sechstagewerkes (Collationes in Hexaemeron), des Heilswerkes und der endgültigen himmlischen Ordnung dient. Bei ihm tritt klar faßbar wieder jener Kirchenbegriff hervor, der auch die zivile Ordnung im Rahmen der Heilsgemeinschaft operativ lokalisiert: „regimen rei publicae in Ecclesia attenditur circa tria, sel. quantum ad bonum inferius, quod est corporate, quantum ad bonum exterius, quod est civile, et quantum ad bonum interius, quod est spirituale. Et secundum hoc triplex genus operis est necessarium ad regimen rei publicae et Ecclesiae militantis" (De perf. evang. q. II, art. 3). Der trinitarisdien Analogie zufolge bildet die Ständeordnung der militans ecclesia die himmlische Hierarchie nach: „Oportet ergo, quod Ecclesia militans habet ordines correspondentes hierarchiae illustranti" (In Hexaemeron) 8 . Die sacra plebs der laici

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pertinent, est magis obediendum potestati seculari quam spirituali secundum illud Matth, 22, 21: Reddite quae sunt Caesaris Caesari. Bellarmin, De Romano pontif. V, c. 1 und 5: De S. Thoma quid censerit. non est tam certum. — Vgl. auch Pilati, S. 250 Anm. 253. Bonaventura, In Hexaemeron, Opera Quaracdii V, S. 438. — De perf. ev. Quaracchi V, S. 161. — D a s Schema interius—exterius entspricht alter Tradition, die auch in der Königsweihe zum Ausdruck kommt. Vgl. Vogel-Elzel, Königsgebet I X X I I n. 22, S. 257: in interioribus pastores — tu in exterioribus verus Dei cultor etc. Vgl. oben S. 104. — Zu Bonaventura siehe im ganzen die glänzende Darstellung von A. Dempf, Sacrum Imperium S. 358 ff. S. 374 zur Ständelehre. Auf die Frage der weltlichen Gewalt des Papstes geht D. allerdings nicht explizit ein. — Wenn J . Ratzinger, Der Einfluß des Bettelordensstreites, Festschrift M. Sdimaus, S. 716 Anm. 54 in der Erwähnung der spiritual-temporalen Vollgewalt, die audi er nur in cumulo nennt, Innozenz III., I, 6, 33, mit seiner Liditerlehre bringt und den Ausdruck: A d firmamentum coeli, id est universalis ecclesiae als „Idenfikation von Welt und Kirche" interpretiert, so läßt sich aus der Tradition dieses „kosmischen" Kirchenbegriffes im Bereich der Gewaltenlehre zeigen, daß diese Identifikation der Ordnungsbereiche selbst nicht zutrifft. In der Wendung „in firmamento coeli id est ecclesiae" sind die „potestates" (bzw. auetoritas und potestas), angesprochen. Im Nachsatz meint R., daß der Kirchenbegriff des Papstes in Richtung der „Christenheit" verschoben sei (nadi E. Gilson, Les Metamorphoses de la Cité de Dieu). Eine solche Verschiebung wäre jedoch nur anzunehmen, wenn zugleich die institutionelle Abschließung der „Kleruskirdie" seit dem Investiturstreit eingerechnet würde, an der

I. Die hierokratische These in der Theologie

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entspricht den Angeli, die consules den Archangeli, die principes den Principalibus. Die herrschaftliche Ordnung wird hier ganz auf jene Ebene gehoben, von der her sie dieser Analogie gerecht werden kann. Sie wird gewissermaßen spiritualisiert und steht in der heilstypischen Relation, die sich über die Zeiten spannt und in der himmlischen Ordnung ihren Ruhepunkt findet. Das bedeutet zugleich einen eschatologischen Charakter, den die temporale Ordnung erhält, sie steht in Korrespondenz, und zwar eingefügt in die ecclesia militans, zur triumphierenden Kirche. Was Hugo von St. Viktor aus dem Lebensgesetz der vom Geist erfüllten universitas fidelium, dem corpus Christi, für das Verständnis und Verhältnis der Gewalten herleitet, — man muß schon zu ihm zurückgehen, um eine ähnlich groß angelegte Konzeption zu finden — das wird nun als irdisches Gegenbild der Endzeit selbst verstanden (vgl. S. 136 zu Hugo). In diesen Rahmen sollte man nun die Aussagen über die geistlich-weltlidie Vollgewalt gestellt sehen. Bonaventura nimmt, darin unterschieden von dem zurückhaltenderen Thomas, die Vielfalt der Ränge, Offizien und Gewalten in die Einheit des Christusvikariates: „tarnen haec varietas ad unum reduci debet summum et primum antistitem, in quo principaliter residet universalis omnium principatus". Diesen Prinzipat hat Christus inne. Aber nicht nur auf ihn allein geht die „reductio ad unum"; „sed etiam iure divino ad eius vicarium, et hoc quidem congruentissime, cum istud requirat ordo universalis iustitiae, unitas ecclesiae et stabilitas in utroque" 9 . Die Anwendung des aus der aristotelischen Metaphysik gewonnenen Prinzips der generischen Einheit, von Hödl und Ratzinger („verunglückt und gefährlich") getadelt10, gibt der geistlich-weltlichen Vollgewalt eine universale gesellschaftliche Bedeutung und erweitert das Christusvikariat in der Kirche zur einenden Institution für die gerechte Ordnung der Menschheit, den „ordo universalis iustitiae". Diese Steigerung des Primates mag äußerlich unterstützt sein durch die Bindung der Bettelorden an den apostolischen Stuhl und die Auseinandersetzung mit der Weltgeistlichkeit (Wilhelm von St. Amour), sie liegt jedoch auch innerlich auf der Linie, die von Innozenz III. zu Innozenz IV. nun hinführt 11 . Das Christusvikariat für die „humana natura" wird in der

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Innozenz selbst seinen Anteil hat. Das heißt, der Kirchenbegriff oder besser die in der Kirchenpolitik existente „Kirche" wäre zugleich Anstaltskirche und in die christliche Welt geöffnete Gemeinschaft der Gläubigen. Bonaventura, De Perf. ev. Quaracchi V, S. 193. L. Hödl, Die Lehre des Petrus Joh. Olivi O. F. M. von der Universalgewalt des Papstes, Mitt. des Grabm. Inst. 1, S. 13: „ohne Bedenken". — J. Ratzinger, (vgl. Anm. 8), S. 719. Die starke Betonung des päpstlichen Primates zeigt der Traktat Bertrands: Manus que contra omnipotentem; ed. von M. Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit, Franz Stud Beiheft 2 1920, I, S. 137 ff (Gegen die Zuweisung an Bertrand: Pelster, ArdiFrancHist 15, 1922, S. 33 f an Thomas v. York). S. 138 Papst kann Predigterlaubnis geben auch ohne Einladung der Gebietsvorsteher: „apud summum pontificem est auctoritas plena cuius sanctioni contradicere non licet. S. 140: Papst hat: auctoritas . . vel mutandi vel condendi . . dummodo mandata eius non sint iustitie et equitati dissona . . quia qui contradicit scripture contradicit iuri naturali. — S. 140: Die Predigterlaubnis gilt: si

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A. Die hierokratische These in der Entfaltung

„reductio ad unum" zu einem ontischen Ordnungsprinzip, in dem naturale und supranaturale, temporale und spirituale Ordnung zusammentreffen. Bonaventura: „Posset tarnen dici, quod secundum veritatem utraque potestas in Summo Pontifice concurrit in unam personam" (De perf. evang. IV, 3, ad. 8). So sehr jedoch der päpstliche Primat als universale Ordnungsfunktion herausgestellt wird, so sehr wird gerade bei Bonaventura der spirituale Grundzug dieser Gewalt deutlich. Das Argument der „reductio in unum" 12 erfolgt im Rahmen einer Erwiderung auf den Einwand: „regimen ecclesiasticae hierarchiae dividitur in potestatem regalem et sacerdotalem. Sed non est necessarium ad salutem, quod omnes reges obtemperant uni regi, ergo pari ratione videtur, quod non sit necessarium, quod omnes uni obtemperant sacerdoti". In der Antwort heißt es zunächst, daß das sceptrum regis nicht so aus dem statutum evangelicum hervorgehe wie der pontificalis clavis. Denn die päpstliche Herrschaft sei spiritual. „Lex enim evangelica spiritualis est, unde et Christus lator illius legis, ad spirituale pontificium non ad carnale imperium, oculos mentis suae direxit". Die Einheit der Gewalten im Papst ist demnach nicht die eines Zusammen von spirituale pontificium und carnale imperium, sondern eine Einheit anderer Art. Die Frage nach dieser „andern Art" führt bereits mitten hinein in die Wesensdeutung der geistlich-weltlichen Vollgewalt, zunächst bei Bonaventura, jedoch gibt sie auch Hinweise für die Interpretation überhaupt. Bonaventura begründet das „utraque potestas in Summo Pontifice" 1) mit dem Christusvikariat, 2) mit einem Hinweis auf Bernhards von Clairvaux Unterscheidung von „nutus" und „iussio" (hierzu S. 222 ff), 3) mit dem Prinzip der reductio (vgl. Anm. 12). Das Christusvikariat besagt ein „Haben" der beiden Schwerter, jedoch nicht ein Gebrauchen (kein carnale imperium); die Bernhardstelle besagt ein Weisungsrecht (nutus); das Prinzip der reductio endlich meint die Einung einer vielgliedrigen und vielgestaltigen Reihe von Offizien und Gewalten in einem Ersten, sie wird gefordert von der ihr genau entsprechenden hierarchischen Struktur der Kirche (congruentissime) : „ordo universalis iustitiae, unitas ecclesiae et stabilitas inutroque" (vgl. S. 269). Keines der Argumente behauptet die Aktualisierung und ihr vorausgehend die Inhaberschaft weltlicher Rechtstitel, es ist jeweils nur eine höhere erste

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commissio non fuerit iuri naturali aut scripture sacre seu divine ordinationi contraria. — Hier bildet sich die Vorstellung der päpstlichen Gewalt, die den Papst nur durch göttliches Gesetz und Naturrecht beschränkt sein läßt . . — S. 153: Papst ist die causa primaria des kirchlichen Wirkens (nach Pseudo Dionys, PG S. 369), Haupt der hierarchia „a quo est descensio et distributio potestatum et operationum in omnibus membris que sunt in ecclesia, sicut a capite in omne corpus est donorum diffusio". — Zur Primatslehre im Bettelordenstreit vgl. Ratzinger a.a.O. S. 698 ff. De perfect. ev. q. IV art 3, ad 8, Quaracchi V, S. 196: „utraque potestas in summo pontifice concurrit in unam personam. Cum enim ipse sit summus sacerdos secundum ordinem Meldiisedech, qui fuit rex Salem et sacerdos Dei altissimi, et Christus utrumque habuerit; vicarius Christi in terris utramque a Christo potestatem accipit; unde et sibi unterque gladius competit". Er verweist auf Bernhard De consid. IV, 3 und schließt: „Ex quo aperte colligitur, quod utraque potestas ad ipsum reducitur sicut ad unum hierarcham primum et summum". — Die Ausdrucks weise: ad hierarcham unum primum et summum entspricht genau dem Reduktionsprinzip: reductio ad unum primum.

I. Die hierokratische These in der Theologie

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Autorität ausgedrückt. Das Christusvikariat gibt die innere Grundlage für das Eingreifen in die Welt, nutus und universale Rechtsordnung, gepaart mit der Einheit der Kirche und der Festigkeit beider Bereiche, zeigen das Wesen dieser Gewalt als einer die kirchliche und weltliche Ordnung schützenden und einenden Institution. An einer andern Stelle spricht Bonaventura davon, daß das sacerdotium „ex causa" Könige und Kaiser absetzen könne (bei malitia und necessitas Reipublicae), denn die temporalia seien „spiritualibus annexa" und könnten das „spirituale officium" hindern, wenn nidit Recht geschaffen würde13. Das Temporale ist dem Spiritualen verbunden, das besagt, es steht nicht abgeschlossen und autark für sich da. Das geistliche Offizium wird „gehindert"; hier ist angedeutet, daß der innere Zweck des päpstlichen Eingreifens die geistliche Aufgabe der Kirche ist, die bei dem Eingefügtsein des Temporalen in das Spirituale erst recht durch das Temporale gefährdet werden kann. Im Grunde beschreibt hier Bonaventura in einem Wort die historische Situation seiner Epoche mit ihrem Verwobensein beider Bereiche und Ordnungen. Was die Argumentation Bonaventuras merklich prägt, ist die franziskanische Spiritualität, die gerade dem eschatologischen Ordnungsverständnis, wie es sich in der irdischen-himmlisdien Offizienanalogie ausprägt, aufgeschlossen ist. Auch der Einfluß der eschatologischen Heilstypik Joachims von Fiore ist, wie Dempf betont, zu spüren14. Von hier aus hat die „reductio ad unum" nicht nur philosophische Wurzeln, sie gründet auch in dieser endzeitlichen Sicht. Gründet doch die pseudodionysische Lehre von der Hierarchie gerade auf dem Prinzip der mediaten Stufung vom Niederen zum Höheren. In der folgenden Publizistik wird dieses Prinzip immer wieder in der Argumentation erscheinen. Heinrich von Gent bringt im Unterschied zu Bonaventura eine detaillierte Beschreibung der geistlich-weltlichen Vollgewalt. Er erkennt an, daß der Papst beide Schwerter besitzt, grenzt diese Gewalt jedoch in bemerkenswerter Weise wieder ein. Einmal dadurch, daß er die kaiserliche Gewalt von Christus ableitet und damit die imperiale Argumentation übernimmt und anerkennt. Ferner dadurch, daß er die Vollgewalt in ihrem Inhalt so zu bestimmen sucht, daß sie nur als höhere Autorität erscheint und von jeder regulären weltlichen Herrschaft getrennt ist15. Er findet dafür den Begriff der „prima 13

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Bonaventura: „Jam vero possunt sacerdotes et pontifices ex causa amovere reges et deponere imperatores sicut saepius accidit et visum est, quando seil, eorum malitia hoc exigit, et reipublicae necessitas sie requirit". Opera (Lyon 1668) VII, 2, 1. — Pilati S. 253 Anm. 262. — Die Deposition wird begründet mit dem Satz: „Temporalia enim spiritualibus sunt annexa, et de facili spirituale officium impedirent, nisi causas . . aliqui per iustitiam deciderent et definirent". a.a.O. A. Dempf, Sacrum Imperium S. 369 ff. — S. 370 zur Veränderung der joachitisdien Komposition (Einsdiiebung der Zeit von Moses bis Samuel). Heinridi von Gent, Quodlibeta VI, 23: „Sed post Christi adventum cum tempus erat vacandi spiritualibus et homines vocarentur a nuptiiy, dispensatione a D e o regimen et auetoritas et iurisdictio omnis circa illa (temporalia), et executio eius commissa est Imperatori, remanente solum modo prima auetoritate . . apud sacerdotes". „Non potest enim Papa prineipes, nisi ratione delicti aut insufficientiae". — Zur Teilung der Gewalten heißt es: „Dicendum quod verum est propter divinam dispositionem: sed non ex natura

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A. Die hierokratisdie These in der Entfaltung

auctoritas et superior". Was er darunter näher versteht, ergibt sich aus der geschichtlichen Begründung. Zur Zeit des Naturgesetzes und des Mosaischen Gesetzes bis zu Saul waren Königtum und Priestertum vereint. Christus führt das Priestertum, das im Mosaischen Gesetz den Königen unterworfen war, wieder „ad libertatem legis naturae" zurück. Der Priester sollte principaliter den Spiritualien, der Kaiser den Temporalien vorstehen. „Sed post Christi adventum cum tempus erat vacandi spiritualibus et homines vocarentur a nuptiis, dispensatione a Deo regimen et auctoritas temporalium et iurisdictio omnis circa illa et executio eius commissa est Imperatori, remanente solum modo prima auctoritate... apud sacerdotes". Die prima auctoritas erlaubt einen fallweisen Eingriff „ratione delicti aut insufficientiae", sie ist höhere Subsidiärgewalt. Eine reguläre temporale Jurisdiktion steht dem Papst nicht zu, die Fürsten können nicht nach Belieben (passim) an ihn appellieren, das CC war eher ein Gift für die Kirche. Die Gewalten sind eben getrennt, freilich nicht ganz getrennt: „quia superior iurisdictio remaneat penes Papam". Mit der Feststellung dieser höheren Jurisdiktion hat Heinrich versucht, die terminologisch undifferenzierte Behauptung der Lehre vom „uterque gladius", der „utraque potestas" in sich begrifflich genauer abzugrenzen gegenüber der rechtlichen Zuständigkeit, die in der „executio" des Schwertes in der Hand des Fürsten ausgesprochen ist. Zu d) (vgl. S. 266) Die funktionale Differenzierung: Was soeben bei Heinrich von Gent zum Ausdruck kam, die Trennung von höherer Autorität und Herrsdiaft, gilt auch für die übrigen Aussagen (Thomas, Bonaventura), die das nur fallweise Eingreifen betonen. Es ist selbst dort noch wirksam, wo jene extrem papalistisdie Diktion Platz greift, die es nicht mehr für notwendig hält, die Vollgewalt mit den sie einschränkenden Bedingungen zu nennen. Wie bei Wilhelm Durandus, der in seinem Rechtsspiegel den Satz des spätrömischen Absolutismus „potest etiam omne ius tollere" anführt, ohne gleichzeitig die Voraussetzungen beizufügen, unter denen dieses Recht nur wirksam werden kann. So wird einer Redeweise der Weg freigegeben, der dann zu den maßlosen Übertreibungen einzelner Publizisten in der Debatte des 14. Jahrhunderts führt 1 '. Zu e) Zu dem bei Heinrich von Gent sichtbar gewordenen Bestreben, die geistlich-weltliche Vollgewalt inhaltlich und rechtlich genauer zu bestimmen, gehört auch die Terminologie selbst. Unser Interesse gilt dabei ganz natürlidi

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rei . . et hoc non penitus distincte, quin superior iurisdictio remaneat penes Papam. Unde quia propter distinctionem dignitatum non habet Papa regulärem iurisdictionem in temporalibus. Quodlibeta VIII, q. 26: „Sententiendum est quod ecclesiastica hierardiia tota debet esse simul ordinata, tarn ecclesiasticorum quam secularium prelatorum . . sub uno summo pontifice posset". Der Papst kann direkt eingreifen: bei difficile et ambiguum; ratione delicti vel omissionis; cum vacat imperium. — Zu Heinrich vgl. G. de Lagarde, Naissance de l'esprit laïque II, S. 269. Wilhelm Durandus v. Mende, Spéculum iuris, I, 2, de legato: „Habet etiam Papa plenitudinem potestatis ad quam vocatus est. Alii vero in partem sollicitudinis sunt vocati . . Potest etiam omne ius tollere . . et iura coelestis et terreni imperii a D e o concessa sunt". Zur Frage der Terminologie vgl. Teil I S. 18 ff.

I. Die hierokratische These in der Theologie

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dem Begriffspaar: direkt—indirekt, das schon bei den Kanonisten vom Anfang des Jahrhunderts Platz greift (vgl. S. 25 ff; Anm. 474, 482, 501). Indirektes Eingreifen wird der Eingriff im Motivationsbereich der „ratio peccati" genannt, so auch bei Innozenz IV. (vgl. Teil I, X c), direktes Eingreifen bedeutet die Übernahme innerweltlicher Rechtstitel (Lehensrecht vgl. Novit, II, 1, 13), die unmittelbare Beanspruchung kaiserlicher Rechte (legitimatio per rescriptum; vgl. IV, 17, 13), ohne die einschränkenden Bedingungen, die sich aus der Trennung der Bereiche ergeben18. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts finden sich nun die Ausdrücke an zwei Stellen in einer Verwendung, deren Bedeutung noch keineswegs richtig gewürdigt ist. Peter von Tarantasia (Innozenz V.) schreibt in seinem Sentenzenkommentar: „Ecclesia utrumque (gladium habet), sed uno utitur per se immediate, scilicet spirituali, altero per saeculare bracchium mediate et indirecte, scilicet materiali; iste enim, ut dicit Bernardus, educi debet ad iussum imperatoris et ad nutum sacerdotis" 19 . Der weltliche Herrschaftsträger hat die Befugnis der iussio, der regulären zwingenden, herrscherlichen Gewalt; der Hierarch bringt das weltliche Schwert nur auf dem Wege über den nutus, das höhere Weisungsrecht, in Aktion. Damit ist der ganze Bereich der Eingriffe aufgrund der geistlich-weltlichen Vollgewalt als indirekte Gewalt verstanden. — Die zweite Stelle findet sich bei Remigio de' Girolami. In einem Traktat „Contra falsos Ecclesiae professores" stellt er im Rahmen der These: „Quod auctoritas papa excedit omnes huius mundi auctoritates" die Frage: „Utrum autem papa habeat auctoritatem super laicos principaliter et directe quoad temporalia" 20 . Remigio schreibt wohl zu Ende des Jahrhunderts, noch vor der Bulle „Unam sanctam". Bonifaz' VIII., von dem er den Rang eines Doktor erhält. Remigio wendet sich nun gegen die Deutung des Christusvikariates, die dem Papst eine „ i u r i s d i c t i o . . . directe usque ad temporalia, sicut dominium Christi" zu18

Innozenz IV. nennt Apparatus zu IV, 17, 13 ad. v. evaderet das Eingreifen des Papstes (Per venerabilem: difficile et ambiguum) per consequentiam et indirecte. Vgl. Gillmann, A K K 98, S. 407. — Joh. Galensis ebenso, vgl. Anm. 482 und Gillmann a.a.O. — Das Eingreifen per consequentiam erfolgt aus einer andern Rechtssituation als derjenigen, aus der heraus der Kaiser selbst handelt. Dem Kaiser ist die reguläre Befugnis zuerteilt, die er direkt ausübt. Der Papst benötigt dazu die Bedingungen, in deren Gefolge er handeln kann. Die „prima auctoritas", wie Heinrich von Gent es ausdrückt, reicht dazu nicht aus. Würde sie ausreichen, dann hätte der Papst auch die executio des weltlichen Schwertes, aber gerade das wird ihm ja, auch im Zweischwertergleichnis abgestritten. Die prima auctoritas ist also von sich aus nicht aktionsfähig.

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In Sent. I V d. 37 (Toulouse, 1651 IV, S. 360): Ecclesia utrumque (gladium habet); sed uno utitur per se immediate, seil, spirituali, alterum per bracdiium saeculare mediate et indirecte, seil, materiali; iste enim, ut dicit Bernardus, educi debet ad iussum imperatoris et ad nutum sacerdotis. — Zit. bei Maccarone, Sacerdozio e regno, MHP 18, S. 43, Anm. 60. M. Grabmann, Studien über den Einfluß der aristot. Philos. Sitz. Ber. Bayer. A k . 134, S. 18 ff hat zuerst auf Remigio, Schüler des Thomas und Lehrer Dantes aufmerksam gemacht. Ferner Grabmann, Wege von Thomas von Aquin zu Dante. Deutsches Dantejahrbuch 9, 1925, S. 1—35. In gleichem Sinn Maccarone, Vicarius Christi S. 149 f f ; Potestas directa in MHP 18, S. 46 ff. — Der noch ungedruckte Traktat findet sich in Cod. 940 C 4 (fol. 154 r — 1 9 6 v) der Nationalbibliothek Florenz.

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A. Die hierokratisdie These in der Entfaltung

billigt. Der Papst besitze nur eine Gewalt über die Temporalien „ratione delicti vel defectus iudicis principalis". Die Fälle werden im einzelnen genannt. Es sind: Vakanz des Imperiums, Negligenz des weltlichen Richters, „causae ambiguitas" (vgl. Per venerabilem IV, 17, 13), Gewohnheitsrecht (bei Appellation), Privilegien, Verbindung kirchlicher und weltlicher Angelegenheiten (connexitas) suspekter weltlicher Richter. Die Fälle geben verkürzt, aber ohne Auslassung wesentlicher Kriterien, die von Innozenz IV. und Tankred genannten Punkte wieder (vgl. S. 249 f). Damit umschreibt die indirekte Gewalt die Rechtsbefugnis, die auch sonst in der plenitudo potestatis und aus dem Besitz der beiden Schwerter beansprucht wird. Was bedeutet aber dann seine Ablehnung einer „auctoritas super laicos principaliter et directe quod temporalia"? Offensichtlich lehnt er eine aus dem Christusvikariat zu folgernde weltliche Gewalt ab, die dem Papst die Befugnis zuspricht, unmittelbar, ohne die genannten Bedingungen, eine weltliche Jurisdiktion auszuüben, das heißt, grundsätzlich (principaliter) und unter Ausschluß der weltlichen Gewalt selbst Herrschaft auszuüben. Dieser Sinn wird ganz klar, wenn Remigio zum Schluß das Temporalrecht der Kirche als „indirecte et communi" bezeichnet („Quomodo iurisdictio ecclesiastica indirecte et in communi ad temporalia se extendat") und erklärt, „indirekt" und „im allgemeinen" besage, daß das Erste dann „directe et immediate" in Funktion trete, wenn das Zweite (die weltliche, reguläre Gewalt) ausgeschaltet sei. Solange das Zweite in Funktion war, war das Erste auf die infrage stehende Befugnis nur indirekt gerichtet. Sie wird also nur fallweise direkt, etwa bei Versagen des Kaisers21. Ähnlich wie bei Heinrich von Gent geht das Bemühen des Remigio dahin, die temporale Autorität des Papstes begrifflich zu klären und sie dabei gegen eine spezifisch weltliche Herrschaft abzuschirmen, sie soll ihren spiritualen Charakter bewahren. Die volle Bedeutung seiner wertvollen Distinktion wird sich erst ergeben, wenn alle Stimmen zu Wort gekommen sind. Uberblickt man die genannten theologischen Aussagen, so wäre, neben dem allgemeinen Einfluß, den die hierokratische Position offenbar gewonnen hat, festzuhalten: Die Thesen werden über die gerade in zentralen Begriffen (utraque potestas, uterque gladius, plenitudo potestatis) undifferenzierten Aus21

f. 164 v (Grabmann a . a . O . S. 2 7 ) : Quomodo iurisdictio ecclesiastica indirecte et in communi ad temporalia se extendat. — Für das Verhältnis von Papst und Kaiser gebraucht Remigio die in der hierokratischen Richtung üblichen Bilder: Seele — Leib, Denkkraft — Sinnen vermögen, Himmlisches — Irdisches, H e r r — Diener, Gott — Mensch; Grabmann S. 28. — Die indirekte Funktion stellt sich dann so dar, daß, bei Ausschaltung des Zweiten sich das Erste directe et immediate darauf erstreckt, worauf es, solange das Zweite in Funktion war, es sich nur indirecte et mediate erstredet hatte. Grabmann a. a. O. — Die einzelnen, sieben Gelegenheiten eines möglichen Eingriffs: Grabmann a. a. O. S. 29 f — Die Darstellung von Maccarone leidet darunter, daß er nur die sogenannte indirekte Gewalt bei Remigio dartun will, jedoch auf die hierokratische Seite seiner Konzeption, wie sie sich in den oben genannten Bildern kundtut, nicht eingeht. — Auch Grabmann S. 32 spricht von „hierokratischen Gedankengängen". Ein Schlüssel zur Deutung derartiger, scheinbarer Widersprüche liegt darin, daß die moderne Terminologie direkt-indirekt, samt der ihr zugrundeliegenden Vorstellung nicht unbesehen auf die Zeit des 13./14. Jahrhunderts angewandt werden darf. Man kann nicht bereits eine Richtung festgelegt sehen, wenn das Wort directe oder indirecte auftaucht.

I. D i e hierokratische These in der Theologie

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sagen hinausgeführt und auf ihren Gehalt hin unterschieden. Dadurch schält sich die Problematik selbst klarer heraus. In Verbindung mit der theologischen Gesamtkonzeption wird der spirituale Wesenskern der päpstlichen weltlichen Gewalt greifbar. Bemerkenswert bleibt, daß die Lehre von der „Illegitimität" der außerchristlichen Herrschaft im Sinne der Heilsgerechtigkeit nicht vertreten wird. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß der Einfluß der naturrechtlichen Begründung in der Aristotelesrezeption hier wirksam war. Die Lehre des Thomas erweist das besonders markant, da der Meister der Synthese auch dieses Problem nicht übersieht. Dominium und praelatio entstammen menschlichem Recht, das wiederum naturrechtlich gegründet ist, so bleibt an sich audi die Herrschaft der Ungläubigen über die Gläubigen legitim. Dennoch kann die Kirche den Ungläubigen diese Herrschaft entziehen, da sie um ihres Unglaubens wegen diese Herrschaft nicht verdienen". Ärgernis und Gefahr für den Glauben verhindern erst recht, daß eine neue derartige Herrschaft errichtet wird. Der Zusammenstoß der in der Scholastik neugewonnenen humannaturalen Perspektive und des Heilsrechtes, der hier mit dem Vorrang des Heilsrechtes beantwortet wird, führt mitten hinein in die Thematik der ekklesiarchen Doktrin. Mit dem Namen des Aquinaten ist eine äußerliche Verbindung zu dieser Doktrin dadurch gegeben, als der wahrscheinliche Verfasser des ersten Traktates, in dem zum ersten Male die hierokratischen Thesen zu einem eigenen kanonistischen, theologischen, philosophischen und historischen Lehrstück verarbeitet werden, Ptolemaeus von Lucca engster Schüler des Meisters selbst war 23 . Es handelt sich um die „Determinatio compendiosa". Dieser Traktat zeigt zugleich im Beieinander naturrechtlicher und hierokratischer Thesen eine innere Verbindung der Schrift zur Scholastik thomistischer Prägung an. Das ergibt sich schon, wenn man im vorweg die entscheidenden Ansichten überblickt.

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T h o m a s Sth 2 I I q. 10 a. 10; T h o m a s unterscheidet eine neu einzuführende Herrschaft v o n U n g l ä u b i g e n über G l ä u b i g e und eine schon bestehende. Z u r zweiten heißt es: „ C o n s i d e r a n d u m q u o d dominium et p r a e l a t i o introducta sunt ex iure h u m a n o : distinctio autem fidelium et infidelium ex iure divino. Ius autem divinum q u o d est ex gratia non tollit ius h u m a n u m q u o d est ex naturali ratione. Distinctio fidelium et infidelium secundum se considerata non tollit dominium et praelationem infidelium super fideles. Potest tarnen iuste per sententiam vel ordinationem Ecclesiae, auctoritatem D e o habentis, tale ius dominii vel praelationis tolli; quia infideles, merito suae infidelitatis, merentur potestatem amittere super fideles, qui transferuntur in filios D e i " . — J o u r n e t , L a jurisdiction S. 121 verweist auf Sth 1 I I q. 85, a. 1, wonach das p r i m u m b o n u m naturae durch die S ü n d e nidit a u f gehoben werden kann. Z u diesem b o n u m n a t u r a e per se vgl. später die K o n z e p t i o n des Aegidius.

S3

Z u r Verfasserschaft der D e t e r m i n a t i o vgl. M . K r a m m e r in seiner Einleitung S. X X I I ff. M G H Fontes iuris G e r m a n i c i antiqui I. — D e r mehrfache B e z u g der Schrift auf „ E g e r cui l e v i a " , der w i e d e r u m der E r w ä h n u n g des libellus A p o l o g e t i c u m Innozenz I V . in der Kirdiengeschichte des Ptolemaeus korrespondiert, kann die A r g u m e n t a t i o n K r a m m e r s nur unterstützen.

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IL Die „Determinado compendiosa de iurisdictione imperii" Inhaltliche Durchsicht und Leitgedanken. — Naturale Legitimität des Staates. — Zweifache Finalität der Temporalgewalt. — Christologische und papale Herleitung der Temporalgewalt. — Distinktion der Offizien und dependistische These. — D a s „regnum" und der Depositionsanspruch der Kirdie. — Die Position des Kaisers. — Doppelstruktur der Weltordnung.

In klarem schulmäßigem Aufbau angelegt — der Themenstellung (intentum c. 1) folgen die Argumente der imperialen und kurialen Seite (c. 2—4), dann die Behauptung (c. 5) und Begründung (c. 6—14), endlich die Widerlegung der imperialen Argumente (c. 15—31) — will der Traktat jede Unklarheit beseitigen und im Widerstreit die Wahrheit finden. Fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen: 1) Das Naturrecht gibt dem Menschen im Urständ keine Zwangsgewalt im Sinne des „dominium" über den andern. Im Urständ herrscht Gemeineigentum, was es dort an Vorsteherschaft gibt, bleibt im Rahmen der „prelatio" (vgl. Thomas Sth I, 96, 4). Diese unterscheidet sich von der Zwangsrelation: dominium-servitus dadurch, daß die Lenkung beratend geschieht. Eine solche Lenkung (offitio consulendi et dirigendi) ist notwendig, da der Mensdi als soziales Wesen eine Ordnung für die natürlicherweise sidi ergebenden Beziehungen fordert. Es ist eine Lenkung nach „Engelart" (sicut in angelis) c. 17. 2) Das geschichtliche „dominum" bildet sich aber nicht in der Weise dieser urständischen „prelatio" sondern in der Sündenfolge aus Hochmut und Herrschsucht, dazu noch usurpativ. Zeichen dafür ist, daß nur Verworfene die Herrschaft ergreifen, wie die Kainiten und später die Chamiten (c. 17). Das ist ganz im Stil der Negativtypik gesagt 14 . 3) Die Vorsteherschaft als ordnende Funktion der sich aus der sozialen Natur ergebenden Verhältnisse ist demnach nicht in sich schlecht. Sie wird schlecht in ihren Trägern, deren Absichten und deren Herrschaft nach. Daher starben die Könige des Altertums einen harten Tod (omnes antiqui domini et monarche), Gott prangerte ihren tyrannischen Ehrgeiz an (c. 17). Dennoch erlaubte Gott ihre Herrschaft zur Bestrafung der Schlechten, er sah sie vor zur Lenkung der Guten, (c. 18) Die bewußte Nuancierung von permissio und provisio hebt die nur erlaubte Strafgewalt des Gott verhaßten Regimentes von der Bewahrung der Gerechtigkeit und Eintracht ab (a.a.O.). Andrerseits gab es auch ein „dominium provisum und meritum", wie es die Römer dartun, die wegen ihrer Vaterlandsliebe, ihrer Gerechtigkeit und zivilen Hochherzigkeit ihre Herrschaft verdienten (c. 21—23). Freilich bei den zeitgenössischen Römern ist diese Tugendhaftigkeit weitgehend verschwunden (c. 24). 84

Zur kurialen Typik und imperialen Gegentypik: Verf. in Speculum historíale, Festschrift J. Spörl 1965, S. 282 ff.

II. Die „Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii"

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In Übernahme der Danielsprophetie bilden die Römer die letzte der großen Monarchien vor Christus. 4) Von den Römern kehrte die Herrschaft zu Christus, dem wahren Herrn: „Deinde redit (monarchia mundi) ad verum dominum, qui contulerat, scilicet Christum, cuius vices summus pontifex gerit" (c. 25). Christus, der allein die göttliche Fülle der Gewalt, der geistlichen und weltlichen, besitzt, kann die „plenaria iurisdictio spiritualis et temporalis" auch einem andern verleihen. Das geschieht in der Binde- und Lösegewalt (c. 6) Da der Herr „plenam habeat potestatem super totum genus humanum, manifestum est eius vicarium, scilicet summum pontificem, eandem potestatem habere" (c. 25). 5) Die geistlich-weltliche Vollgewalt des Papstes ist zu vergleichen der bewegenden Kraft der Seele. Der Papst gebraucht das kaiserliche Schwert als Werkzeug zur Verteidigung der Kirche (c. 7). Die kaiserliche Hoheit hängt ab von der Wirkkraft und Autorität des Papstes, und zwar im Sinne der Stellvertretung der „prima causa" (Gott), wie auch der der himmlischen Hierarchie nachgebildeten Ordnung der geistlichen und weltlichen Offizien (c. 7). 6) Diesen Voraussetzungen entsprechend hat sich das Verhältnis von Papst und Kaiser gestaltet, nachdem Konstantin Christ geworden war. Er überließ dem Vikar Christi nur das, was ihm zustand (non fuit per viam collationis, sed potius per viam cessionis tamquam vicario veri et proprii domini), heißt es unter Berufung auf die „epistola apologetica" Innozenz' IV. (c. 26; vgl. Anm. 508). Die späteren Kronverleihungen an Karl und Otto I. liegen in dieser Linie, die Absetzungen erfolgten aus der temporalen Vollgewalt des Papstes. (c. 27) 7) In der Kirche, im mystischen Leibe, sind zwar die Offizien unterschieden, alles hängt jedoch von einem Lebens- und Ordnungsprinzip ab, von Christus, dessen Vikar der Papst ist. Zur Unterstützung erscheint der Grundsatz der reductio „ad unum primum principium" (c. 15). Ein Vergleich dieser Thesen mit den bereits besprochenen Anschauungen des 13. Jahrhunderts zeigen einen sachkundigen Verfasser, der es versteht, die verstreuten kanonistischen Argumente mit theologischen zu verbinden; darin bietet er an sich nichts Neues. Die philosophische Begründung der „reductio ad unum" wird durch eine ausgiebige weitere Argumentation naturphilosophischer Art (c. 7: anima und motus, bzw. operatio) und ontologischer Provenienz (c. XVIII ff: Begründung des dominium a Deo durch natura entis, motus, finis) ergänzt. Dazu kommen die kenntnisreichen historischen und heilsgeschichtlichen Partien (c. 5, 6, 8, 10—14, 21—23, 26, 27, 29, 30). Das Ganze wird systematisch zusammengefaßt, so daß eine Gewaltenlehre entsteht, die allein schon durch ihre Zusammenfassung die Wirkung der einzelnen Argumente erhöht. — In dieser steigernden Zusammenfassung in den Dekretalentscheidungen zerstreuter Elemente zu einer publizistischen These liegt schon ein Grund dafür, daß diese Gewaltenlehre von ihrem scharfsinnigen Kritiker Johann Quidort als etwas Neues, als „opinio quorundam modernorum" empfunden wird (De pot. regia c. 1). Im Ausbau überlieferter Argumente zu einer geschlossenen Systematik der kirchlich-päpstlichen Gewalt

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A. Die hierokratische These in der Entfaltung

mit den möglichen Intensivierungen, die einer solchen Systematik innewohnen, liegt auch ein Kennzeichen der ekklesiarchen Doktrin, das dazu berechtigt, sie darin als etwas Eigenes zu sehen. Zweifellos findet die hierokratische Linie hier einen Höhepunkt. Die Determinatio kann dabei im Verhältnis zu Ägidius Romanus noch als relativ gemäßigt bezeichnet werden. Sie bringt das Axiom von der cessio des Reiches durch Konstantin eher zurückhaltend, sicher nicht verschärfend. Das Betonen der naturrechtlichen Basis des Staates verrät die thomistische Linie. Die Schrift beschränkt sidi im übrigen auf das beschränkte Ziel, das Verhältnis zum Kaisertum darzutun, zum Depositions- und Translationsrecht gegenüber den andern Herrschern äußert sie sich nur kurz (c. 14). Der Verfasser vermeidet es, die Legitimität des kirchlich approbierten Herrschers durch die heilsrechtliche Illegitimität außerchristlicher Reiche zu bekräftigen. Er gesteht freilich zur Schenkung Konstantins, ihrem Verhältnis zur naturrechtlichen Begründung des Römerreiches zu, daß diese Frage eine „maxima discussio" erfordere und viele schwere Zweifel enthalte (c. 25). Ägidius und spätere Schreiber zelotischer Natur machen es sich da leichter". Die Antwort auf die „multa dubia" erlaubt es zunächst, die in 1—3 genannten Punkte zu erläutern. Sie verweist (c. 25) auf die Herleitung der Gewalt (vgl. oben 1, 2). Aus ihr ergibt sich, daß es eine der sozialen Natur entsprechende staatliche Lenkung gibt; im Urständ die „prelatio", von Thomas als Herrschaft von Freien über Freie zu deren eigenem Gut oder zum Gemeingut definiert (Sth I, 96, 4). Die Erläuterung der Determinatio zu dieser prelatio als ratende Lenkung nach Engelart (c. 17) gibt dieser Soziallehre einen neuen Akzent. Der natürliche Urständ steht in typologischer Relation zur himmlischen Hierarchie. Das erinnert an die Darstellung, die Guibert von Tournay in seiner „eruditio regum" gibt. Guibert sieht den Staat in seinem existentiellen Kern abbildlich der himmlischen Ordnung verbunden, führt also die figurative Relation auf den Jetztstaat weiter: „Et quoniam inferiora reducuntur in superiora per media constituti sunt principes et praelati, ut per eorum ministerium reducán tur in Deum angélico more subiecti" (III, c. 2). Der Blick unseres Traktates auf den geschichtlichen Staat (vgl. oben n. 3) sucht einer doppelten Intention gerecht zu werden: Einerseits einer scharfen Kontrastierung zur paradiesischen Vorsteherschaft im Beginn durch den usur55

Audi in der Frage der iurisdictio imperii gesteht der Verfasser c. 11 zu, daß „in dicta questione dubietatis materia ortum habuit". Den Ursprung der dubietas sieht er in der „conditio variata . . . multipliciter a tempore Constantini, et ideo ex hac parte dubietatem fecit". Zur Zeit Konstantis wurden die Kaiser gewählt „sive a populo sive a senatu sive ab exercitu et aliquando de genere, aliquando n o n . . . et iste modus retentus est in Cons t a n t i n o p o l i . . . usque ad témpora Michaelis imperatoris et Karoli Magni". D a Karl die Kirche aus ihrer Bedrängnis befreite, verlieh ihm der Papst samt der Investitur der Bischöfe (Hadrianum D. 63 c. 22) das Imperium. Wenn nicht das C C in einer, im übrigen nicht ausgedeuteten, Zwischenbemerkung erwähnt wäre (occidentali [imperio] pape dimisso), würde der historische Blick des Verfassers überraschen. — Audi nach 800 betont er den „diversificatus modus assumendi (imperium): per electionem, per successionem. Schließlich folgt die Translation an die deutschen Fürsten (Gregor V. c. 13).

II. Die „Determinado compendiosa de iurisdictione imperii"

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patorischen Ubermut und die tyrannische Herrschsucht. Andrerseits soll die tugendhafte Herrschaft des alten Rom dargetan werden. Das geschieht anhand und im Gefolge Augustins (DcD V, c. 12): „tota eorum intentio erat in ipsorum regimine sive dominio ad conservandam rem publicam et, ut eiusdem consuleretur profectibus" (c. 21). Die Position dieses geschichtlichen Aspekts mitten in einer so ausgeprägt hierokratischen Umgebung wird erst recht markiert, wenn man ihn mit der Negativtypik Gregors VII. vergleicht (Gregor Reg. VIII n. 21)M. Bewußt wird eine allgemeine Verurteilung der geschichtlichen Staatenwelt vermieden. — Und trotzdem wird auch ausdrücklich das Imperium in die Bemerkung eingeschlossen, daß das von Gott erlaubte und vorgesehene dominium den Römern nicht so „concessum, quod alicui deberetur tamquam iure nature, sed quantum placebat vero Domino, id est Deo" (c. 25)". Obwohl das dominium an sich und in seinem urständischen Beginn als prelatio der sozialen Natur des Menschen entspricht, bleibt die Zuteilung eines dominium im einzelnen dem freien Willen Gottes überlassen. Entsprechend deutet der Autor die Translation der Weltmonarchien der Danielsprophetie: Gott überträgt die Reiche (c. 25). Zu den in den geschichtlichen Herrschaften selbst ruhenden Gründen des Verfalls gibt er nur mit einer Erwähnung der römischen Bürgerkriege einen Hinweis. Das dominium der Zeit nach dem Sündenfall steht unter dessen Folgen und damit auch die den Urständ überschreitende Zwangsherrschaft. Sofern dieses „Mehr an Zwang" in seinen verschiedenen Formen sich in den Händen von Usurpatoren befindet, ist es permissum; die römische Herrschaft könnte vielleicht sogar „concessum" sein (vgl. Anm. 27). Dieses „permittere, providere, (concedere)" bedeutet jedoch keinen arbiträren, nur transzendent begründeten Mechanismus, sondern hat seinen Ansatz in der geschöpflichen Ordnung selbst. Alle Herrschaft kommt der Natur ihres Seins, ihrer inneren Bewegkraft (motus), ihrer Zielrichtung nach von Gott. (c. 18). Der natura entis nach ist Herrschaft Teilhabe an der Herrschaft Gottes, da jedes „ens per participationem reducitur ad ens per se" (Thomas Sth I, 49, q. 3, 4). Durch eigene göttliche Einwirkung besitzen die „moderni principes viri catolici et ecclesiastici" die Gabe der Skrofelheilung, die so aus der Teilhabe gedeutet wird. Der Herrscher wirkt in der Stufenreihe der Offizien (c. 19) auf den letzten Beweggrund zu. Er soll helfen, den Menschen auf sein Ziel hin zu führen. Dies, das „capax Dei", gottfähig zu sein, ist innerstes Ziel weltlichen Regimentes. Der heidnische Staat kann dieses Ziel nicht verwirklichen, denn er steht „ante notitiam Christi" (c. 25). Wie steht es aber dann mit der Legitimität der außerchristlichen Reiche? Der Autor läßt mit der Ankunft Christi die Herrschaft über die Welt zu Christus zurückkehren (n. 4, S. 318), er zieht jedoch nicht die Folgerung, daß damit die Frist des dominium permissum et " W. Kölmel in: Speculum historíale S. 282 f. 17 Interessant bleibt, daß hier auch für ein heidnisches Reich der Ausdruck concessum verwandt wird. In „Eger cui levia" wird klar unterschieden zwischen der potestas, die Konstantin vor seiner Taufe und Resignation: „utebatur potestate permissa" und derjenigen, die er nach der Resignation „fungeretur auctoritate concessa" (Winkelmann, Acta imperii II, S. 698 f).

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A. Die hierokratische These in der Entfaltung

provisum überhaupt beendet sei. Vergleicht man seine Meinung mit „Eger cui levia" und dem Hostiensis, so übernimmt er weder die Wendung von der „inordinata potestas" außerhalb der Kirche, noch jene von der „inordinata tyrampnis, qua foris antea illegitime utebatur". (Eger cui levia; vgl. S. 253 f). Audi die bekannte Folgerung des Hostiensis: „in adventu Christi omnis honor et omnis principatus et omne dominium et iurisdictio de iure et ex causa iusta . . . omni infideli subtracta fuerit et ad fideles translata . . . et hoc in persona Christi" (vgl. Anm. 517) erscheint nicht. Die Schrift bleibt im Rahmen der Translationslehre, und hier des Übergangs des dominium an Christus. Die Herrschaft Konstantins, die ja die Herrschaft der Römer fortsetzt, erfährt in diesem Rahmen, wie das alte Imperium im Verhältnis zu den übrigen Reichen, eine Sonderbewertung. Er besaß sie, wie seine Vorgänger „bona fide" (c. 25). Mit dieser Lösung beendet der Autor die „maxima discussio" um die Legitimität und Illegitimität der heidnischen Reiche, er gesteht offen den Kontroverscharakter dieser „antiqua querella" zu (c. 17). Wenn es heißt, daß Konstantin vor der Kenntnis Christi die Herrschaft zustand (c. 25: Cui licuit ante Christi notitiam dominium possidere et suis antecessoribus), so ist schon in der Wortwahl: „licuit" eine deutliche Antwort auf die in c. 17 bei der Widerlegung des Argumentes: imperator fuit prius quam papa gestellte Frage: „an licite vel illicite si acquisitum (das Imperium sive quodcumque dominium)" gegeben. Es ist „licite" erworben. Das darf man wohl schließen. Temporale Gewalt, so kann man im Gefolge der Schrift weiterführend sagen, ist als von Gott legitim gesetzte Einrichtung auch vor der Ankunft Christi „licite" möglich. So erhalten auch die aus der ontischen Bestimmung der Obrigkeit sich ergebenden Kategorien der Teilhabe, des Beweggrundes und des Zieles ihren Ort. Dabei ist gerade die finale Deutung bemerkenswert. Hier erscheint nicht nur die natürlich-zeitliche Wohlfahrt, das bene vivere, als Ziel des Staates, sondern auch der „debitus finis" (c. 20), das übernatürliche Ziel. Die Lenker der Welt „adiutores et cooperatores dicuntur sicut instrumenta principalis agentis" (c. 20). Man kann einwenden, daß sich diese Betonung des vornehmlichsten Zieles von selbst aus der Argumentation ergeben muß, wenn diese die Legitimation der Gewalt von Gott her voraussetzt. Es bleibt aber doch bezeichnend, daß so bestimmt von der letzten Zielsetzung gesprochen wird und die weiten Bereiche der weltlichen Aufgaben stillschweigend einbezogen werden. Es liegt sicher nicht im Sinn des Verfassers, den Staat zu entweltlichen und seinen nächsten Aufgaben zu entziehen. Dagegen spricht schon die warme Schilderung der römischen Staatstugenden, zu denen er auch das Urteil über den eigenen Sohn rechnet (c. 21). Den natürlichen Tugenden widerspricht ja auch nicht die „lex evangelica". Aber wie von selbst geraten die Eigenaufgaben des Staates in einen neuen, man kann sagen eschatologischen Aspekt, wenn die Fürsten zu Helfern und Mitarbeitern des „principalis agens" erklärt werden. Wir haben den Aspekt, der es möglich macht, das dominium des Kaisers so intensiv der ecclesia einzuordnen. Im Fluchtpunkt der Perspektive verkürzt sich das Ziel des staatlichen Regimentes auf das „capax Dei". Die innerweltliche Zwecksetzung der temporalen Herrschaft wird sozusagen aufgebrochen und auf die übernatürliche Ordnung hin geöffnet, sie wird

II. Die „Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii"

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unmißverständlich als werkzeuglich dienende Institution für das Größere der Heilswirklichkeit definiert (vgl. oben). Bedenkt man hinzu, daß dies im Zusammenhang mit der Begründung der geistlich-weltlichen Vollgewalt geschieht, dann wird die Korrespondenz der Absichten verständlich. Die temporale Ordnung soll in ihrer Hinordnung auf die Heilsordnung begriffen werden. Raum der Welt und Raum des Heils sind nicht existent in paralleler, autarker Partnerschaft als weltliche Welt und kirchliche Kirche, sondern stehen in dem einen, alles umgreifenden Bezug, der sich politisch in dem zitierten Satz darstellt, daß mit Christus die Weltreiche zu ihrem wahren Herrn zurückkehren. Die Einheit der Ordnung in Christus, das ist das eigentliche Thema der Schrift: „Christus habuit dignitatem sacerdotalem et regalem in summo gradu, a quo fluit omnis dignitas et auctoritas supradicta" (c. 6). Von dieser christozentrischen Einheit her sind auch jene Partien des Traktates zu begreifen, in denen nun die spiritual-temporale Superiorität der Kirche und des Papstes im einzelnen dargelegt werden. Christus, das Haupt der Kirche, ist „proprie et per se" König und Priester, dem Geschöpf kommt königliche und priesterliche Würde nur „per participationem" zu (c. 6). Er konnte die „plenitudo auctoritatis" auch einem andern zuteilen, es geschieht in der Ubergabe der Binde- und Lösegewalt. In ihr erscheint die „plenaria iurisdictio spiritualis et temporalis" (c. 6), daher „imperiale dominium dependet a papa" (a.a.O.). Damit ist die dependistische Deutung erreicht. Der philosophische Beweis unterstützt den theologischen. Die menschliche Natur, der Kosmos sind jeweils von einenden, höheren Kräften geleitet. Die Körper von der Seele, der Kosmos von den „allgemeinen Ursachen" (universalibus mundi causis) die in den getrennten Substanzen, den Engeln, konkretisiert sind (c. 7). Die mediate Lenkung der Welt durch die Engel spiegelt sich wieder in den „offitiales ecclesie sive ecclesiastici et mundi principes". Durch sie leitet der Papst „actus ierarcicos ad salutem fidelium", und so „ecclesiastica ierarchia congrue et perfecte immitetur celestem" (c. 7). In die Himmelsanalogie der „ierarchia ecclesiastica" ist nun auch die temporale Gewalt eingeschlossen, offenbar zählen auch ihre Akte zu den „actus ierarcicos"; heißt es doch im Anschluß an die mundi principes: „secundum diversorum graduum dignitates, per quos summus pontifex actus ierarcicos ad salutem fidelium administrat". Von jenem Auseinanderrücken der Gewalten und Ordnungsbereiche, das infolge des Investiturstreites und der institutionellen Formierung der Bereiche zu beobachten ist, kann man hier wenig spüren. Die ältere Tradition des rex „intra ecclesiam" erscheint hier wieder, jedoch in die hierarchische Dienstordnung eingereiht (vgl. S. 81 ff, 114 ff). Die weltliche Funktion ist in ihrem Heilsbezug gesehen, Herrschaft wird Dienst an der Heilsverwirklichung. Die rechtliche Struktur dieses Dienstes ist gegeben in der Rechtsstruktur der Kirche selbst. Der Dienst kann nicht in freier Abhängigkeit zu Gott oder Christus vollzogen werden. So kommt es zur Abhängigkeit der kaiserlichen Gewalt vom Papst. Gegen die Zweihäupterlehre der Ghibellinen ist das gesagt (vgl. c. 2 zu D . X C V I c. 6 cum ad verum: papa in spiritualibus superiorem non habet, ita nec in temporalibus imperator). Die Gewalten verhalten sich nicht „ad paria

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licet in diversis" (c. 2). Die kaiserliche Gewalt hängt ihrer virtus nach „ex iurisdictione papae dependet tamquam ex fönte dominii, a quo vice Dei omnis oritur iurisdictio" (c. 15). Der Kaiser hat zwar keinen weltlichen Oberen, er steht jedoch im Funktions- und Rechtsganzen des in der Kirche sich verwirklichenden Heils, seine ordnende Kraft (virtus) ist im Sinne der reductio ad unum auf den Zusammenhang mit der Kirche gegründet, (c. 15). Die Heilsordnung durchwaltet die irdische Ordnung nicht um weltlicher Interessen, sondern „ad salutem fidelium" (vgl. S. 325; c. 7). Diese geistliche Finalität wird besonders und noch einmal bei der Interpretation des Einwandes nach Joh. 18, 36 (Regnum meum non est de hoc mundo) betont. Christi Reich ist nicht von dieser Welt, das heißt, es ist nicht weltliche Herrschaft „per bellum et pugnam" sondern „per humilitatem et benivolentiam et Spiritus sancti gratiam" (c. 28). Er regiert nicht wie die weltlichen Fürsten „qui suum principalem finem ponunt in civili regimine", sein Ziel ist es, die Erlösten „in unum" zu sammeln. Ziel ist nicht die „felicitas politica" der Römer und Philosophen sondern die „vera beatitudo" des regnum celorum (a.a.O.). Die weltliche Gewalt des Papstes ist da zur heilenden Hilfe (ad sanandum: c. 28). So kann er drei unterscheidende Kriterien festhalten: Das regnum Christi stammt nicht aus der erbsündlichen Fortpflanzung Adams, sondern aus dem Wirken des Geistes (mystico spiramine). Seine Bürger werden durch die offitiales Christi zur Vollendung der Tugend geführt. Seine Herrschaft führt „ad eternam remunerationem tamquam ad principalem et suum proprium finem sue civilitatis" (c. 28) 28 . Damit ist zwar das rechtliche Wesen der päpstlichen Temporalgewalt nicht beschrieben, aber die geistliche Zielsetzung ist unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Daher gebraucht der Papst das weltliche Schwert nur mittels des Kaisers, wie es in wörtlichem Bezug zu „Eger cui levia" heißt2'. 28

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D e t e r m i n a d o c. 2 8 : In J o h . 18, 36 weise der H e r r drei Meinungen zurück: p a r e n t u m , gentilium, J u d a e o r u m (nach Augustin und J o h . C h r y s o s t o m u s ) . D a m i t ist g a n z klar der nicht weltliche C h a r a k t e r des Reiches Christi bestätigt. D i e opinio gentilium besagt j a : „ a d e x e r c e n d a m tyrannidem vel ostensionis f a s t i g i u m ut reges terreni". D i e „ o p i n i o J u d a e o r u m " meinte, Christus w e r d e „ r e g n u m J u d a e o r u m restauraturum et excussurum de manibus J u d a e o r u m " . D a s Reich Christi ist Herrschaft „per humilitatem et benivolentiam et Spiritus sancti g r a t i a m " , es ist nicht gesetzt „ a d t e m p o r a l e m successionem, q u o d de m u n d a n o regno contingit, cuius iocunditas seu f a l s a felicitas multis est res pernitiosa in c o m m o d i s " . D e r Unterschied v o n säkular begründeter und intendierter Herrschaft und der christozentrisch-papalen O r d n u n g k o m m t g a n z deutlich in der Gegenüberstellung z u m A u s d r u c k : a . a . O . c. 2 8 : D e r Ausdruck J o h . 18, 3 6 : nunc autem regnum meum non est hinc bedeute: „ i d est sicut regnum terrenum . . . q u o d a mundanis queritur quasi finis potissimus, ut de R o m a n i s a p p a r u i t et philosophus in Ethicis ( N i k o m . Ethik X , 7) in hoc felicitatem consistere, a d q u a m ceteras virtutes políticas civiles disponit. Sed Christi fideles p r o p t e r hoc virtutibus intendunt et fructuosis laboribus exponunt, ut regnum celorum consequantur, in q u o v e r a et non f a l s a b e a t i t u d o consistit". D a s Ineinandergehen v o n geistlicher u n d weltlicher O r d n u n g , die gestaltende W i r k u n g der Sakralgesellschaft, die eschatologische Intention, die ö i f n u n g des Temporalbereichs auf diese Intention hin w i r d hier in ihren Wurzeln klar. V o n hier aus erhält d a n n die Funktionsbestimmung der geistlich-weltlichen V o l l g e w a l t , die der V e r f a s s e r in unmittelbarem Anschluß gibt, sie sei „ a d s a n a n d u m " auch ihren existentiell-soteriologischen Sinn. c. 6 : „ H i n c est, q u o d per Innocentium I U I . scribitur Frederico, q u o d cum i m p e r a t o r

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Der Autor ist überzeugt, daß „in ecclesia" die Offizien getrennt sind (c. 16). Das schließt die Herleitung der Kaiserwürde vom Papst nicht aus. Die Wahl der Fürsten allein gibt noch kein Anrecht auf die imperialen Befugnisse. Es stehen sich somit gegenüber die kaiserliche Herrschaft in concreto und die Vergabung der Herrschaft durch den Papst. Das temporale Offizium ist seiner jeweiligen Aktualisierung nach vom spiritualen getrennt. Die Trennung der Offizien wird durchbrochen in der Dependenz vom Papst, sie bedeutet zugleich eine Manifestation der hierarchischen Stufung der Christozentrik; ferner durch die Defensorschaft der Kirche, sie ist ein ministerium (c. 16); schließlich durch die innere, unterordnende Hinordnung des temporalen Tuns auf das Spirituale. Im Grunde wird damit die historisch gewordene Position des Kaisertums seit 800 beschrieben. Obwohl die Schrift, wie bereits zitiert (S. 326), von der Jurisdiktion des Papstes jede „iurisdictio" herleitet und dasselbe Kapitel wiederholt: „licet in ecclesia distincta sint offitia, omnia tarnen regimina et omnis actus dependet a papa per Christum" (c. 16), so werden daraus für die Herrscher der regna keine Folgerungen gezogen. Im Zusammenhang des Textes ist diese Abhängigkeit auch nicht rechtlich gefaßt, sondern spiritual, wird doch im Sinne der reductio ad unum die christologische Bezogenheit der menschlichen Akte und der hierarchischen Dienste auf Christus dargestellt: „Primum autem movens in actibus humanis fidelium et ierarchiis est Christus... quicquid sit in quantum Deus, quia secundum hoc est principium dominii" (c. 15). Christus am nächsten steht aber sein Vikar, er hat daher „ p l u s . . . de virtute moventis". Das kann rein spiritual verstanden werden, es ist jedoch zugleich für die temporale Abhängigkeit gesprochen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die unklare theologische Spekulation zu beanstanden. Wesentlich bleibt, daß die christozentrische Relation der weltlichen coronam recipit a summo pontífice, simul recipit et ensera in vagina, sed imperator tune ipsam evaginat et vibrat ad insinuandum suum ministerium a papa procedere et executionis offitium post coronam". — c. 16: „licet sint distincta offitia in ecclesia, tarnen ex papa dependent sicut actus corporis ex actibus anime sive sicut ex spiritualibus corporalia". Hier wird einmal mit der Trennung der Offizien das Wesen der Abhängigkeit deutlich: „sicut ex spiritualibus corporalia". Die temporale Gewalt des Papstes korrespondiert der Relation: spiritual-korporal, das heißt, die ontische Begründung der temporalen Vollgewalt findet sich wieder in dieser Relation. Sie hat als Korrelat nicht ein Verhältnis: temporal zu temporal, sondern eben die Relation: spiritual-corporal. Die Offizien sind getrennt, das bedeutet, daß der Hierarch, wie das Verhältnis: anima-corpus anzeigt, nur „animativ" handeln kann. Unmittelbar eingreifen kann er nur in bestimmten Fällen, wobei das Gesetz dieses Eingreifens sich aus der Tatsache der „Fälle" ergibt, also nicht dem Wesen der regulären weltlichen (korporalen) Herrschaft entspringt. In c. 6 heißt es hierzu, die Kirche könne „quando voluerit, dicto gladio possit uti". Der Verfasser detailliert das „voluerit" nicht, was nicht heißt, daß er sich außerhalb der durch die Rechtstradition seit Innozenz III. gezogenen Grenzen stellen will. Zum Vergleich mit „Eger cui levia": Hier wird die potestas potentialis von der potestas actualis unterschieden; „hoc nempe ille ritus ostendit, quo summus pontifex cesari, quem coronat, exhibet gladium vagina contentum, quem aeeeptum princeps exerit et vibrando innuit se illius exercitium aeeepisse". Hierzu vgl. den kurialen Ordo,: Elze XVIII, n. 35: „Mox autem ut coronandus accinctus ense fuerit, eximit eum de vagina viriliterque ter illum vibrat et vagine continuo recommendat".

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Gewalt über den Papst zu Christus nicht das Wesensmerkmal eines herrschaftlichen Verhältnisses besitzt, wie es etwa zwischen den herrschaftlichen Teilgewalten und dem König besteht. Terminologisch wäre diese Relation offenbar eigens zu beschreiben, wenn man in den Kategorien der gewohnten neuzeitlichen Bereichstrennung und ihrer Terminologie denkt, die mit spiritual und temporal institutionell introvertierte Bereiche verbindet: Kirche, nur Kirdie; Welt, nur Welt. Aber davon später. Auf die Stellung der regna zurückgewendet bleibt demnach der Fragenkreis des „rex qui nulli subest", was die Einsetzung des Herrschers angeht, unbeantwortet. Es findet sich keine Bemerkung darüber, daß der König von Frankreich, gleich dem Kaiser, zur Übernahme seiner Herrschaft eine päpstliche Bestätigung benötige. Dagegen wird behauptet, daß „ex causa" Fürsten abgesetzt und andern die Herrschaft verliehen worden sei: „Quod de facto satis apparet a L annis et circa in partibus Europe et precipue in regionibus Gallie et Yspanie et in maiori Brithania, in quibus per summum pontificem a gente in gentem dominia translata conspeximus, prout exigebant merita dominorum et status incolumis regionis" (c. 14). Diese Meinung über das Depositionsrecht war bereits in einem Gutachten für das Konzil von Lyon 1245 vertreten und ebenso hatte der Hostiensis aus C.XV q. 6 (Gregor VII. Reg. VIII. n. 21 zu Childerich 751) geschlossen: „unde et reges deponit" 30 . Für Treueidlösungen und für expositio terrae (Freigabe des Landes zur Eroberung) gab es in dem vom Verfasser genannten Zeitraum von 50 Jahren (?) tatsächlich Beispiele von Herrschaftsträgern verschiedenen Ranges. 1282/83 spielte sich die Auseinandersetzung mit Pedro III. von Aragon ab, den Martin IV. nach der expositio terrae und Exkommunikation seiner Herrsdiaft beraubte' 1 . Es ist die mutmaßliche Zeit der Abfassung der Determinatio. Was Frankreich und England angeht, so finden sich freilich keine Translationen des regnum selbst, weshalb der Herausgeber der Determinatio für eine Lesart von „quingenti" anstatt „quinquaginta" eintrat82. Das Depositions30

Hostiensis zu I, 6, 33 ad v. progenitores: „Utique cum in hoc casu patroni ius patronatus, advocati advocatiam et feudatarii feudum, vicedomini vicedominatum, benefician beneficium amittere debeant, sicut precipitur in concilio generali infra de penis" in quibusdam „§ Sacri (V, 37, 12) nulli convenit magis hec pena quam imperatori, qui tot beneficia recepit a Romana ecclesia et ipsius existit feudatarius, necnon ei competunt, quamdiu bene regit, nomina supradicta". — Ferner zu I, 15, 8: (Papa) utrumque gladium habet, X X I dist. c. 1, LXIII dist. „Tibi domino" (c. 33) unde et reges deponit ut X V q. VI" zit. bei Carlyle, A history of mediaeval political theory V, S. 329, Anm. 3. — Vgl. Hageneder, Päpstliches Recht A H P 1, 1963, S. 89 Anm. 119, und S. 90 Anm. 124. Die determinatio wird die lehnsreditliche Deutung der imperialen Position aufnehmen. 51 Zur Treueidlösung und Verlust des Amtes seit Ende des 12. Jahrhunderts vgl. Hageneder S. 65, 67 ff; ebda, zur expositio terrae. — Determinatio c. 14 spricht von: „aliis principatuum apicibus seu dignitatibus dominorum cuiuscumque generis sive gradus. Ab ipso summo pontífice invenimus ex causa subtracta propriis dominis extraneisque collata". Das entspricht den bei Hageneder geschilderten Fällen. — Die in Anm. 33 genannte Schrift: „De iurisdictione ecclesie etc." erwähnt als Beispiel päpstlichen Eingreifens gegen einen König aus der jüngsten Zeit den Fall des Königs von Portugal 1244. — Zu Peter von Aragon vgl. Hageneder S. 90. ®2 M. Krämer, Determinatio S. XV.

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recht wird auch von einer etwa gleichzeitigen nicht edierten Schrift „De iurisdictione ecclesie super regnum Apulie et Sicilie" vertreten 3 '. Als Grund gilt hier „ex causa" und „precipue ratione delicti". Die Determinatio bringt das „ex causa" mit einem Verweis auf Innozenz III. (Novit; II, 1, 13) und Solite; I, 6, 33), das heißt ebenfalls mit der „ratio peccati" und Defekt der weltlichen Gewalt. Zusätzlich erfolgt eine begründende Ergänzung durch die „merita dominorum" und den „status incolumis regionis" (vgl. oben). Die merita betreffen die Eigenschaften des Adressaten der Translation, der „status incolumis" betrifft Gründe politischer Art, die aber nicht erstrangig sind, da hier der vom Verfasser selbst gezogene Rahmen der Dekretalen Innozenz' III. gilt. Man kann danach aus der Absicht der Schrift zum Depositionsrecht nicht mehr rechtliche Substanz erschließen, als sie bereits von Innozenz III. her vermittelt ist und wie sie von Innozenz IV. auf die Absetzung des Kaisers 1245 hin entfaltet wurde. Das Gleiche gilt für die rechtliche Relation von Papst und Kaiser im einzelnen. Konkretes und hauptsächliches Ziel (principale intentum c. 10) der Arbeit ist es, nachzuweisen, daß die Fürstenwahl allein dem Gewählten noch kein Recht auf imperiale Befugnisse (ius imperandi: c. 29; ius administrationis: c. 10) verleiht. Dazu ist, wie es zunächst heißt, die confirmatio notwendig (c. 3), später werden Weihe und Krönung mit eingeschlossen (c. 30/31). In der kaiserlosen Zeit trifft diese Frage genau die politische und rechtliche Situation des Kaiserrechtes in Italien. Rudolf von Habsburg war seit Herbst 1274 von Gregor X. als rex Romanorum anerkannt worden, gegen die noch bestehende Kandidatur des Alfons von Kastilien und gegen den Einspruch Ottokars (MGH Const. III n. 35, 66: „te regem Romanorum de ipsorum consilio nominamus"). 1275 folgt in Lausanne der persönliche Eid an den Papst. Damit sind die verlangten Voraussetzungen für den Romzug erfüllt. Er nimmt im gleichen Jahr auch bereits Reichsrechte durch die Bestellung eines Rektors für die Romagna wahr (Const. III n. 100—102). Der Protest Innozenz' V. (Const. III n. 108) leitet die kurze Aktion ein, die 1278 mit dem Verzicht auf die Romagna endet, die nun bis zum 19. Jahrhundert zum Kirchenstaat gehören wird. Nach dem Ende des Reichsvikariates des Anjou in Tuscien und angesichts des neuen Heiratsbündnisses zwischen Rudolf und Karl von Anjou, das noch Nikolaus III. vermittelte, nimmt Rudolf mit Einverständnis des neuen Papstes (Martin IV.) und Karls das Reichsvikariat über Tuszien in Anspruch: „Ad reintegrationem imperii nobis divina potentia et apostolice auctoritate concessi . . . providimus, patrias et provintias, que ad imperium nostrum spectent, dominio nostro submictere" (An die Bürger von Lucca: Const. III., S. 645). Martin fügt später hinzu „de nostra licentia speciali" (a.a.O., S. 645). Zweifellos hat Rudolf hier Reichsrechte ausgeübt, S3

„De iurisdictione ecclesie super regnum Apulie et Sicilie" Bibl. Nat. Paris, cod. lat. 4046 S. X I V f 221 f von Kramer 1908 entdeckt, vgl. a. a. O. S. X I V : „Ergo suum erit ex causa de aliis regiminibus disponere, sed precipue racione delicti, et hoc habet locum in omni principatu sive regali sive imperiali sicut patet" (erwähnt Novit, Solite und D u o quippe: D. XCVI).

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und zwar vor Weihe und Krönung. Inwieweit die Anerkennung als rex Romanorum als „confirmatio" aufzufassen war, darüber spricht sich die Schrift nicht aus, wie sie es überhaupt vermeidet, konkret die Vorgänge im einzelnen zu beschreiben332. Für die Auffassung des Autors vom Verhältnis Papst—Kaiser genügt es zu wissen, daß das „ius imperandi", wir können in der Sprache der Kanonisten jetzt auch sagen: die executio gladii, von der „ordinatio ecclesie abhängig ist: „totum dependet ex ordinatione ecclesie sive de modo eligendi sive de iure administrandi sive de quacumque re pertinente ad dignitatem imperii" (c. 30). Im Gegensatz dazu stehen die „reges alii". Die bereits zitierte Stelle aus „Eger cui levia" (vgl. S. 253) über den Unterschied von regnum und im perium wird, mit kleinen Entstellungen, wörtlich wiederholt, (c. 30) Damit ist das Zustandekommen der königlichen Gewalt aus eigenem Recht (Erbrecht) anerkannt. Was die deutsche Königswahl betrifft, so ist zu unterscheiden zwischen der Wahl für den zukünftigen Kaiser und dem Rechtsbereich des regnum Teutonicum. Jedenfalls heißt es zum Ersten, daß nach der kurialen Translationstheorie die Wähler von Gregor V. bestellt wurden (c. 13). Der hiernach Gewählte hat in Deutschland sofort nach der Wahl seine Gewalt, im Reich dagegen nur „in spe actionis future" (c. 30). Daß jedoch auch die Königswahl in Deutschland ihre eigenen Wurzeln und eigenen Rechtsfolgen hat, ergibt sich aus c. 10. Hier heißt es, daß der Erwählte sein Redit entweder „ex longa consuetudine, cui standum est" besitzt „vel forte ex ipsa ordinatione principum dicte provincie, cui se tamquam in re propria possunt subicere, quod de aliis partibus eis non convenit ordinäre multis causis et rationibus, quas describere longum esset". Kann man die longa consuetudo noch mit der Translation zusammenbringen, so fällt dies für die „ordinatio principum . . . in re propria" sicher weg. Auch für den Verfasser der Determinatio gibt es einen eigenständigen weltlichen Rechtsbereich, dessen „dominium" nicht vom Papst abzuleiten ist. Damit hat die Aussage von der iurisdictio papae als „tamquam fons" aller iurisdictio (vgl. S. 282 f) eine klare Gegenaussage erhalten. Will man den Gegensatz nicht einfach ungeklärt auf sich beruhen lassen, dann ist es notwendig, beide Aspekte zu überprüfen. Das Wort von der Gewalt des Papstes als Quell aller Jurisdiktion und das im gleichen Kapitel folgende von der Dependenz der regimina (S. 283) sind gesprochen in der diristozentrischen Rückführung der irdischen Ordnung. Christozentrik geht, so kann man weiterfahren, nur über die von ihm selbst in seiner Kirche gestiftete Ordnung. Die Gegenaussage über das Eigenredit der regna und ihrer Fürsten fällt vom Tatbestand des positiven Rechtes her, in dem sich die innerweltliche Eigenständigkeit sammelt. Beide Aspekte gehen von andern Voraussetzungen und andern Zielsetzungen aus. Der christozentrisch-ekklesiarchpapalistische Aspekt sieht die in der Heilsordnung sich ereignende Einheit;

S3

° Zum Reidisvikariat in Italien: F. Baethgen. Der Anspruch des Papsttums, Sav. Zschr. f. Reditsgesdi. Kan. Abt. 1920, S. 168 ff. — J . Trautz, Die Reichsgewalt in Italien im Spätmittelalter, Heidelb. Jahrb. 7, 1963, S. 45 ff, bes. S. 50.

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der positivrechtliche Aspekt, dem man, um genau zu interpretieren, die naturale Begründung des dominium anschließen muß (vgl. oben), muß sich an die Welt als Welt halten (felicitas politica: c. 28). Daß der Verfasser nicht dazu übergeht, die beiden Aspekte in ihrem Verhältnis eigens zu durchdenken, ist nicht nur seine spekulative Schwäche. Diese Beobachtung wird sich in der ekklesiarchen Publizistik wiederholen. Aber erst vor dem Hintergrund des soeben geschilderten Doppelaspektes von regnum/imperium können jene Aussagen über den Kaiser im richtigen Maß genommen werden, die diesen in seinem Dienst gegenüber der Kirche von den reges absondern. Er ist „verus minister ecclesie, quam administrationem ab ipsa recipit sub iure iurando sicut fidelis ecclesie sub titulo feudi et inde est ratio, quod ecclesia facilius procedit ad eius depositionem quam aliorum principum, ut Innocentius sribit contra Fredericum predictum, cui papa ensem porrigit" (c. 30). Der Vergleich des Schutzeides mit dem Lehenseid eines Kirchenmannes ruft eine alte Diskussion wach, die mit dem Laterangemälde unter Innozenz II. einsetzt und sich bis zum Streit Heinrichs VII. mit Clemens V. erstreckt. Zwar identifiziert die Determinatio nicht unbedingt den Kaiser mit einem Vasallen. Die Wendung „sicut... sub titulo feudi" kann auch vom Autor analogisch gemeint sein — trotzdem wird hier in der Publizistik zum erstenmal der Eid, der von den Kanonisten schon früher dependistisch interpretiert wurde, so offen zum titulus feudi in Bezug gebracht (vgl. Anm. 30). Der Kaiser hat seine Gewalt nicht aus Eigenrecht, sondern empfängt sie in einem zumindest lehensähnlichen Verhältnis, das ihn als „minister ecclesie" an Rom bindet. Für den Autor kann der Kaiser sein Schwert, das er in der Schwertsdieide verhüllt erhält, nur als „ministerium" und „executionis officium" gebrauchen (c. 6), die Kirche behält sich dabei jedoch den Eigengebrauch vor. Wieder dient ein Verweis auf „Eger cui levia" als Beleg34. Es ist die Deutung der Schwertgeste, bei der die Waffe gezogen und dreimal geschwungen wird, als: „materialis potestas gladii potentialis" und als „potestas actualis" (Elze XVIII, 35: viriliter ter illum vibrat et vagine continuo recommendat). Der Autor bewegt sidi auf der von der Kanonistik erarbeiteten Unterscheidung: potestas/auctoritas und potestas/executio. Die Abhängigkeit, in der sich das Kaisertum befindet, kann jedoch nicht generell als Aussage für die weltliche Gewalt schlechthin gelten. Das Urteil über die Gesamtkonzeption muß die Aussagen über Imperium und Regnum gegenwärtig haben; was sich bereits früher bei der kanonistischen Gewaltenlehre bei Innozenz III. und Innozenz IV. ergab, daß nämlich ein Unterschied zu setzen sei in all dem, was zum Imperium, beziehungsweise zum Regnum gesagt wird, wird in der Determinatio erneut bestätigt. Die Aussagen über das regnum bringen den natural-positivrechtlichen Kern des Herrscheramtes zum Vorschein, die Lehre vom Imperium zeigt eine Würde, die konsequent im Sinne eines ministerium ecclesiae erfaßt ist. Es ist im Augenblick nicht nötig, die historischen Gründe seit der Gründung des west34

Vgl. Anm. 29.

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lidien Kaisertums, die Rolle des Papsttums seit dem ersten Tage eines wiederhergestellten Imperium Romanum zu wiederholen. Damit sammeln sich aber wie von selbst am Rechts- und Aussagebereich des Regnum die natural-positivrechtlichen Elemente der Herrschaft, während das Kaisertum wie keine andere weltliche Würde die Last einer kirchlich-weltlichen Ordnung zu tragen hat. An ihm bietet sich dem kirchlichen Sakralverständnis der potestas saecularis die Gelegenheit, die hierarchische Offizienlehre folgerichtig durchzudenken. Damit zeigt sich bereits die historische Begrenztheit dieser Aussagen an. Von hier aus können wir in einigen, das Ganze überblickenden Bemerkungen, unsere Betrachtung der Determinatio compendiosa im Ausblick zugleich auf die folgenden Traktate abrunden. Wesen und unterscheidendes Merkmal der päpstlichen Vollgewalt gegenüber dem Kaiser und den übrigen Herrschern erhellen sich einmal am Verhältnis zu Imperium und Regnum. Die dependistische These 35 wird nur gegenüber dem Kaiser ausgesprochen; zwar wird die päpstliche Jurisdiktion als Quelle der übrigen Jurisdiktionen und „regimina" genannt, aber dieser Gedanke sieht sich selbst wieder dem vom Verfasser selbst anerkannten Eigenrecht der regna konfrontiert. Zwei Aspekte sind hier wirksam, der christozentrische und der natural-positivrechtliche. Indem die päpstliche Gewalt nur im ersten ihren Platz hat, zeigt sich das Wesen dieser Gewalt an, die nicht der innerweltlichen Ordnung entwächst und diese sich zu eigen setzt, sondern die christozentrische Relation darstellt. Die Gründung in dieser Relation macht es daher auch unmöglich, von temporaler Hoheit im Sinne weltlicher Spezifik zu sprechen. Was als temporale Hoheit erscheint, ist immer gebunden an geistliche Superiorität, setzt diese voraus und ist in sie gebettet. Um der Sache gerecht zu werden, ist es daher notwendig, auch den Begriff des Temporalen, wie er in der ekklesiarch-papalen Doktrin erscheint, unter die Lupe zu nehmen. Das sei jetzt freilich noch nicht erledigt, sondern bleibe als Aufgabe vorbehalten. Jedenfalls haben wir es mit einer Doppelstruktur der Ordnung zu tun, die einerseits weltliche Welt, andrerseits geistlich orientierte Welt voraussetzt. Diese Doppelstruktur hat ihren Ansatz im Menschen selbst, wie die Anthropologie der Determinatio erweist. Das Körperliche hängt von der Seele ab, „corpus est Organum anime ad operandum" (c. 7). Mit diesem Satz aus Aristoteles (De anima I, 3), der ein Gemeingut der Scholastik darstellt, wird, ohne Ubergang, als korrespondierende Relation, die Abhängigkeit des Körperlichen von den Spiritualien verbunden (c. 7). Diese parallele Analogie der Vorordnung des Geistig-Geistlichen fand sich, vertieft freilich, bei Hugo von St. Viktor und seiner Gewaltenlehre (S. 136). D a ß sie so unbefangen auf die päpstliche Vollgewalt angewendet werden kann, ist nur möglich, wenn der Bereich der „anima" von vornweg durch deren Bezug zum Spiritualen beansprucht wird. D a ß die „anima" auch die innerweltliche Geistigkeit benennt und darin auch für die weltliche Gewalt und ihr Wesen in Frage kommt, ist aber wiederum durch die Identifikation der weltlichen Gewalt mit dem 35

Der Abhängigkeit- Dependenz (c. 15) entspridit andrerseits die Hinordnung aller Akte auf das ewige Ziel (c. 7).

II. Die „Determinatio compendiosa de iurisdictione impera"

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Analogieglied „corpus" bedingt. Damit ist eine zweite Problematik angeschnitten, die des Selbstverständnisses der weltlichen Gewalt als „körperliche Zwangsgewalt". Audi hierzu kann abschließend erst später Stellung genommen werden. Was die Determinatio selbst betrifft, so kompliziert der Verfasser die eigene Argumentation, wenn er derselben weltlichen Gewalt, für die in der Gewaltenstufung das „corpus" als Bereich zugewiesen ist, an andrer Stelle vindiziert, daß sie die leib-seelische Einheit Mensch, die „creatura rationalis" zusammen mit der geistlichen Gewalt führt: „creaturam rationalem ut hominem... quando ipsam gubernat (Deus) per suos dispensatores et provisores, ut sunt reges et principes et ecclesiarum prelati", und zwar zu ihrem „nobiliorem finem" (c. 20). Obwohl zuvor von der Doppelbewegung, den „motus spirituales und corporales" die Rede ist, durch die hindurch Gott wirkt, was der spiritualen und korporalen Gewalt entsprechen würde, so wird diese Trennung hinterher nicht durchgeführt. Das heißt, der Verfasser sagt nidit, daß die reges nur den corpus der creatura rationalis, die prelati die anima und durch die anima den corpus regieren. Offenbar ist hier die ganzheitliche Sicht stärker, aber sie wird für die Gewaltenlehre nicht wirksam. Und an der andern bereits zitierten Stelle, wo die weltliche Regierung in die „actus ierarcicos" eingeschlossen ist, durdi die der Papst die Menschen zu ihrem Heil hinführt, erweist dies ein Bild der im Vergleich anima-corpus auf den corpus bezogenen Herrschaft, das sowohl das „corpus" wie die Herrschaft in ganz bestimmter Weise bestimmt. Beide sind nicht als in sich endgültig abgeschlossene Wirklichkeiten gemeint, sondern sind auf ein Höheres, eben den „nobilior finis" hin geöffnet. Anders gewendet, sie stehen in einem größeren Ganzen und nur in diesem Ganzen können sie sowohl in ihrer Lebensfunktion wie in ihrer Ordnungsfunktion begriffen werden. Der Raum, in dem sich diese Ordnungsfunktion bewegt, ist nicht allein durch den Begriff „mundus" abgegrenzt. Daß die alte, schon von frühmittelalterliche Zeit her verfolgte Vorstellung des „in ecclesia" (vgl. S. 81) lebendig ist, konnte schon beobachtet werden. Der „princeps mundi" steht in der Kirche, er ist in diesem status ein „offitialis ecclesiae" (vgl. S. 325). Der Ordnungsraum, den die Determinatio anspricht, ist der von der Kirche in den Herrschaftsträgern und ihrer Gewalt umgriffene Bereich des „mundus". So fließen zwar nicht die Bereiche selbst, ecclesia und imperium/regnum, zusammen, eine solche Identifikation ist nirgends festzustellen, aber die Träger der Gewalt und die Führung der Gewalt sind in die hierarchische Stufung eingereiht. Für den Kaiser bringt die Schwertinvestitur das anschaulich zum Ausdruck (S. 282 und Anm. 29), für die übrigen Gewalten ergibt es sich aus der christozentrischen Interpretation der officia und regimina. Sie stehen in der Kirche, aber sind getrennt, wie es mit der tradierten Formel der Dekretisten heißt („licet in ecclesia distincta sint officia; c. 14, 15). Das officium, das regimen selbst, beide sind als natural begründetes dominium weltlich; jedoch in der christozentrischen „reductio ad unum", wie in der universalen Dependenz3® sind sie ihrem „motus et sensus" nach von Christus 38

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c. 15: „in corpore mistico ecclesie esse distincta officia sicut caput et membra ut in corpore Kölmel

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A. Die hierokratisdie These in der Entfaltung

her und auf Christus hin zu verstehen, wobei der Papst als vicarius die vermittelnd-stellvertretende Funktion ausübt. Die „virtus" seiner Jurisdiktion (des Kaisers) hängt von der des Papstes ab (c. 15; S. 325 £), das meint die christusbezogene Ordnungsfähigkeit, die mehr bedeutet als nur die „virtutes politicae" (c. 28). Diese leiten nur auf die „felicitas politica" (c. 28), das Handeln des Christen in der virtus zielt dagegen auf das regnum celorum (a.a.O.). „Motus et sensus", wie es zuvor hieß, als Hendiadyoin verstanden, meinen eine innere bewegende Kraft, die Gleiches zum bewegenden, höheren „Gleichen" (Wärme zur Wärme des Feuers c. 15) bewegt. In dieser, man kann sagen pneumatischen Deutung der Gewalt, liegt die Schwäche und Stärke der Doktrin. Ihre offensichtliche Schwäche offenbart sich darin, daß sie positivrechtliche Tatbestände in die übernatürliche Ebene der christozentrischen Relation bringt oder umgekehrt die christozentrische Relation in das politische Gefüge überträgt. Freilich wird sie diese Schwäche mit jeder transzendentalen Begründung politischer Gewalt teilen. Ihre Stärke ruht darin, daß sie es möglich macht, die Hinordnung des Weltlichen auf das Spirituale in eine hierokratisdie Systematik zu erweitern und zu vertiefen. Die Determinatio unternimmt es, das kanonistische Erbgut, die These vom „uterque gladius" in Händen des Papstes, über die juristische Apodiktik hinaus umfassend zu vertiefen. So entsteht das Bild einer Ordnung der Welt, die in der Doppelbewegung von oben nach unten und von unten nach oben, in Dependenz und Reduktion der Offizien alles über den vicarius Christi auf den Herrn ordnet, damit das vornehmlichste Ziel des Menschen das „capax Dei" (c. 20) erreicht werden kann.

materiali, omnia tarnen ab uno dependere, a quo est omnis motus et sensus, quod est Christus, cuius vices summus pontifex gerit." Der „motus" wird dann audi für die reductio in unum in Anspruch genommen. — Der Zusatz zur Distinktion der Offizien: „sicut caput et membra" bedeutet nicht, daß es sich um die gleiche Funktion handelt, die nur in Führung (caput) und Dienst (membrum) geteilt ist, sondern Teilung der Offizien, zugleich aber Vorordnung des spiritualen Hauptes. Die Wendung „licet distincta sint officia" stammt aus der Dekretistik: Vgl. Summa Reginensis, Stickler, Salesianum 14, 1952, S. 494 zu D. X X I I c. 1 ad v. terreni: „et licet sint distincta officia utriusque potestatis".

B. Ä G I D I U S R O M A N U S — DAS S Y S T E M D E S S O L I U S T I S M U S

I. Ägidius Romanus: Der naturale Staat und die Heilsgerechtigkeit Zwei grundlegende Aspekte in der Aussage des Ägidius. — Die Konzeption des Fürstenspiegels: civitas als „aliquid naturale". — Die Temporalgewalt und die Gesetzlichkeit der Heilsordnung.

Mit Ägidius Romanus gelangen wir bereits in die nächste Nähe der Bulle „Unam Sanctam". Mit dem Namen dieser Bulle ist zugleich jene kurze Periode markiert, in der mit der Person des Papstes die kuriale Politik so intensiv in das Wirkfeld der hierokratischen Ideen gerät, daß bis heute der Pontifikat Bonifaz' VIII. als eines der Symbole päpstlicher Machtansprüche geblieben ist. An Ägidius selbst ist die Kraft dieser Ideen zu spüren, bricht doch seine politische Lehre in die zwei scheinbar unversöhnlichen Dokumente auseinander, seinen Fürstenspiegel", mit dessen aristotelisch-scholastischer Begründung des regimen principum, und den Traktat „de ecclesiastica potestate", mit der radikalen theologischen Verschärfung der hierokratischen Position. Der Fürstenspiegel entsteht im Hofdienst für Philipp den Schönen, der Traktat über die kirchliche Gewalt ergreift in der Auseinandersetzung seines Zöglings mit dem Papst die Partei der Kurie. Das Aufeinandertreffen zweier Konzeptionen in einem Mann wird in keinem der an der großen Debatte Beteiligten unvermittelter sich ereignen als hier. So ist in Ägidius gewissermaßen das politische Bewußtsein der Jahrhundertwende auf einen personalen Raum versammelt. Finke erwähnt in seiner immer noch grundlegenden Darstellung zum Pontifikat Bonifaz' VIII. zwei Bemerkungen aus den Gesandtschaftsberichten an den Grafen Guido von Flandern. Die erste, aus dem Mund des Papstes nimmt bestätigend die Adresse der Gesandten, er sei geistlicher und weltlicher Souverain Philipps, auf: „Li papes respondit tantost tele reponse, que c'estoit à lui mettre on content contre le roy de F r a n c e . . . que souverains estoit-il dou roy de France en espirituel et en temporel" 38 . Kurze Zeit später, Anfang 1299, predigt der Kardinal Aquasparta im Lateran: „que Ii pape tous seus est sire souverains temporeus et spirituels deseure tous, quelque il soient, ou liu de Diu". Wie das in die Anschauung der Kurie und des Papstes einzuordnen ist, davon soll später die Rede sein (S. 401 f). Wenn die Berichte nicht trügen, und es besteht kein Anlaß an der Zuverlässigkeit zu zweifeln — 37 38

19'

Aegidius, De regimine principum, Augsburg 1473. Mémoires de l'academie de Belgique X X V I I I S. 81 und 79. — H . Finke, Aus den Tagen Bonifaz VIII. S. 154 f.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

was nicht heißt, daß sie die Aussagen mit allen Nuancen und vollständig bringen — dann haben Papst und Kurie die von Innozenz IV. her tradierte Lehre von der geistlich-weltlichen Vollgewalt sich zu eigen gemacht. Wenn Ägidius, seit 1292 General der Augustiner, seit 1295, von Bonifaz protegiert, Erzbisdiof von Bourges, die Sache der Kurie verteidigt, dann muß er diese Vollgewalt rechtfertigen. Er hat jedoch zuvor (1285) in seinem Fürstenspiegel bereits eine so eindeutige Position bezogen, daß es nicht möglidi ist, das zweite Unternehmen zu isolieren. Ob das Schwenken von der einen Stellung zur andern dann als „Streberei" zu deuten ist, wie Dempf mit Johann Quidort meint, oder ob beide Dokumente nicht doch nebeneinander bestehen können, das muß sich noch erweisen®*. Betrachten wir zunächst „de regimine principum". Der Titel des 20 Jahre nach dem gleichlautenden Traktat des Thomas geschriebenen Fürstenspiegels verrät schon den Schüler des Meisters. Inhaltlich ist jedoch unverkennbar eine Verschiebung der Akzente zu beobachten. Während Thomas (I, c. 14) über die Teilziele des „vivere secundum virtutem" als Hauptziel den Durchgang zur „fruitio divina" betont und von da den funktionalen Sinn des regimen Christi und seiner Priester dartut, wobei sich die Unterordnung unter den Papst ergibt (vgl. S. 269), also die innerweltliche Teleologie des Staates der Heilswirklichkeit öffnet, wird bei Ägidius nur einmal von der spiritualen Unterordnung des Staates gesprochen. Die Notwendigkeit der lex evangelica wird moralisch begründet40. Dagegen wird die naturale Gründung des sozialen Verhaltens und der sozialen Relationen betont herausgestellt. Immer wieder beruft sich Ägidius auf das „naturale", die „natura hominis" (I, 2, c. 1, 2). Der Herrscher soll „naturaliter" herrschen (I, 2, c. 7), ohne prudentia ist ein „naturaliter dominari" nicht möglich, in dieser Weise des Herrschens beruht jedoch das Wesen der Herrschaft (I, 2, c. 11). Erst recht wird die natürliche Wesensart des Menschen bei der Darstellung der Sozialnatur und der Sozialformen ins Spiel gebracht (II. Buch). „Natural" in den eben geschilderten Fällen geht auf die geschöpfliche Ausstattung, auf die gemeinsame Substanz des Menschen. Ägidius verwendet jedoch den Begriff auch im Sinne der faktischen, geschichtlich gewordenen Natur. So wenn er I, 2 c. 27 davon spricht, daß wir „naturaliter" ein Übermaß der Strafe wollen, oder die Leichtgläubigkeit des Jünglings natural genannt wird (I, 4, c. 2). Durch eine Leidenschaft entsteht ein „naturaliter passionari" (a.a.O.). Natur ist hier die bereits geschwächte Anlage des Menschen, die Schöpfung, die geschichtlich zu ordnen ist, steht unter dem Gesetz der Sünde. In der Darstellung des Staates wird diese geschichtlich bedingte Änderung 59 40

Dempf, Sacrum Imperium S. 448 f. Aegidius, De regimine principum, 1473. — In III, 2, c. 30 werden die Gründe dafür angeführt, warum zu den natural bestimmten Gesetzen das supernaturale Gesetz kommen muß: a) ex parte privationis peccatorum (das Gesetz bestraft nidit alle Vergehen); b) ex parte cognitionis nostre (unser Urteil über die particularia sei ungewiß); c) ex parte finis (es bedarf audi der Verfolgung übernatürlicher Ziele). — W. Berges, Fürstenspiegel geht S. 211 ff nur auf den Fürstentraktat ein.

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der menschlichen Existenz noch nicht sichtbar. Das aristotelische Leitbild beherrscht hier ganz die soziale und politische Szenerie. Der Geselligkeitstrieb ist dem Menschen von Natur gegeben (II, 1 c. 1), Ägidius spricht von der „naturalis origo civitatis et regni" (c. 2), Haus, Familie sind naturhafte Einrichtungen. „Homo est animal domesticum naturaliter, communitas domus est quodammodo naturalis actio" (c. 4). Das ganze zweite Buch durchzieht die Lehre von der Sozialnatur (II, I, c. 5, 6, 7)40a. Einehe und Unauflöslichkeit der Ehe werden natural begründet (c. 9—11). Eine ausführliche Darstellung des Naturrechts im dritten Buch untermauert diese Naturlehre von der Gemeinschaft und ihrer Ordnung. Je allgemeiner, bekannter, unveränderlicher das Recht ist, umsomehr verdient es den Namen des „ius naturale" (III, 2, c. 25). Zum Naturgesetz kommt notwendig die lex evangelica, sie führt zum bonum supernaturale (III, 2, c. 30). Es ist notwendig: ex parte privationis peccatorum, ex parte cognitionis nostre, ex parte finis. „Der Sünder wegen", denn das menschliche Gesetz bestraft nicht alle Vergehen; „der besseren Einsicht halber", da aus natürlicher Einsicht vieles ungewiß bleibt; „ex parte finis", da das natürliche Gesetz nicht den Weg der Frohbotschaft ordnen kann. Der Satz, daß der Staat etwas Natürliches sei (civitas... aliquid naturale; III, 2, c. 32) und der zweite, daß er ein hauptsächlichst (principalissima) auf das bonum intendiertes Ganze der Gemeinschaft sei, beide schließen die Wesensbeschreibung des Staates ab. Zweck der bürgerlichen Gemeinschaft ist vornehmlich (principaliter): „propter bene et virtuose et feliciter vivere", er genügt sich darin selbst (per se sufficientem vitam). Das geistige Leben ist wichtiger als materielles Wohlergehen: „veri reges legislatores et veri reges principaliter intendunt bonum anime" (III, 2, c. 31). Das ist theologisch gemeint, wird aber nicht weiter ausgeführt. Der Staat, der hier entworfen wird, ist hauptsächlich in seinen temporalen Funktionen dargestellt; die religiösen Bindungen erscheinen, jedoch relativ kurz und in einer Art erhöhtem Hintergrund. Der Unterschied der Konzeption dieses Aristotelikers, der ja zeitweise ob seines Aristotelismus mit der Zensur in Berührung gekommen war, von derjenigen eines Guibert von Tournay (vgl. S. 266, 278) und desse Regierung „more angelico" läßt ermessen, zu welchen weitgespannten Spekulationen die scholastische Ordnungslehre fähig war. Wir können aber noch pointierter die Konturen der ersten Aussage aus Ägidius selbst gewinnen, wenn wir uns unmittelbar und medias in res des Traktates über die kirchlich-päpstliche Gewalt begeben. Denn das Ordnungsbild hier wird aus andern Quellen gespeist und dient genau den Belangen, von denen es soeben hieß, daß sie im Fürstenspiegel sich nur in einem erhöhten 40,1

Weitere Beispiele zu den im Text genannten, die den naturalen Charakter der Rechtsordnung und des Staates zeigen: II, 1, c. 1: naturaliter ergo homo est animal sociale, alles, was dem Menschen zum bene vivere dient, kommt ihm naturaliter zu. II, 1, c. 1 Entstehung des Staates im Stile der aristotelischen Politik; II 4, c. 4: homo est animal domesticum naturaliter. Ferner II, 5, c. 5, c. 6, c. 7 über die Ehe als natürliche Einrichtung. II, 1, c. 10 Einehe als natürliche Form. — II, 1 c. 15 alles, was von der Natur kommt: „oportet ordinatissimum esse, quia ille naturam dirgit, a quo est omnis ordo". — Ferner sind die Partien über das Naturrecht im III. Buch wichtig: III, 2, c. 24 ff.

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vergessen zu sein. Der Staat erscheint jetzt von vornherein und hauptsächlich Hintergrund befinden. Die abstrakt-naturale Begründung der civitas scheint vergessen zu sein. Der Staat erscheint jetzt von vornherein und hauptsächlich in seiner von Sünde und Erlösung markierten geschichtlichen Situation. Natürlich interessiert gleidi die Frage, ob hier ein Bruch, eine Art Konversion vorliegt, oder ob und, wenn ja, wie beide Äußerungen sich doch vereinen lassen41. Als Anhänger der aristotelischen Seinslehre war Ägidius verwiesen auf die ontologische Bestimmung des temporalen Bereichs. Diese Bestimmung setzt voraus, daß die res singulares auf das in ihnen anwesende Sein und sie selbst als Seiende ansprechbar sind. Der Konvergenz der Transzendentalien zufolge gehören aber Sein und Gut-sein zusammen (ens et bonum convertuntur). Defekt an Sein bedeutet dann ein Nicht-gut. Für die Lehre von den Temporalien besagt das, daß sie als Seiende gut sind; ebenso, daß die Gewalt über sie gut ist". Diese Gewalt trifft aber nicht nur die Temporalien, die Ägidius als die „res exteriores" faßt, sondern zunächst das Ganze der körperlichen menschlichen Natur (corpus, corporalia). Ihr sind wiederum die Temporalien (res exteriores) dienstbar (II, c. 4, 9; Anm. 42). Auch das Körperliche ist seinem esse nach, an sich gut, so daß der Gesamtbereich des „gladius temporalis et corporalis" samt der im Schwert versinnbildlichten Gewalt ihrem Sein nach keinen Mangel aufweisen. Mit der „anima" hat es die weltliche Gewalt nur „modo famulativo" zu tun (II, c. 10). Soweit wäre eine gemeinsame Basis für die Interpretation der politischen Ordnung im Fürstenspiegel und dem Traktat über die kirchliche Gewalt gegeben. Ägidius unterläßt es jedoch, die im Fürstenspiegel so ausgiebig vorgebrachte naturale Begründung des sozialen Verhaltens, des Rechtes und Staates zu wiederholen und auszuwerten. Die innere Legitimität der Gewalt bleibt dadurch auf die rein ontologische Basis beschränkt, die Ausformung des „esse" als „natura" im Sozialverhalten und in der Sozialordnung bleibt ungenannt. Die Verbindung vom Sein und dem Ansich der Temporalien, des Körperlichen und ihrer Schwertgewalt zur faktischen Existenz in der Hand des Menschen, das heißt zum „usus", fehlt. Ob Ägidius bewußt seine Doktrin einer Konfrontierung mit dem Bereich des Naturrechtes entzogen hat und warum das geschah, bleibt ungewiß". Das Fehlen des naturalen Aspektes bedeutet 41

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Benutzt ist die Ausgabe des Traktates De ecclesiastica potestate in dem Neudruck 1961 der Ausgabe von R. Sdiolz, 1929. II, c. 9, S. 83: Bonum est enim ingenium naturale, industria, sciencie, bone sunt artes, facultates sunt bone etc. — S. 85: N a m si loquamur de ipsa potestate secundum se, que bonum quid est, verum est quod ait apostolus, quod non est potestas nisi a Deo. — II, c. 4, S. 48 f zur Dreiteilung: spiritualia, corporalia, temporalia. — S. 49: nam temporalia bona non ordinata ad spiritualia et non deserviencia eis, etsi sunt bona in se, non sunt bona nobis. — Hier kommt sehr klar die kreaturale Güte und die durdi die Erbsünde geschwächte humane Relation heraus. — II, c. 9, S. 89: unus et idem gladius est qui habet iudicium sanguinis et iudicat de corporibus et iudicat etiam de rebus temporalibus sub sua potestate constitutis. Man muß natürlich vermuten, oder zumindest in Erwägung ziehen, daß er eine direkte Konfrontation mit dem Naturrecht scheut, um sich die Argumentation zu erleichtern und sie geradlinig durchziehen zu können.

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jedenfalls einen gewichtigen Mangel. Er wird gerade dort besonders spürbar, wo Ägidius die Prinzipien seiner Lehre aus der faktischen Existenz des Menschen entfaltet. Wenn nämlich dem Sein nach der temporale Bereich gewissermaßen unberührt bleibt, so ändert sich das Bild unversehens, wenn das Temporale in seinem konkreten Hier und Jetzt betrachtet wird. Da Ägidius das ens bonum nicht zum Anlaß nimmt, um daraus den Eigenwert und die Eigenständigkeit des Temporalen zu entfalten, stehen Ordnung an sich und Ordnung in aktualer Funktion unvermittelt nebeneinander, wobei für das Zweite eine neue Gesetzlichkeit einsetzt, die nämlich der erbsündlichen Schwäche und der Heilsgerechtigkeit. Eine Voraussetzung dieser neuen Gesetzlichkeit liegt in der sowohl natürlichen wie übernatürlichen Hinordnung des temporal-korporalen Bereichs auf die anima und das Spirituale. Als Praemisse ist dabei angenommen, daß der weltliche Herrscher, die Saekularordnung es — wie schon angedeutet — nur mit dem Temporal-Korporalen zu tun haben, „tunc sunt bene disposita et ordinata temporalia, quando ordinantur ad sufficientiam vite corporalis et ad indigenciam humanorum corporum. Totum ergo officium potestatis terrene est ista bona exteriora et materialia sie gubernare et regere, ut non impediantur fideles in pace consciencie" (II, c. 6). Die aus früher Zeit schon überlieferte Interpretation der weltlichen Herrschaft als körperlicher Gewalt (vgl. Anm. 50, Teil I) wird zu einem entscheidenden Argument. Daß auch Herrschaft es mit der geistigen Natur des Menschen zu tun hat, erscheint, wie es die Formel „modo famulativo" andeutet, nur sekundär. „Anima", das ist primär Sache der geistlichen Gewalt, auch diese Sicht gehört zu jener Tradition, die in der Gewaltenlehre schon bei Hugo von St. Viktor so entschieden in hierokratischem Sinn verwertet wurde (vgl. S. 136). Temporales wie Korporales haben jedoch, wie später in seinen Folgen noch näher zu betrachten ist, ihren Wesensbezug auf anima und auf das Spirituale. Damit schließt sich der Kreis. Der Wesensbezug der dem Spiritualen untergeordneten Bereiche des Temporalen und Korporalen ergibt sich für Ägidius dabei aus dem Ungenügen des Temporalen, das Glücksstreben des Menschen zu erfüllen (II, c. 4); aus der Dienstfunktion der corporalia auf das corpus, auf die körperliche Natur des Menschen hin. Die körperliche Natur steht aber zur anima im Verhältnis des „propter quod", so daß die teleologische Stufung entsteht: „Nam sicut corpus, secundum quod corpus, est propter animam et ordinatur ad animam" (I, c. 8); das ist die essentielle Zuordnung des Körpers auf die Seele. Ihr geht voraus die Zuordnung des Temporalen auf die körperliche Natur, so daß nur dann eine rechte Ordnung gewahrt ist, wenn diese innere Teleologie gewahrt bleibt: „Tunc est ergo bene disponitur corpus quando bene deservit anime, et tunc sunt bene disposita et ordinata temporalia quando ordinantur ad sufficientiam vite corporalis" (II, c. 6). Der Eigenwert eines Wirklichen bestimmt sich nicht aus einem introvertiert autarken Fürsich, einem „in se", sondern zugleich aus dem Ziel. Die finale Ausrichtung wird aber von der Seele her bestimmt, daher die unmittelbare (corpus) und mittelbare (temporalia) Dienstfunktion der untergeordneten Genera. Diese erfüllen ihren eigentlichen Seinszweck nur, wenn sie dem

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Humanen als einer von der Seele geformten und gelenkten Ganzheit dienen. Es wird daher nicht möglidi sein, aus dem an sich existierenden Seinswert des Temporalen und Korporalen eine innerweltliche Unabhängigkeit und Geschiedenheit von der Wirklichkeit der „anima" und der in ihr sich ereignenden Wirklichkeit des Spiritualen zu erschließen. Der Konnex der Bereiche ist fest und unlösbar, wird er gelöst, so verliert auch das bonum per se Halt und Sinn. „Nam corpus factum est, ut serviat anime, et temporalia, ut deserviant corpori" (II, c. 6). Mit „anima" ist aber zugleich die Hinordnung auf den Bereich der Ubernatur markiert. Die Temporalien sind Hilfsgüter für die spirituale Wirklichkeit: „Bona itaque temporalia sunt organa adminiculancia et deserviencia spiritualibus bonis" (II c. 4)". Freilich diese Relation setzt voraus, daß sich aus der Proportion: corpus-anima die korrespondierende Proportion: temporalia-spiritualia ergibt. Die schwerwiegenden Probleme, die sich aus einer solchen Korrespondenz ergeben, sieht Ägidius freilich nicht. Aus der leib-seelischen Natur erschließt sich ihm die Argumentation, die er zur Fundierung seiner Thesen benötigt45. Diese Fundierung hat als weitere Voraussetzung, wie schon gesagt, die faktische geschichtliche Existenz des Menschen. Indem er jetzt, im Unterschied zum Fürstenspiegel, von der Natur als konstitutivem sozialen Prinzip absieht, zwingt er den Blick in die Perspektive der „geschichtlichen'' Natur. Daß dieses Problem, auch unabhängig von der hierokratischen Lehre, die Sozialethik bewegt, ersieht man aus der scholastischen Naturrechtslehre4". Die Natur, die Ägidius jetzt voraussetzt, ist das menschliche Wesen unter den Bedingungen der Sünde. Anders gewendet, das was im Fürstenspiegel als Natur erscheint, wird von vornherein nicht mehr in der Gewichtigkeit der aristotelischen Ordnungslehre ins Spiel gebracht, beherrschend wird jetzt die Schwäche und Hilfsbedürftigkeit der menschlichen Existenz und ihre geoffenbarte Deutung. Mit ihnen hat die Diskussion über die sozialen Bindungen des Menschen entscheidend zu rechnen, sie darf nicht in der Umgebung der abstrakten Natur ihre Praemissen enden lassen. 44

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Der Weg, die Unterordnung des Temporalen darzulegen, wird gedanklich nicht sauber geführt. Es kann sich bei anima um die naturale Geistigkeit und die naturale Lebensmitte handeln, wie audi um die „anima" als Ort des Heilsgeschehens im Menschen, also den übernatürlichen Bezug des Menschen, der in der „anima" seinen entscheidenden Ansatz gewinnt. In der Relation corpus-anima im naturalen und supernaturalen Sinn kann es sich nur um einen Analogieschluß handeln. Vgl. unten Anm. 172 zur Glosse zu „Unam sanctam", Finke, Aus den Tagen Bonifaz VIII, S. CIII mit dem Unterschied der spiritualia als naturalia und supernaturalia. — Die undifferenzierte Verwendung der anima und der wesensmäßigen Zuordnung des corporale auf das spirituale legt den Gedanken nahe, daß in ihm eine wesensmäßige Zuordnung vorhanden ist, also die rein naturale Finalität als autarke Finalität zur Beschreibung der temporal-corporalen Finalität nicht ausreicht. Vgl. I, c. 8 S. 29 (in Fortsetzung zu Zitat S. 345 oben): sie omnia terrena et temporalia, secundum quod huiusmodi sunt, ordinantur ad spiritualia, et de iure debent eis esse subiecta: quo debito . . . numquam possunt absolvi. Thomas Sth. 2, II, 57, 2, ad. 1 zum unveränderlichen Naturrecht und zur Existenz dieses Naturrechtes innerhalb der geschichtlich veränderten Natur. — Ferner W. Ockham, vgl. hierzu Verf., Das Naturrecht bei W. Ockham, S. 61 ff.

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Der erbsündige Mensch steht in der Macht des Satans (II c. 10), er ist Sklave der Finsternis (II c. 11). Die Gerechtheit des Urstandes (iustitia originalis) hat er verloren, und mit ihr die freie Herrschaft über die ihm unterworfene Kreatur (II c. 8). Wir sind geboren: „natura filii ire et nascimur indigni hereditarii" (Eph. 2, 3; I I c. 8). Die Ursünde setzt sich in der Sünde der geschichtlichen Zeit fort, so daß wir doppelt unwürdig sowohl der „hereditate spirituali et eterna" werden und daher auch nicht „possumus esse digni hereditate temporali et eterna" (II c. 8). In diese zeitliche Erbschaft ist aber eingeschlossen das von Gott dem Menschen übergebene dominium und die possessio rerum. Der geschichtliche, sündige Mensch kann nicht aus sich heraus seine Verfügung über die Menschen und die Welt „würdig" ausüben. Nur wenn er Gott unterworfen ist, wenn die im Urständ zuerst und später zuständlich und aktual unterbrochene Verbindung zu Gott wiederhergestellt ist, wird der Mensch des dominium und der possessio würdig: „consequens est, quod peccatum tam originale quam actuale omnium rerum tuarum possessorem te facit indignum" (II, 8). Solange diese Unwürde nur eine innere Schwäche des sündigen Menschen gegenüber Gott meint, solange könnte die Gewaltenlehre darüber hinweggehen, denn es ergeben sich noch keine rechtlichen Folgen. Sogar Ockham der heftige Kritiker der Ekklesiarchen wird zu dieser Art Unwert ein J a sagen47. Aber es bleibt nicht dabei, den Menschen nur als unwert gegenüber Gott zu bezeichnen. Der entscheidende weitere Schritt geschieht, indem sich mit dem Atrribut „dignus" das andere: „iustus" verbindet, genauer, schon zuvor eingestellt hat (II, c. 7). Die Tradition, auf die sich Ägidius beruft, hat ihren Zeugen in Augustinus. Es ist sein Begriff der „vera iusticia". So in D c D II, c. 21, 4, wo es heißt, daß die wahre Gerechtigkeit nur in dem Gemeinwesen herrsche, dessen Gründer Christus sei (II, c. 7). Im heidnischen römischen Reich fehlte diese wahre Gerechtigkeit, da man die wahre Religion verfälschte. „Nec vera iusticia in eorum republica esse poterat, ubi non colebatur verus Deus" (II, 7). Daher kann nach dem Leiden Christi „nulla respublica potest esse vera, ubi non coleretur saneta mater ecclesia, et ubi non est conditor et rector Christus" (II, c. 7). In dieser Sicht und Diktion erhält dann auch die „iustitia" im berühmten Zitat von den ungerechten Reichen den Zusatz „vera" und lautet nun: „sine vera iusticia regna et imperia, ut per eundem Augustinum tetigimus, regna sunt magna latrocinia" ( I I I , c. 3). Dabei ist der Zusatz „vera" noch dadurch interessant, daß das mit dem Hinweis „tetigimus" gemeinte erste Zitat der Stelle (DcD IV, c. 4) den Text ohne den Zusatz bringt, also nur von iusticia spricht („regna sine iusticia sunt magna latrocinia"). Gerechtigkeit im natural-positivreditlichen Sinn von D c D I V c. 4 und „wahre" Gerechtigkeit werden ohne Ubergang gleichgesetzt. Man darf deshalb keine bewußte Umdeutung des Kirchenlehrers durch Ägidius unterstellen, vielmehr ist eine bestimmte Sehweise am Werk. Positivrechtliche Gerechtigkeit und „wahre" Gerechtigkeit werden nicht für sich in getrennten Ebenen gesehen, sondern perspektivisch in einem sich auf einen Punkt verkürzenden finalen 47

Dialogus III, 2, 1, c. 27/28. Vgl. Verf. W. Ockham u. seine kirchenpolit. Schriften S. 105.

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Durchblick. Dabei ergibt sich von selbst, daß alle temporale Gerechtigkeit in der „wahren" Gerechtigkeit ihren Zielpunkt hat. In dieser Perspektivik wird temporale Gerechtigkeit zur „wahren" Gerechtigkeit. Es sei jetzt nicht darüber gehandelt, inwieweit Ägidius dem Augustinus Gewalt antut, inwieweit dieses perspektivische Ineinandergreifen der Vorstellungen überhaupt tragbar ist. Für Ägidius beherrscht der Blick auf die erbsündliche Existenz des Menschen und, wie noch darzustellen sein wird, auf die Heilsbedürftigkeit so sehr das Verständnis der beiden Gewalten, daß er ohne Bedenken und Zögern, Rechtlichkeit, sofern sie als konstituierendes Prinzip erscheint, im Durchblick auf das Spirituale sieht. Freilich ist hier schon darauf hinzuweisen, daß er von „iusticia" spricht, an keiner Stelle wird das ius scriptum oder das ius naturale (gentium) selbst einbezogen. Der Bereich des weltlichen Rechts bleibt unberührt. „Justus" im Sinn der Argumentation des Ägidius gehört damit zur „iustitia" und ihrem Sinnfeld. Dieses Sinnfeld ist zunächst von der augustinischen Tradition selbst bestimmt, der Bernheim seine Untersuchung gewidmet hat48. Er sieht in der „pax", im Zustand des inneren und äußeren Gleichgewichtes des Geschaffenen den Zentralbegriff aus dem sich die andern Konzeptionen unter ihnen die „iustitia" ergeben, während Arquillière in der „iustitia" die Basis für die „pax" annimmt49. Dabei stelle „Gerechtigkeit" das Zeichen der Erlösung dar, die Ausbreitung der Gnade, Quell der übernatürlichen Tugenden, Ursache des Heils. Kurz die „iustitia" des NT, die Augustin als erster auf das Ordnungsverständnis der Staatenwelt anwende50. Damit ist jener Kernsatz der DcD X I X c. 21: „Quocirca ubi non est vera iustitia, iuris consensu sociatus coëtus hominum non potest esse et ideo nec populus" im Sinne der Heilsgerechtigkeit zu verstehen. Da jedoch Augustin selbst die naturrechtliche Ordnung anerkennt (DcD X I X 12—16), muß ergänzend zu Arquillière angefügt werden, daß auch in der „vera iustitia" die naturrechtliche samt der mit ihr übereinstimmenden positivrechtlichen Ordnung enthalten sein muß. Andernfalls würde die „wahre" Gerechtigkeit keine Basis in der kreaturalen Ordnung besitzen. Im übrigen drückt ja schon die Wendung „vera iustitia" aus, daß es sich hier nicht um ein Absprechen des Gerechtigkeitscharakters den andern „Gerechtigkeiten" gegenüber handelt, sondern um eine Legitimierung des Rechten auf der neuen Ebene des Heils und des „Wahren". Diese Legitimierung setzt voraus die Inhalte dieser neuen Gerechtigkeit, deren Sinn es auch nach Augustinus nicht ist, die naturale Gerechtigkeit aufzuheben. Von hier aus ist es möglich, den späten Nachfahren des großen Afrikaners selbst zu deuten. Zunächst negativ umgrenzt ist „iustitia" nicht mit Sünde vereinbar. Wer 48

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E. Bernheim, Politische Begriffe des Mittelalters im Lichte der Anschauungen Augustins, S. l f f . H . X . Arquillière, L'Augustinisme politique S. 71: „La justice! Voilà bien l'idée centrale, l'âme de tous les développements, souvent disparates, qui remplissent les vingt-deux livres du DcD. Elle vient de la foi, elle est la signe de la rédemption, génératrice de toute les vertus surnaturelles, la cause du salut." Arquillière a . a . O . S. 9 f f ; bes. S. 13: Selon nous, à l'inverse de Bernheim (für den „pax" die Basis der politischen Theorie sei) „il est plus central, plus fondamental (le concept de justice). D'un mot, il en est la base". Später: „la justice est donc la condition de la paix".

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in der Sünde geboren ist oder durch die aktuale Sünde wieder in die Sünde gerät, ist unwürdig einer verfügenden Gewalt (possessio, dominium) (II, c. 8). „Natus autem filius ire vel factus (durch das peccatum actuale) filius ire, quia est aversus a Deo et non est sub domino suo, iusticia exigit, ut nihil est sub dominio suo; non erit ergo iustus dominus alicuius rei" (III, c. 11). Eine doppelte Unwürde also, ein zweifacher Verlust der uns von Gott überlassenen Rechtstitel. Wer Gott nicht unterworfen ist, verliert gerechterweise sein Gut oder besitzt es zu Unrecht: „qui ergo non est subiectus Deo, iuste perdit et iniuste possidet omne illud quod habet a Deo" (II, c. 8). Und er fährt fort: „Sive enim sint reges, per Deum regnant et a Deo habent, quod imperant iuxta illud Sapiencie VIII (Prov. 8, 15, 16): Per me reges regnant, et per me principes imperant; sive sint possessores alii totum a Deo habent". Daher sollen Inhaber eines dominium oder einer possessio sich nicht auf ihr „iuste" Regieren und Besitzen berufen. Entscheidend bleibt für die „iusticia" die Unterwerfung unter Gott. Das gilt auch für die Ungläubigen. Sie sind unwürdige und ungerechte Inhaber ihrer Titel, sie haben ihre potestas nicht „cum iusticia, sed usurpando et cum iniusticia" (II, c. 11). Der Zusatz der bei den Gläubigen erschien: „iuste perdit", fehlt in diesem Zusammenhang allerdings. Positiv beschrieben ergibt sich das „cum iusticia" aus der Gottessohnschaft, der gracia und Caritas, der regeneratio spiritualis51. Als „filii Dei" sind wir der Erbschaft Gottes wert, der ewigen wie der zeitlichen, die uns durch die fleischliche Abkunft zukommt. Was den Kern dieser „wahren" Gerechtigkeit ausmacht, ist darnach schon umrissen, es wird in den weiteren Darlegungen noch deutlicher werden. Es ist die im Heilsstand sich ereignende Verbindung zu Gott, die den Menschen gerecht macht. Von dieser Heilsgerechtigkeit her ist die im Temporalen sich auswirkende wahre Gerechtigkeit zu verstehen. Sie ist nicht einfach der Gnadenstand selbst, sondern die aus dem Gnadenstand folgende neue Rechtlichkeit der menschlichen Position und ihrer sozialen Relationen. Von der Heilswirklichkeit her werden die menschlichen Ordnungsbereiche geformt und ins „Recht" gesetzt, werden sie „gerecht". Diese „iustitia" ist nie identisch mit dem ius scriptum, dem ius naturale, sie ist wesentlich transzendierende Realität. Das ergibt sich aus allen Stellen, an denen beschrieben wird, daß die mangelnde Verbindung zu Gott ja die Ungerechtigkeit, den Unwert ausmacht. Der Sohn eines Ritters, der eine Burg erbt, erbt sie in der Filiation zum Vater: „Si consideratur in se, non peccat nec punitur (bei Vergehen des Vaters) quia, si non succederet in hereditatem castri, nulla punicio est huic filio secundum se, quia ei secundum se considerato non debetur hereditas castri. Sed si consideratur, ut est filius patris, 51

De eccl. pot. II c. 7: „Vides ergo, quod ad iustam et dignam possessionem rerum plus facit regeneracio per ecclesiam, que est spiritualis, quam generacio paterna que fuit carnalis". II, c. 8 (S. 79): „Cläre itaque vides, quod reges regnorum, principes principatuum et alii fideles possessionum suarum sunt magis digni possessores per suam matrem ecclesiam, per quam sunt spiritualiter regenerati, quam per suos patres et per hereditatem paternam, a quibus patribus carnalibus et per quos nascuntur in peccato originali, nascuntur non subiecti Deo, sed pocius aversi ab eo."

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debetur sibi hereditas castri. Si ergo non debetur ei huiusmodi hereditas, nisi quia est filius patris, sufficit, quod peccaverit pater vel sufficit, quod ipse peccaverit in patre ad hoc, quod perdat hereditatem castri" (II, c. 8). Die Erbsünde oder die aktuale Sünde, die hier geschildert sind, zerreißen die Filiation zu Gott, umgekehrt bedeutet die Gotteskindschaft den Besitz der ewigen und zeitlichen Erbschaft: „Omnes itaque habentes graciam et caritatem sunt filii Dei et sunt heredes hereditatis eterne et sunt digni hereditate eterna, et nisi simus digni hereditate spirituali et eterna, non possumus esse digni hereditate temporali et paterna" (II, c. 8). Während die ausschließlich von Aristoteles her operierende, rein naturrechtliche Sicht, die auch im Fürstenspiegel vorwaltet, mit ihrer ontologisdien Wesensbeschreibung und der in ihr geborgenen Eigenständigkeit der Natur und der Welt auskommt, stellt Ägidius jetzt diese Wesenswirklichkeit, in ihrer geschichtlichen geoffenbarten Existenz der Sünde, der Heilswirklichkeit gegenüber. Er bestreitet nicht die weltimmanente Richtigkeit der temporalen Verfügung (das wird sich noch erweisen), etwa die Erbfolge, im Stile einer christozentrischen-papalistischen Expropriation. Aus keinem Wort klingt die Meinung, daß die auf legitime Verfügung gründende Ordnung an sich schlecht sei. Die „iniustitia" beginnt nicht in der von Gott stammenden Ordnung selbst, sondern in der Beziehung des menschlichen Handelns zu Gott. Durch die Sünde der „gerechten" Verfügung beraubt sein, heißt, daß die in der Trennung von Gott geleistete potestas keine Ordnung innerhalb der Verbindung dieser Ordnung zu Gott herstellen kann, es heißt nicht, daß nicht innerweltliche Ordnung hergestellt wird. Die „wahre" Gerechtigkeit bezieht sich auf die transzendentale Relation der innerweltlichen Rechtlichkeit des menschlichen Handelns. Diese Relation stellt aber einen Rechtsbezug dar, der positivrechtlich nicht erfaßbar ist, da er ja selbst in einer andern Ebene beheimatet ist. Gerecht und Gerechtigkeit im Sinne der „vera iustitia" haben ihren Ursprung in der Heilsgerechtigkeit und stellen die Auswirkung der Heilswirklichkeit im transzendentalen, inneren Rechtsstand des Menschen dar. Damit ist die Illegitimitätstheorie, die wir in ihrem Entstehen seit der Kanonistik des ersten Drittels des Jahrhunderts von Laurentius Hispanus an mit dem Satz „extra ecclesiam nullum credo imperatorem" (S. 226) über Innozenz IV. (?) (Eger cui levia; S. 257 ff), den Hostiensis (S. 259), die Determinatio (S. 280 f) verfolgen konnten, nun zu einer von Ägidius systematisch ausgebauten Lehre vom (heils)gerechten dominium entfaltet. Wir stehen mitten in der e k k l e s i a r c h - s o l i u s t i s t i s c h e n Doktrin. Wenn aber derart die Heilsgerechtigkeit im Verständnis und im Verhältnis der Gewalten als regimen christianum relevant wird, dann erhebt sich die Frage nach dem näheren rechtlichen Verhältnis zur natural-positivrechtlichen Gerechtigkeit, die ja in sich noch nicht berührt wurde. Ägidius antwortet in zwei Thesen. Einmal berührt er die angeschnittene Frage in II, c. 7. Hier heißt es, daß die fleischliche Abkunft nur einen anfänglichen — vielleicht kann man auch übersetzen: saekular gründenden — Rechtstitel schafft. Erst die Heilsgerechtigkeit macht diesen Titel vollkommen und vollständig. „Et quia, ut tangebamus, subcedendi in hereditatem paternam, quia a patre est quis

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generatus, est iusticia iniciata; sed subcedendi in talem hereditatem, quia est quid per ecclesiam regeneratus, est iusticia perfecta et consummata; et in tantum ista iudicia, quam dicimus esse perfectam consummativam est fecundior et universalior, quam illa, quod si ista desit, illa tollatur" (II, c. 7). Die Steigerung der iustitia von der saekular gründenden (initiierenden) zur vollkommenen erinnert an die Auffassung der menschlichen Natur selbst. Wie er nicht von der natura naturans als unabdingbarem und in sich geschlossenem Konstitutiv des sozialen Gefüges allein aus operiert, sondern grundsätzlich die geschwächte Natur und erlöste Existenz, die in der Gnade zur Heilsfähigkeit vervollkommnet wird, einsetzt, so haben wir hier die Finalintention und Finalperfektion des „imperfecte ad perfectum". In der Ökonomie der Funktionen, Werte und Zwecke erhöht sich die Seinshilfe des „Jedem das Seine" vom schlichten ökonomischen Zueinander bis zur Erfüllung in der Gerechtigkeit des Heils. Diese letzte wird so zum Grundverhältnis des „Gerechten" überhaupt, an dem sich die vorangehenden Verhältnisse orientieren sollten. Ist die wahre Gerechtigkeit abwesend, dann werden die vorausgehenden „Gerechtigkeiten" letztlich unwirksam, da sie zwar Teilverhältnisse ordnen, das Ganze aber ungeordnet bleibt (vgl. oben: fecundior et universalior). Die Heilsgerechtigkeit wird in diesem Sinn zur Gerechtigkeit, neben der die positivrechtlichen Regeln Teilfunktionen für ihr eng umgrenztes Gebiet besitzen. Deshalb trifft es zu, daß die politische Ordnung auch von der Heilsgerechtigkeit abhängig gemacht wird, sofern sie in der Heilswirklichkeit etwas gelten soll. Wahrer Staat nidit ohne wahre Gerechtigkeit, wahre Gerechtigkeit nidit ohne die Bindung an Christus. In diesem Sinn hat Ägidius den Lehrer seines Ordens sicher nicht mißverstanden. Die zweite These, mit der unser Autor die Position der positiven Rechtstitel umschreibt, ist die Unterscheidung von potestas und potestatis usus. Wenn dominium und possessio von Gott kommende Güter darstellen (II, c. 9 auf Rom. 13, 1), dann kann doch nicht durch die Sünde diese innere, unmittelbar in der Dependenz von Gott gegebene Wertigkeit verloren gehen. Potestas ist, wie wir schon einleitend feststellten, ihrem Sein nach ein bonum (S. 294 f), sie ist „de genere bonorum", „a Deo data" (II, c. 9). Ihr Gebrauch kann gut und schlecht sein, wie das Beispiel des Pilatus zeigt, der seine Macht aus Furcht vor den Juden mißbraucht (II, c. 9). Gerechtigkeit, so kann man weiterschließen, entscheidet sich daher im Handeln und der es begründenden Existenz des Menschen. So kommt es zu einer weiteren Distinktion, der nämlich von „potestas iussa" und „potestas permissa", sie ist in dei Form: concessa-permissa schon von „Eger cui levia" und der Determinatio her bekannt (S. 258, 279). Die Verschärfung, die in der potestas iussa gegenüber der potestas concessa ausgesprochen ist, geht auf das Konto der sich verschärfenden soliustistischen Doktrin angesichts der Illegitimitätstheorie. Der Gerechte (bonus) handelt in Gottes Auftrag („in quantum Deus iubet" nach Augustinus, PL 42, 876), der Sünder ist geduldet: „Potestas igitur a Deo data numquam est ex omni parte iniusta, sed vel est ex omni parte iusta quantum ad bonos, quibus Deus potestatem iuste dat, et ipsi secundum eam iuste agunt; vel est quantum ad malos iusta ex parte dantis, in quantum Deus

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hoc iuste permittit, et iniusta ex parte recipientis, in quantum mali secundum eam iniuste faciunt" (II, c. 9). Die allein „gerechte" Verfügung des in der Gnade Stehenden hebt sich unversöhnlich ab, vom „ungerechten" Gebrauch von der dem „sündhaften" Tun freigestellten Möglichkeit zum Handeln. Die temporale Gewalt erfüllt ihren Sinn erst ganz, wenn sie „ad divinum obsequium et ad opera pietatis" (II, c. 9) gebraucht wird. Daher wird gut gebrauchte größere Macht auch besonders belohnt: „quanto potencior es et bene uteris potestate tibi tradita, tanto magis mereris... quanto potenciores sunt, potenciora tormenta pacientur" (II, c. 9). So ist das Kriterium einer (heils)gerechten Herrschaft geteilt in die initiierend saekulare Gründung und die perfizierende Einfügung in die Heilswirklichkeit. Letztlich, im Sinne des Ordnungsganzen, entscheidend ist nicht der innerweltliche Eintritt in die menschliche Gesellschaft, die saekulare hereditas carnalis, sondern die geordnete Existentialität, wie sie sich im Heilstand formt. „Natur" als geschichtliche Existenz gerät in die Erbschaft und die Aktualität des peccatum. Die leibliche Geburt bedeutet Eingang in die Verworfenheit, der menschliche Ordnungsbereich in Händen des Menschen ist gestört und defekt. Wie er schon in seinem Sentenzenkommentar betont, reicht die Natur selbst nicht aus, die von der Natur vorgesehenen Werke ordnungsgemäß zu vollbringen: „Nam cum nostra natura sit lapsa et habeat se ad naturam institutam sicut infirmus ad sanum, indigemus gratia, ut possimus facere opera nature et consequi finem naturalem". Die Natur, verwundet durch die Sünde, gestaltet zwar einige natural-final gute Werke dennoch: „non possumus omnia nec ea facere sufficienter". (In Sent. II d. 28 a. 1 q. 4). In der geschichtlichen Existenz ist selbst zur Erfüllung der Naturordnung die Gnade erforderlich. Einen natürlich guten Gebrauch der Macht gibt es daher nur partiell. Die ontologisch gute Wertigkeit des Verfügungsrechtes über Menschen und Dinge reicht nicht aus, um auch den handelnden Menschen im funktionalen Akt und zuvor im Besitz „gerecht" zu machen. Er bleibt unwürdig, daran ändert auch der Satz des Apostels Rom. 13, 1: „potestas nisi a Deo" nichts. Alles, was die Beziehung der Menschen zueinander betrifft, steht unter dem zweifachen Gesetz von Sünde und Erlösung, bildet keine in sich autarke Funktionsebene, die in unmittelbarer Herleitung von Gott im Sinne des debitum naturae auch geschichtlich als Natur an sich, als Anlage, Fähigkeit und Funktion an sich existiert und die neben sich — sei es unter- oder übergeordnet — eben die geschwächte und erlöste Existenz hat. Die menschliche Ordnung ist nicht in für sich agierende Ordnungen getrennt, wobei es genügt, wenn in der einen innerweltlich richtig gehandelt wird und wenn nur in „spiritualen" Dingen nach der spiritualen Richtigkeit gefragt wird. Vielmehr gehören im neuen Aeon weltliche und geistliche Ordnung zueinander, die erste wird überlagert von der zweiten, die jene führt und lenkt und, im Sinne des Gesetzes der Erlösung, überhaupt erst in den rechten Stand setzt, daß der Mensch „iuste" handeln kann. Daher heißt durch die Sünde der potestas, der Gewalt beraubt werden: der transzendentalen Bindung an Gott zufolge die ordnende Basis meiner Titel verlieren, nicht aber, der Gerech-

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tigkeit der Natur nach nichts besitzen. Um die letzte Folgerung zu ziehen, müssten zuerst die natural-positivrechtlichen Titel beseitigt werden. Deshalb schafft umgekehrt der Heilsstand keine bestimmte positivrechtliche potestas. Denn wäre das der Fall, dann würde jeder Eintritt in diesen Stand zugleich bestimmte temporale Rechte mit sich bringen. Das wäre absurd, und wird von Ägidius auch nicht behauptet. Denn damit wäre die weltliche Ordnung wirklich außer Kraft gesetzt und alle Beteuerungen, er wolle den Gläubigen ihr dominium und ihre possessio nicht nehmen (II, c. 7), er wolle die königliche Herrschaft nicht stören (III, c. 2), wären leeres Gerede. Sinn der soliustistischen Doktrin ist es offenbar nicht, mit Hilfe von „iniusticia" und „vera iustitia" die positivrechtliche Ordnung zu ersetzen52, sondern die Geltung einer höheren Rechtseinheit zu behaupten, deren Fundament die Heilsordnung darstellt.

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De eccl. pot. II c. 7 (S. 74): Propter quod (daß er nämlich durch die Sünde würdig ist, quod privetur omni dominio suo, wenn er nicht per ecclesiam regeneratus) non privatur dominio suo, sed iuste debetur sibi dominium hereditatis sue. Dieser Satz deutet, trotz der folgenden radikalen Formulierungen wie: „magis itaque erit ecclesia domina possessionis tue quam tu ipse", daraufhin, daß Aegidius keineswegs an die Übernahme eines direkten temporalen- und damit positivrechtlichen Besitzrechtes oder temporalen Eigentums denkt. Das wird durch den Schlußabsatz des Kapitels bestätigt, in dem es heißt, daß: licet dicamus ecclesiam omnium possessionum et omnium temporalium esse matrem et dominam, non tarnen propter hoc privamus fideles dominiis suis et possessionibus suis, quia, ut infra patebit, et ecclesia habet huiusmodi dominium et eciam fideles huiusmodi dominium habent; sed ecclesia habet tale dominium universale et superius, fideles vero particulare et inferius". — Das dominium particulare ist aber das formal temporale Eigentums- und Besitzredit. Das dominium universale et superius ist ein formal spirituales höheres Recht.

II. Der erlöste Mensch und die geistlich-weltliche Gewalt der Kirche Die Hinordnung der Temporalien auf das Spirituale. — Das Bild des Ägidius von der Kirdie als Ordnungsganzheit und die Position und Funktion der beiden Gewalten.

Die „wahre" Gerechtigkeit, das ergab sich aus der bisherigen Überlegung, ist gebunden an die Wiederherstellung der gestörten Verbindung zu Gott. Im Anschluß an die Schrift wird diese Wiederherstellung gesehen im Bild der zweiten Geburt, der regeneratio. Sie ist nicht fleischlich sondern ereignet sich im Geiste, spiritualiter: „spiritualiter regenerati" (II, c. 8). Macht die generacio durch den fleischlichen Vater unwürdig, so wird man durch die regeneracio wieder würdig der Erbschaft (II, c. 8). Die Wiedergeburt erschließt den Eingang zum „regnum Dei" (Joh. 3, 5; II, c. 7), sie stellt die Königsherrschaft Christi her: „nec potest subcedere iuste in dominium hereditatis paterne, nisi sit per ecclesiam regeneratus; per quam regeneracionem collocatur sub Christo domino suo" (II, c. 7), der Mensch wird der „potestas dyaboli" entrissen (II, c. 11). Als Kind Gottes tritt er in die Rechtstitel der Gotteskindsdiaft, ihrer „hereditas spiritualis et eterna" ein und damit nimmt er auch die „hereditas temporalis et paterna" in jene Rechtlichkeit, die aus der Gotteskindsdiaft herrührt (II, c. 8). Als „dignus dominator et dignus princeps et possessor rerum" (II, c. 8) kann er die innere Intention verwirklichen, die der Welt im regnum Christi zukommt, die Zuordnung auf die Spiritualien. Er sucht sie in vier Relationen: a) „oportet quidem ipsa temporalia ut huiusmodi sunt ad spiritualia ordinari"; b) nostra corporalia membra moventur secundum nutum et voluntatem anime; c) potestas regia que est potestas humana et terrena et super corporalia, subsit et sit ordinata in obsequium potestatis sacerdotalis; d) aus der Zehntpflicht der Temporalien. So bildet sich eine aufsteigende Hin- und eine absteigende Uberordnung: „Potestas ergo sacerdotalis tamquam perfeccior ordinata est, ut dominetur potestati r e g i e . . . Ipsa autem potestas regia tamquam habens materialem gladium ordinata est, ut dominetur corporibus; ipsa autem temporalia sunt in obsequium corporum constituta: quare si temporalia ordinata sunt in obsequium corporum, corpora autem subsunt regie potestati, regia autem potestas sub sacerdotali, ipsa sacerdotalis potestas est omnibus superior, ut omnibus dominetur" (II, c. 4). Die Gründe für die Hinordnung liegen a) in der Vergänglichkeit der Temporalien, b) der dienenden Lebenseinheit mit der Seele, c) der Finalintentention des Unvollkommeneren (potestas regia) auf das Vollkommenere (potestas sacerdotalis). Dieses Bezugsystem muß gewahrt bleiben um der rechten Ordnung willen, denn es gibt keinen rechten Gebrauch der Temporalien, wenn dieser nicht auf die Spiritualien ordiniert ist (II, c. 10). Diese Ordination fällt zusammen mit dem, was die „iustitia" bezeichnet, denn: „Est enim iustitia res spiritualis, quia est rectitudo quedam sola mente perceptibilis" (II, c. 10).

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Die Ordination auf die Spiritualien gewährleistet die spirituale Gesundheit, die innere Rechtheit der temporalen Ordnung. Der Arzt, der über diese Gesundheit wacht, der „spiritualis medicus", ist der Priester, vor allem der Papst (II, c. 10). Der „medicus spiritualis" entscheidet darüber, was gerecht im Sinne der „iusticia spiritualis" ist, er hat demnach das letzte Urteil darüber, ob die Ordnung als Ganzes erfüllt ist. Daher sind die kaiserlichen und übrigen weltlichen Gesetze auf die kirchlichen Vorschriften hin zu regeln „ut inde sumant robur et firmitatem"55. Ägidius streitet demnach der weltlichen Macht nicht die Fähigkeit der Gesetzgebung ab. Was er verlangt, und darin folgt er einer kanonistischen Tradition 54 , ist die Ubereinstimmung der weltlichen mit der kirchlichen Jurisdiktion. Das geht aus der Erläuterung hervor, die er seiner Forderung anfügt: „vel omnes tales leges a potestate terrena edite, ut robur et firmitatem habeant, non debent contradicere ecclesiasticis legibus, sed pocius sunt per potestatem spiritualem et ecclesiasticam confirmande" (II, c. 10). Die Hinordnung auf das Spirituale geschieht in den Zeichen und von Christus gestifteten Trägern des Heils, den Sakramenten. Die Verbindung zu Gott, die neue Ordnung realisiert sich sakramental. Ägidius steht hier in demselben Ausgang seiner Betrachtung wie moderne Interpretationen, ich denke an Bauhofer (Heimholung der Welt), der so scharf die ekklesiarchen Thesen als „Klerikalismus" als „klerikale Bürgerlichkeit angreift". Bauhofer: „alle Kultur also, die nicht letzten Endes einfacher bürgerlicher Komfort ist und sein will, hat daher eine innere Hinordnung auf das Sakramentale" (S. 150). Auch er will eine innere Durchdringung der Weltsphäre mit den Kräften der Übernatur (S. 167), im Gegensatz zu der nur äußeren direkten Herrschaft 55

De eccl. pot. I I c. 10 (S. 9 2 ) : „Sensu enim possumus iudicare, quid factum vel quid non factum, sed per intellectum ¡udicabimus, quid iustum vel quid non iustum." — Die „potestas regalis vel imperalis" kann als körperliche Gewalt (als medicus corporalis) nicht über das „iustum" urteilen, denn: „Est enim iusticia res spiritualis, quia est rectitudo quedam sola mente perceptibilis". — H i e r wird natural-rationale Spiritualität und supernaturale Spiritualität zusammengenommen aus der Bezogenheit der iustitia auf die Ganzheit der rechten Ordnung. Diese Ganzheit ist aber Sache des „medicus spiritualis" a. a. O . S. 9 1 : „Spectabit itaque ad medicum spiritualem (cuiusmodi est potestas sacerdotalis a. a. O.) curam habere, quod iusticia observetur, quod unicuique quod suum tribuatur, quia non potest aliter spiritualis sanitas conservari". — Iustitia, spiritualis sind hier immer in der von der Heilsordnung her bestimmten Rechtheit und Geistigkeit zu sehen, also geistlich-geistig.

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Zu dem Grundsatz: „leges romanae, saltem quas approbat ecclesia" vgl.: Huguccio: „Item saltem ratione pontificis subsunt romano imperio; omnes enim christiani subsunt apostolico et ideo omnes tenentur vivere secundum leges romanas, saltem quas approbat ecclesia" vgl. Modii-Onory, Fonti canonistiche S. 175. — Dieser Satz ist besonders aufschlußreidi, da H . die temporale Eigenständigkeit des Kaisers vertritt, vgl. Huguccio zu D . 96 c. 6 Cum ad verum, Calasso, S. 67. — Ferner Summa Reginensis: Stickler, Vergessene Bologneser Dekretisten, Salesianum 14, S. 4 9 1 : Universalgeltung der leges romanae „quia ab ecclesia confirmate".

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O . Bauhofer, Die Heimholung der Welt, S. 166 ff hebt eine sakramentale Lebensordnung ab vom „Klerikalismus". Dieser sei Gegenordnung, er besitze dieselbe Wurzel wie Bürgerlichkeit (Bürgerlichkeit = Säkularismus). Klerikalismus gehöre also zur heimlichen Gegenordnung, die im R a u m der Bürgerlichkeit zur vollen geschichtlichen Entfaltung gelange.

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Kölmel

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über die Welt, die der Klerikalismus vertrete (S. 167). Zielrichtung der sakramentalen Begründung im Verhältnis zur Welt sei nicht die äußere Unter- und Uberordnung, sondern die sakramentale Erneuerung. Aber er kann auch nidit umhin, von „Dienst und Hörigkeit" der Natur (S. 29) zu sprechen und die Forderung zu erheben, daß die Natur gegenüber der Ubernatur hörig wird (S. 31). Wenn man von Verchristlichung der Welt spricht, was freilich jetzt von einer theologischen Richtung als Aufgabe des Christentums verneint wird (vgl. S. 614 f), scheint man also um das Problem der Unter- und Uberordnung nicht herum zu kommen. Wie verschieden auch die Folgerungen des modernen Autors von denen des extremen Kurialisten sind, Ägidius scheint an einem zentralen Punkt einer überzeitlichen Problematik zu stehen." Für Bauhofer ist die Synthese von Natur und Ubernatur ein jeweils dynamischer Akt, durch den die „bloße Natur" immer wieder überwunden wird (S. 34). Das Gleiche gilt im Grunde auch für die Position des Ägidius, denn die Taufe nimmt zwar die Folgen der Erbsünde so hinweg, daß sie den Verlust der Gotteskindschaft wieder beseitigt, aber die aktuale Sünde läßt immer wieder das Band zwischen Gott und dem Menschen entweder zerreißen oder gefährdet die Verbindung. Hier tritt das Bußsakrament ein, das „remedium contra peccatum actuale" (II, c. 8). Die sakramentale Ordnung ist universal heilsnotwendig im Unterschied zur partikularen des AT, der lex scripta (II, c. 7), so daß die Folgerungen, die sich aus ihr für das Verhältnis der Gewalten ergeben, entsprechend allgemeingültig sind. „Unde habet ecclesia, quod sie sit catholica et plena et universalis domina? Dicemus, quod hoc habet a sacramentis, que sunt plena et universalia; plena quidem, quia sunt vasa plena gracie; universalia vero, quia sine eis nullus potest salutem consequi" (II, c. 11). Das Wesen der sakramentalen Einfügung in die Gotteskindschaft durch die Taufe wird gesehen im Bild der Wiedergeburt. Sie ist, wie schon angeführt, spirituale Wiedergeburt. Ihre Wirkung wiederholt auf übernatürlicher Ebene gewissermaßen das, was in der fleischlichen Geburt geschieht: die Einweisung in die Erbschaft, die sich nun in der Endzeit erfüllt (hereditas eterna; II, c. 8). Aber mit dem Eintritt in diese übernatürliche Rechtsfolge werden wir auch der temporalen Rechtstitel würdig und werden wir gerechte Besitzer. So stammt unsere Rechtlichkeit letztlich von der Kirche. „Vides ergo, quod ad iustam et dignam possessionem rerum plus facit regeneratio per ecclesiam que est spiritualis, quam generacio paterna que fuit carnalis" (II, c. 7). Ägidius schildert diese spirituale Erbschaft in vielen sich wiederholenden Wendungen. Entscheidend daran bleibt, daß die geistliche, von der Kirche vermittelte Wiedergeburt, wieder die Unterordnung unter Gott herstellt. Christus tritt in seine Herrschaft faktisch ein: „per quam regeneracionem collocatur sub Christo domino" (II, c. 7). Der weltliche Rechtstitel, sei es des dominium utile (fruetiferum), des Besitzes, sei es des dominium potestativum (iurisdictio) erlangt erst den Charakter jener Gerechtigkeit, die Ägidius als „iusticia spiritualis" bezeichnet, in dem spiritualen Band, das den einzelnen mit der Kirche verbindet: „magis es dominus possessionis tue et cuiuscumque rei quam habes, quia es ecclesie filius spiritualis quam quia es

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filius patris carnalis" (II, c. 7). Dieses Erlangen eines „gerechten" Titels wiederholt sich bei jeder von der Kirche vollzogenen Lossprechung von schwerer Sünde, „tociens debes recognoscere omnia bona tua ab ecclesia et per ecclesiam, quociens per eam efficeris dignus primo hereditate eterna et postea hereditate paterna et quacumque alia possessione, sive a patre sive aliunde proveniat" (II, c. 8). Damit ist die generelle innere, heilsgerechte Abhängigkeit der temporalen Rechtstitel als These aufgestellt. Um dem Einwand zuvorzukommen, daß damit die Gläubigen ihres dominium beraubt würden, verweist er auf den Unterschied des dominium universale und particulare. Er wolle das im Münzgleichnis ausgesprochene Gebot erfüllen (II, c. 7). Man wird sich diesen Hinweis merken müssen, um nicht voreilig das dominium der Kirche, das hier sakramental begründet wird, falsch einzuordnen. Bevor aber davon die Rede im einzelnen sein soll, ist es notwendig, das erste Bild der geistlich-weltlichen Gewalt der Kirche zu ergänzen. Zunächst das Bild der Kirche selbst. Die Kirche, soeben als gerecht machende Instanz der temporalen Rechtstitel vorgestellt, als „plena et universalis domina" (II, c. 11), wird bei Ägidius unter einem sehr bezeichnenden Aspekt gesehen. Wie bei der Determinatio compendiosa wird sie als „corpus Christi" gesehen. Die Wesensbestimmung der Kirche als gesellschaftliche Ganzheit tritt dadurch nicht so greifbar und prägend heraus wie etwa in der Definition der Kirche als universitas fidelium, die zusammen mit der Definition als corpus (mysticum) Christi schon bei Hugo von St. Viktor begegnete und auch in der Zeit wiederholt anzutreffen ist (Wilhelm von Auvergne, Alanus ab Insulis, Thomas von Aquin) 56 . Das Bild des Körpers gibt Gelegenheit, die Lenkung durch das Haupt und den Gliedcharakter der Gläubigen und der Offizien darzustellen, das Bild der „universitas fidelium" wird von selbst dort bevorzugt, wo es gilt, die Begrenzung der Obrigkeit und die Rechte der Gemeinschaft darzutun 57 . Nicht umsonst spielt in allen konziliaren Thesen diese Vorstellung eine Rolle. Ägidius bringt mehrmals die Definition der Kirche als Körper, immer verbunden mit dem körperhaften Bau vom Haupt zu den Gliedern, immer im Zusammenhang von potestas und Unterordnung 58 . Diese Verwendung 50

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D e eccl. pot. I I c. 12 (S. 109): „sie quia ecclesia est corpus Christi et Christus est Caput eius . . . ideo nec a C h r i s t o t a m q u a m a capite, nec a passione eius potest derivari aliqua influencia in a l i q u o d m e m b r u m nisi ut est coniunctum ecclesie". — D e t e r m i n a t i o c. 15: „in corpore mistico ecclesie". — H u g o v o n St. V i k t o r D e sacr. II, 2, c. 2, P L 176, c. 4 1 6 ; vgl. oben S. 153 ff. — Wilhelm v. A u v e r g n e : „ c o n g r e g a d o ipsum ( D e u m ) vera religione colentium" ( D e fide c. 2). — A l a n u s : „Ecclesia est congregatio fidelium confitentium Christum et s a c r a m e n t o r u m s u b s i d i u m " (De articulis catholice fidei I c. 4 ; P L 210, 613). — T h o m a s : „Ecclesia est congregatio hominum fidelium" (Sth I, q - 1 1 7 a. 2, ad. 1). B. Tierney, F o u n d a t i o n s S. 47 ff — H i e r w ä r e nach Tierney freilich audi Innozenz I I I . zu nennen, unter dem das K o n z i l als repräsentatives O r g a n der Gesamtkirche verstanden wurde. D i e Definition des I V . L a t e r a n k o n z i l s habe K o n r a d v o n Gelnhausen als Modell gedient. D e eccl. pot. I I c. 12, vgl. A n m . 56; I, c. 3 zur U n t e r o r d n u n g unter den P a p s t in corpore Christi, hier verbunden mit der Definition des Menschen als leib-seelische Ganzheit. — I I c. 4 : P a p s t als H e r r der Spiritualien und T e m p o r a l i e n im corpus mysticum.

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ist bezeichnend und verständlich. Nicht nur was die Relation vom Haupt zu den Gliedern selbst angeht, sondern auch im Hinblick auf den inneren Charakter des dominium. Denn wenn die Kirche als Inhaberin der die „iusticia" vermittelnden Gnadenmittel dargestellt werden soll, von der die ordnende Erneuerung und Durchdringung auch der Temporalien und Korporalien in derem wesenhaften Bezug auf die Spiritualien ausgeht, die ferner das dominium des Menschen in die rechte Relation setzt, dann tritt von selbst ihr Wesen als der mystische Leib des Herrn hervor als die körperhaft alles umgreifende Lebenseinheit. So wird in der ekklesiarchen Doktrin, das kann man jetzt schon sagen, zugleich das Ringen und Bemühen um ein vertieftes Verständnis der Kirche sichtbar. Man darf daher nicht einseitig nun die Kirche des Ägidius als Rechtsinstitution, als Machtorgan interpretieren, gerade die sakramentale Begründung ihres dominium weist auf den der Macht vorausliegenden Charakter ihrer ordnenden Universalität als diristologisch verstandene Heilsanstalt 59 . Heilsanstalt als Königsherrschaft Christi in seiner Kirche. Es ist bezeichnend, daß Ägidius zuerst die sakramentale Begründung der Universalität der Kirche gibt und dann als zweites universales Merkmal die „racio extensionis potencie" nennt (II, c. 13)°°. Wenn man dem Kirchenbegriff des Ägidius gerecht werden will, muß man den sakramentalen und potestativen Aspekt zusammen nennen. Das Kirchenbild des Ägidius ist weiter gekennzeichnet durch die tradierte Vorstellung von der Existenz beider Schwerter, zweier „principatus" in der Kirche. Ein ganzes Kapitel steht unter diesem Leitwort (II, c. 13). Sie sind getrennt entsprechend den Wesensteilen, aus denen der Mensch besteht, und in die Funktionsteilung von anima-corpus gegliedert. Beherrschend gilt das Gesetz der Uber- und Unterordnung. Eine strenge und korrespondierende Hierarchie nach dem pseudo-dionysischen Programm der Engelordnung durchzieht die beiden principatus. Um den Papst und unter ihm die „triplex hierarchia" der „collaterales" (Kurie), der Praelaten und Kleriker. Das weltliche Pendant bilden der Kaiser, um ihn die Könige, Fürsten und Herzoge als erste Hierarchie „et sie de aliis qui facerent ierarchias alias. Sed de hoc non sit nobis cura" (II, c. 13). Die Korrespondenz der Hierarchien kann das Bild der Existenz beider Gewalten in der Heilsgemeinschaft nur verstärken. Sie erweist zugleich, wie sehr die hierokratische und speziell die ekklesiarche Doktrin auf dieses Kirchenbild angewiesen ist. Würde es wegfallen, dann wären offensicht59

F. Merzbacher, Die Rechts-, Staats- und Kirchenauffassung des Aegidius Romanus (Archiv f. Redits- und Sozialphilosophie XLI, 1954, S. 88 ff) sieht nur in dieser Perspektive den Aegidius. S. 90: die Lehre des Ae. sei die früheste Lehre des Absolutismus. S. 93: der gesamte irdische Rechtszustand unterliege der Autorisation der Ecclesia. — N u r der sei gesetzmäßiger Eigentümer, der die Kirche als Mutter anerkenne (vgl. Anm. 52). — Der Unterschied von formal weltlicher possessio und iurisdictio primaria et superius beachtet M. an dieser Stelle nicht.

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II c. 13: „ecclesia dicta est catholica . . . non solum racione sacramentorum, que sunt universalia et generalia, sine quibus non potest esse salus, sed eciam racione extensionis potencie, quia potencia ecclesiastica, que est potencia spiritualis, oportet quod ex hoc sit generalis et quod ad corporalia se extendat".

II. Der erlöste Mensch und die geistlich-weltliche Gewalt der Kirche

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lieh die auf die Gewalt des Papstes konzentrierten Thesen in dieser Form gar nicht möglich. Man sieht, wie sehr die ekklesiarche Doktrin von der Existenz der Sakralgesellschaft, die einst so intensiv das Sakralkönigtum selbst trug, abhängig ist. Zugehörigkeit der potestas sacerdotalis und regalis zur Kirche bei gleichzeitiger Überordnung der geistlichen Gewalt, das ist von Christus selbst so gewollt, wie das Zweischwertergleichnis lehrt. Ägidius sucht in sechs Gründen noch die innere Notwendigkeit dieser sacerdotal-regalen Struktur der Kirche darzutun'1. Unter ihnen macht der erste Grund, daß in der niederen Gewalt, wie im Hammer des Schmiedes, etwas sei, was die höhere Gewalt, der Schmied, nicht besitzt — die Fähigkeit des Materials — besondere Schwierigkeit. Ägidius kann das alte Argument, daß die potestas zwar von der Kirche stamme, die executio des gladius materialis dagegen von Gott, nicht zugestehen'8. Auch das „exequi et agere" stammt von der höheren Gewalt. Das gilt, wie ein sehr wichtiger und bezeichnender Nachsatz vermerkt: „In populo enim fideli, quia de infideli nihil ad nos", also nur für die politisch organisierte Gemeinschaft der Gläubigen". Die Delegation der Aufgaben von der höheren an eine inferiore Instanz entspricht der „imitacio omnipotentis Dei", der in der 61

De eccl. pot. II c. 15 (S. 129 ff): „Habet enim aliquid martellus, quod non habet a fabro; habet autem martellus gravitatem et duriciem, quod non habet a fabro sed ex natura propria hoc habet, ut quia est de ferro. — Also kann das agens superior etwas zusammen mit dem agens inferior, was es „non posset sine illo". Es ist angewiesen auf die naturale Existenz und die ihr entfließenden Fähigkeiten (ex natura propria) des gladius materialis. — Weitere Gründe für die Notwendigkeit des gladius materialis in ecclesia sind: 2. „etsi non est potestas in inferiori agente que non sit in superiori, est tarnen in inferiori, ut non est in superiori". Daß dieses „non in i n f e r i o r i . . . que non in superiori" keinesfalls bedeutet, daß auch die spezifisch weltliche Gewalt in der höheren Gewalt existiert, ergibt sich aus dem ersten Argument. Denn dieses beruht ja auf der eigenständigen Kraft des „martellus". Diese ist nicht in der potestas superior, diese benutzt sie nur instrumental. — 3. Die leichtere Durchführung. — 4. Die Angemessenheit. — 5. Die bessere Ordnung. — 7. Die Zuteilung der Würde der höheren Gewalt an die niedere (Gott will: „dignitatem suam communicare creaturis, ideo non superfluit accio creature"). Also Prinzip der Zweitursächlichkeit. Daher soll „aliqua dignitas regiminis et gubernacionis populi quantum ad temporalia" den Laien zugeteilt werden.

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De eccl. pot. II c. 14 (S. 133) gegen die Lehre von gewissen Doktoren, denen zufolge die executio des weltlichen Schwertes von Christus stamme: „a potencia gubernativa et ab auetoritate gubernandi est ipsum gubernare et ipsum agere". Das gubernare bezeichnet er anschließend als gladius, das agere als potestas. Dies gilt nur für den christlichen Bereich: „In populo enim fideli, quia de infideli nihil ad nos", hat die weltliche Gewalt „omnem potestatem, quam habet, a spirituali habet". — Zu dem kanonistischen Argument: Summa reverentia canonum zu D. X c. 8 vgl. Stickler, Imperator vicarius papae, MIOEG 62, S. 204, Anm. 69. — Dazu F. Kempf, Papsttum u. Kaisertum S. 209 f.

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Vgl. Zitat Anm. 62: er fährt fort „terrena potestas est per ecclesiasticam instituta, per baptismum regenerata, et si in peccatum mortale incidit est per ecclesiam sacramentaliter absolvenda". Aus dieser Stelle geht ein Zweifaches klar hervor: 1. der eindeutig personale Bezug der ekklesiarchen Dependenz. Sie bezieht sich auf die Heilsfähigkeit und Erlöstheit des personal verstandenen Trägers der potestas. Anders hätte der sakramentale Bezug keinen Ansatz. 2. Die Belassung der ungläubigen Herrschaft sagt, daß hier eine kirchliche Abhängigkeit und Promotion nicht vorhanden ist. Implizit ist angedeutet, daß die Frage nach der Legitimation sich anders stellt.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

kreaturalen Ökonomie der Funktionen auch den Geschöpfen eine Eigentätigkeit überläßt. Die Umrisse der Lehre von der Erst- und Zweitursache, die Ägidius später noch eingehender einbaut, werden hier schon sichtbar. Kirche ist, so verstanden, eine integrale Ordnungseinheit, in der sich die „iustitia" des weltlichen Handelns entscheidet und in der auch die potestas ihrer heilsmäßigen Rechtlichkeit nach geborgen ist. Das ist der Sinn des Satzes, daß potestas und executio von der Kirche stammen. Der soliustistische Integralismus, wenn wir diesen Terminus jetzt schon einbringen wollen, ist in besonderer Weise ekklesiologisch fundiert. Der ekklesiologische Aspekt ergänzt sich durch eine Interpretation der Funktionsmerkmale des Gewaltenaufbaus. In einer sehr interessanten Partie (II, c. 6), in der die gestufte Dienstbarkeit der potestates erläutert wird, unterscheidet er die Lenkung der Naturkräfte (1), die gestaltenden Fähigkeiten (artes) (2), die Wissenschaften (3), die Führung der Menschen selbst (4). Die Dienstfunktion ergibt sich aus der jeweils höheren und niederen Seinswirklichkeit, wobei beide notwendig sind. Bei den Naturkräften hat die potestas superior eine universale Kraft, gegenüber der nur partikularen Kraft der potestas inferior; bei den Künsten bereitet die niedere, handwerkliche Kunst (Gesdiirrmacher) der höheren Tätigkeit den Stoff (dem Ritter). Die Wissenschaften endlich stellen im Verhältnis von Metaphysik und Theologie den Unterschied von rationaler Einsicht und Forschung mit Hilfe der Offenbarung dar. Hier fällt die berühmte Wendung von der Metaphysik (Philosophie) als Magd der Theologie: „Et inde est quod theologia est domina scienciarum et omnibus scienciis utitur in obsequium suum, ut ipsa metaphysica sit eius ancilla et famula, quia magis attingit Optimum quam metaphysica et quam aliqua sciencia. Nam metaphysica vel aliqua sciencia humanitus inventa, si considerat de D e o . . . illa consideratio haberi potest ductu racionis; sed theologia considerat de D e o . . . cum adiutorio divine revelacionis". In der gubernatio hominum treffen die vorausgehenden Funktionsordnungen zusammen. Die geistliche Vorsteherschaft ist allgemeiner, nicht umsonst wird die Kirche katholisch genannt. Die weltliche Gewalt bereitet gewissermaßen die Materie vor, daß heißt, sie hält so die Ordnung, daß der „princeps ecclesiasticus" in seiner geistlichen Funktion nicht gehindert wird. Die geistliche Gewalt erreicht mehr das höchste Gut. Allgemeiner ist die geistliche Gewalt, weil sie wie die Himmelskräfte die niederen Naturkräfte lenkt. Der zeitliche Frieden dient dem geistlichen, die geistliche Gewalt erhält die Steine vorbereitet, um aus ihnen den geistlichen Tempel zu bauen: „terrena potestas per iusticiam in exterioribus bonis dolat et disponit istos lapides ad pacem mentis et ad tranquillitatem animi, ut ex eis spirituale templum liberius et facilius construatur" (II, c. 6). Das Verhältnis der Wissenschaft zur Theologie weist endlich auf jenen spiritualen Vorrang, der in der Verwaltung der geistlichen Güter begründet ist. Die irdischen Güter sind, wie wir schon gehört haben, nur recht gefügt, wenn sie auf das Spirituale gerichtet sind. So ist die sacerdotal-regale Struktur der „potestas in ecclesia" als Zueinander und gestuftes Übereinander theologisch und philosophisch-rational begründet. Der rationale Beweis gewinnt ein der Einsicht, die auf theologischer Ebene gewonnen ist, korrespondierendes Ergebnis. Das scholastische System

II. D e r erlöste Mensch und die geistlich-weltliche G e w a l t der Kirche

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der vier Ursachen findet sich vereinigt im Verhältnis der beiden Gewalten* 4 . Dieses Verhältnis ist in der Sicht des Ägidius nur sekundär historisch begründet. Das C C wird interessanterweise nur zugunsten der ghibellinischen These, daß der Fürst nur geistlicherweise, nicht temporal untergeordnet sei, angeführt (I, c. 5). Korrespondenz waltet ferner zwischen der Struktur der „potestas in ecclesia" und der heilsexistentiellen Situation des Menschen. Die Hinordnung des Temporalen auf das Spirituale, die Vorordnung des Spiritualen trifft in der Heilsbedürftigkeit des Humanen und im Faktum der Wiedergeburt des Menschen genau jenen Befund an, der bewirkt, daß die geistlich-weltliche Gewalt nicht äußerlich und usurpativ in die Ebene des Temporalen einbricht, sondern der Heilsexistenz des Menschen und des ihm gegebenen Raumes „gerecht" wird. Ist durch die Sünde das Aktganze des menschlichen Verfügens als potestas und dominium aus seiner ursprünglichen Relation zu Gott gerissen, so wird im Stand der Erlösung die Einheit der gründenden Kategorien, der „Gewalt an sich", mit der menschlichen Aktion wiederhergestellt. „Gewalt an sich" ist wie die Temporalien gut, aber in den Händen des in dem Wirkstrang der Sünde stehenden Menschen kann dieses „bonum" nicht zur Entfaltung kommen, es ist als solches, aus seinem naturalen bonum heraus nicht fähig, die zerrissene Relation zu Gott herzustellen. Die Wiedergeburt des Menschen in der Taufe bringt das bonum der Gewalt an sich in „recht" gewordene menschliche Verfügung. „Recht", sofern die temporale Aktion nicht autark für sich betrachtet wird, sondern in das Ganze des menschlichen Daseins und seines Bezugs zur heilsgerechten Ordnung gebracht wird. Die Ordnung des „An-sich" der Gewalt, des Besitzes, der Verfügung über Menschen und Dinge, findet in der Ebene der humanen Aktion jenen Zustand vor, der der Sinnwirklichkeit des Heils „gerecht" wird. Ordnung des „An-sich" und des geschichtlichen „jetzt und hier" können wieder eine sinnerfüllte Einheit bilden. Potestas und dominium bleiben auch im Gebrauch durch den Menschen, auch in der humanen Aktion gut. Das bonum der potestas findet seine Erfüllung im bonum der humanen Aktion, die immer auch eine geschichtliche Konkretisierung der Ordnung als solcher darstellt.

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D e eccl. pot. I I c. 6: E r unterscheidet vier Arten potestates: virtutes naturales, artes, sciencie, principatus et gubernaciones hominum. In den virtutes naturales existiert das Verhältnis der Ober- und Unterordnung infolge der „generalitas et contraccio", d. h. die höhere Gewalt ist allgemein, die untere nur partikulär. In den artes ist der unterordnende G r u n d darin, daß die niedere G e w a l t die „materiam disponit et p r e p a r a t " . In den sciencie ist es die größere N ä h e zum besten Ziel. In der gubernacio sind die drei vorausgehenden Formen der Unterordnung und Überordnung zusammengefaßt. Die weltliche G e w a l t ist nur partikular gegenüber der Universalität der geistlichen Gewalt, ihre Gesetze und Mittel sind „ t a m q u a m eius Organa et instrumenta", die sie auf den Gehorsam gegenüber der geistlichen Gewalt ordnet, und die geistliche G e w a l t ist als kirchliche Gewalt „in hiis que sunt ad D e u m " der weltlidien übergeordnet. Die drei Beispiele erläutern die „ordinatio ad spiritualia".

HI. Wesenszüge der geistlich-weltlichen Gewalt: Das sakramental-pneumatische und das juridische Element a) Sakramentale Ordnung und rechtliche Ordnung des Papstes Die soeben angesprochene sakramentale Ordnung, wie sie sich in der Rolle der Taufe manifestiert, wird nicht kraft eigener Tätigkeit im einzelnen Gläubigen und damit unvermittelt verwirklicht, sondern in amtsmäßiger Vermittlung durch die Kirche und ihre Offizien. Dieser Wesenszug der Kirche als Mittlerin des Heils, der gerade in der hierokratisch-ekklesiarchen Doktrin eine unabdingbare Voraussetzung bildet, wird bei Ägidius zu einem tragenden Bestandteil seiner Argumentation. Das schon genannte Bild der Kirche als „corpus Christi et Christus est caput eius" (I c. 3; II, c. 12), als „corpus mysticum" (II, c. 4; 14; III, c. 2) vermag diese Sehweise nur zu unterstützen. Bau und Funktion der Heilsgemeinschaft sind in dieser Sicht ganz auf die leitende hierarchische Mitte hin bestimmt. Von ihr aus geht der in den sakramentalen Akten vermittelte Lebensstrom der Heilsbotschaft, der nun in dem „Ger echt machen" der jeweiligen potestas und des dominium nun auch den weltlichen Bereich erreicht und sich sozusagen juridisch umsetzt. Damit ist das Problem der sakramental-pneumatischen und ebenso das der juridischen Seite der Vollgewalt des Papstes gestellt. Die sakramentale Ordnung ist so elementar in die Struktur der Kirche gefügt, daß sich für Ägidius deren universale Geltung geradezu aus der Verwaltung der Sakramente ergibt: „sed queres, unde habet ecclesia, quod sie sit catholica et plena et universalis domina? Dicemus, quod hoc habet a sacramentis, que sunt plena et universalia" (II, c. 11)". Nur über die Kirche kann der einzelne zur Heilsgemeinschaft in der von ihr gespendeten Taufe gelangen: „Nullus potest suseipere baptismum, nisi velit se subicere ecclesie... nullus reeipiat sacramentum penitencie, nisi sub ecclesia et per ecclesiam" (II, c. 8). Die Wirkung der Taufe ist Wiedergeburt, Wiederanknüpfung der zerrissenen Bande zwischen Mensch und Gott. Der Mensch ist „spiritualiter regeneratus et quia sacramentaliter absolutus" (III, c. 3). Was in der geistlichweltlichen Gewalt vor sidi geht, meint darum zuerst ein geistliches Geschehen, geschieht in einem Raum, der auch von Ägidius als geistlich umschrieben wird: „spirituale templum, quod est ecclesia, cuius lapis angularis et fundamentum est Christus" (II, c. 6) heißt es von der Kirche. Die Intention der Wiedergeburt geht zuerst auf die Seele, hier ist der Ort, an dem sich die Er65

De eccl. pot. II c. 6 (S. 65) wird die Katholizität zuerst genannt, im Zusammenhang des Argumentes von den vier Gewalten. Vgl. vorige Anm. — In II c. 13 wird die Universalität zusätzlich „racione extensionis potencie" erklärt. Vgl. Anm. 60.

III. Wesenszüge der geistlich-weltlichen Gewalt

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lösung entscheidet; hier wird jenes Gerechtmachen Ereignis, das den menschlichen Träger der Gewalt zu einem „dignus dominus" macht: „Et quia nulli sunt digni nec honore nec dominio nec potestate nec aliquo alio bono, nisi per sacramenta ecclesiastica et per ecclesiam et sub ecclesia,... nullus tarnen est dignus aliqua potestate, nisi sub ecclesia et per ecclesiam fiat dignus" (II, c. 9). Aus dieser primär spiritualen Ausgangssituation erklärt es sich auch, daß die Darlegung der kirchlichen Gewalt über die terrena potestas in II, c. 6 abschließend diese „weltliche" Gewalt formuliert als „potestas ecclesiastica, que est spiritualis et in hiis que sunt ad Deum, est domina potestatis terrene, et ad eam spectat potestatem huiusmodi dirigere, et potestas terrena debet sacerdotis imperio esse subiecta". Das ist keine zufällige Terminologie, denn bereits zu Eingang des Kapitels, in dem anhand der vier Arten der potestates (virtutes naturales, artes, sciencie, gubernaciones hominum) das Prinzip der gestuften Vorordnung erläutert wird und für die weltliche Gewalt die Hinordnung „secundum se et secundum omnia prefata Organa" (civilis potencia, arma bellica, bona temporalia, constituciones) „ad obsequium et ad nutum spiritualis potencie" gefordert wird, heißt es ausdrücklich, daß nun von der Unterordnung unter die spiritualis potestas die Rede sein wird". Daß im gleichen Atemzug, in dem weltliche Gewalt der Kirche expliziert wird, diese Gewalt als „spiritualis potestas" bezeichnet werden kann, weist auf einen tieferliegenden Vorgang. Jenen nämlich, der sich in der Konzeption der ekklesiarchen Doktrin von Anfang an dartut. Er sei im Augenblick mit dem Hinweis auf die die Kirche und Welt umspannende sakramentale Ordnung umschrieben. Die weltliche Gewalt der Kirche kann geistlich genannt werden, da ihr Ursprung, ihre Intention (vgl. oben: in hiis que sunt ad Deum) im Geistlichen liegen. Die Vorordnung, wie sie sich aus der die sakramentale Gnade vermittelnden Funktion der Kirche ergibt, erschöpft sich aber nicht in der Mitteilung der Heilsgerechtigkeit. Ihr ist verbunden die gehorsame Unterwerfung unter die Gewalt der Kirche. Gotteskindsdiaft verbindet sich mit Gottesknechtschaft. Die Wiedergeburt durch die Taufe ist verbunden mit dem Gehorsam gegenüber der Kirche. „Nullus potest suscipere baptismum, nisi velit se •• II c. 6 (S. 61): spirituali p o t e s t a t i . . . famulatur; huiusmodi potestas (terrena) potestati spirituali iure et merito est subiecta; S. 69: ordinet (terrena potestas) . . . ad nutum spiritualis potentie; die „spiritualis potestas" ist in den Dingen „que sunt ad Deum" die „domina potestatis terrene". — Die Diktion, die temporale Gewalt der Kirche als „spiritualis" zu bezeichnen, durchzieht den ganzen Traktat. — Beispiele: II c. 10 (S. 91): wird die Überordnung mit dem Beispiel des „medicus spiritualis" dargetan. — S. 90: „spiritualis gladius, cuius est spiritualia iudicare et super temporalia poterit proferre iudicia". — II c. 10 (S. 93): der „spiritualis gladius" intromittet se de corporalibus. — S. 92: iusticia est res spiritualis, daher geistliche Überordnung. — S. 89: „In gubernacione enim hominum plus est attendenda sapiencia quam civilis potencia". — S. 87: Das geistliche Schwert lenkt die: anime=spirituales substancie. — II c. 13: Die kirchliche Gewalt „que est potencia spiritualis, oportet, quod ex hoc sit generalis et quod ad corporalia se extendat". — I c. 8 (S. 27): Der Papst habe (wie die Priester) in „lege nova . . . gladium spiritualem et non gladium materialem, non quod nullo modo habeat talem gladium, sed quia non habet materialem gladium ad usum, sed ad nutum".

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

subicere ecclesie... nullus recipiat sacramentum penitencie, nisi sub ecclesia et per ecclesiam" (II, c. 8). Indem ich in der Taufe Gotteskind werde, unterwerfe ich mich zugleich dem Spruch der Kirche, auch in bestimmten Fragen der temporalen Ordnung; die Kirche hat diese Machtfülle, weil sie von Christus gegründet ist, er ist ja ihr Eckstein und Fundament. Gehorsam besagt aber das Korrelat zur Gewalt. Potestas und obedientia, in der Sprache der weltlichen Herrschaft: Gebot und Gefolgschaft umschreiben aber den Bereich, der die rechtliche Satzung enthält; in dem demnach die sakramental-pneumatische Grundlage der geistlich-weltlichen Gewalt in Gesetz und Recht, in bindende Anordnung sich überträgt. Wie werden sich beide Elemente der kirchlich-päpstlichen Vollgewalt einen? Wenn es später heißt, daß der Hierarch die weltliche Gewalt in ausgezeichneter Weise besitzt (vgl. S. 322), wenn die dem Papst zur Verfügung stehenden Fälle als Annexe des Spiritualen oder in besonderer Beziehung zur geistlich-weltlichen Gesamtordnung gebracht werden, dann zeigt sich schon, daß die juridische Umsetzung der sakramental begründeten Gewalt über die terrena potestas ihrem inneren Charakter, ihrer rechtlichen Substanz nach nicht mit rein weltlicher Gewalt zu identifizieren ist, sondern daß hierzu noch andere Umschreibungen und Differenzierungen erforderlich sind. b) Position, Umfang und Zielsetzung der geistlich-weltlichen Gewalt Die sakramentale Gründung der Gewalt über die Spiritualien und Temporalien erweist, daß die weltliche Zuständigkeit der Kirche in ihrem eigenen Wesen als Vermittlerin des Heils begründet ist, sie ist von hier her gesehen demnach letztlich geistlicher Provenienz. Dieses Bild wird noch genauer heraustreten, wenn wir daran gehen, zunächst einmal allgemein die inhaltlichen Merkmale der kirchlichen Gewalt näher zu bestimmen. Wir betrachten hierzu Position, Umfang und Zielsetzung der Gewalt. 1) Die Position der weltlichen Gewalt im Rahmen der der Kirche übertragenen Gesamtgewalt: Ägidius geht eingehend der Frage nach (II, c. 13), warum in der Kirche nur zwei Schwerter vorhanden sind. Dabei kommt es von selbst zur Erörterung eines Mehr (drei Schwerter) oder eines Weniger (nur ein Schwert). Ägidius stellt dabei zunächst drei Einwände (dubia) vor: 1) Infolge des universalen Charakters der geistlichen Gewalt, die sich auf die Seelen, die Körper und die materiellen Dinge (res exteriores) erstrecke, genüge doch eine Gewalt. 2) Wenn die Körper ein eigenes Schwert haben, warum dann nicht auch die materiellen Dinge? 3) Was haben die materiellen Dinge verschuldet, daß ihnen nicht ein eigenes Schwert bestimmt ist. Ägidius antwortet auf dreifachem Wege: a) ex excellencia quam habent spiritualia ad corporalia, b) ex differentia, quam habent hec ad illa, c) ex ordine, qui competit hiis et illis. Die folgende Erörterung des Traktates gibt einen bezeichnenden Aufschluß über die Position der Gewalten in der Kirche" 3 . 98a

De eccl. potestate S. 112—129.

III. Wesenszüge der geistlich-weltlichen Gewalt

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Daß in der Kirche zwei Schwerter vorhanden sind, folgt für Ägidius aus der übergroßen Ausgezeichnetheit und der gleichen Vollkommenheit der geistlichen Dinge. Ein Defekt innerhalb der geistlichen Gewalt überwiegt aber jeden temporalen Mangel. Damit die geistliche Gewalt aber für die res divinae frei sei, ist eben eine Gewalt nötig, die sich eigens (specialiter) auf die körperlichen Dinge richtet, während die geistliche Gewalt sich vorrangig den geistlichen Dingen zuwendet, aber die „minus nobilia" nicht ausschließt. Die Funktionsteilung ergibt sich aus dem Wesen des Spiritualen und Korporalen. Die geistliche Gewalt regiert die Seelen und über die Seelen die mit ihnen verbundenen Körper: „cum potestas spiritualis presit animabus, ut sunt coniuncte corporibus et ut presunt corporibus" (II, c. 13). Dabei vertritt die geistliche Gewalt das die Gattungen übergreifende Prinzip. Ägidius stellt das mit einem gewagten Vergleich der Metaphysik zur Naturphilosophie dar. Der Metaphysik obliege das Urteil über die intelligible Substanz, über das Geistige in sich und als solches (de spiritibus secundum se), damit auch über die sensibilia und die in ihnen erfahrene körperliche Welt. Entsprechendes gelte für die geistliche Gewalt im Bereich der Herrschaft über die Menschen. Auch hier ist der Gegenstand, der Mensch, aus zwei Substanzen zusammengesetzt, der spiritualen und der korporalen. Demgemäß gäbe es eine potestas generalis, die sich auf die Seele und den Körper bezieht, und eine potestas particularis die „specialiter ordinata est circa corporalia". Die Partikulargewalt vermag sich, aus sich heraus, nicht in die geistlichen Dinge einzumischen. Was an dieser Argumentation auffällt, ist die unmittelbare Verwendung des Begriffes spiritus und spiritualis im erkenntnistheoretischen Sinn und in der Gewaltenlehre, ohne daß eine Kennzeichnung als Analogieschluß eingefügt wird. Spiritual im Sinne der metaphysischen: substancia spiritualis und spiritual im Sinne der potestas spiritualis scheinen somit zusammenzufallen. Trotzdem darf man Ägidius keine Identifikation der natural-geistigen Wirklichkeit mit der gnadenhaften spiritualen Wirklichkeit unterstellen. Was freilich bleibt, das ist die unbefangene Art, in der alles, was zur anima gehört, für die spirituale Gewalt vindiziert wird. Die tradierte Vorstellung der weltlichen Herrschaft als körperliche Gewalt ist hier zu einem äußersten Extrem geführt. Unter die körperliche Gewalt fallen auch die res exteriores, obwohl diese in sich von den corporalia verschieden sind. Sie sind jedoch mit den körperlichen Dingen im Hinblick auf die ihnen geltende Betrachtungsweise (consideratio) und die ihnen entsprechende lenkende Aktion geeint, wie die Naturwissenschaften und die Naturkräfte (Feuer) zeigen. So zeigt die Funktionsteilung der beiden Sdiwerter im Verband der Kirche zugleich die Eigenart der geistlich-weltlichen Gewalt. Sie ist ihrem Wesen nach „potestas spiritualis", von diesem ihren Wesen her erst vermag sie „potestas generalis" zu sein, wie ja auch die Metaphysik aus ihrem Wesen und ihrer Intention auf die „spiritus", die „substancia spiritualis" auch die sinnliche Erfahrungswelt einschließt und betrachten kann. Die temporale Gewalt der Kirche ist, so können wir jetzt schon sagen, nicht temporale Gewalt aus der spezifischen Gegebenheit des Temporalen, sondern Gewalt der „spiritualis potestas" auch über die Temporalien. Träger dieser Gewalt ist immer

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eine „potestas spiritualis". Wie die temporale Verfügung dabei im einzelnen zu verstehen ist, wird sich später noch zeigen. 2) Der Umfang der geistlich-weltlichen Gewalt. Die Bestimmung der geistlichen Gewalt über die körperliche Gewalt als „potestas generalis" zeigt, daß die Trennung der Gewalten nicht erfolgt aus einem Unvermögen der potestas spiritualis an sich. „Secundus gladius, non est propter impotenciam spiritualis gladii, sed ex bona ordinacione et ex decentia" (II c. 13). Im Gegenteil. So wie der Körper aus der Seele die Fähigkeit zum Handeln (virtus operandi) erhält, „sie virtutem operandi quam habet materialis gladius, habet a spirituali" (II, c. 13). Oder wie es am gleichen Ort in anderer Formulierung heißt: „Potestas itaque terrena est sub spirituali et instituta per spiritualem et agit ex institucione spiritualis potestatis". In der Ausübung ihrer Schwertgewalt ist die weltliche Herrschaft an die Weisung der Kirche gebunden. Das Zustandekommen der virtus operandi erläutert Ägidius am Beispiel der generacio equi. Hier wirkt die Himmelskraft als potestas generalis auf den Vorgang der Fortpflanzung ein, die in ihr wirkende Kraft stammt „a virtute celesti". Das heißt, die von der geistlichen Gewalt vermittelte virtus operandi besagt eine höhere Kraft, die das weltliche Regiment belebt und in Gang bringt. Das ist eine Erläuterung zu dem bereits I, c. 4 zitierten Satz des Hugo von St. Viktor (De sacr. II, 2, 4), daß die geistliche Gewalt die weltliche einsetzt und „formt" (vgl. S. 138). „Formen" bedeutet im Sinn der aristotelischscholastischen Seinslehre aber, ins Dasein rufen (forma dat esse), in die endgültige Wirklichkeit setzen. So wird der Satz verständlich (II, c. 6), daß in der Reihe der gestuften potestates die jeweils untergeordnete potestas der höheren die Materie bereitlegt (materiam disponens), so auch der prineipatus terrenus als potestas inferior. Die geistliche Gewalt stellt als formendes Prinzip jene Instanz dar, die in der Heilsgemeinschaft die potestas terrena legitimiert und funktionsfähig macht. Funktionsfähig, immer gesehen im Gesamtbezug der von Christus gestifteten Ordnung. Mit dem alten Satz aus Jerem. 1, 10, dem Y. Congar nachgegangen ist", „Ecce constimi te hodie super gentes et regna", und den Innozenz III. so markant verwertet, begründet auch Ägidius seine These von der Vollgewalt des Papstes. (I, c. 4). Diese Vollgewalt, in III, c. 9 ins einzelne definiert, besagt, daß der Träger der „plenitudo potestatis... potest sine causa secunda, quiequid potest cum causa secunda". Für den Papst gilt das nur hinsichtlich der Gewalt, die der Kirche mitgeteilt ist, also nicht absolut: „Sic et summus pontifex quantum ad posse, quod est in ecclesia, habet plenitudinem potestatis et potest sine causa secunda, quod potest cum causa secunda". Dieses Handeln der Vollgewalt als „causa prima sine causa secunda", der unmittelbare Eingriff demnach unter Beiseitelassen der untergeordneten Gewalt, sei es einer geistlichen sei es einer weltlichen Instanz, hat Ägidius schon früher vorgebracht. In II, c. 14 erläutert er im Anschluß an die These, daß nur zwei Schwerter in der Kirche existieren, die Notwendigkeit des inferior gladius 67

Y. Congar, Ecce constitui te super gentes et regna (Jer. 1, 10), Theologie in Geschichte und Gegenwart, Festschrift M. Sdimaus, 1957, S. 671 ff.

III. Wesenszüge der geistlidi-weltlidien Gewalt

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(materialis) trotz der generalis potestas superior. Dabei heißt es in Argument 2: „etsi non est potencia in inferiori agente que non sit in superiori: ut si nulla esset potencia in forcipibus, que non esset in fabro, est tarnen in eis potencia, ut non est in fabro". Die höhere Gewalt hat die niederen Fähigkeiten in einer Art Vorbesitz als „dominium universale" (II, c. 10) oder, wie es später heißen wird, als „iurisdictio primaria et superior". Im dritten Argument des gleichen Kapitels wird die Argumentation vom „esse" auf das „posse" erweitert: „etsi nihil potest superior cum inferiori, quod non possit sine eo". Das entspricht der späteren Definition der Vollgewalt, dem „agere sine causa secunda". In dieselbe Linie weist die Argumentation des dritten Buches, vor allem III, c. 4, in der das Handeln außerhalb der gemeinhin geltenden Regel dargetan wird: „potest spiritualis potestas preter istam communem legem agere et iurisdictionem in temporalibus exercere". Gegenüber dem hier sehr eindeutigen Habitus der Aussagen verdient zumindest bemerkt zu werden, daß die soeben angeführte Definition der „plenitudo potestatis" in III, c. 9 nicht auf die potestas in temporalibus exemplifiziert wird. Als erläuternde Fälle dienen in III, c. 9 selbst Beispiele aus der hierarchischen Ordnung, so die Bischofswahl, für die der Papst als causa primaria die Weisungen erläßt. Er kann aber auch ohne die causa secunda, ohne die Kapitelswahl einen Bischof ernennen: „Fit e n i m . . . eleccio prelati tamquam a causa primaria a summo pontifice statuente, qualiter eleccio fiat et a causa secunda, videlicet ab eleccione eligencium iuxta formam eis datam. Potest tarnen summus pontifex sine huiusmodi causa secunda, idest sine eleccione eligencium, providere cuicumque ecclesie de prelato". Auch im weiteren Verlauf, da er den Satz erläutert, daß das „totum posse, quod est in ecclesia, reservatur in summo pontifice", werden nur konkret die „canonici" apostrophiert, oder es verlautet allgemein, daß der Papst „quecumque potest cum aliis personis ecclesiasticis, potest sine illis". Diese Beobachtung wird bestätigt durch die folgenden Schlußkapitel des Traktates, c. 10, 11, ult., in denen zunächst (c. 10) das Thema der päpstlichen Gewalt als potestas celestis, dann c. 11 der Satz Hugos (De sacr. II, 2, 7) über die Herkunft der kirchlichen Temporalien aus weltlicher Schenkung, schließlich in c. ult. (13) noch einmal in einer im Detail oft zitierten Zusammenfassung die Vollgewalt des Papstes „qui potest dici ecclesia" als „sine pondere, numero et mensura" behandelt wird. In c. 10 — Thema: die päpstliche Gewalt als potestas celestis — wird das Sonne—Mondgleichnis angeführt und die Zweischwerterlehre Bernhards gebracht, beide zweifellos in einer gegenüber früheren Aussagen (Innozenz III. und Bernhard selbst) verschärften Fassung. Das Sonne—Mondgleichnis, zu dem die Dekretale Solite (I, 33, 6 de maior. et obed.) Innozenz' III. zitiert wird, bedeutet ihm, daß der Mond („regalis potestas" „totum lumen quod habet, habet a sole, et sicut sol est plenus lumine et est fons luminis et non est dare perfeccius lumen quam solare, sie potestas regalis instituta est per sacerdotalem et per potestatem pontificalem"68. Die Zweischwerterlehre folgt M

De eccl. pot. III c. 10 (S. 168 f) Aegidius verschärft den Text der Dekretale: „Porro, sicut luna lumen suum a sole sortitur, que revera minor est illo quantitate simul et qualitate,

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

als Argument auf die Behauptung, daß die päpstlich-himmlisdie Gewalt „quantum ad magnitudinem et quantum ad continenciam continet omnia. Sic in potestate summi pontificis continetur omnis potestas sacerdotalis et regalis, celestis et terrena". Der Papst hat das weltliche Schwert im Sinne der höheren Weisungsgewalt („spiritualem ad usum, materialem ad nutum"). Schließlich folgt der Satz, daß die päpstliche Gewalt auf jeden andern Prinzipat im Sinne des Gerechtmachens einwirkt: „agit et influit in omnem aliam potestatem, ut nulla sit vera alia potestas nec verus principatus". In allen drei Passagen wird zwar die Dependenz der heilsgerechten weltlichen Gewalt gefordert, aber eine konkrete Anwendung der in III, c. 9, eben zuvor, gegebenen konkreten Definition der plenitudo potestatis im Sinne des Handelns als Erstund Zweitursadie erfolgt nicht. Das Gleiche gilt für c. 11, hier wird noch einmal die soliustistische These in einer Gesamtrepetition vorgeführt mit dem Schluß, daß die Temporalien nicht in der gleichen Weise der Kirche und dem dominus temporalis unterstellt sind, wenn schon alle Temporalien der Kirche unterstehen. Der Kirche unterstehen sie im Sinne des dominium principale et universale (superius et primarium), dem weltlichen Herrn im Sinne des dominium inferius et secundarium (quod est immediatum et executorium), des unmittelbaren Gebrauchs, der unmittelbaren Herrschaft nach. Aber gerade in dieser Erörterung, die sich noch einmal bemüht, den Vorrang der geistlichen Gewalt gegenüber der weltlichen darzutun, wird doch auch deutlich, wie sehr Ägidius jetzt, da es im Anschluß an die Definition der plenitudo potestatis darum ginge, die Erst- und Zweitursadienlehre detailliert und sozusagen unverkürzt auf die weltliche Gewalt anzuwenden, sich in eine Wiederholung der zuvor gegebenen Thesen begibt. Im übrigen gesteht er aber gerade jetzt der weltlichen Gewalt im Rahmen der Gewaltendistinktion Befugnisse in einer Diktion zu, die man im ganzen Traktat zuvor vergeblich gesucht hat. Der Caesar hat jetzt ein „magnum ius et plus utile i u s . . . in temporalibus quam ecclesia", er kann „sine culpa et causa" seiner Würde nidit beraubt werden. Kurz, wir haben die traditionelle Lehre von der fallweisen Verfügung der Kirche über die kaiserliche und weltliche Gewalt. Das letzte Kapitel endlich, mit seinen wiederum spektakulären Formulierungen (potestas sine pondere, numero et mensura; pontifex, qui potest dici ecclesia) bewegt sich in allgemeinen Aspekten, die detaillierten Anspielungen betreffen ausnahmslos die sakramental-sacerdotale Ordnung*9. Er spricht von den Gliedern der Kirche, deren potestas beschränkt ist, der Zahl, dem Gewicht, dem Maß nach. Das bezieht sich jeweils auf die Praelaten und die gestufte jurisdiktionell-sakramentale Gewalt (Binde- und Lösegewalt).

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situ pariter et effectu, sie regalis potestas ab auetoritate pontificali sue sortitur dignitatis splendorem; cuius conspectui quanto magis inheret, tanto maiori lumine decoratur, et quo plus ab eo elongatur aspectu, eo plus deficit (PL 214 c. 377); hierzu jetzt: O. Hageneder, Das Sonne-Mond-Gleichnis bei Innozenz III., MIOEG 57, 1965, S. 340 ff. — F. Kempf, S. 285. De eccl. pot. c. ult (S. 208): „Ergo sicut in summo pontifice est numerus sine numero, quantum ad oves que sibi sunt commisse, sie est in eo pondus sine pondere quantum ad administracionem sacramentorum". — Also streng geistliche Funktionen.

III. Wesenszüge der geistlich-weltlichen Gewalt

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Daß Ägidius eine unverkürzte Anwendung der Vollmacht auf den weltlichen Bereich nicht exemplifiziert, kann nicht als Korrektur seiner sonstigen Thesen ausgelegt werden. Es zeigt jedoch deutlich die Grenzen seiner Doktrin. Daß der Papst im Sinne der Erst- und Zweitursachenthese einfach an der Zweitursache vorbei auch in Ausnahmefällen nicht handeln kann, zeigt allein der Fall des ius sanguinis. Es hätte der Uberzeugung selbst der Zeit widersprochen, wenn Ägidius die Blutgerichtsbarkeit als Reservat der plenitudo potestatis bezeichnet hätte. Er sagt es selbst c. 11 ausdrücklich: „sed dato quidem quod ecclesia habeat ius potestativum, tarnen quantum ad ius potestativum, quod est iudicium sanguinis, numquam exercebit ecclesia per se ipsam, sed per laicam personam". Es kommt hinzu, daß er in den den Schlußkapiteln des Traktates vorausgehenden Abschnitten auf jenes Detail einging, das wir im Anschluß an die Vollmachtdefinition III, c. 9 vergeblich erwarteten, auf die Fälle nämlich, in denen der Papst faktisch in die weltlichen Bereiche eingreifen konnte, in denen also aus dem dominium universale ein dominium immediatum et executorium wird. Gerade diese Fälle zeigen aber, daß die Vollgewalt dem Weltlichen gegenüber so klar beschränkt ist, daß sie sich entscheidend von der geistlich-hierarchischen Gewalt selbst abhebt. Die Betrachtung dieser Fälle wird das noch im einzelnen erweisen. 3) Die Zielsetzung der geistlich-weltlichen Gewalt. Jede Vorstehersdiaft (prelacio, gubernacio, principatus) ist im Hinblick auf die Auserwählten eingerichtet, sogar die Schlechten sind auf das Heil der Auserwählten hingeordnet. (II, c. 13). Diese heilsmäßige Zielsetzung bedeutet, daß Herrschaft in die Ökonomie des Heilswerkes eingeplant ist, sie verschwindet, wenn die Zahl der Auserwählten erfüllt ist. „Ordinatus principatus est in spiritualibus propter salutem electorum" (II, c. 13), und noch allgemeiner heißt es: „huiusmodi omnes principatus sive sint hominum sive angelorum sive demonum ordinati s u n t . . . ad bonum electorum". Die Zwecksetzung auch der Führung weltlicher Dinge ist eingefügt in die Heilsabsicht, sie übersteigt jede autarknaturale Zielsetzung. Sie gilt nicht endgültig dem kreatural verstandenen „homo", sondern dem „homo" als „electus". Ägidius stellt diese auf das Heil des Menschen ausgerichtete Vorsteherschaft in den weiten Raum der himmlisch irdischen Vorsteherschaft überhaupt. Er beginnt im Anschluß an die pseudodionysische Engelshierarchie die Engelsordnungen zu schildern, die ein Vorbild der in der Kirche tätigen Gewalten sein sollen. Eine Thematik, die im 13. Jahrhundert, wie Wilhelm von Auvergne, Guibert von Tournay, Bonaventura, die Determinatio zeigen (vgl. oben S. 266, 268 ff)70, immer wieder erscheint. Drei Hierarchien mit je drei Ordnungen bilden die Engelswelt, die erste Hierarchie (Seraphim, Cherubim, Throne) hat die Aufgabe des „secretarius", sie kennt die Geheimnisse Gottes früher und ebenso seine Urteile. Die zweite Hierarchie (Herrschaften, Gewalten, Mächte) erhält durch die erste Hierarchie Kenntnis von den Ratschlüssen Gottes, sie lenken und schützen den mundus vor den 70

Zu Wilhelm v. Auvergne vgl. auch meinen Aufsatz: Über spirituale und temporale Ordnung, FranzStud 36, 1954, S. 193.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

bösen Gewalten der Finsternis. Die dritte Hierarchie ist mit ihren Ordnungen in die einzelnen Teile des Universums abgeordnet (Fürstentümer, Erzengel und Engel). Die Fürstentümer verwalten eine ganze Provinz (etwa das Perserreich), die Erzengel stellen die Sonderboten dar, die Engel haben die einfachen Botendienste. Audi die Gegenordnung der himmlischen Chöre, die Daemonen, sind entsprechend geordnet, jedoch bleibt die Welt der Finsternis für sich, ihre Ordnung kennt keine Entsprechung im menschlichen Bereich. Dieser ist allein ausgerichtet auf die Engelshierarchie, denn die Trennung der Geister in gute und schlechte hat keine Entsprechung in der menschlichen Vorsteherschaft. Diese ist geschieden nach den Wesensteilen des Menschen: corpus et spiritus. Beide Gewalten nun sind in die analoge Gewaltenordnung der Engel gefügt. Der Papst mit seiner Umgebung (Bischöfe, Presbyter, Diakone) stellt die erste Hierarchie dar! Ihr folgen in der zweiten Hierarchie die Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe, die kirchliche Regierung in der Welt darstellend. In der dritten Hierarchie folgen die Erzdiakone mit dem Recht der Exkommunikation in foro publico. Zu ihnen zählen auch andere mit demselben Recht ausgestattete Praelaten. Dann die mit der amtlichen Seelsorge betrauten Priester (sacerdotes curati), ihnen obliegt die Seelsorge in foro conscientie (Beichtbefugnis). Schließlich folgen die Kleriker ohne eine eigene cura regiminis. Sie befinden sich zu unterst der hierarchischen Pyramide, auch wenn sie noch so gelehrt sind. Im laikalen Regiment, in der Vorsteherschaft nach dem „corpus" des Menschen, rangiert der kaiserliche Prinzipat als erste „quasi hierarchia". Um den Kaiser finden wir die Könige, Fürsten und Herzoge. Die weiteren Ränge behandelt Ägidius nicht, sie gehören nicht zu seinem Thema. So ist die weltliche Herrschaft eingereiht in die gewaltige Stufung der „regimina" und „gubernaciones", die sich in Schöpfung und Erlösung entfaltet und auf die „salus electorum" ausgerichtet ist. Daß die regalis potestas, der gladius materialis als „in ecclesia" stehend betrachtet wird, das findet hier seine human-heilsexistentielle Entsprechung. Herrschaft ist ihrer innersten Intention nach auf Transzendenz hin da, sie hat einen eschatologischen Charakter, mag sie auch wie jede praelatio in der Ewigkeit überflüssig werden. Ägidius befindet sich in dieser Konzeption genau auf der Linie, die wir an so hervorragenden staatspolitischen Dokumenten wie den Ordines zur Herrscherweihe verfolgen konnten. Was sich aus solchen Gemeinsamkeiten jenseits aller rechtlichen Divergenzen für die Gesamtbeurteilung ergeben kann, sei der zusammenfassenden Betrachtung des dritten Teiles dieser Studie überlassen.

IV. Das ägidianisdie System der „jurisdictio primaria et superior" und der „jurisidictio immediata et executoria" Die päpstliche, universale Temporalgewalt (dominium universale) als höhere Weisungsgewalt; ihr Wesenszug der perfectio und excellencia. Die Frage nach der Spiritualität dieser Gewalt. — Die Aktualisierung der Erstgewalt als unmittelbare Eingriffsgewalt. — Die Kriterien dieser Gewalt.

In den bisherigen Ausführungen ist schon mehrfach die Unterscheidung der päpstlichen Gewalt gegenüber den Temporalien in eine Erstgewalt und eine Art Sondergewalt angeklungen. Ägidius behandelt diese Distinktion im dritten Buch seines Traktates, nachdem er im ersten und zweiten die allgemeinen Thesen begründet hat. Jetzt geht es um die konkrete Frage: Wann wird aus der geistlich-weltlichen Obergewalt Ernst, wann kann der Papst faktisch in weltliche Dinge sich einmischen? Hierbei kommt es zugleich zur terminologischen Unterscheidung von direkter und reflexer Gewalt, zwar nicht systematisch, aber doch derart, daß man aus den Bemerkungen des Autors, zusammen mit der These von der Erst- und Sondergewalt einen Rückschluß auf die Gewaltenlehre im ganzen ziehen kann. In diesen Abschnitten treten die streng juridischen Fragen in den Vordergrund und verlangen nach einer Lösung. a) Die päpstliche Erstgewalt (iurisdictio primaria) gegenüber den weltlichen Herrschaften. Die Umrisse der höheren Erstgewalt werden schon im ersten Teil des Traktates sichtbar, wenn Ägidius etwa in I, 8 von der in das BegrifFspaar: ad usum — ad nutum modifizierten Schwertformel Bernhards ausgehend71, diese Erstgewalt im Sinne des: ad nutum erläutert. Moses, dem er die geistliche und weltliche Vorsteherschaft zuschreibt, habe, verbraucht durdi die „geistlose" Arbeit (stultus labor) und um für die geistliche Arbeit frei zu sein, Richter eingesetzt. Er überließ ihnen die Sdiwertgewalt (iudicium sanguinis) und die Gerichtshoheit, wobei außergewöhnliche Dinge und große Angelegenheiten vor ihn zu bringen waren. Deshalb seien auch jetzt noch, wie es mit unverkennbarer Anspielung auf den Streit Philipps des Schönen mit Bonifaz VIII. heißt, auch jetzt noch: „aliqua magna et insolita... et potissime si talia occurrerent illa magna, quantumcumque essent secularia vel terrena, que possent ecclesiam perturbare". Die Weisung (nutus), und darin besteht die Erstgewalt offenbar, bezieht sich demnach auf Sonderfälle (insolita), das Ge71

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Bernhard, De consideratione IV, 3, 6 hat nicht die Formel: ad usum — ad nutum, die Aegidius verwendet (I, c. 8: quia non habet materialem gladium ad usum, sed ad nutum), bei ihm heißt es: „sed sane ad nutum sacerdotis et iussum imperatoris". Kölmel

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samtinteresse (magna) berührende Fragen; letztere werden noch einmal spezifiziert — für die Praxis jedenfalls — in jene Fälle, die den Frieden der Kirche selbst angehen. In einem Zusatz wird die Unterordnung der terreni principes intentional noch einmal im Sinne der bereits behandelten übernatürlichen Zielsetzung auch der herrschaftlichen Gewalt erläutert: „sie et modo principes seculares in hiis que pertinent ad materialem gladium debent esse sub ecclesia, quia ad opus ecclesie, in bonum fidei, in augmentum spiritualium bonorum debent uti huiusmodi gladio". Der Unterordnungsgrund ist klar vom „spirituale bonum" her und in ihm bestimmt. Audi dies wird noch einmal unterstrichen durch den weiteren Zusatz, daß der Körper auf die Seele ausgerichtet sei, ebenso die „terrena et temporalia... ordinantur ad spiritualia". Das ist nun unmißverständlich ausgesagt. Die weltliche Vorordnung ist Folge der „ordinatio ad spiritualia", sie ist, logisch gesprochen, nicht aus der spezifischen Provenienz des „corporate, terrenum, seculare" gebildet, sondern entsteht erst dann, wenn eben das genus, der Bereich des streng Weltlichen, des weltlich Weltlichen überschritten wird und die ordinatio ad spiritualia einsetzt. Sie ergibt sich aus dem Spiritualen. Der Rekurs an den geistlichen Richter erfolgt ferner bei einem „difficile et ambiguum", was im Anschluß an Deut. 17, 8 ja bereits Innozenz III. in Per venerabilem (IV, 17, 13) behandelt hatte. Der Herrscher soll nichts ohne den Rat des Hohepriesters tun (sine consilio pontificis), das heißt, er solle „in iudicando et exercendo materialem gladium... id sentire, quod senciunt sacerdotes et non deviare a mandatis ecclesiae". Die Erstgewalt tritt darnach ein, wenn diese Ubereinstimmung der geistlichen und weltlichen Rechtsordnung nicht mehr gewahrt ist. — Ihr Wesen wird in I, 9 als: „maioris perfeccionis et excellencie pocioris" bestimmt. Die Ausgezeichnetheit ergibt sich aus der geistigen Lenkung, für die die virtus und potencia der Engel als Vorbild dient. Auch die Engel bewegen allein auf geistige Weise (secundum nutum et secundum voluntatem) die körperlichen Dinge. So folgt die Überlegenheit des Hierarchen allein aus seiner geistlichen Gewalt: „Ex ipsa itaque potencia spirituali, cui obedit materialis substancia ad nutum, possumus cognoscere, quante excellencie sit et quante perfeccionis habere materialem gladium ad nutum magis, quam habere ipsum ad usum; quia habere huiusmodi gladium ad nutum est ipsum habere eo modo quo agunt spiritualia, qui agunt perfecciori modo et excellenciori". Damit ist der gründend geistliche Charakter der höheren Weisungsgewalt, als die die Erstgewalt vorbereitend gekennzeichnet wird, unübersehbar umschrieben. Die bereits getroffene Feststellung, daß sich die Superiorität der Erstgewalt nicht aus dem gattungseigenen Merkmal einer korporalen Herrschaft ergibt, wird in demselben Zusammenhang noch unterstrichen durch die Bemerkung: „Cum enim dieimus spiritualem potestatem esse superiorem potestate terrena, non intelligitur secundum ordinem corporalem, ut quod una sit in turri, alia in palacio, sed hoc intelligimus secundum excellenciam et perfeccionem". Es handelt sich demnach im Verhältnis der Gewalten niclit um eine Relation einer höheren weltlichen zu einer niedrigeren weltlichen Gewalt gleicher Seinsstruktur und gleicher Bereichszugehörigkeit. Die Über-

IV. Das aegidianische System

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legenheit ergibt sich nicht „ex ordine corporali", die Gewalten sind nicht einfach nur räumlich und der Unterbringung nach (turris [geistliche Gewalt] — palacium [weltliche Gewalt]) unterschieden, sondern sind wesenhaft getrennt. Diese wesenhafte Trennung gilt damit auch für die Gewalt der Kirche gegenüber den weltlichen Herrschern. Sie ist weltliche Gewalt hinsichtlich des betroffenen Objektes, aber nicht hinsichtlich des Subjektes und der Substanz der Gewalt selbst. Die bisherigen Kennzeichnungen und Erläuterungen der Lehre des Ägidius haben auf diese feineren Unterschiede nicht geachtet oder keinen Wert gelegt. Offenbar waren die spektakulären Formulierungen des Traktates, noch dazu aus dem Zusammenhang genommen, so eindrucksvoll, daß sie bereits genügten72. Ägidius fährt fort, daß nach der Engelslehre des Pseudodyonysius die oberste Spitze der körperlichen Ordnung die untersten Grade der höheren geistlichen Ordnung erreiche. Den höheren Geistern gezieme es jedoch nicht, unmittelbar das Körperliche zu leiten. Das gilt auch für die Gewalt „ad nutum". „Sic non decet spiritualem potestatem tamquam superiorem et excellentem habere immediatum exercicium super materialem gladium, nec decet eam habere huiusmodi gladium ad usum, sed ad nutum" (I, c. 9). Damit klingt zum ersten Male die Terminologie und die in ihr angerufene Sachfrage der direkten (und indirekten) Gewalt an. Sicher stellt die Erstgewalt keine generelle weltliche Immediatgewalt dar. Dieses Ergebnis wird jetzt schon vorgezeichnet. Es muß sich erweisen, wie im einzelnen das Verhältnis: direkt— indirekt aufzufassen ist. Die Konturen der Erstgewalt werden im zweiten Buch ergänzt und zugleich inhaltlich detaillierter und reichhaltiger in dem Augenblick, da Ägidius explizit die Thematik des dominium universale und seines Verhältnisses zum dominium particulare vorstellt (II, c. 10). Er unterscheidet das dominium utile (fructiferum), also die possessio vom dominium potestativum (gubernacio hominum). Wieder wird von der anima her operiert, die „corporalis substancia", mit der es das weltliche Regiment zu tun hat, wird von der spiritualis substancia her regiert. Wieder wird der natürliche und übernatürliche Begriffsinhalt ohne trennende Merkmale und ohne Angabe der Analogrelation verwendet. Aufgabe der höheren Gewalt ist das „supplere defectum inferiorum". Damit ist die innere Grundlage für die später zu nennenden Einzelfälle genannt, in denen die geistliche Gewalt einen Defekt der welt7i

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Weder A. Dempf, Sacrum imperium, S. 448 ff, noch F. Merzbadier, vgl. Anm. 59, gehen auf diese notwendige genauere Bestimmung der potestas spiritualis als potestas temporalis ein. Es bleibt aber ein wesentlicher Unterschied, ob die geistliche Gewalt substantiell als geistliche Gewalt oder als, in diesem Fall, hinzukommende weltliche Gewalt, oder nur als funktional-extensive Gewalt bestimmt wird, d. h. als potestas spiritualis in temporalibus. — Die Formel „uterque gladius in ecclesia" heißt daher nur, daß das weltliche Schwert in die von der Kirche umgriffene Ordnung eingefügt ist und daß der Papst das weltliche Schwert „habet". Es ist dann notwendig dieses „habere" zu bestimmen. Der Formel ad usum — ad nutum zufolge kann es nur ein „habere ad nutum" bedeuten, sidier nicht „ad usum", so daß sowohl alle originären Merkmale der weltlichen Gewalt, das was ihr „ex natura propria" (vgl. Anm. 61) zukommt, wie was ihr als eigene Funktion zukommt, ausgeschlossen ist. —

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liehen Ordnung auszugleichen hat. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die inferiora zu lenken, und zwar im Sinne des „bonum publicum et commune". Die weltliche Gewalt als „virtus particularis" sieht Teilzwecke, die geistliche Gewalt das Ganze, wie auch die Sonne zur Fortpflanzung aller Lebewesen beiträgt. Dabei kann die höhere Instanz eingreifen sowohl, wenn eine Schuld der niederen Instanz vorliegt, als auch bei Impotenz oder unüberwindlicher Ignoranz, Grundsatz ist das bonum commune und die Wohlfahrt der res publica. Die historische Rolle, die der Kirche seit den Tagen des zusammenbrechenden Imperium Romanum zukam, kristalliert sich im Höhepunkt der theoretischen Ausbildung dieser Schützerrolle in die generelle Zuständigkeit für das öffentliche Wohl schlechthin. Der Charakter dieser Erstgewalt ist der des höheren geistig-geistlichen Urteils: „qui spiritualia iudicat, potest materialia iudicare, sie et qui spiritualia seminat, potest et carnalia et temporalia metere" (1 Kor. 9, 11). Aus der geistig-geistlichen Praeponderanz folgt die Erstgewalt über das Temporale: „ex ipsis ergo animabus sive ex ipsis substaneiis spiritualibus et ex hoc, quod gladius ecclesie est gladius spiritualis, habet dominium super ipsis temporalibus et super ipsis rebus exterioribus" . . . quia ad quem spectat iudicare de rebus spiritualibus et subtibilibus, eius iudicium... materialia et grossa non possunt effugere". Wer das Höhere beurteilt, kann auch das Niedere beurteilen und über es urteilen. Da aber die Temporalien unmittelbar auf das Spirituale hingeordnet sind, folgt daraus die Erstgewalt des Spiritualen auch über das Temporale. Je mehr man die Argumentation in den Einzelheiten des Gesamttextes verfolgt und nicht nur an Einzelformulierungen hängen bleibt, umso mehr wird die primäre Verursachung der Erstgewalt der Kirche aus dem Spiritualen her befestigt. Wiederum II, 10 im Anschluß an die soeben vorgeführte Darlegung: „Concludamus itaque... quod spiritualis gladius, quia omnia spiritualia iudicat, potest de omnibus temporalibus iudicare, et quia omnia spiritualia seminat, potest de omnibus temporalibus metere . . . Quia ergo spiritualis gladius potest de omnibus temporalibus iudicare habet super temporalibus universale dominum iurisdiccionale et potestativum; quia potest de omnibus temporalibus metere, habet universale dominium utile et fruetiferum". Der Wesensunterschied der weltlichen Gewalt zur geistlichen Erstgewalt über das Weltliche läßt sich nach unserm Autor mit der natürlichen und übernatürlichen Heilkunst vergleichen. Der medicus corporalis hat zu befinden über den Gebrauch der Temporalien „ad sanitatem", jedoch nicht über die Verfügungsrechte über diese Temporalien an sich. Das gehört als Sache der iustitia zur sanitas spiritualis. Der medicus spiritualis wacht aber über die Gerechtigkeit, über den Grundsatz des „unieuique suum". Daher bringt die Kirche immer wieder: „suum spiritualem gladium, suam censuram ecclesiasticam contra usurpatores et contra aliquarum rerum indebitos retentores et preeipue in arduis casibus, ubi pax publica et bonum publicum perturbatur". Die kirchliche Kontrolle und Zensorschaft, einschließlich des Depositionsanspruches (contra usurpatores) wird nach all dem, was wir herausgearbeitet haben, nicht mehr zufällig „spiritualis gladius", kirchliche Zensur benannt. Gerechtigkeit

IV. Das aegidianisdie System

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ist, wie es weiter heißt (II, 10) eine spirituale Angelegenheit: „Nam si iusticia res est spiritualis et est perfeccio anime et non corporis, ad potestatem spiritualem spectabit iudicare de ipsa iusticia; potestas autem terrena et corporalis non habebit iudicare de ea, nisi hoc agat in virtute spiritualis potestatis". Daher sind, wie es in Anlehnung an den kanonistisch bereits im 12./13. Jahrhundert vertretenen Satz lautet, die kaiserlichen Gesetze auf die kirchlichen Gesetze hin zu ordinieren, damit sie von dort her Kraft und Festigkeit gewinnen79. Da die Temporalien mehr auf die Gesundheit der Seele als des Leibes gerichtet sein sollen: „medicus spiritualis et potissime summus sacerdos habet imperium et dominium super omnibus temporalibus rebus" (II, c. 10). In einer aufschlußreichen Bemerkung, die in II, 10 zum Partikularredit der Laien führt, gesteht Ägidius auf den Einwand, daß die über den corpus urteilende weltliche Gewalt auch über die anima urteilen müsse, da beide ein Ganzes bilden, auch eine temporal-geistige Führung zu. Eine darin überraschende Antwort, da doch die Belange der anima scheinbar ausschließlich der geistlichen Gewalt zuzusprechen sind: „Ad quod dici potest, quod materialis gladius intromittere habet se de iniusto et inducet hominem ad virtutes et intromittet se de iis que sunt anime. Sed hoc erit modo famulativo. Et spiritualis gladius intromittet se de corporalibus non modo famulativo, sed dominativo" (II, c. 10). Vergleicht man das „intromittet se de iis que sunt anime" mit dem, was oben zu demselben Thema ausgeführt wurde, daß nämlich nur das geistliche Schwert über die „iustitia" zu urteilen habe und das weltliche Schwert dies nur „virtute spiritualis potestatis" zu tun vermöge, dann ist wenigstens die weltliche Gerechtigkeit erneut einer Diskussion gestellt; denn das dienende Handeln (modo famulativo) deckt sich keineswegs mit einer von höherer Instanz vorweggenommenen Entscheidung. Es läßt nämlich Raum für eine Eigenentscheidung, die zwar in „ordinatio ad" steht, aber keineswegs als nur ausführende Entscheidung einer höheren virtus anzusehen ist. Die potestas (iurisdictio) primaria ist nach dem Bisherigen demnach bestimmt als Weisungsgewalt (ad nutum), im Sinne der perfectio und excellencia zugleich wesenhaft geschieden; sie geht aus der spiritualen Gewalt hervor und ist der niederen weltlichen Instanz vorgeordnet, da sie im Interesse des bonum publicum bei Schuld und Defekt der potestas terrena eingreifen kann. Ihre inneren Wesenszüge sind in ihrem geistlich-geistigen Charakter gegenüber der körperlichen und auf das Partikulare gerichteten Funktion der Herrschaft zu sehen. Dieser Charakter wird endlich unterstrichen in jenen Argumenten, die nun auf die eigene hierarchische Position des Papstes selbst zielen. Denn die universale Superiorität ist, wie in II, c. 12 ausgeführt, ebenso begründet in der Spiritualität des päpstlichen Amtes. Der Papst ist eigens, im Sinne der hierarchischen Jurisdiktion, jener „spiritualis homo, qui iudicat omnia et ipse a nemine iudicatur". Es wäre daher nicht einzusehen, daß dieser „homo ex sua spiritualitate super spiritualiora se iurisdiccionem haberet, cum iurisdiccio et auctoritas secundum quod huismodi ad inferiora referantur". 73

Vgl. Anm. 54.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

Das Urteil, das dem Papst zusteht, ist nicht nur ein universal-spekulatives, sondern zugleich ein „auctoritativum et iurisdiccionale, cum temporalia possint haberi debite et indebite et cum salute et non salute animarum; eapropter, qui habet iudicare de salute animarum et de Omnibus temporalibus iudicabit, et iudicando de iusta possessione rerum, quantum ad hoc, omnes animas salvas faciat". Da das Fundament des Eigentums in der „communicacio hominum ad invicem", in der geselligen Gemeinschaft, beruht, bedeutet die Exkommunikation, der Ausschluß aus der communio fidelium, zugleich den Verlust der Rechtstitel, die in der communio fidelium (II, 12, S. 104) basieren. In einer letzten Kennzeichnung, gegenüber den Dekretalen Innozenz' III.74, die das zivile Eigenrecht der Könige anerkennen, wird die Erstgewalt mit der scholastischen Lehre von der lex communis zusammen gebracht. Der lex communis nach erfolgt die Regierung der Welt durch Gott im Sinne des allgemein Wirkenden (universale agens: III, c. 2). Von ihm unterscheidet sich die lex specialis, der gemäß „secundum divinam dispensacionem et Dei providentiam specialem" die Weltregierung erfolgt. Wesen der lex communis ist es, allen Dingen deren eigene Wirkkraft zuzuteilen: „Quod universale agens omnibus rebus suas virtutes tribuit et nullam rem in sua accione impedit, sed omnes res proprios cursus agere sinit". Diese Zuerkennung der zweitursächlichen Eigentätigkeit ist umso wichtiger, als mit der Darlegung der lex communis als Erstgewalt die Rückführung der Gewalten im Sinne des Einheitsprinzips (vgl. oben zu Bonaventura und zur Determinatio) sich verbindet. Wie Gott in der gubernacio mundi die Quelle aller Gewalten darstellt, so ist es analog erforderlich, daß die gubernacio hominum innerhalb der kämpfenden Kirche eine Quelle habe: „quod unus sit fons, unum sit Caput, in quo sit plenitudo potestatis, in quo sit omnis potencia quasi super corpus mysticum sive super ipsam ecclesiam: apud quem sit uterque gladius, quia aliter non esset in eo omnis potencia" (III, c. 2). Die Gewalt des Papstes ist zu vergleichen, wie es in einem andern breit ausgeführten Bild heißt, der Analogierelation Meer und Sonne zu Gott. Dem Meer, das sich anbietet, die einzelnen Gefäße (Gewalten) zu füllen; damit ist die universale Fülle der päpstlichen Gewalt gemeint. Der Sonne, die auf alles ihre Strahlen schickt; damit wird auf die höhere virtus verwiesen, von der her im Heilsverband die weltliche Gewalt ihre rechtliche Kraft erhält. Der Papst mischt sich daher nicht in die weltlichen Dinge kraft der Erstgewalt ein, denn dies würde die weltliche Herrschaft entleeren, würde ihr den Glanz ihrer Herrschaft nehmen und würde sie selbst ihre Eigentätigkeit nicht ausüben lassen (III, 2: magis ea evacuaret, retraheret ab eis radios sue potencie, non sineret eas agere proprios motus et proprios cursus). Ägidius erläutert diese Nichteinmischung gemäß der lex communis ziemlich ausführlich in III, c. 3 und 4, wobei gleichzeitig bereits die Umrisse der lex specialis greifbarer werden. — Einmal gehört zur Kennzeichnung der lex communis, 71

D e eccl. pot. III, c. 2 (S. 149) ausgehend von II, 1, 13 N o v i t ; IV, 17, 7 (Qui filii sint legitimi) Per venerabilem). — II, c. 12, S. 104 wird communio hominum und fidelium gleichgesetzt: communione hominum vel communione fidelium.

IV. Das aegidianische System

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daß der Papst erstrangig und eigentlich dem Spiritualen zugewandt ist. Hier hat er auch der lex specialis gemäß die specialis cura, hier wird unterschiedlos und ohne einschränkende Bedingungen an ihn appelliert75. Gegenüber dieser Funktion hebt sich für die Temporalien nur eine „quaedam generalis cura" ab (III, c. 3), das zweite Sdiwert ist ihm, wie es heißt, nur „adiunctus". Diese allgemeine Sorge vollzieht sich unter den Bedingungen der ecclesia militans. Während in der ecclesia triumphans jederzeit ein Rekurs an Gott möglich ist und auch zugelassen wird, ist unter den Bedingungen der Zeitlichkeit nur selten mit einem Eingriff Gottes in die Welt der „corporalia dampna" zu rechnen. Entsprechendes gilt für die Hierarchie. Der gemeinhin geltenden Regel nach haben die weltlichen Herren die gerichtliche Hoheit, nur in Einzelfällen wird es einen Rekurs an die geistliche Gewalt geben: „nec debet in eis appellaciones admittere, nisi propter aliqua specialia... sed debet iudicia in talibus ad seculares dominos et ad civiles iudices remittere" (III, c. 3). Zur Erstgewalt wird als konkrete Anwendung nur gerechnet die Einsetzung des Herrschers: „Secundum quam auctoritatem primariam et superiorem instituere habet potestatem terrenam... secundum quam institucionem ipsa potestas terrena immediate se de temporalibus intromittit". (III, 4, 163) Diese Einsetzung erklärt er als eine Unterordnung, die „principalius" geschehe, und zwar müsse man, wie es zuvor heißt, in der Relation der Temporalien zur Kirche ein primär (primo) unmittelbares Verhältnis im Sinne der arteigenen Beziehung unterscheiden oder, wie Ägidius es sagt, die Berührung von Hammer und Eisen von jener Relation trennen, die wiederum primär zwischen dem Schmied und dem Eisen bestehe. Auch der Schmied berühre (durch den Hammer) freilich das Eisen, aber er tut es der anfänglichen Kraft nach: „Nam quod martellus attingat ferrum, hoc habet a fabro". Wir haben also das Doppelverhältnis der Unmittelbarkeit im Sinne der höheren Lenkung (principalius) und der artgleichen Einwirkung (immediacius). Daher gilt für das Verhältnis der Temporalien zur Kirche: „Temporalia igitur subsunt potestati terrene primo id est immediacius, et subsunt ecclesie primo id est principalius". Daß es sich bei der Unmittelbarkeit der arteigenen Relation (Hammer— Eisen) im Verhältnis zur Erstrelation: Schmied—Eisen nicht um eine mechanische Unterwerfung der weltlichen Seite handeln kann, wenn man dieses Bild auf das Verhältnis von spiritualis und terrena potestas anwendet, ergibt sich schon aus der Erklärung der „lex communis", die ja der weltlichen Gewalt ihren „proprius cursus" überläßt. Wir haben demnach bereits jenen Fragenkomplex angeschnitten, der sich mit der Terminologie der direkten und damit auch der indirekten Gewalt verbindet (vgl. eingangs S. 25). Die Erstgewalt ist nach dem bisher Gesagten in ihrer Weise „direkt", sie ist wahrscheinlich zugleich auch nur „indirekt". Ihr Charakter ist zunächst der des „primo" im Sinne eines „principalius", 75

De eccl. pot. III, c. 3: „Exinde est, quod quidquid contingit in spiritualibus et in iudicibus ecclesiasticis, potest dici, quod sit eius specialis casus, quia specialem curam debet habere de talibus, ut ipse ex hoc sit iudex Ordinarius in quolibet tali foro, et ex hoc in talibus indifferenter et passim appellatur ad ipsum".

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also einer anfänglich gründenden Realität. Als solche wird sie in III, c. 4 auf die Herrsdierpromotion bezogen (S. 163: Secundum quam auctoritatem primariam et superiorem instituere habet potestatem terrenam). In III, c. 7 wird diese „auctoritas primaria" in ganz bestimmter Sinngebung als „directe" bezeichnet. Dort fällt auch der Ausdruck, daß die Erstgewalt als ein „posse absolutum" im Unterschied zur Spezialgewalt, die als „posse regulatum" bezeichnet ist, bestimmt werden könne. „Posse absolutum" und „regulatum" erinnert an die theologisdie Distinktion aus der Gotteslehre: „potencia absoluta und ordinata 753 . Das „posse absolutum" ist wie die „potencia absoluta" immer praesent, das „posse regulatum" ist wie die „potencia ordinata" auf bestimmte Fälle, bei Gott auf seine faktischen Entscheidungen, eingegrenzt. Da die Erstgewalt mit der Herrsdierpromotion in Relation gesetzt ist, stimmt der Vergleich nicht ganz. Das „posse absolutum" kann nur eine jeweils gegenwärtige Potenz aussagen, die unter Voraussetzung der „aliqua specialia" (III, c. 3) zum unmittelbaren Eingriff werden kann. Wir sind somit bei der „lex specialis" selbst und im Ganzen bei der Frage nach der direkten und indirekten Gewalt der Kirche über die Temporalien angelangt. Zunächst sei über die „iurisdictio immediata et executoria" gesprochen. b) Die päpstliche Gewalt gegenüber den weltlichen Herrschaften als „iurisdictio immediata et executoria". Die Erstgewalt der Kirche genügt für die Aufrechterhaltung des bonum publicum, soweit die terreni principatus ihre Aufgaben erfüllen und erfüllen können. Die lex specialis, gemäß der ein kirchlicher Eingriff erfolgt, ist in der Tradition, die Ägidius vorausgeht, bereits sehr deutlich umschrieben. Unser Autor wird sich ihr nicht entziehen. Die lex specialis in Gott selbst wurde gekennzeichnet als Dispenz und besondere Providenz (vgl. 326 zu III, c. 2). So bei Daniel in der Löwengrube, wenn es also einem Heilswerk dienen soll. Ähnlich kann die Kirche unmittelbar eingreifen, wenn der modus des „regulariter et generaliter", der auf weltlicher Seite die Funktion der Eigenständigkeit beinhaltet, nicht ausreicht. Der Erstgewalt nach setzt die Kirche, wie wir soeben sahen, die weltliche Herrschaft in ihr Amt. Der gemäß kann sie „casu contingente", „ex culpa vel saltem ex causa" eine Absetzung und Translation vornehmen. Die Erstgewalt wird zur „iurisdiccio immediata et execuoria" (III, c. 7). In der Einleitung zur Darlegung der Einzelfälle, die eintreten bei Vorliegen eines vernünftigen Grundes und besonderer Notwendigkeit (causa tarnen rationabili imminente et speciali aliquo existente; III, c. 4), heißt es nun in sehr bezeichnender und nach dem, was wir bisher verfolgen konnten, keineswegs zufälliger Diktion, daß die geistliche Gewalt bei ihrem Eingriff in die Temporalien hier eine Art spiritualen Seinsmodus vortrifft, ja daß die 7sa Y g j

unten

s . 537 zu dieser Lehre bei Odcham.

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Temporalien gewissermaßen selbst als Spiritualien bezeichnet werden können: „Sic et si principatus sacerdotalis per se et primo tendit in spiritualia; si autem iurisdiccionem exerceat in temporalibus, hoc erit, prout temporalia induunt quendam modum spiritualem, ut ipsa temporalia spiritualia dici possunt. Nam quamvis corpus non possit fieri spiritus, res tarnen corporalis potest dici spiritualis et ipsum corpus potest dici esse quid spirituale" (III, c. 5). Der Spiritualcharakter entsteht, wie zuvor erläutert wird, einmal durch die Denomination von der Betrachtung bezw. der Lenkung durch das Spirituale, dann aber durch die Teilnahme: „corpus potest dici quicquid spirituale propter condiciones aliquas spirituales, quas participare potest". Das Prinzip der Teilnahme (Teilhabe) ist ein durchgängiges scholastisches Element der Erklärung des inneren Verhältnisses der geschöpflichen Ordnung zur Übernatur und zu Gott, man denke an die thomistische Deutung des Naturredites (S. th. 1, II, 91, 2) 76 . Auf die ägidianische Lehre von den Temporalien übertragen besagt es, daß der innere Ansatz des kirchlichen Eingreifens in die temporalia eben ein in den Temporalien feststellbares „quid spirituale" darstellt. Das heißt, was sich im Bereich der spiritualia per se und zuerst als Ziel der spiritualen Gewalt ergibt, daß der „principatus sacerdotalis per se et primo tendit in spiritualia" ( I I I , c. 5), findet sich bei den temporalia in Form der participatio. So kann nun Ägidius die Fälle vorführen, in denen die potestas spiritualis sich auf „res temporales" erstrecken kann. Er gibt hierfür zunächst einleitend einige, für unsere spätere Beurteilung der sogenannten „potestas directa in temporalibus", grundlegende Regeln. Zu Ende I I I , c. 4 heißt es, daß die „potencia intellectiva" sich nicht „directe, sed per reflexionem" auf die „particularia" wende. Entsprechendes gelte für die geistliche Gewalt. Sie wendet sich nicht wie die körperlich-weltliche Gewalt „regulariter" auf die Temporalien, sondern „in casu et propter aliquid speciale, racione cuius regula potest reflecti vel plicari". Den Grundsatz für diesen „casus" und dieses „speciale" erfahren wir in dem bereits zitierten I I I , c. 5, im Anschluß an die oben angeführten Gedankengänge, er lautet unzweideutig: „Cum ergo queritur que sunt illa specialia et qui sunt illi casus, in quibus spiritualis potestas se de temporalibus intromittit, dicemus, quod omnibus illis modis quibus temporalia possunt dici spiritualia, spiritualis potestas iurisdiccionem suam in temporalibus exercebit" ( I I I , c. 5). Was sind nun diese „modi", unter denen die „temporalia" zu „spiritualia" werden? — Ägidius führt hierzu eine D i stinktion ein. Er unterscheidet eine dreifache Betrachtungsweise der Temporalien: a) ad ipsas res (d.h. als Sachen, als Gegenstände selbst), b) quantum ad potestatem temporalem sub qua sunt, also hinsichtlich ihrer Unterordnung unter die weltliche Herrschaft, c) quantum ad potestatem summi pontificis. Das heißt, wir haben den Sachbezug und den Gewaltenbezug. In jedem dieser Bezüge kann die genannte Bedingung fällig werden: „Omnibus autem istis modis temporalia possunt dici spiritualia; ideo per comparacionem ad omnia ® Thomas a . a . O . : Was der göttlichen Vorsehung untersteht, hat sein Maß am ewigen Gesetz. Das vernünftige Geschöpf hat an der ewigen Vernunft teil (participatio).

7

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

ista ipsa temporalia sub iurisdiccione potestatis spiritualis poterunt collocari. Ex ipsis itaque rebus temporalibus et ex potestate terrena et ex spirituali potestate possunt sumi speciales condiciones et speciales casus, propter quos iurisdiccio rerum temporalium ad spiritualem potestatem devolvitur" (III, c. 5). Diese Aussage ist als Ganzes eindeutig. Sie ergänzt die vorigen Ausführungen, die in der Feststellung endeten, daß wie die Körper auch „ipsa temporalia poterunt dici spiritualia propter condiciones aliquas spirituales" (III, c. 5). Die „condicio" ergibt sich offensichtlich aus einer Relation auf ein anderes (ad quod)77. Der Bezug schafft im Sinne der „participatio" ein „spirituale". Die Feststellung des Ägidius, daß in allen drei Aspekten der Temporalien, des Sach- und Gewaltenbezuges, diese als spiritualia bezeichnet werden können, sei auch deshalb besonders herausgestellt, weil Ägidius in der Detailausführung der „casus" nur noch für den Sachbezug die zum Eingang der Betrachtung genannte Bedingung des: „temporale als ein spirituale" wiederholt78. Auch wenn später (III, c. 7/8) diese Eingangsformulierung nicht eigens erneuert wird, ist das Prinzip doch für alle Fälle klar definiert: Sowohl in Bezug auf die „res" wie auf die beiden Gewalten, d. h. in Fällen, die sich im Rahmen der jeweiligen potestas ergeben, können Temporalia zu spiritualia werden. Damit sind die späteren Ausführungen über die Eingriffe (casus), die „ex 77

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Die oben S. 393 zitierte Stelle aus III c. 5: „Omnibus autem istis modis" wird, nadidem in III, c. 5 und c. 6 der modus „quantum ad ipsas res" behandelt ist, in III, c. 7 (S. 179) wieder aufgenommen: „Ennarravimus in precedenti capitulo casus sumptos ex parte ipsarum rerum temporalium, quando huiusmodi res possunt induere quendam modum spiritualem racione cuius earum iurisdiccio pertinet ad spiritualem iudicem. In presenti autem capitulo et etiam in sequenti enumerare volumus speciales casus sumptos tam ex parte potestatis terrene, quam eciam ecclesiastice, propter quos ad summum pontificem deceat iurisdiccionem in temporalibus exercere". Der Wortlaut entspricht genau demjenigen in III, c. 5 (vgl. S. 393), wo die modal als spiritual bezeichneten temporalia den Grund für die dreifache Möglichkeit päpstlichen Eingreifens abgeben. — Daher können die Wendungen, die den Anschein erwecken, die Setzung „spiritualia-temporalia" (per participationem) beziehe sidi nur auf die res, so in III, c. 5 (S. 169): racione ipsarum rerum (wieder aufgenommen III, c. 7 S. 180: In hiis ergo casibus), eben nur im Rahmen der zusammenfassenden Beziehung auf die drei modi der ordinatio ad spirituale verstanden werden. Das stimmt auch inhaltlich. Denn im zweiten modus (quantum ad potestatem temporalem) heißt es III, c. 7 (S. 180), der temporale Herr habe die Gewalt „ne nobis indebite subtracta inferantur. Sed iudex spiritualis et ecclesiasticus habebit hiuiusmodi iurisdiccionem, ne ipsa temporalia indebite accepta et iniuste usurpata inferant malum animabus nostris et spiritibus nostris". Die Temporalien sind hier im Heilsbezug gesehen. — Im dritten modus III, c. 8 geht es um die Reditssicherung (casualiter et in certis causis inspectis), difficilibus, ambiguis (Per venerabilem). Vgl. auch Anm. 78. Einleitend hat Aegidius in III, c. 5 (S. 169), vor der S. 393 zitierten Stelle, gefragt: „Cum ergo querit que sunt illa specialia, et qui sunt illi casus, in quibus spiritualis potestas se de temporalibus intromittit, dicemus, quod omnibus ¡Iiis modis quibus temporalia possunt dici spiritualia, spiritualis potestas iurisdiccionem suam in temporalibus exercebit. Advertendum ergo, quod ipsa temporalia tripliciter possunt considerari; primo quantum ad ipsas res; secundo quantum ad potestatem temporalem sub qua sunt; tercio quantum ad potestatem summi pontificis. Omnibus autem istis modis temporalia possunt dici spiritualia; ideo per comparacionem. Damit ist der Bezug auf die Fälle in c. 5,6 (quantum ad res) und c. 7 (ex potestate terrena), c. 8 (ex potestate spirituali) von Aegidius selbst betont.

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parte potestatis terrenae quam ecclesiastice" genommen werden (III, c. 7, 8) aus dem Textablauf mit den einleitenden Ausführungen von III, c. 5 über die Temporalien und über die kirchliche Jurisdiktion über die Temporalien als Spiritualien verbunden. Nehmen wir nun hinzu die oben zitierte Definition des geistlichen Eingriffs in Temporales als eine Hinwendung, die nicht „directe", sondern „per reflexionem" erfolgt, wobei der Grund für die „reflexio" in einem „speciale" liegt, dieses speciale" sich aber als ein spirituale herausstellt, dann ist für die Charakteristik der päpstlichen Temporalgewalt bereits etwas ganz Entscheidendes ausgesagt: Grund (racio) des Eingriffs in die Temporalien von geistlicher Seite ist eine spiritual verstandene und Spiritual zu verstehende Gegebenheit. Ein „casus", in dem es um „Spirituales" geht79. Nun zu den einzelnen Fällen. Im ganzen nennt er zehn Fälle, sie weichen nur unwesentlich von dem bereits in der kanonistischen Tradition gezeichneten Schema (Tankred, Innozenz IV., vgl. S. 232, 249) ab. Damit wäre erwiesen, wie sehr Ägidius in der konkreten Anwendung der kirchlichen Temporalgewalt in der Tradition verharrt und wie er den temporalen kirchlichen Eingriff auf seine Gründung in der Heilsordnung folgerichtig zu entfalten sucht. Er führt die Fälle entsprechend der von ihm geschiedenen Aspekte der Temporalien je nach ihrem Sach- oder Gewaltenbezug vor, wobei aber nur der Sachbezug (quantum ad res) den ursprünglich genannten Ausgangspunkt von den Temporalien als Spiritualien (temporalia possunt dici spiritualia) her beibehält. Bei den Fällen, die sich in bezug auf die weltliche und geistliche Gewalt ergeben, wechselt der Ausgang auf die Gewalten selbst, er argumentiert jetzt „ex parte potestatis". Die zehn genannten Fälle verteilen sich auf drei Fälle „racione ipsarum rerum", vier Fälle rühren von der weltlichen Gewalt und drei Fälle von der geistlichen Gewalt selbst her. Die drei ersten Fälle, die sich aus dem Sachbezug ergeben, werden zunächst allgemein vorgestellt als die Fälle, bei denen eben diese res, aufgrund derer der Eingriff erfolgt, als „spirituales" bezeichnet werden können. Das kann auf dreifache Weise geschehen: 1) wenn sie von Gott selbst so angeordnet sind wie die Zehnten; 2) wenn sie irgendwelchen Spiritualien angefügt sind wie die Mitgift der Ehe, die Erbschaft der Legitimation des Nachwuchses, wobei Ägidius die Legitimation nach den Dekretalen IV, 17, 5 und 7 von vornherein als geistliche Sache ansieht; 3) wenn der res temporalis ein spirituale angefügt ist. Dieser dritte Fall umschließt den weiten Bereich des Eingriffs ratione peccati (criminis). Zunächst gehört dazu die Anzeige eines Vergehens oder der Rekurs bei einem Vergehen (denunciacio criminis). Sie ergibt sich aus der allgemeinen Überordnung des Spiritualen einerseits, andrerseits aus der Gefahr der Temporalien für das Heil der Seele. Wäh70

De eccl. pot. III, c. 5 bringt zuerst (S. 168) die Extension der Spiritualgewalt auf die Temporalien, sofern diese „induunt quendam modum spiritualem" (vgl. Anm. 76), dann die dreifache Relation der Temporalien (Anm. 77), dann die Anwendung des „modus spiritualis" auf diese drei modi. Schließlich die Eigenbehandlung des ersten modus „quantum ad ipsas res".

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rend die Erstgewalt der Kirche sich aus der Hinordnung der Temporalien auf das Spirituale ergibt, setzt die Exekutivgewalt ein „prout temporalia male utentibus sunt in malum et in dampnacionem animarum" (III, c. 5). In diesem Fall geschieht der Rekurs an den Papst „de rigore iuris", damit versucht Ägidius zugleich eine Antwort auf die ihm keineswegs gelegene Entscheidung Alexanders III. „si duobus" (II, 28, 7; vgl. S. 270)80. Im Sinne der ratio peccati wird ferner aufgrund der Dekretale „Novit" (II, 1, 13) das Thema der Friedenssicherung und der eidlich beschworenen Treue (federa iuramento firmata) behandelt. Zum Thema: Frieden sucht Ägidius ein naturales Vergleidisobjekt und findet es im natürlichen Drang der kontinuierlichen Verbindung (tractus) auf dreifache Weise: a calido, a tota specie, a vacuo (III, c. 6). Die Wärme bringt die Körper zueinander, ebenso finden wir in der „species" für alle verschiedenen Positionen denselben „tractus". Er weiß aber diese Bindung, die wir heute wohl mit den Begriffen Schwerkraft, Feld erfassen, nicht zu benennen. Schließlich will die Natur auch kein Vakuum, keine „discontinuatio corporum". Aufgabe der kirchlichen Obrigkeit ist es entsprechend, kein „spirituale vacuum", keine geistig-geistliche Diskontinuität entstehen zu lassen, Kriege zu beenden und den Gläubigen ihre „gubernacio" und ihr „regimen" zu sichern. Krieg entsteht durch die Sünde, so hat die Kirche die Pflicht, erst recht bei einer „denunciatio criminis", ordnend einzugreifen. Der Treueid stellt einen Sonderfall der Friedenssicherung dar. Eidesverletzung gehört an sich schon zu den kirchlich zu ahndenden Vergehen (crimen ecclesiasticum). Daher habe der Papst bei seinem Eingreifen in den Streit zwischen Frankreich und England, wie es in einer wichtigen Bemerkung im Anschluß an „Novit" heißt, aus dreifachem Grund, nicht aus einem rein weltlichen Rechtsgrund (racione ipsius feudi secundum se) eingegriffen. Vielmehr lag a) eine denunciatio vor, b) die Anzeige betraf eine Verletzung des Friedens, c) der Friede war eidlich gesichert. Was für den Treubruch gilt, kann auch auf den Zins, den Meineid, die Haeresie und das Sakrileg angewendet werden. In der ersten Gruppe des Sachbezuges kann demnach aus dem Faktum daß die „res temporales possunt vocari spirituales" ein kirchlicher Eingriff erfolgen. Die beiden nächsten Gruppen, die sich ex parte potestatis ergeben, werden zunächst mit einer allgemeinen Vorbemerkung bedacht, die darauf ausgeht (III, c. 7), noch einmal den Unterschied der Erstgewalt und Exekutivgewalt der Kirche im Verhältnis zum gladius materialis der weltlichen Fürsten darzutun. Die Gewalt der Kirche gegenüber den weltlichen Fürsten über die Temporalien ist zwar „certis causis inspectis", wie es mit Innozenz III. heißt (Per venerabilem IV, 17, 13), aber darum nicht weniger grundlegend (principalius). Denn selbst, wenn nur das zur „Spiritualität" des Temporalen Gesagte da wäre, demzufolge ein spirituales Delikt die Exekutiv811

De eccl. pot. III, c. 4 (S. 165), Aegidius hilft sich im zweiten Argument damit, daß der Papst dies nicht „ut papa et ut volens legem condere" sage, „sed pocius quod hoc dicat ut doctor et ut volens suam credulitatem et suam opinionem recitare".

IV. Das aegidianisdie System

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gewalt fordert, so ist schon die kirchliche Temporalgewalt vermögender und grundlegender81. Im übrigen fordere jede Frage und jeder Streit dies als Annex, daß eine denunciacio erfolgen könne. Daher sei das „casuale", das die Seelen (und damit die geistliche Gewalt) betreffe, ebenso allgemein wie das „reguläre" (die weltliche Gewalt), das sich auf die Körper beziehe. Wieder wird der Grund des Eingriffs sichtbar, er liegt in der Relation auf die „anima", derselben Seele, in der eben die „spiritualia bona" ihren Platz haben, wie auch das „peccatum" seinen Ort hat. Dieselbe Frage also, die ihrem rein körperlichen Bezug nach (ut solum tangit corpora) nur unter der Erstgewalt steht, kann dann, wenn es um das Wohl der Seele geht, unter die Exekutivgewalt kommen (III, c. 7). Damit wäre jene gewisse Bedingung erreicht, so kann man weiterfolgern, in der die temporalia zu spiritualia werden. Hinzu kommt das Wohl der Kirche und das bonum publicum (III, c. 7). Diese Begründung wird freilich nicht systematisch mit der Definition der Temporalien als Spiritualien verbunden. Von Seiten der weltlichen Gewalt sind die Fälle, die eine Exekutivjurisdiktion begründen (III, c. 7): a) Vakanz und Defekt der weltlichen Herrschaft. Die geistliche Gewalt hat ja aus ihrer Spiritualität heraus das „universale dominium"88, daher muß sie bei Schwächen der weltlichen Macht helfend (in adminiculum et in adiutorium) einspringen. b) Das gleiche gilt bei Nachlässigkeit des weltlichen Herrn. Das geistliche Schwert schützt die Gerechtigkeit. c) Bei Gewährung (tollerancia) des weltlichen Herrn. Daraus kann eine Gewohnheit werden. d) Durch Schenkung und Vergabung. Sofern darin eine volle Ubergabe der Rechtstitel enthalten ist, versieht die Kirche die ganze Exekutivgewalt. Dies gilt in dem von den fränkischen Herrschern der Kirche überlassenen Gebieten. In all diesen vier Fällen ist das kasuale Recht jedoch nicht auf die absolute geistliche Gewalt hinsichtlidi des Umfangs bezogen, sondern auf das Vermögen, das durch die in den einschränkenden Bedingungen zutage tretenden „Regeln" umgrenzt ist. Es handelt sich um ein „posse regulatum". Von seiten der kirchlichen Gewalt ergeben sich (III, c. 8) im Anschluß 81

82

De eccl. pot. III, c. 7 S. 180: „Nam si non esset aliud, nisi solum id quod nunc diximus, videlicet quod temporalia possunt dici spiritualia, prout ex insipiencia nostra spiritualiter delinquimus circa ea, racione cuius spiritualis delicti iudex spiritualis et ecclesiasticus iurisdiccionem eciam immediatam et executoriam habebit super res temporales, sufficienter concludi poterit, quod iudex ecclesiasticus sit pocior et principalior in iurisdiccione temporalium quam civilia. Diese Stelle bestätigt überdies das in Anm. 77, 78 Gesagte, denn es stellt die allgemeine Bedingung für die spirituale Temporalgewalt heraus. De eccl. pot. III, c. 7 (S. 183). Die Hilfepflicht erfolgt aus der Spiritualität: „racione spiritualitatis habeat universale dominium. Spiritualis ergo gladius omnibus dominatur; quod autem sibi adiunctus est materialis gladius, non est propter impotenciam spiritualis gladii, sed hoc est in adminiculum et in adiutorium eius. Deficiente ergo gladio materiali consequens est, quod iurisdiccio devolvatur ad spiritualem".

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B . Ägidius R o m a n u s — das System des Soliustismus

an Per venerabilem für Ägidius zunächst drei Fälle: a) certis causis inspectis, b) in difficilibus, c) in ambiguis. Ägidius stellt die Möglichkeit frei, den Punkt a) zu teilen und nennt dann vier Fälle des Eingreifens: a) wenn etwas nicht durch Gesetz bestimmt ist, b) wenn etwas in einem Gesetz nicht zu beobachten ist, c) und d) wie oben b und c. Das Verhältnis dieser Eingriffe, die den Anspruch in sich schließen, auch Gesetze zu geben und zu interpretieren, zur kaiserlichen Hoheit, wird mit dem gewohnten Hinweis auf die gestufte Rechtskraft des kirchlichen und weltlichen Gesetzes beantwortet. „Oportet quod leges legibus famulentur" ( I I I , c. 8). Es folgt der Satz, daß das Fleisdi (Kaiser) dem Geist Untertan sei. Denn, wie es in bezeichnender Diktion heißt: „Principatus quidem ecclesiasticus est spiritualis et celestis, secularis autem principatus carnalis et terrenus dici potest". Der höhere und allgemeinere Grund für die Exekutivgewalt ist der spirituale Prinzipat, nicht irgend ein temporaler Vorrang. Denn dann wäre ja „Fleisch über Fleisch". Die Markierung der Gewalt über das Temporale als geistlicher Prinzipat, die in den beiden letzten Kapiteln durch die Definition der plenitudo potestatis noch unterstrichen wird (vgl. S. 316 ff), mag als Kennzeichnung der Ausführungen des Ägidius über die „iurisdictio immediata et executoria" abschließend stehen. Offenbar handelt der Hierarch beim Eingriff in die weltlichen Angelegenheiten nicht als temporaler Herr aus temporalen Rechtstiteln. Das ist das eine. Zum andern zeigen die aufgeführten Fälle neben den erstgenannten drei Fällen, die noch einmal eigens als „spiritualia" vorgeführt werden, also die sieben Fälle ex parte potestatis, im Grunde ein einheitliches Thema. Die Immediatjurisdiktion gleicht Lücken der weltlichen Ordnung aus, sie hat die Aufgabe der Rechtssicherung, sie klärt die rechtlichen Normen. Nothilfe also. Eine Hilfe freilich, die aus der universalen Superiorität der Primärjurisdiktion stammt und die bei gegebenen Bedingungen sich jederzeit aus der lex communis, nach der die weltlichen Herrschaften ihre eigenen Wege (proprios cursus) gehen, in die lex specialis und den aus ihr folgenden Eingriff realisieren kann. Historische Voraussetzung bleibt dabei die spiritual-temporale Einheit des orbis christianus, die in ihm mögliche kirchliche Erhebung des Herrschers. Ägidius ist in seinen praktischen Forderungen, das heißt der Zweitgewalt, nicht über den Rahmen hinausgegangen, den ihm die kanonistische Tradition des 13. Jahrhunderts in ihrer hierokratischen Form darbot. Das zu Innozenz I V . etwa Gesagte, ergänzt durch die Aussagen des Ägidius über die Rechte der weltlichen Gewalt, gälte dann auch hier (vgl. S. 258 ff). Eine „Verschärfung" der Thesen würde demnach nicht in irgendwelchen konkreten Ansprüchen liegen, sondern in der theologischen und philosophischen Argumentation, die zur Begründung der Vollgewalt beigebracht wird. Ägidius geht über den Versuch der Determinatio hinaus ins Detail der plenitudo potestatis. Um folgerichtig zu bleiben und um der großen These von der universalen, im Papst gipfelnden Hierarchie der Zwecke und Instanzen gerecht zu werden, ist er gezwungen, eine in dieses Detail reichende Systematik der kirchlichen Gewalt zu entfalten. Zweifellos besteht zwischen den

IV. Das aegidianisdie System

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konkreten, in der Tradition verharrenden Ansprüchen und den weitgespannten Theoremen der ekklesiarch-soliustistischen Doktrin eine Art „Mißverhältnis". Daß dieses jedoch nicht zufälliger Natur ist, sondern sich im Grunde in dem Wesen der Doktrin selbst abzeichnet, können die folgenden Überlegungen zur Terminologie (direkte, nicht direkte Gewalt) und zur Position der weltlichen Herrschaft dartun.

V. Ägidius und die Lehre von der direkten und der indirekten zeitlichen Gewalt der Kirche „Potestas directa" und „potestas immediata" bei Ägidius. — Vergleich der ägidianischen Auffassung mit der Lehre des Robert Bellarmin und Franz Suarez. — Die Trennung der Bereiche und Offizien bei Ägidius und in der Lehre des 17. Jahrhunderts. Beschränkung der ägidianischen Konzeption auf den „fidelis populus".

In seiner soeben charakterisierten Gewaltensystematik bringt Ägidius auch den Begriff der „potestas directa" für die päpstliche Temporalgewalt ins Spiel. Er gibt diesem Begriff noch ein besonderes Gewicht, indem er ihn gegenüber ähnlichen Begriffen abgrenzt und so bewußt die eigene Konzeption mit der Formel von der potestas directa verbindet. In dieser expliziten Form geschieht das bei ihm zum erstenmal in der Entwicklung der hierokratischen Doktrin. Seine Darlegungen werden dadurch zu einem entscheidenden Beitrag für die Beurteilung der sogenannten Lehre von der direkten zeitlichen Gewalt der Kirche innerhalb der hierokratischen Doktrin des 13./14. Jahrhunderts. Wenn Ägidius den Begriff der direkten Gewalt in seine Darstellung einbezieht, so operiert er natürlich nicht auf terminologisdiem Neuland, wir sahen, daß bereits seit den Dekretalisten des beginnenden 13. Jahrhunderts das Bemühen sichtbar wurde, die zeitliche Gewalt hinsichtlich der Frage: direkt oder indirekt zu bestimmen. Daher ist auch diese begriffliche Entwicklung, auf die wir immer wieder stießen, in die Betrachtung einzubeziehen. Ergebnis dieser Entwicklung, die freilich nie zu einer expliziten Kontroverse führte, war, daß die hierokratische Lehre — und in ihren Reihen kam ja die Terminologie auf — die zeitlich päpstliche Gewalt bis auf Innozenz IV. hin als „indirecte" klassifizierte (249). Dasselbe gilt für Peter von Tarantasia und Remigio di Girolami (S. 273 f), wobei der letztere freilich bereits eine kontroverse Situation erkennen läßt, indem er sich gegen eine „iurisdictio directa" des Papstes wendet. Vielleicht war diese Fragestellung und eine entsprechende Antwort in der theologischen Schulmeinung akut geworden, so daß die Darstellung des Ägidius zugleich eine Antwort in dieser Frage darstellt. Des Ägidius Auffassung ist ferner zu konfrontieren jener späteren und für die neuzeitliche Beurteilung maßgeblichen Kontroverse über die zeitliche Gewalt der Kirche, die zu Ende des 16. Jahrhunderts entbrennt und in der nun für die folgende Zeit die Begriffe: potestas directa-indirecta abgegrenzt und festgelegt werden. Diese Abgrenzung erfolgt in der Sicht, mit den gedanklichen Mitteln der Zeit, es sind in ihr die Erfahrungen der politischen Praxis in der kirchenpolitischen Diskussion seit dem 15. Jahrhundert versammelt. Was sich in dieser gedanklichen Klärung herausschält, hat aber nun, und damit wird es für unseren eigenen Gegenstand wichtig, auch auf die Beurteilung der hierokratischen Thesen und der kirchenpolitischen Diskussion des

V. Aegidius und die Lehre von der Gewalt in der Kirche

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13./14. Jahrhunderts seine Wirkung. Entsprechend der im 17. Jahrhundert gewonnenen Terminologie der potestas directa-indirecta werden nun auch die hierokratischen Thesen beurteilt, es bildet sich die gängige Meinung von der eben diese Thesen bestimmenden Lehre von der direkten kirchlichen Gewalt in zeitlichen Dingen. Ägidius wäre ein hervorragender Vertreter dieser Lehre. Wie steht es damit? Wenn wir uns diese Frage stellen, dann ist sie dahin zu präzisieren, daß wir fragen, ob die Konzeption des Ägidius identisch ist mit dem, was später als „potestas directa" bestimmt wird und nachfolgend — von Bellarmin etwa nicht — auf die Zeit Bonifaz V I I I . rückübertragen wird. Die hiermit geforderte Klärung ist nicht für Ägidius selbst wichtig, sondern wird sich auf die Beurteilung der hierokratisdien Lehre im weiteren auswirken, in dem Sinne, daß zu fragen ist, ob man überhaupt die hierokratische Lehre pauschal unter dem Stichwort der potestas directa fassen kann, ja ob es innerhalb dieser Doktrin eine durchgehende Schulmeinung gibt, die als Lehre von der potestas directa zu kennzeichnen wäre. Hierzu ist notwendig, a) die ägdianische Terminologie genau auf ihren Gehalt zu prüfen, b) die Thesen der Hauptvertreter jener Diskussion des 16./17. Jahrhunderts heranzuziehen, in denen die Begriffe potestas directa-indirecta abgegrenzt werden, also Bellarmin und Suarez. c) Schließlich beide Positionen zu vergleichen. Dieser so wichtige Vergleich ist bislang merkwürdigerweise unterlassen worden, obwohl doch ihm gerade erhöhte Bedeutung zukommt, angesichts der Tatsache, daß der neuzeitliche Begriffsgebrauch durch die Diskussion des 17. Jahrhunderts bestimmt ist. a) Die Definition, die Ägidius selbst von der potestas directa gibt, erfolgt im Rahmen der im vorigen Kapitel geschilderten Ausführungen zur päpstlichen Exekutivgewalt in zeitlichen Dingen 8 *. Sie war ja als „iurisdiccio immediata et executoria" gekennzeichnet ( I I I , c. 7). Von dieser unmittelbaren Jurisdiktion, die ja nur in den geschilderten Spezialfällen eintritt, hebt er die 83

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Die universale Erstgewalt wird charakterisiert: III, c. 4 (S. 167) als „potencia autem intellectiva, que est spiritualis, non tendit in particularia (also die Temporalien) directe, sed per reflexionem". — „directe" tendiert die potencia spiritualis „in universalia". — III, c. 7 (S. 180) heißt es entsprechend, daß die Spiritualgewalt als Erstgewalt „Semper et directe" die Temporalien unter sich hat, die weltliche Gewalt hat über die Temporalien dagegen die „iurisdiccio immediata et executoria". Das „Semper et directe" hat hier also den Sinn des in III, c. 4 genannten „directe in universalia", d. h. als allgemeine höhere Gewalt, dagegen nicht als direkte auf die particularia, wie die Saekulargewalt, bezogene Jurisdiktion. — In diesem Sinn erfolgt dann (S. 181) die abschließende Unterscheidung der Erstgewalt als: „directa et regularis racione cuius ex culpa vel ex causa potest animadvertere in potestates terrenas". Davon wird unterschieden die Zweitgewalt, sie ist „non est superior et primaria, sed est immediata et executoria". Die als direkt und regulär bezeichnete Erstgewalt wird kasual zu einer immediaten und exekutorischen Gewalt. — Diese Bezeichnung der Zweitgewalt als immediate Gewalt findet sich ferner III, c. 4 (S. 163): „non regulariter se intromittit immediate". — In III, c. 4, S. 167, wird die saekulare Gewalt gekennzeichnet als „quantum ad particularem execucionem et immediatam operationem directe". „Direkt" im Sinne der Erstgewalt bezeichnet demnach die aus der höheren Spiritualgewalt erfließende reguläre und nicht an besondere Bedingungen geknüpfte Weisungsgewalt, die aber nicht formal saekulare Gewalt darstellt und auch bei der Ausübung nicht formal weltliche Gewalt wird. Kölmel

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Erstgewalt ab, die nun als direkte Gewalt charakterisiert wird: „Fecimus autem mencionem de iurisdiccione immediata et executoria, quia iurisdiccionem tarnen superiorem et primariam Semper et directe super temporalibus habet ecclesia" (III, c. 7) Kurz darauf heißt es, nochmals zu den beiden Gewalten: Er erinnert an den Unterschied der potestas absoluta und potestas regulata des Papstes und fährt fort: „Eapropter sicut distinximus duplex posse summi pontificis, sie distinguere possumus duplicem eius iurisdiccionem in temporalibus rebus: unam directam et regulärem, et hec est, ut diximus, iurisdiccio superior et primaria quam habet ipse in omnibus, tarn super potestates terrenas, quam super temporalia, racione cuius ex culpa vel ex causa potest animadvertere in potestates terrenas. Aliam quidem iurisdiccionem habet summus pontifex super temporalibus rebus, que non est directa et regularis, sed est certis causis inspectis et casualis; et hec iurisdiccio non solum est superior et primaria, sed est immediata et executoria". Wir haben hier die klarste Formulierung der potestas directa, die sich, soweit ich sehe, an keiner andern Stelle der hierokratisch-ekklesiarchen Publizistik in derartiger Praegnanz wiederholt. Wenn wir nach dem Inhalt dieser Formeln suchen, so kann thesenartig das zusammengefaßt werden, was im vorigen Kapitel zum Wesen der Erstgewalt und der (Zweit-)Exekutivgewalt ausgeführt wurde. Es ergab sich für die Erstgewalt: Sie ist ihrer Gründung nach spirituale Gewalt, denn die Vorordnung gegenüber dem temporalen Bereich ergibt sich nicht aus einem spezifisch temporalen Vorrang, sondern eben allein aus der Vorordnung des Spiritualen über das Corporal-Temporale. Der gründend geistliche Charakter der Erstgewalt als höhere Weisungsgewalt ist unübersehbar. Audi die Wirkung und Funktion gründen im geistlichen Amt, die Erstgewalt geht auf die „sanitas spiritualis". Für die Exekutivgewalt ergab sich ein Gleiches. Ganz klar läßt hier die Definition der Hinwendung der spiritualen Gewalt auf die „res temporales" den spiritual begründeten Charakter dieser Hinwendung erkennen (vgl. S. 328 f zu III, c. 4). Sie geschieht, wie wir sahen, per reflexionem, d. h. wenn die Primärgewalt zur Exekutivgewalt wird, dann bedeutet das nicht ein „directe", ein direktes Verhältnis zum Temporalen, wie es für die korporal-weltliche Gewalt gilt: „Potencia itaque corporalis cuiusmodi est potencia sensitiva directe tendit in particularia potencia autem intellectiva, que est spiritualis, non tendit in particularia directe, sed per reflexionem" (III, c. 4). Dieses Ergebnis überrascht, läßt aber zugleich die ägidianische Konzeption besser verstehen. Uberraschend und scheinbar widersprüchlich ist es, da für das spiritual-temporale Verhältnis einmal die Direktheit verlangt wird (im Falle der Primärgewalt), zum andern abgelehnt wird (im Falle der Exekutivgewalt). Dasselbe wird einer Sache also zu- und abgesprochen (Vgl. auch Anm. 83). Aber gerade dieser scheinbare Widerspruch hilft das Wesen der spiritualtemporalen Gewalt schärfer zu fassen. Daß nur die Primärgewalt als direkt bezeichnet wird, ergibt sich aus der sie gründenden und tragenden spiritualen Superiorität, die sich direkt auch auf die Temporalien hinsichtlich deren Zuordnung auf das Spirituale bezieht, sie ergibt sich jedoch nicht aus einer

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temporalen Superiorität des Hierarchen. Sie trifft daher eben dieses Temporale nicht als Temporales in seiner temporalen Spezifik, d. h. Weltliches als Weltliches in weltlicher Weise, um Weltliches willen — wie es im Verhältnis des weltlichen Herrn zum Weltlichen der Fall ist —, sondern eben in der Weise der höheren, das Temporale zugleich vervollkommnenden Lenkung. Diese letzte Deutung wird bestätigt eben durch die Exekutivgewalt. Denn daß für diese das Attribut „directe" abgelehnt wird, und nun „reflexio, casus, causa" ein „speciale" verlangt werden, und dieses „speciale", wie wir sahen, eindeutig als „modus spiritualis" erscheint, das zeigt nun an: Die an sich direkt dem Temporalen zugewandte Primärgewalt kann dieses Temporale, eben infolge ihrer Spiritualität, gar nicht direkt erreichen, wie es dem temporalen Herrn möglich ist, sondern nur unter der eigenen Existenzbedingung der Spiritualität. So wird die Nichtdirektheit der immediaten Exekutivgewalt zum Erweis für die Spiritualität des Direktverhältnisses der Primärgewalt. Das gewonnene Ergebnis würde nicht genügen, wenn nicht auch die übrige Darstellung die eben herausgearbeiteten Grundzüge der ägidianischen Konzeption als wirksam erkennen ließen. Hierzu kann in negativer Abgrenzung gesagt werden, späteren Ausführungen vorgreifend, daß nirgendwo der Traktat weltlichen Eingriff, die „reflexio" in Richtung einer Übernahme des gladius materialis, das der princeps verwaltet, „weltlich" motiviert. Es handelt sich nicht um Übernahme regulärer temporaler Herrschaft. Ägidius nimmt ja ausdrücklich für seine Darstellung in Anspruch, daß sie nicht die „iurisdiccio regum perturbare" (III, c. 2) wolle. Die von geistlicher Seite kommende subsidiäre Nothilfe bei Defekt der weltlichen Ordnung, zu der die höhere spirituale Institution nach Auffassung des Ägidius verpflichtet ist, zielt auf diese Hilfe als auf ihr erstes und eigentliches Objekt. Positiv zur weiteren Erhellung der ägidianischen Grundvorstellung vermögen dann jene Stellen beizutragen, auf die man bei der Suche nach ordinativen Leitbildern der Schrift stößt. Da ist es einmal immer wieder die spirituale Gewalt selbst, die als Subjekt des Eingriffs in weltliche Dinge genannt wird (vgl. I I I , c. 4 : „speciale aliquid hoc r e q u i r a t . . . ut spiritualis potestas se de temporalibus intromittat). Die geistliche Gewalt dient dabei nicht als Etikette einer temporalen Gewalt, sie wird nicht zum Subjekt einer potestas temporalis im Sinne einer dem ordo temporalis entstammenden und ihm zuoberst zugehörenden Gewaltenträgers. Ihr Vorrang entstammt der Ebene der Spiritualität, er geht auf die anima. Sie bleibt jeweils geistliche Gewalt, die freilich Gewalt über Temporales besitzt. Das ist ganz klar zu sehen. Würde sie zu einer potestas temporalis werden, dann würde sie ja zu einer potestas corporalis und würde damit in die seinskategorialen und seinsfunktionalen Bedingungen des gladius materialis absinken. Das ganze auf dem Vorrang des Spiritualen aufgebaute System der spiritual-temporalen Gewalt würde zusammenbrechen. Die spirituale Gewalt wird nicht als Subjekt temporale Gewalt, sondern „hat" temporale Gewalt, wie es in der Formel „ecclesia habet utrumque gladium" eindeutig zum Ausdruck kommt. Aufgabe wird es sein, dieses „habere" zu klären. Zur 22*

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Erhellung der Grundvorstellungen des Ägidius kann ferner beitragen ein Satz wie der in III, c. 4, die Spiritualien seien „primo" der Kirche unterworfen „et per spiritualia sunt ei subiecta temporalia". Der Unterwerfungsgrund, bzw. der Uberordnungsgrund liegt in den Spiritualien selbst. Zur Appellation von einem zivilen Gericht an den Papst (Alexander III. si duobus III, 28, 7) verlautet, daß der Papst die weltliche Gerichtsbarkeit ihr selbst überläßt, wenn nidit etwas Spirituales sich vorfindet: „sie summus pontifex, Dei vicarius, suo modo habet universale dominium super temporalibus, sed volens se habere in illis secundum communem legem, nisi sit ibi aliquid spirituale, decens est, quod permittat terrenas potestates, quibus commissa sunt temporalia, suos cursus peragere". Daß die Primärgewalt endlich nicht das Temporale als eigentliches Primärobjekt hat, zeigt auch der Satz in III, c. 11: „secundum quod posse (dominium primarium) non habet iurisdictionem et execucionem immediatam, et ideo ex hoc non dicitur temporalia possidere ut hic de possessione loquimur". Der Caesar dagegen besitze für sich im Sinne der possessio die Temporalien und habe in diesem Sinn die Jurisdiktion. Im Besitz ist die unmittelbare Objektbezogenheit ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht. Der Armutstreit wird später gerade auf diese Unterschiede von haben und besitzen zurückkommen müssen84. Das sind nur wenige Hinweise, sie sind durch eine eingehendere Analyse des Gewaltenverständnisses bei Ägidius zu ergänzen. b) Die Bedeutung der „potestas directa" bei Ägidius erfordert einen Vergleich mit der Auffassung der Terminologie der von Bellarmin und seiner Nachfolger eingeleiteten Gewaltenlehre, besonders der Lehre von der indirekten bzw. direktiven Gewalt. Bellarmin und Suarez bestimmen ihre Thesen zwar mit verschiedenen Argumenten und wechselnder Akzentuierung, aber im Wesentlichen kommt es doch zu einem gemeinsamen Nenner. Gemeinsam treten sie ein für die eigene Zuständigkeit des partikular Temporalen (Bellarmin, De S. Pontif. 5, 4)85, des der Gattung nach Eigenständigen (Suarez, Defensio fidei III, 6, 17). Im einzelnen muß man nach Bellarmin ja das Kennzeichen der Direktgewalt darin sehen, daß in ihr das Temporale das Primärobjekt darstellt, während die sogenannte indirekte Gewalt als Primärobjekt das Spirituale, als Sekundärobjekt das Temporale hat 8 '. Der Papst kann nicht in die natural-legitimen Befugnisse des Herrschers eingreifen, sofern nicht spirituale Belange auf dem Spiel stehen. Nach Suarez liegt das Kennzeichen der Direktgewalt in der Existenz einer gattungsmäßig geschlossenen 84

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In meinem Aufsatz: Paupertas und potestas, FranzStud. 46, 1964, S. 80 f wird auf diese Problematik bei Alvarus Pelagius und im Armutsstreit verwiesen. Grundlegend die Darstellungen: F. X . Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, 1934, bes. S. 181 ff. — H . Rommen, Die Staatslehre des Franz Suarez S. J., 1926. Arnold a . a . O . S. 357, Anm. 89 (Bellarmin, De potestate S. pontificis c. 5): Igitur per voces directe et indirecte non intelligimus . . . potestatem esse in Pontifice directe, id est iuste et legitime, temporalem autem indirecte, id est iniuste et usurpative; sed potestatem Pontificiam per se et proprie spiritualem esse et ideo directe respicere, ut obiectum suum primarium, spiritualia negotia; sed indirecte, id est per ordinem ad spiritualia, reduetive et per consequentiam necessariam ut sie loquamur, respicere temporalia, ut obiectum secundarium".

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Herrschaft beim Papst. Dieser besäße demnach eine direkte Temporalgewalt, wenn er sie a) getrennt von der geistlichen und b) unter Ausschluß spiritualer Ziele um weltlicher Ziele willen besäße. Denn das Ziel der kirchlichen Gewalt ist übernatürlich, das Ziel des temporalen Regiments liegt innerhalb der natürlichen Ordnung 87 . Gemeinsames Merkmal der indirekten wie direktiven Gewalt wäre also, daß nur ihr Materialobjekt weltlicher Natur ist, während das Formalobjekt spiritual bleibt88. Besitz der Direktgewalt bedeutet dann, daß zwei distinkte, jeweils gattungshöchste und in sich final geschlossene Gewalten im Papst vereinigt wären. Da aber die päpstliche Gewalt nur eine sein kann, und es zum Wesen der indirekten geistlich-weltlichen Gewalt gehört, nicht aus innerweltlichen Intentionen heraus, sondern um eines spiritualen Zieles willen temporal zu handeln, dann würde jede Direktgewalt in Händen des Papstes diese Einheit zerbrechen. Denn sie würde nicht aus der Einordnung und Hinordnung des niederen Bereiches auf den höheren hin wirken, sondern aus ihrer gattungsmäßigen Beharrung auf das Weltliche. Die Direktgewalt müßte weltlich handeln, weil sie selbst ihrem Wesen, ihrer Funktion und ihrem Ziel auf Weltliches eingegrenzt ist. Gattungsmäßiges Für-sich und Zuständigkeit entsprechen sich. Temporal-spirituale Gewalt würde das Nebeneinander zweier in sich geschlossener Zuständigkeiten und Bestimmtheiten mit all ihren Folgen in einer Hand bedeuten. Worauf es Bellarmin und Suarez ankommt, ist a) die in sich einheitliche Gewalt des Papstes darzutun, b) die Eigenständigkeit des temporalen Bereiches klarzustellen. Der Papst handelt, wenn er in die Temporalien eingreift, spiritual um spiritualer Zwecke willen. Der temporale Raum hat seine artgemäße höchste Lenkung in der zivilen Gewalt. Bellarmin: „Itaque potestas regia, quae in suo genere principalis est, si cum potestate ecclesiastica, quae etiam in suo genere principalis est, in unum corpus coalescat, necessario debet aut subesse aut praeesse, ne sint in uno corpore duo capita" (De potestate S. Pontif. c. 14). Man sieht einen Widerspruch darin, daß der Hierarch als Ordner des höheren Bereiches zugleich die artfremde niedere Gewalt verkörpern soll. Der Papst würde auf zwei Ebenen agieren8". 87

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Suarez, Defensio fidei III, c. 5 n. 2: Indirekt heißt die Gewalt, die sich nicht durch sich und nicht des Temporalen wegen (non per se aut propter se) auf das Zeitliche bezieht, sondern wegen eines anderen Zieles. De legibus IV c. 6 n. 1: Die „direkte Gewalt" sei falsch, wenn man sage, der Papst habe die zeitlidie Gewalt getrennt von der geistlichen Gewalt. — Das Ziel der natürlichen Ordnung liegt, De legibus IV, c. 8 n. 2, innerhalb dieser Ordnung und ist damit für die temporale bestimmend. Arnold S. 358 Anm. 93 (Vat. Lat. 7342, 56 f, Examen c. 4) Bellarmin: „Ego id solum efficere volui, potestatem pontificiam a D e o immediate acceptam non esse formaliter temporalem, sed s p i r i t u a l e m . . . potestas pontificia in se spiritualis, extenditur tarnen ad temporalia, quatenus spiritualibus subordinantur". — Ders. De potestate S. Pontificis c. 25: potestas in se spiritualis (nicht formaliter temporalis), quae extendi possit ad temporalia, prout ad spiritualia referentur eisque subordinantur. Was die Begrenzung des temporalen Bereiches auf seine Ziele angeht, so ist die Diskussion des Suarez mit Fortunatus Carcia, Tractatus de ultimo fine utriusque iuris interessant. Garcia hatte behauptet, Ziel des zivilen Redites sei auch das wahre Glück, kanonisches und ziviles Recht haben denselben Ursprung und dieselben Prinzipien. Suarez stellt dagegen die rein naturale Bezogenheit des Staates heraus. Die Zivilgewalt vermag nicht „per se, ex vi

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Wann führt nun die indirekte temporale Gewalt zum praktischen Eingriff? Nach Bellarmin kann der Papst mit Rücksicht auf das Seelenheil, bei Defekt der weltlichen Gewalt, Gesetze erlassen, bestätigen, bekräftigen. Er kann sogar mit Rücksicht auf das spirituale Wohl bis zur Absetzung schreiten80. Suarez urteilt ähnlich. Eingriff der spiritualen Führung ist erforderlich zur Änderung von sittenwidrigen Akten der Staatsführung und zur Verbesserung von Gesetzen. Der Papst kann „ratione suae spiritualis potestatis" notfalls bestrafen, ja sogar zur „regni privatio" schreiten (Def. fidei IV, 21, 2). Bellarmin und Suarez lehnen freilich die dependistische Ableitung der kaiserlichen Gewalt aus der Vollgewalt des Papstes ab. c) Will man diese Thesen in Beziehung zu Ägidius setzen, so sind sorgfältige Abgrenzungen notwendig. Bellarmin meint, wenn die temporale Hoheit Christi (des Papstes) nicht die Partikularrechte der weltlichen Herren aufhöbe, dann streite man nur um Worte (De S. Pontif. pot. 5, c. 4)91. Das darf als Hinweis auch für die relative Beurteilung des Ägidius gelten. Wir sahen: Es geht zunächst um die Kernfragen, spirituale Gewalt des Papstes und Eigenstand des weltlichen Bereiches. Wie steht es damit bei Ägidius? Zur spiritual-temporalen päpstlichen Gewalt ist zu sagen, daß gewisse Formulierungen für die Existenz zweier gattungsmäßig distinkter Gewalten in der Person des Papstes zu sprechen scheinen. Die Kirche (der Papst) hat beide Schwerter, der Papst verleiht die kaiserliche Gewalt, er besitzt das weltliche Schwert „ad nutum", dazu kommen die Formeln von der Erst- und Exekutivgewalt. Ist damit die Bedingung erfüllt, die aus der Kirche zugleich mit dem Papst an der Spitze ein „corpus politicum proprie et formaliter" macht92? Aus der Interpretation wurde bereits deutlich, daß Ägidius von der „potestas spiritualis" spricht, sie ist, worauf schon verwiesen wurde, Träger der

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proprie naturae" das übernatürliche Glück anzustreben. Das Wohl des Staates geht nicht über das irdische Leben hinaus: De legibus III, c. 11. Bellarmin (Arnold a. a. O. S. 3 5 2 und Anm. 78) Auct. Bell. 367, Examen c. 6 : „Quamvis enim fortasse quaeri possit utrum sententia negans (Papae deponendi reges potestatem) sit proprie dicenda haeresis directe et principaliter, tarnen dubitari non potest, quin sit temeraria, erronea et haeretica saltem reductive et secundario, ita ut sine periculo fidei catholicae defendi nequeat." Arnold S. 334 Anm. 45, Recognitio zu De S. Pontif. c. 4 : „Quod si ii, qui regnum temporale Christo tribuunt, per regnum temporale nihil aliud intelligant, nisi dominium universale, quod non tollit particularia, et eminentem potestatem disponendi de rebus temporalibus in sententia convenimus, et solum de verbis disceptamus. — Die „particularia" sind die saekularen Rechte, die nach Aegidius nur fallweise der geistlichen Gewalt offen stehen. Davon ist abgehoben das dominium universale, die „potestas eminens". Die Wortwahl erinnert an die Terminologie des Aegidius für die Kennzeichnung der Primärgewalt als „universalis" und „excellens". Arnold S. 351 Anm. 7 3 : Bellarmin Vat. Lat. 7342, 191 f, Examen c. 8 : „Non igitur ex potestate ecclesiastica et politica fit unum corpus politicum proprie et formaliter. Quod nos dicimus, est, ex potestate spiriuali et temporali, id est ex Pontificibus et regibus atque eorum subditis, clericis et laicis, fieri unam ecclesiam, unam rempublicam diristianam, unum Christi populum sive regnum, in que sunt omnia ordinata rectissimeque disposita". — Hier wird die alte Vorstellung von der „ecclesia", in der die Gewalten vereinigt sind, bestätigt. — Ebenso bei Suarez, der die spirituale Überordnung aus dem „spirituale regnum" deutet und die Formel ad usum-ad nutum verwendet: De legibus IV, c. 8, 9.

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Gewalt über die Temporalien". Diese Ausdrucksweise bleibt konstant, nie ist davon die Rede, daß der Papst eine „potestas temporalis" sei, daß die generisch in sich geschlossene weltliche Gewalt und der weltliche Bereich im Papst ihre generisch konforme Spitze haben. Kirche und Papst „haben" weltliche Gewalt, als „dominium universale" und fallweise als „dominium particulare". Das bedeutet mehr als einen Streit um Worte, denn die spirituale Gewalt als Inhaber des gladius materialis bleibt als solche Träger der Gewalt. Die spiritualis potestas kann auch ihrem Wesen nach nicht potestas temporalis „sein", sie würde ja damit „korporal" wie die übrigen principes terreni, und das für sie aus dem Wesen des Spiritualen und der „anima" Gesagte könnte nicht mehr gelten. Damit scheidet diese Sicht von vornherein aus der Diskussion aus. Zu klären ist, wie man das „haben" zu verstehen hat. Kirche und Papst erhalten beide Schwerter von Christus. Nur das geistliche steht ad usum bereit, das weltliche wird dem Herrscher verliehen „in opus ecclesiastice" (II, c. 5). Die kirchlich-päpstliche Hoheit ist also Gewalt der Vergabung, sie entstammt der Herrschaft Christi, die dieser zwar nicht ausübt, aber besitzt, sie ist zu sehen in der Einheit aller Gewalt im Herrn. Diese Einheit wird ebenso in der imperial-regalen Konzeption des „rex (imperator) vicarius Christi", im regalen Christusvikariat vorausgesetzt, das wir von der karolingischen Zeit her verfolgen konnten und das in der salischen Epoche eine besondere Ausprägung erfuhr (S. 194 u. Anm. 411a). Die temporale Gewalt der Kirche ist in keinem Augenblick isoliert-weltliche Herrschaft im Sinne generischer Konstitution, sondern der potestas spiritualis des Hierarchen „adiunctus". Daher formuliert Ägidius die weltliche Gewalt der Kirche auch von der spiritualen Gewalt her: „Est itaque plenitudo in spirituali gladio, ut si expediat, de temporalibus iudicet" (III, c. 11). Die weltliche Gewalt, die der Papst, in der Zweischwertersymbolik vorgezeichnet, „hat" und verleiht, nimmt ihren Ursprung aus jener höheren Einheit aller Gewalt, von der her sie der vermittelnden Funktion der heilsgeordneten Gemeinschaft in ihrer Spitze dem Papst beigesellt ist. Daher rührt dann auch das Faktum, daß die weltliche Gewalt nur in der spiritualen Trägerschaft, im spiritualen Subjekt ruht („homo spiritualis" II, c. 2)M, sie ist spiritual-temporale Gewalt. Voraussetzung für die weltliche Gewalt ist nidit primär ein weltlicher Titel, sondern die spirituale Hoheit als Haupt der Kirche. Jede Ableitung des weltlichen Schwertes von Christus unmittelbar, auch bei den Gegnern des Papstes, 93

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De eccl. pot. III, c. 4 (S. 164): Rigor ergo potestatis spiritualis est intendére circa spiritualia; sed si casus immineat, si speciale aliquid hoc requirat, potest iste rigor sine culpa intermitti, ut spiritualis potestas se de temporalibus intromittat". — Zur Bezeichnung der weltlichen, kirchlichen Gewalt im substantiellen Sinn vgl. Anm. 66. D e eccl. pot. I, c. 2: Die temporale Gewalt wird dem Papst als „spiritualis homo" zugeschrieben. Er ist der „sanctissimus et spiritualissimus et talis spiritualitas cOnsistit in eminencia potencie, bene dictum est, quod summus pontifex, existens spiritualissimus secundum statum et secundum eminenciam potencie, omnia iudicat, idest ómnibus dominatur et ipse a nemine poterit iudicari, idest nemo poterit sibi dominari nec eciam equari". — Die personale Spiritualität als Grund der temporalen Gewalt manifestiert den inneren, letztlich nur aus personaler Realität zu verstehenden spiritualen Charakter der kirchlichen Temporalgewalt.

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rührt daher entscheidend an den Gemeinschaftscharakter der „potestas in ecclesia" und wirft damit weitere Fragen auf. Darin ruht auch die Stärke der ekklesiarchen Argumentation gegen jede Dyokephalie, sofern jedenfalls rex und imperator als Ordnungsinstanzen innerhalb der Heilsgemeinsdiaft gesehen werden. Nach der Lehre Bellarmins führt die indirekte temporale Gewalt zum praktischen Eingriff. Ihm zufolge kann der Papst mit Rücksicht auf das Seelenheil bei Defekt der weltlichen Macht Gesetze erlassen, bestätigen und bekräftigen' 5 . Er kann sogar bis zur Absetzung eines Herrschers schreiten. Dieses bereits erwähnte Urteil zeigt zusammen mit jenem des Suarez (vgl. S. 342), wie weit hierin die beiden Autoren von der ghibellinisdien Position entfernt sind, nach der derartige Zensuren kaum möglich sind**. Man kann ein zweites schon zitiertes Wort Bellarmins hinzuhalten, daß der Diskussionsgegenstand entfalle, wenn die Temporalhoheit des Papstes die weltlichen Partikularredite nicht verletze, und es der Versicherung des Ägidius konfrontieren, daß die hierokratische Doktrin nicht die eigenständige iurisdiccio regum verletzen (perturbare) wolle (III, c. 2; vgl. unten, 8. Kapitel). Die Richtigkeit dieser Versicherung wäre noch näher zu überprüfen. Angesichts seines Fürstenspiegels erhält jedenfalls ein soldies Wort sein eigenes Profil. Vielleicht weisen beide Konzeptionen dodi mehr Gemeinsamkeiten auf, als es zunächst aussieht. Offenbar greift auch für die sogenannte indirekte Gewalt diese tief in den weltlichen Bereich, weil dieser nicht absolut in sich und für sich existieren und funktionieren kann. Die Einheit der Heilsordnung muß „auf alle Fälle" hin gewährt und gewahrt bleiben. Aus dieser notwendigen Einheit erfolgen die Eingriffe. Bellarmin und Suarez können aus der inzwischen eindeutig geklärten und gefestigten scholastischen Tradition die naturale Geltung des Staates als eines eigenen Gebildes im Verhältnis sacerdotium-regnum zur Geltung bringen". Wir sahen schon, daß Ägidius diesen Ansatz zur Wertung der potestas terrena in seinem Traktat nicht zur Geltung gebracht hat, obwohl von seinem Fürstenspiegel her das Material bereitlag. Dennoch sollte man nicht 95

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Arnold S. 351 f: eine koaktive Gewalt, eine gewisse Jurisdiktion der Kirche auf weltlichem Gebiet sei erforderlich. Mit Rücksicht auf das Seelenheil dürfte der Papst eingreifen. Die streng ghibellinische Ansicht würde eine derartige päpstliche Zensurgewalt nicht anerkennen. Vgl. S. 596 ff zu den sizilianischen Gutachten. Dante geht in seiner Monarchie, von dem Zugeständnis zum Schluß abgesehen, auf derlei Abhängigkeitsfragen schon gar nicht ein. Vgl. S. 508 ff. Er spricht Monarchia III, c. 16 nur von einer allgemeinen Unterordnung und der Zuordnung der irdischen Glückseligkeit auf die „immortalis felicitas". Juridische Auswirkung dieses Grundsatzes wird aber nicht sichtbar. Bellarmin vertritt die These, daß die Ungläubigen wegen ihres Unglaubens die Herrschaft nicht verlieren. Arnold S. 335 f. — Die Herrschaft von Heiden über Christen bildet dabei eine Sonderfrage. Vgl. Comm. 2, 2 a. 10, a. 10 (Secunda conclusio): Distinctio autem fidelium ab infidelibus est ex iure divino; sed ius divinum quod est ex gratia, non tollit ius humanum, quod est ex naturali ratione, sicut gratia non tollit naturam". Bellarmin ist der Meinung, daß die Kirche gegenüber Heiden, die weder Haeretiker noch Usurpatoren christlichen Gebietes sind (Türken), und deren Gebiet kein proprium ius habe. — Suarez, De legibus III, c. 1 ff zur naturalen Begründung der societates. III, c. 3, die weltliche Gewalt stammt „immediate a Deo ut auctore naturae".

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übersehen, daß auch in „de ecclesiastica potestate" die temporale Gewalt des Papstes diesem nicht aus dem „regnum/imperium" als deren abschließende höchste Autorität zuwächst, er hat sie nicht als temporal immanente spezifische Funktion „per se", sie steht immer in einer aus der höheren spiritualen Autorität abgeleiteten Ordnungssituation. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß der Papst die volle temporale Hoheit, das heißt Erst- und Exekutivgewalt zusammen, ohne einschränkende Bedingungen nur im Akt der Verleihung der Kaiserwürde besitzt, also nur in Form einer delegierenden Superiorität. Nach der Verleihung, in ihrem Gebrauch ist er, von den zehn Sonderfällen abgesehen, auf die Aktionsebene des dominium superius, des nutus, der auctoritas, der lex communis gemäß, eingeschränkt. Die Bedingungen einer von der geistlichen Hoheit getrennten weltlichen Gewalt im Sinne der potestas directa des Suarez und des Bellarmin sind von hier aus nicht erfüllt. Denn die Primärjurisdiktion des Papstes nach Ägidius hat sowohl bei Bellarmin wie bei Suarez darin ein Pendant, daß auch sie eine allgemeine und jederzeit zuständige Autorität des Papstes in temporalibus annehmen. Freilich wird sie in ihrem Charakter als streng spiritual bestimmt. Wie steht es damit bei Ägidius? Er hat sich nie in der geklärten Systematik und unter der Voraussetzung der konsequenten Bereichsdistinktion des anhebenden modernen Weltbildes und Kirchenbildes zu dieser Frage explizit und vollständig geäußert. Dennoch haben sich in den vorausgehenden Partien dieser Studie in Fülle Markierungspunkte ergeben, an denen sich sowohl in der detaillierten Sicht ad hoc, wie in der von hier aus sich öffnenden Perspektive ergab, wie sehr das spirituale Moment die Konzeption der temporalen kirchlich-päpstlichen Gewalt prägte (vgl. S. 314 ff, 321 ff). Wir können dieses Bild durch einige Striche noch deutlicher heraustreten lassen. Dies kann vor allem dort geschehen, wo Ägidius den Unterschied der kirchlichen Gewalt von der königlichen Herrschaft betont. In III, c. 10 heißt es noch einmal in der abschließenden Betrachtung, daß der „principatus sacerdotalis" spiritual, himmlisch und göttlich sei, während die „potestas regalis" mit den bekannten Attributen „carnalis, terrena et humana" bedacht wird. Trotz dieses scharf gesetzten Unterschiedes, der die zahlreichen vorausgehenden gleichen Bemerkungen zusammenfaßt' 8 , heißt es kurz darauf, in der päpstlichen Gewalt „continetur omnis potestas sacerdotalis et regalis, celestis et terrena". Die Formulierung wird nochmals bekräftigt: „Ipse enim gladius materialis, per quem significatur terrena potestas, continetur in potestate summi pontificis". Wir haben zwei Gedankenreihen, die der Trennung der Gewalten und des Einbezugs der niederen in die höhere Gewalt. Trennung und Einbezug können auch nach einer früheren Stelle (III, C. 1) im Bild des „ius distinccionis fori" und des „ius plenitudinis potestatis" gefaßt werden. Wie lassen sich De eccl. pot. III c. 1 (S. 147): „Potestas ergo regia habet pro obiecto homines et potissime homines malos; habet tarnen pro causa Deum, quia a Deo tamquam a causa agente est omnis potestas, tarn regia quam alia. Sed sacerdotalis potestas et pro causa et pro obiecto habet Deum . . . pro obiecto vcro, quia in hiis que sunt ad Deum est huiusmodi potestas; unde et eius est offerre sacrificia ipsi Deo."

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Trennung und übergreifender Einbezug vereinen, ohne die geistliche Gewalt in Widerspruch aufzulösen? Verfolgen wir die Trennung, so sind jene Kriterien beizufügen, die auf andere Weise die Distanz der Gewalten unterstreichen. So die Bemerkung in II, c. 5, daß nach 2 Kor. 6, 10 die Kirche hinsichtlich der Temporalien alles und nichts besitze. Dabei beziehe sich das „omnia possidere" auf die „auctoritas", das „nihil possidere" auf die Sorge um die Temporalien. „Possidere" im Sinn einer auctoritas kann aber nicht Besitz im strengen Sinn der possessio bedeuten, diese steht nach (III, c. 11) nur dem Caesar zu (vgl. oben). Damit hätten wir eine auf weltlicher Seite sich ergänzende Merkmalreihe von: „potestas carnalis, usus gladii materia, possessio temporalium"; auf geistlicher Seite von: „potestas spiritualis, nutus, auctoritas". Wenn also Trennung und Einbezug ohne Widerspruch zusammenkommen sollen, dann handelt es sich bei der Trennung um den Unterschied ontisch-existentieller (spiritualis-carnalis), funktionaler (nutus-usus), juridischer (auctoritas-possessio) Art; der übergreifende Einbezug muß, um die Trennung nicht zu verletzen, für die Existenz der niederen Gewalt in der höheren in einer eigenen Form angenommen werden. Wie diese aussieht, wird sich gleich zeigen. Um die ontisch-existentielle Trennung zu überwinden, muß eine Angleichung der niederen an die höhere Seinsform erfolgen. Bellarmin sagt an einer wichtigen und für unsere Darlegung eindrucksvollen Stelle: „Ego id solum efficere volui, potestatem pontificiam a Deo immediate acceptam non esse formaliter temporalem, sed spiritualem... potestas pontificia, in se spiritualis, extenditur tarnen ad temporalia, quatenus spiritualibus subordinantur" 99 . Die in der spiritualen Gewalt enthaltene Befugnis gegenüber dem Temporalen darf nicht die formale, das Sosein bestimmende temporale Wirklichkeit darstellen. Überraschend bringt nun Ägidius eine Überlegung, die in unmittelbare Nähe dieser Aussage Bellarmins weist. Bei der Besprechung der Dekretale Alexanders III. si duobus kommt er auf die Trennung der Bereiche „de rigore iuris" und den Einbezug zu sprechen. Der Trennung nach (distinccio in foris et in officiis; III, c. 1) waltet die zwingende Satzung der Nichtappellation an den Papst (vom weltlichen Richter aus), hier ist keine Reduktion des „unum ad aliud" möglich. Betrachtet man jedoch die temporale Seinsweise des gladius terrenus und ecclesiasticus, so könne man hinsichtlich der „Temporalität" (secundum se ad temporalitatem) eine Verschiedenheit feststellen. Das weltliche Schwert ist „temporalis formaliter", das kirchliche als solches ist temporal in einer höheren Weise und zwar „ratione spiritualitatis ad quam temporalia ordinantur". N u r dort, wo die Kirche durch Schenkung oder einen sonstigen gerechten Erwerbstitel die temporale Jurisdiktion besitzt, kann man auch bei ihr von einem formalen, temporalen Charakter des kirchlichen Schwertes sprechen (poterit idem dici temporalis formaliter)9"11. Ägidius f ü h r t zwar nicht in der gleich bestimmten Weise den spiritualen Charakter des weltlichen Schwertes der Kirche vor wie Bellarmin, aber die Stelle gibt doch so viel 89 593

Vgl. A n m . 88. D e eccl. pot. I I I c. 1, a. a. O. S. 144 f.

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her, daß die kirchliche Temporalgewalt nicht ein wesensmäßiges, formaliter temporales Schwert besitzt. Es ergibt sich ferner, daß die höhere Seinsweise des gladius terrenus in der Kirche nirgend anders herrührt denn aus der Spiritualität, auf die hin die Temporalien geordnet sind. Auch diese Begründung verweist auf Bellarmin, der den Temporalbezug der geistlichen Gewalt mit der Unterordnung der Temporalien unter die Spiritualien begründet (extenditur tarnen ad temporalia, quatenus spiritualibus subordinantur). Man kann natürlich fragen, ob die höhere Seinsweise des gladius terrenus in der Kirche — als „superexcellenter et virtualiter", „perfeccius et excellencius" beschrieben —10°, dem gleichkommt, was Bellarmin als spirituale Gewalt gegenüber dem Temporalen versteht. Sie kommt sicher der negativen Umschreibung gleich, denn sie erfüllt eindeutig die Intention Bellarmins, nicht „formaliter temporalis" zu sein. Dagegen bleibt ungesagt, was dann positiv ihre Form ausmacht. Sie muß aber formal bestimmt sein, denn „a forma est principaliter esse et denominacio rei" (II, c. 4). Nun heißt sie aber temporale Gewalt, demnach müßte ihr erstes Wesen von diesem „temporaliter" im Sinne der höheren Seinsweise bestimmt sein. Diese Seinsweise ist aber praesent „racione spiritualitatis", sie ist demnach spiritual geprägt. Dieses Kriterium, das auch andernorts zum Vorschein kommt, so wenn es heißt, daß die Innehabe des weltlichen Schwertes „ad nutum" der Aktionsweise der Spiritualien entspräche: „habere huiusmodi gladium ad nutum est ipsum habere eo modo, quo agunt spiritualia, qui agunt perfecciori modo et excellenciori" (I, c. 9). Gegenüber der klaren Diktion Bellarmins wirken diese Umschreibungen unbefriedigend. Und sie müssen es bleiben, solange von der Gewalt des Papstes gegenüber den Temporalien als von „potestas terrena" gesprochen wird; die angefügte Bedingung der höheren Seinsweise, der dem Spiritualen gleichen Funktionsweise, der negativen Abschirmung gegenüber dem wesentlich Temporalen, zeigen zwar das eindeutige Bemühen, dieses „gladius terrenus in ecclesia" zu spiritualisieren; aber darüber kommt Ägidius streng genommen nicht hinaus. Offenbar ist für die hierokratisch-ekklesiarche Sidit der Blick noch nicht frei, für eine Entfaltung des päpstlichen Primates gegenüber der Welt aus einer Sicht, die konsequent von der „distinccio fori et officii" ausgeht. Andrerseits bedeutet diese spekulative Spiritualisierung der kirchlichen Temporalgewalt einen eindeutigen Fortschritt gegenüber der apodiktischen Diktion der hierarchischen Kanonisten, die dem Papst eben die spiritual-temporale Vollgewalt zuschreiben. Dieser Fortschritt ist bisher nicht beachtet worden. Die ekklesiarche Doktrin verschärft nicht nur in ihrer Systematik der Gewalt und in der soliustistischen These die Position, sie mildert sie zugleich, indem sie Wege zeigt, oder zumindest aufsucht, die zu einem vertieften theologischen Verständnis der kirchlichen Temporalgewalt führen können. In diesem Sinn gehört audi die ekklesiarche Doktrin, soweit wir sie in einem so markanten Vertreter wie Ägidius verfolgen können, so überraschend ioo £ ) e e c c j p 0 t j i c 9 . perfeccius et excellencius sit habere materialem gladium ad nutum quam ad usum. I I I , c. 1 : Sic gladius terrenus est temporalis formaliter, sed ecclesiasticus, ut ecclesiasticus, est temporalis superexcellenter et virtualiter racione spiritualitatis ad quam temporalia ordinantur.

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es i m A u g e n b l i c k k l i n g e n m a g , z u j e n e n S p e k u l a t i o n e n , d i e a u f d i e k o n s e q u e n t d u r c h d a c h t e L e h r e B e l l a r m i n s h i n f ü h r e n . S i e ist d a h e r k e i n e s w e g s nur als reaktionär z u beurteilen. D i e Spiritualität, die Ä g i d i u s der T e m p o r a l g e w a l t zuspricht, trennt f e r n e r diese v o n e i n e r p o t e s t a s d i r e c t a i m s t r i k t e n S i n n d e r s p ä t e r e n U n t e r scheidung, die v o n der konsequenten T r e n n u n g der Bereiche her g e w o n n e n w i r d . D e n n sie ist sicher n i c h t i d e n t i s c h m i t d e r G e w a l t , d i e sich a u s d e r a r t e i g e n e n B e d i n g t h e i t d e s t e m p o r a l e n B e r e i c h s a l s d e r e n S p i t z e ergibt 1 0 0 a . I n d e m i h r d e r f o r m a l e , t e m p o r a l e C h a r a k t e r a b g e s p r o c h e n ist, f e h l t i h r d a s e i g e n t lich t e m p o r a l e W e s e n , d a s e i n e p o t e s t a s d i r e c t a i n d e r F o l g e r i c h t i g k e i t d e r Bereichsteilung haben m u ß . W a s Ä g i d i u s über das weltliche Schwert der K i r c h e a u s s a g t , b e t r i f f t als S u b j e k t e i n d e u t i g d i e p o t e s t a s s p i r i t u a l i s , a u s d e r e n s p i r i t u a l e r V o r o r d n u n g a l l e s w e i t e r e f o l g t 1 0 1 . D a m i t ist d i e h i e r o k r a t i s c h e T h e s e , d i e a u s d e r k a n o n i s t i s c h e n T r a d i t i o n h e r a u s r e l a t i v u n d i f f e r e n z i e r t als t e m p o r a l e V o l l g e w a l t uns begegnet, gegen eine Identifikation m i t spezifisch weltlicher G e w a l t abgeschirmt. W i r k ö n n e n d i e s e s w i c h t i g e T e i l e r g e b n i s , d a s sich i n d e r B e t r a c h t u n g d e r Thesen des Ä g i d i u s abzeichnet, erweitern, w e n n w i r die allgemeine O r d n u n g s k o n z e p t i o n v e r g l e i c h e n . N a c h B e l l a r m i n g i b t es e i n e H i e r a r c h i e d e r Z w e c k e und eine entsprechende Hierarchie der Unterordnung. D i e Temporalien sind 1M

* Suarez, De legibus I I I , c. 6. Zur Doktrin, daß der Papst eine direkte Gewalt habe „ad ferendas leges civiles p r o universa Ecclesia". Wenn sich diese Sentenz auch auf die infideles beziehe, sei sie eindeutig falsdi. Beziehe sie sich auf den „Orbis Christianus, ita ut in universa Ecclesia habeat S. Pontifex hanc directam potestatem a Christo datam . . . de facto vero solum in his partibus, in quibus Ecclesia illam exercere valeat, sive illam per se exerceat sive per Imperatorem, cui illam demandavit", so sei eine andere Sicht gegeben (aliter potest illa sententia intelligi). Suarez meint hierzu, man müsse unterscheiden zwischen einer allgemeinen spiritualen Obergewalt und der Ansicht, der Papst habe „directam potestatem temporalem distinctam ab spirituali, per quam per se directe possit civiliter gubernare totam ecclesiam". 101 Vgl. Anm. 66, 77, 78, 81, 82, 83, 93, 98, 100. — Weitere Stellen: De eccl. pot. I, c. 5 (S. 13): N a m de iure simpliciter dominans spiritualiter per quandam excellenciam eciam super temporalibus habet dominium. — S. 17: inter ipsos fideles universi domini temporales et universa potestas terrena debet regi et gubernari per potestatem spiritualem et ecclesiasticam et specialiter per summum pontificem, qui in ecclesia et in spirituali potestate tenet apicem et supremum gradum". — Der Papst hält demnach nicht „in temporali potestate apicem". — II, c. 4 (S. 49) zur ordinatio ad spiritualia. II, c. 4 (S. 53) potestas regia, que est potestas humana et terrena et super corporalia, subsit et sit ordinata in obsequium potestatis sacerdotalis et potissime potestatis summi pontificis, que est potestas quodammodo divina et celestis et super spiritualia". — II, c. 12 (S. 102) Papst, „spiritualis medicus", hat auch „auctoritatem et iurisdiccionem super temporalibus Omnibus". — II, c. 13 (S. 113) „ N a m potestas spiritualis extendit se ad spiritualia tamquam ad magis nobilia et ad corporalia tamquam minus nobilia". — II, c. 13 (S. 115) „Habet ergo spiritualis gladius posse super utraque tarn super spiritualia quam super materialia" III, c. 1 (S. 146) „Est itaque plenitudo potestatis in spiritualibus, ut, si expediat, de temporalibus iudicet". — III, c. 1 (S. 162 f) die Unterordnung der Temporalien „ut temporalia" heißt „per se, sed non primo". „primo" kann nur im Sinne einer anfänglicheren und hauptsächlicheren (principalius) Unterordnung gelten, jedodi nicht im Sinne des Unmittelbareren (immediacius). Der H a m m e r berührt das Eisen immediacius, der Sdimied principalius. Darin soll die höhere Wirkkraft und Lenkung ausgedrückt werden.

V. Aegidius und die Lehre von der Gewalt in der Kirdie

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um des Spiritualen willen den Spiritualien untergeordnet101. Nach Suarez besagt indirekte Gewalt jene Gewalt, die nur aus der Richtung auf einen höheren Zweck entsteht, auf einen Zweck, der in der Verfügung einer entsprechend höheren und erhabeneren Gewalt steht (Def. fidei III 5, n. 2). Beide Motivationen sind auch der Ordnungskonzeption des Ägidius elementar zu eigen. Die den Temporalien eigene Hinordnung auf die Spiritualien ergibt sich aus dem Ziel des Menschen, in dieser Zielrichtung liegt die temporale Dienstleistung begründet (II, c. 4). Das gilt für das Verständnis der Intention der terrena potestas, die ja „in opus ecclesiastice potestatis" konstituiert ist (II, c. 5). Die korporative, gesellschaftliche Ordnung, in der diese Zweckordnung realisiert ist, haben wir in der Kirche. Sie kann nur ein Haupt haben. Unbeschadet der Bereichstrennung und der generischen Höchstgewalt der weltlichen Herrschaft (in suo genere principalis), ergibt sich für Bellarmin die Frage der Unter- und Geberordnung, wenn beide Gewalten in einem „corpus" zusammenkommen103. Das Gleiche gilt für Suarez104. Beide betonen ausdrücklich, daß die Kirche deshalb kein politisches Ganze werde, kein „unum corpus politicum proprie et formaliter" (Bellarmin)105. Audi für Ägidius geht es immer um die Kirdie und die Gewalten in der Kirche (vgl. S. 308 ff), die Vollgewalt des Papstes über diese Kirche und die in ihr existente Gewalten über weltliches ist in der Substanz die kirchliche Vollgewalt. Gerade die Schlußkapitel (III, c. 9 ff) illustrieren diese Beobachtung. Das Abheben der spiritual-temporalen potestas im Sinne des Ägidius von der potestas directa in der Sicht des 17. Jahrhunderts, das Aufspüren gewisser Gemeinsamkeiten in der ekklesiarchen Doktrin und in der These von der indirekten Gewalt soll nicht die Unterschiede verwischen. Wir kamen auf den spiritualen Charakter der von unserm Autor vertretenen temporalen Hoheit der Kirche zu sprechen von der Frage her, inwieweit seine Thesen die Bedingungen der indirekten Gewalt erfüllen, nachdem sich gezeigt hat, daß er dem Papst keine spezifische und distinkte zivile Gewalt zuschreibt, wie es nach Suarez für die potestas directa erforderlich wäre (vgl. Anm. 100 a). Weder kann man die Formel von der potestas directa unbesehen auf Ägidius übertragen, noch darf man die Deutung seiner Thesen mit der Feststellung der Gemeinsamkeiten zur sogenannten indirekten Gewalt beenden105". 102

10J 104

105

Bellarmin, D e potestate S. Pontificis c. 14: „Itaquc potestas regia, quae in suo genere principalis est, si cum, potestate ecclesiastica, quae etiam in suo genere principalis est, in unum corpus coalescat, necessario debet aut subesse aut praeesse, ne sint in uno corpore duo capita". — Examen c. 6 (Vat. Lat. 7342 Arnold S. 349 Anm. 70): „numquam dixi unam potestatem esse finem alterius. Sed dixi finem unius potestatis subordinari fini alterius et ideo unam potestatem subordinari alteri." Vgl. Anm. 102. Suarez, D e legibus IV, c. 9: Die spirituale Gewalt „directe respicit spiritualia et consequenter extenditur ad temporalia". Beruft sich auf Bernhard ad usum-ad nutum (vgl. Anm. 92). Kirdie ist ein Körper, . . . ergo quamvis in eo sint plures potestates seu magistratus, necesse est, ut inter se habeant subordinationem, ita ut ad unum aliquo modo revocentur propter rationem factam; ergo vel spiritualis potestas subordinatur temporali, vel e contrario. Prima dici non potest, . . . esset autem perversus ordo, si spiritualia subiecta essent temporalibus; ergo secundum necessario dicendum". Zu Bellarmin vgl. Anm. 92; Zu Suarez: F. Rommen S. 357.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

Die Unterschiede setzen ein mit dem fundamentalen Unterschied, daß Ägidius überhaupt von temporaler Gewalt der Kirdie spricht. Aber das haben vor ihm schon genug andere getan, die man zur Lehre von der indirekten Gewalt rechnet. Mit dem Wort, selbst wenn es viele einschränkende und differenzierende Bedingungen enthält, stellt sich aber auch die Sache selbst ein. Sie besagt eine Grundvorstellung, die einmal die Bereiche und Offizien nicht in der konstitutiven, funktionalen und finalen Folgerichtigkeit trennt, wie es für die Lehre von der indirekten Gewalt Voraussetzung bleibt10®. Die zum andern, angefangen von der Herrscherpromotion, der Kaiserpromotion insbesonders, dem kirchlichen Akt auch eine konstitutiv-rechtliche Bedeutung für den saekularen Bereich zumißt. Freilich beschränkt sich diese Grundvorstellung nicht auf die hierokratische Lehre allein, sie hat sogar auf regalimperialer Seite, wie die Ausführungen des ersten Teiles zeigten (vgl. S. 70 ff, 87 ff), ihre Resonanz. Daher wird eine Kritik der ekklesiarchen Thesen implizit alle Erscheinungen angreifen, die nicht strikte, im Sinne der neuzeitlichen Distinktion der Bereiche, jede temporale Gewalt der Kirdie, die über kircheneigene Reservatrechte hinausgehen, ablehnen. Daß das Temporale derart im Verband der Kirche installiert werden kann, wie es von der westgotisch-karolingischen Aera an im Bild der regalen Gewalt in der Kirche geschieht, hat viele Gründe. Sie beginnen mit dem Bild der Kirche, dem Sakral105a

10S

Wie oben gezeigt, lehnt auch das System der indirekten Gewalt innerhalb und hinsichtlich des im Heil geeinten „unum corpus" den Dualismus des Nebeneinander zweier unabhängiger Gewalten ab und fordert in diesem Zusammenhang ein Haupt. Allerdings mit dem Unterschied, daß die geistliche Position dieses Hauptes klar betont ist. — Vergleicht man die Konsequenzen, die etwa Suarez für das mögliche Eingreifen des Papstes zieht (Def. fidel c. 21 n. 2) mit den zehn Fällen der aegidianischen Exekutivgewalt, dann sind die Unterschiede nicht mehr so tiefgreifend. Nach Suarez kann der Papst den Herrscher durch Vorschrift lenken, bestimmte Akte fordern, sie ergänzen und verhindern, er kann bis zur Absetzung bestrafen. Suarez bejaht die Fragen, ob a) die Person des Herrschers „spiritualiter" Untertan sei, b) die weltliche Gewalt so untergeordnet sei „ut possit illius actus praecipiendo dirigiere, exigere, supplere vel impedire"; c) durch Strafe zwingen könne „etiam usque ad regni privationem, si opus fuerit, quod est fere punctum et cardo totius controversiae". Rommen S. 262 gibt zu, daß Suarez sich praktisch der von den Kurialisten vertretenen Anschauung nähere. — Vergleicht man die Darstellung des Aegidius, vor allem in III, c. 2 ff, dann haben die Temporalien und die temporale Ordnung hinsichtlich ihres spezifisch temporalen Bezugs eine relative Eigenständigkeit. Die Primärjurisdiktion überläßt sie regulär sich selbst. Aus ihr heraus wird die weltliche Gewalt eingesetzt (III, c. 4), aus ihr stammt die „cura generalis" (III, c. 3), im übrigen haben die potestates terrenae ihren „proprius motus" und „cursus". Die Primärgewalt ist eine aus der spiritualen Einordnung des Temporalen erwachsende delegative Superiorität (in der kirchlichen Promotion des Herrschers) und eine „autoritative Praesenz". D a ß diese autoritative Praesenz im Ansatz bereits spiritualen Charakter hat, ergibt sich einmal daraus, daß sie dem spiritualen Bezug des Temporalen entstammt, zum andern aus ihrer Verbindung mit der ihr vorausgehenden und sie überragenden spiritualen Hoheit. Der spirituale Ansatz wird deutlich, neben dem bereits Gesagten (vgl. Anm. 77, 78), aus der Bemerkung III, c. 3 (S. 157), mit der er die Darstellung der Einzelfälle c. 4—8 einleitet: Der Papst verhalte sich regulär nach der communis lex „et nisi propter spiritualia aliqua de eis non se intromittat, et eciam quod propter huiusmodi spiritualia appelletur ad papam. In hoc capitulo pertractabimus generaliter ista, sed in sequentibus ad spiritualia specialiter descendemus". Vgl. Anm. 89 zu Suarez; 102 zu Bellarmin.

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königtum und reichen bis zur Sakralgesellschaft selbst. Zweifellos kommt eine eigene Bedeutung des „Temporalen" selbst hinzu. Temporal ist nicht der weltimmanente Raum des natural-autarken menschlichen Kosmos, sondern die dem Spiritualen geöffnete Kreatürlichkeit, die zudem unter dem Gesetz der Sünde und in der in die Kirche gestifteten Heilsordnung steht. Bei Ägidius und der ekklesiarchen Doktrin wird diese Sicht beherrschend. So fehlt eine klare Definition der naturrechtlich gesicherten saekularen Eigenständigkeit, es fehlt der Einbau dieses Eigenstandes in die Darlegung der spiritual-temporalen Gewalt. Die soliustistische Begründung des dominium superius der Kirche trennt nicht sorgfältig genug die sakramentale Ordnung vom weltlich-zwingenden Recht. Zwar ist, wie wir sahen, das dominium superius (universale) in einem innerhalb der sakramentalen Sphäre richtigen Ansatz von der Heilsordnung her gesehen, aber die Heilsgerechtigkeit, das durch Taufe und Buße vor Gott im Heilsbezug stehende herrscherliche Handeln stehen doch in jedem Fall der naturrechtlich begründeten positiven Rechtlichkeit gegenüber. Wie verhalten sich aber heilsgerecht und positiv-rechtlich genau? Die sakramentale Wirklichkeit vermag nicht eine positivrechtliche Ordnung zu setzen. Sie kann nur diese konsekrieren, ins Heil zu nehmen, in den Dienst des Heils zu stellen. Die wesenhafte Verschiedenheit von Heilsgerechtigkeit und positivem Recht macht Ägidius selbst deutlich, wenn er einmal von dem durch die Taufe „würdigen" Träger einer potestas, dann wieder von einem „iustus dominus" spricht107. Daß er beide Ausdrücke undifferenziert verwendet, zeigt die Unzulänglichkeit von Terminologie und Spekulation. Das der Kirche zugesprochene „dominium universale et superius", aus dem heraus gewisse Eingriffe erfolgen können, ist ¿war in seinen Wurzeln spiritual begründet, und meint zusammen mit der Exekutivgewalt niemals Besitz und Herrschaft im spezifisch temporalen Sinn, aber gerade weil es nicht „formaliter" eine potestas terrena darstellt, wäre ja der Weg frei gewesen, die naturrechtliche Legitimität auch in der hierokratischen Konzeption explizit zu entfalten. Daß es Ägidius nicht unternimmt, trotz seines Fürstenspiegels, mag verschiedene Gründe haben. Er bemerkt in III, c. 1, daß die ganze Kontroverse über das Verhältnis der beiden Schwerter in der Behauptung einiger Rechtsgelehrten ihre Wurzel habe „quod regnum et sacerdotium ab eodem principio processerunt, ut non sit unum institutum per aliud, et quod prius fuit regnum quam sacerdocium". Für Ägidius steht die Frage der Einsetzung des Herrschers und der zeitlichen Priorität, wie II, c. 5 zeigt, eindeutig in der Perspektive des „fidelis populus", also der Heilsgeschichte. Er bemerkt, nachdem er im Stile der Negativtypik die gewaltsame Entstehung der Reiche in der Epoche der „lex nature" dargetan hat, daß es ihm über die allgemeine Ableitung der Gewalt von Gott auf die besondere Einsetzung des Herrschers über den „fidelis populus" aus einem „speciale mandatum" an107

De eccl. pot. II, c. 7 (S. 70): „omne dominium cum iustitia"; II, 8 (S. 75): „nullus est dignus hereditate paterna, nisi sit servus et filius ecclesie"; II, c. 10 (S. 86): fideles autem de iure et cum iusticia dominium particulare habere possunt". — II, c. 11 (S. 96): „infideles omni possesione et dominio et potestate qualibet sunt indigni". — III, c. 11 (S. 202): „iustus dominus".

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

komme; „quia nihil

ad nos de hiis que foris

sunt"1"*. Sein T r a k t a t

han-

delt gar nicht über den naturalen außerkirchlichen Staat. Man kann daher seine Darlegungen nicht als Auslassungen über den Staat schlechthin, oder über das Verhältnis von Kirche und Staat schlechthin ausgeben, wie es nur zu gerne geschieht. So beginnt er mit dem ersten Mandat des Herrn, mit der Einsetzung Sauls dem „exemplar regum omnium christianorum et omnium regum fidelium". Die christliche Herrschaftsordnung ist exemplartypisch vorgeprägt, in der Einsetzung durch Samuel ist die kirchliche Promotion zeichenhaft für das „regimen diristianum" gesetzt. Dieses Einschränken auf die herrschaftliche Ordnung der Heilsgemeinschaft gibt einmal einen Hinweis darauf, daß sichtlich über die außerchristlichen Herrschaften noch nicht alles gesagt ist, zum andern bestätigt es jene Konzeption, die in der wesenhaften Zuordnung der Temporalien auf das Spirituale, in der gestuften Hierarchie der Zwecke und Offizien, in der sakramentalen Ordnung des Lebens und der gläubigen Gesellschaft, in der Existenz der Gewalten „in ecclesia" sich jeweils ankündigt: das Heil, korporativ in die Kirche gestiftet, umgreift den auf es zugeordneten mundus. In dieser Konzeption liefert all das, was sich seit dem christlichen Kaisertum der Spätantike, seit 800 in der Promotion und Absetzung eines Herrschers in der Verzahnung von kirchlichem und weltlichem Recht und Rechtsfolge entfaltet hat, das geschichtliche Anschauungsmaterial. Die Kontroverse dieser Entwicklung wird von Ägidius auf die einfache Frage nach der unmittelbaren oder mittelbaren Herleitung der Gewalt reduziert, damit ist zweifellos der zentrale Bereich der großen Auseinandersetzung erreicht. In diesem Bereich sammelt sich die herrschaftliche Praxis, das geschichtliche Milieu, das Bild des Herrschers als „typus (vicarius) Christi", das sakrale Verständnis der Obrigkeit, das Selbstverständnis der Gesellschaft als „populus fidelis". Ist hier eine unmittelbare Herleitung ohne Einschaltung der Kirche möglich? In einer Welt, die ihrem Wesen und ihrer faktischen Realität nach die Kirche als die Mittlerin des Heiles weiß? Wird an einer so zentralen Stelle dieses Bildes vom Menschen und seiner Ordnung in Kirche und Welt die ghibellinische These von der unmittelbaren Herleitung der Herrschaft von Gott angenommen, so ist die universale, gestufte reductio ad unum der „infima per media et inferiora per superiora" (I, c. 5), gestört. Der „ordo pulcherrimus universi", der in der Kirche widerstrahlt (I, c. 5), zerbricht, wenn die universale mediate Struktur der Ordnung der Welt und des Heils nicht für die zeitliche Ordnung des Menschen gelten würde und hier nach dem Prinzip der Dyokephalie eine eigene Stellvertretung Gottes erschiene, die nicht von der Kirche vermittelt ist. In dieser Perspektive erscheint die reductio der Ordnung ad unum, das folgerichtig durchdachte System des „unum institutum per aliud" (III, c. 1) über die hierokratische Entwicklung seit dem Investiturstreit, über die scholastische Synthese von Natur und Ubernatur hinaus als eine Kernfrage der mittelalterlichen Ordnung schlechthin. 108

De eccl. pot. II, c. 5 (S. 55): N a m in hoc tractatu hominibus fidelibus loquimur, quia nihil ad nos de hiis que foris sunt. — II, c. 14 (S. 133): In populo enim fideli, quia de infideli nihil ad ros. — Zur Typik bei Aegidius vgl. meinen Aufsatz: Typik und Atypik, Speculum historiale S. 292.

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Das von der Heilswirklichkeit her und für sie geltende monokephalisdie System eines Ägidius und der Hierokraten wird erleichtert durch das Bild und die Wirklichkeit des Herrschertums. Im ersten Teil dieser Studie wurde die Restriktion der staatlichen Gewalt im Herrscher des auf die Teilhabe der Herrschaftsträger gestützten Personalverbandes dargetan (S. 30 ff, 45 ff). Die Reduktion auf Gebot und Verbot, Schwertgewalt, Königschutz, Gerichtshoheit zeigt sich in der Schwerterlehre, der Terminologie und Interpretation der weltlichen Gewalt als körperliche Gewalt. Ägidius wiederholt dieses Bild, wenn er gegenüber dem geistlichen Schwert das iudicium sanguinis herausstellt, oder mit dem Pauluswort (Rom. 13, 4): „Dei enim minister est, vindex in iram ei qui malum egit" zur potestas regia sagt: „habet pro obiecto homines et potissime homines malos" (III, c. 1)1M, während die priesterliche Instanz alles besorgt, was „ad Deum" und darin auch zur urteilenden Instanz über das Temporale wird (vgl. Anm. 101). Das Bild der auf Schwert- und Gerichtsschutz beschränkten staatlichen Gewalt verstellt das, was sich an Staatlichkeit seit dem Investiturstreit in den regna und im imperium selbst herausgebildet hat und was schon zu den schweren Spannungen des 12. und 13. Jahrhunderts führte. Was auch jetzt zur Zeit der Abfassung des Traktates gerade vom französischen Königshof aus zum Schlag gegen Papst und Kurie ausholen sollte. So kommt Ägidius nicht dazu, die spiritual-temporale Vollgewalt des Papstes in eine echte Auseinandersetzung mit der naturrechtlichen Konzeption der sozialen Ordnung zu konfrontieren. Beide Aspekte bleiben sozusagen nebeneinander, der Bereich der „lex nature" bleibt „foris". Die Zeit war noch nicht dafür reif. Dieser Augenblick wird erst kommen, wenn die Kaiserpromotion zur Formalität erstarrt ist, das Papsttum selbst nach den schweren Erschütterungen des Schismas und der konziliaren Bewegung politisch gesehen auf sich selbst zurückgeworfen wird. Eine neue Zeit beginnt, der die Aufgabe zufällt, vom Naturrecht her die souveräne Allmacht des neuen Staates zu begrenzen, den Eigenstand der saekularen Ordnung zu erhellen, ohne das Kernfeld jener Wahrheit zu verletzen, das auch in der ekklesiarch-soliustistischen Doktrin praesent ist und zur Manifestation drängt. Was den Eigenstand des zivilen Bereiches angeht, hat es die Lehre von der indirekten Gewalt leichter, ihn herauszustellen. Die kirchlich-politische Gliedeinheit in der Kirche ist zerbrochen, die Krönung des Kaisers in Rom ist außer Gebrauch gekommen (nach 1527). Die Kolonisation sieht sich unmittelbar den Fragen nach den natürlichen Rechten der Eingeborenen gegenüber. Die soliustistischen Formeln sind unbrauchbar geworden. Die Schule von Salamanca, der Vitoria und Soto, betonen die Legitimität der naturrechtlichen Besitztitel .Wenn daher Bellarmin an die hierokratische Lehre die Bedingung stellt, daß die partikularen Rechte nicht verletzt werden, dann ist die gewandelte politische Situation einzurechnen, wie man umgekehrt die Verflechtung der hierokratischen und ekklesiarchen Thesen in ihre Zeit berücksichtigt. Um bei der eben genannten 104

De eccl. pot. I, c. 8 wird das iudicium sanguinis des weltlichen Schwertes betont: S. 31: „Cum ergo regis sit exercere iudicium sanguinis et habere materialem gladium."

23 Kölmel

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

Bedingung Bellarmins zu bleiben, kann man fragen, ob Ägidius sich einer Verletzung temporaler Rechte bewußt ist, die er noch im Fürstenspiegel so selbstsicher formuliert hatte. Bevor wir zu dieser letzten Frage übergehen, noch ein Hinweis auf die bereits apostrophierte Relation der ekklesiarchen Doktrin, für die Ägidius repraesentativ gelten mag, zur kanonistischen Tradition. Vergleicht man die beiden Aussagenreihen, dann bedeutet der Versuch, die hierokratische These nun systematisch auszubauen und theologisch zu vertiefen, wie es die ekklesiarche Doktrin unternimmt, nicht nur eine im Zuge der Systematik sich sozusagen von selbst einstellende Verschärfung der Formulierung, sondern zugleich eine inhaltliche Profilierung. Indem nämlich jetzt der theologische Hintergrund all dessen, was ideengeschichtlich und kirchenpolitisch auf die Zeit um 1300 zuwächst, bewußt angesprochen, artikuliert und darin auch freigelegt wird, tritt zugleich der spirituale Grundzug der päpstlichen Temporalgewalt greifbarer heraus. Darin erfüllt sich aber die geschichtliche Logik einer Konzeption. Wäre es nur bei den kurz und apodiktisch gefaßten kanonistischen Formulierungen geblieben, wie sie etwa bei Alanuns erscheinen, dann wären gerade die Nuancen, die jetzt die Argumentation anreichern, ungesagt geblieben, und wir besäßen nur die Optik der „imitatio imperii", die Kaisertitulatur für den Papst, das Wort vom Papst als „iudex Ordinarius" für alle Temporalien (vgl. S. 232). Die Trennung der Temporalgewalt des Papstes in Erst- und Exekutivgewalt, ihre Begründung aus dem spiritualen Amt, die Herleitung der spiritualen Uberordnung aus dem Wesen des Spiritualen selbst und aus der universalen „ordinatio ad spiritualia", all das erlaubt es, die Grenzen zur Spezifik der potestas saecularis schärfer zu ziehen, als es mit dem kanonistischen Aussagematerial allein möglich wäre. Es ist daher abwegig, in der Betrachtung der ekklesiarchen Doktrin um 1300 den Blick nur auf die spekulativ sich verschärfende Position der „opinio quorundam modernorum" (so Quidort) zu richten.

VI. Der princeps terrenus in der Lehre des Ägidius (nach „De ecclesiastica potestate") Herkunft der Saekulargewalt. — Wesen der weltlichen Gewalt. — Funktion und Umfang des „principatus terrenus".

Nach dem bisher Gesagten wird es glaubwürdiger klingen, wenn Ägidius selbst sich gegen den Vorwurf schützt, die Kirche würde die Rechte der Könige durchkreuzen. Nach Ägidius verwirre die Kirche, obwohl „omnium rerum temporalium domina", weder die Jurisdiktion eines anderen noch vermindere sie diese Rechte. Im Gegenteil, er will der weltlichen Gewalt und den Fürsten eher ihre Zuständigkeit bewahren ja sogar vermehren (adimplere) (II, c. 4). Ist das rhetorische Phrase, oder hat der Autor Gründe, ernst genommen zu werden? Welche Teile der Argumentation bieten Ansatzpunkte für seine Behauptung? Wir verfolgen diese Fragen im Hinblick auf Herkunft, Wesen und Funktion der Saekulargewalt. a) Herkunft der Saekulargewalt: In der Herleitung des dominium (utile et potestativum), als Besitz und Herrschaft stehen sich in der allgemeinen, unmittelbaren Herleitung von Gott, die auch Ägidius selbstredend nicht abstreiten kann, und der mittelbaren über die Kirche zwei scheinbar unversöhnliche Auffassungen gegenüber. Um es vorweg zu nehmen, ein überzeugender Ausgleich gelingt nicht, was nicht heißt, daß nur mit Widersprüchen gearbeitet wird, die sich selbst überlassen bleiben. Die allgemeine Herleitung besagt, daß die Gewalt zugleich als ein Seiendes ein „quid bonum" ist (II, c. 9; vgl. 294). Als dieses Seinsgut ist die Gewalt teils „iussa", teils „permissa". Als „iussa" ist sie den Guten zugeordnet, als „permissa" ist sie den Schlechten überlassen. In der Reihe dieser nur zugelassenen Herrschaft stehen die Reiche der Epoche der „lex nature", als erst genannter König Nemroth (II, c. 5; III, c. 1 nach Gen. 10, 8), sie wurden alle „per invasionem et usurpacionem" errichtet, wie es im Stil der Negativtypik Gregors VII. heißt110. Gewalt wird ja auf der Ebene des „usus", wenn dieser nicht im Heilsbezug steht, schlecht (vgl. 301 f). Dieser aber wird durch das „sacerdocium" hergestellt, in der Kirche durch die doppelte Wiedergeburt (regeneratus per ecclesiam) in der Taufe und im Bußsakrament (vgl. Abschnitt IV). So kommt es zur Vierteilung der regna nadi ihrer Entstehung: „regnum usurpatum quod est latrocinium; regnum sacerdotio coniunctum, regnum per sacerdocium institutum et regnum huiusmodi institucionem subsecutum". Das erste wurde schon beschrieben, das zweite haben wir in Melchisedech, das dritte in Saul, es ist zugleich praefigurativ, so daß das vierte sich im christlichen regnum findet. In 110

23*

Verf.: Typik und Atypik S. 282 f zu Gregor VII. — Vgl. auch Determinatio compendiosa c. 17, 18.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

der Sicht des in der Erbsünde schlecht gewordenen Gebrauches der an sich guten Macht ist dann der Einsatz eines gerechtfertigten regnum mit der Einsetzung durch das Priestertum verbunden: „inicium regendi recte, prout regnum et sacerdocium sunt duo gladii divisi, a sacerdocio sumpsit originem" (I, c. 5). Auf die Kirche übertragen ist heilsgerechtes dominium, wie schon früher dargestellt (S. 302 ff) nur in der Wiedergeburt durch die Kirche der inneren Voraussetzung nach, der Einsetzung nämlich durch die Kirche, institutionell möglich (II, c. 5). Der heilsrechte, spirituale Charakter dieser Herkunft ist insoweit unzweifelhaft. Bedeutet das aber auch den Einschluß der natural-positivrechtlichen Titel" 1 ? Eine Antwort scheint dadurdi erschwert, daß Ägidius zuweilen nur von einem „dignus dominator et dignus princeps et possessor rerum" (II, c. 8) spricht, also die spirituale Würdigkeit anspricht, dann aber wieder eine totale Rückführung der Herrschafts- und Besitztitel auf die Kirche auszusprechen scheint. So zum Schluß des Traktates, wo es heißt, „iustitia exigit, ut nihil est sub dominio suo (dem erbsündigen oder aktual sündigen Menschen), non erit ergo iustus dominus alicuius rei" ( I I I , c. 11). Oder wenn behauptet wird „si non ergo es sub Deo, a quo habes omnia dignum est, quod tibi subtrahantur omnia" (a.a.O.). Das erinnert an die radikalen Formulierungen über das dominium der Ungläubigen (II, c. 11), denen jede „potestas" im Sinne der Gerechtigkeit abgesprochen wird und von denen er später (III, c. 11) sagt: „apud infideles non sunt imperia neque regna". Gegen eine totale Rückführung der temporalen Rechtstitel auf die heilsrechte Erneuerung in der Kirche sprechen jedoch eine Reihe von Gründen. Gerade in der Begründung des heilsrechten dominium wird ausdrücklich ein Titel wie die Erbschaft als erste Basis anerkannt, denn die fleischliche Geburt schafft zwar noch keine Erbfolge „cum iustitia", dennoch hat sie einen rechtlichen Wert. Es könnte sonst nicht verlauten, sie „genüge nicht". Sie genügt nicht, das setzt voraus, daß sie so viel rechtliche Wertigkeit enthält, daß das Weitere darauf aufbauen kann. Tatsächlich verwendet Ägidius den Ausdruck: „initium", die fleischliche Geburt setzt den Anfang des Rechtstitels der Erbfolge. Sie begründet sogar eine „iustitia iniciata": „quia a patre est quis generatus, est iusticia iniciata; sed succedendi in talem hereditatem, quia est quis per ecclesiam regeneratus, est iusticia perfecta et consummata" (II, c. 7). Die Stelle ist deshalb so bedeutsam, weil sie zum ersten Male den Begriff der Gerechtigkeit auffächert und unter der Konzeption der Heilsgerechtigkeit den Bereich der natural-positivrechtlichenTitel erkennen läßt, und wenn auch nur unter dem Stichwort der anfänglichen Gerechtigkeit. Sie vermittelt zugleich einen Blick auf das Verhältnis der beiden Gerechtigkeiten. Die Heilsgerechtigkeit in der Taufe erworben, vollendet die zeitliche Rechtlichkeit und deren Ordnung. Dieses Grundgesetz der Vollendung, des „unum perficiatur per aliud" (II, c. 5), zeigt daß die Unterordnung des Temporalen 111

Aegidius unterscheidet III, c. 2 (S. 153) das sacerdocium simpliciter (Kirche von Abel an vgl. S. 147) und Kirdie der lex nova. Das sacerdocium simpliciter war vor dem regnum, das sacerdocium in lege nova war nach dem regnum. Das klingt nach einem Kompromiß.

VI. Der prlnceps terrenus in der Lehre des Aegidius (nach: De ecclesiastica potestate)

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nicht ein statisches Verhältnis darstellt, sondern zugleich dynamische Perfektion in der Hinordnung auf das Höhere meint. Herleitung der Gewalt aus der Institution durch die Kirche besagt demnach: Vervollkommnung des positivrechtlichen Geschehens. So wird audi die Bemerkung klar über die Erhebung der christlichen Könige nach alttestamentlichem Vorbild: „omnes posteriores r e g e s . . d e b e n t se recognoscere, quod sunt in regimine hominum et gubernacione fidelium per ecclesiam constituti, ut puta, quia sunt per ecclesiam regenerati" (III, c. 1). Das Gerechtmachen durch die Kirche bezieht sich auf die rechte Beziehung zur Heilsordnung, schafft jedoch keinen positivrechtlichen Titel oder ersetzt einen solchen. Der Verlust der Rechtsfähigkeit bei Exkommunikation intendiert nach Ägidius den kommunikativen Charakter des Eigentums, das durch „convencio et pactum" rechtsfähig wird (II, c. 12). Diese Rechtsfähigkeit als naturalpositivrechtliche entsteht jedoch aus der bürgerlichen Gemeinschaft heraus, keineswegs schafft der Eintritt in die Kirche einen Ersatz für temporale Titel. Etwas anderes ist es mit dem Verlust der Rechtsfähigkeit durch Ausschluß aus der Gemeinschaft. Hier wird die Gemeinschaft als Heilsgemeinschaft gesehen, deren Verlust den Verlust der kommunikativ gegründeten Rechtstitel nach sich zieht. Ägidius behauptet dabei nicht, daß das Eigentum, soweit es dem Menschen kraft seiner personalen Eigenschaft zukommt, erledigt sei, er würde ja dann den individualnaturrechtlichen Kern des Eigentums verletzen. Es ist auch an keiner Stelle die Rede davon, daß ein Eigentum, das ich positivrechtlich erwerbe, erst dann Eigentum in diesem Sinn wird, wenn es mir „ex institucione ecclesie" verliehen wird. Das würde ja implizieren, daß Naturrecht erst im Stande der Gnade rechtens werden kann. Tatsächlich wird aber die Problematik des Naturrechts im ganzen Traktat gar nicht angeschnitten. Das sollte zu denken geben. In diesem Augenblick ist es wichtig, noch einmal auf die bereits zitierte Bemerkung zurückzukommen, die er gerade bei der Erörterung der institutionellen Herleitung der weltlichen Gewalt von der Kirche macht (vgl. S. 352). Er bringt zwar die usurpative Ergreifung der Macht der Urzeit, beschränkt jedoch die weitere Erörterung auf den Herrscher, der aus dem „speciale mandatum" Gottes stammt, den „rex super fideli populo" (II, c. 5). Die anschließende Begründung „quia nihil ad nos de hiis que foris sunt" (Ebenso II, c. 14, S. 133) zeigt, daß die naturrechtliche Problematik der außerchristlichen Reiche für sich gelassen wird, so daß es auch nicht möglich ist, aus diesem Tatbestand auf eine Liquidierung dieses Rechtsbereiches zu schließen. Die Bemerkung deutet vielmehr an, daß hier im Sinn der „iusticia iniciata" auch für Ägidius echte Fragen liegen. Man kann daher zur Herleitung der potestas (dominium) nicht sagen, die Kirche verleihe dem dominium fructiferum eine mundan-positivrechtliche Wertigkeit. Das Rechtmachen der positivrechtlichen Ordnung in bezug auf die Heilsordnung sagt noch nichts aus über das Zustandekommen temporaler Rechtstitel. Ähnliches gilt für die politische Gewalt. In der Herleitung des principatus terrenus gibt es einen ersten Bereich, der, unabhängig vom schlechten Gebrauch, in sich eine „iusta potestas" dar-

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

stellt, gerecht kraft der Herleitung von Gott. Diese „iusta potestas" kommt auch den Schlechten zu: „et mali habent iustam potestatem, quia licet ipsi ea iniuste utantur, tarnen non habent aliquam potestatem, nisi quantum Deus eis iuste permittit" (II, c. 9). Über die menschliche Mitwirkung wird hier nichts gesagt, aber sie ist in der Anerkennung der temporalen Erbfolge als „iusticia iniciata" nicht ausgeschlossen. Die Einfügung der Herrschaft in die Heilsordnung, die mit der Ankunft Christi endgültig Faktum wird — Ägidius anerkennt in einer bemerkenswerten Überlegung den zeitlichen Vorrang des Imperium vor der lex nova und der Kirche im Sinne der lex nova (III, c. 2) — macht den Herrscher im Sinne der Perfektion der temporalen Rechtlichkeit zum „dignus et verus rex"; er ist jetzt „simpliciter et sine diminucione rex" (III, c. 2). Die Verleihung der Krone durch die Kirche ersetzt nicht die positivrechtlichen Titel. Nur bei Deposition ex culpa, im Falle der Translation des Imperium entsteht die Frage, inwieweit hier neues weltliches Recht geschaffen wird. Ägidius geht darauf jedoch nicht ein118. Aber diese Fälle bewegen sich entweder im Rahmen der ratio peccati oder zielen auf ein einmaliges Ereignis, sie sagen jedoch nichts Verbindliches aus über die reguläre Gründung der Saekulargewalt in ihren saekularen Gegebenheiten. Ägidius ist überzeugt, und er steht darin in einer nun schon gefestigten Tradition, daß der Herrscher „ex institucione ecclesie" sein Amt erhält, sofern er sein Schwert von Christus empfängt, dessen „typus" er ja ist (Elze XIV n. 32), sofern diese heilsrechtliche Relation im Rahmen der Heilsgemeinschaft öffentliche, institutionalisierte Geltung erfahren soll. Denn Spitze der Kirche, die aus der Seite Christi geformt ist (III, c. 2), ist der „vicarius Christi". Wo aber Christus selbst nicht „conditor et rector", da gibt es nach Augustin (DcD II, 21) auch keinen „Staat", keine wahre Gerechtigkeit. In der die saekulare Gründung der Gewalt vervollkommnenden Herleitung des principatus terrenus von der Kirche zu einer „wahren" Herrschaft wird derselbe regenerative Auftrag wirksam, der in der in die Kirche gestifteten sakramentalen Ordnung sichtbar wird. Die temporale Rechtsfolge, die der kirchlichen Einsetzung und der fallweisen Deposition zukommt, kann deshalb nicht einfach auf die Ebene der saekularen Aktion rangiert werden, da für diese Akte das Grundgesetz gilt: „aliqua potencia est in huiusmodi potestate terrena ut non est in spirituali" (III, c. 4). Die Einsetzung des Herrschers entstammt jenem höheren Weisungsrecht (nutus), das inhaltlich den Besitz des weltlichen Schwertes in der Kirche auszeichnet (I, c. 9). Es ist eine Grundüberzeugung des Autors, daß das weltliche Wirken der Kirche und des Papstes immer im Modus des „excellencius et perfeccius" erfolgt (I, c. 9). Davon ist auch die Herleitung der weltlichen Gewalt über die Kirche innerlich geprägt. Im übrigen setzen der qualitative Rang des Vollkommeneren, die Herrschaft „sine diminucione", die „iustitia iniciata" immer eben diese anfängliche noch 111

De eccl. pot. III, c. 2 (S. 153) erwähnt er nur, daß bei Ankunft Christi „digni et veri reges" nur durch die Kirche eingesetzt wurden. Bei den „infideles nec est proprie imperium neque regnum". Im Zusammenhang mit der Bemerkung, daß er sich mit der Legitimation außerhalb der Kirche nicht beschäftige (Anm. 108), bedeutet dann diese Bemerkung keine Aberkennung der naturalen Reditstitel.

VI. Der princeps terrenus in der Lehre des Aegidius (nach: De ecclesiastica potestate)

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unvollkommene Rechtlichkeit voraus, die dem rein saekularen Akt anhaftet, sofern man ihn der Hierarchie der Werte einfügt. Die Herkunft der temporalen Obrigkeit im Sinne der Institution durch die Kirche, von Ägidius gleich zu Beginn (I, c. 5) nach der Formel Hugos von St. Viktor thesenartig vorgestellt, besagt demnach keine Absorption der weltlichen konstitutiven Akte, keine Übernahme oder Ableitung positivreditlicher Zuständigkeit durch die Kirche, ebensowenig eine Herleitung dieser spezifisch weltlichen Zuständigkeit von der Kirche. Dieser rein weltliche Bereich bleibt in der Argumentation ausgespart. Daß Ägidius auf diese konstitutiv — etwa die in der Zeit so gängige „lex regia" — nicht eingeht, man könnte auch sagen, diese Problematik umgeht, kommt auf das Konto der offensichtlichen Schwächen des Traktates, kann jedodi nicht als Negation der weltlichen Rechte ausgelegt werden. Die Betrachtung der Funktion und des Umfangs der weltlichen Gewalt kann hier noch aufklärend wirken113. b) Wesen der weltlichen Gewalt. Uber die Eigenart des gladius materialis ist bereits soviel gesagt, daß es hier nicht mehr in extenso auszubreiten ist. Gekennzeichnet als Befugnis, die über die corporalia einschließlich der temporalia geht (II, c. 13—15), ist es seinem Wesen nach beschränkt, particularis, im Unterschied zur übergreifenden (generalis) geistlichen Gewalt. Die Beschränktheit äußert sich darin, daß von der weltlichen Seite nicht in das geistliche Gebiet eingegriffen werden kann, nur die höhere Gewalt vermag auch das Niedere zu regeln. In einem andern Bild wird die Partikularität verglichen mit der Sinneswahrnehmung, die als gleichsam körperlicher Vorgang unmittelbar auf die körperliche Natur ausgeht; im Unterschied zur intellektiven Einsicht, die auf das „spirituale" geht, aber „per reflexionem" auch auf die „carnalia et sensibilia" sidi hinwenden kann (III, c. 4), so daß eben diese Hinwendung auf das „particulare" wesensmäßig immer getrennt von der sinnenhaften Weltbegegnung bleibt. Das Eigene der Saekulargewalt ist demnach auch der höheren Gewalt nicht mitteilbar, der Seinsmodus bleibt immer verschieden. Daß die Partikularität als Wesensmerkmal ihren konkreten geschichtlichen Ansatz in der Restriktion der auf Schwertgewalt und Gerichtshoheit angewiesenen Königsherrschaft hat, wurde nun schon mehrfach betont. In der Art, wie Ägidius die Argumentation durchführt, sammelt sich geradezu sinnbildhaft noch einmal die herrscherliche Wirklichkeit einer Zeit, die freilich jetzt um 1300 weithin bereits überholt ist. Darin bleibt die Konzeption unseres Traktates zweifellos ein Anachronismus. c) Funktion und Umfang des principatus terrenus. Auch diese Betrachtung darf sidi damit begnügen, bereits Gesagtes, durch sekundäre Details ergänzt, noch einmal explizit auf die weltliche Seite hin zu sammeln. Die Funk113

Die Ablehnung der kanonistischen These: „potestas ab ecclesia, execucio potestatis a Christo" vgl. Anm. 62 und die Behauptung II, c. 14 (S. 133), daß die potestas terrena „omnem potestatem", das „exequi et agere" von der Kirche erhalte, wiederholt mit andern Worten die Formel Hugos von St. Viktor, daß die geistliche Gewalt die weltliche „format" und „instituere habet ut sit" (vgl. S. 138). Sie berühren nicht das Zustandekommen der weltlichen Rechtstitel.

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B. Ägidius Romanus — das System des Soliustismus

tion ist abgegrenzt in der Distinktion der Bereiche. Ägidius hat der Notwendigkeit zweier, unterschiedener Gewalten eine eingehende Betrachtung gewidmet. Sie ergibt sich aus der Eigenart des Weltlichen, dem verschiedenen Seinsmodus und der daraus entspringenden eigenen Funktion. Denn die niedere Gewalt ist zwar in der höheren praesent, aber nicht in ihrer Seinsweise, sondern in einer der höheren angepaßten Art. Darüber wurde schon genug gehandelt. Die eigne Funktion zeigt sich am deutlichsten an dem Reservat der Blutgerichtsbarkeit. Sie ist dem geistlichen Schwert untersagt (II, c. 14). Die übrigen Gründe — leichtere Führung (commode), Angemessenheit, bessere Ordnung, Rücksicht gegenüber den Laien — (II, c. 14) wirken gegenüber den steten Rückversicherungen gegenüber der spiritual-temporalen Vollgewalt gequält und in der Diktion unerfreulich. Man spürt die stete Besorgnis, daß durch die Anerkennung weltlicher Eigenständigkeit die größere Thematik zu kurz käme. Fänden sich nicht die bereits angeführten Kennzeichnungen der weltlichen Gewalt, die sie formal und in ihrem Verhältnis zu den Temporalien als spezifisch dartun (vgl. S. 346 f), dann blieben die Argumente für die Existenz des zweiten Schwertes mehr oder wenig leere Floskeln. Von den genannten Kennzeichnungen führt die Bemerkung, daß die Kirche nicht im eigentlichen Sinn die Temporalien besitze (III, c. 11), dagegen wohl der Kaiser, zu einer bemerkenswerten Charakteristik der kaiserlichen Macht. „Aliquod ergo ius, immo magnum ius et plus utile ius habet Cesar in temporalibus, quam habeat ecclesia, licet non habet ita dominativum, sicut habet ecclesia. Habet tarnen Cesar non solum utile ius, sed eciam potestativum et dominativum ius in temporalibus rebus, in civitatibus castris et terris; habet enim in eis ius utile et dominium utile, prout ex eis recipit emolumenta et utilitates; habet eciam dominium potestativum, prout in eis exercet iusticiam et iudicium sanguinis" (III, c. 11). Wenn auch anschließend die obligate Rückversicherung auf die kirchliche Erstgewalt folgt, so erscheint doch in dieser Aufzählung der Rechte des „magnum ius et plus utile ius", ein anderes Bild als jenes der immer wiederholten Abhängigkeit von der Kirche.

EINEN

C. J A K O B V O N V I T E R B O — DAS PROBLEM DER G E I S T L I C H - W E L T L I C H E N GEWALT

I. Das soziale Gefüge in der neuen Wirklichkeit des Heils Die christologische Gründung der Ordnungslehre. — Formen der menschlichen Gemeinschaft: Die human-naturalen Gemeinschaften und die Kirche. — Wesensattribute der Kirche als K o m munität. — Die Gewalt Christi. — Die Mitteilbarkeit der Gewalt Christi an die Menschen.

Der Traktat des Ägidius konzentriert sidi ganz auf die Darstellung der potestas, er ist, was er nach seinem Titel auch sein will, Gewaltentraktat. Die Kirche ist praesent, aber sie wird als korporatives Ganze nicht eigens durchleuchtet. Was Ägidius in dieser Hinsicht vermissen läßt, eine Darstellung der Kirche selbst, so daß die kirchliche Gewalt sich zeigt im Ganzen des mystischen Körpers und darüber hinaus im Verhältnis zu den übrigen Gemeinschaften, das unternimmt Jakob. Aus der soziativen Gründung der Gewalt im corpus gelangt er auch zu einer tieferen Erfassung des weltlichen Regimentes. So erweitert sich die Thematik, anstelle der „potestas ecclesiastica" erscheint das „regimen christianum" als Ganzheit christlicher Vorsteherschaft. Arquilli^re sieht in dem Traktat des Jakob „de regimine diristiano" den ältesten Traktat über die Kirche. Er unternehme als erster den ernsthaften Versuch, das Spezifische der Kirche systematisch zu bestimmen. Im Vergleich zu den übrigen maßgeblichen Schriften über die kirchliche Gewalt (Ägidius, Augustinus Triumphus, Alvarus Pelagius) ist das richtig. Im Vergleich zur langsam keimenden Ekklesiologie kann dieses Prädikat nur eingeschränkt gelten. Dazu bleibt die Schrift doch zu sehr auf die Beschreibung der christlichen Vorsteherschaft überhaupt ausgerichtet, und Jakob selbst will auch noch gar nicht eine Lehre von der Kirche entwickeln. Dennoch bleibt es bemerkenswert, daß sich gerade in der Gewaltenlehre so wichtige Ansätze zu einem besseren und tieferen Verständnis der Kirche regen. Man darf von hier aus in grobem Umriß sagen, daß sich die Lehre von der Kirche gerade auch in der Gewaltenlehre entfaltet. Das kommt nicht von ungefähr. Sofern die Kirche sich nicht „von unten her" als corpus bildet, sondern „von oben her" vom Haupt selbst in die hierarchische Ordnung mit dem Papst an der Spitze gestiftet ist, wird gerade von dieser Ordnung her auch das korporative Wesen der Kirche sich in dem ihr eigenen Wesen manifestieren" 4 . 114

Zur Ausgabe und Charakteristik Jakobs durch Arquilliere (vgl. Teil I Anm. 14) vgl. besonders S. 54 ff: Kirche als regnum Christi; S. 34 ff zu pax, S. 42 ff zu justitia; später S. 57 ff unterscheidet A. einen augustinischen und aristotelisch-thomistischen Einfluß. Den augustmischen Einfluß in der Gewaltenlehre sieht er in den theokratischen Partien der

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

Jakob spricht von der Herrschergewalt im Königreich Christi. Dieser Zusatz ist ihm so wichtig, daß er einen ganzen Teil der Schrift (II. Teil: De regni ecclesiastici gloria) der Beschreibung der Kirche als „regnum" widmet. (I, c. 1: „Primum igitur considerandum est, quod ecclesia rectissime, verissime et convenientissime regnum dicitur"). Kirche erscheint in der herrscherlichen Form ein Reiches, die biblische Terminologie (I, c. 1: 1 Kor. 15, 2 4 : tradiderit regnum Deo; Eph. 5, 5: hereditatem in regno Christi) dient als Beweis115. Erst dann folgt im II. Teil die Betrachtung der Königsherrschaft Christi selbst (De potentia Christi regis et sui vicarii). Jakob ist sich klar darüber, daß das regnum — ecclesia dieser Zeit die kämpfende Kirche darstellt, aber er betont ebenso, daß es nur ein regnum Christi gibt, unterschieden im status seiner Glieder, in der Art der Königsherrschaft selbst, die hier „per fidem" in der „ecclesia viatorum" sich vollzieht, in der Kirdie der Seligen aber „per apertam visionem". (I, c. 1). Er unterscheidet ebenso die Herrschaft Christi über die Kreatur kraft seiner Gottheit, und diejenige über die Kirche kraft des Glaubens, so daß das „regnum fidei" in der Christozentrik des Glaubens als ecclesia viatorum sowohl gegenüber der kreatürlichen, wie gegenüber dem Reich der Seligen abgegrenzt bleibt. Daß sich die Gewaltenlehre so explizit aus einer korporativen Perspektive erhebt, darf man als einen neuen Aspekt dieser Thematik der kirchenpolitischen Publizistik ansprechen, wenn er auch kein absolutes Novum darstellt. Die karolingische Zeit, Hugo von St. Viktor gehen, wie wir sahen, bereits ebenfalls in diese Richtung (vgl. S. 83, 136 ff). Was über jene Spekulation hinausführt, ist das systematische Verfolgen der regal-hierarchischen Ordnung, die Darstellung des Organismus in seinen regal-hierarchischen Details. Jakob setzt seine Studie im Ganzen dessen an, in dem die Gewalt installiert ist. So entsteht ein Bild der Kirche als einer Lebenseinheit, die in sich alle Voraussetzungen eines „wahren" regnum erfüllt. Die Erweiterung der Argumentation auf die korporativen Voraussetzungen der potestas hat zu Folge, daß auch die weltlichen Gemeinschaften und ihr „regimen" erscheinen. Sie werden zusammen mit den Regierungen eingeordnet in den Aufbau der societas Christiana. Der Traktat bietet so den Ansatz zu einer Art christlicher Gruppenlehre, „de regimine christiano" heißt in dieser Perspektive Gewaltenlehre auf dem Fundament geselliger, im Glauben verbundenen Einung. Das gibt der Schrift ein sehr bestimmtes Gepräge, wie schon angedeutet auch gegenüber Ägidius, den Jakob kennt. Er bleibt aber selbständig genug, seinen Ordensbruder nicht auszuschreiben. Vor sich die gleichen Fragen gibt er ihnen einen differenzierten Akzent, den der korporativen Verflechtung aller Obrigkeit. Er vertieft und erweitert die Spekulation auf das unmittelbare Wesen der christlichen Gemeinschaft, in der die sacerdotal-regale Gewalt zu verstehen ist118.

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Schrift, den aristotelisch-thomistischen in der naturalen Begründung des Redites, der U n terscheidung von Natur und Gnade, von natürlicher und übernatürlicher Gerechtigkeit. I, c. 1 (S. 94 ff); weitere Stellen: Luk. X V I I , 2 1 : „regnum Dei intra vos"; Matth. X X I , 4 3 : „aufertur a vobis regnum Dei". Rivière, Le problème de l'église et de l'état, S. 238, 246 ff nimmt mit R. Scholz Abhängig-

I. Jakob von Viterbo: Das soziale Gefüge

a) Die menschlichen

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Gemeinschaften

Der den Traktat so unverkennbar markierende erste Teil stellt auf breiter Grundlage die menschlichen Gemeinschaften vor, die Kirche gehört zu ihnen. Der Einteilung Isidors folgend (Etym. 15, 3, 1; P L 72, 541) unterscheidet er Haus, Gemeinde, Reich (I, c. 1). Diese Gemeinschaften entstammen der natürlichen geselligen Hinneigung, Jakob verbindet also, was Ägidius unterläßt, die aristotelische Soziallehre mit der hierokratischen Doktrin. Die Gemeinschaften stufen sich der Menge und Vollkommenheit nach, das Mehr an Menge bedingt ein Mehr an Gut, ein Mehr an Vollkommenheit. Dieser Wertigkeit nach ist die civitas vollkommener als die domus, das regnum vollkommener als die civitas. Mit der Größe wächst zugleich die Möglichkeit der gegenseitigen Lebenshilfe. Da die Teile der Gemeinschaft jedoch nicht für sich existieren, sondern ineinander verbunden sind, bilden sie gestufte Gruppen zum Ganzen hin, und ist ihr Gut zugleich Teil des höheren Gutes, so daß das niedere Gut jeweils auf das vollkommenere als sein Ziel gerichtet ist117. Die Sonderstellung der Familie vor allen sonstigen Gruppen kommt auch bei Jakob nicht heraus, er bleibt darin im Spekulationsschema der Antike, die Familie in der Großfamilie des „Hauses" sieht. Unabhängig davon haben wir hier den soziativen Ansatz der Spekulation, den man gerade bei Ägidius, noch angesichts seines Fürstenspiegels, vermißt. Von den natürlichen Gemeinschaften geht der Autor weiter zur Kirche selbst. Man kann von ihr als domus, civitas und regnum sprechen, jedoch hält er regnum für die angemessenste Bezeichnung (I, c. 1). Christus herrscht in ihr jetzt, wie wir sahen „per fidem". Kirche als irdisches Reich und ecclesia viatorum ist das seit Abel auf dem Wege zum ewigen Ziel befindliche regnum Christi. Der status viatorum verweist zugleich auf den Kampf mit dem Reiche Satans. Beide Reiche sind, Augustins Gottestaat folgend, zuinnerst geschieden durch Gottesliebe und Eigenliebe, jedoch bleiben sie in dieser Zeit, den Menschen nach, gemisdit, da die Guten mit den Schlechten zusammenleben und dieselben zeitlichen Güter gebrauchen. Uber diese Nachzeichnung der augustinischen Lehre hinaus übernimmt es Jakob jedoch nicht, sie nun mit der aristotelischen Konzeption zu konfrontieren. Die Frage: Wohin sind nun die natürlichen Gemeinschaften zuzuordnen, beziehungsweise, welcher Standort kommt ihnen als societates terrene im Verhältnis zur mystischen civitas terrena118 zu, sie bleibt bestehen. Auch später ist nicht ersichtlich, wie es nun mit der Zugehörigkeit der natural-temporalen Gebilde beschaffen ist. Es bleibt nur übrig, und das entspricht sicher der Sicht des Verfassers, sie, je nach ihrem Verhältnis zu Gott, sie einem der Bereiche zuzuordnen. Der gregorianischen Negativtypik zufolge, die bei der Determinatio und Ägidius zu

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keit des Traktates von Aegidius an. Arquilliere, Einleitung S. 70 nimmt nur mögliche Abhängigkeit an. I, c. 1 (S. 9 2 ) : „ E x hoc autem, quod una excedit aliam multitudine conveniens est, quod et perfectione una excedit aliam . . . nam illa communitas est perfectior que ad maius bonum ordinatur." Zu dieser Frage bei Augustin vgl. meine Stellungnahme zu J . Ratzinger, in: Typik und Atypik S. 278 Anm. 5.

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

Wort kam, wären dann freilich ein Großteil der heidnischen Staaten der augustinischen civitas terrena (diaboli) zuzurechnen 1 ". Daß Jakob auf diese konkreten heilsgeschichtlichen Fragen nicht eingeht und über den konkreten Standort der faktischen temporalen Kommunitäten schweigt, weist auf einen bezeichnenden Zug seiner Konzeption. In der Ausgangsposition die natürlichen Gemeinschaften anführend geht er gleich zum Gegensatz von Gottes- und Weltreich (regnum mundi/diaboli/terrenum) über, wobei freilich die in Augustinus selbst liegende Unklarheit über das regnum terrenum als naturale Sozietät und regnum terrenum als „mystice" verstandenes Reich der vom Satan beherrschten Welt nicht ausgeräumt ist120. Entscheidend f ü r die Sicht des Traktates ist die Zugehörigkeit zu einem der beiden Reiche, sie ist endgültig. Dieser Endgültigkeit gegenüber scheint die spezifische naturale „Endgültigkeit" des temporalen Bereiches in seiner zunächst autarken Zielsetzung, die ja beiden Reichen des heilsgeschichtlichen Aspektes vorausliegt, zu verblassen. Das heißt nicht, daß Jakob die Eigenständigkeit des Temporalen nicht anerkenne, aber in der verkürzten Sicht erscheint das Temporale sozusagen nur von dem Augenblick an, da es bereits in die Kategorie von Gottes- und Satansreich eingetreten ist und damit seine eigene kategoriale Geltung hinter sich gelassen hat. Selbst wenn es nicht in der Absicht des Verfassers liegt, aber die im Einstieg vorgebrachte aristotelische Idee wird von der augustinischen Tradition sogleidi wieder überdeckt. Damit ist zwar einer Anerkennung der temporalen Spezifik der Weg nicht verbaut, aber die gedankliche Weite des Beginns wird voreilig verengt und nicht ausgenützt. b) Die Attribute der Kirche Das regnum Dei der Geschichte, die streitende Kirche, stellt die Vollendung der Gemeinschaftsordnung dar. In ihr gipfelt das sich in seinem Kreis, vom Natürlichen her, jeweils erweiternde menschliche Zusammenleben. Sie trägt in sich die Wesensmerkmale der kleineren Gruppen, deshalb kann sie Haus, Gemeinde und Reich genannt werden. Als Reich Christi ist sie mehr als jede natürlich geformte Gemeinschaft, ihre Attribute können nur ihr selbst zukommen. Jakob faßt diese Attribute, nachdem er zunächst die Bedingungen genannt hat, die sie rechtgläubig und glorreich machen, auf die vier tran> 120

Typik und Atypik S. 282 f. I, c. 1 (S. 97) spricht Jakob von dem dem regnum Dei entgegengesetzten: „regnum mundi, quod dicitur terrenum, quia bona terrena sibi pro fine constituit". — S. 91 f werden im vorweg entsprechend für das regnum Bezeichnungen gegeben, die, zunächst neutral und ambivalent, auf die politische Sozietät zielen: Wohnung, Nahrung, usw. Ziel dieses regnum als communitas ist (S. 92) die „sufficientia vite huius". Ziel des vom regnum Dei abgesetzten „regnum terrenum" ist das „quia bona terrena sibi pro fine constituit", die innerweltliche, autarke-finale Introvertiertheit. Die Frage bleibt, inwieweit das regnum als natural-geschichtliche Sozietät bereits dem regnum terrenum zuzurechnen ist, wenn es sich, etwa außerhalb des Christentums, mit der „sufficientia vite huius" begnügt, wie es seiner Seinsanlage nach ihm als Ziel gesetzt ist.. — II, c. 10 S. 301 unterscheidet gegen das diabolische regnum terrenum das regnum terrenum als „congregatio vel societas bonorum peregrinantium in terris". Hier ist bereits die Heilsgemeinschaft praesent.

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dierten Merkmale des Symbolons von 381 zusammen (I, c. 2): eine, katholisch, heilig, apostolisch. Das Attribut der Einheit bietet für die Bestimmung der Kirche und ihr Verhältnis zu den Temporalien und den ihnen zugeordneten Gebilden ein gewichtiges Prinzip: die Einheit in der Vielheit der Personen. Die Einheit ist physisches und metaphysisches Prinzip in der Einheit des Ganzen, jeder Substanz, jeder Species, jedes Genus und Ursprungs. Um wieviel mehr als diese ontisdie-kosmische Einheit ist aber die Kirche ein „unum", da sie nur vernünftige Wesen eint. Formal ist sie geeint durch Glaube, Hoffnung und Liebe; der Wirkursache nach ist sie geeint durch Gott; der Weise der Einung nach stellt sie ein kollektives Ganze dar, das dreifach sich als ein „unum" erweisen läßt. 1) Der Totalität nach, mit den Gläubigen als ihren Gliedern; 2) der Konformität der Gnade, des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe nach; 3) der Zuordnung nach auf das ewige Ziel in Christus. Was sich in ihr an Verschiedenheit findet, trennt sie nicht — so die Verschiedenheiten der Stände und Dienste und Grade — sondern gehört zu ihrem Wesen. Die Stände gehören zu ihrer Vollkommenheit, die Dienste zu den wechselnden Funktionen, die Grade zur Würde und Schönheit. Die Einheit der Kirche ist endlich ausgezeichnet durch die ausschließliche und alleinige Verfügung über die Heilmittel unter der Leitung des Petrus. Außerhalb ihrer Einheit gibt es kein Heil. Am Vorabend der Verkündung der Bulle „Unam sanctam" haben wir hier ihr beherrschendes Thema und ihre abschließende Definition" 1 . Von dem aus der Einheit der Kirche folgenden Verhältnis der Kirche zu den temporalen Kommunitäten spricht Jakob nicht. Er will nur die Kirche selbst vorstellen. Das gilt auch für die restliche Erörterung der übrigen Attribute. Ihre Aufgabe ist universal, kein regnum kann wie sie heilig genannt werden — das mag als Spitze gegen das staufische imperium sacrum gedeutet werden —, als apostolische Gemeinschaft ruht sie auf der entsprechenden Sukzession (I, c. 4—6). Aber auch ohne den Bezug zur temporalen Gemeinschaftsordnung wird das, was dann im zweiten Teil des Traktates ausgeführt wird, jetzt begründet. Jakob vermeidet es, diese Wesensbeschreibung der Kirche als „regnum" sofort mit hierokratischen Ansprüchen zu verbinden. Das verleiht seiner Darstellung den Vorzug, sie von der kirchenpolitischen Diskussion und ihren zeitgeschichtlichen Bedingtheiten freizuhalten. c) Die Gewalt Christi Von der Darstellung der Kirche als Reich Christi auf Erden geht die Schrift über zum eigentlichen Thema, zur Beschreibung des „regimen christianum". Das Vorgehen des ersten Teiles läßt erwarten, daß eine eingehende Begründung der Gewalt, ihres Wesens, eine Art philosophische Lehre 141

I, c. 3 (S. 117): „Extra hanc ecclesie unitatem, neque gratia neque remissio peccatorum, neque spiritualis vita haberi potest. — Ad salutem quoque eternam, nec sacramentorum perceptio nec ulla operatio aliquid prodesse valet, extra ecclesie unitatem". — Der Traktat ist nach Finke, Aus den Tagen Bonifaz VIII. 1301/02 verfaßt, vor „Unam sanctam" (18. X I . 1302).

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der Gewalt erfolgt. J a k o b setzt jedoch sofort mit der Beschreibung der „potentia Christi" und der „potentia vicarii summi" ein ( I I , c. 1), er gibt nicht einmal eine Definition des „regimen christianum". So steht unmittelbar die göttliche Mitte aller potentia vor uns, Christus selbst und sein Stellvertreter. Diese pointiert christologische Sicht bringt gegenüber Ägidius, der allgemeiner von der spiritualis potestas spricht, einen eigenen Akzent in die Betrachtung. Indem Christus selbst so ausdrücklich praesent wird, offenbart sich der christologische Charakter des „regimen diristianum" aufs eindringlichste. Gewalt und Verfügung in Kirche und Welt manifestieren sich als Teilnahme an seiner Macht, kraft der durch ihn delegierten Befugnis. Der christologische Aspekt ergänzt den ekklesiologischen Aspekt der Schrift. Was über Gewalt zu sagen ist, von dem Zeitpunkt an, da der Herr seine Herrschaft angetreten hat, steht immer in der Relation zu Ihm, folgt aus der neuen Ordnung des Heils. Christus besitzt als Gott den erschaffenen Dingen gegenüber die Gewalt des Schöpfers und der Leitung hin zum Ziel. Diese Leitung geschieht im Angleich an das Ziel, an Gott, durch die Mittel des Erhaltens und des Antriebs zum Guten, ferner durch die besonderen Eingriffe in den Lauf der Dinge, da menschlicher Wille und Verstand mangelhaft sein können. Als Mensch besitzt Christus der Seele nach die natürlichen Eigenschaften und die nur ihm zukommende Vollmacht der Führung durch Erleuchtung und Gnade. Endlich besitzt Christus in seiner menschlichen Natur als Werkzeug des mit ihr vereinigten Logos die Gewalt, alles zu erneuern im Himmel und auf Erden (II, c. 1). Teilnahme an der Gewalt wird damit zur Teilnahme am „instaurativen" Werk der Inkarnation. Heißt Teilnahme an der instaurativ-inkarnatorischen Verfügung über die Welt. Die letztgenannten Eigenschaften hat Christus als Mensch nur im Sinne einer gubernativen Potenz inne; Schöpferkraft kommt der menschlichen Natur nicht zu. Mit der gubernativen Potenz führt er die vernünftigen Geschöpfe, indem er sie als deren Haupt innerlich (durch Weisheit und rechtfertigende Gnade) und äußerlich (durch Lehre und Hirtenamt) beeinflußt. Der menschlichen Natur zufolge Mittler und Hohepriester 1 " ist er beiden Naturen nach König und Haupt des himmlischen Reiches wie des irdischen Reiches. Das ist angezeigt im zweischneidigen Schwert der Apokalypse. Hier wird die Herrschaft Christi verkündet. Der König des Gottesreiches ist auch der Herr der Erde und der Zeit, wenn er auch kein irdisches Regiment errichtet (II, c. 1).

d) Die Mitteilbarkeit der Gewalt Christi an die Menschen D a ß der auferstandene Christus die geistlich-zeitliche Vollgewalt besitze, wurde auch von der imperial-regalen Seite nicht bestritten. E r verleiht ja nach ghibellinischer Meinung unmittelbar dem Papst und dem Kaiser das 122

II, c. 1 (S. 153): Der Potenz und Perfektion nach praeexistiert die priesterliche Gewalt in Gott (quantum ad id quod potentie et perfectionis est, preexistit potentia sacerdotalis in Deo excellenter". Konnotativ (Darbringung des Opfers, beten, zwischen Gott und den Menschen vermitteln) gehört das Priesterliche der menschlichen Natur (importât imperfectionem) an. Es gehört zur „dignitas" der Kreatur.

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Schwert. Die Kontroverse geht, wie schon Ägidius heraushob (vgl. S. 351), um die vermittelnde Funktion der Kirche bei der Herleitung des principatus terrenus. Die christokratische, ekklesiarche These erhält bei Jakob eine persönliche Note. Christus konnte die Gewalt übertragen, an der er als Mensch teilhatte (die königliche) oder die er als Mensch besaß (die priesterliche). Den Erweis sieht Jakob in der Existenz der Zweitursachen (II, c. 2), „sie enim gubernat corpora per spiritus, et corpora grossiora per subtiliora, ut generabilia et corporalia per incorruptibilia scilicet celestia, et spiritus inferiores per superiores" (II, c. 2). In den Zweitursachen zeigt Gott seine Güte und Weisheit. Zudem fügte es sich vortrefflich, daß Christus nach seiner Auferstehung die Menschen stellvertretend mit Befugnissen betraute. Die priesterliche Gewalt übergibt er in den Grenzen des „secundarium ministerium"123, also der beauftragten Kooperation. Auch die königliche Gewalt delegiert er nur stellvertretend und mitwirkend, während er selbst als Haupt und Anfang (principaliter) die erste Ursache bleibt. An dieser Stelle wird klar, daß auch ein überzeugter Hierokrat wie Jakob klar zwischen der spezifischen Gewalt Christi und der eingeschränkt stellvertretenden Befugnis des menschlichen „ministerium" unterscheidet und sie in die Darstellung einbringt. Wer empfängt nun von Christus eine lenkende Gewalt? Die Wahl liegt bei Ihm selbst, er bestimmt das Wann, Wo und Wie, je nach dem Nutzen für die Kirche. Dabei zitiert er (II, c. 2) als Ansicht, daß den Priestern nur die priesterliche Gewalt, den weltlichen Herren die königliche Gewalt zustehe. Also Trennung im Sinne der je unmittelbaren Herleitung der Gewalten von Christus. Zur Klärung der Kontroverse bestimmt er zunächst die Herkunft der Gewalten. — Unter naturgesetzlichen Verhältnissen gibt es schon ein Priestertum aus menschlicher Institution, es ist unvollendet und bleibt gleichsam ungeformt (II, c. 3). Von Gott eingesetzt treffen wir dann das alttestamentliche Priestertum, das sidi ohne menschliche Mitwirkung in Christus selbst vollendet. An diesem wahren Priestertum der Schrift nehmen die Priester der Kirche teil. Das Priestertum der „lex nature" wird im Priestertum Christi und der Kirche nicht zerstört „sed perficitur et formatur, quia gratia non tollit naturam sed format et perficit" (II, c. 3). Mit dieser Grundüberzeugung der Scholastik bringt Jakob ein Element in seine Deutung des „regi123

II, c. 2 (S. 163 f) unterscheidet, der theologischen Lehre folgend die „potentia creandi", die Christus als Gott zukommt und unübertragbar ist, von der „potestas sacerdotalis" und „potestas miracula faciendi et regalis", deren erste Christus als Mensch, deren zweite Christus als Gott und Mensch zukommt und die beide zur „gubernativa potentia" gehören, sie sind mitteilbar (S. 168), Durch das Wirken von Wundern wird der Glaube der Kirche befestigt, durch den priesterlichen Dienst wird der Mensch geheiligt und mit Gott versöhnt, durch die „actiones regales" wird der Mensch zum menschlichen Kontakt (ad conversationem) und auf Gott und den Nächsten in rechter Weise geordnet: „in conversationem dirigitur et ad Deum et proximum debite ordinatur". — Die Stelle zeigt, wie sehr etwa Ockham in seiner Darstellung der ekklesiarchen Doktrin übertreibt, wenn er es so darstellt, als wolle man eine Übertragung nur Christus selbst zustehender schöpferischer potentia behaupten.

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men christianum", das ihm erlaubt, in der Gewaltenlehre Natur und Übernatur zu verbinden. Die Herleitung der weltlichen Gewalt birgt zugleich jene Gewaltenlehre, die bei Beginn des zweiten Teiles zunächst vermißt wurde. Sofern eine Gewalt menschlichen Ursprungs ist, entstammt sie dem Naturtrieb, wie man es schon auf der animalischen Stufe beobachten kann (II, c. 3). Natur und Mensch haben dabei die Aufgabe der Vermittlung eines göttlichen Auftrages. Die potestas terrena (regia: III, c. 3) stammt von Gott „mediante natura hominum que ad hanc inclinat et ideo dicitur potestas humana et naturalis" (III, c. 3). Das ist unverfälschter Thomismus und genau das, was man bei Ägidius vergeblich sudit124. In der Herleitung der geistlichen Gewalt dagegen stellen göttliche Anordnung und Gnade unmittelbar den Ursprung dar. Für die weltliche Gewalt räumt er eine spezielle göttliche Anordnung ein bei den Juden; das ist nicht neu, so daß die weltimmanente natural-humane Begründung sidi auf die Heiden, d. h. auf den Stand der lex naturalis eingrenzt; als solche ist sie allgemein und zu jeder Zeit zu finden. Das heißt, folgerichtig, auch bei den Juden stellt die Gründung „mediante natura" eine allgemeine Voraussetzung dar: denn sie ist existent „communiter in hominibus et quolibet tempore... seil, tempore legis nature et legis Scripte et evangelii, et apud quoscumque homines, cuiuscumque ritus et status, seil, fideles et infideles, Judeos et Gentiles; quia id quod natura est omnibus, commune est partieipantibus illam naturam" (II, c. 3, 177). Bei den Juden trat die göttliche Anordnung sozusagen an die Stelle der „humana institutio". Wir stehen vor einer unmißverständlichen Anerkennung der uneingeschränkten Geltung des naturrechtlichen Fundamentes aller staatlichen Obrigkeit, was umso aussagekräftiger wird, wenn man bedenkt, daß der Autor sie in einem Rahmen vorbringt, der auf die christokratisdi-ekklesiardie Doktrin zugeschnitten ist. Er wird also gezwungen sein, nicht nur von der soteriologischen und sakramentalen Basis her zu operieren, sondern muß gleichzeitig die naturale Wertigkeit von der andern Seite her in die Spekulation einbringen und sie nach dem Grundsatz, daß die Gnade die Natur vollende, auch in ihrem Wert belassen. Die Zweifel, warum die geistliche Gewalt, die in der Nachfolge Christi auch eine „potestas regia" genannt werden kann, nicht dazu führt, daß auch die kirchlichen Vorsteher Könige genannt werden, hilft dem Autor, seine Terminologie weiter zu klären. Es geschehe wegen des häufigen Mißbrauches 124

II, c. 3 (S. 176 f): „Multo magis igitur in hominibus, quibus naturale est in societate vivere, magis quam cuilibet animali, naturalis inclinatio est ad institutionem regiminis et huiusmodi regimen dicitur esse a iure humano, quod a natura oritur. Quedam vero potestas regia est ex institutione divina vel a iure divino, quod procedit a gratia. Beide Gewalten stammen von Gott „sed diversimode". Die erste „a D e o mediante natura hominum, que ad hanc inclinat et, mediante humana institutione que inclinationem nature perficit, et ideo dicitur potestas humana et naturalis. Secunda vero est a Deo speciali modo ipsam instituente et tradente, et ideo dicitur potestas divina et supernaturalis. Et prima quidem potestas versatur circa regimen temporalium et terrenorum et ideo terrena et temporalis vel secularis vocatur. Secunda vero versatur circa regimen spiritualium et celestium, ideo spiritualis et celestis vocatur".

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der königlichen Herrschaft, der in jeder Gewalt liegenden Versuchung zur superbia. Das Gleiche betreffe den Terminus „dominus", der die „gubernativa potentia" bezeichne. Davon unabhängig finde sich in der hierarchischen Jurisdiktion jedoch echte herrscherliche Befugnis, so daß eben eine zweifache „potestas regia" zu unterscheiden sei, die geistliche und weltliche. Die „potestas regia spiritualis", im AT vorgebildet im Gericht über Spiritualien oder figurativ auf das Spirituale bezogene Fälle („inter lepram et lepram, mundum et immundum; vgl. „Per venerabilem"), ist in der Binde- und Lösegewalt ausgesprochen denn: „Potestas enim ligandi et solvendi est potestas iudiciaria, que ad reges utique pertinet" (II, c. 3). Sie gilt damit allgemein für die Priester, aber im eigentlichen Sinn (simpliciter) wird die Bezeichnung der königlichen Gewalt als Höchstgewalt („reges vocantur simpliciter supremam potestatem habentes") nur dem Papst selbst zuerkannt. Damit ist inhaltlich die Diskussion auf die päpstliche Gewalt eingegrenzt. — Jede der Gewalten kann rechtmäßig und tyrannisch versorgt werden. Eine Bemerkung, die gegenüber servilen Äußerungen der Zeit von bemerkenswerter Distanz auch zu den hierarchischen Instanzen zeugt und sich abhebt von dem Ton und der historischen Negativschematik der Traktatenliteratur. Jakob sieht davon ab, die Entstehung des weltlichen Regimentes einseitig auf den tyrannischen Charakter der frühen geschichtlichen Herrschaften festzulegen.

24 Kölrad

II. Potestas regia spiritualis und temporalis bei Jakob von Viterbo Die hierarchische Ordnung, vorgebildet in Christus. — Die Stellung des Papstes. — Das Verhältnis des hierarchischen Amtes zur potestas saecularis.

a) Die hierarchische Gewalt Nach der Darstellung der konstitutiven Voraussetzungen wendet sich Jakob dem inneren Wesen des hierarchischen Amtes zu, indem er eine potestas sacerdotalis und regalis unterscheidet (II, c. 4). Die Aufgabe der ersten ist es „sanctificare, ad regalem autem regere". Die priesterliche Mittlerschaft verbindet den Menschen mit Gott, die spiritual-regale Verfügung wahrt den Frieden, straft und richtet: „Sic etiam omnis actus regius potest dici regimen". Die kirchliche Jurisdiktion gehört zum „regimen christianum". Beide Tätigkeiten des hierarchischen Amtes bleiben jedoch nicht durchlaufend getrennt, sie sind verbunden sowohl im Subjekt wie hinsichtlich der Akte und ihrer Zielsetzung. Beide können im gleichen Amt vereinigt sein, beide werden für gewisse Akte (Lossprechung) benötigt — in der Absolution gehört das „iudicium" zur Jurisdiktion —, beide haben als Ziel das Heil des Menschen. Daher finden sich auch in den unteren Rängen beide Gewalten unbeschadet des Reservates wichtiger Rechte für die „Praelaten" (Vorsteher). Untereinander sind priesterliche und spiritual-regale Gewalt nicht gleichgeordnet125. Wie in Christus die königliche Gewalt der priesterlichen Würde voranstehe — König als Gott, Priester als Mensch — so verhalte es sich im Priestertum selbst, die Jurisdiktion stehe dem sacerdotalen ordo voran. Obwohl keine sich deckende Umkehrargumentation stattfindet, so fühlt man sich, vor allem im Hinblick auf die spiritual-temporale Vollgewalt, doch erinnert an die Thesen der Yorker Traktate, in denen aus dem Vorrang der regalen Würde in Christus auf die Überlegenheit der potestas regia temporalis geschlossen wird. Die Rangordnung in der kirchlichen Hierarchie selbst entspringt in der Darstellung Jakobs nicht dem Unterschied von sacerdotaler und regaler Befugnis, sondern folgt aus dem Mehr oder Weniger an jeweiliger Zuständigkeit. So besteht zwar in der Konsekrationsgewalt des Priesters keine Stufung, jedoch besagt die Handlungsfähigkeit gegenüber dem corpus mysticum nicht gleiches Recht. Den Vorstehern sind gewisse Rechte der Jurisdiktion vorbehalten. Innerhalb des Episkopates, der nicht als eigenes Sakrament sondern nur als eigenes „officium... respectu quarumcumque actionum" aufgefaßt 125

II, c. 4 (S. 199): Unde et Christus dignior est et superior in quantum rex quam in quantum sacerdos. Est enim sacerdos in quantum homo, rex autem est in quantum Deus et in quantum homo. Sacerdos est se offerendo et reconciliando, rex autem iudicando et ad regnum introducendo, et sie maior dignitas importatur ex eo, quod rex dicitur, quam ex eo, quod sacerdos".

II. Potestas regia spirituals und temporalis bei Jakob von Vlterbo

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wird (II, c. 5), gibt es wiederum Stufungen der Jurisdiktion. Wo aber Grade vorhanden sind, muß es auch eine Spitze geben, auf die hin die Stufen geordnet sind, von der sie abhängen. Hier nun, in Christus und seinem Stellvertreter, im universalen Regiment über die Kirche, werden alle Fragen des „regimen christianum" einschließlich des principatus terrenus sich sammeln. Daß der Papst die summa potestas innehabe „rex omnium spiritualium regum, pastor pastorum, pater patrum, caput omnium fidelium" (II, c. 5) wird von Jakob zunächst nicht aus sekundären Argumenten oder aus dem Wesen der Kirche hergeleitet. Er begnügt sich fürs erste mit dem Hinweis, daß nach dem Weggang Christi von dieser Erde ein Stellvertreter notwendig war. Das Papsttum ist von Gott seinem Heilsplan nach gewollt, seine Einsetzung ist zu allererst in der Folge der Heilsgeschehnisse zu sehen. Indem aber die päpstliche Gewalt unmittelbar auf den Herrn selbst zurückreicht, wird die Machtfülle des Vikariates verständlich. Der Papst ist höchster Priester, Bischof Roms und der Welt, er lenkt die Kirche mittels der andern Hirten, kann aber auch unmittelbar eingreifen. Die hierarchische Ordnung wird derivativ gesehen (cui primo et máxime convenit spiritualis regiminis potestas, derivatur ad alios hec potestas participaliter et secundum gradus quosdam; II, c. 5), die Problematik der unmittelbaren Ableitung der bischöflichen Gewalt von Christus in der apostolischen Sukzession, die Frage der Kollegialität des Bischofsamtes mit dem Papste, die im beginnenden Konziliarismus auf dessen Weise beantwortet wird, erscheint in dieser papalistischen Perspektive nicht. Die Kirche wird in ihrer potestativen Struktur streng mediat gesehen: „episcopus Urbis et Orbis. Qui licet mediantibus aliis pastoribus, gubernet diversas ecclesias speciales, tarnen immediatum regnum exercere potest super ecclesiam quamlibet" (II, c. 5). Was sida später in der Konzeption der kirchlichen weltlichen Ordnung ausbildet, ist so im Bild der Kirche bereits vorweggenommen. Die saekulare Ordnung entspricht im Grunde der Struktur der Kirche selbst. Umgekehrt kann man sagen, die Kirche wird gesehen in der Weise eines streng monarchisch-absolut regierten Gebildes. Als allgemeinem Richter und Gesetzgeber kommen dem Papst, entsprechend den vier Attributen der Kirche, auch vier Eigenschaften zu. Er ist: a) stellvertretend das einende und eine Haupt; b) der universale Priester, in dem die volle Gewalt wohnt; c) heilig, seinem Stand und Range nach; d) apostolisch dem Auftrag nach. Den theologischen Gründen folgen, in der Weise der Zeit, philosophische, speziell auch naturphilosophische Gründe. Unter ihnen interessiert vor allem das Argument der optimalen Lenkung durch ein Haupt. Die Aktualisierung eines Seienden ist verbunden mit seiner inneren Einheit: „Unumquodque enim in tantum est in quantum unum est" (II, c. 5). Die Vielheit strebt aus sich heraus auf die Einheit und damit auf ihren Frieden. Diese Einheit kann aber nur durch das „unum", das nun im Primat gesehen wird, hergestellt werden. Der Organismus zeigt dasselbe Prinzip der Hinordnung und Herordnung; Herz, Verstand und Wille sind solche einigenden Prinzipien. Der Wucht dieser vielfältigen Gründe gegenüber wirkt der angefügte Verweis auf das CC mit seiner Anerkennung des „principatus" über die Kirchen des Erdkreises, also des spiritualen Primates nur akzessorisch (CC 12). Über die Konzession 24"

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

der potestas terrena im C C soll dann später gehandelt werden. So ist die Verbindung zur Thematik der weltlichen Gewalt gefunden (II, c. 5 Schluß). b) Das Verhältnis des hierarchischen Amtes zur potestas saecularis Nachdem der Primat des Papstes aufgezeigt ist, folgt, dem Entwurf der Schrift entsprechend, die bereits angedeutete Frage nach dem Verhältnis zur weltlichen Obrigkeit. Etwa die Hälfte des Umfangs steht zur Verfügung, ein Zeichen dafür, welche Bedeutung diesem Thema zukommt. Wir befinden uns mitten im Kreis der ekklesiarchen Thesen, Jakob deutet sie auf eine originäre Weise, soweit das in einem derart intensiv diskutierten Fragenbereich überhaupt noch möglich ist. (II, c. 6). Zunächst bestimmt er noch einmal die Begriffe spiritual und l^orporal. Spiritual meint zunächst das Seelische als rationale Wirklichkeit (spiritualis est nature et precipue quantum ad partem rationalem; II, c. 6). Endlich eine deutliche Differenzierung des Spiritualen als naturale Gegebenheit, gegenüber den verschwimmenden Konturen bei Ägidius (vgl. S. 294 f). Das „Korporale" hat das von der Seele geformte Leibliche zum Inhalt. Darnach hätte die Kirche nach der Meinung einiger (sie dicunt quidam) die potestas über alles, was in den Bereich der „anima" geht; die weltliche Herrschaft hätte die korporale Verfügung. Und nun bringt Jakob ein „dubium", das angesichts eines in der hierokratischen Doktrin tradierten Begriffsvokabulars singulär wirkt, und das auch diese Tradition an einer entscheidenden Stelle trifft. Auch die saecularis potestas führe ihre Untertanen zu einem spiritualen Ziel, nämlich zum tugendhaften Leben, in ihm, in dem Vollzug der Tugend besteht das Glück (principaliter in actu virtutis), heißt es ganz im Stil der aristotelischen Ethik. Die saekulare Sorge für die äußerlichen Dinge gilt den Voraussetzungen, ohne die ein gedeihliches Wirken der Seele nicht möglich ist. In diesem Sinne kann daher auch die saecularis potestas ihrem ersten Wesen nach (principaliter) eine potestas spiritualis genannt werden 12 '. Wenn auch der getroffene Ansatz nicht in seiner ganzen Gewichtigkeit durch verfolgt wird — es heißt anschließend, daß im Verhältnis zur gnadenhaften Spiritualität die weltliche Gewalt „corporalis" genannt werden soll — so ist doch an einer Stelle der einseitige Schematismus der Analogie: anima-corpus für das Verhältnis der Gewalten korrigiert. Indem der naturale geistige Charakter der saecularis potestas ins Spiel gebracht wird, ergibt sich eine klare Differenzierung der natürlichen und übernatürlichen Spiritualität und damit auch der Relation der Gewalten in der anima-corpus Analogie. Der Vorrang der anima folgt aus der zum Bereich der anima gehörenden übernatürlichen Spiritualität, der Gnade. Selbstredend kann von

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II, c. 6 (S. 2 2 4 ) : Zur felicitas politica gehören exteriora bona, auf die hin der Mensch zu lenken ist. „Secundum hoc ergo videtur, quod secularis potestas principaliter debeat dici spiritualis, aeeipiendo spirituale modo predicto, cum vita virtuosa pertineat ad animam que spiritualis est. E x consequenti autem potest dici corporalis." — Die Eigenschaft als korporal ergibt sich hiernach nur „ex consequenti". — Jakob unterscheidet von diesem Modus das Verhältnis spiritual (secundum gratiam) und saekular. Hiernach kann die weltliche Gewalt nicht spiritual, sondern nur temporal genannt werden. Vgl. Anm. 127.

II. Potestas regia spiritualis und temporalis bei Jakob von Viterbo

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dieser gnadenhaften Spiritualität her das saekulare Regiment nicht spiritual genannt werden" 7 . So stehen sich gegenüber die natural-temporale und die supernaturalkirchliche Herrschaft. Ziel der ersten ist alles, was dem Menschen seiner menschlichen Natur nach — also als debitum naturae — zukommt. Aus dieser Wesensbestimmung fließen die Attribute: temporalis, naturalis, terrena, humana (II, c. 6). Ziel der spiritualis potestas ist die Gottgleichförmigkeit durch die ungeschuldete Gnade, ihr gehören die Attribute supernaturalis, celestis, divina zu. Die Temporalgewalt hat es zu tun mit dem Menschen seiner Natur nach, die Kirche mit dem Menschen als Gefäß der Gnade. Beide treffen sich handelnd, jedoch ist die Weise ihres Handelns verschieden. Dem geistlichen Schwert mit geistlichen Strafen steht das körperliche Schwert mit körperlichen Strafen gegenüber. Ebenso sind konfrontiert: temporales Hirtenamt, temporaler Kampf, temporale Verwaltung — und die entsprechenden spiritualen Funktionen und Akte. Man kann von einer gewissen Entsprechung (conveniencia) reden, jedoch gesellt sich der Konvenienz immer eine aus dem Wesen der Gewalten stammende Differenz hinzu. Konvenienz existiert hinsichtlich der Wirkursache (causa efficiens), der Zielursache, dem Subjekt nach: von Gott, auf das Glück zu, im Menschen als Träger. Die Differenz ergibt sich eben aus der verschiedenen Herleitung von Gott, dem natürlichen und übernatürlichen Ziel und der Verschiedenheit des Amtes. Menschliche Klugheit, wie einige wollen, ist kein unbedingter Vorteil auf der geistlichen Seite; wieder ein gezielter Einwand gegen jede simplifizierende Argumentation. Eine vierte Konvenienz hinsichtlich des Objektes, des Menschen nämlich, hat als Differenz den Menschen als natürliches Wesen und als Gefäß der Gnade. Die fünfte Konvenienz hinsichtliche der Akte führt auf den Unterschied des materialen und spiritualen Schwertes, hier mit einer sehr entschiedenen Teilung der Aufgaben im Sinne der Bereichstrennung (II, c. 6). Das ist der erste, aufschlußreiche Umriß der beiden Gewalten. Mit Hilfe der auch bei Ägidius benutzten Kategorien der Zeit, der Würde, der Ursächlichkeit wird dann (II, c. 7) das Verhältnis noch weiter erläutert. Hatte Ägidius sich auf die Behauptung beschränkt, daß das sacerdotium an sich (simpliciter) vor dem regnum war (III, c. 2; vgl. I, c. 5), so dreht Jakob die Argumentation gleichsam um, wenn er sagt, daß die Saekularhoheit der sie begründenden lex naturalis nach vor dem sacerdotium anzusetzen sei, und zwar sowohl vor dem sacerdotium des N T wie des sie vorbildenden AT. Denn die lex naturalis geht der lex scripta voraus (II, c. 7). Nur der voll127

II, c. 6 (S. 225): Im Verhältnis zur gnadenhaften Spiritualität „potestas secularis non dicitur spiritualis sed temporalis, quia secundum quod huiusmodi respicit naturam; spiritualis autem respicit gratiam". — Jakob hätte es einfacher gehabt, wenn er naturale und supernaturale Spiritualität von vornherein begrifflich geschieden hätte. — Die Zweckbestimmung der weltlichen Gewalt wird a. a. O. als „dicitur terrena quia pro fine habet terrena . . . ut intelligatur vita terrena illa, que conyenit homini secumdum naturam suam". — Im Vergleich zum „regnum terrenum" erwächst aus derartigen Formulierungen die Problematik der Zuordnung der geschichtlichen Reidie, die diese temporale Zweckbestimmung erfüllen (vgl. Anm. 120).

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlidi-weltlichen Gewalt

kommenen Einrichtung nach (perfecta institutio) kommt die potestas regia nach der lex evangelica. Wiederum eine bemerkenswerte Anerkennung der naturalen Eigenständigkeit. Der Würde nach ergibt sich dagegen ein eindeutiger Vorrang der geistlichen Gewalt, a) Der besonderen Verursachung von Gott her; b) dem Ziele nach; c) dem Objekt nach, da sie den Menschen als Kind Gottes führt; d) dem Handeln nach; e) in der Handlungsweise in ihrem weiteren und umfassenderen Aktionsbereich. Auch in bezug auf die von ihr ausgehende Ursächlichkeit ist sie in verschiedener Weise überlegen. Das von ihr angestrebte übernatürliche Glück ist auch Ordnungsziel des natürlichen Glücks. In der Konstitution der Herrschaft bedeutet sie handelnden Erstgrund (principium agens), da sie nach Hugo von St. Viktor den princeps einsetzt. Jakob will diese „institutio" nicht im Sinne gewisser „alii" verstanden wissen, für die Legitimität erst hergestellt wird, wenn die temporale Gewalt „in eadem persona" verbunden oder durch sie eingesetzt ist. Zwischen dieser Ansicht, zu der mit Sicherheit die kanonistisch-hierokratische Tradition seit dem Ende des 13. Jahrhunderts, die Determinatio und Ägidius zu rechnen wären, und der unmittelbaren Herleitung von Gott wählt Jakob einen mittleren Weg (via media), indem er in der Konstitution der Gewalt den naturhaften und übernatürlichen Anteil zu verbinden sucht. So kommen die bereits beobachteten Ansätze, die naturale Ordnung in ihrer Wertigkeit zu belassen, auch zur Geltung. Dem materiellen Gehalt der Herrschaft zufolge und die Herrschaft gründend (materialiter et inchoative) entsteht weltliche Herrschaft in der natürlichen Neigung der Menschen und ist als Werk der Natur auch Werk Gottes (II, c. 7)1!8. Perfektiv und formaliter dagegen wird die noch ungeformte und unvollendete irdische Gewalt von der spiritualen gestaltet, denn die Gnade vollendet die Natur. Die Formung geschieht durch Approbation und Beglaubigung (ratificatio), das ist nun wieder Hugo von St. Viktor, eingeredinet das in der Zwischenzeit erreichte Approbationsrecht 1 ", sie bedeutet einmal „formatio fidei" zum andern Weihe und Einsetzung. Mit dieser originären Unterscheidung hat Jakob versudit, die diristokratisch-ekklesiarche These zu bewahren, ohne den naturhaften Ursprung und die entsprechende Wertigkeit des principatus terrenus zu verletzen. Er will die aristotelisch-scholastische (thomistische) Sicht mit der spekulativ untermauerten Machtstellung des Papstes vereinen. Die Abwehr gegen die „alii", 128

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II, c. 7 (S. 232): „institutio potestatis temporalis materialiter et inchoative habet esse a naturali hominum inclinatione, ac per hoc, a Deo inquantum opus nature est opus Dei; perfective autem et formaliter habet esse a potestate spirituali, que a D e o speciali modo derivatur. N a m gratia non tollit naturam sed perficit eam et format." Hugo von St. Viktor sagt (vgl. S. 155) „sanctificans per benedictionem et formans per institutionem". — Jakob II, c. 7 (S. 233): „sed etiam in Signum approbationis et formationis et a pontificibus reges unguntur, quia per spiritualem potestatem perficitur et formatur illa que temporalis dicitur; et ideo hec spiritualis potestas potest dici quodammodo forma temporalis, eo m o d o quo lux dicitur forma coloris." Das, was die weltliche Gewalt „de veritate potentie" hat (aus ius humanum quod a natura oritur) ist „imperfecta et informis, nisi formetur per spiritualem". Es ist nur „virtualiter", wie die Farbe ohne Lidit nur „virtualiter" den Blick bewegen kann. — Der Lichtvergleidi hat natürlich nur einen Sinn, wenn er auf die Lichtrealität des Heils, der Gnade bezogen ist.

II. Potestas regia spirituals und temporalis bei Jakob von Viterbo

375

gegen die Richtung, die Legitimität erst in der kirchlichen Institution entstehen lassen, zielt wohl zuerst auf Ägidius (vgl. Ägidius I, c. 5 und S. 316 f), nach dem erst die Einsetzung durch das sacerdotium oder die Verbindung mit ihm schon in den frühen Zeiten des Alten Bundes die Legitimität herstellte150. Freilich ist hier zu beachten, daß für Ägidius die Verbindung von temporalem Regiment und sacerdotium (Melchisedech) ein historisches Faktum, jedoch keine generelle Forderung bedeutet. Desungeachtet bringt jedoch die „via media" Jakobs zum Ausdruck, daß er bei Ägidius die Wertung der naturalen Komponente vermißt. Wohl in der Absicht diese zur Wirkung zu bringen, heißt es daher auch, daß bei aller Superiorität des Spiritualen die inchoative potestas humana keinesfalls ein illegitimes Nichts darstelle, sondern eine gewisse Legitimität besitze" 1 . Daher überrascht es auch nicht, wenn er später darauf abhebt, daß die Institution des christlichen Fürsten durdi die Kirche die Einsetzung „iure humano" keineswegs ausschließe. Die kirchliche Einsetzung vollendet die „imperfecta institutio per ius electionis" (II, c. 7). Der Einbezug der naturrechtlichen Wirklichkeit in die ekklesiarche Konzeption macht deren Anliegen im Grunde nur deutlicher. Sie ist nur verständlich im vollen Bezug auf die in der Kirche geeinte Heilsgemeinschaft, differenziert verstanden als „lege naturae" und „lege evangelii" geordnete Ganzheit der Gläubigen. Jakob hilft sich, um beiden Ordnungen gerecht zu werden mit der aristotelisch-scholastischen Unterscheidung des inchoativ Materialen und des perfektiv Formalen, zugleich nimmt er damit die Formulierung Hugos von St. Viktor auf. Die Saekularhoheit verhält sich zum Hierarchen wie die Farbe zum Licht (II, c. 7). Der Princeps hat in der Kirche „ex iure humano" die Gewalt über die Menschen, nicht über die Gläubigen. „Nam quod homo sit super homines ex iure humano est, quod a natura perficitur. Quod autem homo fidelis sit super homines fideles est ex iure divino, quod a gratia oritur" (II, c. 7) 132 . Hier trifft sich die Perspektive Jakobs mit der des Ägidius, der ja auch nur über die Vorsteherschaft über den „fidelis populus" handeln will, während für die außerchristlichen Staaten der Grundsatz „nihil de foris" gilt (vgl. S. 352). Der „fidelis populus" als geschlossene Einheit; diese ist als soziative Voraussetzung im Blick zu behalten, hat über den Rechtsbereich des „ius humanuni" den Anspruch, entsprechend dem höheren 130

131

,3!

Aegidius, De eccl. pot. I, c. 5 (S. 15): „Regnum ergo non per sacerdocium institutum vel non fuit regnum, sed latrocinium, vel fuit sacerdocio coniunctum." — Jakob II, c. 7 (S. 2 3 1 ) : „Alii vero dicunt, quod potestas temporalis, si debeat esse legitima et iusta, vel est coniuncta spirituali in eadem persona vel est instituta per spiritualem, alia iniusta est et inlegitima. Inter has autem duas opiniones (die aegidianische und die Immediatableitung von Gott) potest accipi via media que rationabilior esse videtur, ut dicatur, quod institutio potestatis temporalis materialiter et inchoative habet esse a naturali hominum inclinatione ac per hoc a Deo in quantum opus etc. (vgl. Fors. Anm. 128). II, c. 7 (S. 2 3 2 ) : „Unde potestas humana que est apud infideles, quantumcumque sit ex inclinatione nature, ac per hoc legitima, tarnen informis est, quia per spiritualem non est approbata et ratificata; . . . nulla potestas est omnino vera sine fide, non quod sit nulla et omnino inlegitima, sed quia non est vera neque perfecta, sicut neque matrimonium infidelium perfectum est et ratum, licet sit aliqualiter verum et legitimum." II, c. 7 (S. 2 4 3 ) : „Sed huiusmodi principum institutio in ecclesia, que fit iure divino, non excludit illam que fit iure humano; sed eam format et perficit". — Vgl. auch Anm. 1 2 8 — 1 3 1 .

376

C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

Einheitsgrund seiner soziativen Existenz als Gemeinschaft der Kirche nach der Gesetzlichkeit dieser höhere Einheit, „iure divino" nämlich, geführt zu werden. Die weltimmanente positivrechtlich autarke Vorsteherschaft reicht in diesem Aspekt nicht aus, um von sich aus, das ist der Sinn des „ex iure humano", Ordnung innerhalb der Heilsgemeinschaft in letzter generischer Instanz zu schaffen. Denn die Bereiche sind zwar getrennt, aber nicht in sich verschlossen. Der naturale Bereich bleibt seinem Wesen nach auf das Supernaturale hin geöffnet. Selbstredend ist das alles historisch und spekulativ nur schlüssig auf dem Grund des tradierten Bildes der Kirche als die die „potestates" und über sie den mundus umgreifende „unitas". Die Approbation schafft demnach weder natural-positive Ordnung noch ersetzt sie diese. Der Fürst ist auch in der Kirche seiner ordnungsspezifischen Herkunft nach Vorsteher, er könnte gar nicht über die „fideles" herrschen, wenn er nicht zuvor über die „homines" in den „fideles" bestellt wäre. Das „ius humanum", das der „inclinatio naturalis" folgt, steht auch in der Heilsgemeinschaft in seinem Recht, das durch keine gnadenhaft erwirkte Legitimität ersetzt werden kann. Es bedarf in diesem Recht der Vervollkommnung, wenn es um die volle Geltung in der Heilsordnung geht. Daß der Eigenbereich des Temporalen deutlicher heraustritt, ersieht man auch aus der Benutzung der soliustistischen Argumente. Auch für Jakob ist der Ungläubige und der Sünder nicht würdiger und gerechter Besitzer (indigne et iniuste possident), aber er fügt hinzu: „secundum ius divinum, quicquid sit de iure humano" (II, c. 7). Jegliches „iuste et legitime" im Sinne der „potestas perfecta" zielt auf die gnadenhafle Ordnung, denn das angesprochene „ius divinum" wurde ja von Jakob kurz zuvor im Gegensatz zu dem aus der Natur stammenden ius humanum als aus der Gnade stammend (quod a gratia oritur) charakterisiert135. Gerechter Besitz, gerechte Herrschaft in bezug auf die spezifische Ordnung der Heilsgemeinschaft und damit in bezug auf die in ihr notwendige Unterordnung unter die spirituale Autorität hat sein Kriterium immer „secundum ius divinum, quod ex gratia oritur". Ist also Heilsrecht und Heilsgerechtigkeit. — In ähnliche Richtung weist die Feststellung, daß in einem Rechtsstreit dem Papste mehr zu gehorchen sei als dem weltlichen Fürsten. Den Bischöfen gilt diese Pflicht nur in Dingen „ad salutem anime" (II, c. 7), weil sie nicht die Vollgewalt besitzen. Daß die päpstliche Vollgewalt jedoch nicht unterschiedslos gilt (indifferenter), wird sich später aus den Ausführungen zum Immediatrecht ergeben. Von hier aus erhält dann auch seinen Platz, wenn verlautet, daß die spirituale Hoheit über die Temporalien insoweit gestellt ist, „in quantum ordinantur ad finem salutis"; sie erstrecke sich auf sie im Sinne ihrer Heilsentelechie (secundum id, ad quod nobis data sunt). Daher könne die kirchliche Obrigkeit: „imperare bonum eorum usum et prohibere abusum". Die Temporalgewalt ist spiritual intendiert. Später (II, c. 8) wird dies konkre13S

II, c. 7 (S. 233): „ex iure humano est, quod a natura p e r f i c i t u r . . . ex iure divino, quod a gratia oritur." — Vgl. Zitat S. 451. — A. a. O.: „Gratia enim non natura fideles efficit."

II. Potestas regia spiritualis und temporalis bei Jakob von Viterbo

377

tisiert auf die höhere Lenkung „secundum imperium, secundum nutum, secundum directionem et mediate", die weltliche Hoheit habe dagegen die Temporalien zum Gebrauch und „immediate". Werden hier nicht die Konturen der indirekten Gewalt greifbar? Man ist natürlich versucht, angesichts solcher Kriterien die weitere Frage zu stellen, ob nicht die ganze Skala der hierokratisch-ekklesiarchen Formeln, die auch bei Jakob auftaucht, nur das besagen will, was hier theologisch entfaltet wird. Dazu ist notwendig, seine Aussagen über den Charakter der spiritual-temporalen Gewalt im einzelnen vorzunehmen. Wenn die Approbation die potestas regia terrena vervollkommnet und formt, dann besitzt diese gegenüber der Heilswirklichkeit keinen endgültigen Selbstwert. Bedeutet das bereits, daß der ihr zugesprochene Standort in der Kirche nur scheinbar eine Eigenständigkeit ermöglicht, tatsächlich jedoch das „ius humanum" vom „ius divinum" verdeckt und unwirksam gemacht wird? 1 " Jakob gebraucht den Ausdruck „perficere" sowohl für die Natur wie für die Ubernatur. Neben der Wendung, daß das ius humanum von der Natur ausgehe (a natura oritur) heißt es einmal „quod a natura perficitur" (II, c. 7). Diese Formel kommt, nachdem er kurz zuvor als Begründung der Approbation, das Verhältnis des „material-inchoativen" und des „perfektiv-formalen" erläutert hat. Es entspricht dem Verhältnis von Natur und Gnade. Die Vollendung der Natur durch die Gnade entspricht in der Gewalt deren innerer Finalität: „potestas spiritualis gratiam respicit, temporalis vero naturam". Es gibt daher eine zweifache Formation, die durch die Erfüllung des Sinngehaltes der Gewalt und die durch den Glauben: „Et ad huiusmodi ampliorem evidentiam sciendum est, quod potestas humana sive temporalis duplici formatione indiget: ad hoc quod sit perfecta secundum rationem potentie. Indiget etiam formatione fidei, quia sicut nulla est vera virtus sine fide"135. Zur Formation auf der Ebene des „ius humanum a natura" gehört die Erfüllung der Bedingungen, die zum Wesen der potentia gehören. Die Position des temporalen Regiments ist von dieser zweifachen Formation her bestimmt. Vollständige Existenz im Sinne des human-naturalen Rechts und als „perfecta secundum rationem potentie" hat sie eine nur inchoative und materiale Existenz gegenüber der Perfektion, die sie auf der Ebene der Heilsgemeinschaft erhält. Die naturale Perfektion ist gegenüber der Perfektion durch die Gnade nur inchoative Perfektion. Sie ist nicht so in sich autark, daß sie nicht noch von einer höheren Wirklichkeit in eine neue Seinsebene gebracht werden könnte. Anders könnte der mehrfach zitierte Satz, die Gnade beseitige nicht die Natur sondern vollende und forme sie, ja gar nicht gelten. Dieser Satz besagt aber, daß die Natur nur in der Heilsordnung ein im Heil geordnetes Sein erreichen kann, ihre naturale Perfektion genügt zwar für den rein naturalen Bereich und eine rein naturale Intention, sie genügt jedoch nicht, um 134

"5

Zu ius humanum vgl. II, c. 7 (S. 229): „potestas regia temporalis, que a natura oritur." — S. 233: „quo homo sit super homines ex iure humano est, quod a natura perficitur". Vgl. auch Anm. 128. II, c. 7 (S. 232). — Vgl. Anm. 131.

378

C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

das darzustellen, was durch das Heil geformte und vollendete Wirklichkeit meint. Wenn aber diese merkwürdige und scheinbar widersprüchliche Situation des temporalen Regimentes im Verhältnis von Natur und Gnade überhaupt begründet ist, dann wird der Widerspruch immer wieder auftauchen, sofern man nur natural-temporales und supernaturales Gefüge zueinander bringt, auch wenn man nicht gewillt ist, die Folgerungen der christokratisch-ekklesiarchen Doktrin zu ziehen oder anzuerkennen. Immer wird sich herausstellen, daß der temporale Bereich die Wegmarken seines Wirkens in einer heilsgeordneten Gemeinschaft, sofern diese geschichtlich realisierbar ist, nicht sidi selbst aufrichten kann, sondern sie von der höheren Ordnung gesetzt erhält in allem, was die Spezifik dieser Ordnung ausmacht. Daß in der Begründung des „regimen christianum" das Verhältnis von Natur und Gnade aufleuchtet, scheint außerordentlich wichtig. Jedenfalls am Beispiel des Jakob von Viterbo zeigen sich die inneren Triebkräfte der Doktrin besonders deutlich. Sie gehen nicht auf eine Entleerung des Naturalen aus. Die ekklesiarche These ist nicht darauf angewiesen, wenn sie sich entfalten will, das temporale Sein zuvor auszuhöhlen. Wenn man die Anerkennung der Herrschaft im Sinne der Perfektion „secundum rationem potentiae" recht bedenkt, dann wird man auch in der These von der inchoativen Existenz dieser Perfektion nicht nur den Blick auf diesen inchoativ-imperfectiven Charakter der potestas terrena richten, sondern zugleich die vorausliegende Perfektion im Auge behalten. Denn das dürfte sicher sein. Wenn nur die Elemente der temporalen Abhängigkeit anvisiert werden, die auch Jakob in der nun schon gewohnten ekklesiarchen Schematik ausführt13", dann verschwindet die dem Temporalen zugestandene Eigenwertigkeit nur zu leicht. Jedoch betrifft die Perfektion vom Spiritualen her nicht die Seinsqualität der potestas regia terrena, diese ist aus dem „ius humanum a natura", aus der sinngerechten Herrschaftlichkeit bereits gegeben und erfüllt (perfecta). Herrschaft als Herrschaft mit den vollen Befugnissen des temporalen Regimentes entsteht im temporalen Bereich. Was die spirituale Perfektion perfektiv hinzufügt, kann nur im „ius divinum a gratia", in der „formatio fidei" bestehen und begründet sein. Trägt demnach eindeutig spiritualen Charakter. Die einzelnen Rechtsfolgen, die sich aus diesem Grundverhältnis ergeben, entsprechen der mittelalterlichen Praxis. In der Formulierung Hugos erscheint nun der Satz, daß die geistliche Gewalt die weltliche nicht nur einsetzt, sondern auch richtet (De sacr. II, 4; vgl. T. I, VI,b.). Voraussetzung bleibt ein Verstoß des Herrschers (si bona non fuerit: Hugo), die Strafe kann über die spirituale Ahndung bis zur Absetzung gehen (ratione criminis). Eine Absetzung riditet sich gegen die Person, nicht gegen das Amt (II, c. 7), der ordo potestatum darf nicht verwirrt werden. Also keine Übernahme weltlicher Herrschaft, keine Beseitigung staatlicher Kompetenzen, keine Errichtung neuer Staaten. 1M

II, c. 7 (S. 230): „Die geistliche Gewalt ist würdiger und höher: a) ratione agentis; b) ratione finis; c) ratione obiecti; d) ratione actuum; e) ratione modi agendi; f) ratione utilitatis.

II. Potestas regia spiritualis und temporalis bei Jakob von Viterbo

379

Schließlich stehe der spiritualis potestas auch ein „imperium" zu. „Imperium" bedeutet dabei unmißverständlich die Ausrichtung auf das übernatürliche Ziel, sei es unmittelbar, sei es mittelbar. Die natürliche Seligkeit, Ziel der Saekulargewalt, muß auf das übernatürliche Ziel ausgerichtet sein. Die temporale Gewalt der Kirche erstreckt sich insoweit auf die Temporalien: „in quantum spiritualibus nata sunt obsequi et ad spiritualia ordinari; et temporalis potestas iure divino, quantum ad omnia, subest spirituali, in quantum ordinatur ad ipsam et etiam propter ipsam" (II, c. 7). Die Unterordnung besagt immer eine bedingte (in quantum), keine absolute Pflicht. Für Jakob äußert sich daher der Gehorsam als subsidiäre Gefolgschaft: „Unde temporalis vocatur a spirituali et vocata debet auxilium ferre et obsequium impendere" (II, c. 7). Trennt man einmal diese Aussagen von der zeitgenössisch bedingten Verflechtung in die Ansprüche und historisch entfalteten „Gewohnheiten" und besieht sie auf ihre Substanz selbst, dann wären hier die Kriterien einer direktiven Gewalt gegeben, wie sie eine spätere Zeit fordert. Allerdings kann man es dabei in der Schilderung der Konzeption des Jakob von Viterbo nicht bewenden lassen. Das zeigt seine These von der Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen.

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen Bestimmung der Praeexistenz der temporalen Gewalt in der Gewalt des Papstes. — Praeexistenz der temporalen Gewalt und originäre Position der temporalen Gewalt selbst. — Einheit und Unterschiedenheit der Gewalten in der Praeexistenz der temporalen Gewalt.

Was versteht der Autor unter der Praeexistenz der Saekulargewalt? Im ganzen und grob umrissen stellt sie eine Ergänzung der Thesen von den inchoativ-materialen und perfektiv-formalen Stadien der Temporalgewalt dar, und zwar im Hinblick auf die Einheit der spiritual-temporalen Vollgewalt. War in der ersten Phase der Versuch unternommen, den natural-temporalen Eigenstand in Relation zur erneuerten Existenz in der Heilsordnung zu setzen, so soll mit der zweiten These die spiritual-temporale Hoheit der Kirche als solche dargetan werden, indem einerseits Raum für das temporale Gefüge bleibt und gleichzeitig die volle spiritual-temporale Gewalt nicht angetastet wird. Dabei erscheint die Praeexistenz als eines der Attribute in der zusammenfassenden Beschreibung des Gewalten Verhältnisses: „Temporaiis itaque potestas ita comparatur ad spiritualem: quia ei subicitur, ei obsequitur, ab ea instituitur, ab ea iudicatur, ad ipsam reducitur et ordinatur, in ea continetur et reservatur" (II, c. 7). Anstatt des Ausdrucks „continere", findet sich auch „prehabere", „preexistere"137. Jakob argumentiert: Die spirituale Hoheit als die vorrangige verhält sich zur temporalen wie die Ursache zum Verursachten (II, 7), daher müsse sie auch in der höheren Instanz vor-existieren. Das bezieht sich auf die kirchliche Erhebung, das „instituere" und „formare" Hugos von St. Viktor. Die Praeexistenz zielt freilidi nicht auf eine Vor-existenz der positivrechtlichen Elemente der Temporalgewalt im Hierarchen, damit auch nicht auf eine unmittelbare Ausübung, sie ist nur als ein „modus superior, dignior, prestantior" zu verstehen. Das wäre also die höhere Seinsweise, die Ägidius der Gewalt über die Temporalien in der spiritualen Erstgewalt zuspricht (vgl. oben). Unmittelbares Eingreifen kann nur unter bestimmten Bedingungen eintreten. Audi das entspricht dem Schema des Ägidius, in weiterer Rückführung dem ausgedeuteten Schema des Rufinus im 12. Jahrhundert (vgl. S. 226 ff). Praeexistenz bei Jakob vindiziert, daß temporale Verfügung in einer der Spiritualgewalt angemessenen Weise bei dieser ruht, demnach nicht im Sinne des modus temporalis, nicht als Verfügung des princeps terrenus. Augenscheinlich verweist die Trias: höher, würdiger, erhabener auf die Proportion Bernhards von Clairvaux: nutus-iussio (usus in der Diktion des Ägidius). Mit dem Modus des „nutus", der direktiven Lenkung, wird aber wieder jene Frage akut, die sich auch bei Ägidius stellte: a) Inwie137

II, c. 7 (S. 236): „temporalis p o t e s t a s . . . continetur a potestate spirituali." — „ P e t r u s . . . in quo plenitudo spiritualis potestatis residet, prehabet potestatem temporalem (S. 236). — S. 237: „et ideo temporalis potestas dicitur preexistere in spirituali".

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen

381

weit haben wir in der Praeexistenz es mit originär temporaler Gewalt zu tun und b) treten uns somit in der spiritual-temporalen Vollmacht zwei distinkte Gewalten entgegen? 2 « a): Die Antwort hierzu wurde oben bereits thesenartig gegeben (S. 380), sie sei näher begründet. Wenn Praeexistenz Enthaltensein in der spiritualen Gewalt im Sinne des Niederen im Höheren oder des Verursachten im Verursachenden (II c. 7) besagt, dann kann sie sich in anbetracht der originären Eigenständigkeit der potestas temporalis „ex iure humano a natura" nur auf ein Enthaltensein im Sinne der perfektiven Formung des Temporalen „a gratia", „formatione fidei" beziehen. Denn das von Jakob angenommene Verhältnis der temporalen inchoativ-materialen Realität zu ihrer Vollendung „iure divino" setzt doch die Existenz und Funktion dieser anfänglichen Realität in vollem und ungeschmälerten Umfang voraus: Die Existenz dem Ursprung nach, die Funktion in Richtung auf das natürliche Wohlergehen (vgl. S. 378). Praeexistenz kann demnach die natural-humanen Titel in ihrer konkreten Existenz im Fürsten nicht betreffen, denn diese müßten sonst „iure humano" in ihr installiert sein, sie berührt die spezifische Existenz und Funktion der weltlichen Gewalt als solcher — die „weltlich" weltliche Gewalt — gar nicht. Das höhere Sein, das die Temporalgewalt in der spiritualis potestas hat, ist nicht identisch mit den konkreten Titeln eines Fürsten, so wie sie iure humano mitsamt ihrer naturalen Finalität, ihrer unmittelbaren, exekutiven Bezogenheit auf die Temporalien, ihrer Beschränkung auf die naturale Wohlfahrt praesent sind; es heißt nicht, daß das alles im Konsekrator des Fürsten vorweg und zuerst gehabt sei. Es heißt nur, daß weltliche Gewalt oder jetzt besser: Gewalt über die Temporalien und die potestas temporalis im vorweg auf höhere Weise im Konsekrator, und vor allem im Papst, und zwar „iure divino", mit all den Attributen, die dazugehören, existiert. Enthaltensein im Sinne des Verursachten im Verursachenden besagt also nicht, daß die spirituale Gewalt die weltlichen Titel verursache, sondern bezieht sich auf das Verursachen der Vollendung; Legitimität, das bedeutet nicht Schaffen naturaler Rechtstitel, wie könnte auch die Kirche einen Erbtitel schaffen oder eine Wahl ersetzen, sondern Legitimität der Herrschaft über die „fideles", Legitimität der Heilsgemeinschaft. Sieht man genau hin, so bleibt auch in der Praeexistenz die Distinktion der Gewalten erhalten, wir haben eben mit den Seinsmodi zwei verschiedene Seinssphären, zwei verschiedene Kausalitäten (iure humano-divino), zwei Finalitäten, zwei Weisen des Handelns vor uns. Unausgesprochen liegen zwei verschiedene Seh- und Sprechweisen vor. Die eine sieht die „potestas temporalis" als die weltliche Herrschaft des Fürsten selbst, die andere sieht sie als die Gewalt des Hierarchen im Sinne der höheren Weisung über diese fürstliche Herrschaft. Man könnte geradezu von zwei Bedeutungen der „potestas temporalis" sprechen. Erst wenn dieser die Argumentation durchlaufende Unterschied entsprechend entschieden genommen wird, kommt auch das zur Geltung, was sich in den verschiedenen Weisen der „potestas temporalis" (regia) darstellt. Die „potestas regia" der Kirche über die Temporalien ist nicht „genere suo" weltliche Gewalt, sondern bleibt formende und vollen-

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

dende Erneuerung des „ius humanuni", des „dominium humanuni" über das Temporale, Vermittlung der gnadenhaften Kraft an den „principatus terrenus"; Lenkung im Sinne der dem Spiritualen eigenen Ziele. So konzentriert sich in der Praeexistenz der Blick auf jene Erneuerung, die in der Heilsordnung beheimatet ist. Oder mit den Worten Jakobs: Praeexistenz meint Hinführung auf das spirituale Ziel „nobiliori modo", sie stellt sich dar als primäre Autorität dieser seinsmäßigen Wertigkeit und der Vermittlung dieser Wertigkeit, aber nicht im Sinne einer naturalen Erstheit samt ihren regulär-spezifischen Eigentiteln. So ergibt sich das nur fallweise mögliche Eingreifen nicht aus äußerlichen, vielleicht sogar taktischen Gründen, sondern aus dem Wesen der Praeexistenz selbst1®8. Z« b): Die passende Folgerung aus seiner These gibt Jakob selbst, wenn er es ablehnt, in der Praeexistenz eine distinkt weltliche Gewalt zu sehen. Der Papst besitzt nur eine Gewalt, diese eine Gewalt eint das, was später funktional getrennt erscheint. Und zwar tritt diese Distinktion erst ein in den untergeordneten Akten, diese aber sind in der höheren Gewalt selbst geeint (unitive) zu sehen. Nur hinsichtlich der Akte und Offizien ist Trennung vorhanden. Sofern der Hierarch die Spiritualien verwaltet, spreche man von spiritualer Gewalt, sofern er die Temporalien lenkt, spreche man von temporaler Gewalt. Es verhalte sich ähnlich wie mit den Vermögen der Vernunft, die sich auf das höhere ewige Gut und auf das niedere Gut hin orientiere in einem je unterschiedenen Offizium (per officia diversa). Sie bleibt aber „una potentia rationis". Nehmen wir die wichtige Stelle im Wortlaut: „cum dicitur potestas temporalis preexistere in illo, apud quem est spiritualis, non ita est intelligendum quasi duas potestates distinctas et diversas habeat. Sed quia per unam suam potestatem super temporalia et spiritualia potest, nam inferiora sunt in superioribus unitive, et quod in inferioribus distinguitur in superioribus unitur. Dicitur tarnen in ipso esse duplex potestas propter respectum ad actus diversos; nam prout exercet actus spirituales et administrat spiritualia; dicitur habere potentiam spiritualem; prout autem dirigit et consulit et imperat in temporalibus, dicitur habere potestatem temporalem. Sicut ergo una potentia rationis distinguitur per officia diversa, in superiorem et in inferiorem, quia secundum quod intendit eternis conspiciendis et consulendis dicitur ratio superior, prout autem intendit rebus temporalibus dicitur inferior ut beatus Augustinus ait (PL 50 c. 789); sie una potestas habentis potentiam spiritualem dicitur temporalis et spiritualis et distinguitur secundum officia" (II, c. 8). Damit ist, angesichts der bisherigen Diskussion, die wir über die Determinatio und Ägidius, eingerechnet die kanonistisch-hierokratischen Aussagen, verfolgt haben, ein entscheidender Durchbruch der Darlegung vollzogen. Die „zwei Seiten" der spiritual-temporalen Vollgewalt sind klar und unmißverlS8

II, c. 7 (S. 2 3 6 ) : „agit opera eius (d. h. der temporalen Gewalt) nobiliori modo, scilicet imperando et dirigendo et ad suum finem operibus eius utendo, et ideo temporalis potestas dicitur preexistere in spirituali secundum primam et summam auetoritatem, non autem secundum immediatam executionem generaliter et regulariter."

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen

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ständlich auf e i n e Gewalt zurückgeführt, als eine Gewalt dargetan, die sich spiritual und temporal in ihren Akten und Offizien äußert, die aber deshalb noch nicht ein neues Drittes darzustellen braucht, sondern dem Verlauf des Traktates nach nur die von der Christologie her entfaltete „potestas regia iure divino, quod a gratia oritur" meinen kann (vgl. II, c. 2, 3; und S. 378). Die von der potestas regia humana et naturalis unterschiedene potestas regia „ex institutione divina vel a iure divino, quod procedit a gratia" (II, c. 3) ist bereits in ihrer ersten Explikation eindeutig als die universale Binde- und Lösegewalt, die den Aposteln übergeben wurde, bezeichnet. Sie erhält entsprechend hier schon auch die Bezeichnung: „Potestas autem regia spiritualis" (II, c. 3), findet sich in allen Priestern, aber vornehmlich in der universalen Jurisdiktion des Papstes. Tatsächlich wird in der angeführten Definition II, c. 8 diese Rückführung der in den Akten und Offizien getrennten Gewalt auf die „una potestas" als: „preexistere in illo apud quem est spiritualis" bezeichnet, was durch die zweite Wendung: „sie una potestas habentis spiritualem" noch bekräftigt wird. Darnach gäbe es also folgenden Bestand der Gewalten: Die potestas regia teilt sich in die potestas regia spiritualis und temporalis (II, c. 3), wobei in der potestas spiritualis auch die potestas regia temporalis praeexistiert, freilich auf eine besondere Weise. Dies ergibt sich aus dem Nachsatz zu der zitierten Definition: wo er nach „officia" weiterfährt: „et dicitur superior et inferior diversis respectibus; quia tarnen denominatio fit a digniori, ideo sempliciter dicitur hec potestas spiritualis, licet in i p s a preexistat temporalis modo excellenti". Damit ist eine Antwort auf die Frage gegeben, ob nicht die im Papst ruhende „una potestas", die sich nach den diversis respectibus spiritual und temporal teilt, als eine regia potestas zu verstehen wäre, die zuerst weder spiritual noch temporal zu bestimmen wäre, sondern einfach als „regia potestas" schlechthin. Anders gewendet, als inhaltsneutrale „potestas" sich dartut. Eine solche Antwort würde, unabhängig von der Antwort Jakobs, auch aus sich heraus von der gewonnenen Lösung wieder wegführen. Denn 1) liegt das Problem der päpstlichen Temporalgewalt nicht darin, dem Papst „regia potestas" überhaupt, im Sinne einer inhaltsneutralen „regia potestas" zuzuschreiben. Eine derartige Lösung würde die bisher nicht benutzte Größe der „Gewalt überhaupt" ins Spiel bringen. 2) Wir hätten damit noch keine befriedigende Antwort, da weiterhin in Frage steht, ob in dieser „regia potestas" neben der potestas regia spiritualis auch die temporalis in ihrem spezifisch temporalen Sinn enthalten ist. Das müßte aber eintreten, denn der Besitz der inhaltsneutralen potestas regia führt zwangsläufig dazu, daß auch die Teile dieser potestas vom Inhaber der Obergewalt besessen würden. 3) Eine solch umfassende „regia potestas", die über die Spiritualgewalt auch die Temporalgewalt in ihrem ganzen Umfang und ihrer konkreten Einzelheit umfassen soll, zwänge dazu, das Spirituale in einer Weise mit dem Temporalen zusammenzubringen, die dem Wesen beider widerspricht. Wie Jakob ausführt, gründet die spirituale Hoheit unmittelbar in der Heilsstiftung Christi, temporales Regiment entwächst dem „ius humanum a natura".

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

Tatsächlich ist jedoch die „una potestas" des Papstes nicht inhaltsneutrale „regia potestas", sondern sie ist als solche terminiert. Und zwar erhält sie, wie wir sahen, ihre „denominatio" von der höheren potestas regia her, der potestas spiritualis: „ideo simpliciter dicitur hec potestas spiritualis, licet in ipsa preexistat temporalis modo excellenti". Jakob will offensichtlich ein Aufspalten der Vollgewalt in zwei distinkte Gewalten vermeiden, zugleich soll die temporale Gewalt bewahrt werden. Die Lösung f ü r das Letztere liegt im „modus excellens", den die temporale Gewalt in der spiritualen Gewalt erhält. Mit der Terminierung der „una potestas" als „potestas spiritualis" ist es möglich, auch jenen Formulierungen zu begegnen, in denen später (II, c. 10) noch einmal die Dualstruktur der „una potestas" beschrieben wird. Auf den Zweifel, daß doch zwei distinkte Gewalten nicht einem Träger zukommen können, heißt es zunächst das Frühere wiederholend: a) Die spirituale Gewalt „prehabet temporalem superiori et excellentiori modo", daher könne trotz der Trennung die eine der Gewalten in der andern auf eben diese ausgezeichnetere Weise praeexistieren. Beispiel ist ihm die Praeexistenz der Kräfte der niederen Körper in den höheren „modo nobiliori". b) Auch in der intellektiven Fähigkeit (potentia intellectiva) gäbe es verschiedene Wissenschaften, wie die spekulative und die praktische. Sie könnten, wenn auch nicht auf die gleiche Weise einer Person zukommen, c) Endlich könnte man auch die Gewalten als Teile einer Gewalt ansehen, die als „perfecta" ausgegeben wird: „Potest etiam dici quod potestas regia spiritualis et temporalis non sunt due potentie, sed due partes unius regte potestatis perfecte, quarum una solum est in regibus terrenis et modo inferiori; in spiritualibus (seil, regibus) autem est utraque et modo excellentiori. Unde in prelatis ecclesie et preeipue in summo prelato est potestas regia tota et perfecta et plena; in prineipibus autem saeculi est secundum partem et diminuta" (II, c. 10). Die Definition spricht von einem Ganzen, der „una regia potestas perfecta", und dessen Teilen, der bereits bekannten „potestas regia spiritualis et temporalis". Bei dem Ganzen handelt es sich um ein qualitativ Ausgezeichnetes, und damit terminiertes Ganze, nicht um ein inhaltsneutrales „unum". Die potestas wird als „perfecta" vorgestellt, dieses Attribut liegt in derselben Begriffsebene wie die potestas perfecta, zu der die weltliche, inchoative Herrschaft durch die formende Konsekration erhoben wird. Sie ist unmittelbar spiritual (potestas spiritualis) oder in ein spirituales Ganze installiert. — Die Teile sind die regal-spirituale und die regal-temporale potestas, wobei letztere als „modus inferior" den Herrschern überlassen bleibt, während vermöge des „modus excellentior" die regal-temporale Gewalt in der spiritualen praeexistiert. Das Attribut „perfecta", das einen klaren Unterschied zu jeder „potestas inchoativa et imperfecta" setzt, als die wir den dem „ius humanuni" entstammenden Prinzipat kennen lernten, prägt damit sowohl das Ganze der „potestas perfecta" wie deren Teile. Dabei entsteht die Frage, wie die inchoativ humane Herrschaft Teil einer potestas perfecta zusammen mit der „potestas regia spiritualis" werden kann. Die Antwort ist gegeben in der kirchlichen Promotion, deren Wirkung schon

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen

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vorgeführt wurde (S. 374 ff). In ihr wird die inchoativ-imperfekte, naturalhumane Herrschaft nun zu einer „perfecta". Die natural-human begründete Gewalt ist nun legitimiert, auch „regimen christianum" zu sein; rechtlich bedeutet das, daß der Herrscher als princeps fidelis nun auch über die Gläubigen herrschen kann: „Unde princeps temporalis in ecclesia, ex iure humano, potestatem habet super homines; sed ex iure divino super fideles" (II, c. 7). Dabei bleibt die Einzelfrage sekundär, inwieweit im Detail diese Zugehörigkeit des Unvollkommenen zum Vollkommenen zu denken ist. Sicher bleibt, daß die ungeformte, noch nidit heilsgeordnete Temporalgewalt, etwa der Heiden, nicht der „potestas perfecta" zuzurechnen ist. Diese Trennung und Scheidung ist auch für das Verständnis der „ u n a potestas" des Papstes wichtig. Ihr Wesen besteht ja darin, daß sie die „potestas perfecta" als Ganzes darstellt. Als Ganzes deshalb, da sie sowohl die „potestas regia spiritualis" wie auch die „potestas temporalis", beide als „potestates perfecte" enthält. — Heißt das nun, daß die „una potestas perfecta" mit der „potestas temporalis" auch die weltliche Herrschaft in sich trägt (die potestas regia temporalis)? Sidier nicht, denn es wird ja ausdrücklich die potestas temporalis ihrem „modus inferior" nach von der „potestas temporalis" ihrem „modus excellentior" nach getrennt. In der „una potestas" des Papstes ist nur die Temporalgewalt ihrer höheren Seinsweise nach enthalten. Das bedeutet, daß die „potestas temporalis" insoweit von der päpstlichen „una potestas", von der Praeexistenz ausgeschlossen ist, als eben der „modus inferior" reicht. Er reicht aber soweit, als er Elemente enthält, die nicht der Provenienz der päpstlichen Gewalt „ex gratia" entsprechen. Dazu gehört als erstes die temporale Herkunft aus dem „ius humanuni, quod a natura perficitur", wie sich später noch sehr deutlich zeigt. Denn diese Herkunft ist ja gerade arteigen für die Temporalgewalt, darin ist sie inchoativ, ungeformt, unvollkommen. Gewalt in diesem Sinn besitzt auch der Ungläubige. Zum „modus inferior" gehören ferner der arteigene Umfang, die Funktion und Zielsetzung des Temporalen. Praeexistenz besagt also niemals, daß die von der Kirche zu formende und zu lenkende Temporalgewalt in ihrer Spezifik bereits in der potestas spiritualis praeexistiere. Die „potestas regia temporalis perfecta" des Königs bleibt als human-naturale Funktion im Seinmodus des „inferior", ihr Kern bleibt die human-naturale Provenienz. Sie ist weiterhin auf den „usus", die „executio" der Schwertgewalt verwiesen. So erweist gerade die Trennung der Gewalten in der „potestas perfecta" sowohl den eigenen Charakter der geistlich-weltlichen wie der weltlichen Obrigkeit. Wenn es später heißt, daß die der Kirche aus weltlicher Sdienkung zuwachsende Gewalt, eben weil sie dem „ius humanuni" entstamme, von der Temporalgewalt, die sie „ex iure divino" als „unitive in ipsa spirituale contentam" besitze, getrennt bleibe, dann steht fest, daß Praeexistenz nie Vorherbesitz spezifisch weltlicher Gewalt bedeutet; sie ist nicht formal weltliche Gewalt, um mit Bellarmin zu sprechen. Die in die Praeexistenz eingebettete Temporalgewalt ist an die Provenienz der päpstlichen Gewalt „ex iure divino" und ihre Seinsweise gebunden. Dieser Provenienz aber ist der mit: „dirigit, consulit, imperat" umschrie25

Kölrael

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bene „modus excellentior" (vgl. oben) gemäß. Das entspricht der Begriffslinie des nutus, der auctoritas (Bernhard-Rufinus). Nur in Form der höheren Lenkung, in spiritualisierter Weise kann Gewalt über die Temporalien mit geistlicher Gewalt vereinigt sein. Die Gnadenordnung (ius divinum, quod a gratia oritur) vollendet demnach zweifach die „potestas regia". Einmal, indem sie das temporale Gefüge vervollkommnet, zum andern in der „potestas spiritualis regia" selbst. Die Wirksamkeit des Heils bildet daher auch das Einende zwischen den Gewalten im Sinne ihrer gemeinsamen Vollendung und Zugehörigkeit zur „potestas perfecta". Man kann so zugunsten von Jakob sagen, daß er nidit jenes disparate Beieinander herstellen will, das Kirche und Papsttum zu weltlichen Institutionen madit. In einer Bemerkung zur Konstantinischen Schenkung wird diese Deutung ausgezeichnet bekräftigt. Jakob meint, daß der Papst nicht nur „iure divino" — also „a gratia" — eine „potestas temporalis" habe, sondern auch Rechtstitel: „iure humano". Im Sinne des „ius humanuni" könne er unmittelbar eingreifen, so bei Vakanz des Imperium: „sie aliter exercet potestatem temporalem ut habet ex iure divino et aliter, ut habet eam ex iure humano". Von der menschlichen Konzession übt er „magis immediate" eine Jurisdiktion aus, von seiner Temporalgewalt „ex iure divino" nur im Sinn der höheren Lenkung. „Unde in ipso magis distinguitur temporalis potestas a spirituali, prout temporalis convenit ei ex iure humano, quia secundum quod convenit ei ex iure divino habet eam unitive in ipsa spirituali contentam; ut autem convenit ei ex iure humano habet eam distinetive, ab ipsa potestate spirituali divisam atque discretam" (II, c. 8). Noch einmal ist hier die Trennung der Gewalten in ihrer Arteigenheit und die Praexistenz als spiritual konstituierte potestas temporalis dargetan 138 \ Die „una potestas" als spiritual-temporale Vollgewalt ist spirituale Vorordnung, die in sich (unitive) auf spiritual-konforme Weise die Temporalien leitet. Die „una potestas" ist nicht einmal als Gewalt der Substanz nach geistlich, dann weltlich; diese Trennung ist nur da bei geschenkter Gewalt „ex iure humano". Vergleicht man mit diesem Ergebnis die übrigen Formulierungen, dann wird es aufs bestimmteste bestätigt. Denn hier verlautet bündig, daß die geistliche Gewalt in allem vorsteht, was sich auf das Spirituale bezieht und in allem, worin das Temporale zum Gehorsam verpflichtet ist (II, c. 8)13*. Nachdem klargestellt ist, wie sehr es Jakob darauf ankommt, die kirchlich-weltliche Hoheit nicht als distinkte und spezifisch weltliche Gewalt stehen zu lassen, sondern als eine in die „una potestas" eingebettete Befugnis 138» 139

v o n d e r Saekulargewalt überlassenen Rechtstitel bleiben also im Kern „ius humanum" und sind von der „una potestas" getrennt. II, c. 7 (S. 236): „Unde spiritualis potestas etiam super temporalia quodeumque imperium habet in quantum spiritualibus nata sunt obsequi et ad spiritualia ordinari; et temporalis potestas iure divino, quantum ad omnia subest spirituali, in quantum ordinatur ad ipsam et etiam propter ipsam." Er gebraucht den Vergleich der ars ardiitectonica und der Scriptura sacra im Verhältnis zu ars subserviens und den scienciae humanitus inventae. Der spirituale Charakter der Unterordnung wird hier sehr deutlich, vor allem durch die detaillierende Zutat: „in quantum".

III. Die Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen

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darzutun, die spiritual geprägt ist und die von Anfang an („iure divino") darauf angelegt ist, diese Einheit nicht zu stören, dann kann man fragen, warum er für diese praeexistente, spiritual geprägte Gewalt nicht einfach das Attribut spiritual setzt und den Terminus temporal fallen läßt. Kurz das unternimmt, was später im 17. Jahrhundert geschieht. Offensichtlich vermag er es nicht, sich von der Perspektive und der Diktion der Tradition zu lösen, in der er sich weiß. Verfügung über Weltliches bleibt ihm, wie der ganzen hierokratischen Richtung eben temporale Gewalt. In dieser Perspektive und Sehweise befindet er sich auch keineswegs außerhalb seiner geschichtlichen Situation. Denn es bleibt die Frage, inwieweit diese Diktion von der „temporalen Gewalt" einfach nur Interpretation der geschichtlichen Umwelt darstellt, wie sie sich aus der Sakralgesellschaft, dem Sakralkönigtum, der Zusammenschau der kirchlichen und weltlichen Ordnung ergibt. Diese Frage rührt an jene andere, inwieweit ein christozentrisdies Verständnis des regnum/imperium, eine christologische Herleitung des rex überhaupt möglich ist, ohne die Kirche institutionell und konstitutiv zu beteiligen. So vollzieht sich die oft mühsame Spekulation des Jakob von Viterbo nicht im luftleeren Raum abstrakter Herrschaftsphantasien, sondern orientiert sich an den Verhältnissen selbst, mögen auch die Bedingungen sich gewandelt haben, wie der staufische Widerstand, Anagni und das Volkskaisertum des Sciarra Colonna und des Marsilius zeigen oder zeigen werden. Die weltliche Seite hat, wie auch wir sehen konnten, genug selbst dazu beigetragen, die Erhöhung durch die Kirche über den „fidelis populus" zu erreichen, sie hat selbst entscheidenden Wert auf die geistliche Einsetzung gelegt und aus ihr auch gegenüber dem verwirrenden System adliger Herrschaftsteilhabe konkreten Nutzen zu ziehen gewußt. Aus dem Ineinandergreifen der Motivationen und Fakten ergibt sich auch das Ineinanderschieben verschiedener Bedeutungen im Wort- und Begriffsfeld des „Temporalen". Die Schichten dieser Bedeutung liegen nicht sauber getrennt über- und nebeneinander, sondern greifen ineinander, es kommt zu einer Art „Verwerfungen". Temporal meint einmal die abstrakt gesehene und als solche streng für sich gefaßte natural-temporale, also generisdi homogene und uniforme Seinsweise des „weltlich Weltlichen", das im Naturalen und immanent Saekularen des geschichtlichen Jetzt nadi Ursprung, Ausübung und Zielsetzung verharrt. Es besagt in weitem Abstand hierzu die unter der Bedingung der Sünde stehende Weltlichkeit, die der Erlösung harrt und jederzeit auf sie angewiesen ist. Temporal demnach christozentrisch und soteriologisch verstanden. Sozusagen dazwischen und von beidem her geformt besagt temporal ferner denselben Bereich, wie er dem Höheren nun konkret geöffnet ist und von ihm institutionell, spekulativ und funktional umgriffen wird, wobei geschichtlich der Impuls von beiden Seiten kommt. In der Epoche, da Klerus- und Laienkirche noch nicht so stark voneinander geschieden sind, in der Zeit des regal-sacerdotalen Rektorates über die Kirche, also vor dem Investiturstreit, sogar mit deutlichem Vorrang des laikalen Impulses. Dieser Einbezug des Temporalen in „Kirche", konkretisiert in der Promotion des Herrschers und ihrer Interpretation rührt eine Problematik an, die in der Theorie der sogenannten indirekten Gewalt nicht mehr tangiert 25'

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wird. Inwieweit nämlich das spirituale Engagement fähig ist, in das temporale Gefüge selbst hineinzugehen und es umzuformen. Denn in der indirekten Gewalt, die auf der strikten Trennung der Bereiche als solcher aufruht, bleibt das natural-humane Gefüge das, was es seinem generischen Prinzip, seinem inneren Telos nach, abstrakt gesehen ist, innerweltliches Dasein. In der spiritualen Lenkung wird es spiritual, aber nicht temporal tangiert. In der These der Praeexistenz der Gewalt dagegen wird die temporale Ordnung als solche geöffnet; das Spirituale überschreitet die Grenzen der Bereiche, nicht um selbst „temporal" im Sinne des „modus inferior" der arteigenen temporalen Funktion zu werden, sondern um jene Finalität zu realisieren, die in der „ordinatio ad spiritualia" ausgesprochen ist. „Si autem aliqui temporalem potestatem habentes repugnant spirituali aut eam impediunt, hoc ex inordinata ipsorum volúntate procedit, abutentes potestate sibi concessa et non ex conditione ipsius potentie, que in obsequium spiritualis (potestatis) ordinata est a Deo" (II, c. 10). Im „obsequium" gegenüber der geistlichen Gewalt ist jene aszendente Intention apostrophiert, die grundgelegt ist in der aszendenten Provenienz der weltlichen Gewalt. Aszendente Provenienz deshalb, da sie, im Kern natural-humanen Ursprungs, im „ius divinum, quod a gratia oritur" durch die Kirche vollendet wird. Ihr kommt entgegen die deszendente Provenienz der geistlichen Gewalt, die aus ihrer eigenen Herkunft in sich auch die Gewalt über die Temporalien im vorweg innehat und diese „modo excellentiori" ausübt. Lenkung und Gehorsam entsprechen dieser jeweils auf die andere Gewalt zukommenden Struktur der „potestas regia", wie sie nur in der Heilsordnung realisiert ist: als „potestas regia spiritualis" und als „potestas regia temporalis perfecta".

IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers in der Sicht des Jakob von Viterbo Die P r i m ä r a u t o r i t ä t als indirekte Autorität. — Mögliche Fälle der E x e k u t i v g e w a l t . — D i e relative Selbständigkeit der human-saekularen T e m p o r a l g e w a l t .

Die praktischen Folgerungen für die päpstliche Stellung zieht Jakob vor allem aus der These der Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen. Zunächst verbindet er mit dem Begriff der Praeexistenz die Primärautorität 140 . Diese kommt in einzigartiger Weise dem Papst selbst zu, den Bischöfen nur partitiv, da diese keine Vollgewalt besitzen. — Die Unterordnung des Temporalen wird ausdrücklich als mediat bezeichnet: „Amplius, omnia bona temporalia, que subsunt potestati temporali, subsunt etiam spirituali non tarnen eodem modo; quia temporali subsunt immediate, spirituali vero mediate. Temporali subsunt quantum ad immediatam administrationem et dispensationem; spirituali quantum ad principalem ordinationem" (II, c. 8). In diese Definition sind nicht die Temporalien eingerechnet, die als Annexe des Spiritualen der Temporalgewalt gar nicht unterstehen. Die Unterordnung „non eodem modo", näher als „mediat" und als „principalis ordinatio" interpretiert, verweist einmal auf den „excellentior modus", in dem die Praeexistenz sich manifestiert, dann auf das Bemühen, die „principalis ordinatio" von jeder unmittelbaren, direkten Gewalt abzuheben. Inhaltlich wird sie als „imperium, nutus, directio" umschrieben; wir haben genau die Begriffsebene, die sich seit den Versuchen des 12. Jahrhunderts, die päpstliche Gewalt zu beschreiben, uns darbietet und eben den „excellentior modus" ausmacht. Welchen Charakter trägt diese genannte Trias? Sie wurde bereits als spiritualisiert gekennzeichnet. Das müßte sich bestätigen, wenn wir die Fälle betrachten, in denen aus der Erstgewalt unmittelbares Eingreifen wird. Auf eine höchst bezeichnende Stelle hierzu, der Interpretation des aus dem C C stammenden päpstlichen Rechtes „iure humano", wurde schon aufmerksam gemacht (vgl. oben). Es ergab sich eindeutig, daß bei diesen Rechten (Vakanz des Imperium) die temporale Gewalt des Papstes „magis distinguitur a spirituali" (II, c. 8), während die praeexistente Gewalt „ex iure divino" notwendigerweise „a gratia" geprägt ist141. Entsprechend diesem Grundzug 140

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II, c. 8 (S. 2 4 6 ) : „ D i e T e m p o r a l i e n sind der Spiritualgewalt Untertan q u a n t u m a d principalem o r d i n a t i o n e m . " — II, c. 7 (S. 237) „temporalis potestas dicitur preexistere in spirituali secundum p r i m a m et s u m m a m a u c t o r i t a t e m . " II, c. 7 (S. 2 3 3 ) : „ Q u o d autem h o m o fidelis sit super homines fideles est ex iure divino, q u o d a gratia o r i t u r . " Vgl. A n m . 131. — Dieses „ius d i v i n u m " w i r d d u r d i die „potestas spiritualis" vermittelt, und z w a r die „potestas iurisdictionis"; diese aber ist nach II, c. 3 (S. 177) j a eine „potestas regia ex institutione divina vel a iure divino, q u o d procedit a

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der Erstgewalt müßten nun auch die Fälle möglichen Eingriffs gekennzeichnet sein. Grundsatz für Jakob ist, daß die spirituale Gewalt „etiam super temporalia preest, in quantum ordinantur ad finem salutis" (II, c. 7), oder in einer andern Formel: „in quantum ipsa vita corporalis et ad ipsam conferentia organice ad salutem adminiculantur". (ebda). Diese spirituale Zielsetzung findet sich in der Begründung der Gerichtsbarkeit über die potestas temporalis „ratione delicti" und „pro defensione ecclesie" (II, c. 7), womit der weite Bereich des Königschutzes über die Kirche und der Wahrung der Rechtsordnung angesprochen wird. Was die weiteren Fälle angeht, in denen nach der Formel Innozenz' III. ein Eingriff erfolgen kann, so ist das Sdiema des Ägidius erkennbar14': Einmal bei Temporalien, die mit den Spiritualien verbunden sind (Zehnten, Mitgift, Erbschaft als Annex der sakramental geschlossenen Ehe). Bei den crimina als „spiritualia mala", die dem Richter gemeldet werden (cum denunciatione criminis). Bei Gefährdung des Friedens, denn Friede ist ein „spirituale vinculum", bei Defekt der weltlichen Herrschaft, Appellation (Situation von „si duobus"), bei einem „difficile et ambiguum" (vgl. „Per venerabilem"). All diese Fälle gelten entsprechend einer „lex specialis", gemeinhin darf sich die Kirche nicht einmischen. Der Umfang dieser lex entspricht genau dem, was sich in der kanonistischen Tradition und kirchlich-politischen Praxis entwickelt hat. Hervorzuheben ist die Kennzeichnung der ersten Gruppe als spiritual, während im übrigen die Wahrung der Rechtsordnung anzunehmen ist. Eingriff bei Appellation erfolgt entsprechend der Regel Alexanders III. (si duobus), hier ist das Einverständnis des Fürsten erforderlich14'. Die Exekutiv-

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gratia". Der Inhaber dieser iurisdictio ist (S. 181) ein „rex". Die Vermittlung des christlichen Charakters geschieht im Zuge desselben ministerium, das auch den Menschen zu einem Christen macht: „Sicut enim per ministerium spiritualis potestatis efficitur aliquis christianus, ita efficitur aliquis princeps diristianorum ministerio eiusdem potestatis, cui quilibet christianus iure divino subicitur." Hiernach wäre an der kirchlichen Promotion auch die potestas ordinis beteiligt. Jakob bejaht das, wenn er weiterfährt: „Et est sciendum quod cum sit duplex potestas spiritualis scilicet ordinis et iurisdictionis, utraque quodam modo requiritur ad institutionem principum diristianorum, quia ex potestate iurisdictionis eligitur, ut sit princeps et potestatem habeat; sed ex potestate ordinis adhibetur unctio et consecratio, que designat firmitatem et sanctitatem potestatis eius." Am Abschluß einer Entwicklung des hierokratisdien Gedankens und der kirchlichen Promotion des Herrschers samt der sie tragenden sakralen Umwelt wird hier die quasi sakramentale Wertigkeit der Konsekration des Herrschers deutlich. II, c. 8 (S. 254), hierzu Aegidius De eccl. pot. III, c. 5, 6, 7, 8. — Die Reihenfolge der Fälle stimmt mit Aegidius überein, Jakob zieht jedoch einzelne Argumente zusammen oder läßt sie aus. — Aegidius hat 10 Fälle (vgl. S. 395 ff), drei ex parte rerum temporalium, Jakob ebenfalls; vier Fälle ex parte potestatis terrene, Jakob hat drei; das erste Argument des Aegidius: ex secularis domini carencia fehlt bei Jakob. — Offenbar gehen beide Aufzählungen auf die kanonistische Tradition zurück, wobei eine gegenseitige Abhängigkeit nicht erforderlich ist. — Aegidius ist mit seiner Einteilung nach res, potestas terrena, spiritualis selbständiger. Jakob folgt in der Reihenfolge, jedoch bringt er nicht das aegidianische Einteilungsprinzip. II, c. 8 (S. 254 f), die Dekretale wird nicht ausdrücklich genannt, aber der Wortlaut verändert darin leicht den Tenor der Dekretale (II, 28, 7: si duobus), da hier die strenge

IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers

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gewalt spiegelt sowohl die artgemäße Eigenständigkeit, wie die Zuordnung der Bereidie. Die Eigenständigkeit darin, daß im Bereich des „usus", der „immediata executio", der Herrschaft selbst, die temporale Funktion und Verantwortung bleibt. Es war ja auch nicht Sinn der Praeexistenz, die potestas temporalis in der Kirche aufgehen zu lassen. Die Temporalien sind ihrer artgemäßen, sozusagen ersten herrscherlichen Lenkung nach ihrer kompetenten Obrigkeit Untertan, entsprechendes gilt für die Spiritualien. Daher können Fürsten kirchliche Benefizien auch nicht aus eigener Kraft sondern nur „instrumentaliter et ministerialiter" (II, c. 8) mit Erlaubnis der Kirche verleihen. Es gibt kein temporales „Eigenrecht" über kirchlichen Besitz. Jakob hat seine vermittelnde Ansicht, die mit ihr verbundene These von der imperfekt-informen Geltung des „ius humanum", entfaltet, um sowohl die Obrigkeit als Frucht -der natürlichen Neigung, als „opus naturae" belassen zu können, wie auch der hierokratischen Sicht gerecht zu werden. Daher kann der Staat für ihn nicht überflüssig sein. Er nennt dazu fünf Gründe: 1) Die Verschiedenheit der temporalen Aktion von der Kirche und vom Fürsten her, 2) die Verpflichtung des kirchlichen Amtes auf die geistliche Tätigkeit, 3) die erforderliche innere Freiheit des Hierarchen, 4) die Hilfsbedürftigkeit der Kirche144, 5) die gestufte Eigentätigkeit als Ausdruck der Güte der Ordnung (ordinis bonitas). Im Stile der Lehre von den „causae secundae" und der „lex communis" versucht Jakob, das spirituale Eingreifen als Ausnahme klar zu machen145. Das Bemühen, die Position des Temporalen relativ eigenständig im Ganzen des corpus christianum zu sehen, wird schließlich aus den Antworten auf die kritischen Einwände ersichtlich (II, c. 10). Noch einmal zeichnen sich einige wesentliche Aspekte der Thesen des Autors ab. Maßgeblich für diese relative Eigenständigkeit bleibt die zweifache Gesetzlichkeit des Fürsich und des Zueinander, man kann auf dieser Linie die Stellung der potestas temporalis auch als zugeordnetes Fürsich umschreiben. Gott hat beide Bereiche und Obrigkeiten zum Nutzen der Menschheit eingerichtet, beide nehmen am Auftrag dessen teil, was Gewalt intendiert (unum commune, quod est potestas); sie schließen einander nicht aus, sondern unterstützen sich. Die königliche Gewalt ist in sich gut: „secundum se bona est et ad utilitatem humane societatis ordinata est a Deo". Das geht gegen die Anschauung, daß das Königtum der Juden nur zugelassen worden sei, also etwas Schlechtes sei. Es heißt unmißverständlich, daß Gott David und andere

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Verbindlichkeit der Appellation audi bei anerkannter consuetudo verneint wird (secundum iuris rigorem credimus non tenere), während Jakob formuliert: „precipue de illis in quibus consuetudo habet ut appelletur ad eam et consuetudo talis tolleratur a principe seculari et ab ecclesiastico iudice approbatur et confirmatur". Damit ist mit dem Konsens des Fürsten eine Einschränkung gesetzt, die aber durch das precipue wieder scheinbar keine strikte Verbindlichkeit aussagt. Jedoch bezieht sich das precipue auf die consuetudo, für die consuetudo ist die Genehmigung des Fürsten erforderlich. Daraus eine stillschweigende Ablehnung der Dekretale Alexanders zu schließen, geht zu weit. II, c. 7 (S. 249 f). — Aegidius D e eccl. pot. II, c. 13—14 sieht den vierten Punkt Jakobs nicht in dieser Bestimmtheit (vgl. II, c. 14 S. 134). Aegidius zählt übrigens sechs Gründe auf. II, c. 7 (S. 251 f). Jakob zitiert ausführlich Bernhard De consideratione I, 6 (PL 182 c. 735). Im Tenor der Argumentation wirkt Jakob zurückhaltender als Aegidius.

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C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

erwählt habe; die viel berufene Erhebung Sauls erklärt Jakob als eine Art Bestrafung des ungeordneten Willens der Juden wegen. Sie dient ihm jedoch nicht als Beweis für die Fragwürdigkeit des Königtums überhaupt. Dieselbe Linie: „relative, gestufte Selbständigkeit der Gewalten" verfolgen auch die übrigen Argumente. Jakob kann sich zwar nicht dafür entscheiden, wie es der gegnerische Einwurf will, daß das regnum nur „spiritualiter" im streng kirchlich-jurisdiktionellen Sinn unterworfen sei. Wäre das der Fall, dann könnte der Papst nur eine kirchliche Sentenz (Exkommunikation) aussprechen, nicht jedoch zur Absetzung — also Friedrichs II. — schreiten. Aber gerade dieses Recht soll ja der Kirdie vorbehalten bleiben. Auch Bellarmin gesteht im Rahmen der „potestas indirecta" um einer „necessitas spiritualis" willen die Deposition zu146. Nur nennt er auch dieses Recht, aus der Intention auf die spirituale Notwendigkeit hin, spiritual, während Jakob in der tradierten Diktion hier von temporaler potestas spricht. Bellarmin vermag die terminologische und spekulative Trennung klarer durchzuführen, da er zuvor die Bereichstrennung ebenso eindeutig herausarbeitet. Jakob vermag diese Sicht noch nicht zu vollziehen. Er will, wie seine Richtung überhaupt, die Ansicht der Imperialen abwehren, nach denen nur streng kirchliche Strafen, ohne weltliche Folgen, möglich gewesen wären, das heißt, die kirchliche Sentenz hätte die Herrschaft selbst nicht berührt. Ordnung wäre damit nicht unter Ordnung gestanden. Der hierarchische Stufenbau vom Temporalen zum Spiritualen hätte gerade an der rechtlich-politisch entscheidenden Stelle nicht bestanden. Aber gerade dieser Stufenbau sollte ja erwiesen werden. Das ist auch der Grund, weshalb Jakob das Argument der ordinativen Selbstverantwortlichkeit des regnum nicht annimmt. Ihm — temporalia autem sunt extra ordinem spiritualis — entgegen hält er die gegenseitige Zu- und Unterordnung: „Ad id quod inducunt de duplici ordine potestatum dicendum est, quod non sunt sie diversi ordines, quoniam unus reducatur in alium, sicut ordo corporalium alius est ab ordine spiritualium et tarnen corporalium ordo subest ordini spiritualium". Zuvor hieß es, daß zwar der „rex precellit in ordine potestatum temporalium", also Inhabe der Höchstherrschaft, aber dieser Vorrang „in ordine" schließt nicht, nach der Analogie des „supremum in genere", den Vorrang des Papstes aus (II, 10). Als „genus" ist hier die „ecclesia" gesehen, das heißt, Herrschaft ist als „ordo in ecclesia" gefaßt, das paßt bis auf die Wortwahl genau zur Vorstellung des Hugo von St. Viktor" 7 . Man sieht, wie sehr die ekklesiarche Konzeption in ihren Grundlagen vom Bild der Kirche selbst abhängt. So sind die Sätze, in denen Ursprung und Funktion der Herrschaft als eigen erklärt werden, immer in dieser Einschränkung zu verstehen. Die Frage nach der Herleitung der weltlichen Gewalt entzündet sich an Rom. 13, 1: „non est potestas nisi a Deo". Der Autor wiederholt noch einmal die naturalhumane Begründung: „est (potestas) a Deo, mediante institutione humana, 147

II, c. 10 (S. 285). — Zu Bellarmin vgl. Anm. 90 und Arnold, S. 352. Hugo De sacr. II, 2 c. 3 (PL 176 c. 4 1 7 ) : Universitas autem haec (ecclesia-multitudo fidelium, universitas Christianorum) duos ordines complectitur, laicos et clericos, quasi duo latera corporis unius. — Jakob II, c. 10 (S. 286).

IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers

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cuius natura inclinât ad regimen sicut ad socialem vitam" (II, c. 10). Daher könne man sagen, potestas sei von Gott „mediante coopérationis naturalis inclinationis et institutionis". Diese Institution bleibt zwar „informe et imperfectum", ihr „esse formatum et perfectum a Deo" erhält sie vermittels der hierarchischen Gewalt in der Kirche innerhalb der sakramental-gnadenhaften Ordnung (que a gratia procedit et ad gratiam ordinatur"). Die Perfektion besagt soziativ gesehen die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft. Die weltliche Erhebung installiert den Herrscher über die immanent saekulare Gemeinschaft, die kirchliche Promotion macht den christlichen Herrscher: „Sicut enim per ministerium spiritualis potestatis efficitur aliquis christianus, ita efficitur aliquis princeps christianus ministerio eiusdem potestatis, cui quilibet christianus iure divino subicitur"147a. Man sieht Sache und Wort: christlicher Fürst ist in streng hierarchisch-ekklesiologischen Sinn genommen. Ich bin nicht Christ als Privatmann, sondern als der in die Heilsgemeinschaft aufgenommene und über das gläubige Volk gesetzte Herr. Christlich besagt hier, daß es beim regimen um" eine soziative Angelegenheit geht, um soziative Funktion und Institution, es stellt den Einzelnen und den Herrscher in eine von der Natur und Ubernatur her geformte Umgebung. Christlich hat öffentlichkeitscharakter, dies verstanden als rechtliche Formierung, die den Gläubigen in diese vom ius humanuni und divinum, a natura — a gratia geordnete universitas hominum-fidelium bindet. Der Herrscher erfährt seine Installation zweifach: „secundum esse imperfectum est a Deo mediante institutione humana quasi naturali; sed secundum esse perfectum est a Deo mediante institutione humana supernaturali" (II, c. 10). Human-naturale und human-supernaturale Installierung, diese Relation macht den eigentlich spiritualen Charakter des „habet instituere ut sit" in der Formel Hugos, die ja hinter dieser Argumentation steht, greifbar. Das Wechselspiel von naturaler und supernaturaler Legitimität wird endlich bemerkenswert vorgetragen in der Interpretation der Schenkung Konstantins. Wir erinnern uns an die Illegitimitätstheorie von „Eger cui levia" und des Hostiensis (vgl. T. I, X, c.). Die These, daß der Kaiser nicht „de iure" sondern „de facto" die Schenkung vollzog, da das römische Reich nach dem Maßstab von DcD IV, 4 (Regna sine iustitia . . . latrocinia) ein „latrocinium" gewesen wäre, beantwortet Jakob mit dem erneuten Hinweis auf die von Gott gesetzte und in sich notwendige Existenz eines regimen: „presertim quia homo naturaliter est animal sociale et communicativum" (II, c. 10)148. Innerhalb dieses Rahmens unterscheidet er dann verschiedene Weisen des Herrschaftserwerbs. „Recte quidem pervenit aliquis ad regimen quando, vel ex condicto et communi consensu multitudinis, preficitur, vel preter hoc ex ipsius Dei speciali ordinatione, ut in populo Israelitico factum est, seu ex institutione illorum qui vicem Dei gerunt, ut in populo christiano debet esse". Allerdings kann ein schlecht erworbenes Regiment später auch wieder gut werden, ebenso kann der umgekehrte Fall eintreten. Im ganzen gilt die Regel, daß das Kriterium eines „regnum iustum et 1478 148

II, c. 10, S. 296. II, c. 10 (S. 301 ff).

394

C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

legitimum" im rechten Erwerb und Gebrauch liegt. Von hier aus kann auch der heidnischen Herrschaft ihre Legitimität nicht pauschal abgesprochen werden: „quia apud gentiles aliqui potestatem regis recte sunt assecuti, et ipsa potestate sunt recte usi, ideo apud eos fuerunt aliqua regna legitima et iusta". Nach dem Vorbild des Augustinus gilt diese Regel auch für das Römerreich. Zwar schlechter Beginn (per latrocinia et violentias), dann aber „quodam modo iustum et legitimum". Die Einschränkung rührt her von den Bedingungen des Ursprungs, dem Defekt im Glauben, wegen einzelner Ungerechtigkeiten. Konstantin besaß das Reich „humano iure" gerecht, daher nahm Silvester „humano iure" auch die Würde des Imperium an. Nur ein Reich, in dem jede Gerechtigkeit fehlt (iustitia qualiscumque) kann latrocinium genannt werden. Daß dem konstantinischen Reich die volle Gerechtigkeit, im Sinne der durch den Glauben geformten Gerechtigkeit, fehlte, ändert an dieser grundsätzlichen Anerkennung nichts. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der Ebene des Human-Naturalen kann es überall geben: „Iniustum autem per omnem modum regnum potuit esse et potest, et fuit et est aliquando tarn apud fideles quam apud infideles". Auch diese Bemerkung spricht für sich. Jakob will sich die Einordnung des Temporalen in den Raum des „ius divinum a gratia" nicht dadurch erleichtern, daß er die naturale Legitimität übergeht, auf sich beruhen läßt oder voreilig sonst entwertet. Freilich, und man wird diese Kritik nicht aussparen dürfen, kommt diese Anerkennung nicht in der notwendigen Bestimmtheit und Intensität zur Geltung. Der Eigenständigkeit des „ius humanum a natura" mußte, selbst wenn man der These von der relativen Ergänzungsbedürftigkeit als „esse imperfectum et informe" nicht die Berechtigung absprechen wollte, doch zugefügt werden, sei es nun als Voraussetzung oder begleitende Bedingung, daß regnum und imperium als saekulare Ordnung die Endgültigkeit ihres Bereiches in sich tragen. Aber daran hindert ihn sein Bild der Kirche und der in ihr installierten potestas temporalis (vgl. S. 392). Stärker als der Aspekt, der das Temporale in sich verschlossen läßt, ist die es im Sinn der „ordinatio ad spiritualia" öffnende Grundsicht. Sinn der perfektiven und formativen Promotion des Herrschers ist es, der weltlichen Gewalt die Zielintention des höheren Bereiches zu geben: „instituit eam perfective in quantum dat ei operandi modum et formam secundum exigentiam finis, quem ipsa superior ars intendit" (II, c. 10). Das ist der Sinn des „primum movens" wie das bernhardinische Wort vom „nutus" des Priesters gedeutet wird149. Nutus wird hier als „predicatio" und „exhortatio" gefaßt, die den Charakter einer „quedam iussio" besitzt. Das hört sich freilich anders an, als es die weitausholenden Formeln von der spiritual-temporalen Gewalt sonst vermuten lassen. II, c. 10 (S. 290). „nutus est signum voluntatis. Per predicationem autem et exhortationem, spiritualis indicat se velle fieri vindictam de malefactoribus." Das bezieht sich auf die Interpretation des „nutus" als „suadere armorum sumptionem contra maleficos principi seculari". Also eine Aufforderung (iste nutus quedam iussio est), die vom Apostel Petrus I, 2, 14 geforderte Aufgabe des Herrschers zu erreichen. Oder wie Jakob es ausdrückt: „non est aliud quam legis divine predicatio et, ut principes divine legi obediant, exhortatio". Hier ist die weltliche Funktion des Herrschers als Vollzug der „divina lex" gesehen.

IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers

395

Die Installation der weltlichen Gewalt in der Kirche hat ihre Wirkung audi auf das innere Wesen der Herrschaft. Wie die geistliche Gewalt die weltliche vorherbesitze, so nehme letztere ihrerseits an der geistlichen Gewalt teil, nicht im Vollzug geistlicher Funktionen, sondern ministrativ, indem sie „spirituali consequitur et ministrat, et actus quos exercet ad finem spiritualis ordinat si recte utitur sua potestate" (II, c. 8) ,Ma . In dieser Hinordnung der saekularen Akte erfüllt sie ja die innere Ausrichtung des Temporalen. Mag auch das nächste Ziel der potestas temporalis von dem der spiritualis geschieden sein, dennoch bleibt das letzte Ziel das gleiche, die „beatitudo supernaturalis" (II, c. 8). Vor diesem eschatologischen Horizont erhält die Gewaltenlehre selbst esdiatologisdie Dimension, und die Herrschaft über die Welt in der Kirche ist im Blick auf das letzte Ziel selbst „ultimativ" gesehen. In dieser eschatologischen Dimension wird dann auch die saekulare Herrschaft in gewisser Weise spiritual (aliquo modo spiritualis). In dieser Perspektive wird ein wesentliches Anliegen der hierokratisch-ekklesiarchen Doktrin anschaulich, die „potestates" nämlidi zusammen in die Raum und Zeit überspannende Teleologie der „nova creatura" zu nehmen. Dieser Zug ist geschichtlich und zugleich ungeschichtlich, indem zeitlose Maßstäbe gesetzt werden. Wenn somit das Temporale in seiner spezifischen, geschichtlichen Wertigkeit zu kurz kommt, in dieser eschatologisch gesteigerten Einfügung in die Heilswirklichkeit erfährt sie andrerseits eine in ihrer Weise singuläre „Aufwertung". Zu dieser Spiritualität der temporalen Funktion kommt die personale Spiritualität des Fürsten selbst. Seiner Lebensform gemäß, der vita activa, soll er ein „spiritualis" sein. Jakob führt kurze Beispiele an, ein kleines Brevier fürstlichen Verhaltens. Nur der gerecht, fromm und klug handelnde Herrscher ist wahrer König150. Er soll Gott Untertan sein, um selbst Gehorsam fordern zu können; Gott fest anhängen, damit er selbst das Steuer halten kann. Nicht das Eigenwohl sondern das Gemeinwohl suchen. Die Kirche soll er in ihren Vorstehern schützen und verehren, den Kult ausbreiten helfen; die Guten beschützen, die Schlechten strafen, sich durch Wohltun beliebt, durdi gerechte Strafen gefürchtet machen. Bei der Wahl des Königs soll Gottes Stimme in seinen Vertretern gehört werden, denn christliches Volk soll keinen ungläubigen Herrscher erhalten. Worauf sich diese Bemerkung konkret bezieht, ist nicht zu sagen. Reichtum soll er in geordneter Weise besitzen und gebrauchen. Er soll sich im Gesetz bilden, vor allem im göttlichen Gesetz, denn er soll das Leben der Gemeinschaft auf das letzte Ziel lenken: „bona vita multitudinis... ordinanda est ad finem qui est beatitudo celestis ideo ad officium regis pertinet; sie bonam vitam multitudinis procurare sicut convenit ad celestem beatitudinem consequendam". Dieser Weg ist aber im göttlichen Gesetz vorgezeichnet, das in der „doctrina sacerdotum" ausgelegt wird. So ist er zugleich an das priesterliche Lehramt gebunden. Ziel der Staatsfüh-

,M

II, c. 8 (S. 260): „Est enim sciendum, quod quia bona vita multitudinis, quam rex intendere debet, ordinanda est ad finem, qui est beatitudo celestis, ideo ad officium regis pertinet, sie bonam vitam multitudinis procurare, sicut convenit ad beatitudinem celestem consequendam." II, c. 8 (S. 258 ff).

396

C. Jakob von Viterbo — Das Problem der einen geistlich-weltlichen Gewalt

rung ist nicht nur die natürliche Wohlfahrt, daher soll das weltliche Gesetz auch von der Kirche geprüft werden. Stellen aus dem Idealbild, das Augustinus vom Herrscher entwirft (DcD V, 24), aus Pseudocyprian, Isidor, Hugo von St. Viktor, dem Ordo der Herrscherweihe beschließen dieses Porträt 151 . Es wird noch markiert durch das abschreckende Bild des Tyrannen nach Richard von St. Viktor152. So kann er dann in Erwiderung auf den Vorwurf, daß Petrus nur die Schlüssel des Himmelreiches besitze, sagen, daß das regnum terrenum zwar introvertiert und autark saekular verstanden werden könne als nur auf sich selbst als letztes Ziel gerichtet. Das wäre aber genau das „regnum diaboli"15®. Petrus habe es jedoch mit dem „regnum terrenum peregrinantium" zu tun. So sei auch die christliche Herrschaft zu verstehen. Weil aber der König diesem „Reich auf der Wanderschaft", wie man sagen kann, vorstehe, besitze er in gewisser Weise die Rechte des himmlischen Reiches. Nicht in unmittelbarer Verfügung über das Geistliche, aber „secundum aliquem modum et per consequens". Wieder erscheint die aus der eschatologischen Intention gewonnene Spiritualität der saekularen Herrschaft. Jakob führt in dieser geschlossenen Sicht von innen her die auf die Verwirklichung der Heilsbotschaft gerichtete Gewaltenlehre über Ägidius hinaus. Der einen Lenkung von oben entspricht eine gleichgeordnete Zielrichtung von unten. Die neuplatonisdi-christliche Weltsicht ist konsequent auf die Gewaltenlehre übertragen. Geistliche und weltliche Ordnung einen sich in Lenkung und Dienst in einem großen Werk. Die Welt vermag sich diese Zielsetzung nicht aus eigener Kraft zu geben. Aus Eigenem vermag der Staat seine natürlichen Ziele anzustreben, nur durch die Vermittlung der Kirche erhält er seine Richtung auf das Ewige. Er bleibt im aristotelisch-scholastischen Sinn naturales Gefüge, aber geöffnet und hingeordnet auf eine transzendente Realität. Das Bild, das Jakob von der hierarchischen, im Papst gipfelnden Führung auf dem Weg zur beatitudo celestis entwirft, entspricht dem papalistischen Schema. Vom Papst ist die in der Kirche existente Gewalt auf die übrigen 151

15S 153

Augustin D c D V, c. 24 (Herrscherspiegel); Pseudo-Cyprian (ed. Hellmann): nonus abusionis gradus S. 52. — Hugo, De sacr. PL 176 c. 420. — Isidor PL 83, 720/21. — Richard PL, 96 c. 698. II, c. 8 (S. 266). — Richard, In apocalypsim PL 196 c. 698. II, c. 10 (S. 301): „Sic et princeps secularis dicatur preesse regno terreno (im Sinne der societas bonorum peregrinantium in terris), tarnen habet aliquo modo iura celestis. Quamvis enim non habeat potestatem immediate super spiritualia, per quo fit h o m o celestis, tarnen habet potestatem immediate super temporalia et terrena, ut ordinantur ad spiritualia et obsequuntur eis. Ideo dictum est supra quod potestas regia temporalis dicitur spiritualis secundum aliquem modum, et per consequens, dici potest eodem modo celestis. N a m etsi ex propria ratione non ordinetur nisi ad finem naturalem, in quantum dirigitur imperio spiritualis potestatis, ordinatur ad finem supernaturalem, quem intendit immediate ipsa spiritualis potestas." —. Interessant an dieser Stelle ist die arteigene naturale Zielsetzung, ferner die Spiritualität, die sie im imperium der spiritualen Gewalt und in der spiritualen Ordination der Temporalien, über die sie auch verfügt (ut ordinantur ad spiritualia), erhält. Fast könnte man hier von einer mediaten-indirekten spiritualen Gewalt der weltlichen Herrschaft sprechen. Temporalität der Spiritualgewalt — Spiritualität der Temporalgewalt. Beide sind nidit konvergent und entsprechungsgleich, aber sie zeigen doch die innere Verschränkung der spiritual-temporalen Ordnung.

IV. Die Primär- und Exekutivgewalt des spiritualen Amtsträgers

397

Vorsteher abzuleiten154, als Vollgewalt ist sie ohne Zahl, Gewicht und Maß, als untergeordnete Gewalt nimmt sie an dieser Vollgewalt teil. Freilich hat auch die Vollgewalt ihr Maß an der Gewalt Christi selbst. Den weltlichen Fürsten gegenüber hat auch der Bischof kirchliche Jurisdiktion, der Papst kann dieses Richteramt über alle Fürsten ausüben „secundum omnem modum iudicii, qui communicatus est spirituali potestati"155.

154

155

II, c. 9 (S. 272): „tota potentia gubernativa, que a Christo communicata est ecclesie, sacerdotalis et regalis, spiritualis et temporalis est in summo pontífice Christi vicario . . . et per ipsum ad alios derivari secundum participationem et ordine quodam . . . Dabei ist dem Papst nur die Gewalt verliehen, die „ad salutem hominum necessaria", keineswegs alle mitteilbare Gewalt. II, c. 7 (S. 235).

D. B O N I F A Z V I I I . , D I E B U L L E „UNAM SANCTAM" U N D DER WIDERHALL DER EKKLESIARCHEN D O K T R I N IN DER KURIALEN P U B L I Z I S T I K D E S 14. J A H R H U N D E R T S

I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam sanctam" Drei Aussagekreise in der Lehre des Papstes über die päpstliche Temporalgewalt. — Die päpstlichen Aussagen in der Zeit nadi dem Interregnum bis auf Bonifaz VIII. — Die hierokratisdie These des Papstes. — Bonifaz und das „regnum Franciae". — Die Bulle „Unam sanctam".

H. Finke macht in seinem grundlegenden Werk zum Verständnis des Gaëtani-Pontifikates auf flandrische Gesandtenberichte aufmerksam, die den Papst und seine Umgebung aus der Überzeugung der geistlich-weltlichen Vollgewalt sprechen lassen: „que souverains estoit-il dou roy de France en spirituel et en temporel", erwiderte darnach Bonifaz auf eine entsprechende Adresse der Legaten Guidos von Flandern. Matthaeus von Aquasparta, ein Hauptsprecher der Kurie im großen Streit mit Philipp dem Schönen, predigte derselben Quelle zufolge im Jahre 1300, das wäre demnach vor der Abfassung der Traktate von Ägidius und Jakob v. Viterbo, der Papst sei: „sire souverains temporeus et spirituels deseure tous, quelque il soient, ou liu de Diu" 1 ". In der berühmten Approbationsanspradie für Albrecht I. formuliert Bonifaz seine Vollgewalt dann so: „nec aliqua terrena potestas aliquid habet, nisi quod recipit ab ecclesiastica potestate... omnes potestates... sunt a Christo et a nobis tamquam a vicario Jesu Christi" (MGH Const. IV, 1 n, 173; n. 1). Das wird gesagt 1303 kurz vor dem Uberfall in Anagni und ist somit eine der späten Aussagen. Daneben steht dann aber die Äußerung in der großen Konsistorialansprache vom Sommer 1302, also dem Jahr der Bulle „Unam sanctam" (18. XI. 1302), in der er auf seine vierzigjährige Erfahrung als Kanonist verweist und die ihm zugesprochene Meinung, der französische König solle sein Reich als von ihm abhängig anerkennen, als „fatuitas" und „insipientia" bezeichnet157. Dazu kommt als lehramtlicher Höhepunkt, von ungleich offiziellerem autoritativem Gewicht „Unam sanctam" selbst, mit ihren Passagen über die Einsetzungs- und Richtergewalt der Kirche gegenüber der „temporalis auctoritas". Wir haben drei Aussagekreise: Den der stringent hierokratischen Richtung, den der Konzilianz gegenüber den 1M

157

H. Finke, Aus den Tagen Belgique X X V I I I , 81; 79. Dupuy, S. 77.

Bonifaz VIII.,

S. 154 f

nach:

Mémoires de

l'académie

I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam sanctam"

399

Ansprüchen des „rex qui nulli subest" und den einer allgemeinen Behauptung des kurialen Standpunktes, wie er in „Unam sanctam" hervortritt. Die Ansprache vor den Gesandten Albrechts und die im Sommerkonsistorium von 1302 würden so die beiden Pole, die Bulle eine Art Zwischenglied bilden. Beginnen wir bei den extrem formulierten Aussagen. Wir haben die päpstlichen Verlautbarungen mit Innozenz IV. und der Auseinandersetzung mit Friedrich II. verlassen. Seither wiederholte sich in einem halben Jahrhundert das quälende Schauspiel um eine Neubesetzung des Kaiseramtes im Hin und Her zunächst der Bewerber des Interregnums, dann nach der Wahl Rudolfs unter den Störaktionen der Anjou und der antikaiserlich eingestellten Kurialen, vor allem antistaufisch orientierter Päpste selbst, das leidige Bemühen des Königs um die Anerkennung und die Krönung, die ihm schließlich doch versagt blieb. In dieser Zeit und unter der Nachwirkung der Angst vor den Staufern sucht man das Imperium zu vergessen, wie es Alexander von Roes in Rom feststellt, oder es wird die Abhängigkeit des Reiches von der päpstlichen Gunst umso offensichtlicher, je mehr sich die Krönung verzögert158. Aus den zahlreichen Dokumenten, die das Ringen um die Anerkennung Rudolfs und später Albrechts begleiten, geht hervor, daß aus der „examinatio" des gewählten römischen Königs eine auch von der Wählerseite erbetene Approbation geworden ist, der dann, in Form einer „nominatio" gekleidet, die päpstliche Anerkennung folgt (Gregor X. an Rudolf: te regem Romanorum de ipsorum consilio nominamus; MGH Const. III n. 66, 1274)15*. Dieser wechselseitige Vorgang ist eingelassen in den Rahmen einer grundsätzlichen Behauptung und Anerkennung der päpstlichen „translatio imperii"1'0. Uber diese historisch gegründeten Ansprüche hinaus wird 158

1,0

M G H Staatsschriften des spät. Mittelalters I, Die Schriften des Alexander v. Roes, vgl. Memoriale c. 2, zum Erlebnis in Viterbo „in urbe quam extra", daß im Messkanon „dignitatis regie memoria" fehle. Wahlanzeige Rudolfs I. M G H Const. III, n. 14: „Vacante iam pridem imperio, ne diutius sie oberramus a c e p h a l i . . . ad reipublicae causam . . . eum in regem Romaorum imperatorem futurum . . . eligentes. — Processum vero tarn rite tarn provide tarn mature de ipso sit habitum graciose approbationis applausu benivolo prosequentes." M G H Const. III, n. 192 (1278): „quod eadem ecclesia ipsos in dulcedinis benedictione perveniens transferendo de Grecis imperium in Germanos eisdem dederat id quod erant." n. 222: mit weit ausholender gelasianisdier Programmatik „Summa reipublice tuicio de Stirpe duarum rerum sacerdocii et imperii divina institucione proveniens vimque suam exinde muniens h u m a n u n i genus salubriter gubernavit in p o s t e r u m et reget Deo propicio in eternum. Hec sunt duo dona Dei maxima quidem in Omnibus a superna collata clemencia, videlicet auetoritas sacra pontificum et regalis excellencia potestatis." Es folgt die gelasianische Formel der „acribus propriis et dignitatibus distinetis", die Herkunftsformel der Gewalt „a quo (Deo) reges et regna sumpsere prineipia", die Translation. Eine H e r leitung der Gewalt vom Papst wird nicht ausgesprochen, es heißt hierzu nur „beneficia". — Der Tenor dieses Schreibens wird deutlich, wenn man es gegen dasjenige der Kurfürsten stellt, n. 225. Es beginnt mit dem Bild der Translation, verbunden mit der „Pflanzung" der Kurfürsten als „arbores electos", „ut ipsius ecclesie auetoritate suffulti velut germen electum per ipsorum electionem illum, qui frena Romani teneret imperii, germinarent". Dann folgt die Lichterlehre — luminare minus/maius. Zum Papst heißt es dann mit der bernhardinischen Schwertlehre: „Hic est qui materialem gladium ad ipsius nutum executit et convertit, ut eius presidio pastorum pastor a d i u t u s . . . spirituali gladio protegendo

400

D . Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

freilich, wenn man vom Konsens der Fürsten zum Privileg Rudolfs für die Kirche (1279) absieht1'1, das grundsätzliche Verhältnis nicht herausgestellt. Während das fürstliche Dokument die Lichterlehre, die bernhardinische Formel vom Gebrauch des weltlidien Schwertes „ad nutum" bringt, vermeidet es die königliche Kanzlei selbst, über allgemeine Wendungen zum hierarchischen Vorrang hinauszugehen162. Umgekehrt spricht sich die Kurie nur zurückhaltend aus, so wenn Gregor X., der Papst des Konzils von Lyon, der Union mit den Griechen und Förderer Rudolfs selbst, das Verhältnis von sacerdotium und imperium mehr im Sinne der Funktions- und Bereichsteilung als einer temporalen Primärgewalt darstellt. Sacerdotium und imperium unterschieden sich in der gegenseitigen Angewiesenheit nicht viel. Beide sind „ad perfectum mundi regimen" eingerichtet, „alterum videlicet spiritualibus ministret, reliquum vero presit humanis, una et eadem institutionis causa finalis ipsa inseparabiliter, licet sub ministeriorum diversitate coniuncta". Das schwierige Problem der Vakanz des Imperium wird in Relation zur päpstlichen Vakanz gesehen, während dem Reich der „director salutis" fehle; in der Vakanz des Imperium stehe dagegen die Kirche dem Ansturm ihrer Bedrücker offen. Also eine rein subsidiäre Sicht183. Man kann in all dem, vor allem im Vergleich zum Pontifikat Innozenz' IV. und dem Bonifaz' VIII. selbst eine gewisse doktrinäre Zurückhaltung sehen und nach deren Gründen fragen. Ein Grund liegt in den Verhältnissen selbst. Nach dem Sturz der Staufer fehlt eine entschieden operierende weltliche Opposition. Die Frage nach der Krönung eines neuen Kaisers wird bei der Konkurrenz der Kandidaten — Alfons bleibt über die Wahl Rudolfs hinaus noch Bewerber — dilatorisch behandelt. Im übrigen beherrscht der Anjou von Neapel aus die politische Szene Italiens. Das kirchliche Interesse gilt vor allem der Not des Heiligen Landes, der Union mit den Griechen, den mit der Mendikantenbewegung, dem eschatologisdien Spiritualismus andrängenden Fragen nach der inneren Reform der Kirche. Und hier ist es gerade in Zielrichtung auf das Papsttum jene Erwartung eines Papstes, der diesem neuen Zeitalter des Geistes entsprechen soll, communiat, temporali refrenet et corrigat usw. nach 1 Petr. 2, 14. — Hier ist klar die verleihende (auctoritas) und funktional lenkende Superiorität des Papstes anerkannt. Später ist auch die Rede von „super fidelitate, obedientia, honorificentia" was f ü r die Fidelitätsdiskussion unter Heinrich V I I . aufschlußreich bleibt. 1 , 1 Vgl. Anm. 160. — D e m Papst, N i k o l a u s III., geht es vor allem, wie die Lausanner Erklärung R u d o l f s zeigt, um die Sicherung der kirchenstaatlichen Besitzungen und um das päpstliche Vikariat in Tuskien, w o der Anjou verzichten mußte; auch Rudolf muß den Versuch, in der R o m a g n a Reichsrechte auszuüben, aufgeben, ins Yg] Anm. 160. — D a s Privileg R u d o l f s erwähnt nur die Herleitung der Gewalten von Gott, die päpstliche Mitwirkung ersdieint als „beneficia" (munera, gratiae), also in rechtsverbindlich nicht festgelegten Ausdrücken. 1 6 3 M G H Const. III, n. 77: „Imperium namque in apostolice sedis vacatione sue destituitur directore salutis, ecclesia v e r o in throni cessatione cesarei o p p r e s s o r u m patet incursibus, d u m suo defensore p r i v a t u r . C u r a r e itaque debent, curare s u m m o p e r e gubernantes imperia et regna regentes, ut ecclesias et personas ecclesiasticas f o v e a n t . . . Sed nec minus qui ecclesiarum gubernacula gerunt summa esse cura solliciti, . . . ut reges ceterique catholici principes debite polleant integritate potentie status sui plenitudine integrentur". — Die wechselseitige Subsidiarität als Leitziel entspricht dem Kern der Zweigewaltenlehre.

I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam sanctam"

401

des „Engelpapstes" (Baethgen)164. Wer die Papstwahlen nach dem Pontifikat Martins IV. durchgeht, bemerkt das Ringen zwischen kirchenpolitisch und kirchenreformerisch bestimmten Strömungen, die sogar in das von den augenblicklichen politischen Kräften beeinflußte Kardinalskolleg eindringen. Die Wahl einer so eindeutig religiös bestimmten Gestalt wie Gregors X., diejenige des früheren Generalministers der Minoriten und Nachfolgers Bonaventuras, Nikolaus' IV. (1288), weisen sidier in die kirchenreformerische Linie. Gelehrte Gestalten wie Peter von Tarantaise (Innozenz V.; S. 273), Johann XXI. sind nidit an einer Forcierung kirchenpolitischer Thesen interessiert. Martin IV., als französischer Kandidat, wird sicher nicht das Verhältnis zu den Anjous durch entsprechende Äußerungen verschlechtern, der Orsinipapst Nikolaus III. ist aus römisdier Adelstradition auf die Stärkung des Kirchenstaates bedacht und vermittelt zwischen Rudolf und dem Anjou. Die auf Reform der Kirche bedachten Tendenzen gewinnen im singulären Pontifikat Coelestins V. für lange Zeit ihren Höhepunkt. Sein rascher Verzicht, die äußeren Schwierigkeiten, die sein Pontifikat hinterläßt, geben einer so betont kirchenpolitischen Figur wie Bonifaz VIII. Raum, um mit Hilfe des Arsenals hierokratischer Überlegungen und Argumente die papal-hierarchische Konzeption der Kirche gegenüber den saekularen Gewalten unmittelbar ins Spiel zu bringen. Als Kanonist sind ihm die Dekretalen, ihre Glossierung und die Glossen zum Dekret Gratians, die für eine päpstliche temporale Gewalt sprechen, bekannt; eine Gestalt wie der hierokratische Rigorist Guido von Baysio (Archidiakonus), der einflußreiche Lehrer der ersten Generation des 14. Jahrhunderts, zeigt, wie sehr sich in der Kanonistik die von Alanus-Tankred her kommende Richtung verfestigt hat" 5 . Wenn wir nun die eingangs zuerst genannte Gruppe von Äußerungen des Papstes (vgl. oben) vornehmen, dann fällt zunächst auf, daß sie verhältnismäßig allgemein gehalten sind. Der Bericht der Gesandten (vgl. S. 398), der Papst sehe sich als „souverains tempo164 165

26

F. Baethgen, Der Engelpapst, 1943. Guido de Baysio, Rosarium zu D. X, c. 8: „quo uterque gladius petro fuit concessus, non autem utriusque executio; . . . secundum istam sententiam, que habet, quod papa habet utrumque gladium, oportet concedere nullum imperatorem exercuisse rite gladium, qui illum non accipit a Romana ecclesia, presertim postquam Christus concessit iura utriusque imperii beato petro, quod intelligens constantinus in resignatione regalium resignavit beato silvestro. — Das ist die Illegitimitätstheorie, wie sie seit Anfang des 13. Jahrhunderts aufkommt und von „Eger cui levia" und dem Hostiensis aufgenommen wurde. Guido übernimmt eine Laurentius Glosse a. a. O. D . X , c. 8: quod cum ex unctione demum sunt reges, que a nullo nisi a sacerdote haberi potest . . . liquet omnem principem regnorum a iudice ecclesie confirmationem et executionem consequi, actus tarnen divisi sunt". Weiter in gleichem Sinn zu D. X X I I , c. adde: „praesertim postquam Christus concessit iura utriusque imperii beato Petro. Quod intelligens Constantinus in resignatione regalium resignavit beato Silvestro gladium ostendens non legitime se usum fuisse gladii potestate". Eine streng soliustistische Lehre wie Aegidius findet sidi allerdings nicht. Vgl. zu D. VIII: „iustorum sunt omnia" wird Spiritual erklärt, „nihil habentes et tamquam omnia possidentes vel die quod sunt omnia iustorum secundum vite merita". — Die Lehre des Archidakons folgt der Tradition ohne originelle Aspekte zu bieten. Kölmel

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D. Der Widerhall der ekklesiardien Doktrin in der kurialen Publizistik

reus et spirituel" an, ist nach dem, was sich bei einer detaillierten Interpretation solcher Titel ergibt, zu wenig differenziert, um daraus ein für die Details gültiges Urteil herzuleiten, wie es gerade eine sorgfältige Nachprüfung der Lehre von der sogenannten „potestas directa" verlangt. Das hat die Interpretation der grundlegenden Traktate ergeben, es gilt auch für die noch nicht besprochenen Aussagen, in denen pauschal von der spiritual-temporalen Vollgewalt gesprochen wird, wie bei Heinrich von Cremona 1 ". Als symptomatisch mag auch die kurze Bemerkung des Peter von Tarantaise (Innozenz V. vgl. S. 273) gelten, der die Formel von der Existenz beider Schwerter in der Kirche aufrechterhält, dabei aber die päpstliche Gewalt nur als indirekte ansieht. In der Ansprache zur Approbation Albrechts I., die mit der Lichterlehre einen genaueren Hinweis bringt, konzentriert sich das erste Interesse auf den ominösen Satz: „Et sicut luna nullum lumen habet, nisi quod recipit a sole, sie nec aliqua terrena potestas aliquid habet, nisi quod recipit ab ecclesiastica potestate" (MGH Const. IV n. 173). Kern der Aussage ist das Licht, das der Mond empfängt und das als Symbol für die Relation der Gewalten gilt. Auf diese übertragen bedeutet die Lichtrelation den Empfang der Fähigkeit, eine Funktion auszuüben entsprechend der Leuchtfunktion des Mondes. Der nächstliegenden grammatikalischen Bedeutung nach bezieht sich das pronominale Paar: aliquid-quod des zweiten Teiles des Satzes auf das Paar: nullum lumen... quod des ersten Teiles; man hätte sinngemäß nach aliquid zu ergänzen: lumen, so daß das Ganze lauten würde: sie nec aliqua terrena potestas aliquid (luminis) habet, nisi quod recipit ab ecclesiastica potestate. Dieser Sinn ergibt sich auch aus dem folgenden Satz: „Licet autem ita communiter consueverit intelligi, nos autem aeeipimus hic imperatorem solem . . . qui est sol sicut monarcha, qui habet omnes illuminare et spiritualem potestatem defendere". Das Lichtergleichnis will nicht, wie schon auch bei Innozenz III., und kann nicht, eine Entstehung des Mondkörpers aus der Sonne behaupten, es setzt ja dessen Existenz voraus. Es berührt damit die Existenz des Mondes und damit auch der weltlichen Herrschaft als eines eigenen Gebildes ebenso wenig. Die weltliche Herrschaft existiert, wie der Mond, schon, wenn das „Licht" sie trifft; dieses versetzt Mond und Herrschaft in eine Seinsweise und damit in eine Funktion, die beide von sich aus nicht besitzen. 1M

Heinrich von Cremona, Scholz, Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz' VIII. S. 459 ff, der von Scholz, Streitschriften I, S. 45 als radikaler denn Aegidius und Jakob angesehen wird, bringt das weltliche Regiment ganz in der hierokratisdien Sicht seiner alttestamentlidien Herkunft. Er kämpft gegen die treulosen Ghibellinen und für die Söhne der römischen Kirche, die Guelphen. Die Argumentation Heinrichs ist nicht originell, sofern man ihre Schärfe nicht als Originalität wertet. Christus übergibt beide Schwerter; allgemeine Gründe für die Überordnung sind die spirituale Hinordnung des Körperlichen, Translation, Absetzung von Herrschern, Konfirmationsrecht. Beide Gewalten gingen von Gott „coniunctim" nicht „divisim" aus. Das sieht nach Ablehnung der Gewaltendistinktion aus, vor allem, da die weltlichen Reditstitel nicht genannt werden. — Die Kirche habe vor Konstantin nur aus Machtlosigkeit auf ihre Rechte verzichtet, oder aus Demut. Im Hodizeitsmahl, im Bild der apokalyptischen Frau, sei die Macht der Kirche angedeutet. — Die kurze Schrift ist als Zeugnis der Stimmung in der Umgebung des Papstes um 1302 aufschlußreich.

I. Bonifaz V I I I . und die Bulle „ U n a m sanctam"

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Offensichtlich ist damit jene Grundrelation angesprochen, die im Verständnis der kirchlichen Promotion des Herrschers nach der Formel Hugos von St. Viktor vorwaltet (habet instituere ut sit) und die Ägidius mit dem Begriff der virtus superior (II, c. 10), Jakob mit dem Begriff der formatio fidei, Hugo selbst als „formare" umschreibt. Das Lichterbild gilt für alle Fürsten. Dem Imperium gegenüber gilt die Translation 1 ". Bonifaz bekennt sich prononciert zur imperialen Universalgewalt. So sehr er die temporale Vollgewalt ins Spiel bringt, so sehr fällt dieses Bekenntnis auf. Seine emphatische Formulierung fällt aus dem Rahmen der Kurialspradie des 13. Jahrhunderts. Der Kaiser ist der „monarcha omnium regum et principum terrenorum". Die französische These des „Rex qui non recognoscit superiorem" (vgl. Per venerabilem), die Innozenz III. nidit angreift, wird als „superbia Gallicana" abgetan: „Mentiuntur, quia de iure sunt et esse debent sub rege Romano et imperatore, et nescimus, unde hoc habuerint vel adinvenerint, quia constat, quod Christiani subditi fuerunt monarchis ecclesie Romane et esse debent". Der Kaiser ist der „monarcha ecclesie", von der Kirche erhoben, zur Ehre Gottes, der Jungfrau Maria, der Apostelfürsten, der römischen Kirdie und des Reiches zur Wohlfahrt der ganzen Welt (Const. IV n. 174). Das Bild der in der Kirdie stehenden potestas temporalis wird im Sinne des universalen Kaisertums unter dem Papste in entschlossenster Weise durchgeführt. Bonifaz handelt, wie es in der Approbationsurkunde (Const. IV n. 174) ausgedrückt wird: „auctoritateapostolicaetdeplenitudine potestatis". Albrecht wird, der früher bei der Krönung vollzogenen Adoption (vgl. Cencius II, Elze X I V n. 7) gemäß, zum „specialis filius" und „promovendus in imperatorem" angenommen. Dabei heißt es, daß der Papst allen Defekt des Wahlvorgangs, Doppelwahl mit Adolf von Nassau, ausgleichen wolle. Die letzte Bemerkung ist deshalb nicht unerheblich, da die Approbation eines in einem defekten Vorgang Gewählten streng genommen einen Eingriff in den weltlichen Akt der Erhebung darstellt. Es ist also für den sdiarf juristisch denkenden Papst einer der speziellen Fälle eines Eingriffsrechtes gegeben, der des Defekts der weltlichen Gewalt. Davon ist die Approbation als solche unterschieden, sie erfolgt aus der Primatsgewalt und gegenüber dem kaiserlichen Amt. Hier vermengen sich die historischen Gegebenheiten seit 800 (eingerechnet das C C ) mit der Konzeption der Primärgewalt. Das Kaisertum ist in seinem letzten Kern eine Würde, für die es, streng weltlichen Kategorien nach, keinen der regional begrenzten Erhebung eines rex im regnum vergleichbaren saekularen Akt gibt. Man hätte eine Wahl durch die „reges" einrichten müssen. Aber diese Möglichkeit bleibt außerhalb des geschichtlichen Horizontes, innerhalb desselben war es eben seit je die Kirdie, die den Kaiser erhebt. So konzentriert sich der Blick auf den Akt, in dem der Papst ohne die für die be1,7

26*

M G H Const. IV, 1 n. 173, S. 139 f : „Unde hec nota et scripta sunt, quod vicarius Jhesu Christi et successor Petri potestatem imperii transtulit a Grecis in Germanos"; — Das Lichterbild vergleicht die Ecclesiastica potestas mit der temporalis et imperialis potestas. Darnach sieht es aus, als ob es nur für die kaiserliche Gewalt gälte. Jedoch zeigt die Wendung „sie nec aliqua terrena potestas", daß das „temporalis et imperialis" über die Imperialgewalt hinausgreift, also kein Hendiadyoin darstellt.

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

sonderen Fälle geltenden Bedingungen kraft seiner Primatsgewalt handelt, auf die Promotion des Kaisers. Damit ist noch nichts Definitives über den formalen Charakter des Aktes ausgesagt. Da ausdrücklich die „auctoritas apostolica" als erste angesprochen ist, kommt mit Sicherheit keine spezifisch saekulare Begründung in Frage. Bonifaz handelt nidit als oberster Herr und Spitze, zugehörig und innerhalb der „potestas terrena"; damit ist von der Gewalt selbst her die Bedingung erfüllt, daß es sich nicht um formal temporale Gewalt handelt (vgl. S. 346 ff). Auch die Intention, in der die Approbation erfolgt, ist nicht als Saekularintention deklariert, wie es für eine formal temporale Gewalt erforderlich wäre (vgl. ebenda zu Suarez), denn es wird ja die „ecclesia" als korporative Einheit gedacht. Auf sie hin soll der König sein Werk lenken. Die weltlidie Herrschaft, Schwert- und Gerichtsgewalt, ist Sache des Königs, das geht auch aus der Approbationsansprache des Papstes hervor. Bonifaz geht sogar soweit, daß er das sonst für den Papst reservierte Prophetenwort Jerem. 1, 10: „Constitui te super gentes" nun in der vom Papst vermittelten Gewalt auf Albrecht anwendet: „constituamus eum super gentes et regna, ut evellat et destruat, dissipet et dispergat et edificet et plantet". (Const. IV n. 173, 3). Wie unumgänglich es bleibt, die temporale Gewalt des Papstes auf Details erklärt zu bekommen, zeigt auch die Allokution des Kardinals Matthaeus Aquasparta im Sommerkonsistorium von 1302, vor der bereits erwähnten Ansprache des Papstes. Matthaeus, in dieser Zeit wohl einer der maßgebenden Sprecher der Kurie, geht in der Behandlung des Streites mit Philipp aus von demselben Wort des Jeremias 1, 10; Ecce constitui te. Nachdem er begründet hat, weshalb dieses Wort auf den Papst anzuwenden sei, geht er auf einzelne Punkte ein und bemerkt zuerst, daß nicht behauptet worden sei: „deberet recognoscere se tenere regnum suum ab aliquo"188. Aber wie im Universum ein „pater familias", ein Haupt sei, so in der Kirche ein „dominus omnium temporalium et spiritualium". Die temporale Gewalt wird dargetan an der Fähigkeit: „iudicare de omni temporali ratione peccati". In diesem Sinn komme dem Papst de iure die iurisdictio temporalis zu. Matthaeus bewegt sich damit auf der Linie des spiritualen Eingriffsrechtes, wie es von Innozenz III. formuliert wurde. In derselben Linie verläuft die Ansprache des Papstes selbst. In derselben Entschiedenheit, in der eine Dependenz des französischen regnum vom Papst abgelehnt wird, folgt die Behauptung, daß der König wie jeder andere Gläubige „ratione peccati" dem Papste unterworfen sei199. Drei Herrscher 1,8

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Dupuy S. 75. — Die Vollgewalt des Papstes wird rein kirchlich interpretiert: in toto universo orbe est unus summus, in uno domo est unus pater familias etc. Dupuy S. 76: Matthaeus verteidigt die Ernennung des Aegidius zum Bischof: „non insisto ad eius commendationem sed tarnen vos scitis, quia clericus est ipse et Magister in Theologia et fuit nutritus et educatus in regno illo. Ideo planum est, quod nullus debet revocare in dubium, quin possit iudicare de omni temporali ratione peccati. Darauf läuft also die spiritualtemporale Vollgewalt hinaus. Dupuy S. 77: „imposuit nobis, quod nos mandaveramus regi, recognosceret regnum a nobis. Quadraginta anni sunt, quod nos sumus experti in iure et scimus, quod duae sunt potestates ordinatae a Deo. Quis ergo debet credere vel potest quod tanta fatuitas, tanta

I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam sanctam"

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seien von seinen Vorgängern abgesetzt worden, Philipp habe noch mehr Verfehlungen als jene begangen. Bonifaz könne ihn „sicut unum garcionem" licet cum dolore et tristicia magna" aus dem Amt entfernen, heißt es in der hochfahrenden Art des Papstes. Einerseits also die Behauptung der Vollgewalt in der Approbation, das universale Jurisdiktionsrecht ratione peccati, die Legitimation der weltlichen Gewalt innerhalb der kirchlich geordneten Gemeinschaft im Bild des Lichtergleichnisses, andrerseits die Anerkennung der eigenständig weltlichen Herkunft der Gewalt. Der König ist nicht verpflichtet, diese selbst in ihrem Ursprung von der Kirdie her anzuerkennen (recognoscere ab ecclesia). Darin würde dann doch der Satz zutreffen vom „rex qui nulli subest". In diesen Rahmen ist die Bulle „Unam sanctam" eingelassen. Ihre Interpretation hat sorgfältig auf das zu achten, was explizit gesagt ist und auf das, was ungesagt, nicht tangiert wird und so auf sich beruhen bleibt. Die Aussage über die Gewalten beginnt mit dem Satz daß in der Primatsgewalt die beiden Schwerter enthalten seien170. Bonifaz legt dies in getreuer Anlehnung an Bernhard von Clairvaux aus: „Sed is (gladius materialis) quidem pro ecclesia, ille vero, ab ecclesia exercendus. Ille sacerdotis, is manu regum et militum, sed ad nutum et patientiam sacerdotis". Bis hierher wird demnach aus der Existenz des gladius materialis „in potestate ecclesiae" nicht mehr als der Waffendienst für die Kirche gefolgert. — Im Fortgang erscheint die gewohnte Argumentation für die Unterordnung des gladius materialis: Rückführung des Niederen „per alium in suprema". Das pseudodionysisdie Prinzip des „infima per media in suprema" also, das Ägidius so ausführlich benutzt hat (de eccl. pot. I, 4; II, 13). Der Vorrang der spiritualis potestas wird eingeschränkt gesehen auf den der „dignitas" und der „nobilitas" und insipientia sit vel fuerit in capite nostro. Dicimus quod in nullo volumus usurpare iurisdictionem regis e: sie frater noster Portuensis (Matthäus) dixit. Non potest negare rex seu quicumque alter fidelis, quin sit nobis subiectus ratione peccati." — Dann folgt eine Erläuterung der Auseinandersetzung über die Vergabe der Benefizien. Die Ansprache kann in ihrer Bedeutung für die Gesamtkonzeption sehr viel aussagen, vor allem, wenn man sie mit der Approbationsansprache vergleicht. Einmal wird eine generelle Dependenz der potestas terrena vom Papst abgelehnt. Dann wird die Vollgewalt auf die ratio peccati eingeschränkt, also auf die Linie Innozenz' III. und die klar orientierte Interpretation des päpstlich weltlichen Eingreifens. — Die Vermeidung prinzipieller Schärfen kennzeichnet auch den weiteren Verlauf der päpstlichen Dokumente in der Auseinandersetzung mit Philipp. Bock, Reichsidee und Nationalstaaten S. 97 f kommt zu einem ähnlichen Urteil zur Bulle „Ausculta fili", die im Eingang mit dem Tenor der Bulle „Apostolica sedes" übereinstimmt, mit dem Satz, daß der apostolische Stuhl über die „reges et regna" gesetzt sei. 170

„In hac eiusque potestas duos esse gladios, spiritualem videlicet et temporalem, evangelicis dictis instruitur. Nam dicentibus spostolis: Ecce duo gladii hic (Luk. 22, 38), in ecclesia scilicet, cum apostoli loquerentuir, non respondit Dominus, nimis esse, sed satis. Certe qui in potestate Petri temporalem gladium esse negat, male verbum attendit Domini proferentis: Converte gladium tuum in vaginam. Uterque ergo est in potestate ecclesiae, spiritualis scilicet gladius et materialis. Sed iste quidem pro ecclesia, ille vero ab ecclesia exercendus." Ille sacerdotis, is manu regum et militum, sed ad nutum et patientiam sacerdotis. Oportet autem gladium esse sub gladio, et temporalem auetoritatem spirituali subiiei potestati.

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D . Der Widerhall der ekklesiardien Doktrin in der kurialen Publizistik

mit einem summarischen Verweis auf: Zehntpflicht, priesterliche Funktion (benedictio, sanctificatio), Herkunft der Gewalt (potestatis acceptio), die gubernative Ordnung der Dinge. Jedes dieser Argumente ist spiritual intendiert. Die Zehntpflicht ist ein spirituales Annex, die Weihefunktion und Herkunft der Gewalt gehören ohnehin der rein kirchlichen Ordnung an, die gubernative Analogie bezieht sich wohl auf den Grundsatz der „ordinatio ad spiritualia". Aus dieser Begründung folgt dann, in Übernahme der Formel Hugos von St. Viktor, der Satz, daß die geistliche Gewalt die weltliche einzusetzen hat und bei Vergehen zu richten hat. Sie selbst ist ihrer eigenen Gerichtsbarkeit unterworfen (Privilegium foris), der Papst untersteht Gott allein, nach der Maxime: „Spiritualis homo iudicat omnia, ipse autem a nemine iudicatur" (1 Kor. 2, 15). Die definitorische Schlußerklärung: „subesse Romano pontifici omni humanae creaturae declaramus... omnino esse de necessitate salutis" krönt die Darlegung des Verhältnisses der Gewalten. Daß das große und leidenschaftlich umkämpfte Thema der „potestas" so profiliert, am Ende einer Epoche in eine lehramtliche Entscheidung über die Kirche, ihre Heilsnotwendigkeit (Unam sanctam ecclesiam . . . extra quam nec salus est nec remissio peccatorum), die Primatsgewalt des Papstes gerät, ist in mehr als einer Hinsicht aufschlußreich. Es läßt ermessen, wie sehr und wie intensiv das Verständnis der Kirche mit dem Verständnis der potestas allgemein und ihrer potestas im besonderen verbunden war, wie sehr das Kirchenbild potestativ-herrschaftlich verfaßt war. Ähnlich wie das Verständnis des Staates im Bild der Herrschaft aufging, herrschaftlich sich manifestierte (vgl. T. I, 1.). Das verweist zugleich auf das weitere Verständnis der Gesellschaft, in deren Bild häufig die sie von oben nach unten lenkenden Offizien hervortreten. Daher ist es vom Wesen des Kirchen- und Staatsverständnisses her dem Zeitbewußtsein im Grunde konform, wenn eine Aussage über die Heilsgemeinschaft mit der Thematik ihrer potestativen Struktur verbunden wird. So manifestiert sich in den Ausführungen der Bulle über die Gewalten einerseits ein geschichtlicher Prozeß, andrerseits hilft sie, den Sinngehalt des „regimen christianum" an einer entscheidenden Phase seiner Selbstdarstellung und seines Selbstverständnisses besser zu fassen. „Unam sanctam" verschafft der hierokratischen Konzeption Eingang in die erläuternden Praemissen einer lehramtlichen Entscheidung und gibt ihr damit, gewissermaßen als Höhepunkt und Abschluß einen beachtlichen autoritativen Rang 171 . Dieses Ergebnis wird bei allen Einschränkungen, die hinsichtlich der inhaltlichen Geltung aller Einzelheiten der Bulle anzusetzen sind, bestehen können. Zugleich aber läßt sie auch die Sinngebung der hierokratischen Lehre deutlich werden gerade dadurch, daß sie den Kerngehalt zusammenfaßt. Sie unternimmt das in einer Weise, die offensichtlich extreme Formulierungen vermeidet und sich darauf beschränkt, das, was sich in der Thematik der Vorordnung der Kirche anbietet, 171

„ U n a m sanctam": N a d i dem Prinzip der „infima per media in suprema" und der allgemeinen Behauptung des spiritualen Vorrangs folgen als Einzelbeispiele: „ Q u o d autem ex decimarum datione, et benedictione et sanctificatione, ex ipsius potestatis acceptione, ex ipsarum rerum gubernatione claris oculis intuemur. N a m veritate testante, spiritualis potestas terrenam potestatem instituere habet, et iudicare, si bona non fuerit."

I. Bonifaz VIII. und die Bulle „Unam sanctam"

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auf eine elementare Perspektive hin zu verdichten. Die nämlich der Einsetzung der weltlichen Gewalt und des Gerichtes über sie, beides als Interpretation des Satzes von der Existenz beider Schwerter in der potestas des Papstes171. Dabei sind Einsetzung und Jurisdiktion, wie gesagt, durdi d i e Aussagen interpretiert, die andernorts fallen. Die Einsetzung ist abgegrenzt durch die Anerkennung der eigenständigen Konstitution der weltlichen Gewalt. Sie ist ebenso bestimmt durch die Ausnahmestellung des Kaiseramtes, innerhalb dessen „de plenitudine" die Approbation erfolgt. Die Jurisdiktion setzt die ratio peccati voraus; sofern im übrigen ein Eingreifen erfolgt, geschieht es subsidiär ratione defectus. Das heißt, wir haben die Begrenzungen, die vor allem seit Innozenz I I I . zugleich mit der „Ausweitung" päpstlicher Befugnisse klar geworden sind und grundsätzlich auf die Wahrung der rechtlichen Ordnung gerichtet sind. „Unam sanctam" zeigt die spirituale Grundtendenz des in der Hand der Kirche befindlichen Verfügens über den gladius materialis zugleich mit der autoritativen Betonung dieses Anspruchs. So macht sie in der Machtbehauptung zugleich eine Linie sichtbar, die den Anspruch auf die Welt an das Wesen der Kirche bindet, mögen die Formen, in denen beides geschieht, in der Zeit selbst noch so sehr verhaftet und uns fremd geworden sein. Daß der so sehr von der französischen Krone abhängige Clemens V. ohne doktrinäres Aufsehen zu erregen, in der Bulle „Meruit" vom 1. I I . 1306 versichern kann, es sei mit „Unam sanctam" kein „praejudicium" gegen Frankreich gemeint, noch seien „per illam rex, regnum et regnicolae praelibati amplius ecclesiae sunt subiecti romanae quam antea existebant, sed omnia intelligantur in eodem esse statu, que erant ante definitionem praefatam", war nur möglich, weil tatsächlich Bonifaz „an den Dingen" mit der Bulle nichts änderte und die saekulare Konstitution des regnum als solchen nicht angegriffen war.

174

In seinem Kommentar zu „Unam sanctam" beschränkt sich Guido Vernani (vgl. Grabmann, Studien, S. 144 ff) bei der Ableitung der Gewalt von Gott (S. 153) auf die allgemeine Interpretation, daß eine Gewalt der andern übergeordnet und vollkommener und näher an Gott sei. E r wiederholt die pseudodionysische Stufenordnung. — Die Frage nach der Eigenexistenz der weltlichen Gewalt wird nicht gestellt; die Erörterung der kirchlichen Jurisdiktion bleibt farblos. — Die zweite Glosse bei Finke, Aus den Tagen Bonifaz V I I I . S. 6 ff trennt sowohl in den Spiritualien wie in den Temporalien den temporalen vom spiritualen Aspekt. Im Spiritualen gibt es eine natürliche und übernatürliche Spiritualität. Im Temporalen einen ordo „ad bonum anime naturale" S. C V I I , „ad felicitatem politicam" diesen verwaltet der Vorsteher der „communitas". Die kirchliche Gewalt hat die Verfügung über die Temporalien nur „In ordine autem ad bonum hominis supernaturale (spectat) temporalium regimen et ordinatio ad ministros ecclesie, maxime ad prelatos, inter quos primus, principalis et universalis est summus pontifex". — Die kirchliche Gewalt (auctoritas) „est in spiritualibus non in temporalibus". Dagegen „princeps temporalis vel secularis dirigit eos temporaliter et civiliter in ordine ad finem naturalem nec propter hoc oportet ponere duo principia" (S. C X V ) . Das eine Ziel ist das „bonum" (natural und supernatural), ist Gott.

II. Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius AUGUSTINUS TRIUMPHUS: Natürliche Ordnung und Heilsordnung. — Doppelbewegung in der Aktualisierung der potestas. — ALVARUS: Potestas und paupertas, ekklesiardie Doktrin und Armutslehre. — Weltführung, Weltverzicht, Weltdistanz.

Nach der Erledigung des Streites mit der französischen Krone erlebt die Kontroverse zwischen imperium und sacerdotium unter Johann XXII. und Ludwig dem Bayern einen neuen und letzten Höhepunkt. Die beiden bedeutendsten Traktate auf kurialer Seite haben wir in den großen und vielzitierten Summen des Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius vor uns. Ich kann midi bei ihrer Betrachtung auf die Ergebnisse meiner monographischen Studien beziehen 1 " 4 . Beide Darstellungen sind als Ganzes zu den folgenden Ausführungen zu halten, das sei ausdrücklich vermerkt. Für den Triumphus kann man das Bild und die Formel von der Einheit und Zweiheit der Gewalt im corpus mysticum als wegweisende Orientierung nehmen. Klar ist zu unterscheiden in seiner Summe über die kirchliche Gewalt zwischen Gewalt im naturrechtlich, positivrechtlichen Sinn und der Zuordnung dieser Gewalt an die Heilsordnung. Einheit der Gewalt ist ihm gegeben in der spiritual-temporalen, päpstlichen Vollgewalt, in dem einen Haupt der Kirche als der umfassenden Einheit. Das weltliche Schwert ist in diese Einheit gestellt und zwar in der Herleitung von Christus und seinem Stellvertreter und jurisdiktionell in der universalis iurisdictio (Sa de eccl. pot. q. 1, 2). Wieder dient die ordinatio ad spiritualia als Erweis (q. 1, 2). Also duale Konstitution der Gewalteneinheit im Papst: Zweiheit der Vollmacht und der Bereiche in der Einheit des Ursprungs, der Zielsetzung und des In-Funktionbringens (q. 1, 3). Aufgabe des Papstes ist das Bewahren der Heilsordnung auch hinsichtlich der in diese eingefügten weltlichen Gewalt. Dieses Bewahren der Ordnung im Sinne der Struktur des corpus mysticum hebt nicht die natürliche Ordnung auf. Diese wird ausdrücklich als „ordo principandi" und als „beneficium naturale" anerkannt (q. 23,1). Ihr gegenüber ist audi der Papst verpflichtet. Uber die Zweiheit der universalen, vermittelnden (im Papst) und der werkzeuglich ausübenden (im Kaiser) Gewalt hinaus, ist die Zweiheit der spiritualen und temporalen Ordnung selbst praesent. Wenn es in q. 39, 1 heißt, daß „per electionem enim generatur et acquirit esse, per confirmationem vero acquirit virtutem per quam agit" (der Kaiser nämlich), dann stellt eben die Wahl der Fürsten das „esse" der Gewalt her, die positivrechtlidie Existenz des weltlichen Aktes samt der in ihm erscheinenden Eigenständigkeit des temporalen Bereichs, während die päpstlichen Akte auf die Verleihung der virtus, der Aktionslegitimität innerhalb der christlichen Gemeinschaft, die von Anfang an kirchlich geordnet ist, be" ä »Zu Triumphus: HJ, 82, 1963, 103 ff. — Zu A l v a r u s : F r a n z S t u d . H J 83 6, 1964, 57 ff.

II. Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius

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schränkt bleiben. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, was mit den päpstlichen institutionell mediativen Akten ins Spiel gebracht wird: Das in der Heilswirklichkeit fruchtbare Handeln, hier in der Handhabung der potestas, denn anders sind virtus und agere nicht zu fassen. Das Temporale ist aus sich heraus nicht fähig, in der erlösten Wirklichkeit eine entsprechende Tat zu setzen. Die Zweiheit der Gewalten im corpus mysticum ist demnach im Grunde eine ontische. Dasein der Natur und Dasein der Ubernatur, hier ist der eigentliche Unterschied der Gewalten begründet. Diese Zweiheit ist von hier gesehen unüberschreitbar eingegrenzt. Wir haben demnach auch bei Augustinus Triumphus die Doppelbewegung in der Aktualisierung der potestates: Einmal Hereinnahme der weltlichen Ordnung in die in der Kirche existente Heilswirklichkeit und ordnende Durchdringung der Welt von dem der Kirche gegebenen Heilsauftrag. Beides hat seine Mitte und seinen Ausgang in Christus, von dem beide Gewalten stammen, was auch die ghibellinische Seite nicht bestritt. Dabei ist klarzuhalten, wie sich der kirchliche Heilsauftrag in ihrer Verfügung über das Temporale auswirkt. Anders gefragt: Was und wie ordnet die Kirche in der Welt. Zum „was" ist zu sagen, daß die von der Kirche beanspruchte mediativ-institutionelle Rolle dem Kaisertum gegenüber sowohl historisch wie der inneren Geltung nach sich auf diese Würde beschränkt. Augustinus argumentiert nicht im Sinne einer generell mediativen Beanspruchung jeder monarchischen Gewalt. Im übrigen ist für die Beurteilung der Ansprüche innerhalb der Approbation und Konfirmation auch all das einzubeziehen, was sich historisch hier angereichert hat. Unabhängig von den Stufen, in denen sich die Kaiserkrönung vollzog — ich denke an die Eigenkrönungen, die nach 800 im karolingischen Hause getätigt wurden vgl. S. 95 — so blieb doch als Ganzes die kirchliche Herrscherpromotion eben ein stehendes Requisit der Erhebung des rex und des imperator, und sie war, auch im Falle der Kaiserkrönung, eingebettet in die sakrale Stellung des Herrschers und wurde als solche auch von der weltlichen Seite politisch umgemünzt. Wenn aber Weihe, Einbezug in das Dei gratia oder gar in den weltlichen Vikariat Christi erfolgen soll, wie kann das in einem kirchlich-hierarchisch geordneten Gemeinwesen anders geschehen als unter Beteiligung des Hierarchen? Der Satz Hugos: „instituere habet" bietet sich an, will der Weihende nicht zum Hofzeremoniar werden. So liegt die hierokratische Konzeption in der Linie einer historischen Konsequenz, man kann ihr die historische Logik nicht absprechen. Alvarus Pelagius bietet gegenüber dem Triumphus eine differenzierte Sicht des Problems, indem bei ihm in einer fast einzigartigen Weise die ekklesiarche Konzeption der Lehre von der Armut Christi konfrontiert wird. Man kann seine Sicht unter dem Stichwort von „paupertas und potestas" fassen. Damit wird ein Motiv angeschlagen, das in sich dialektisch strukturiert die Problematik der Gewalt doppelpolig sieht und nun zwei mächtige Geistesströme des 13./14. Jahrhunderts auf engem Raum versammelt. Wie verträgt sich die spiritual-pauperistische Haltung mit dem Anspruch der spiritual-temporalen Vollgewalt? Diese Frage gilt entscheidend für das Verständnis des Alvarus.

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D . Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

Die Einzelheiten seines Riesentraktates können hier nicht nachgezeichnet werden. Wie schon gesagt, sei auf die monographische Studie verwiesen, deren Quintessenz hier für die vorliegende Darstellung verwertet sei (vgl. Anm. 172 a). Seine „Summa de planctu ecclesiae" ist verfaßt in der Nachwirkung der Ereignisse von 1328. Es gilt zu erweisen, daß das Vorgehen Ludwigs von Bayern, die Erhebung Peters von Corbara ungesetzlich war. Alvarus breitet hierzu das gewohnte ekklesiarche Schema aus: Der Papst hat die spiritual-temporale Vollgewalt (I, 12). Alle Gewalt Christi auf Erden komme dem Papst zu, wenn auch nicht als Gott, „sed sicut vere homo" (1,13). Um die die menschliche Zuständigkeit übersteigende päpstliche Gewalt zu illustrieren, folgt der Satz, der Papst sei das Fundament der Kirche, er sei als Vertreter Christi „non est homo simpliciter sed deus et vicarius dei" (I, 13). Der Papst als sichtbares Haupt der Kirdie vermittelt den Weg zu Christus. Wer ihn nicht als Haupt anerkennt, ist nicht lebendiges Glied der Kirche. Alvarus faßt später (I, 37) noch einmal die spiritual-temporale Vollgewalt zusammen: Wesentlich ist dabei wiederum das Prinzip der Einheit, in der Kirche können nicht zwei Prinzipien herrschen. Das setzt wiederum das tradierte Bild der „potestas in ecclesia" voraus. Leitbild bleibt immer die societas Christiana in ihrer herrschaftlichen Ordnung. Kirchenvolk und Staatsvolk sind eins. Hinzukommen das Prinzip der Stufung, die Finalität, die auf das Spirituale zugeht. Altbekannte Argumente, wie auch die übrigen Beweissätze (Verhältnis Form-Materie, Lichtergleichnis). Auch das faktische Eingriffsrecht wird im Stil des bekannten Schemas abgehandelt. Alvarus unterscheidet vier Fälle: 1) In unmittelbarer Herrschaft bei kirchlichen Territorien, 2) bei schwierigen und zweideutigen Fällen, 3) bei Vergehen des weltlichen Herrn, 4) bei Nachlässigkeit des weltlichen Herrn (I, 37, 56). Wie Augustinus Triumphus erkennt er die Legitimität der natural begründeten temporalen Verfügung an, die Sarazenen besitzen ihr Land zu Recht (I, 37). Was die theologische Begründung der spiritual-temporalen Vollgewalt angeht, so folgt interessanterweise Alvarus dem Jakob von Viterbo, nicht Ägidius Romanus. So hat er die Möglichkeit, die naturalrechtliche Position der weltlichen Gewalt, ähnlich wie Jakob selbst, in die Darstellung einzubeziehen. Die Temporalgewalt entstammt von Gott: „mediante natura hominum". Sie existiert zu allen Zeiten, ihr Zustandekommen im einzelnen bleibt verschieden (I, 52). Wie eng er sich an Jakob hält, ersieht man aus der Übernahme jener seltenen Bestimmung der Temporalgewalt als „spiritual", soweit sie das natural seelische Glück im politischen Leben anstrebt (I, 56). Auch die iustititia wird hinsichtlich ihrer heilsrechtlichen und positivrechtlichen Seite unterschieden, wenn es heißt, daß die heidnischen Herrscher niemals etwas gerecht besessen hätten „accipiendo iusticiam theologice vel divine" (I, 13). Diesen Unterschied hätte die ekklesiarchsoliustistische Doktrin gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit setzen müssen, um nicht mißverstanden zu werden und aus der spiritual-temporalen Zweideutigkeit herauszukommen. Wie sehr auch Alvarus mit dieser Problematik zu ringen hat und wie schwer es wird, einen Ausgleich zwischen den hierokratisch-ekklesiarchen Praemissen und dem Bereich der naturrechtlich gesicherten Existenz der

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temporalen Gewalt zu finden, sehen wir im weiteren Verlauf seiner Argumentation. Es ist hier nicht notwendig, seine Übernahme der Argumentation Jakobs im einzelnen zu wiederholen, nachdem ich diesen Vorgang bereits andernorts geschildert habe. Alvarus entscheidet sich, das sei gesagt, für den mittleren Weg seines Vorgängers. Das heißt: die Legitimität der temporalen Institution ist nicht ausschließlich abhängig von einer kirchlichen Einsetzung. Mit Jakob betont Alvarus, daß die Gnade die Natur nicht aufhebe, sondern sie vollende. Der natural-legitime Kern temporalen Herrschens wird in der Herleitung der Gewalt aus der natürlichen Neigung des Menschen freigestellt und anerkannt. Was als Vollendung nun geschieht, ist nicht naturaler Art und Provenienz, sondern gehört der Ubernatur an. Damit ist die Deutung Jakobs praesent, nach der eben das Verhältnis der Gewalt des Königs zu ihrer spiritualen Formung im Sinne der inchoativ-imperfekten, anfänglichen Gewalt im natural-humanen Sinn zur perfektiv geformten Gewalt zu sehen ist (I, 56; vgl. hierzu S. 377 ff). Vollendete Herrschaft heißt: Herrschaft des gläubigen Kaisers und Fürsten über Gläubige; sie kann legitim nur aus göttlichem Gesetz stammen und wird vermittelt durch den Papst. Das ist der Sinn von „ratificatio und approbatio" (I, 56). Alvarus übernimmt auch die Lehre Jakobs von der Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen. Ihr Sinn ist, wie sich aus der Gesamtheit der Argumente ergibt, eindeutig eine spiritual intendierte Praeexistenz. Das ergibt sich einmal aus der Bedeutung der Einung der Gewalten im Papst. Diese Einung (unitive) ist nicht als das Beieinander zweier distinkter Gewalten in einer Person zu verstehen, sondern als Einung im Sinne der höheren Seinsweise, die nun die weltliche Gewalt erhält (excellentiori modo). Im Stile Jakobs heißt es, daß man von zweifacher Gewalt nur im Hinblick auf die verschiedenen Akte spreche, bei spiritualen Akten der päpstlichen Vollgewalt spreche man von spiritualer Gewalt, bei temporalen von temporaler Gewalt. Daß diese Praeexistenz aber die temporale, spezifische Eigenständigkeit der Gewalt des Herrschers nicht aufhebt, ergibt sich einmal aus der bereits von Alvarus anerkannten naturrechtlich-positivrechtlichen Herkunft der Gewalt: Sie entsteht ja iure humano, aber dieses „ius" wurzelt in der „naturalis inclinado" des Menschen (I, 51). Daß er daneben auch soliustistische Argumente stehen läßt, ist als gegeben in das Gesamtbild einzubeziehen, verrät aber nur umso deutlicher die innere Schwierigkeit der Position des Alvarus. So kann er neben der Behauptung, daß Konstantin gerechterweise sein Imperium erhielt (I, 59: „iuste obtinuit imperium humano iure"), unbefangen das ekklesiarche Schema bringen, nach dem bei der Ankunft Christi den Heiden das dominium entzogen wurde (I, 37). Will man nicht bei der Stellung irgendwelcher Widersprüchlichkeit dieser Einzelargumente und der in ihnen repraesentierten Konzeption stehen bleiben, sondern die Deutung auf das Verständnis weiterführen, das den Aussagen des Alvarus zukommt, dann können zwei Überlegungen weiterhelfen: a) Die eine erhofft sich einen Gewinn aus einer zusammenfassenden Konfrontation der ekklesiarchen Schematik mit der natural-positivrechtlichen Argumentation; b) die zweite geht auf einen Einbezug der für Alvarus so wichtigen Armutslehre aus.

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

a) Vergleichen wir die beiden Aussagengruppen so begegnen wir offensichtlich zwei Legitimitätsreihen: der natural-positivrechtlichen, die für den Staat gilt, solange ich ihn als natural-humane Organisation vor mir habe, und der heilsrechtlidien Legitimität. Die im Sinne der Heilsgerechtigkeit unvollständige Rechtlichkeit der ersten Reihe deutet an, daß ihr „ius" nicht endgültig ist, sondern vorläufig, durchlässig und offen und zwar darin, daß sie über die natural-humane Legitimität hinaus in einen Bezug, in eine Bestätigung höherer Art, in einen neuen Verbund geraten kann. Entsprechendes gilt für die Distinktion der Gewalten und Bereiche. Die Trennung der Bereiche wird nicht aufgehoben, aber sie bedeutet keine introvertierte Abschließung des Temporalen nur in sich hinein. Vielmehr sind die Grenzen offen in einer zweifachen Bewegung: von oben nach unten und von unten nadi oben. Diese Bewegung formt sich aber wiederum in einem vierfachen Bezug aus: existentiell, final, institutionell und perfektiv. Existentiell, indem infolge der Inkarnation auch der temporale Bereich eine neue ontische Wertung erhält. Das Zeitliche ist in die Heilswirklichkeit genommen und wird von hier geprägt, wie es die oft verwendete Relation: Materie—Form deutlich aussagt. Das Temporale steht in der neuen Wirklichkeit des Heils, es erfährt an sich eine neue Form seiner Existenz. Von hier aus wird auch der Sinn der Praeexistenz der zeitlichen Gewalt in der geistlichen klarer. Sie praeexistiert „execellentiori modo", das heißt in einer neuen Weise des Seins, wird in eine höhere Seinsweise erhoben und erfährt hier im Papst ihre Einheit mit der spiritualen Gewalt. Diese Einheit bedeutet nicht, daß der Papst ein ius humanum und naturale erhält, das er mit seiner spiritualen Gewalt vereinigt, so daß in ihm zwei der species nach distinkte Gewalten personal vereinigt wären, sondern besagt, daß Verfügen über Temporales nun in höherer Weise erfolgt, und zwar vom spiritualen Amtsträger her spiritual fundiert. Für den weltlichen Herrscher bedeutet das Erheben des naturalhuman gegründeten Herrscherrechtes in die Heilslegitimität eine Vollendung ja eine gewisse Spiritualisierung, ja sie wird in gewisser Weise himmlisch, und zwar in der helfenden Ordination der Temporalien auf die Spiritualien I, 59: Er hat „aliquo modo iura celestis regni", seine Gewalt ist darin: „celestis secundum aliquem modum". Es entsteht eine Stufenordnung im Sinn einer reductio unius ad alterum. Diese gestufte Zuordnung ist immer zugleich f i n a l zu sehen. Das zeitliche Gefüge, für sich natural intendiert, ist mit dem Seinszweck der Natur auf die Ubernatur hingeordnet, so daß, rückgewendet, die spirituale Ordnung zur Zielursache der Temporalgewalt wird: „spiritualis (potestas) est causa temporalis per modum finis, quia finis temporalis qui est felicitas naturalis, ordinatur ad finem spiritualem qui est beatitudo supernaturalis" (I, 56). Der institutionelle Bezug ergibt sich aus der Heilsvermittlung, die allein der Kirche übertragen ist und die jurisdiktioneil im Papst ihre Spitze hat. Macht über Menschen ist in dem naturrechtlich fundierten ius humanum gegründet. Macht eines Gläubigen über Gläubige bedarf, um in der in der Kirche existenten Heilsordnung legitim zu werden, der Legitimierung durch die Kirche: „gratia non tollit naturam, sed perficit eam et f o r m a t . . . hec

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autem formatio est ratificatio et approbatio. Unde potestas humana, que est apud infideles, quantumcumque sit ex inclinatione nature atque per hoc legitime (I, 56), tarnen informis, quia per spiritualem non est approbata et ratificata, quia ubi sancta fides non est, non potest esse iustitia". Die Stelle zeigt klar die Sicht Jakobs von der natural-legitimen Gründung der temporalen Gewalt, ihrer „Formung" durch die kirchliche Weihe, wobei, um Mißverständnissen vorzubeugen, der Nadisatz über die fehlende „iustitia" bei den Ungläubigen mit dem bereits aus I, 13 zitierten Satz zu vergleichen ist, daß „iustitia" hier theologice gemeint sei. Daß mit der Forderung der heilsrechtlichen Legitimierung durch Approbation und Konfirmation keine Paralyse des zeitlichen Regiments beabsichtigt ist, ergibt sich aus einer höchst interessanten Argumentation in I, 59, dem Kapitel, in dem Gegeneinwände besprochen werden. Auf den Einwand, daß das „imperiuam a solo Deo esse" heißt es, daß die Interpretation „a solo Deo" falsch sei, wenn damit eine Mitwirkung der Kreatur ausgeschlossen werde: „Imo est a deo mediante institutione humana, cuius natura inclinat ad regimen, sicut ad socialem vitam. Unde potest dici, esse a deo mediante cooperatione naturalis inclinationis et institutionis. Est enim introductum regimen in hominibus ex iure humano quod a natura oritur". Klarer kann die naturrechtlich-positivrechtliche Gültigkeit und Selbständigkeit des temporalen Regiments als solches nicht gesagt werden. Alvarus geht dann auf die Bedeutung der p e r f e k t i v e n Wirkung der kirchlichen Weihe der Gewalt ein, die eben aus dem „princeps temporalis" mit seiner noch unvollendeten Gewalt einen „princeps christianus" mache und fügt zur Erklärung einen Vergleich mit der hierarchischen potestas ordinis und iurisdictionis an. Für die weltliche Gewalt folge daraus: „quia ex potestate iurisdictionis eligitur, ut sit princeps et potestatem habeat; sed ex potestate ordinis adhibetur unctio et consecratio, que designat firmitatem et sanctitatem potestatis eius" (I, 59). Die kirchliche Promotion des Herrschers hat also stärkende und heiligende Wirkung. Die Wahl gibt — als Akt der humana institutio, gegründet in der von Gott stammenden Ordnung der Natur — dem Herrscher eben die weltliche Gewalt. Ist das aber nicht genau die Argumentation, die von regal-imperialer Seite immer wieder vorgebracht wird, und die auf dem Höhepunkt des Kampfes von seiten der Partei Ludwigs des Bayern ins Feld geführt wird? (vgl. S. 560). Daß sie so unbefangen mitten in der ekklesiarchen Argumentation des Alvarus erscheint und erscheinen kann, sollte zu denken geben und kann als Erweis dafür gelten, wie eben die Argumente für die spiritual-temporale Vollgewalt im Grunde gemeint sind. Die Auffassung der Herrscherweihe als eines stärkend heiligenden Aktes könnte gar nicht erscheinen, wenn Konsekration und Krönung als Vermittlung der immanent temporalen Rechtstitel gälten. Gerade bei einem Publizisten wie Alvarus, der als vielzitierter Vertreter der Lehre von der potestas directa gilt, muß eine derartige Unbefangenheit der Argumentation umso mehr ins Gewicht fallen. Sie trifft sich hier mit der Interpretation, die die kirchliche Herrscherpromotion im regal-imperialen „Dualismus" erfährt. Daß ein solches Treffen stattfinden kann, zeigt Berüh-

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

rungspunkte der Auffassungen, die eine nur an isolierten Argumentationen hängende Deutung nicht vermutet. Damit ist auch bereits zum vierten Bezug, dem perfektiven, das Wichtigste gesagt. Die vervollkommnende Formung der human-naturalen potestas in der Kirche gründet in der spiritualen Funktion und im spiritualen Effekt dieser Formung. Von hier aus gewinnt dann auch die Deutung der lenkenden Rolle, die dem Papst zugestanden wird, ihr Profil. Diese Rolle wird von Alvarus im Sinne der Formel Bernhards als „nutus" verstanden. „Nutus" besagt direktive Weisung (secundum imperium et directionem [I, 56]). Wieder sind wir der Problematik und dem Verständnis der direkten Gewalt konfrontiert. Alvarus gebraucht den Ausdruck in I, 56 im Zusammenhang mit der Erläuterung der Praeexistenz der Temporalgewalt in der Spiritualgewalt. Der Papst habe die Temporalgewalt „prout autem dirigit et consulit et imperat in temporalibus" und dieser „modus" wird nun im Sinne des Ägidius als „excellentius" bezeichnet: „omnes actus qui conveniunt potestati temporali, conveniunt etiam spirituali, non tarnen eodem modo, sed excellencius. N a m spirituali conveniunt secundum imperium, secundum nutum, secundum directionem et immediate" (I, 56). Die spiritual-temporale Gewalt als Immediatgewalt im Sinne des „nutus" erhält ihre Auszeichnung nicht kraft temporaler Spezifik, das heißt, der Funktionsmodus des „excellencius, bereits von Ägidius her bekannt, bezeichnet nicht eine spezifisch temporale Funktionsqualifikation als potestas temporalis. Der Papst handelt in seiner Lenkung secundum imperium etc. nicht als weltlicher Herr wie der Kaiser, also als eine Art Oberkaiser. Dieses Handeln des weltlichen Herrschers, der reguläre usus, von Alvarus auch als „immediata executio" bezeichnet, wird dem Papst im gleichen Atemzug untersagt (I, 56): „Hoc enim requirit eius modus agendi, qui est secundum imperium et directionem non autem secundum immediatam executionem". Der modus des „excellencius" ist also in engstem Zusammenhang mit der Spiritualgewalt zu sehen. Das ergibt sich 1) aus dem Wesen der Praeexistenz der temporalen Gewalt in der spiritualen, die dem „modus" des ausgezeichneteren Handelns vorausliegt; Alvarus bestimmt diese Praeexistenz als Einheit einer Gewalt im Sinne der unitiven Einheit des Jakob. Es kann daher auf die frühere Darstellung verwiesen werden. Praeexistenz besagt nicht distinktes Nebeneinander zweier Gewalten im Papst, sondern Einheit einer Gewalt, die erst in ihren Akten sich als nach Offizien getrennt kundtut und dabei auch zur Verfügung über die Temporalien werden kann. 2) Aus dem Wesen des „usus" als „executio". Dieser bezieht sich ausnahmslos auf Ausnahmefälle, entweder in den „spiritualibus aliquo modo annexa", oder in Notfällen (causis necessariis exigentibus) bei Defekt der weltlichen Ordnung. Gerade dieses Sorgerecht mit seiner Verantwortung für die Erhaltung der Ordnung in einer kirchlich geeinten Welt, zeigt den nur subsidiären temporalen Charakter der spiritual-temporalen Gewalt. Die Theorie des Eingriffsrechtes, die Alvarus nach bewährtem Muster entwickelt, entspricht im Grunde dem, was man später für das Eingriffsrecht der potestas indirecta dartut. Dort aber, wo die Kirche weltliche Gewalt regulär vergibt, im Sinne der Ableitung

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des gladius materialis vom gladius spiritualis, hat die Interpretation der kirchlichen Herrscherpromotion gezeigt, daß hier nicht „ius humanuni, quod a natura oritur" verliehen wird, sondern Weihe, Heiligung erfolgt (vgl. oben). Der modus excellencior der Immediatgewalt als usus in Ausnahmefällen gründet in einer die Ebene der rein temporalen Befugnis transzendierenden Gewalt, er ist spiritual, seiner Herkunft und seiner Art nach. Zusätzliche Beobachtungen bestätigen dieses Bild. So, wenn in demselben Zusammenhang in I, 56 die Temporalverfügung der Spiritualgewalt aus der spiritualen Finalität begründet wird: „quam ob rem spiritualis potestas etiam super temporalia potest, i n q u a n t u m ordinantur ad finem salutis". Oder wenn es im gleichen Sinn zum kausalen Konnex zwischen spiritualer und temporaler Gewalt heißt: „nara spiritualis (potestas) est causa temporalis per modum finis, quia finis temporalis, qui est felicitas naturalis, ordinatur ad finem spiritualis, que est beatitudo supernaturalis". Wie es für den institutionellen Bezug gilt, daß hier der Papst nur tätig ist, sofern es um Gläubige geht (ad eum pertinet institutio fidelium regum et temporalis potestatis super fideles, inquantum sunt fideles (I, 56), also die heilsgeordnete Existenz das Kriterium abgibt, so begegnen wir überall eben spiritualen Kategorien, die für das Wirksamwerden der spiritual-temporalen Gewalt ausschlaggebend sind. b) Das gewonnene Bild wird, eigentlich unerwartet, durch einen Einbezug der Armutslehre des Alvarus bekräftigt, eine Perspektive, auf die ich zuerst in meiner monographischen Studie verwiesen habe. Alvarus kämpft an zwei Fronten. Er verteidigt die spiritual-temporale Vollgewalt des Papstes, ebenso will er das Armutsideal seines Ordens rein erhalten. Seine Lehre gerät in die Spannung von paupertas und potestas. Die spezielle Armutslehre, die ganz von der Kontroverse des sogenannten theoretischen Armutsstreites geprägt ist, und deren Details hier nicht wiederholt werden können, führt ihn in seinem Bestreben, die volle Armut Christi zu verteidigen, in die Nähe der zensurierten Thesen der minoritischen Opposition. Für die Kontroverse um die Gewalt des Papstes ergibt sich aus seinen Sätzen zur Armut, inwieweit das Bild des armen Christus und seiner Apostel, die nach Aufgabe ihres Besitzes alles, Gottes wegen, geistlicherweise (spiritualiter) besaßen (II, 56), auch für das Verständnis der temporalen päpstlichen Gewalt relevant wird. Die Antwort erfahren wir aus einer höchst bezeichnenden Wendung, die Alvarus im zweiten Teil seiner Summe vollzieht. Er betont jetzt, angesichts der vollkommenen Armut in Christus, daß Christus als Mensch auf jede temporale Herrschaft verzichtete (II, 57): „Sed constat quod Christus in hac vita non exercuit illa que spectant ad officium regis temporalis quia officium regis temporalis est precedere suos milites ad bellum, dare eis stipendia debita, punire malefactores penis congruis, ordinäre de successione hereditatum". Daß Christus als viator nicht seine Königsherrschaft ausübte, war schon im I. Teil zugegeben (I, 59), freilich nun mit dem Schluß: „non propter hoc sequitur, quod eius iudiciarii eam exercere non debeant et precipue in casibus necessariis. N a m etiam plura et alia Christus non exercuit quorum potestatem habuit". Das heißt, in der Szenerie der Argumentation wird sofort der Blick

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wieder auf die spiritual-temporale Vollgewalt des Papstes gelenkt (licet Christus temporalem potestatem non exercuit, tarnen ipsius vicarius ipsam exercere potest; a.a.O.). In I, 59 hieß es auch zwischenhinein: „Item Christus utroque gladio usus est", oder in I, 13 zu Petrus: „Item gladius temporalis gladius Petri est". Jetzt im II. Teil tritt fast allein das Bild des gewaltlosen Christus viator heraus. Nachdem in vielen Beispielen erwiesen wird, daß das „regnum Christi in hac vita mortali non fuit regnum temporale sed spirituale" heißt es anschließend: „Et illa omnia inducta in prima parte pro parte contraria quantum ad Christum viatorem non videtur quod possint intelligi de regno terreno et temporali sed eterno et spirituali" (II, 57). „Pro parte contraria", damit ist offensichtlich die Argumentation für die temporal-spirituale Vollgewalt gemeint. Deren biblische Begründung im N T und aus der Lebensgeschichte Jesu besagt dann aber, daß diese Vollgewalt als Vorbild ein regnum spirituale hat. So kann in demselben Kapitel II, 57 die Bemerkung fallen, in einem regnum könnten und dürften nicht gleichzeitig mehrere Könige herrschen, unter Berufung auf das für die Vollgewalt des Papstes vielzitierte monokephalische Dekret VII. q. 1, 1 in apibus, daher sei Caesar, wahrer Kaiser gewesen: „Sed Caesar Imperator Romanorum fuit verus, licet infidelis in temporalibus" (II, 57). Man vergleiche damit die soliustistische Argumentation in I, 37, daß bei der Ankunft Christi das dominium den Heiden entzogen und Christus übergeben wurde. Mit unübersehbarer Distanzierung zur ersten Aussage (aliqui autument), die jetzt als Behauptung anderer erscheint, wird jetzt die entscheidende Wendung vollzogen: Petrus besitzt nur ein Schwert. Alvarus hat so zunächst ein wesentliches Argument der hierokratisch-ekklesiarchen Doktrin aufgegeben. Er fährt denn auch fort, daß nur die geistliche Gewalt „directe et immediate" zu Petrus gehöre, das zweite Schwert dagegen, die weltliche Gewalt „pertinebat ad petrum et eius successores tarnen mediante ratione corporis ecclesie sibi commisse, que in collegio Apostolorum et discipulorum repraesentabatur. Ideo petrus dixit: Ecce duo gladii hic, seil, in ecclesia militante et non dixit habeo vel habemus duos gladios, sed dixit hic, dans intelligere quod hic, seil, in ecclesia militante est duplex potestas, per duplicem gladium significata, seil potestas spirititualis pontificalis et potestas temporalis seu imperialis" (II, 57). Gleich darauf folgt nach einem neuen Verweis auf den ersten Teil (adde hic quod scripsi in prima parte Quaest. 13, in art. 13 et in quaest: restat vero (I, 59) zu I Kor. VI: „An nescitis quoniam angelos iudicabimus) der Satz: dies bedeute für die Apostel die potestas, mittelbar und nicht unmittelbar über Weltliches zu richten und die auetoritas im Sinne einer „dignitas honoris et meriti": „quod est intelligendum quantum ad apostolos attinet de potestate iudicandi rerum saecularium mediata et non immediata et auetoritate iudicandi quantum ad dignitatem honoris et meriti et non quantum ad opportunitatem laboris et officii". Die beiden Stellen liefern mehrere bemerkenswerte Gesichtspunkte. Zunächst hinsichtlich der Gründung der spiritual-temporalen Gewalt im Zweischwertersymbol. Petrus besitzt den gladius materialis nicht unmittelbar, son-

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dem mittelbar (mediante). Diese Ablehnung des unmittelbaren Besitzes ergibt sich aus der jetzigen Absage an die Interpretation des „ecce duo gladii hie" im Sinne einer primären Innehabe beider Schwerter durch Petrus. Diesem kommt das zweite Schwert nur zu „mediante ratione corporis ecclesie", also mittels und aufgrund der Gesamtkirche, wie sie ihm anvertraut ist und wie sie im Apostelkolleg repraesentiert ist. Die temporale Gewalt ruht in der Kirche als umfassender Körperschaft, Alvarus unterstreicht dies überdeutlich in der zweifachen Deutung des „hie" als „in ecclesia militante". In der Ganzheit der Kirche existieren die beiden Gewalten, voneinander der Herkunft und auch der Trägersdiaft nach klar getrennt, indem die geistliche, d. h. päpstliche Gewalt als „pontificalis", die weltliche als „imperialis" zusätzlich gekennzeichnet werden. Vor uns steht das alte Bild der beiden Gewalten „in ecclesia", wie es unabhängig von späteren hierokratischen Thesen seit dem frühen Mittelalter nachgewiesen und verfolgt werden konnte. Die Konzeption des Alvarus läuft in ihrem Ergebnis und in ihrer Formulierung auf dieses Bild hinaus. Zum zweiten wird die „potestas iudicandi rerum saecularium" als „mediata et non immediata" ausgegeben, und zwar „quantum ad apostolos". Daß dieses „quantum ad" keinen Ausschluß des petrinischen Apostolates besagt, vielmehr dieses einschließt, ergibt sich einmal daraus, daß eine solche Abgrenzung gar nicht vorgenommen wird, und sie müßte erfolgen, will man die päpstliche Gewalt aussondern. Zum andern daraus, daß die Beurteilung der spiritual-temporalen Gewalt zuvor, bei dem soeben besprochenen Bild der Gewalten „in ecclesia" bereits auf die „potestas pontificalis" zentriert wird, indem Alvarus im Anschluß an das zitierte Bild: „in ecclesia" sagt, Petrus habe nur ein Schwert „immediate" gebraucht „alio vero non legitur usum fuisse" (II, 57). Der Terminus „mediate" wird also hier schon für die päpstliche Temporalgewalt impliziert. Wenn nun, im Anschluß daran, die apostolische „potestas iudicandi rerum saecularium" als „mediata potestas" ausgegeben wird, so liegt das im Zuge der Argumentation. Alvarus nimmt jedenfalls den früheren begrifflichen Unterschied von „immediat" im I. Teil nicht wieder auf. Hier war ja, je nach dem Ausgang von der „directio" oder der „executio" her, „immediat" im Sinne des „nutus", der „directio" unterschieden von „immediat" im Sinne der „immediata executio", des „usus", der regulär dem Kaiser, in besonderen Fällen auch dem Papst zusteht, (vgl. S. 414, zu I, 56). Jetzt wird die „potestas" als „mediata" bezeichnet, für die ihr vorausliegende „auetoritas" gelten die Kriterien der „dignitas honoris et meriti", also keine positivrechtlichen Titel im Sinne saekularer, zwingender Gewalt, während für die weltliche Gewalt selbst auf die Stelle in 1 Kor. VI, 4 „contemptibiles in ecclesia" verwiesen wird, sie sollten „ad iudicandum" eingesetzt werden. Diese Stelle war bereits in I, 13, auf das Alvarus ja eingangs sich bezogen hat, zugunsten der päpstlichen Vollgewalt angeführt worden und zwar mit Bezug auf Guido von Baysio (Archidiakonus). Wenn so eindeutig für den viator Christus die Spiritualität seines regnum terrenum herausgestellt und der Caesar als verus imperator, dies nun ganz im Stile der regal-imperialen Diktion, ausgegeben wird, dann müßte Petrus seine 27

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temporale Gewalt vom verklärten Herrn empfangen haben, der nach der Auferstehung „effective et completive" alle Gewalt besitzt (II, 57). Alvarus geht auf diese Frage nicht ein, vielmehr heißt es im Anschluß an die Anerkennung der Legitimität des Caesar: „Sed Christus recommandavit suis apostolis regnum ecclesie spirituale et non temporale" (Matth. 19). Das ist für alle Apostel gesagt, betrifft aber Petrus selbst doch insoweit, als audi, nach dieser Aussage, seine Gewalt nicht ein regnum temporale beinhalten kann. Tatsächlich heißt es denn auch in einer Interpretation des Zweischwertergleichnisses, also dem zentralen Symbol in der Auseinandersetzung von regnum/imperium und sacerdotium, man könne darunter entweder die zweifache Gewalt des „spiritualiter occidendi et potestas spiritualiter vivificandi", die Binde und Lösegewalt verstehen oder, und nun folgt eine sehr eindeutige Aussage im Hinblick auf die Temporalgewalt des Papstes: „etiam per duos gladios intelligitur potestas spiritualis pontificis, infligendo pro delicto duplicem penam cum expedit et spiritualem et temporalem, quia ecclesie pontifex potest ratione delicti infligere reo duplicem penam, spiritualem et temporalem" (II, 57). Die Temporalgewalt manifestiert sich in diesem vom I. Teil her so betont ekklesiarchen Konzept als „potestas ratione delicti", damit ist klar die tradierte Linie seit Innozenz III. sichtbar gewordert. In einer zweiten Argumentation erhält diese Sicht nodi einen neuen und singulären Akzent. Er verweist dabei, wieder in II, 57, auf die von ihm gebrachte ekklesiarche Argumentation in I, 13 zur Zweischwerterlehre: „licet etiam per duos gladios duas potestates temporalem et spiritualem aliqui autument ut de hoc satis dixi in prima p a r t e . . . tarnen petrus non legitur habuisse nec portasse nisi tarnen unum illorum duorum gladiorum, sed alium gladium non legitur petrum portasse nec usum fuisse", wobei noch in I, 13 unter Verweis auf Matth. XVI, „Converte gladium tuum in vaginam tuam" gesagt wurde, daß Petrus das zweite Schwert besaß (Item gladius temporalis gladius petri est). Die geistliche Gewalt dagegen sollte nur „in causa pia pauperum et pupillarum ac viduarum, ex parte et in casibus specialibus", kurz in den bekannten Sonderfällen tätig werden. Demnach ist die Funktion der „potestates in ecclesia" klar. Der Kaiser besitzt die „potestas immediata" über die Temporalien, der Papst hat die „potestas mediata", und zwar seiner „auctoritas iudicandi" nach, aus seiner „dignitas", seinem „meritum" heraus. Diese zweifache Praedikatisierung der päpstlichen (apostolischen) Gewalt als „mediat", der Gründung nach (mediante ratione corporis ecclesiae) und der Funktion nach (mediata potestas) zeigt das offensichtliche Bestreben, wie es schon in der Betonung des regnum spirituale für den Christus viator zum Ausdruck kam, alles fernzuhalten, was nach einem spezifisch saekularen regnum temporale des Papstes aussah. Die spiritual-temporale Vollgewalt soll unterschieden sein von weltlicher Herrschaft. „Genere suo" bedeutet die „potestas pontificalis iudicandi saecularia" eben keine „potestas temporalis", wie sie übrigens als solche „in ecclesia" existent ist und für sich getrennt bleibt. Der Papst hat über diese nur ein Verfügungsrecht kraft der ihm zustehenden Hirtenpflicht. Die Kennzeich-

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nung dieses Verfügungsrechtes als mediate Gewalt, nicht als potestas directa, verweist auf die Gesamtaussage des II. Teiles und ist in deren Rahmen zu sehen. Hiernach besagt sie ein fallweises Eingreifen zum Schutz der Bedrängten und in besonderen Fällen, das heißt wir haben die Schematik der „ratio peccati". Damit ist freilich noch nicht der Terminus „mediat" ganz geklärt. Was besagt „mittelbar", ist es identisch mit indirekter Gewalt? Der Herleitung der päpstlichen Temporalgewalt „mediante ratione corporis ecclesie sibi commisse" nach, bedeutet mittelbar, daß diese Gewalt „mittels" der Kirche, also ekklesial zustande kommt. Die Instrumentaltheorie, nach der die weltliche Herrschaft als Instrument der geistlichen Gewalt fungiert, wird nicht mehr erwähnt, sie würde auch nicht hierher passen. Denn diese operiert ja von der päpstlichen Vollgewalt her, die zeitliche Gewalt über Temporales ist primär mit dem Papstamt verbunden. Dagegen operiert Alvarus jetzt von der gesamtkirchlichen Situation, anders gewendet von der Situation der Kirche in der Welt her. Die Temporalgewalt des Papstes ist nur im Rahmen der ecclesia militans zu verstehen, sie hat ihren Anfang in jener korporativen Einheit des Heils, in der Kirche die Welt zu sich nimmt und sie umgreift. Der Funktion nach stellt sich mittelbare Gewalt als Hilfe für die Bedrängten und fallweises Eingreifen dar, wobei im Grundsatz des „ratione delicti" deutlich der spirituale Grundzug greifbar wird. Wenn daher auch die Kriterien der „mediata potestas" nicht in der exakten Bestimmtheit erfaßt und vorgetragen werden, wie es in der späteren Lehre von der indirekten Gewalt bei Bellarmin geschieht, so sind doch die Konturen dieser Lehre deutlich zu erkennen, und zwar darin, daß das Temporale von der päpstlichen Gewalt nicht um seiner selbst willen, Welt als Welt ergriffen wird, sondern vermittels ekklesial und spiritual bestimmter Kategorien. Für das weltliche Regiment bedeutet das, daß es nicht einfach nur eine dem Fürsten übergebene Instrumentalfunktion der päpstlich-temporalen Hoheit darstellt, sondern zunächst eine eigene Ordnung manifestiert, die, im Heilsbezug stehend, im corpus ecclesiae ersdieint. Petrus trägt nidit das weltliche Schwert, er gebraucht es nicht, es ist zuerst da in der von den Aposteln repraesentierten Kirche (II, 57). Daß die im II. Teil seiner Summe vorgebrachte Argumentation die ekklesiarche Schematik des I. Teils auflockert, manche Positionen abschwächt und so eine gewisse Korrektur zur Folge hat, ist offensichtlich. Man hat in der Klassifizierung des Alvarus auf diese Akzentverschiebung nicht geachtet. Alvarus gibt zwar nicht die Lehre von der spiritual-temporalen Vollgewalt des Papstes auf, aber die Akzente verschieben sich deutlich in Richtung auf die Distanz zum regnum temporale. Wieder ein Zeichen, wie vorsichtig man in Pauschalurteilen über ekklesiarche Autoren sein sollte. Die Unbefangenheit, mit der Alvarus auf den I. Teil zurück verweist, zeigt zudem, wie sicher er sidi darin wußte, daß auch hier nicht von einer spezifisch temporalen Gewalt des Papstes die Rede war. Wenn der Kurialist Alvarus im Zusammenhang der Armutslehre so nachdrücklich die nur mittelbare Gewalt über die „saecularia" schildert, dann 27*

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spürt man darin die Einsicht in die Gefahren der hierokratisch-ekklesiarchen Position. Dieser Einsicht wird zweifellos nachgeholfen durch das Christusbild, das ihm aus der franziskanischen Tradition vertraut ist. Sein Werk „De planctu ecclesiae" will ja gerade die Schäden in der Kirche bekämpfen, die Schäden, die ihr aus dem Einlassen auf die Reichtümer und die Macht dieser Welt, aus ihrer Verweltlichung erwuchsen. Der Ekklesiarch des ersten Teils sieht sich gezwungen, die Hoheit des Papstes in Distanz zu dieser Verweltlichung zu bringen, Symbol für diese Distanz ist die nur mittelbare Verfügung über das Temporale. Er sucht zwei extreme Positionen seiner Zeit zu verbinden, die These von der spiritual-temporalen Vollgewalt und den Verzicht auf die besitzende Verfügung über die Dinge, bzw. die Freiheit von allen positivrechtlichen Titeln des Besitzes. In dieser Spannung von Weltführung und Weltverzicht bleibt er ein echtes Kind seiner Zeit, die es liebt, Fragen in ihre äußersten logisdien Möglichkeiten zu treiben. Daß diese Spannung die innere Ordnung nicht zerbricht, dafür bleibt entscheidend die in Christus und seiner Kirche gegebene Einheit. Wesentlich für das Ordnungsverständnis des Alvarus bleibt die christozentrisch und ekklesiozentrisch verstandene Einung der irdischen Gemeinschaft. In dieser Einung steht das naturale Gefüge einerseits für sich, zugleich ist es aber vom Heil umgriffen und ihm geöffnet. Welt und Kirche sind nicht jeweils nur für sich geordnete und auf sich bezogene Bereiche, die nur in moralischer Relation stehen, sie sind vielmehr aufeinander zu geordnet. Der Mensch, der als Gläubiger Weltliches zu ordnen hat, wie der Kaiser, findet in der herrscherlichen Ordnung bereits die Kirche als eine ordnende Instanz vor. Spiritual-temporale Gewalt, von der Heilswirklichkeit geprägte Gesetzlichkeit, das besagt für die am regimen christianum Beteiligten, daß sie sich in einer spiritual-temporalen Struktur zurechtfinden müssen, wie es dem Herrscher in der mediativ-institutionell verstandenen Herleitung der eigenen Gewalt oder in den Weisungen der Kirche begegnet. Das historische Urteil sollte angesichts der großen Kontroverse zwischen regnum/imperium und sacerdotium zu unterscheiden verstehen zwischen den geschichtlichen Umständen und Bedingungen, in denen sich diese auf die Kirche und ihre Struktur verwiesene Relation von Geistlich und Weltlich auswirkt, und der in den zeitgebundenen Gestaltungen andrängenden Sachfrage. Die geschichtlichen Umstände boten reichlich die Möglichkeit und die Versuchung zugleich, die mediativ-institutionelle und jurisdiktionelle Position der Kirche in Theorie und Praxis bis zu äußersten Konsequenzen vorzutreiben und sie rechtlich umzusetzen. Aber da in dieser geschichtlichen Konkretisierung zugleich die Sache selbst und die an sie gebundenen Fragen jeweils anstehen, kann auch die geschichtliche Betrachtung sich aus dieser Sachlage nicht einfach entfernen. Wenn es auch nicht zu ihren Aufgaben gehört, in der Sache selbst eine Entscheidung zu suchen und zu fällen, so vermag sie doch sehr wohl, das geschichtliche Ereignis in seiner Geschichtlichkeit freizulegen und damit die Grenzen zu den Sachfragen praezisierter zu bestimmen. Indem sie das zeitlich Bedingte herausarbeitet, hilft sie, die überzeitliche Problematik in ihrer Uberzeitlichkeit, die Dauer im Wandel klarer zu sehen; erleichtert

II. Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius

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sie die Antwort auf die Frage, ob überhaupt etwas Uberzeitliches in einem geschichtlichen Phaenomen anwesend ist, oder ob sich dieses in seiner ephemeren Geschichtlichkeit erschöpft. D a ß in der Kontroverse um die spiritual-temporale Gewalt der Kirche und des Papstes eine den Wandel der Fragen durchdauernde Problematik vorliegt, bedarf hier keiner besonderen Begründung. Die Frage nach einer Gestaltung der politischen Ordnung aus dem Geist des Christentums wird sich immer stellen, sie hat sich heute, kurz nachdem Theologie und Praxis Kirche und kirchliche Praxis unter dem Einfluß und der Vorstellung der separatio^ of church and State aus dem Bereich der Politik entfernen wollten, in den Forderungen nach einer konkreten Verkündung, nach einer politischen Theologie überraschend neu gestellt. In der Frage nach einer christlichen Gestaltung des Politischen, die in sich auch die Einflußnahme des Politischen auf das Verständnis des Christlichen einschließt, ist aber immer auch die Frage nach Kirche praesent. Denn wo Christus genannt wird, ist auch Kirche, seine Stiftung, in ihrer Ordnung da. Die hierokratisch-ekklesiarche Doktrin hat ihre Lösung in den Formen ihrer Zeit konsequent durchdacht. Sie hat aber zugleich auch in ihrer Radikalität die Überzeitlichkeit ihrer Lösung zur Diskussion gestellt, indem jede Konfrontierung von Kirche und Welt auf zeitliche und überzeitliche Konsequenzen verwiesen ist.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik des 14. Jahrhunderts Charakteristik der Publizistik. — Die verschiedenen Akzentuierungen in den Aussagen über die Legitimität der weltlichen Vorsteherschaft. — Die Darstellung der Primär- und Exekutivgewalt; der Niederschlag der Lehrentwicklung und der politischen Ereignisse in der Zeit Ludwigs des Bayern.

Die Betrachtung der ekklesiarchen Doktrin sei beschlossen mit einem Blick auf kleinere Traktate, Gutachten und publizistische Dokumente, die in der großen Auseinandersetzung mit Ludwig dem Bayern entstehen. Entstanden in unmittelbarer Nähe Bonifaz' V I I I . , wie der Erguß des Heinrich von Cremona, oder als Streitschrift gegen Dantes „De Monarchia", wie bei Guido Vernani von Rimini, der übrigens auch einen kurzen Kommentar zu „Unam sanctam" verfaßt hat (vgl. Anm. 172), als Gutachten oder Erwiderung auf den Defensor pacis (Sybert v. Beek, Wilhelm Amidani [Cremonensis], Peter von Kaiserslautern) oder gegen Ludwigs Volkskrönung in Rom gerichtet (1328: Andreas von Perusio, Franciscus Toti, Opicinus de Canistris, Egidius Spiritalis, Hermann von Schildiz und Lambert Guerrici von Huy) spiegeln sie die kurialen Parteianschauungen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts wider. In Konrad von Megenberg haben wir dagegen eine Stimme aus der letzten Periode Ludwigs vor uns, in der sich seit 1338 eine kräftige nationale Reaktion gegen die Kurie erhob. Er gibt auch bereits die Stimmung in den Anfängen Karls I V . wieder. Hier hat sich der Streit um die päpstlichen Approbationsansprüche bereits beruhigt. Die Goldene Bulle mit ihrem Verschweigen der päpstlichen Ansprüche hinsichtlich der Wahl des römischen Königs ist ohne großes Aufsehen über die politische Bühne gegangen17'. In unsern Dokumenten begegnen wir noch einmal den verschiedenen Beweisgruppen zur Begründung der spiritual-temporalen Hoheit des Papstes und der Kirche. Freilich in recht beachtlichen Varianten. Sie reichen vom Versuch, die Standpunkte in etwa auszugleichen, bis zum ausgesprochenen und zelotischen Extremismus. Selbständige Spekulation treffen wir, im Unterschied zur gegnerischen Seite, selten. Für die Argumentation stehen die kanonistischen Glossen und die grundlegenden Traktate bis zur Bulle „Unam sanctam" zur Verfügung. Es sei daher darauf verzichtet, Bekanntes zu wiederholen. — Was unsere Texte auszeichnet, vor allem in den extremistischen Elaboraten, ist weniger 1,3

Die einzelnen Schriften der genannten Autoren sind in der Bibliographie verzeichnet. — Goldene Bulle Abschn. II, III, IV. Zeumer, Quellensammlung n. 148, S. 192 ff. Die Stellungnahme des G. Flamma, die V. Hunecke in: D A 25, 69, 111-208 behandelt, bringt nichts Neues.

III. Der Widerhall der ekklesiardien Doktrin in der kurialen Publizistik

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die Argumentation selbst, als die Diktion und die Form der Darstellung. Man will publizistische Wirkung erzielen, also wird vereinfacht und vergröbert. Epigonenhaft verhärten und vereinseitigen sich nur zu leicht die an sich schon an der Grenze operierenden hierokratischen Aspekte. Dabei gewinnen dann manche Formulierungen eine Schärfe, die mehr als bedenklidi ist. Im ganzen seien zwei Gruppen unterschieden. Gemäßigte und radikale Anhänger der hierokratischen Linie. Zu den Gemäßigten rechne ich den Glossator der Bulle „Unam sanctam", den Finke bekannt machte. Dann Sybert von Beck, Hermann von Schildiz, Peter von Kaiserslautern; Konrad von Megenberg, der auch hierher gehört, spielt eine eigene Rolle. Kurial gesinnt, klarer Gegner Ockhams, sucht er — im Geiste des Lupoid von Bebenburg — auch den imperialen Interessen gerecht zu werden. Aus ihm spricht eine Stimme der anbrechenden Zeit Karls IV., der als Mann Avignons zur Krone kommt. Seine Promotion ist noch einmal, in der Allokution Clemens' VI. (1346), von der inzwischen systematisierten päpstlichen Anschauung über das Approbationsrecht begleitet (MGH Const. VIII, n. 100). Zu den Radikalen muß man rechnen: Egidius Spiritalis, Franz Mayronis, Alexander von S. Elpidio, Guido Vernani, Franciscus Toti, Wilhelm Amidani, Andreas von Perusio, Opicinus de Canistris, Lambert Guerrici. Sie zeigen die rigorose Auswirkung der ekklesiarch-soliustistischen Thesen am schärfsten. Unsere Betrachtung richtet sich auf drei Themenkreise: Die Wertung der temporalen Legitimität, die Darstellung der päpstlichen Primärgewalt und auf das päpstliche Weisungs- und Eingriffsrecht (Exekutivjurisdiktion). a) Die Legitimität der weltlichen

Vorsteherschaft

Im Blick auf die Begründung des dominium temporale, von Obrigkeit und Eigentum/Besitz, ist von vornherein für die folgende Gruppe von Aussagen eine wichtige Ubereinstimmung festzuhalten. Man ist sich zwar darin einig, daß das christliche Herrsdieramt mediativ über die Kirche endgültig zustande kommt und daß die Temporalien nur in Zielrichtung auf das Spirituale redit geordnet sind, aber ebenso klar erweist sich, daß in der Einordnung in die spirituale Wirklichkeit der ursprüngliche naturale Kern des temporalen Verfügens, und wenn auch nur andeutungsweise, doch erhalten blieb. Auch die einseitigsten Formulierungen haben diesen Befund nicht gänzlich ausgelöscht. Von den Gemäßigten erkennt Sybert, in der Frage der Unterordnung der Temporalien unter Kirche oder Kaiser, die temporale Hoheit über die nicht der Kirche gehörenden Temporalien als solche an 174 . Peter von Kaiserslau174

Sybert, Reprobatio errorum, Sdiolz II, S. 3 11: Den gegen Marsilius angeforderten Gutachten liegen fünf beanstandete Thesen vor (1327), 1) Die Temporalien der Kirche unterstehen dem Kaiser „et potest ea accipere ut sua; 2) der Kaiser kann den Papst zur Rechenschaft ziehen, bestrafen, ein- und absetzen; 3) Ablehnung des petrinisdien Prinzipates; 4) Alle Priester, ohne Unterschied des hierarchischen Ranges haben gleiche Autorität

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

tern bestätigt ebenfalls, daß die auf kirchlichem Besitz ruhenden Lasten bestehen bleiben, damit der „dominus superior" nicht geschädigt wird1'5. Hermann von Schildesche erkennt zunächst an, daß ein rechter Gebrauch der Temporalien nur in der Kirche möglich sei, um gleich darauf wieder einschränkend zuzugestehen, daß hinsichtlich der „debita materia cum debitis circumstantiis" auch außerhalb der Kirche ein gerechter Gebrauch möglich sei17'. Die weltliche Herrschaft entstamme „iure humano vel iure gentium", sie sei „quasi violenter" gegen die ursprüngliche natürliche Gleichheit eingeführt worden. Das liegt in der Linie der sozialgeschichtlichen Auffassung, die sich in dem Dekretsatz „Dilectissimis" (XII, 1, c. 2) niedergeschlagen hat1". Bleibt es bei dieser Darstellung, die auch der negativtypischen Geschichtsauffassung entspricht, dann wird freilich wieder die naturrechtliche Begründung der weltlichen Vorsteherschaft verdeckt. Megenberg erkennt später ausdrücklich an, daß das Reich „de iure communi, quia de iure gencium vel naturali, prout naturale dicitur a natura, que est hominis racionalis anima" stamme178. Die weltliche Obrigkeit rührt auch

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und Jurisdiktion; 5) Papst und Kirche können ohne kaiserliche Zustimmung niemanden bestrafen. — Sybert zur rechtlichen Position der Temporalien „antequam ad ecclesiam pervenissent" a . a . O . S. 4. — S. 7: Schenkungen, die „cum onere et condicione" an die Kirdie gehen, behalten ihr „onus et condicio" der temporalen Ordnung gegenüber. Traktat gegen Marsilius von Padua und die Minoriten, Sdiolz II S. 29 ff. Peter war nicht offiziell zur Stellungnahme aufgefordert (vgl. Anm. 174). — Bei Temporalien, die mit ihren Verpflichtungen in die Hoheit der Kirdie übergehen, bleibt die Verpflichtung „quia per donationem talium non intelligitur spoliari dominus superior". Allerdings dürfe man daraus nicht auf Unterwerfung der Kirche und des Papstes unter den Kaiser schließen.

Hermann von Schildesche, Contra hereticos negantes emunitatem et iurisdictionem sancte ecclesie, Sdiolz II S. 136: Notandum est tarnen, quod usus temporalium dicitur partim censeri rectus et iustus uno modo, quia cadit super debitam materiam cum debitis circumstantiis, et sie intelligitur iustus et rectus, quia non est illicitus vel viciosus; et isto modo etiam posset esse rectus extra ecclesiam. 177 Sdiolz II S. 139: Die weltliche Herrschaft „iure humano vel iure gentium, quod quasi violenter fuit primo introduetum contra ius naturale". — Mit „ius naturale" ist die ursprüngliche Gleichheit aller gemeint. Vgl. D. I, getrennter Besitz und Sklaverei kommen aus dem ius gentium. Nadi dem Naturrecht ist der Besitz aller gemeinsam und alle genießen die gleiche Freiheit. — D. VIII, Nach dem Naturredit war allen alles gemeinsam, C. X I I q. 1, 2 Dilectissimis: „Communis enim usus omnium, que sunt in hoc mundo, omnibus hominibus esse debuit. Sed per iniquitatem alius hoc dixit esse suum, et alius istud, et sie inter mortales facta est divisio". — D a ß das dominium, sei es das fruetiferum, sei es das potestativum als „quasi violenter" dagegen aufgefaßt wird, entspricht der hierokratisdien Vorstellung, wie sie in der Determinatio zum Ausdruck kommt, vgl. ebda. c. 17. 178 Megenberg, De translacione Romani Imperii, Sdiolz II S. 253. — S. 339: „imperium immediate a Deo esse verum est ex parte Dei donantis, seil, immediacione principalitatis . . . sed non est immediate a Deo per privationem ordinis et ex parte reeipientis. Quoniam imperator reeipiens imperium ipsum reeipit mediante humana eleccione et indiget electorum concordia, sicut olim indiguit hereditaria successione. Indiget quoque ecclesie Dei confirmatione". — Die Definition enthüllt sozusagen und enthält die Bemühungen und die Diskussion einer ganzen Generation. Gegenüber dem einseitigen „a deo sed mediante ecclesia" der radikal ekklesiarchen Seite ist deutlich die Anerkennung jener Stimmen zu hören, die in der Opposition von Rhens (1338) zu Wort kommen.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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„immediacione principalitatis", ihrem ersten Grund nach, von Gott; Wahl und kirchliche Konfirmation müssen freilich hinzukommen. Von den Radikalen lehnt Amidani es nicht ab, daß das Imperium von Gott komme, aber die Bestimmung des einzelnen Herrschers obliege dem Papst. Im übrigen vertritt er die ursprüngliche Souveränität des Volkes" 9 . Bei Andreas von Perusio wird in einer kurzen Zwischenbemerkung das ursprüngliche Wahlrecht des Volkes zugegeben, wobei man daran erinnern kann, daß in der kurial-kanonistischen Argumentation gern das temporale Wahlrecht des Volkes gegenüber der Wahl des Papstes durdi Gott ausgespielt wurde180. Der Traktat: D e potestate ecclesie" spricht von einer eigenen „species" der nicht zur „politia Christiana" zählenden Staaten, ohne deren Illegitimität zu behaupten. Die „causa efficiens" der temporalen Obrigkeit sei keineswegs „nur" die Natur 181 . Opicinus de Canistris kann, ähnlich wie Andreas von Perusio, nicht ein gründendes Recht des römischen Wahlvolkes einfach ablehnen182. Der extreme Egidius Spiritalis wendet sich gegen Hugguccio, der die alte Formel des Hieronymus „eligit imperatorem exercitus" übernahm, mit dem bezeichnenden Zusatz: „Falsum est, quod s o l u s exercitus imperatorem faciat, immo papa sive ecclesia habet ipsius imperatoris electionem approbare"183. Franz Mayronis wandelt in den Spuren des Jakob von Viterbo, wenn er meint daß die „auctoritas imperialis" beim „princeps spiritualium" besser sei: „quia virtualiter et supereminenter"184. Auch Alexan-

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Guilelmus Amidani, Reprobatio errorum, Scholz II S. 24. — Dazu ebda.: „Est igitur quod potestas terrena sit a Deo, adhuc cum hoc stat, quo potest esse a papa. Franciscus Toti von Perusio, Contra Bavarum, Sdiolz II S. 76 ff bringt kein hierher direkt gehörendes Argument. Man könnte höchstens ex silentio schließen, was natürlich schwach bleibt. — Dabei muß man einer Formulierung wie S. 78, daß die Gewalt in ihrem „esse" von der geistlichen Gewalt wie „ab totali causa" abhänge, hinzufügen (a. a. O. S. 78), daß die Materie wegen der Form (materia est propter formam) existiere. Material wäre demnach die weltliche Gewalt eigenständig. Nach dem ontologischen Verhältnis von FormMaterie (forma dat esse) wäre dann das „ab totali causa" im Sinne des Einbringens des weltlichen Seins in das christliche geformte Sein (also die Position Hugos von St. Viktor) zu verstehen. Andreas, Contra edictum Bavari, Sdiolz II S. 71 : „Nec etiam in hoc (Berufung Ludwigs auf Wahl) potest populi, qui eligendi ius habet, assensus tacitus excusare". — S. 72: „alique (auctoritates) asserunt a solo Deo fuisse ordinatum, quod verissimum esse concedo". Er fügt hinzu: „sed ex hoc non sequitur, ergo summo pontifici non subicitur imperator". De potestate ecclesie, Scholz I S. 250 ff. — S. 252: „si principatus dividatur ut genus vel ut totum universale, debet dividi in principatum catholicum et gentilem et Judaicum vel Saracenum et sie de aliis que sunt specie distineti". — Ebda. S. 254: Die causa efficiens der civilis policia sei keineswegs nur die Natur. Erst durch die Heilsvermittlung wird der Mensch zur christlichen Herrschaft befähigt. Opicinus de Canistris, Scholz II S. 96, De preeminentia spiritualis imperii: Er lehnt Eigenredit der Kaiserwähler ab, sagt aber: „Ergo sine auetoritate ecclesie nequiverunt ius eleccionis alteri dare, et dato quod de iure potuissent, non est credendum, quod ipsi R o m a n i . . . ius eligendi imperatorem sic in barbare lingue nationem transtulerunt, ut sibi nil retinuerunt. Die konditionale Form der Aussage schließt nicht eine potentielle Anerkennung aus. Franz Mayronis, De praelatura dominii spiritualis ad dominium temporale, ed. F. Baethgen, Dante und F. Mayronis, in DA 18, 1962, S. 120 ff. — Zur auctoritas imperialis als „virtualiter et supereminenter" in der geistlichen Gewalt vgl. a. a. O. S. 125.

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der v. S. Elpidio erkennt die naturrechtlich-positivrechtliche Gründung der Temporalgewalt an1843. Das sind zwar zumeist nur spärliche Reste und Andeutungen185, sie zeigen aber doch, daß auch in der epigonenhaft vergröberten ekklesiardien Diktion die temporale Herkunft des staatlichen Regimentes nicht restlos ausgelöscht ist. Sie bleibt verdunkelt, aber ist nicht in der Argumentation schlechthin aufgegeben. Für die Gesamtbeurteilung scheint mir diese, wenn audi unscheinbare Nuance doch nicht unwichtig zu sein. Im einzelnen seien zum Thema dieses Abschnittes noch einige Äußerungen näher besprochen: Im Blick auf die temporale Begründung der Herrschaft erkennt Opicinus an, daß der öffentlichen Eintracht wegen jede „publica potestas" gerecht sei, nicht jedoch hinsichtlidi der Person des Herrschers. Er fährt fort, daß alle Weltreiche ungerecht waren, da Gewalt und Unglaube sie begleiteten (Scholz II, 92 f). Bei den Römern hatte das Reich nie eine gerechte Fundierung (iustus titulus), also waren die Kaiser auch keine wahren Kaiser. Gerecht war ihre Herrschaft nur, soweit Gott sie zuließ und zur Wahrung des Friedens. Die wahre Herrschaft ist tradiert von Abraham her, Christus als der Inhaber des sacerdotium regale und des „regnum" gab die Macht an Petrus. Das ist die ekklesiarche Schematik von der Determinatio compendiosa her. In der Anerkennung der Friedensfunktion als Rechtsgrund hätten wir allerdings eine interessante Variation. Amidani, ausgesprochener Radikalist, entwickelt sogar eine Art Theorie der Volkssouveränität, die aber keineswegs deshalb die saekulare Eigenständigkeit unterstützt. Der Herrscher ist wahrer Herrscher nur durch den Willen des Volkes, er wendet sich damit gegen eine privatrechtliche Gründung des Herrscheramtes. Gegen die Auffassung eines saekularen Absolutismus, die dem Fürsten ein Obereigentum über den Staat (das Land) zuschreiben will, heißt es: Gegen das Privatinteresse steht das bonum commune, nur in Intention auf das Gemeinwohl existiert herrscherliche Gewalt zu Recht. Seine folgende Begründung ist bemerkenswert, da sie den Gedanken der dem Volke zustehenden Erstgewalt mitten in ekklesiarcher Umgebung dartut. Ursprünglich ist alles gemeinsam, das ist opinio communis der Zeit, Amidani denkt an einen obrigkeitslosen Zustand, wobei Eigentum und Herrschaft als dominium nicht weiter unterschieden werden18*. Später gibt das Volk dem Vorsteher die Gewalt, der Herrscher wird demnach wahrer Vorsteher nur durdi den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Willen des Volkes. Die soziative Begründung des Staates, die in der Soziallehre der Scholastik des 13. Jahr18ia

Alexander, D e potestate ecclesiastica c. 9: „Temporaiis potestas habet aliquid de veritate potentie cum sit ex iure humano, quod a natura oritur" (nadi Jakob v. V.). im Vgl vorige Seite. — Zur rechten Würdigung sollte man nicht außer acht lassen, daß es sich um eine Polemik zugunsten der papalistischen Thesen handelt. Das entschuldigt freilich nicht den Radikalismus. 1B * Amidani, Scholz II S. 21 f: „Et quia electio est voluntaria, princeps non habet ius in rebus subditorum, ex natura dico veri et boni et iusti regiminis nisi in quantum accepit ex voluntate populi ipsum eligentis; nec est verus princeps nisi de eorum voluntate tacita vel expressa".

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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hunderts einen festen Platz erlangt hatte, ist nicht allein auf die ghibellinische Vertretung, etwa bei den Juristen des sizilianischen Hofes (vgl. dazu S. 503 f), oder auf den populistischen Etatismus eines Defensor pacis angewiesen. Freilich mit dem Unterschied, daß sie nicht, wie man erwarten könnte, auch zur Begründung der temporalen Legitimität herangezogen wird. So bleibt sie, im Grunde unausgenutzt, für sich stehen. Amidani erkennt zwar in der Frage des Ubergangs von Laiengut an die Kirche das Interesse des Imperium an. Der Kaiser darf bei Ubergabe von Reichsgut nicht das Gemeinwohl gefährden, die Kirche solle in solchen Fällen eines Census zahlen. Gewiß könnten die Sachen einer Person ganz in den Besitz der Kirdie übergehen, aber nicht Reichsgut, auf dem Wohl und Recht des Reiches ruhen. Das hört sich fast imperial an, aber seine soliustistische Begründung der kaiserlichen Autorität spricht wieder eine andere Sprache. Egidius Spiritalis weiß, ganz im Stil des Ägidius, nur zu berichten, daß das staatliche Gefüge als ein „corporale" einen geringeren Wert ausmache; von da her entwickelt er dann die Abhängigkeit des Herrschers von der Kirche (Scholz II, S. 107). Der weltliche Herr hat seine Würde von Gott vermittels der Kirche. Die von Jakob von Viterbo erarbeiteten Unterschiede von Legitimität im Sinne der Heilsgerechtigkeit und natural-temporaler Geltung werden nicht beachtet. So wird folgerichtig die ghibellinische Herleitung der Gewalt unmittelbar von Gott abgelehnt. Daß in derart undifferenzierter Argumentation der Blick für den natural-humanen Rechtsbereich nicht frei wird, erstaunt nicht mehr187. Sorgfältiger geht Hermann von Schildiz vor (Scholz II, 138). Er unterscheidet eine dreifache Abhängigkeit der Temporalien: 1) „Principaliter" von der Kirdie, sofern sie ihrem Wesen nach auf das Spirituale hingeordnet sind. 2) In zweiter Linie (ex consequenti) vom Staat. 3) Von dem individualen Seinzweck, dem sie zugeordnet sind. Innerhalb der sie umschließenden Heilswirklichkeit bildet das temporale Gefüge, dies verstanden als die Temporalien und ihre Lenkung, im Sinne des Einzel- und Gemeinwohls, einen eigenen Bereich. Dabei hat jede der beiden soziativen Zuordnungen ihren Wert. Das Gemeinwohl steht über dem Einzelwohl, daher besitzt das Imperium eine direkte Verfügung über die Temporalien, allerdings ist diese direkte Verfügung nicht naturhaft ohne menschliches Recht entstanden. Sie gilt auch nicht unumschränkt (dominium totale), da ihre Grenze nach unten durch das Einzelwohl gebildet wird, auf das letztlich (ultimo) die Temporalien hingeordnet sind. Daher steht sowohl der Kirche wie dem Staat nur im Notstand ein Recht zu, privates Gut zu beanspruchen. Im übrigen solle der Fürst mit dem zufrieden sein, was seinem Stande angemessen ist, die Kirche mit dem, was zum Unterhalt ihrer Diener, ihres Kultus und zur freien Ausübung ihrer geistlichen Gewalt notwendig sei. 187

Egidius Spiritualis de Perusio, Scholz II S. 110. — S. 111 gegen Johannes Teutonicus und Huguccio „ed adhuc multi post eos de quibus non multum miror, quia amor partis Gebelline sive imperatoris traxit eos". Ebenso gegen den Hostiensis, der „nescio quo ductu rationis" sich gegen das Eingreifen des Papstes in temporale Dinge wandte (Commentarium in Decretalium IV, c. 13). Hostiencis: „Dico quod papa non habet se intromittere de temporalibus in alterius prejudicium (nach Per venerabilem).

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

Trotz der, aus dem in 1) genannten allgemeinen finalen Bezug des Temporalen auf das Spirituale sich ergebenden Abhängigkeit188, besitzt dieses demnach doch einen Raum eigener Zuständigkeit. Auf diese deutet auch hin, wenn Hermann die schon von Aegidius gestellte Frage (de eccl. pot. III c. 4) wiederholt, ob die „temporalia ipsa et ipsi layci principes in ipsis temporalibus ab ecclesiastica potestate dependerent et principaliter ea a papa et ecclesiastica potestate recognoscere deberent, sicut spiritualia recognoscunt"189. Er nennt die Frage „magis dubia" und kontrovers, was ihn beachtlidi von der Selbstsicherheit des Ägidius abhebt. Er läßt es aber dann doch als wahrscheinlich gelten, daß „eciam ut sie bona temporalia ipsorum ab ecclesia dependent et ab ea principaliter". Die Begründung differenziert die Abhängigkeit: „temporalia bona ab alia et ab alio dependent, prout ad alium finem ordinantur". Die Dependenz läuft parallel zur Finalität, daher müssen die Fürsten und Gläubigen sich und ihr Gut darbieten, bevor die Kirche in ihrem Dienst Schaden nehme. Die final begründete Abhängigkeit wird hier nur im Notstand akut, das heißt aber doch, daß die Abhängigkeit gilt „ab alio prout ad alium finem", sofern nicht das geistliche Ziel gefährdet ist. Im rein weltlichen Bereich begrenzt sich dann die finale Abhängigkeit vom Spiritualen auf eine virtuelle, prinzipielle Dependenz, die aber nicht jurisdiktionell von vornherein faßbar ist. Im Grunde geschieht hier dieselbe Einschränkung, wie wir sie gegenüber dem Privateigentum beobachtet haben. Daher verwaltet die Kirche die Temporalien nicht direkt (immediate), sondern nur „mediante temporali potestate", obwohl sie dieselben principaliter zu ordnen hat. Das läuft auf die Interpretation des Ägidius und Jakobs hinaus. Hermann sieht in diesem Unterschied von mediater und immediater Gewalt den Sinn der Wendung Bernhards „ad nutum — ad usum". Principaliter meint demnach die der spiritualen Gewalt auch von „Unam sanetam" zugewiesene lenkende Verantwortung („ad nutum"). Das kann spiritual verstanden werden. Damit jedoch das Mißverständnis ausgeschlossen wird, die Kirche würde im weltlichen Schwert auch das innehaben, was der Fürst von der natural-temporalen Herrschaft her besitzt, und sie würde in der Überlassung ad usum etwa dieses natural-temporale Eigenrecht als ihr Erstrecht behalten, dazu wäre notwendig, in dem „principaliter" die natural-temporalen, konstitutiven Elemente auszuklammern. Denn diese entstammen dem saekularen Bereich. Und jede ihrer Bean188

c. 14, Scholz II S. 137. — „Ad cuius intellectum est considerandum, quod temporalia bona ab alio et ab alio dependent, prout ad alium finem ordinantur." In dieser finalen Rangordnung steht die ordinatio ad spiritualia zuerst, daher müssen die Laien sich und ihre Güter zuerst einsetzen, damit die Kirche in ihren spiritualen Gütern keine Gefahr nehme. „Ex consequenti autem bona temporalia prineipum et laycorum ordinantur ad conservationem reipublice temporalis vel boni communis temporalis tocius policie sive hoc sit pax temporalis sive vita virtuosa temporaliter exercita vel quiequid aliud sit". Die fürstliche Souveränität ergebe sich allein aus der Aufgabe des „gubernator reipublice et communis boni temporalis, ad quod omnia temporalia omnium subditorum tali policie ordinantur". — Hermann bringt die geschichtliche Autarkie der irdischen Wohlfahrt des Defensor pacis in die vorrangige übernatürliche Finalität, so daß der irdische Friede sich „ex consequenti" in diese Rangordnung einzufügen hat.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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spruchungen im Namen spiritual-temporaler Superiorität würde echte Saekularisierung und Verfälschung des spiritualen Auftrages bedeuten. Daß Schildiz tatsächlich an eine saekular-immanente Legitimität der temporalen Herrschaft denkt, zeigt seine Bemerkung, daß trotz der finalen Abhängigkeit des „rectus et iustus usus" von der Heilswirklichkeit es auch außerhalb der Kirche einen rechten Gebrauch der Temporalien gäbe. Er ist zwar nicht gerecht „ex fine", sondern allein „ex materia", also aus der sachgerechten Verwaltung. Freilich kann dieser „usus" für die Ewigkeit nicht fruchtbar werden, das ist nur in der Kirche möglich190. Man spürt das Bemühen, nicht eingleisig zu argumentieren. Ähnliches gilt für den Landsmann des Herrmann, Sybert von Beek. Er ist Theologe, trotzdem behandelt sein Gutachten, das er in kurialem Auftrag gegen die Irrtümer des Marsilius schreibt, die Fragen mehr in kanonistischer Weise, indem er die Frage des Verhältnisses von Kirche und Welt auf die Stellung des Kirchengutes eingrenzt. Größere Aspekte vermeidet er offensichtlich, aber gerade darin bleibt seine Stellungnahme bemerkenswert. Der Kurialist, der als Prior der Karmeliterprovinz in Niederdeutschland seit 1326 in enger Verbindung zu Avignon steht, faßt die Frage des Gewaltenverhältnisses gewissermaßen von unten her an. Dort, wo sich das Verhältnis in einem umgrenzten Bezirk auswirkt. Diesen Bezirk bilden die kirchlichen Temporalien. Sybert unterscheidet191: a) Kirchengebäude, b) Zehnten und Gaben (portio levitica), c) ohne Lasten der Kirche überlassene Güter (Patrimonium Petri), d) mit Lasten und Bedingungen überlassene Temporalien. Mit Gütern nach a) und b) hat der Kaiser nichts zu tun. Anders wird es bei c) und d). Güter nach c) sind unwiderruflich, weltliche Privilegien in solchen Bezirken stellen eine Wohltat der Kirche ihrem Patron gegenüber dar. In d) dagegen ist die Kirche zur Leistung verpflichtet: „ne alieno iuri per ecclesiam preiudicium fiat" (Scholz II, S. 7). Geschieht das, dann kann allerdings das Gut von weltlicher Seite nicht entzogen werden. Versäumt die Kirche ihre Pflicht, kann sie ihr Gut verlieren. Was die Jurisdiktion des Kaisers über den Papst angeht, die Marsilius bejaht hatte, so gibt es nur einen Fall, den der Haeresie, wobei 189

180

1,1

Scholz II S. 137. — S. 139: zum Schluß der Diskussion wiederholt er noch einmal den Vorrang der spiritualen Hinordnung „Precipue enim temporalia fidelium ab ecclesia dependent propter hoc ut necessitati fidelium dispensentur". Hier wäre die heilsgemeinschaftliche Wohlfahrt, das bonum commune fidelium maßgebend. — Das CC wird als „pocius resignatio" erklärt, denn das weltliche dominium wurde „primo introductum contra ius naturale". Vgl. Anm. 177. Scholz II S. 136, c. 13: Zuerst nennt Sdiildiz drei Weisen der finalen Abhängigkeit im rechten Gebrauch der Temporalien von der Kirche, um weiterzufahren, daß es einen „partim" legitimen Gebrauch auch außerhalb gäbe: „quia cadit super debitam materiam cum debitis circumstantiis et sie intelligitur iustus vel rectus, quia non est illicitus vel viciosus; et isto modo etiam posset esse rectus extra ecclesiam, quia non esset viciosus aut peccatum". N u r in der Kirche freilich lenkt der Gebrauch: „fruetuose et salubriter . . . in vitam eternam". Sybert, Reprobatio sex errorum, Scholz II S. 4 ff.

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

allerdings Bedingung bleibt, daß die Kirdie um einen Eingriff bittet1". Umgekehrt soll die Kirche einen Eingriff in die temporale Sphäre bei Vakanz des Imperium oder bei „defectus iustitiae" vermeiden1". Grund ist ihm: Vermeidung eines Skandals und das Beispiel Christi. Macht und Geltungsstreben (petitum dominii et maioritatis) zügelte der Herr schon bei seinen Jüngern. Eine deutliche Absage an die Politik Avignons. Ein weiterer Spredier aus dem engeren Reidisgebiet nördlich der Alpen, der sich gutachtlich zum Defensor pacis äußert, der Prämonstratenser Peter von Kaiserslautern, hat zwar zur natural-temporalen Legitimität sich nicht explizit bekannt, aber seine Bemerkung, er wolle die Freiheit des Kirchengutes nicht von der spiritual-temporalen Hoheit der Kirdie her begründen, läßt doch seine Distanz erkennen. Grund ist ihm der Anstoß, den die ekklesiarchen Thesen bei den Fürsten erregen1". Die Fronten sollen nicht noch mehr verschärft werden. Eine ähnliche Tendenz verrät Konrad von Megenberg. Haben wir in den soeben genannten Stimmen die Zeit um 1328 vor uns, so spricht in Konrad die Erfahrung der letzten Jahre der bitteren Auseinandersetzung zwischen Avignon und dem Reich. Konrad ist erkenntlich kurial gesinnt, aber in seinem „Planctus ecclesiae" läßt er die Kirche (c. 23—27) gegen die Meinung des Papstes (c. 22), er besitze beide Schwerter, argumentieren. Der Papst erwidert mit dem Unterschied von verleihender Gewalt, die bei ihm ruhe, und ausübender, die der Kaiser besitze (c. 30). Konrad fällt keine definitive Entscheidung, beide Meinungen bleiben nebeneinander bestehen1". Daß freilidi die Kirche selbst gegen den kurial-hierokratischen 1,8

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Scholz II S. 11: „nisi ab ecclesia seu a cetu cardinalium esset requisitus; et haberet forte hoc non solum locum in heresi, vel etiam in omni notorio crimine, si inde scandalizetur ecclesia et papa incorrigibilis esset". — Zur Lehre über den Begriff der Haeresie L. Buisson, Potestas und Caritas, S. 184 ff, vor allem zum Begriff der erweiterten Haeresie nach Augustinus (Decr. Grat. C. 24 q. 3) den Huguccio übernimmt: Zu D. XL c. 6 c. Si papa: „Nisi deprehendatur a fide devius. Ego autem credo, quod idem sit de quolibet crimine notorio, quod papa possit accusari et condemnari si admonitus non vult cessare". — Grundlegend hierzu B. Tierney, Foundations of conciliar theory S. 57 ff. Scholz II S. 14: „preter casum, scilicet dum vacat imperium vel dum est patens defectus iustitie, michi videtur cum omni humilitate, quod ecclesia multum consulte hoc sub dissimulacione debet pertransire, sicut hactenus providentissimi apostolici stantes infra limites iurisdictionis spiritualis et in casu solum, scilicet pro supplemento et obviando peccatis, manum ad temporalem secularium principum iurisdictionem extendentes, sollerter hoc dissimulare curaverunt". Eingreifen solle vermieden werden „ubi non sie d a r u m est, sed forsan opinabile de se ecclesiam tale ius habere". Peter von Kaiserslautern, Scholz II S. 30: „Verum quia ista via (via universalis dominii papae) offendit multum prineipes t e m p o r a l e s . . . Potest dictus error altius reprobari assumendo aliam viam". Konrad, Planctus ecclesie in Germaniam, Sdiolz II S. 208, c. 25: „hec (d. h. die beiden Gewalten) magis illustrant mundum cum maxime distant; si loca coniunctim sumant, pacientur eclipsim". Das sagt die Kirdie in Erwiderung auf die hierokratisdien drei Thesen des Papstes (c. 22). — Er deutet freilich das Gewaltenverhältnis im Sinne der geistlich-autoritativen Führung zum Schutz der Kirche: „Imperialis apex me servet militis ense". Für diesen Waffendienst spielt er auf die kirchliche Promotion des Kaisers in Rom an. Der Kaiser soll „hostes crucis ense refrenet ad nutum". Vom Schwert heißt es „hec

III. Der Widerhall der ekklesiardien Doktrin in der kurialen Publizistik

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Standpunkt spricht, die Ausführlichkeit der Argumente und ihre intensive Formulierung, das alles bleibt doch auffallend. Die Antwort des Papstes besteht ja auch nur auf dem Konfirmationsrecht, sie versteift sich nicht darauf, weitergehende Perspektiven im Sinne der ekklesiarchen Doktrin herzustellen. Konrad erkennt offenbar die historisch entfalteten Vorrechte Avignons an, vermeidet es aber, bedingungslos auf den kurialen Standpunkt einzuschwenken. Wesentlich dünkt ihm, für das vom Hochmut gewisser „Praelaten" geprüfte Reich zu sprechen und dem Frieden zu helfen. Nach der nationalen Hochstimmung der Jahre 1337—38, von der auch noch die Schrift Lupolds von Bebenburg getragen ist1**, folgt mit dem Abgang Ludwigs und dem Aufstieg Karls IV. eine neue Zeit. 1354 steht für den Kandidaten der Kurie die Romfahrt bevor. In diesem Augenblick wird die Schrift „De translatione imperii" fertiggestellt. Ihr folgt, noch während der Romfahrt Karls, der Angriff gegen Ockhams Traktat zum Unterwerfungseid gegenüber Karl 1 ". Hier tritt nun klar die hierokratische Seite Konrads hervor, er wendet sich gegen Lupoid wie gegen Ockham; dennoch wahrt er seine im Grunde ausgleichende Position. Der Kaiser ist ihm der Weltherrscher: „omnes nationes sub eo sunt" (De transl. imperii c. 1). Das Reich ist nach Völker- und Naturrecht: „tocius orbis monarchia". Dem Kaiser sind, als dem hervorragenden Verteidiger der Kirche, alle Könige und Fürsten unterworfen. Das Prinzip der naturrechtlich gesetzten Einheit gilt für das saekulare Gefüge, Konrad schreibt darin ganz in der Linie einer bereits sich verklärenden Reichsideologie. Der Umfang des Reiches entspricht dem der Kirche (c. 1, 2), beiden kann sich niemand entziehen, sofern nicht eine unmittelbare Unterordnung unter die Kirche statthat: „necesse est omnes imperio Romani imperatoris subjacere". Außerhalb der römischen Ordnung gibt es kein wahres Reich, Konrad wiederholt ein altes Argument der Kanonisten seit Beginn des 13. Jahrhunderts. Der letzte Gedankengang führt auf soliustistische Fährte, und tatsächlich findet sich bei Konrad entsprechendes Material. So unterscheidet er im menschlichen Besitz ein zweifaches „ius humanuni": a) ius humanum iure divino

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1.7

sola doctrina perit, nisi stola ensis pregnetur". Der Papst „pius pater et dominus tunc mittat in arvum Verba Dei, vere fidei sibi faciat servum". — Im Grunde das Ideal des spiritual-temporalen Zusammenwirkens mit jeweiliger Begrenzung auf die spezifischen Aufgaben der Gewalten. Lupoid v. Bebenburg, Tractatus de iuribus Regni et Imperii Romanorum. — Zu den Schriften vgl. H . Meyer, Studien zu seinen Schriften, 1909. Inhaltliche Beschreibung der SAriften S. 128 f, 131 f, 132 ff. — Die wichtigste These Lupolds im Traktat ist c. 5 der Satz, daß der „in concordia" Gewählte „statim ex ipsa electione licite nomen regis assumere et iura et bona regni et imperii administrare" könne. Wobei die Trennung in die Länder der Herrschaft Karls vor 800 und die 800 neu hinzukommenden Länder wesentlich ist. Approbation und Krönung gewähren nur in dieser Hinsicht neue Redite, im übrigen (c. 8) ist die Approbation zur juridischen Konstituierung der Kaisergewalt nidit notwendig. Der Krönungseid sei „iuramentum fidelis defensionis" (c. 9). — Zur Theorie der Trennung der Reichsländer, vgl. Verf. Ockham, S. 139 ff. Hier auch die Gegenthese Ockhams. Konrad, D e translacione Romani imperii, Scholz II S. 249 ff. — S. 346 ff: Tractatus contra Wilhelm Occam. Zu Ockhams Traktat, Verf.: Ockham S. 159 f.

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

directum (bezw. possessio directa) und b) „a divino iure absolutum"1"8. In der ersten Weise besitzen die Gläubigen, in der zweiten die Ungläubigen. Das göttliche Gesetz sage dazu, daß der ungläubige Besitztitel nicht „iure proprio dicto, sed pocius iure abusivo" sei (De transl. imp. c.21). So wird, im Stile von „Eger cui levia" die Schenkung Konstantins zu einer „cessio", da der Kaiser vor der Taufe eben doch nur ein „abusivus imperator" war (De transl. imp. c. 21). Nicht casualiter, wie Lupoid es wollte, sondern regulariter überträgt der Papst das Imperium (a.a.O., c. 10). Das liegt ganz auf der Linie der Illegitimitätsthese, jedoch zieht Konrad daraus nicht die Folgerungen im Stile eines Egidius und Opicinus. Denn einmal betont er in demselben Zusammenhang (c. 21) das unabdingbare individuale Besitzrecht, also den naturalen Kern des Besitzes als Eigentum. Und zu Konstantin heißt es, fast mit den Worten Ockhams, daß er nach der Taufe „proprie m e r u i t imperium possidere199. In „meruit" kann man nur eine innere, spirituale Würdigkeit, also im Sinn der Heilsgerechtigkeit sehen. Offenbar formuliert er die soliustistische Interpretation von einer juridischen Festlegung weg, um die Diskussion nicht zu verschärfen, nachdem er schon zuvor (c. 20) seine Meinung als „grave" bezeichnet hatte. Entsprechend dieser Einstellung folgert er für die päpstliche Hoheit, daß sie nur „virtualiter et originaliter sive causative" dem Kaiser das gebe, was diesem gebühre. Der Kaiser besitze das ihm Gebührende „efFectualiter et formaliter, possessive et exercitative" (c. 21). Wenn man die Bestimmungen vergleicht, so haben wir das Grundschema der hierokratisch-ekklesiarchen Relation von höherer Erstgewalt und faktischer Inhabe der Herrschaft. Der Kaiser ist formal, effektiv, dem tatsächlichen, exekutiv bestimmten Besitz nach Herr. Diese Bestimmungen stammen aus der Bereichseigenheit und den ihr entspringenden „tituli". Vom Papst her kommt der Herrschaft eine kausative Funktion zu, das bezieht sich auf die Promotion; und eine virtuelle Kraft, das bezieht sich auf die dem Kaiser mitgeteilte Fähigkeit, in der Heilsgemeinschaft zu herrschen und seine Herrschaft in den Heilssegen zu stellen. Die päpstliche Hoheit ist damit auf die heilsrechtliche, in das Temporale übergreifende vermittelnde Funktion eingegrenzt800. Wie es von Konrad eingangs gesagt wurde, besitzt der Kaiser 198

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Scholz II S. 315, c. 21: „dupliciter iure humano aliquis suas poterit possidere possessiones, scilicet aut lege humana divino iure directa aut a divino iure soluta". Scholz II S. 316, c. 21: „postquam lotus est fönte christiano et fidei firmitate roboratus, proprie meruit imperium possidere". — Zu Ockham vgl. Verf. Ockham, S. 105 zu Dialog III, 2, 1, c. 27, Goldast, Monarehia II, S. 900: „soli iusti sunt digni vero dominio temporali et nullus peccator est dignus quacunquere temporali", im Sinne innerer Würdigkeit. Scholz II, S. 314. — Konrad unterscheidet potestas im Sinne des „immediate et usive" und des „directorie et regitive". Im ersten Sinne: „nec pape nec imperatoris sunt omnia sive iure divino sive humano. Quoniam tam ius divinum quam humanum precipit unicuique dimittere, quod suum est; uniuscuiusque vero id esse dicitur, quod iusta est acquisicione sibi appropriatum sive successione hereditaria scilicet ad ipsum derivatum sit, sive iustis laboribus suis acquisitum aut congrua commutacione ad ipsum devolutum". — Das bezieht sich auf den Kaiser, meint aber nach dem Eingangsvermerk auch den Papst. Der rechtlich eigenständige Bereich des Eigentums steht für sich und wird offenbar weder von einer soliustistisdien Regulative noch von einem päpstlichen dominium berührt.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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die saekulare Verantwortung in universalem Umfang. So kommt es auch zur Kennzeichnung der päpstlichen potestas als „directorie et regitive", hier werden wieder einmal die Konturen eines im Grunde nur direktiven Eingriffsrechtes sichtbar. Konrad sucht im Rahmen der ekklesiarchen Doktrin klar die Eigenständigkeit der weltlichen Führung abzugrenzen. Das Schema des „virtualiter/originaliter" gegenüber dem „formaliter—effectualiter" besagt doch, daß die weltliche Gewalt als konkret Seiendes verstanden, ihre eigene Wirkzuständigkeit und Wirkkraft (effectualiter) und Weise der Eigenförmigkeit (formaliter) besitzt. Konrad glaubt, hiermit zugleich das Schema Bernhards „ad nutum — ad usum" erfaßt zu haben. Dabei ist noch eine spätere Bemerkung über den Satz „imperium immediate a Deo" interessant. Unmittelbar gewiß, im Sinne des „Deus donans", der Unmittelbarkeit des ersten Grundes nach, jedoch nicht immediat im Sinne der Ubergehung der Ordnung und hinsichtlich der Bedingungen des Empfangs für den Empfänger. Denn der Herrscher empfängt sein Amt aus den Händen der Wähler, bezw. durch Erbschaft, und durch die Konfirmation der Kirche. Konrad vereint die natural-positivrechtlichen Elemente mit den Forderungen der Kurie. Darin gehört seine Darstellung zweifellos in jene Linie, die von Jakob von Viterbo her zu verfolgen war, von der freilich Ägidius selbst nicht auszuschließen ist801. Freilich ist stärker als bei Ägidius der naturale Ansatz des temporalen Regimentes und entsprechend die spirituale Funktion der Kirche in den Blick gebracht. So konnte es geschehen, daß man in einer national hochgestimmten Zeit in Konrad den Vermittler kurialer und reichsrechtlicher Interessen, mit Akzent auf der letzten Intention, sehen wollte202. b) Primär-und

Exekutivjurisdiktion

des Papstes

Die päpstliche Primär- und Exekutivgewalt, das zweite und dritte der eingangs genannten Themen, erhält in unserm Texte bezeichnende Nuancen und Akzentuierungen. Die gemäßigten Stimmen halten sich in charakteristischer Distanz aus der heißen Linie der Diskussion oder suchen vermittelnd zu klären. 201

202

23

Scholz II, S. 319, c. 25. Wiederholt wird diese Formulierung in: Contra Wilhelmum Occam c. 9, Scholz II, S. 377 f. — Das Reich stammt unmittelbar von Gott: „immediacione principalitatis". Aber auch „mediante humana eleccione et indiget electorum concordia, sicut olim indiguit hereditaria successione". Es bedarf audi für den Kaiser „ecclesie Dei confirmatione". — Hier ist der Abstand zur ekklesiarchen Formel: „immediate a Deo, mediante ecclesia" unverkennbar. H . Ibach, Leben und Schriften des Konrad von Megenberg, S. 99 meint, Konrad sei weder Kurialist um jeden Preis, noch eindeutiger Parteigänger des Kaisers, er gehöre zur Friedenspartei. Das trifft jenen Zug, der vom Planctus her die Publizistik Konrads durchzieht. — Im übrigen betont Ibach jedoch zu sehr Konrads imperiale Sympathien. Etwa, wenn es heißt, daß ihm hergebrachtes Reichsrecht kein minderes Anliegen sei als das Recht der Kirche, oder wenn er in Konrad „eine Zusammenfassung der verschiedenen Spielarten des deutsch-patriotischen Standpunktes" sieht. Damit verschieben sich dodi die Akzente zugunsten einer „nationalen" Deutung Konrads. Kölmel

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D . Der Widerhall der ekklesiar&en Doktrin in der kurialen Publizistik

Sybert, von Johann XXII. aufgefordert, zu fünf Thesen des Defensor pacis Stellung zu nehmen"*, will dem Kaiser lassen, was des Kaisers ist. Marsilius hatte ja die koaktive Gewalt in der Kirche dem Staat gegeben und Christus kraft zwingenden Rechtes unter das Urteil des Pilatus gestellt und damit die freie Unterwerfung des Herrn geleugnet204. — Sybert hebt nun gegen diese naturalistische Interpretation der individualen und korporativen Heilsexistenz zunächst einmal die Distinktion der Ordnungen heraus. Die Kirche besitzt von sich aus nur die Temporalien, soweit sie spiritualen Bedürfnissen dienen (sakrale Immobilien, Zehnten), das übrige untersteht, wie wir schon sahen, der zeitlichen Obrigkeit (vgl. S. 423 f), insofern diese bei einer Schenkung nidit darauf verzichtet10". Das schließt nicht aus, daß der Kaiser Spiritual untergeordnet ist. Dieser Unterordnung wegen kann er auch den Papst nidit richten, was Marsilius-Ockham bejaht hatten, jedenfalls nicht „regulariter", wie es in bezeichnender Einschränkung heißt. Kasual geht es demnach, und zwar bei freiwilliger Unterwerfung des Papstes oder bei Aufforderung durch die Kirche, bezw. durch die Kardinäle gegen einen haeretischen oder unverbesserlich straffälligen Papst106. Die Diskussion über die Richtbarkeit des Papstes, verschärft durch die von französischer Seite gegen Bonifaz eingeleiteten Prozessualien, hat also auch bei einem in enger Verbindung zur Kurie stehenden gelehrten Mann ihre Wirkung nicht verfehlt. Dagegen steht dem Kaiser weder Wahl noch Einsetzung des Papstes zu, das bezieht sich wieder auf die Vorgänge von 1328. Eventuelle historische Verweise — also auf die ottonisch-salische Zeit — enthalten keine Rechtskraft. Im übrigen vermeidet es Sybert, eine Wiederholung der pointiert ekklesiarchen Thesen in die Ablehnung der antihierarchischen Provokationen des Defensor einzubeziehen. Das Profil Syberts wird noch einmal deutlich in der Antwort auf die fünfte der beanstandeten Thesen des Defensor: Nur mit Zustimmung des Kaisers besitzt die Kirche koaktive Gewalt. Für Sybert hat die Kirche einmal die spiritual-koaktive Gewalt (Exkommunikation), dann die körperliche Zwangsgewalt gegen kirchliche Personen; das iudicium sanguinis vollzieht sie jedoch nicht. Eine rein weltliche Gerichtsbarkeit, abgesehen von den kircheneigenen Territorien, rät er der Kirche ab, es sei denn bei Vakanz der Herrschaft — damit wäre die Vakanzpraxis Johanns XXII. anerkannt — oder bei Defekt der weltlichen Rechtsprechung107. Das entspricht dem Rahmen des von der hierokratischen Lehre interpretierten fallweisen 103 201

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SM 207

Die fünf Thesen sind Anm. 174. Vgl. auch Anm. 204. Sybert bringt sedis Punkte. Die Verurteilung der Irrtümer des Marsilius und des Jandum erfolgt in „Licet iuxta doctrinam", Denzinger 495. — Die marsilianische These wird hier so formuliert: „Quod illud, quod de Christo legitur in Evangelio beati Matthaei (Matth. 17, 2 6 ) . . . hoc fecit non condescensive e liberalitate sive pietate, sed necessitate coactus". Vgl. hierzu unten: Anm. 331. Scholz II, S. 5 ff, besonders S. 6 f. Sybert unterscheidet Schenkungen „absque quovis onere" (Kirchenstaat) und „cum onere et condicione". In letztem Fall übernimmt die Kirche die auf der Schenkung ruhende Verpflichtung: „Non enim decet ecclesiam locupletari cum alterius iactura vel iniuria". Scholz II, S. 11, vgl. Anm. 192. Vgl. Anm. 193: „preter casum etc." Der Eingriff soll „multum consulte" geschehen.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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Eingriffsrechtes. Sybert beruft sich auf das Beispiel umsichtiger Päpste, die sich in den Grenzen ihrer spiritualen Jurisdiktion hielten208. Nur kasual, um die Gefahren der Sünde auszugleichen oder um der Sünde entgegen zu wirken (ratio peccati), sei Eingriff möglich. Grund für diese Entscheidung ist ihm die Möglichkeit des Skandals, dann aber auch das Vorbild Christi selbst, der sich in weltlichen Streit nicht einmischte und die Herrschbegier zügelte (Scholz II, S. 14). Ein deutlicher Rat an die Kurie. Bei Peter von Kaiserslautern, der vermutlich ohne offiziellen Auftrag gegen den Defensor sich äußert, tritt ebenso merklich der Wunsch zutage, die weltliche Seite nicht herauszufordern. Um ein Ärgernis zu vermeiden, verzichtet er darauf, das Verhältnis der Temporalien zur Kirche über deren Erstgewalt (via universalis dominii) darzutun10®. Offensichtlich ist er grundsätzlich von diesem „universale dominium" überzeugt. Die Ausführungen zeigen jedoch, daß er daraus nur eine klar beschränkte Exekutivjurisdiktion ableitet. Wie er einerseits die auf einer Schenkung ruhenden Lasten bestehen läßt (vgl. S. 430), so wendet er sich dagegen, daß der Kaiser nach Belieben kirchlichen Besitz — auch nicht im Kriegsfall — heranziehen kann. Peter liegt vor allem die Freiheit der Kirche am Herzen. Diese Freiheit betont er noch einmal in der Abwehr der These des Marsilius: Christus habe sich „ex necessitate" dem Kaiser unterworfen 810 . Christus, der Herr und Stifter der Kirche, steht über den Königen, und diese Freiheit gilt auch für die Kirche, den fortlebenden Christus. Deren Haupt ist nicht den Königen unterworfen, daher besitze der Kaiser auch keine richterliche Befugnis über den Papst. Die Schrift führt diesen Gedanken nicht zu Ende, man kann jedoch erkennen, daß Peter trotz grundsätzlicher Anerkennung des spiritual-temporalen Vorrangs das Eingriffsrecht beschränkt wissen will. Ja, man kann aus dem Gesagten sogar schließen, wenn man etwa die Ausführungen des Amidani zu den gleichen Fragen vergleicht, daß er die ekklesiarche Doktrin ohne jede Schärfen verstanden wissen wollte. Schildesche, der die Legitimität der temporalen Obrigkeit aus dem „ius gentium" heraus anerkennt, meint, daß die Temporalien „iure divino et naturali debito" der Kirche gehören"1. Damit ist nicht weltliches Besitzrecht gemeint, sondern Unterordnung unter die Einheit der Heilswirklichkeit. Von 208 Ygj Anm. 193: „providentissimi apostolici", das impliziert eine Kritik an allen Päpsten, die nicht so umsichtig waren. Auch die gegenwärtigen? 2M Vgl. Anm. 194. 210 Scholz II S. 38 ff. — Die Superioriät des Papstes umschreibt Peter vorsichtig: S. 42, der Kaiser hat keine Gerichtsgewalt über den Papst „qui eo superior est quoad principatum spiritualem ecclesie". Die Superiorität über den Papst entscheidet sich am „status ecclesie ad quem possit institui et destitui". 211 Schildesche, Scholz II S. 133 ff. — In der Begründung der Einheit der Kirche und, darin eingeschlossen, der final begründeten spiritualen Abhängigkeit des Temporalen wird eindeutig die spirituale Gründung des kirchlichen Vorrangs sichtbar: Freiheit von Irrtum, Unabhängigkeit der Kirche, Unterordnung unter die Kirdie „respectu finis ultimi". Die Temporalien müssen gerecht angestrebt werden, in quantum ad finem ultimum". — S. 136 bemerkt er zum gerechten Gebrauch der Temporalien, es gäbe einen Gebrauch, „quia cadit super debitam materiam cum debitis circumstantiis, et sie intelligitur iustus vel rectus, 28*

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

dieser Einheit geht er aus, wobei er unterscheidet: „unitas fidei, status, finis". Von dieser Einheit her, die zugleich begründet ist in der Analogie zur trinitarischen Einheit, ferner in der Abbildlichkeit der himmlischen Hierarchie in der Ordnung des Universums, behauptet er die Abhängigkeit der weltlichen Gewalt von der geistlichen'". Im Bezug auf das letzte Ziel ist jedes Gut „virtualiter et supereminenter" erhalten. Der temporale Ordo ist letztlich sinnvoll erst in der Hinwendung auf den spiritualen ordo, und von dieser Hinwendung her ergibt sich auch die „de iure" Abhängigkeit der weltlichen Obrigkeit. Wie Schildesche diese Abhängigkeit näher versteht, ergibt sich aus einer originellen Stellungnahme zum homagium gegenüber einem Exkommunizierten. Die Frage nach der Gültigkeit des lehnsrechtlichen Mannschaftsdienstes taucht auf bei dem Argument, daß die Temporalien in einer Gemeinschaft eben vom ius publicum, bezw. vom bonum rei publicae abhängen: „sed ius publicum consistit in sacris ordinibus, sacerdotibus et magistratibus" (c. 14). Geistliche und weltliche Ordnung werden in einer bereits antikisierenden Diktion als Einheit gesehen. Das liegt gar nicht, in der groben Sehweise, so weit weg von der strukturellen Optik des Defensor pacis. Nun gibt es aber außerkirchliche Obrigkeiten, die ihre Temporalien nicht von der Kirche her anerkennen, darunter auch Exkommunizierte. Kann einem solchen gegenüber nodi eine Verpflichtung des homagium bestehen? — Die Antwort Schildesches: Die Abhängigkeit des Temporalen von der Kirche besteht ihrer ersten Zuordnung nach (principaliter), und zwar auf doppelte Weise. Einmal kann man von keinem Ungläubigen oder Exkommunizierten ein „temporale" empfangen, das vom Beliehenen eine Verpflichtung (quovis modo) verlangt. Das Gleiche gilt für das Verhältnis zum exkommunizierten Herrn (homagium). Zum andern gilt jedoch, daß die gründende Abhängigkeit des Temporalen von der Kirche (principaliter) ein bonum spirituale betrifft 2 ". In diesem Sinne hält er es dann doch als wahrscheinlich, obwohl die Frage viele Zweifel mit sich bringe (magis dubia), daß die Temporalien als solche (ut sie) ihrem Wesen nach (principaliter) von der Kirche abhängen814. Die Bedeutung dieses „principaliter" ergibt sidi aus dem, was sonst zur Abhängigkeit gesagt ist. Sie ist begründet in der finalen Zuordnung des

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quia non est illicitus vel viciosus". Das ist demnach der weltimmanente Gebrauch, er kann „esse rectus extra ecclesiam". Der zweite „rechte" Gebrauch ergibt sich aus dem ewigen Ziel, das in ihm angestrebt wird. c. 3, Scholz II S. 133: 1) ad imitationem divinarum personarum, 2) ad instar celestis hierarchie, 3) ex ordine entium hängen die temporalen Gewalten de iure von der kirchlichen Gewalt ab. Scholz II S. 137, in die Form einer Hypothese gekleidet: „Alio modo bona laycorum dependere ab ecclesia posset intelligi sie, quod temporalia ipsa et ipsi layei prineipes in ipsis temporalibus ab ecclesiastica potestate dependerent et principaliter ea a papa et ecclesiastica potestate recognoscere deberent, sicut bona spiritualia recognoscunt. Et sie questio est magis dubia". Dennodi könne „videtur probabiliter posse dici, quod eciam ut sie bona temporalia ipsorum ab ecclesia dependent et ab ea principaliter". Die dreifache Eingrenzung: videtur, posse, probabiliter, verrät die zögernde Haltung Hermanns. Vgl. auch Anm. 188, 189. Die Wendung „ab alio et ab alio dependent" zeigt, daß es aus der naturalen und supernaturalen Finalität heraus eben doch verschiedene Abhängigkeiten gibt. Vgl. Anm. 213.

I I I . D e r Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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Temporalen auf das Spirituale, so daß „principaliter" eben die in der Heilswirklichkeit ruhende Erstrangigkeit im Sinne eines in den Ursprung reichenden formenden Gesetzes (principium) meint. Also nicht Erstrangigkeit, die vielleicht die rein kreatural-temporale Gründung der weltlichen Ordnung negieren, ausschalten oder ersetzen wollte. Schildesche bestätigt das selbst, wenn er fortfährt, daß im übrigen (ex consequenti) die bona temporalia der Fürsten und Laien auf das Gesamtwohl und die Erhaltung des Staates ordiniert sind. Nur aus dieser Voraussetzung heraus vermöge man zu sagen, daß der Fürst gegenüber dem privaten Besitz ein „plenum dominium" innehalte215. Dies erlaube ihm, im Notstand auf den privaten Besitz zurück zu greifen. Dasselbe gilt für die Kirche. In dieser Linie ist dann zu verstehen, wenn er Reich und Kirche ein „dominium directum" auf die Temporalien der Untertanen zuspricht. Der Kirche stehe dieses dominium „naturaliter" zu, weil die Temporalien ihrer Natur nach auf die ewigen Güter hingeordnet seien. Oder modern in der Sprache K . Rahners gesprochen, sie besäßen ein spiritual-ordinatives Existential. Ferner komme der Kirche dieses Recht zu, weil nach Recht und Gesetz der einzelne sich für die Verteidigung der Kirdie einsetzen müsse. Das Imperium dagegen besitze diese Notstandsverfügung nur aus dem ius gentium, weil Privatbesitz und Herrschaft erst dem Völkerrecht entstammten. Das entspricht der traditionellen Zuweisung von Eigentum und Herrsdiaft an das abgeleitete Naturrecht216. Für die Kirche bedeutet dieses Recht daher nicht reguläres, weltliches dominium als „potestas directa", denn es werden in demselben Zusammenhang klar die reguläre direkte Verwaltung der Spiritualien, die als „potestas directa" anzusehen ist, von der nur „principaliter" zu verstehenden Abhängigkeit der Temporalien unterschieden. Letztere ist „inquantum ad bona divina et spiritualia conservanda et obtinenda"" 7 . Damit ergibt sich dann auch die Deutung des Wortes, daß die 215

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c. 14, Scholz I I S. 137: „Sed sine temeritate credo, quod sicut princeps vel gubernator reipublice est, quod habeat plenum dominium in rebus subditorum, ut quidam legiste dicunt, non posset accipere bona subditorum qui non demeruissent, nisi ad necessitatem reipublice". c. 14, Scholz II S. 138. H e r m a n n unterscheidet das „dominium directum et totale" Gottes von den andern dominia. Die Diskussion geht um die rechtliche Situation der Temporalien, nicht um die Obrigkeit selbst. Dennoch gilt das Gesagte insoweit auch f ü r die Obrigkeit, als sich die allgemeine Tendenz im grundsätzlichen Verständnis des „principaliter" und des „executive" ablesen läßt. — Zur Einordnung des Eigentums in Naturrecht und Völkerrecht vgl. Verf. Ockham S. 57; D a s Naturrecht bei W. Ockham, S. 61 f. — L . de Sousberghe, D a s Privateigentum als Naturrecht, Dokumente 7, 1951, S. 123 ff. Der Armutsstreit zwingt zu einer detaillierteren Überlegung dieser Fragen, die aber keineswegs systematisch weitergeführt werden. Scholz II S. 138: ex Omnibus ergo videtur posse dici, quod bona temporalia principum laycorum principaliter dependent ab ecclesia, in quantum ad bona divina et spiritualia conservanda et optinenda principaliter ordinantur. — E r unterscheidet dann ein dreifaches dominium directum. D a s temporale dominium über die res subditorum ist „quidem directum, sed non totale dominium, aliter et aliter". U n d zwar aus der naturalen H i n o r d n u n g auf die Spiritualien und aus „institutione h u m a n a " . — Diese direkte G e w a l t über die Temporalien ist noch nicht die direkte Gewalt über die potestas temporalis selbst. Ferner zeigt die Definition des „principaliter", daß die Abhängigkeit der Temporalien auf den

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

Kirche „mediante temporali potestate" die Temporalien verwalte, so daß sie selbst für die Spiritualien frei bleiben könne. Darin kann man bei Sdiildesdie keine nur angehängte und abgeschriebene Floskel sehen. Denn wenn er in gleichem Zusammenhange noch einmal betont, daß im übrigen die Temporalien „a re publica temporali" und „ultimo" vom Privatwohl bestimmt sind, also die jeweils human saekulare Finalität anerkannt wird, dann erhält dieses Verwalten „mediante temporali potestate" doch auch ein unübersehbares Eigengewicht aus dem Eigenstand der saekularen Zwecke und Ziele heraus. Im Grunde ist zugegeben, daß hinsichtlich des spezifisch Temporalen die Temporalien nur von der weltlichen Ordnung abhängen können. Radikaler in Fragestellung und Antwort gibt sich Alexander v. St. Elpidio, wie Ägidius Ordensgeneral der Augustiner (f 1325). Sein klar und bündig formuliertes „opusculum" de potestate ecclesiastica faßt die Lehre seines Ordens zusammen, offenbar, wie der Druck von 1494 lehrt, mit langer Nachwirkung. Alexander folgt sichtlich dem Jakob von Viterbo (vgl. S. 372), daher darf man eine Bemerkung (c. 4), daß die Gewalt der Fürsten „derivatur a potestate christi vicarii", nicht monistisch auslegen; die naturrechtlich-positiv-rechtliche Ableitung wird dadurch nicht eliminiert. In c. 9 gibt er ja die Herkunft der Gewalt „ex iure humano quod a natura oritur" zu. Die ekklesiale Ableitung der Temporalgewalt hat ihren Grund und ihr Ziel in der spiritualen Ordnung. So sieht Alexander die potestas temporalis als „intra ecclesiam" (c. 4), sie steht in der „ordinatio ad spiritualia", hat selbst die Aufgabe dieser „ordinatio" (c. 4: ordinat illa seu ordinäre debet ad finem spiritualis vite"). Die päpstliche Temporalgewalt ist daher nur als ein „virtualiter" nicht als ein „formaliter" zu verstehen (c. 4: „nobilius est habere aliquid virtualiter quam habere illud formaliter"), das ist der Sinn der „directio ad nutum", des „habere ad nutum". Und da der Papst nicht formaliter Temporalherr ist, hat er auch keine Immediatgewalt kraft seiner Vollgewalt: „temporalia aliter subsunt potestati temporali et aliter spirituali. Nam temporali subsunt immediate quantum ad immediatam dispensationem et administrationem; sed spirituali subsunt quantum ad principalem ordinationem (c. 6), quia ut liberius... vacare possit spiritualibus operibus ad que principaliter ordinata est". In der Kennzeichnung als „principalis ordinatio", die in Korrelation zum „principaliter" der geistlidien Funktion steht, wird der spirituale Gehalt der päpstlich-temporalen Gewalt sehr deutlich. Nur in „casu necessitatis" kommt es zum direkten Eingriff (c. 6), ebenso erhält der Papst durch das CC, das in c. 10 ausführlich zitiert wird (von § 10 an), die Befugnis „magis immediate se intromittere de temporalibus" (c. 8). Diese Bemerkung bestätigt rückwirkend, daß die in der Voflgewalt selbst ruhende Gewalt über Erhalt der Spiritualien hingeordnet ist, sie ist auf keinen Fall zu verwechseln mit der spezifisch saekularen Relation. Diese ist, wie Hermann a. a. O. ausführt, audi direkt aber nicht total; hierbei fällt die Bezeichnung „temporalia privata". Es handelt sich demnach um die Interpretation des privaten Eigentums. D a ß die Hinordnung des privaten Eigentums auf das bonum commune nicht aus Naturrecht erklärt wird, hängt mit der in Anm. 216 angeführten Erklärung von Eigentum (und Herrschaft) zusammen, nach der beide nicht „naturaliter" entstanden.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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die Temporalien eben nicht als „direkte Gewalt" zu verstehen ist; sie unterstreicht jene Abgrenzung, die in der Distinktion von virtualem und formalem Verfügen über die weltlichen Dinge sichtbar wurde. Auch der Traktat des Alexander erweist, wie sdiief und wenig ergiebig der Terminus „direkte Gewalt in zeitlichen Dingen" zur Kennzeichnung der hierokratischen Doktrin ist. Von Amidani haben wir sdion gehört (vgl. S. 426 f), daß er eine populistische Begründung der königlichen Stellung mit der soliustistisdien Argumentation verbindet. Trotz des Verwendens populistischer Motive bei den Kanonisten 1 " bleibt die Begegnung zweier so verschieden intendierter Aussagen doch merkwürdig. Man sollte darin nicht den Hinweis übersehen, der sich hier für das Verständnis auch der soliustistischen Thesen anbietet. Amidani argumentiert deutlich in der Nachfolge des Ägidius, man kann demnach ermessen, wie bei aller Monotonie des ekklesiarchen Vokabulars sich doch die Akzente abwandeln oder verschärfen. Amidani verschärft — und verändert dadurch zugleich, indem er die Distinktion von Primär- und Exekutivjurisdiktion nicht mehr in der Klarheit zum Einsatz bringt wie Ägidius selbst"®. In teilweise wörtlicher Anlehnung an Ägidius stellt er die soliustistische Konzeption dar, geht dann gleich zu den verschiedenen Fällen immediaten und mediaten Eingriffsrechtes der Kirche über, wobei nur sporadisch das Erstrecht und Exekutivrecht festgehalten und unterschieden werden kann. So wenn Amidani davon spricht, daß die weltliche Verfügung nur „virtute potestatis ecclesiastice spiritualis" zu denken sei (Scholz II, S. 19 f), oder wenn ein „dominium naturale et divinum" der Kirche von der „potestas, que pertinet ad potestatem terrenam vel temporalem" abgesetzt wird. Zwar wird hier wieder einmal, wie bei der Anwendung des Begriffes „dominus naturalis" für Christus im Zusammenhang natural-positiv-reditlicher Fragen der Unterschied von weltimmanent herrschaftlicher Ordnung und der Heilsordnung grobschlächtig verwischt"0, aber man darf über diesem Einwand nicht 218

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Et est sciendum, Gillmann, A K K 107, 1927, S. 213, zu c. 1 Omnis D. X X I I ad v. terreni simul: „et per populi electionem". — Ferner Laurentius, Gillmann, Des Laurentius Apparat, S. 22: N a m populus per electionem facit imperatorem. — Guido Baysio, Rosarium zu D. II, zitiert Laurentius, nach dem das Volk dem Kaiser die Herrschaft entziehen kann. — In den von Scholz II S. 17 ff angeführten Stellen wird der Unterschied von Primärund Exekutivjurisdiktion weder genannt noch ausgeführt. Man kann ihn nur implizit erschließen. — Nur S. 22 wird von einem primarium dominium gesprochen, das die Kirche über die Temporalien hat. Auf die Relation zur potestas temporalis wird diese Bestimmung jedoch nicht weitergeführt. Zu Christus als „dominus naturalis" vgl. Innozenz IV Anm. 507. — Egidius Spiritualis, Scholz II S. 119: „ad Christum, qui fuit naturalis dominus." — In den Zusammenhang der naturalen Begründung spiritualer Rechte gehört auch Schildesche, Scholz II S. 138; vgl. Anm. 217. — Dieser Gebrauch von „natural" im Bereich der Heilsordnung verlangt darnach, daß der Bezug zum naturalen Rechtstitel geklärt wird. Das kann aber, wie das Beispiel Schildesches zeigt, deshalb nicht geklärt werden, weil die naturrechtliche Begründung von Eigentum und Herrschaft hier in diesem Kontext verdunkelt wird, indem Eigentum und Herrschaft als „non naturaliter", „ex natura non processit dominium hominis super hominem" bezeichnet werden. Dabei könnte das gubernative dominium sehr wohl als die geschichtliche Form der Zwangsherrschaft gelten, was bei Schildesche (vgl. S. 139)

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übersehen, was mit dem „dominium naturale" — wie mit dominus naturalis — gesagt sein soll: Daß die Kirche aus göttlichem Recht, und damit auch aus natürlichem Recht, einen der natürlichen Ordnung entsprechenden Titel besitzt. Dieser ist nicht identisch mit dem, was sich positivrechtlich als einklagbarer Rechtstitel manifestiert. Heißt es doch auch bei Amidani in eben diesem Zusammenhang, daß, gerade des „dominium naturale et divinum" wegen, sie „nur noch" die weltliche Nutznießung, etwa bei Schenkung, erwirbt, also das „dominium fructiferum". Aber gerade das dominium fructiferum, das Nutzrecht, macht ja eben den Bereich des Gebrauches, der unmittelbaren Funktion, des einklagbaren Instrumentariums aus. Die Kirche hat eben nicht die zuvor genannte „potestas terrena vel temporalis", der das „dominium fructiferum" zusteht. Auf diese Weise glaubt Amidani der Teilung der Gewalten im Sinne des Hugo von St. Viktor Genüge getan zu haben. Die Kirche hat demnach eine „potestatem ordinariam ad regendum ipsa temporalia" 221 . Im Ausdruck geht das über Ägidius hinaus und hängt zusammen mit der fehlenden, ausdrücklichen Unterscheidung von Erst- und Exekutivgewalt. Es sieht bedenklich nach regelmäßiger, direkter, d. h. spezifisch temporaler Regierungsgewalt aus, vor allem, wenn gleich darauf im Hinblick auf die Bußgewalt der Kirche von einem „immediatum dominium in ipsis et super ipsis personis et rebus" gesprochen wird 222 . Aber schon der Hinweis auf die Bußgewalt erweist, daß es sich um eine spiritual begründete Befugnis handelt, zudem folgt eine auf ähnlicher Linie liegende Bemerkung, daß der Papst in alle Temporalien sich einmischen könne: „ut sunt spiritualibus aliquo modo annexa" (Scholz II, S. 19). Das ist wörtlich Ägidius nachgeschrieben, und die Fälle, die er nennt, entsprechen auch dem Schema des Vorgängers. Er fügt diesem Schema hinzu (vgl. dazu S. 328 ff) den Kampf der Kirche gegen ihre Feinde. Sie kann in diesem Fall von den Gläubigen Abgaben erheben. Neben dieser, aus der unmittelbaren Zugehörigkeit des Temporalen zum Spiritualen folgenden Immediatgewalt nennt Amidani dann auch noch ein „dominium mediatum". Dieses folgt aus der soliustistischen Begründung der temporalen Verfügung in der Heilsordnung223. Es entspricht

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auch der Fall ist, wenn von Einführung „contra ius naturale" gesprochen wird (vgl. Anm. 189). — Jedenfalls bleibt die aristotelisch-thomistisdie, sozialphilosophische Begründung des regimen und der possessio unsichtbar. Dieser Mangel prägt die hierokratische These der vorliegenden Publizisten. Dabei wird dann auch die wichtige Eigenart Jakobs von Viterbo etwa deutlich. Das Gleiche gilt für Alvarus und Augustinus Triumphus. Vgl. Verf. H J 82, 1963 S. 112 ff. — Franz Stud. 46, 1964, S. 69. Scholz II S. 2 0 : Die Kirche hat das „dominium naturale et divinum" schon vorher, „non autem potestatem, que pertinet ad potestatem terrenam vel temporalem". — Damit ist zugleich eine eigene Pertinenz der saekularen Rechtstitel zugegeben. Sie beinhalten das „dominium fructiferum", den Gebrauch und die Benutzung, also die spezifisch weltliche Verfügung. Damit wird das „dominium naturale et divinum" eben von diesen spezifisch saekularen Titeln getrennt. Es ist nicht „weltlich-weltliche" Verfügung, was wiederum das Verständnis der „potestas ordinaria" erleichtert. Scholz II S. 1 9 : der Priester könne in der Beichte materielle Bußleistungen verlangen. Scholz II S. 2 0 : Das „dominium mediatum" folgt aus der Abhängigkeit der temporalen Verfügung. Sie entsteht: „Virtute potestatis ecclesiastice spiritualis".

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der Erstgewalt des Ägidius, die damit als mediate (indirekte) Gewalt definiert wäre. Im Grunde hält so Amidani das ägidianische System von Erst- und Zweitgewalt (Eingriffsgewalt) aufrecht. Zur Erstgewalt gehört alles, was als ordinaria potestas dominium naturale et divinum ausgegeben wird. Aus ihr folgt im Sinne des dem Spiritualen „anhängenden" (annexum) das „dominium immediatum". Wenn aber für die Exekutivjurisdiktion der spirituale Annex Bedingung ist, dann besagt das, daß es sich um einen spiritual bestimmten Vorgang handelt. Auf keinen Fall vollzieht sich eine spezifisch temporale Verfügung. In dieselbe Richtung weist, wenn die Primärjurisdiktion als der „potestas spiritualis" zugehörig bezeichnet wird. Das zeigt erneut224, auch in einer epigonenhaften Formulierung, die spirituale Anlage und Intention der soliustistischen These und gibt zugleich einen Fingerzeig für das rechte Verständnis der dem Herrscher zugebilligten Befugnisse samt der schon erwähnten populistischen Begründung der Gewalt 225 . Diese Begründung setzt voraus, daß die Herrschaft in sich eine eigene Wurzel vom Volke her besitzt, so daß die spirituale Erstgewalt als Umformung und Vollendung der potestas temporalis zu verstehen ist. Diese wird in die Heilsordnung genommen, gerät in den universalen Bezug der Heilsvermittlung, wird vollzogen „cum iustitia" in der Wiedergeburt des Sakramentes. D a s populistische Argument bedeutet daher ein wichtiges Zugeständnis, denn wenn man es so unbefangen in einem Atemzug mit der soliustistischen These vorbringt, dann sind der kirchlichen Gewalt, aus der Distinktion der Gewalten und damit aus der jeweiligen Eigenart der Gewalt, ihre Grenzen gesetzt, auch wenn Amidani in seiner Diktion sie nicht genügend klar nachzieht. Von Absorption der temporalen Eigenständigkeit kann hier nicht die Rede sein. In dieselbe Richtung weist das, was Amidani zu den Rechten des Kaisers zu sagen weiß. Der Kaiser hat die Hoheit über alle Güter und Menschen hinsichtlich des Schutzes „contra rapientes et molestantes" (Scholz II, S. 20). In Zivilsachen sind ihm nur die Laien Untertan. Hinsichtlich der kirchlichen Güter trifft er verschiedene Abgrenzungen; so zitiert er eine Meinung, nach der die von der Kirche erworbenen Güter restlos in die kirchliche Jurisdiktion übergehen sollten. Andrerseits gesteht er zu, daß im äußersten Fall der Kaiser vielleicht das Kirchengut verwenden könne: „nullo igitur modo dicendum est, quod imperator talia bona accipere potest ut sua, nisi forte in casu ultime necessitatis" (Scholz II, S. 22). In diesem Augenblick wäre allerdings eine temporale Zuständigkeit gegeben, die, im Prinzip, gar nicht so weit von jener Meinung entfernt ist, die von weltlicher Seite zugunsten der Forderungen an den Kirchenbesitz vorgebracht wurden. In diesem Rückhol recht um des saekularen Allgemeinwohls willen manifestiert sich sozusagen mit einem Schlage 224

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S d i o l z I I S. 18, 20. D i e kirchliche H o h e i t w i r d jeweils „spiritualis p o t e s t a s " genannt. V g l . hierzu die entsprechenden A u s f ü h r u n g e n bei Aegidius, oben A n m . 66, 101. U l l m a n n , M e d i e v a l p a p a l i s m S. 166 ff, sieht in der V e r w e n d u n g des populistischen A r g u mentes durch die K a n o n i s t e n nur die p r o k u r i a l e K o m p o n e n t e , mit der die Überlegenheit des P a p s t a m t e s erwiesen werden soll.

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inmitten der ekklesiarchen Ansprüche dann doch wieder die ursprüngliche Eigenständigkeit des weltlichen Schwertes. Was man bei Amidani vermißte, die unmißverständlidie Argumentation von der spiritualen Intention her und das jeweilige Freilegen der spiritualen Grundstruktur der kirchlichen „potestas temporalis", wird bei Andreas von Perusio greifbarer. Die kirchliche universale Jurisdiktion entwächst der spiritualen Finalität und ist „principaliter" darin gegründet"", sie ist Führung auf das Ziel hin. Daher ist der Eingriff in weltliche Angelegenheiten dann gegeben, wenn der Fürst vom Ziele abweicht, also „ratione peccati". Andreas schreibt im Auftrag des Kardinallegaten Gaetani, unmittelbar nach dem Ereignissen vom April 1328 in Rom, gegen das Edikt „Gloriosus Deus". — Sein Ordensbruder als Minorit, Franciscus Toti, der ebenfalls im Auftrage des Kardinallegaten in derselben Sache tätig wird, schlägt wieder einen schärferen Ton an. Entschieden kehrt er die instrumentale Funktion des kaiserlichen Amtes heraus. Erster Grund der Überordnung ist ihm die Einheit der Kirche und der Vikariat Christi im Papste 8 ". Die geistliche Gewalt vermittelt der weltlichen das „esse" im Sinne des ontologischen Verhältnisses von Form— Materie, sie verhält sich darin „wie ab totali causa"; so kann der Papst unmittelbar und mittelbar den Kaiser absetzen. Aber im Eingriff in den weltlichen Bereich bleibt dennodi die Primärgewalt „integre" beim Papst. Sie wird in Form der „executio" für bestimmte Fälle aktualisiert, wie es im Stile des Ägidius heißt. Eine besondere einseitige Formulierung, in ihrer polemischen Kürze wirkt sie so, als ob die weltliche Gewalt ihrem Ursprung nach von der geistlichen absorbiert würde (totalis causa) und das weltlidie Schwert nur im Auftrag der Kirche tätig sein könne 1 ". Dieser Extremismus der Diktion ist jedoch nur in der Darstellung der Primärgewalt wirksam und überdies hierin, wie gleich ersichtlich, noch widersprüchlich. Die Exekutivgewalt zielt auf die schon in der Linie Tankred— Fieschi—Ägidius genannten Fälle. Sie passen in den Rahmen, der in der Zeit Innozenz' III. gezogen wurde: 1) In schwierigen und zweifelhaften Angelegenheiten, 2) bei Vergehen, 3) bei Defekt des weltlichen Herrn, 4) bei Übertragung der Jurisdiktion durch den weltlichen Herrn an die Kirche. Der letzte Punkt, der ja auf fremdem Recht beruht, beweist zugleich, daß der Papst nur bei Vorliegen eines das Gemeinwohl gefährdenden Notstandes oder im 226

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Andreas von Perusio, Scholz II S. 72: „saltem temporalia omnia, ut ordinantur ad finem, principaliter ad sumraum pontificem, non ad aliquem secularem principem debeant pertinere". Scholz II, S. 78, zitiert nur, die potestas temporalis hänge von der potestas spiritualis ab, „wie ab totali causa". Daraus ist anzunehmen, daß der Text lautet „ut ab totali causa". Sollte das den Ausschluß originärer säkularer Titel bedeuten, dann würde sich diese These von selbst richten und gegen jene Anerkennung des Temporalen verstoßen, die wir sonst beobachten können. Scholz II, S. 79: „Dico igitur, quod apud papam residet utriusque potestatis et iurisdictionis plenitudo; sed potestatem secularem concedit imperatori, mediante ipso eam exercet, sibi ipsi eam non aufferendo, sed ipsam integre ac eius exequutionem in certis casibus reservando. Quorum primus est quando princeps aliquid ex devocione concedit ecclesie non solum fructum ville, sed iurisdictionem sicut habet ecclesia patrimonio."

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Sinne der „ratio peccati" und zur Sicherung der Rechtsordnung (difficile et ambiguum) eingreifen kann (Fall 1—3), im übrigen (Fall 4) auf die Zession des weltlichen Herrn angewiesen ist. Trotz der universal-kausativen Primärgewalt (totalis causa), bleibt dem Fürsten der weltliche Bereich, solange die temporalen Belange rechtlich ungehindert gewahrt werden können. Auch der Papst der „totalis causa" kann nicht kraft seines Erstrechtes nach Belieben tätig werden. Die Radikalität liegt in der Formulierung der Erstgewalt, die Exekutivgewalt bleibt im gewohnten Schema. Wenn nun aber die Formulierung der spiritual-temporalen Vollgewalt unmittelbar neben sich, im gleichen Atemzug, die Zession der Temporaljurisdiktion an die Kirche genannt sieht und diese Zession einen „certus casus" setzt, in dem der geistliche Vorsteher ein temporales Immediatrecht erhält, dann bieten sich doch zwei Deutungen an: 1) Die weltliche Zession setzt eine ruhende Exekutivgewalt in Aktion, sie wäre also nur auslösendes Element. Kann jedoch die Zession des Untergeordneten, des kausal Abhängigen der übergeordneten „totalis causa" ein Recht verschaffen, eine Situation erwirken, in dem die höhere Instanz aktiv werden darf im Sinne des „usus gladii materialis", wo sie sonst nicht aktiv werden dürfte? Denn Toti wiederholt ja selbst den bekannten Grundsatz, daß der Papst „mediante imperatore" die Welt lenke. Diese Regel soll nun durch einen Willensakt des Untergeordneten, der vom Höheren in sein Recht gesetzt wurde, durchbrochen werden! Eine temporale Entscheidung soll die Ordnung des „ad nutum — ad usum" von sich aus bestimmen, die Funktion der kirchlich-weltlichen Exekutive soll von der saekularen Zession abhängig sein. Das wäre offener Widerspruch, solange in der Abhängigkeit von der „totalis causa" audi kausativ alle spezifisch temporalen und originär temporalen Besitztitel eingeschlossen wären. 2) Man muß daher nach einer anderen Deutung suchen. Sie geht dahin, daß in der temporalen Zession etwas enthalten sein muß, was die Kirche von sich aus in der Primärgewalt noch nicht besitzt. Trifft das zu, dann kann aber die „potestas saecularis" nicht restlos in die „potestas spiritualis" vereint werden, und kann ebensowenig der Unterschied der Ordnungen aufgehoben sein, wie etwa nach Ullmann die Stelle zu interpretieren wäre"'. Denn wenn diese Einung und die mit ihr verbundene Aufhebung der Gewaltentrennung statthätte, wäre nicht einzusehen, warum nicht der Papst kraft eigener Vollmacht die in ihm ruhende und bei ihm reservierte Primärgewalt zur Exekutive macht und warum überhaupt noch eine Zession erforderlich wird. So sehr diese zweite Folgerung, angesichts des dürftigen Textes, auch in der abstrakten Reflexion bleiben muß, so bietet sich aus der Sache heraus eben diese Lösung an. Der unbefriedigende Bestand der Aussage des Toti mit ihren apodiktischen Thesen, die nicht untereinander konfrontiert sind, weist exemplarisch auf die Schwierigkeiten einer Interpretation, die selbst wiederum auf den Mangel der ekklesiarchen Konzeption verweisen. Wenn mitten im ekklesiarchen Vokabular eine Behauptung steht, die nur aus dem Vorhandensein 2N

Ullmann, Machtstellung S. X X X V I ; hierzu meinen Aufsatz: Paupertas und potestas (zu Alvarus Pelagius) FranzStud 46, 1964, S. 65.

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eigenständiger Rechtstitel zu verstehen ist, dann bleibt eben der Bereich der saekularen Eigenständigkeit im Grunde unbewältigt. Unbewältigt zunächst ganz einfach, weil nicht durchdacht. Toti ist mit seiner Richtung ein Opfer der eigenen Selbstsicherheit. D a die Abhängigkeit der Welt von der Kirche nur den Heilsbezug intendieren kann und nach der wesentlichen Anlage der Doktrin dies auch meint, muß eine pauschale und undifferenzierte Aussage, wie die von der geistlichen Gewalt als der „totalis causa", unheilvoll sich auswirken. Von den übrigen Publizisten bietet Lambert Guerrici keine erwähnenswerten Aspekte, während der anonyme Traktat über die kirchliche Gewalt sehr entschieden die Einheit der „politia christiana" mit dem „monardius ecclesiasticus" an der Spitze, aber zugleich auch den wesentlich spiritualen Charakter der kirchlichen Gewalt betont" 0 . O p i c i n u s wendet sich gegen eine nur spirituale Auslegung der Schrift. Jetzt sei eine verbale Auslegung nötig: „ego ad literalem superficiem traho" 231 . Die Worte der „sanctissimi doctores" seien zuweilen sehr subtil und bezögen sich nur auf ihre Zeit. Ein bezeichnendes Eingeständnis dafür, daß man sich über die Zeitgebundenheit mancher Urteile bewußt war, und zugleich auch dafür, wie wenig subtil das eigene Urteil vorgebracht wurde. Der Unterschied von Primär- und Exekutivgewalt ist bei Opicinus durch den Begriff der „potentia absoluta" terminiert. „De potentia absoluta" vermöge der Papst das weltliche Schwert zu gebrauchen, jedoch nicht „per se" M I . Wir haben hier eine fragwürdige Anleihe bei der Trinitätstheologie, die deutlich die vergröbernde Linie dieser Publizistik kundtut. Daß die Kirche keine weltliche Exekutive übernehmen soll, ergibt sich aus der geistlichen Funktion des Kirchenamtes. Dabei offenbart auch Opicinus in der Deutung temporaler Schenkungen an die Kirche eine widersprüchliche Argumentation. So, wenn einerseits davon gesprochen wird, daß eine Schenkung in einer Zeit weltlichen Übergewichtes keine „nova collatio", sondern eine „executionis permissio" darstellte, andrerseits, daß auch der Einzelne ohne Genehmigung des Kaisers der Kirche etwas schenken konnte und viele auch, nach einer Bemerkung 230

251 232

L a m b e r t , Scholz I I , S. 154 ff, meint, daß bei der K a i s e r k r ö n u n g auch die anderen K ö n i g e , ausgenommen Frankreich und Sizilien, ihre K r o n e n neu e m p f a n g e n sollten. Z u m C C vertritt er die Illegitimitätstheorie. — Z u m T r a k t a t des A n o n y m u s , Scholz I, S. 2 5 0 : „potestas v e r o ecclesiastica est principaliter spiritualis, secularis autem seu civilis est corporalis. — S. 2 5 2 : Scharfe B e t o n u n g der Einheit der „policia christiana". D e r A u t o r unterscheidet den principatus in: principatus catholicus vel gentilis ( J u d a i c u s , Saracenus) als species. „Princip a t u s autem catholicus sive policia christiana est q u o d d a m unum n u m e r a l e " . D a s sacerdotium ist nicht ein neben der policia stehendes totum, sondern eines der Teile der policia. Kirchliche und staatliche G e w a l t sind integrierende Bestandteile des einen principatus aller Getauften. — I m Vergleich z u m administrativen Monismus des D e f e n s o r pacis wirkt das alles sehr interessant. D i e Einheit der ordines, wie sie H u g o v. St. V i k t o r aus dem corpus mysticum entfaltet, w i r d auf die policia christiana, die kirchlich-staatliche Einheit der Christen zurückgeführt. Wenn bei H u g o und den H i e r o k r a t e n die F r a g e nach der E x i s t e n z des Staates sich erhebt, so hier die F r a g e nach der Eigenexistenz der Kirche. Opicinus Scholz I I S. 101. Scholz II, S. 97 f : „utriusque gladii iurisdicionem habeat ac etiam executionem de potencia absoluta, non debet tarnen per se g l a d i u m temporalem in v i n d i c t a m e x h i m e r e " .

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Johanns XXII., entsprechend schenkten233. Wieder steht die Frage bereit, wie denn eine saekulare „permissio", und wenn es auch nur die permissio executionis ist, das Gebot der regulären Nichtausübung weltlicher Gewalt aufzuheben vermag. Im übrigen erweist die Tatsache, daß der Herrscher oder Schenker eine „executionis permissio" erteilt, daß der Temporalherr die executio als eigenes, autogenes Recht besitzen muß. Autogen deshalb, da sonst keine „permissio" möglich wäre, sondern der geistliche Oberherr kraft eigener „potentia absoluta" die Exekution an sich ziehen könnte. „Executio" ist offenbar, auch das kann man daraus ersehen, ein eigener Rechtsbereich und mehr als nur delegierte Befugnis. Die Schwierigkeiten, in denen diese ekklesiarche Argumentation gerät, wenn einmal die Positionen verglichen werden, rühren daher, daß die hierokratische Theorie zwar in sich ein geschlossenes und final durchkonstruiertes Lehrgebäude zu errichten vermag, jedoch überall „in der Welt" auf den Raum stößt, der eigenen Rechtes ist und für den das Begriffsschema „ad nutum/ad usum" einfach nicht ausreicht. Die Stimme endlich, die sich im Streit zwischen Avignon und dem Imperium für Johannes XXII. und gegen Ludwig den Bayern samt seinem Anhang mit den wohl extremsten Formulierungen erhebt, ist die des Egidius Spiritalis. Zugleich sammelt sich in ihm, der sich als Schüler des Archidiakonus (Guido Baysio) zu erkennen gibt und als „doctor decretorum" bezeugt ist, die kuriale kanonistische Tradition von Alanus her. Er nennt natürlich seinen Lehrer, dann Tankred, Aquasparta, wendet sich beflissen gegen Huguccio und Johannes Teutonicus, aber auch gegen den Hostiensis, der doch ganz in der Linie Innozenz' IV. blieb, kurz gegen irgendwie ihm als einschränkend erscheinende Stimmen234. Er beruft sich auf Gregor VII., Innozenz III.; die theologische Publizistik seit dem Ende des 13. Jahrhunderts wird nicht zitiert und zeigt auch keinen Einfluß. Interessanterweise fehlt die soliustistische Argumentation. Er bedauert, daß Clemens V. in „Meruit" (c. 2 Extrav. Comm. De priv., V, 7) die Geltung von „Unam sanctam" für Frankreich aufgehoben habe — das bezieht sich auf die temporale Unterordnung des französischen Königs: „utinam cum bono conscientie sue" entringt es sich dem Schreiber (Scholz II, S. 109). Vor dieser Kulisse sammeln und summieren sich nun in einem Feuerwerk kurialistischen Eifers die Attribute päpstlicher Vollmacht, sie lassen das Bild einer enthemmten Argumentation entstehen. Enthemmt nicht zuletzt deshalb, weil das Maß und die grenzende Norm der päpstlichen Gewalt, die diese als Vikariat Christi eben an Christus selbst, an seiner Botschaft, an der 233

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Sdiolz II, S. 95. — S. 99: „sicut a sanctissimo patre domino nostro summo pontifice audivi auribus meis, multos ab origine mundi fuisse constat, qui sua sine licentia principis alicuius vel Deo dicabant vel ad invicem condonabant". — Opicinus übersieht den Unterschied von privaten und öffentlichen Rechtstiteln. Aus den Worten des Papstes ist keinesfalls herauszulesen, daß dieser Unterschied belanglos geworden sei. Zitierung des Guido Sdiolz II, S. 111, 114, 115; Tankred, Aquasparta S. 114. — Gegen Huguccio, Johannes Teutonicus: „et adhuc multi post eos", S. 111: Maxime miror de domino Ostiensi, qui nescio, quo ductu rationis" sich gegen den Eingriff des Papstes in die Temporalien wende.

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Schrift, an der Kirche, an der Gesamtverantwortung des Episkopates besitzt, gar nicht genannt werden. Dazu kommt, daß grundsätzlich von der spiritual-temporalen Vollgewalt die Rede ist, ohne die Trennung der Bereiche sachgerecht klarzuhalten. So gewinnt die Häufung radikaler Formulierungen einen geradezu provozierenden und peinlichen Charakter. Etwa, wenn Egidius sagt, solange der Papst nicht gegen den Glauben verstoße: „potest facere et dicere quicquid placet, auferendo etiam ius suum, cui vult, quia non est qui ei dicere possit: Cur ita facis. Nam apud eum erit pro ratione voluntas, et quod ei placet legis habet vigorem"235. Daß neben dem Verstoß gegen den Glauben auch die Wahrung der Gerechtigkeit und des Rechts, der pastorale Dienst am Heil, das anvertraute Wohl der Gesamtkirche, der Prinzipat der Liebe auch normierende Regulative der Vollgewalt sein könnten, kommt dem Egidius gar nicht in den Sinn. Eine typisch einlinige, abstrakte Juristik, ohne den Blick auf das Ganze. Ohne auch zwischen regulärem und kasualem Eingriff nur zu unterscheiden, wird anschließend als Detail der temporalen Vollgewalt erwähnt, daß der Papst Straffällige und Sünder ihrer Güter berauben und „citra vindictam sanguinis" bestrafen kann1®'. Danach scheint der Unterschied von Primärgewalt und Exekutive geschwunden zu sein. Im Endergebnis trifft das allerdings trotz der herausfordernden Parolen jedoch nicht zu, denn an einer späteren Stelle verlautet, daß die temporale Vollgewalt „quantum ad habitum et potentiam" im Papst ruhe. Das erinnert an die Unterscheidung von habitus und actus in „Eger cui levia"" 7 . Nach der Einseitigkeit des Anfangs und nachdem er die Vollgewalt gesichert glaubt, erscheint doch die Einschränkung, die den Sachgehalt der potestas des Papstes auf die traditionellen Bahnen der Kurialen zurückführt. Demnach besitzt der Papst nur die spirituale Gewalt „actu". In diesem Augenblick fällt auch der Terminus „principalis potestas" für die Temporalgewalt, und damit ist auch bei Egidius wieder die faktische Tragweite der Ansprüche wieder hergestellt2'8. Ein Hinweis zugleich darauf, wie vorsichtig man sein sollte, einzelne Extremismen zu isolieren, ohne daß das Ganze zum Vorschein kommt. Egidius unternimmt, nun ebenfalls auf dieses Ganze gesehen, eben den Versuch, die in den ekklesiarchen Thesen liegenden Möglichkeiten konsequent durch zu verfolgen und sie gegen jede ihm unzulässig scheinende Minderung abzuschirmen. Er argumentiert kanonistisch, darin stellen seine Aus285

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Scholz II, S. 108. — Die Souveränitätsformel bei den Kanonisten, aus dem römischen Recht übernommen, lautet: „prout sibi placet, quicquid ei placet legis habet vigorem". Vgl. Ullmann, Canonists S. 50. — Zur Frage der „iusta causa" vgl. Buisson, Potestas und Caritas S. 59 ff, S. 81 zu Innozenz IV. Wendung: sine causa hinsichtlich des Dispensationsredites. — S. 116 ff: zur Opposition der Rechtsdenker gegen die Praxis der päpstlichen Benefizienvergabungen. Scholz II, S. 108. Scholz II S. 113: „apud successorem Petri est omnis potestas spiritualis et temporalis; spiritualis actu et habitu, temporalis habitu, licet non actu. — Zu „Eger cui levia" vgl. Teil I, Anm. 508. Scholz II S. 113: „Semper tarnen in eo remanet principalis potestas a D e o sibi data post adventum domini nostri Jesu Christi".

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führungen eine Art Zusammenfassung und Endstufe der kanonistisch geprägten ekklesiarchen Aussagen dar. So kommt es zu einer fast paradox anmutenden Situation, wenn er etwa einen so eindeutig kurial bestimmten Gewährsmann wie den Hostiensis angreift oder irgendwie nadi einer mittleren Linie hin tendierende Vertreter wie den Huguccio oder Johannes Teutonicus in einer Entschiedenheit vornimmt, die sonst nicht begegnet83". Er wirft ihnen und speziell dem Hostiensis dessen Bemerkung vor, daß der Papst sich nicht in zeitliche Dinge einmischen solle; die beiden andern werden getadelt, weil sie 1) dem Papst nur spirituale Vollmacht zusprächen — wobei er sich gegen sie auf Tankred, Guido, Aquasparta beruft; 2) Huguccio wird getadelt, da er die lex regia im Sinne der Heereswahl (exercitus facit imperatorem) anerkennt, ohne offenbar auf die spirituale Anerkennung das entscheidende Gewicht zu legen. 3) Der Kaiser habe ihnen zufolge seine Gewalt von Gott. Egidius gibt das zu — wie könnte er auch anders — aber die Herleitung von Gott vollziehe sich „mediante ecclesia, quia ipse Deus agit per media"840. 4) Schließlich wendet er sich gegen das historische Argument seiner Gegner, daß nämlich das Imperium vor der Kirche gewesen sei. Das sei „falsissimum". Im Stile der Determinatio compendiosa wird der geschichtliche Verlauf rekapituliert. Gott regierte bis Noe selbst, dann ließ er das Volk durch „rectores" lenken. Noe übte, obwohl nicht Priester, doch priesterliche Funktionen aus. Melchisedech erscheint „loco pape"841. Von Heinrich IV. bis auf Heinrich VII. waren alle Kaiser Verfolger der Kirdhte, mit den geschichtlichen Kenntnissen des Egidius war es offenbar nicht weit her, er erweist seiner Sache mit derartiger Simplifizierung keinen Dienst. Dasselbe gilt für die mehr als bedenkliche Schlußadresse, aus der die Gefahr dieser Art von Papalismus offenkundig wird: „Romana ecclesia et sanctissimus pater et dominus noster papa Johannes XXII., cui laus honor et gloria hic in presentí et imperpetuum et in sécula seculorum. Amen"848. Den letzten Publizisten in unserer Reihe, Konrad von Megenberg, lernten wir schon kennen. Seine Stimme ist deshalb so aufschlußreich, weil er ja den kurialen Standpunkt mit den imperialen Interessen zu versöhnen sucht und überdies in seiner letzten Schrift „De translatione imperii" bereits für die Zeit nach der großen Auseinandersetzung mit Avignon spridit. Tatsädilich war, wie zuletzt Egidius illustrierte, die Theorie so weit getrieben worden, daß sie auch unter den geschichtlichen Bedingungen des hierarchisch-feudal organisierten corpus Christianum eigentlich nicht mehr verschärft werden konnte. Es gab nur noch Behauptung der Thesen oder Mäßigung der Positionen. Wie in der Politik selbst war audi in der Spekulation das Entscheidende vollbracht, der Kampf war ausgetragen. Konrad zeigt zwar nicht alle, aber dodi hauptsächliche Kriterien des Ausklingens einer alten Fehde. 2

" Scholz II S. 111 f. — Den Satz der Niditeinmisdiung nennt Egidius S. 112: „iste error toti mundo pestíferas et nocivus multos seduxit, etiam doctores et magistros et magne auctoritatis viros". — Zu Tankred, Aquasparta S. 114. Scholz II S. 115 f. U1 Scholz II S. 116, 118 f. ' « Scholz II S. 129.

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D . Der Widerhall der ekklesiardien Doktrin in der kurialen Publizistik

Was den prinzipiell kurialen Standpunkt Konrads betrifft, so zeigt seine Frühschrift, der „Planctus ecclesie" von 1338, die Konzeption einer spiritualtemporalen Vollgewalt eigener Nuancierung. Konrad läßt zunächst (I, c. 22) den Papst im Gespräch mit der Kirche den hierokratischen Standpunkt vertreten: „Imperii numen nobis nunc cessit acumen. Mundi pinguis adeps, prothopresul sum, prothoprinceps." Moses ist das Beispiel „gladio rexit, num prespiterando?", er ist nun zum König und Priester zugleich geworden. Aus den sehr ausführlich gehaltenen Gegenargumenten der Kirche (I, c. 23—29) spricht über die antihierokratischen Argumente hinaus ein sehr eindrucksvolles Bild der Kirche, das merkbar von der primär-korporativen Sicht geprägt ist. Die Kirche wirft dem Papst vor (I, c. 23), er würde sie hintansetzen und sich selbst über alle Welt hinaus (te super ethera ponas, v. 472). Er könne so zu den Kardinälen, jedodi nicht zu ihr sprechen, die sie höher steht und die Lehrmeisterin ist: „Non michi, maioris quia sum, concedis honoris,/ Eloquar audacter; meus, assero, papa magister/ Asserit ipse, sua quod sim, puto, larga magistra". In Anspielung auf die Mosestypik heißt es, daß dann der Kaiser auch Papst sein könne: „Si Romanorum prothorex simul es prothopresul,/ Est Romanorum prothorex eciam prothopresul". Die beiden Schwerter sollen getrennt bleiben, eine Monokephalie sei nicht nötig (v. 527 ff). Der Verweis des Papstes in I, c. 22 auf die Reichsbischöfe, die wie Achilles bewaffnet sind und die Messe lesen (v. 465 f), wird zurückgewiesen: „Pontifici parma, clipeus quid et ensis et arma?" (v. 570). Moses setzte nur Könige ein, wollte aber nicht regieren (sequitur, sibi nolle / Commissum regere populum; v. 625 ff). — Auf diese Angriffe schränkt der Papst seine Position ein, wenn er sich zum pontifex und prothorex mache, so sei damit die kirchliche Konfirmation und Promotion gemeint: „Si me pontificem simul et facio prothoregem,/ Ut confirmentur per me simul atque probentur Induperatores" (I, c. 30). Das bedeutet einen klaren Rückzug auf die Konzeption, wie sie in der Bulle „Unam sanctam" eingenommen wird 84 '. Die weitergreifenden ekklesiarchen Formulierungen und Spekulationen werden nicht übernommen. Diese Beschränkung auf den Promotionsanspruch, eingefügt in das Bild der Kirche, die größer als der Papst ist, bringt die Konzeption des „iuvenis phylosophie imitator", den er sich in der Widmung an den päpstlichen Legaten nennt, in spürbaren Gegensatz zu jener Formel des Ägidius vom „papa qui potest dici ecclesia" (vgl. S. 317). Der Vikar christi ist selbst wieder eingeordnet in die Kirche, die „maior et magistra". In seiner späteren Schrift „De Translatione imperii" hat Konrad, der inzwischen auch die Klinge mit Ockham gekreuzt hat, seine frühere Position, die durch die Konfrontation von Kirche und Papst geprägt war, allerdings modifiziert. Gegenüber Lupoid von Bebenburg, der den Anteil des Papstes an der Absetzung des Herrschers 343

Vgl. oben Anm. 195 zu Konrad. — Planctus c. 22-30, Scholz II S. 205 ff. — Zu den in Anm. 195 bereits zitierten Stellen sind anzufügen: „sie sese preament, mundo duo lumina regnent, nec kathedras socient, sua sed decet ut loca distent (c. 27)". — Der Papst behauptet dann darauf seihen Konfirmationsansprudi: „Melius mea verba capescas! Sic me pontificem simul et facio protoregem, ut confirmentur per me simul atque probentur induperatores (c. 30)".

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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auf die Verurteilung der Sünde, also den streng spiritualen Kern der Deposition, eingrenzt, fällt nun das Wort von der „auetoritas ordinaria". Die Ansprüche der Kurie gegenüber dem Imperium entspringen einer höheren Autorität, die regulären Charakter hat, freilich nur casualiter aktiv werden kann244. Mit der „auetoritas ordinaria" ist ein unverkennbares Stichwort gefallen, es weist auf den Kern der ekklesiarchen Doktrin, die dem Papst aus der Hinordnung des Temporalen auf das Spirituale erwachsende höhere Gewalt. Zur „potestas regularis et ordinaria" gehört für Konrad, daß sie „iure divino" und „iure naturali" legitimiert ist, auch kasuale Rechte müssen in der regulären Autorität gegründet sein"5. Jedoch vermißt man in der Argumentation die eigentlich soliustistischen Thesen. Translation, Approbation, Nomination, Koronation des Kaisers werden in den grundlegenden Kapiteln, nachdem die „auetoritas ordinaria" aus Vollgewalt, göttlichem und natürlichem Recht behauptet ist, von der Aufgabe eines christlichen Kaisertums her unterbaut248. Erst später, bei der Erledigung der Zweifel und Einwände, wird die Heilsgerechtigkeit in die Erörterung gebracht. So war Konstantins Herrschaft vor der Taufe mißbräuchlich (abusivus), er wird erst durch den wahren Glauben wahrer Herrscher. Der Gläubige besitzt, wie es in gleichem Zusammenhang heißt: „lege humana iure divino directa", der Ungläubige dagegen „lege humana divino iure soluta". Die Schenkung Konstantins hat also den Charakter einer „cessio", er gab dem Papste das, was er „formaliter" besaß, während der Papst es schon „virtualiter" innehatte247. Auch der Satz, daß außerhalb der Kirche kein legitimes Imperium sei, den wir schon seit Beginn des 13. Jahrhunderts (vgl. S. 226) verfolgen konnten, findet sich gegen Ende der Schrift248. So ist schließlich doch wieder die volle ekklesiarch-soliustistische Sicht wirksam, aber sie steht nicht mehr so im Zentrum, wie es bei 114

245

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Scholz II c. 11, S. 284 f: gegen Lupoid. Dieser hatte in seinem Traktat gesagt c. 12 (vgl. Anm. 196), daß die Absetzung nicht »iure ordinario", sondern „iure speciali" also „ratione peccati enormis et notorii" erfolge und wenn der Kaiser unverbesserlich sei. Konrad stellt dagegen die „auetoritas regularis ordinaria" des Papstes. Dieser könne sich „regulariter intromittere in temporalibus". Selbst wenn man mit Lupoid annehme, daß der Papst nur das Vergehen beurteile, dann wäre dieses „declaratorie" ein Akt „effectualiter auetoritatis ordinarie" (2. Lösung). c. 10, Scholz II S. 282 f: casuale non est in natura, nisi reguläre fuerit in natura". — S. 283: necessitas translacionis . . . facienda per ecclesiam Dei iure naturali dicto a natura naturata que est hominis racio quam per laycorum rusticas cecitates". Zu letzterem Argument vgl. auch folgende Anmerkung. c 10, Scholz II S. 283. Wenn die Laien die Translation vornähmen, würde bei der nationalen Eigensucht das Reich zerstört. — c. 11, S. 285 f bringt er geschichtliche Argumente. — c. 12, S. 288 f spricht er von der „idoneitas" gerade des Kaisers. — c. 13 S. 294 f begründet Approbation wegen der besonderen Stellung des Imperiums. — c. 14 S. 297 ff: Unwürde des Kandidaten macht ihn unfähig zur Übernahme der Herrschaft, c. 20—22 S. 316 f.

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c. 25, S. 337: „extra ecclesiam universalem non sit imperium, eo quod extra ecclesiam nulla de iure potest esse potestas iudicandi". In den Zeiten der Kirche sind die anfänglichen und die „adulte et Sublimate (ecclesie)" zu unterscheiden. Anfangs erkannten die Apostel nach dem Beispiel Christi die ungläubigen Kaiser an, nicht „quod de iure tenerentur ad ista", sondern um einen Skandal zu vermeiden. Nachdem die Kirche erstarkt ist „veros reges et prineipes fecit, instituit et felici regimine direxit".

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Kölmel

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

Ägidius geschieht. In diesem Verschieben der Akzente kann man die Entwicklung erkennen, die sich in der Entwicklung der hierokratischen Lehre abzeichnet und die nicht nur bei Konrad, sondern auch bei so wichtigen Sprechern wie Augustinus Triumphus und Alvarus Pelagius zu beobachten ist. Auch Franziscus Mayronis kann hier genannt werden249. Im Mittelpunkt der Spekulation des Konrad steht die institutionell-mediative Funktion des Papstes bei der Erhebung des Kaisers. Sie soll gegen die Theorien von der immediaten Herleitung der Gewalt, die im kirchlichen Akt nur eine Weihe des in sich rechtlich abgeschlossenen weltlichen Erhebungsaktes sehen, die mediatkonstitutive Bedeutung der kirchlichen Promotion dartun. Untersucht man die innere Geltung dieser mediativen Funktion des Papstes bei der Kaiserkrönung, so stößt man auf eine Begriffsreihe, die sowohl das Wesen der weltlichen Herrschaft wie das der päpstlichen „auctoritas ordinaria" erfassen hilft. In der abschließenden Definition der päpstlichweltlichen Gewalt wird das dominium des Papstes umschrieben mit: „virtualiter et originaliter, tamquam a causa, a qua virtualiter dependet (die kaiserliche Gewalt) sive causative"250. Im Blickfeld steht die mediative Funktion als initiierendes Element, das einer „virtus" nach, oder auf den streng philosophischen Begriff bezogen, einer Wirkursächlidikeit nach tätig wird, jedoch nie die potestas temporalis in ihrer Aktion selbst betrifft. Es ist das alte und nun schon oft genannte Schema, das Hugo von St. Viktor mit dem ontologischen Verhältnis der Form und dem Dasein (instituere habet, ut sit; formans per institutionem) zu fassen sucht. Das Imperium hängt rechtlich demnach vom Papste ab: „translative et collative atque confirmative". Auch dies alles Ausdrücke, die die instituierende Wirksamkeit des Papstes aussprechen. Der Kaiser dagegen besitzt sein Amt: „effectualiter, formaliter, possessorie, exercitative". Hier erscheint der Bereich der faktischen, formal saekular bestimmten potestas, wir befinden uns auf der Ebene dessen, was in dem weitläufigen Begriff der „iussio" (Bernhard), des „usus" angesprochen ist. Dagegen haben wir in den Attributen, die dem Papst zukommen, neben der instituierenden Funktion den Aktionsbereich der höheren Lenkung des „nutus". Das heißt, es läuft auf die Kombination von Bernhard (iussio für den Kaiser) und Hugo (instituere habet für den Papst) hinaus. In beiden Interpretationsmotiven ist offenbar das Grundthema der hierokratischen Doktrin angeschlagen. In der Sprache Konrads lautet die institutionelle Komponente: Dem 148

150

Zu Triumphus vgl. Verf. H J 82, 1963, S. 114 f. — Zu Pelagius, Verf. FranzStud 46, 1964, S. 70 ff. — Franz Mayronis, ed. Baethgen S. 128 erwidert auf das Argument, daß Konstantin „de iure nature" vorher unabhängig sei, der Kaiser unterwarf sich de facto. De iure sei er schon vorher Christus und der Kirche unterworfen. Die Kirche habe sdion vor dem C C das dominium universale über die Güter. Franz nennt die Herrschaft Konstantins nidit schlechthin illegitim. — Zur weiteren Entwicklung bei Dominicus de Sancto Severin, Bernhard de Rosegio, Johannes Leonis, Laurentius de Aretio, Dominicus de Dominis, Rodrigo Sanctor de Arevalo, vor allem aber zu Torquemada, der ja nach der konziliaren Epoche die Stellung des Papstes wieder verteidigt vgl. Grabmann, Studien, S. 101 ff. c. 21, Scholz II S. 316; ebda auch zum nächsten Text.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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„inferius instituibile" entspricht es, vom „superius" eingesetzt zu werden. So kommt dann abschließend der Vermerk: „Non eciam sunt incompassibiles in eadem persona, videlicet in summo pontifice, ut unam earum habet formaliter et exercitative (potestatem spiritualem), reliquam habeat virtualiter et instituitive seu collative"" 1 . Von hier aus läßt sich abmessen, wie die Exekutivgewalt des Papstes aussehen wird. Zunächst stehen einander zwar zwei gegensätzliche Formulierungen gegenüber. In Kontroverse zu Lupoid, dem zufolge der Papst nur „casualiter" die Translation vollzogen habe, also als singulären historischen Akt unter kontingenten Bedingungen, meint Konrad, daß der Papst „regulariter posse intromittere de temporalibus". Konträr dazu sagt das Schlußkapitel in Antwort auf die Gegenargumente kategorisch: „papa non habet se intromittere de iurisdictione imperii effectualiter et exercitative, nisi cum vacat imperium, sed tantum virtualiter et collative, seil, in assumendo electum et ipsum confirmando secundum habita prius" 2 ". Die erste Behauptung will gegenüber der rein historischen Eingrenzung Lupolds die aus der regulär spiritual-temporalen Superiorität erfließende Translation als einen Akt „de iure" — nicht als einen Akt „de circumstantiis" — dartun, während darüber hinaus die Herrschaft im Reiche dem Kaiser ungeschmälert zusteht. Ungeschmälert, das heißt, daß der Papst „existente imperatore" keine Verleihungen vornehmen oder sonstwie eingreifen kann. Keine Gewalt soll die andere verwirren. So klären sich ihm auch die verschiedenen Aussagen der Glossa ordinaria und der Kurialisten vom Schlage der Alanus, Tancred, Bernhard Hispanus253. Demnach besagt der Ausdrude „auetoritas ordinaria" für die päpstliche Primärgewalt nicht einen Ersatz regulärer Herrschaft, sondern gilt nur im Rahmen des „virtualiter et collative", der kirchlichen Promotion des Herrschers und der fallweisen Übernahme saekularer Entscheidungen. Dazu gehört der Eingriff in der Vakanz oder wenn der römische König nicht kanonisch erwählt ist; in diesem Fall vermag der Papst den Gewählten, wie es vorsichtig ausgedrückt wird, „impedire"864. Umgekehrt soll daher auch der Kaiser bei Appellationen nicht übergangen werden, nur bei Defekt der kaiserlichen Rechtsprechung (ungerechte Behandlung) ist unmittelbarer Appell an die Kurie statthaft. In einer Wendung, die bei Ockham stehen könnte, deren Voraussetzungen jedoch ekklesiarch intendiert sind, verlautet schließlich, der 851

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254

29»

c. 24, Sdiolz II, S. 330: „potestatem et auetoritatem imperialem esse a papa ipsumque habere imperium virtualiter et ad nutum". — Im Kontext folgt das Zweisdiwerterzitat Bernhards. — S. 336 nadi vorausgehendem Zitat von Hugo De sacr. II, 4 folgt: „ipsum superius habet inferius dirigere et si sit instituibile, per superius institui, maxime cum hoc superiori instituere non repugnet". — Zitat im Text S. 528: Scholz II S. 337. c. 24, Sdiolz II S. 339. c. 25, S. 340. Die Differenz zwischen der Glossa ordinaria, nach der das Imperium immediat von Gott stammt, und der Alanus-Tradition, nach der die saekulare Jurisdiktion von der kirchlichen abhängt, löst Konrad so, daß die Wahl den Herrscher hypothetisch, jedodi nicht kategorisch konstituiere. c. 25, Scholz II S. 341: „Habet tarnen papa imperatorem electum impedire, si inveniat ipsum non canonice electum fuisse".

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

Papst habe, im Unterschied zu Christus, nur die Gewalt, die zur Regierung der Kirdie notwendig sei"5. Nimmt man diese Wendung beim Wort, dann wird der spirituale Grundcharakter der päpstlichen Temporalgewalt unverwechselbar deutlich. Es geht bei den Temporalansprüchen um die Regierung der Kirche, wobei freilich „Kirche" immer noch an jene Tradition erinnert, aus der heraus überhaupt erst das ganze System geistlich-weltlicher Ordnung wächst und verständlich wird. Die Kirche als die im Glauben und in der weltlichen Existenz des populus christianus sichtbare und existente Heilsgemeinschaft, als Sakralgesellsdiaft, deren Dasein im Spiritualen und Temporalen als im Heil geordnetes Ganze gesehen wird. Der letzte, kurz nach der Translatio imperii entstandene Traktat gegen Ockham über den Unterwerfungseid Clemens' VI. ändert diese theoretische Position nicht mehr. Er verrät noch einmal die treu kuriale Gesinnung seines Autors, der freilich zugleich seinem weltlichen Herrn, dem Kaiser dienen will. In dieser dialektischen Einheit des Verhaltens stellt Konrad eine singuläre Erscheinung dar, die an eine ähnliche Position erinnert, die nämlich des Alvarus Pelagius. Nur daß dort nun der Zwiespalt von Armutslehre und Kirchenmacht zu bewältigen und zu verarbeiten ist2553. Konrad gebraucht hier eine sdiarfe Sprache gegen Ockham, den „angelus Sathane", den „heresiarcha, cultor tenebrarum, auctor scelerum", den Verführer des Bayern. Diese Diktion ruft noch einmal die ganze Härte des kirchenpolitischen Streites wach" 4 . Unabhängig von der Invektive gegen seinen großen Zeitgenossen will Konrad den Frieden zwischen Avignon und Germanien. Er sieht ihn gesichert in der Einheit der Kirche, zu der das Imperium als ein Teil gehöre"7. Die Kirche in ihrer Einheit ist zerstört, wenn die weltliche Gewalt sich aus der Heilsgemeinschaft lösen würde und die Freunde des Reiches gegen die Freunde der Kirche stünden, wo doch die eine Kirdie „tocius orbis fidelium omnium christianorum monarchya in unum finem veritatis tendencium, seil, in felicitatem sempiternam" unter dem Papste in Eintracht leben soll. In dieser „monarchya" waltet hinsichtlich der konstitutiven Prinzipien die Ordnung des superius-inferius, praesent in der gestuften Rangfolge des spiritualen und temporalen Regimentes. In dieser Ordnung besitzen die päpstlichen Akte bei der Promotion des Herrschers rechtsetzende Kraft. Daher wendet er sich gegen seinen verehrten Meister Lupoid, dessen Theorie aus der päpstlidien Funktion eine akzessorische, religiöse Weihehandlung macht und ihr die reguläre Zuständigkeit abstreitet. Ockham bekämpft er zunächst als Vorkämpfer eines laizistischen Prinzips, nach dem der Kaiser !5

' c. 25, S. 342: Aufgabe des Papstes sei es, die Seelen zu Christus heimzuholen „et omnes actus hominum ad hunc finem moderare". ,5S * Vgl. Kölmel, Paupertas u. potestas FranzStud 46, 1964, 73 ff, 80 ff. "" Contra Wilhelm Occam, Scholz II S. 347, 363, 385. — Es wäre gut gewesen, wenn Konrad der von Ockham sdion 1342 geäußerten Bitte gefolgt wäre, alle „verba detractatoria" zu vermeiden. 157 Scholz II S. 368. Hier auch zum Folgenden: Das Imperium als „genus laycorum" gehört zur Kirche.

III. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

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den Papst richten könne, obwohl auch er, Konrad, den unverbesserlich haeretischen Papst dem Konzil unterwirft258. Diese Ansicht ist am Vorabend der konziliaren Epoche theologisches Gemeingut geworden. Die Erbitterung gegen den in München heimisch gewordenen Engländer meint darüber hinaus aber auch Ockham als den Kritiker der „solida philosophia" und schließlich den Bettelmönch. Mit der philosophischen Kennzeichnung Ockhams hat Konrad einen Wesenszug seines Gegners getroffen, der an die Fundamente des in der realistisch-universalistischen Schule tradierten Weltverständnisses seine kritische Sonde anlegte"*. Schließlich zeigt er auch gegen die Vertreter der eigenen Richtung eine merkliche Zurückhaltung. Den Extremismus macht er nicht mit, obwohl in den eigenen Thesen Zündstoff genug lag. Im Grunde steht Konrad zwischen vielen Fronten. Und darin erweist er fast modellhaft die Situation eines Autors, der eine die weltliche Ordnung so beanspruchende und, wenn man will, so herausfordernde Doktrin wie die ekklesiarche vertritt und zugleich dem Staate geben will, was des Staates ist. Und das in einem Jahrhundert, das eine neue Welt sich endgültig bilden sieht. Politisch ist diese Welt gekennzeichnet vom Aufkommen des institutionell durchgebildeten, sich als eine eigene „Welt" bewußten Staates, der zunächst im „prineeps" seine Höchstgewalt ausformt (vgl. S. 144 ff). Gegenüber diesem Faktum konnte die Meinung Konrads, daß das Imperium als „genus laycorum cum principe suo temporali" Teil der Kirche sei, nicht mehr ausreichen. Die Vorstellung Konrads steht in der Tradition Hugos von St. Viktor und hat vor sich die personale Struktur des Herrsdiaftsverbandes, die personale Identifikation von „populus Dei" in der hierarchischen und regalen Ordnung. Imperium ist das herrschaftlich unter dem prineeps temporalis geordnete „genus laycorum", aber noch nicht die entfaltete Wirklichkeit des Anstaltstaates. Daher kann, das sei nebenbei bemerkt, dieser Einbezug des Imperium in die Kirche nicht als Aufhebung der Bereichstrennung gelten; was in diesem Einbezug noch einmal in voller Intensität, und zwar nun auch soziativer Intensität, zur Geltung kommt, ist das Ineinandergehen von Heilsgemeinschaft und herrschaftlich geordneter Sakralgesellschaft. Indem aber diese Konzeption sich nodi nicht der Realität des aufkommenden souveränen Staates als eines Eigengebildes der „Welt" stellt, zeigt sie selbst ihre Grenze und ihre Schwäche; zugleich aber auch erweist sie, wie wenig in ihr eben die Frage nadi dem „Staat" gestellt ist. An der zitierten Stelle (Scholz II, S. 367 f) nennt Konrad gegenüber dem genus clericorum, das man „per excellenciam" mit dem Papst audi als 158

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Zu Lupoid vgl. auch die Kontroverse Ockhams in seinen Octo quaestiones, Dazu Verf. Ockham, S. 139 ff. — Zur Absetzung, bzw. zum Gericht über den haeretischen Papst: Contra Wilhelm Occam, Scholz II S. 371. Die Antwort Konrads entspricht D . 40 c. 6. Konrad beruft sich auf Huguccio und den Ardiidiakon (vgl. audi Anm. 192). — Allerdings stehe dem Kaiser kein Gericht über den Papst zu: „S. 372, quod non est iudex condemnandi pontificis". Contra Occam, Scholz II S. 347: „multitudinem scolasticorum virorum secum traxisse videtur (Ockham), ut tertia pars vel ultra speculatorum a solida philosophya modernis temporibus apostatasse decernatur". — Zur Armutslehre a.a.O. S. 387 ff.

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D. Der Widerhall der ekklesiarchen Doktrin in der kurialen Publizistik

„ecclesia" bezeichnen könne, die Laien den „populus ignarus, qui pocius doceri debet quam docere pocius duci quam ducere". Das Bild der Kirche, das in der Publizistik der Gegenseite, von den Registen über Dante zu Ockham, diesem Bild entgegentritt, wird diese klerikalistische, verhängnisvolle Vorstellung gründlich korrigieren.

E. R E G I M E N C H R I S T I A N U M I N D E R SICHT DER NICHT-EKKLESIARCHEN UND REGAL-IMPERIALEN DOKTRIN

DER

Die Begründung der Fragestellung In den vorausgehenden Kapiteln wurde versucht, die Aussagen der ekklesiardien Konzeption auf ihre Grundlagen freizulegen; dies zugleich im Hinblick auf die spätere Lehre von der sogenannten indirekten (direktiven) Gewalt in der Kirche (des Papstes) in zeitlichen Dingen. Es ergab sich, daß es notwendig ist, die terminologische Schematik, die sich in der Nachwirkung der Gewaltenlehre des 17. Jahrhunderts verfestigte, in ihrem Sinngehalt klarzustellen, das heißt, das Verständnis der hierokratisdi-ekklesiarchen Thesen über das interpretatorische Vokabular hinaus auf sie selbst zurückzuführen. Das betraf den Begriff der „potestas directa", aber es stellte sich auch heraus, daß ein so zentraler Terminus wie „temporal" selbst sich nicht einfachhin mit dem deckt, was eine spätere Zeit entsprechend der nun konsequent durchverfolgten Trennung der Bereiche unter ihm verstehen muß. Vor allem begegnete man, gerade in den für das Erfassen der Doktrin entscheidenden Traktaten, einer spiritual geprägten Grundstruktur der kirchlich-zeitlichen Gewalt; freilich war diese Spiritualität erst dann klarer und exakter zu fassen, wenn man nicht bei den abschließenden Formulierungen stehen bleibt, wie sie zunächst bei den hierokratisdi orientierten Kanonisten des 13. Jahrhunderts auftauchen und dann in die Publizistik übergehen. Damit ist zugleich eine Möglichkeit geboten, jenen Glossen ihr Maß zu geben; anders ausgedrückt, die kanonistische Formel gerät offenbar erst ins redite Lidit, wenn sie auch in ihren theologischen Fundamenten erscheint. Gehen wir nun zur Gegenseite über, zu jenen Äußerungen, die in der Überschrift dieses Kapitels zunächst nur negativ umschrieben sind, dann besagt das Attribut nicht-ekklesiarch nur wenig. Gehören doch auf diese Seite dann die sogenannten Gemäßigten, ferner der Kreis der französischen Registen — bei Johann Quidort mag man darüber streiten, ob man ihn mehr zu dieser Gruppe rechnen will —, die italienischen Ghibellinen, deutsche Imperiale, die franziskanische Opposition mit Olivi, dann Dante und schließlich Marsilius und Ockham. Läßt man es zunächst bei der negativ abgrenzenden Kennzeichnung, dann ergibt bereits diese kurze Aufzählung, wie breit gestreut die Kritik an der zeitlichen Gewalt der Kirche laut wird. Selbstverständlich wird es notwendig sein, innerhalb dieses Kreises die Konzeptionen zu detaillieren, aber zuvor kann man die Frage stellen, ob auch hier das Verständnis vielleicht durch ein verhärtetes Vokabular erschwert, vielleicht sogar verstellt wird. Man kann darauf sofort insoweit antworten, als eine pau-

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E. Die nidit-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

schale Eingrenzung, wie es etwa im Begriff der direkten Gewalt geschieht, nicht stattfindet. Inwieweit dennoch pauschale Charakterisierungen am Werke sind, die differenziert und aufgelockert werden müßten, muß sich noch zeigen. Sicher werden die Abgrenzungen zwischen der ekklesiarchen Sicht und, nun wieder zusammen gefaßt, ihren Gegnern da und dort sidi öffnen, so daß das Gesamtbild vielschichtiger wird, als es nach einer groben Einteilung der Konzeptionen aussieht. Es wird sich weiter die Frage unseres Hauptthemas selbst einstellen, nämlich die Frage nach dem „regimen christianum", nun auf dieser Seite. Auch sie hat ihre Tradition, ihre eigenen Probleme, ihre recht verschiedenen Gesichter. Die Frage nach dem „regimen christianum" etwa bei Marsilius und Jandun zu stellen, klingt fast merkwürdig, jedenfalls liegt bereits in den genannten Namen soviel an Antwort, daß man darauf verzichten möchte, den genannten Generalnenner: nicht-ekklesiarch noch weiter zu verwenden. Wenn aber die hierokratische Seite nach ihrem Beitrag zum Verständnis des regimen christianum befragt wird, dann gilt dieselbe Frage auch für alle andern Konzeptionen, die gegen ihre Lösung stehen. Vor allem gewinnt dieses Thema an Gewicht, da gerade auf der Seite der Gegner jene Sprecher vertreten sind, die mit der Staatswirklichkeit und der temporalen Spekulation besonders verbunden sind. Mit jener Staatswirklichkeit verbunden, die in vielfältigen Formen und auf zum Teil verschlungenen Wegen dem Staat als einem eigenen Gebilde, seiner Souveränität, der Hoheit des Fürsten unaufhaltsam zustrebt, so daß die Frage nach dem Stichwort: regimen christianum eben in diesem Rahmen ihren eigenen Reiz erhält. Welches Schicksal erfährt die Konzeption einer existentiell in die Heilsgemeinschaft gegründeten Herrschaft im Zeitalter, das man mit dem Wort von der Geburtsstunde des souveränen Staates markiert hat (v. d. Heydte)? Wenn die Frage so genau und unmittelbar gestellt wird, dann ergibt sich freilich auch für die nun folgenden Aussagen eine ihr eigene Situation im modernen Verständnis. Denn dieses gilt vornehmlich der Entwicklung des neuzeitlichen Staatswesens und des neueren politischen Bewußtseins, dem Staat also in seinen institutionellen Formen, seiner Flächenhaftigkeit, seinem Recht, seiner Gründung, der etatistischen Technik. Die Frage nach dem regimen christianum angesichts dieser Entwicklung stellen, inmitten einer geschichtlichen Epoche, die weithin mit der Hinwendung zur Welt, zum Menschen und zu seinen Künsten charakterisiert ist, läßt zwei Möglichkeiten einer Antwort ahnen. Die eine wird dahin gehen, daß die Konzeption einer christlichen Herrschaft in die Passivität gedrängt wird und neben der geschichtlichen Entwicklung einhergeht, ohne auf sie Einfluß nehmen zu können. Die andere würde erwägen, ob nicht auch gerade aus der Diskussion über die Gewalten dem politischen Bewußtsein Impulse zuströmen, die mehr bedeuten als nur eine religiöse Verbrämung. Gemeinhin wird man gewiß eher dazu neigen, die Rolle des „regimen christianum" inmitten einer anhebenden neuen Epoche eher als passiv und nachhinkend zu sehen. Entscheidende Ausprägungen neuzeitlicher Staatlichkeit sind auch, wer wollte daran zweifeln, eben aus der innerstaatlichen Ent-

E. Die nicht-ekklesiardie und die regal- imperiale D o k t r i n

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wicklung und zum Teil gegen die Kirchlichkeit und gegen die Kirche entstanden. Dennoch bleibt es eine Frage für sich, ob die Reflexion auf die weltimmanente Selbständigkeit des Politischen nur im Zug eines introvertierten Eigenverständnisses und als Gegenwehr entsteht und ob nicht gerade aus dem Ordnungsdenken des „regimen christianum" dieser Reflexion wesentliche Impulse zuströmen. Das gilt sowohl für das Verständnis der „Gegenwehr" wie auch für die Konzeption des saekularen Selbststandes selbst. Das heißt, die Frage nach der Rolle des regimen christianum in Ubergang zu neuen Formen der Staatlichkeit zielt auf eine Nahtstelle des neuen Ordnungsdenkens. Und da im Gewaltenverständnis sich das politische und gesellschaftliche Bewußtsein in besonders intensiver Weise sammelt, fällt von der Antwort auf die angeschnittene Frage auch Licht auf die soziale und politische Wirklichkeit als Ganzes. In der nicht-ekklesiarchen Aussage wird die Herleitung der Gewalt „mediante ecclesia" wie auch die heilsgerechte Legitimität abgelehnt. Das ist ein erster Beitrag zur Thematik des „regimen christianum" in dieser Sicht. Ihrer transzendentalen Gründung nach stammt die Gewalt unmittelbar von Gott, sie ist darin und aus ihren natürlichen Grundlagen genügend legitimiert, um auch im corpus christianum zu agieren. Damit ist die Trennung der Bereiche verbunden, so daß von hier aus sich bereits die Umrisse einer gemeinsamen Konzeption ergeben. Das heißt, es geschieht das, was man in der ekklesiarchen These vermißt, die unverkürzte Anerkennung der Wertigkeit der Temporalherrschaft. Zwar ist diese bei den Hierokraten nicht ausgeschaltet, in der Linie des Jakob von Viterbo erscheint sie sogar als maßgebliches Element der Argumentation, aber sie wird nicht so entschlossen und umfassend einbezogen, daß etwa die naturrechtliche Faktizität des Staatlichen und ihre Problematik bewältigt wird. Ähnliches gilt für die Trennung der Bereiche, die zwar auf hierokratischer Seite in keinem Augenblick verneint wird, aber doch nicht begrifflich und terminologisch so klar durchgehalten wird, wie es in der nicht-ekklesiarchen Spekulation geschieht. Die gemeinsame Konzeption, die man in der unmittelbaren Herleitung der Gewalt von Gott, der schärferen Bereichstrennung, der betonten Eigenfunktion des Temporalen vorfindet, kann natürlich eine detaillierte Charakteristik nie ersetzen. Denn jedes der genannten Wesensmerkmale erhält entweder für sich oder im Zusammenhang seine eigene Prägung und Sinngebung, und damit wird auch wieder das Verständnis des „regimen christianum" modifiziert. Die französischen Registen, die in Dubois, den Autoren von „Rex pacificus", der „Disputatio inter clericum et militem", der „Quaestio in utramque partem" zu Wort kommen, sind nicht einmal mit Quidort, geschweige mit den Imperialen oder Marsilius gleichzusetzen. Jeder vertritt seine Sonderinteressen, in denen sich freilich wieder Strömungen und Möglichkeiten des politischen Zeitbewußtseins inkarnieren. Dabei haben wir in den soeben genannten Ansichten die drei wichtigen Meinungsgruppen auf weltlicher Seite, ihnen könnte man die theologisch bestimmte Gruppe der Gemäßigten anschließen, die freilich nicht so entschieden und gruppenmäßig greifbar hervortritt, so daß Grabmann in seiner Betrachtung der „gemäßigten Richtung"

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E. Die nidit-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

die Linie von Thomas von Aquin über Remigio zu Quidort, Hervaeus Natalis, Durandus und Petrus de Palude zu Engelbert von Admont ziehen kann2593. Er nimmt also Stimmen zusammen, die in unserer Betrachtung unter den französischen Registen (Quidort) oder unter den Imperialen (Engelbert) erscheinen. Man sieht daran schon, daß es schwer fällt, eine „gemäßigte" Gruppe größeren Umfangs auszumachen, die von den politischen Gruppierungen distanziert ihre kirchenpolitische Konzeption entwickelt, so daß sich die politisch bestimmten Gruppen der Registen, Imperialen, letztere die Sonderscheinung des „Defensor pacis" wenigstens äußerlich umgreifend, doch als beherrschende Meinungsführer anbieten. Diese Gruppen erscheinen nicht willkürlich, sie vertreten zugleich die entscheidenden politischen Faktoren: das nationale Königtum, das Imperium, den aufkommenden Stadtstaat neuer Prägung, der sich zwar dem Imperium anschließen kann, soweit er darin einen Vorteil sieht, aber doch eigengeprägt genug bleibt, um nicht in der imperialen Parteiung aufzugehen. Dante und Marsilius sind hierin klar geschieden. In jedem dieser Konzepte wird einer der grundlegenden Fragekreise der Zeit manifestant: die Registen vertreten die tradierte Königsherrschaft, die umsomehr die natural-positivrechtlichen Elemente verkörpern kann, als sie aus der unmittelbaren Konfrontierung zum Papsttum herausgenommen ist. Die Imperialen haben es mit der Kernfrage des Verhältnisses: regnum-sacerdotium in der unmittelbaren Begegnung von Papst und Kaiser zu tun, wie es im Vorwort zum Sachsenspiegel und zum späteren Schwabenspiegel (Deutschenspiegel), zugleich paradigmatisch für den Einfluß der hierokratischen Sicht, deutlich wird: „Derne pävese ist gesazt das geistliche, deme keisere daz wer Ii che (swert)" (Sadienspiegel); und dagegen der Schwabenspiegel: „Daz vertliche swert des gerihtes, daz lihet der pabst dem cheyser" (Schwabenspiegel) (MGH Fontes iuris germ. ant. I, S. 19; nov, ser. IV, S. 34). Das Bildungsbürgertum endlich, das aus der Stimme des „Defensor pacis" spricht, vertritt zwar die Sache des Bayern gegen Avignon, gründet aber seine Gefolgschaft auf eine Sicht des Staates, die weder in den traditionellen Rahmen der hierokratischen Auffassung noch in den der reichsaristokratischen Fürstenwelt paßt.

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* Grabmann, Studien S. 8 ff. — Gottfried v. Fontaines, der einerseits dem Papst die Primärgewalt zuspricht, (quod verum est prima auctoritate et superiori: Quodlib. 13, 17; vgl. Pilati S. 289; Lagarde, La naissance II, 199 f). drückt sidi in Quodlib. X I , 12 (Les philos. Belges V, S. 60) sehr vorsichtig aus: „hoc dare pape satis magnum . . (id) non libenter principes sustinerent".

I. Von Hervaeus Natalis zu Petrus Johannes Olivi Wie schwer es ist, neben der fast geschlossen wirkenden und mächtigen Front der hierokratisch-ekklesiarchen Doktrin innerhalb der nicht politisch bestimmten theologischen und kirchenpolitischen Spekulation eine Gruppe oder eine Linie sogenannter „gemäßigter" Anschauungen ausfindig zu machen, erlebt man, wenn man nach entsprechenden Zeugnissen sucht. Man trifft auf vereinzelte Äußerungen, die auf eine nicht-ekklesiarche Grundkonzeption hindeuten. Diese können freilich erst dann ihren vollen Aussagewert erhalten, wenn explizit an den kritischen Stellen und zu den „heißen" Fragen Stellung bezogen wird. Bei dem gegenwärtigen Stand der Kenntnisse ist das aber nur vereinzelt der Fall, so daß die folgenden Ausführungen noch kein abschließendes Urteil erlauben. Von Hervaeus Natalis, einem Hauptvertreter der älteren Thomistenschule, kennen wir einen schon länger zitierten Traktat „de potestate papae"; jetzt hat L. Hödl einen „Tractatus de iurisdictione" ediert, der gut in die eingangs gegebene Charakteristik paßt260. Die erste Schrift läßt die Frage nach dem Verhältnis der Gewalten beiseite; über den Ursprung der Gewalt verlautet, daß diese in der natürlichen Urteilsfähigkeit (ratio naturalis) ihren Beginn habe. Diese wiederum stamme von Gott, so daß der Fürst implizit auch Stellvertreter Gottes genannt werden könne. In den Bereich des natürlichen und göttlichen Rechtes könne sich die päpstliche Instanz nicht im Sinne der Zwangsgewalt einmischen, sie habe nur bei Zweifelsfällen eine erklärende Autorität 281 . Mit „ius naturale aut divinum" grenzt Herveus sehr deutlich den im Dekalog und im Naturrecht gezogenen normativen Katalog ein, freilich bleibt die Ablehnung der päpstlichen Zwangsgewalt in diesem Rahmen zu unbestimmt, um daraus eine brauchbare Folgerung für das Gewaltenverständnis ziehen zu können. Denn sicher will Hervaeus damit nicht sagen, daß dem Haupt der Kirche nicht die Jurisdiktion in Fragen des christlichen, auf dem natürlichen und göttlichen Gebot aufruhenden Sittengebotes zustehe. Damit wäre ja die Grundlage der „ratio peccati" überhaupt bestritten und sogar eine „indirekte" Gewalt verneint. Ebensowenig läßt sich aus der Bemerkung in „de iurisdictione" schließen, daß die Regierung der Kirche wie der „res publica" hinsichtlich ihrer Gründung einen zweifachen Aspekt verlangen: den des status (Amtes) und den der persona. Dem status nach stammt die 290

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Zu Herveus und seinem Traktat „de potestate papae" vgl. Grabmann a.a.O. S. 34 f. — Der Traktat „de iurisdictione" bei L. Hödl, Mitteil, des Grabmann Instituts, 2, S. 14 ff. — Beschreibung a.a.O. S. 6. D e potestate papae, zit. bei Pilati S. 304: „si aliquod est dubium ad ipsum pertinet auctoritas declarandi". Die Fürsten sind nach ihm „implizit" Vikare Gottes, insofern Gott der Natur die ratio naturalis gibt, derzufolge die weltliche Obrigkeit eingesetzt werden und in Aktion treten kann.

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potestas von Gott, der persona nach von einer institutionellen Handlung der communitas, bzw. des populus, also der Wahl2". Diese Unterscheidung und Anwendung auf Staat und Kirche entspricht der scholastischen, soziativen Begründung der potestas auf der Seite der menschlichen Gemeinschaft88®, sie kann jedoch erst ihre Aussagekraft erhalten, wenn sie mit den konkreten Problemen der kirchenpolitischen Diskussion konfrontiert würde. Deutlicher wird Durandus (de Saint Pourcain). In seiner Schrift über den Ursprung der Herrschaft unterscheidet er die Herrschgewalt als „debitum" und „ad acquisitionem et usum"2*4. Dem Menschen zukommend sieht Durandus die Herrschaft gegründet auf die natürliche Einsicht, sie ist darin ein „debitum rationis", und die göttliche Anordnung. Dem Gebrauch nach kann sie im Erwerb selbst oder hinterher schlecht sein. Die so unmittelbar von Gott und dem menschlichen Ordnungsverstande abgeleitete Herrschaft ist jedoch wie alle Temporalien auf das Spirituale hingeordnet. In diesem Sinn erstreckt sich das der Kirche anvertraute regnum Christi, obwohl zuerst und grundsätzlich auf das Spirituale ausgerichtet, eben auch auf die Temporalien. Die weltlichen Fürsten erhalten deshalb ihre Herrschaft nicht „ab ecclesia" oder in Lehensabhängigkeit (in feodum). Diese Ablehnung einer legitimierenden Dependenz im Sinne des Soliustismus verbindet Durandus mit der klar umschriebenen Forderung (solum precise volumus dicere), daß das „regimen regum... christianorum subest regimini ecclesiae intantum, quod si cedat in subversionem fidei aut bonorum morum correctio et directio ipso iure pertinet ad ecclesiam. De imperio romano non est dubium, quoniam subiciatur non solum in praedictis sed etiam in pluribus"265. Der Text ist in zweifacher m

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Hödl. S. 16: „ex natura rei habet esse (status papalis vel regalis) quantum ad decentiam, sed quantum ad essentiam (Zeile 39: existentiam, diese Lesart wohl richtig) completive habet esse ex consensu sive electione populi vel institutione alicuius superioris". — Der Dezenz nach ist die Gewalt einer Gemeinschaft angemessen. Kompletiv, der Existenz nach stammt die Gewalt von Gott und dem Volk. Dabei kann in der Bestimmung der Person zur Wahl durch das Volk die Approbation (Konfirmation) des superior, das wäre der Papst, kommen. „Seiendum tarnen quod ista iurisdictio quantum ad personam quandoque habetur ex electione populi et approbatione superioris, sicut quando est electio et confirmatio (trifft auf Kaiserpromotion zu). Et ex hoc patet ad quaestionem, scilicet quod iurisdictio acquiritur non solum ex consensu populi, sed etiam ex institutione superioris et hoc quantum ad statum. Quantum autem ad personam acquiritur eisdem modis, et cum hoc quandoque ex electione populi et approbatione superioris". Damit wäre von Herveus die Approbation anerkannt. Die Herkunft der Gewalt von Gott und dem Volk drückt Herveus disjunktiv aus, was aber sicher keinen möglichen Ausschluß Gottes bedeuten kann: „Ex hoc concludo, quod a prineipio potestas simpliciter super rem publicam institutus est vel a Deo vel a consensu populi, quia sicut dictum est, talis potestas habet institui vel a consensu populi vel ab aliquo superiore". — Der status papalis dagegen stammt „ex institutione Dei", die Bestimmung der Person „ex institutione populi vel illorum in quos translatum est ius eligendi". Die Sozialnatur des Menschen, Herveus S. 16, verlangt die communitas, diese muß aber gelenkt werden. So ergibt sich der status regalis eben auch aus der Sozialnatur. Herveus untersucht freilich das Verhältnis des „prineipium a Deo vel a populo" vgl. Anm. 262 nicht eigens, er stellt beide prineipia zueinander. Zu Durandus: Grabmann a.a.O. S. 35 f. — Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin S. 310 ff. Durandus, de Origine iurisdictionum, zit. bei Pilati S. 309.

I. Von Herveus Natalis zu Petrus Johannes Olivi

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Weise interessant. Er deutet die Unterwerfung des saekularen regimen diristianum im Sinne der spiritualen Unterwerfung, die allerdings auch den Schutz der „boni mores" einschließt. Klarer als bei Ägidius kommt so die rein spirituale Unterwerfung zum Ausdruck, der Verzicht auf die Dependenz der Saekulargewalt erleichtert diese Sicht. Eine Ausnahme macht das Imperium, wieder wird, wie nun schon oft genug, die Sonderstellung des Reiches deutlich, die deshalb auch nicht erlaubt, daß Aussagen über das Reich bereits generell für die Saekulargewalt schlechthin gelten müssen. Andrerseits hält er an dem für die ekklesiarche These so wichtigen Grundsatz der „ordinatio ad spiritualia" fest, so daß er hierin wieder mit der hierokratischen Linie ganz übereinstimmt. Diese Hinordnung des Temporalen scheint ihm so wichtig, daß er die Verneinung des „regnum Christi commissum ecclesiae" hinsichtlich der Temporalien als Haeresie bezeichnet. Ähnlich wie Durandus ist Petrus de Palude der Meinung, daß der Papst nicht jeden Fürsten zu bestätigen habe, jedoch könne er ihn wegen Haeresie, einem unerträglichen Vergehen, wegen Insuffizienz absetzen 2 ". Grundsatz für ein temporales Eingreifen bleibt das „bonum spirituale": „quia papa est superior eo (rege) in spiritualibus et per consequens in temporalibus quantum necesse est pro bono spirituali ipsius et aliorum et adminus ratione delicti et iste sana conscientia non potest retiñere regnum ad quod est insufficiens et indignus". Man sieht, das Beschränken auf die Jurisdiktion gegenüber dem Fürsten und das Absehen von der unbedingten Dependenz ermöglicht es der kirchenpolitischen Spekulation, den rein spiritualen Charakter des päpstlichen EingrifFsanspruches herauszustellen. Das bedeutet andrerseits, daß dem Institutionsrecht offenbar in der Diskussion ein entscheidendes Gewicht zukommt, und hier rückt von selbst die Promotion des Kaisers in den Mittelpunkt, mit der es der Papst zu tun hat, und von der aus ein Großteil der Diskussion in ihren kritischen Fragen sich gerade entfaltet. Daß gerade im französischen Raum beheimatete Stimmen gegenüber den hierokratischen Thesen zurückhaltend sind, ergibt sich aus der politischen Atmosphäre gerade jenes Reiches, in dem die Selbständigkeit besonders intensiv empfunden wird. Ein anonymer Traktat (Cod. 4046 der Bibliothèque nationale), aus dem R. Scholz einige Stellen mitgeteilt hat, ergänzt dieses Bild2*7. 268 Petrus de Palude, D e causa immediata ecclesiasticae potestatis art. 4, 6: „Sed quia papa est superior eo in spiritualibus et per consequens in temporalibus quantum necesse est pro bono spirituali ipsius et aliorum et adminus ratione delicti et iste sana conscientia non potest retiñere regnum ad quod est insufficiens et indignus (rex). Eine solche Stelle zeigt, wie nahe audi die „Gemäßigten" in der Argumentation bei den Vertretern der sogenannten direkten Gewalt stehen. Denn daß der Papst als superior in spiritualibus folgerichtig auch vorgeordnet in temporalibus sei, ist ja ein Hauptargument dieser Seite. !67 Scholz I S. 250—255; vgl. Anm. 181; der Traktat selbst vertritt sehr energisch die Einheit der „policía diristiana" vgl. Anm. 230, er ist also keineswegs, wie Grabmann s. 36 meint, eine Schrift, die „mit großer Konsequenz" den Dualismus vertritt. Im Gegenteil, nach dem Urteil von Scholz ist diesem keine andere Schrift bekannt, „in der so konsequent der Dualismus von geistlicher und weltlicher Gewalt beseitigt wäre" (S. 254). Grabmann kam zu seinem Urteil, indem er die Stellen, in denen die dualistischen Argumente sehr prägnant formuliert sind, offenbar als Ansicht des Autors nahm. Scholz I, S. 251 heißt es zu den regalistischen Argumenten: „Der monarcha ecclesiasticus könne

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Hervaeus, Durandus, Petrus, der Anonymus gewinnen ihre Sicht aus der naturrechtlichen, aristotelischen Gründung des Staates, mit ihr suchen sie die aus der spiritual bestimmten Finalität des Temporalen rührende Unterordnung der saekularen Herrschaft zu verbinden. Der Minorit Olivi bleibt nicht in dieser abwägenden Distanz stehen. In seinen Quodlibeta (Quodlibeta I q. 18) geht er auch auf die Frage der zeitlichen Gewalt des Papstes ein8*8. Olivis Stellungnahme ist schon zeitlich bemerkenswert, da er das 1. Quodlibet wohl schon kurz nach 1285 disputiert hat, so daß er vor dem Einsetzen der großen Kontroverse unter Bonifaz VIII. schreibt. Die Determinatio compendiosa, deren Abfassung um 1280 angenommen wird, wäre allerdings bereits erschienen. Zugleich liegt Olivi natürlich die hierokratische Lehrmeinung der Kanonisten vor. Zum äußeren Merkmal kommt hinzu die theologisch-philosophische Einstellung des Franziskaners. Er ist erklärter Gegner einer Theologie, die meint, mit Hilfe aristotelischer Prinzipien die Theologie beweis-

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nicht „in ratione agentis et moventis per se" den weltlichen Herrschern in dem vorstehen, „que ad principatum civilem pertinent". Er könne nur „per accidens" eingreifen, sofern die geistlidien Handlungen behindert würden. Im übrigen sei es gegen die Natur, wenn ein Körper zwei Häupter habe. Das heißt, das ekklesiarche Argument von dem einen Haupt der Kirche wird auf den Staat übernommen. In der Wiedergabe dieser Argumente durch den Anonymus wird die Auffassung der Gegenseite vom Staat als eines geschlossenen Gebildes erkenntlich. Petrus Johannes Olivi, Quodlibeta, (Venedig 1509). — I q. 18: queritur an papa habeat universalissimam potestatem. (Ad 1.): Nota tarnen quod quidam dixerunt papam esse temporalem dominum omnium rerum temporalium huius mundi, ita quod quicquid dat vel accipit aut alienat, est vere datum et alienatum". Er nennt fünf Gründe der Gegenseite: 1) Christus ist nicht nur „iure creationis", sondern auch „iure redemptionis et reparationis" Herr des Universums. Der Papst ist aber sein Vikar. 2) Was die niedere weltlidie Gewalt vermag, kann auch die höhere (geistliche). 3) Die Dekretale Solite (Innozenz III. an Patriarch von Konstantinopel, I, 33, 6), Löse- und Bindegewalt. 4) Das CC. 5) Zweischwerterlehre. Man könnte aus dieser Zusammenstellung den Stand der Diskussion um 1285 erschließen. Olivi bringt nicht das monokephalische Argument, auch nicht Hugo von St. Viktor. — Die Erwiderung Olivis bringt sehr anschaulich den Gegensatz, der sich aus der radikalen Armutslehre ergab, während ja andere Minoriten zur Zeit des Kampfes mit den Weltgeistlichen um die Seelsorgerechte (vgl. Anm. 11 Teil II) gerade den päpstlichen Jurisdiktionsprimat verteidigten. Olivi stellt den Rat der höchsten Armut gegen das universale spiritual-temporale Vikariat. Es sei nur das Lebensnotwendige erforderlich. Die Übertragung der Primatgewalt auf das Weltliche mache den Papst zum weltlichen Herrn. Innozenz habe nur die „ratio peccati" in Anspruch genommen. Ferner: „si ex Christi commissione temporale dominium directe et immediate haberet, tunc directe et immediate posset exequi omnes proprios actus terrene potestatis". Dieses Gegenargument ist äußerst aufschlußreich, es kennt noch nicht den Unterschied der Primär- und Exekutivgewalt, es nimmt in die Vollgewalt auch die volle Ausübung der „proprios actus", also des spezifisch weltlich Herrschaftlichen. Hier zeigt sich deutlich, wie die Doktrin der Aegidius und Jakob versucht, gerade dieser These zu entgehen. Sie nennen, was rein begrifflidi und sprachlich relevant erscheint, den Papst eben nicht einen „dominus temporalis". — Die Widerlegung der hierokratischen Thesen bringt zu 1), daß dann der Papst zu einem Vikar der ganzen Welt Christi würde, was absurd wäre. Zu 2): die weltliche Gewalt sei nidit „secundum totam sui essentiam" unterworfen. Zu 3): Innozenz spreche nur von dem geistlichen Vorrang. Zu 4): Das CC zeige, daß Konstantin seine Gewalt nicht allein von Christus oder durch spirituale Verleihung hatte „Quod aut quantum dederit non est nobis nunc eure (!). Zu 5): Wenn das Schwertergleichnis schon „mystice" ausgelegt werde, solle es auf die geistliche Gewalt beschränkt bleiben.

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kräftiger machen zu müssen und sie dabei verweltlicht. In seinem Apokalypsenkommentar (1296/97), also während dem seinem Höhepunkt zustrebenden Pontifikat Bonifaz' V I I I . , wendet er sich gegen die Meinung, daß die „futura tentatio mystici Antichristi" hauptsächlich aus der manichäischen Sekte stamme 2 ' 9 . Die Gefolgschaft des „pseudopapa", der beim Posaunenengel (6. Engel) den Platz des Antichristen einnimmt, wird ihre Thesen vor allem aus Aristoteles und Averroes schöpfen: „Ad illam (sectam Antichristi) autem longe plus disponet philosophia Aristotelis aut Sarrazenica unum summura Deum ponens et temporalia sub aliqua philosophica commensuratione magnificans, quam secta Manichaeorum quae ponit unum Deum malum et illum etiam esse Deum veteris Testamenti". Er wirft den Anhängern des Aristoteles vor, daß sie das Licht der christlichen Weisheit, des evangelischen Lebens und die reine Atmosphäre des mönchischen Lebens verdunkelten, die Armut nicht als Substanz des vollkommenen christlichen Lebens ansähen und viele Pariser Kleriker mit ihren philosophischen und heidnischen Lehrsätzen dazu verführten, die Glaubenssätze wegzuwerfen. Behalten blieben nur noch die „unitas Dei", die These von der alleinigen Wahrheit der „mundana philosophia" und deren Genügen zum „humanuni regimen". Ewigkeit der Welt, notwendiges, an die Existenz der Welt gebundenes Schaffen Gottes, Einzigkeit eines Intellekts in den Menschen, weitgehende Leugnung der Willensfreiheit sind einige der aristotelisch-averroistisch bestimmten Sätze, die Olivi als besonders markant herausgreift270. Mit all dem werden die Konturen abgesteckt, innerhalb deren Olivis Ordnungsverständnis begriffen sein will. Die Wendung gegen die „mundana philosophia", die vorgibt, allein Wahrheit, gemeint ist beweiskräftige Wahrheit im Sinne der Wissenschaftlichkeit, zu bieten und darin der menschlichen Ordnung zu genügen, trifft genau einen Grundzug der Zeit, der über viele Details und Stationen hinweg in der sogenannten Entdeckung der Welt und des Menschen eines seiner Leitmotive hat. Olivi wirft den Aristotelikern, die er unversehens mit den averroistischen Spielarten der Aristotelesrezeption zusammen nennt, eine Verherrlichung der Temporalien mit Hilfe philosophisdier Maßstäbe vor (temporalia sub aliqua philosophica commensuratione magnificans), darin sitzt ein Angriff wohl nicht nur gegen Siger von Brabant, Boethius von Dacien und ihre Anhänger (clerici Parisius philosophantes), sondern gegen den Naturalismus, der im scholastischen Versuch steckt, die temporale Ordnung aus sich zu erklären und in ihrer naturalen Finalität als gültig anzuerkennen. Im Munde Olivis wird daraus polemisch eine „philosophia m u n d a n a . . . ad regimen humanum sufficiens". Im Grunde steht hier die augustinische Weltsicht, die menschliche Ord-

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Olivi, In Apocalypsim (zit. Hödl. a.a.O. S. 23 Anm. 73 nach Cod. Vat. lat. Borgh. fol. 89 r). Hödl. a.a.O. S. 24 Anm.: „ut ex eis (den Anhängern des averroistischen Aristotelismus) multi clerici Parisius philosophantes omnes articulos fidei reiecerint praeter unitatem Dei et solam philosophiam mundanam dixerunt esse veram et humani regimini sufficientem. Dixeruntque mundum ab aeterno fuisse et Deum per se et immediate nihil posse operari de novo, sed quidquid immediate potuit fecit necessario ab aeterno. Ponuntque unum solum intellectum in Omnibus hominibus et fere negant arbitrii libertatem".

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nung in die geschichtliche Faktizität von Erbsünde und Erlösung so entschieden nimmt, daß daraus auch die bürgerliche Ordnung ihre Normen empfängt, gegen eine anhebende Welt, in der das natural-humane Element nach autarker Geltung strebt. Olivi ist im tiefsten der heilsgerechten Sicht der hierokratisdiekklesiarchen Linie verwandt. Wenn er trotzdem die zeitliche Gewalt des Papstes ganz entschieden ablehnt, so rührt das aus einem Verständnis sowohl der Kirche wie des Spiritualen, das es nicht erträgt, daß Kirche und spirituale Ordnung „verweltlicht" werden. Olivi ist von der inneren Notwendigkeit des päpstlichen Primates, seiner Irrtumslosigkeit überzeugt. Er folgt darin und in der Begründung seinem Lehrer Bonaventura. Wenn er die Lehre von der temporalen Vollgewalt angreift, so geschieht es einmal aus der persönlichen Prägung franziskanischer Spiritualität, die ihn später zu dem von den provenfalischen Spiritualen verehrten Heiligen werden läßt. Es geschieht zum andern aus der eschatologischen Geschichtsdeutung, die ihn mit Richard von St. Viktor und Joachim verbindet, aber zugleich auch, von Joachim vor allem, trennt" 1 . In Franz von Assisi erschien der Engel des sechsten Siegels, mit dem Zeichen des lebendigen Gottes, den Stigmata. So hat er es von seinem Generalminister Bonaventura im Ordenskapitel zu Paris feierlich verkünden hören. Damit wird die Verdammung der babylonischen Hure, der verweltlichten Kirche des fünften status ecclesiae offenbar. Geistliche Gewalt wird um so „nobilior et sanctior et spiritualior quanto est a terrenis omnibus amplius segregata, et tanto melius et salubrius terrenae potestati praesidet, quanto ab omni terrena grassitie et corpulentia est fortius et purius segregata. Ergo qui sic, usque ad inferos volunt eam in lutum terrenorum demergere, potestatem Antichristi conantur erigere et statum Babylonis quam contrivit et adhuc plenius conterei Christus lapis de monte sive manu terrenae potestatis abscissus""2. Die Stelle enthält recht viel, einen gezielten Hieb gegen die weltlichen Machtansprüche der Kirche; daß diese als Hilfe für die Machtergreifung des Antichristen bezeichnet werden, zeigt in sdhneidendem Gegensatz das Kirchenund Geschichtsbild der franziskanischen Spiritualen zu jenem des Ägidius, der das dritte Zeitalter der Kirche gerade im Besitz der Temporalien charakterisiert sein läßt: „Propter quod est dare tercium tempus, in quo tempore nunc sumus, ubi et temporalia sunt concessa viris ecclesiasticis et manus domini est supposita. In hoc ergo tercio tempore utroque est ecclesia dotata, quia gaudet et temporalium subsidio et divino auxilio, ut se possit in suo statu regere et conservare (De eccl. pot. II, c. 3 )273. Der Kontrast eines in seiner geistlich-weltlichen Position sicheren und aufgrund dieser Position triumphalistischen kirchlichen Bewußtseins und einer endzeitlichen Erwartung der geist271 A. Dempf, Sacrum Imperium S. 312 f. " 2 Olivi, Quodlibeta I q. 18 (7. Argument). 173 D e eccl. pot. S. 47 f. — Aegidius unterscheidet eine erste Epoche des „sacculus et pera", in der Gottes H i l f e die Kirdie trägt, „sine temporalium possessione". In der zweiten folgt die Schenkung der Temporalien, aber gleichzeitiger „divine manus aliqualiter subtraccio". In der dritten lautet die Bedingung, daß beide Epochen, die gut sind, zusammenkommen: „nullum illorum secundum se debuit perpetuo prohiben nec perpetuo subtrahi".

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liehen Kirche läßt sich selten so intensiv fassen wie gerade in diesen beiden Aussagen. Olivi will eine vom Temporalen distanzierte geistliche Führung durch die Kirche. Führung soll es sein, denn er spricht ja ausdrücklich von „terrenae potestati praesidet". Darin wahrt er getreu die Ordnung seiner Welt. Aber das Ideal der armen Kirche bedingt natürlich, daß in dieser Welt dann die potestas terrena in ihrem exercitium der Herrschaft faktisch sich in einer Weise selbst überlassen bleibt, die im Grunde wiederum eine ähnliche „transformatio et renovatio" der bestehenden Verhältnisse bedingt, wie sie der Vorstoß Paschalis' II. im Jahre 1111 bedingt hätte. Anders als die naturalpositivrechtliche Behauptung der saekularen Eigenständigkeit stellt das spirituale Kirchenverständnis die potestas terrena frei und auf sich selbst. Sie unternimmt es zuerst und vor allem dadurch, daß sie aus der „perfectio evangelica" heraus, die in Franz wieder rein erschienen ist, dem Verständnis des Spiritualen einen neuen Sinn gibt, der nun auch gesellschaftlich und in einer Fernwirkung auch politisch faßbar wird. Den nämlich einer korporativen Erneuerung der Kirche selbst, die wiederum im Heilsplan geschichtlich relevant wird. In der gefestigten herrschaftlichen Ordnung ist das Wesen des Spiritualen kirchlich und hierarchisch auf Kultus, Seelsorge und kirchliches Recht bestimmt. Solange diese Bestimmung auf die kirchlich-politische Ordnung übertragen bleibt, gibt es in derem strukturellem Aufbau keine Verschiebung. Indem aber die „perfectio evangelica" in ihrer Substanz so explizit auf Armut hin bestimmt wird, diese als „paupertas altissima" Merkmal der zu erneuernden Kirche der Endzeit ist, erhält auch die Spiritualität und das Spirituale den von dieser Armut der Heilsgemeinschaft in ihren nach Vollkommenheit strebenden Gliedern wesensmäßig geformten Charakter. Spiritual schließt jetzt „de substancia perfectionis" das von Besitztiteln und Besitzerwerb distanzierte und freie Leben evangelischer Kommunität ein. Damit wird die freie Verfügung der weltlichen Gewalt über alle Temporalien nur noch mehr frei gestellt, eine Wirkung, die im Ordnungsverständnis sich als Steigerung temporaler Macht und Verantwortung auswirken muß. Der Fortgang der politischen Theorie im Defensor pacis und bei Ockham wird diese innere Wechselwirkung deutlich machen. Freilich, in der Wirkung auf die weltliche Seite liegt auch eine andere beschlossen. Wenn das evangelisch-kirchliche Ideal der Armut sich auch als Leitform saekularer Sozietät herausstellen sollte, kommt es zu einer gegenläufigen Bewegung im Ordnungsgefüge der Gesellschaft, die dann ein Element moderner Armutslehren darstellt. Ein rückblickender Vergleich der Aussagen, die aus der scholastischen Naturrechtslehre gespeist sind, und derjenigen des franziskanischen Spiritualen ergibt für das Verständnis der Gewalten, wie verschieden die Ausgangspunkte für die Ablehnung der hierokratischen These sein können, wie nahe sich die Schlußfolgerungen kommen, wie aber dennoch in ihnen die Verschiedenheit des Ausgangs neue Potenzen mit einbringt. Die naturrechtlich bestimmte Teilung der Gewalten beschränkt sich im Ganzen auf das Nein gegenüber der Lehre von der kirchlichen Herleitung der potestas terrena. Die Perspektive Olivis fordert den neuen Geist und eine Ordnung, die dem anbrechenden neuen Zeitalter entspricht, in dem Christus wiederkehrt. Dabei 30

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bedeutet die Wesensbestimmung der evangelischen Vollkommenheit für all die Tätigkeit, die auf die terrena ausgeht, daß sie um so mehr mit der „grassitia et corpulentia terrena" in eins gesehen wird. Für die potestas terrena gilt das im besonderen. Auch sie muß folgerichtig, will sie der neuen Zeit gerecht werden, sich in Richtung auf die von der Armut geprägte evangelische Vollkommenheit transformieren. Damit würde aber dem Bild des regimen christianum nicht nur in der Kirche sondern auch in der Welt eine neue Forderung zuwachsen. Hier künden sich bereits die Umrisse einer möglichen Vorstellung von Obrigkeit an, die nur soviel an Macht besitzt, als unbedingt notwendig erscheint. Zündstoff in der Entfaltung des politischen Bewußtseins ist damit zur Genüge gegeben.

II. Stimmen aus dem Frankreich Philipps des Schönen Das regnum als temporale Hödistordnung und der Gedanke des regimen christianum. — Neue Perspektiven. — Unabhängigkeit des „regnum Franciae" gegen Reidi und Papst. — Die innere Eigenständigkeit des regnum in der regalistischen Lehre. — Übereinandergreifen der Ordnungsvorstellungen. — Die Einzelschriften: Die „Quaestio in utramque partem". — „Rex pacifkus Salomon". — De Flöte: „Antequam essent clerici". — „Disputatio inter clericum et militem". — P. Dubois und seine Schriften. — Johannes Quidort: Leitlinien seines Mittelweges; die papale und die kommunitär/populistische Struktur der Kirdie. — Das Verhältnis der Gewalten.

Die Uberschrift dieses Kapitels wurde mit Rücksicht auf Johann Quidort so allgemein gewählt; bei ihm fällt es schwer zu entscheiden, ob seine Meinung mehr theologisch oder politisch initiiert ist. Quidort, Angehöriger des Pariser Konvents, erscheint 1303 an erster Stelle der Ergebenheitsadresse an den König, die im Rahmen der Propagandawelle audi von den Dominikanern verfaßt wird. Man erkennt den Stand des politischen Bewußtseins, die unversöhnlich auseinanderstrebenden Positionen. Was nicht bedeutet, daß dieses Auseinanderstreben hyperbolisch erst im Unendlichen sich wiederfinden muß. Bei aller raffiniert gesteuerten Manipulation der öffentlichen Meinung Frankreichs im Sommer 1303 kann man doch sagen, daß das Vorgehen des Papstes gegen den König nun Frankreich das an sich selbst erfahren läßt, was das Imperium und die ihm verbundenen Länder eben schon in schwersten Erschütterungen erlebt hatten: die volle und unmittelbare Wucht der päpstlichen Zentralgewalt, die nun auch den bis dahin sorgfältig geschonten Thron Frankreichs trifft. Der Widerstand ist entsprechend, er offenbart in seinen Äußerungen eine Reihe von Impulsen und Motiven, die über den Streit mit Philipp hinauswirken. Die scholastische und artistische Gelehrsamkeit, die sich bei Ägidius, Jakob, der ekklesiarchen Thematik zugunsten der spiritual-temporalen Vollgewalt erklärt, dient jetzt den Gegnern dazu, die ekklesiarche These zu beseitigen. An wichtigen Äußerungen stehen uns zur Verfügung: a) die „Quaestio in utramque partem", in der Fragestellung eine scheinbar neutrale Stellung vorgebend; b) der Traktat „Rex pacificus", wohl von a) abhängig, sidier ihn benutzend; c) das literarische Material des engeren höfischen Kreises, Flöte (Antequam essent clerici), Nogaret, die Schriften des Pierre Dubois (Bosco); ein mehr stimmungsmäßig gewichtiges Pamphlet: Disputatio inter clericum et militem; d) schließlich der bedeutende Traktat: „De potestate regia et papali" des Quidort. Seit dem Investiturstreit gab es nicht mehr eine so weitreichende Diskussion und Publizistik. Die herangereiften Entscheidungen einer Epoche suchen ihren literarischen Ausdruck. Dabei gilt es für unsere Betrachtung zunächst, das eine oder andere klarzustellen. Zunächst sei auf ein Mißverständnis hingewiesen, das entstehen kann, wenn moderne Parteiungen und ihre Klassifizierung sozusagen anam3C*

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netisch und aetiologisch im Hinblick auf unsere eigene Situation auf diese Diskussion übertragen werden und dann der Akzent auf jene Äußerungen gerät, die als modern erscheinen. So sieht Dempf die französische Gruppe unter dem Stichwort der „Altliberalen", was wieder die Existenz von Konservativen erfordert, die audi prompt in der Gestalt vor allem der Anhänger der Reichsidee (Dante, Engelbert von Admont, Lupoid) erscheinen"*. Damit wird ein politischer Begriff, der für das Selbstverständnis einer bestimmten Epoche fruchtbar sein mag, aber als systematische und historische Kategorie mehr als fragwürdig ist, wenn er nicht in der notwendigen Differenzierung der komplexen Wirklichkeit erscheint, auf eine Auseinandersetzung übertragen, in der es gewiß um Altes und Neues ging, in der aber zugleich auch das Neue sich wieder recht unbefangen mit Altem verbindet. — Achtet man auf die Grundthematik der regalistischen, antikurialen Opposition, so ist sie negativ durch ihr Nein gegenüber der These der geistlich-weltlichen Vollgewalt des Papstes, positiv durch ein im einzelnen wieder variiertes Ja zur temporalen Souveränität, die auch auf kirchliche Belange sich erstrecken kann, bestimmt. Beides ist weder neu noch liberal, die Verfasser brauchten nur sich in der Kanonistik gerade der anglo-normannischen Schule, in der Reichstradition mit dem Investiturstreit und den Staufern umzusehen, um genügend kritisches Material gegen die Kurialen vorzufinden"®. Geht man nun in der „Quaestio in utramque partem" und in „Rex pacificus" die ekklesiarchen Argumente und deren Widerlegung durch, so trifft man überwiegend auf Bekanntes. Die Vokabel „überwiegend" schließt zugleich ein, daß auch tatsächlich neue Gesichtspunkte auftreten. Bekannt sind die Argumente der Gewalten- und Bereichsteilung, der nur geistlichen hierarchischen Gewalt, des zeitlichen Vorrangs der königlichen Gewalt (ante erat regnum), der Dyokephalie innerhalb der kirchlichen Einheit, der temporal eigenständigen Sukzession (hier durch Erbfolge). Dempf selbst spricht anschließend an die Wiedergabe der antihierokratischen Argumentik von „traditionellen Argumenten", mit denen der ekklesiarche Versuch abgeschlagen werde, und betont, daß es doch nicht zu einer völligen Trennung von Staat und Kirche, zu einer völligen Privatisierung der Religion komme. Der eigentliche Sinn der anonym bleibenden Theorien der neuen Sozialmetaphysik sei „auch nur indirekt aus ihrem Ethos zu erschließen""6. Damit wäre die Interpretation vom Sachgehalt auf den humanen Impuls und die gesinnungsmäßige Intention verlagert. So weit braucht man nun wieder nicht zu gehen. Es gibt schon greifbare, eigene Sachgehalte eigener Prägung. Sie müssen nur in einem dialektischen 871

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Dempf, Sacrum Imperium S. 408 ff zu den französischen Publizisten unter der Kapitelüberschrift „Die Altliberalen"; S. 469 ff „Die Konservativen". Stickler, Sacerdozio e regno, in M H R 18, S. 17 ff bringt eine Übersicht über die niditkurialististhe Gruppe. Man kann sie negativ auch dahin umgrenzen, daß sie nicht in der Linie der Summa Reginensis, des Alanus, Tankred, Galensis, später des Hostiensis und Sinibald Fieschi steht. Dempf, Sacrum Imperium S. 412 f. — Zustimmen kann man der Begründung für die Nicht-Trennung von Staat und Kirche: an eine völlige Privatisierung der Religion konnte noch nicht gedacht werden.

II. Stimmen aus dem Frankreich Philipps des Schönen

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Hin und Zurück aus ihrer Verklammerung in ihr eigenes traditionelles Gefüge gelöst, zugleich aber auch wieder darin belassen werden. Anders gewendet, das Feststellen neuer Sachgehalte und Impulse darf nicht den ursprünglichen Ansatz der Konzeption verdecken, und dieser heißt zunächst nur Verteidigung eines vorhandenen Zustandes gegen das als Ubergriff empfundene Vorgehen des Papstes; als Verteidigung ist man freilich gezwungen, zugleich die königliche Stellung und Politik zu begründen, und dabei kommt die inzwischen entfaltete Staatswirklichkeit selbst ins Spiel. Sind diese Voraussetzungen genannt, dann können einige wesentliche Züge einer den Registen eigenen und im Rahmen des ideengeschichtlichen Verlaufs neuartig anmutenden Konzeption herausgestellt werden. Dazu gehört einmal die pointiert vorgetragene Selbständigkeit des französischen regnum. Die Staatsgesinnung einer sich selbst bewußt werdenden Institution ist zunächst markiert durch die Distanz zum Imperium. Die Franken waren nicht dem Imperium unterworfen, und wenn, dann ist diese Unterwerfung verjährt, meint die „Quaestio". Was „Rex pacificus" in deutlichem Bezug auf Innozenz III. (Per venerabilem; IV, 17, 13) so formuliert, daß seit mehr als hundert Jahren für Frankreich der Grundsatz gelte: „nullum alium recognoscentes superiorem in istis, (temporalibus), nec Imperatorem, nec Papam" 277 . Das ist nun der „rex imperator in regno suo", an dessen Konzeption nicht nur französische und italienische Legistenweisheit, sondern der innere Impuls einer sich entfaltenden Staatswirklichkeit beteiligt sind278. Da es im übrigen keineswegs ausgemacht ist, daß — von Dubois und der „Disputatio" natürlich abgesehen — die Verfasser der „Quaestio" und des „Rex-pacificus" Juristen sein müssen, die genaue Kenntnis der theologisch-philosophischen Argumentation spricht m. E. eher für einen theologisch versierten Verfasser, darf man den legistischen Anteil an dieser Publizistik nicht so überschätzen, wie es bei Schramm geschieht, der den Gegensatz der Zeit Philipps und seines Großvaters Ludwig gerade auf das Eintreten der Juristen in die Publizistik hin bestimmt279. 277

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Quaestio in utramque partem, Goldast, Monarchia II S. 106, Z. 37 f. — Rex pacificus Salomo, Dupuy S. 675. Zur Diskussion über die Formulierung und Herkunft der Souveränitätsformeln: F. Calasso, I Glossatori S. 13 ff, der gegen Ercole, Woolf für italienische Herkunft plädiert. Vgl. hierzu auch G. Catalano, Impero, regni e sacerdozio nel pensiero di Uguccio da Pisa, der wieder gegen die These Mochi-Onorys vom kanonistischen Ursprung sich wendet, a.a.O. S. 2 ff. — Schramm, der König von Frankreich S. 229 spricht allgemein „von den voraufgehenden Generationen", deren Ergebnisse die geistigen Baumeister Philipps übernahmen. Schramm, Der König von Frankreich S. 224 ff legt den Akzent zur Kennzeichnung der Publizistik vor allem auf die Juristen. Er setzt dabei voraus, daß wichtige Schriften auch Juristen als Verfasser hatten und folgt dabei R. Scholz, der für die Quaestio in utramque partem und den Rex pacificus Juristen als Verfasser annimmt: Die Publizistik S. 229, 255: Quaestio mit gewisser Sicherheit Jurist 229, Rex pacificus Zeuge für Schema einer jurist. Quaestion 255. Disputatio: Laie u. Jurist als Verfasser 336. — Aber schon Dempf nimmt wenigstens für den Rex pacificus einen Philosophen (Jandun) als Autor an, S. 408. — Die Quaestio in utramque partem mit ihrer geschliffenen theologisch-philosophischen Gedankenführung möchte ich ebenfalls eher einem Kleriker zuschreiben.

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E. Die nidit-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Der König steht in einer doppelten Unabhängigkeit, gegenüber dem Kaiser und gegenüber dem Papst. Letzterem gegenüber ist das regnum Franciae frei von den Abhängigkeitssituationen der Herrscherpromotion über die verschiedenen Stufen der Wahlanzeige, der Approbation, Konfirmation und Krönung. Der in Reims gekrönte König kann sein Verhältnis zu Rom außerhalb dieser Bedingungen betrachten. Bonifaz VIII. hatte zwar, wie wir sahen (S. 404 f) in der Konsistorialansprache zur Approbation Albrechts I. die „superbia Gallicana" und ihre Weigerung, die Oberhoheit des Imperium anzuerkennen, heftig angegriffen (30. IV. 1303), aber in der geistig-politischen Atmosphäre des Frankreich um 1300 mußten diese Anklagen aus Rom verhallen. Das bedeutet, daß die so eng mit der kirchlichen Position des Kaisertums herangewachsene kirchenpolitische Problematik von regnum/imperium und sacerdotium der französischen Vorstellung fern liegt und audi leichthin abgetan werden kann. So heißt es denn selbstbewußt: „Ego dico, quod quicquid sit de imperatore, numquam tarnen super Regem Franciae habet (seil, papa) vel habuit temporalem iurisdictionem" (denn der König folgt „per successionem");es gäbe „aliquae causae in imperatore quare subditus sit Papae in temporalibus, quae non inveniuntur in aliquibus Regibus Franciae et Hispaniae et fuit aliquando in Rege Angliae, videlicet usque ad tempus regis Joannis" (Rex pacificus) Dupuy, S. 681). Das sind Töne, die bereits aus der Kanonistik des beginnenden 13. Jahrhunderts vertraut sind (vgl. S. 50 fi), im Kontext dieser gezielten und geschliffenen Polemik nehmen sie ihren besonderen Klang an. Frankreich ist nach der „Disputatio" ursprünglich der würdigste Teil des Imperium, es ist souveränes Teilreich; so wird die Existenz eines größeren Verbandes zwar nicht geleugnet, aber er hat keine politische Wirkung®80. Während für das Kaisertum ohne Zögern eine kirchliche Abhängigkeit postuliert und akzeptiert wird, kann so umso ungehinderter die nationale Unabhängigkeit bewahrt bleiben. Der Unabhängigkeit nach außen gegenüber den Universalmächten entspricht die innere Intensivierung des regnum als eines auf einen Mittelpunkt hin und von einem Mittelpunkt her belebten und gelenkten Ganzen. Der Autor des „Rex pacificus" hat dafür ein eindrucksvolles Bild gewählt, das der organischen Sehweise der Zeit entspringt und entspricht. Aber der Verfasser weiß mehr als nur gängige Wahrnehmungen, indem er einmal vom Körper und seinem Haupte und den von ihm ausgehenden Nerven, dann vom Herzen und den von ihm ausgehenden Adern seine Konzeption des Gewaltenverhältnisses und der Gewaltenfunktion entwickelt. Das organologische Konzept des Johann von Salisbury (Polier. VI, 20; vgl. S. 141) wird so gerade umgedreht. Vom Haupte, Christus, gehen die Nerven, sie stellen die Ränge und Ordnungen der kirchlichen Hierarchie dar, sie garantieren die 280

Disputatio inter clericum et militem, Goldast, Monarchia 1 S. 17: „regnum Franciae dignissima conditione Imperli portio est, pari divisione ab eo discreta et aequali dignitate et auetoritate quingentis annis circiter insignita". Es hat eben dieselben Rechte „in eadem plenitudine".

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Einheit der Kirche281. Vom Herzen, das nach Isidor Fundament des ganzen Körpers ist, geht der Blick des Autors ganz unvermittelt zum dominus temporalis. Dabei müßte eine Erklärung fällig sein, was mit dem Körper nun gemeint ist. Der Vergleich Haupt und Herz hat ja nur einen Sinn, wenn beide sich auf dieselbe Ganzheit: corpus beziehen. Da die Hauptschaft Christi der Kirche zugehört, soll dann der rex das „Herz-Fundament" desselben corpusecclesia sein? Die Schrift läßt sich darüber nicht aus, es wiederholt sich die Unklarheit, die auch bei ekklesiarchen Äußerungen an wichtigen Stellen zu beobachten ist. Aus dem Kontext geht nur soviel hervor, daß die Herz-Funktion sich zunächst auf das regnum bezieht, so wenn es anschließend an die erste Definition heißt: „Dominus autem temporalis sicut Rex in regno et Imperator in imperio recte dicitur fundamentum, propter soliditatem et firmitatem iustitiae" (nach Isidor, Etym. 9, c. 3). Dann fährt der Autor freilich fort: „dominos temporales, fundatores ecclesiarum, quod non dicitur de Praelatis, nisi in quantum habentes sunt aliquod dominium temporale". Das hört sich wieder so an, als ob der rex eben fundamentum-fundator für die Kirche sei, jedoch erscheint in den weiteren Anspielungen auf die Körpervorstellung doch wieder der weltlidie Bereich, so, wenn die Funktion der Adern d.h. der Gesetze „ad partes singulas totius corporis, hoc est communitatis et Reipublicae" bezogen wird, und schließlich die Gesamtfunktion der beiden Gewalten auf den Erdkreis terminiert wird (sie in orbe duae sunt iurisdictiones). Eine entschiedene Klarheit über seine Ganzheitsvorstellung, aus der heraus er von Haupt und Herz spricht, vermittelt der Schreiber nicht, und mir scheint, daß diese Unklarheit nicht nur Versehen oder Zufall darstellt. Vielleicht besitzt er sie gar nicht in dem Maße, daß er fähig wäre, entsprechend klar seine Konzeption zu entwickeln. Denn letztlich entspringt sein Vergleich einer Konzeption der Kirche und der Welt, in der es so etwas als Ganzes gibt, das die Relation Haupt-Herz für die beiden Gewalten ermöglicht und erlaubt. Bei Johann von Salisbury ist diese Vorstellung noch lebendig und wirkkräftig genug, um bruchlos zur Anwendung zu kommen. Daß der Verfasser des „Rex pacificus" mit diesem Bild einsetzt und operiert, aber es nidit in aller Deutlichkeit durchhält, zeigt einmal das Weiterwirken der alten Vorstellung der Kirche und der von ihr umgriffenen Welt, zum andern die innere Entfaltung der weltlichen Bereiche, des regnum, der communitas, die nun in demselben Zusammenhang, der mit dem Bilde des Christus-Hauptes einsetzt, nun auch als „corpus" erscheinen. Das verwirrende Ineinandergreifen der Ganzheitsvorstellung: Kirche—Welt mit ihren „corpora-regna" macht schließlich der im Text anschließende erste Beweis gegen die spiritual-temporale Vollgewalt des Papstes deutlich. Es heißt hier plötzlidi wieder in der altgewohnten Diktion: „distinetio iurisdictionis spiritualis et temporalis in ecclesia". Wenn aber so unbefangen die Grundrelation caput/Christus — cor/rex, orbis und ecclesia aufeinanderfolgen können, dann tritt offen zutage, wie sehr die Vorstellungen sich ineinander verschieben und überdecken. Wir haben nacheinander vier 181

Rex pacificus, Dupuy S. 670 f. Bild des Hauptes und des Herzens. Haupt der Kirche — als Lehrer und Unterweiser — ist der Papst „Nervi autem ab ipso capite derivati" sind die verschiedenen kirchlichen Offizien. — Zum folgenden ebenda.

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Bilder, für die diese Beobachtung gilt: Als erstes die Ganzheit, auf die die Haupt-Herz Relation bezogen ist, dann das „corpus" als communitas, bzw. res publica, dann die Vorstellung des „orbis", schließlich das Bild der „ecclesia". Innerhalb des zweiten Bildes ist alles auf den Herz-König zentriert. „A saeculari principe" gehen die Adern (leges, statuta et consuetudines legitimae) aus. Ohne Herz hat der Körper kein Leben. Das volle Gewicht des Bildes wird erst deutlich, wenn man es mit der Organologie des Johann von Salisbury konfrontiert. Dort war im Rahmen der Relation: anima-corpus den hierarchischen Gliedern der Kirche die Herz-Funktion zugesprochen, jetzt ist der König die belebende Mitte (vgl. S. 142). Die geistliche Welt wirkt nicht formend im temporalen Bereich, dieser ist, wie wir noch gleich sehen „omnino distincta". Die geistliche Funktion ist auf das geistlich Seelsorgliche beschränkt. Das ist nun der „summus", von dem die Disputatio spricht, die regia maiestas des Dubois28*. In der Umkehrung der organischen Symbolik: Haupt-Herz wird aber noch ein tieferer Vorgang sichtbar. Eine verschiedene Wertung sowohl der naturalen Kategorien, die mit ratio, intellectus, wie der übernatürlichen, die mit dem Geistig-Geistlichen gegenüber dem Körperlidien verbunden sind. Für den Bereich des Körpers ist hier nicht die Seele als die formende geistige Wirklichkeit als entscheidendes Kriterium genommen, sondern die körperliche Mitte selbst, mit ihren Adern, dem Blutkreislauf, so daß die Relation: anima-corpus für das Verständnis des temporalen „corpus" und seiner Ordnung überflüssig wird. Man kann sagen, daß das Körperliche selbst aufgewertet wird. Dem entspricht die Widerlegung des hierokratischen Argumentes in Rex pacificus (Argument n. 9, Dupuy S. 680). Aus der Relation Seele-Leib folgt keineswegs eine Abhängigkeit des letzteren, denn: „temporalia sie ad sustentationem corporis agunt, quod agunt etiam ad sustentationem animae, quae deficeret corpore deficiente. Unde maiorem dependentiam habet anima a temporalibus quam contra". Das Seelisch-Spirituale ist in der Ebene des Leib-Seelischen, das heißt in der geschöpflichen Einheit der Natur eher machtlos, denn mächtig. Hier werden die Umrisse eines Denkens sichtbar, das nun tatsächlich den „Spiritualismus", wie er für die hierokratische Doktrin entscheidend ist, ablöst. Anstelle der terrassenförmig nach unten, nach dem Rang der spiritualen Teilhabe gestuften „potestas", erscheint die dynamische Ganzheit der Natur, innerhalb deren wechselseitige Abhängigkeiten auftreten können. Für die Auffassung des Ägidius, daß der Papst als der „spiritualissimus" alles beurteilt, ist in dieser Sicht kein Platz mehr"'. 282

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Disputatio, Goldast, Monarchia I S. 17: „Rex non posset hoc (leges condere, omnino leges Imperatorias repeliere aut quamlibet . . permutare), qui est summus, tune nullus poterit, quia ultra eum non est superior ullus". — Dubois spricht, vor allem in der Summaria brevis et compendiosa durchgehend von der regia maiestas (vgl. W. H . Kämpf, S. 2, 36, 7). Dupuy S. 690. Der Autor wendet sich gegen die anima-corpus Relation im hierokratischen Sinne. Nicht Vorrang der anima-spiritualia, im Gegenteil: „temporalia sie ad sustentationem corporis agunt, quod agunt etiam ad sustentationem animae, quae deficeret corpore deficiente. Unde maiorem dependentiam habet anima a temporalibus quam contra". — Es gibt also keine „mutua dependentia, nisi quantum ad mutuam defensionem, quam sibi

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Soeben wurde die scharfe Bereichstrennung des Rex pacificus erwähnt, er übernimmt sie aus der „Quaestio in utramque partem" : „Sic temporalia et spiritualia sunt omnino distincta, nec sub eodem genere continentur, nec communicant in materia"284. An sich kann auch die hierokratische These die generische und materiale Distinktion anerkennen und wird es auch, aber sie fügt eben die ordinative Durchlässigkeit, die ordinatio ad spiritualia hinzu. Oder wie es Ägidius exemplarisch formuliert: „Dicemus enim, quod unum forum est distinctum ab alio, est tarnen ordinatum ad alium" (De eccl. pot. III, c. 4). Für den Verfasser der Disputatio geht die Trennung der Bereiche soweit, daß der Grundsatz der „ratio peccati" ein Trugschluß (argumentum cornutum) sei (Goldast I, S. 17). Damit schließt sich die Öffnung der Bereiche, was nicht heißt, wie wir noch gleich sehen werden, daß jedes kasuale Eingriffsrecht der Kirche unterbleibt; aber der Blick auf die Trennung beherrscht nun das Gewaltenverständnis. Ein letztes Kennzeichen einer gewandelten Geisteshaltung kann man im Verhältnis zur tradierten symbolisch-allegorischen und. typologischen Schriftdeutung sehen. Die Zweilichterlehre ist nicht „mystice" zu verstehen: „ad destructionem errorum non proceditur nisi per sensum literalem" (Dupuy S. 676, Rex pacificus). Ähnliche Argumente finden sich in der Glosse zu „Clericis laicos", in der Disputatio, ferner bei Quidort*85. Die asymbolische, „literale" Sehweise entzieht den hierokratischen Argumenten wichtige biblische Grundlagen, das gilt vor allem für die Zweischwerterlehre. Das biblische Verständnis der Gewalten ist nun auf jene Stellen zu beschränken, die „ad sensum literalem" von ihnen sprechen. So rücken von selbst jene Schriftworte in den Vordergrund, die sowohl die unmittelbare Ableitung der potestas temporalis von Gott (Rom. 1, 13) oder die Trennung der Bereiche zum Inhalt haben (Münzgleichnis). Nach dieser allgemeinen Charakteristik sollen die einzelnen Schriften selbst noch zu Wort kommen, um das Bild zu vervollständigen; wobei die schon mehrfach genannten anonymen Traktate zurücktreten können, und die Aufmerksamkeit vor allem Quidort selbst gelten muß. Die „Quaestio in utramque partem" verrät in ihrer klaren Anlage und Diktion, im Zugehen auf die entscheidenden Punkte der Kontroverse den

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mutuo tenentur exhibere". Diese Abhängigkeit des Seelischen vom Körperlichen, hat als Gegenüber einen spiritualen Vorrang, den auch der Rex pacificus eingesteht. So S. 678, wo Gelasius im spiritualen Sinn anerkannt wird, das heißt die auctoritas sacrata pontificum; ferner S. 676, wo die Zweilichterlehre als spirituale Vorordnung zugegeben wird; S. 682, wo die legitimatio per rescriptum anerkannt ist „quantum ad spiritualia", infolge davon auch für die Temporalien d. h. „indirecte et quas per quandam consequentiam non necessariam sed congruam". — Im übrigen gilt die „unitas" der Kirche, sie beseitigt nicht die Zweiheit der Jurisdiktion, sondern setzt „simplicitatem intentionis, tollendo duplicitatem simulationis". Es ist eine Einheit der Vervollkommnung „ad quam plura concurrunt ad hoc ut sit perfecta. Inter quae duo principalia sunt, seil, iurisdictio spiritualis et temporalis". Rex pacificus S. 6 8 1 : „iurisdictio spiritualis, quam habet Papa, et iurisdictio temporalis quam habet R e x in regno suo, omnino distinetae sunt et disiunetae — Zitat in Text aus: Quaestio in utramque partem, Goldast, Monarchia II S. 96. Vgl. Hinweise in meinem Aufsatz: Typik und Atypik, Speculum historiale, S. 296 Anm. 95.

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theologisch versierten Verfasser. Daß er die Bereiche pointiert scharf trennt, wurde bereits erwähnt (omnino distincta). Der Verfasser sieht überhaupt zunächst vor allem auf das jeweilige Fürsich der Ordnungen. Dennoch, und das bleibt bezeichnend und verhindert, wie schon eingangs betont wurde, aus dieser Tendenz eine modern anmutende Scheidung der Zuständigkeiten abzuleiten, bleibt er nicht bei einem isolierenden Dualismus stehen, der zu einem tatsächlichen Auseinanderbrechen der bestehenden Ordnungen führen würde. Die nach Ziel, Genus, Materie geschiedenen Gewalten sollen sich nicht verwirren. Es ist dem Autor jedoch klar, daß in gewissen Fällen (casualiter) eine spirituale Einmischung möglich ist" 6 . Klar wird zwischen den „res mere spirituales" und den „res mixtae" unterschieden. Ähnlich dem Investiturstreit und seiner Klärung der „regalia" innerhalb der Investitur erfolgt nun aus den Sachen und für die Sachen die erforderliche und juristisch praktikable Trennung des rechtlich zu ordnenden Gegenstandes. Fallweise im Notstand „multa deliberatione et in magna necessitate" darf der geistliche Richter sogar den gladius materialis gebrauchen. Hier bricht in voller Kraft die geistlichweltliche Struktur der öffentlichen Ordnung durch, sie bleibt darin auch im politischen Bewußtsein dieses „neuen Staatsgefühls" stark genug, sich im Notfall Raum zu schaffen287. Der Verfasser erkennt an, daß Christus die temporale Herrschaft besaß, aber sie nicht gebrauchte; darin unterscheidet er sich klar vom spiritualistischen Pauperismus der Vertreter der radikalen Armutstheorie, wie später Ockham und seiner Freunde288. Aber was in Christus eins ist, der Allmacht entsprechend, das kann nach dem Prinzip der partizipativen Gliedfunktion in den Gliedern getrennt sein. Daher kann die Schrift sich gegen die ekklesiardie Herleitung der weltlichen Gewalt erklären, was ihn nicht hindert zuzugestehen, daß das Temporale „in his quae ad spiritualitatem pertinent" auf das Spirituale ordiniert sei (Goldast I, S. 103). In seinen Angelegenheiten bleibt das Spirituale vorrangig. Der Autor gesteht dem Papst diese Vollgewalt zu, im Vergleich zu der Befugnis der niederen Praelaten apostrophiert er sie als Vollgewalt, sie gilt jedoch nicht absolut. Trotz aller Parteilichkeit in entscheidenden Ansichten verrät die Schrift die Tendenz, nicht einseitig eine regalistische Linie zu verfolgen. Der Verfasser sucht die Unabhängigkeit des rex-imperator in regno suo zu verteidigen, ohne die hierarchische Ordnung als solche zu verletzen. Rivière hat Recht, wenn er die Quaestio „eminément théologique" nennt und sie als „remarquable anticipation de la théologie moderne" kennzeichnet28*. Manche 286

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Goldast, Monarchia II S. 101, Z. 10 f: Propter quod non se debet intromittere de iurisidictione temporali nisi casualiter. Damit ist zumindest die Position der „ratio peccati" anerkannt. Goldast, Monarchia II, S. 105, Z. 24. Goldast, Monarchia II, S. 100, 12 ff. — Ockham, Opus nonaginta dierum (ed. Offler) c. 93, S. 672 ff (Monarchia II, S. 1155) legt dar, daß Christus „inquantum homo mortalis non erat rex in temporalibus a supremo modo regendi temporaliter; secundo ostendunt quod non fuit dominus praedicto modo omnium temporalium". J. Rivière, Le problème de l'Eglise et de l'Etat S. 281.

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Formulierung Ockhams erinnert später an sie, vor allem gilt das für die Ausführungen über die kasualen Eingriffsrechte der geistlichen Gewalt. Die zweite Schrift, der „Rex pacificus Salomo", übernimmt manche Formulierung aus der Quaestio, dennoch wäre nach Dempf das wesentliche Kriterium dieser Äußerung ihre Abhängigkeit vom Naturalismus Sigers von Brabant. Anlaß ist die politische Organologie, die bereits geschildert wurde. Sieht man einmal einen Augenblick von dieser Darlegung ab, so bleiben die Gesamtthesen des Traktates in demselben Rahmen, der in der Quaestio erscheint: Trennung der Bereiche, Ablehnung temporaler päpstlicher Jurisdiktion — die Mitwirkung bei der Absetzung Childeridis 751 etwa ist ein „consulere", mehr nicht —; die gelasianische Zweigewaltenlehre meint für die päpstliche Seite nur spirituale Gewalt. Das Gewaltenverhältnis besagt nicht wechselseitige Dependenz, sondern vielmehr wechselseitigen Schutz, damit die Res publica „tarn spiritualiter quam corporaliter" erstarke1*0. Einheit der Kirche meint nicht monokephalische Führung, sondern Einfachheit der Zielrichtung (intentio), Einheit der Vervollkommnung (unitas perfectionis). Das Letztere scheint mir eine sehr wichtige Bemerkung. Sie manifestiert die intentionalperfektive innere Einheit der spiritual-temporalen Ordnung. Die naturale Teleologie steht und verläuft nicht autark-isoliert, auf sich gewendet, saekularintrovertiert also, sondern bildet mit der perfectio spiritualis eine unitas perfectionis. Von daher erhält natürlich auch der Naturalismus der politischen Organologie eine Interpretation, und wenn man will, auch eine Korrektur. Dem Sigerschen Naturalismus zufolge, seiner Auffassung der zwei Ordnungen und ihrer Wahrheiten nach, ist diese Einheit nicht so eindeutig manifestant, daß sie als formende Einheit der ganzen öffentlichen Ordnung ausgegeben werden könnte" 1 . Daher kann man auch nicht in einer derartigen Abhängig280

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Rex pacificus, Dupuy, S. 681 (vgl. Zitat Anm. 283): „beide Gewalten sollen sich verteidigen" „prout ad unamquamque pertinet, ut bene valeat Respublica tarn spiritualiter quam corporaliter". — Zur Absetzung Hilderichs, S. 677, „deponere volentibus consuluit" (Zacharias). — Dagegen erkennt er für Friedrich II. die temporale Oberhoheit des Papstes an, denn er erlangt durch Wahl und päpstliche Konfirmation sein Amt. — Überhaupt wird das Imperium aus der regalistisdien Argumentation ausgenommen, vgl. S. 681: „Ego dico, quod quicquid sit de Imperatore, numquam tarnen super Regem Franciae habet papa vel habuit aliquam temporalem iurisdictionem". Später, S. 681: „Quia aliquae causae sunt in Imperatore, quare subditus sit Papae in temporalibus, quae non inveniuntur in aliquibus Regibus, sicut in Regibus Franciae et Hispaniae et fuit etiam aliquando in Rege Angliae, videlicet usque ad tempus Regis Joannis, qui dicebatur Sine terra." Dempf, Sacrum Imperium S. 411: „(er bestehe nicht auf Autorschaft Janduns) aber es ist mir zweifellos, daß nur der Naturalismus Sigers von Brabant das unerläßliche Sprungbrett für den Anonymus gewesen sein kann". Für die Trennung der beiden Bereiche ist es nicht notwendig, eine aus der „unitas intellectus" gewonnene Sozialmetaphysik als Grundlage anzunehmen. Sie hat ihre eigene Tradition in der seit dem Investiturstreit einsetzenden und immer bestimmter sich entfaltenden Trennung der temporalia und spiritualia auf der Seite der antikurialen Opposition. Der Naturalismus des 13. Jahrhunderts kann daher nicht als unerläßliches Sprungbrett für den „Rex pacificus" gelten, er bedeutet nur eine sozialphilosophische Unterstützung eines bereits in vollem Gang befindlichen politischen Prozesses, indem er von seiner organologisdien Sicht her die innere

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keit das Kriterium der Schrift sehen. Wenn die Schrift unbedenklich, entgegen der peinlich gewahrten Selbständigkeit des französischen Thrones, für das Imperium eine Abhängigkeit von Rom zugesteht, also in diesem Fall die ekklesiarche Version der Gewaltenherleitung „a Deo mediante ecclesia" gelten läßt, dann ist erwiesen, wie wenig ausgeglichen die grundsätzlichen Positionen selbst sind. Der Akzent liegt auf den nationalen Interessen, die ad hoc verteidigt werden. Im Grunde also eine pragmatische Konzeption, von der her es noch nicht möglich ist, eine Gesamtkonzeption abzuleiten. Die Stimmen, die mit großer Wahrscheinlichkeit (Disputatio inter clericum et militem) oder mit Sicherheit Laien zuzusprechen sind (Dubois, Flöte), unterscheiden sich von den soeben genannten Äußerungen theologischer Herkunft im Grundsätzlichen des Gewaltenverständnisses keineswegs, dagegen meint man einen keckeren Ton zu hören. Dubois selbst steht für sich, da bei ihm die Stellen zur potestas selbst nur gelegentliche Bemerkungen im Rahmen seiner utopistischen Programmatik darstellen. Flöte greift in „Antequam essent clerici" in Antwort auf das Schreiben Bonifaz' VIII. „Clericis laicos" (1296), in dem dieser den Versuch einer definitorisdhen Friedensvermittlung unternimmt und dabei die steuerliche Beanspruchung des Klerus untersagt, den Gedanken der christlichen Freiheit auf. Von ihm her gewinnt er den Einstieg in seine Verteidigung der Maßnahmen des Königs (Ausfuhrverbot für Waffen, Pferde, Geld, Besteuerung des Klerus) 2 ". Die Kirche ist nicht nur Kirche des Klerus sondern auch der Laien, ihre Freiheit ist nicht nur Freiheit eines Standes, sondern sie ist frei, indem sie individualen Freiheiten Raum beläßt: „Multae vero sunt libertates singulares, non universalis ecclesiae, sponsae Christi, sed solum eius ministrorum" (Dupuy S. 21). Diese Freiheiten sind geschützt, sie können nicht von der Kirche bzw. ihrer Hierarchie usurpiert werden. Der König muß zur Verteidigung seines Reiches auf das Urteil seiner Räte hin das Notwendige zur Verteidigung seines regnum unternehmen können. Er lenkt die politische Gemeinschaft, ihrem Körper sind alle eingefügt, auch die Kleriker, die sich nicht den körperschaftlichen Verpflichtungen entziehen können. Die Verbindung des christlichen Freiheitsbegriffes mit dem der politischen Körperschaft drängt einmal die „libertas ecclesiae", wie sie von Rom vorgetragen wurde, in die Rolle einer standesgemäß eingegrenzten und institutionalisierten Funktionskategorie, sie macht daraus eine „libertas clericorum". Sie stellt dieser so abgewerteten Grundforderung des kirchenpolitischen Kampfes seit dem späten 11. Jahrhundert eine

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Geschlossenheit des „regnum" und des „rex in regno suo" als natürliche Einheit erscheinen läßt. Dupuy S. 21: „Antequam essent clerici, rex Franciae habebat custodiam regni sui et poterat statuta facere". — Flöte führt bewußt seinen Stoß gegen die institutionalisierte Amtskirche: „Sancta mater ecclesia, sponsa Christi, non est solum ex clericis sed etiam ex laicis . . . sicut est unus Dominus, una fides, unum baptisma, sie a primo iusto usque ad ultimum ex Omnibus Christi fidelibus una est ecclesia . . . qua libertate gaudere voluit omnes illos, tarn laicos quam clericos, quibus dedit potestatem filios Dei fieri . . . Numquid solum pro clericis Christus mortuus est et resurrexit, absit". Die libertas ecclesiae des Investiturstreites, damals als Freiheit der hierarchischen Ordnung proklamiert, wandelt sich in die libertas fidelium, immer mit dem gleichzeitigen Affront gegen die Kleruskirche.

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„libertas singularis", bzw. die „libertates singulares" gegenüber, die Freiheiten partikularer Gruppen oder der Einzelnen selbst. Ohne daß diese Gedankenlinie im einzelnen von Flöte entwickelt wird, ergibt sich aber implikativ, daß unter diesen libertates eben die libertas regni (regis) selbst an erster Stelle rangiert. So erhebt sich das Bild der großen Freiheit der temporalen Ordnung. Freilich nicht als ein Ganzes vorgetragen und formuliert, wie es eben ausgesprochen wurde, Freiheit bleibt existent in den libertates singulares, für die aber der „dominus rex" in der Form des alten Königsschutzes, oder besser, jetzt in der Form des die „custodia Regni" verkörpernden souveränen Willens als Garant eintritt (Dupuy S. 21: „Antequam essent clerici, Rex Franciae habebat custodiam Regni sui et poterat statuta facere"). Daß Flöte seine Gedanken mit der Selbstsicherheit und Überlegenheit des königlichen Beraters verbindet, ist eine Sache für sich, und für das Selbstverständnis des rechtlich geschulten Staatsdieners typisch, von dem ja auch Dubois zutiefst durchdrungen ist (vgl. De recuperatione terrae sanctae c. 12). Der sich entfaltende Stand der Kronjuristen, in dem zugleich ein gewichtiger Teil des neuen Bildungsbürgertums und der gebildeten Ritterschaft manifestant wird, sieht in der Behauptung der Rechte des „Royaume" zugleich eine Erfüllung der eigenen „libertates". Die in Einzelheiten bereits charakterisierte „Diputatio" hat es vor allem mit der Behauptung des Papstes zu tun: „ipse est et esse debet super omnes principatus et regna"293. Der Autor nennt das lächerlich; das ist in einem Ton verächtlicher Ironie gesagt, der in der Gewaltenlehre neu ist. Nun folgt die Deutung des Christusvikariates nicht mehr triumphalistisch „pro statu gloriae", als Vikariat des auferstandenen Herrn, sondern „pro statu humilitatis", in der Hinterlassenschaft jener Gewalt, die er als Mensch ausübte. Also Verzicht auf jede Macht im temporalen Bereich, freiwillige Unterordnung bis hin zur Unterwerfung unter das saekulare Gericht. Freilich diese Konsequenzen zieht der Verfasser nicht, aber sie werden wenige Jahre später gezogen werden. Marsilius wird die passionäre Unterwerfung Christi nicht nur als freiwilligen Akt, sondern als „de necessitate" deklarieren (vgl. unten S. 530). Damit ist dann nur folgerichtig ausgedeutet, was keimhaft in den regalistischen Vorstellungen sich anbahnt. Die „ratio peccati" ist dem Autor ein Trugschluß (argumentum cornutum), der Papst müßte in der Konsequenz dieses Grundsatzes auch das ius sanguinis ausüben" 33 . Das ist natürlich eine Verdrehung dieser Rechtsbegründung, denn Sinn der „ratio peccati" ist ja nicht die Übernahme weltlicher Herrschaft qua Herrschaft, sondern lenkende Weisung, die nur als Rechtskontingenz bei Defekt der weltlichen Seite eintritt, oder wenn unmittelbar 28S

Disputatio, Goldast, Monardiia, I S. 13. — Bonifaz VIII. Apostolica sedes (13. V. 1300): „Apostolica sedes divinitus constituta est super reges et regna, ut evellat et dissipet, aedificet et plantet". — Ausculta fili (1301) mit gleichem Wortlaut. Vgl. auch Finke, Aus den Tagen Bonifaz VIII. S. 153 f — Dupuy, S. 48 f Ausculta fili. — M G H Const. IV, 1 n. 105 an Kurfürsten. i9S * Disputatio, Goldast, Monardiia S. 14: Die „ratio peccati" sei ein argumentum cornutum, da ja ihr zufolge der Papst die Blutgerichtsbarkeit ausüben müßte.

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

spirituale Interessen berührt sind. Die Disputatio arbeitet hier mit Simplifizierungen, die sich selbst den Boden entziehen. Das Gleiche gilt für das Argument, dem kirchlichen dominium temporale zufolge wäre der Bischof Herr seiner Diözese und der Pfarrer dominus „castri mei" (Goldast I, S. 15). Hier wird unmittelbare temporale, und zwar formal saekulare Herrschaft vindiziert, was an keiner Stelle der ekklesiarchen Doktrin ausgesprochen wird. Das dominium gilt zudem nur als dominium universale und für die Kirche selbst und in ihr ihrem Haupt dem Papst, es fächert sich jedoch nicht in eine partikuläre und singulare Herrschaft der Glieder der Kirche über die Glieder derselben Kirche auf. Dies kann auch gar nicht geschehen, da es sich bei der spiritual-temporalen Vollgewalt nicht um ein totales Verfügungsrecht handelt, das sich in detaillierte Rechtstitel aufgliedern ließe, sondern nur um ein spiritual begründetes allgemeines dominium „ad nutum". Gegenüber dem Imperium schlägt der Autor eine ebenso entschiedene Sprache an, bleibt aber in seiner Argumentation keineswegs konsequent. Zunächst fällt eine Bemerkung, der Kaiser könne „super orbem terrarum pro defensione Reipublicae, cum opportunum fuerit, pro arbitrio voluntatis (potest) levare tributum" (Goldast I, S. 17). Mit dem Dekor fürstlicher Souveränität ausgestattet erscheint hier der Imperator, wo doch das regnum Franciae als erstes ein solches arbitrium voluntatis ablehnen würde. Wenige Zeilen später folgt denn auch die Bestätigung. Das regnum Franciae erscheint nun als „dignissima conditione Imperii portio" vom Imperium getrennt „aequali dignitate et auctoritate quingentis annis circiter insignita". Die Privilegien des Imperium stehen auch ihm zu: „Et ideo, sicut omnia, quae infra terminos Imperii sunt, subiecta esse noscuntur Imperio, sie quae infra terminos regni Regno". Der rex Franciae hat, wie der Kaiser, das Recht der Gesetzgebung, er kann imperiale Gesetze zurückweisen oder verändern: „ultra eum non est superior ullus". Die Absage an das Imperium ist darnach komplett, sie wirkt um so eigenartiger, als kurz zuvor das der imperialen Rechtstradition aus dem römischen Bereich entstammende Bekenntnis zum „unus imperator in orbe" auftauchte. Das Nebeneinander zweier so divergenter Vorstellungen läßt sich nur aus einer Uberlagerung und, darin vorausgesetzt, der formalen Existenz eines tradierten Ordnungsbildes erklären. Die alten Ordnungsmodelle sind nicht ausgelöscht, aber sie haben ihr Dasein nur innerhalb ihrer tradierten Schematik. Sie werden unsichtbar und verlieren ihre Kraft im Augenblick, da die Ordnungswirklichkeit des „regnum" erscheint und ihr Recht verlangt. Bei Pierre Dubois (de Bosco) ist eine ähnliche Erscheinung zu beobachten; zumindest was die Beurteilung der Gesamtordnung der „res publica totius sanete religionis christicolarum", der politisch geordneten Christenheit angeht. Grundtenor der Aussagen des Dubois ist die Friedensreform: „Sic enim pax universalis finis est quam querimus quam in intentione nostra primo habemus" (De recuperatione § 28). Friede, Friedenssicherung treiben seine teils utopischen, dann wieder eminent realistischen Vorstellungen an, seinen Kernplan der Eroberung des Hl. Landes, der Gewinnung des Nahen Ostens, der Mittelmeerküsten, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, des Fürstenbundes im Rahmen des Generalkonzils, des universalen Bildungsprogramms, der

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Entmachtung des Papsttums, der Kurie und der Hierarchie. Darin ist er ein echter Vorläufer des Defensor, beide Aussagen gehören in dieser Tendenz aufs engste zusammen. Ob die von Dubois selbst bezeugte Schülerschaft bei Thomas und Siger von Brabant, vor allem die letztere, auch auf eine gemeinsame philosophische Wurzel in Riditung eines averroistisch fundierten Einheitsdenkens zielt, darf als Möglichkeit stehen bleiben. Daß das Friedensprogramm des Dubois sich mit einem massierten regalistischen Imperialismus verbindet, ist eine Sache für sich. Was der königliche Advokat aus der Normandie zur Gewaltenlehre zu sagen hat, ist im Rahmen dieses merkwürdigen Friedensprogrammes zu sehen. In der ersten Fassung der Summaria brevis läuft es dem Titel der Schrift gemäß (doctrina felicis expeditionis et abreviationis guerrarum ac litium regni Francorum) auf eine universale französische Hegemonie hinaus. In der zweiten und hauptsächlichen Fassung „De recuperatione terrae sanctae" hat der Kampf mit Rom, die Kontroverse mit den Ansprüchen Bonifaz' VIII., an dem sich Dubois mit Gutachten, vielleicht auch als Redaktor der „Supplicatio du pueble de France", beteiligt hatte, ihren Niederschlag gefunden. Was in der Supplication an den König vorgetragen wird, er solle es als offenen Irrtum und „pechie mortel" erklären, wenn der Papst sich als Souverain der temporalen Rechte darstelle, das erscheint jetzt in kurzen, aber kräftigen Strichen nun noch gesteigert in die Programmatik einer Kirche und einer Kirchenführung, die sich ganz dem „regimen animarum" widmet und hierfür freizustellen ist4*4. Die äußeren Bedingungen hierzu sieht Dubois gegeben im Verzicht auf die kirchlichen temporalen Rechtstitel, ihrem Ersatz durch staatliche Pensionen, natürlich von Frankreich gestellt, im Weggang des Papstes aus dem aufrührerischen und verräterischen Rom und Italien nach Frankreich in seine terra natalis (§111). Der Kirchenstaat wird durch die französische Krone übernommen (§ 111): „pro certa annua pensione perpetuo domino regi Francorum commissis". Dieser Vorschlag, der in seiner Weise die Saeku294

Summaria brevis (ed. H. Kämpf 1936). — De recuperatione terrae sanctae (ed. Ch.-V. Langlois). In dieser Schrift wird das Reformprogramm des Dubois, jetzt bereits aus der Stimmung nadi Anagni und der sich abzeichnenden französischen Hegemonie über das Papsttum deutlich, c. 3 Eroberung des Hl. Landes setzt Reform voraus „que non videntur haberi posse sine reformatione status universalis ecclesie, qui inferius tangitur; et nisi vinculo pacis unita tota respublica diristicolarum ecclesie romane obedientium talis uniatur, quod catholici cessent ab omnibus guerris inter se invicem". Also eine Friedenssdirift, deren Ziel (vgl. c. 27, 28, 109 „pax generalis et perpetua") und Aktionsvorschläge (internationales Gericht, Aufgabe der kirchlichen Temporalgewalt) auf ihre Weise die Friedensprogrammatik der Monarchia Dantes und des Defensor pacis vorwegnehmen. Den drei Schriften gemeinsam bleibt, daß die spiritual-temporale Vollgewalt des Papstes und der Kirche als der große Gegner erscheint, so daß die Sache des Friedens zur Sache der weltlichen Seite wird. — Supplication du pueble de France, Dupuy S. 214—219. — S. 214 Aufforderung an den König: „que vous ne recognissiez de vostre temporel Souverain en terre, fors que Dieu, et que vous faciez delairer, si que tout le monde scadie, que le Pape Boniface erra manifestement, et fit pechie mortel notoirement, en vous mandant par lettres bull^es, que il estoit vostre Souverain de vostre temporel, et que vous ne pouvez prenendes donner, ne les fruits des Eglises tathedrales vacances retenir, et que tous ceux qui croient le contraire, il tenoit pour hereques".

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

larisation des kirchlichen Besitzes und deren Ablösung durch staatliche Zuschüsse vorweg nimmt, hat sein Pendant im Angriff auf den Mißbrauch der Macht durch Rom (§111: quoniam papa romanus abusus est potestate) und im Konterfei eines Papstes, der mit Sicherheit die politischen Geschäfte nicht mehr stört: „Sic papa, qui totius pacis actor et promotor debet esse, guerras non movebit; homines non faciet in bellis subito dira morte mori; sie perfecte vacabit orationibus, eleemosinis, contemplationi, lectioni et doctrine... vitam ducet contemplativam, et activam favente misericorditer bonorum omnium largitore" (§40; de recuperatione). Das soeben noch höchste schiedsrichterliche Stellung beanspruchende Papsttum wird in eine fast mönchisch anmutende Kontemplation als Pensionär der französischen Krone verwiesen, wobei es rätselhaft erscheint, wie es von da aus der gleichzeitig genannten Aufgabe: „correctionibus subditorum, iustitiam et iudicium singulis catholicis faciendo fierique curando, veram pacem omnibus Christi fidelibus procurando" gerecht werden soll. Es sei denn, man nehme an, daß es sidi bei dieser Gerechtigkeit und diesem Frieden nur um den inneren, sakramental zu vermittelnden Seelenfrieden handle. Im zweiten Teil der merkwürdigerweise Eduard I. gewidmeten Schrift, in dem nun das ganze politische Gewicht Philipp dem Schönen zugeschoben wird, einschließlich des Erwerbs der deutschen Königs- und der Kaiserkrone, (§110 ff), erhält diese Friedensarbeit freilich ein realistischeres Profil, wenn es heißt, daß Papst und König bei Widerstand „modis omnibus" bestrafen sollten; dann „fierentque omnes homines boni, videlicet bene dispositi propter exhortationem premiorum, et mali propter metum penarum" (§118). Papst und König, das bedeutet kirchliche und weltlidie Zensur, Ausschluß aus der Gemeinschaft, Uberlieferung an das ius sanguinis; kurz der kontemplative Friede der Lehre und des Gebetes nimmt die harten und grausamen Züge der Strafpraxis der Zeit an, die sich im Templerprozeß mitleidlos realisiert. So wird die große Reform, die „reformatio status universalis Ecclesie Christicolarum" zugleich zu einer juristisch wohldurchdachten richterlichen Aktion. Papst und König leiten diese Aktion, eine Weltmonarchie lehnt Dubois ausdrücklich als ungeschichtlich und unrealistisch ab, sie könnte nur über Krieg und Verwirrung hinweg angestrebt werden. Dagegen erkennt er in demselben Atemzug einen „prineeps unicus et monarcha in spiritualibus" an. Der Weg zu ihm führt über die gemeinsame Sprachkenntnis (notio linguarum), deren Schulung er eifrig propagiert (§ 63). Dieses Kriterium läßt daran zweifeln, ob mit dem Primat in spiritualibus nur an den geistlichen Prinzipat Roms gedacht ist. Da aber keine gegenläufige Festlegung folgt, muß der Bezug auf das Papsttum doch bleiben. Er besagt, daß Dubois an der spiritualen Einheit festhält; die res publica catholicorum (§ 27) oder Christicolarum (§ 3, 46), von der öfter die Rede ist, bleibt damit auch für den unentwegten Planer die übergreifende Einheit. Sie und ihr Frieden (§109: pax generalis et perpetua) umschließen die bunte Vielfalt des Reformprogramms der „recuperatio terrae sanetae", das mit einem Schlage aus der Hierarchie und dem Papste eine Schar kontemplativer Beter und aus dem „dominus rex" den großen Ordner der Welt machen soll.

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Gegenüber der unbefangen und ungeniert agierenden Spekulation des Dubois wirkt der Traktat des Dominikaners Johannes Quidort von Paris: „De potestate regia et papali" nüchtern schulmäßig, aber deshalb nicht weniger anziehend. Uber seine Bedeutung, seine ausgezeichnete Diktion, die in vielem unbestechlich klare Beobachtung, die griffige Gedankenführung, die sich nicht in vage Allgemeinheiten verliert, sondern immer nah an der Sache und konkret bleibt, braucht man nach den vorliegenden Interpretationen keine Worte mehr zu verlieren1*5. Kein Publizist der nicht-ekklesiarchen Seite hat die Problematik des „regimen christianum" so klar gesehen wie der während seines Zensurverfahrens in Bordeaux an der Kurie verstorbene Theologe (1306). Die von Hödl edierte „Quaestio diputata Parisius de potestate papae" ergänzt dieses Bild, auch wenn hier die Auseinandersetzung um das Bußprivileg Benedikts XI. im Mittelpunkt steht"*. Quidort setzt seine Betrachtung an mit einem in dieser klaren Konfrontation originären Vergleich der konträren Position der Waldenser und des Vigilantius" 7 . Die Waldenser verzichten für die Kleriker auf jedes weltliche Gut. Vigilantius, Freund, dann Gegner des Hieronymus, sieht in der Armut keine Sache der perfectio. Auf Christus und seine Gewalt selbst bezogen bedeutet die Meinung des Herodes, der in Christus einen weltlichen König sieht, den äußersten Gegensatz zur Gewalt- und Besitzlosigkeit des Pauperismus. Zwischen waldensischer Absage an dominium und potestas und herodianischer Saekularisierung der potestas Christi sucht Quidort seinen Mittelweg. Das dominium des Klerikers über Temporalien folgt aus temporaler Überweisung, aber nicht „ratione sui status" (c. 1). Die ekklesiarche Seite kann darauf erwidern, daß Quidort hier offene Türen aufstößt, denn von einem temporalen, formalen Besitz „ratione status" ist nicht die Rede (vgl. S. 346 ff); das heißt, daß die Unterscheidung von dominium universale (iurisdictio primaria) und speciale (executoria, immediata) nicht beachtet ist. So beginnt auch Quidort mit einer Simplifizierung, die den Kern der gegnerischen Lösung verfehlt, indem sie die Differenzierung des spiritual-temporalen dominium übergeht. Später (c. 11, 12) bei der Darlegung der ekklesiarchen Argumente nennt er die Unterscheidung von Erst- und Exekutivgewalt „omnino absurdum", auctoritas prima und executio seien dasselbe. Damit wird das dominium universale freilich zur direkten weltlichen Gewalt, regulär, immer und überall. " s Rivière, Le problème de l'Eglise, S. 281 ff; Dempf, S. 422 ff. — Arnold, Staatslehre des Kardinals Bellarmin S. 313 ff. — Lagarde, Naissance de l'esprit laique II, S. 131 ff. — Leclerq, De potestate regia et papali, ed. Paris 1942 war nicht erreichbar. Bleienstein, S. 13 ff Ferner: R. Scholz, Die Publizistik S. 275 ff; A. J. Carlyle, History 0 f Medieval Politicai Theorie V, S. 422 ff; F. Merzbadier, Wandlungen des Kirchenbegriffes SavZRG Kan Abt 70, 1953, S. 343 ff; B. Tierney, Foundations of Conciliar theorys S. 157 ff. îse L. Hödl, De confessionibus audiendis (Quaestio disputata Parisius de potestata papae), Mitteil, des Grabm. Instituts, 6, 1962, S. 15 ff. Interpretation, S. 31 ff Text. " J De potestate regia, Goldast II, Monarchia S. 108, Prooemium: „Ansicht des Herodes (Vigilantius) credidit ipsum esse regem terrenum. Ex quo derivari videtur opinio modernorum quorundam, qui intantum supradictum errorem Waldensium déclinant, ad oppositum totaliter deflecti, ita ut asserunt, dominum Papam, in quantum est loco Christi, in terris habere dominium in temporalibus". Der Papst könnte „pro libito absolvere usurarium a debito usurae et auferre ab alio quod alias suum est". Bleienstein, S. 70. 31 Kölmel

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E. Die nidit-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

Aber gerade diese Identifikation wollen ja Ägidius und Jakob von Viterbo vermeiden. Die Klassifizierung der hierokratischen Seite als formal und inhaltlich weltliche Gewaltenlehre setzt, freilich mit Hilfe einer Simplifizierung, also bereits in der Kontroverse selbst ein. Der Mittelweg, den Quidort sudit, basiert einmal auf der aristotelischthomistischen naturrechtlichen Staatslehre, er setzt genau an der Stelle ein, die in der gegnerischen Theorie zu kurz kommt. Zum andern auf der reinlichen Scheidung der Bereiche und Funktionen. So strömen in seinen Thesen alle Argumente zusammen, die eine unmittelbare Ableitung der Gewalt von Gott und vom Volk, eine sorgfältige Scheidung der Befugnisse fordern. So kommt es zu jenen einprägsamen Formulierungen, die möglich sind, solange die Spezifik der Bereiche heransteht. „Regnum est regimen multitudinis perfecte ad commune bonum ordinatum ab uno" (c. 1), eine Definition, die sehr glücklich die Wesenselemente der scholastischen Soziallehre vereint: a) die den Teilgemeinschaften übergeordnete, vollkommene Ganzheit, b) das Gemeinwohl als Ordnungsziel, c) die Monarchie als Form dieser Ordnung. Das Sacerdotium wird auf seine spirituale Funktion bestimmt: „Sacerdotium est spiritualis potestas Ecclesias ministerio Ecclesiae a Christo collata ad dispensandum sacramenta" (c. 2). Das regnum als „naturale regimen" entstammt der Sozialnatur des Menschen „a iure naturali et a iure gentium" (c. 1), das „regimen supranaturale" entspringt dem Königtum Christi. Auf das übernatürliche Ziel hin geordnet dient es dem Bau einer neuen Ordnung (ad aedificationem) im Sinne jener Relation von Gnade und Natur, die auch Jakob von Viterbo verwendet (S. 376 ff). Freilidi, „aedificatio" bei Quidort führt nidit zur perfektiven Formation der potestas saecularis, sie bedeutet Belassen des „naturale regimen" an seinem Ort, der „saecularitas". Er spricht das zwar nicht in dieser explizit-abstrakten Form aus, aber implikativ ist diese Beziehung doch gegeben. Damit wäre aber ein Grundproblem des Gewaltenverständnisses angerührt. Löst es Quidort so, daß nur eine Trennung übrig bleibt und der spirituale Ordo in der politischen Gemeinschaft der Christen jeden formenden Öffentlichkeitsanspruch verliert und zum privaten Bereich der Seelsorge und pastoralen Kontemplation wird, oder bleiben die Bereidie einander geöffnet? Wir stellen diese Frage zunächst in den weiteren Rahmen der kirchlichen und politischen Gemeinschaftslehre. Kirche, als corpus Christi mysticum, erscheint in einem doppelten Aspekt: Als hierarchische Ordnung und als communitas universalis. Was den ersten Aspekt angeht, so interessiert uns in einem Gewaltentraktat die potestas als iurisdictio. Hier vertritt Quidort erstaunlich klar das papale Prinzip der reductio ad unum: „ex divino statuto est ordo omnium ministrorum ad unum" (c. 3). Quidort ist von der hierarchischen, im Papst gipfelnden Struktur überzeugt. Petrus ist „principalior" und „caput" der Apostel (c. 10). Dieser „ordo ad unum" (c. 3) steht in klarem Gegensatz zur saekularen Ordnung, die wesentlidi „diversitas secundum saecularitatem" darstellt, eine deutliche Absage an die Anhänger einer Weltmonarchie. Wie die Diözese ihren Bischof besitzt, so die Weltkirdie den Papst. Dieser besitzt die allgemeine und unmittelbare Jurisdiktion, Quidort betont das in der Schrift über das Bußprivileg (Quaestio diputata de potestate papae)

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ganz besonders"8. Er folgt damit der bereits beobachteten Linie der Mendikanten, die ihre Beicht- und Predigtpraxis nur in der päpstlichen Dispens gegen den heftigen Widerstand der Ortsordinarien und des Pfarrklerus gesichert sehen konnten (vgl. S. 269). Die Bettelorden werden so zu den starken Stützen des päpstlichen Jurisdiktionsprimates, der Dominikaner Quidort macht hier keine Ausnahme. Petrus hat den Prinzipat kraft göttlichen Rechtes: „Et ideo ipse ubique potest, nec iurisdictionem habet ab aliquo sed omnes habent ab ipso, qui quemlibet aliorum vocat in partem sollicitudinis"" 9 . Gegen die episkopalistische Konzeption, (Thomas von Bailly), nach der der Papst außerhalb seiner Diözese keine immediate Jurisdiktion besitzt, liegt hier Quidort in einer Linie mit den Hierokraten und formuliert so, wie es die heutige, durch Vaticanum I definierte Lehre ausspricht. Diese klare Anerkennung der auf den Stuhl Petri gegründeten jurisdiktioneilen Ordnung erfährt nun aber aus der Struktur der Kirche heraus an verschiedenen Stellen zugleich ihre Eingrenzung. Zunächst wird sie sichtbar am Verhältnis zum Apostelkolleg. Bei der Darstellung des Apostelamtes heißt es, daß alle Apostel „eandem potestatem acceperunt omnes Apostoli cum Petro." Petrus erhielt als erster die potestas clavium, die übrigen „cum eodem pari consortio" (c. 10, S. 119). Christus setzte dabei nicht „aliquam restrictionem respectu aliorum a Petro", selbstredend wollte er den Vorrang und die Hauptschaft des Ersten. Die Definition „in gleicher Gemeinschaft" (pari consortio) trifft den kollegialen Charakter des Apostolates, sie wird jedoch schwierig, wenn damit die andere Aussage zusammengebracht wird, daß die übrigen Gewaltenträger ihre Jurisdiktion von Petrus ableiten (vgl. oben). Als Fundament der Kirche ist Petrus auch Fundament der übrigen Apostel300. Wenn deshalb die Wendung fällt, Christus habe keine „restrictio respectu aliorum a Petro" bestimmt, dann wird die allein Petrus zustehende universale Vollgewalt verdunkelt. Im Hergang der apostolischen Gewalt (Jurisdiktion), die der Herr (als Teilhabe an der Vollgewalt des Petrus?) verleiht, verweilt nun der Blick von selbst allein 198

Hödl, loc. cit. (Anm. 256) S. 37 und S. 47: „iure divino habet Romanus Pontifex superioritatem super omnes; immo totam iurisdictionem habet a Christo et omnis iurisdictio a Petro ad ceteros est derivata, qui sunt vocati in partem sollicitudinis licet differenter". — S. 37: „nec iurisdictionem habet (papa) ab aliquo, sed omnes habent ab ipso, qui quemlibet aliorum vocat in partem sollicitudinis. Nec ideo, si Ordinarius est ubique, erunt plures sponsi unius Ecclesiae, quia tocius Ecclesiae est unicus sponsus Et ideo Christus, papa, episcopus et curatus parodiiae non sunt quatuor sponsi sed unicus, quia unico ministrant". In: De potestate regia c. 24 wandelt sich der Aspekt in Relation zum Kardinalskolleg und zur Gesamtkirche. Hier heißt es, daß der Papst, an Jurisdiktion der Gesamtkirche vorgeordnet und den Ortsordinarien überlegen sei; zwar ist „summa virtus in persona, tarnen est ei aequalis vel maior in collegio sive in tota ecclesia". Thierney, Foundations S. 170 f sieht in dieser Stelle einen Erweis für die Meinung Quidorts, daß „the authority diffused among the members of the Churdi as at least equal to that whidi was concentrated in its head" zu betraditen sei. Vgl. hierzu audi Anm. 302. "» Hödl. loc. cit. S. 37. vgl. Anm. 298. ,0 ° Zum Verhältnis von potestas clavium und potestas iurisdictionis, letztere als eines „integrierenden Momentes" bei der konkreten Anwendung der Schlüsselgewalt, nämlich Anwendung gegen Untergebene, vgl. L. Hödl S. 16, 20 ff. 31*

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E . Die nicht-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

auf der Herleitung der Gewalt von Christus, während doch in sie jeweils die vorrangige Erhebung des Petrus zum Haupt der Kirche mit hinein zu denken und zu sehen ist. Die Einsetzung des Petrus wird zu einem in sich abgeschlossenen Vorgang neben der „pari consortio"-Einsetzung der übrigen Apostel. Der „ordo ad unum" wird so zwar zur Struktur der Unter- und Überordnung, der beschränkten und der universalen Jurisdiktion, er wird jedoch nicht alleiniges hierarchisches Gesetz. Quidort korrigiert das Bild des ordo ad unum, wenn er kurz darauf (c. 13) bei der Unterscheidung der priesterlichen Gewalten (consecratio, administratio sacramentorum, eruditio, correctio in foro exteriori, dispositio ministrorum, potestas accipiendi necessaria) zur Jurisdiktion (correctio in foro exteriori) bemerkt: „non prius ab omnibus data, sed iurisdictio soli Petro data est, quam tarnen postea divisim dominus aliis dedit, vocans alios in partem sollicitudinis". Hier wird nun in der Einsetzung „pari consortio" doch ein Unterschied gesetzt, der „ordo ad unum" wird nun zu jenem der fundamentalen Gewaltenfülle, an der die Apostelnachfolger teilhaben'01. Beide Vorstellungen, die Herleitung der Jurisdiktionsgewalt und die kollegiale Gleichheit, wobei die letztere die erstere ebenso wesentlich prägt, sind freilich noch nicht miteinander in Einklang gebracht. Eine weitere Beobachtung, die den „ordo ad unum" eingrenzend ergänzt, betrifft die Stärkung der Mittelinstanzen. So wenn erörtert wird, daß nach Art der gemischten Herrschaft es gut wäre, wenn unter dem Papst eine Art kollegiale-repraesentative Zwischeninstanz tätig würde: „sie certe esset Optimum regimen Ecclesie, si sub uno papa eligerentur plures ab omni provincia et de omni provincia, ut sie in regimine omnes haberent partem suam" (c. 20). Also eine Art Gesamtvertretung der Kirche. Diese Gesamtkirche sieht Quidort als dem Papst übergeordnet an: „orbis maior est urbe et papa, concilium maius est Papa solo" (c. 21). In diesen Zusammenhang gehört auch die These von der Absetzbarkeit des Papstes. Die Darlegung dieser These läßt uns mit einigen überraschenden Anschauungen Quidorts bekannt werden. Es heißt zunächst, daß der Papst bei Vergehen gegen die Gesamtkirche (Zwietracht, Skandal usw.) von jedermann getadelt werden kann, er kann vor ein Gericht kommen (c. 23). Kommt es durch ihn zur Gefahr für den Staat, dann kann die Kirdie gegen den Papst bewegt werden — die Ereignisse des Jahres 1303 und nachher illustrieren dieses „Bewegen" —, der Kaiser kann gegen den Papst das Schwert ergreifen. Der Papst selbst kann verzichten (dafür gab Coelestin V. ein Beispiel), er kann gegen seinen Willen abgesetzt werden, wenn er die Einheit der Kirche stört (c. 24), denn er ist wegen des Volkes eingesetzt. „Efficacior est consensus populi in hoc casu ad deponendum eum etiam i n v i t u m . . . quam eius voluntas ad renunciandum voluntarius vel invitus populo nolente". Daß die von der Kanonistik, entgegen Dictatus papae n. 19 (quod a nemine ipse iudicari 501

Man kann hierzu die Überlegungen von K . Rahner in Quaestiones disputatae II, Episkopat und Primat, S. 66 vergleichen. Darnach gebe der Papst dem einzelnen Bischof — der seine Jurisdiktionsgewalt nach der heute gewöhnlichen Lehre vom Papste erhält — durch seine Ernennnung Anteil an der von Christus der Kirche eingestifteten Gewalt des Gesamtepispopates iuris divini.

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debeat) anerkannte Absetzungsmöglichkeit (Tierney, Buisson)S01a nun mit dem Volksrecht in Verbindung gebracht wird, führt auf einen Kirchenbegriff, der entsprechend dem schon genannten Grundsatz (orbis maior est urbe et Papa) von der Ganzheit aus die innere Struktur versteht, auch die Struktur der Hierarchie. Diese Sicht wird durdi weitere Bemerkungen erhärtet. Der Papst ist für Quidort zwar „summa virtus (est) in persona, tarnen est ei aequalis vel maior in collegio sive in tota ecclesia" (c. 24). Damit wäre in der Kirche eine Gleichrangigkeit (est ei aequalis), ja sogar eine Überlegenheit (vel maior) des apostolischen Konsortiums beziehungsweise der Kirche vorhanden. Von der Gleichwertigkeit des priesterlichen Ordo im Bischofsamte her betont Quidort ausdrücklich, daß nur der Grad der Jurisdiktion den Papst erhöht. Der Ordo bleibt unzerstörbar, die iurisdictio dagegen kann vermehrt, vermindert, sogar genommen werden (c. 24). Streng genommen wäre damit die päpstliche Vollgewalt als höchste Summation jurisdiktioneller Rechte, nicht aber als eine in sich geschlossene primatiale Ganzheit verstanden: „(Papa potest... ex magna causa deponi, quia papatus ultra episcopatum et sacerdotium nominat iurisdictionem, quae mutabilis est, et sine hac Papa non potest esse Papa" (c. 24). Nun handelt die Kirche nicht unmittelbar, ihre Repräsentation ist das Generalkonzil, nach dem ja aus dem Frankreich Philipps des Schönen so heftig gerufen wird. Damit schließt sich der Kreis vom Volksrecht zum konziliaren Gedanken. Die kommunitäre, populistische Sicht der kirchlichen Struktur wird endlich greifbar in der Auffassung des Kirchengutes. Nicht der Papst ist Besitzer der „bona ecclesiastica", überhaupt keine einzelne Person, sondern „sola communitas" (c. 6): „sola communitas universalis ecclesie est domina et proprietaria illorum bonorum generaliter". Für die Einzelkirchen gilt das kommunitäre Recht der Kirchen entsprechend. Der Papst hat die Funktion des „generalis dispensator", in diesem Sinne sei die Verbindung der Kongregationen zum Hl. Stuhl zu verstehen, zu dem Haupte, dem die allgemeine Sorge obliegt. Quidort denkt hier wohl an die Übergabe des kommunitären Besitzes der Minoriten an den Hl. Stuhl (Nikolaus III.: Exiit). Der Schenker übergibt sein Gut nicht dem Papste, sondern „ad usum Deo servientium", in der Folge dieser Intention hat die Gemeinschaft das unmittelbare dominium über die kirchlichen Güter. Gegenüber dem Saekulargut der Laien kann der Papst nur im äußersten Notfall als dispensatorische und deklaratorische Instanz auftreten, hierbei wird der Gemeincharakter des Eigentums sichtbar („in quo casu omnia bona fidelium sunt communicanda"). Dieses Recht gilt auch für den Fürsten. Das Spannungsverhältnis von primatialer und kommunitär-kollegialer Struktur der Kirche und ihrer Vorsteherschaft erlaubt es Quidort, in der Frage M1

* Tierney, Foundations 173 ff. Er sieht in Quidort S. 178 darin „a turning point" in der Ekklesiologie, als bis zum Ende des 13. Jahrhunderts das Interesse der Definition der Beziehungen von geistlicher und weltlicher „hierarchies" gegolten habe. N u n sei das Problem der innerkirchlichen Autorität gestellt: die Beziehungen von Papst, Kardinälen und Generalkonzil. — Zur Absetzung des Papstes nach D. 40 c. 6 vgl. audi Buisson, Potestas und Caritas, S. 176 ff.

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

der Weltmonarchie einen aufschlußreichen Vergleich zu ziehen. Das Prinzip des „ordo ad unum", das die Kirche jurisdiktioneil und gubernativ eint, oder besser: ihre Einheit jurisdiktionell und gubernativ sichert, gilt nicht in derselben Weise für die politische Gemeinschaft der gläubigen Laien. Denn der Sozialnatur nadi leben sie gemeinsam und wählen „ad bene vivendum diversos quidem, secundum diversitates communitatum" (c. 6). Diese Verschiedenheit rührt aus der Differenz der Körper, „(nicht aber) ex parte animarum, cum omnes sint in eodem gradu essentiali constitutae, propter unitatem speciei humanae". Quidort verwendet hier die aristotelische Lehre von der singularisierenden und differenzierenden materialen Wirklichkeit im Seienden und der die universale Wirklichkeit herstellenden und darstellenden Form. Die kirchliche jurisdiktioneile Einheit im Papste gründet dann auf der universalen Spiritualität, die Differenzierung im temporalen Bereich auf der „diversitas secundum saecularitatem". Ob es notwendig ist, für die spirituelle Einheit bereits averroistischen Einfluß anzunehmen, darf man bezweifeln, es genügt als Grundlage die aristotelische Relation von Materie und Form. Jedenfalls wird im saekularen Bereich die Differenzierung des menschlichen Geschlechtes so intensiv wirksam, daß sie eine temporale Einheit, sei es unter einer temporalen päpstlichen Obergewalt sei es unter einem Kaisertum verhindert. Der „saecularitas" entspricht strukturell die „diversitas", dem corpus Christi der „ordo ad unum". Das Gewaltenverständnis erhält seine letzte Profilierung, wenn wir schließlich die Relation von regnum/imperium und sacerdotium betrachten. Als erklärter Gegner der pauperistisdien und hierokratischen Konzeption und im Sinne seines Mittelweges (vgl. S. 482) hat Quidort das naturale regimen des regnum und das supernaturale regimen der ecclesia konfrontiert. Temporales Regiment gründet seinem konstituierenden Kern nadi auf Wahl, folgt aus dem Willensentscheid der „multitudo perfecta". Wir sahen, wie die aszendente Konzeption der politischen Autorität ihr Pendant im Wirksamwerden des kommunitären Konsenses in der Kirche erfährt. Die Papstwürde ist als soldie unwandelbar, der Träger ist wandelbar, da der consensus eligentium und des electi mitspricht (c. 24). In der gesellschaftlichen Bestimmung des Staates als „multitudo" kann man eine auf den Einzelnen bezogene Sehweise annehmen. Sie würde auf ihre Weise das wiederholen, was sich in der Betonung der aszendenten Elemente in der Begründung der Obrigkeit erweist, nämlich die humanen Konstitutiven, jetzt im je Einzelnen, beziehungsweise in der Vielheit der Einzelnen, darzutun. Denn im Begriff der „multitudo" erscheint anders als in der Ganzheitsvorstellung der „societas perfecta" und der „Politeia" die Mehrzahl der Vielen als konstituierende Einheit. Es ist dieselbe Vielheit, die als gläubige communitas Besitzerin des Kirchengutes ist, die der Absetzung eines unbrauchbaren Papstes durch das Generalkonzil die Legitimation erteilt, die „Deo inspirante" den Kaiser setzt (populo seu exercitu faciente et Deo inspirante: c. 20). Diese Vielheit ist gemeint im „bonum commune" der naturalen Wohlfahrt (bene vivendum) und des supernaturalen Heiles, dessentwegen geistliches und weltliches Regiment von Gott eingerichtet sind, denn auch für den Papst gilt, wie in der Definition des „naturale regimen",

II. Stimmen aus dem Frankreich Philipps des Schönen

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daß er wegen des Volkes eingesetzt ist (c. 24). Auf die „multitudo" bezogen ist endlich die gemischte Herrschaft, die besser sei, da alle an ihr teilhätten. Ein weiteres Vergleichsmoment bietet das bereits gestreifte Verhältnis von universaler Leitung der Kirche und der Möglichkeit einer Weltmonarchie. Quidort lehnt, wie wir sahen, letztere der „diversitas secundum saecularitatem" wegen ab. Die Vielgliedrigkeit ist in der temporalen Ordnung das Gegebene, entsprechend der differenzierenden körperlichen Wirklichkeit. In der Kirche wirkt zwar der „ordo ad unum", er verhindert jedodi nicht, daß auch die Teile zu ihrem Recht kommen, daher der Vorschlag der zwischeninstanzlichen Gesamtvertretung, daher die Rechte, die dem Generalkonzil zugesprochen werden. Die universale Jurisdiktion des Petrus soll nicht die gliedhaften Funktionen verdedien. Quidort stellt daher auch scharf heraus, daß das „corpus mysticum" in Christus, nicht in Petrus, eine Einheit (unum) sei. Der Papst ist Haupt „ad exteriorem ministrorum exhibitionem" (c. 19). Dieses Argument fällt mitten in der Auseinandersetzung mit der ekklesiarchen These von der Spiritual-temporalen Einheit aller potestas im Stellvertreter Christi. Damit wird die duale Relation und Unität der potestates in Christus gemeint, wie sie auch die ghibellinische Sicht vertritt und wie sie auf eine alte Tradition — besonders markant in der Zeit Karls und Leos III. (vgl. S. 180 zu Lateranmosaik) — zurückreicht. Die Ordnung von Welt und Kirche, genauer von Welt in der Kirche, denn Hinordnung des regnum im corpus mysticum auf Christus setzt letzteres als höhere Einheit voraus, ist nur auf die äußere rechtliche Zuweisung von Offizien (exhibitio ministrorum) und auf Jurisdiktion, diese verstanden als „forum exterius, ausgerichtet. Sie berührt jedoch nicht die Vielgliedrigkeit der regimina, in denen sich wiederum die Lebensbereiche und deren ordinative Dynamik wiederspiegeln. So wird die „reductio ad unum", die in der hierokratisch-ekklesiarchen Gewaltenlehre eine zentrale Rolle spielt, auf einen äußerlich-rechtlichen und dazu noch rein innerkirchlidien Bezug reduziert. Denn die päpstliche Jurisdiktion ist streng spiritualer Natur. Damit sind wir bei dem Gewaltenverhältnis im engeren Sinne angelangt. Quidorts Argumente gegen die spiritual-temporale Vollgewalt, in deren Thesen er eine Lehre „quorumdam modernorum" sieht, also eine theologische Novität, gründen unmittelbar in der von der naturalen Ordnung her gegebenen Wirklichkeit und auf der biblischen Verkündigung samt der sich ihr anschließenden Konzeption der geistlichen Gewalt. Die naturale Wirklichkeit heißt, wie wir sahen, zunächst naturrechtliche und völkerrechtliche Gründung des Staates (c. 1). Dazu kommt die eigene und von der Entfaltung des sacerdotium unabhängige Entwicklung. Das regnum sei schon vor der Einsetzung Samuels gewesen, die von Heinrich von Cremona vertretene Sicht, daß Gott anfangs durch Priester regiert habe, wird abgelehnt (c. 20). Aus der Geschichte lasse sich keine kausale Abhängigkeit der Entstehung des regnum vom sacerdotium — infolge zeitlichen Vorrangs — ableiten (non prius regno causalitate). Die Verwendung der Zweischwerterstelle gilt nicht, Quidort spricht sich gegen eine derartige Gewaltensymbolik aus (c. 19). Der Selbstand des Staates betrifft aber auch seine innere Wertigkeit. Gegen eine ganze Tradition stellt sich der kühl spekulierende Dominika-

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E. Die nidit-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

ner, wenn er die Gleichsetzung der temporalen Gewalt mit der körperlichen Gewalt — also die Relation anima-corpus für die Gewaltenlehre — bestreitet (c. 18). Audi die Temporalgewalt sei geistig, sie ist auf das „bonum commune" gerichtet, nidit auf ein beliebiges sondern auf das „quod est vivere secundum virtutem". Auch der „legislator habet curam animarum". Angesichts der geradezu lastenden Wucht jener tradierten Verhältnisgleichheit: anima/potestas spiritualis — corpus/potestas temporalis bedeutet diese Formel, die zudem die pastorale Diktion von der cura animarum ins Saekulare transponiert und so „saekularisiert" eine innere Wende im Verständnis der Gewalten. Staatsgewalt, Staatlichkeit existieren in geistiger Verantwortung die Leib-Seele Schematik kann nicht mehr in der bisherigen Weise angewendet werden. Angereichert wird diese geistige Verantwortung, indem jetzt die aristotelische Tugendlehre auf die geistige Intentionalität des Staates angewandt wird. Das „vivere secundum virtutem", das Ziel des Strebens nadi dem bonum commune, kann auch ohne theologische Tugenden eine Vollkommenheit darstellen. Folgt daraus: „sine rectore Christo est perfecta et vera iustitia, quae ad regnum requiritur, cum regnum ordinetur ad vivere secundum virtutem moralem acquisitam" (c. 19). Der von der soliustistischen These (Ägidius) angeführte Satz des Augustinus, daß ohne Christus keine Gerechtigkeit existiere (vgl. S. 297) bezöge sich nur auf die Zustände innerhalb des heidnischen Götzendienstes. Quidort geht es um die ontische Qualität der naturalen Ordnungsziele. Freilich, wenn die Formeln der „perfecta et vera iustitia", der „perfectae virtutes" auftauchen, stellt sich sofort die Frage nadi der Geltung dieser Vollkommenheit. Bleibt sie natural-relativ, berücksichtigt sie die geschichtliche Existenz der geschwächten Natur? Denn in der konsequent durchgedachten Konfrontation mit der heilsgeschichtlichen Existenz des Menschen besteht die Stärke der ekklesiarch-soliustistischen Doktrin, während die Gegenseite immer gezwungen ist, sich auf die abstrakte naturale Ordnung, das naturale debitum, zu berufen. So bleibt eben die Frage nach der inneren Qualität des „perfectum"; gilt es absolut, dann ist Quidort zur Anerkennung einer autarken weltlichen Endgültigkeit gezwungen, gilt es in Relation (relativ) zur Heilsordnung, dann haben wir wieder den ganzen Fragenkomplex, der in der Formel der „ordinatio ad spiritualia" praesent ist. Quidort hat diese Fragen so wenig durchdiskutiert, so wenig er eine explizite Auseinandersetzung mit der ekklesiarchen These der Primär- und Exekutivgewalt und ihrer spiritual-temporalen Gründung vornimmt. So bleiben diese Punkte der Kontroverse im Grunde unerledigt. Die Gewalten sind auf ihre Bereiche angewiesen. Wenn daher die Antwort auf die Frage nadi der temporalen Gewalt des Papstes und der Kirche in concreto fällig wird und im Sinne der Gewaltenteilung und Bereidisteilung gegeben wird, dann ist in diese Antwort der unerledigte Stand der Kontroverse mit hineinzunehmen. Quidort erkennt, wie nicht anders zu erwarten, eine reguläre jurisdiktioneile Befugnis des Papstes (in foro iudiciali exteriori) nur für die Spiritualien an. Hinsichtlich der Temporalien ist eine „ratio delicti" erforderlich, wobei die Kirche die Ordnungsrelation zu Gott (erlaubt—unerlaubt), der Staat die

II. Stimmen aus dem Frankreich Philipps des Schönen

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Störung der menschlichen Ordnungsgemeinschaft, das Verbrechen, bestraft (c. 14). Die potestas correctionis, die censura ecclesiastica ist nur Spiritual zu sehen, denn die Kirche kann in foro exteriori nur spirituale Strafen auferlegen. Temporale Strafen (körperliche Züchtigung) können nur fallweise erfolgen, hierzu ist die Einwilligung der weltlichen Seite erforderlich. Bei Resistenz allerdings könnte ein Fürst seiner Würde entsetzt und vom Volke abgesetzt werden: „unde privaretur ille seculari honore et deponitur a populo" (c. 14). Umgekehrt könnte der princeps auch den unverbesserlichen Papst „indirecte" zensurieren, indem er die Kardinäle zu einer Zensur bringt. Bei weiterem Widerstand kann der Fürst das Volk zur Absetzung antreiben. Auch dafür gab die Propagandawelle des Jahres 1303 einen Anschauungsunterricht. Das Bild dieser wechselseitigen Korrekturmöglichkeit gipfelt in der These, daß Kaiser und Papst die einzelnen dazu antreiben können, einander nicht zu gehorchen, denn jeder besitzt eine universale Jurisdiktion, sei sie temporal, sei sie Spiritual. Auch dafür gab die letzte Phase der Auseinandersetzung zwischen Friedrich II. und Rom die geschichtliche Illustration, sie wird sich unter Johann XXII. bis zur letzten Schärfe wiederholen. Der Papst kann den Herrscher spiritual bestrafen, temporal kann derselbe zunächst nur von den Großen des Reiches zur Rechenschaft gezogen werden. Umgekehrt kann der Kaiser den Papst temporalen Vergehens wegen ermahnen und bestrafen, denn: „ad principem pertinet omnes malefactores corrigere primo iure" (c. 14). Gegenüber dem Papst wird in spiritualen Vergehen eine ähnliche Zuständigkeitsskala wie im weltlichen Bereich sichtbar: zunächst soll er von den Kardinälen moniert werden, bei Hartnäckigkeit soll der Kaiser angerufen werden. Die Darlegung der konkreten rechtlichen Relationen verrät ein Zweifaches: Die klare Trennung der terminologischen und sachlichen Bezüge. Es ist nicht mehr, auch bei der „ratio delicti" von temporaler Gewalt die Rede, sondern nur noch von spiritualer Befugnis. Das heißt, der in beiden Theorien, der ekklesiarchen und der nichtekklesiarchen, identische Sachverhalt des Eingreifens „ratione peccati" — auf der ekklesiarchen Seite als Exekutivgewalt deklariert — erscheint in zwei Klassifikationen. Der Grund liegt in der dieser Exekutive vorausliegenden Primärgewalt. Damit ist wieder die Frage gestellt, wie es mit dem inneren Charakter dieser Gewalt bestellt ist. Ist sie tatsächlich „temporal" oder nicht auch „spiritual"? Eine Antwort wurde bei der Betrachtung der ekklesiarchen Schriften erarbeitet. Das Zweite betrifft, entgegen der sonstigen Ablehnung der Weltmonarchie, das stete Auftauchen der universalen Funktion des Imperium, so oft von den universalen Belangen der Christenheit und der Kirche die Rede ist. Konkret bei der Frage nach der Korrektur des Papstes. Das erweist, daß die nationale „diversitas secundum saecularitatem" doch nicht eine letzte und absolute Normierung darstellt und daß die überkommene Vorstellung einer übergreifenden Ordnung nicht erstorben ist. Das Kaisertum steht, wie es entstand, mit der temporal-spiritualen Einheit des corpus christianum. Dafür reicht die Partikularität der regna offenbar nicht aus, es sei denn, man sucht nach neuen übergreifenden Formen gemeinsamer Ordnung, wie das Dubois unternimmt. Die Betrachtung der Thesen des Dominikaners aus dem Paris Philipps des

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E. Die nidit-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Schönen müßte mit einer umfassenden Würdigung abschließen, die aber in manchem dem vorausgreifen würde, was in einer größeren Synthese zu geschehen hat. Für jetzt sei im Rückblick auf zwei Beobachtungen verwiesen, die wieder eine dritte implizieren, a) Geht man die antiekklesiarche Argumentation im Zusammenhang der ganzen Ordnungslehre durch, so stößt man immer wieder auf das Bestreben, innerhalb der vorgegebenen konstitutiven Normen der potestas als Institution den beteiligten und handelnden Menschen zum Einsatz zu bringen. Das beginnt bei der Deutung des päpstlichen Amtes, dessen jeweilige Vergabe auch an Wahl gebunden ist, bei der Absetzung des Papstes, die im äußersten Fall dem „Volke" beziehungsweise seiner Repraesentanz, dem Konzil, anvertraut ist. Der Mensch erscheint auch final, indem eben das Papsttum um des bonum commune der Kirche als Kirchenvolk wegen eingesetzt ist. Dieselbe Sicht zeigt die Auffassung des Kircheneigentums, das nach der Intention des Spenders an die communitas geht. In der saekularen Gemeinschaft wiederholen sich diese Bestimmungen in der Herleitung der Herrschaft von Gott und von dem Volk oder einer Gruppe (dem exercitus). Ich möchte darin eine Art humaner Aktivierung sehen, eine Intensivierung der humanen Elemente innerhalb der Ordnungsspekulation, b) Diese Humanintensivierung verbindet sich mit dem Bestreben, die Wertigkeit des saekularen Gefüges herauszustellen. Am deutlichsten in der Anerkennung der relativen Selbstgenügsamkeit der saekularen Ordnung in ihrem Seinsziel. Das politische Handeln, der temporale Ordo, ist auch ohne den rector Christus, das heißt ohne unmittelbaren Einbezug in die Heilsordnung „perfekt". Die Wertigkeit des Saekularen zeigt sich ferner in der Kontroverse um die Weltmonarchie, indem aus der „diversitas secundum saecularitatem" die Gültigkeit der pluralistischen Verfächerung in die regna, anstelle des temporalen „ordo ad unum" behauptet wird. Freilich ist sofort hinzuzufügen, daß diese Vielgliedrigkeit im Falle universaler Fragen des corpus Christianum nicht durchgehalten wird. Beides, das Aktivieren der humanen Elemente wie der saekularen Wertigkeit erfolgt nicht allein aus sich, sondern in der Auseinandersetzung mit dem hierokratischen Versuch, zu einer Gesamtschau der Gewaltenrelation und des Ordnungsdenkens im Sinne der „reductio ad unum" zu gelangen. Das heißt aber, daß das human-saekular intensivierte Ordnungsverständnis, wie es sich hier darbietet, nicht isoliert aus einer saekularen Motivation und Initiation erfolgt, sondern genau an der Stelle, an der temporale und spirituale Ordnung zusammengeraten, eben im Verständnis des regimen christianum. Damit ist aber eine weitere Frage gestellt, die nämlich nach dem Prozeß der sogenannten „Saekularisierung", der sich im neuen Ordnungsverständnis ankündigt.

III. Die imperiale Konzeption Die Konzeption der Ghibellinen und des Imperium. — Die heilstypische Notwendigkeit der Weltmonarchie: Alexander von Roes. — Das Gewaltenverhältnis in der Auffassung der deutschen Herrscher. — Die ghibellinische Konzeption in Sizilien. — Engelbert von Admont und Dante.

a) Die Konzeption

der Ghibellinen und des

Imperium

Die antiuniversale Stimmung im Frankreich Philipps des Schönen hatte zwei Ziele: den spiritual-temporalen Anspruch des Papstes und die Position des Imperium. Bonifaz hatte in der Approbation Albrechts die Führungsaufgabe des vom Papst promovierten Herrschers herausgestellt, so verband sich in der französischen Publizistik mit dem Angriff gegen den Papst auch der gegen die vom Papst vorangetriebene Unterstützung des Imperium®01. Diese eindeutig proimperiale Wendung des Papsttums, allerdings unter ebenso eindeutiger päpstlicher Weisung, bedeutete auf ihre Weise der abendländischen Staatenwelt, daß der imperiale Gedanke, trotz der Katastrophe unter dem letzten Staufer und dem langen Interregnum seine Kraft nicht verloren hatte. Er war noch eine politische Realität. Dabei sind die Hoffnungen, die an das Imperium geknüpft werden, recht verschiedener Herkunft und Intention. Bonifaz VIII. sieht die Dinge anders als die italienischen Ghibellinen und Heinrich VII. Zwischen ihm und Dante klafft ein spekulativer Abgrund. Die Hoffnungen der italienischen Ghibellinen sind sowohl sozial wie politisch auf die partikularen Verhältnisse und Traditionen der Insel eingefärbt, weiß und schwarz, ghibellinisch und guelfisch manifestiert nicht nur Parteinahme für oder gegen die päpstliche Macht, sondern zuerst die inneren Spannungen der communitä, 502

Allegacio Bonifaz' VIII. (30. IV. 1303), M G H Const. IV, 1 n. 173. Bonifaz wendet, nachdem er zuerst, ebenso entschieden, die Zweilichterlehre im Sinne der papalen Vollgewalt bestätigt hat (vgl. S. 482), nun auch ebenso kühn den Lichtervergleidi auf die kaiserliche Gewalt an, indem er ganz ungewöhnlich den Kaiser mit der Sonne vergleicht: „Et sicut luna nullum lumen habet, nisi quod recipit a sole, sie nec aliqua terrena potestas aliquid habet, nisi quod recipit ab ecclesiastica potestate. Licet autem ita communiter consueverit intelligi, nos autem aeeipimus hic imperatorem solem, qui est futurus, et hoc est regem Romanorum, qui promovendus est in imperatorem, qui est sol sicut monarcha, qui habet omnes illuminare et spiritualem potestatem defendere, quia ipse est datus et missus in laudem bonorum et in vindictam malefactorum". Später wendet er sich gegen die „superbia Gallicana, que dicit, quod non recognoscis superiorem. Mentiuntur, quia de iure sunt et esse debent sub rege Romanorum et imperatore, et neseimus unde hoc habuerint vel adinvenerint, quia constat, quod Christiani subditi fuerunt monardiis ecclesie Romanae et esse debent. Nec habent hoc a lege veteri vel nova nec aliquo propheta vel evangelio vel apostolo". In der langwierigen Diskussion hat keine päpstliche Stimme so bestimmt die Position des Imperiums verteidigt, freilich Imperium als „Monardia ecclesie Romane". Angesichts der Lehrtradition von Innozenz III. (Per venerabilem IV, 17, 13) her, gewinnt ein solches Zeugnis eine singulare Bedeutung.

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E. Die nidit-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

in die die patarianische (guelfisdie) und altadligen (ghibellinischen) Rivalitäten verflochten sind. Der Kaiser ist für seine Anhänger darüber hinaus der Befreier von der Fremdherrschaft, der zudem im Imperium eine Verkörperung altrömischer Größe verbürgt und damit das geschichtlich fundierte Selbstgefühl erfüllt. Von deutscher Seite her gewinnt die imperiale Idee naturgemäß einen die partikulären Interessen übergreifenden Horizont, da hier über die eigenen Grenzen des „regnum Alamanie" hinausgegriffen wird. Nicht umsonst kann hier denn auch, mehr als ein Menschenalter vor Dantes Monarchie, in der Doppelsdirift des Jordanus und Alexander (De prerogativa Romani Imperii — De translatione Imperii) das Hochbild einer imperialen und ekklesialen Weltordnung nachgezeichnet werden. Wie keine andere Herrschaft ist aber die Saekularmonarchie des Kaisers durch Geschichte, durch ihre innere Bedeutung und ihr Selbstverständnis mit der Kirche und ihrem Haupte engstens verbunden, so daß in der Kontroverse um das Imperium eben in einzigartiger Weise die Problematik von: regnum-sacerdotium sich verdichtet. Christliches Regiment wird im Diskussionsfeld des Imperium zum Testfall dafür, wieweit überhaupt die tradierte, in den Universalgewalten gipfelnde Ordnung aufrecht erhalten werden kann. Angesichts des partikularen Widerstandes, vor allem aus Frankreich, angesichts des von den Staufern überkommenen Gegensatzes von sacerdotium-imperium gliedert sich die ghibellinisdie Konzeption von selbst in drei Fragenkreise: a) die Notwendigkeit einer Universalmonarchie überhaupt; b) ihr Verhältnis zum Papste; c) ihre Position in der Kirche selbst. Wenn wir uns zunächst, was auch der chronologischen Ordnung entspricht, der ersten Äußerung zuwenden, die aus einem sich festigenden Kernland des Imperium heraus in der bereits erwähnten Doppelschrift vorliegt, dann begegnen wir einer Sicht, die von politischer Melancholie wie von einem Sendungsbewußtsein zugleich geformt ist. Das Leitbild dieses Bewußtseins wird in dem Satz sichtbar: „Sic nec ecclesia absque imperio diu sana subsistere potest", die Melancholie spricht aus dem äußeren Anlaß, jenem Erlebnis des Alexander von Roes in Italien, daß nicht mehr für den römischen (deutschen) König im Meßkanon gebetet wurde'"' und die Gefahr bestand, daß das Reidi den Franzosen übertragen werden solle. Die Notwendigkeit des Imperium steht außer Frage, sie wird jedoch nicht philosophisch aus der Weltordnung und saekulargeschichtlidi vom Römerreich her fundiert, sondern heilsgeschichtlich dargetan. Christus wird unter Augustus geboren, um seiner Gegenwart willen hat Gott durch den Caesar den ganzen Erdkreis befriedet. Das Reidi ist so von Gott gewollt, er ehrt sowohl bei seinem Eintritt in die Welt (Gehorsam bei Volkszählung), in seinem Leben (Münzgleichnis) und in seinem Tode (Luk. 22, 38; Joh. 19, 10) jeweils zweimal das Reich und unterwarf sidi ihm. Die providentielle Aufgabe des Imperium, Christi Gehorsam ist dem Autor Beweis genug für die innere Legitimität. Heilsgeschichtlich setzt sidi die Aufgabe fort im Schutze der Christen503

Alexander von Roes, Memoriale, M G H , Staatsschriften des spät. Mittelalters, I, 1. c. 2, S. 92 f. In der langen Vakanz nadi dem Tod Nikolaus III. (22. 8. 1280—22. 2. 1281).

III. Die imperale Konzeption

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heit: „Romano imperio stante non veniet homo peccati, filius perditionis, antichristus " ' M . . . Die Ewigkeit des antik-heidnischen Imperium scheint abgewandelt zu sein in die heilsgeschichtliche Funktion der universalen Lenkung bis zum Ausbruch der Endzeit. — Wenn nun in diese imperiale Apokalyptik die Germanen als jüngere Abkommen der Trojaner—Römer genealogisch in die Translatio Imperii eingefügt werden, dann ist auch das deutsche Volk in die politische Heilstypik genommen. Über die Priamus juniorLinie, den jüngeren Bruder des Aeneas und die Maternus-Legende, der zufolge praefigurativ die eschatologische Translation des Reiches zu den Germanen dargetan wird, untermauert Alexander von Roes die heilsgesdiichtliche Aufgabe des römisch-deutschen Imperium' 05 : „divina fuit praefiguratione designatum, quod Romanorum imperium in fine saeculorum transferri oportuit in Germanos". Die Ausschließlichkeit, mit der die Translation nun auf die Germanen (Deutschen) festgelegt wird, führt zu der bekannten trinitarischen Funktionsteilung, die zugleich regional bestimmt ist: Italien, Deutschland, Frankreich. Der dreifaltige Gott, Vater, Sohn, Heiliger Geist wollten, daß sacerdotium, regnum, Studium die Kirche bilden. (Notitia saeculi c. 12). Die Entsprechung ist gegeben; das sacerdotium bildet den Vater, das regnum den Sohn, das Studium den Geist ab. Die Funktionsteilung dient zunächst der Zweigewaltenlehre, denn Alexander ist überzeugt, daß eine Vernichtung des Kaisertums durch die Kirche die Ankunft des Antichristen anzeigt, wie eine Zerstörung des Studiums in Frankreich den Sieg der Ketzerei bedeutet (Notitia saeculi c. 20). Geistlicher und weltlicher Bereich sollen also getrennt bleiben. Alexander gibt keine Gewaltenlehre, er schreibt noch vor dem Einsetzen der großen Kontroverse. Aber die Funktionsteilung kündet an, daß er keine temporale Gewalt Roms über das Imperium wünscht. Die trinitarisdie Symbolik erweist sacerdotium, imperium, Studium als Kräfte (virtutes) eines Ganzen, einer Einheit, dargestellt zugleich im Menschen, denn er spricht analogisch von: Seele, Leib, Geist, so daß in Seele das sacerdotium, im Leib das imperium, ganz der alten anima-corpus Relation folgend, praesent werden. Die Einheit ist die Kirche. Alexander unterstreicht den Bezug auf die Kirche durch die materiale Symbolik des Kirchengebäudes: „Hiis siquidem tribus, seil, sacerdotio, imperio et studio, tamquam tribus virtutibus, videlicet vitali, naturali et animali, saneta ecclesia catholica spiritualiter vivificatur, augmentatur et regitur" (Memoriale c. 25). Das Priestertum bildet das Fundament — es belebt —, das Imperium die Wände — es vermehrt —, das Studium das Dach — es regiert. In den Wänden sind die vier Sitze des Reiches: Aachen, Arles, Mailand, Rom, die Orte der vier Kronen des Kaisers dargestellt. Den Details dieser Symbolik geht man besser nicht nach, sonst müßte man fragen, warum das „augmentare" an der Korrespon504

Jordanus von Osnabrück, Tractatus super Romano Imperio (Memoriale c. 8), a.a.O. S. 98. — Memoriale c. 13 — Nach dem Herausgeber H. Grundmann, Einl. S. 18, stellen Memoriale c. 4—9 die eingefügte Schrift des Jordanus dar. — Alle die zum Untergang des Reiches beitragen, sind nadi c. 13: „precursores et nuncii Antichristi". »°5 Memoriale c. 37, S. 147. — Vgl. hierzu: Verf. Typik u. Atypik S. 297.

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

denzstelle zu imperium und das Studium in Relation zu „regitur" erscheinen. Wichtiger bleibt, daß die alte Vorstellung der „ecclesia" als der umfassenden Einheit die Konzeption trägt und erst möglich madit. Wortmäßig und begrifflich deckt sich das Kirchenbild mit dem der Hierokraten, die ecclesia umschließt den ganzen Bereich der ordnenden und forschenden Bewältigung des „mundus". Freilich, die tiefgreifenden Unterschiede sind nicht zu verkennen. Das corpus mysticum der ekklesiardien Doktrin sieht diese Einheit immer pyramidal gestuft in einem lenkenden Lebensstrom, der erst die funktionsfähige Existenz der potestas und der scientia im Sinne der Heilskonformität ermöglicht. Jetzt erscheint das Bild eines aufeinander angewiesenen Ganzen, innerhalb dessen zwar das sacerdotium die übrigen Offizien trägt, aber sie nicht unterordnend lenkt. Das Bild des Kirchengebäudes sagt, daß Kirche als Ganzes sich nicht im sacerdotium erschöpft, sondern wie Wände und Dach eben imperium und Studium zu ihrer Ganzheit benötigt, erst mit diesen drei Ämtern ist sie vollkommen (Memoriale c. 25). Was bedeutet das aber genau besehen? Sind imperium und Studium einfach Gliedfunktionen der ecclesia geworden, in dem Sinne, daß Kirdie zu einem auch den temporalen Bereich als solchen umfassenden, ihn in sich und zu sich in ihrem Selbstverständnis integrierenden Ganzen wird? Sind demnach nicht nur die „potestas", oder enger die „persona", kirchlich eingegliedert sondern auch das regnum selbst? Regnum/imperium als Teil der Kirche? Diese Fragen waren schon immer praesent, wenn von der Einordnung der weltlichen Gewalt in die Heilsordnung der Kirdie die Rede war, jedodi zeigt die ganze Tradition, daß von Gelasius her nie von einer Einvernahme des weltlichen Bereiches selbst gesprochen werden kann304. Man kann es nur als eine „offene Ordnung" bestimmen, die eine ordinative Durchlässigkeit vom Spiritualen her besagt, jedodi keine Identifikation oder Deckung von Kirche und Welt subsumiert. Infolge dieser offenen Ordnung erscheinen die Grenzen fließend, und sie sind auch fließend, da man es unterläßt, die Bereiche als solche klar und scharf getrennt zu halten. Daher kann es auch zum Anschein kommen, als spreche Alexander gar nicht von der Kirche und den in ihr zu tätigenden Ämtern, sondern eben vom Reich selbst. Aber diese Deutung würde am Text vorbeigehen, der eindeutig die „ecclesia" als die „res publica ecclesie Romane", als den korporativen Rahmen ausgibt, in dem die „principatus" zu tätigen sind (Notitia c. 12). Daher kann man auch schlecht die „principatus" als Weltämter bezeichnen®07. Im übrigen bleiben aber für Alexander Kirche und Reich als Bereiche getrennt. So heißt es zum Abschluß der Translationsthese: „sicut ecclesia Romana est ecclesia Dei sie utique regnum Romanum est similiter regnum dei" (Memoriale c. 32). Ecclesia ist hier nicht nur deutlich vom regnum Romanum abgesetzt, sondern letzteres eigens als Ordnungsbereich in die Heilstypik als „regnum dei" genommen. Das involviert, daß 30,1 507

Zur karolingisdien Zeit vgl. oben S. 89 ff. — Zur staufischen Epoche S. 149 ff. Veröffentlichungen der Forschungsinstitute an der Univ. Leipzig, S. 27, 33. (1930). — H . Grundmann, M G H Staatsschriften I, S. 15 spricht von den auf Italien, Deutschland und Frankreich verteilten „Weltämtern".

III. Die imperale Konzeption

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„imperium" nicht den neuzeitlichen Begriff des Reiches als institutionell durchgebildete Fläche, als „Staat" unbedingt fordert, sondern zunächst: Herrschaft, regimen, dominium, gubernatio kurz die Begriffsinhalte der „potestas" intendiert. Das heißt, in der Konzeption des Alexander ist wie auch anderwärts, eben die tradierte Verfassungswirklichkeit des Herrschaftsverbandes lebendig, sie macht es möglich, einmal „imperium" als Funktion in der „ecclesia" zu sehen, dann wieder die ecclesia vom regnum abzusetzen. Eine durchgehende Trennung von „Staat" und personal verwalteter Gewalt hat in der Spekulation noch nicht so eindeutig Platz gegriffen, daß derlei Übergänge gar nidit mehr möglich sind. Hätte der Autor in seiner trinitarisch-ekklesiologischen Symbolik mit „imperium" das Reich als institutionell und sozial geschlossenes Gebilde im Sinne des Selbstverständnisses von „Staat" vor sich gehabt, dann wäre notgedrungen das Bild der „ecclesia" gesprengt worden oder sie mußte mit der Welt identifiziert werden, was auf eine weitere Schwierigkeit treffen mußte, da „Staat" als Pendant auch die geschlossene „Anstaltskirche" kennt, so daß eine derartige Identifikation sozusagen doppelt schwierig geworden wäre. Man darf sicherlich den Äußerungen des Alexander von Roes keine derartigen Widersprüche unterstellen. Der Einbezug des Imperium in die Kirche bedeutet nidit, daß es zur Funktion eines als geschlossen gedachten Organismus wird, mit ecclesia ist nicht die klerikale Anstaltskirche gemeint. Das wird schon dadurch ausgeschlossen, daß eben das sacerdotium „nur" als Fundament figuriert. Die Vergleiche: Kirchengebäude, menschliche Natur, die trinitarische Funktionsteilung bleiben Analogien für ein Ganzes, das nicht mit der geschlossenen Anstaltskirdie sich deckt, sondern die Heilsgemeinschaft meint, in der die Christen und ihre potestates ihre Funktion ausüben. Eine Sache für sich bleibt die Übertragung des Begriffes „regnum Dei" auf das regnum Romanum. Alexander verbindet diese gewagte Kombination sogar mit Mark. 4, 11—12: „Vobis datum est nosse misterium regni dei". Das Imperium also „regnum dei", dasselbe dessen Geheimnis Christus ankündet. Das bedeutet eine heilsgeschichtliche Intensivierung des Reichsgedankens, wie sie in der Publizistik der Zeit einzigartig dasteht, es bedeutet aber zugleich auch eine Hilfe zum Verständnis des soeben vorgeführten Bildes der Kirche. Bleiben wir zunächst beim ersten. Daß der Autor im Imperium die Königsherrschaft Gottes verkörpert sieht, hebt dieses aus seiner Saekularexistenz heraus in die heilsgeschichtliche Epiphanie selbst. Denn in ihm wird ja das Geheimnis des Gottreichsgedankens sichtbar. Das entspricht der Linie, die sowohl in der soziativen, wie in der historischen Konzeption erscheint. Der Autor der Notitia saeculi teilt etwa die Menschheit ein in Heiden, Juden, Christen; die Zeit erscheint heilsgeschichtlich verlaufend als tempus legis nature, scriture, gratie (Notitia c. 4, 5). Beherrscht wird der geschichtliche Ablauf von der Erwartung der Endzeit, die auf 1415 gesetzt wird mit dem Erscheinen des Antichrist. Sein Kommen kündigt sich an in der Zerstörung des Reiches, für die er möglicherweise die Kirche selbst als Urheber annimmt: „quod (imperium) nunc pro parte destruxit, auxilio Gallorum tunc in totum destruet" (Notitia c. 20). Wir sahen schon eingangs, daß sich an der Existenz des

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„regnum Romanum" die sich erfüllende Endzeit manifestiert, weshalb auch alle, die zum Untergang des Reiches beitragen, als „precursores" des Antichrist sein Kommen ankünden. Die Schriften der deutschen Theologen begründen ihre Thesen über das Reich nicht mit philosophischen und naturrechtlichen Argumenten, das erhöht nur noch die heilsgeschichtlidie Optik dieser Konzeption. Wenn audi der Vergleich mit den ekklesiarchen Aussagen nicht eine genaues Gegenbild ergibt, so kann man doch dieses Ubergewicht der heilsgeschichtlichen Perspektive, das Zurücktreten der sozialphilosophischen Begründung für die Position der weltlichen Gewalt in beiden Aussagen festhalten. Bei Alexander (und Jordanus) führt die heilsgeschichtliche Konzeption nicht zur „reductio ad unum", sondern zur Doppelpoligkeit der in Rom angesiedelten auctoritates des sacerdotium und imperium. Was daraus für das Verhältnis der Gewalten und ihrer Bereiche folgt, läßt sich nicht in einer einfachen, sondern nur in einer verschränkten Proportion wiedergeben. Zwei Aspekte stehen ja nebeneinander: „Nam pateret filius et spiritus sanctus unus deus ita disposuit, ut sacerdotium, regnum et Studium una esset ecclesia" (Memoriale c. 25), ecclesia demnach als Einheit der Funktionstrias der: Seele, Leib, Geist führenden „principatus". Der andere Aspekt ist praesent in der Bereichsdualität von ecclesia und Romanum imperium (regnum). N u r innerhalb des letzten Aspektes wird der Gottesreichsdharakter des Imperium ausgesprochen. Wir haben eine komplexe und verschränkte Schichtung der Vorstellungen, die jeweils der Situation entsprechend manifestant und relevant wird. Die „una ecclesia" als Funktionstrias, wenn es um die Darstellung der alle Ordnungen umgreifenden Heilswirklichkeit geht. Die „ecclesia" als ein dem „imperium" gegenüber konfrontierter eigener Bereich, wenn die geschichtliche Existenz und der eigene Heilsauftrag des Reiches zum Einsatz kommt. Die gleiche Verschiebung der Aspekte gilt für das Reich, es bildet mit sacerdotium und Studium nun als potestas (principatus) die eine Kirche, es bleibt eigenes Gebilde, wenn die Schutzherrschaft über die Kirche und der gottesreichliche Auftrag (quamdiu ecclesia Romanum imperium habet defensorem in temporalibus:Notitiac. 20) zur Sprache kommen*073. Kirche ist fähig, als Anstaltskirche und als Integrationsganzes der im Heile geordneten Welt zu erscheinen, wir haben zwei Gestaltschiditen, aber nicht zwei „Kirchen", beide Vorstellungen sind nicht bewußt und durchdacht geschieden, sondern bleiben in einer Art dynamischem Wechselverhältnis. Als monarchisch gelenkte Anstaltskirche bleibt „ecclesia" geschlossenes Gebilde, als Integrationsganzes ist sie die umfassende Einheit von priesterlichem, königlich-kaiserlichem und geistigem Regiment. Für die Einfügung in dieses Ganze ist sowohl eine weitere begriffliche Umschreibung dieses Ganzen wie die besondere Formierung der „Weltämter" (imperium/regnum, Studium) erforderlich. Das erstere darf man wohl in jenen Ausdrücken sehen, die gerade Die Notitia saeculi c. 20, a.a.O. S. 167 f zeigt klar die Zweiheit von ecclesia-imperium: „Et forte Romana ecclesia imperium Romanum, quod nunc p r o parte destruxit auxilio Gallicorum, tune in totum destruet". S. 168: „nullatenus Antichristus veniet quamdiu ecclesia Romanum imperium habet defensorem in temporalibus et Studium Gallicorum in spiritualibus adiutorem".

III. Die imperale Konzeption

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in der Umgebung des Integrationsganzen, der Funktionstrias auftaudien. So wird in der Notitia c. 12 die Kirche eingeführt als: „fides christiana, si est ecclesia Romana"; später heißt es: „res publica ecclesie Romane residet in Europa" und ähnlich zum Schluß: „manifestum est, quod in hiis tribus provinciis et principatibus residet res publica fidei Christiane". Ähnlich erhält schon in ca. 2 die Kirche die Bezeichnung: „de statu rei publice fide Christiane, id est ecclesie Romane". Kirche als „res publica fidei" betont die innere sowohl charismatische wie human-spirituale Gemeinsamkeit der Heilsgemeinschaft, in dieser Gemeinsamkeit kann auch das christliche Regiment gesehen werden, ohne daß es mit der hierarchischen Stufung und Lenkung der Anstaltskirche in Konflikt gerät. Die besondere Formierung des Einzelnen, des Weltamtes setzt voraus, daß Herrschaft als Heilsauftrag verstanden wird. Indem das „regnum Romanum" als „regnum Dei" die Heilstypik der Geschichte manifestiert, wird es in einer Intensität der Heilswirklichkeit eingefügt, die kaum überboten werden kann, will man nicht das Reich selbst zur Kirche madien. Aber gerade das soll ja nicht der Fall sein. Die Gewaltenlehre und Bereichsvorstellung unserer Schriften ruht ja gerade auf der Doppelpoligkeit der irdischen Ordnung. So wird die ihrer römischen Tradition nach kultisch bestimmte Sakralität des Reiches (sacrum imperium) zur Inkarnation der Königsherrschaft Christi. Die Nähe zu Vorstellungen, wie sie in den Yorker Traktaten erscheinen und der Relation von priesterlichem und königlichem Vikariat Christi immer innewohnen, ist natürlich gegeben, obwohl der Autor keinen Vorstellungen im Sinne des Königpriestertums (rex-sacerdos) nachhängt. Die Konzeption der Schriften des Jordanus und Alexander wächst nicht aus der Absicht, einem Staatskirchentum dienstbar zu sein, sondern aus der Sorge um Reich und Reichsidee, um die mit ihnen gegebene Möglichkeit einer die regna übergreifenden Einheit, um die Verwirklichung der Königsherrschaft Christi. Traditionale Reichsverehrung, providentiell gesetzte Legitimität der Herrsdigewalt, Kirchengläubigkeit und die Furcht vor einer heraufziehenden Welt der „disturbatio" des nicht mehr imperial geeinten Europa reichen sich die Hand. Die imperiale Heilskonzeption des Memoriale und der Notitia hatte in der Publizistik der nächsten Zeit zwar keine begriffsgetreue Nachfolge, unbeschadet der Weiterwirkung selbst, aber die Gedanken der besonderen Sendung des Reidies sollten noch ihre hohe literarische Gestalt erreichen. Bevor wir jedoch von Engelbert von Admont und Dante insbesonders sprechen, ist es notwendig, die kaiserliche Umgebung selbst zu Wort kommen zu lassen. Die Kanzleien Rudolfs und seiner ersten Nachfolger waren in ihren Äußerungen gebunden an die Promotion zum Kaiser, obwohl auch hier deutlich zu beobachten ist, daß man versucht, die besonders kritischen Thesen der hierokratischen Seite zu umgehen und nicht mehr anzuerkennen, als unbedingt erforderlich scheint'08. Auch Heinrich VII. spricht vor der Krönung 1312 ,M

In der abschließenden Erörterung II, 22, 8-11, wird die Befugnis, die römische Kirche zum Haupt der Gesamtkirche zu machen, dem Generalkonzil oder dem legislator fidelis humanus zugeschrieben. II, 22, 9: „Cuius autem sit auctoritas instituendi prioritatem hanc

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Entsprechend der Einsetzung regelt sich auch die Entfernung aus dem Amt, beziehungsweise die Suspension. Sie ist Sache des „legislator" oder des von ihm beauftragten Herrschers (II, 17, 15; II, 22, 11; II, 24, 6; III, 2, 41). Die Absetzung Johannes' XII. und Benedikts IX. sind willkommene Beispiele (I, 24, 6). Was sich in der Ein- und Absetzung des kirchlichen Vorstehers und des Hauptes der Kirche manifestiert, setzt sich in der Jurisdiktion und Administration fort. Grundsatz ist, daß alle rechtlich bindende Vorschrift und Satzung im Sinne des „preceptum coactivum per penam aut premium in presenti seculo" (1,10,4) vom humanus legislator ausgeht oder seiner Zustimmung bedarf. Dasselbe gilt für die „iurisdiccio coactiva". Dabei bezieht sich der Zwangscharakter für den „status huius vite" nur auf die „lex humana", während die „lex Christi" zwar für das gegenwärtige Leben eine Handlungsregel (regula est humanorum actuum imperatorum; II, 8, 5) darstellt, deren Zwangscharakter jedoch erst im zukünftigen Leben in den Formen von Strafe und Lohn (coactiva et distributiva peni et premii) eintritt. Die dem sacerdotium zur Verwaltung und Betreuung anvertraute Lehre hat damit nur diese Intention der Handlungsregel auf den „status futuri seculi". Beim Durchmustern der Terminologie für irgendwelche Gesamtheiten, denen nun Rechte zustehen, die der Hierarchie und speziell dem Papst nicht kraft Amtes zukommen, stößt man auf drei Bereiche: a) das Generalkonzil, b) den humanus fidelis legislator, bzw. den fidelis principans, c) den humanus legislator bzw. principans. Zwischen den dreien besteht auf den ersten Blick, auch wenn man die von Marsilius gegebene Zuständigkeit noch nicht kennt, ein greifbarer Unterschied. Konzil besagt offenbar die Vertretung der „universitas fidelium" als „ecclesia", ist also eine kirchliche Körperschaft. Deren Funktionen müssen daher auch dem Wesen der Kirche und ihrer von Christus gewollten Gestalt entsprechen. — Der „fidelis legislator" ist offenbar von dem hier nicht genannten „infidelis legislator", den Marsilius sonst tatsächlich kennt (II, 17, 15), unterschieden und scheint die civitas zu bezeichnen, die aus Gläubigen besteht und deren „legislator" Gläubige sind. Dagegen wären dann der „humanus legislator" und sein principans, die „universitas civium", ohne einschränkendes Attribut. Die erste und für das Verständnis der Kirdie und des regimen spirituale entscheidende Frage — in der Linie der soeben gestellten Frage — lautet nun: Besitzt etwa das Generalkonzil die Gewalt zwingender Satzung oder Jurisdiktion, die Marsilius der Hierarchie und vornehmlich dem Papste abgesprochen hat? Die Antwort ist sehr komplex. Das wird deutlich, wenn man den Sachbereich des Konzils und die Umsetzung seiner Beschlüsse in zwingende Gesetzeskraft vergleicht. In die Zuständigkeit des Konzils fallen: Verhaltensregeln (Fasten, Cölibat, Sonntagsheiligung: I, 15, 2—4, 8; II, 21, 8; (der röm. Kirdie), dicendum, quod generalis concilii aut fidelis legislatoris humani superiore carentis"; in § 11 etwas variiert: „Huius autem rursus institucionis auctoritatem esse fidelis legislatoris humani aut eius auctoritate principantis iuxta concilium et determinacionem generalis concilii". Konzil und fidelis legislator sind hier klar geschieden. Konzil als die kirchliche Organisation, der legislator als bürgerliche Organisation der Gläubigen.

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III, 2, 36), Heiligsprechung, Heiligenverehrung (II, 21, 8; III, 2, 35), Eherecht (II, 21, 8). Dann vor allem lehramtliche Entscheidungen (II, 20, 4). Die Ubertragung des päpstlichen Vorrangs (primatus): „super reliquos episcopos in spiritualibus ministrandis et ordinandis", sie geschieht durch das „generale concilium" (II, 28, 22). Das Konzil ist zuständig für das Interdikt, freilich mit dem Zusatz „legislatoris auctoritate"839. Dieser Zusatz gilt dem Kontext zufolge auch für die vorher genannten Maßnahmen (Fastengebot usw.). Damit ist zwar einerseits dem Konzil eine Befugnis zur lex im Sinne zwingender Satzung zugesprochen, zugleich aber ist es an die Zustimmung des „fidelis legislator" gebunden. Letzterer wird übrigens allein genannt, wenn es darum geht, die Strafe zu verhängen oder zu vollstrecken: „cuius siquidem licita solius potestas est infligere ac exigere tales penas" (II, 21, 8). Denselben Tenor hat III, 2, 34: „ad observacionem quoque talium arcere pena vel supplicio temporali solum legislatorem fidelem aut eius auctoritate principantem" (unter Verweis auf II, 21, 8). Soll das heißen, daß die bindende Vorschrift des Konzils keine Festlegung einer zeitlichen Strafe enthalten darf? Nach dem strengen Wortlaut wäre es anzunehmen, freilich wäre für eine solche feine Unterscheidung ein eindeutigerer Text notwendig. Sicher bleibt, daß auch das Generalkonzil, obwohl es bindende Rechte besitzt, die dem Hierarchen kraft Amtes allein nicht zukommen, doch in seinen Satzungen an die Zustimmung des gläubigen Gesetzgebers oder seines principans gebunden ist. Das bedeutet eine wesentliche Einschränkung seiner Befugnisse und würde auch ohne die obige Unterscheidung von Satzung und Straffestlegung zu dem Bild passen, das in der Lehre von der Gewalt des Hierarchen uns begegnet. Wo Kirche als Kirche auftritt, sei es in ihrer Hierarchie, sei es in ihrer universitas bzw. ihren regionalen universitates, hat sie entweder kein preceptum coactivum oder iurisdiccio coactiva wie auch das sacerdotium, oder ihre zwingende Satzung ist vom Assens des „fidelis legislator" begleitet. Die iurisdiccio coactiva im Sinne temporaler Strafsetzung und Vollzugs ist allein dem legislator anvertraut. 839

Die Stelle, Defensor II, 21, 8, ist unklar in der Kompetenzzusprache von Konzil und Legislator. Einleitend wird gesagt, daß über den Ritus nur das Konzil verpflichten könne sub aliqua pena pro statu presentis seculi vel venturi, also Befugnis zur lex im koaktiven Sinn, und zwar entweder „immediate aut inde sumpta prius auctoritate, ad hec eciam fidelis legislatoris primi aut eius auctoritate principantis interveniente decreto". Der Legislator oder Principans muß dazu kommen, offenbar da die Kirche als Kirche, damit auch das Generalkonzil nicht eine koaktive Gewalt aus sich selbst besitzt. Das entspricht dem einleitenden Satz in § 1, daß allein der fidelis legislator das Recht habe, bzw. dessen Vertreter (quibus potestas hec commissa fuerit), die Beschlüsse des Konzils gegen Übertreter „secundum divinam et humanam legem per coactivam arcere potenciam". Hinsichtlich der übrigen festzulegenden Akte (Fasten, Fleischessen, Heiligsprechungen, Interdikt usw.) gilt das Gleiche: „absque iam dicti legislatoris auctoritate' kann nichts verpflichtend unter Strafe angeordnet oder vollstreckt werden. In III, 2, 34, heißt es, daß Fastengebote nur ein Generalkonzil oder der Gesetzgeber autorisieren könne. Festsetzung von Strafen und Vollzug derselben stehe dem Legislator zu. Inwieweit geht nun die Verpflichtungsbefugnis des Konzils ohne den Gesetzgeber? Gibt es nur die pastoral-lehramtliche „Erläuterung"? Nach dem Text muß man das schließen, so daß alle „potestas" auch auf dem Konzil dem fidelis legislator oder seinem principans (das wäre der Kaiser) zufallen würde.

34 Kölmel-

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E . D i e nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale D o k t r i n

Damit sind wir zu diesem legislator selbst gekommen. Zunächst ein Wort über ihn selbst. Daß er vom Konzil unterschieden ist, zeigt der eben genannte Text, er wird unterstützt durch II, 22, 11, wo die Anerkennung des römischen Primates dem „fidelis legislator" „iuxta consilium et determinacionem generalis concilii" zugesprochen wird: „ H u i u s . . . institucionis (principalitas) auctoritatem esse fidelis legislatoris humani aut eius auctoritate principantis iuxta consilium et determinacionem generalis concilii". Diese Unterscheidung ist wichtig für die Beurteilung von Kirche und „universitas fidelis" im Sinne der civitas. Gegenüber dem neutral genannten legislator und seinem principans gilt, daß nur dort der fidelis legislator in Aktion tritt, wo es um bindende Entscheidungen für die Kirche und die im Glauben geeinte Gemeinschaft geht. Der ungläubige legislator kann keine derartigen Bestimmungen erlassen, das zeigt die Stelle, in der bei einem infidelis legislator und principans die Entscheidung über die Zulassung zum Priestertum „absque consensu vel scientia principantis" getroffen wird (II, 17, 15). Der fidelis legislator setzt die „communitas fidelium iam perfecta" voraus. Entsprechend ist es dann zu verstehen, wenn in der Diktion die Ausdrücke legislator und fidelis legislator wechseln' 40 . Wenn wir die Rechte überblicken, die nun dem fidelis legislator zugestanden werden, dann stellt sich ein ganzer Katalog ein: Nach der Zustimmung zur Exkommunikation, dem Recht, die Weihekandidaten zu beurteilen (I, 15, 2 — 4 ; II, 17, 14 f), folgen die Verfügung über Benefizien (II, 17, 16), Besetzung freier Stellungen in Kollegien und Vereinigungen (II, 21, 8), Entbindung von Eiden (II, 26, 13 ff), das Alleinrecht der Konzilsberufung (II, 21, 1). An ihn kann vom geistlichen Gericht appelliert werden (III, 2, 37), Dekretalen werden erst mit seiner Zustimmung gültig (II, 28, 29); er hat die legitimatio per rescriptum (Legitimation unehelicher Geburt (III, 2, 20), bestimmt die Zahl der Kirchen und Tempel (III, 2, 22), die Verwendung überschüssigen Kirchenbesitzes nach Versorgung des Klerus (II, 21, 14). Ein „Privilegium fori" existiert nicht (II, 8; II, 9). In all dem rundet sich das Ganze und treten die eigentlichen Züge des Bildes der Kirche, ihrer Gewalt, samt dem Bild der weltlichen Ordnung klar heraus. Marsilius will der evangelischen Botschaft für das Diesseits jeden legislativen und jurisdiktioneilen Zwangscharakter nehmen, der ja für das ewige Heil doch nichts nützen würde (II, 5, 6; II, 9, 2). Das bedeutet, daß Christus als das einzige Haupt der Kirche und Vorbild ihrer zeitlichen Existenz selbst auf Zwangsherrschaft verzichtete, daß seine Herrschaft erst in der Ewigkeit eintritt. Die Eigenschaft der Heilsgemeinschaft als „regnum" ist ganz dem Jenseits vorbehalten. Christus war in seinem Leben dem Staat Untertan: „nec solum quantum ad realia monstravit Christus se subesse iurisdiccioni coactive principis seculi, verum etiam id ostendit in se, quantum ad personalem, qua nullam iurisdiccionem maiorem in ipsum aut alium princeps habere potuit" 540

V g l . A n m . 3 3 1 ; ferner I I , 17, 15: legislator infidelis — legislator fidelis; I I , 17, 16: legislator humanus, nachdem k u r z zuvor v o m fidelis populus gesprochen ist, also e i n w a n d f r e i eine gläubig-bürgerliche Gemeinschaft gemeint ist, und zudem der legislator d a s Attribut fidelis erhält.

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(merum imperium; II, 4, 12), wie die von der Kirche zensurierte Behauptung lautete341. Die Hierarchie übt ihren Dienst der „doctrina speculativa et operativa" (II, 9, 3) in gleichzeitiger Unterwerfung unter die Zwangsgewalt des legislator humanus aus. Wenn das allgemeine Konzil als einziger Repraesentant des ewigen Gesetzgebers, der Apostel und der Kirche gilt (II, 28, 21), dann erscheint seine zwingende Gesetzesbefugnis immer in Begleitung des fidelis legislator. Es gibt kein päpstliches Christusvikariat (II, 28, 19), der durch menschliche Verfügung und freiwillige Unterordnung konstituierte Primat besitzt nicht mehr die Wesenszüge eines „regimen". So hat auch die Kirche selbst kein eigenes, von Christus eingesetztes „regimen", die hierher gehörenden Befugnisse werden vom fidelis legislator wahrgenommen, was nicht heißt, daß dieser nun die Kirdie leite. Das Fehlen eines kirchlichen „regimen" wird sehr sdiön an einer Bemerkung deutlich, die Marsilius gegen das Prinzip der im Papst gründenden Einheit setzt: „Ecce qualiter ovile fit unum, quoniam in fidei unitate. Non dixit Gregorius unum ovile fieri, quia sub episcopo Romano vel alio unico, preter Christum, omnes fideles sint positi" (II, 28, 16). Einheit allein im Glauben, nicht durch die lenkende Institution und durch eine höchste Gewalt. Genau das wird also der Kirche streitig gemacht, was in der bürgerlichen Gesellschaft gerade als auszeichnendes Merkmal der Gewalt gilt. Denn die Einheit der civitas ist „unitas ordinis", diese ist „unum numero... propterea quod ad unum numero sunt et dicuntur, principatum scilicet, ad quem et propter quem ordinantur et gubernantur" (1,17,11; vgl. S. 629). Dadurch ist aber dem gelasianischen Prinzip die materiale und formale Grundlage entzogen. Es stehen sich nicht mehr zwei potestates, je mit ihrer eigenen zwingenden Zuständigkeit betraut, gegenüber. Marsilius verläßt auch den Boden der ghibellinischen Theorie der Gewaltenteilung, die ja auf dem Grundsatz der rechtlichen Eigenständigkeit jeder Gewalt, aber eben auf der Anerkennung einer kirchlichen Gewalt, beruhte. In dieser Welt gibt es, im Sinne der zwingenden Gewalt, nur ein „regimen". Die Lösung des Marsilius ist darin monistisch, radikaler und einseitiger als irgendeine These der Ekklesiarchen, die jederzeit die weltliche Gewalt als Gewalt bestehen lassen. Aufgabe dieses regimen im Sinne des legislator humanus und des principans ist, sofern es sich um den legislator fidelis handelt, weltlich und kirchlich bestimmt. Die Übernahme des „preceptum coactivum" und der „iurisdiccio coactiva" vertraut die Sorge um die durch hoheitliche Gewalt herzustellende Ordnung allein dem legislator. Oder wie es gegen die päpstliche Vollgewalt heißt: „universalis princeps magis in unitate potest conservare fideles, quam universalis episcopus" (II, 28, 15). Der Weltkaiser wird zur gesetzlich ordnenden Einheit der Kirche. Dieser gubernative, vom Weltlichen her bestimmte Monismus bedeutet jedoch keine Aufhebung der Trennung von Spiritualien und Temporalien. Diese Distinktion bleibt bestehen, aber infolge des Fehlens eines „regimen spirituale" führt sie nicht mehr zu einer Trennung der „regi841

34»

Denzinger 495-500. — Defensor II, 4, 3, heißt es freilich, Christus sei nicht in die Welt gekommen, um über die Menschen zu herrschen: „quinimo quod a tali iudicio seu principatu secundum propositum excludere voluit et exclusit seipsum et apostolos et discipulos eciam suos". Darnach liegt dann doch ein eigener Willensakt des Herrn vor.

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E. Die nidn-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

mina", sondern beschränkt sich auf die Sach- und Verhaltensbereiche selbst342. Dabei stellen die Temporalien das dar, was zum diesseitigen Leben, die Spiritualien das, was zum jenseitigen Leben dienlich ist, wie es der zweifachen Form des „vivere" entspricht: Dem „bene vivere" der bürgerlichen Gesellschaft, dem „optimum vivere" des zukünftigen Lebens, auf das die Kirche zugeht (I, 4; I, 6, 1). Die dem „sacerdotium" zugewiesene Aufgabe der Seelsorge, ihre Unterstellung unter den legislator und principans, wirft natürlich die Frage auf, woher nun die „universitas" als Gesetzgeber und Herrscher die Befugnis hat, auch für kirchliche Dinge zwingende Gewalt auszuüben. Sie hat es offensichtlich aus ihrer Eigenschaft als Gesamtheit, der Charakter der Gläubigkeit kommt hinzu, so daß dieses der Gesamtheit eigene Recht auch in Fragen der Kirche sich auswirken kann. Das heißt, daß der Grund der „iurisdiccio coactiva" nicht in der Kirchlichkeit des „legislator fidelis" liegt, sondern in seinem der natürlichen Ordnung entsprechenden Wesen. Marsilius übernimmt demnach die der saekularen Ordnung eigene Zuständigkeit in die „universitas fidelium", darin muß man eine „Naturalisierung" und, wenn man will, „Saekularisierung" der kirchlichen Ordnung sehen. „Regimen christianum" besagt dann bei Marsilius, wenn man die Frage einmal so expliziert isoliert, die Anwendung der der Gesamtheit der politisch organisierten Gläubigen zustehenden Gewalt auf ihre kirchlichen Fälligkeiten. Die Übernahme der Zwangsgewalt in kirchlichen Fragen erklärt sich nun aus dem Bestreben, einerseits den nur dem zivilen Bereich angehörenden Ursprung und Inhaberschaft diesseitiger zwingender Zwangsgewalt (Herrschaft) darzutun und gleichzeitig den herrschaftsfreien, dem Jenseits zugewandten Charakter der Heilsgemeinschaft zu bewahren. Hier erscheint dann doch wieder die Trennung der Bereiche, wobei der Akzent sich einseitig auf die Geltung des legislator humanus verlagert. Gegenüber der Vernachlässigung des naturalen und eigenständigen Charakters der potestas temporalis bei den Hierokraten wird jetzt der saekulare Eigenstand zur koaktiven Allmacht des legislator fidelis. Trotzdem bleibt bestehen, daß Marsilius, indem er den legislator fidelis samt seinem principans, konkret den Kaiserkandidaten Ludwig, dem er das Werk widmet (I, 1, 6) und dessen unabhängige Einsetzung durch die Wahl der Kurfürsten (II, 26, 6) aufgrund des römischen Volksrechtes (II, 30, 8) er so unbefangen in sein politisches System einbaut, eben zentral mit einem christlichen Regiment operiert. Dieses Regiment steht im Blickfeld unserer Schrift sicher nicht so, daß nur das Rechtsmaterial (vgl. S. 518) den Ausschlag für die „Christlichkeit" geben würde, oder daß eine Art funktionale Schizophrenie eintritt, indem der legislator-principans einmal saekular, dann wieder diristlich handle, je nach Lage und Gegenstand. Diese Art der Trennung der Bereiche ist an keiner Stelle der Schrift nachweisbar. Daher darf der berechtigte Einwand, daß der Defensor die Funktion der Fidelität von legislator und principans nur in der Sache und in der Optik der koaktiven und konstituieS4i

Das wird deutlich II, 28, 22. Hier wird ein Primat des Papstes „in spiritualibus", den er vom Generalkonzil erhält, unterschieden von einem Primat „in temporalibus", den ihm der „mortalis legislator" zuweist. Eine aus sich heraus, kraft Amtes existente potestas iurisdictionis des Papstes gibt es weder in den Spiritualien noch in den Temporalien.

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renden Gewalt einsetzt, nicht dazu führen, diese Fidelität, also das innere Merkmal der Christlichkeit nur hieran zu messen und es dabei zu belassen. Das würde der eingangs festgestellten Überschneidung der Ordnungsvorstellungen des natürlichen und übernatürlichen Bereiches ganz widersprechen. Gewiß, was die Autoren, hier ist Jandun ausdrücklich hinzuzunehmen, gänzlich unterlassen, das ist die explizite Konfrontation mit dem wichtigen Gedanken der Gegenseite, der „ordinario ad spiritualia", der gestuften Hinführung des Geschaffenen auf die Heilswirklichkeit. Der Defensor erkennt die Höherwertigkeit des Spiritualen an (II, 30, 1, 2), aber eine weitere Ausdeutung erfolgt nicht. Die Bereiche des irdisdien „bene vivere" und des himmlischen „optimum vivere" bleiben in ihrer inneren, ordinativen Relation unbeschrieben. Dennoch darf man nicht übersehen, daß der Defensor zum Schluß von der „auctoritas, causa et concordancia divinarum et humanarum legum et coactivi cuiuslibet principatus, que regule sunt actuum humanorum" ( I I I , 3) spricht, auf denen der Friede des Gemeinwesens ruht. Die übersteigerte Abwehr gegen den Vollmachtanspruch der Kirdie und des Papstes, gegen die schreckliche schleichende Pest (vgl. besonders I I , 26), darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß letztlich doch die Konkordanz der Welt- und Heilsordnung das Ziel des „Naturalisten" aus Padua darstellt. Und wenn er auch nur sagt, daß die Bürger ohne den bürgerlichen Frieden „ad eternam quoque beatitudinem prave disponuntur" ( I I I , 3), so spridit daraus mehr als eine formelhafte Wendung. Es spricht daraus die Erbitterung über die mit dem Streit verbundene seelische Not, in die einzelne und ganze Gegenden kamen. Die Exkommunikationspraxis war nicht zimperlich. Freilich, der einseitig spiritualisierte Kirchenbegriff, der die Kirche selbst ohne eine kircheneigene und aus Eigenem schöpfende potestas läßt, zeigt seine offene Schwäche darin, daß es ihm nicht gelingt, jene Durchdringung der Welt anzustreben, wie sie die hierokratische Seite so konsequent angeht. Der Defensor, so könnte man in der Sehweise und der Sprache unserer Zeit sagen, verzichtet auf eine derartige Verchristlichung der Welt. Er läßt sie Welt, weltliche Welt sein. Von hier aus ist eigentlich auch schon eine Vorantwort zu der Frage gegeben, wie sich Kirdie und Staat, universitas fidelium und universitas civium, zueinander korporativ verhalten. Gewirth sagt, daß in einer communitas iam perfecta, also einer christlichen, politischen Kommunität (II, 17, 15) „the universitas fidelium is largely or entirely identical with the universitas civium, the church is identical with the legislator, and consequently the supreme authorities in the churdi and in the State are likewise identical" (I, S. 291). Dieser Identitätsschluß scheitert daran, daß der Defensor den fidelis legislator nie als kirchlichen Vorsteher nimmt, er bleibt immer politischer Repraesentant. Evident wird das an der klaren Unterscheidung des Generalkonzils gegenüber dem fidelis legislator, gerade in der entscheidenden Phase der Erörterung der für die Gesamtkirche geltenden Regeln und Gesetze (vgl. oben). Nur das Generalkonzil erhält die Repraesentanz Christi zugesprochen, des Hauptes: „quod solum represen tat Christum legis eterne latorem vel apostolorum et ipsorum ecclesie congregacionis" ( I I , 28, 21). Die im Konzil anwesende und mit der universitas fidelium, unter der V o r -

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E . Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

aussetzung eines Weltstaates, personal identische universitas civium bringt in die Beschlußfassung und Beschlußdurchsetzung als ihr Eigenes ihre auf die weltliche Gesetzlichkeit zurückreichende Zwangsgewalt mit, die sie nun als gläubige politische Körperschaft für die Kirche einsetzt und einzusetzen hat. So bleiben die beiden höchsten Autoritäten nicht nur ihrer Herkunft, sondern auch ihrer spezifischen Funktion nach unterschieden. Die universitas civium (fidelium) handelt in ihrer auf dem Konzil erscheinenden Zwangsgewalt nicht als Haupt der Kirche, sondern als „communitas iam perfecta" kraft saekularer Kompetenz, die sich mit dem Glauben verbunden weiß. Christus wollte der Kirche als Kirche keine Zwangsgewalt geben, eine Identität von staatlicher und kirchlicher Autorität würde dieses Grundgesetz entscheidend verletzen. Dennoch bleibt natürlich die Problematik des Übergreifens des weltlichen Bereiches in kirchliche Angelegenheiten bestehen. Sie beruht auf der Tatsache, daß Staatsvolk und Kirchenvolk, personal identisch, Kirche und communitas civium bilden. Das heißt, auch bei Marsilius ist das alte Grundschema, die soziati ve Grundstruktur des Gewalten Verhältnisses von regnum/sacerdotium erhalten, wie wir es von der fränkischen Zeit her verfolgt haben: Das Ineinandergehen von „populus" und „populus Dei Christi". Marsilius hat sich über diese Fragen nicht ausgesprochen, er hat sidi darüber auch keine Gedanken gemacht, sicher nicht die Gedanken, die wir uns heute angesichts einer pluralistischen Welt machen. Daher wäre es Uberinterpretation, jetzt noch weiter zu gehen. Sicher bleibt, daß alles, was an Unklarheiten im Verhältnis der Gewalten und der Bereiche stehen bleiben muß, eben auch in diesem Ineinandergehen zweier humaner Situationen begründet ist. •

b) Das regimen christianum in der Sicht Wilhelm Ockhams Wenn es nach Clemens V I . ginge, müßte man Ockham und Marsilius in enger kausaler Relation vom ersten zum zweiten sehen (vgl. S. 517). Aber da die Angabe des Papstes voraussetzt, daß Marsilius bei der Abfassung des Defensor Gelegenheit hatte, Ockham kirchenpolitische Ansichten kennen zu lernen, und da eine solche Verbindung trotz des gesicherten früheren Ansatzes der Geburt Ockhams noch nicht zu erhärten ist, Ockham überdies erst nach seiner Flucht aus Avignon zum Publizisten wird, kann die an sich ideengesdiichtlich äußerst folgenschwere Äußerung nicht verwertet werden®4'. Sie würde auch, wenn sie zuträfe, keineswegs die Gesamtanschauungen treffen, sondern einzelne, freilidi immer noch genügend wichtige Thesen. So die Absetzbarkeit des Papstes durch die weltliche Gewalt, die Vorstellung von der zentralen Stellung des Konzils, die Zusammensetzung des Konzils, den Einbezug der Armutslehre, den Kampf gegen die päpstliche Vollgewalt vor allem „in temporalibus". Dagegen stehen jedoch wieder gewichtige Unterschiede: Ock343

Kölmel: Ockham, S. 49. — Zur Biographie, vgl. Ph. Böhner, The tractatus de successivis, Franciscan Institute Publications, 1, 1944, N e w York, S. 1 ff. Nach dem jetzt früher anzusetzenden Geburtsdatum wäre eine Pariser Bekanntschaft der beiden nidit ausgeschlossen.

IV. Allgewalt der „universitas civium" ; der „principatus respectu liberorum"

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ham erkennt den Primat als göttliche Einsetzung an, wenn er fallweise die Möglichkeit einer aristokratischen Kirchenregierung als diskutabel hält®44. Er kehrt auf die Linie der Zweigewaltenlehre zurück, beläßt es bei dem mit jurisdiktioneller Gewalt versehenen hierarchischen Aufbau der Kirche, operiert mit dem komplexen System wechselseitiger Superiorität von imperium und papatus. Diese Andeutungen zeigen schon, daß Ockham wesentlich differenzierter vorgeht und keineswegs dem massiven und oft einlinigen Durchbruchsdenken des Defensor zuzurechnen ist. In einer Betrachtung über die Thematik des regimen christianum darf ich meine eigene Darstellung Ockhams als hier gegenwärtig annehmen, vor allem da sie in der Kritik an keiner Stelle eine Ablehnung erfuhr, die dazu verpflichten würde, sie in diese Studie eigens zu verarbeiten. Selbst Lagarde, von dem mich doch mehr trennt als nur „quelques nuances", wie er meint, hat soviel Zustimmung gegeben, daß ich hier in Anlehnung an meine Darstellung auf die Punkte zusteuern kann, die für unsere Thematik fruchtbar und relevant sind' 45 . Um mich nicht zu wiederholen, möchte ich meine Interpretation auf jene Aspekte der ockhamschen Thesen konzentrieren, in denen sich Ockhams eigener Beitrag zur Gewaltenlehre und zur Thematik des regimen christianum manifestiert. Es scheinen mir folgende Punkte zu sein: a) Das allgemeine N o r menverständnis, in dem ein dynamischer Wechsel von regulär gesetzten Institutionen und kontingenten Autoritäten zu beobachten ist. Dies verbunden mit einer bestimmten Sicht von absoluter und fallweiser Norm, b) Die Stellung der Vielheit und Ganzheit in einem sozialen Ganzen einschließlich der Kirche, c) Das Verhältnis von Autorität und Freiheit in Kirche und politischer Ordnung, d) Das Ordnungsverständnis als Problem der Christologie. Mit Ockham tritt ein Denker in die Diskussion, dessen Rang von keinem andern Publizisten der Zeit erreicht wird und dessen Einfluß auf Theologie und Philosophie die kirchenpolitischen Thesen seiner Traktate nur noch unterstützen konnte. Das Zitat aus Megenbergs Gegenschrift (vgl. S. 517) vermittelt einen Eindruck seiner Wirkung. Wie der Dichter Dante auf seine Art der Auseinandersetzung literarischen Glanz verleiht, so bringt dieser kritische Geist die ganze Fülle seiner Kenntnisse, die unerschöpfliche Fähigkeit diskursiven Denkens in die Kontroverse mit ein und führt sie mit seiner unbeirrbar bohrenden Frageweise zu jenen gewagten Hypothesen, die seine Schriften zu Fundgruben des Ungewöhnlichen machen. Im Gegensatz zur direkten Denkweise und Diktion des Marsilius geht der Denkstil Ockhams in seinen kirchenpolitischen Schriften gerne den Weg der neutralen, scheinbar unverbindlichen Aussage, am kennzeichnendsten im Dialogus mit seinen endlos anmutenden Erörterungen verschiedenster Möglichkeiten. Aber gerade diese Form der Spekulation verrät mehr als nur eine vielleicht auch aus taktischen Gründen gesu

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Ockham S. 92 ff zu Dialog III, 1, 2; G. de Lagarde interpretiert in der Besprechung meines Buches, Theol. Lit. Zeitung, 89, 1964, Sp. 610, die möglich aristokratische Kirdienführung als „il reste dans la logique de son système". Lagarde, Theol. Lit. Zeit. a . a . O . Sp. 609: „et pourtant nos conclusions positives ne se séparent que par quelques nuances".

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E . Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

wählte Handschrift. Sie entspricht auch der denkerischen Position Ockhams, die kritisch gegenüber der tradierten Schule nach neuen Lösungen sucht und dabei weder spekulative Extremsituationen scheut noch sich auf eine endgültige Linie voreilig festlegen will. In seiner Ordnungslehre bleibt er auch als Gegner der Kurialen und Anhänger Ludwigs nüchtern und pragmatisch genug, er selbst zu bleiben und auf seine Weise die Sache der Armut und das Recht Ludwigs gegen Avignon zu verteidigen. So entsteht eine ekklesiologische und politische Theorie, die in der Vielfalt ihrer Ansätze ein fast verwirrendes Bild bietet, das aber gerade in dieser Vielfalt die ganze Diskussion noch einmal reflektiert und auch Eventualitäten der Lösungen anspricht, die sonst nicht zu Wort kommen. Ockhams Ordnungsvorstellung gründet in gewissen Strukturphänomenen und in tragenden Motivationen in seinen theologisch-philosophischen Thesen, ohne daß man deshalb sagen kann, sie setze diese unmittelbar und geradlinig fort. Von einer planmäßigen Weiterführung der ontologischen, erkenntnistheoretischen Spekulation kann man nicht sprechen, es wäre deshalb schief, seine Staats- und Kirchenlehre als nominalistisch zu bezeichnen. Vielmehr ist das Verhältnis der theologisch-philosophischen Aussage zu seinen kirchenpolitischen Thesen so vielschichtig und komplex, daß man nur in approximativen Gemeinsamkeiten, in Ähnlichkeiten der Motivation eine gesicherte Relation feststellen kann. Er ist auch viel zu sehr traditionell gebunden — das Alte und das Neue in seiner Ordnungslehre wäre ein eigenes Thema, über das ich hoffentlich bald gesondert berichten kann —, als daß man ihn einfach als Neuerer klassifizieren könnte. Wenn man nach einer Formulierung der gemeinsamen Sehweise in der theologisch-philosophisdien und kirchenpolitischen Spekulation sucht, dann kann man im Blick auf „das Hervortreten des konkret Geordneten, der Situation, im Rückgang auf die höchste Rechtsquelle von einem verwandten Stil des Denkens sprechen" 84 '. Ockhams Lehre von Gott, von der Relation Intellekt-Willen, seine Thesen zum modifizierten Naturrecht erweisen, daß in seinem denkerischen Konzept ein zentrales Problem jeweils praesent ist, das Problem der Relation von absolut existenter und kontingenter Norm. „De potentia absoluta" ist Gott schlechthin unabhängig von jeder ihn, räumlich gesehen, äußeren, selbst bestimmenden Bedingung „nam potentia Dei non plus artatur ad istos effectus quam ad illos, neque enim propter scientiam, neque per aeternam ordinationem neque per mutationem ipsius, neque per aliquod quod est idem cum Deo neque per aliquid quod non est Deus"'". Damit ist die Frage nach dem Verhältnis seines Gesetzes zum „bonum quia bonum", wie zum „malum quia malum", zum Guten an sich, zum Schlechten an sich gestellt, deren Beantwortung ihn zeitweilig bis zur Möglichkeit der „de potentia absoluta" widerspruchsfrei denkbaren Anordnung des 346

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Ockham, S. 213 ff; Zitat im T e x t S. 216. — Zum Ganzen vgl. audi meinen Beitrag: Wilh. Ockham — der Mensch zwischen Ordnung u. Freiheit, Miscellanea Mediaevalia, 3, 1964, S. 208 ff. Ockham, Opus nonaginta dierum, ed. Offler, 1963, c. 95, S. 724. — Weiter unten heißt es: „Non magis artabatur Christus ad habendum regnum temporale et dominium universale rerum temporalium, quam ad redimendum genus humanum per suam passionem".

IV. Allgewalt der „universitas avium"; der „principatus respectu liberorum"

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Gotteshasses, im Sinne der absoluten Wirklichkeit des Aktseins, führt 348 . Freilich ist sich Ockham darüber klar, daß die Absolutgewalt ihre Grenzen und inneren Voraussetzungen in Gott selbst hat. Das ist einmal die Bedingung der Widerspruchsfreiheit, die notwendige Hinwendung Gottes zu seiner eigenen Güte und die innergöttliche Relation, oder genauer die reale Einheit der Attribute Gottes, zu denen ja auch die Liebe zählt 34 '. Von hier aus kommt es dann auch zu einer Korrektur der Hypothese des Gotteshasses350. Die Hypothese vom Gotteshaß, Ockhams Deutung der Relation Gottes und der im Sein selbst existenten Gutheit, also der ontologischen Konvergenz von esse und bonum, als der von Gott mitgeteilten Güte, machen kund, daß es ihm in jedem Fall um die absolute Freiheit und Unabhängigkeit Gottes geht, der nicht durch eine Wirklichkeit bestimmt werden kann, die nicht zugleich seinen Willen darstellt. Er versammelt die Verwirklichung des Seienden auf den schmalen Ausschnitt des freien göttlichen Entschlusses. Diese Grundhaltung ist auch im Verhältnis der potentia absoluta zur potentia ordinata festzustellen. Die potentia ordinata, als die faktisch getroffene Entscheidung Gottes, die existente Ordnung der Welt, die wir in ihrem Wirksamwerden in der Zeit als geschichtliche N o r m zu denken haben, sie bindet Gott hinsichtlich dieser von ihm selbst getroffenen Entscheidung aber nicht hinsichtlich seiner Absolutgewalt: „Deus aliqua potest, quae tarnen minime ordinavit se facturum, quae tarnen si faceret, de potentia ordinata faceret ipsa, quia si faceret, ordinaret se facturum ipsa"' 51 . Beide Gewalten sind realiter dabei eins, nur die „locutio est diversa"; das gilt auch für die menschliche Ordnung, in der nur die faktisch getroffene N o r m dem Menschen begegnet, die f ü r ihn unumstößlich gilt. Von dieser Gültigkeit der „de potentia ordinata" getroffenen Anordnung gibt es daher für den Menschen auch keine Ausnahme. Die Relation von potentia absoluta und ordinata wiederholt sich, nicht sachlich identisch, aber denkmotivisch in der Naturrechtslehre' 52 . Sie ist besonders wichtig, da sie bereits mitten hinein in die kirchenpolitische Thematik führt und von Ockham auch entsprechend verwertet wird. Naturrecht ist zusammen mit der lex divina (ius divinum) die unabdingbare Grenze für die plenitudo potestatis, oder wie er es sagt; der Papst besitze keineswegs die Gewalt, alles zu tun, was nicht gegen das ius divinum et naturale verstoße®53. 348

Ockham, S. 7 ff. Ockham, S. 9. S50 y e r f . : Das Naturrecht bei Wilh. Ockham, S. 58 f. — Hochstetter, Viator mundi, FranzStud 32, 1950, S. 16 f. 851 Ockham, Opus nonanginta dierum, c. 95, ed. Offler, S. 726. Die Gewalt als solche ist (S. 725) „unica potentia (est) in Deo, immo ipsa unica potentia est unica essentia". — Und: „non est diversa potentia Dei, sed locutio est diversa"; nach Petrus Lombardus, Sent. I di. 45, c. 5. 552 Verf. Das Naturredht bei Wilh. Ockham, S. 57 ff. 553 Ockham, De imperatorum et pontif. pot., Scholz II, S. 456, c. 2, heißt es zur temporalen Vollgewalt: „Viso quod beatus Petrus nec in temporalibus nec in spiritualibus talem habuit plenitudinem potestatis, quod omnia posset que nec lege divina nec lege nature existunt prohibita". — Ferner: Dialog III, 1, 1, c. 12, Goldast, Monarchia II, S. 783. — Breviloquium II, c. 5; vgl. auch Verf. Ockham, S. 154. 548

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E. Die nicht-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

Auch im Naturrecht stellt sich die Relation von unveränderlicher Norm und Veränderlichkeit. Thomas sieht sie gebunden an die Teilnahme des natürlichen Gesetzes am unveränderlichen Gesetz, darin ruht die naturrechtliche Invariabilität, und an die Ableitung aus dem unveränderlichen Kern gemäß den Bedingungen der veränderlichen geschichtlichen Natur (Sth 1 I I q. 94, 5; 2 I I q. 57, 2), hier ergibt sich die Variabilität, nicht des Kerns, sondern der akzessorischen geschichtlichen Wirklichkeit nach („durch Zutat"; die menschliche Natur zählt, im Gegensatz zu Gott, zum Veränderlichen). Die Lösung des Ockham, in die Duns Skotus einzurechnen ist, ist von dieser Sicht, wie idi gezeigt habe und wie es auch von Verdross inzwischen gewürdigt wurde, nicht so weit entfernt*54. Audi Ockham ist in seiner Teilung des ius naturale in a) das unabänderliche Recht aus den „principia immobilia" (I), b) des Zustandes vor den Sündenfolgen, der freilich wie Gemeineigentum und Gleichheit zeigen, variabel ist (II), und c) des Suppositionsrechtes (III), innerhalb dessen die durch die Sünde eingetretenen Ordnungsfolgen zu berücksichtigen sind, auf die Proportion von Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit gemäß den geschichtlichen Bedingungen bedacht. Die drei Weisen des „ius naturale" bilden dadurch eine Einheit, daß sie auf die regulae generales, das göttlich-natürliche Recht zurückzuführen sind. Die Geschichtlichkeit des Naturrechtes hebt demnach nidit den in Gott invariablen Kern des Naturrechtes auf, aber sie läßt die Bedingungen der durch die Sünde bestimmten Existenz als Realität der Natur in die Gestaltung des Naturredites, in seine Anwendung entsprechend mit einfließen. — Diese Anwendung ist in den konkreten geschichtlichen Verhältnissen, also in Naturrecht I I I , dadurch mit I und I I geeint, daß das „naturale et aequum", die „ratio recta", die „aequitas naturalis" gewahrt sind555. Ein Kriterium hierzu bildet das bonum commune. Auf der Ebene der positiv rechtlichen Satzung und innerhalb dieser Satzungen wiederholt sich demnach nicht die Relation invariabel-variabel, dergestalt, daß es invariable Institutionen etwa gäbe — zum Papsttum siehe unten —, entscheidend bleibt der Rückbezug auf die rational naturale Billigkeit. Dennoch existiert auch innerhalb der menschlichen Rechts- und Institutionsformen keine planlose Zufälligkeit, sondern ein Verhältnis, das, wenn auch nur entfernt, seiner Anlage nach an das Verhältnis von potentia absoluta und ordinata erinnert. Geht man nämlich die Gewaltenlehre durch, so stößt man immer wieder auf das Betonen regulärer und die Anerkennung kasualer Normen. Wir stehen vor der für das Ordnungsverständnis Ockhams wesentlichen Distinktion von: regulariter-casualiter, von Normalstand und Notstand"*. Denkmotivisch würde der Normalstand dem faktischen Zustand der de potentia ordinata geschaffenen Fakten entsprechen, der Sonderfall, der kraft einer Notwendigkeit eintreten kann, der potentia absoluta. Wie gesagt es handelt sidi nicht um eine verhältnisgleiche oder analoge Entsprechung, A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 1963*, S. 85. — Verdross meint, daß nun ein endgültiges Urteil über die Rechtsphilosphie Ockhams noch nicht gefällt werden könne. 355 Verf., Das Naturrecht bei Wilhelm Ockham, S. 71 ff. 3 5 6 Ockham, S. 169, n. 7.

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IV. Allgewalt der „universitas civium"; der „principatus respectu liberorum"

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sondern um ein Denkmotiv, dessen Kriterium darin besteht, daß eine bestehende Norm nicht absolute Gültigkeit besitzt, sondern freier Entscheidung geöffnet bleibt. In der Wirklichkeit Gottes ist das der Fall in der Gott allein vorbehaltenen inneren Polarität der einen potentia als potentia absoluta und ordinata; in der Wirklichkeit des geschaffenen Menschen dagegen in der begrenzten Fähigkeit gegen die reguläre Norm entscheiden zu können. Vorbedingung ist die dem Gemeinwohl und der Vernünftigkeit entsprechende Angemessenheit. So kommt, sowohl gegenüber Dante wie gegenüber dem ekklesiarchen Papalismus in die Gewaltenlehre die Kategorie der dem Menschen übergebenen Freiheit. Und zwar in die Institution selbst, denn der Unterschied regulariter-casualiter ist ja, wie wir sahen, auch der ekklesiarchen Doktrin geläufig. Aber hier dient er zur Kennzeichnung des päpstlichen Eingriffsrechtes in die Temporalien im Sinne der Erst- und Exekutivgewalt. Was hier als funktionaler Modus erscheint, wird bei Ockham zum Kriterium der Institution selbst, und zwar nicht nur hinsichtlich der weltlichen sondern auch der geistlichen Gewalt. So erörtert er im Dialog die Möglichkeit einer aristokratischen Kirchenführung, eine Hypothese, die er allerdings in den wichtigen kleineren Traktaten nicht wieder aufnimmt, so daß idi ihr doch nicht das Gewicht beimessen möchte, das ihr Lagarde gibt357. Was bestehen bleibt, ist jedoch die Tatsache, daß überhaupt in dieser traditionsfreien Weise die Frage aufgeworfen und die bejahende Antwort von der „communis utilitas" her begründet wird; diese wiederum gründe auf der Intention Christi, gut für die Kirche zu sorgen. Was die Weltmonarchie angeht, so gilt eine ähnliche Argumentation. Trotz seiner parteilichen Gebundenheit an die Sache Ludwigs erörtert Ockham nüchtern und gelassen die Vorzüge und Nachteile einer universalen temporalen Führung. Im Unterschied zum Papsttum, das unmittelbarer göttlicher Einsetzung entstamme, sei das Kaisertum von Mensdien eingerichtet, bei einer spiritual-temporalen Dyokephalie bestehe also hier ein tiefgreifender Unterschied. Freilich könne auch das Papsttum, das von Christus „ad semper, sed non pro semper" eingerichtet sei, „ex causa licita" sehr lange Vakanzen kennen, das Gleiche gelte entsprechend für das Imperium358. Das Aussetzen des Kaisertums bleibt aber dennoch von der fallweisen aristokratischen Kirchenregierung eben durch die menschliche Herkunft geschieden. Sie ist fallweise, als menschliche Institution gegen andere Formen auswechselbar, während über dem Papsttum die Anordnung Christi selbst steht. Diese Bedingung sollte nicht übersehen werden. Ockham kann sich, wie aus mehreren Stellen hervorgeht, nicht für eine unbedingte Geltung der Universalmonarchie im Stile Dantes oder der deutschen Imperialisten entscheiden. Sie ist regulariter vernünftig und vorzuziehen und entspricht darin auch dem naturalen Suppositionsrecht (ius naturale III). 357

S58

Ockham, S. 92 f, these aura trop marginale". Die Odtham, Dialog S. 93.

S. 189. — Lagarde, Theol. Lit. Zeitung (vgl. Anm. 344), Sp. 610: „Cette d'^cho au moment du grand schisme, pour qu'om puisse la tenir pour These ist entwickelt in Dialog III, 1, 2, c. 20 ff. III, 2, 2, c. 8; Ockham, S. 101. — Dazu Dialog III, 1, 2, c. 30; Ockham,

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E. Die nidit-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

Die Erklärungen des Aristoteles seien für civitates (also für poleis) bestimmt, sie müßten jedoch nicht für die ganze Welt und jeden ihrer Teile gelten359. Das hört sich anders an als selbst Marsilius und verrät einen ausgesprochenen universal-partikularen Pragmatismus. Unter dem Bild des leidenschaftlichen Einsatzes für den regierenden Kaiser tritt so in der spekulativen Orientierung ein dynamisch bewegtes, von der Vernunft und Billigkeit gelenktes System der Herrschaft heraus, unterstützt von einer kühl distanzierten Haltung, die herkunftsmäßig bedingt sein mag und den Engländer markiert, die aber doch auch tiefer auf das Ordnungsdenken Ockhams überhaupt verweist. Er will das politische Gefüge nicht einem starren Doktrinarismus überantworten, wie er auch sonst, trotz aller promonarchischen Gründe, auch die kasuale Gültigkeit einer aristokratischen Regierungsform anerkennt' 90 . Daher ist das eindeutige Bekenntnis Ockhams in seiner Spätschrift (Breviloquium de principatu tyrannico) zur Universalmonarchie immer auch an den früheren Äußerungen zu messen. Wenn es zudem hier heißt, daß das Römerreich gegen den Willen der Untertanen nicht aufgelöst werden könne, dann ist implizit der geschichtliche Bestand des Imperium eben dem Willen des Volkes übergeben, von dem her es ja auch einst gegründet wurde" 1 . Die populistische Begründung des Römerreiches führt auf ein zweites Kennzeichen ockhamschen Ordnungsdenkens, die Rolle nämlich, die er der Vielheit und Ganzheit selbst zuweist. Was sich im bonum commune ontologisch und politisch als Seinsgut und Gemeinschaftsgut manifestiert, ist immer auch personal als die „multitudo", die „universitas" existent. Am Bild der Kirche kann man diesen Zug eindrucksvoll verfolgen. Nur die Gesamtkirche ist irrtumsfrei, diese Gesamtkirche ist die Ganzheit, sie kann aber zugleich im Einzelnen existent sein. Das wird bei der Glaubenssicherung deutlich. Die Wahrheit des Glaubens ist in keiner Institution amtsmäßig garantiert, Papst und Konzil können irren. Die Irrtumsfähigkeit des Konzils zeigt die repraesentative Wertigkeit dieser Vertretung an'". Obwohl es die Gesamtkirche vertritt, bleibt es in seiner Glaubensautorität doch nur eine „multitudo", denn im äußersten Notfall kann es sein, daß der wahre Glauben in einem einzelnen Gläubigen bewahrt sein kann (so Maria unter dem Kreuze)*". Der Satz, daß die ganze Kirche nidit irren kann, ist in diesem Falle in einem Einzelnen bewahrheitet, er verwaltet jetzt das der Ganzheit anvertraute depositum fidei. Die Glaubenssidierung hat sich auf den schmälsten personalen Raum verengt. Universitas fidelium und Vertretung dieser so gearteten Glaubensgemeinschaft sind jederzeit auf diese personale Potenz verwiesen. Von der Glaubenssidierung her gesehen ist die Struktur der Kirche zugleich universalistisch (in der Bedeutung des Konzils) und individual-personalistisdi. Das Konzil hat eine höhere Autorität als der Papst, es kann ihn richten, es kann jedoch im Extrem, was die Bewahrung des Glaubens angeht, weniger bedeu359 360 361 362 363

Dialog III, 1, 2, c. 30; Ockham, S. 93. Dialog III, 1, 2, c. 19; Ockham, S. 91. Breviloquium IV, c. 12/13; Dialog III, 2, 1, c. 27; Ockham, S. 105. Ockham, S. 168. Dialog I, 2, c. 25; I, 5, c. 32; Ockham, S. 70, 74.

IV. Allgewalt der „universitas civium"; der „principatus respectu liberorum"

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ten als diejenigen, die im Glauben stehen, oder derjenige, der den Glauben bewahrt. Die Glaubenssicherung in der Kirche besitzt kein direktes Pendant in der politischen Willensbildung, jedoch zeigt das in den weltlichen Raum übergreifende Widerstandsrecht die Rolle, die der Gesamtheit oder einer das Recht vertretenden Vielheit zukommt. Das einfache Volk ist zum Kampf gegen den haeretischen Papst und seine möglichen geistlichen und weltlichen Helfer verpflichtet. Wenn der zuständige weltliche Herr wider sein eigenes Vermögen nicht handle, dann müsse das Volk eingreifen. Es habe zwar seine Rechte auf den Herrn übertragen, die „iurisdictio in favorem fidei" könne es dennoch, bei Versagen der Verantwortlichen, nicht aufgeben 364 . Mit dieser kühnen Argumentation setzt Ockham der weltlichen Herrschaft von der Existenz des Glaubens her sehr bestimmte Grenzen und macht deutlich, daß die ursprüngliche Gewaltenübertragung nicht als totale Vergabe aller Rechte der vergebenden Gemeinschaft zu verstehen sei. Freilich betrifft das Reservat in diesem Fall die „iurisdictio in favorem fidei", das Heilsmerkmal der im Glauben geeinten Gemeinschaft, die politische Reditssphäre ist als solche noch nicht anvisiert. Dennoch konnte sich der Übergang in diesen Bereich leicht ergeben, wenn einmal explizit und in vollem Bewußtsein auch dieser Bereich angesprochen war. Jedenfalls bereitet das Betonen der „iura et libertates" (vgl. unten) hierfür eher den Boden, als es zunächst den Anschein hat. Mit der Übertragung der Gewalt (lex regia) ist das Stichwort für die Rechte des Volkes bei der Einsetzung des Herrschers gefallen. Ockham vertritt unmißverständlich den Vorrang des Wahlrechtes als Grundlage der Gewaltenkonstitution, sowohl in Kirche wie im Staate. In der Kirche wird dies deutlich vor allem bei der Behandlung des Wahlrechtes der Römer. Nach dem naturalen Suppositionsrecht (III) steht dem Römer die Papstwahl zu, denn einem Untertanen darf wider Willen niemand vorgesetzt werden 385 . So wird naturales Recht in der Heilsgemeinschaft selbst zum Einsatz gebracht, ein Zusammentreffen zweier Ordnungsbereiche, das bereits ein wichtiges Kriterium der ockhamschen Ordnungslehre und ihrer Dynamik ausweist: die Verbindung natürlicher und übernatürlicher Ordnung, jetzt zugunsten des „populus fidelis", nicht mehr zugunsten der papalen Jurisdiktion. — Die saekulare Herleitung der Gewalt von den „homines" bringt zugleich eine in dieser Ausführlichkeit singulare Interpretation des Verhältnisses der göttlichen und menschlichen Aktion in der Konstitution der Herrschaft31". Detaillierter als Jakob von Viterbo und Dante geht er vor allem in den Octo quaestiones diesem Problem nach und unterscheidet den übertragenden Akt und die dauernde Inhaberschaft367. Die Übertragung erfolgt gemäß der von Gott den 364 365 389

367

Ockham, S. 83 f. Dialog III, 2, 3, c. 6 ff; Ockham, S. 115. Dialog III, 2, 1, c. 26 ff; Octo quaestiones II; Breviloquium IV. — Dazu Ockham, S. 105, 132, 152 f ; 202 ff. und: H J 48, 1966, S. 332 ff. Jakob, De regimine dirist. II, c. 7 — vgl. Teil II, Anm. 130. Dante Monardiia III c. 16 geht nur kurz auf die Frage nach dem Verhältnis des menschlichen Wahlaktes zur Gründung der Gewalt von Gott her ein. Die „electores" sind ihm „potius denuntiatores divine providentie sunt habendi". Ockham geht sowohl im Dialog (vgl. Anm. 366), wie v o r allem

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Menschen anvertrauten „potestas instituendi rectorem" durch die Menschen. Nach der Übertragung erkennt der Herrscher Gott als seinen einzigen Vorgesetzten, wie er auch alle in seinem Amt enthaltenen Eigentumstitel und Souveränitätsrechte eben diesem von Gott durch seine Wähler eingerichteten Amte zuschrieb®69. Ockham sucht hier der Ableitung der herrscherlichen Gewalt von Gott gerecht zu werden, wie auch das ursprüngliche Recht der „homines" gewahrt sein soll. Er verlegt die Mitwirkung der Menschen in den konstituierenden Akt, die ihm zugrunde liegende, ihn begleitende und ihm folgende Legitimität geht letzten Endes auf Gott selbst zurück. Im geschichtlichen Ablauf ist es dann zu anderen Formen der Installierung des Herrschers gekommen, aber auch in einer Zeit sich ausbildender oder bereits etablierter Erbfolge ist Ockham keineswegs geneigt, nur diesem Prinzip das Wort zu reden. Nach dem Grundsatz des regulariter-casualiter überläßt er es den Bedingungen, die in der Konstitution und der Zweckbestimmung überhaupt gegeben sind: dem Gemeinwohl und der Garantie der Freiheit. Mit Freiheit ist wieder ein Leitwort genannt, das nun in den Kern der ockhamschen Konzeption überhaupt führt. Die Grundzüge dieser Konzeption, die hier nicht in Einzelheiten ausgebreitet werden kann, sind bereits in der absoluten Freiheit Gottes selbst in einer gewissen Ähnlichkeit der Denkmotivik greifbar geworden (S. 536 f), sie sind im endlichen Bereich gegeben in der Ökonomie der Normen, die wiederum auf der Ökonomie des Seins gründet und die im dynamischen Wechselverhältnis von regulär und kasual ihr funktionales Pendant besitzt. Die Normenökonomie beschränkt die vorgegebene Ordnung auf das unbedingt Notwendige, wobei zu unterscheiden ist zwischen der unabdingbaren Ordnung und dem communis cursus jener Normen, die fallweise zu ändern sind. Die Ökonomie gilt vor allem dem unbedingt Gültigen, so daß man eine besondere Ökonomie dieser Normen abgrenzen muß. In der Kirche gehört hierzu das Gebot des Herrn, wobei in Konfliktsituationen die „intentio" Christi das entscheidende Kriterium des Verhaltens ergibt; dann das in der Hl. Schrift geoffenbarte Glaubensgut, das der Gesamtkirche zur Auslegung übergeben ist, sdiließlidi die von Christus der Kirche gegebene Ordnung. Diese ist markiert durch die Absicht, die Gläubigen nicht unnötig zu belasten: „religio Christiana paucis sacramentis et sacramentalibus seu ceremonialibus ex institutione subiicitur", so daß der unabdingbare Kern aller evangelischen Norm auf den freien Heilswillen des Herrn sich sammelt3"". — Auf der Ebene der von der potestas temporalis zu verwaltenden res temporales sammelt die Normenökonomie den Blick auf das natürliche Gesetz, in dem zugleich das göttliche Gesetz sichtbar wird. Im natürlichen Gesetz ergibt sich als sozusagen innerer Kernbereich das mit der „recta ratio", der „aequitas naturalis", dem „aequum et naturale" Übereinstimmende, konkret vor allem existent im „bonum commune" und in den individualen „iura et libertates". Mit bonum commune und den iura et

»68 S89

in den Octo quaestiones II, c. 5, und im Breviloquium auf die Relation: menschlicher Wahlakt (oder überhaupt menschliche Mitwirkung) und Gewalt ein. Vgl. Ockham, S. 131 f. Ockham, S. 202 f; S. 131 f. Dialog III, 1, 1, c. 7; Goldast Monardiia II, S. 779 f. — Ockham, S. 178.

IV. Allgewalt der „universitas civium"; der „principatus respectu liberorum"

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libertates ist freilich ein weites Spannungsfeld genannt, das einerseits im allgemeinen Wohl eine Norm hat, die dem Herrscher erlaubt, als universaler Herr im Notfall alles an sich zu nehmen, und dieses universale Recht ist ihm auch vom Volke übertragen, so daß der allgemeine Wille des Volkes auf das Allgemeinwohl hin zur obersten Norm wird870. Andrerseits erhebt sich in den partikulären und individualen Rechten und Freiheiten jene stürmisch andrängende Welt des Zeitalters „ständischer" Freiheiten und individualer Selbstbehauptung. In diesem Spannungsraum auf die „recta ratio", den natürlichen Ausgleich hin gewinnen die Epikie als erkennendes Prinzip und die „necessitas" der Situation eine eigene Bedeutung*71. Sie stellen einen Bereich dar, in dem der Mensch jeweils im Rückgang auf den wahren Sinn aller Ordnung handeln muß. So wird im Ordnungsdenken Ockhams jener Grundzug sichtbar, der es so unverwechselbar kennzeichnet. Mögliches Einschränken der Gesetzlichkeit auf ihren unabdingbaren Kern und Klarwerdenlassen des Raumes, in dem der Mensch selbst zur verantwortenden Entscheidung aufgerufen ist. Darin weitet sich das Feld der Selbstentscheidung genau auf jene Realität hin, die im Phänomen der Freiheit praesent wird. In den „iura et libertates", die Ockham so eindringlich betont, werden diese inneren Voraussetzungen des Ordnungsdenkens konkretes kirchenpolitisdies Programm. Die Freiheit erscheint auf der saekularen Ebene als Eigenstand des Einzelnen und der Gruppe, von Ockham in einer späteren Umschreibung bestimmt: „quod ad illa iura et libertates spectant omnia iura et libertates infidelium, quibus ante incarnationem Christi et post licite et iuste gaudebant"372. Das ist gegen die Kurialen gesagt und beschreibt die Situation des Christen in Kirche und Welt, denn ebendiese Rechte und Freiheiten „a fidelibus ipsis invitis tolli non debent" Ockham beschreibt sie, in Relation zur weltlichen Obrigkeit, nicht detailliert, er fügt nur — wieder an die Kurie adressiert — hinzu, daß „ad iura et libertates specialiter laycorum pertinent omnia illa, que ad dispositionem temporalium et negotiorum secularium requiruntur" 373 . In einer zweiten Erklärung werden sie normativ bestimmt als „omnia illa, que nec bonis moribus nec hiis que in novo testamento docentur, inveniuntur adversa, ut ab huiusmodi nullus christianus sine culpa et absque causa rationabili et manifesta per papam valeat coherceri, nisi ad abstinendum ab aliquo tali per votum, promissionem vel alium quemvis modum sponte obligaverit semetipsum et per alium superiorem suum, cui debeat obedire, astringatur; et hec est libertas evangelice legis, que in sacris litteris commendatur"374. Die natürliche Selbständigkeit, wie sie die iura et libertates zeigen, besitzt ihre Existenz in der Heilsordnung, sie prägt auch das Bild der weltlichen Obrigkeit 3 ". 370 371 372 373 374 375

Ockham, S. 110, zu: Dialog III, 2, 1, c. 25. — und: S. 207. Ockham, S. 103, zu Dialog III, 2, 1, c. 16 f. De imperatorum et pontif. pot. c. 9, Scholz II, S. 465. — Ebda, auch zum Folgenden. De imperatorum et pontif. pot. c. 9, Scholz II, S. 465. De imperatorum et pontif. pot. c. 9, Scholz II, S. 466. In meinem Beitrag: Die Freiheit des Menschen bei Wilh. Ockham, Festsdirift Lessing-

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

Im Dialog entwirft Ockham zuerst jene Konzeption des Herrschers, die bis in die Spätschriften (De imperatorum et pontificum potestate, De principati! tyrannico) seine Darstellung profiliert878. Er unterscheidet den dominus respectu subiectorum liberorum von dem dominus respectu servorum'77. Der erste handelt „propter utilitatem subditorum" also des Gemeinwohls wegen, der zweite „propter utilitatem propriam", er verkörpert die despotische Herrschaft. Herrschaft über Freie, das ist gemäßigtes und in sich rechtes Regiment (principatus temperatus et rectus), auch regalis principatus genannt, sie ist „principatus paternus, quo filiis tamquam liberis principatur, quibus secundum Aristotelem regaliter et non despotice principatur" 378 . Auch wenn dieser Herr im Notstand ein „quodammodo dominus omnium (temporalium)" wird, so ist er dodi auch hier durch natürliches und göttliches Recht eingegrenzt und darf nur um des bonum commune wegen handeln'78. Der „regalis principatus" darf die Untertanen nicht zum eigenen Nutzen gebrauchen „et ideo sibi non sunt servi, sed naturali liberiate gaudent"390. Denn zur natürlichen Freiheit gehört, daß keiner die Freien zum Nutzen des Gebrauchenden gebraucht; dagegen steht es nicht gegen die Freiheit „ut quis rationabiliter utatur liberis ad bonum commune, cum quilibet teneatur bonum commune praeferre privato (bono)"381. Auch diese Darstellung des principatus temperatus et rectus erscheint im Zusammenhang einer kirchlichen Thematik (monarchische oder aristokratische Regierung der Kirche?), wie ja die saekulare Problematik bei Ockham immer in dieser kontroversen Situation auftritt, dennoch gilt sie über diese Umgebung hinaus auch für das Verständnis der potestas temporalis selbst. Bei der Besprechung der kaiserlichen Vollgewalt, die zugleich Ockhams Antwort auf den aufkommenden souveränen Staat enthält, gesteht Ockham dem Herrscher eine „plenitudo potestatis" zu388; die reinste Königsherrschaft

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Gymnasium Mannheim, 1952, und: Wilh. Ockham — der Mensch zwisdien Ordnung und Freiheit, Miscellanea Med. 3, S. 220 f, habe idi auf diesen Zusammenhang verwiesen. Dialog III, 2, 1 c. 14 ff, Goldast Monarchia II, S. 883 fi. — Ockham S. 102 f; De impt. et pont. pot. Scholz II, c. 6, 7, S. 460 ff. — Breviloquium II, c. 17. — Ockham S. 152 f. Dialog III, 1, 2 c. 6; De imp. et pont. pot., Scholz II, S. 462. Dialog III, 1, 2 c. 6; Goldast Monarchia II, S. 793. Z. 56 ff. Dialog III, 2, 2, c. 23. — III, 1, 2, c. 6; Goldast II S. 794: Principatus autem regalis est propter bonum commune . . et tarnen rex talis est quodammodo Dominus omnium, sed aliter quam in principatu despotico . . principatus in principatu regali ist nur des bonum commune wegen da. Dialog III, 1, 2, c 6; Goldast Monarchia II, S. 794, 36 ff. Dialog III, 1, 2, c. 6; Goldast Monarchia II, S. 794. Fortsetzung des Zitates in Anm. 379: „principatus in principatu regali praedicto non potest uti subiectis et bonis eorum qualitercunque sibi placet propter bonum proprium (das vermag der principatus despoticus, sofern es nidit um göttliches und natürliches Recht geht), et ideo sibi non sunt servi, sed naturali libertate gaudent, quia ad naturalem libertatem spectat, ut nullis possit uti liberis propter utilitatem utentis, sed non est contra naturalem libertatem, ut quis rationabiliter utatur liberis ad bonum commune, cumque quilibet teneatur bonum commune praeferre privato". Dialog III, 1, 2, c. 6; Goldast Monarchia II, S. 794: „sed potissimus ipsius modus videtur (der monarchia als eine Form der Politia temperata et recta) quando aliquis regnat et principatur in regno non secundum legem sed voluntatem suam. Quod quidam sic in-

IV. Allgewalt der „universitas civium"; der „principatus respectu liberorum"

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sei die, wenn der Monarch, wie es schon in der Antike heißt (Aristoteles, Politik III, c. 16; 1287 a), „secundum voluntatem suam" herrsche58®. Ockham bejaht darin die von Aristoteles gemeinte Identität von herrscherlichem Willen und Gesetz, aber beide müssen für ihn, um des Rechtes wegen, auf das Gemeinwohl hingeordnet sein, für beide gilt das Naturrecht als Grenze, beiden bleibt die Freiheit der Untertanen eine unabdingbare, ideale Voraussetzung384. Das heißt, der wahre Herrscher, im Sinne des principatus regalis, vermag gegenüber den ihm Untertanen Freien nur das, was dem Gemeinwohl dient, anders würden diese alle seine Sklaven'8®. In den Octo quaestiones (I, c. 12), im Brevilog (II, c. 17: libertates ad Deo et a natura concesse mortalibus excipi debent), im Traktat über die kaiserliche und päpstliche Gewalt wird diese Auffassung bestätigt und bekräftigt®8". Dabei ist sich Ockham über den Kontrast von Ideal und Wirklichkeit klar, die geschichtliche Herrschaftswirklichkeit deckt sich nicht mit dieser Konzeption. „Veras enim principatus pure regalis, qui est respectu liberorum, non servorum, inter gentes extitit institutus, sed mixtus fuit cum dominativo seu dispositivo principatu, sicud etiam principatus regalis institutus a Deo aliquid habuit de principatu dominativo"®87. Dieses Urteil fällt, nachdem Ockham schon zuvor festgestellt hatte, daß wohl nie in der Geschichte im weltlichen Bereich, weder von Gott noch von den Menschen die edelste Form des principatus regalis eingerichtet wurde®88. Dagegen gleicht — und das wirkt zunächst bei einem so

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telligunt. Ille dicitur principari et regnare secundum voluntatem suam et non secundum legem, qui regnat propter commune bonum omnium et nullis legibus humanis pure positivis vel consuetudinibus alligatur, sed est supra omnes huiusmodi leges, licet legibus naturalibus astringatur. (Daher braucht er keine Eide zu leisten) licet expediens sit ipsum iurare, quod leges naturales pro utilitate communi servabit et quod in omnibus quae spectant ad principatum assumptum commune bonum intendet non privatum. Talis rex potest dici habere plenitudinem potestatits respectu sicilicet eorum, quae bonum commune respiciunt non privatum. Das ist das Ideal des Herrschers als „nomos empsydios" als lex animata. Vgl. hierzu auch G. Post, Studies in Medieval legal thought, S. 303. — Ferner v. d. Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates S. 327 f. Vgl. das aufschlußreiche Zitat Anm. 381 und 382. Gemeinwohl und Freiheit im Sinne der natürlichen Freiheit widersprechen sich nicht. Intention auf das Gemeinwohl gehört in gewissem Sinn auch zur Freiheit. Dialog III, 2, 2, c. 27 (c. 26); Ockham S. 110 f. Octo quaestiones I, c. 12; Ockham S. 128. — Breviloquium c. 17 bezieht siA zwar auf die päpstliche plenitudo potestatis, entspricht jedodi in der Forderung, daß die Freiheiten der Untertanen auch Maßstab für den wahren principatus regalis seien, dem in: De imp. et pont. pot. c. 7, Sdiolz II, S. 462 geschilderten Ideal des verus principatus regalis: vgl. Anm. 387. De imp. et pont. pot. c. 7, Scholz II, S. 462. — Bei den Juden wurden die Untertanen „in multis facti fuerunt servi regis, quem petebant a Deo, propter hoc quod mala intentione talem regem petebant, quia Deo non placuit, quod talem principem postularent". — Vgl. Ockham S. 208 ff. De imp. et pont. pot. c. 6, Scholz II, S. 460: „Christus übertrug dem Papst die Sorge für die Gläubigen. Dieser solle darin „iuxta predicta sine culpa et absque causa rationabili et manifesta iura, libertates et res sibi subiectorum, in quantum valeat ab eis suas necessitates exigere, relinquitur, quod principatus papalis institutus est propter utilitatem subiectorum et non propter utilitatem propriam vel honorem et per consequens non domi-

35 Kölmel

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E. Die nicht-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

engagierten Gegner der hierokratischen Thesen zunächst überraschend — der principatus papalis der Intention seines Stifters nach am meisten der reinsten Form königlicher Herrschaft 88 '. Das bedeutet aber, daß hier nun tatsächlich als konkretes geschichtliches Faktum eine Institution vorhanden ist, die ihrer Stiftung nach ganz dem Ideal eines „regimen" entspricht, denn sie wurde eingesetzt allein: „propter utilitatem et commodum subditorum". Der merkwürdige Satz lautet: „In quo (als ministrativer Prinzipat propter utilitatem subiectorum) . . . maxime assimilatur (principatus papalis) plus quam alius principatus secularis institutus de facto, nobilissimo modo principatus regalis, qui forsitan numquam nec a Deo nec ab hominibus fuit super homines institutus, et in quo superat dignitate omnes alios principatus"" 0 . Das ist ein Bekenntnis. Wenn man die vielen Angriffe Ockhams gegen Avignon, die gerade in diesem Traktat kurze Zeit später sidi zu einem Furioso steigern werden, bedenkt, seine unermüdlichen Versudie, das wahre Bild seiner Kirche, ihrer Hierarchie, des evangelischen Gesetzes und der evangelischen Freiheit herauszuarbeiten, dann ist an einer solchen Stelle greifbar, wo die innersten Formkräfte seines Ordnungsdenkens beheimatet sind und woher sie ausstrahlen. Sie sind beheimatet in jenem Ordnungswillen Gottes, der in der Schöpfung und in der Erlösung auf den Menschen zukommt und der besagt, daß der Mensch im Rahmen der recta ratio und der lex evangelica er selbst sein soll, daß die Ordnung, die er sich setzt, auf diese Freiheit gründet. Freiheit ist selbst ein tragendes Element der Ordnung, audi aller herrschaftlichen Ordnung geworden591. Für das Papsttum bedeutet das, daß es, nun gegen die Ekklesiarchen gesagt, eben nicht ein „principatus dominativus" sein soll. Nach dem Willen des Herrn ist es ministrativer Liebesprinzipat. Es soll sich nur auf das erstrecken, was zum Heile erforderlich ist: „quantum est ex ordinatione Christi, tantum ad illa se extendat, que necessaria sunt ad salutem animarum et ad regimen et gubernationem fidelium, salvis iuribus et libertatibus aliorum". Luk. 22, 25 ff mit dem Gegenbild der „reges gentium", die „dominantur et qui potestatem habent super eos, benefici vocantur", und nativus, sed ministrativus est digne vocandus". Das entspricht dem Ideal der Intention auf das bonum commune, in dem die politia temperata gekennzeichnet ist. Ockham fährt fort: „In quo, sicut post dicetur, maxime assimilatur, plus quam alius principatus secularis institutus de facto (vgl. hierzu Zitat zu Anm. 387), nobilissimo modo principatus regalis, qui forsitan numquam nec a D e o nec ab hominibus fuit super homines institutus, et in quo superat dignitate omnes alios principatus". 389 Yg[ Anm. 388. Die Ansicht Ockhams, daß wohl die vornehmste Form des principatus regalis, die also „respectu liberorum" ganz dem bonum commune sich widmet, nie, weder von Gott noch von den Menschen im saekularen Bereich eingerichtet wurde, gibt den Blick frei für die geschichtliche Sicht Ockhams. Er ist entfernt sowohl von der negativtypischen Betrachtung der Herrschaftsgeschichte im Stile Gregors VII., noch verfällt er einem rein machtpolitischen Ideal. Weltliche Herrschaft ist der konkreten Existenz nach immer eine Mischung aus dem ideal reinen principatus regalis und dem principatus dominativus, der aus den Untertanen Unfreie macht. Das reine Ideal der Freiheit würde damit unter dem päpstlichen Liebesprinzipat der Kirche selbst, nach dem Willen des Stifters gehören. 390 391

De imp. et pont. pot. c. 7, Scholz II, S. 460. vgl. Anm. 388. — vgl. Ockham, S. 209 ff. Vgl. Ockham S. 180 f.

IV. Allgewalt der „universitas civium"; der „principatus respectu liberorum"

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dem Bild des „maior", der ein „minor", des „precessor", der „ministrat", ist ihm der biblische Erweis®". Ein Zweifaches ergibt sich hieraus. Ockham spricht klar von einem „regimen" und einer „gubernatio". Ausdrücklich wendet er sich, nachdem er sich bereits im Dialog von Marsilius distanziert hatte, gegen jene „aliqui male intelligentes", die meinen, Christus habe seinen Aposteln jeden Prinzipat und jede Vorsteherschaft (prelatio) untersagt. Das zielt zugleich gegen die Ubertreibungen der spiritualistisdien Geisteshierardiie. Für Ockham war Christus „verus prelatus et super ipsos (apostolos) etiam in quantum homo veram habens prelationem, et quod aliquis poterat inter eos esse primus licite sicud ex verbis que recitant Matthaeus et Marcus datur intelligi" s,sa . Was nicht mit diesem Prinzipat verbunden ist, das ist eine reguläre prelatio temporalis, aber auch nicht eine geistliche plenitudo potestatis. Wenn Christus diese dem Papst gegeben hätte, dann könnte er sdiwerere und mehr Lasten auferlegen als sie das Alte Testament kannte. Dann wäre „lex evangelica maioris (esset) servitutis quam Mosayca". Daher setzte Christus dem Petrus ganz bestimmte Grenzen. Diese sind einmal dadurch gekennzeichnet, daß der Papst keineswegs einen Prinzipat innehat, der sich „regulariter ad temporalia" erstreckt. Sein Prinzipat erstreckt sich ferner nicht auf den Bereich der „supererogatoria", auf das, was nur als asketischer Rat gilt, denn das Gesetz, in das der Papst mitsamt den Gläubigen gebunden ist, ist die „lex perfecte libertatis""8. Ihr Wesen besteht darin, daß in der übernatürlichen Ordnung der Kirche nur wenige Sakramente und Sakramentalien, bzw. zeremonielle Vorschriften das religiöse Leben (religio Christiana) lenken (vgl. S. 542). In der natürlichen weltlichen Ordnung läßt die evangelische Freiheit die Rechte für sich be392

SM

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Ockham, De imp. et pont. pot. c. 7, Scholz II, S. 461 zu Lukas 22, 25—27. — S. 462 zur geistlichen Vorsteherschaft: „vos non debetis, sicut reges gentibus dominari vobis subiectis, tanquam servis, quia debetis eos tractare tamquam liberos non ut servos, idest non debetis eis principari propter utilitatem vestram temporalem vel gloriam, sed propter utilitatem ipsorum, ut vere a serviendo et ministrando, id est procurando utilitatem vobis subiectorum, vere servi et ministri dici valeatis eorum et vester principatus non dominativus, sed ministrativus debeat nucupari". — Er ist, wie es S. 464 heißt, „si et qui principes sunt spirituales prelati, principatus eorum in dilectione debet esse positus, non in timore. Id est prelati niti debent diligi a sibi subiectis, procurando utilitatem ipsorum, non timeri, tollendo iura, libertates et res eorum, nisi in quantum pro suis necessitatibus indigent rebus eorundem, ut sie aeeipere res eorum necessitatis sit, sed servire spiritualiter ipsis sit voluntatis. De imp. et pont. pot. c. 7, Scholz II, S. 461 f und zum Folgenden. De imp. et pont. pot. c. 9, Scholz II, S. 465: Die Gläubigen dürfen gegenüber den Ungläubigen nicht in einer schlechteren Lage sein „propter hoc, quod legi perfecte libertatis, scilicet evangelice, sunt subiecti". — Vgl. Ockham, An rex Angliae, Scholz II, S. 434: „Lex enim christiana ex institutione Christi est lex libertatis, ita quod per ordinationem Christi non est maioris nec tante servitutis, quante fuit lex vetus" . . . „Beatus enim Jacobus in canonica sua (1, 5) vocat eam legem perfecte libertatis". — Breviloquium II, c. 17: „Hec est enim libertatis evangelice legis, quod observatoribus eius sine culpa eorum extra articulum urgentis necessitatis et manifeste utilitatis, ipsis invitis, nichil preeipue grave, quod supererogationis est, vel non est de iure naturali nec de iure divino expresso, potest imponi virtute eiusdem legis". — Contra Benedictum (c. 4), S. 275: „lex Christiana est lex libertatis".

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E. Die nidit-ekklesiarche und die regal-imperiale Doktrin

stehen, die auch den Ungläubigen zu eigen sind: „cum fideles non debeant nec debuerint esse deterioris conditionis quam infideles, sive fuerit ante sive post incarnationem Christi propter hoc, quod legi perfecte libertatis, scilicet evangelice sunt subiecti" (vgl. S. 543) 3 ". Also die den Laien zustehenden temporalen Befugnisse. Der ministrative Prinzipat stellt so die Temporalien für sich und beläßt sie in ihrer Eigenständigkeit, in diesem Belassen bewahrt er in besonderer Weise auch die Rechte der Laien. Dieses Belassen muß nicht nur eine passive Haltung bedeuten; indem das regimen spirituale so wesenhafl auf die lex perfectae libertatis hin installiert ist, läßt sie es zumindest offen, daß sie die weltliche Eigenständigkeit durch ihren Dienst erst recht unterstützt und zu sich selbst bringt. Der päpstliche Prinzipat will nicht, wie es mit einer viel benutzten Wendung heißt, die „iura et libertates" der Kaiser, Könige, Fürsten und anderer Laien beseitigen oder verwirren, im Gegenteil, da er zur Sorge für die ihm Untergebenen verpflichtet ist, ist es ja sein Wesen „propter utilitatem et commodum subiectorum" dienend dazusein. Das ist der principatus ministrativus, der demnach auch von sich zu sagen hat, daß er „in dilectione debet esse positus, non in timore... procurando utilitatem ipsorum, non timeri tollendo ipsa libertates et res eorum, nisi in quantum pro suis necessitatibus (prelati spirituales) indigent rebus eorundem, ut sie aeeipere res eorum necessitas sit, sed servire spiritualiter ipsis sit voluntas"" 5 . Der principatus papalis wird zum ministrativen Liebesprinzipat. Ockham ist sidi klar darüber, daß dieser Liebesprinzipat sich nicht in eine weltflüchtige, spiritualistische Diakonie auflösen kann. Er ist nüchtern genug, der „prelatio" des Papstes sowohl in der Kirche wie gegenüber der Welt jurisdiktioneile Befugnisse zuzugestehen, freilich unter Ablehnung der plenitudo potestatis und mit dem Pendant, daß auch die weltliche Seite, vorab der Kaiser, handfeste Rechte zugewiesen erhält. Der mögliche Eingriff des Papstes in die Temporalien ist bereits angedeutet in der Formel, daß er nicht „regulariter" hier tätig werden könne, daß die „iura et libertates" der Laien „regulariter" ausgenommen seien"*. Dagegen vermag er „casualiter, 394 595

896

De imp. et pont. pot. c. 9, Scholz II, S. 465. vgl. Anm. 393. De imp. et pont. pot. c. 7, Scholz II, S. 464. — Ockham, S. 192 ff zum ministrativen Prinzipat. — Der Gegensatz zum dominativen saekularen Prinzipat wird zuweilen sehr scharf in der Gegenzeichnung der weltlichen Ordnung herausgekehrt. So in Contra Benedictum, w o es (c. 4), Offler S. 275 nadi der Kennzeichnung der lex libertatis der christlichen Ordnung heißt: „Ergo non omnes Christiani per legem Christianam Sunt servi papae; quare papa ex ordinatione Christi non habet in temporalibus omnem potestatem, quam habent domini temporales super servos suos, quos possunt omnibus temporalibus spoliare et aliis ad libitum dare et vendere". Das geht zunächst auf das Besitzredit des Herrn über den Sklaven, schließt jedoch audi nicht die weltliche Herrschaftspraxis aus. Dialog III, 1, 1, c. 16. Goldast Monarchia II S. 785. — Ockham S. 235. — In: Contra Benedictum (c. 13), Offler S. 296 f gesteht er dem Papst das „ius et auetoritas examinandi electum in regem, quando papam debet eum inungere, si non constat sibi quod est rite electus in regem" zu. Nicht dagegen kommt es dem Papst zu: „concedere electo administrationem regni seu imperii". Daher hat der Gewählte, der zudem bereits zwei Kronen trägt, vor der Krönung zum Kaiser das Administrationsrecht. „Omnis enim coronatus in regem de iure, licet non Semper de facto, habet administrationem regni. Ergo imperator,

IV. Allgewalt der „universitas civium" ; der „principatus respectu liberorum"

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tarnen sive in casu", in einem Notstand, wenn kein Laie die Gefahr abwenden wolle oder könne, das für das Gemeinwohl Nötige zu tun. In diesem Falle besitze er sogar eine „plenitudo potestatis secundum quid". Das Gleiche gilt für die Spiritualien: „Et ita secundum istos potest papa casualiter a iure divino tarn in spiritualibus quam in temporalibus habere plenitudinem potestatis non simpliciter sed secundum quid. Quae quamvis non sit pienissima potestas, est tarnen grandis, singularis et quam magna"" 7 . In dieser kasualen Vollmacht secundum quid kann er dann sogar „in casu imperia et regna transferre, reges et principes, aliumque laicum quemcumque temporalibus, iuribus et rebus privare aliisque conferre". Dabei gilt nur für die Temporalien die verklausulierte Bedingung, daß jede andere laikale Hilfe ausgeschlossen sei (quia nihil potest rex vel alius laicus facere de quacunque re temporali, quin idem posset facere papa, si hoc fieri expediret, et non esset alius, per quem convenienter fieri potest; Dialog III, 1, 1, c. 16). Im spiritualen Bereich hat er alle Gewalt, die notwendig ist zum „regimen communitatis fidelium quantum ad bonos mores et quascunque necessitates spirituales fidelium sunt de necessitate facienda vel omittenda, omnem potestatem in his, quae non periculose sed provide et ad utilitatem communem committerentur uno homini"898. Es überrascht nicht, wenn audi hier wieder aus diesem auf das Notwendige beschränkten regimen alles ausgeklammert wird, was den Rechten des temporalen Bereiches, die diesem vom Naturrecht, vom Völkerrecht und dem zivilen Recht garantiert sind, einen beträchtlichen (notabilis et enormis) Schaden einbringen könnte, wie es vorsichtig heißt. Umgekehrt kann die weltliche Seite, vor allem der Kaiser bei Defekt der kirchlichen Vorsteherschaft, in die spirituale Ordnung eingreifen, sie kann im Notfall sogar durch den Kaiser als Richter über den Papst fungieren"*. Ockham hat gerade dieser Frage viele Betrachtungen gewidmet, die These des kaiserlichen Gerichtes über den Papst bildete ja auch, zusammen mit der andern, daß der Kaiser als Römer audi einen neuen Papst notfalls kreieren könne, die von Clemens VI. ausdrücklich genannte Aussage, deren detaillierante admissionem de qua loquitur Inocentius (Reg. n. 62, Venerabilem) prius est verus rex, et legitime se administrationi immiscet." — Er stellt jedodi im Anschluß daran fest, daß dem Papst, da Christus die Kirche mit allem Notwendigen versorgt habe, alle Macht gegeben sei: „S. 297, etiam in temporalibus supplendi defectum et damnabilem negligentiam omnium regum et principum et universaliter omnium laicorum, quantum ad omnia, sine quibus non potest quies et securitas ac pax et tranquillitas ecclesiae custodiri seu haberi". Wenn jedodi die Fürsten und Laien nicht „in periculum ecclesiae damnabiliter negligentes" wären, dann wollte Christus keine derartige Macht „contra voluntatem laicorum de iuribus et rèbus pertinentibus ad eos". „Papa igitur auctoritate potestate sibi data a Christo posset transferre imperium, et examinare electum in regem Romanorum, et facere omnia illa, quae tangit Innocentius III., quando, nisi talia fierent a papa, periclitaretur ecclesia". In: De imp. et pont. pot. ist die nicht-reguläre Gewalt ebenfalls angesprochen: c. 4, Scholz II S. 458: „nequaquam ad iura et libertates aliorum regulariter se extendit". — c. 5. S. 459: „excipi debent regulariter negotia secularia". " 7 Dialogus III, 1, 1, c. 16, Monarchia II S. 785, zitiert in Ockham S. 235. — Ferner: Dialogus III 2, 2, c. 13 ff. — Ockham S. 109, 223. " 8 Dialog III, 1 , 1 , c. 17, Goldast Monarchia II S. 786, zitiert in Ockham S. 236. »»» Vgl. Ockham S. 221 f.

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E. Die nicht-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

ter Widerruf als Vorbedingung der Lösung vom Kirchenbann genannt wurde400. Freilich gegenüber dem päpstlichen Eingreifen in die Temporalien besteht ein prinzipieller Unterschied. Schon im Dialog wird deutlich, daß die weltliche Gewalt in der Kirche nur tätig werden kann, sofern der Träger der Gewalt selbst gläubig und Mitglied der Heilsgemeinschaft ist. Das gilt für die Absetzung des Papstes, wie für eine Neuwahl. Bei Haeresie wird das Wahlrecht eo ipso verloren401. Zum Papstwahlrecht des Kaisers heißt es, daß er dieses nur in seiner Eigenschaft als Römer u n d Christ besitze408. Von hier aus wird es verständlich, daß später bei der Besprechung des monokephalisdien Argumentes der hierokratischen Partei Ockham ein imperiales Eingreifen in die Spiritualien kraft eigenen Rechtes ablehnt, während für den Papst, im Sinne des Notstandsrechtes, die Situation des „sub Christo (est) caput et iudex summus omnium fidelium" eintritt. Mit dem Kaiser liegen die Dinge anders: „Non sie est imperator, quia imperator, in quantum imperator cum multi veri imperatores fuerint infideles, non debet se etiam casualiter spiritualibus immiscere, licet si est fidelis, in quantum fidelis, de multis causis spiritualibus in multis casibus se intromittere teneatur, et preeipue de fidei causa, que ad omnes omnino pertinet christianos, di. XCVI. Ubinam (D.XCVI c. 4) et cap. Nos ad fidem (D.XCVI c. 2)403. So hat die in Christus geeinte Gemeinschaft des Heils „in casu necessitatis" doch auf Erden ein sichtbar agierendes, stellvertretendes Haupt, es gibt, wie es der Normenökonomie letztlich entspricht und ihr zufolge auch zu erwarten ist, doch eine in einer Institution, gewiß nur auf das Äußerste hin, gipfelnde Einheit, in der die geistlichen und weltlichen Sorgen sich sammeln. Die hierokratische Monokephalie des Spiritualen und Temporalen verengt sich auf diese Extremsituation, aber daß sie so noch existent ist, zeigt an, wie sehr es Ockham daran gelegen ist, die Verbindung zur tradierten Eintracht der beiden Gewalten unter der spiritualen Führung der Kirche nidit zu verlieren. Daher ist das Neue und Revolutionäre in seiner Konzeption von Kirche und Welt, von sacerdotium und regnum/imperium, nie isoliert stehen zu lassen, sondern immer zugleich an der Perspektive des wechselseitigen Zueinander der Gewalten zu messen. Daß dabei die Antwort nicht einfacher und geradliniger, sondern nur noch komplexer und, wenn man will, auch schillernder wird, darf nicht davon abhalten, entsprechend nuanciert zu formulieren. Wenn Ockham eine kasual-notständische Einhäupterlehre vertritt, so setzt er sich mit noch größerer Entschiedenheit für den Eigenstand der weltlichen Gewalt und der temporalen Seite überhaupt ein. Die These von der Herleitung des Kaisertums vom Papste ist ihm eine „pestifera radix" für die aus ihr folgenden Ansprüche des Papstes auf Approbation des „electus in 400 401

402 403

Ockham S. 181. Hierzu Dialog I, 6 c. 91 ff, mit Kritik an Marsilius Ockham S. 80 f. Ockham setzt voraus, daß der Laie als Gläubiger richtet. — Dialog III, 2, 3, c. 9. — Vgl. Ockham S. 116: Bei Haeresie geht das Wahlrecht verloren. Dialog III, 2, 3, c. 13, Ockham S. 117: Wahlrecht des Kaisers als Christ. De imp. et pont. pot. c. 12, Scholz II S. 468. — Dazu Ockham S. 223.

I V . Allgewalt der „universitas c i v i u m " ; der „principatus respectu l i b e r o r u m "

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regem Romanorum". Ihr zugrunde liegt der tiefere Irrtum, die Lehre von der geistlich-weltlichen Vollgewalt 404 . Die weltliche Gewalt stammt unmittelbar von Gott und von den Menschen; Ockham hat sich, vor allem im Dialog, den Octo quaestiones und im Brevilog, bemüht, diese Herkunft, auch in ihrem inneren Verhältnis zu klären. In der Formel „A Deo sed per homines" sind beide Ursprünge zusammengefaßt 405 . Aus dem Eigenstand des weltlichen Bereiches, seinen Rechten und Freiheiten, der Verpflichtung des Herrschers für das Gemeinwohl folgt auch das Recht gegenüber jenen Temporalien der Kirdie, die aus weltlicher Überweisung stammen. Im Traktat für den englischen König hat sich Ockham für das Besteuerungsredit der Kirche mit dem Hinweis eingesetzt, daß die Kirche eine Beistandspflicht dem Staat gegenüber habe und vor allem, was „überflüssig" sei, fallweise in den Zugriff des Königs geraten könne40*. Was das in der Praxis bedeutet und bedeuten kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung. „In necessitate omne Privilegium cessat" (Scholz II, S. 443), unter dieser Devise wird der königlichen Herrschaft eine Vollmacht zugesprochen, die das System der kirchlichen Immunität grundsätzlich in Frage stellt und den Staat, vor allem den jetzt aufkommenden souveränen Staat, zum fall weisen Herrn des Kirdiengutes macht. So geht es im System der wechselseitig gleitenden Superiorität, bei Anerkennung des spiritualen Vorrangs, mit seinem komplizierten Ineinander von 404

C o n t r a Benedictum, Offler S. 2 7 3 (c. 2, V I ) : „perniciosus error (im P r o z e ß J o h a n n s gegen Ludwig) . . . ex qua pestifera radice p r o c e d a t " . — R a d i x autem praedicti erroris est, quod Imperium est a papa, ut nullus sit verus imperator nec esse possit, nisi qui auctoritatem imperialem et executionem gladii materialis a pontifice R o m a n o r e c e p i t " . Ista autem r a d i x in quadam alia est fundata, quod scilicet papa habet a Christo plenitudinem potestatis t a m in spiritualibus quam in temporalibus, ut de potentia absoluta omnia possit, quae non sunt contra legem divinam vel legem naturae . . . Q u a r e istam radicem m o r t i f e r a m , ex qua errores innumeri et infinita pericula et innumerabiles iniuriae oriuntur, ante omnia expedit e x t i r p a r e " .

405

D i a l o g I I I , 2, 1 c. 2 6 , O c k h a m S. 105. — O c t o quaestiones I I ; O c k h a m S. 130 ff. — Breviloquium I I I , c. 1 1 : „a iure divino et naturali potestas instituendi iudicem et rectorem, qui potestatem habeat coercendi sibi subiectos". — D e r G e d a n k e ist der, d a ß nach der Installierung des Herrschers die G e w a l t allein von G o t t abhängig ist : Vgl. Breviloquium I V , c. 5 : „postquam d a t a est (potestas), ut s c i l i c e t . . . quando datur, non sit a solo D e o nec p r i m o m o d o (absque omni ordinatione humana) nec secundo (etwa in F o r m der M i t w i r kung bei K o n s e k r a t i o n ) . . . tarnen postquam collata est, a solo D e o dependet ita, quod fungens ea ipsam a nullo alio quam a D e o , t a m q u a m a superiori, regulariter c o g n o s c i t " . — V g l . audi O c t o quaestiones I I , c. 3 ff, Ockham S. 132. I n : A n rex Angliae, Scholz I I S. 4 3 7 findet sich für die R e l a t i o n G o t t - V o l k die F o r m e l : „ U n d e regalis potestas non est a p a p a , sed est a D e o mediante populo, qui accepit potestatem a D e o preficiendi sibi regem propter bonum c o m m u n e " . V g l . meinen A u f s a t z in H J 48, 1966, S. 308 ff.

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A n r e x Angliae, Scholz I I , S. 4 3 7 ff. T e n o r der Darlegung ist, d a ß der Papst nur verlangen k a n n : „potestatem et ius petendi a laycis ea de temporalibus, que p r o sua sustentacione et suorum officiorum spiritualium execucione necessario requiruntur". Vgl. auch die in A n m . 3 9 2 zitierte Stelle. — A n rex Angliae, Scholz I I , S. 4 4 2 . D i e Praelaten müssen in einer „causa p i a " , zu der die Verteidigung des Vaterlandes gehört, zu H i l f e kommen. D i e „res que ad personas ecclesiasticas transferuntur, precipue superhabundantes, transeunt cum onere suo, nisi a b ilio, qui habet in huiusmodi potestatem expresse fuerunt liberate; zu einer solchen Verpflichtung gehört auch die Verteidigung des Vaterlandes. D i e „res ecclesiastice" genießen keine „generalis emunitas".

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E. Die nidit-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

jeweiliger Eigenständigkeit, gegenseitiger jurisdiktioneller Kontrollbefugnis, doch nicht ohne Spannungen und auch Widersprüche ab. Widersprüche, weniger in den detaillierten Aussagen, als in der Motivation des Gesamtkonzepts. Denn dieses sieht auf der einen Seite eine unter dem Eindruck der Armutslehre „enttemporalisierte" Kirdie, deren Haupt, im Sinne einer Gewaltenökonomie, möglich wenig Gewalt besitzt und nur im Notfall als Inhaber einer plenitudo potestatis secundum quid erscheint, und auf der andern Seite den regalis principatus saecularis, der zwar im Ideal als „principatus temperatus et rectus" als Herrschaft über Freie (principatus respectu liberorum) vor den Menschen steht, der geschichtlichen Wirklichkeit nach jedoch immer mit dem principatus dominativus, der Herrschaft über Nichtfreie (respectu servorum), gemengt ist, und der nun im Zeichen des Notstandes so weitgehende Vollmachten erhält. Das Notstandsrecht, das den Spielraum des ordnenden Menschen gewissermaßen beweglich macht und erweitert, wird darin gleichzeitig zur Gefahr für die Freiheit, und wenn es auch nur die Freiheit der Kirche selbst ist. Für Ockham besteht diese Gefahr nicht, da Freiheit letztlich in Christus selbst gegründet ist, der seiner Kirdie die „lex libertatis" gab, der also selbst auf Freiheit hin seine Ordnung verstanden und praktiziert wissen will. Damit wird Ordnungslehre zugleich zum Problem der Christologie. Der Christkönig Ockhams ist nicht mehr der herrscherliche „rex regum" der feudalen Welt, dessen Reich schon in der Jetztzeit die Formen eines regnum annehmen kann, sondern der vollkommen Arme, der sich freiwillig dem Caesar unterwirft, auf jede „dominatio" verzichtet (S. 546) und erst in der Ewigkeit seine Herrschaft errichtet. Im Christusbild mit seinem Minimum an „potestas" für die Jetztzeit und seinem Maximum an freier Geistigkeit haben wir die eigentliche Quelle des Liebesprinzipates und des Ideals des „verus principatus pure regalis".

V. Ludwig der Bayer und Avignon: Kaiserrecht aus Eigenrecht; der letzte Kampf zwischen Papst und Kaiser Die Etappen der Kontroverse. — Die Konzeption der ersten Appellationen Ludwigs. — Die Bedeutung der Ereignisse in Rom (1328) für das Gewaltenverständnis. Der Höhepunkt der imperialen Konzeption in der Schlußphase der Auseinandersetzung (1338).

Was die zuletzt vorgeführten Schriften der kaiserlichen Seite, also den Defensor pacis und die Publizistik Ockhams neben ihrem spekulativen Gehalt so interessant macht, ist ihr Einfluß auf die Politik selbst und der enge Zusammenhang, in dem ihre Verfasser mit dem Hof selbst stehen. Was den unmittelbaren ideellen Einfluß angeht, so stehen zwei Ereignisse im Mittelpunkt des Geschehens und der ihm zugewandten Betrachtung; Die Krönung Ludwigs in Rom und die Erklärungen, die zum Weistum der Kurfürsten von Rhens (1338) und zum kaiserlichen Gesetz „Licet iuris" führen. Die Parteinahme Ludwigs für die minoritische Opposition im Armutsstreit in der Sadisenhausener Appellation (1324, M G H Const. V n. 909/10) und der offenen Unterstützung Michael Cesenas und seiner Freunde hat für die Gewaltenlehre selbst nur indirekte Bedeutung, mag sie auch faktisch eine Versöhnung mit Avignon noch so sehr erschwert haben. Die minoritische Opposition liefert Ludwig und seiner Umgebung das willkommene Argument, es mit einem haeretischen Papst und einer ihm hörigen Kurie zu tun zu haben, die kaiserliche Sache führt dem Herrscher selbst die Helfer aus dem Kreis der Minoriten zu und stärkt diese in der Hoffnung, Ockham ist ein beredtes Zeugnis dafür, daß der Kaiser über den haeretischen Papst zu Gericht sitzen werde. Der Krönung in Rom ging voraus die Eröffnung der päpstlichen Prozesse gegen Ludwig (zuerst am 8. X . 1323), ein Jahr, nadidem dieser bei Mühldorf Friedrich von Österreich geschlagen und dann in Italien in Verbindung mit den Ghibellinen das Reidisvikariat, gegen den päpstlichen Legaten, selbst in Anspruch genommen und sein Generalvikar (Berthold von Marstetten) die Guelfen entscheidend zurückgedrängt hatte. Im sogenannten dritten Prozeß (23. I I I . 1324) war es zur Exkommunikation und Amtsenthebung Ludwigs durch Johann X X I I . gekommen, der vierte Prozeß dehnte die Exkommunikation auf die Ludwig botmäßigen Gebiete und Einwohner (omnes ingulares personas... terras vero et loca ipsorum necnon civitates; M G H Const. V, n. 944, S. 786) aus, sofern sie ihren Reichspflichten nachkommen" 7 . 407

In dieser ersten Phase der Auseinandersetzung wird diese durch vier Prozesse eingeleitet. 1. vom 8. X . 1323, M G H Const. V, n. 7 9 2 ; 2. vom 7. I. 1324, Const. V, n. 839; 3. vom 23. III. 1324, Const. V, n. 8 8 1 ; 4. vom 11. VII. 1324, Const. V, n. 944. Der dritte Prozeß bedroht die Verbündeten des Königs mit dem Bann, der vierte verschärft die Androhung auf die „incolis et habitatoribus eorundem regni et imperii", die weiterfahren, ihrer Gehorsamspflicht nachzukommen (de redditibus vel obventionibus sive iuribus regalibus vel imperialibus seu ratione regni vel imperii . . . respondeant).

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Die Begründung des ersten Prozesses nennt, neben der als dritte Anklage aufgeführten Verbindung zu den gebannten Visconti, zwei für die Gewaltenlehre relevante Punkte: a) Die fehlende Approbation des in Zwietracht Gewählten, der den Namen des römischen Königs usurpativ trage; b) die Inanspruchnahme von Rechten des regnum und imperium in der Vakanz des Reiches, Rechte die der Kirche zustehen (ad quam eiusdem vacationis imperii regimen, sicut impresentiarum vacat, pertinere dinoscitur, Const. V, n. 792). Mit den beiden Vorwürfen, die sich im ganzen Streit halten, sind zwei entscheidende Sachbereiche angeschnitten. Die Herleitung und Begründung der Kaiserwürde und das spezielle Eingreifen des Papstes in imperial-temporale Belange. Vakanz des Imperiums galt auf hierokratischer Seite seit langem als möglicher Fall eines Eingreifens 408 . Ludwig und seine Kanzlei hatten in den Appellationen von Nürnberg— Frankfurt und Sachsenhausen mit dem Hinweis auf die Rechtskraft der Wahl und Erhebung nach gewohntem Brauch geantwortet: „ut non sit qui dubitet vel ignoret, quod Romanorum rex eo solum, quod electus est a principibus electoribus, ad quos pertinet ipsius eleccio, omnibus vel maiori numero eorundem et coronatus Corona regia in solitis locis et consuetis, rex est et pro rege habetur et rex nominatur et eidem ab omnibus paretur et intenditur sicut regi ac iura regni libere amministrat, fidelitates et obendienciam recipit, feuda confert et de bonis, honoribus et dignitatibus et officiis regni iuxta beneplacitum ordinat et disponit" (Const. V. n. 792) 4M . Was hier in der als Notariatsinstrument veröffentlichten Nürnberger Appellation (18. X I I . 1323) programmatisch vorgelegt wird, entspricht zunächst darin altem Reichsrecht, als die Elemente genannt sind, die den Erhebungsakt ausmachen: Fürstenwahl (jetzt Wahl durch die Kurfürsten), Krönung mit den (rechten) Insignien am hergebrachten Ort, Anerkennung und Ergreifen der Herrschaftsrechte. Ungesagt bleibt jedoch, daß die hier vorgeführten Akte zwar die Promotion im regnum Alamanniae darstellen, aber für die Erhebung zum römischen König jene Zustimmung des Papstes erforderlich ist, wie sie sich nach dem Interregnum ausbildet; übergangen ist jene Anspruchstradition, die seit der Doppelwahl von 1198 durch Innozenz auch rechtlich niedergelegt war. D a ß diese Diskrepanzen nicht rein theoretischer Natur waren, ergab sich schon aus den verschiedenen Wahlanzeigen, indem die Partei Friedrichs ausdrücklich um Approbation gebeten hatte (dignemini approbare ipsumque per vestre sanctitatis clementiam approbatum in imperatorem... promovere; Const. V. n. 94, 5), womit die in der Zwischenzeit eingetretene Entwicklung zugunsten der päpstlichen Position anerkannt ist. Die Wahlanzeige Ludwigs beschränkt 408

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Fehlen eines Oberen schon bei Tankred, vgl. S. 268; konkretisiert auf Vakanz des Imperium bei Innozenz IV. vgl. S. 289. Zu den Appellationschriften Ludwigs: H . Zeumer, Zur Kritik der Appellationen, N . A. 37, 1912, S. 219 ff. — F. Bode, D A IV, 1941, S. 194 ff. — Ferner: J . Hofer, in H J 38, 1917, S. 486 ff. — F. Bock, Reichsidee und Nationalstaaten S. 201 ff. — H . Günter, D a s deutsche Mittelalter, II, S. 69 f meint, daß die Verlautbarungen von Nürnberg (18. X I I . 1323) und Frankfurt (5. I. 1324) „zwar nicht zu amtlichen Kundgebungen an die Kurie wurden, aber den Geist der Weiterentwicklung atmen".

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sich auf die ausführliche Schilderung der Rechtmäßigkeit des Wahl- und kirchlichen Erhebungsvorgangs, bittet aber nur um Erhebung zum Kaiser (supplicamus, ut ipsum electum nostrum in regem Romanorum... munus inunccionis et consecracionis eidem conferendo... sacri imperii dyadema dignemini loco et tempore favorabiliter impertiri; Const. V n. 103, 7). Die Intention entspricht derjenigen in Friedrich Barbarossas Wahlanzeige (vgl. S. 128 f). Diese Entsprechung zeigt eine innere Verwandtschaft der Konzeption, im Grunde will man auf Ludwigs Seite eine Entwicklung übergehen, die Faktum geworden ist. Aus der Uberzeugung vom Eigenrecht der deutschen Seite in der Promotion des rex Romanorum folgt wie von selbst die These, daß der Papst in das Wahlverfahren — die discordia der Doppelwahl wird übergangen — nur dann eingreifen könne, „si per querelam vel per viam supplicacionis, appellacionis vel provocacionis vel alio modo ad ipsam sedem fuisset devolutum ipsum negocium vel deductum". Es bleibt der Eigeninitiative der weltlichen Seite überlassen, den Papst einzuschalten, also die Situation von 751 bei Pippins Erhebung wäre vergleichsweise zur Verdeutlichung heranzuziehen. Da aber Ludwig einen solchen Schritt nicht unternahm, zudem seinen Gegner besiegt hat und in Haft hält, sind erst recht die Bedingungen für einen derartigen Rekurs an die Kirche auch politisch nicht mehr gegeben. Die Nürnberger Appellation stellt fest, daß von einer Vakanz des Reiches nicht gesprochen werden könne, so daß die Bestellung der Reichsvikare in Italien rechtens war. Übrigens hatte ja auch Friedrich schon zu Beginn seiner Herrschaft die Reichsrechte in Italien wahrgenommen, nur war seine Wahl auf den mit der Kurie verbündeten Anjou, König Robert, gefallen. Alle Umstände eingerechnet, die sowohl das Vorgehen Johannes' XXII., (die lange Frist von fast zehn Jahren seit der Doppelwahl bei Eröffnung des Prozesses vor allem)410, wie Ludwigs Politik (vor allem das aggressive Vorgehen in Italien) belasten und die Rechtsfragen fast unentwirrbar mit den politischen Spannungen verknoten, bleibt bestehen, daß sich bereits in dem ersten Nürnberger Dokument ein verschärfter Ton ankündet. Er sammelt sich in einem kleinen Wort, das aber zum Leitmotiv aller späteren Dokumente wird und in dem zugleich der Kern der ghibellinischen Konzeption zur Anschauung kommt. Es ist die Behauptung, daß der „rex eo solum quod electus est" die entscheidende Basis seiner Promotion gewonnen habe. Das „nur durch Wahl", oder „allein schon durch Wahl" macht von selbst den Weg zur kirchlichen Erhebung frei, sie kann nur gehindert werden, wenn, wie auch das Beispiel von 1314 zeigte, der Weg zum Krönungsort versperrt ist, wie es Friedrich erleben mußte, der aber dann doch vom zuständigen Konsekrator, aber am nicht hergebrachten Ort (Bonn) die Königsweihe erhält. Eine weitere 410

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Ludwig weist in Const. V, n. 824 darauf hin, daß er (S. 645) bisher: „absque reprobacione eleccionis et persone nostre" geherrscht habe. Die erste und die zweite (königliche Kanzlei-) Fassung haben diese Bezeichnung. — Der Anteil der Minoriten und des Notars Wilde an der ersten Fassung ist für unsere Betrachtung über das Gewaltenverhältnis selbst nicht entscheidend, wenn sich auch, persönlich gesehen, Ludwig später von der schärferen ersten Fassung distanziert.

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Uberprüfung von Person und Sache (Wahlvorgang) wird hinfällig, der Gewählte ist in der Wahl als „idoneus" dargetan, in der nach den Worten Dantes die Wähler „potius denuntiatores divine providentie sunt habendi" (Monarchia III, c. 16). Der weitere Verlauf des Streites ist damit in den Sadifragen des Selbstverständnisses der Gewalt festgelegt. Wenn kein grundsätzliches Absehen von den Standpunkten der Ausgangssituation erfolgt — politische Konzessionen eingeschlossen — ist eine Versöhnung nicht mehr möglich. Das Gegenteil tritt ein: Der Bannsprudi verbunden mit der Absetzung Ludwigs vom März 1324, die Appellation von Sachsenhausen nun an den Johannes „qui se dicit papam vicesimum secundum", den „sator discordiarum et seminatör zizanie inter Christi fideles (Const. V n. 909/910) 4 ". Die Sachsenhausener Appellation forciert den alleinigen Anspruch der Wahl als Grundlage der Königsherrschaft gegenüber den Ansprüchen der Kurie, indem nun auch ausdrücklich zur Frage der „discordia" Stellung genommen wird. „Consuetudo approbata imperii, que apud nos pro iure servatur, habeat manifeste, quod electus in loco ad eligendum... (Frankfurt), ab Omnibus electoribus sive a maiori parte ipsorum, sive eciam a minori dummodo fiat electio a duobus electoribus ibidem presentium ad minus et in die ad eligendum prefixa per eum ad quem spectat prefigere, huiusmodi electus est habendus tamquam in vera concordia electus et sibi debet obediri ut regi a subditis et vassallis imperii et corona preberi sibi in Aquisgrani, quandocunque voluerit" (Const. V 910, c. 12). Concordia ist hiernach, wie es im Rückgriff auf das im Weistum für Richard v. Cornwall auftauchende und in der Bulle „Qui celum" angenommene Prinzip der Zweierwahl als Mindestzahl der Kurstimmen (bei rechtem Ort, und dem vom zuständigen Einberufer bestimmten Termin) heißt, für Ludwig gegeben4". Überdies hat er, wie es in c. 11 zuvor heißt, die maior pars der Stimmen, nämlich vier (tatsächlich, nach den geteilten Kurstimmen von Sachsen und Böhmen: fünf), auf sich vereinigt. Offenbar nach dem Prinzip des Rechtsausschlusses der zur Wahl nicht Erschienenen, nach dem die Wähler Friedrichs, die für sich tagten, ausgeschlossen sind, weiß sich Ludwig von „Duabus partibus electorum" gewählt (a.a.O., c. 11, 12)41S. Die Kurie hat keine Möglichkeit, eine Wahl, die nach eigenem Recht gültig durchgeführt ist, als „discors" anzufechten. Mit der Berufung auf das Prinzip der „unitas actus" (rechter Ort, ausreichende Ladung und entsprechender Termin) und das der maior pars hat sich Ludwig doppelt gesichert. Gegen dieses Reichsrecht steht nun Johannes, der seine Gegner mit dem 112

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Zum Prinzip der Zahl bei der Wahl vgl. Mitteis, Deutsche Königswahl S. 195 ff. — Vgl. Qui celum c. 7: „Intelligitur autem is electus esse concorditer, in quam vota omnium principum vel saltem duorum tantummodo in electione presencium diriguntur. — In discordia vero is etiam requiritur electus, de quo in loco non solito electio celebratur et in termino de communi consensu dictorum principum non statuto." — Const. V, n. 910, c. 22, S. 747, zeigt, daß die maior pars dem Gewicht nach zugleich als die „duae partes" aufgefaßt wird, dies in der Wendung: „electionem de nobis factam non solum a maiori parte immo a duabus partibus electorum et in loco de Frankenfort ad hoc antiquitus deputato".

V. Kaiserrecht aus Eigenrecht; der letzte Kampf zwischen Papst und Kaiser

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Interdikt belegt, obwohl sie den wahren katholischen Glauben bekennen (c. 14). Der Angriff, der hier geführt wird, geht an den Kern der kurialen Praxis, das corpus christianum als eine derartige Einheit zu sehen, daß politische Differenzen auf die Ebene gehoben werden, in der die kirchliche Jurisdiktion selbst einsetzt. Der Appell an den rechten Glauben, den Ludwig für sich selbst tätigt, indem er in der Nürnberger Erklärung ein Bekenntnis voransetzt (Const. V n. 824, 1—6), bedeutet für das exercitium der Herrschaft, für das politische Handeln jene Trennung der Gewalten und Bereiche, die es der Kirche und dem Papst in Zukunft verwehrt, von den Einzelheiten des Streites um das Reichsvikariat in Italien, das Johann XXII. seit 1317 für sidi während der „Vakanz" des Imperiums beanspruchte, einmal abgesehen, ordnend in das politische Geschäft einzugreifen. Darin ist ein Vorgang am Werk, der mehr besagt als nur die Kontroverse um ein Mehr oder Weniger an temporalen Rechten der einen oder anderen Seite. Es geht um die Selbstbestimmung des zur Heilsordnung Notwendigen und des zur sachgerechten Verwaltung der Welt Erforderlichen. Soll die Kirche noch tätig werden, wenn der Glaube gewahrt ist? Im Falle des Papstes hat Ludwig den für ihn verhängnisvollen Schritt unternommen, sich in den an sich schon in seiner Materie äußerst schwierigen theoretischen Armutsstreit einzulassen. Er wird es auf Rat der Umgebung getan haben, inwieweit italienische Minoriten dafür verantwortlich sind, ist nicht entschieden. Bock nimmt überhaupt an, daß Form und Inhalt der Sadisenhausener Appellation aus italienischen Ghibellinenkreisen stamme, mit denen Ludwig nach der Schlacht bei Mühldorf in Verbindung kam414. Wie dem sei, der Angriff auf Johannes führt in der Folge zur Erhebung des Gegenpapstes und damit indirekt auch zum Akt der Erhebung Ludwigs in Rom 1328. Er weiß sich an die Prozesse eines haeretischen Papstes nicht mehr gebunden. Die Ereignisse in Rom, die hier nicht nachzuerzählen sind415, sind in mehr als einer Beziehung singulär, zumindest für seine Zeit. Gegen den amtierenden Papst — er hat nodi keinen Gegenpapst wie Heinrich IV. 1084 in Clemens III. — wird er erhoben. Da kein Papst zugegen ist, die Krönung durch einen Bischof aber den universalen Charakter des Amtes verletzen würde, kommt es zu jenem einzigartigen Akt der Promotion durdi das römische Volk. Betrachtet man die Erhebung näher, so gliedert sie sich in drei Handlungen, von denen zwei durch das Volk und seinen Vertreter, Sciarra Colonna, die dritte von kirchlicher Seite vorgenommen werden. Das Volk erhebt zunächst Ludwig zum Senator und capitaneus der Stadt, nachdem er zugestimmt hat, die Krone vom Volk anzunehmen. Am Krönungstag vollzieht der Bischof von Aleria Weihe und Salbung, die Krönung übernimmt Colonna. Die geistlichen Akte sind von den weltlichen geschieden, die coronatio ist Teil der weltlichen Akte geworden, sie vermittelt keine „sakramentale" Wirkung. Sie stellt ja 414

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F. Bode, Reichsidee, S. 210 ist der Meinung, daß Form und Inhalt der Appellation aus italienischen Ghibellinenkreisen stamme, mit denen Ludwig durdi seine Generalvikare in Italien nach dem Sieg von Mühldorf in Verbindung stand. Detaillierte Schilderung bei Bock, Reichsidee S. 225 f.

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E. Die nicht-ekklesiardie und die regal-imperiale Doktrin

auch einen Akt dar, der unabhängig von der kirchlichen Promotion, wenn auch in anderer Form, existieren kann und existiert hat. Alles was Herrschaft, zwingende Gewalt verleiht, ist Sache des weltlichen Gesetzgebers, der Kirche obliegt die reine Heilstätigkeit. Deutlich ist das Bestreben zu erkennen, die weltlichen konstitutiven Elemente der Herrscherpromotion als Zuständigkeit der saekularen Seite darzutun. Im Mittelpunkt steht das Volk, dem in der zeitgenössischen Theorie nun schon lange genug die gründende und gesetzgebende Gewalt zugesprochen war. Inwieweit die persönlichen Erfahrungen Sciarras am sizilianischen H o f mitbestimmend waren, wird schwer zu entscheiden sein, sicher ist der Einfluß des Marsilius, der als vicarius in spiritualibus in Aktion tritt und damit die eigene Theorie der kirchlichen Zuständigkeit des legislator principans exemplifiziert (vgl. S. 517 ff) 416 . Sein Einfluß ist in dem Absetzungsdekret gegen Johann X X I I . zu erkennen. Es ist der äußere Höhepunkt von Ludwigs Kampf, wiederum singular, indem der Kaiser auf das Mittel der synodalen oder, wie es der herrschenden Lehre entsprochen hätte aber aussichtslos war, der konziliaren Absetzung verzichtete und nun selbst als principans und Inhaber der vom legislator übertragenen Zwangsgewalt in Aktion tritt. Audi dieser Akt erfolgt ganz in der Linie und im Stile der Gedanken, die im Defensor pacis ihren literarischen Ausdruck gefunden hatten. Das gesetzgebende Recht und Wahlrecht des Volkes, der universitas civium, gilt auch für den Papst, so wird Nikolaus V. vom fidelis legislator humanus mit dem fidelis principans-imperator an der Spitze erhoben. Daß Ludwig Wert darauf legt, am 22. V. 1328 von seinem Papst noch einmal gesalbt zu werden, bedeutet eine Korrektur an der von einem Bischof am Tage der Erhebung zum Kaiser ( 1 7 . 1 . 1 3 2 8 ) vorgenommenen Weihe und Salbung. Auch die kirchliche Weihe sollte von einem Amtsträger universalen Ranges erfolgen. Ludwigs römische Herrschaft, die in ihrer weitausholenden 416

Absetzungsdekret gegen Johann X X I I . , M G H Const. VI, 1, n. 4 3 6 : „denunciamus nostreque imperialis auctoritatis sententia episcopatu Romano et universali ecclesia Dei seu papatu tenore presentium privamus et ab eo deponimus in hiis scriptis, sententia inquam lata de communi consilio, consensu et requisitione cleri et populi Romani, nostrorum principum et ecclesie prelatorum tarn Alamannorum quam Italicorum". — Auf Bitte „syndicorum cleri et populi Romani plenam ad hoc eiusdem cleri et populi Romani habentium auctoritatem et liberam potestatem ac speciale mandatum". — Die Texte lassen für das Gewaltenverständnis erkennen: a) Der Kaiser handelt einmal aus eigener kaiserlicher Autorität, b) diese ist geknüpft an das „commune consilium, consensus et requisitio" von Volk und Klerus. Die Einholung des Rates und der Zustimmung entspricht der Zustimmung des Umstandes im deutschen Herrsdiaftsredit. Darin wäre also kein besonderer Einfluß marsilianischer Vorstellungen zu sehen. E r zeigt sich im Gesamtakt selbst, der vom H e r r scher, ni