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German Pages 193 Year 1997
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 29
Regierung und Kontrolle in Österreich Von
Herbert Schambeck
Duncker & Humblot · Berlin
HERBERT SCHAMBECK
Regierung und Kontrolle in Österreich
Beiträge zum Parlaments recht lIerausgegeben von
Werner Kaltefleiter, U1rich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang lIeyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, lIans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 29
Regierung und Kontrolle •• in Osterreich
Von
Herbert Schambeck
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schambeck, Herbert: Regierung und Kontrolle in Österreich I von Herbert Schambeck. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 29) ISBN 3-428-08962-6
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-08962-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Widmung Diese Publikation stellt die aktualisierte und erweiterte Fassung einer Gastvorlesung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn dar, an welcher der Verfasser noch die Herren Professoren Dr. Ernst Friesenhahn und Dr. Ulrich Scheuner erlebte; ihnen, die sich auch mit dem Thema "Regierung und Kontrolle" wegweisend beschäftigt haben, sei diese Veröffentlichung gewidmet, zu der Frau Univ.-Ass. Mag. Dr. Karin Lanser vom Institut für Staatsrecht und Politische Wissenschaften der Universität Linz wertvolle Mitarbeit geleistet hat. WienlLinz, im Mai 1997 o. Univ.-Prof. Dr. Dres. h. c. Herbert Schambeck Präsident des Österreichischen Bundesrates
Inhaltsverzeichnis I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates ................
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11. Zum Begriff der Regierung ....................................
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1. Die Regierung - eine eigene Staatsfunktion ? ................ 2. Zu den Aufgaben der Regierung .............................. 3. Die Grenzen der Regierung ................................... 4. Die Ministerverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .
25 30 33 34
111. Die Aufgaben des Parlaments ..................................
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1. Zum Weg und der Funktion der Gesetzgebung .............. 2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments ................... 3. Mitwirkungskompetenzen des Parlaments ...................
39 54 60
IV. Das Verhältnis von Regierung und Parlament. . . . . . . . . . . . . . .
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V. Zu den Möglichkeiten der Kontrolle der Regierung durch das Parlament .................................................... 1. Der Begriff der Kontrolle ...................................... 2. Die Bestimmung der Kontrollmittel .......................... 3. Die Aufgaben der Kontrolle ................................... 4. Zur Bedeutung und zum Zweck der Kontrolle ...............
64 64 66 67 68
VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage ...............................................................
72
VII. Die politische Kontrolle .........................................
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1. Das Interpellationsrecht ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Die schriftliche Anfrage .................................... b) Die dringliche Anfrage ..................................... c) Kurze mündliche Anfragen - die Fragestunde ............ d) Die Aktuelle Stunde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87 90 93 97
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Inhaltsverzeichnis 2. Das Zitationsrecht .............................................. 3. Das Resolutionsrecht .... . ... . . .... . ...... . .... . ... . . ... .. . . . ... 4. Das Petitionsrecht .............................................. 5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen 6. Das Recht auf Abhaltung parlamentarischer Enqueten und Enquete-Kommissionen ....................................... 7. Die parlamentarische Kontrolle von Staatspolizei und militärischen Nachrichtendiensten ................................ 8. Das Mißtrauensvotum ......................................... 9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte ..................
99 100 110 113 119 122 125 128
VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof ......... 140 1. Zur Organisation des Rechnungshofes ....................... 140 2. Die Kompetenzen des Rechnungshofes ...................... 145 3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen ............... 148
IX. Die Volksanwaltschaft ........................................... 154 X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle ........... 160 I. 2. 3. 4.
Die Verfassungsmäßigkeitsprüfung der Gesetze ............. Die Vorstellung der neuen Bundesregierung ................. Die Behandlung der Regierungsvorlagen .................... Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik .................
160 161 162 163
a) Der Abschluß von Staatsverträgen ......................... 164 b) Die Mitwirkung in EU-Angelegenheiten .................. 167 5. Die parlamentarische Kontrolle im Bereich des Bundesheeres ............................................................... 179
XI. Über Bedeutung und Möglichkeiten der Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle in Österreich .................. 180 XII. Regierung und Kontrolle - Voraussetzung politischer Verantwortung sowie öffentlicher Meinungsbildung . . . . . . . . . . .. 184
Zum Inhalt I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
Kennzeichen des Staates im Rechtssinn - staatsleitende Entscheidungen und gesetzesgebundene Vollziehung - die Vorrangigkeit des Parlaments - zur Geschichte parlamentarischer Kontrolle - öffentliche Interessen der Gesellschaft und Zwecke des Staates - von den neuen Aufgaben des Staates - Gesetze als Ausdruck der Regierungspolitik 11. Zum Begriff der Regierung J. Die Regierung - eine eigene Staatsfunktion ?
Zum Begriff Regierung in der deutschen und österreichischen Staatsrechtslehre - Regierung als das Leitende und Richtungsgebende - der Begriff Regierung historisch betrachtet - über die Sonderstellung oberster Verwaltungsorgane - Regierungsvorlagen als eine Form der Selbstbindung der Regierung - die Verwaltungstätigkeit im engeren Sinn 2. Zu den Aufgaben der Regierung
Regierung als Wegweisung auf Grund der Rechtsordnung - die politische Seite der Regierungstätigkeit - das Regierungsprogramm - Aspekte der Regierungsfunktionen 3. Die Grenzen der Regierung
Außerrechtliche und rechtliche Grenzen der Regierung 4. Die Ministerverantwortlichkeit
Umfang der Ministerverantwortlichkeit - die Ministerverantwortlichkeit, auch eine besondere Verantwortlichkeit für culpa in eligendo - die Ressortführung - zur Funktion des Bundeskanzlers in Österreich und in
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Zum Inhalt
Deutschland - die politische, rechtliche und finanzielle Seite der Ministerverantwortlichkeit - Regierung als Herrschaftsausübung auf Grundlage des positiven Rechts unter Aufsicht des Volkes
111. Die Aufgaben des Parlaments
Erklärung des Wortes Parlament - das Parlament als Institution der Demokratie - die Repräsentations- und Tribünenfunktion des Parlaments 1. Zum Weg und der Funktion der Gesetzgebung Die Umsetzung des Volkswillens in die politische Praxis - die Gesetzgebungsfunktion des Parlaments - das Gesetzgebungsverfahren des Bundes - die Begutachtung von Regierungsvorlagen - der Konsultationsmechanismus - die Initiativanträge der Abgeordneten und Bundesräte - das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren im Nationalrat und Bundesrat die Volksabstimmung - Schwerpunktverschiebung von der legislativen Gewalt zur Regierung - faktische Einheit von Nationalratsmehrheit und Regierung - Kontrollfunktion der Opposition - Erfordernis von Kontrollrechten parlamentarischer Minderheit - das Gesetz als Ergebnis demokratischer Staatswillensbildung - die Verfassung als Schutz parlamentarischer Minderheit 2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments Verbundenheit von Rechtsetzungs- und Kontrollfunktion des Parlaments - die Abhängigkeit der parlamentarischen Kontrolle von dem jeweiligen Staats- und Regierungssystem - die Entwicklung der Beziehung von Nationalrat zu Bundespräsident und Bundesregierung - das Entscheidungsrecht des Bundespräsidenten - das Mißtrauensvotum des Nationalrates das Erscheinungsbild des österreichischen parlamentarischen Regierungssystems - die funktionell organisatorische Gewaltenteilung in Österreich 3. Mitwirkungskompetenzen des Parlaments Kreative Funktionen - Mißtrauensvotierung - Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern des Verfassungs gerichtshofs, Wahl des Präsidenten des Rechnungshofes sowie der Mitglieder der Volksanwaltschaft
Zum Inhalt
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IV. Das Verhältnis von Regierung und Parlament
Verlagerung der Gesetzgebung im materiellen Sinn vom Parlament auf die Exekutive - Prozeß der Machtsteigerung der Exekutive - parlamentarische Opposition V. Zu den Möglichkeiten der Kontrolle der Regierung durch das Parlament 1. Der Begriff der Kontrolle
Worterklärung - Überprüfung des Regierungshandelns auf dem Weg der Konfrontation - der Dualismus oberster Verfassungsorgane und deren Spannungsverhältnis zueinander 2. Die Bestimmung der Kontrollmittel
Von der Bedeutung des Verfassungsgesetzgebers für das Ausmaß der Kontrolle 3. Die Aufgaben der Kontrolle
Leistungsnachweis - Machtbegrenzung - Transparenz im Herrschaftsbereich - Aufzeigen von Fehlern - Realisierung der verfassungsrechtlich gewährleisteten subjektiven Rechte - die parlamentarische Kontrolle als eine der Aufsichtsarten des öffentlichen Rechts - Zusammenwirken und Mitregieren 4. Zur Bedeutung und zum Zweck der Kontrolle
Informative Kontrollen - intervenierende oder korrigierende Kontrollen - dirigierende Kontrollen - sanktionierende Kontrollen - die parlamentarischen Kontrollen des Nationalrates - die parlamentarischen Kontrollen des Bundesrates VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage
Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof - Ministeranklage - staatsrechtliche Verantwortung - schuldhafte Gesetzesverletzungen - Umfang
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Zum Inhalt
der Verantwortung - gemischt politisch-rechtliche Verantwortlichkeit Legitimation zur Ministeranklage - das parlamentarische Verfahren bezüglich der Beschlußfassung über die Anklageerhebung - die nach Art. 142 B-VG verantwortlichen Personen
VII. Die politische Kontrolle
Überwachung der leitenden Organe der Vollziehung - Verhinderung des Machtmißbrauchs durch die Exekutive - politisch-rechtlicher Maßstab für die politische Kontrolle - Fremdkontrolle
1. Das 1nterpellationsrecht
Individualrechte - parlamentarische Minderheitenrechte - Formen des Interpellationsrechtes
a) Die schriftliche Anfrage Schriftliche Anfragen im Nationalrat und im Bundesrat - Möglichkeit der Besprechung der Anfragebeantwortung
b) Die dringliche Anfrage Die dringliche Anfrage als eine besondere Form der schriftlichen Anfrage - die dringliche Anfrage im Nationalrat und im Bundesrat - die Öffentlichkeitswirkung dringlicher Anfragen - Präsentationszwecke dringlicher Anfragen
c) Kurze mündliche Anfragen - die Fragestunde Die Fragestunde im Nationalrat und Bundesrat - die Information der Öffentlichkeit - die Fragestunde in der parlamentarischen Praxis - das Interpellationsrecht zur parlamentarischen Unterstützung der Regierung die Reichweite des Fragerechts
Zum Inhalt
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d) Die aktuelle Stunde Die aktuelle Stunde als eine Sonderform des Interpellationsrechts im Nationalrat - die Zeitaufteilung - das Fragerecht als echtes Minderheitenrecht - das Fragerecht als wichtigstes Kontrollinstrument des Parlaments 2. Das Zitationsrecht
Das Recht, die Anwesenheit von Mitgliedern der Bundesregierung verlangen zu können - ein Mehrheitsrecht 3. Das Resolutionsrecht
Wünsche über die Ausübung der Vollziehung - die Entschließungsanträge im Nationalrat und im Bundesrat - die dringliche Behandlung von Entschließungen - Empfehlungen für die Regierungstätigkeit - Berichte auf Grund von Resolutionen - Berichte auf Grund von gesetzlichen Verpflichtungen - Sanktionsmöglichkeiten - das Mißtrauensvotum - die Information der Öffentlichkeit 4. Das Petitionsrecht
Petitionen an den Nationalrat und an den Bundesrat - das Petitionsrecht als Individualrecht 5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
Das Recht des Nationalrates auf Untersuchungsausschüsse - die Bedeutung des Untersuchungsrechts - die Untersuchungsausschüsse seit der V. Gesetzgebungsperiode - Themen von großem Interesse für die Allgemeinheit - begrenzte Medienöffentlichkeit - der Gegenstandsbereich 6. Das Recht auf Abhaltung parlamentarischer Enqueten und Enquete-Kommissionen
Sachinformation der Parlamentarier - die parlamentarischen Enqueten des Nationalrates und des Bundesrates
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Zum Inhalt 7. Die parlamentarische Kontrolle von Staatspolizei und militärischen Nachrichtendiensten
Kontrolle staatlicher Geheimdienste und Nachrichtendienste - ständige Unterausschüsse, ihr Verfahren und ihre Organisation - Unterausschuß zur Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfahigkeit - Unterausschuß für nachrichtendienstliche Maßnahmen zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung 8. Das Mißtrauensvotum
Abberufung der Regierung - Entschließung des Nationalrats - Regelung in der Nationalratsgeschäftsordnung - Mißtrauensvotum als Sanktion für die politische Kontrolle 9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte
Das Interpellationsrecht - Gesetzesinitiativen - Volksabstimmungsinitiative - Initiative zur Einberufung einer außerordentlichen Tagung des Nationalrates - Initiative zur Einberufung einer Sitzung des Bundesrates Minderheitenrechte im Zusammenhang mit dem Mißtrauensvotum, dem Enqueterecht, dem Resolutionsrecht, dem Petitionsrecht, den ständigen Unterausschüssen und der Vorberatung eines Selbständigen Antrags von Abgeordneten, der namentlichen Abstimmung, dem Verlangen auf Einberufung einer Sitzung, der Verkündigung der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Nationalrates, der Erklärung von Mitgliedern der Bundesregierung sowie der Mitteilung über die Ernennung von Mitgliedern der Bundesregierung und Staatssekretären, Wahlen, der Fristsetzung zur Berichterstattung, der namentlichen Abstimmung, der Aussprache über aktuelle Fragen aus dem Arbeitsbereich eines Ausschusses, den Mitwirkungsrechten des Nationalrates bei EU-Vorhaben - Minderheitenrechte des Bundesrates im Zusammenhang mit der Einsetzung, Änderung oder Auflösung eines Ausschusses, der Fraktionsbildung, dem Ausschluß der Öffentlichkeit von Verhandlungen, Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung und von Landeshauptmännern, Selbständigen Anträgen, Einspruchs-, Abänderungs-, Zusatz- und Entschließungsanträgen, der Vorberatung von Selbständigen Anträgen, einer Frist zur Berichterstattung, der Durchführung der Debatte, Einwendungen gegen die Umstellung der Tagesordnung, Abstimmungen, der Durchführung einer Wahl, der namentlichen Abstimmung in Ausschußsitzungen, Anträgen zum Verhandlungsgegenstand und zur Geschäftsbehandlung im Ausschuß,
Zum Inhalt
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dem Selbständigen Antrag im Ausschuß, dem Recht, dem Bericht des Ausschusses an den Bundesrat einen gesonderten schriftlichen Bericht anzuschließen, der Einleitung von Erhebungen oder Ladung von Sachverständigen bzw. Auskunftspersonen und der Verhandlungsschrift. VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
1. Zur Organisation des Rechnungshofes
Unternehmensexterne Revision - verfassungsrechtliche Bestimmungen über den Rechnungshof - die Wahl des Präsidenten des Re~hnungshofes und seine Verantwortlichkeit - Anfragen an den Präsidenten des Rechnungshofes - die Rechtsstellung des Präsidenten des Rechnungshofes 2. Die Kompetenzen des Rechnungshofes
Die Kontrolle der Staatswirtschaft - Überprüfung der Gebarung von Unternehmungen - die Kontrolle im Bereich der Länder und Gemeinden der Bundesrechnungsabschluß - die Mitwirkung bei der Begründung von Finanzschulden - die Einkommenskontrolle - der Rechnungshofbericht - der Rechnungshofausschuß 3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen
Die Amtswegigkeit der Prüfungskompetenz - das Recht des Nationalrates zur Prüfungsinitiative - das Antragsrecht zur Prüfung als Minderheitenrecht - Gebarungsprüfung auf Beschluß des Landtags - der Ständige Unterausschuß des Rechnungshofausschusses - Überprüfungskompetenz auf begründetes Ersuchen - Zuständigkeit des Verfassungs gerichtshofes bei Meinungsverschiedenheiten über die Kompetenz des Rechnungshofes - die Prüfungsmaßstäbe des Rechnungshofes - die Maximierung und Optimierung der Verwaltung - die Gefahr von Zweckkonflikten IX. Die Volksanwaltschaft
Umstände für die Schaffung der Volksanwaltschaft - Rechtsunsicherheit bei Gesetzesflut - Überprüfung von Mißständen der Verwaltung - Organisation der Volksanwaltschaft im Vergleich zu der des Rechnungshofes: kollegial oder monokratisch - die Mitglieder der Volksanwaltschaft -
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Zum Inhalt
kein Organ der Rechtskontrolle - die Überprüfung behaupteter oder vermuteter Mißstände der Verwaltung - Initiative zur Kontrolle - die Beschwerde bei der Volksanwaltschaft, ein subsidiärer Rechtsbehelf - Möglichkeit der amtswegigen Prüfung - die Mittel der Volksanwaltschaft die Empfehlung von zutreffenden Maßnahmen - die Berichte der Volksanwaltschaft an den Nationalrat - die Volksanwaltschaft als verlängerter Arm des Nationalrates und Fremdkontrolle gegenüber der Verwaltung
X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle 1. Die Veifassungsmäßigkeitsprüfung der Gesetze Der Gesetzesprüfungsantrag als parlamentarisches Minderheitenrecht im Nationalrat und Bundesrat - eine Form der Rechtskontrolle 2. Die Vorstellung der neuen Bundesregierung Information über das politische Wollen der neuen Bundesregierung - die Regierungserklärung des Bundeskanzlers 3. Die Behandlung der Regierungsvorlagen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung - die Beschlußfassung des jährlichen Budgets 4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik Politische Kontrollmöglichkeiten in der Außenpolitik - die Behandlung des jährlichen außenpolitischen Berichts
a) Der Abschluß von Staatsverträgen Genehmigung von Staatsverträgen durch den Nationalrat - das Zustimmungsrecht des Bundesrats bei Staatsverträgen - Regierungsübereinkommen - Ressortübereinkommen - Verwaltungsübereinkommen - Formen der Transformation von Staatsverträgen - der Erfüllungsvorbehalt
Zum Inhalt
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b) Die Mitwirkung in EU-Angelegenheiten Der Vorrang und die unmittelbare Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtes - die Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration und die Gesamtänderung der Bundesverfassung - die besondere bundesverfassungsgesetzliche Regelung über die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union - das EU-Begleit-BVG - Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Aufbau Österreichs - die Mitwirkung der Länder und Gemeinden an der innerstaatlichen Willensbildung in EU-Angelegenheiten - die Ernennung von Mitgliedern des Ausschusses der Regionen und deren Stellvertretern - die Unterrichtung der Länder und Gemeinden durch den Bund über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union und die Gelegenheit zur Stellungnahme - die Möglichkeit der Mitwirkung von Vertretern der Länder an der Willensbildung im EU-Rat - die Verpflichtung der Länder zu Maßnahmen zur Durchführung von Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration - die Mitwirkungsrechte von Nationalrat und Bundesrat in EU-Angelegenheiten - der Hauptausschuß des Nationalrates und die Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union - der ständige Unterausschuß in Angelegenheiten der Europäischen Union - die Mitteilungen der Bundesregierung in EU-Angelegenheiten - Stellungnahme des Bundesrates 5. Die parlamentarische Kontrolle im Bereich des Bundesheeres Die Beschwerdekommission - Bericht an den Nationalrat XI. Über Bedeutung und Möglichkeiten der Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle in Österreich Möglichkeiten direkter parlamentarischer Kontrolle in Österreich - Möglichkeiten indirekter Kontrolle - Mehrheitsbeschlüsse für Kontrollmittel - die Kontrollaufgabe der Opposition - Überbeanspruchung und Abwertung der parlamentarischen Kontrolle - das parlamentarische Regierungssystem als ein System der Toleranz - die Tribünenfunktion des Parlaments XII. Regierung und Kontrolle - Voraussetzung politischer Verantwortung sowie öffentlicher Meinungsbildung Regierung und Kontrolle, eine Gegenüberstellung und kein Gegensatz Funktionsausübung, eine Handlungsermächtigung auf Zeit - die Wahl als 2 Schambeck
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Zum Inhalt
Möglichkeit zur Repräsentation und Legitimation - Volk und Repräsentanten - Profilierungen und Konfrontierungen - Gesetzgebung auch pflichtenbegründend - Wahlen, die Bedingung für die Handlungsfähigkeit des Staates und das Notwendige zum Bestehen der Demokratie - die Aktivhaltung der Bürger - demokratischer Staatsaufbau und politische Grundrechte - Regieren und Kontrollieren, ein Vorgang in der Öffentlichkeit - die Kontrolle, mit ein Kriterium für die Wertung der Politik und ihrer Repräsentanten im Staat - die Kontrolle des Parlaments und der Regierung durch die Öffentlichkeit - Kontrolle und Wählerverhalten - Kontrolle und öffentliche Meinungsbildung - die Bedeutung der Massenmedien für die parlamentarische Kontrolle - das Parlament als Ratifikationsorgan des außerparlamentarisch Vorbereiteten und Vereinbarten - die Wirkung von massenmedialen Aktivitäten und ihre Bedeutung für die Gesetzgebung - außerparlamentarische Gruppierungen - Bekämpfung von Anarchismus und Terrorismus - Gesetzgebung und Kontrolle als Ausführung des bei der Wahl erteilten Vertrauensbeweises - die parlamentarische Kontrolle der Regierung und ihre Erlebbarkeit durch den Einzelnen
I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates Kennzeichen des Staates im Rechtssinn ist seine Befähigung zu Rechtssetzung und Rechtsvollziehung. Diese Aufgaben werden in einem demokratischen Rechtsstaat mit parlamentarisch-republikanischer Staatsform von mehreren Organen erfüllt. 1 Sie haben in einem geordneten Miteinander zur Staatsleitung das Erforderliche beizutragen, dabei ist zwischen staatsleitenden Entscheidungen in Gesetzgebung und Regierung auf der einen und der gesetzesgebundenen Vollziehung auf der anderen Seite zu unterscheiden. Schon Ulrich Scheuner stellte unter dem Gesichtspunkt der Verteilung und Zuordnung der staatlichen Aufgaben fest: "Das Leben des Staates, das als ein steter sich in Gewinnung politischer Entschließung und deren Realisierung wie in der Wahrnehmung der institutionell geordneten staatlichen Aufgaben vollziehender Prozeß darstellt, beruht darauf, daß in der Gesamtheit Anstöße entstehen und durch gestaltende institutionelle Kräfte zur Auswirkung gelangen. Der politische Prozeß ist ohne Zielsetzung und ohne immer wieder erneute zusammenfassende Lenkung des Ganzen nicht vollziehbar. Diese Leitung erfolgt durch die Ausarbeitung und Durchsetzung politischer Initiativen, durch die Ausein~mder setzung der politischen Kräfte um ihre Annahme und Ausformung, durch ihre Überführung in verbindliche Normen auf dem Wege der Gesetzgebung, durch die Direktion der ausführenden Organe im Vollzug; all das macht den Bereich der eigentlich staatsleitenden Entscheidung aus. ,,2 1 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, Betrachtungen zu den parlamentarischen Kontrollrechten, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, Gesellschaft und Politik, Schriftenreihe des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, NF Heft 4/1973, S. 39. 2*
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I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
Im Bereich der Staatsleitung wirken sowohl die Gesetzgebung als auch die Regierung mit, wenn auch die Volksvertretung und die Regierungsorgane in strukturell verschiedener vielfältiger Form an Entscheidungen beteiligt sind. Sie setzen eine bestimmte Haltung voraus. Ernst Friesenhahn bemerkte: "Im Wesen des parlamentarischen Systems liegt die Bereitschaft zum Komprorniß. Komprorniß innerhalb der Fraktion, Komprorniß innerhalb der Regierungsparteien, Komprorniß auch zwischen Regierungsmehrheit und Opposition. Denn das parlamentarische Regime muß ein Regime der Toleranz sein.,,3 Aufgabe des Parlaments ist es dabei, in Gesetzen 4 die Grundlage für alles Staatshandeln zu bieten. Auf Grund dieser Gesetze hat im demokratischen Rechtsstaat die gesamte Vollziehung und damit auch die Tätigkeit der Regierung zu erfolgen, woraus sich eine Vorrangigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung ergibt. Aus diesem Verhältnis zwischen Rechtssetzem und Rechtsanwendem ergibt sich auch die Aufgabe der Kontrolle5 des Parlaments bezüglich der Tätigkeit der Regierung.
2 Ulrich Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit - 14, Leer, Hannover 1977, S. 31. 3 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 16, 1958, S. 9 ff; Neudruck in: Strukturwandel der modernen Regierung, hrsg.v. Theo Stammen, Wege der Forschung, Band CXIX, Darmstadt 1967, S. 127 f. 4 Siehe Herbert Schambeck, Das Gesetz und seine Funktion heute, in: Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Ernst C. Hellbling zum 80. Geburtstag, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, Berlin 1981, S. 45 ff. 5 Dazu Richard Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 85, 2. Halbband, 1966,S. 165ff.
1. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
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Historisch betrachtet hatte die parlamentarische Kontrolle, die im vorigen Jahrhundert von der Volksvertretung gegen die vom Monarchen eingesetzte Regierung gerichtet war, eine andere Bedeutung. 6 In der konstitutionellen Monarchie standen sich demokratisch-parlamentarische Bestrebungen und monarchisches Prinzip gegenüber. Das Parlament war der Ort, wo in freier Diskussion der Wille des Volkes gefunden und in Gesetzen allgemein verbindlich niedergelegt werden sollte. Die Regierungsmitglieder befanden sich nicht selten in einem eigenartigen Loyalitätskonflikt. Einmal waren sie dem Monarchen, der sie ernannt hatte und der sie auch jederzeit wieder entlassen konnte, verpflichtet, zum anderen wurden sie aber auch durch das Parlament und die von diesem beschlossenen Gesetze in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Die Regierung war durch das strenge Gebot der Gesetzesstaatlichkeit dem Parlament untergeordnet. 7 Mit dem Wechsel der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik wurde die Regierung nur mehr dem Parlament verantwortlich. 8 Die Regierungsmitglieder waren jetzt meist selbst einflußreiche Parlamentarier, die noch dazu oft als Parteienrepräsentanten die Verantwortung 9 der jeweiligen Partei und Parlamentsfraktion in der Staatsleitung - sei es in Parlament oder Regierung - entscheidend mitbestimmten. 10 6 Helmut Widder, Parlamentarische Strukturen im politischen System Zu Grundlagen und Grundfragen des österreichischen Regierungssystems, Berlin-München 1978, S. 188 ff sowie Wilhelm Brauneder, Der Beitrag des Parlaments zur Entwicklung des Verfassungsrechts vor 1918, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teiband, Berlin 1993, S. 62 ff. 7 Vgl. Edwin Loebenstein, Das Gesetz - seine Bedeutung und seine Auslegung, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, Berlin 1986, S. 35 ff. 8 Siehe Herbert Schambeck, Vom Sinn und Zweck des Parlamentarismus, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 12 ff. 9 Dazu Alois Mock und Herbert Schambeck (Hrsg.), Verantwortung in Staat und Gesellschaft, Wien 1977.
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I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
In einem demokratischen Rechtsstaat ll werden die öffentlichen Interessen der Gesellschaft auf dem Weg parlamentarischer Willensbildung zu Zwecken des Staates 12 , die entweder ausdrücklich vorgeschrieben sind oder bisweilen auch, falls die Verfassung den Staatszwecken gegenüber eine mehr neutrale Haltung, wie in Österreich, einnimmt, in einfachen Gesetzen ausgeführt werden. 13 Durch die Normierung als Staatszweck wird ein öffentliches Interesse und politisches Wollen zu einem rechtlichen Sollen im Staat. 14 10 Vgl. Herbert Schambeck, Die parlamentarische Kontrolle der Regierung im Dienste des demokratischen Rechtsstaates, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für Max Imboden, hrsg. von Peter Saladin und Luzius Wildhaber, Basel und Stuttgart 1972, S. 295. 11 Beachte Adolf Merkl, Die Wandlungen des Rechtsstaatsgedankens, Österreichisches Verwaltungsblatt 1937, S. 174 ff, Neudruck in: Adolf Julius Merkl, Gesammelte Schriften, hrsg.v. Dorothea Mayer-Maly, Herbert Schambeck und Wolf-Dietrich Grussmann, 1/2, Berlin 1995, S. 251 ff; Leopold Wemer, Österreichs Weg zum Rechtsstaat, Juristische Blätter 1948, S. 120 ff; Hans Klecatsky, Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen, Wien, Basel, Freiburg 1967 sowie Herbert Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin, Heft 38, Berlin 1970. 12 Siehe Adolf Merkl, Staatszweck und öffentliches Interesse, Verwaltungsarchiv 1919, 27. Band, S. 268 ff; Neudruck in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule, Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl und Alfred Verdross, 2. Band, Wien 1968, S. 1559 ff und Herbert Schambeck, Die Staatszwecke der Republik Österreich, in: Die Republik Österreich, hrsg.v. Hans Klecatsky, Wien 1968, S. 245 ff. 13 Herbert Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, in: Der Staat als Aufgabe, S. 293. 14 Im österreichischen Verfassungsrecht finden sich ausdrücklich als Staatsziel- bzw. als Staatszweckbestimmungen: die Erklärung der dauernden Neutralität Österreichs im BVG vom 26. 10. 1955, BGBL Nr. 211; die Erklärung des Rundfunks zur öffentlichen Aufgabe im BVG vom 10. 7. 1974, BGBL Nr. 396; das Bekenntnis zur Existenz und Vielfalt politischer Parteien im Art. I des BG vom 2. 7. 1975, BGBL Nr. 404; das Bekenntnis Österreichs zur umfassenden Landesverteidigung im Art. 9a B-VG sowie zum umfassenden Umweltschutz aufgrund des BVG vom 27. 11. 1984, BGBL Nr. 491 und der Auftrag zur Sicherstellung des ge-
I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
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Die Staatszwecke treten zumeist in zwei Begriffspaaren auf, nämlich als Rechts- und Machtzweck, dem Primärzweck des Staates, der auf die Herstellung und die Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit gerichtet ist, und als Kultur- und Wohlfahrtszweck, dem es um kulturellen Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit geht. 15 Reichte im früheren liberalen "Gesetzesstaat" das Gesetz zur Erfüllung des Rechts- und Machtzweckes aus, so muß im demokratischen Rechtsstaat das Gesetz heute auch dem Kultur- und Wohlfahrtszweck dienen. 16 Die daraus erwachsenden neuen Aufgaben des Staates 17 der Leistung und Lenkung stellen oftmals eine große Anforderung an das Gesetz dar und verlangen nach effizienteren Formen der Verwaltung. Die Gesetzgebung ist deshalb erforderlich, weil das Handeln des Staates im demokratischen Rechtsstaat vorhersehbar und berechenbar sein soll. In generell abstrakten Normen werden daher Anordnungen an die Vollziehung gerichtet. Aufgrund der Entwicklung vom liberalen zum demokratischen Rechtsstaat entwikkelten sich die Aufgaben der Gesetzgebung des Parlaments über die klassischen Bereiche des Lassalle'schen "Nachtwächterstaates,,18 des Rechts- und Machtzweckes hinaus zu denen des Kultursamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 13 Abs. 2 B-VG in der Fassung BGBL Nr. 212/1986. 15 Herbert Schambeck, Von den Staatszwecken Österreichs, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teilband, S. 5. 16 Näher Herbert Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates, S. 23 f. 17 Dazu Herbert Schambeck, Grundrechte und Sozialordnung, Berlin 1969, S. 120 ff. 18 Ferdinand Lassalle, Arbeitsprogramm, Rede über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes, gehalten am 12. April 1862 in Berlin im Handwerkerverein der Oranienburger Vorstadt, abgedruckt in: Ferdinand Lassalles Gesammelte Reden und Schriften, hrsg. und eingeleitet von Eduard Bernstein, Band 11, Berlin 1920/21, S. 195.
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I. Von den Aufgaben und Zwecken des Staates
und Wohlfahrts zweckes. In diesem Zusammenhang hat schon Hans Huber auf die fünf neuartigen Staatsfunktionen hingewiesen: "Der Staat tritt als Protektor auf, als Beschützer nicht mehr nur einzelner Benachteiligter, sondern ganzer Klassen von wirtschaftlich Schwachen. Dann ist er Verteiler von Sozialleistungen, industrieller Unternehmer, Aufseher und Lenker der Wirtschaft und endlich sozialer Schiedsrichter im Interessensgegensatz der Klassen und Gruppen.,,19 War also der Staat früher als bloßer Nachtwächterstaat vor allem für die Herstellung und Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit verantwortlich, so ist der Staat heute auch für kulturellen Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit zuständig geworden. Es kommt somit zu einem Anwachsen der Zwecke und Ziele des Staates und zugleich nehmen auch die Aufgaben des Parlaments und damit die Mannigfaltigkeit der Verwendung des Gesetzes im demokratischen Rechtsstaat zu. Dem Staat ist jede Zweckerfüllung erlaubt, wenn er sie nur auf dem Wege eines Gesetzes zu erreichen sucht und keine Grundrechte dabei verletzt. 20 Diese Verlagerung der Schwergewichte im Staat werden besonders deutlich, wenn man die Zahl der Regierungsvorlagen betrachtet. 21 Die Initiative zur Gesetzgebung geht zumeist von der Regierung aus, die zum Unterschied vom Parlament über einen eigenen Stab von fachlich zuständigen Beamten verfügt. Gesetze werden daher zum Bestandteil der Regierungspolitik, öfters auch zum Ausdruck nicht bloß allgemeiner Rechtsüberzeugung, son19 Hans Huber; Niedergang des Rechts und Krise des Rechtsstaates, in: Demokratie und Rechtsstaat, Festgabe für Zaccaria Giacometti, ohne Hrsg., Zürich 1953, S. 75. 20 Siehe dazu Herbert Schambeck, Das Gesetz und seine Funktion heute, S. 45 ff. 21 So basierten etwa von den in der Tagung des Nationalrates 1992/93 (15.9.1992-17.7.1993) gefaßten Gesetzesbeschlüsse 145 auf Regierungsvorlagen und nur 38 auf Selbständigen Anträgen von Abgeordneten.
1. Die Regierung - eine eigene Staatsfunktion?
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dem auch einer Mehrheitsherrschaft. Sachliche Erfordernisse und parteipolitische Standpunkte bestimmen in wechselnder Bedeutung diese Form der Regierungspolitik und so auch der Gesetzgebung. Die Initiativen von seiten der Regierung und dem Nationalrat zeigen dies in Österreich deutlich.
11. Zum Begriff der Regierung 1. Die Regierung - eine eigene Staatsfunktion? Die Frage nach der möglichen Eigenständigkeit der Regierung, etwa als eigene Staatsfunktion, stellt sich schon in Bezug auf die Vollziehung von Verfassung und Gesetzen. Sie verlangt die Einordnung der Regierung in das System der Staatsfunktionen. Hiezu hat schon Rudolf Smend 1923 gemeint: "Regierung ist der Teil der Staatsfunktionen, der in den Kreis der Politik fällt, d. h. in dem der Staat sich und sein Wesen bestimmt und durchsetzt.'.22 Aus dieser Definition geht hervor, daß der Regierungsbegriff in dem bloßen Verwaltungs begriff als dem außerjustiziaren Bereich der Gesetzesvollziehung nicht aufgeht. 23 Damit knüpft er an die ältere deutsche Staatsrechtslehre an, in welcher etwa Kar! Salomo Zachariä 1839 die Verwaltung der Regierung gegenüberstellend erklärte: "Bei dem Regieren ist der Blick auf das Ganze, bei dem Verwalten ist er auf das Besondere und Einzelne zu richten. ,,24 22 Rudolf Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl, Tübingen 1923, S. 16, Neudruck in: Rudolf Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Auflage, Berlin 1968, S. 79. 23 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 40.
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II. Zum Begriff der Regierung
Jedoch auch nach der heutigen deutschen Staatsrechtslehre gehört zur Regierung das Leitende und Richtunggebende gegenüber der Verwaltung, die mehr angeleitete, ausgerichtete Tätigkeit ist. Daher handelt es sich bei der Regierung um eine staatsleitende, politische Tätigkeit, die im Rahmen des umfassenden Begriffs der Exekutive deutlich von der Verwaltung im engeren Sinne getrennt ist. 25
Historisch betrachtet wollte man zunächst unter dem Begriff Regierung die ganze staatliche Tätigkeit, also Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung, verstehen?6 Erst allmählich tritt eine Schrumpfung des Begriffes Regierung ein; zuerst scheidet die Justiz aus und "Regierungs sachen" und "Justizsachen" bedeuten nunmehr Gegensätzliches. Als der Staat aber immer mehr Verfassungsstaat wird, scheidet auch die Gesetzgebung, sofern sie nunmehr in den Aufgabenbereich des Parlaments als Volksvertretung fällt, aus und die Regierung wird so immer mehr zur Exekutive, welche in Staaten mit absoluter Monarchie ein Instrument des Herrscherwillens ist, wo aber der Konstitutionalismus Raum gewinnt, in wachsendem Maße in den Dienst des Parlaments tritt. Auch in Österreich ist die Unterscheidung von Regierung und Verwaltung nicht unbekannt. So enthält die Dezemberverfassung 1867 unter den fünf Staatsgrundgesetzen ein eigenes Staatsgrund24 Kar! Salomo Zachariä, Vierzig Bücher vom Staat, 2. Auflage, 1839, I, S. 124; siehe zum Begriff der Regierung aus historischer Sicht auch Lorenz von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 2. Auflage, Stuttgart 1876, S. 25 ff. 25 Vgl. dazu etwa Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Auflage, München 1984, S. 966 ff; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 19. Auflage, Heidelberg 1993, Rdnr. 531 ff sowie Albert Bleckmann, Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1993, Rdnr. 1772. 26 Siehe Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Band, Nachdruck der 1924 erschienenen 3. Auflage, Berlin 1969, S. 2.
1. Die Regierung - eine eigene Staats funktion ?
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gesetz vom 21. Dezember 1867 über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewa1t 27 . Dieses Verfassungsgesetz enthält in der Hervorhebung der Regierungsfunktion eine Deutlichkeit, wie es im österreichischen Verfassungsrecht später nicht mehr der Fall war. Dieser Problematik der Regierung war sich auch schon Adolf Merk! bewußt, der von der Regierung als Funktion feststellte, wenn man "den Schleier dieses politisch verwurzelten Regierungsbegriffes zerreißt, weichen die jenseits der Verwaltung lokalisierten Akte alle in den Rechtsbereich der Verwaltung zurück",zs Adolf Merk! anerkennt die Regierungsfunktion nicht als eigene, vierte Staatstätigkeit, er spricht ausdrücklich davon, daß es "oberhalb und außerhalb der Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung keinerlei mysteriöse Oberleitung, die man als ,Regierung' diesen drei herkömmlich unterschiedenen Staats gewalten gegenüberstellen könnte,,29, gäbe. Vielmehr faßt er "Regierung" als Teilbereich der Verwaltung auf, erkennt den Unterschied zwischen Regierung und Verwaltung nur dem Organ nach an. Er betont nämlich, daß die obersten Verwa!tungsorgane eine Sonderstellung einnehmen, da sie befehlsberechtigt, aber keinem höheren Verwaltungsorgan gehorsamspflichtig sind. Regierung ist für ihn somit qualifizierte Verwaltung, ist Kompetenz der obersten Verwaltungsorgane. 30 Gegenwärtig bestehen bezüglich des Begriffes Regierung eine Vielzahl von Vorstellungen, so etwa, im Gegensatz zu Adolf Merk!, daß das Regieren als das Allgemeine verstanden wird, welches über den drei anderen Staatsfunktionen Gesetzgebung, GeRGBl. Nr. 145/1867. Adolf Merk!, Allgemeines Verwaltungsrecht, Darmstadt 1969, Nachdruck der Ausgabe Wien und Berlin 1927, S. 47. 29 Adolf Merk!, Verwaltungsrecht, S. 47. 30 Adolf Merk!, Verwaltungsrecht, S. 59. 27
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11. Zum Begriff der Regierung
richtsbarkeit und Verwaltung als die Oberleitung des Ganzen steht. 31 Regierung ist also "leitende, politische Staatstätigkeit, die Verwaltung die eigentliche gesetzesvollziehende Staatstätigkeit,,32. Versuchte noch die konstitutionelle Doktrin des Liberalismus die Regierung als reines Vollzugsorgan der Gesetzgebung im Begriff der Verwaltung aufgehen zu lassen, so erscheint im modernen Wirtschafts- und Wohlfahrtsstaat eine solche ausschließliche verwaltungsrechtliche Erfassung unzulänglich. Einerseits ist die Regierung Verwaltungsspitze und deshalb natürlich an die Gesetzgebung gemäß dem Legalitätsprinzip gebunden. Andererseits ist es aber die Regierung selbst, die diese Gesetze großteils als Vorlage in der ihr genehmen Form im Parlament einbringt, wobei das Parlament dies teils ändert, teils aber auch dazu tendiert, keine entscheidenden Änderungen an der Regierungsvorlage mehr vorzunehmen. Die Regierung trägt daher mit eine Hauptverantwortung für die Einhaltung der Gebote der Verfassung. Als Verwaltungsorgan ist die Regierung formell dem Willen des Parlaments unterworfen. Materiell liegt aber dort, wo Regierungsvorlagen zu Gesetzen führen, in dem Maße, in dem diese im Nationalrat nicht verändert werden, meistens eine faktische Selbstbindung der Regierung vor, die von den Sachzwängen her verständlich ist und auf Grund des Gebotes der Gesetzesgebundenheit der Vollziehung die Form eines Gesetzes annehmen muß?3 Georg Jellinek unterscheidet daher die Verwaltung im materiellen Sinn in zwei in ihr zur Einheit verbundenen Elemente, nämlich 31 Walter Antoniolli, Friedrich Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Wien 1986, S. 9. 32 Felix Ermacora, Der Konflikt zwischen Politik und Verwaltung, in: Die Diener des Staates, Das bürokratische System Österreichs, hrsg. v. Günther Engelmayer, Wien 1977, S. 62. 33 Herbert Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, in: Der Staat als Aufgabe, S. 297.
1. Die Regierung - eine eigene Staatsfunktion?
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das der Regierung und das der Vollziehung, wobei jenes die Initiative und Anordnung enthält, dieses hingegen die Ausführung des Angeordneten. 34 Verwaltungstätigkeit im engeren Sinn ist die Tätigkeit der Regierung auf Grund von einfachen Gesetzen. Ein weiterer Ausdruck für den überragenden Einfluß, den die Regierung durch ihr Übergewicht als materieller Gesetzgeber auf die Verwaltung ausübt, stellt das verfassungsgesetzlich normierte Weisungsreche s dar, das ihr gegenüber den ihr unterstehenden Verwaltungsbehörden zusteht. So legt Art. 20 Abs. 1 B-VG fest, daß unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Verwaltung führen. Diese sind, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich. Somit ist das nachgeordnete Organ verpflichtet, die Weisung des übergeordneten Organs zu befolgen. Die Grenzen der Weisungsgebundenheit finden sich ebenfalls in Art. 20 Abs. 1 B-VG, wonach die Befolgung der Weisung abzulehnen ist, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.
Obwohl der Handlungsspielraum der Regierung in den Angelegenheiten der reinen Gesetzesvollziehung weitestgehend durch die Vorschriften des Gesetzes eingegrenzt wird, gibt es dennoch 34 Georg lellinek, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck des fünften Neudrucks der dritten Auflage, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1966, S. 618 f. 35 Siehe dazu etwa Walter Baifuß, Die Weisung, Forschungen aus Staat und Recht 2, Wien 1967; Herbert Schambeck, Der Beamte und das Bundes-Verfassungsgesetz, in: Festschrift für Ernst Hellbling, hrsg. v. Hans Lentze und Peter Putzer, München, Salzburg 1971, S. 645 ff sowie Friedrich Wagner, Zur Gehorsamspflicht in der staatlichen Verwaltung, Zeitschrift für Verwaltung 1987, S. 116 ff.
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11. Zum Begriff der Regierung
Materien, in denen der Regierung auch als reines Gesetzesvollzugsorgan weitreichendes Ennessen zukommt, so etwa auf den Gebieten der Wirtschaftsverwaltung 36 und der Privatwirtschaftsverwaltung 37 , die in viel geringerem Maß durch das Gesetz determiniert sind.
2. Zu den Aufgaben der Regierung Die Aufgaben der Regierung werden von den Aufgaben des Staates bestimmt, die in einer demokratischen Republik wie Österreich 38 von organisierten persönlichen Wünschen der Einzelmenschen und den Interessen der Gesellschaft entscheidend mitbestimmt werden. Parteipolitische Standpunkte begleiten sie motivierend. Regieren verlangt Wegweisung auf Grund der Rechtsordnung. Als Spitze des Behördenapparates wird die Regierung in Gesetzesvollziehung zunächst mehr in verwaltungstechnischer Hinsicht tätig. Daneben gibt es jedoch auch noch eine politische Seite der Tätigkeit der Regierung. Die Regierung tritt stellvertretend für das handlungsunfähige Volk auf und organisiert, beaufsichtigt und
36 Vgl. Ludwig Frähler, Das Wirtschaftsrecht als Instrument der Wirtschaftspolitik, Wien, New York 1969, S. 41 ff; allgemein zum Wirtschaftsrecht siehe Kar! Wenger, Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Band I, Wien 1989. 37 Karl Korinek und Michael Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung - Verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Rahmenbedingungen nicht hoheitlicher Verwaltung, Graz 1993 sowie dieselben, Bundesverfassungsrechtliche Probleme privatrechtsförrniger Subventionsverwaltung, Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 1995, S. 1 ff und 108 ff. 38 Herbert Schambeck, Die Demokratie, in: Derselbe (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, Berlin 1980, S. 149 ff.
2. Zu den Aufgaben der Regierung
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leitet zu diesem Zweck die Verwaltung?9 Dabei steht sie auch im politischen Kräftefeld der Verbände, nämlich der Parteien und Interessenvertretungen und hat durch ihre Akte harmonisierend und stabilisierend auf die politischen Kräfte einzuwirken, was sich besonders deutlich bei der Erarbeitung des Budgets jedes Jahr zeigt. Einerseits hat also die Regierung auf einen Ausgleich der politischen Kräfte hinzu wirken, andererseits muß sie aber ebenso eine zukunftsorientierte, dynamische Führungsrolle einnehmen. Auch in diesem Sinne hat schon Ulrich Scheuner40 als materielle Funktion der Regierung " ... die schöpferische Entscheidung, die politische Initiative und die zusammenfassende Leitung des Staatsganzen" bezeichnet. Jedes Programm der Regierung sollte nicht nur auf die Bewältigung der Gegenwart und ihrer Probleme abzielen, sondern auch versuchen, Pläne für die Zukunft zu erstellen. Jeder Bereich des Lebens, sei es nun Wirtschaft, Technik oder Gesellschaft, unterliegt einer Entwicklung; daher ist es notwendig, daß auch die Regierung mit diesen Veränderungen Schritt hält und sich diesen Entwicklungen anpaßt. Somit ergibt sich als die wichtigste Aufgabe des Regierens heute, sowohl mit der Entwicklung der Gesellschaft Schritt zu halten, als auch diese Entwicklung in all ihrer Komplexität im voraus zu übersehen und ihre Auswirkungen zu bewältigen. 41 Es wurde in Zusammenhang mit der Funktion der Regierung im modernen Rechtsstaat Regierung als Vorbereitung der grundsätzlichen Gestaltung von Lebensverhältnissen in 39 Theodor Schramm, Staatsrecht, Band I, Köln, Berlin, Bonn, München 1971, S. 87. 40 Ulrich Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche, Festgabe für Rudolf Smend, hrsg.v. der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen, Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Band 3, Göttingen 1952, S. 278. 41 Herbert Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, in: Der Staat als Aufgabe, S. 298.
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H. Zum Begriff der Regierung
Rechtsfonnen umschrieben. Regierungstätigkeit bedeutet somit im Rechtsstaat Rechtsvorbereitung. 42 Um diese Aufgabe der Staatsleitung erfüllen zu können, erstellt die Regierung ihr Regierungsprogramm. Regierungshandeln ist daher in der Regel eine versuchte Programmverwirklichung. Bei der Erstellung dieses ihres Programmes ist die Regierung jedoch nicht ungebunden, stets hat sie den von der Verfassung gesteckten Rahmen zu beachten. Trotz dieser verfassungsrechtlichen Grenzen hat sie natürlich die Möglichkeit, im Bereich der politischen Planung auch Alternativen vorzuschlagen, selbst wenn deren Realisierung eine Verfassungsänderung voraussetzen würde. Faßt man nun die Funktionen der Regierung zusammen, so ergeben sich daraus drei Aspekte: Die Regierung ist vergangenheitsbezogen, als sie die bereits beschlossene Verfassung so zur Ausführung bringen will, daß die Kontinuität der Rechtsentwicklung, die ihr als Organ Stabilität verleihen kann, gewahrt bleibt; sie muß gegenwartsbezogen sein, da sie sich mit den derzeitigen Anliegen des Einzelnen und den öffentlichen Interessen der Gesellschaft, die von Parteien und Interessenverbänden vertreten werden, auseinandersetzen muß, weil sie ja in einer parlamentarischen Demokratie von der Zustimmung der Repräsentanten der organisierten Interessen in den Parteien und Interessenverbänden, welche für die parlamentarische Staats willens bildung mitausschlaggebend sind, zur Fortsetzung ihrer Arbeit abhängig ist; in dieser Weise muß eine Regierung auch zukunJtsbezogen sein, da sie Entwicklungen wahrzunehmen hat, die dementsprechenden Pläne zu erstellen, Gesetzesentwürfe vorzubereiten und wegweisend im Parlament einzubringen hat.
42 Martin Usteri, Die Funktion der Regierung im modemen föderalistischen Staat, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung, Band 5, Wien 1977, S. 16.
3. Die Grenzen der Regierung
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3. Die Grenzen der Regierung Es darf aber nicht angenommen werden, die Regierung sei bei Erfüllung ihrer Funktionen ungebunden. Vielmehr sind ihr sowohl außerrechtliche als auch rechtliche Grenzen gesetzt. 43 Außerrechtliche Grenzen sind vor allem die Ethik und die Zweckmäßigkeit. Aus der Dynamik und Situationsbezogenheit der Politik ergibt sich, daß für ethische Fragen der Politik keine Detailregelung für Regierende im vorhinein möglich ist, sie daher dem Gewissensbereich44 des Einzelnen überlassen bleibt. Dasselbe gilt für Zweckmäßigkeits entscheidungen, in welchen Augenblicksbedürfnisse, Sachnotwendigkeiten und nicht zuletzt Staatsinteressen sich vereinen. Objektive und subjektive Entscheidungskriterien werden diesen außerrechtlichen Bereich der Regierung prägen. Rechtlich ist die Regierung durch die Verfassung, vor allem durch die Staatszwecke45 und Staatsstrukturbestimmungen46 der Verfassung, durch einfache Gesetze und besonders durch das Haushaltsgesetz 47 gebunden, das, je mehr der Staat über den ho43 Siehe dazu Karl Carstens, Politische Führung, Erfahrungen im Dienste der Bundesregierung, Stuttgart 1971; Herbert Schambeck Ethik und Staat, Berlin 1986, S. 135 ff sowie derselbe, Politik und Recht, Festschrift zum 60. Geburtstag für 1. Hanns Pich1er, hrsg. v. Geiserich E. Tichy u. a., Berlin 1996, S. 225 ff. 44 Beachte Heinrich Schneider, Politische Bildung als Gewissensbildung, Würzburg 1961; Herbert Schambeck, Die Verantwortung in der modernen Demokratie, in: Verantwortung in Staat und Gesellschaft, S. 37 ff sowie derselbe, Verantwortlichkeit nach österreichischem Bundesverfassungsrecht, in: Humanes und Urbanes, Festschrift für Viktor Wallner, St. Pölten 1982, S. 117 ff. 45 Herbert Schambeck, Von den Staatszwecken Österreichs, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teilband, S. 3 ff. 46 Herbert Schambeck, Staatsstrukturbestimmungen und österreichisches Bundes-Verfassungsrecht, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Festschrift für Hans R. K1ecatsky zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Ludwig Adamovich und Peter Pernthaler, 2. Band, Wien 1980, S. 867 ff. 3 Schambeck
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11. Zum Begriff der Regierung
heitlichen Bereich im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung tätig wird48 und seine Deckung vor allem im Budget49 findet, von wachsender Bedeutung ist. All diese von der Regierung zu erfüllenden Aufgaben verlangen eine besondere Verantwortung, die aufgrund des Umstandes, daß die Regierung sich aus Ministern zusammensetzt, als Ministerverantwortlichkeit50 bezeichnet wird. Ministerverantwortlichkeit ist somit jene Verantwortung, die der einzelne an der Führung des Staates beteiligte Organwalter51 im Rahmen seiner Regierungsfunktion zu tragen hat. 52
4. Die Ministerverantwortlichkeit Die Verantwortung des Regierungsmitgliedes bezieht sich auf den Bereich des jeweiligen Ressorts,53 in dem in Österreich der einzelne Bundesminister eigenverantwortlich ist, sowie die Regierungsbeschlüsse, da diese einstimmig zustandekommen müssen. 54 47 Siehe dazu Johannes Hengstschläger, Das Budgetrecht des Bundes, Gegenwartsprobleme und Entwicklungstendenzen, Berlin 1977, S. 59 ff sowie Heinrich Neisser, Die Bundeshaushaltsrechtsreform in Österreich, Die Verwaltung 1988, S. 335 ff. 48 So schon Hans Klecatsky, Die verfassungsrechtliche Problematik des modemen Wirtschaftsstaates, Graz 1968. 49 Siehe Johannes Hengstschläger, Das Budgetrecht des Bundes. 50 Zur Entwicklung der Ministerverantwortlichkeit siehe Friedrich Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, Berlin 1977. 51 Zum Begriff des Organwalters siehe Antoniolli - Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 324 ff. 52 Herbert Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, Karlsruher Juristische Studien, Nr. 101, Karlsruhe 1971, S. 8 f. 53 Vgl. Kar! Korinek, Ministerverantwortlichkeit, Heft 1 der Schriftenreihe Recht - Politik - Wirtschaft, Wien 1986, S. 13. 54 Dazu Robert Walter und Heinz Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. Auflage; Wien 1996, S. 263.
4. Die Ministerverantwortlichkeit
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Die Ministerverantwortlichkeit umfaßt einerseits die Verantwortung für vom Ressortchef selbst getroffene Entscheidungen, andererseits hat er auch für all das einzustehen, was ihm gegenüber nach Art. 20 Abs. 1 B-VG weisungsgebundene und gehorsamspflichtige Personen in seinem Ressort tun. Die Ministerverantwortlichkeit ist daher in Österreich auch eine besondere Form der Verantwortung für culpa in eligendo! Somit erstreckt sich die Verantwortlichkeit auf den gesamten eigenen Zuständigkeits bereich, wobei die gesamte Amtsführung erfaßt ist, d. h. der Minister ist nicht nur für seine Verwaltungstätigkeit, also Hoheitsverwaltung und Privatwirtschaftsverwaltung, verantwortlich, sondern auch für das, was als Regierungsgeschäfte bezeichnet wird; gemeint ist damit etwa auch die Vorbereitung von parlamentarischen Akten, die politische Planung USW. 55 Daneben werden jedoch dem Ressortchef, wie erwähnt, auch Handlungen und Unterlassungen der dem obersten Organ verantwortlichen Untergebenen zugerechnet. Es kann somit Verantwortlichkeit auch dort bestehen, wo keine persönliche Schuld, sondern Fremdverschulden vorliegt!
Sachlich reicht die jeweilige Verantwortlichkeit so weit, wie der Sachbereich des jeweiligen Ressorts reicht; dieser Sachbereich wird allgemein in Österreich durch das Bundesministeriengesetz 198656 und im besonderen durch eigene Vorschriften bestimmt, wie etwa die jeweiligen Vollzugsklauseln 57 und besondere Kompetenzbestimmungen in materiellen Gesetzen. 58 In der Ressortführung ist das jeweilige Regierungsmitglied in Österreich selbständig und eigenverantwortlich; auch der österreichische Bundeskanzler ist den übrigen Mitgliedern der Regierung Kar! Korinek, Ministerverantwortlichkeit, S. 13 ff. BGBl. Nr. 76/1986 i.d.F. BGBl. I, Nr. 21/1997. 57 Vgl. Walter Barfuß, Ressortzuständigkeit und Vollzugsklausel, Forschungen aus Staat und Recht 7, Wien-New York 1968. 58 Zum Wirkungsbereich der einzelnen Bundesminister siehe WalterMayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 266 ff. 55
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11. Zum Begriff der Regierung
nicht über-, sondern gleichgeordnet. Die Funktion des Bundeskanzlers Österreichs als Vorsitzender der Regierung begründet keine rechtliche Überordnung, vielmehr resultiert aus dieser Funktion eine Koordinationskompetenz 59 , die allerdings keine dem Art. 65 GG vergleichbare "Richtlinienkompetenz,,60 umfaßt. Trotzdem darf nicht die politische Wirklichkeit übersehen werden, nämlich, daß seit Jahrzehnten in Österreich zumeist der Partei vorsitzende der mandatsstärksten Partei Bundeskanzler ist61 und auf parteipolitischem Weg die Möglichkeit hat, Richtlinien der Politik zu bestimmen. 62 Betrachtet man die Ministerverantwortlichkeit in Österreich näher, so lassen sich drei Seiten unterscheiden, nämlich eine politische, eine rechtliche und eine finanzielle. Die politische Ministerverantwortlichkeit erstreckt sich auf den Aufgabenbereich des Ministers, in dem er innerhalb der von der Verfassung bestimmten Grenzen seiner Zuständigkeit die Verfassungsprinzipien aufgrund eigenständiger Initiativen näher ausführt, z. B. Gesetzesinitiativen vorbereitet und politische Erklärungen abgibt. Von der rechtlichen Ministerverantwortlichkeit wird jener Bereich der Ministertätigkeit umfaßt, in welchem der Minister als oberstes Vollzugsorgan 59 Siehe dazu Teil 2 A der Anlage des Bundesministeriengesetzes, BGBl.Nr. 76/1986 in der Fassung BGBL I, Nr. 21/1997; näher Ludwig Adamovich, Die Koordinationskompetenz des Bundeskanzlers in verfassungsrechtlicher Sicht, Juristische Blätter 1973, S. 234 ff sowie Herbert Schambeck, Die Demokratie, S. 188. 60 Siehe etwa Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 10ll f; Wilhelm Hennis, Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, Recht und Staat, Heft 300/301, Tübingen 1964 sowie Ernst Ulrich Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Tübingen 1965. 61 Näher hiezu Herbert Schambeck, Das österreichische Regierungssystem - Ein Verfassungsvergleich, Veröffentlichungen der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 337, Opladen 1995, S. 28 f. 62 Siehe dazu auch Herbert Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, S.33.
4. Die Ministerverantwortlichkeit
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den in der Verfassung und in Gesetzesform geäußerten Willen des Gesetzgebers ausführt. Somit ist seine Aufgabe die der Verfassungs- und Gesetzeskonkretisierung und stellt eine Form der Verwaltungsverantwortlichkeit dar. Den dritten Bereich bildet die finanzielle Verantwortlichkeit, die die Verantwortung für die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates beinhaltet, wobei die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Zweckmäßigkeit in diesem Zusammenhang zu beachten sind. 63 Diese finanzielle Verantwortlichkeit bezieht sich sowohl auf die Hoheits- als auch auf die Privatwirtschaftsverwaltung. Diese drei Seiten, nämlich die politische, die rechtliche und die finanzielle Verantwortung machen die Ministerverantwortlichkeit im weiteren Sinne aus. 64 Die Unterscheidung in eine staatsleitende und eine gesetzesausführende Regierung ist weiters wichtig für die Frage, wessen Kontrolle das Handeln der Regierung unterliegt. Wird die Regierung mehr im Bereich der ausführenden Verwaltung tätig, so sind diese Handlungen einer rechtlichen Prüfung zugänglich, so z. B. durch den Verwaltungsgerichtshof. 65 Je mehr jedoch dieses Handeln politikorientiert und staatsleitender Natur ist, desto weniger ist es justiziabel und unterliegt mehr der parlamentarischen 66 als der gerichtlichen 67 Kontrolle. In diesem Sinne heißt also Regieren im demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaat Herrschaftsausüben auf Grundlage des positiven Rechts unter Aufsicht des Volkes, seiner Vertreter und Organe. Das Parlament stellt hiezu einen Hauptbezugspunkt dar. Art. 126b Abs. 5,127 Abs. 1 und 127a Abs. 1 B-VG. Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 41 sowie derselbe, Ministerverantwortlichkeit, S. 25. 65 Art. 130 Abs. 1 lit. a und 131 B-VG. 66 Art. 52 und 53 B-VG. 67 Art. 131 und 144 B-VG. 63
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III. Die Aufgaben des Parlaments
111. Die Aufgaben des Parlaments Das Wort Parlament geht auf das französische Wort ,parler' und auf das italienische Wort ,parlare' zurück, worunter man reden und sprechen versteht. Das Parlament ist demnach der Ort, an dem durch Rede und Gegenrede eine Willensbildung zustande kommt. 68
Das Parlament ist als Organ der Vertretung des Volkes eine Institution der Demokratie. 69 Für Hans Kelsen ist dementsprechend die Aufgabe des Parlaments die Bildung des maßgeblichen staatlichen Willens durch ein vom Volke auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes, also demokratisch gewähltes Kollegialorgan nach dem Mehrheitsprinzip.7o Daraus ergibt sich also, daß das Parlament eine Repräsentativfunktion besitzt, d. h. es hat andere Personen, nämlich die Staatsbürger, die wegen ihrer großen Zahl oder räumlichen Distanz nicht selbst daran teilnehmen können, zu "vertreten" und an ihrer Stelle verbindlich für sie zu handeln. 71 Das Parlament ist in Erfüllung seiner Repräsentativfunktion aber auch öffentliche Tribüne geworden, auf der vor dem ganzen 68 Herbert Schambeck, Vom Sinn und Zweck des Parlamentarismus, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 1. 69 Heinz Rausch, Parlament, Parlamentarismus, in: Staatslexikon, hrsg.von der Görres-Gesellschaft, 4. Band, 7. Auflage, Freiburg, Basel, Wien 1988, Spalte 296 ff. 70 Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Neudruck der 2. umgearbeiteten Auflage von 1929, Aalen 1963, S. 28. 71 Zum Begriff des Parlaments siehe Karl Loewenstein, Zum Begriff des Parlamentarismus, in: Parlamentarismus, hrsg. v. Kurt Kluxen, 2. Auflage, Köln, Berlin 1969, S. 65 ff; Helmut Widder, Parlamentarische Strukturen im politischen System, Zu Grundlagen und Grundfragen des österreichischen Regierungssystems, Berlin 1979, S. 33 ff sowie Peter Gerlieh, Zum Begriff des Parlaments in Österreich, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 21 ff.
1. Zum Weg und der Funktion der Gesetzgebung
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Volk, das durch Presse, Rundfunk und Fernsehen in besonderer Weise an dieser Öffentlichkeit teilnimmt, die Regierung und die sie stützenden Parteien ihre Politik dem Volke darlegen und verteidigen, die Opposition aber diese Politik in der gleichen Öffentlichkeit angreift und ihre Alternativpolitik entwickelt. Die Opposition zwingt so die Regierung und ihre Mehrheit, bei jedem Akt der Legislative und der Politik ihre Grunde öffentlich vor dem Volke darzulegen. 72
1. Zum Weg und der Funktion der Gesetzgebung Hauptaufgabe des österreichischen Parlaments ist die Umsetzung des Volkswillens in die politische Praxis73 , wobei diese Aufgabe vor allem durch die Primärfunktion der Gesetzgebung erfüllt werden kann. Diese Aufgabe entwickelte sich aus dem Steuerbewilligungsrecht des Parlaments gegenüber dem Monarchen über die negative zur positiven Bindung der Vollziehung an die Gesetze. 74 Je mehr somit der Staat demokratischer Rechtsstaae5 wurde, umso bedeutender wurde diese Gesetzgebungsfunktion des Parla72 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: Strukturwande1 der modemen Regierung, S. 135. 73 Vgl. dazu Gerhard Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung, Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 99, Basel und Stuttgart 1971, S. 13. 74 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 2. Auflage, München und Leipzig 1914, S. 4 ff; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 610 ff sowie Herben Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates, S. 20 ff. 75 Dazu näher Adolf Merkl, Die Wandlungen des Rechtsstaatsgedankens, Österreichisches Verwaltungsblatt 1937, S. 174 ff, Neudruck in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule, Schriften von Hans Ke1sen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, 2. Band, S. 1953 ff sowie Edwin Loebenstein, Der Rechtsstaat, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 253 ff.
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III. Die Aufgaben des Parlaments
ments, um eben das Handeln des Staates zu reglementieren. "Das Gesetz ist der Inbegriff des Allgemeinen und Grundsätzlichen; als tragendes Gerüst hat es die gesamte Tätigkeit des Staates zu binden und zu bestimmen. Weil sich das Gesetz an jedermann wendet, kann nur die Allgemeinheit, das Volk, dessen Urheber sein.,,76 Somit verlangt es die Generalität des Gesetzes, daß es vom Volk bzw. von der Volksvertretung, also von den Repräsentanten, erlassen wird. 77 In der Mehrzahl wird das Gesetzgebungsveljahren des Bundes in Österreich durch Regierungsvorlagen eingeleitet. Doch bevor eine Regierungsvorlage von der Bundesregierung einstimmig beschlossen und im Nationalrat eingebracht wird, werden solche Initiativen als Ministerialvorlagen eines Ressorts den Bundesländern und Interessenvertretungen 78 zur Begutachtung vorgelegt. Im Zuge dieses Verfahrens können die Länder und Interessenverbände ihre Wünsche und Forderungen einbringen, allerdings besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung, diese Stellungnahmen zu berücksichtigen. 79 Darüber hinaus ist die Schaffung eines sogenannten Konsultationsmechanismus in Form einer Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden in Vorbereitung, wobei ein einvernehmlicher Text einer solchen Vereinbarung am 10. Dezember 1996 zwischen Vertretern des Bundes, der Landeshauptmännerkonferenz, des Österreichischen Gemeindebundes und des 76 Max Imboden, Rousseau und die Demokratie, Recht und Staat, Heft 267, Tübingen 1963, S. 16. 77 Siehe Gerhard Schmid, Verhältnis von Parlament und Regierung, S.20. 78 Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst vom 21. März 1949, Zl. 26.391-2a/49 und dazu näher Herbert Reiger; Die Bundesgesetzgebung und die Interessenvertretungen, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 583 ff. 79 Helmut Widder; Die Gesetzgebung, in: Das österreichische BundesVerfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 401.
1. Zum Weg und der Funktion der Gesetzgebung
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Österreichischen Städtebundes durch Unterzeichnung einer Schlußakte festgelegt wurde. Da Vertragspartner dieser Vereinbarung nicht nur der Bund und die Länder sein sollen, sondern darüber hinaus auch die Gemeinden, bedarf es einer bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung, daß der Österreichische Gemeindebund und der Österreichische Städtebund namens der Gemeinden eine solche Vereinbarung abschließen können. Gleichzeitig soll mit diesem Bundesverfassungsgesetz über die Ermächtigung des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes auch die nach Art. 15 a B-VG erforderliche parlamentarische Genehmigung für den Abschluß dieser Vereinbarung erteilt werden. 8o Die Besonderheit dieses Bundesverfassungsgesetzes liegt somit darin, daß sich die Genehmigung nicht auf eine bereits unterzeichnete Vereinbarung bezieht, sondern daß eine Genehmigung zur Unterzeichnung einer Vereinbarung erteilt wird, deren Text mit der Schlußakte vom 10. Dezember 1996 einvernehmlich festgelegt worden ist. Diese Vorgangsweise hat den Vorteil einer wesentlich rascheren Abwicklung, da ansonsten das Parlament zweimal befaßt werden müßte, nämlich zunächst mit dem Bundesverfassungsgesetz und dann nach erfolgter Unterzeichnung der Vereinbarung mit dieser selbst. Diese Vereinbarung bezieht sich auf alle Gesetzesentwürfe der Bundesministerien, der Bundesregierung, der Ämter der Landesregierungen und einer Landesregierung, Initiativ- und Abänderungsanträge, Berichte der Ausschüsse des Nationalrates bzw. eines Landtages sowie Verordnungen, wobei in die Entwürfe eine Darstellung der finanziellen Auswirkungen aufzunehmen ist. Diese Entwürfe sind sodann bereits im Begutachtungsverfahren allen anderen Gebietskörperschaften zu übermitteln. 80 Siehe die Regierungsvorlage 578 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen, XX. GP.
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III. Die Aufgaben des Parlaments
Der Bund, vertreten durch den Bundesminister für Finanzen, ein Land, der Österreichische Gemeindebund oder der Österreichische Städtebund können daraufbin verlangen, daß in einem Konsultationsgremium Verhandlungen über die durch ein Vorhaben im Falle seiner Verwirklichung für den Antragsteller verursachten finanziellen Ausgaben aufgenommen werden. Danach hat ein Konsultationsgremium, welches aus drei Vertretern des Bundes, drei Vertretern der Länder und je einem Vertreter von Gemeinde- und Städtebund besteht, eine einvernehmliche Empfehlung für die Kostentragung zu beschließen. Wird keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, kommt es zu keiner Einigung im Konsultationsgremium oder werden Empfehlungen des Konsultationsgremiums nicht abgewartet oder wird ihnen nicht Rechnung getragen, so ist ein Ersatz der durch die Verwirklichung des Vorhabens zusätzlich verursachten finanziellen Ausgaben zu leisten, wobei die Ersatzpflicht jene Gebietskörperschaft trifft, der das Organ angehört, welches das Gesetz oder die Verordnung erlassen hat. Im Streitfall entscheidet der Verfassungsgerichtshof nach Art. 137 B-VG. Ausgenommen von dieser Vereinbarung sind rechtsetzende Maßnahmen, die eine Gebietskörperschaft aufgrund zwingender Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu setzen verpflichtet ist, oder die Gebietskörperschaften in ihrer Eigenschaft als Träger von Privatrechten so wie jeden anderen Rechtsträger treffen oder auf dem Gebiet des Abgabenrechts und des Finanzausgleichs getroffen werden. Darüber hinaus sieht die Vereinbarung Bagatellgrenzen vor. Übersteigen die jährlichen finanziellen Auswirkungen eines Vorhabens diese Bagatellgrenzen nicht, so sollen die vorgesehenen Kostentragungsfolgen nicht eintreten, und es soll bei der bisherigen Kostentragung bleiben. Trotz der Schaffung dieses Konsultationsmechanismus bleibt jedoch die Bedeutung des Bundesrates zur Vertretung der Länderinteressen bestehen. Einerseits muß darauf hingewiesen werden,
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daß der Konsultationsmechanismus weder im Bundes-Verfassungsgesetz noch im Finanz-Verfassungsgesetz verankert und jederzeit kündbar ist. Andererseits hat das Einspruchsrecht des Bundesrates etwa in jenen Angelegenheiten besonderes Gewicht, die vom Konsultationsmechanismus ausgeschlossen sind. Von Bedeutung ist das Einspruchsrecht des Bundesrates auch in jenen Fällen, die für die Länder zwar mit keinen unmittelbaren Kostenfolgen für die Verwaltung verbunden sind, dort aber doch nachteilige Folgen haben. Weiters ist zu bemerken, daß vom Konsultationsmechanismus zwar finanzielle Belastungen der Länder, nicht aber Eingriffe in ihre Gesetzgebungs- oder Vollziehungszuständigkeiten erfaßt sind. Somit sind die Länder in diesem Bereich weiterhin nur durch das verfassungsgesetzlich verankerte Zustimmungsrecht des Bundesrates geschützt. Besonders ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der Konsultationsmechanismus ein Koordinationsinstrument der zur Vertretung der jeweiligen Gebietskörperschaft nach außen berufenen Organe, also der Bundesregierung, der Landesregierungen und des Gemeinde- und Städtebundes ist, jedoch kein Vermiulungsgremium gesetzgebender Körperschaften. Weder Bundesrat noch Nationalrat und die Landtage sind in den Konsultationsmechanismus eingebunden. 81 Neben der Regierungsvorlage kann gern. Art. 41 Abs. 1 B-VG ein Gesetzgebungsverfahren auch durch einen selbständigen Antrag der Mitglieder des Nationalrates eingeleitet werden, wobei ein solcher in Form eines ,Jnitiativantrags" mit der erforderlichen Unterstützung von fünf Abgeordneten (unter Einrechung des An81 So auch Herbert Schambeck in seiner Antrittsrede als Präsident des Bundesrates, gehalten im Bundesrat der Republik Österreich am 16. Jänner 1997 in Wien, Stenographisches Protokoll der 621. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich, S. 31.
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III. Die Aufgaben des Parlaments
tragstellers)82 oder als Antrag eines Ausschusses des Nationalrates, wenn das beantragte Gesetz mit dem im Ausschuß behandelten Gegenstand in inhaltlichem Zusammenhang steht,83 eingebracht werden muß. Weiters können gern. Art. 41 Abs. 1 B-VG auch der Bundesrat oder ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates einen Gesetzesantrag an den Nationalrat stellen. Schließlich ist auch ein Antrag, der von 100 000 Stimmberechtigen oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder unterstützt wurde, dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen (Volksbegehren).84 Über die Gesetzesanträge können sodann im Plenum des Nationalrates drei "Lesungen" abgehalten werden. So ist gern. § 69 Abs. 4 GeoG-NR über Gesetzesvorschläge von Abgeordneten eine Erste Lesung durchzuführen, wenn es im Antrag verlangt wird. Jeder Gesetzesvorschlag eines Ausschusses ist vom Nationalrat unmittelbar in Zweite Lesung zu nehmen. 85 Regierungsvorlagen, Gesetzesvorschläge des Bundesrates und Volksbegehren werden nur auf Beschluß des Nationalrates in Erste Lesung genommen. 86 Ist keine Erste Lesung durchzuführen, so weist der Präsident die Gesetzesanträge an den entsprechenden Ausschuß § 26 Abs. 4 GeoG-NR. § 27 Abs. I GeoG-NR. 84 Art. 41 Abs. 2 B-VG; siehe näher Herbert Schambeck, Das Volksbegehren, Recht und Staat, Heft 400/401, Tübingen 1971; Heinz Mayer, Verfahrensfragen der direkten Demokratie, in: Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Schambeck, hrsg.v. Johannes Hengstschläger, Heribert F. Köck, Karl Korinek, Klaus Stern, Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 513 ff; derselbe, Plebiszitäre Instrumente in der staatlichen Willensbildung, in: 75 Jahre Bundesverfassung, Festschrift aus Anlaß des 75. Jahrestages der Beschlußfassung über das Bundes-Verfassungsgesetz, hrsg. von der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft, Wien 1995, S. 341 ff sowie Helmut Widder, Die plebiszitäre Komponente im Gesetzgebungsverfahren, ebenda, S. 315 ff. 85 § 70 Abs. 1 GeoG-NR. 86 § 69 Abs. 3 GeoG-NR. 82 83
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zu, ansonsten erfolgt die Zuweisung nach der Ersten Lesung. 87 Die Erste Lesung hat sich auf die Besprechung der allgemeinen Grundsätze der Vorlage zu beschränken. Es dürfen nur Anträge auf Wahl eines besonderen Ausschusses zur Vorberatung der Vorlage gestellt werden. 88
Der Ausschuß, dem der Gesetzesantrag zugewiesen wurde, hat diesen zu beraten und die Beschlußfassung des Plenums vorzubereiten (vgl. § 32 Abs. 1 GeoG-NR).89 Der Ausschuß wählt am Schluß der Verhandlungen einen Berichterstatter für die Verhandlungen im Plenum des Nationalrates, der das Ergebnis der Ausschußberatungen in einem schriftlichen Bericht zusammenfaßt. 90 Die Zweite Lesung besteht aus der allgemeinen Debatte über die Vorlage als Ganzes (Generaldebatte) und den Beratungen über einzelne Teile der Vorlage (Spezialdebatte) sowie den Abstimmungen. Generaldebatte und Sozialdebatte werden unter einem abgeführt, wenn der Nationalrat auf Antrag des Berichterstatters nicht anderes beschließt. 91 Die Generaldebatte beginnt mit der Rede des Berichterstatters. Am Schluß der Generaldebatte ist darüber abzustimmen, ob der Nationalrat in die Spezialdebatte eingeht. Beschließt der Nationalrat, in die Spezialdebatte einzugehen, so folgt diese unmittelbar der Generaldebatte. Wird das Eingehen in die Spezialdebatte abgelehnt, so ist die Vorlage verworfen. 92 Am Beginn der Spezialdebatte bestimmt der Präsident, welche Teile der Vorlage für sich oder vereint zur Beratung und Beschlußfassung kommen. Zu jedem einzelnen Teil können Abänderungs- und Zusatzanträge gestellt werden, wenn diese von min87 88 89
90 91 92
§ 69 Abs. 6 und 7 GeoG-NR. § 69 Abs. 5 und 6 GeoG-NR. Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 184. § 42 Abs. 1 GeoG-NR. § 70 Abs. 2 GeoG-NR. § 71 Abs. 2 und 3 GeoG-NR.
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destens fünf Abgeordneten einschließlich des Antragstellers unterstützt werden. 93 Nach Beratung jedes Teiles der Vorlage hat die Abstimmung über denselben zu erfolgen. Der Nationalrat kann beschließen, die Verhandlung zu vertagen, den Gegenstand nochmals an den Ausschuß zu verweisen oder zur Tagesordnung überzugehen. 94 Nachdem das Gesetz in Zweiter Lesung beschlossen ist, wird die Dritte Lesung vorgenommen. Diese Dritte Lesung dient der Abstimmung über das zu beschließende Gesetz im ganzen. Es können nur mehr Anträge auf Behebung von Widersprüchen, die sich bei der Beschlußfassung in der Zweiten Lesung ergeben haben, gestellt werden; ferner können Schreib- und Druckfehler sowie sprachliche Mängel behoben werden. Eine Debatte über Anträge in der Dritten Lesung ist nur zulässig, wenn es der Nationalrat im einzelnen Fall beschließt, wobei die Redezeit in einem solchen Fall auf fünf Minuten beschränkt ist. 95 Für die Abstimmung ist im Nationalrat sowohl bei der Zweiten als auch bei der Dritten Lesung gern. Art. 31 B-VG bei einfachen Bundesgesetzen die Anwesenheit von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Dieser Gesetzesbeschluß des Nationalrates ist unverzüglich dem Bundesrat zu übermitteln. Der Bundesrat kann nun dagegen innerhalb von acht Wochen einen mit Gründen versehenen Einspruch erheben. In diesem Fall kann der Nationalrat wiederum seinen ursprünglichen Beschluß bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder wiederholen (Beharrungsbeschluß). Sodann ist der Gesetzesbeschluß zu beurkunden und kundzumachen. Beschließt der Bundesrat, keinen Einspruch zu erheben oder wird 93 94 95
§ 71 Abs. 1 und 3 GeoG-NR. § 72 Abs. 6 GeoG-NR. § 74 GeoG-NR.
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innerhalb der achtwöchigen Frist der Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom Bundesrat nicht behandelt, so ist der Gesetzesbeschluß ebenfalls zu beurkunden und kundzumachen. 96 Vor der Beurkundung, jedoch nach der Beendigung des Verfahrens gern. Art. 42 B-VG kann jedoch jeder Gesetzesbeschluß einer Volksabstimmung unterzogen werden, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt. 97 In der Volksabstimmung entscheidet die unbedingte Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen. 98 Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird durch die Unterschrift des Bundespräsidenten beurkundet. Die Vorlage zur Beurkundung erfolgt durch den Bundeskanzler. Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler gegenzuzeichnen. 99 Schließlich ist das Bundesgesetz vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Seine verbindende Kraft beginnt, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages, an dem das Stück des Bundesgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, herausgegeben und versendet wird, und erstreckt sich, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, auf das gesamte Bundesgebiet. 100 Allerdings gibt es eine Vielzahl von Gesetzen, für die bezüglich des Gesetzgebungsverfahren Abweichungen gesetzlich vorgesehen sind. So können bestimmte einfache Bundesgesetze, wie das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates und Bundesgesetze in Art. 42 Abs. 1 - 4 B-VG. Art. 43 B-VG; siehe näher Helmut Widder, Die plebiszitäre Komponente im Gesetzgebungsverfahren, in: 75 Jahre Bundesverfassung, S. 330 ff. 98 Art. 45 Abs. 1 B-VG. 99 Art. 47 B-VG. 100 Art. 49 Abs. 1 B-VG. 96 97
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Schulangelegenheiten, aufgrund besonderer verfassungsgesetzlicher Vorschriften 101 im Nationalrat nur bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Weiters kommt bei einigen einfachen Bundesgesetzen dem Bundesrat nicht nur ein suspensives, sondern ein absolutes Veto, also ein Zustimmungsrecht, zu. So kann im Falle eines einfachen Bundesgesetzes über die Grundsätze (Art. 12 B-VG) für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist gesetzt werden, wobei allerdings ohne Zustimmung des Bundesrates diese Frist nicht kürzer als sechs Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Andererseits gibt es wiederum einfache Bundesgesetze, die ohne Mitwirkung des Bundesrates zustande kommen. Keine Mitwirkung steht dem Bundesrat zu bei Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates, die die Geschäftsordnung des Nationalrates, die Auflösung des Nationalrates, ein Bundesfinanzgesetz, eine vorläufige Vorsorge im Sinne von Art. 51 Abs. 5 oder eine Verfügung über Bundesvermögen, die Übernahme oder Umwandlung einer Haftung des Bundes, das Eingehen oder die Umwandlung einer Finanzschuld des Bundes oder die Genehmigung eines Bundesrechnungsabschlusses betreffen. 102 Außerdem gibt es Bundesgesetze, die nur mit Zustimmung der Uinder erlassen werden dürfen. So dürfen nach Art. 102 Abs. 1 und 4 B-VG Bundesgesetze, die in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung Bundesbehörden mit der Vollziehung betrauen, nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden. Erhöhte Konsens- und Präsenzquoren finden sich in Zusammenhang mit der Erzeugung von Bundesverfassungsrecht. So können Verfassungs gesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene 101 102
Art. 30 Abs. 2, Art. 14 Abs. 10 und Art. 14a Abs. 8 B-VG. Art. 42 Abs. 5 B-VG.
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Verfassungsbestimmungen vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden; sie sind als solche zu bezeichnen. 103 Eine solche Teiländerung der Bundesverfassung ist nach Beendigung des Verfahrens gern. Art. 42, jedoch vor Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Volksabstimmung zu unterziehen, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird. Hingegen ist jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, welche dann anzunehmen ist, wenn es zu einer solchen Abänderung der Verfassung kommt, daß eines der leitenden Grundprinzipien aufgegeben wird oder das Verhältnis der Prinzipien zueinander wesentlich verändert wird,104 einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. 105 Schließlich sind noch die Verfassungsgesetze zu nennen, die unter weitergehender Mitwirkung des Bundesrates erzeugt werden. So bedürfen Verfassungsgesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen, durch die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung eingeschränkt wird, sowie verfassungsändernde Staatsverträge der in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates. 106 Daneben bestimmt Art. 35 Abs. 4 B-VG, daß die Bestimmungen des Art. 34 und 35 B-VG nur abgeändert werden können, wenn im Bundesrat - abgesehen von der für seine Beschlußfassung überhaupt erforderlichen Stimmenmehrheit - die Mehrheit der Vertreter von wenigstens vier Ländern die Änderung angenommen hat. 103 104
105 106
Art. 44 Abs. 1 B-VG. WaLter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 62. Art. 44 Abs. 3 B-VG. Art. 44 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 B-VG.
4 Schambeck
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Neben der Tatsache, daß Gesetze - wie oben erwähnt - zum Bestandteil der Regierungspolitik werden, tritt in den heutigen Gesetzen der politische Charakter, die Verbindung von öfters auch zeitbedingten Anliegen zu bestimmten partei politischen oder ideologischen Prinzipien, deutlicher hervor. Somit wird nicht nur die Lebensdauer gesetzlicher Bestimmungen kürzer, auch der politische Akzent ist schärfer erkennbar. Denn bezüglich der Lebensdauer ist feststellbar, daß viele Gesetze mehr den Charakter vorübergehender Maßnahmen tragen, wie das besonders im Wirtschaftsrecht oder im Steuerrecht sichtbar wird, daß sie auch wiederum weniger auf Dauer und allgemeinen Konsens angelegt werden als darauf, die Auffassung der jeweiligen Parlamentsmehrheit durchzusetzen. Es zeigt sich daher im parlamentarischen System eine wachsende engere Verbindung von Regierung und Parlamentsmehrheit. 107 Diese Schwerpunktverschiebung von der legislativen Gewalt hin zur Regierung macht die Notwendigkeit parlamentarischer Kontrolle besonders deutlich. Aufgrund der besonderen Konstruktion des parlamentarischen Regierungssystems in Österreich, nämlich der faktischen Einheit von Parlamentsmehrheit und Regierung, wird die Kontrollfunktion nicht vom Parlament als ganzem ausgeübt, sondern vielmehr hauptsächlich durch die Oppositionsfraktion. 108 Die ParlamentsUlrich Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht, S. 33 f. Siehe hiezu die Rede von Leopold Gratz zur Regierungserklärung Bruno Kreiskys im Nationalrat am 10. 11. 1971: "Ich begrüße hier die Ankündigung des Bundeskanzlers, daß sich die Bundesregierung der Verantwortung gegenüber dem Nationalrat als dem souveränen Organ der Gesetzgebung und Kontrolle bewußt ist, daß sie nicht nur, weil es die Bundesverfassung verlangt, sondern weil es die Regierung auch selbst will, kooperieren wird und sich selbstverständlich - ich betone das Wort ,selbstverständlich', weil dies in einer Demokratie wirklich selbstverständlich ist - der Kontrolle und der Souveränität dieses Hauses unterwerfen wird. Gestatten Sie mir eine Zwischenbemerkung: Ich bin froh darüber, daß wir diese Selbstverständlichkeit auch bei uns zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. Ich habe in diesem Haus oft gesagt: Das, was 107
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fraktionen der Regierungsparteien haben die Regierung zu unterstützen und die von ihr vertretene Politik im Parlament abzusichern. Konfliktmöglichkeiten werden entschärft, weil durch die mir am englischen Parlament so imponiert, ist die Tatsache, daß dort nicht in jeder zweiten Sitzung die Demokratie beschworen wird und nicht darüber gesprochen wird, daß man in einer Demokratie lebt, weil dies eine Selbstverständlichkeit ist; schließlich spricht man ja bei Debatten auch nicht darüber, daß man atmet ... Ich habe als Sprecher der Opposition darauf hingewiesen, daß die staatsrechtliche Theorie oft die Tatsache übersieht, daß seit den Zeiten der konstitutionellen Monarchie ein Wandel eingetreten ist, indem es damals einen echten Interessenkonflikt zwischen der Regierung auf der einen Seite, die vom Kaiser ernannt war, und der Gesamtheit des Abgeordnetenhauses auf der anderen Seite gab, während heute es doch so ist, daß von der politischen Zielsetzung her die Regierung mit der sie unterstützenden Regierungsfraktion eine geistige Einheit darstellt und interessenmäßig der Opposition gegenübersteht. Ich habe als Sprecher der Opposition 1966 und 1970 darauf hingewiesen, daß es daher sinnlos ist, die Kontrollrechte nur der Mehrheit des Nationalrates zu überantworten. Und zwar - ich sage das sowohl für die Zeit der ÖVP-Alleinregierung als auch für die Zeit der SPÖ-Mehrheit - nicht, weil wir glauben, daß die Parlamentarier der Regierungspartei jedenfalls die Augen schließen vor allem, was die Regierung tut, sondern weil wir glauben, daß es institutionell nicht möglich ist, der Mehrheit des Parlaments allein die Kontrollrechte über jene Regierung einzuräumen, die nur als Regierung bestehen kann, weil diese Parlamentsmehrheit sie unterstützt. Ich habe damals verlangt, daß einige Kontrollrechte, die dem Parlament als Ganzem zustehen, auf eine qualifizierte Minderheit übertragen werden, um die Tatsächlichkeit und Wirksamkeit der Kontrolle zu gewährleisten. Ich habe damals - wenn ich nur ein Beispiel bringen darf - ausgeführt, daß etwa ein Drittel, ein Abgeordneter mehr als ein Drittel dieses Hauses, Verfassungsänderungen verhindern kann, daß eine einfache Mehrheit in einem einfachen Gesetz aber Verfassungsänderungen beschließen kann. Das bedeutet dann, daß dieses Gesetz verfassungswidrig ist. Wir haben dann das unwürdige Schauspiel, daß die Minderheit dieses Hauses, die die Verfassungswidrigkeit, wenn sie formell richtig als Verfassungsgesetz eingebracht worden wäre, hätte verhindern können, daß diese qualifizierte Minderheit dann bei Landesregierungen betteln gehen muß, ob die bereit sind, das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Ich habe daher damals angeregt, eine Verfassungsänderung zu machen, daß diese Minderheit des Hauses, die ein Verfassungs gesetz, eine Verfassungsänderung verhindern kann, unmittelbar das Recht bekommen soll, beim Verfassungsgerichtshof die Verfassungswidrigkeit 4*
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regelmäßige Personalunion von Regierungsmitgliedern und Parlamentsrepräsentanten Konflikte im außerparlamentarischen Bereich auf parteipolitischer Ebene ausgetragen werden. Die Möglichkeiten, Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten im Wege inner-parteilicher Verhandlungen zu entscheiden, haben gleichfalls zu einem Spannungsabfall im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung geführt. Sollte die Kontrollfunktion des Parlaments erhalten bleiben, müßten sich die Kontrollrechte des Parlaments zu Kontrollrechten der parlamentarischen Minderheit 109 weiterentwickeln. Die Einrichtungen der innerparteilichen Demokratie und die Veränderungen des parteienstaatlichen Parlamentarismus tragen das Ihre hiezu bei. Verantwortung tragen bedeutet Antwort geben, in einem demokratischen Verfassungsstaat dem Volk gegenüber, das seine Repräsentanz in allgemeinen Vertretungskörpern findet, die gerade in einem parlamentarischen Regierungssystem, wie es in Österreich der Fall ist, in dem vom Vertrauen des Nationalrates der Bestand der Regierung abhängig ist,1I0 sowohl die Gesetzgebungs- als einfacher Gesetze mit einer Beschwerde zu bekämpfen. Die Anregung wurde damals nicht aufgegriffen, ich wiederhole sie jetzt als Sprecher der Mehrheitspartei: Ich lade die beiden anderen Fraktionen dieses Hauses ein, einen Initiativantrag gemeinsam mit uns einzubringen, der dieses Kontrollrecht statuiert. Ich gehe weiter und sage: Überprüfen Sie alle Anträge aus den Jahren 1966 bis 1970, die von meiner Fraktion damals eingebracht wurden, um die Kontrollrechte der Minderheit zu stärken, wir werden jederzeit bereit sein, diesen Anträgen beizutreten und hier im Haus dafür zu stimmen, daß diese Kontrollrechte verwirklicht werden." Stenographisches Protokoll der 3. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XIII. Gesetzgebungsperiode, 10. November 1971, S. 61 ff. 109 Herbert Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, in: Der Staat als Aufgabe, S. 296. 110 Art. 74 B-VG; Herbert Schambeck, Regierung und Parlament - Gedanken zur parlamentarischen Kontrolle am Beispiel Österreichs, Magyar Közigazgatas, 1994. november, XLIV. evolyam I1.Szam, S. 649 ff sowie derselbe, Das österreichische Regierungssystem - Ein Verfassungsvergleich.
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auch die Kontrollfunktion zu erfüllen haben;lll National- und Bundesrat sind dafür im Rahmen ihrer Kompetenzen zuständig. ll2 Das Gesetz, dessen Funktion es ist, aufgrund des Verfassungsrechts für die Voll ziehung im Staate bestimmend zu sein, ist im heutigen Parlament das Ergebnis demokratischer Staatswillensbildung . So erfolgt im Parlament nach einer politischen Meinungsund Urteilsbildung eine allgemeingültige Willensbildung auf dem Boden des Verfassungsrechts, wobei, entsprechend dem demokratischen Prinzip, die parlamentarische Mehrheit auf diesem Weg der Staats willens bildung zwar die Haupt-, aber nicht die Alleinverantwortung trägt. ll3 Hans Kelsen erklärte bereits: "Jedenfalls darf das Majoritätsprinzip nicht schlechthin mit dem Gedanken einer bedingungslosen Herrschaft der Majorität über die Minorität identifiziert werden ... schafft es die Möglichkeit des Kompromisses. Kompromiß aber bedeutet: Zurückstellen dessen, was die zu Verbindenden trennt, zugunsten dessen, was sie verbindet. Jeder Tausch, jeder Vertrag ist ein Kompromiß; denn Kompromiß bedeutet: sich vertragen. Alle soziale Integration ist letzten Endes nur durch Kompromiß möglich ... Daß sich das Majoritätsprinzip gerade innerhalb des parlamentarischen Systems als ein Prinzip des Kompromisses, des Ausgleichs der politischen Gegensätze III Siehe dazu auch Narbert Gehrig. Parlament - Regierung - Opposition, München 1969, S. 25 ff. 112 Siehe etwa Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 652 ff; Werner Zögernitz. Motive und Auswirkungen der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates, Österreichisches Jahrbuch für Politik 1989, hrsg. v. Andreas Khol, Günter Ofner und Alfred Stimemann, Wien 1990, S. 243 ff sowie Kar! Karinek. Von der Aktualität der Gewaltenteilungslehre, Journal für Rechtspolitik 1995, S. 151 ff. 113 Vgl. Herbert .schambeck. Vom Sinn und Zweck des Parlamentarismus, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 10. Zur Rechtssetzung siehe etwa Heinz Schäffer (Hrsg.), Theorie der Rechtssetzung, Wien 1988.
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III. Die Aufgaben des Parlaments
bewährt, das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die parlamentarische Praxis. Auf die Erzielung einer solchen mittelbaren Linie ... ist ja das ganze parlamentarische Verfahren gerichtet. Es schafft Garantien dafür, daß die verschiedenen Interessen der im Parlament vertretenen Gruppen zu Wort kommen, sich als solche in einem öffentlichen Prozesse manifestieren können.,,114
In diesem Zusammenhang kommt der Veifassung auch in Österreich eine besondere Funktion des Schutzes auch der parlamentarischen Minderheiten zu. Denn, wie Karl Korinek ausführt: "Alle jene rechts inhaltlichen und rechtsformalen Fragen, die durch die Verfassung selbst geregelt sind, können daher auch wieder nur durch Verfassungsänderung verändert werden; sie sind damit der Dispositionsfreiheit der einfachen Mehrheit entzogen. Das bedeutet in der konkreten politischen Situation Österreichs, daß dem Verfassungsrecht auch eine wesentliche Schutzfunktion zukommt, da eine Änderung der verfassungsrechtlich fixierten Position gegen eines der beiden großen politischen Lager nicht erzwungen werden kann.,,1l5
2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments Das Parlament beschließt generell abstrakte Normen als Voraussetzung für die Vollziehung, darüber hinaus hat es natürlich auch ein Interesse an der Durchführung dieser Gesetze. Daher ist mit der Rechtssetzungsfunktion des Parlaments immer auch eine Kontrollfunktion verbunden, d. h. das Parlament hat das Recht, 114 Hans Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, Wien, Leipzig 1925, Neudruck in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule, Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, 2. Band, S. 1679 f. 115 Kar! Korinek, Verfassungs bewußtsein in Österreich, Schriftenreihe Niederästerreichische Juristische Gesellschaft, Heft 33/34, St. Pälten 1983, S. 7 f; vgl. dazu auch Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff.
2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments
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die Durchführung der von ihm beschlossenen Gesetze zu kontrollieren. Welche Sanktionen mit dieser parlamentarischen Kontrolle verbunden sind, hängt von der Staatsform und innerhalb derer vom jeweiligen politischen System ab. Die Breite möglicher parlamentarischer Kontrolle ergibt sich aus der Konstitutionalisierung und Demokratisierung des Staates. Je mehr Österreich demokratischer Rechtsstaat wurde und seine Staatsform sich von der konstitutionellen Monarchie zur demokratischen Republik wandelte, desto mehr quantifiziert und qualifiziert sich die parlamentarische Kontrolle. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle. Der Kontrolle des Parlaments unterliegt zunächst die objektive Art und Weise, wie die den obersten Vollzugsorganen zugewiesene Regierungsfunktion ihrem Inhalt nach ausgeübt wird. Allerdings auch das subjektive Verhalten derjenigen, die diese Regierungsfunktion ausüben, wird kontrolliert. Schließlich zählt zu den kontrollierten Bereichen auch mittelbar die Verwaltung, für die die Regierung verantwortlich ist, deswegen, weil es zur Aufgabe der Regierung zählt, dirigierende Aufsicht über den Staatsapparat zu üben und die Verwaltungsbehörden zu lenken. 116 Doch in welchem Ausmaß macht das Parlament in Österreich tatsächlich Gebrauch von seinen Kontrollrechten?1l7 Diese Entscheidung ist eine politische, abhängig vom jeweiligen Staatsund Regierungssystem. In einer konstitutionellen Monarchie etwa, in welcher der Monarch die Regierung ernennt und abberuft und die Regierung daher vom Vertrauen des Monarchen abhängig ist, wird das Parlament der Regierung mehr oder weniger geschlossen Norbert Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, S. 13 f. Siehe dazu Herbert Schambeck, Vom Sinn und Zweck des Parlamentarismus, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S.15. 116
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III. Die Aufgaben des Parlaments
gegenüberstehen, so daß Mehrheitsentscheidungen nicht nur über die Gesetzgebung, sondern auch über die Ausübung der Kontrolle des Parlaments gegenüber der Regierung getroffen werden. Eine andere Situation findet man in der parlamentarischen Republik, denn. während in der konstitutionellen Monarchie das Vertrauen des Monarchen mitbestimmend für die Existenz der Regierung ist, ist es das Vertrauen der zuständigen gesetzgebenden Körperschaft in der parlamentarischen Republik. In der parlamentarischen Republik sind nach der Verfassung verschiedene Organe in der Gesetzgebung und der Vollziehung tätig und stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander. Was die Vollziehung in Österreich betrifft, sieht das Bundes-Verfassungsgesetz verschiedene oberste Organe der Bundesvollziehung vor, nämlich den Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt, die Bundesregierung als Kollegialorgan und die einzelnen Bundesminister als monokratische Organe. 118 Betrachtet man die Bestellung der Organe, so läßt sich historisch ein Übergewicht des Parlaments erkennen, denn im B-VG 1920 119 war die Wahl der Regierung durch den Nationalrat normiert und die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung. Erst mit der Verfassungsnovelle 1929 120 wurde die Stellung des Bundespräsidenten 121 aufgewertet, indem Art. 69 B-VG. 119 Zur Entwicklung des B-VG siehe Hans Spanner, Die Entwicklung, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 33 ff. 120 BGBl.Nr. 392/1929; dazu Christian Neschwara. Zur Entwicklung des Verfassungsrechts nach 1918, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 140 ff. 121 So erhielt der Bundespräsident u. a. folgende Kompetenzen: Ausübung des Notverordnungsrechts, Art. 18 Abs. 3-5 B-VG; Einberufung und Schließung der Tagungen des Nationalrates, Art. 28 B-VG; Auflösung des Nationalrates, Art. 29 B-VG; Ernennung und Entlassung der Bu.ndesregierung, Art. 70 B-VG; Führung des Oberbefehls über das Bundesheer, Art. 80 B-VG; siehe dazu Klaus Berchtold. Der Bundespräsident, Forschungen aus Staat und Recht, Band 9, Wien, New York 1969, 118
2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments
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fortan die Direktwahl durch das Bundesvolk vorgesehen wurde. Der Bundespräsident wurde auf diese Weise "ein plebiszitär demokratisches Element in unserem repräsentativ aufgebauten Regierungssystem." 122 Zur ersten Volkswahl des österreichischen Bundespräsidenten ist es jedoch erst 1951 gekommen. Darüber hinaus wurde die Stellung des Nationalrates auch dadurch geschwächt, daß die Regierung nUn nicht mehr vom Nationalrat zu wählen war, sondern die Kompetenz zur Bestellung der Bundesregierung ebenfalls dem Bundespräsidenten zugesprochen wurde. 123 wurde also dem Nationalrat ein Gegengewicht in Form des Bundespräsidenten gegenübergestellt. Es bestehen seit der B-VG Novelle 1929 zwei unmittelbar demokratisch legitimierte Organe, die eben durch das Bundesvolk in regelmäßigen Zeitabständen direkt gewählt werden, nämlich Nationalrat und Bundespräsident. 124 Zwischen den drei Organen Nationalrat - Bundespräsident - Bundesregierung hat sich dadurch eine neue Rechtsbeziehung und ein neues Machtverhältnis gebildet: Einerseits kann der Bundespräsident gern. Art. 29 B-VG den Nationalrat auflösen, wofür er gern. Art. 67 Abs. 1 B-VG einen Vorschlag der Bundesregierung benötigt, und dadurch eine Neuwahl erzwingen. Andererseits kann der Nationalrat nach Art. 60 Abs. 6 B-VG eine Volksentscheidung anregen, ob der Bundespräsident weiterhin im Amt bleiben soll und ihn so politisch zur Verantwortung ziehen. S. 66 ff sowie Herbert Schambeck, Der Bundespräsident und das Parlament, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens, hrsg.v. Bodo Börner, Hermann Jahrreiß, Klaus Stern, Köln, Berlin, Bonn, München 1984, S. 789 ff. 122 Manfried Welan, Das Amt des Bundespräsidenten, Schriftenreihe der Politischen Akademie der Vereinigung für politische Bildung, Nr. 2/ 1976, S. 4. 123
Art. 70 B-VG.
124 Vgl. dazu Klaus Berchtold, Die Regierung, in: Das politische System Österreichs, hrsg.v. Heinz Fischer, 3. Auflage, Wien 1982, S. 152 f.
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III. Die Aufgaben des Parlaments
Die Bestellung der Bundesregierung obliegt, wie schon erwähnt, dem Bundespräsidenten. Dabei ist er bei der Auswahl des Bundeskanzlers l25 rechtlich frei. In der Wahl des künftigen Regierungschefs ist also der Bundespräsident verfassungsrechtlich nicht gebunden, man spricht auch vom ,freien Entscheidungsrecht,,126 des Bundespräsidenten. Einzige Einschränkung beinhaltet Art. 70 Abs. 2 B-VG, nämlich daß die Mitglieder der Bundesregierung zum Nationalrat wählbar sein müssen. Bei der Bestellung der Bundesminister bedarf er eines Vorschlages des Bundeskanzlers. Gibt es zwar keine rechtliche Bindung des Bundespräsidenten bei der Wahl des Bundeskanzlers und somit auch der übrigen Bundesregierung, so besteht allerdings eine faktische Bindung aus dem Umstand, daß nach Art. 74 B-VG die Bundesregierung vom Vertrauen des Nationalrates getragen sein muß. Bei seiner Entscheidung über die künftige Bundesregierung muß also der Bundespräsident darauf achten, daß diese in der Volksvertretung hinreichend unterstützt wird oder daß ihr zumindest nicht das Vertrauen entzogen wird. In einem solchen Fall des Mißtrauensvotums 127 ist nämlich der Bundespräsident verpflichtet, den betroffenen Minister oder die gesamte Bundesregierung ihres Amtes zu entheben. Demgegenüber hat jedoch der Bundespräsident die Möglichkeit, den Nationalrat gern. Art. 29 B-VG aufzulösen und danach über den Weg von Neuwahlen zu versuchen, eine solche Mehrheit in der Volksvertretung zu schaffen, die die von ihm gewünschte Bundesregierung benötigt. Da die Bundesregierung umgekehrt auch das Vertrauen des sie ernennenden Organs, also des Bundespräsidenten bedarf, schließt das freie Entscheidungsrecht auch die Möglichkeit der Entlassung 125 Zur Stellung des Bundeskanzlers siehe Manfried Welan und Heinrich Neisser, Der Bundeskanzler im österreichischen Verfassungsgefüge, Wien 1971. 126 Vgl. dazu Klaus Berchtold, Der Bundespräsident, S. 217 ff. 127 Art. 74 B-VG.
2. Über die Kontrollfunktion des Parlaments
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der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten mit ein. Der Bundespräsident hat nach dem Bundes-Verfassungsgesetz 128 die Möglichkeit, ohne Vorschlags gebundenheit den Bundeskanzler oder die gesamte Bundesregierung jederzeit zu entlassen. 129 Aufgrund dieses freien Ernennungs- und Entlassungsrechts hat der Bundespräsident erheblichen politischen Einfluß auf die Zusammensetzung der Bundesregierung. Dieses Dreiecksverhältnis wird abgerundet durch die Möglichkeit des Nationalrates, die Durchführung einer Volksabstimmung über den Bundespräsidenten zu beantragen. 130 Über die Durchführung einer solchen Volksabstimmung entscheidet sodann die Bundesversammlung. Bringt die Volksabstimmung eine Mehrheit für die Absetzung des Bundespräsidenten, so ist das Amt mit Rechtskraft der Feststellung des Ergebnisses dauernd erledigt. Spricht sich die Mehrheit gegen die Absetzung aus, so gilt der Bundespräsident für eine weitere Funktionsperiode als wiedergewählt und der Nationalrat gern. Art. 29 Abs. 1 B-VG als aufgelöst. 131 Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß sich in Österreich ein typisches Bild für das parlamentarische Regierungssystem ergibt. 132 Einerseits ist eben die Bundesregierung vom Vertrauen der Mehrheit des Nationalrates abhängig, andererseits hat die Vollziehung das Instrument der Auflösung der Volksvertretung in der Hand, wobei in einem solchen Fall die beiden obersten Organe der Bundesvollziehung, Bundespräsident und Bundesregierung, zusammenwirken müssen. Durch diese bei den Elemente, nämlich einerseits der politischen Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber dem Parlament und andererseits dem Recht der AufArt. 70 Abs. 1 B-VG. Siehe dazu auch Klaus Berchtold, Der Bundespräsident, S. 230 ff. 130 Art. 60 Abs. 6 B-VG. 131 Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 249. 132 Vgl. hiezu Herbert Schambeck, Das österreichische Regierungssystem - Ein Verfassungsvergleich. 128 129
60
III. Die Aufgaben des Parlaments
lösung des Nationalrates durch oberste Organe der Vollziehung, wird das für das parlamentarische Regierungssystem als kennzeichnend angesehene Gleichgewicht institutionalisiert. 133 Aus dieser Stellung der Organe zueinander im österreichischen Verfassungs- und Regierungssystem ergibt sich die Begründung für die Feststellung, daß in einer parlamentarischen Republik, in welcher vom Vertrauen einer parlamentarischen Körperschaft der Bestand der Regierung abhängt, die Nationalratsmehrheit parteipolitisch mit der Regierung ident sein wird und deshalb die Gewaltenteilung mehr eine funktionell-organisatorische ist. 134
3. Mitwirkungskompetenzen des Parlaments Als dritte Funktion des Parlaments in Österreich können schließlich noch' die kreativen Funktionen 135 gegenüber der Vollziehung angesehen werden. Gemeint ist damit die Mitwirkung an der Bestellung oder Abberufung anderer Organe, wie z. B. der Regierungsmitglieder, der Verfassungsrichter oder anderer Kontrollorgane. 136 J33 Klaus Berchtold, Die Regierung, in: Das politische System Österreichs, S. 153. 134 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 43; siehe auch Waller Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1954, S. 15 f; Manfried Welan, Die Gewaltenteilung, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 481 ff sowie Kar! Korinek, Von der Aktualität der Gewaltenteilungslehre, S. 155 ff. 135 Siehe dazu Peter Gerlich, Funktionen des Parlaments, in: Das politische System Österreichs, S. 93 f. 136 Vgl. Ludwig Adamovich und Bemd-Christian Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 3. Auflage, Wien-New York 1985, S. 205 f, 334 sowie Walter - Mayer; Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 261, 393.
3. Mitwirkungskompetenzen des Parlaments
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Das wichtigste dieser Mitwirkungsrechte ist wohl das Recht des Nationalrates, den Mitgliedern der Bundesregierung das Vertrauen zu entziehen, woraus sich als Konsequenz ergibt, daß die entsprechenden Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten ihre Amtes zu entheben sind. Bezüglich eines solchen Beschlusses des Nationalrates, mit dem das Vertrauen versagt wird, legt Art. 74 B-VG fest, daß die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich ist. Auch wirkt der Nationalrat und der Bundesrat mit an der Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes. Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern. 137 Die Mitglieder werden vom Bundespräsidenten ernannt, wobei verschiedenen Organen ein diesbezügliches Vorschlagsrecht zusteht. So werden drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder vom Nationalrat und drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied vom Bundesrat dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen. 138 Weiters wird der Präsident des österreichischen Rechnungshofes auf Vorschlag des Hauptausschusses vom Nationalrat gewählt. 139 Die Mitglieder der Volksanwaltschaft werden vom Nationalrat aufgrund eines Gesamtvorschlages des Hauptausschusses gewählt. 140 Ein neues Mitwirkungsrecht wurde anläßlich des Beitritts Österreichs zur EU geschaffen, nämlich die Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Ernennung von Mitgliedern einiger Organe der EU. So legt Art. 23c Abs. 1 B-VG zwar fest, daß die österreichische Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern der Kommission, des Gerichtshofes, des Gerichtes 137 138
139
140
Art. Art. Art. Art.
147 Abs. 1 B-VG. 147 Abs. 2 B-VG. 122 Abs. 4 B-VG. 148g Abs. 2 B-VG.
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IV. Das Verhältnis von Regierung und Parlament
Erster Instanz, des Rechnungshofes, des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen im Rahmen der Europäischen Union der Bundesregierung obliegt, allerdings hat diese für die Mitglieder der Kommission, des Gerichtshofes, des Gerichtes Erster Instanz, des Rechnungshofes und des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank das Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates herzustellen. 141 Außerdem hat die Bundesregierung den Bundesrat zu unterrichten. 142
IV. Das Verhältnis von Regierung und Parlament Die Beziehung von Regierung und Parlament in Österreich wird durch die Tatsache bestimmt, daß die Initiative zur Ausübung der parlamentarischen Gesetzgebungsfunktion in der Mehrzahl der Fälle von der Regierung ausgeht, jedoch nur in Einzelfällen vom Parlament, d. h. in Österreich von Nationalrat und Bundesrat selbst. Somit verlagert sich die Gesetzgebung im materiellen Sinn vom Parlament auf die Exekutive, deren Ratifikationsorgan dadurch die Volksvertretung wird, die allerdings die Möglichkeit hat, in der parlamentarischen Behandlung Regierungsvorlagen auch zu verändern. So besitzt die Bundesregierung auf verfassungsgesetzlicher Basis die Möglichkeit, den Inhalt der parlamentarischen Tätigkeit zwar nicht ausschließlich, aber wesentlich vorzubestimmen. Dazu hat sich die österreichische Verfassungspraxis dahingehend entwickelt, daß im Vorfeld parlamentarischer Beratungen der Konsens zu einem von der Regierung geplanten GesetArt. 23c Abs. 2 B-VG. 142 Art. 23c Abs. 5 B-VG. Dazu Heinz Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der Europäischen Union, insbesondere an der Europäischen Rechtssetzung, Zeitschrift für öffentliches Recht 1996, S. 19 ff. 141
IV. Das Verhältnis von Regierung und Parlament
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zesvorhaben mit den Sozialpartnern gesucht wird und somit die inhaltliche Entscheidung des Parlaments bis zu einem gewissen Grade bereits festgelegt ist. 143 Aufgrund dieser Vorgangsweise könnte man meinen, daß es nur mehr Aufgabe des Parlaments wäre, die von der Regierung vorbereiteten und empfohlenen Maßnahmen und Maßstäbe der Vollziehung vorzuschreiben. Ein Grund für diese Konstellation ist wohl die Tatsache, daß der Regierung ein weit größerer Beamtenapparat als dem Parlament zur Verfügung steht, der in der Lage ist, auf längere Sicht hinaus Prognosen zu stellen und dahingehend auch seine Initiativen auszurichten. So besitzt in Östeveich das Bundeskanzleramt einen eigenen Verfassungsdienst, aber nicht das Parlament! Das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in Österreich ist somit durch einen Prozeß der Machtsteigerung der Exekutive gekennzeichnet. Die immer weiter greifende Tätigkeit des modemen Leistungs- und Wohlfahrtsstaates kommt in erster Linie der Exekutive, der in eine zentrale Stellung rückenden Verwaltung und ihrer Oberleitung in der Regierung zugute. Je ausgedehnter und komplexer die staatlichen Lenkungseingriffe in die gesellschaftlichen Verhältnisse werden, desto weniger vermag das Parlament noch einen Überblick zu bewahren. 144 Die bereits erwähnte parteipolitische Identität von Regierung und Nationalratsmehrheit mag sich allerdings mildernd auf diese Problematik des Schwundes an Bedeutung des Parlaments auswirken, allerdings wird eine gesetzgeberisch-initiative parlamentarische Opposition 145 in einem solchen Fall an der die Regierung 143 Siehe dazu auch Franz Löschnak, Die Regierung und das Parlament, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 553 f. 144 So schon Ulrich Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht, S. 36. 145 Allgemein zur Opposition siehe Hannah Vogt, Parlamentarische und außerparlamentarische Opposition, Opladen 1972.
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V. Kontrolle der Regierung durch das Parlament
bildenden und das Parlament majorisierenden Mehrheit abprallen. 146 Aus dieser Entwicklung ergibt sich somit für die Hauptfunktion des Parlaments, die Gesetzgebung, daß die Volksvertretung in jenem Bereich an Eigenständigkeit verloren hat. Daraus folgend stellt sich natürlich auch die Frage nach der Kontrollfunktion, d. h. die Frage, ob mit der Verlagerung des Schwerpunkts der gesetzgeberischen Vorbereitungsarbeit und der Gesetzgebungspolitik auf die Regierung auch die Kontrollfunktion dieses Schicksal teilt, oder ob sich für sie die Möglichkeit bietet, ein Korrelat oder eine Kompensation der normsetzenden Tätigkeit des Parlaments zu werden. Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es einer näheren Erläuterung der verschiedenen Kontrollinstrumente, die dem Parlament gegenüber der Regierungstätigkeit zur Verfügung stehen.
v. Zu den Möglichkeiten der Kontrolle der Regierung durch das Parlament 1. Der Begriff der Kontrolle Geht man von dem Wort Kontrolle 147 aus, so ist dieser Ausdruck auf das französische Wort "controle" zurückzuführen, was Gegenregister heißt und ursprünglich die Gegenaufzeichnung ei146 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 43. 147 Zum Begriff der Kontrolle siehe Paul Kirchhof, Mittel staatlichen Handeins, in: losef Isensee, Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Heidelberg 1988, S. 200 ff sowie Walter Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, Heidelberg 1984, S. 4 f.
I. Der Begriff der Kontrolle
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ner Rechnungsfunktion l48 durch eine zweite Person bedeutet, zu dem Zweck, durch Vergleich der Rechnungen die Richtigkeit zu überprüfen. In diesem Sinn ist auch die Kontrolle durch das Parlament eine Überprüfung des Regierungshandelns auf dem Weg der Konfrontation des gesetzgeberischen Willens und der politischen Absichten des Parlaments mit dem Handeln der Exekutive, für welche die Regierung und ihre Mitglieder im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Verantwortung tragen. 149 Damit Kontrolle überhaupt möglich ist, bedarf es eines Dualismus 150 ob;rster Verfassungsorgane, wobei sich also das Parlament als Kontrollorgan und das Kontrollobjekt Bundesregierung gegenüberstehen. Subjekt und Objekt müssen dabei als Unterschiedliches auftreten, es muß ein Spannungsverhältnis zwischen den bei den bestehen. Ulrich Scheuner hat zu diesem für eine effektive parlamentarische Kontrolle notwendigen Dualismus schon festgestellt: "Kontrolle setzt zwei voneinander unabhängige Einheiten voraus, die in einer gewissen Distanz zueinander stehen. Wo Unterordnung der einen unter die andere Stelle besteht, wird man von Gehorsam, Weisung ... sprechen, aber nicht von Kontrolle. Diese setzt freie Entschließung des Handelnden VOfaus.,,151
148 V gl. dazu Peter M. Stadler, Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Band 63, Opladen 1984, S. 2 ff. 149 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 43. 150 Näher dazu siehe Narbert Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, S. 18 ff. 151 Ulrich Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, S. 10 f.
5 Schambeck
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V. Kontrolle der Regierung durch das Parlament
2. Die Bestimmung der Kontrollmittel Welche Kontrollmittel dem Parlament nun tatsächlich zur Verfügung stehen, ist in Österreich im Bundes-Verfassungsgesetz taxativ aufgezählt. Diese taxative Aufzählung hat zur Folge, daß nur der Vetjassungsgesetzgeber die Möglichkeit hat, die Kontrolle auszuweiten. Dazu meinten schon Kelsen - Froehlich - Merkl: "Eine Mitwirkung des Nationalrates oder des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes in anderen, nicht im Bundes-Verfassungsgesetz vorgesehenen Fällen, wäre nur auf Grundlage einer Verfassungsbestimmung oder eines Verfassungsgesetzes zUlässig.,,152 Bestärkt wurde diese Beschränkung des einfachen Gesetzgebers durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, 153 daß "das Bundes-Verfassungsgesetz die Frage, welcher Kontrolle die Führung der Verwaltungsgeschäfte des Bundes unterliege, in erschöpfender Weise regelt. Einer anderen Kontrolle könnten die Mitglieder der Bundesregierung nur durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz unterworfen werden. Die vorbezeichneten, zur verfassungsmäßigen Kontrolle berufenen Organe können aber weiters die Ausübung ihrer Kontrollbefugnis keineswegs nach ihrem Ermessen einem anderen Organ übertragen oder zur Ausübung dieser Kontrolle Hilfsorgane bestellen, die im Bundes-Verfassungsgesetz nicht vorgesehen sind. Auch zu einer solchen Übertragung der Kontrollbefugnisse oder zur Schaffung solcher Hilfsorgane bedürfte es eines Bundesverfassungsgesetzes. "
152 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, 5. Teil, Wien 1922, S. 133. 153 VfSlg. 1454/1932, Erkenntnis vom 4. Juni 1932.
3. Die Aufgaben der Kontrolle
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3. Die Aufgaben der Kontrolle Bevor näher auf die Funktionen der parlamentarischen Kontrolle eingegangen wird, seien zunächst ganz allgemein die spezifischen Aufgaben der Kontrolle - wie Peter Pernthaler l54 diese schon zusammenfaßte - genannt: - Zunächst dient Kontrolle dem Nachweis von Leistung, wobei diese Funktion eng verknüpft ist mit der Vorgabe von Zielen, d. h. es werden in der Organisation bestimmte Ziele vorgegeben und mittels des Instruments der Kontrolle kann sichtbar gemacht werden, ob die entsprechenden erwarteten Leistungen tatsächlich erbracht worden sind oder nicht. - Da es sich geschichtlich gezeigt hat, daß jeder Machtträger dazu tendiert, die ihm gegebene Macht auch mißbräuchlich anzuwenden, hat Kontrolle die Aufgabe der Machtbegrenzung in Form der Mißbrauchsverhütung, wobei die Ausübung dieser Funktion begrifflich die Existenz einer Gegenmacht voraussetzt. - Kontrolle soll jedoch auch Vorgangsweisen der Herrschaftsträger sichtbar machen. Diese Transparenz im Herrschaftsbereich dient wiederum dazu, die Unfähigen aus diesem Bereich zu verdrängen.
- In jeder Organisation kommt es zu Fehlentscheidungen, Mißständen. Die Kontrolle dient dazu, diese Fehler aufzuzeigen. Zukünftige Entscheidungen sollen diese durch die Kontrolle aufgezeigten Unzulänglichkeiten vermeiden. - Wichtigstes Ziel der Kontrolle ist jedoch die Realisierung der veifassungsrechtlich gewährleisteten subjektiven Rechte. Grundrechte gewähren Freiheiten und Rechte, zu ihrer Durchsetzbarkeit bedarf es allerdings darüber hinaus Kontrolleinrichtungen, die unabhängig sind von den staatlichen Funktionen. 154 Peter Pemthaler. Demokratie und Kontrolle, Wirtschaftspolitische Blätter, Heft 6/1982, S. 37 f.
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V. Kontrolle der Regierung durch das Parlament
Betrachtet man die Funktion der parlamentarischen Kontrollrechte, 155 so ist sie eine der Aufsichtsarten des öffentlichen Rechts; sie unterscheidet sich dabei von anderen derartigen öffentlich-rechtlichen Aufsichtsarten, daß diese, wie z. B. die Verbandsaufsicht, die Anstaltsaufsicht oder die Dienstaufsicht, sich nicht wie die parlamentarischen Kontrollrechte verfassungsunmittelbar auf die Erfüllung staatsleitender, sondern auf die nachgeordneten Verwaltungsfunktionen beziehen. Doch der Kontrollbegriff hat sich gewandelt. Aufsichtskontrolle ist die traditionelle Interpretation der Kontrollfunktion, doch heute wird der Kontrollbegriff auch auf jene Formen staatlicher Willensbildung bezogen, an dessen Gestaltung zwei oder mehrere Organgruppen beteiligt sind. Daher sind heute auch "Zusammenwirken und Mitregieren" Tätigkeiten der Kontrolle. 156 Oder wie Richard Bäumlin dies ausdrückte: "Kontrolle ist das Zusammenwirken verschiedener Instanzen auf ein gemeinsames Ziel.,,157
4. Zur Bedeutung und zum Zweck der Kontrolle Die Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle in ihrer Entwicklung zeigt besonders klar der Wandel der Staatsfunktionen im System der parlamentarischen Republik. Hinführend hat dazu Ernst Friesenhahn erklärt: "Nachdem das Budgetrecht des Parlaments seine alte Bedeutung verloren hat, nachdem die Rechtsetzungsaufgabe des Parlaments unter Zeitmangel, Arbeitsdruck und Detail-Unkenntnis leidet und von der Delegation in weitem Um155 Siehe dazu etwa Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 197 ff. 156 Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 653. 157 Richard Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, S. 247.
4. Zur Bedeutung und zum Zweck der Kontrolle
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fang Gebrauch gemacht werden muß, erscheint es notwendig, zur Kompensation die Kontrollrechte des Parlaments zu verstärken und dem Parlament stärkeren Einfluß auf die Führung der Regierungsgeschäfte einzuräumen.,,158 Diese parlamentarische Kontrolle in Österreich kann ihrem Zweck nach verschieden eingeteilt werden; dient sie bloß der Erfassung bestimmter Vorgänge, wird sie eine informative Kontrolle sein; will sie ein Handeln der Regierung in bestimmter Richtung veranlassen oder gar ändern, kann sie als intervenierende oder korrigierende Kontrolle bezeichnet werden; schreibt sie dieses Handeln zwingend vor, ist sie eine dirigierende Kontrolle; ist aber diese parlamentarische Kontrolle mit der Verhängung von Unrechtsfolgen verbunden, ist sie als eine sanktionierende Kontrolle zu werten. 159 Diese Zwecke der parlamentarischen Kontrolle können durch eine Heranziehung rechtlicher, politischer oder finanzieller Maßstäbe erreicht werden; danach unterscheidet man eine rechtliche, politische oder finanzielle Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Diese parlamentarische Kontrolle kann dem Parlament in seiner Gesamtheit oder jeder seiner Kammern zustehen. Dieses ist in Österreich der Fall, in dessen Bundes-Verfassungs gesetz der Begriff Pariament l60 nicht vorkommt, sondern zwischen dem Natio158 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: Strukturwandel der modemen Regierung, S. 145. 159 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 44. 160 So schon Herbert Schambeck, Vom Sinn und Zweck des Parlamentarismus, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 8; Peter Gerlich, Zum Begriff des Parlaments in Österreich, ebenda, S. 26 sowie Werner Zögernitz, Das parlamentarische Verfahren ab 1920, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teilband, S. 236; zur Geschichte des Parlamentsgebäudes siehe Wilhelm F Czerny,
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V. Kontrolle der Regierung durch das Parlament
nalrat als Volksvertretung und dem Bundesrat als Länderkammer unterschieden wird. Diese Unterscheidung bezieht sich auch auf die parlamentarische Kontrolle, die dem Nationalrat in rechtlicher, politischer und finanzieller Sicht, das heißt etwa in der Möglichkeit der Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit den Verfassungsgerichtshof als Staatsgerichtshofl6 ! anzurufen, das Interpellations- 162, Resolutions- 163 , das Petitions- l64 , das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen 165 sowie die Möglichkeit der Abhaltung parlamentarischen Enqueten !66 zu gebrauchen, die Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung in Form des Zitationsrechts!67 zu verlangen und sich durch den Rechnungshof!68 und die Volksanwaltschaft l69 , die Organe des Nationalrates sind, informieren zu lassen, ebenso offen ist, wie ihm das Recht zur Mißtrauensvotierung 170 als Sanktionsmittel zusteht. Dem Bundesrat!71 hingegen stehen zwar keine finanziellen parlamentarischen Kontrollrechte, jedoch beschränkt politische, nämlich das Interpellations- und Resolutionsrecht, das Petitions- und Die Entwicklung der österreichischen Parlamentsadministration, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 499 ff. 161 Art. 142 B-VG. 162 Art. 52 B-VG. 163 Art. 52 B-VG. 164 Art. 11 StGG. 165 Art. 53 B-VG. 166 § 98 GeoG-NR. 167 Art. 75 B-VG. 168 Art. 121 ffB-V G. 169 Art. 148a ffB-VG. 170 Art. 74 B-VG. 171 Siehe dazu näher Herbert Schambeck, Der Bundesrat der Republik Österreich, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F./Band 26, 1977, S. 215 ff; lrmgard Kathrein, Der Bundesrat, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 337 ff; Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 213 ff sowie Walter - Mayer; Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 171 ff.
4. Zur Bedeutung und zum Zweck der Kontrolle
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Zitationsrecht sowie das Recht zur Abhaltung parlamentarischer Enqueten 172, und rechtliche in Form der Anfechtungsberechtigung von Bundesgesetzen vor dem Verfassungsgerichtshofl73 , zu. Betrachtet man diese parlamentarischen Kontrollrechte, so sind neben der Berechtigung zu ihrer Ausführung nicht nur Unterschiede zwischen den dem Nationalrat und den dem Bundesrat zustehenden parlamentarischen Kontrollrechten festzustellen, sondern auch innerhalb der dem Nationalrat zustehenden Rechte. So kann er die rechtliche Verantwortung der Regierungsmitglieder nur geltend machen, aber diese Kontrolle nicht selbst durchführen, denn zur Durchführung der rechtlichen Seite der Ministerverantwortlichkeit und Sanktionsverhängung ist nach Art. 142 B-VG der Verfassungsgerichtshof als Staatsgerichtshof zuständig; im Fall der finanziellen Kontrolle wird diese auch nicht vom Nationalrat selbst, sondern vom Rechnungshof als einem Organ von ihm wahrgenommen, wobei der Rechnungshof selbst keine Konsequenzen an seine Untersuchungen knüpfen, sondern nur dem Nationalrat einen Bericht erstatten kann, der dann seinerseits Konsequenzen zur Folge haben kann, wenn der Nationalrat dazu bereit ist und von seinem Recht zur Mißtrauensvotierung Gebrauch macht. Anders ist dies bei der politischen Kontrolle durch den Nationalrat; diese Kontrolle kann der Nationalrat nicht nur geltend machen, sondern auch selbst vornehmen und dann in gleicher Weise, wie nach einem Rechnungshofbericht, von dem Recht zur Mißtrauensvotierung Gebrauch machen. 174 Nach dieser hinführenden allgemeinen Darstellung soll nun näher auf die einzelnen Kontrollmittel beginnend mit der rechtlichen Kontrolle eingegangen werden. §§ 66 f GO-BR. Art. 140 Abs. 1 B-VG. 174 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 44 f. 172
173
72 VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage
VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage Im Bereich der rechtlichen Kontrolle wird das Regierungshandeln an den Rechtsnormen gemessen, wobei diese Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts, nämlich dem Verfassungsgerichtshof, über parlamentarischen Antrag, nämlich des Nationalrates, erfolgt. 175 Auch wenn daher die Prüfung der rechtlichen Verantwortlichkeit durch die Gerichtsbarkeit erfolgt, geht diese doch auf die Volksvertretung zurück, da diese bei der rechtlichen Kontrolle im Rahmen der Staatsgerichtsbarkeit allein das Antragsrecht hat. 176 Die Anklage der obersten Organe der Vollziehung erfolgt gem. Art. 142 B-VG beim Verfassungsgerichtshof, der dabei als Staatsgerichtshof tätig wird, auf dem Weg der sogenannten "Ministeranklage". So können die Mitglieder der Bundesregierung und die ihnen hinsichtlich der Verantwortlichkeit gleichgestellten Organe vom Nationalrat wegen Gesetzesverletzung angeklagt werden. 177 Die Anklage gegen den Bundespräsidenten wegen Verletzung der Bundesverfassung kann durch Beschluß der Bundesversammlung erhoben werden. 178 Aufgrund des Beitritts Österreichs zur EU wurde die Regelung notwendig, daß gegen einen österreichischen Vertreter im Rat wegen Gesetzesverletzung in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Bundesache wäre, durch Beschluß des Nationalrates Anklage erhoben werden kann, wegen Gesetzesverletzung in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache wäre, durch gleichlautende Beschlüsse aller Landtage. 179 GeArt. 142 Abs. 21it. b B-VG. Vgl. Herbert Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, S. 45 f. 177 Art. 142 Abs. 2lit. b B-VG. 178 Art. 142 Abs. 2 lit. a B-VG. 179 Art. 142 Abs. 2 lit. c B-VG; eingefügt durch B-VG Novelle 1994, BGBI. Nr. 1013. 175
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VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage 73
gen die Mitglieder einer Landesregierung und die ihnen hinsichtlich der Verantwortlichkeit durch dieses Gesetz oder durch die Landesverfassung gleichgestellten Organe kann wegen Gesetzesverletzung durch Beschluß des zuständigen Landtages Anklage erhoben werden. 180 Weiters kann gegen den Landeshauptmann, dessen Stellvertreter oder ein Mitglied der Landesregierung wegen Gesetzesverletzung sowie wegen Nichtbefolgung der Verordnungen oder sonstigen Anordnungen (Weisungen) des Bundes in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung, wenn es sich um ein Mitglied der Landesregierung handelt, auch der Weisungen des Landeshauptmannes in diesen Angelegenheiten, durch Beschluß der Bundesregierung Anklage erhoben werden. 181
Ebenfalls durch Beschluß der Bundesregierung kann gegen Organe der Bundeshauptstadt Wien, soweit sie Aufgaben aus dem Bereich der Bundesvollziehung im eigenen Wirkungsbereich besorgen, wegen Gesetzesverletzung Anklage erhoben werden,182 gegen einen Landeshauptmann wegen Nichtbefolgung einer Weisung gern. Art. 14 Abs. 8 B_VG I83 sowie gegen einen Präsidenten oder Amtsführenden Präsidenten des Landesschulrates wegen Gesetzesverletzung oder wegen Nichtbefolgung der Verordnungen oder sonstigen Anordnungen (Weisungen) des Bundes. 184
Schließlich kann gegen die Mitglieder einer Landesregierung wegen Gesetzesverletzung sowie wegen Nichtbefolgung der Verordnungen des Bundes in den Angelegenheiten des Art. 11 Abs. 1 Z 7 B-VG sowie wegen Behinderung der Befugnisse gern. Art. 11 Abs. 9 B-VG durch Beschluß des Nationalrates oder der Bundesregierung Anklage erhoben werden. 185 180 181 182 183 184 185
Art. Art. Art. Art. Art. Art.
142 Abs. 142 Abs. 142 Abs. 142 Abs. 142 Abs. 142 Abs.
2 lit. 2lit. 2 lit. 2 lit. 21it. 21it.
d B-VG. e B-VG. f B-VG. g B-VG. h B-VG. i B-VG.
74 VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage
Diese Institution der Ministeranklage entspricht dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit l86 , welches verlangt, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes im Verfassungsrecht begründet sein müssen und daß für die Sicherung dieses Postulates wirksame Rechtschutzeinrichtungen bestehen. 187 Diese staatsrechtliche Verantwortung verlangt nach einer genauen rechtlichen Festlegung. Das Handeln der Regierung wird zu einer Rechtsfrage, die sich nur aufgrund einer Rechtsnorm beantworten läßt, deren Feststellung nicht Aufgabe des antragstelIenden Parlaments, sondern der angerufenen Richter iSt. 188 Um dieses Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu realisieren, wurde in Österreich schon 1867 das "Gesetz über die Verantwortlichkeit der Minister für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder,,189 erlassen. Darin war bereits festgelegt, daß alle Mitglieder des Ministerrates wegen aller ihnen innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises zur Last fallenden Handlungen und Unterlassungen, wodurch sie vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit eine Gesetzesverletzung begehen, vom Reichsrat zur Verantwortung gezogen werden konnten. 190 Die Verantwortlichkeit der Mitglieder der Bundesregierung bezieht sich in Österreich auf die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Gesetzesverletzungen, d. h. die Mitglieder der Bundesregierung und die ihnen hinsichtlich der Verantwortlichkeit gleichgestellten Bundesorgane sind wegen Gesetzesverletzung, 186 Zum rechtsstaatlichen Prinzip allgemein siehe Edwin Loebenstein, Der Rechtsstaat, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 253 ff. 187 Hans Klecatsky, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 2. Auflage, Wien 1973, S. 176. 188 Herbert Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, S. 50 f. 189 Gesetz vom 25. Juli 1867, RGBl. Nr. 101; siehe Edmund Bematzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Leipzig 1906, S. 334 ff. 190 Siehe auch Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 272.
VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage 75
nicht aber wegen Verletzung von Verordnungen verantwortlich. 191 Den Minister muß bei der Gesetzesverletzung ein Verschulden treffen, sei es, daß er die Rechtsverletzung selbst mit Vorsatz (dolus) oder aus Fahrlässigkeit (culpa lata und levis) begangen hat, im Gegensatz zum Ministerverantwortlichkeitsgesetz von 1867 192 , das nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit annahm, oder er es bei der Führung der Geschäfte durch die ihm untergeordneten Verwaltungsorgane, insbesondere bei der Auswahl der beauftragten nachgeordneten Organe, an der notwendigen Vorsicht mangeln ließ. 193 Aus dieser letztgenannten Verantwortung folgt also, daß auch negatives Unterlassen des verantwortlichen Organs unter den in Art. 142 B-VG genannten Begriff "Amtstätigkeit" zu subsumieren ist. Was den Umfang der Verantwortung betrifft, erstreckt sich dieser auf den eigenen Zuständigkeitsbereich: nur auf ihn, auf ihn aber zur Gänze, wie Karl Korinek 194 ausführt. Doch die Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf die von den obersten Vollzugsorganen persönlich getroffenen Maßnahmen, sondern auf alle Vollzugs- und Regierungsakte. Die Verantwortung reicht soweit, als die Leitungsbefugnis reicht; sie besteht also auch für ein Unterlassen entsprechender Leitung oder Aufsicht, für einen Organisationsmangel oder auch für Informationsmängel durch Fehlen entsprechender Vorkehrungen. 195 191 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 275. 192 Siehe § 2 Ministerverantwortlichkeitsgesetz von 1867. 193 Ludwig Adamovich und Hans Spanner, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 6. Auflage, nach der von Hans Spanner bearbeiteten 5. Auflage neu bearbeitet von Ludwig K. Adamovich jr., Wien 1971, S. 465. 194 Karl Korinek, Ministerverantwortlichkeit, S. 13 f. 195 Vgl. dazu auch Konrad Atzwanger, Zur Verantwortlichkeit des Präsidenten des Rechnungshofes, Österreichische Juristen-Zeitung 1989, S.163.
76 VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage
Zu einem Beschluß, mit dem eine Anklage gern. Art. 142 B-VG erhoben wird, bedarf es der Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates. l96 Daraus ergibt sich, daß die Möglichkeit der Ministeranklage einer parlamentarischen Mehrheit vorbehalten bleibt, woraus folgt, daß dieses Instrument der Kontrolle im heutigen Parteienstaat ein kaum wirksames Mittel zur Geltendmachung von Verantwortung darstellt, weil die Mehrheit des Nationalrates in der Regel die Regierung stellt. Bei dieser Art der Verantwortung handelt es sich um eine gemischte politisch-rechtliche Verantwortlichkeit, 197 d. h. die Anklageerhebung ist ein politischer Akt, das Verfahren über die Anklage ist ein rechtlich geordnetes Verfahren, in dem nur Rechtsverletzungen, nicht aber Differenzen über politische Zweckmäßigkeit oder politische Anschauungen zur Entscheidung stehen. 198 Ein solches Instrument der Kontrolle kann nur dann funktionieren, wenn im Zusammenhang mit der Zuweisung der Antragsbefugnis das bereits oben erwähnte Spannungsverhältnis zwischen Antragsteller und Kontrolliertem besteht; deshalb wird immer häufiger gefordert, die Antragsberechtigung als politisches Minderheitenrecht zu gestalten. Da es Sinn der parlamentarischen Kontrolle sei, "der in dem Zusammenspiel von Regierung und Parlamentsmehrheit drohenden Machtkonzentration ein Gegengewicht entgegenzusetzen", sollte die Mehrheit nicht "die Kontrolle über die von ihr gebildeten und getragenen Regierung verhindern können. ,,199 Art. 76 Abs. 2 B-VG. Kar! Korinek, Verfassungsbewußtsein in Österreich, Schriftenreihe der Niederösterreichischen Juristischen Gesellschaft, Heft 33/34, St. Pölten 1983, S. 16. 198 Siehe Kar! Korinek, Die verfassungsrechtliche Kontrolle der Verwaltung in Österreich, in: Georg Ress (Gesamtredaktion), Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungs gerichtsbarkeit, Wien, New York 1990, S. 308 ff. 196
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VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage 77
Daher wäre es sinnvoll, die Legitimation zur Ministeranklage einer qualifizierten Minderheit zu übertragen, da ein Mißbrauch auch dadurch verhindert wird, daß letztlich der Verfassungsgerichtshof über die vermeintliche Rechtsverletzung zu entscheiden hat, der parlamentarischen Minderheit hingegen nur die Möglichkeit der Einleitung eines solchen Verfahrens zukommt. Karl Korinek meint dazu, daß eine Mißbrauchsmöglichkeit auch deshalb nicht zu befürchten wäre, "weil eine Mehrzahl von erfolglosen Anklagen politisch eher auf die Ankläger zurückfallen würde. Vor allem aber zeigen die Erfahrungen mit dem Gebrauch der Kontrollmöglichkeiten, die nunmehr einem Drittel der Nationalratsabgeordneten eingeräumt sind, ein verfassungsgerichtliches Gesetzesprüfungsverfahren einzuieiten 200 und eine Prüfung besonderer Gebarungsakte durch den Rechnungshof (derzeit ein Recht von 20 Abgeordneten) zu erwirken,201 daß eine mißbräuchliche Verwendung dieses Mittels wohl nicht zu erwarten wäre. ,,202 Was das parlamentarische Verfahren bezüglich der Beschlußfassung über die Anklageerhebung betrifft, sei bemerkt, daß es diesbezüglich keine ausdrücklichen Bestimmungen in der Geschäftsordnung des Nationalrates gibt. Im Kommentar zur Geschäftsordnung ist zu lesen: "Der Beschluß auf Geltendmachung der rechtlichen Verantwortlichkeit der Mitglieder der Bundesregierung vor dem VfGH gern. Art. 76 Abs. 1 i.Y.m. Art. 142 B-VG hat ein bestimmtes meritorisches Begehren zu seinem Inhalt. Dieses wird neben der rein formalen Anklageerhebung (Art. 142 Abs. 2 B-VG) gern. § 72 Abs. 2 VfGG zugleich die Abgeordneten zu bezeichnen haben, die mit der Vertretung der Anklage vor dem VfGH beauftragt sind. Daneben wird aber auch die inkriminierte 199 Fritz Duppre, Politische Kontrolle, in: Verwaltung - eine einführende Darstellung, hrsg.v. Fritz Morstein Marx, Berlin 1965, S. 396. 200 Art. 140 Abs. 1 B-VG durch die Fassung BGB!. Nr. 302/1975. 201 Art. 126b Abs. 4 B-VG und § 99 Abs. 2 GeoG-NR. 202 Karl Korinek, Verfassungsbewußtsein in Österreich, S. 16.
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Gesetzesverletzung aus der dem VfGH gern. § 72 Abs. 1 leg. cit. übersendeten beglaubigten Abschrift des Protokolls der Sitzung, in welcher der Anklagebeschluß gefaßt worden ist, hervorgehen müssen. Daraus folgt, daß ein Beschluß gern. Art. 142 Abs. 2 B-VG der Vorberatung in einem Ausschuß bedarf und nur im Wege eines Selbständigen Antrages (§§ 26, 27) beantragt werden kann. Dies ergibt sich auch aus § 55 Abs. 1, wonach im Zuge der Debatte über einen Verhandlungsgegenstand lediglich Entschließungsanträge i.S. des Art. 52 Abs. 1 und des Art. 74 Abs. 1 B-VG eingebracht werden können. ,,203 Auch für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof204 gibt es keine Regelung im B-VG, dies wurde dem einfachen Gesetzgeber überlassen, wobei sich diesbezügliche Bestimmungen (§§ 72 ff) nun im Verfassungsgerichtshofgesetz205 finden. Der Kreis der nach Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG verantwortlichen Personen umfaßt neben den Mitgliedern der Bundesregierung auch deren bei zeitweiliger Verhinderung bestellte Vertreter,206 wobei seit der B-VG-Novelle 1986207 auch Staatssekretäre zur Vertretung bestellt werden können, sowie den Präsidenten des Rechnungshofes. 208 In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundes verwaltung kann gegen den Landeshauptmann oder gegen ein Mitglied der Landesregierung wegen Gesetzesverletzung sowie 203 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg. von Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, 2. Auflage, Wien 1990, S. 246. 204 Siehe zum Verfahren vor dem VfGH Konrad Atzwanger, Die Ministeranklage gem. Art. 142 und 143 B-VG, Österreichische Juristen-Zeitung 1983, S. 43. 205 BGBL Nr. 85/1953 i.d.F. BGBL Nr. 392/1996. 206 Art. 73 Abs. 1 B-VG (insbesonders letzter Satz). 207 BGBL Nr. 212/1986. 208 Art. 123 Abs. 1 B-VG.
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wegen Nichtbefolgung der Verordnungen oder sonstigen Anordnungen (Weisungen) des Bundes, wenn es sich um ein Mitglied der Landesregierung handelt, auch wegen Nichtbefolgung der Weisungen des Landeshauptmannes in diesen Angelegenheiten, Anklage erhoben werden, allerdings in diesen Fällen durch Beschluß der Bundesregierung. 209 Im Falle eines verurteilenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes hat dieses 2LO den Verlust des Amtes oder, unter besonders erschwerenden Umständen, zusätzlich den zeitlichen Verlust der politischen Rechte zur Folge, wobei unter politischen Rechten nach der Definition von Hans Kelsen 211 all jene Rechte zu verstehen sind, die dem Berechtigten einen Einfluß auf die Staatswillensbildung einräumen, vor allem das Wahlrecht zu den allgemeinen Vertretungskörpern. Diese rechtliche Kontrollmöglichkeit hat jedoch in Österreich kaum Praxisrelevanz. Die Funktion des Verfassungsgerichtshofes als Staatsgerichtshof wurde bisher nur selten in Anspruch genommen,212 wobei darüber hinaus weiters eine beim VerfassungsgeArt. 142 Abs. 2lit. e B-VG. Art. 142 Abs. 4 B-VG. 211 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 276. Weitere Definitionen zu politischen Rechten siehe bei Konrad Atzwanger, Ministeranklage, S. 42. 212 VfSlg. 8: Anklage gegen den Landeshauptmann von Wien wegen Nichtbefolgung einer Weisung des Bundesministers für Inneres und Unterricht betreffend die Überprüfung der Aufführungsbewilligung für das Bühnenwerk "Reigen" aus Gründen der öffentlichen Ordnung; der angeklagte Landeshauptmann wurde mit Erkenntnis vom 26. April 1921 freigesprochen. VfSlg. 206: Anklage gegen den Landeshauptmann von Wien wegen Nichtbefolgung der Weisung des Bundesministers für soziale Verwaltung betreffend die Untersagung der Inbetriebsetzung des Krematoriums in Wien; der angeklagte Landeshauptmann wurde mit Erkenntnis vom 27. März 1923 freigesprochen. VfSlg 10.510: Anklage gegen den Landeshauptmann von Salzburg wegen Nichtbefolgung einer Weisung des Bundesministers für Arbeit und 209 210
80 VI. Die rechtliche Kontrolle der Regierung: die Ministeranklage
richtshof eingebrachte Ministeranklage213 als unzulässig zurückgewiesen wurde. "Obskure Antragsteller,,214 brachten eine auf Art. 142 B-VG gestützte Anklage gegen den Bundesminister für Justiz beim Verfassungsgerichtshof ein, wobei die nach Art. 142 Abs. 2 B-VG zwingende Voraussetzung des Beschlusses des Nationalrates nicht gegeben war. Aufgrund des skizzierten Zusammenhangs zwischen Mehrheitspartei und Regierung ist dieses Instrument ein "Damoklesschwert aus Papier", es hat bestenfalls "Sinn- und Schreckbildfunktion,,2l5. So werden die Bestrebungen weitergehen, diese rechtliche Kontrolle der Ministeranklage als Minderheitenrecht der Opposition einzuräumen, um ihr damit mehr Effizienz und Bedeutung zu verleihen. Ergänzend im Zusammenhang mit der rechtlichen Kontrolle sei noch die Möglichkeit einer parlamentarischen Minderheit, nämlich von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates, erwähnt, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. 216 Dieses Kontrollmittel wird später im Kapitel über die Sonderformen parlamentarischer Kontrolle ausführlich behandelt.
Soziales betreffend die Aufhebung der "Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg, mit der für den 8. 12. 1984 die Gewerbeausübung und Ausnahmen von der Arbeitsruhe zugelassen werden"; mit Erkenntnis vom 28. Juni 1985 wurde die Rechtsverletzung durch den Landeshauptmann von Salzburg festgestellt. 213 VfSlg. 11609/1988. 214 Richard Novak, Lebendiges Verfassungsrecht, Juristische Blätter 1992, S. 477. 215 Konracj Atzwanger, Ministeranklage, S. 37. 216 Art. 140 Abs. I B-VG.
VII. Die politische Kontrolle
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VII. Die politische Kontrolle Während der rechtlichen Kontrolle der Regierung ein ausschließlich nonnativer Maßstab eignet, sind es bei der politischen Kontrolle auch parteienspezifische Erwägungen und Vorstellungen. Unter politischer Kontrolle versteht man die Überwachung der Staatstätigkeit der Organe der Vollziehung mit dem Ziel, Tatsachen aufzuklären, Infonnationen zu erlangen, Meinungen und Vorstellungen über die Vollziehung zu äußern, die Vollziehung auf die Beachtung ihrer eigenen politisch vorgegebenen Grundsätze aufmerksam zu machen und die Einhaltung von Rechts- und Verfassungsgrundsätzen einzumahnen. Darüber hinaus können auch Wünsche geäußert und Sanktionen gesetzt werden?17 Das Recht der politischen Kontrolle wird dem Parlament durch die Bestimmungen des Art. 52 und folgende B-VG eingeräumt. Danach sind der Nationalrat und der Bundesrat befugt, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen. Kelsen Froehlich - Merkl betonten in ihrem Kommentar,218 es sei auffällig, daß ein solches Recht auch dem Bundesrat zugesprochen wurde, da dieser auf Berufung und Abberufung der Bundesregierung keinerlei Einfluß hat. Diese im B-VG vorgesehenen Mittel sollen es also Parlamentariern ennöglichen, in die gesamte staatliche Verwaltung in ihrer allgemeinen Führung wie auch hinsichtlich konkreter Akte Einblick zu nehmen und ihren Wünschen über die Art der Führung der Staats geschäfte Ausdruck zu verleihen?19 217 Felix Ermacora, Die politische Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 51l. 218 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 137. 219 Renate Rottensteiner, Die Willensbildung in der österreichischen Außenpolitik, in: Das politische System Österreichs, S. 380.
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VII. Die politische Kontrolle
Politische Kontrolle hat daher zum Ziel, einerseits Machtmißbrauch durch die Exekutive zu verhindern, andererseits weitgehend Übereinstimmung zwischen den Handlungen der Regierung und dem Wählerwillen zu erreichen. 220 Die politische Kontrolle ist eine Kontrolle, die "ihrem Sinn nach auf die Mitgestaltung der ,Polis', des Staates als Gemeinwesen geht, die darauf tendiert, diesen immer wieder zu verwirklichen und schöpferisch weiterzubilden.,,221 Zum Unterschied von der rechtlichen Verantwortlichkeit der Bundesregierung, zu deren Prüfung der Verfassungs gerichtshof zuständig ist,222 wird somit die politische Verantwortlichkeit vom Parlament selbst kontrolliert. Während im ersteren Fall der Beurteilungsmaßstab die Gesetze sind, kann der Maßstab bei Geltendmachung der politischen Kontrolle auch rechtlich-politischer Natur sein. Im letztgenannten Fall wird die Regierung demnach vom Parlament beurteilt, ob sie in der Ausführung der Verfassungsgebote, wenn solche für den Kultur- und Wohlfahrtszweck nicht vorhanden sind, ohne Widerspruch zu anderen Verfassungsbestimmungen, eine Politik verfolgt, die mit den politischen Vorstellungen des Parlaments übereinstimmt. Die Nutzung der von der Verfassung eingeräumten Freiheit wird hier beurteilt. 223 Da diese Kontrolle von außerhalb der Vollziehung stehenden Organen ausgeübt wird, handelt es sich um eine Fremdkontrolle. Somit ist politische Kontrolle die von der gewählten Volksvertretung und nach politischen Maßstäben ausgeübte Kontrolle?24
220 Vgl. dazu Peter M. Stadler, Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, S. 36. 221 Richard Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, S. 244. 222 Art. 142 B-VG. 223 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 45.
VII. Die politische Kontrolle
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Das Bundes-Verfassungsgesetz legt im Kapitel über die "Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes" die Instrumente der politischen Kontrolle fest,225 womit sich aus der Einordnung der Rechte der politischen Kontrolle in dieses Kapitel ergibt, daß diese als Mitwirkungsrechte der Gesetzgebung an der Vollziehung konstruiert sind. 226 Zu dieser Stellung der Kontrollrechte meint Felix Ermacora: "Diese Zuordnung der politischen Kontrolle zur Mitwirkung an der Vollziehung macht vom Dogmatischen her sichtbar, daß weniger von einer Opposition zwischen Gesetzgebung und Voll ziehung als von einer Kooperation zwischen Gesetzgebung und Vollziehung ausgegangen wird; womit ein klassischer Grundsatz des Konstitutionalismus aufrecht erhalten wird. Denn hinter der Kontrolle einer Staatsfunktion durch eine andere Staatsfunktion liegt die Vorstellung, die Einheit der Staatsgewalt zu wahren. ,,227 Das Verfahren selbst für die Ausübung dieser Kontrollmittel wird durch die Geschäftsordnungen der bei den parlamentarischen Kammern geregelt. Gemäß Art. 30 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 2 B-VG geben sich sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat eine Geschäftsordnung, wobei zur Beschlußfassung darüber erhöhte Quoren vorgeschrieben werden, nämlich die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. Die Geschäftsordnung des Nationalra224 Friedrich Koja, Die politische Kontrolle der Vollziehung durch das Parlament, in: Macht und Kontrolle, hrsg. v. Andreas Khol, Studienreihe der Politischen Akademie, Band 5, o. J., S. 63. 225 Zu den Instrumenten der politischen Kontrolle siehe etwa Andreas Nödl, Parlamentarische Kontrolle, Das Interpellations-, Resolutions- und Untersuchungsrecht, Studien zu Politik und Verwaltung, Band 54, WienKöln-Weimar 1995. 226 Siehe dazu auch Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 132 ff. 227 Felix Ermacora, Die politische Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 514. 6*
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VII. Die politische Kontrolle
tes 228 bedarf der Form eines einfachen Bundesgesetzes, die Geschäftsordnung des Bundesrates 229 ist mit Beschluß dieser Kammer zu erlassen und im Bundesgesetzblatt kundzumachen. 23o Eine Mitwirkung der jeweils anderen Kammer ist dabei nicht vorgesehen. Die darin angegebenen Formen der politischen Kontrolle seien nachstehend beginnend mit dem Fragerecht angeführt.
1. Das Interpellationsrecht Nach Adolf Merkl besteht das Interpellationsrecht "in der Kompetenz parlamentarischer Körperschaften - genauer einer in der Geschäftsordnung bestimmten Zahl von Parlamentsmitgliedem -, Anfragen über Verwaltungs sachen an die Regierung oder die einzelnen Regierungsmitglieder zu richten .... Sinn und Wert des Interpellationsrechts liegen vielmehr darin, die Vorkommnisse im Bereiche der Verwaltung auf die parlamentarische Tribüne zu bringen und der parlamentarischen Kritik zu unterziehen. ,,231 Betrachtet man das österreichische Bundesverfassungsrecht,232 so enthält Art. 52 Abs. 1 B-VG die Regelung, daß der Nationalrat und der Bundesrat befugt sind, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände BOBl. Nr. 410/1975 i.d.F. BOBl. Nr. 438/1996. BOBl. Nr. 361/1988 i.d.F. BOBl. Nr. 50/1996. 230 Näheres zum Oeschäftsordnungsrecht und seiner Entwicklung siehe Konrad Atzwanger, Die Entwicklung des parlamentarischen Oeschäftsordnungsrechts 1848 bis 1919, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 221 ff sowie Wemer Zögemitz, Das parlamentarische Verfahren ab 1920, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 235 ff. 231 Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 365. 232 Zur historischen Entwicklung des Interpellationsrechts siehe etwa Siegbert Morscher, Die parlamentarische Interpellation, Berlin 1973, S. 44 ff sowie Peter Gerlich, Parlamentarische Kontrolle im politischen System, Forschungen aus Staat und Recht 21, Wien, New York 1973, S. 114 ff. 228
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1. Das Interpellationsrecht
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der Voll ziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Die Geschäftsordnungen des Nationalrates 233 und Bundesrates 234 enthalten nähere Regelungen bezüglich Form und Verfahren der Anfragen bzw. Antworten. Im Interpellationsrecht besitzen die Mitglieder des Parlaments ein Kontrollmittel, 235 das sie als Individual- bzw. Minderheitenrecht ausüben können und dessen Einsatz und Wirksamkeit nicht von einer Entscheidung der Mehrheit abhängig ist. 236 Dieses Recht der Interpellation dient jedoch nicht nur der Kontrolle der Regierung, sondern trägt auch aufgrund der Konstruktion als Minderheitenrecht der Entwicklung Rechnung, daß sich das klassische Gewaltenteilungsverständnis - auf der einen Seite die homogene Volksvertretung Parlament, auf der anderen Seite die Regierung gewandelt hat237 und die Trennlinie zwischen den Gewalten heute zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition, sozusagen mitten durch das Parlament238 verläuft. Aufgrund dieser Veränderungen in der Verfassungsrealität bedurfte und bedarf es noch immer eines stetigen Ausbaues vor allem der parlamentarischen Minderheitenrechte, da manche Kontrollinstrumente noch immer nur mit Zustimmung der Mehrheit eingesetzt werden können. §§ 89 bis 97 GeoG-NR. §§ 24, 42, 59 bis 63 GO-BR. 235 Siehe näher dazu Helmut Widder, Strategische Überlegungen zum parlamentarischen Fragerecht, Forschungsbericht der Politischen Akademie, Wien 1985 sowie Andreas Kumin, Rechte und Pflichten der Nationalratsabgeordneten, Wien 1990, S. 278 ff. 236 Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 674. 237 Siehe Günther Winkler, Das österreichische Konzept der Gewaltentrennung in Recht und Wirklichkeit, Der Staat 1967, S. 293 ff; Man/ried Welan, Die Gewaltenteilung, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 501 ff sowie Kar! Korinek, Von der Aktualität der Gewaltenteilungslehre, S. 151 ff. 238 Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 656. 233 234
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VII. Die politische Kontrolle
Die bei den Formen des Interpellationsrechts, nämlich die klassische schriftliche Interpellation und die kurze mündliche Anfrage, beziehen sich auf die gesamte "Geschäftsführung,,239 der Bundesregierung, d. h. die Tätigkeit der Mitglieder der Bundesregierung und der ihrer Leitung unterstehenden Organe, insbesondere auch auf die Privatwirtschaftsverwaltung 24o . Nur Verwaltungshandeln, das dem Bund zuzurechnen ist, zählt zur Geschäftsführung der Bundesregierung?41 Schließlich ist noch auf den neugeschaffenen Art. 52 B-VG 242 hinzuweisen, worin klargestellt wird, daß das Interpellations- und Resolutionsrecht im selben Maße wie Art. 52 Abs. 1 B-VG auch hinsichtlich jener Unternehmungen besteht, an denen der Bund mit mindestens 50 v.H. des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist und die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen. Einer solchen finanziellen Beteiligung ist die Beherrschung von Unternehmungen durch andere finanzielle oder sonstige wirtschaftliche bzw. organisatorische Maßnahmen gleichzuhalten. Dadurch sollte insbesondere festgestellt werden, daß ausgegliederte Betriebe auch weiterhin der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Laut Ausschußbericht sollte festgestellt werden, daß ein Interpellations- und Resolutionsrecht im obenerwähnten Ausmaß je239 Zur Problematik der Reichweite des Fragerechts siehe etwa Felix Ermacora, Parlamentarische Anfrage und Amtsverschwiegenheit, Juristische Blätter 1970, S. 116 ff; Friedrich Koja, Interpellationsrecht und Verschwiegenheitspflicht, in: Festschrift für Adolf Merkl, hrsg.v. Max Imboden, Friedrich Koja, Rene Marcic, Kurt Ringhofer, Robert Walter, München, Salzburg 1970, S. 151 ff sowie Herbert Hofer-Zeni, Sind Regierungsvorlagen "Gegenstände der Vollziehung" nach Art. 52 Abs. 1 B-VG?, Österreichische Juristen-Zeitung 1970, S. 597 ff. 240 Vgl. dazu etwa Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 199 sowie Siegbert Morscher, Die parlamentarische Interpellation, S. 429 ff. 241 Heinz Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kurzkommentar, Wien 1994, S. 176. 242 BGBL Nr. 508/1993.
1. Das Interpellationsrecht
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denfalls hinsichtlich aller Unternehmungen besteht, für die der Rechnungshof nach Art. 126b Abs. 2 B-VG ein Prüfungsrecht hat. Der Tatbestand nach Art. 126b B-VG muß jedoch allein durch die Beteiligung bzw. Einflußmöglichkeit des Bundes und ohne Beteiligung anderer Rechtsträger, die der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegen, gegeben sein. 243
a) Die schriftliche Anfrage Mit Hilfe der schriftlichen Anfrage können Abgeordnete des Nationalrates und Mitglieder des Bundesrates die Geschäftsführung der Bundesregierung überprüfen, indem sie deren Mitglieder über die Gegenstände der Vollziehung befragen und alle einschlägigen Auskünfte verlangen, wobei diese Anfragen von der erforderlichen Anzahl von Abgeordneten unterstützt sein müssen. Die näheren Regelungen dazu in den Geschäftsordnungen der beiden Kammern des Parlaments finden sich in § 91 Abs. 1 GeoG-NR und § 59 Abs. 2 GO-BR. Diese sehen vor, daß ein Abgeordneter mit Unterstützung von vier weiteren Abgeordneten, im Bundesrat mit zwei Unterstützungen, Anfragen an die Bundesregierung oder eines ihrer Mitglieder richten kann. Diese Anfragen mit den Unterschriften der fünf Nationalratsabgeordneten bzw. drei Bundesräten sind dem Präsidenten des Nationalrates bzw. Bundesrates schriftlich zu übergeben. Bezüglich der Einbringung der Anfragen von Bundesräten ist festzustellen, daß diese nach § 59 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates nicht an eine Sitzung gebunden ist. Das bedeutet, daß Anfragen praktisch jederzeit - also auch im Sommer - eingebracht werden können, im Gegensatz zum Nationalrat, dessen Geschäftsordnung in § 91 Abs. 1 festlegt, daß Abgeordnete Anfragen 243 1142 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVIII. Gesetzgebungsperiode, S. 5.
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VII. Die politische Kontrolle
an die Bundesregierung oder eines ihrer Mitglieder nur innerhalb einer Tagung richten können. 244 Mitgeteilt werden diese Anfragen dem Befragten nach der Geschäftsordnung des Nationalrates durch die Parlamentsdirektion, im Bundesrat hat der Präsident für die unverzügliche Übermittlung der Anfragen an die Befragten zu sorgen. Innerhalb von zwei Monaten, gerechnet vom Tage der Übergabe an den Präsidenten, hat der Befragte mündlich oder schriftlich zu antworten. Ist ihm die Erteilung der gewünschten Auskunft nicht möglich, so hat er dies zu begründen. Die Entscheidung über die Fragen, ob der Befragte mündlich oder schriftlich antwortet, beziehungsweise die Frage nach der Möglichkeit der Beantwortung liegt im Ermessen des befragten Ministers. Jedoch muß er die Gründe für die Nichtbeantwortung mitteilen. Hinsichtlich dieser Gründe unterliegt jedoch der Bundesminister keiner Beschränkung. 245 Es können sowohl rechtliche als auch politische oder tatsächliche Gründe 246 geltend gemacht werden?47 Sanktionen im Falle der Verletzung dieser Vorschriften sind allerdings nicht vorgesehen. Einzige Möglichkeit, die jedoch nur dem Nationalrat zur Verfügung steht, ist die Geltendmachung der politischen Verantwortung. Der Nationalrat kann also der Bundesregierung oder einzelnen Mitgliedern das Vertrauen gern Art. 74 Abs. 1 B-VG entziehen, wobei, wie schon oben erwähnt, der betreffende Minister oder die gesamte Bundesregierung vom Bun244 Bundesrat-Geschäftsordnung 1988 mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger und Werner Zögernitz, Wien 1989, S. 222. 245 Zu beachten ist dabei auch die Problematik des Datenschutzes bei der Anfragebeantwortung. Siehe dazu Reinhold Moritz, Datenschutz und parlamentarische Interpellation, Österreichische Juristen-Zeitung 1994, S. 763 ff. 246 Siehe dazu Christian Kopetzki, Antwortpflicht und "Ministerzensur", Juristische Blätter 1980, S. 565. 247 Bundesrat-Geschäftsordnung 1988 mit Anmerkungen, hrsg. v. Konrad Atzwanger und Werner Zögernitz, S. 223.
I. Das Interpellationsrecht
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despräsidenten des Amtes enthoben werden muß. Allerdings besteht die Möglichkeit der Besprechung der Anfragebeantwortung. § 92 Abs. 1 GeoG-NR sieht vor, daß fünf Abgeordnete vor Eingang in die Tagesordnung verlangen können, daß über die schriftliche Beantwortung einer Anfrage gern. § 91 Abs. 1 eine Debatte nach den §§ 57a und 57b stattfindet. Abgeordnete, die demselben Klub angehören, können eine solche Debatte nur einmal pro Sitzungswoche verlangen. Wird ein solches Verlangen von Abgeordneten mehrerer Klubs verlangt, ist es dem Klub, dem der Erstunterzeichner angehört, anzurechnen. Gehört dieser keinem Klub an, gilt diese Bestimmung hinsichtlich des Zweitunterzeichners und so weiter. Solche Verlangen können gern. § 92 Abs. 2 nur hinsichtlich solcher schriftlicher Beantwortungen einer Anfrage eingebracht werden, die innerhalb der letzten zwei Monate im N ationalrat eingelangt sind. Im Rahmen einer Debatte über die schriftliche Beantwortung einer Anfrage kann gern. Abs. 3 nur der Antrag gestellt werden, der Nationalrat nehme die Beantwortung zur Kenntnis oder nicht zur Kenntnis. Dem Antrag kann eine kurze Begründung beigegeben werden. 248
Erfolgt die Beantwortung der Anfrage durch den Befragten mündlich, so stellt diese eine Erklärung eines Mitgliedes der Bundesregierung (Staatssekretär) i. S. d. § 19 Abs. 2 dar,z49 die aufgrund eines Verlangens von fünf Abgeordneten Gegenstand einer Debatte gern. § 81 sein kann. 25o Bei einer mündlichen Anfragebeantwortung sind daher die Bestimmungen des § 92 nicht anwendbar.
Auch die Geschäftsordnung des Bundesrates sieht die Möglichkeit der Besprechung vor. So enthält § 59 Abs. 7 die Bestimmung, 248 § 92 Abs. 1 bis 3 GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBI. Nr.438/1996. 249 § 91 Abs. 4 letzter Satz GeoG-NR. 250 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Werner Zögernitz. S. 286.
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VII. Die politische Kontrolle
daß eine Debatte über die mündliche Beantwortung der Anfrage stattfindet, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird. Die Möglichkeit der Besprechung einer schriftlichen Anfragebeantwortung findet sich in § 60, wonach aufgrund eines schriftlichen Antrages, der von mindestens drei Bundesräten unterstützt wird, ohne Debatte beschlossen werden kann, daß über die schriftliche Beantwortung einer Anfrage eine Besprechung stattzufinden hat. Die Besprechung hat gern. § 60 Abs. 2 ohne weiteres stattzufinden, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird. Allerdings dürfen für dieselbe Sitzung von einem Bundesrat nicht mehr als zwei solcher Verlangen unterfertigt werden. § 60 Abs. 5 enthält weiters eine Beschränkung der Redezeit bei der Besprechung einer Anfragebeantwortung von zwanzig Minuten.
b) Die dringliche Anfrage Besondere Bedeutung kommt in der parlamentarischen Praxis der dringlichen Anfrage zu, welche eine besondere Form der schriftlichen Anfrage darstellt. So können gern. § 93 Abs. 1 GeoG-NR fünf Abgeordnete vor Eingang in die Tagesordnung im Nationalrat verlangen, daß eine zum selben Zeitpunkt einzubringende schriftliche Anfrage an ein Mitglied der Bundesregierung vom Fragesteller nach Erledigung der Tagesordnung, spätestens jedoch 15 Uhr, frühestens aber drei Stunden nach Eingang in die Tagesordnung, mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. Kein Abgeordneter darf jedoch innerhalb eines Jahres mehr als ein solches Verlangen unterzeichnen. Darüber hinaus kann gern. Abs. 2 jeder Klub pro Jahr weitere vier Verlangen im Sinne des Abs. 1 einbringen, wobei diese einen Verweis auf die gegenständliche Gesetzesbestimmung beinhalten müssen und von fünf Abgeordneten dieses Klubs zu unterzeichnen sind. Solche Unterstützungsunterschriften sind
1. Das Interpellationsrecht
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nicht in Abs. 1 einzurechnen. Weiters kann gern. Abs. 3 auf Antrag von fünf Abgeordneten ohne Debatte vor Eingang in die Tagesordnung beschlossen werden, daß eine zum selben Zeitpunkt einzubringende schriftliche Anfrage an ein Mitglied der Bundesregierung vom Fragesteller nach Erledigung der Tagesordnung, spätestens jedoch 15 Uhr, frühestens aber drei Stunden nach Eingang in die Tagesordnung, mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. Eine solche beschlossene Dringliche Anfrage wird in die Beschränkung des § 57b Abs. 1 nicht eingerechnet. 251 Der Bundesrat kann auf Antrag von drei Mitg1iedern 252 ohne Debatte beschließen, daß eine in derselben Sitzung eingebrachte schriftliche Anfrage an ein Mitglied der Bundesregierung vom Fragesteller mündlich zu begründen sei und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. Ohne Beschluß hat gern. § 61 Abs. 3 GO-BR eine derartige dringliche Behandlung stattzufinden, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird. Kein Bundesrat darf jedoch für dieselbe Sitzung mehr als zwei solcher Verlangen unterfertigen. Wurde die Anfrage vor Eingang in die Tagesordnung eingebracht, findet deren Behandlung spätestens um 16 Uhr, bei einer Einbringung während der Verhandlung der Tagesordnung nach deren Erledigung statt. In der Debatte über dringliche Anfragen steht im Nationalrat dem Begründer eine Redezeit von 20 Minuten zu, jedem Redner 10 Minuten und jedem Klub eine Gesamtredezeit von insgesamt 25 Minuten. 253 Im Bundesrat ist die Redezeit eines Mandatars in der Debatte über eine dringliche Anfrage mit insgesamt 20 Minuten begrenzt. 254 Das befragte Mitglied der Bundesregierung hat 251 252 253 254
§ 93 § 61 § 93 § 61
GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBL Nr. 438/1996. Abs. 1 GO-BR. Abs. 5 GeoG-NR. Abs. 7 GO-BR.
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VII. Die politische Kontrolle
im Nationalrat nach der Begründung der Anfrage und vor Eingang in die Debatte entweder sofort mündlich zu antworten oder eine Stellungnahme zum Gegenstand abzugeben. Dabei soll die Stellungnahme bzw. Beantwortung 20 Minuten nicht übersteigen. 255 Eine weitere Beschränkung besteht im Nationalrat hinsichtlich der Anzahl der Dringlichen Anfragen pro Sitzungs tag. So legt der durch die Novelle 1996 neugeschaffene § 57b Abs. 1 Nationalratsgeschäftsordnung fest, daß an jedem Sitzungstag nur eine Dringliche Anfrage oder ein Dringlicher Antrag 256 zum Aufruf gelangen kann. Wird hinsichtlich mehrerer Anfragen die dringliche Behandlung verlangt, so gelangt gern. Abs. 2 die Anfrage jenes Klubs zum Aufruf, bei dem die letzte aufgerufene Dringliche Anfrage länger zurückliegt. Sinn dieser dringlichen Anfragen ist es, eine als besonders aktuell und schwerwiegend angesehene politische Angelegenheit an die Öffentlichkeit zu bringen?57 Aufgrund der Öffentlichkeitswirkung 258 und aufgrund der Möglichkeit für die Opposition, kurzfristig über wichtige Themen 259 eine Diskussion herbeizuführen,26o zählt die dringliche Anfrage wohl zu den wirkungsvollsten Kon255 256
§ 93 Abs. 4 GeoG-NR. § 74a GeoG-NR.
257 Vgl. Felix Ermacora. Die politische Kontrolle der Verwaltung, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. v. Felix Ermacora, Günther Winkler, Friedrich Koja. Heinz Peter Rill, Bernd-Christian Funk, Wien 1979, S.540. 258 Herbert Schambeck. Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Berlin 1992, S. 14 ff. 259 Eine Darstellung der Themen, die im Rahmen dringlicher Anfragen behandelt werden, findet sich etwa bei Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 688 ff. 260 Vgl. Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 687.
1. Das Interpellationsrecht
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trollmitteln des Parlaments; sie ist nicht nur für die Opposition als ein Instrumentarium zur Kontrolle wirkungsvoll, es machen auch die Fraktionen der Regierungsmehrheit bisweilen Gebrauch von der Möglichkeit der dringlichen Anfrage, vor allem zu Präsentationszwecken26 1, um die Leistungen eigener Parteimitglieder in der Regierung hervorheben zu können. Diese Möglichkeit der dringlichen Anfrage, die als die "schärfste Waffe der Opposition" bezeichnet wird, erfuhr eine besondere Aufwertung durch die Reform der Geschäftsordnung des Nationalrates des Jahres 1988. Denn während bisher schriftliche Anfragen nur dann dringlich behandelt wurden, wenn dies von mindestens zwanzig Abgeordneten verlangt wurde, hat seit 1989 eine dringliche Anfrage ohne weiteres stattzufinden, wenn dies, wie schon erwähnt, von fünf Abgeordneten schriftlich begehrt wird. 262
c) Kurze mündliche Anfragen - die Fragestunde Nach Art. 52 Abs. 3 B-VG kann jedes Mitglied des Nationalrates und des Bundesrates in den Sitzungen des jeweiligen Vertretungskörpers kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung richten. Diese Anfragen werden im Rahmen der Fragestunde behandelt, mit der in der Regel, sofern keine Aktuelle Stunde stattfindet, jede Sitzung des Nationalrates beginnt. Diese Fragestunde soll jedoch 60 Minuten nicht überschreiten, doch kann der Präsident ausnahmsweise die Dauer der Fragestunde verlängern. Häufen sich die Anfragen, so kann zu deren Behandlung im Nationalrat eine eigene Sitzung, gleichsam eine eigene "FragePeter GerUch, Parlamentarische Kontrolle, S. 245. 262 Werner Zögernitz, Motive und Auswirkungen der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates, Österreichisches Jahrbuch für Politik 1989, S. 257 f. 261
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VII. Die politische Kontrolle
stundensitzung", anberaumt werden?63 Auch die Sitzungen des Bundesrates beginnen in der Regel mit einer Fragestunde, die 60 Minuten nicht übersteigen darf. Häufen sich die Anfragen, so kann der Präsident, um deren Behandlung zu ermöglichen, im Einvernehmen mit den Vizepräsidenten, die Fragestunde bis zu 120 Minuten erstrecken. 264 Die näheren Ausführungsbestimmungen findet man in den §§ 94 ff GeoG-NR bzw. den §§ 62 f GO-BR. Danach kann jeder Abgeordnete in den Sitzungen des Nationalrates und jeder Bundesrat in den Sitzungen des Bundesrates kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung richten. Nach Beantwortung der Frage kann der Fragesteller gern. § 96 Abs. 3 GeoGNR noch eine Zusatzfrage stellen, danach können auch andere Abgeordnete Zusatzfragen stellen, wobei in der Regel jeder Klub, mit Ausnahme des Klubs des Fragestellers, berücksichtigt wird; Abgeordnete ohne Klubzugehörigkeit sollen gleichfalls im Verlauf einer Fragestunde in angemessener Weise berücksichtigt werden. 265 Die Geschäftsordnung des Bundesrates sieht nicht vor, daß noch weitere Mandatare Zusatzfragen stellen können. Diese Möglichkeit hat nur der Fragesteller, der im Anschluß an die Beantwortung der Anfrage bis zu zwei Zusatzfragen stellen kann. 266 Eine weitere Beschränkung erfährt dieses Recht dadurch, daß jeder Parlamentarier zu den Fragestunden eines Monats nicht mehr als vier Anfragen einbringen darf. Ist im Bundesrat ein Fragesteller in der Fragestunde verhindert, so kann er gern. § 63 Abs. 3 gegenüber dem Präsidenten einen Bundesrat benennen, der in sein Fragerecht eintritt. Der benannte Bundesrat muß sein Einverständnis mit dem Eintritt in das Fragerecht erklären. 267 263 264
§ 94 Abs. 4 und 5 GeoG-NR. § 42 GO-BR.
265 § 96 Abs. 3 zweiter Satz neugefaßt durch die Novelle BGBL Nr. 438/1996. 266 § 63 Abs. 5 GO-BR.
1. Das Interpellationsrecht
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Zum organisatorischen Ablauf ist zu sagen, daß die Anfragen spätestens 48 Stunden vor der Sitzung des Nationalrates bzw. am vierten Tag vor der Sitzung des Bundesrates,268 in der die Frage aufgerufen werden soll, im Wege der Parlamentsdirektion einzubringen sind. Die Fragen werden vom Präsidenten gereiht und in der Sitzung von ihm aufgerufen. Seit 1. 1. 1989 gilt die Regelung,269 daß beim Aufruf die Frage vom Fragesteller mündlich zu wiederholen ist. Diese Bestimmung dient der besseren Information der Öffentlichkeit, vor allem der Parlamentsbesucher und bei Fernsehübertragungen auch der Zuseher. Eine analoge Regelung findet sich auch in der Geschäftsordnung des Bundesrates, nämlich in § 63 Abs. 2. Das befragte Mitglied der Bundesregierung ist verpflichtet, die Anfrage mündlich in derselben Sitzung, in der sie aufgerufen wird, zu beantworten. Ist ihm die Erteilung der gewünschten Auskunft nicht möglich, so hat er dies zu begründen. 27o Wird eine Anfrage nicht innerhalb von vier Wochen aufgerufen, so kann der Fragesteller im Nationalrat binnen weiterer acht Tage und im Bundesrat innerhalb von vierzehn Tagen erklären, daß er eine schriftliche Beantwortung wünscht. 271
Die Fragestunde stellt seit ihrer Einführung im Nationalrat im Jahre 1961 272 eine aus der parlamentarischen Praxis nicht mehr wegzudenkende Einrichtung dar, sie erfuhr aber immer wieder Änderungen, wobei vor allem die Geschäftsordnungsreform des Nationalrates 1993 273 die Fragestunde noch flexibler und lebendi§ 63 Abs. 3 GO-BR neugefaßt durch BGBl. Nr. 50/1996. § 95 Abs. 3 GeoG-NR bzw. § 62 Abs. 5 GO-BR. 269 § 95 Abs. 5 GeoG-NR. 270 § 94 Abs. 2 GeoG-NR, § 63 Abs. 4 GO-BR. 271 § 97 Abs. 1 GeoG-NR, § 63 Abs. 6 GO-BR. 272 Bundesgesetz vom 6. Juli 1961, betreffend die Geschäftsordnung des Nationalrates, BGBl. NT. 178/196l. 273 BGBl. Nr. 569/1993. 267
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VII. Die politische Kontrolle
ger gestaltet hat, etwa dadurch, daß der Hauptfragesteller nur noch eine Zusatzfrage stellen darf274 oder durch die Reduzierung der Zeitspanne für die Einbringung von mündlichen Anfragen von vier Tagen auf achtundvierzig Stunden vor deren Aufruf. 275 Das Interpellationsrecht wird aber nicht nur zu Kontrollzwekken ausgenutzt, sondern vor allem auch zur parlamentarischen Unterstützung der Regierung durch die Regierungsfraktion verwendet, indem es durch vorher abgesprochene Fragen den Regierungsrnitgliedern ermöglicht wird, im Plenum des Nationalrates oder des Bundesrates den Regierungsstandpunkt zu vertreten.
Umstritten ist die Reichweite des Fragerechts, 276 nämlich ob Regierungsmitglieder auch über die Vorbereitung von Gesetzesentwürfen befragt werden können. Da der Gesetzeswortlaut hier verschiedene Interpretationen zuläßt, wäre zu fordern, daß der Nationalrat und der Bundesrat selbst durch eine authentische Interpretation die Rechte klar abstecken und es somit nicht dem Belieben eines befragten Regierungsmitglieds überlassen bleibt, Fragen betreffend projektierter Gesetzesvorhaben als nicht in den Bereich der Vollziehung gehörig zurückzuweisen. Da sich Anfragen über geplante Regierungsvorlagen auf spezifische Regierungstätigkeiten beziehen, würde eine derartige Ausdehnung des Interpellationsrechts wohl eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollbefugnisse bedeuten,277 aber den Bereich der Voll ziehung, der näm274 Siehe dazu Werner Zögernitz, Das parlamentarische Verfahren ab 1920, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S.254. 215 Vgl. Werner Zögernitz, Die Geschäftsordnung des Nationalrates, in: Jahrbuch des österreichischen Parlaments, Daten - Fakten - Analysen, hrsg. von der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft, Wien 1994, S. 48. 276 Siehe dazu die Literaturangaben in FN 239. 277 Herbert Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, in: Der Staat als Aufgabe, S. 305.
1. Das Interpellationsrecht
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lieh ursprünglich auf die beschlossenen Gesetze bezogen war, überschreiten.
d) Die Aktuelle Stunde Als Sondeiform des Interpellationsrechts ist die durch die Novelle der Nationalratsgeschäftsordnung aus dem Jahre 1988 neu eingeführte Aktuelle Stunde zu erwähnen. Diese Aktuelle Stunde dient gern. § 97a Abs. 3 einer Aussprache über Themen von allgemeinem aktuellem Interesse278 aus dem Bereich der Vollziehung des Bundes. Durch den durch die Geschäftsordnungsnovelle 1993 geänderten § 97a Abs. 1 werden die Plenarberatungen einer Sitzungswoche nun mit einer Aktuellen Stunde eingeleitet, wenn dies von fünf Abgeordneten schriftlich spätestens achtundvierzig Stunden vorher unter gleichzeitiger Bekanntgabe des Themas verlangt wird. Die Parlamentsdirektion ist zuständig, die Mitglieder der Bundesregierung zu verständigen, wobei somit sämtliche Mitglieder zu verständigen sind und nicht nur jene, die aufgrund des Themas der Aktuellen Stunde als zuständig anzusprechen sind. 279 Bezüglich der Dauer der Aktuellen Stunde legt Abs. 5 fest, daß diese zwischen 60 und 70 Minuten dauern und jedenfalls so gestaltet werden soll, daß auf die Diskussionsbeiträge der Abgeordneten nicht mehr als 50 Minuten entfallen. Der Präsident hat das Recht, die Aktuelle Stunde nach 90 Minuten jedenfalls für beendet zu erklären. Bezüglich der ZeitauJteilung bestimmt Abs. 6, daß in der Regel der Erstunterzeichner als erster Redner mit einer Redezeit von 278 Beispiele siehe bei Wemer Zögemitz, Motive und Auswirkungen der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates, S. 257. 279 Vgl. Nationalrat-Geschäftsordnung, Ergänzungsband 1993, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, Wien 1994, S.146.
7 Schambeck
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VII. Die politische Kontrolle
zehn Minuten zu Wort kommt. Sodann ist das zuständige Mitglied der Bundesregierung oder der im Sinne des § 19 Abs. 1 zum Wort gemeldete Staatssekretär verpflichtet, eine einleitende Stellungnahme zum Thema abzugeben, die ebenfalls zehn Minuten nicht übersteigen soll. Jedoch haben alle Bundesminister das Recht,280 in einer Aktuellen Stunde das Wort zu ergreifen. Eine Verpflichtung zur Teilnahme und Wortmeldung besteht jedoch nur für den zuständigen Bundesminister oder den diesen Bundesminister vertretenden Staatssekretär. 281 Alle weiteren Teilnehmer an der Aktuellen Stunde haben eine Redezeit von fünf Minuten, wobei in der Regel von jedem Klub zwei Redner zum Wort gelangen sollen. Es sei betont, daß in den Sitzungen, die mit Aktuellen Stunden beginnen, keine Fragestunde stattfindet und daß in einer Aktuellen Stunde keine Anträge gestellt und keine Beschlüsse gejaßt werden können. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Fragerecht ein echtes Minderheitenrecht ist, da es, je nach Art der Anfrage, einem oder mehreren Parlamentariern, aber immer einer Minderheit, zur Verfügung steht. Besonders aus diesem Umstand ergibt sich, daß das Interpellationsrecht wohl das wichtigste Kontrollinstrument des Parlaments darstellt. Aufgrund der schon oben ausgeführten Konstellation zwischen Regierung und Parlament Felix Ermacora bemerkte sogar: "Die die Regierung bzw. die Regierungsmitglieder tragenden Parteien kontrollieren diese in Wahrheit nicht mehr, sondern bemühen sich, jede an Regierung und Verwaltung geübte Kritik durch nur scheinbare Kontrollrnaßnahmen zu entwerten"282 - liegt die Kontrolle der Regierung weitgehend bei der Opposition. Da also bei einem parlamentariSiehe Art. 75 B-VG. Siehe Nationalrat-Geschäftsordnung, Ergänzungsband 1993, hrsg. v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, S. 147. 282 Felix Ennacora, Der Konflikt zwischen Politik und Verwaltung, in: Die Diener des Staates, S. 87. 280 281
2. Das Zitationsrecht
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schen Regierungssystem die Parlamentsmehrheit die Regierung bildet, kommt es darauf an, der Opposition die Kontrolle durch parlamentarische Minderheitenrechte zu erleichtern. 283 Eine echte Kontrolle ist daher nur möglich, wenn einer parlamentarischen Minderheit diese Möglichkeit eingeräumt wird. Es besitzt daher gerade das Interpellationsrecht eine herausragende Bedeutung für eine effiziente Kontrolle der Regierung durch das Parlament, welches sich besonders deutlich in den letzten Novellen zur Nationalrats- und Bundesratsgeschäftsordnung und auch an der häufigen Verwendung dieses effektiven Kontrollmittels durch die Opposition 284 widerspiegelt.
2. Das Zitationsrecht Als eine Art politisches Kontrollrecht kann in Österreich ebenfalls das Zitationsrecht bezeichnet werden. Die verfassungsrechtliche Grundlage dafür findet sich in Art. 75 B-VG, wonach der Nationalrat, der Bundesrat und die Bundesversammlung sowie deren Ausschüsse (Unterausschüsse) die Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung verlangen können. Eine Ausgestaltung erfährt dieses Recht wiederum in den Geschäftsordnungen der beiden Kammern, nämlich in § 18 Abs. 3 GeoG-NR und § 37 Abs. 2 GO-BR. Zur Ausübung des Zitationsrechtes ist allerdings ein Mehrheitsbeschluß der jeweiligen parlamentarischen Kammer eiforderlich, was Zweifel an der Effektivität dieses Rechtes aufkommen läßt. 283 Herbert Schambeck, Demokratie und Föderalismus als europäischer Auftrag, Österreichische Juristen-Zeitung 1993, S. 115. 284 Eine zahlenmäßige Erfassung findet sich bei Andreas Nödl, Eine empirische Analyse des Interpellations- und Untersuchungsrechts als Mittel parlamentarischer Kontrolle vor dem Hintergrund der Parlamentsreform 1993, in: Jahrbuch des österreichischen Parlaments, Daten - Fakten - Analysen, S. 76 ff. 7*
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VII. Die politische Kontrolle
Gerade im Falle jener Angelegenheiten, die ein Erscheinen des Ministers zweckmäßig erscheinen lassen, welches allerdings meistens nicht im Interesse des betreffenden Regierungsmitgliedes liegt, wäre es sinnvoll, hätte die Mehrheit des Parlaments nicht die Möglichkeit "ihren" Minister zu decken. Daher erschiene es wünschenswert, einer qualifizierten Minderheit dieses Recht zuzusprechen?85 Das Recht des Nationalrates, des Bundesrates und der Ausschüsse, die Anwesenheit von Mitgliedern der Bundesregierung zu verlangen, schließt die Pflicht des betreffenden Bundesministers ein, dem Nationalrat, dem Bundesrat bzw. den Ausschüssen Rede und Antwort zu stehen. 286 Der Verfasser hat Fälle der Ausübung dieses Zitationsrechts im Bundesrat erlebt, in denen eine Fraktion gegen ihre parteipolitischen Interessen ein ihrer Partei angehörendes Regierungsmitglied zitieren ließ und einen diesbezüglichen Mehrheitsbeschluß mittrug. 287
3. Das Resolutionsrecht Das Resolutionsrecht, das gemäß Art. 52 B-VG dem Nationalrat und dem Bundesrat zusteht, berechtigt das P&rlament, Wünschen über die Ausübung der Vollziehung durch Entschließungen Ausdruck zu geben. Adolf Merkl definierte schon: "Das Resoluti285 Vgl. Friedrich Koja, Die politische Kontrolle der Vollziehung durch das Parlament, in: Macht und Kontrolle, S. 72. 286 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger; Alfred Kobzina und Werner Zögernitz, S. 84 und BundesratGeschäftsordnung 1988, hrsg.v. Konrad Atzwanger und Werner Zögernitz, S. 160. 287 So wurde in der 285. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 1969 Frau Bundesminister Grete Rehor und in der 320. Sitzung des Bundesrates am 29. März 1973 Frau Bundesminister Dr: Ingrid Leodolter zitiert. Siehe dazu das Stenographische Protokoll der 285. Sitzung des Bundesrates, S. 7552 bzw. das Stenographische Protokoll der 320. Sitzung des Bundesrates, S. 9437.
3. Das Resolutionsrecht
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onsrecht besteht in der Kompetenz parlamentarischer Körperschaften, an die Regierung oder deren einzelne Mitglieder Aufforderungen zu einem bestimmten Tun oder Lassen im Bereiche der Verwaltung zu richten. Beschlüsse solchen Inhalts heißen Entschließungen (Resolutionen). Entschließungen sind nicht rechtsverbindlich; der Minister, der einer Entschließung keine Folge leistet, macht sich dadurch mit nichten einer Rechtsverletzung schuldig. ,,288 Der Bereich, auf den sich das Resolutionsrecht bezieht, ist ident mit jenem, der für das Interpellationsrecht bestimmt ist,289 d. h. es geht um jene Angelegenheiten, die zur Voll ziehung des Bundes gehören. Wie schon der Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 B-VG zu erkennen gibt, handelt es sich bei Resolutionen nicht um solche parlamentarischen Willensäußerungen, die Verbindlichkeit besitzen, sondern um Wunscherklärungen, denen keine rechtliche Bindung zukommt. 29o Kelsen - Froehlich - Merkl meinten zu der Verbindlichkeit von Resolutionen: "Die Resolution, das ist ein Beschluß des Nationalrates oder des Bundesrates, in welchem Wünsche über die Ausübung der Voll ziehung zum Ausdruck gebracht werden. Da die Verfassung ausdrücklich und bewußt von ,Wünschen' spricht, kann wohl nicht angenommen werden, daß die Bundesregierung an einen Resolutionsbeschluß rechtlich gebunden ist. Es kann sich nur um eine politische Bindung handeln.,,291 Das Verfahren über das Zustandekommen einer Resolution wird wiederum durch die Geschäftsordnungen der beiden parlamentarischen Kammern geregelt. Eingeleitet wird ein solches Verfahren Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 365. Siehe Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S.20l. 290 Vgl. Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 70l. 291 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 138. 288
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VII. Die politische Kontrolle
durch einen Entschließungsantrag, wobei nach der Geschäftsordnung des Nationalrates verschiedene Formen 292 unterschieden werden können, nämlich zwischen dem Selbständigen Antrag von Abgeordneten gern. § 26, dem Selbständigen Antrag von Ausschüssen gern. § 27 und dem unselbständigen Entschließungsantrag gern. § 55. Ein Selbständiger Antrag von Abgeordneten muß schriftlich dem Präsidenten übergeben werden und bedarf nach § 26 Abs. 4 der Unterstützung von mindestens fünf Abgeordneten mit Einrechnung des Antragstellers. § 27 Abs. 3 legt fest, daß der Ausschuß das Recht hat, Selbständige Anträge auf Fassung von Beschlüssen zu stellen, die nicht die Erlassung von Gesetzen gern. Abs. 1 betreffen, aber mit dem im Ausschuß behandelten Gegenstand in inhaltlichem Zusammenhang stehen; diese werden dem Ausschußbericht über den Gegenstand unmittelbar angeschlossen. Schließlich besteht noch die Möglichkeit der unselbständigen Entschließungsanträge, die im Zuge der Debatte über einen Verhandlungsgegenstand im Nationalrat gern. § 55 Abs. 1 beantragt werden können, sofern sie mit diesem in inhaltlichem Zusammenhang stehen. Solche Entschließungsanträge sind in die Verhandlung einzubeziehen, wenn sie von mindestens fünf Abgeordneten einschließlich des Antragstellers unterstützt werden. Auch die Geschäftsordnung des Bundesrates sieht Entschließungsanträge 293 in der Form von Selbständigen Anträgen von Bundesräten (§ 21) und von Selbständigen Anträgen von Ausschüssen (§ 23) vor. Gern. § 21 Abs. I hat jeder Bundesrat das Recht, Selbständige Anträge auf Fassung von sonstigen Beschlüssen zu stellen, worunter eben auch ein Entschließungsantrag zu subsumieren ist. Ein solcher Selbständiger Antrag muß nach Abs. 3 von mindestens drei Bundesräten - mit Einrechnung des 292 Vgl. Wilhelm F. Czerny und Heinz Fischer, Kommentar zur Geschäftsordnung des Nationalrates, 2. Auflage, Wien 1982, S. 195. 293 Siehe dazu Bundesrat-Geschäftsordnung 1988, hrsg. v. Konrad Atzwanger und Wemer Zögemitz, S. 122.
3. Das Resolutionsrecht
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Antragstellers - unterstützt sein. Jeder Ausschuß hat das Recht, Selbständige Anträge auf Fassung sonstiger Beschlüsse zu stellen, wenn diese Anträge mit dem im Ausschuß behandelten Gegenstand in inhaltlichem Zusammenhang stehen. Schließlich gibt es auch im Bundesrat gern. § 43 die Form der Anträge zum Verhandlungsgegenstand. So wird bestimmt, daß Entschließungsanträge über die Ausübung der Vollziehung (§ 24 Abs. 2) von jedem Bundesrat gestellt werden können, sobald die Verhandlung über den Gegenstand eröffnet ist. Auch solche Anträge sind - mit Einrechnung des Antragstellers - von mindestens drei Bundesräten zu unterstützen. Für die Annahme eines solchen Entschließungsantrags ist allerdings die Zustimmung der Mehrheit notwendig, d. h. für einen Beschluß294 über einen Entschließungsantrag ist die Anwesenheit von einem Drittel der Mitglieder und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Diese Konstruktion des Resolutionsrechts als ein Mehrheitsrecht wird teilweise kritisiert; so schlägt etwa Friedrich Koja 295 vor, das Recht zur Formulierung von Wünschen an die Bundesregierung einer qualifizierten Minderheit des Nationalrates zu geben, wobei er dies für unbedenklich hält, solange die Sanktion für die Nichtbeachtung von Entschließungen in der Hand der Mehrheit belassen wird. Solange allerdings dieses Recht einer Minderheit nicht eingeräumt wird, kann die Opposition die Möglichkeit nützen, eine Debatte über Grundsatzfragen der Politik anzuregen, indem sie Resolutionsanträge stellt und somit problematischen Angelegenheiten Öffentlichkeitswirkung verleiht. Um nicht nur im interpellativen Bereich einer Minderheit von Abgeordneten die Möglichkeit einzuräumen, eine Angelegenheit § 82 Abs. 1 GeoG-NR, § 58 Abs. 1 GO-BR. Friedrich Koja, Die politische Kontrolle der Vollziehung durch das Parlament, in: Macht und Kontrolle, S. 69. 294
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VII. Die politische Kontrolle
der Vollziehung mit einem Mitglied der Bundesregierung noch am selben Tag zu debattieren, soll das durch die Novelle der Geschäftsordnung des Nationalrates 1996 geschaffene Instrument des Dringlichen Antrages die dringliche Behandlung von Entschließungsanträgen ermöglichen?96 So sieht § 74a Abs. 1 vor, daß fünf Abgeordnete vor Eingang in die Tagesordnung verlangen können, daß ein zum sei ben Zeitpunkt einzubringender Selbständiger Antrag von Abgeordneten, der eine Entschließung, mit welcher der Nationalrat seinen Wünschen über die Ausübung der Vollziehung Ausdruck geben will, beinhaltet, nach Erledigung der Tagesordnung, spätestens jedoch 15 Uhr, frühestens aber drei Stunden nach Eingang in die Tagesordnung, von einem der Antragsteller mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. Hinsichtlich der Unterstützungserfordernisse legt § 74a Abs. 2 fest, daß § 93 Abs. 1 und 2 mit der Maßgabe gilt, daß ein zum Aufruf gelangender Dringlicher Antrag in die Berechnung nach § 93 Abs. 1 und 2 einzubeziehen ist. 297 Gern. Abs. 3 kann auf Antrag von fünf Abgeordneten ohne Debatte vor Eingang in die Tagesordnung beschlossen werden, daß ein zum sei ben Zeitpunkt einzubringender Selbständiger Antrag von Abgeordneten im Sinne des Abs. 1 von einem Antragsteller mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. Das zuständige Mitglied der Bundesregierung oder der zum Wort gemeldete Staatssekretär ist gern. Abs. 4 verpflichtet, nach der Begründung des Dringlichen Antrages und vor Eingang in die Debatte eine Stellungnahme zum Gegenstand abzugeben, welche 20 Minuten nicht übersteigen soll. Dem Begründer steht nach 296 Bericht des Geschäftsordnungsausschusses, 284 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XX. Gesetzgebungsperiode, S. 4. 297 Siehe hiezu die entsprechenden Ausführungen zur Dringlichen Anfrage.
3. Das Resolutionsrecht
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Abs. 5 eine Redezeit von 20 Minuten zu, jedem Redner kommt in der darauffolgenden Debatte eine Redezeit von zehn Minuten und jedem Klub eine Gesamtredezeit von insgesamt 25 Minuten zu. Auch hier besteht wiederum, wie schon in Zusammenhang mit der Dringlichen Anfrage ausgeführt, eine Beschränkung dahingehend, daß gern. § 57b Abs. 1 Nationalratsgeschäftsordnung pro Sitzungstag nur eine Dringliche Anfrage oder ein Dringlicher Antrag zum Aufruf gelangen kann. Bei einer Kollision mehrerer Verlangen auf dringliche Behandlung eines Antrages bzw. für den Fall einer Kollision von Dringlichen Anträgen und Dringlichen Anfragen gelangt die Anfrage oder der Antrag jenes Klubs zum Aufruf, bei dem die letzte aufgerufene Dringliche Anfrage oder der letzte aufgerufene Dringliche Antrag länger zurückliegt. Obwohl derartige Entschließungen die Regierung also rechtlich nicht verpflichten, bedeuten sie für die Regierung Empfehlungen bezüglich ihrer Regierungstätigkeit und können so zu einer Kontrolle und Korrektur des Regierungskurses beitragen. Durch Resolutionen 298 kann die Regierung auch aufgefordert werden, dem Parlament Berichte zu gewissen Materien vorzulegen. Davon sind jedoch Berichte zu unterscheiden, welche die österreichische Regierung aufgrund gesetzlicher Verpflichtung vorlegen muß. 299 298 Zur parlamentarischen Praxis bezüglich des Resolutionsrechtes siehe Peter Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, S. 254 ff. Eine empirische Analyse der Resolution findet sich bei Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 703 f. 299 Übersicht über die dem Nationalrat in regelmäßigen Zeitabständen erstatteten Berichte: Bericht über die Gründe der Beschlüsse der Bundesregierung nach dem Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungs arbeit und Publizistik 1984, Rechtsgrundlage: § 11 Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984, BGBl. Nr. 245/1989; Soziale Lage, Regierungserklärung vom 20. 4. 1966; Tätigkeit der Arbeitsinspektion, Rechtsgrundlage: § 10 Abs. 1 ArbeitsinspektionsG i.d.F. BGBl. Nr. 143/1974; Tätigkeit der Arbeitsinspektion auf dem Gebiet des Bundesbedienstetenschutzes, Rechtsgrund-
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VII. Die politische Kontrolle
Da, wie eingangs erläutert, Resolutionen nur Wünsche des Parlaments an die Regierung über die Vollziehung darstellen, die rechtlich nicht verbindlich sind, stellt sich trotz allem die Frage lage: § 9 Abs. 2 Bundesbediensteten-SchutzG i.d.F. BGBL Nr. 164/1977; Internationale Arbeitskonferenz, Rechtsgrundlage: Art. 19 Statut der International Labour Organization i.d.F. BGBL Nr. 223/1949; Außenpolitischer Bericht, keine Rechtsgrundlage; Bericht des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten namens der Bundesregierung betreffend Punkt 13 des Südtirol-Operationskalenders, keine Rechtsgrundlage; Österreich und die Menschenrechte, keine Rechtsgrundlage; Bericht des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten bezüglich der KSZE, keine Rechtsgrundlage; Österreichische Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, keine Rechtsgrundlage; Innerparlamentarischer Bericht, Rechtsgrundlage: § 21 Abs. 1 GeoG-NR; Österreichische Entwicklungshilfe, Rechtsgrundlage: § 9 EntwicklungshilfeG i.d.F. BGBL Nr. 474/1974; Stand der österreichischen Integrationspolitik, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 29. 6. 1989, E 125-NR/XVII. Gesetzgebungsperiode (GP); Bericht über Bemühungen zur Erhaltung des Friedens in Freiheit, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 13. 12. 1983, E 12-NR/XVI. GP und 16. 12. 1985, E 53-NR/XVI. GP; Empfehlung des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses Österreich-EG, Rechtsgrundlage: Art. 3 der Geschäftsordnung des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses Österreich-EG; Dringlichkeitsplan der Ausbaumaßnahmen an Bundesstraßen, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 16. 7. 1971, E 55-NR/XII. GP; vierteljährlicher Bericht des Bundesministers für Finanzen über die gern. Art. 51a Abs. 2 und Art. 51b Abs. 2 bis 4 B-VG getroffenen Maßnahmen, Rechtsgrundlage: Art. 51c Abs. 2 B-VG; Förderungsbericht, Rechtsgrundlage: § 54 Bundeshaushaltsgesetz; Bundesrechnungsabschluß, Rechtsgrundlage: Art. 121 Abs. 2 B-VG; Lage der Jugend in Österreich, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 28. 9. 1988, E 81-NR/XVII. GP; Familienbericht, keine Rechtsgrundlage; Jugendwohlfahrtsstatistik, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 15. 3. 1989, E 108-NR/XVII. GP; Finanzschuldenbericht, Rechtsgrundlage: § 12 Abs. 4 PostsparkassenG i.d.F. BGBL Nr. 458/1969; Katastrophenfondsbericht, Rechtsgrundlage: § 1 Abs. 2 KatastrophenfondsG i.d.F. BGBL Nr. 258/1989; Bericht betreffend den Jahresbericht, den Jahresabschluß, das Jahresprogramm, die Grundsätze und Zinssätze des European Recovery Program (ERP)-Fonds, Rechtsgrundlage: § 22 ERP-Fonds-G i.d.F. BGBI. Nr. 49911989; Tätigkeitsbericht der Internationalen Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien AG, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 16. 12. 1988, E 103-NR/XVII. GP; Sportbericht, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 26. 2. 1981, E 50-NR/XV. GP; Bericht über die Vollziehung des Gleichbehandlungsge-
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nach Sanktionsmöglichkeiten, die dem Parlament im Falle der Nichtbefolgung einer Resolution zur Verfügung stehen. Eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit der Befolgung der Wünsetzes, Rechtsgrundlage: § 10a GleichbehandlungsG i.d.F. BGBl. Nr. 410/ 1990; Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich, Arbeitsübereinkommen vom 17. 12. 1990; Bericht über die Situation der kleinen und mittleren Unternehmungen der gewerblichen Wirtschaft, Rechtsgrundlage: §§ 5 und 6 Gesetz über Maßnahme zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmungen i.d.F. BGBl. Nr. 72/1986; Energiebericht, Rechtsgrundlage: § 20 EnergieförderungsG i.d.F. BGBl. Nr. 353/1982; Berufsausbildung in Österreich einschließlich der beruflichen Weiterbildung, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 3. 10. 1991, E 24-NR/XVIII. GP; Sicherheitsbericht, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 18. 12. 1970, E 35-NR/XII. GP; Bericht der Zivildienstoberkommission, Rechtsgrundlage: § 54 Abs. 3 ZivildienstG 1986, BGBl. Nr. 679; Bericht über den Zivildienst und dessen finanzielle Gebarung, Rechtsgrundlage: § 57 Abs. 2 ZivildienstG i.d.F. BGBl. Nr. 67511991; Bericht betreffend die personelle Situation der Sicherheitsexekutive im Zusammenhang mit der Überwachung von Veranstaltungen und Vorhaben aus besonderen sicherheitspolizeilichen Gründen, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 28. 6. 1989, E 124-NR/XVII. GP; Bericht des Bundesministers für Unterricht und Kunst über das Ausmaß und die Verwendung des Aufkommens nach Art. II Abs. 6 der Urheberrechtsgesetznovelle 1980 i.d.F. der Novelle 1986, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 2. 7. 1986, E 65-NR/XVI. GP; Tätigkeitsbericht über die österreichischen UN-Kontingente, keine Rechtsgrundlage; Bericht der Beschwerdekommission in militärischen Angelegenheiten, Rechtsgrundlage: § 6 Abs. 5 WehrG Ld.F. BGBl. Nr. 30511990; Bericht über die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft, Rechtsgrundlage: § 9 Abs. 3 LandwirtschaftG 1976 i.d.F. BGBl. Nr. 375/1992; Waldbericht, Rechtsgrundlage: § 16 Abs. 6 ForstG Ld.F. BGBl. Nr. 57611987; Gewässerschutzbericht, Rechtsgrundlage: § 33e WasserrechtsG Ld.F. BGBl. Nr. 18511993; Tätigkeitsbericht des Rechnungshofes, Rechtsgrundlage: Art. 126d Abs. 1 B-VG; Chemiebericht, Arbeitsübereinkommen vom 17. 12. 1990; Tatigkeitsbericht, Rechnungsabschluß und Wirtschaftsplan des Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds, Rechtsgrundlage: § 7 Umwelt- und WasserwirtschaftsfondsG i.d.F. BGBl. Nr. 79/1987; Umweltkontrollbericht, Rechtsgrundlage: § 14 Abs. 2 Bundesgesetz über die Umweltkontrolle i.d.F. BGBl. Nr. 127/1985; Kunstbericht, Regierungserklärung vom 27. 4. 1970; Bericht des Österreichischen Bundestheaterverbandes, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 25. 2. 1993, E 93-NR/XVIII. GP; Berichterstattung über den schulischen Teil der Berufsausbildung in Österreich, Rechts-
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VII. Die politische Kontrolle
sche des Parlaments durch die Regierung spielt hier wiederum das Vertrauen, das der Nationalrat. der Bundesregierung entziehen kann, oder wie Kelsen - Froehlich - Merkl es formulieren: "Die Nichtbeachtung einer Resolution kann tatsächlich zum Verluste des Vertrauens führen, ... ,,300. Stärkste Waffe ist daher wiederum grundlage: Entschließung vom 3. 10. 1991, E 24-NR/XVIII. GP; Bericht des Bundesministers für Unterricht und Kunst, mit dem der Bericht der Kommission für die Angelegenheiten des Minderheiten-Schulwesens in Kärnten samt Beilagen vorgelegt wird, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 8. 6. 1988, E 60-NR/XVII. GP; Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten und Kosten einer Beteiligung Österreichs an der europäischen Entwicklung im Satellitenbereich, Arbeitsübereinkommen vom 17. 12. 1990; Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, keine Rechtsgrundlage für Berichterstattung an den Nationalrat, jedoch Vorlage auf Wunsch der Präsidialkonferenz aus dem Jahre 1962; Bericht der Bundesregierung betreffend Einsatz von ADV-Anlagen im Bundesbereich, keine Rechtsgrundlage; Verwaltungsreformbericht, keine Rechtsgrundlage; Raumordnungsbericht, aufgrund des Beschlusses der Bundesregierung vom 11. 1. 1994; Volksgruppenförderung, Rechtsgrundlage: § 9 Abs. 7 VolksgruppenG i.d.F. BGBL Nr. 396/1976; Bericht der Volksanwaltschaft, Rechtsgrundlage: Art. 148d B-VG; Datenschutzbericht, Rechtsgrundlage: § 46 Abs. 2 DatenschutzG i.d.F. BGBL Nr. 370/1986; Bericht über die Tätigkeit des Verkehrs-Arbeitsinspektorates, Rechtsgrundlage: § 17 Verkehrs-ArbeitsinspektionsG i.d.F. BGBL Nr. 607/1988; Bericht des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über getroffene Maßnahmen und Arbeiten zur Verminderung der Fluglärmbelastung, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 3. 4. 1992, E 47-NR/XVIII. GP; Österreichisches Gesamtverkehrskonzept, Rechtsgrundlage: Entschließung vom 7. 6. 1989, E 118-NR/ XVI. GP; Schwerpunktbericht, Rechtsgrundlage: § 8 Abs. 1 ForschungsorganisationsG i.d.F. BGBL Nr. 407/1991; Hochschulbericht, Rechtsgrundlage: § 44 Allgemeines Hochschul-StudienG i.d.F. BGBL Nr. 177/ 1966 sowie § 54 Kunsthochschul-StudienG i.d.F. BGBL Nr. 187/1983; Bericht über die Lage und Bedürfnisse der Forschung in Österreich, Rechtsgrundlage: § 8 Abs. 2 ForschungsorganisationsG i.d.F. BGBL Br. 407/1991; Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen gegen das Waldsterben, Rechtsgrundlage: Arbeitsübereinkommen vom Jänner 1987; diese Zusammenstellung ist Fachoberinspektor Gerhard Fasching von der Bundesratskanzlei zu danken. 300 Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 138 f.
3. Das Resolutionsrecht
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das Mißtrauensvotum gern. Art. 74 B-VG. Dieses Sanktionsmittel steht allerdings nur dem Nationalrat zur Verfügung, der Bundesrat kann nicht auf diese Weise die Enthebung der Bundesregierung oder einzelner Mitglieder erwirken, der Bundesrat ist somit bei der Ausübung der politischen Kontrolle sanktionslos, weil ihm das Recht zur Mißtrauensvotierung nicht eingeräumt iSt. 301
Adolf Merkl meint allerdings zu dieser Konstruktion des Mißtrauensvotums als Sanktionsmittel für die Nichtbefolgung solcher Wünsche kritisch: "Entschließungen sind nicht rechtsverbindlich; der Minister, der einer Entschließung keine Folge leistet, macht sich dadurch mit nichten einer Rechtsverletzung schuldig. Wenn die Einrichtung des Mißtrauensvotums wie eine Unrechtsfolge wegen Nichtfolgeleistung der Regierung oder einzelner ihrer Mitglieder gegenüber einer Entschließung wirkt, so ist dies doch nur zum Schein. Ein Mißtrauensvotum kann durch den Ungehorsam der Regierung oder eines Ministers kausal verursacht sein, ist aber durch solchen Ungehorsam rechtlich nicht bedingt, sondern kann aus beliebigem Grunde, auch grundlos, beschlossen werden. Das Mißtrauensvotum ist daher nicht Sanktion für irgendeine Rechtspflicht, die bloß wegen einer Rechtsverletzung verhängt werden könnte, sondern eine Kompetenz parlamentarischer Körperschaften, die ganz in deren freien Ermessen gestellt ist. Die Resolution ist demnach, wenn das Mißtrauensvotum außer jedem rechtlichen Zusammenhange mit ihr steht, sanktionslos, also kein genereller oder individueller Rechtssatz, sondern ein bloßer Wunsch.,,302 Auch wenn das Resolutionsrecht nicht mit einer Rechtsfolge verbunden ist, ist seine Bedeutung doch nicht zu unterschätzen, da im Falle eines Mehrheitsbeschlusses die jeweilige parlamentarische Kammer relativ geschlossen der Regierung gegenübertritt 301 Vgl. Herbert Schambeck, Der Bundesrat der Republik Österreich, S.228. 302 Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 365 f.
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VII. Die politische Kontrolle
und so sich diese doch nicht völlig gleichgültig gegenüber diesen Wünschen des Parlaments verhalten kann. Die bedeutendste Wirkung, die mit diesem Recht einhergeht, ist sicherlich die Information der Öffentlichkeit. Eine Nichtbefolgung eines parlamentarischen Mehrheitsbeschlusses durch die Regierung könnte negative Auswirkungen in der Öffentlichkeit mit sich bringen. Die Möglichkeit, Resolutionsanträge zu stellen, ermöglicht es der parlamentarischen Minderheit, politische Probleme zur Sprache zu bringen und die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen.
4. Das Petitionsrecht Indirekt kann gleichfalls zu einer Kontrolle der Regierung in Österreich das Petitionsreche03 führen, das gemäß Art. 11 des Staatsgrundgesetzes 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger304 jedermann als Grundrecht305 zusteht. Unter Petitionen versteht man Anträge allgemeiner Art an die Organe der Gesetzgebung oder Vollziehung, die die Erlassung bestimmter genereller Anordnungen oder die Abstellung bestimmter rechtlicher Zustände begehren. 306 Die parlamentarischen Vertretungskörper haben insofern ein bedeutendes Mitwirkungsrecht an der Ausübung des Petitionsrechts, da die Geschäftsordnungen des Nationalrates und des Bundesrates verfügt haben, daß an einen der beiden Vetretungskörper gerichtete Petitionen nur dann angenommen werden, wenn sie von einem Mitglied des Vertretungskörpers überreicht werden?07 303 Siehe Karl Korinek, Das Petitionsrecht im demokratischen Rechtsstaat, Recht und Staat Heft 474/475, Tübingen 1977. 304 RGBl.Nr. 142/1867. 305 Siehe dazu etwa Felix Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Wien 1988, S. 240 f. 306 Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 522.
4. Das Petitionsrecht
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Nach § 100 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Nationalrates sind dem Nationalrat unterbreitete Anliegen nur dann zu verhandeln, wenn sie schriftlich vorgelegt werden, sich auf eine Angelegenheit beziehen, die in der Gesetzgebung und Voll ziehung Bundessache ist, und als Petitionen von einem Mitglied des Nationalrates überreicht werden oder als Bürgerinitiativen von mindestens 500 österreichischen Staatsbürgern, die im Zeitpunkt der Unterstützung das 19. Lebensjahr vollendet haben, unterstützt worden sind. Solche Anliegen sind vom Präsidenten des Nationalrates dem durch die Geschäftsordnungsreform 1988 eingesetzten Ausschuß für Petitionen und Bürgerinitiativen zuzuweisen. Anläßlich der Überreichung von Petitionen kann jedoch das betreffende Mitglied des Nationalrates dem Ausschuß für Petitionen und Bürgerinitiativen vorschlagen, die Zuweisung derselben an einen anderen Ausschuß zu veranlassen. Über einen diesbezüglichen Vorschlag hat der Ausschuß zu entscheiden. 308 Auch die Geschäftsordnung des Bundesrates regelt die Behandlung von Petitionen. Zunächst legt § 16 Abs. 1 lit. j fest, daß Eingaben (Petitionen) Gegenstände der Verhandlungen des Bundesrates sind. Solche Eingaben an den Bundesrat können gern. § 25 Abs. 1 jedoch nur dann einen Gegenstand der Verhandlung bilden, wenn sie von einem Bundesrat überreicht werden. Solche Petitionen werden vom Präsidenten je nach ihrem Inhalt den Ausschüssen zugewiesen, die zur Vorberatung verwandter Gegenstände eingesetzt sind. Somit sieht die Geschäftsordnung des Bundesrates nicht die Errichtung eines eigenen Petitionsausschusses vor, sondern solche Eingaben werden je nach Inhalt der Eingabe einem sachlich zuständigen Ausschuß zugewiesen.
Vgl. Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 407. 308 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, S. 321; bezüglich des Verfahrens im Ausschuß siehe §§ 100a-c GeoG-NR. 307
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VII. Die politische Kontrolle
Das Petitionsrecht ist einerseits ein Individualrecht, da jedermann das Recht zusteht, sich an staatliche Organe zu wenden, mit der Bitte, etwas zu tun oder zu unterlassen. Andererseits ist es parlamentarisches Kontrollrecht, da die Volksvertretung durch Petitionen über Mißstände im Bereich der Vollziehung Kenntnis erlangen kann und anläßlich ihrer Behandlung die Verwaltung zu Auskünften über ihren Inhalt auffordern kann. 309 Mit der Entwicklung zum Rechtsstaat hat dieses alte Recht durch den Ausbau der Rechtsschutzsysteme und damit der Verbesserung der rechtsstaatlichen Einrichtungen an Bedeutung verloren. Mit dem Zunehmen der Gesetzesflut und mit den neuaufkommenden Aufgabenbereichen des Staates wird es aber für den Einzelnen wiederum notwendig, in jenen Bereichen um Rechtsschutz zu petitionieren, die von den rechtsstaatlichen Instrumentarien noch nicht erfaßt sind,310 damit neben den Interessen der Verbände und Parteien auch die Individualwünsche von Einzelmenschen beachtet und berücksichtigt werden. Mit Hilfe der Reformen der letzten Zeit, erwähnt wurde schon die Einführung eines eigenen Ausschusses für Petitionen und Bürgerinitiativen durch die Geschäftsordnungsreform des Nationalrates 1988, versucht man, das Petitionsrecht wieder effektiver zu machen, da auch dieses Instrument einer verstärkten Kontrolle der Regierung dienen und einen größeren Schutz für den Rechtsunterworfenen bewirken kann.
309 Peter Gerlieh, Parlamentarische Kontrolle, S. 162; vgl. § lOOb Abs. 2 GeoG-NR. 310 Vgl. Herbert Sehambeek, Die Demokratie, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 179.
5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
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5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen Das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, steht in Österreich gemäß Art. 53 B-VG nur dem Nationalrat und nicht auch dem Bundesrat zu. Da ein derartiger Ausschuß nur durch einen Mehrheitsbeschluß des Nationalrates eingesetzt werden kann, bleibt dieses Kontrollmittel der Opposition verwehrt, womit die Untersuchung in der Hand der Regierungspartei liegt. 311 Die Opposition kann allerdings stets Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellen, wobei in besonders krassen Fällen, z. B. bei Korruptionsaffären oder Spionageaffären, die Regierungspartei nicht umhin können wird, einem solchen Verlangen zuzustimmen. Interessant in Zusammenhang mit der Voraussetzung eines Mehrheitsbeschlusses für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist auch die Tatsache, daß sich Art. 53 B-VG bei seiner Einführung stark an Art. 34 der deutschen Reichsverfassung anlehnte, allerdings nicht das Minderheitenrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses übemahm?12 Zur Bedeutung des Untersuchungsrechts bemerkt Heinrich Neisser, daß dieses im Unterschied zum Interpellationsrecht, in dem das Parlament auf die Darlegung der Exekutive angewiesen ist, dem Untersuchungsausschuß die Möglichkeit zur selbständigen Tatsachenermittlung und zur unmittelbaren Information über das Verhalten der Regierung gibt. 313 Obwohl dieses Recht theoretisch als starkes Kontrollinstrument konzipiert ist, kommt es praktisch vor allem aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes nicht sehr häufig zum Einsatz. 314 311 Siehe dazu Felix Ermacora, Die politische Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 526. 312 Vgl. Hans Kelsen, Georg Froehlich, Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, S. 140. 313 Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 705. 8 Schambeck
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VII. Die politische Kontrolle
Wie schon erwähnt, ist das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, verfassungsrechtlich normiert in Art. 53 B-VG. Dieser Artikel legt fest, daß der Nationalrat durch Beschluß Untersuchungsausschüsse einsetzen kann,315 wobei die näheren Regelun314 Siehe Andreas Nödl, Eine empirische Analyse des Interpellationsund Untersuchungsrechts als Mittel parlamentarischer Kontrolle vor dem Hintergrund der Parlamentsreform 1993, S. 88. 315 Die vom Nationalrat eingesetzten Untersuchungsausschüsse seit der V. Gesetzgebungsperiode (GP): V. GP: kein Untersuchungsausschuß; VI. GP: Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Tatigkeit der Vertreter der Creditanstalt, der Länderbank und der Bundeshandelskammer in New York; VII. - X. GP: kein Untersuchungsausschuß; XI. GP: Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Vorfälle beim Autobahn- und Straßenbau; XI. GP: Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Vorfälle im Bundesministerium für Inneres (Spionageaffäre); XII. GP: Untersuchungsausschuß zur Prüfung aller Umstände um den internationalen Ideenwettbewerb für Architekten (UNO-City); Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Vorfälle im Zusammenhang mit Flugzeugeinkäufen des Bundesheeres; XIII: GP: Wiedereinsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung aller Umstände um den internationalen Ideenwettbewerb für Architekten (UNO-City); Wiedereinsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Vorfälle im Zusammenhang mit Flugzeugeinkäufen des Bundesheeres; Untersuchungsausschuß zur Untersuchung aller mit der Übertragung der Planung, Errichtung, Erhaltung, Verwaltung und Finanzierung des Internationalen Amtssitz- und Konferenzzentrums Wien an die IAKW-AG zusammenhängenden Vorgängen; XlV. GP: Untersuchungsausschuß zur Überprüfung der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Abhören von Telephongesprächen in den letzten zehn Jahren; Untersuchungsausschuß zur Überprüfung österreichischer Waffenexporte ins Ausland; xv. GP: Untersuchungsausschuß im Zusammenhang mit dem Bau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien; Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Wohnbau Ost gemeinnützige Baugenossenschaft (WBO); XVI: GP: kein Untersuchungsausschuß; XVII. GP: Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der Tatigkeit der am Verfahren beteiligten bzw. in dieses involvierten Behörden und der damit zusammenhängenden Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Strafverfahren in der Causa Lucona sowie der Verantwortlichkeiten im Österreichischen Bundesheer für die angebliche Überlassung von Sprengmittel an Udo Proksch; Untersuchungsausschuß zur Untersuchung wie und auf welcher Grundlage es zur Erteilung der Genehmigungen von Exporten von Kriegsmaterial
5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
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gen in der Geschäftsordnung des Nationalrates zu treffen sind. Außerdem wird festgelegt, daß die Gerichte und alle anderen Behörden verpflichtet sind, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebung Folge zu leisten und daß öffentliche Ämter auf Verlangen ihre Akten vorzulegen haben. Die mit dieser Regelung korrespondierende Bestimmung in der Geschäftsordnung des Nationalrates findet sich in § 33. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung kann der Nationalrat aufgrund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluß auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen, wobei ein solcher Antrag schriftlich eingebracht werden muß. Bezüglich der Zusammensetzung ist festgelegt, daß dem Ausschuß mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß vertretenen Partei angehören muß. Da in der Regel Untersuchungsausschüsse Themen behandeln, die von großem Interesse für die Allgemeinheit sind,316 wurde diegekommen ist, das schließlich tatsächlich an die kriegsführenden Staaten Irak und Iran geliefert wurde, wie es zur Umgehung der in diesen Bewilligungen festgelegten Bedingungen sowie der im Kriegsmaterialexportgesetz vorgesehenen Kontrollen gekommen ist, und der politischen und administrativen Verantwortlichkeiten im Laufe der Genehmigung und der Überprüfung der Exporte sowie der Aufklärung der Vorwürfe; Untersuchungsausschuß zur Untersuchung von allfälligen Unzukömmlichkeiten im Bereich des Milchwirtschaftsfonds und insbesondere der Frage, ob und in welchem Ausmaß Bauern und Konsumenten geschädigt wurden, der allfälligen Unzukömmlichkeiten bei der Verarbeitung, der Verwertung und dem Export von Milchprodukten auf Basis der bestehenden Rechtsgrundlage sowie der politischen Verantwortlichkeit in den vorstehend genannten Bereichen unter besonderer Bedachtnahme auf § 63 des Marktordnungsgesetzes; XVIII. und XIX. GP: kein Untersuchungsausschuß. 316 So etwa der Lucona- oder der Noricum-Untersuchungsausschuß; siehe dazu Felix Ermacora, Der Lucona-Ausschuß im Lichte staatswissenschaftlicher Erfahrungen, Österreichisches Jahrbuch für Politik 1989, S. 225 ff sowie Doris Schmidauer, Der Noricum-Untersuchungsausschuß - Analyse eines politischen Skandals, Österreichisches Jahrbuch für Politik 1990, hrsg. v. Andreas Knol, Günter Ofner und Alfred Stirnemann, Wien 1991, S. 557 ff. 8*
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VII. Die politische Kontrolle
ser Bedeutung in der Geschäftsordnungsnovelle Rechnung getragen und eine begrenzte Medienöffentlichkeit zugelassen. § 33 Abs. 3 bestimmt, daß auf Beschluß des Untersuchungsausschusses Medienvertretern bei der Vernehmung von Zeugen und Sachver~ ständigen vom Präsidenten nach Maßgabe der räumlichen Möglichkeiten Zutritt gewährt wird; der Präsident kann sich hiebei der Vereinigung der Parlamentsredakteure und anderer beruflicher Interessenvertretungen von Journalisten bedienen. Fernseh- sowie Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind jedoch unzulässig. Mit dieser Regelung wurde zwar keine allgemeine Öffentlichkeit für die Sitzungen von Untersuchungsausschüssen normiert, wie dies in Art. 32 und 33 B-VG für Plenarsitzungen des Nationalrates vorgesehen ist, jedoch kann eben den Medienvertretern in die Sitzungen Zutritt gewährt werden. 317 In Abs. 4 wird nochmals festgelegt, daß Gerichte und andere Behörden Ersuchen des Ausschusses um Beweiserhebung Folge zu leisten haben und daß alle Ämter auf Verlangen ihre Akten vorzulegen haben. Zum Verfahren 318 bestimmt sodann noch Abs. 5, daß bei Beweiserhebungen durch den Untersuchungsausschuß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden sind, daß die Beeidigung von Sachverständigen und Zeugen sowie die Verlesung von 317 Vgl. aber das Erkenntnis des VfGH vom 12. Oktober 1993, VfSlg. 13577; siehe dazu näher die Besprechung des Erkenntnisses von Peter Pemthaler, Juristische Blätter 1994, S. 741 ff. 318 Siehe etwa Konrad Atzwanger, Zum Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Österreichische Juristen-Zeitung 1977, S. 337 ff; Gottfried Holzer, Aktuelle Probleme des Verfahrens parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Eco1ex 1990, S. 321 ff sowie Katharina Rueprecht, Franz Pallin, Ausgewählte Fragen zum parlamentarischen Untersuchungsrecht und zum prozessualen Selbstbezichtigungszwang, Österreichische Juristen-Zeitung 1991, S. 545 ff, insbes. S. 549 ff.
5. Das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
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Protokollen, Gutachten und anderen Schriftstücken aufgrund eines Beschlusses des Untersuchungsausschusses erfolgen.
In Zusammenhang mit dem Untersuchungsrecht stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Umfang bzw. nach dem Gegenstandsbereich. Art. 53 B-VG als zentrale Bestimmung des parlamentarischen Untersuchungsrechts enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, was ein Untersuchungsausschuß untersuchen darf. Auch in der Geschäftsordnung des Nationalrates findet sich keine ausdrückliche Aufzählung der Gegenstände der Untersuchung. Aufgrund der Stellung des Art. 53 B-VG im Abschnitt E des 11. Hauptstückes des B-VG mit der Überschrift "Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes" folgt, daß das Untersuchungsrecht ausschließlich als Kontrollrecht des Nationalrates gegenüber der Bundesregierung und der Verwaltung des Bundes zu definieren ist. Daraus ergibt sich, daß der mögliche Gegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durch das B-VG festgelegt ist, nämlich mit dem Bereich der "Geschäftsführung der Bundesregierung,,?19 Dieser Auffassung wird allgemein in der österreichischen Literatur beigepflichtet, wenn es auch andere Begründungen für diesen Gegenstandsbereich gibt. 32o So ergibt sich die Beschränkung der Untersuchungsausschüsse auf die Regierungs- und Verwaltungskontrolle etwa auch aus dem systematischen Zusammenhang von Art. 52 und Art. 53 B-VG, da Art. 52 B-VG ganz allgemein von der Befugnis des Nationalrates und des Bundesrates spricht, "die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen", was eben 319 Heinz Mayer, Winfried Platzgummer, Wolfgang Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat, Österreichische Rechtswissenschaftliche Studien, Band 4, Wien 1989, S. 7. 320 Vgl. etwa Helmut Widder, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Rechtsstaat, Schriftenreihe Niederästerreichische Juristische Gesellschaft, Heft 35, Wien 1983, S. 10 ff sowie Rene Laurer, Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, Wien 1984, S. 9 ff.
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VII. Die politische Kontrolle
gern. Art. 53 auch durch die Untersuchungsausschüsse des Nationalrates möglich iSt. 321 Trotz des Ausbaus der Minderheitenrechte in verschiedenen Geschäftsordnungsnovellen konnte sich das Recht zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen für die Opposition nicht durchsetzen. Einziges Minderheitenrecht im Zusammenhang mit dem Recht auf Untersuchungsausschüsse regelt § 33 Abs. 2 GeoG-NR, nämlich, daß ein Fünftel der Abgeordneten verlangen kann, daß die Abstimmung über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses an den Beginn der nächsten Sitzung verlegt wird. Außerdem hat auf Verlangen von fünf Abgeordneten, der oder die Antragsteller eingeschlossen, eine Debatte über den Antrag zu erfolgen. Aufgrund der sich gewandelten Verhältnisse, daß sich Regierung und Parlament nicht mehr als Gegensatz gegenüber-stehen, bedarf auch das Recht auf Untersuchungsausschüsse einer Anpassung an diese veränderte Situation. Es wird daher immer wieder vorgeschlagen, der Opposition dieses Instrument der parlamentarischen Kontrolle zu geben, wobei eine Absicherung gegen Mißbrauch natürlich notwendig wäre, um der Gefahr der Obstruktion durch die Opposition entgegenzuwirken. Der Minderheit könnte die Möglichkeit der Beschlußfassung auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gegeben werden, wobei sie auch das Untersuchungsthema formulieren und den Fortgang der Arbeiten bestimmen könnte. Der Mehrheit bleibt aber weiterhin die Entscheidung über den Abschlußbericht und über mögliche Konsequenzen vorbehalten. 322
321 Helmut Widder; Parlamentarische Untersuchungsausschüsse aus der Sicht des Bundes, in: Heinz Schäffer (Hrsg.), Untersuchungsausschüsse, Politische Praxis - rechtliche Neugestaltung, Wien 1995, S. 40 f. 322 Friedrich Koja, Die politische Kontrolle der Vollziehung durch das Parlament, in: Macht und Kontrolle, S. 71.
6. Parlamentarische Enqueten und Enquete-Kommissionen
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6. Das Recht auf Abhaltung parlamentarischer Enqueten und Enquete-Kommissionen Von den Untersuchungsausschüssen sind in Österreich die parlamentarischen Enqueten im Nationalrat und Bundesrat zu unterscheiden, welche der Sachinformation der Parlamentarier dienen, wobei keine Beschlüsse gefaßt werden. Sie bestehen in der Einholung schriftlicher Äußerungen sowie der Anhörung von Sachverständigen und anderen Auskunftspersonen in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Bundessache ist. Auch teilnehmende Parlamentarier können hiebei das Wort ergreifen. 323 Die Geschäftsordnung des Nationalrates bestimmt in § 98 Abs. 1, daß der Hauptausschuß die Abhaltung einer parlamentarischen Enquete auf Antrag eines seiner Mitglieder beschließen kann?24 323 Vgl. Das österreichische Parlament, hrsg.v. der Parlamentsdirektion, Wien 1989, S. 52 sowie Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 709 ff. 324 Das parlamentarische Enqueterecht wurde in der Geschäftsordnung des Nationalrates im Jahre 1975, BGBI. Nr. 410, verankert. Folgende parlamentarische Enqueten des Nationalrates wurden seither gemäß § 98 GeoG-NR durchgeführt: Probleme eines modemen österreichischen Haushaltsrechts am 9. 5. 1978; familienpolitische Fragen am 14.3. 1979; föderalistische Vielfalt in der bundesstaatlichen Einheit am 22. 1. 1980; Weiterentwicklung des Konsumentenschutzes in Österreich am 25. 1. 1980; Schaffung eines Nationalparkes Hohe Tauem am 28. 11. 1980; die Lage der gewerblichen Klein- und Mittelbetriebe in Österreich am 23. 1. 1981; Ausbau der Kontroll- und Minderheitsrechte in Österreich am 28. 1. 1981; Fragen zur Fertigstellung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien am 10. 4. 1981; Praktiken der Pharrna-Industrie - eine Gefahr für die Gesundheit am 3.6. 1981; Aufgaben und Probleme bei der Betreuung von Flüchtlingen in Österreich am 13. 1. 1982; Gegenwart und Zukunft der österreichischen Universitäten und Kunsthochschulen am 26. 2. 1982; volkswirtschaftliche, energie- und gesundheitspolitische Aspekte des Einsatzes von Biosprit am 21. 4. 1982; Waffenbesitz und Waffengebrauch in Österreich am 25. 5. 1984; Ergebnisse und Konsequenzen aus dem zeitlich begrenzten Großversuch mit Tempo 100 auf der Rhein-
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VII. Die politische Kontrolle
Wird jedoch in einer Sitzung des Hauptausschusses von mindestens einem Drittel der stimmberechtigten Abgeordneten verlangt, daß ein solcher Antrag in Verhandlung genommen wird, so hat der Präsident diesen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Hauptausschusses zu stellen. Ohne ein solches Verlangen ist der Antrag jedenfalls innerhalb von sechs Monaten in Verhandlung zu nehmen. 325 Eine Änderung gab es mit 1. Jänner 1989; seither sind die Enqueten für Medienvertreter zugänglich, sofern der Hauptausschuß bei der Beschlußfassung über eine Enquete nichts anderes beschlossen hat. 326 Im Gegensatz dazu sieht die Geschäftsordnung des Bundesrates 327 gern. § 66 Abs. 1 nur vor, daß dieser aufgrund eines Selbtal-Autobahn am 22.9. 1986; Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit am 1. 7. 1987; Forschungspolitik für Österreichs Zukunft am 18. 11. 1987; Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik - Rolle, Aufgaben und Möglichkeiten Österreichs am 28.6. 1988; Untersuchungshaft in Österreich am 3. 11. 1988; Verkehrssicherheit und Verkehrskontrolle am 29.3. 1989; Transitverkehr durch Österreich am 22. 6. 1989; Rechtsbereinigung, Harmonisierung und Neugestaltung bundesgesetzlicher Wohnrechtsbestimmungen mit dem Ziel, ein zusammenfassendes Bundeswohngesetz zu schaffen am 26. 4. 1991; Überlegungen zur Neuregelung der Schulferien am 17. 9. 1992; Zukunftsperspektiven einer effizienten öffentlichen Gebarungskontrolle durch Parlament und Rechnungshof am 17.11. 1992; Zukunft der Lehrlingsausbildung am 24. 2.1993; die Möglichkeiten zur Steigerung der Verkehrssicherheit durch Absenkung des zulässigen Alkoholgrenzwertes am 2. 3. 1993; der biologische Landbau in Österreich - aktuelle Situation und Herausforderung für Österreichs Landwirtschaft am 4.3. 1993; Gewalt in der Familie am 3. 11. 1993; die Zukunft des Industriestandortes Österreich am 1. 6. 1994; Perspektiven der Europäischen Sicherheitsstruktur und die Rolle Österreichs am 5. 10. 1995; Kostentransparenz staatlicher Aufgabenerfüllung, Einführung einer Kostenrechnung des Bundes und Einrichtung eines Haushaltsausschusses am 15. 5. 1996. 325 § 98 Abs. 3 GeoG-NR. 326 § 98a Abs. 2 GeoG-NR; siehe Werner Zögernitz, Motive und Auswirkungen der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates, S. 259.
6. Parlamentarische Enqueten und Enquete-Kommissionen
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ständigen Antrags von Bundesräten oder eines Ausschusses die Abhaltung einer Enquete beschließen kann. § 66 Abs. 3 ennöglicht ebenfalls die Anwesenheit der Medienvertreter, sofern der Bundesrat anläßlich der Beschlußfassung über die Abhaltung der Enqueten nichts anderes beschließt. Über eine Enquete wird ein Stenographisches Protokoll verfaßt und allgemein herausgegeben. 328 Bei einer Enquete des Nationalrates haben darüber hinaus die teilnehmenden Abgeordneten das Recht zu beschließen, daß dieses Stenographische Protokoll dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorgelegt, also einer Ausschußberatung und der Verhandlung im Plenum unterzogen wird. Darüber hinaus hat der Hauptausschuß des Nationalrates gern. § 98 Abs. 4 die Möglichkeit, für die Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Angelegenheiten eine Enquete-Kommission einzusetzen. Diese Kommission hat ihre Arbeit mit einem Bericht an den Nationalrat abzuschließen, wobei alle Meinungen wiederzugeben sind. Die Gesamtzahl der Enquete-Kommissionen, die ihren abschließenden Bericht noch nicht erstattet haben, darf drei nicht übersteigen (§ 98 Abs. 6). Durch den neugeschaffenen § 98 Abs. 5329 hat die Enquete-Kommission die Möglichkeit zu beschließen, Teile ihrer Sitzungen im Sinne des § 28b Abs. 2 öffentlich abzuhalten, wobei Ton- und Bildaufnahmen zulässig sind. 327 Die Möglichkeit der Abhaltung parlamentarischer Enqueten durch den Bundesrat wurde mit der Neufassung der Geschäftsordnung im Jahre 1984, BGBL Nr. 554, geschaffen. Folgende parlamentarische Enqueten wurden durch den Bundesrat seither abgehalten: Einkommens- und Lebensverhältnisse von Frauen am 20. 11. 1987; Föderalismus und Parlamentarismus am 4.5. 1988; EG und Föderalismus am 20.6. 1990; Österreichische Bundesstaatlichkeit und EG am 20. 5. 1992; Föderalismus und Regionalismus im integrierten Europa am 20. 11. 1992. 328 § 98a Abs. 4 GeoG-NR bzw. § 67 Abs. 3 GO-BR. 329 Nationalratsgeschäftsordnungsnovelle BGBL Nr. 438/1996.
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VII. Die politische Kontrolle
7. Die parlamentarische Kontrolle von Staatspolizei und militärischen Nachrichtendiensten Ein besonderes Problem im Zusammenhang mit der Kontrolle staatlicher Tätigkeit stellt sicherlich in Österreich die Kontrolle staatlicher Geheimdienste und Nachrichtendienste dar. Aufgrund der Aufgabenbereiche dieser Organisationen könnte einerseits ein Darlegen der Tätigkeit der agierenden Personen in der Öffentlichkeit ein sinnvolles und zielführendes Vorgehen gefährden, andererseits sind auch diese Staatsorgane an das Rechtsstaatsprinzip gebunden, was eine parlamentarische Kontrolle notwendig machen würde, damit ein Eigenleben außerhalb des gesetzlichen Rahmens verhindert wird. 33o In Österreich wurde diese Problematik durch die B-VG Novelle im Jahre 1991 331 einer Lösung zugeführt, indem gern. Art. 52a B-VG zur Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie von nachrichtendienstlichen Maßnahmen zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung die zuständigen Ausschüsse des Nationalrates je einen ständigen Unterausschuß zu wählen haben. Jedem Unterausschuß muß mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß des Nationalrates vertretenen Partei angehören. Abs. 2 bestimmt, daß diese ständigen Unterausschüsse befugt sind, von den zuständigen Bundesministern alle einschlägigen Auskünfte und Einsicht in die einschlägigen Unterlagen zu verlangen. Allerdings gilt dies nicht für Auskünfte und Unterlagen, insbesondere über Quellen, deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen gefährden würde. Schließlich legt Abs. 3 noch fest, daß die ständigen Unterausschüsse auch außer330 Vgl. Helmut Widder, Die parlamentarische Kontrolle von Staatspolizei und militärischen Nachrichtendiensten in Österreich, in: Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Schambeck, S. 647 ff. 331 BGBL Nr. 565/1991.
7. Staats polizei und militärische Nachrichtendienste
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halb der Tagungen des Nationalrates zusammentreten können, wenn sich die Notwendigkeit ergibt. Da als Zeitpunkt des Inkrafttretens für diese Bestimmung erst der 1. Mai 1993 vorgesehen war, wurden die näheren Ausführungsbestimmungen im Sinne des Art. 52a Abs. 4 B-VG erst durch die Novelle der Nationalratsgeschäftsordnung im Jahre 1993 erlassen. Diese näheren Regelungen finden sich in den §§ 32b bis d. § 32b Abs. 1 enthält eine Wiederholung des Art. 52a Abs. 1 B-VG. § 32b Abs. 2 legt fest, daß die Mitglieder der Ständigen Unterausschüsse ihre Funktion so lange behalten, bis die zuständigen Ausschüsse andere Mitglieder gewählt haben oder bis ein anderes Mitglied gern. § 36 Abs. 2 GeoG-NR namhaft gemacht wurde. Bezüglich des Verfahrens enthält sodann § 32c die Regelung, daß jedes Mitglied des Ständigen Unterausschusses im Sinne des § 32b vom zuständigen Mitglied der Bundesregierung im Zuge einer Sitzung des Unterausschusses einschlägige Auskünfte verlangen kann. Jedoch bedarf das Verlangen auf Einsicht in Unterlagen eines Beschlusses des Unterausschusses. Nach Abs. 2 besteht eine Verpflichtung zur Erteilung einschlägiger Auskünfte oder zur Gewährung der Einsicht in Unterlagen nicht, wenn dies dem befragten Mitglied der Bundesregierung nicht möglich ist oder wenn dadurch nationale Interessen oder die Sicherheit von Personen gefährdet werden könnten. Bezüglich der Organisation und des Verfahrens der Ständigen Unterausschüsse gelten laut § 32d Abs. 1 die Bestimmungen über die Unterausschüsse332 mit Ausnahmeregelungen in den folgenden Absätzen des § 32d. So bestimmt § 32d Abs. 2, daß die Unterausschüsse vom Vorsitzenden grundSätzlich einmal im Vierteljahr einzuberufen sind. Darüber hinaus ist eine Sitzung des betreffen332 Eine detaillierte Zusammmenstellung der dabei in Frage kommenden Bestimmungen findet sich in: Nationalrat-Geschäftsordnung, Ergänzungsband 1993, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, S. 57.
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VII. Die politische Kontrolle
den Unterausschusses vom Vorsitzenden so einzuberufen, daß dieser binnen zwei Wochen zusammentreten kann, wenn dies von einem Viertel seiner Mitglieder oder vom zuständigen Mitglied der Bundesregierung verlangt wird. Außerdem können, wie dies schon Art. 52a Abs. 3 B-VG verfassungsrechtlich festlegt, die Unterausschüsse gern. § 32d Abs. 3 GeoG-NR auch außerhalb der Tagungen zusammentreten, wenn sich die Notwendigkeit hiezu ergibt. Zu den Sitzungen bestimmt Abs. 4, daß diese vertraulich sind, sofern nichts anderes beschlossen wird. Die Mitglieder des Unterausschusses sind vom Präsidenten des Nationalrates auf Wahrung der Vertraulichkeit zu vereidigen. Über die Teilnahme von Personen, so wird in Abs. 5 festgelegt, die nicht dem Unterausschuß als Mitglieder angehören oder deren Teilnahme sich nicht aus Art. 75 B-VG ergibt, entscheidet für jede Sitzung der Unterausschuß durch Beschluß. Über das Ausmaß der Protokollierung einer Ausschußsitzung entscheidet der Obmann. Das Protokoll ist vom Obmann und einem Schriftführer zu unterfertigen. Der Präsident des Nationalrates hat für eine sichere Verwahrung der Protokolle zu sorgen. Aufgrund der in der verfassungsrechtlichen Bestimmung des Art. 52a B-VG und der entsprechenden Geschäftsordnungsbestimmung festgelegten Aufgaben sind also zwei Unterausschüsse einzurichten, wobei der eine zuständig ist zur "Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit" und der zweite die "nachrichtendienstlichen Maßnahmen zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung " zu prüfen hat. Ersterer wird vom Ausschuß für innere Angelegenheiten eingerichtet; der Landesverteidigungsausschuß hat den Ständigen Unterausschuß zur Überprüfung von nachrichtendienstlichen Maßnahmen zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung einzurichten.
8. Das Mißtrauensvotum
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8. Das Mißtrauensvotum Das wirksamste Mittel der parlamentarischen Kontrolle und die ultima ratio der politischen Kontrolle der Regierung überhaupt ist das Mißtrauensvotum. Karl Loewenstein erkannte schon: "Politische Verantwortlichkeit ist der Angelpunkt, um welchen sich die parlamentarische Regierung dreht, und die Entziehung des Vertrauens ist das Damoklesschwert, das über jeder Regierung hängt, es sei denn, sie besitzt eine so sichere Mehrheit, daß sie jeden Sturm überdauern kann. ,,333 Die Geltendmachung der parlamentarischen Verantwortung durch Abberufung der Regierunl 34 kann technisch verschieden gestaltet werden. In der herkömmlichen Form hat das aus der Initiative des Parlaments entstandene Mißtrauensvotum oder die Ablehnung der von der Regierung gestellten Vertrauensfrage nur die negative Folge des Rücktritts der Regierung. Dabei können unterschiedliche Mehrheiten vorgesehen und besondere Verfah333 Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 2. Auflage, Tübingen 1969, S.2OO. 334 Über das Mißtrauensvotum überhaupt und die politische Unabsetzbarkeit der Regierung siehe schon Adolf Amdt, Grundfragen des Verfassungsrechts im Spiegel des französischen Entwurfs, Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 81ff; er erklärte, "daß die funktionsgerechte Kontrolle der Regierung nicht durch das juristische Instrument des Vertrauens- oder Mißtrauensvotums, sondern durch die metajuristische, nämlich rein politische Bindung der Regierungsmitglieder an ihre Parteien erfolgt"; " ... die Begrenzung der Regierung, ihre Kontrolle, politisch durch die Parteibindung, rechtlich durch die Justiz, sowie dadurch erfolgt, daß sie für Gesetze und Budget auf das Parlament angewiesen ist. Werden diese politischen Regeln, die in genialer Klarheit doch schon Montesquieu erkannt hatte, dadurch verletzt, daß man durch eine parlamentarisch abhängige Regierung dem Parlament eine strukturwidrige Übermacht zubilligt, so wird die Diktaturgefahr, da sie insoweit von der Regierung gar nicht drohen kann, nicht nur vermindert, sondern bedrohlich erhöht, weil auch ein Parlament zum Diktator auszuarten in der Lage ist", S. 83 f.
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VII. Die politische Kontrolle
rens vorschriften, etwa Fristen zwischen Antragstellung und Abstimmung, eingebaut sein. Ob auch die Ablehnung eines von der Regierung für wichtig erklärten Gesetzes schlechthin oder nur bei ausdrücklicher Stellung der Vertrauensfrage zum Rücktritt zwingt, hängt von dem parlamentarischen Brauch in den verschiedenen Staaten ab?35 In Österreich findet die politische Verantwortlichkeit ihren Ausdruck darin, daß die Mitglieder der Bundesregierung oder der einzelne Bundesminister zu ihrer Amtsführung des ständigen Vertrauens des Nationalrates bedürfen und vom Bundespräsidenten ihres Amtes enthoben werden müssen, wenn ihnen der Nationalrat durch ausdrückliche Entschließung das Mißtrauen votiert. 336
Obzwar nach der Bundes-Verfassungsgesetz Novelle 1929 das parlamentarische Regierungssystem bezüglich der Bestellung der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten modifiziert wurde, hat der Nationalrat das entscheidende Recht der jederzeitigen Abberufung der Regierung. Gemäß Art. 74 B-VG hat der Bundespräsident die Bundesregierung oder den betreffenden Bundesminister des Amtes zu entheben, wenn "der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen" versagt. Zu einem Beschluß des Nationalrates, mit dem das Vertrauen versagt wird, ist die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich. Die diesbezügliche Regelung in der Nationalratsgeschäftsordnung findet sich in § 55, der den Titel "Unselbständige Entschließungsanträge" hat. § 55, der schon in Zusammenhang mit dem Resolutionsrecht behandelt wurde, legt fest, daß "Entschließungen, ... durch welche der Nationalrat der Bundesregierung oder 335 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: Strukturwandel der modemen Regierung, S. 167 f. 336 Art. 74 B-VG; Ludwig Adamovich und Hans Spanner; Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 6. Auflage, S. 265.
8. Das Mißtrauensvotum
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einzelnen ihrer Mitglieder das Vertrauen versagt, auch im Zuge der Debatte über einen Verhandlungsgegenstand im Nationalrat beantragt werden" können, sofern sie mit diesem in inhaltlichem Zusammenhang stehen. Werden jedoch gegen den inhaltlichen Zusammenhang Einwendungen erhoben, so entscheidet der Präsident. Gern. Abs. 2 sind solche Anträge in die Verhandlung einzubeziehen, wenn sie von mindestens fünf Abgeordneten einschließlich des Antragstellers unterstützt werden. Doch ist, wenn es die in der Geschäftsordnung des Nationalrates festgesetzte Anzahl der Mitglieder verlangt,337 die Abstimmung auf den zweitnächsten Werktag zu vertagen. Eine neuerliche Vertagung der Abstimmung kann nur durch Beschluß des Nationalrates erfolgen?38 Die Vertagungsmöglichkeit bei einem Mißtrauensantrag ist eine Art "Abkühlungsperiode", die einerseits Überrumpelungsbeschlüsse verhindern soll,339 andererseits aber auch die Möglichkeit bietet, den Konflikt zwischen Parlament und Regierung durch politische Verhandlungen beizulegen. Auch wenn ein Mißtrauensantrag von einer parlamentarischen Minderheit eingebracht wird und keinen Aussicht auf Erfolg hat, ist doch der Publizitätseffekt einer derartigen Maßnahme ein Mittel, politischen Druck auf die Regierung oder einzelne Regierungsmitglieder auszuüben. Somit ist die Mißtrauensvotierung die Sanktion für die politische Kontrolle, die auf die Überprüfung der Übereinstimmung des politischen Wollens der Regierung mit den Intentionen der Volksvertretung abgestellt ist und die Aufrechterhaltung eines Vertrauensverhältnisses von Regierung und Parlament zum Inhalt hat. 337 Gern. § 67 Abs. 1 GeoG-NR muß die Vertagung von einem Fünftel der Abgeordneten verlangt werden. 338 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Werner Zögernitz, S. 202. 339 Karl Loewenstein, Verfassungslehre, S. 201.
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VII. Die politische Kontrolle
Das Mißtrauen hängt in seiner Votierung nicht allein von der mangelnden Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der Regierung ab, es kann auch bloß in folge fehlender politischer Zweckmäßigkeit oder wegen Nichterfüllung des Regierungsprogrammes ausgesprochen werden. Mit der Votierung des Mißtrauens wird der gesamten Regierung oder dem einzelnen Regierungsmitglied das für die Staatsleitung in einer parlamentarischen Republik notwendige Vertrauensverhältnis und damit die Zusammenarbeit aufgekündigt. 34o
9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte Immer wieder wird im Hinblick auf die schon mehrfach erörterte faktische Machtvereinigung von Regierung und der sie tragenden Nationalratsfraktionen in Österreich ein Ausbau der parlamentarischen Minderheitenrechte gefordert341 und tatsächlich wurden in den letzten Jahren diesbezügliche Änderungen der Geschäftsordnungen des Nationalrates und des Bundesrates vorgenommen. Um einen Überblick zu ermöglichen, sei an dieser Stelle eine Zusammenfassung der zur Zeit geltenden Minderheitenrechte gegeben: Als wichtigstes Minderheitenrecht sei zunächst das Interpellationsrecht342 genannt. Eine schriftliche Anfrage bedarf im Nationalrat der Unterstützung von insgesamt fünf Abgeordneten, für den Bundesrat ist eine Unterstützung von drei Bundesräten vorgesehen. 343 Über die schriftliche Beantwortung hat eine Debatte Herbert Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, S. 47. So vom Verfasser selbst schon 1973 gefordert, siehe Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, Betrachtungen zu den parlamentarischen Kontrollrechten, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 52 ff. 342 Art. 52 B-VG; §§ 90 ff GeoG-NR, §§ 59 ff GO-BR. 343 § 91 Abs. 1 GeoG-NR, § 59 Abs. 2 GO-BR. 340
341
9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte
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stattzufinden, wenn sie fünf Abgeordnete verlangen. Im Bundesrat hat eine Besprechung stattzufinden, wenn dies entweder durch den Bundesrat aufgrund eines Antrages von mindestens drei Bundesräten beschlossen wurde oder wenn dies von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird?44 Über die mündliche Beantwortung einer schriftlichen Anfrage hat auf Verlangen von fünf Abgeordneten bzw. fünf Bundesräten eine Debatte stattzufinden. 345 In Form des innerparlamentarischen Anfragerechts steht jedem Abgeordneten und jedem Bundesrat das Recht zu, an den Präsidenten des Nationalrates bzw. Bundesrates und an die Obmänner der Ausschüsse schriftliche Anfragen zu richten. 346 Fünf Abgeordnete können verlangen, daß eine schriftliche Anfrage vom Fragesteller mündlich begründet wird und hierauf eine Debatte stattfindet. Darüber hinaus kann jeder Klub pro Jahr weitere vier solcher Verlangen einbringen. 347 Im Bundesrat hat die dringliche Behandlung stattzufinden, wenn dies entweder auf Antrag von mindestens drei Bundesräten vom Bundesrat beschlossen oder von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird?48 Neben der schriftlichen Anfrage ist jedes Mitglied des Nationalrates und des Bundesrates befugt, in den Sitzungen kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten. 349 Mit der Aktuellen Stunde werden im Nationalrat die Plenarberatungen einer Sitzungswoche eingeleitet, wenn dies von fünf Abgeordneten verlangt wird. 35o 344 § 92 Abs. 1 GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBl. Nr. 438/ 1996, § 60 Abs. 1 und 2 GO-BR. 345 § 91 Abs. 4 letzter Satz GeoG-NR i.Y.m. § 81 GeoG-NR, § 59 Abs. 7 GO-BR. 346 § 89 GeoG-NR, § 59 Abs. 1 GO-BR. 347 § 93 Abs. 1 und 2 GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBl. Nr. 438/l996. 348 § 61 Abs. 1 und 3 GO-BR. 349 Art. 52 Abs. 3 B-VG; § 94 Abs. 1 GeoG-NR, § 62 Abs. 1 GO-BR. 350 § 97a Abs. 1 GeoG-NR. 9 Schambeck
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VII. Die politische Kontrolle
Ein weiteres verfassungsgesetzlich eingeräumtes Minderheitenrecht besteht bezüglich der Gesetzesvorschläge an den Nationalrat. Diese gelangen an den Nationalrat u. a. als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates. 351 Eine nähere Ausgestaltung dieses Rechts findet sich in der Geschäftsordnung des Nationalrates dahingehend, daß jeder Abgeordnete berechtigt ist, in den Sitzungen des Nationalrates Selbständige Anträge einzubringen, wobei dieser Antrag mit Einrechnung des Antragstellers von mindestens fünf Abgeordneten unterstützt sein muß. 352 Über solche Gesetzesvorschläge ist eine Erste Lesung durchzuführen, wenn es im Antrag verlangt wird?53 Die Bundesratsgeschäftsordnung sieht vor, daß jeder Bundesrat das Recht hat, einen Selbständigen Antrag auf Ausübung der Gesetzesinitiative des Bundesrates zu stellen, wobei dieser mit Einrechnung des Antragstellers von mindestens drei Bundesräten unterstützt sein muß. 354 Hinsichtlich der Änderung des B-VG, BGBL Nr. 27611992, daß nun auch ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates Gesetzesvorschläge an den Nationalrat richten kann, wurde noch keine nähere Ausgestaltung in der Bundesratsgeschäftsordnung vorgenommen. Weiters bestimmt das B-VG, daß eine Teiländerung der Bundesverfassung einer Volksabstimmung zu unterziehen ist, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird?55 In Zusammenhang mit Gesetzen wird außerdem noch festgelegt, daß ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates einen Antrag auf Überprüfung eines Bundesgesetzes beim Verfassungsgerichtshof stellen können. 356 351 352 353 354 355
Art. 41 Abs. 1 B-VG; § 69 Abs. 1 GeoG-NR. § 26 Abs. 1 und 4 GeoG-NR. § 69 Abs. 4 GeoG-NR. § 21 Abs. 1 und 3 GO-BR. Art. 44 Abs. 3 B-VG; § 85 GeoG-NR, § 26 Abs. 1 GO-BR.
9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte
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In Zusammenhang mit der Einberufung des Nationalrates zu den außerordentlichen Tagungen wird festgelegt, daß der Bundespräsident verpflichtet ist, den Nationalrat zu einer solchen einzuberufen, wenn dies u. a. mindestens ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates verlangt. 357 Für den Bundesrat wird bestimmt, daß der Präsident verpflichtet ist, den Bundesrat sofort einzuberufen, wenn wenigstens ein Viertel seiner Mitglieder dies verlangt. 358 Ein Minderheitenrecht im Rahmen des Mißtrauensvotums findet sich in der Geschäftsordnung des Nationalrates dahingehend, daß die Abstimmung über die Entschließung, durch die der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder das Vertrauen versagt werden soll, auf den zweitnächsten Werktag zu vertagen ist, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies verlangt. 359 In Zusammenhang mit dem Enqueterecht des Art. 53 Abs. 1 B-VG legt die Geschäftsordnung des Nationalrates fest, daß fünf Abgeordnete eine Debatte über den Antrag verlangen können. Weiters ist die Abstimmung an den Beginn der nächsten Sitzung zu verlegen, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies schriftlich verlangt. 360 Bezüglich des Resolutionsrechts wurde durch die Novelle der Geschäftsordnung des Nationalrates 1996 die Möglichkeit des Dringlichen Antrags geschaffen. Danach können fünf Abgeordnete verlangen, daß ein Selbständiger Antrag, der eine Entschließung, mit welcher der Nationalrat seinen Wünschen über die Ausübung der Vollziehung Ausdruck geben will, beinhaltet, von einem der Antragsteller mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde. 361
360
Art. 140 Abs. 1 B-VG; § 86 GeoG-NR, § 26 Abs. 2 GO-BR. Art. 28 Abs. 2 B-VG; § 46 Abs. 2 GeoG-NR. Art. 36 Abs. 3 B-VG; § 40 Abs. 1 GO-BR. Art. 74 Abs. 2 B-VG; § 67 Abs. 1 GeoG-NR. § 33 Abs. 2 GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBI. Nr. 438/
361
§ 74a Abs. 1 GeoG-NR.
356 357 358 359
1996. 9*
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VII. Die politische Kontrolle
In Zusammenhang mit dem Petitionsrecht ist festzustellen, daß jedes Mitglied des Nationalrates beziehungsweise jeder Bundesrat Petitionen überreichen kann. 362 In der Geschäftsordnung des Nationalrates finden sich noch weitere Minderheitenrechte. Bezüglich eines Antrags auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete ist ein solcher in Verhandlung zu nehmen, wenn in einer Sitzung des Hauptausschusses dies von mindestens einem Drittel der stimmberechtigten Abgeordneten verlangt wird?63 Der Rechnungshof hat eine Gebarungsüberprüfung ohne Beschluß des Nationalrates durchzuführen, wenn ein gern. § 26 GeoG-NR eingebrachter Antrag von mindestens zwanzig Abgeordneten unterstützt ist. 364 Auch an den Präsidenten des Rechnungshofes können Anfragen gerichtet werden. Diese Anfragen benötigen ebenfalls die Unterstützung von mindestens fünf Abgeordneten unter Einrechnung des Fragestellers. 365 Auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates ist dem Ständigen Unterausschuß des Rechnungshofausschusses der Auftrag zu erteilen, einen bestimmten Vorgang zu prüfen. 366 Der Ständige Unterausschuß zur Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfahigkeit sowie der Ständige Unterausschuß zur Überprüfung von nachrichtendienstlichen Maßnahmen zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung (Art. 52a B-VG) sind vom Vorsitzenden jeweils so einzuberufen, daß diese binnen zwei Wochen zusammentreten können, wenn dies von je einem Viertel ihrer Mitglieder verlangt wird?67 Hat ein Ausschuß die Vorberatung eines Selbständigen Antrags von Abgeordneten nicht binnen sechs 362 363 364 365 366 367
§ 100 Abs. 1 GeoG-NR bzw. § 25 Abs. 1 GO-BR. § 98 Abs. 3 GeoG-NR. § 99 Abs. 2 GeoG-NR. § 9la GeoG-NR. § 32e Abs. 2 GeoG-NR. § 32d Abs. 2 GeoG-NR.
9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte
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Monaten nach Zuweisung der Vorlage begonnen, so kann vom Antragsteller bzw. von den Antragstellern verlangt werden, daß die Vorberatung innerhalb von acht Wochen nach der Übergabe des Verlangens aufgenommen wird. 368 Darüber hinaus können der Antragsteller bzw. die Antragsteller eines Selbständigen Antrags verlangen, daß der Ausschuß, dem der Antrag zugewiesen worden ist, ein Jahr nach Zuweisung der Vorlage dem Nationalrat Bericht zu erstatten hat. 369 Jeder Abgeordnete kann vor Eingang in das Abstimmungsverfahren verlangen, daß über bestimmte Teile eines Gegenstandes getrennt abgestimmt wird?70 Sofern eine elektronische Abstimmungsanlage zur Verfügung steht, kann sich der Präsident bei Wahlen und Abstimmungen dieser Anlage bedienen. Jeder Abgeordnete erhält auf Verlangen einen Ausdruck des Abstimmungsprotokolls. Die Namen der Abgeordneten werden unter Angabe ihres Abstimmungsverhaltens in das Stenographische Protokoll aufgenommen, wenn dies von wenigstens zwanzig Abgeordneten schriftlich bis zum Schluß der Sitzung verlangt wird?7) Eine namentliche Abstimmung ist durchzuführen, wenn wenigstens zwanzig Abgeordnete vor Eingang in das Abstimmungsverfahren schriftlich dies verlangen. 372 Die geheime Abstimmung hat auf Verlangen von fünf Abgeordneten in Wahlzellen zu erfolgen?73 Die Abstimmung über einen Gesetzesvorschlag betreffend die Auflösung des Nationalrates (Art. 29 Abs. 2 B-VG) ist auf den zweitnächsten Werktag zu vertagen, wenn dies ein Fünftel der Abgeordneten verlangt. 374 Der Präsident des National368
1996.
§ 26 Abs. 7 GeoG-NR neugefaßt durch die Novelle BGBL Nr. 438/
369 § 26 Abs. 8 GeoG-NR neugeschaffen durch die Novelle BGBL Nr. 438/1996. 370 § 65 Abs. 5 GeoG-NR. 371 § 66 Abs. 2 GeoG-NR neugeschaffen durch die Novelle BGBL Nr. 438/1996. 372 § 66 Abs. 4 GeoG-NR. 373 § 66 Abs. 6 GeoG-NR.
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VII. Die politische Kontrolle
rates ist innerhalb einer Tagung verpflichtet, eine Sitzung einzuberufen, wenn dies unter Angabe eines Themas zwanzig Abgeordnete verlangen, wobei jeder Abgeordnete ein solches Verlangen nur einmal im Jahr unterstützen darf. Gehören einem Klub weniger als 20 Abgeordnete an, so kann ein solches Verlangen einmal pro Jahr dennoch gültig gestellt werden, wenn dieses von allen Abgeordneten, die einem solchen Klub angehören, unterstützt wird. 375 Der Präsident verkündet in der Regel am Schlusse jeder Sitzung Tag, Stunde und nach Möglichkeit Tagesordnung der nächsten Sitzung. Über die in einem solchen Fall erhobenen Einwendungen findet auf Verlangen von fünf Abgeordneten, die demselben Klub angehören, für alle von diesem Klub erhobenen Einwendungen eine gesonderte Debatte statt. 376 Über Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung sowie Mitteilungen über die Ernennung von Mitgliedern der Bundesregierung und Staatssekretären findet sogleich eine Debatte statt, wenn dies von fünf Abgeordneten verlangt wird?77 Eine Wahl hat in Wahlzellen zu erfolgen, wenn dies fünf Abgeordnete verlangen. 378 Der Nationalrat kann auf Antrag eines Abgeordneten dem Ausschuß eine Frist zur Berichterstattung setzen. Die einem Ausschuß gesetzte Frist kann auf Antrag vom Nationalrat vor ihrem Ablauf erstreckt werden. Fünf Abgeordnete können schriftlich vor Eingang in die Tagesordnung eine kurze Debatte über diese Anträge verlangen?79 Wenn eine Minderheit von wenigstens drei stimmberechtigten Teilnehmern an den Ausschußverhandlungen ein gesondertes Gutachten abgeben will, hat sie das Recht, einen § 67 Abs. 1 Z. 2 GeoG-NR. § 46 Abs. 6 GeoG-NR neugeschaffen durch die Novelle BGBL Nr. 438/1996. 376 § 50 Abs. 1 GeoG-NR. 377 § 81 Abs. 1 GeoG-NR. 378 § 88 Abs. 3 GeoG-NR. 379 § 43 Abs. 3 GeoG-NR. 374 375
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besonderen schriftlichen Bericht (Minderheitsbericht) zu erstatten. 380 Außerdem kann jeder stimmberechtigte Teilnehmer an den Ausschußverhandlungen eine vom Hauptbericht abweichende persönliche Stellungnahme in knapper Form zum Gegenstand abgeben. 381 Eine namentliche Abstimmung ist in Ausschußsitzungen auf Verlangen von einem Fünftel der vom Nationalrat festgesetzten Anzahl der Ausschußmitglieder vorzunehmen. 382 Der Obmann des Ausschusses ist verpflichtet, auf die Tagesordnung einer Sitzung den Punkt "Aussprache über aktuelle Fragen aus dem Arbeitsbereich des Ausschusses" zu stellen, wenn dies von einem Mitglied des Ausschusses verlangt wird und seit mehr als sechs Monaten nicht stattgefunden hat. 383 Ein neues Minderheitenrecht findet sich in Zusammenhang mit den Mitwirkungsrechten des Nationalrates bei EU-Vorhaben. In den diesbezüglichen Verfahrensvorschriften wird festgelegt, daß Vorhaben der Europäischen Union gern. Art 23e und 23f B-VG, über die die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung den Nationalrat zu unterrichten haben, und Berichte des zuständigen Mitglieds der Bundesregierung gern. Art. 23e Abs. 4 B-VG, wenn eine Stellungnahme nach Art. 23e Abs. 2 B-VG abgegeben wurde, Gegenstand der Verhandlungen des Hauptausschusses sind. Ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates oder ein Mitglied des Hauptausschusses kann nun verlangen, daß ein Vorhaben der Europäischen Union auf die Tagesordnung des Hauptausschusses zu setzen ist. 384 Schließlich seien noch die Minderheitenrechte nach der Geschäftsordnung des Bundesrates genannt. 385 So kann jeder Bun380 381 382 383 384
§ 42 Abs. 4 GeoG-NR. § 42 Abs. 5 GeoG-NR. § 41 Abs. 11 GeoG-NR. § 34 Abs. 5 Z. 2 GeoG-NR. § 31c Abs. 2 GeoG-NR neugeschaffen durch die Novelle BGBL
Nr.438/1996.
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VII. Die politische Kontrolle
desrat Anträge auf Einsetzung, Änderung der Zusammensetzung oder Auflösung eines Ausschusses stellen. 386 Jeder Bundesrat hat auch die Möglichkeit, einen Antrag auf Betrauung eines anderen Ausschusses zu stellen. 387 Bundesräte haben das Recht, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Für die Anerkennung als Fraktion ist der Zusammenschluß von mindestens fünf Bundesräten erforderlich. 388 Bezüglich der Verhandlungen wird festgelegt, daß ein Fünftel der Mitglieder des Bundesrates beantragen können, daß die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. 389 Jeder Bundesrat kann den Antrag stellen, daß die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern verlangt wird. 39o Gegen den Zeitpunkt der Worterteilung für eine Erklärung eines Mitgliedes der Bundesregierung kann jeder Bundesrat Einwendungen erheben?91 Über Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung hat eine Debatte stattzufinden, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten verlangt wird. 392 Über Erklärungen von Landeshauptmännern im Sinne des § 38 Abs. 3 GO-BR findet eine Debatte statt, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten oder den Bundesräten eines Landes schriftlich verlangt wird?93 Weiters hat jeder Bundesrat das Recht, Selbständige Anträge zu stellen, wobei diese mit Einrechnung des Antragstellers von mindestens drei Bundesräten unterstützt sein müssen. 394 Ein solcher Selbständiger Antrag kann vom 385 Dankenswerte Hinweise auf diese Rechte in Zusammenstellung hat der Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform a.D. Vizepräsident des österreichischen Bundesrates Jürgen Weiss geleistet. 386 § 13 Abs. 2 GO-BR. 387 § 19 Abs. 3 GO-BR. 388 § 14 Abs. 1 GO-BR. 389 § 36 Abs. 2 GO-BR. 390 § 37 Abs. 2 GO-BR. 391 § 37 Abs. 4 GO-BR. 392 § 37 Abs. 5 GO-BR. 393 § 38 Abs. 4 GO-BR neugeschaffen durch die Novelle BGB!. Nr. 50/ 1996.
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Antragsteller bis zum Eingang in das Abstimmungsverfahren im Ausschuß oder, falls keine Vorberatung beziehungsweise Abstimmung im Ausschuß erfolgt ist, bis der Bundesrat in die Verhandlung über den Antrag eingegangen ist, jederzeit zurückgezogen werden?95 Einspruchsanträge, Abänderungs- und Zusatzanträge sowie Entschließungsanträge bedürfen der Unterstützung von mindestens drei Bundesräten. 396 Solche Anträge können vom Antragsteller bis zum Schluß der Debatte über den Verhandlungs gegenstand jederzeit zurückgezogen werden. 397 Hat ein Ausschuß die Vorberatung eines Selbständigen Antrages von Bundesräten nicht binnen sechs Monaten nach der Zuweisung begonnen, so kann vom Antragsteller binnen weiterer sechs Monate verlangt werden, daß die Vorberatung innerhalb von zehn Wochen nach der Übergabe des Verlangens aufgenommen wird?98 Jeder Bundesrat kann einen Antrag stellen, daß dem Ausschuß eine Frist zur Berichterstattung gesetzt wird. 399 Außerdem kann jeder Bundesrat Einwendungen gegen getrennte Berichterstattung bei geteilter Debatte erheben. 4oo Einwendungen können auch von jedem Bundesrat gegen Zusammenfassung der Debatte und Teilung der Debatte erhoben werden. 401 Jeder Bundesrat kann einen Antrag auf Beschränkung der Redezeit stellen. 402 Es handelt sich hiebei um einen Antrag zur Geschäftsbehandlung, der von jedem Bundesrat gestellt werden kann. 403 Auch kann jeder Bundesrat einen Antrag auf Schluß der Debatte 404 sowie auf Vertagung oder Über394 395 396 397 398 399
400 401 402 403
§ 21 Abs. § 21 Abs. § 43 Abs. § 43 Abs. § 21 Abs. § 45 Abs. § 45 Abs. § 46 Abs. § 47 Abs. § 49 Abs.
3 GO-BR. 4 GO-BR. 2 GO-BR. 6 GO-BR. 5 GO-BR. 3 GO-BR. 6 GO-BR. 1 und 2 GO-BR. 5 GO-BR. 1 GO-BR.
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VII. Die politische Kontrolle
gang zur Tagesordnung stellen. 405 Außerdem kann jeder Bundesrat Einwendungen gegen die Umstellung der Tagesordnung erheben. 406
In Zusammenhang mit der Durchführung von Abstimmungen kann jeder Bundesrat verlangen, daß die Anzahl der "Für"- und "Gegen"- Stimmen bekanntgegeben wird. 407 Eine namentliche Abstimmung ist vorzunehmen, wenn dies von mindestens fünf Bundesräten vor Eingang in das Abstimmungsverfahren verlangt wird. 408 Auf Antrag von fünf Bundesräten kann der Bundesrat eine geheime Abstimmung beschließen. 409 Außerdem kann jeder Bundesrat Einwendungen gegen die beabsichtigte Durchführung einer Abstimmung erheben. Auf Verlangen hat vor der Abstimmung eine Debatte stattzufinden. 410 Bezüglich der Wahl wird festgelegt, daß Wahlvorschläge mit der Unterstützung von mindestens drei Bundesräten mit Einrechnung des Antragstellers eingebracht werden müssen. 411 Für die Zweite oder die Engere Wahl können Wahlvorschläge vom Antragsteller zurückgezogen und durch andere Wahlvorschläge ersetzt werden. 412 Jeder Bundesrat kann die Durchführung einer Wahl mit Stimmzetteln verlangen, wenn nur ein Wahlvorschlag vorliegt. 413 Über Wahlvorschläge ist eine Debatte durchzuführen,
§ 50 Abs. 1 GO-BR. § 51 Abs. 1 GO-BR. 406 § 41 Abs. 2 GO-BR. 407 § 54 Abs. 2 GO-BR. 408 § 54 Abs. 3 GO-BR. 409 § 54 Abs. 4 GO-BR. 410 § 55 Abs. 4 GO-BR. 411 § 56 Abs. 2 GO-BR. 412 § 56 Abs. 5 GO-BR. 413 § 56 Abs. 1 GO-BR; siehe dazu die Anmerkung in Konrad Atzwanger, Wemer Zögemitz, Bundesrat-Geschäftsordnung 1988, S. 214. 404 405
9. Die parlamentarischen Minderheitenrechte
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wenn dies von mindestens fünf Bundesräten schriftlich verlangt wird. 414 Für die Ausschüsse ist vorgesehen, daß jeder Bundesrat einen Antrag auf Verlangen nach Anwesenheit von Regierungsmitgliedern stellen kann. 415 Außerdem ist jeder Bundesrat berechtigt, bei Verhandlungen von Ausschüssen, denen er nicht als Mitglied angehört, als Zuhörer anwesend zu sein. 416 In Bezug auf die Geschäftsbehandlung in den Ausschüssen hat etwa eine namentliche Abstimmung in den Ausschußsitzungen stattzufinden, wenn dies mindestens von einem Viertel der vom Bundesrat festgesetzten Zahl der Ausschußmitglieder verlangt wird. 417 Auch kann jeder Bundesrat Anträge zum Verhandlungsgegenstancf l8 und zur Geschäjtsbehandlunl l9 stellen. Außerdem kann sich jeder Bundesrat zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort melden 420 und jeder Bundesrat kann Wahlvorschläge erstatten. Eine Unterstützung ist im Ausschuß nicht erforderlich. 421 Wird ein Selbständiger Antrag von Bundesräten im Ausschuß mit Stimmenmehrheit abgelehnt, ist auf Verlangen von mindestens drei Ausschußmitgliedern ein analoger Bericht an den Bundesrat zu erstatten. 422 Weiters hat eine Minderheit des Ausschusses von wenigstens drei Mitgliedern das Recht, dem Bericht des Ausschusses an den Bundesrat einen gesonderten schriftlichen Bericht anzuschließen. 423 Jeder Bundes§ 57 Abs. 2 GO-BR. § 29 Abs. 2 GO-BR. 416 § 30 Abs. 1 GO-BR. 417 § 32 Abs. 2 lit. i GO-BR. 418 § 32 Abs. 2 lit. e GO-BR. 419 § 32 Abs. 21it. f GO-BR. 420 § 32 Abs. 2 lit. d GO-BR. 421 § 32 Abs. 21it. j GO-BR; siehe die Anmerkung in Konrad Atzwanger, Wemer Zögemitz, Bundesrat-Geschäftsordnung 1988, S. 146. 422 § 32 Abs. 6 GO-BR. 423 § 32 Abs. 8 GO-BR. 414 415
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
rat kann im Ausschuß einen Antrag auf Einleitung von Erhebungen oder Ladung von Sachverständigen beziehungsweise Auskunftspersonen stellen. 424 Schließlich kann jedes Ausschußmitglied verlangen,425 daß bestimmte kurzgefaßte Erklärungen wörtlich in die Verhandlungsschrift aufgenommen werden.
VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof Zuständig zur Ausübung der finanziellen Kontrolle426 ist in Österreich der Rechnungshof. Er ist organisatorisch ein Organ des Bundes, funktionell ein Bund-Länder-Organ der Legislative, an die die Berichte ergehen, womit auch eine Information der Öffentlichkeit erfolgt.
1. Zur Organisation des Rechnungshofes Der Rechnungshot4 27 , dessen Gründung auf das Jahr 1761 zurückgeht,428 ist für den Bereich des Bundes ein Hilfsorgan des Na§ 33 Abs. 1 GO-BR. § 34 Abs. 4 GO-BR. 426 Siehe Herbert Schambeck, Österreichs Wirtschafts staat und seine Kontrolle, Österreichische Juristen-Zeitung 1971, S. 589 ff. 427 Siehe dazu Johannes Hengstschläger, Der Rechnungshof, Organisation und Funktion der obersten Finanzkontrolle in Österreich, Berlin 1982 sowie Heinz Schäffer, Kontrolle der Verwaltung durch Rechnungshöfe, Länderbericht Österreich, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 55, 1996, S. 278 ff.. 428 Siehe zur Geschichte Helmuth Tesar, Die oberste Rechnungskontrollbehörde Österreichs - Ein Streifzug durch die Geschichte des Rechnungshofes, in: 200 Jahre Rechnungshof, Festschrift zum zweihundert424 425
1. Zur Organisation des Rechnungshofes
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tionalrates,429 was auch dadurch zum Ausdruck kommt, daß der Präsident vom Nationalrat mit einfacher Stimmenmehrheit zu wählen ist. 43o Obwohl er im Bereich der Länder- und Gemeindekontrolle als Hilfsorgan des jeweiligen Landtages tätig wird, haben die Länder kein Mitwirkungsrecht an der Bestellung der Rechnungshofspitze. Es handelt sich bei der Rechnungshofkontrolle um eine externe Revision durch eine Einrichtung, die dem parlamentarischen Prinzip unserer Rechtsordnung entsprechend für die Volksvertretung prüfend tätig wird. 431 Der Rechnungshof untersteht somit unmittelbar dem Nationalrat und ist organisatorisch ein Bundesorgan, funktionell aber ein Bundes-, Landes- oder Gemeindeorgan. 432 Der Rechnungshof ist von der Vollziehung unabhängig. 433
Die veifassungsrechtlichen Bestimmungen über den Rechnungshojfinden sich im fünften Hauptstück des B-VG unter dem Titel "Rechnungs- und Gebarungskontrolle", nämlich in den Artikel 121 bis 128.434 Art. 121 Abs. 1 B-VG beruft den Rechnungshof jährigen Bestand der obersten staatlichen Kontrollbehörde Österreichs, hrsg. vom Präsidium des Rechnungshofes, Wien 1961, S. 1 ff. 429 Zur politischen Praxis siehe Walter Schwab, Der Rechnungshof als Organ der parlamentarischen Finanzkontrolle, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 757 ff, bes. 763 ff sowie Johannes Hengstschläger, Andreas Janko, Der Rechnungshof - Organ des Nationalrates oder Instrument der Opposition?, in: 75 Jahre Bundesverfassung, Festschrift aus Anlaß des 75. Jahrestages der Beschlußfassung über das Bundes-Verfassungsgesetz, hrsg. von der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft, Wien 1995, S. 451 ff. 430 Art. 122 Abs. 4 B-VG. 431 Kar! Korinek, Die Stellung der Rechnungshofkontrolle im System der Kontrolle und Aufsicht über wirtschaftliche Unternehmungen, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, hrsg.v. Karl Korinek, Schriften zum gesamten Recht der Wirtschaft, Band 11, Wien 1986, S. 130 f. 432 Art. 122 Abs. 1 B-VG. 433 Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 445.
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
zur Überprüfung der Gebarung des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und anderer durch Gesetz bestimmte Rechtsträger. Bezüglich der Organisation legt der neu gefaßte 435 Art. 122 Abs. 3 fest, daß der Rechnungshof aus einem Präsidenten und den erforderlichen Beamten und Hilfskräften besteht, wobei, wie schon kurz erwähnt, der Präsident gern. Abs. 4 auf Vorschlag des Hauptausschusses vom Nationalrat für eine Funktionsperiode von zwölf Jahren gewählt wird. Im Falle der Verhinderung des Präsidenten des Rechnungshofes wird dieser vom rangältesten Beamten des Rechnungshofes vertreten; dies gilt auch, wenn das Amt des Präsidenten erledigt ist (Art. 124 Abs. 1 B-VG). Zur Verantwortlichkeit des Präsidenten des Rechnungshofes regelt Art. 123 Abs. 1 B-VG, daß dieser hinsichtlich der Verantwortlichkeit436 den Mitgliedern der Bundesregierung oder den Mitgliedern der in Betracht kommenden Landesregierung gleichgestellt ist. Aus dieser Bestimmung bezüglich der Verantwortlichkeit ergibt sich, daß der Präsident des Rechnungshofes in Anwendung der Art. 142 Abs. 2 lit. bund d und 143 B-VG durch Beschluß des Nationalrates bzw. des zuständigen Landtages wegen Gesetzesverletzung und wegen, mit der Amtstätigkeit in Verbindung stehender, strafgerichtlich zu verfolgender Handlungen beim Verfassungsgerichtshof angeklagt werden kann. 437 Die Gleichstellung 434 Zur Stellung des Rechnungshofes im System der Verfassung siehe Johannes Hengstschläger, Organisation und Funktion des Rechnungshofes im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, in: Wege zur besseren Finanzkontrolle, hrsg. v. Herbert Kraus, Walter Schwab, Studien zu Politik und Verwaltung, Band 41, Wien - Köln - Graz 1992, S. 13 ff. 435 B-VG Novelle vom 21. Dezember 1994, BGBL Nr. 1013. 436 Zum Umfang der Verantwortlichkeit siehe Konrad Atzwanger, Zur Verantwortlichkeit des Präsidenten des Rechnungshofes, Österreichische Juristen-Zeitung 1989, S. 161 ff. 437 Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 447; siehe auch Johannes Hengstschläger, Der Rechnungshof, S. 151 ff.
1. Zur Organisation des Rechnungshofes
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des Rechnungshof-Präsidenten mit den Mitgliedern der Bundesregierung hinsichtlich der politischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Nationalrat ist hingegen nur unvollständig verwirklicht. 438 Eine Ausweitung erfuhr diese Verantwortlichkeit allerdings durch die Novelle zur Nationalratsgeschäftsordnung im Jahre 1988. Nun können auch analog zu schriftlichen Anfragen an die Bundesregierung und deren Mitglieder Anfragen an den Präsidenten des Rechnungshofes über bestimmte Belange eingebracht werden. 439 Die diesbezügliche Regelung findet sich in § 9la GeoG-NR. Darin wird festgelegt, daß Anfragen, die ein Abgeordneter innerhalb einer Tagung an den Präsidenten des Rechnungshofes richten will, dem Präsidenten des Nationalrates zu übergeben sind. Diesem Fragerecht unterliegen die Gegenstände des Wirkungsbereiches des Präsidenten des Rechnungshofes, soweit sie die Haushaltsführung im Sinne des Bundeshaushaltsgesetzes, die Diensthoheit im Sinne des Art. 21 Abs. 3 B-VG und die Organisation des Rechnungshofes im Sinne des § 26 Abs. 2 Rechnungshofgesetz440 betreffen. Gern. § 91a Abs. 2 gelten im übrigen die Bestimmungen des § 91 GeoG-NR sinngemäß; d. h. bezüglich der Unterstützung solcher Anfragen, der Möglichkeit der Zurückziehung solcher Anfragen sowie der Frist zur Beantwortung, der Möglichkeit der Nichtbeantwortung und einer mündlichen Beantwortung gilt die Bestimmung des § 91 sinngemäß. 441 Was die Rechtsstellung des Präsidenten des Rechnungshofes betrifft, sei angeführt, daß in Art. 122 Abs. 5 B-VG bezüglich der 438 Konrad Atzwanger, Zur Verantwortlichkeit des Präsidenten des Rechnungshofes, S. 165. 439 Siehe Wemer Zögemitz, Motive und Auswirkungen der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates, S. 263. 440 BGBL Nr. 144/1948 i.d.F. BGBL Nr. 119/1996. 441 Nationalrat-Geschäftsordnung mit Anmerkungen, hrsg.v. Konrad Atzwanger, Alfred Kobzina und Wemer Zögemitz, S. 285.
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
Inkompatibilität festgelegt ist, daß dieser keinem allgemeinen Vertretungskörper angehören und in den letzten vier Jahren nicht Mitglied der Bundesregierung oder einer Landesregierung gewesen sein darf. Neben dem Amtsverlust durch ein verurteilendes Erkenntnis des VfGH (Art. 142 Abs. 4 B-VG) kann der Präsident des Rechnungshofes gern. Art. 123 Abs. 2 B-VG auch durch Beschluß des Nationalrates abberufen werden. Schließlich legt Art. 123a B-VG fest, daß der Präsident des Rechnungshofes berechtigt ist, an den Verhandlungen über die Berichte des Rechnungshofes, die Bundesrechnungsabschlüsse, Anträge betreffend die Durchführung besonderer Akte der Gebarungsüberprüfung durch den Rechnungshof und die den Rechnungshof betreffenden Kapitel des Entwurfes des Bundesfinanzgesetzes im Nationalrat sowie in seinen Ausschüssen (Unterausschüssen) teilzunehmen. Auch wird in Abs. 2 dieser Bestimmung verfassungsrechtlich das Recht des Präsidenten des Rechnungshofes auf Wortmeldung in den Debatten des Nationalrates festgelegt. Eine nähere Ausgestaltung erfährt dieses Recht in der Geschäftsordnung des Nationalrates, nämlich in § 20 Abs. 3. § 20 Abs. 1 GeoG-NR normiert nochmals das Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse sowie Unterausschüsse. Abs. 3 legt sodann fest, daß der Präsident des Rechnungshofes in den Debatten des Nationalrates sowie seiner Ausschüsse und deren Unterausschüsse zu einem der in Abs. 1 angeführten Gegenstände auch wiederholte Male, jedoch ohne Unterbrechung des Redners, das Wort nehmen kann. Weiters enthält § 20 Abs. 4 GeoG-NR das Recht des Nationalrates, seiner Ausschüsse und Unterausschüsse, die Anwesenheit des Präsidenten des Rechnungshofes verlangen zu können. 442
442 Siehe dazu Johannes Hengstschläger, Die Geheimhaltungspflichten des Rechnungshofes, Schriftenreihe der Gesellschaft für das öffentliche Haushaltswesen, Band 4, Wien 1990.
2. Die Kompetenzen des Rechnungshofes
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2. Die Kompetenzen des Rechnungshofes Bezüglich der Kompetenzen ist als wichtigste Zuständigkeitsbestimmung Art. 126b B-VG zu nennen, wonach der Rechnungs'hof die gesamte StaatswirtschaJt des Bundes, ferner die Gebarung von Stiftungen, Fonds und Anstalten zu überprüfen hat, die von Organen des Bundes oder von Personen (Personengemeinschaften) verwaltet werden, die hiezu von Organen des Bundes bestellt sind. 443 Weiters überprüft der Rechnungshof die Gebarung von Unternehmungen,444 an denen der Bund allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern mit mindestens 50 v. H. des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist oder die der Bund allein oder gemeinsam mit anderen solchen Rechtsträgern betreibt. Einer solchen finanziellen Beteiligung ist die Beherrschung von Unternehmungen durch andere finanzielle oder sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen gleichzuhalten. Ferner ist der Rechnungshof befugt, die Gebarung öffentlich-rechtlicher Körperschaften mit Mitteln des Bundes445 und der Träger der Sozialversicherung,446 die Gebarung des Österreichischen Rundfunks447 sowie sonstiger durch Gesetz bestimmter Rechtsträger448 zu überprüfen. Vgl. Johannes Hengstschläger; Der Rechnungshof, S. 172 ff. Siehe hiezu Johannes Hengstschläger; Die Kontrolle des Rechnungshofes über öffentliche Unternehmungen, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, S. 1 ff, bes. S. 8 ff; Gerhardt Plöchl, Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle öffentlicher Unternehmungen, in: Wege zur besseren Finanzkontrolle, S. 120 ff; derselbe, Der Ablauf der Rechnungshofkontrolle aus der Sicht der kontrollierten Unternehmungen, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, S. 311 ff sowie Walter Schwab, Der Ablauf der Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen aus der Sicht des Rechnungshofes, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, S. 289 ff. 445 Art. 126b Abs. 3 B-VG. 443
444
10 Schambeck
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
Im Bereich der Länder449 hat der Rechnungshof gern. Art. 127 Abs. 1 B-VG die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallende Gebarung sowie die Gebarung von Stiftungen, Fonds und Anstalten zu überprüfen, die von Organen eines Landes bestellt sind. Weiters überprüft der Rechnungshof gern. Abs. 3 dieser Bestimmung die Gebarung von Unternehmungen, an denen das Land allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgem mit mindestens 50 v. H. des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist oder die das Land allein oder gemeinsam mit anderen solchen Rechtsträgern betreibt. Ebenso ist er befugt, die Gebarung öffentlichrechtlicher Körperschaften mit Mitteln des Landes zu überprüfen (Art. 127 Abs. 4 B-VG). Schließlich regelt Art. 127a B-VG die Prüfungskompetenz des Rechnungshofes im Bereich der Gemeinden. Danach unterliegt gern. Abs. 1 der Kontrolle durch den Rechnungshof die Gebarung der Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern sowie die Gebarung von Stiftungen, Fonds und Anstalten, die von Organen einer Gemeinde oder von Personen (Personengemeinschaften) verwaltet werden, die hiezu von Organen einer Gemeinde bestellt sind. Weiters überprüft der Rechnungshof nach Abs. 3 die Gebarung von Unternehmungen, an denen eine Gemeinde mit mindestens 20.000 Einwohnern allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgem mit mindestens 50 v. H. des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist oder die die Gemeinde allein oder gemeinsam mit anderen solchen Rechtsträgem betreibt. Ebenso ist der RechnungsArt. 126c B-VG. § 31a ORF-G. 448 Art. 121 Abs. 1 B-VG. 449 Siehe Herbert Schambeck, Die Finanzkontrolle in föderalistischer Sicht, in: 75 Jahre Finanzkontrolle in Niederösterreich, hrsg. von Kurt Buchinger und Valerian Gromacziewicz, Wien 1987, S. 57 ff. 446 447
2. Die Kompetenzen des Rechnungshofes
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hof gern. Abs. 4 befugt, die Gebarung öffentlich-rechtlicher Körperschaften mit Mitteln einer Gemeinde mit mindestens 20.000 Einwohnern zu überprüfen. Auf begründetes Ersuchen der zuständigen Landesregierung hat der Rechnungshof nach Abs. 7 auch die Gebarung von Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern fallweise zu überprüfen. 45o Der durch die B-VG Novelle 1994451 neugeschaffene Art. 127b B-VG normiert nun auch die Kompetenz des Rechnungshofes, die Gebarung der gesetzlichen beruflichen Vertretungen zu überprüfen. Art. 127b und der angepaßte Art. 122 Abs. 1 treten mit dem 1. Jänner 1997 in Kraft und gelten für dem 31. Dezember 1994 nachfolgende Gebarungsvorgänge. 452 Sonstige Aufgaben ergeben sich etwa aus Art. 121 Abs. 2 B-VG, nämlich daß der Rechnungshof den Bundesrechnungsabschlujf53 verfaßt und diesen dem Nationalrat vorlegt. Weiters hat nach Art. 121 Abs. 3 B-VG der Rechnungshof bei der Begründung von Finanzschulden mitzuwirken, indem alle Urkunden über Finanzschulden des Bundes, soweit sich aus ihnen eine Verpflichtung des Bundes ergibt, vom Präsidenten des Rechnungshofes, in dessen Verhinderung von seinem Stellvertreter, gegenzuzeichnen sind. Die Gegenzeichnung gewährleistet lediglich die Gesetzmäßigkeit der Schuldenaufnahme und die ordnungsmäßige Eintragung in das Hauptbuch der Staatsschuld. Schließlich hat der 450 Siehe auch Johannes Hengstschläger, Gemeindesparkassen als Prufobjekte des Rechnungshofes?, in: Festschrift für Rudolf Strasser, hrsg.v. Peter Jabornegg und Karl Spielbüchler, Wien 1993, S. 91 ff sowie derselbe, Gebarungskontrolle, in: Ludwig Fröhler, Peter Obemdorfer (Hrsg.), Kommentar zum österreichischen Gemeinderecht, Linz 1987, Kapitel 3.15. 451 BGBL Nr. 1013/1994. 452 Näher Jens Budischowsky, Die Prufung der Kammern durch den Rechnungshof, Zeitschrift für Verwaltung 1995, S. 774 ff. 453 Siehe dazu Johannes Hengstschläger, Der Rechnungshof, S. 324 ff. 10*
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
Rechnungshof gern. Art. 121 Abs. 4 B-VG bei Unternehmungen und Einrichtungen, die seiner Kontrolle unterliegen und für die eine Berichterstattungspflicht an den Nationalrat besteht, jedes zweite Jahr die durchschnittlichen Einkommen einschließlich aller Sozial- und Sachleistungen sowie zusätzliche Leistungen für Pensionen von Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrates sowie aller Beschäftigten durch Einholung von Auskünften bei diesen Unternehmungen und Einrichtungen zu erheben und darüber dem Nationalrat zu berichten. Der Rechnungshof hat gern. Art. 126d Abs. 1 B-VG dem Nationalrat über seine Tätigkeit jährlich Bericht zu erstatten. Überdies kann der Rechnungshof über einzelne Wahrnehmungen jederzeit unter allfälliger Antragstellung an den Nationalrat berichten. Darüber hinaus sind die Berichte des Rechnungshofes nach Vorlage an den Nationalrat zu veröffentlichen. Durch diese Publizität werden auch die Bürger unmittelbar in den Prozeß der Kontrolle eingeschlossen, indem sie sich selbst und nicht nur ihre gewählten Repräsentanten ein Bild über den Zustand des Staates, seiner Wirtschaft und die Sparsamkeit seiner Organwalter machen können. 454 Für die Verhandlung der Berichte des Rechnungshofes wird im Nationalrat ein ständiger Ausschuß (Rechnungshofausschuß) eingesetzt, wobei bei der Einsetzung der Grundsatz der Verhältniswahl einzuhalten ist. 455
3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen Im allgemeinen nimmt der Rechnungshof seine Prüfungskompetenzen von Amts wegen wahr. 456 Darüber hinaus besitzt der Na454 Walter Berka, Rechnungshofkontrolle im Spannungs feld von Öffentlichkeit und Geheimnisschutz, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, S. 421. 455 Art. 126d Abs. 2 B-VG und § 79 Abs. 2 GeoG-NR.
3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen
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tionalrat eine Prüjungsinitiative, wobei der Rechnungshof auf Beschluß des Nationalrates besondere Akte der Gebarungsüberprüfung durchzuführen hat (Art. 126b Abs. 4 B-VG). Die Regelungen bezüglich der Aufträge zur Durchführung besonderer Akte der Gebarungsüberprüfung finden sich in § 99 GeoG-NR. Abs. 1 legt zunächst fest, daß der Nationalrat aufgrund eines Selbständigen Antrages (§§ 26 und 27) beschließen kann, den Rechnungshof mit der Durchführung besonderer Akte der Gebarungsüberprüfung zu beauftragen. Allerdings ist eine solche Überprüfung ohne Beschluß des Nationalrates durchzuführen, wenn ein gern. § 26 eingebrachter Antrag von mindestens 20 Abgeordneten schriftlich unterstützt ist und sich auf einen bestimmten Vorgang in einer der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Angelegenheit der Bundesgebarung (Art. 122 Abs. 1 B-VG) bezieht (§ 99 Abs. 2 GeoG-NR). Damit wurde einer qualifizierten Minderheit die Möglichkeit gegeben, den Rechnungshof zu beauftragen, Gebarungsüberprüfungen durchzuführen, allerdings mit der Einschränkung in Abs. 3, daß kein weiteres Verlangen gestellt werden darf, wenn bereits drei solche Gebarungsüberprüfungen anhängig sind. Überdies darf kein Abgeordneter desselben Klubs ein diesbezügliches Verlangen unterstützen, solange zwei Gebarungsüberprüfungen, die aufgrund eines Verlangens von Abgeordneten des Klubs, dem er angehört, unterstützt wurden, anhängig sind. Ergänzend sei noch festgestellt, daß der Rechnungshof solche Akte der Gebarungsüberprüfung auch auf begründetes Ersuchen der Bundesregierung oder eines seiner Mitglieder durchzuführen hat (Art. l26b Abs. 4 B-VG). Bezüglich der Länder bestimmt Art. 127 Abs. 7 B-VG, daß in seinen Wirkungsbereich fallende Akte der Gebarungsprüjung auf Beschluß des Landtages oder auf Verlangen einer durch Landesverfassungsgesetz zu bestimmenden Anzahl von Mitgliedern eines Landtages, die ein 456 Siehe näher dazu Jdhannes Hengstschläger, Der Rechnungshof, S. 250 ff.
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
Drittel nicht übersteigen darf, vom Rechnungshof durchzuführen sind. Weiters wurde durch die Novellierung der Geschäftsordnung des Nationalrates aus dem Jahre 1993 ein Ständiger Unterausschuß des Rechnungshojausschusses457 verankert. Gern. § 32e Abs. 1 GeoG-NR hat der Rechnungshofausschuß einen Ständigen Unterausschuß zu wählen, welchem mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß vertretenen Partei angehören muß. Dieser hat einen bestimmten Vorgang in einer der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Angelegenheit der Bundesgebarung zu prüfen, wenn dies der Nationalrat aufgrund eines Antrags von fünf Abgeordneten beschließt oder wenn dies ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates verlangt. Dem Bundesrat steht diese Möglichkeit, dem Rechnungshof Prüfungs aufträge zu erteilen, nicht zu. In bestimmten Fällen hat der Rechnungshof allerdings nur dann eine Überprüjungskompetenz, wenn ein begründetes Ersuchen von bestimmten Organen an ihn gerichtet wird. Durch dieses Ersuchen wird eine Prüfungskompetenz und -pflicht des Rechnungshofes begründet. Dadurch kann die Gebarung von Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohner, bzw. die Gebarung von Unternehmungen, die von einer solchen Gemeinde allein oder gemeinsam mit einem anderen Rechtsträger betrieben werden oder an denen eine solche Gemeinde mit mindestens 50 % finanziell beteiligt ist, aufgrund eines begründeten Ersuchens durch die zuständige Landesregierung durch den Rechnungshof untersucht werden. 458 Kommt es allerdings zwischen dem Rechnungshof und einem Rechtsträger (Art. 121 Abs. 1 B-VG) zu Meinungsverschiedenhei457 Siehe Werner Zögernitz, Das parlamentarische Verfahren ab 1920, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 249, 253. 458 Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 452.
3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen
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ten über die AusLegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes regeln, so entscheidet gern. Art. 126a B-VG auf Antrag der Bundesregierung oder einer Landesregierung oder des Rechnungshofes der Veifassungsgerichtshof Aufgrund eines Konfliktes im Jahre 1993 kam es zu einer Neufassung459 des Art. 126a B-VG dahingehend, daß nun alle Rechtsträger verpflichtet sind, entsprechend der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes eine Überprüfung durch den Rechnungshof zu ermöglichen. Die Exekution dieser Verpflichtung wird von den ordentlichen Gerichten durchgeführt. 46o Die Überprüfung des Rechnungshofes hat sich auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften, ferner auf die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu erstrecken. 461 Diese PfÜfungsmaßstäbe sind zugleich auch als allgemeine Gebarungsmaximen für die der Rechnungshofkontrolle unterliegenden Rechtsträger anzusehen. 462 Der rechtspolitische Sinn dieser Zielsetzung liegt darin, eine Maximierung und Optimierung der Verwaltung, insbesondere auch der Wirtschaftsverwaltung zu bewirken, wobei das Gesetz insoweit als Maßstab herangezogen werden soll, als dem Rechtsstaatsgebot entsprechende Gesetze im formellen und materiellen Sinn geboten sind, was bekanntlich im Bereich d~r Privatwirtschaftsverwaltung in einer dem Gebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG entsprechenden Weise nicht immer der Fall iSt. 463 BGBl. Nr. 508/1993. Vgl. dazu Richard Novak, Der Rechnungshof, der Verfassungsgerichtshof - und der überforderte Gesetzgeber, Juristische Blätter 1993, S. 749 ff. 461 Art. 126b Abs. 5, Art. 127 Abs. I, Art. 127a Abs. 1 B-VG. 462 Bemd-Christian Funk, Maßstäbe der Rechnungshofkontrolle, in: Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, S. 269 f. 459
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VIII. Die finanzielle Kontrolle durch den Rechnungshof
Fehlen die "Vorschriften" als Überprüfungsmaßstab, dann kann der Rechnungshof nach Art. 126b Abs. 5 B-VG nur die zahlenmäßige Richtigkeit überprüfen und die Wirtschaftsverwaltung dahingehend kontrollieren, ob sie sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig geführt wurde. Aus diesen Kontrollprinzipien des Rechnungshofes ergeben sich aber auch komplementäre Pflichten und inhaltliche Schranken für die Wirtschaftsverwaltung, die eine ersatzweise bedingte Determinierung des Verwaltungshandelns darstellen können. Bezüglich der Überprüfung der Gebarung der gesetzlichen beruflichen Vertretungen legt Art. 127b Abs. 3 B-VG allerdings fest, daß sich diese auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften, ferner auf die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu erstrecken hat, wobei diese Überprüfung nicht die für die Gebarung in Wahrnehmung der Aufgaben als Interessenvertretung maßgeblichen Beschlüsse der zuständigen Organe der gesetzlichen beruflichen Vertretungen umfaßt. Somit ist der Rechnungshof aus Gründen des Schutzes der Autonomie der Selbstverwaltung nicht befugt, die Zweckmäßigkeit der Gebarung der gesetzlichen beruflichen Vertretungen zu überprüfen. 464 Die in Art. 126b Abs. 5 B-VG angeführten Prüfungsmaßstäbe des Rechnungshofes bedeuten demnach einen zusätzlichen Auftrag an den Gesetzgeber, der Verwaltung insbesondere bezüglich der "Zweckmäßigkeit" klare Richtlinien zu geben. Ist keine klare 463 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 48 sowie Kar! Korinek, Michael Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, S. 59 ff; zum Rechtsstaat siehe Herbert Schambeck, Entwicklungstendenzen der Demokratie und des Rechtsstaates heute, Schriftenreihe Niederösterreichische Juristische Gesellschaft, Heft 64, Wien 1994. 464 Siehe dazu näher Helmut Widder, Rechnungshof und Volksanwaltschaft, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, hrsg. v. Herbert Dachs u. a., 3. Auflage, in Druck.
3. Die Wahrnehmung der Prüfungskompetenzen
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Regelung bezüglich der Zweckmäßigkeit gegeben, besteht die Gefahr von "Zweckkonflikten ", deren Lösung nicht vom anwendenden Verwaltungsorgan, sondern bereits vom Gesetzgeber vorgenommen werden sollte. Da die Verwaltung und insbesondere die Wirtschaftsverwaltung ein zweckbetontes menschliches Handeln ist, ist die genaue Definition der Zwecke auch unter dem Gesichtspunkt der Überprüfung und Kontrolle notwendig. 465 Aus der Tatsache, daß die Staatsrnacht, die in weitverzweigten Verknüpfungen von Machtketten erzeugt und technokratisch-bürokratisch gesteigert wird, juristisch, organisatorisch und finanziell ausufert,466 ergibt sich die Problematik, daß die klassischen Kontrollmittel nicht mehr ausreichen. Mit dem Ansteigen der Staatsaufgaben kam es auch zum Anwachsen des öffentlichen Finanzwesens und der Bedeutung seiner Kontrolle. Eine Form der öffentlichen Finanzkontrolle stellt der Rechnungshof dar. Doch kam es auch zu einem immer umfassender, dichter und komplizierter werdenden rechtlich-bürokratischen Zugriff auf alle Lebensbereiche der Bürger, welches neue Schutz- und Kontrolleinrichtungen notwendig machte;467 hiezu ist die Volksanwaltschaft zu zählen.
465 Siehe Herbert Schambeck, Österreichs Wirtschaftsstaat und seine Kontrolle, S. 589 ff. 466 Helmut Widder, Rechnungshof und Volksanwaltschaft, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, hrsg.v. Herbert Dachs u. a., 2. Auflage, Wien 1991, S. 165. 467 Helmut Widder, Rechnungshof und Volksanwaltschaft, in: Handbuch, 2. Auflage, S. 171.
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IX. Die Volksanwaltschaft
IX. Die Volksanwaltschaft Die Volksanwaltschaft468 wurde in Österreich 1977469 neben dem Rechnungshof als ein weiteres Hilfsorgan der gesetzgebenden Gewalt eingerichtet. Schon Hans Kelsen hat den Gedanken eines "Anwalts des öffentlichen Rechts,,470 zur Diskussion gestellt, die nunmehr geltenden Regelungen des B-VG und des Bundesgesetzes über die Volksanwaltschaft471 bleiben jedoch in ihrer Konzeption weit hinter den Vorstellungen Hans Kelsens zurück. 472 Die Volksanwaltschaft soll nicht als "Anwalt des öffentlichen Rechts" eine reine Rechtskontrolle ausüben, sondern soll helfen, "das Gefühl der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber der Verwaltung,,473 zurückzudrängen. Ein entscheidender Grund für die Schaffung der Volksanwaltschaft war somit die durch die Gesetzesflut wesentlich mitbestimmte Rechtsunsicherheit. 474 Bemerkenswert ist diese Institution unter anderem deshalb, weil die österreichische Volksanwaltschaft ein nach parteipolitischen Gesichtspunkten normiertes Pro468 Zur Vorgeschichte siehe Fritz Schön herr; Volksanwaltschaft, Wien 1977, S. 114 ff. 469 BGBl. Nr. 121/1977; die verfassungsrechtliche Verankerung erfolgte 1981, BGBl. Nr. 350. 470 Hans Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 5, 1929, S. 30, Neudruck in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule, Band 11, S. 1813 ff, bes. S. 1859. 471 BGBI. Nr. 433/1982. 472 Zu Reformvorschlägen siehe etwa Andreas Khol, Ein maßgeschneiderter Volksanwalt für Österreich, Juristische Blätter 1973, S. 113 ff. 473 94 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XlV. Gesetzgebungsperiode, S. 4; siehe auch Walter - Mayer; Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 457. 474 Zur Diskussion bezüglich der Einführung eines Volksanwaltes in Österreich siehe Andreas Khol, Ein Ombudsman für Österreich?, Juristische Blätter 1971, S. 57 ff.
IX. Die Volksanwaltschaft
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porzorgan ist, dessen Repräsentanten als Rechtsschutzorgane zum Unterschied von den Mitgliedern des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes gar nicht Juristen sein müssen; die österreichische Volksanwaltschaft nimmt daher eine Stellung sui generis in der österreichischen Verwaltungskontrolle ein. 475 Die Volksanwaltschaft ist nach Art. 148a B-VG berufen, behauptete Mißstände in der Verwaltung des Bundes zu prüfen. Diese Kontrolltätigkeit ist nicht der Justiz zuzuzählen, weil das Tätigwerden der Volksanwaltschaft nicht in den der Gerichtsbarkeit eigenen Formen und nicht durch die der Gerichtsbarkeit eigenen Organe ausgeübt wird, sie ist auch nicht Verwaltung, weil der Volksanwaltschaft alle Merkmale der Verwaltungsorgane fehlen. Die Tätigkeit der Volksanwaltschaft ist eine besondere Art der politischen Kontrolle, da die Volksanwaltschaft ein Organ des Nationalrates ist, das über die Verwaltung wachen soll.476 Die Nahebeziehung zur Gesetzgebung ergibt sich auch, wie beim Rechnungshof, aus dem Umstand, daß die Mitglieder der Volksanwaltschaft vom Nationalrat gewählt werden (Art. 148g Abs. 2 B-VG). Zur Organisation ist festzustellen, daß die Volksanwaltschaft aus drei Mitgliedern besteht, von denen jeweils eines den Vorsitz ausübt. Die Funktionsperiode beträgt sechs Jahre; eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. 477 Über die Frage der kollegialen oder der monokratischen Gestaltung der Volksanwaltschaft gab es 475 Herbert Schambeck, Entwicklung und System des österreichischen Parlamentarismus, Ein Beitrag zum Zweikammersystem und zum Demokratieverständnis, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Festschrift für Johannes Broerrnann, hrsg.v. Joseph Listl und Herbert Schambeck, Berlin 1982, S. 618. 476 Felix Ermacora, Die politische Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 537; siehe auch Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Die Volks anwaltschaft als Rechtsschutzeinrichtung, in: 75 Jahre Bundesverfassung, S. 557 ff. 477 Art. 148g Abs. 1 B-VG.
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zahlreiche Diskussionen, wobei es schließlich zu der Regelung kam, daß die Volksanwaltschaft als Kollegialorgan eingerichtet wurde. 478 Jedoch fallt eine große Anzahl an Angelegenheiten durch die durch die Geschäfsordnung der Volksanwaltschaft geschaffene Rechtslage aus dem Kollegialprinzip heraus,479 womit die Volksanwaltschaft auch zu einem Quasi-Individualorgan wird. Im Vergleich sei betont, daß der Rechnungshof hingegen bis zum Jahre 1918 kollegial organisiert war,480 mit der Errichtung der demokratischen Republik kam es zu einer Änderung der Organisation hin zum monokratischen System des Rechnungshofes. 481 Besondere Qualifikationen sind für dieses Amt nicht notwendig, lediglich müssen die Mitglieder der Volksanwaltschaft zum Nationalrat wählbar sein. 482 Volksanwälte sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und daher an keine Weisungen gebunden. 483 Sie dürfen während ihrer Amtstätigkeit keinen anderen Beruf ausüben und weder einem allgemeinen Vertretungskörper noch der Bundesregierung oder einer Landesregierung angehören. 484 Da der Intention des Gesetzgebers entsprechend die Volks anwaltschaft kein Organ der Rechtskontrolle ist, sondern sie viel478 Siehe Ludwig Adamovich, Die rechtliche Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 560. 479 Art. 148h Abs. 3 B-VG; vgl. dazu Hans Klecatsky, Viktor Pickl, Die Volksanwaltschaft - Rechtsgrundlagen der österreichischen Volks anwaltschaft, des Tiroler und des Vorarlberger Landesvolksanwalts samt Kommentar, Wien 1989, S. 126 f. 480 Siehe § 5 ff der Geschäftsordnung für den Obersten Rechnungshof, RGBI. Nr. 140/1866; zur historischen Entwicklung siehe Helmuth Tesar, Die oberste Rechnungskontrollbehörde Österreichs, S. 18 ff. 481 Vgl. Art. 122 Abs. 3 B-VG; zu den Diskussionen bezüglich kollegiale oder monokratische Organisation des Rechnungshofes siehe Johannes Hengstschläger, Der Rechnungshof, S. 166 ff. 482 Art. 148g Abs. 5 B-VG. 483 Art. 148a Abs. 4 B-VG. 484 Art. 148g Abs. 5 B-VG.
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mehr das "Unbehagen des Bürgers an der Verwaltung" abbauen helfen soll, ist sie gemäß Art. 148a B-VG zur Prüfung behaupteter oder vermuteter Mißstände in der Verwaltung des Bundes einschließlich dessen Tatigkeit als Träger von Privatrechten berufen. Darunter fallen somit alle Zweige der unmittelbaren und mittelbaren Hoheitsverwaltung485 des Bundes und auch die Privatwirtschaftsverwaltung, soweit sie nicht vom Bund verschiedenen Rechtsträgem zuzurechnen ist. 486 Art. 148i B-VG ermächtigt die Länder, durch Landesverfassungsgesetz die Volksanwaltschaft auch für den Bereich der Verwaltung des betreffenden Landes für zuständig zu erklären. Die meisten Länder haben eine solche Erklärung abgegeben, nur Tirol 487 und Vorarlberg488 haben von einer anderen Möglichkeit Gebrauch gemacht, nämlich von der Einführung eines eigenen "Landesvolksanwalts".
Die Initiative zur Kontrolle kann einerseits von jedem Rechtsunterworfenen ausgehen, da sich nach Art. 148a Abs. I B-VG jedermann bei der Volksanwaltschaft beschweren kann, der behauptet, durch Mißstände in der Verwaltung des Bundes betroffen zu sein und dem ein anderes Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht. Die Beschwerde bei der Volksanwaltschaft ist ein subsidiärer Rechtsbehelf, da nur dem unmittelbar Betroffenen, dem ein Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht,489 Beschwerdelegitimation zukommt. Daneben ist auch die Volksanwaltschaft berechtigt, von ihr vermutete Mißstände von Amts wegen zu prüfen. 49o Dieser Möglichkeit der amtswegigen 485 Näher dazu Ludwig Adamovich, Die rechtliche Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S.558. 486 Helmut Widder, Rechnungshof und Volksanwaltschaft, in: Handbuch, 2. Auflage, S. 172. 487 Art. 59 tir LO. 488 Art. 57 bis 59 vbg L-VG. 489 Näher dazu Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 462.
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Prüfung kommt große Bedeutung zu, da die Prüfung von Individualbeschwerden eben davon abhängig ist, daß das Verwaltungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, hingegen die amtswegige Prüfung auch eine Ingerenz in schwebende Verfahren ermöglicht, wie z. B. zur Verfolgung von ungerechtfertigten Verfahrensverzögerungen, die sonst für die Volksanwaltschaft nicht greifbar wären. 491 Die Volksanwaltschaft ist verpflichtet, jede Beschwerde zu prüfen, wobei dem Beschwerdeführer das Ergebnis der Prüfung und allenfalls getroffene Maßnahmen mitzuteilen sind. Die Mittel, die der Volksanwaltschaft gemäß der Verfassung für die Prüfung zur Verfügung stehen, ergeben sich aus Art. 148b Abs. 1 B-VG, nämlich, daß alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden die Volksanwaltschaft bei der Besorgung ihrer Aufgaben zu unterstützen, ihr Akteneinsicht zu gewähren und auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen haben. Amtsverschwiegenheit besteht nicht gegenüber der Volksanwaltschaft.
Die Volksanwaltschaft kann in den von ihr behandelten Fällen den mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes betrauten Organen nur Empfehlungen für die in einem bestimmten Fall oder aus Anlaß eines bestimmten Falles zu treffenden Maßnahmen erteilen, sie kann jedoch keine Rechtsakte aufheben oder abändern. Allerdings hat das betreffende Organ binnen einer bundesgesetzlieh zu bestimmenden Frist492 entweder diesen Empfehlungen zu entsprechen und dies der Volksanwaltschaft mitzuteilen oder schriftlich zu begründen, warum der Empfehlung nicht entsprochen wurde. 493 Art. 148a Abs. 2 B-VG. Harald Rossmann, Volksanwaltschaft und Grundrechtsschutz, Österreichische Juristen-Zeitung 1979, S. 170. 492 Gern. § 6 Volksanwaltschaftsgesetz 1982 beträgt diese Frist 8 Wochen; die Volksanwaltschaft kann diese Frist auf begründetes Ersuchen verlängern. 493 Art. 148c B-VG. 490
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Daneben ist die Volksanwaltschaft gern. Art. 148e B-VG noch befugt, einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Überprüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung einer Bundesbehörde zu stellen. Aufgrund seiner Funktion als Hilfsorgan der Gesetzgebung hat die Volksanwaltschaft dem Nationalrat jährlich über ihre Tätigkeit zu berichten. 494 Gern. § 21 Abs. I GeoG-NR bilden die Berichte der Volksanwaltschaft Gegenstände der Verhandlung des Nationalrates sowie der Vorberatung seiner Ausschüsse. Weiters trifft die Geschäftsordnung auch Regelungen bezüglich der Teilnahme der Mitglieder der Volksanwaltschaft an den Verhandlungen. So legt § 20 Abs. 5 GeoG-NR mit Bezug auf Abs. 4 fest, daß der Nationalrat sowie dessen Ausschüsse und deren Unterausschüsse die Anwesenheit der Mitglieder der Volksanwaltschaft verlangen können. Bei den Verhandlungen über die Berichte der Volksanwaltschaft und die die Volksanwaltschaft betreffenden Kapitel des Entwurfes des Bundesfinanzgesetzes gelten die Absätze I bis 3 des § 20 GeoG-NR sinngemäß (betrifft vor allem das Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen und das Recht, das Wort zu nehmen). Der Volksanwalt übt somit als verlängerter Arm des Nationalrates Fremdkontrolle gegenüber der Verwaltung aus, wobei es der Volksanwaltschaft trotz anfänglicher Schwierigkeiten gelungen ist, vor allem durch ihre gezielten Maßnahmen, Mißstände in der Öffentlichkeit aufzudecken, diese zu bekämpfen und der Verwaltung Richtlinien für ihr Handeln aufzuzeigen.
494 Siehe dazu etwa Felix Ermacora, Die Volksanwaltschaft als pragmatische Verwaltungskontrolle, Zeitschrift für Verwaltung 1987, S. 609 ff, bes. S. 610 ff.
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
x. Sonderformen
der parlamentarischen Kontrolle 1. Die Verfassungsmäßigkeitsprüfung der Gesetze Als eine Sonderfonn der parlamentarischen Kontrolle in Österreich, die zwar nicht zum traditionellen Instrumentarium gehört, aber in der Praxis der Kontrolle eine gewisse Bedeutung besitzt, sei noch die Legitimation einer parlamentarischen Minderheit erwähnt, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Heinrich Neisser meinte zu diese Sonderfonn der Kontrolle, sie sei "ihrem Wesen nach eine Fortführung der politischen parlamentarischen Kontrolle mit den Mitteln der Rechtskontrolle,,495. Die verfassungsrechtliche Grundlage dieses Rechtes findet sich in Art. 140 Abs. 1 B-VG. Eine nähere Ausgestaltung enthalten die Geschäftsordnungen der beiden parlamentarischen Kammern, wonach ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates begehren kann, daß entweder ein Bundesgesetz seinem ganzen Inhalt nach oder daß bestimmte Stellen eines solchen Gesetzes vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben werden. Das Begehren hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. 496 Die entsprechenden verfahrensrechtlichen Regelungen finden sich ebenso in den Geschäftsordnungen. 497 Dieses Recht stand zunächst nur einer qualifizierten Minderheit von einem Drittel der Abgeordneten des Nationalrates zu. Durch eine Novelle ist 1988498 der Art. 140 Abs. I B-VG dahingehend 495 Heinrich Neisser, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 715. 496 § 86 Abs. 1 GeoG-NR, § 26 Abs. 2 GO-BR. 497 Siehe § 106 GeoG-NR und § 26 Abs. 2 GO-BR. 498 BGBL Nr. 341/1988.
2. Die Vorstellung der neuen Bundesregierung
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ergänzt worden, daß nunmehr Bundesgesetze auch von einem Drittel der Mitglieder des Bundesrates beim Verfassungs gerichtshof angefochten werden können. 499 Diese Anfechtungsberechtigung stellt eine Ergänzung der politisch parlamentarischen Kontrolle durch eine Form der Rechtskontrolle dar, wobei der Opposition durch die Gestaltung als Minderheitenrecht eine weitere Möglichkeit eingeräumt wird, auf Fälle, die politisch ein besonderes Gewicht besitzen, das Augenmerk zu lenken. Der mögliche Prestigeverlust im Falle einer Abweisung des Antrages durch den Verfassungsgerichtshof führt allerdings dazu, daß dieses Recht tatsächlich eher selten in Anspruch genommen wird. 5 °O Neben diesen eigens der parlamentarischen Kontrolle dienenden Verfassungseinrichtungen darf nicht übersehen werden, daß es noch Möglichkeiten der Kontrolle durch das Parlament gibt, die sich indirekt aus anderen Regelungszusammenhängen unserer Verfassungsrechtsordnung ergeben.
2. Die Vorstellung der neuen Bundesregierung So sei darauf verwiesen, daß die politische Kontrolle der Regierung in Österreich bereits unmittelbar nach ihrer Ernennung einsetzt; wird nämlich vom Bundespräsidenten eine neue Bundesregierung zu einer Zeit bestellt, zu welcher der Nationalrat nicht tagt, so hat der Bundespräsident den Nationalrat binnen einer Wo499 Die Forderung, dem Bundesrat das Recht auf Anfechtung von Bundesgesetzen wegen des Verdachts der Verfassungswidrigkeit einzuräumen, findet sich schon 1977 bei Herbert Schambeck, Der Bundesrat der Republik Österreich, S. 233. 500 Eine Übersicht der Fraktionsbeschwerden siehe bei Heinrich Neisser; Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Österreichs Parlamentarismus - Werden und System, S. 715.
II Schambeck
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
che zum Zweck der Vorstellung der neuen Bundesregierung zu einer außerordentlichen Tagung einzuberufen. 501 Diese Bestimmung kann nur den Sinn haben, es dem Nationalrat zu ermöglichen, sich über das politische Wollen der neuen Bundesregierung Klarheit zu verschaffen. Allerdings ist der Bundeskanzler oder die Bundesregierung nicht verpflichtet, dem Nationalrat ein Regierungsprogramm vorzulegen; der Nationalrat kann aber politischen Druck ausüben, daß die Regierung ihr Programm bekanntgäbe. Diese tut es mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Nationalrat. Dieses Regierungsprogramm ist ein von der Regierung dem Parlament gegenüber abgegebenes Erfüllungsversprechen, das in einem besonderen Maß die politische Verantwortung der Regierung begründet. Obwohl der österreichische Bundesrat über kein Recht zur Mißtrauensvotierung verfügt, ist es seit Julius Raab üblich, daß der Bundeskanzler eine Kurzfassung der dem Nationalrat erstatteten Regierungserklärung auch im Bundesrat abgibt".502
3. Die Behandlung von Regierungsvorlagen Eine bestimmte Form ständiger politischer Kontrolle ist in Österreich auch nach Abgabe der Regierungserklärung im Rahmen der Gesetzgebung des Nationalrates gegeben. Der Nationalrat kann Gesetzesvorlagen der Bundesregierung in entscheidenden Punkten abändern oder sie überhaupt nicht zur Beschlußfassung bringen. Von besonderem Interesse ist dabei die Beschlußfassung des jährlichen Budgets503 , aus dem sehr deutlich die Art. 70 Abs. 3 B-VG. 502 Siehe z. B. das Stenographische Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 17. April 1953, S. 1773 f. 503 Art. 51 B-VG; siehe dazu besonders Johannes Hengstschläger, Das Budgetrecht und seine Entwicklung, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 263 ff. 501
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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jeweilige Anerkennung und Entsprechung der Staatszwecke504 durch die Regierung ersehen werden kann. Der jährliche Haushaltsplan zeigt sich im Grunde als die wirtschaftliche Seite des Regierungsprogramms. Die Debatten über die einzelnen Kapitel des Budgets sind daher jeweils Debatten über die Regierungspolitik und so indirekt Kontrollen der Regierung durch den Nationalrat, ohne dessen zustimmende Mitwirkung die Regierung nicht die finanziellen Voraussetzungen für ihre Maßnahmen erhält.
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik "Zu den Kontrollmitteln, die auch imstande sind", wie Felix Ermacora hervorhob, "tatsächlich eine politische Kontrolle der Regierung herbeizuführen, ist die lange Reihe von Mitwirkungsrechten des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung zu nennen.,,505 Dabei haben der Nationalrat und der Bundesrat besondere politische Kontrollmöglichkeiten in der Außenpolitik. 506
Sie haben etwa bei der Behandlung des jährlichen außenpolitischen Berichtes im Nationalrat und im Bundesrat Gelegenheit, regelmäßig die Außenpolitik der Bundesregierung im allgemeinen
504 Herbert Schambeck, Von den Staatszwecken Österreichs, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teilband, S. 3 ff sowie derselbe, Die Staatszwecke der Republik Österreich, in: Die Republik Österreich, S. 243 ff. 505 Fe/ix Ermacora, Die politische Kontrolle, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 530. Hier findet sich auch eine Aufzählung der wesentlichen, im Verfassungsrecht ausdrücklich angeführten Mitwirkungsrechte. 506 Siehe dazu Heribert Franz Köck, Die Rolle des Parlaments in der Außenpolitik, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Erster Teilband, S. 297 ff sowie Heinrich Neisser, Parlamentsreform und EU-Beitritt, in: Peter Gerlich, Heinrich Neisser (Hrsg.), Europa als Herausforderung: Wandlungsimpulse für das politische System Österreichs, Wien 1994, S. 45 ff. 11*
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X. Sonderfonnen der parlamentarischen Kontrolle
und ~es Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten im besonderen mitzuverfolgen und zu kontrollieren.
a) Der Abschluß von Staatsverträgen Ein besonderes Maß an Kontrolle in der Außenpolitik kommt dem Nationalrat und dem Bundesrat im Rahmen des Abschlusses von Staatsverträgen zu. Primär liegt die Kompetenz zum Abschluß von Staatsverträgen gern. Art. 65 Abs. 1 B-VG beim Bundespräsidenten, der hiezu eines Vorschlags der Bundesregierung gern. Art. 67 Abs. 1 B-VG bedarf. Das Kontrollrecht des Parlaments in der Außenpolitik liegt darin, daß politische, gesetzesändemde und gesetzesergänzende Staatsverträge507 vor dem Abschluß die Genehmigung des Nationalrates unter Mitwirkung des Bundesrates bedürfen. 508 Ein erweitertes Mitwirkungsrecht in Form der Zustimmung wird dem Bundesrat gern. Art. 50 Abs. 1 B-VG außerdem für den Fall eingeräumt, daß solche Staatsverträge Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder ändern. 509 Darüber hinaus wird durch Art. 10 Abs. 3 B-VG den Ländern ein Mitwirkungsrecht in Form einer Stellungnahme vor dem Abschluß für solche Staatsverträge gegeben, die Durchführungsmaßnahmen im Sinne des Art. 16 B- VG eiforderlieh machen oder die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder in anderer Weise berühren. Für den Abschluß bestimmter Kategorien von Staatsverträgen, die weder unter Art. 50 B-VG noch Art. 16 Abs. 1 B-VG fallen, kann der Bundespräsident gern. Art. 66 Abs. 2 B-VG die Bundes507 Vgl. Manfred Rotter, Die Staatsverträge, in: Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, S. 784 ff. 508 Art. 50 Abs. 1 B-VG. 509 Eingeführt durch die B-VG Novelle vom 29. November 1988, BGBl. Nr. 685.
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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regierung oder die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung ermächtigen. Auf dieser Grundlage erging am 30. Dezember 1920 die entsprechende Entschließung5IO des Bundespräsidenten, wonach dieser zum Abschluß von Staatsverträgen ermächtigt, die nicht gemäß Art. 50 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Genehmigung des Nationalrates bedürfen, sofern solche Verträge nicht die ausdrückliche Bezeichnung als Staatsverträge führen noch der Vertragsabschluß durch Austausch von Ratifikationsurkunden erfolgt:
a) die Bundesregierung, soweit solche Verträge in der Form von Regierungsübereinkommen abgeschlossen werden; b) den ressortmäßig zuständigen Bundesminister im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Äußeres und, falls das Bundesministerium für Äußeres ressortmäßig zuständig ist, den Bundesminister für Äußeres, soweit solche Verträge in Form von Ressortübereinkommen abgeschlossen werden; c) den ressortmäßig zuständigen Bundesminister, soweit sich solche Verträge als bloße Verwaltungsübereinkommen darstellen.
In Zusammenhang mit Staatsverträgen muß auch auf das Problem der Transformation hingewiesen werden. 511 Völkerrechtliche Verträge, also Staatsverträge, werden zwischen Völkerrechtssubjekten abgeschlossen. Diese Verträge verpflichten daher diese Völkerrechtssubjekte. Damit sich diese aber völkerrechtsgemäß verhalten können, müssen ihre Organe das gebotene Verhalten setzen. Voraussetzung hiefür ist, daß die Regelungen des Völkerrechts daher in innerstaatliches Recht umgewandelt werden, um die Menschen, deren Verhalten dem Staat zugerechnet wird, unmittelbar zu verpflichten. Diese Umwandlung wird als TransforBGBI. Nr. 49/1921. Vgl. Peter Fischer, Heribert Franz Köck, Allgemeines Völkerrecht, 4. Auflage, Wien 1994, S. 15. 510
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X. Sonderfonnen der parlamentarischen Kontrolle
mation 512 bezeichnet. Bezüglich der Umwandlung einer völkerrechtlichen in eine staatsrechtliche Verpflichtung gibt es zwei mögliche Wege. Einerseits kann die Verpflichtung des Einzelnen in der Form, in der sonst innerstaatliches Recht erzeugt wird, festgelegt werden, es wird somit eine eigene innerstaatliche Vorschrift geschaffen, die der völkerrechtlichen Vorschrift insofern entspricht, als sie dem Einzelnen das völkerrechtlich gebotene Verhalten vorschreibt. Diese Art der Umwandlung wird spezielle Transformation genannt. Andererseits kann eine Norm des Völkerrechts ohne weitere Erlassung einer innerstaatlichen Norm zu innerstaatlichem Recht erklärt werden, was als generelle Transformation bezeichnet wird. 513 Die spezielle Transformation scheint mehr der innerstaatlichen Rechtssicherheit zu dienen, die generelle Transformation mehr völkerrechtsfreundlich zu sein; beides schließt sich nicht aus, sondern kann sich ergänzen. Welche Form der Transformation gewählt wird, entscheidet das zuständige Organ. So legt Art. 50 Abs. 2 B-VG fest, daß anläßlich der Genehmigung eines unter Abs. 1 fallenden Staatsvertrages, d. h. also eines politischen, gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Staatsvertrages, der Nationalrat beschließen kann, daß dieser Staatsvertrag durch Erlassung eines Gesetzes zu erfüllen ist. Ebenso können der Bundespräsident oder die von ihm zum Abschluß ermächtigten Organe anordnen, daß dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Verordnungen zu erfüllen iSt. 514 Es wird somit zum Staatsvertrag ein Eifüllungsvorbehalt angebracht, so daß dieser durch Erfüllungsgesetze bzw. durch Erfüllungsverordnun512 Siehe dazu Heribert Franz Köck, Das allgemeine Völkerrecht, in: Das österreichische Bundes-Verfassungs gesetz und seine Entwicklung, S. 755 f. 513 Vgl. dazu Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 90. 514 Art. 65 Abs. 1 und Art. 66 Abs. 2 B-VG.
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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gen auszuführen ist. Durch einen solchen Erfüllungsvorbehalt wird somit eine spezielle Transformation angeordnet, was zur Folge hat, daß der Staatsvertrag zunächst grundsätzlich keine innerstaatlichen Rechtswirkungen entfaltet.
b) Die Mitwirkung in EU-Angelegenheiten Mit dem 1. Jänner 1995 hat sich für das österreichische Regierungssystem, aber auch für die österreichische Rechtsordnung sowie für das gesamte staatliche Leben Grundlegendes verändert. Mit dem 1. Jänner 1995 trat der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in Kraft. 515 Verfassungsrechtliche Änderungen ergaben sich aus der Tatsache, daß die Europäischen Union supranationale Gemeinschaften umfaßt. Daraus wiederum ergibt sich etwa, daß die Rechtssetzung durch Gemeinschaftsorgane erfolgt, in denen für alle Mitgliedstaaten bindende Beschlüsse auch gegen die Stimme eines Mitgliedstaates zustande kommen können. Wesentlich im Rechtssetzungsverfahren ist somit der Vorrang und die unmittelbare Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus erfolgt sodann noch die Kontrolle der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Aus der rechtlichen Gestalt der Europäischen Union ergibt sich somit die Notwendigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten, insbesondere im Bereich der Rechtssetzung, an Organe der EU. 516 BGBL Nr. 45/1995. Siehe dazu 1546 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVIII. Gesetzgebungsperiode, S. 3; siehe allgemein auch Heinrich Neisser, Das politische System der EG, Wien 1993, S. 79 ff; Peter Fischer, Heribert Franz Köck, Europarecht, 3. Auflage, Wien 1997, S. 342 ff sowie Christoph Thun-Hohenstein, Franz Cede, Europarecht, Das Recht der Europäischen Union unter besonderer Berücksichtigung des EU-Beitritts Österreichs, Wien 1995. 515
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bringt gravierende Änderungen für die österreichische Rechtsordnung mit sich. 517 Durch den EU-Beitritt ergeben sich Konsequenzen für einzelne Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung. Als Beispiel zu nennen wären etwa das demokratische Prinzip, da dem parlamentarischen Gesetzgeber, also dem Natfonalrat im Zusammenwirken mit dem Bundesrat auf Bundesebene und den Landtagen auf Länderebene bestimmte Rechtssetzungskompetenzen entzogen und auf Gemeinschaftsorgane übertragen werden, sowie das bundesstaatliche Prinzip aufgrund der mit dem EU-Beitritt verbundenen Eingriffe in Länderkompetenzen. 518 Prinzipiell legt für eine Gesamtänderung der I!undesverj"assung Art. 44 Abs. 3 B-VG fest, daß eine solche einer Abstimmung durch das gesamte Bundesvolk zu unterziehen ist. Allerdings ist es umstritten, ob dieser Art. 44 Abs. 3 B-VG auch für Staatsverträge gilt bzw. ob es verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist, im Wege des Abschlusses eines Staatsvertrages eine Gesamtänderung der 517 Vgl. Gerhart Holzinger, Die Auswirkungen der österreichischen EU-Mitgliedschaft auf das österreichische Verfassungsrecht, Journal für Rechtspolitik 1996, S. 160 ff. 518 Dazu näher Wolfgang Burtscher, Auswirkungen eines EG-Beitritts auf den bundes staatlichen Aufbau Österreichs - materielle und institutionelle Aspekte, in: Auswirkungen eines EG-Beitritts auf die föderalistische Struktur Österreichs, hrsg. v. Peter Pernthaler, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung, Band 47, Wien 1989, S. 29 ff; Gerhard Holzinger, Gravierende verfassungsrechtliche Änderungen im Zusammenhang mit einem österreichischen EG-Beitritt, Juristische Blätter 1993, S. 2 ff; Heinrich Neisser, Das politische System der EG, S. 233 ff; Herbert Schambeck, Europäische Integration und österreichischer Föderalismus, Schriftenreihe Niederösterreichische Juristische Gesellschaft, Heft 62, Wien 1993, S. 15 ff; derselbe, Das Europa der Regionen als Muster für einen europäischen Bundesstaat?, in: Politik für das dritte Jahrtausend, Festschrift für Alois Mock zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Erhard Busek, Andreas Khol und Heinrich Neisser, Graz 1994, S. 337 ff; derselbe, Europäische Integration und Föderalismus, Österreichische JuristenZeitung 1996, S. 521 ff sowie Peter Fischer, Heribert Franz Köck, Europarecht, S. 105 ff.
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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Bundesverfassung herbeizuführen, da nach Art. 50 Abs. 3 B-VG auf die anläßlich eines Staatsvertragsabschlusses notwendigen parlamentarischen Genehmigungsbeschlüsse lediglich die Absätze 1 und 2 des Art. 44 B-VG anzuwenden sind. 519 Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Unklarheiten und aus anderen rechtlichen Erwägungen520 entschloß sich die Bundesregierung, eine besondere bundesvetjassungsgesetzliche Regelung über die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union zu schaffen und diese dem Verfahren gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG zu unterziehen. 521 Dieses Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union vom 5. Mai 1994 522 ermächtigt die bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union abzuschließen. Weiters legt Art. 11 fest, daß dieser Staatsvertrag nur mit Genehmigung des Nationalrates und der Zustimmung des Bundesrates hiezu abgeschlossen werden darf, wobei diese Beschlüsse jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen bedürfen. Aufgrund dieses mit dem 1. Jänner 1995 vollzogenen Beitritts Österreichs zur Europäischen Union bestand auch die Notwendig519 Siehe dazu Heribert Franz Köck, Sigmar Stadlmeier; EG-Beitritt und Volksabstimmung, in: Arbeit, Recht und Gesellschaft, Festschrift für Walter Schwarz zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Oswin Martinek, Wien 1991, S. 731 ff und Bemd Wieser; Bedarf eine Gesamtänderung der Bundesverfassung durch Staatsvertrag einer Volksabstimmung?, Österreichische Richterzeitung, Heft 4/1989, S. 74 ff. 520 Beachte dazu Gerhard Holzinger; Gravierende verfassungsrechtliche Änderungen im Zusammenhang mit einem österreichischen EG-Beitritt, S. 13. 521 Siehe näher Harald Stolzlechner; Die Auswirkungen einer Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union auf die österreichische Verfassungsordnung, in: Waldemar Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union und Österreich, Wien 1994, S. 163 ff. 522 BGBL Nr. 363/1994.
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
keit, die rechtspolitisch zweckmäßigen bundesverfassungesetzlichen Anpassungsregelungen im Zusammenhang mit dem Beitritt zu erlassen. Dieses "EU-Begleit-BVG" wurde 1994 in Form einer B-VG Novelle523 erlassen und beinhaltet schwerpunktmäßig Regelungen bezüglich der Wahlen zum Europäischen Parlament, Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden sowie des Nationalrates und des Bundesrates bei Vorhaben der Europäischen Union, Regelungen betreffend die Teilnahme Österreichs an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Unvereinbarkeitsregelungen bezüglich Mandaten in allgemeinen Vertretungskörpem. 524 Daraus seien vor allem die Regelungen bezüglich der Mitwirkung der Länder und Gemeinden sowie des Nationalrates und des Bundesrates bei Vorhaben der Europäischen Union hervorgehoben. Aufgrund der schon erwähnten notwendigen Abgabe von Hoheitsbefugnissen an die Organe der Europäischen Union ergeben sich Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Aufbau Österreichs. 525 Mit diesen verfassungsgesetzlichen Regelungen über die Mitwirkung der Länder und Gemeinden an der innerstaatlichen Willensbildung in EU-Angelegenheiten sollen die Auswirkungen dieser Zuständigkeitsübertragung teilweise kompensiert werden. Zunächst legt Art. 23c Abs. 4 fest, daß die österreichische Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern des Ausschusses der Regionen und deren Stellvertretern aufgrund von Vorschlägen der Länder sowie des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes zu erfolgen hat. Gern. Art. 23d BGBL Nr. 1013/1994. 524 Vgl. 27 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIX. Gesetzgebungsperiode, S. 6 ff. 525 Dazu Peter Pernthaler, Die Auswirkungen einer Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union auf die österreichischen Bundesländer, in: Die Europäische Union und Österreich, S. 179 ff. 523
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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Abs. 1 hat der Bund die Länder unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder berühren oder sonst für sie von Interesse sein könnten, zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Gleiches gilt für die Gemeinden, soweit der eigene Wirkungsbereich oder sonstige wichtige Interessen der Gemeinden berührt werden. Liegt dem Bund eine einheitliche Stellungnahme der Länder zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, so ist der Bund bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Der Bund darf nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. 526 Außerdem kann, soweit ein Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union auch Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, die Bundesregierung gern. Art. 23d Abs. 3 einem von den Ländern namhaft gemachten Vertreter die Mitwirkung an der Willensbildung im Rat übertragen. Die Wahrnehmung dieser Befugnis erfolgt unter Beteiligung des zuständigen Mitgliedes der Bundesregierung und in Abstimmung mit diesem. Für einen solchen Ländervertreter gilt ebenso die Regelung, daß er bei Vorliegen einer einheitlichen Stellungnahme der Länder bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese gebunden ist und nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen darf, wobei er die Gründe hiefür unverzüglich den Ländern mitzuteilen hat. Demgegenüber sind die Länder gern. Art. 23d Abs. 5 verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration erforderlich werden. Andernfalls kommt es zu einem Übergang der Zuständigkeit auf den Bund.
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Art. 23d Abs. 2 B-VG.
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
Um auch die durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organe entstehenden Kompetenzverluste der parlamentarischen Organe des Bundes teilweise auszugleichen, werden Mitwirkungsrechte des Nationalrates und des Bundesrates vorgesehen. Art. 23c Abs. 2 legt fest, daß in Zusammenhang mit der Ernennung von Mitgliedern der Kommission und anderer Organe527 die Bundesregierung das Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates herzustellen hat. Außerdem ist gern. Art. 23c Abs. 5 der Bundesrat zu unterrichten. Weiters besteht laut Art. 23e Abs. 1 eine Informationspflicht des zuständigen Mitgliedes der Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat und dem Bundesrat über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union sowie ein Recht zur Stellungnahme durch den Nationalrat und den Bundesrat. Liegt dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Nationalrates zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das durch Bundesgesetz umzusetzen ist oder das auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet ist, der Angelegenheiten betrifft, die bundesgesetzlich zu regeln wären, so ist es gern. Art. 23e Abs. 2 bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Es darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Wenn das zuständige Mitglied der Bundesregierung von einer Stellungnahme des Nationalrates gemäß Abs. 2 abweichen will, so hat es den Nationalrat neuerlich zu befassen. Würde der in Vorbereitung befindliche Rechtsakt der Europäischen Union eine Änderung des geltenden Bundesverfassungsrechts bedeuten, so ist eine Abweichung nach Abs. 3 jedenfalls nur zulässig, wenn ihr der Nationalrat innerhalb angemessener Frist nicht widerspricht. Hat der Nationalrat eine Stellungnahme gern Abs. 2 abgegeben, so hat gern. 527
Siehe Art. 23c Abs. 2 B-VG.
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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Art. 23e Abs. 4 das zuständige Mitglied der Bundesregierung dem Nationalrat nach der Abstimmung in der Europäischen Union Bericht zu erstatten. Insbesondere hat das zuständige Mitglied der Bundesregierung, wenn es von einer Stellungnahme des Nationalrates abgewichen ist, die Gründe hiefür dem Nationalrat unverzüglich mitzuteilen. Zur Beurteilung dieser Beteiligung des Nationalrates an der europäischen Gesetzgebung erklärt Heinz Schäffer: "All dies soll den Nationalrat in die Lage versetzen, das Handeln der österreichischen Regierungsmitglieder in den EGOrganen parlamentarisch zu kontrollieren und solcherart zu injluenzieren. Wie immer im parlamentarischen Leben kann die gänzliche oder teilweise Nichtbeachtung der Wünsche des Nationalrates entweder ganz ohne Reaktion bleiben, oder zum verbalen Ausdruck der Mißbilligung führen oder aber äußerstenfalls mit einem Mißtrauensvotum sanktioniert werden. Insgesamt handelt es sich um ein ziemlich wirksames Instrument der Bindung an die politischen Vorstellungen des Nationalrates, das weit über vergleichbare ausländische Regelungen hinausgeht. ,,528 Die Wahrnehmung dieser Zuständigkeiten des Nationalrates obliegt gern. Art. 23e Abs. 5 grundsätzlich dem Hauptausschuß. Eine nähere Ausgestaltung hat durch die Geschäftsordnung des Nationalrates zu erfolgen, wobei auch geregelt werden kann, inwieweit ein eigener Ständiger Unterausschuß des Hauptausschusses mit der Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union betraut werden kann. Die entsprechenden Verfahrensbestimmungen wurden durch die Novelle der Nationalratsgeschäftsordnung 1996529 geschaffen. So wurde zunächst § 29 Abs. 2 dahingehend geändert, daß dem 528 Heinz Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der Europäischen Union, insbesondere an der europäischen Rechtssetzung, Zeitschrift für öffentliches Recht 1996, S. 45. 529 BGBI. Nr. 438.
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
Hauptausschuß nun u. a. die Herstellung des Einvernehmens mit der Bundesregierung im Rahmen der österreichischen Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern der Kommission, des Gerichtshofes, des Gerichtes erster Instanz, des Rechnungshofes und des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank gern. Art. 23c Abs. 2 B-VG sowie die Stellungnahme zu Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gern. Art. 23e und 23f B-VG obliegt. Bezüglich des ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses gern. Art 23e Abs. 5 B-VG wird § 31 dahingehend geändert, daß dieser vom Hauptausschuß zu wählen ist und für die Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zuständig ist. Dieser Unterausschuß erhält die Bezeichnung "Ständiger Unterausschuß in Angelegenheiten der Europäischen Union" und ist nach den Grundsätzen des § 30 Nationalratsgeschäftsordnung zu wählen, wobei dem Unterausschuß jedoch jeweils mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß vertretenen Partei angehören muß. Schließlich werden nähere Regelungen über das Verfahren in den §§ 31a bis 31e geschaffen. So hat der Hauptausschuß gern. § 31a Abs. 1 etwa Anträge über die Herstellung des Einvernehmens mit der Bundesregierung im Rahmen der österreichischen Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern der Kommission, des Gerichtshofes, des Gerichtes erster Instanz, des Rechnungshofes und des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank gern. Art. 23c Abs. 2 B-VG unverzüglich in Verhandlung zu nehmen. § 31 b legt fest, daß Mitteilungen der Bundesregierung gern. Art. 23c Abs. 2 letzter Satz und Art. 23c Abs. 5 B-VG an alle Mit-
glieder des Nationalrates zu verteilen sind. Vorlagen, Dokumente, Berichte, Informationen und Mitteilungen zu Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gern. Art. 23e Abs. 1 B-VG sind an die Klubs zu verteilen. Sie liegen für die Mitglieder des National-
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
175
rates in der Parlamentsdirektion zur Einsicht auf, wenn dies die Geheimhaltungsvorschriften der Europäischen Union zulassen. Wird ein Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gern. Art. 23e und 23f B-VG auf die Tagesordnung des Hauptausschusses gesetzt, sind die darauf Bezug habenden Unterlagen an die Mitglieder des Hauptausschusses zu verteilen. Berichte des zuständigen Bundesministers gern. Art. 23e Abs. 4 B-VG sind an alle Mitglieder des Nationalrates zu verteilen. Vorhaben der Europäischen Union gern. Art. 23e und 23f B-VG, über die die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung den Nationalrat zu unterrichten haben, und Berichte des zuständigen Mitgliedes der Bundesregierung gern. Art. 23e Abs. 4, wenn eine Stellungnahme nach Art. 23e Abs. 2 abgegeben wurde, sind gern. § 31c Abs. 1 GeoG-NR Gegenstand der Verhandlung des Hauptausschusses. Außerdem ist gern. Abs. 2 ein Vorhaben der Europäischen Union bzw. ein Bericht eines Bundesministers gern. Art. 23e Abs. 4 B-VG auf die Tagesordnung eines Hauptausschusses zu setzen, wenn dies das zuständige Mitglied der Bundesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates oder ein Mitglied des Hauptausschusses verlangt und das Vorhaben voraussichtlich in der nächsten Sitzung des Rates der Europäischen Union beschlossen werden wird. § 31c Abs. 5 GeoG-NR legt fest, daß Verhandlungen des Hauptausschusses über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, unbeschadet etwaiger Geheimhaltungspflichten, öffentlich im Sinne des § 28b Abs. 2 sind. Auf Antrag eines Abgeordneten kann aus wichtigen Gründen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Über die Beratungen des Hauptausschusses ist gern. Abs. 6 eine auszugsweise Darstellung zu verfassen, sofern der Ausschuß nichts anderes beschließt. Diese Darstellungen sind als Beilage zu den Stenographischen Protokollen herauszugeben. Weiters regelt § 31c Abs. 7, daß die in Österreich gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments berechtigt sind, bei den Verhandlungen
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X. Sonderformen der parlamentarischen Kontrolle
des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union mit beratender Stimme anwesend zu sein. § 31d Abs. 1 normiert, daß der Hauptausschuß zu Vorhaben im
Rahmen der Europäischen Union auch wiederholt Stellungnahmen gern. Art 23e Abs. 1 B-VG abgeben kann, einer beabsichtigten Abweichung durch das zuständige Mitglied der Bundesregierung gern. Art. 23e Abs. 3 B-VG widersprechen kann, wenn der in Vorbereitung befindliche Rechtsakt eine Änderung des geltenden Bundesverfassungsrechts bedeuten würde, und Berichte des zuständigen Mitgliedes der Bundesregierung über die Abweichung von einer Stellungnahme des Nationalrates zur Kenntnis nehmen oder die Kenntnisnahme verweigern kann. Vor Eingang in die Debatte über ein Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union kann der Obmann gern. Abs. 2 dem zuständigen Bundesminister das Wort über das Vorhaben und die Haltung des zuständigen Bundesministers zu dem Vorhaben erteilen. Nach Eröffnung der Debatte kann nach Abs. 3 jedes Mitglied des Hauptausschusses schriftlich Anträge auf Beschlüsse im Sinne des Abs. I einbringen. Der Präsident des Nationalrates hat gern. Abs. 4 Stellungnahmen und andere Beschlüsse des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union unverzüglich an den Bundeskanzler, den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und das zuständige Mitglied der Bundesregierung zu übermitteln. Wenn der Hauptausschuß nichts anderes beschließt, sind Stellungnahmen und Beschlüsse weiters an den Präsidenten des Bundesrates, alle Mitglieder des Nationalrates sowie die österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments zu verteilen. Der Hauptausschuß kann allerdings gern. § 31d Abs. 5 auch beschließen, daß ein Vorhaben oder ein Bericht im Rahmen der Europäischen Union vom Nationalrat verhandelt wird. Schließlich kann gern. Abs. 6 der Hauptausschuß beschließen, auf welche Weise eine neuerliche Befassung des Hauptausschusses durch das zuständige Mitglied der Bundesregierung, das von
4. Die Kontrolle im Rahmen der Außenpolitik
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einer Stellungnahme des Nationalrates gern. Art. 23e Abs. 3 B-VG abweichen will, zu erfolgen hat. Hiebei kann der Hauptausschuß auch die Befassung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union bzw. die Konsultierung des Komitees gemäß § 31e Abs. 3 beschließen. Weiters normiert § 31e Abs. 1 die Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben in Angelegenheiten der Europäischen Union gern. Art. 23e und 23f B-VG durch den Hauptausschuß auf den Ständigen Unterausschuß in Angelegenheiten der Europäischen Union. Allerdings kann der Hauptausschuß im Einzelfall auch beschließen, übertragene Aufgaben wieder an sich zu ziehen. Im Falle der Übertragung gelten gern. Abs. 2 für den Ständigen Unterausschuß in Angelegenheiten der Europäischen Union die für den Hauptausschuß geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 31d Abs. 5. Ist eine neuerliche Befassung des Nationalrates im Sinne des Art. 23e Abs. 3 B-VG nicht erforderlich, so können gern. § 31e Abs. 3 Aufgaben des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union auch von einem Komitee wahrgenommen werden, dem der Vorsitzende (oder ein Vertreter) des Ständigen Unterausschusses als Vorsitzender und ein von jedem Klub namhaft gemachtes Mitglied angehört. Allerdings können keine Beschlüsse gefaßt werden. Nach Beendigung der Beratungen teilt der Vorsitzende die Meinungen der Mitglieder des Komitees dem Präsidenten des Nationalrates mit, der sie dem österreichischen Vertreter im Rat der Europäischen Union übermittelt. Liegt dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Bundesrates zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das zwingend durch ein Bundesverfassungsgesetz umzusetzen ist, das nach Art. 44 Abs. 2 der Zustimmung des Bundesrates bedürfte, so ist es bei Verhandlungen und Abstimmungen an diese Stellungnahme gebunden. Es darf wiederum nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen. Ein weiterreichendes Mitwirkungsrecht, wie 12 Schambeck
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X. Sonderfonnen der parlamentarischen Kontrolle
dies in Art. 23e Abs. 3 B-VG für den Nationalrat vorgesehen ist, gibt es für den Bundesrat nicht, der aus diesem Grund ein Widerspruchsrecht begehrt, wenn Regierungsmitglieder von der an sich bindenden Stellungnahme des Bundesrates abweichen wollen. 53o Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten des Bundesrates wird durch die Geschäftsordnung des Bundesrates näher geregelt, wobei insbesondere normiert werden kann, inwieweit für die Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union anstelle des Bundesrates ein hiezu bestimmter Ausschuß zuständig ist und die Wahrnehmung der Zuständigkeiten dem Bundesrat selbst vorbehalten iSt. 531 Aus der Vielzahl von Regelungen betreffend die Außenpolitik ergibt sich somit ein Geflecht an Zuständigkeiten zwischen Bundespräsident, Bundesregierung und Parlament, wobei das Zustimmungs- und Stellungnahmerecht des Nationalrates und des Bundesrates auch Kontrollfunktion besitzt, die das außenpolitische Wollen der Bundesregierung rechtlich auf die Verfassungs- und 530 Siehe Gesetzesantrag des Bundesrates vom 23. März 1995 auf ein BVG, mit dem das B-VG geändert werden soll; 159 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIX. Gesetzgebungsperiode. 531 Art. 23e Abs. 6 B-VG, letzter Satz angefügt durch die B-VG Novelle BGBL Nr. 43711996; siehe dazu die Antrittsrede des Präsidenten des Bundesrates losef Pfeifer: " ... Erfreulich ist, daß der Nationalrat in seiner gegenwärtigen Sitzungs woche am Dienstag im Zusammenhang mit der Novellierung seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, die Bundesverfassung in die Richtung abzuändern, daß dem EU-Ausschuß des Bundesrates die Kompetenz zukommt, enderledigend - also in Vertretung des Bundesrates selbst - Stellungnahmen zu EU-Vorhaben beschließen zu können. Diese kleine Korrektur stellt aber für die Arbeitsfähigkeit des Bundesrates einen großen Fortschritt dar. Der Bundesrat ist nunmehr auch in der Lage, rasch und ohne Befassung des Plenums seine politische Auffassung zu EU-Vorhaben in Stellungnahmen umzusetzen ... " Stenographisches Protokoll der 615. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich vom 12. Juli 1996, S. 11.
5. Kontrolle im Bereich des Bundesheeres
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Gesetzmäßigkeit und politisch auf die Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Parlamentsfraktionen prüft.
5. Die parlamentarische Kontrolle im Bereich des Bundesheeres Als eine Art parlamentarische Kontrolle für den Teilbereich "Bundesheer" ist die Beschwerdekommission532 eingerichtet worden. Die Beschwerdekommission besteht aus drei Vorsitzenden, von welchen jeder zwei Jahre amtiert, und sechs Mitgliedern. Die Vorsitzenden werden auf Grund eines Gesamtvorschlages des Hauptausschusses, für den jede der drei mandatsstärksten Parteien ein Vorschlagsrecht hat, vom Nationalrat gewählt. Die Mitglieder werden von den politischen Parteien nach ihrer Mandatsstärke im Hauptauschuß entsendet; dabei jedoch hat jede im Hauptausschuß vertretene Partei mindestens einen Vertreter zu entsenden, wobei die Vorsitzenden in diese Zahl eingerechnet werden. Außerdem gehören der Kommission der Generaltruppeninspektor und ein Beamter mit beratender Stimme an. Aufgabe der Beschwerdekommission ist es, Beschwerden von Stellungspflichtigen, Soldaten usw. zu prüfen und über ihre Erledigung Empfehlungen zu beschließen. Über ihre Tätigkeit und ihre Empfehlungen hat sie jährlich einen Bericht zu verfassen, der vom Bundesminister für Landesverteidigung zusammen mit seiner Stellungnahme zu den Empfehlungen der Beschwerdekommission alle zwei Jahre dem Nationalrat vorzulegen ist. 533 532 Regelungen bezüglich der Beschwerdekommission finden sich in § 6 WehrG, BGBL Nr. 30511990 (WV) i.d.F. BGBL Nr. 20111996; dazu Gerhard Rauter, Die österreichische Wehrgesetzgebung, Wien 1989, S. 120 sowie derselbe, Wehrgesetzgebung und Heer, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich, Zweiter Teilband, Berlin 1993, S. 764. 533 Zum Thema Bundesheer siehe näher Walter - Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 281 ff. 12*
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XI. Möglichkeiten der Verbesserung der Kontrolle
XI. Über Bedeutung und Möglichkeiten der Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle in Österreich Nach dieser Nennung von direkten oder indirekten Möglichkeiten der Kontrolle der Regierung in Österreich durch das Parlament stellt sich die Frage nach ihrer Bedeutung. Betrachtet man die Möglichkeiten direkter parlamentarischer Kontrolle in Österreich, nämlich die rechtliche, politische und finanzielle Kontrolle, so haben sie eine unterschiedliche Bedeutung. Die rechtliche Kontrolle, die im Rahmen der Staatsgerichtsbarkeit vom Verfassungsgerichtshof über Antrag des Nationalrates vorgenommen wird, kann für den Fall der Rechtsverletzung, da sie ja in einem gerichtsförmigen Verfahren erfolgt, zur Verhängung einer Unrechtsfolge führen, weshalb sie als eine sanktionierende Kontrolle zu bezeichnen ist. Die durch den Rechnungshof für den Nationalrat ausgeübte finanzielle Kontrolle ist im Hinblick auf seine beurteilende Tätigkeit der Rechnungs- und Gebarungskontrolle als informative Kontrolle anzusehen. Will man die politischen Kontrollmittel in Österreich bewerten, so hat das Interpellationsrecht einen teils informativen, teils interventionierenden Charakter, das Resolutionsrecht eine teils interventionierende, teils korrigierende Wirkung; das Petitionsrecht ist dagegen mehr auf eine Intervention und das Enqueterecht mehr auf eine Information ausgerichtet. Diese Wertungen schließen aber nicht aus, daß auch ein an und für sich sanktionsloses Kontrollmittel, wie der Rechnungshofbericht oder die Interpellation oder das Ergebnis eines Untersuchungsausschusses, zum Anlaß der Mißtrauensvotierung gemacht werden, weil der Einsatz dieser Kontrollmittel Tatsachen ergeben hat, welche mit den Intentionen des Nationalrates nicht übereinstimmen.
Xl. Möglichkeiten der Verbesserung der Kontrolle
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Zieht man in diese Würdigung der parlamentarischen Kontrolle auch die erwähnten Möglichkeiten indirekter Kontrolle mit ein, so kann man auch zwischen vorangehender und nachträglicher Kontrolle unterscheiden, je nachdem, ob sie auf ein beabsichtigtes oder vollzogenes Regierungshandeln gerichtet ist. So könnte die Behandlung und Bewilligung des Budgets als vorgängige Kontrolle, die Möglichkeit des Nationalrates und des Bundesrates, Gesetze vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen etwa als nachträgliche Kontrolle bezeichnet werden. Welche dieser erwähnten Maßstäbe zur Beurteilung für die einzelnen Mittel parlamentarischer Kontrolle in Österreich auch immer heranzuziehen sind, stets sind sie ein Ausdruck und eine Folge eines durchgeführten Systems der Gewaltenteilung, in dem es dem Parlament als ganzem oder einzelnen seiner Kammern möglich ist, als Konsequenz des Grundsatzes der Volkssouveränität die parlamentarische Kontrolle als Mittel zur Verwirklichung der Regierungs- bzw. Ministerverantwortlichkeit einzusetzen. 534 Wer aber heute die parlamentarische Kontrolle in der Wirklichkeit ihres Einsatzes betrachtet, muß feststellen, daß bei aller Notwendigkeit ihrer Einrichtung die Möglichkeit ihres Einsatzes unterschiedlich ist. Der Grund für diese Tatsache liegt darin, daß eine Vielzahl der Kontrollmittel zu ihrer Ausübung eines Mehrheitsbeschlusses bedarf. Wie schon näher ausgeführt, ist in einem Staat mit parlamentarischem Regierungssystem der Bestand der Regierung vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig und daher bildet die Parlamentsmehrheit die Regierung, weshalb auch die parlamentarische Kontrolle nicht zum Nachteil der Regierung eingesetzt werden wird. Daraus ergibt sich als weiteren Schritt, daß sich die 534 Herbert Schambeck, Regierung und Parlament, in: Entwicklungstendenzen in der modemen Demokratie, S. 51.
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XI. Möglichkeiten der Verbesserung der Kontrolle
Kontrollaufgabe bei einer derartigen Konstellation der politischen Kräfte in erster Linie bei der Opposition konzentriert. Ihr kommt somit die Aufgabe der Wahrnehmung des "demokratischen Wächteramtes .. 535 zu, von ihrem Einsatz ist die Lebendigkeit der parlamentarischen Demokratie wesentlich abhängig. Doch welche Bedeutung der Opposition in Österreich zukommt, hängt wesentlich von ihr selbst ab. Sie sollte nicht von den Möglichkeiten der Kontrolle in politischer, rechtlicher und finanzieller Sicht wahllos, unkritisch und unwesentlich Gebrauch machen. Denn eine solche Überbeanspruchung dieser gesetzlich verankerten Rechte würde zu einer Abwertung der parlamentarischen Kontrolle führen, woraus sich wiederum die Gefahr ergibt, daß die in den letzten Jahren erreichte Aufwertung der parlamentarischen Minderheitenrechte reduziert wird auf ein Maß, welches eine wirksame Kontrolle wiederum wesentlich erschwert. Es kommt daher auch in diesem Zusammenhang auf das an, was Ernst Friesenhahn schon betonte, als er feststellte, daß im Wesen des parlamentarischen Systems die Bereitschaft zum Kompromiß liegt, denn das parlamentarische Regierungssystem muß ein System der Toleranz sein. 536 Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre,537 so sind die Rechte der Minderheiten bezüglich der Kontrolle verstärkt worden, wenngleich auch die Forderungen nach mehr Kontrollmöglichkeiten nicht verstummen werden. Daneben besitzen aber die 535 Hans-Peter Schneider, Das parlamentarische System, in: Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg.v. Ernst Benda, Werner Maihofer, Hans-Jochen Vogel, 2. Auflage, Berlin, New York 1994, S. 574. 536 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: Strukturwandel der modemen Regierung, S. 127 f. 537 Siehe vor allem die Reformen der Geschäftsordnungen des Nationalrates und des Bundesrates; näher dazu Werner Zögernitz, Das parlamentarische Verfahren ab 1920, in: Parlamentarismus und öffentliches Recht, Erster Teilband, S. 249 fund 253 ff.
XI. Möglichkeiten der Verbesserung der Kontrolle
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Minderheiten im Parlament die Möglichkeit, Anträge in Zusammenhang mit diesen Kontrollrechten einzubringen und so die betreffende Angelegenheit zur Sprache zu bringen, auch wenn letztlich der Mehrheitsbeschluß nicht zustandekommt. Diese Art der Minderheitenrechte dient somit vor allem der Information der Öffentlichkeit,538 wodurch die besondere Tribünefunktion des Parlaments 539 erfüllt wird, um die Politik für das Volk und die Massenmedien transparent zu erhalten. Denn schließlich kann festgestellt werden, daß die letzte Kontrolle der Tätigkeit der Regierung als auch des Parlaments beim Volk liegt, von dem Art. 1 B-VG besagt, daß das Recht von ihm ausgeht. Gerade die parlamentarische Demokratie kann nämlich nur dann gelingen, wenn diejenigen, die im Staat die Verantwortung ausüben, von einer möglichst breiten Schicht verantwortungsbewußter Bürger getragen werden. 54o Das Volk wird letztlich jegliches Handeln der Staatsorgane bewerten und im Zuge der Wahlen, durch welche die Volksvertreter erst legitimiert werden, ihre Beurteilung dazu abgeben.
538 Siehe etwa Rene Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, in: Festschrift für Adolf Amdt, hrsg. v. Horst Ehmke, Carlo Schmid und Hans Scharoun, Frankfurt am Main 1969, S. 267 ff sowie Herbert Schambeck, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, S. 22. 539 Herbert Schambeck, Zur Bedeutung des Parlamentarismus, in: Recht, Glaube, Staat, Festgabe für Herbert Schambeck, hrsg. v. Walther Kaluza, Johann Penz, Martin Strimitzer und Jürgen Weiss, Wien 1994, S.106. 540 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: Strukturwandel der modemen Regierung, S. 176.
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XII. Regierung und Kontrolle
XII. Regierung und Kontrolle Voraussetzung politischer Verantwortung sowie öffentlicher Meinungsbildung Regierung und Kontrolle sind in einem demokratischen Verfassungsstaat eine Gegenüberstellung und kein Gegensatz. Sie stehen nämlich beide im Dienst demokratischer Verantwortung. Das Volk gibt ja sowohl dem kontrollierenden Parlament wie der kontrollierten Regierung, welche in einem parlamentarischen Regierungssystem vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist, die Begründung seiner Verantwortung im Staat.
Wenngleich in der Prüfung der verschiedenen Bereiche der Verantwortung, nämlich der politischen, rechtlichen und finanziellen Verantwortung, die Maßstäbe für deren Beurteilung sowie die Möglichkeiten der Geltendmachung verschieden sind, ist die Legitimation für ihr Handeln die gleiche. So beginnt auch das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz 1920 mit Art. 1: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Dieser Satz drückt in gleicher Weise die politische Freiheit und die staatsbürgerliche Gleichheit aus, welche auf eine verfassungsmäßige Ordnung im Staat gerichtet sind, in der vom Volk Vertrauen auf Zeit geschenkt wird. In diesem Sinne ist auch jede Funktionsausübung im demokratischen Verfassungsstaat eine Handlungsermächtigung auf Zeit, welche in Rechtsnormen auf verfassungsrechtlicher oder einfachgesetzlicher Ebene für alles Handeln im und für den Staat, daher auch für Regierung und Kontrolle, ihren Maßstab und ihre Wegweisung erhalten. Die Staatsrechtsordnung gibt dafür die normative Ordnung. Die Legitimation für diese Verantwortung im demokratischen Verfassungsstaat und ihre Ausübung in Funktionen gibt die Wahl. Sie stellt einen Vertrauensbeweis des Volkes dar, um den sich die zuständigen Funktionsträger im Staat bemühen.
XII. Regierung und Kontrolle
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Die Wahl gibt dem Volk die Möglichkeit zu seiner Repräsentation und den Verantwortlichen im Staat ihre Legitimation. In einem demokratischen Verfassungsstaat mit parlamentarischem Regierungssystem, wie es in Österreich der Fall ist, gibt es aber nicht allein ein gegenseitiges Angewiesensein vom Volk und seinen Repräsentanten, sondern auch der Repräsentanten untereinander. Sie stehen also in einem wechselseitigen, nämlich bedingenden bedingten Zusammenhang, der die Teilung der Gewalten im Staat und damit die gegenseitige Kontrolle zur Voraussetzung hat. Wie diese Verantwortung und ihre Kontrolle von Seiten des Parlaments und der Regierung gehandhabt wird, ist mit auch bestimmend für die Beurteilung durch das Volk und damit auch für die Wahl. Auf sie hin ist deshalb ein Großteil des Denkens, Strebens und Handeins in der demokratischen Republik, wie sie auch in Österreich seit 1918 gegeben ist, ausgerichtet. Je mehr Wahlen es aber in einem Staat gibt, desto mehr Bezugspunkte stellen sich für die Politik. In einem Föderalstaat wie Österreich sind diese Wahlen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene sowie seit dem EU-Beitritt Österreichs mit 1. Jänner 1995 mit der Wahl zum Europäischen Parlament, die ersten am 13. Oktober 1996, gegeben. Je pluralistischer eine Demokratie wird, desto dynamischer ist auch ihre Politik. Wollen doch möglichst alle politischen Kräfte in einer solchen demokratischen Republik auf schnellstem Weg zur verfassungsmäßigen politischen Verantwortung gelangen, was bei Wahlen Profilierungen sowie diese wieder Konfrontierungen voraussetzt. Die Kontrolle der politisch Verantwortlichen gibt hiezu Gelegenheit. Dabei kommt der Volksvertretung eine zentrale Aufgabe zu, der Parlamentarismus gibt zu deren Erfüllung die Gelegenheit. Die gewählten Volksvertreter bieten die Möglichkeit, demokratische Identität von Herrscher und Beherrschten erleben zu lassen; die von ihnen beschlossenen und zu rechtfertigenden Gesetze soll-
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XII. Regierung und Kontrolle
ten dies erfahrbar machen. Zu diesem Zweck sollten die Gesetze - im Rahmen des Möglichen - den Einzelnen im Staat auch ansprechen können, das heißt, verstanden werden. Hiezu wäre es begfÜßens- und erstrebenswert, wenn es den Volksvertretern gelingt, durch die Gesetzgebung beim Einzelnen nicht bloß beifallsheischend, sondern vielmehr im Staat pflichtenbegründend zu wirken. Peter Badura hat schon festgestellt: "Die sachliche Entscheidung und Regelung der Gesetze, von der Volksvertretung in politischer Gestaltungsfreiheit getroffen, wäre als legaler Gesetzesbefehl der parlamentarischen Mehrheit substantiell nicht mehr als eine obrigkeitliche Anordnung, wenn das Gesetz nicht auch eine innere Verbindung mit den guten und dauernden Bestrebungen und Vorstellungen der Gesellschaft aufweise ... Die Gesetzgebung wird zur Funktion der materiellen Wertentscheidungen und Gebote der Verfassung. ,,541 Zu dieser Verwirklichung der Verfassung liefert die parlamentarische Staatswillensbildung die Möglichkeit und die politischen Parteien durch ihre Kandidaten zu den Parlamentswahlen die Voraussetzungen. Die Wahlen sind in einer demokratischen Republik die Bedingung für die Handlungsfähigkeit des Staates sowie das Mitdenken, Mitbeurteilen und Mitentscheiden der einzelnen Verantwortlichen und der Einzelnen im Staat das Notwendige zum Bestehen der Demokratie. Die demokratische Republik setzt im Letzten zum Bestehen dieser Staatsform die Aktivhaltung ihrer Bürger voraus. Wo dies aber nicht der Fall ist, dort stirbt diese Staatsform, anfangs noch unbewußt, später aber immer deutlicher, ab. Umgekehrt ist bei einem autoritären Staat, wenn der Einzelne gegenüber dem Staat eine negative Haltung einnimmt, nicht der Staat in seiner Ordnung, sondern der Einzelne in seiner Existenz gefährdet, wofür leider nur allzuviele Beispiele in diesem Jahrhundert zeugen. 541 Peter Badura, Die Verantwortung des Gesetzgebers, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band XIV, Opladen 1989, S. 253.
XII. Regierung und Kontrolle
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In einem demokratischen Verfassungsstaat mit republikanischer Staatsform wie Österreich verbindet sich der demokratische Staatsaujbau mit den politischen Grundrechten, die Existenzvoraussetzung für die Demokratie überhaupt sind, wie insbesondere das Wahlrecht, weiters die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit. Die Ordnung des Staates verbindet sich mit der Freiheit der Meinungs-, Urteils- und Willensbildung. Dies bezieht sich in gleicher Weise auf die Beziehung des Einzelnen zum Staat und seine Repräsentanten wie auf diese untereinander. Es ist dies auch in Österreich ein Vorgang gegenseitiger Verantwortung, der in und vor der Öffentlichkeit erleb- und erkennbar ist. 542
In und vor der Öffentlichkeit wird auch Verantwortung im und für den Staat ausgeübt, das gilt im besonderen auch für die Regierung und ihre Kontrolle. Das Regieren und Kontrollieren ist ein Vorgang in der Öffentlichkeit und in sowie vor dieser mehr oder weniger registriert und diskutiert. Es ist zwar nicht jede Kontrolle, wie z. B. die innerhalb einer Behörde, von der breiten Öffentlichkeit einsicht- und beurteilbar, aber die im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems ist es. Die Ausübung der Kontrolle im parlamentarischen Regierungssystem ist mit ein Kriterium für die Wertung der Politik und ihrer Repräsentanten im Staat! Je kritischer die Menschen im Leben werden und je deutlicher die Richtigkeit des Satzes "bad news are good news" erlebbar ist, desto mehr wird auch die Regierung und ihre Kontrolle beobachtet. Dabei zeigt sich, daß nicht bloß das Parlament die Regierung kontrolliert, sondern auch beide von der Öffentlichkeit kontrolliert werden. Die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Regierung ist transparent. Sehr deutlich ist dies in Österreich z. B. bei der Fernsehübertragung von Sitzungen im National- und Bundesrat oder durch die Presse542 Siehe näher Herbert Schambeck, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung.
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XII. Regierung und Kontrolle
aus sendungen zu schriftlichen Anfragen, Resolutionen, Zitationen, Enqueten, Untersuchungsausschüssen, Prüfungsanträgen beim Verfassungsgerichtshof und beim Rechnungshof. Diese Kontrolle durch die Öffentlichkeit und in der Öffentlichkeit ist sicher auch für das Wählerverhalten mit ausschlaggebend! Diese Tatsache begleitet viele im politischen Leben sowohl auf Seiten der Regierung als auch des Parlaments. Gemeinsam können sie wissen, kontrolliert zu werden. Dies ist zwar keine institutionalisierte Kontrolle, aber eine durch Grundrechte, wie etwa auf freie Meinungsäußerung oder auf Pressefreiheit garantierte. Wie, was und wann kontrolliert wird, ist Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung. Dies zeigt sich beim Einzelmenschen und bei den Massenmedien, Rundfunk und Fernsehen in gleicher Weise. Der Einzelne kann Briefe an Politiker und an Zeitungen über seine Bewertung der Politik und damit auch der Kontrolle schreiben. Er kann den persönlichen Kontakt mit Politikern suchen, etwa bei deren Sprechstunden und in öffentlichen Versammlungen, kein Politiker bleibt bei derartig kritischen Äußerungen ungerührt! Eine eigene kontrollierende, weil mitdenkende und mitbeurteilende Tätigkeit üben die Massenmedien aus. In vielen Fällen werden Vorgänge zum Gegenstand und Inhalt parlamentarischer Kontrolle der Regierung aufgrund von Recherchen durch Massenmedien; insbesondere Untersuchungen von Journalisten und Berichte in und von Zeitungen werden im zunehmenden Maße Anlaß und Inhalt von Kontrollaktivitäten verschiedener Art von parlamentarischen Körperschaften gegenüber der Regierung. Journalisten sind oft viel dynamischer, flexibler und unbeschwerter als Politiker und deren Parteien, deren Wollen und Tun bisweilen auch von Rücksichtnahmen verschiedenster Art begleitet werden. Darum kommt es auch fast laufend vor, daß erst nach Veröffentlichungen in Massenmedien parlamentarische Kontrollaktivitäten, bisweilen auch polizeiliche Maßnahmen, ja sogar Gerichtsverfah-
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ren stattfinden. Diese Beispiele, die sich vermehren und vertiefen ließen, zeigen, daß im heutigen öffentlichen Leben die institutionalisierte Kontrolle alleine nicht ausreicht, sie ist mit dem gesamten parlamentarischen Regierungssystem eingebettet in das immer breiter und tiefer werdende demokratische Leben, das heißt, auch in ein menschliches Miteinander, das im zunehmenden Maße demokratisiert und damit verpolitisiert wird, wodurch sich immer mehr Menschen, auch jene, die rechtlich hiezu gar nicht legitimiert sind, zur Beurteilung von anderen berufen fühlen. Hat man schon bisher im Hinblick auf die ständig wachsende Zahl von Gesetzesinitiativen von seiten der Regierung, also von Regierungsvorlagen, von einem Parlament gesprochen, welches immer mehr zum Ratifikationsorgan des außerparlamentarisch Vorbereiteten und Vereinbarten wird, und als einen nahezu kompensatorischen Ausgleich auf die eigenständige Bedeutung der Kontrollfunktion des Parlaments verwiesen, so wird nunmehr immer mehr auch die parlamentarische Kontrolle von außerparlamentarischen Momenten mitbestimmt. Dabei muß man allerdings bemerken, daß Regierungsvorlagen in allen Parlamenten zum Klassischen der Gesetzgebung zählen, ihr Einfluß und ihre Bedeutung hängt nur von deren Zahl ab, die in den letzten Jahren auch im Hinblick auf die Komplexheit von Materien in Zunahme begriffen ist, während die Wirkung von massenmedialen Aktivitäten im sei ben Maß nicht staatsrechtlich vorgeschrieben, aber auch nicht verboten sind, im Gegenteil sich aus der Meinungs- und Pressefreiheit als verfassungsrechtlich zulässig ergeben. Diese massenmediale Aufbereitung von Mißständen und Notwendigkeiten kann im Zusammenhang mit dieser mitkontrollierenden Tätigkeit und der damit verbundenen Kritik nicht nur zu einem unabweisbaren Beitrag zur parlamentarischen Kontrolle, sondern auch zu einem wegweisenden Beitrag zur Gesetzgebung führen; letzteres zeigte sich kürzlich in Österreich im Zusammen-
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hang mit der Bezügereform von öffentlichen Funktionären im Bezügereformgesetz. 543 Auf allen diesen Gebieten ist es wichtig, daß das Parlament sich in ausgewogener Weise der öffentlichen Meinungsbildung stellt und sich nicht zu sehr zu einer bloßen Anlaßgesetzgebung verleiten läßt. Genauso wie in einem Staat, wie Österreich, der Einrichtungen der direkten Demokratie kennt,544 wie z. B. Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung, diese richtig eingeschätzt werden müssen, nämlich etwa ein Volksbegehren nicht als ein Begehren des Volkes, sondern aus dem Volk,545 so ist die etwa in Zeitungen veröffentlichte öffentliche Meinung nicht eine solche der Öffentlichkeit, sondern aus der Öffentlichkeit. 546 Es ist daher von Wichtigkeit, daß all diese Aktivitäten im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung vom Parlament als von dem gesamten Volk gewählter allgemeiner Vertretungskörper ausgewogen gemeinwohlgerecht in Behandlung genommen werden und Parlamentarier sich nicht als Getriebene erweisen, welche das Parlament zu einem Kräftefeld werden lassen, in dem egozentrische Anliegen oder bloß Gruppeninteressen vertreten und ausgeglichen werden. Dies stellt an politische Parteien und Interessenvertretungen, aber auch an die Massenmedien selbst große Anforderungen und verlangt ein Maß an Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung, die dem Gemeinwohl dienen können. Wo aber der Eindruck entsteht, daß jede Partei unter Absehung ihres Wortsinnes, der nämlich von Partei zum lateinischen Wort pars führt, was Teil bedeutet, nur an ihre Mitglieder denkt und in BGBL Nr. 392/1996. Volksbegehren: Art. 41 Abs. 2 und Art. 46 B-VG; Volksabstimmung: Art. 43, 44 Abs. 3,45 und 46 B-VG; Volksbefragung: Art. 49 b B-VG. 545 So schon Herbert Schambeck, Das Volksbegehren, S. 38. 546 In diesem Sinne schon Herbert Schambeck, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, S. 32. 543
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gleicher Weise ein Interessenverband nur an seine Anliegen und all die berufsständisch Heimatlosen übersieht, läuft man Gefahr, daß sich Gruppierungen der Übersehenen bilden, welche sich auch außerparlamentarisch organisieren und aktivieren, was, wie sich auch schon erwiesen hat, bis zur außerparlamentarischen Opposition reichen kann. Von diesen in ihren persönlichen und sachlichen Anliegen Unberücksichtigten, welche sich außerparlamentarisch gruppieren, sind jene Menschen zu unterscheiden und abzulehnen, welche mangels entsprechenden Ordnungs-, Rechts- und Staatsbewußtsein den Staat und seine Rechtsordnung ablehnen, ja ihn in Formen des Anarchismus und Terrorismus bekämpfen. Für die erstgenannte Gruppierung sich unberücksichtigt fühlender Menschen ist eine sie möglichst einbeziehende Politik und für die letztgenannten sogenannten "Aktionisten" eine konzentrierte Erziehung zum Staat nötig, dessen Ordnung für Elemente kriminell werdender Natur auch den Einsatz von Schutzmaßnahmen verlangt. Von diesen leider in verschiedenen Staaten erlebbaren Extremisten abgesehen, ist es notwendig, daß die parlamentarische Staatswillensbildung in Gesetzgebung und parlamentarischer Kontrolle der Regierung möglichst vielen im Staat als Ausführung des bei der Wahl erteilten und wiederholbaren Vertrauensbeweises angesehen wird. Die in einem Parlament als allgemeiner Vertretungskörper zum Tragen kommende Repräsentation und Kontrolle sollte vom Einzelnen als miteinbezogen und nicht als ausgegrenzt erlebbar sein. Er soll möglichst weitgehend sowohl die gesetzgebende als auch die kontrollierende Tätigkeit des Parlaments erleben und verstehen können. Nachdem Parlament und Regierung letztlich im gleichen Volksauftrag stehen, wobei die einen in das Parlament wiedergewählt und die anderen in die Regierung wiederberufen werden wollen, kann die Kontrolle der Regierung durch das Parlament sowohl aus der Sicht der Kontrollierenden als auch der
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Kontrollierten dem demokratischen Auftrag dienen. Das liegt auch im Sinn der Repräsentation des Volkes selbst begründet, von der Peter Lerche erklärte, sie "ist nicht auf organisierte Interessen, sondern auf den Staat bezogen".547 In dieser Sicht sollen Gedanken über "Regierung und Kontrolle" nicht Ausdruck einer Betrachtung von Möglichkeiten und Grenzen von Herrschaftstechniken als Selbstzweck sein, sondern vielmehr verstanden werden als ein Beitrag zur Erkenntnis aktueller Verantwortung im Staat für das Volk, in deren Auftrag letztlich Regierung und Kontrolle notwendig sind.
547 Peter Lerche, Grundfragen repräsentativer und plebiszitärer Demokratie, in: Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, Symposion zum 60. Geburtstag von Peter Badura, hrsg. v. Peter M. Huber u.a., Tübingen 1995, S. 182.