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German Pages 383 [384] Year 2008
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London
Publications of the German Historical Institute London
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Herausgegeben von Andreas Gestrich Band 62
Publications of the German Historical Institute London Edited by Andreas Gestrich Volume 62
R. Oldenbourg Verlag München 2008
Florian Altenhöner
Kommunikation und Kontrolle Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914/1918
R. Oldenbourg Verlag München 2008
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INHALTSVERZEICHNIS Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I.
Die Presse, das Militär und der kommende Krieg . . . . . . . . . . . .
25
I.1.
Zeitungen in Berlin und London. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
I.2.
Militär und Presse zwischen Kooperation und Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Diktaturen des Ausnahmezustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III. Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
III.1. Zensurapparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.1. Oberzensurstelle und Kriegspresseamt . . . . . . . . . . . . III.1.2. Press Bureau und M.I.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 53 59
III.2. Aufgaben der Pressezensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.1. Zentralisierung und Reglementierung von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.2. Disziplinierung der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 69 75
III.4. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
IV. Kommunikationskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
IV.1. Öffentliche Meinungen zwischen Manipulation und Kontrolle
89
IV.2. Nachrichtendienste und politische Polizeien . . . . . . . . . . . . . . .
94
IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung . . . . . . IV.3.1. Beobachtung der Stimmung im Deutschen Reich . . . . IV.3.2. Fahndung nach Subversion in Großbritannien . . . . . .
112 112 116
IV.4. Wahrnehmungen der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
IV.5. Maßnahmen gegen Gerüchte im Deutschen Reich 1914–1918
126
IV.6. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten im Sommer und Herbst 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
V.1.
Zwischen Frieden und Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
V.2.
Strukturelle Gleichrichtung der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154
II.
V.
VI
Inhaltsverzeichnis
V.3.
Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung . V.3.1. Berlin: „Für alles finden sich Augenzeugen“ . . . . . . . . Fallbeispiel: ‚Das Flugzeug von Nürnberg‘ . . . . . . . . . V.3.2. London: „Rumours, rumours, no definite news“ . . . . Fallbeispiel: ‚The Russian Rumour‘ . . . . . . . . . . . . . . .
161 161 170 176 185
V.4.
Feindmarkierung durch Gerüchte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.4.1 Spione, Saboteure und Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.4.2. Gräueltaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 192 201
V.5.
Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
205
V.6.
Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918 . . . . . . . . . . . .
221
VI.1. Überleben im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen . . . . . . . . . . . VI.2.1. Berlin zwischen Hoffnung und Katastrophe . . . . . . . . VI.2.2. London zwischen Krise und Triumph . . . . . . . . . . . . .
228 228 244
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten . . . . . . . . . . . VI.3.1. Luftangriffe auf London und Gerüchte 1915–1918 . . . VI.3.2. Gerüchte und der Kampf gegen den inneren Feind in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.3.3. Konturen des inneren Feindes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 256
VI.4. Die Novemberrevolution als Kommunikationsereignis . . . . . .
291
VI.5. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
VII. Ausblick und Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
VII.1. Gerüchte und Kontinuitäten der Überwachung . . . . . . . . . . . .
307
VII.2. Nichts als Gerüchte?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315
Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
326
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
328
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
373
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VORWORT Vorliegendes Buch ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die ich 2005 bei der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht habe. Der Weg einer Dissertation vom ersten Antrag zum Buch ist lang und nicht immer geradlinig. Dass diese Reise zu einem guten Ende kam, verdanke ich der Förderung durch meine Betreuer, Professor Heinrich August Winkler und Professorin Gisela Bock. Dank auch den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs ’Gesellschaftsvergleich‘ und dem Koordinator Armin Triebel. Der Vergleich ist zwar schön, macht aber auch viel Arbeit! Ohne die Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vieler Archive und Bibliotheken in Deutschland und Großbritannien wäre diese nicht zu bewältigen gewesen. Dass es gerade das Centre Marc Bloch war, welches dem Kolleg in Berlin ein allwöchentliches Zuhause bot, war nur einer von vielen Kreisen, der sich mit dieser Arbeit schloss. Prof. Dr. Hagen Schulze, und dem Beirat des DHI London danke ich für die Aufnahme des Buchs in die Reihe Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts. Eine Dissertation über Gerüchte ist die Verfolgung einer ebenso flüchtigen wie scheuen Beute. Die Jagd nach diesem ’moving target‘ bedarf eines langen Atems; Gerüchte in den Quellen zu fassen, ihnen über das Anekdotische hinaus Erkenntnis abzuringen und über die zu schreiben, ist nicht allein das Verdienst des Autors, sondern auch der Geduld, des Zu- und Widerspruchs Anderer. Die Kritik von Markus Mösslang und Jane Rafferty, DHI London, hat das Buch an vielen Stellen verbessert. Zu danken ist, last but not least, Christoph Jahr, der es auf sich nehmen musste, das Manuskript in einer ungekürzten Fassung zu lesen, Esther Krähwinkel und Günter Vonhoff (für die Sprache), meinen Eltern Gudrun und Klaus Altenhöner in Gahlen und Montpellier und vor allem Tinka Geppert, ohne die nicht nur dieses Buch ein anderes wäre. Berlin, im Juli 2007
Florian Altenhöner
EINLEITUNG Angesichts des drohenden Krieges kehrten Ende Juli 1914 in ganz Europa Urlauber in ihre Heimat zurück. Während ihrer Rückreise begegneten sie einem ausgestorben geglaubten Phänomen: dem Gerücht. In Zügen und auf Bahnhöfen waren sie einer Flut von Nachrichten, Falschmeldungen und Missverständnissen ausgesetzt.1 In kaum einem anderen Zeitraum der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts waren so viele Gerüchte verbreitet wie in den ersten Wochen des Ersten Weltkrieges. Sind sie, wie 1914, eine Massenerscheinung jenseits nationaler Grenzen, so wird deutlich, dass es sich hier um Symptome handelt, die auf gesellschaftliche Krisen hindeuten. Sie sind daher mehr als nur amüsante Anekdoten in einer Geschichte des Ersten Weltkriegs, sondern verweisen auf komplexe Veränderungen im Verhältnis zwischen Publikum, ‚öffentlicher Meinung‘ und Staat. Das Interesse der Geschichtswissenschaft an Gerüchten begann nicht erst mit ihrer Entwicklung zur (neuen) Kulturgeschichte. Schon nach dem Ersten Weltkrieg thematisierten Historiker vereinzelt Gerüchte als gesellschaftliche Prozesse. Als klassisches Beispiel für eine solche historische Untersuchung über Gerüchte gilt Georges Lefebvres 1932 erschienenes Werk über die ‚Große Furcht‘ von 1789.2 Obwohl Lefebvre die ‚Große Furcht‘ als ein einziges gigantisches Gerücht bezeichnete, unterließ er eine weiterführende Offenlegung dieses Gegenstandes gegenüber dem Leser. Nach Irmgard Harig waren die ‚Gräuelmärchen‘ des Ersten Weltkrieges ein Anstoß für Lefebvres Arbeit.3 Auf seine Kriegserfahrungen als Frontoffizier griff auch der französische Historiker Marc Bloch für seinen Aufsatz „Reflexions d’un Historien sur les fausses nouvelles de la guerre“ zurück. In seinen Perspektiven als Historiker, Frontsoldat und Rezipient der Zeugenpsychologie nahm Bloch eine Sonderstellung unter europäischen Historikern ein, da ihn gerade das Unvollkommene und Fehlerhafte der fausses nouvelles reizte.4 Marc Bloch war einer der wenigen Historiker, die aus ihrem Kriegserlebnis methodische Erkenntnisse für ihre Arbeiten schöpften. In seinem 1921 veröffentlichten Aufsatz schilderte er die gegenseitige Beeinflussung der noch jungen Zeugenpsychologie und Geschichtswissenschaft. Anfänglich habe die Psychologie vom Skeptizismus der historischen Quellenkritik lernen können, die Ergebnisse der Zeugenpsychologie zeigten aber, dass auch zuverlässige Zeugnisse unvermeidlich Ungenauigkeiten und Unwahrheiten enthalten – nun erhielten Historiker durch die Psychologen eine Lektion in Skeptizismus.5 1 2 3 4 5
Muehlon, Fremder, S. 126; Oman, Presidential Address, S. 9. Lefebvre, Grande Peur. Vgl. die Rezension durch Bloch, Große Angst. S. a. Revel, Große Angst. Harig, Zur sozialen Interpretation, S. 15. Bloch, Falschmeldungen, S. 187–199. Ebd. Blochs Aufsatz hatte eher programmatischen Charakter, dem sich keine weiteren Arbeiten über diesen Gegenstand anschlossen. Über den Einfluss der Kriegserfahrungen
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Einleitung
Forschungsstand Bereits seit einigen Jahrzehnten sind Gerüchte Gegenstand der Sozialwissenschaften.6 Aufgrund völlig unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und -verfahren fällt es jedoch schwer, deren Ansätze und Resultate auf geschichtswissenschaftliches Arbeiten zu übertragen. Ahistorische psychologische und sozialpsychologische Modelle sind nur bedingt in der Lage, historische Deutungen und Erklärungen zu bieten. Sozialwissenschaftliche Methoden und Begriffe, die zum Teil unter Laborbedingungen entstanden sind, eignen sich nur eingeschränkt für eine historiographische Aneignung. Mehrheitlich sucht die (sozial-) psychologische und soziologische Literatur anhand historischer Beispiele zu allgemeinen Aussagen über Gerüchte, nicht aber zu spezifischen Aussagen über die Vergangenheit zu gelangen.7 Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, die über Gerüchte forschten, teilen die Einschätzung, in Gerüchten vor allem das Unzutreffende, Falsche und Verwirrende zu sehen. Erkenntnisleitendes Interesse der meisten Psychologen und Soziologen, die sich bislang mit diesem Phänomen auseinander setzen, war sowohl das Formulieren von Gesetzmäßigkeiten der Entstehung und Verbreitung von Gerüchten als auch ihre Kontrolle und Verhinderung. Kaum eine Publikation über Gerüchte, deren Schlusskapitel oder Anhang nicht Maßregeln oder Empfehlungen zum Umgang mit und zur Vermeidung von Gerüchten empfiehlt.8 Dieses Herangehen ist nur bedingt geeignet, Perspektiven auf Gerüchte zu entwickeln, die auf ein Verständnis von Gesellschaften abzielen. Obwohl verschiedene Studien vorliegen, die Gerüchte in einem geschichtlichen Kontext thematisieren, fehlen Konzepte, die diese Perspektive systematisierend erweitern.9 Kurze Überblicke über das Verhältnis Geschichte und Gerüchte finden sich bei Jakob Vogel und Jörg Requate.10 Die meisten Studien, die Gerüchte in einem geschichtswissenschaftlichen Kontext thematisieren, beschäftigen sich mit dem 18. und 19. Jahrhundert.11 Requate hat gezeigt, dass im 18. und frühen 19. Jahr-
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Blochs auf sein Gesamtwerk als Mediävist: Raulff, Marc Bloch, S. 66–180. Einen klassischen biographischen Überblick über die Kriegserfahrungen Blochs gibt Fink, Marc Bloch, S. 54–78. Allgemein zur Zeugenpsychologie s. Kap. IV.5. Cornwall und Moore, Rumour and Legend; Kapferer, Gerüchte; Lauf, Gerücht; Lerg, Gespräch; Pendleton, Rumor; Rosnow und Fine, Rumor; Shibutani, Improvised News. Als Beispiel: Shibutani, Improvised News. Anwendungsbereiche der Ergebnisse der Gerüchteforschung sind u. a.: Werbung, Marketing, betriebsinterne Kommunikation und die psychologische Kriegführung. Als eine knappe Auswahl: Vgl. Koenig, Rumor; Stroebe, Kommunikation; Portner, Gerücht; Schuh, Gerücht. Ein Überblick bei: Bruhn und Wunderlich (Hrsg), Medium Gerücht. Daniel, Informelle Kommunikation; Dröge, Der zerredete Widerstand; Lefebvre, Die große Furcht; Raulff, Clio; Vogel (Hrsg.), Politik des Gerüchts; Eibach, Gerüchte; Holenstein und Schindler, Geschwätzgeschichte(n); Merriman, Les ‚on dit que‘. Vogel (Hrsg.), Politik des Gerüchts; Requate, Unverbürgte Sagen. Ein Schwerpunkt ist das Frankreich des 18. Jahrhunderts. Farge, Lauffeuer in Paris; Farge und Revel, Vanishing Children; Darnton, Early Information Society; Sälter, Gerüchte;
Einleitung
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hundert die Kommunikation von Gerüchten „eher den Normalfall“ und weniger „eine Sondersituation der Kommunikation“ darstellte.12 Allerdings haben sich Historikerinnen und Historiker nur vereinzelt grundsätzlich mit dem Gerücht auseinander gesetzt13, so dass weder eine schlüssige, allgemein gültige Definition, noch eine allgemeine Einordnung in Fragestellungen der Geschichtswissenschaft vorliegen. Im 20. Jahrhundert waren Gerüchte nicht mehr Normalfall, sondern traten nur noch in Ausnahmesituationen wie Katastrophen, Kriegen und Diktaturen gehäuft auf.14 Obwohl Gerd Krumeich Gerüchte als eine zentrale Dimension für eine Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges bezeichnet hat, waren sie bislang nicht Gegenstand eigener Untersuchungen.15 Zwar lieferte Karl Ludwig Ay 1968 eine recht schlüssige Definition des Phänomens, unterließ es aber, eine dieser Definition folgende, über eine Aufzählung hinausgehende Untersuchung anzuschliessen.16 Ute Daniel schloss 1993 mit ihrem Aufsatz „Informelle Kommunikation und Propaganda in der deutschen Kriegsgesellschaft“ an Ays Überlegungen an. Sie untersuchte das durch das kriegsbedingt gesteigerte Informationsbedürfnis der Bevölkerung entstandene Netz informeller Kommunikation und das Entstehen der „Überlegungen und Praxisversuche umfassender gelenkter Wirklichkeitskonstruktion als neues staatliches Aufgabenfeld.“17 Daniel unterliegt dabei einem verbreiteten Irrtum, indem sie informelle Kommunikation begrifflich nicht von Gerüchten trennt; beide sind keineswegs gleich. Auch in der Gerüchte explizit thematisierenden Literatur findet sich zuweilen die Tendenz, Gerüchte allgemein mit Mündlichkeit gleichzusetzen. So bezeichnet der französische Psychologe Jean-Noel Kapferer Gerüchte als das älteste Massenmedium der Welt und meint damit schlicht Mündlichkeit. 2003 wurden Gerüchte als Eintrag in die Enzyklopädie Erster Weltkrieg aufgenommen.18 Zunehmend sind gerade in den letzten Jahren Arbeiten erschienen, die Gerüchte im Kontext des Kriegsausbruches 1914 thematisieren.19 Im Rahmen eines
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Würgler, Fama. Zu weiteren Themenfeldern s. Hüchtker, Da hier zu vernehmen gekommen; Canevali, False French Alarm; Eibach, Gerüchte; Merriman, Les ‚on dit que‘; Hachtmann, Macht des Gerüchts; Wickham, Gossip; Roberts, Arson; Fox, Rumour; Corbin, Dorf; Kies, Hörensagen. Requate, Unverbürgte Sagen, S. 253. Bloch, Falschmeldungen; Raulff, Clio; White, Between; Vogel (Hrsg.), Politik des Gerüchts. Dröge, Der zerredete Widerstand; Roland, Gerücht; Eisenfeld, Gerüchteküche DDR. Krumeich, Kriegsgeschichte, S. 20, Anm. 54. „Gerüchte sind Ausdruck ungenügender Informiertheit, des Mißtrauens gegen die zugängliche Information, der Phantasie oder Ausdruck von Wünschen oder Ängsten. In ihnen spiegelt sich die Weltvorstellung dessen, der sie verbreitet, und dessen, der sie glaubt. Sie sind zugleich Folge von Zuständen und zustandsprägende Kräfte; sie entspringen Wunschund Angstvorstellungen und prägen sie zugleich.“ Ay, Entstehung, S. 178. Daniel, Informelle Kommunikation, S. 76–77. Bei dem Aufsatz handelt es sich um ein überarbeitetes Kapitel ihrer Dissertation Arbeiterfrauen. Reimann, Gerücht. Stöcker, Augusterlebnis, bes. S. 72–75; Gehlen, Ein einig Volk, S. 45–47; Raithel, Wunder, bes. S. 447–456; Geinitz, Kriegsfurcht, S. 159–183.
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Einleitung
auf Gerüchte fokussierten Ansatzes erscheinen sie jedoch unbefriedigend, da ihnen mehrheitlich kaum mehr als der Rang eines illustrierenden Details zuerkannt wird. Dem gegenüber gilt: „false rumour is a real social fact [and] the more a public rumour is false, implausible and fantastic, the more its history promises to be rich in lessons.“ Das Studium von Gerüchten könne dafür benutzt werden, „conditions that make its emergence and circulation possible, about the state of mind, the mentalités and the imagination of those who accepted it as true“ sichtbar zu machen.20 Zwar zählt die Medien- und Kommunikationsgeschichte zu den „Boombereichen der Geschichtswissenschaft.“21 Aber kommunikationsgeschichtliche Arbeiten, die zu einem Großteil kaum mehr als medienwissenschaftliche Fragestellungen bearbeiten, orientieren sich in Begriffsbildung und Forschungsgegenständen an einem idealtypischen ‚Normalzustand‘ von Öffentlichkeit und Kommunikation.22 Wird dieses gängige Vokabular auf krisenhafte Gesellschaften angewendet, dann stoßen entsprechende Terminologien an ihre Grenzen. Vor allem ist das Verhältnis von Medienwirklichkeit und Alltagserfahrung als dynamischer Prozess zu erklären. Entscheidendes Defizit weiter Teile der Kommunikationsforschung ist, dass zwar einerseits mit ‚Medienwirklichkeit‘ ein Begriff eingeführt wurde, der gesellschaftliche Wirklichkeiten von ihrer medialen Darstellung unterscheiden soll,23 aber andererseits fehlt ein Begriff, der verdeutlicht, dass die Aneignung der Medieninhalte durch Rezipienten keine schlichte Kopie der Medienwirklichkeit ist. Die klassische Medienwirkungsforschung ist daher nur bedingt in der Lage, die Wirkungen medienvermittelter Kommunikation in Gesellschaften zu erfassen.24 Solange Medien nicht verstärkt in Beziehung zum Prozess ihrer Rezeption durch ein konkretes Publikum und ihrer Folgen im Alltag gesetzt werden, bleibt ihre Betrachtung eindimensional. Konsumenten massenme20 21
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Baczko, Ending the Terror, S. 3–4. S. a. Raulff, Clio, S. 105; Bloch, Apologie, S. 84. Frank Bösch, Rezension zu: Moshe Zuckermann (Hrsg.), Medien-Politik-Geschichte. Göttingen 2003, in: H-Soz-Kult (5. 2. 2004), www.hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-068. „Historische Kommunikationsforschung fragt nach den Funktionen und Veränderungen der Kommunikationsformen im Kontext des Wandels der sozialen, politischen und mentalen Strukturen einer Gesellschaft. Diese Zusammenhänge sind bislang noch ganz unzureichend erforscht.“ Gestrich, Absolutismus, S. 23. An der 1987 von Hartwig Gebhardt getroffenen Feststellung, dass „in der wissenschaftlichen Praxis – trotz allgemeiner Bekenntnisse von Pressegeschichte als ‚Kommunikationsgeschichte‘ – historische Presse vorwiegend als phänomenologisches Problem behandelt wird, hingegen der prozessuale Zusammenhang von Produktion, Rezeption und Wirkung entweder gar nicht wahrgenommen oder aber als nicht erforschbar gedeutet wird“, ist auch weiterhin zuzustimmen. Gebhardt, Interesse, S. 17–18. Vgl. Requate, Öffentlichkeit, S. 9. Einen Überblick über verschiedene Ansätze bietet: Rosenberger, Zeitungen, S. 87–89 und S. 97–105. Nach Rosenberger bildet Medienwirkungsforschung das Verbindungsstück zwischen Journalisten und ihren Lesern und zeigt das Verhältnis zwischen Berichterstattung und Realität. Ebd., S. 97. Zum Konzept der Medienwirkungsforschung vgl. Wilke, Ansätze; Schulz, Medienwirkungen.
Einleitung
5
dialer Botschaften sollen im Rahmen dieser Arbeit daher nicht als passive Rezipienten verstanden werden, sondern sind als die eigentlichen, nämlich die ‚subjektiven Produzenten der handlungsrelevanten Botschaften‘ im Prozess der Massenkommunikation anzusehen.25 Ein Beispiel: Nach britischen und französischen Luftangriffen entwickelte sich im Herbst 1917 in Stuttgart und Umgebung das Gerücht, deutsche Flugzeuge hätten die Bombardierungen ausgeführt, „um für die 7. Kriegsanleihe Stimmung zu machen.“26 Als Anlass des Gerüchtes nahm das Stellvertretende Generalkommando den geringen Bombenschaden an.27 Aus der Erfahrung der Luftangriffe und der entsprechenden Berichterstattung wurde ein Schluss gezogen, der im Gegensatz zu den tatsächlichen Ereignissen und der Berichterstattung der Presse stand. So wichtig es ist, „die Funktionsweisen der Medien, die Spannungsfelder, in denen sie sich bewegten, und ihre Rolle im öffentlichen Kommunikationsprozess schärfer in den Blick zu nehmen“28, so kurzsichtig scheint es, das Publikum und damit Medienwirkung, -nutzung und -zufriedenheit zum einen, und zum anderen (massen-)medienunabhängige Kommunikationsformen außer Acht zu lassen. Die Kommunikationsgeschichte des Weltkrieges beschränkt sich auf die Analyse medialer Inhalte, Zensur und Propaganda – z. B. bei der Geschichte der Photographie während des Krieges.29 Prozesse der Aneignung medialer Inhalte fanden bislang nur wenig Interesse. Zudem liegen gerade zu diesen Themenfeldern nur wenige komparative Arbeiten vor. Ein Vergleich nationaler Kommunikationsstrukturen wird durch unterschiedliche Forschungsinteressen und daraus resultierende Forschungsstände erschwert. So kam der Feldpost in Großbritannien eine weitaus geringere Aufmerksamkeit zu als im Deutschen Reich und eine der Studie Bernd Ulrichs entsprechende Untersuchung der britischen Feldpost fehlt.30 Dagegen liegt über den Ersten Weltkrieg insgesamt eine nicht überschaubare Zahl von Untersuchungen vor. Hierbei ist in den letzten Jahren zunehmend eine internationale Ausrichtung der Forschung zu beobachten. Diese Entwicklung findet ihren Niederschlag einerseits in einer Vielzahl von Sammelbänden mit internationaler Perspektive31 und andererseits in einer zuneh25 26 27 28 29 30
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Gestrich, Absolutismus, S. 14. WüHStA M 77/1, Nr. 456. Vgl. Heimatdienst in Württemberg 26 (5. 10. 1917), S. 16. Requate, Öffentlichkeit, S 9. Eisermann (Hrsg.), Pressephotographie; Holzer (Hrsg.), Kamera; Zühlke (Hrsg.), Bildpropaganda. Ulrich, Augenzeugen. Eine vergleichende inhaltliche Auswertung deutscher und britischer Feldpostbriefe durch Reimann, Der große Krieg. Nicht eingesehen werden konnte: Schneider, What Britons Were Told. Durch die heterogene Forschungslage wird z. B. ein Vergleich nationaler Geheimhaltungskulturen erschwert. Es fehlt eine deutsche Entsprechung zur Studie von Vincent, Culture of Secrecy. Vandenrath (Hrsg.), Psychoses de Guerre; Cecil und Liddle (Hrsg.), Facing Armageddon; Horne (Hrsg.), State; Kruse (Hrsg.), Welt; McLeod und Purseigle (Hrsg.), Uncovered Fields; Roshwald (Hrsg.), European Culture; Stanzel (Hrsg.), Intimate Enemies; Mommsen (Hrsg.), Der erste Weltkrieg; Mackaman und Mays (Hrsg.), World War I;
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Einleitung
menden Anzahl vergleichender Studien.32 Als beispielhafte Arbeit dieser Entwicklung ragt neben dem genannten Sammelband Capital Cities Hew Strachans erster Band der Geschichte des Ersten Weltkrieges hervor.33 Wichtige komparative Impulse gehen auch aus der auf eine von Roger Chickering und Stig Förster initiierte Konferenzserie zurückgehenden Reihe von Sammelbänden hervor.34 Zudem erschienen mehrere Ansätze chronologischer Vergleiche zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg.35 Gerüchte und Öffentlichkeiten Gerüchte werden als kollektive Handlungen verstanden, die aus kognitiven und kommunikativen Elementen bestehen und entstehen, wenn Menschen in unbestimmten und problematischen Situationen versuchen, eine sinnhafte Deutung dieser Situation zu erlangen, indem sie ihre intellektuellen Fähigkeiten zusammenwerfen. Gerüchte unterscheiden sich von vergleichbaren Diskursformen in entsprechenden Kontexten dadurch, dass die einzelnen kognitiven und kommunikativen Handlungsschritte eher informeller Art sind.36 Nach dem amerikanischen Soziologen Tamotsu Shibutani ist die wesentliche Bedingung für das Entstehen von Gerüchten das Gefälle zwischen dem Informationsbedürfnis und dem Informationsangebot, welches durch formelle Informationskanäle zur Verfügung gestellt wird. Ihm zufolge sind Gerüchte Informationsersatz – praktisch jedoch Informationen, die nicht durch institutionelle Kanäle verbreitet werden.37 Je größer das unbefriedigte Informationsbedürfnis, desto höher ist nach Shibutani die Wahrscheinlichkeit, dass Gerüchte entstehen. Das Informationsbedürfnis ist abhängig vom Grad der kollektiven Erregung; beide Faktoren hängen wiederum von der Intensität ab, mit der die entsprechende Situation erlebt wird.38 Bevor im Folgenden Gerüchte definiert werden, sind sie zunächst von ähnlichen Phänomenen wie Verschwörungstheorien, Klatsch, Legenden und Nachrichten zu unterscheiden. Handelt es sich bei Gerüchten um kommunikative Praktiken, so sind Verschwörungstheorien als Zuweisung von Bedeutungen zu verstehen.39 Sie entstehen an den Rändern von Öffentlichem, Geheimen und Pri-
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Liddle (Hrsg.), Passchendale; Becker und Audoin-Rouzeau (Hrsg.), Sociétés Européennes; Braybon (Hrsg.), Evidence. U. a. Artinger, Agonie; Jahr, Soldaten; Reimann, Der große Krieg; Müller, Nation; Raithel, Wunder; Jeismann, Vaterland. Winter und Robert (Hrsg.), Capital Cities. Ein zweiter Band der Forschergruppe ist in Vorbereitung. Strachan, First World War, Bd. 1. V.a. Chickering und Förster (Hrsg.), Great War. Liddle et. al. (Hrsg.), Lighting; Hagemann und Schüler-Springorum (Hrsg.), Heimatfront; Thoss (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Shibutani, Improvised News, S. 164. Ebd., S. 62. Ebd., S. 57–58. Caumanns und Niendorf (Hrsg.), Verschwörungstheorien; Graumann und Moscovisci (Hrsg.), Changing Conceptions; Groh, Versuchung.
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vaten und dienen der Reduktion gesellschaftlicher Komplexizität vermittels der Erklärung gesellschaftlicher Phänomene durch ein vor der Allgemeinheit verborgenes, partikulare Interessen bedienendes Handeln. Durch sie werden Einzelne oder Gruppen zu Sündenböcken stigmatisiert. Rudolf Jaworski zählt sie ebenso wie Gerüchte „zu jenen merkwürdigen Phänomenen, die zwar auf Anhieb einen starken Aufmerksamkeitsreiz auslösen, die aber auf den zweiten Blick große Ratlosigkeit hervorrufen, nämlich dann, wenn es darum geht, sie einer exakten Beschreibung oder gar Analyse zu unterziehen.“40 Wie die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten ist auch die „Herausbildung und Verbreitung von Verschwörungstheorien wesentlich von vorhandenen bzw. fehlenden Informationsbzw. Kommunikationsmöglichkeiten einer Gesellschaft“ abhängig.41 Im Unterschied zu Klatsch beziehen sich Gerüchte nicht auf das Private. Daher sind sie geeignet, eine Verbindung zwischen Massenmedien und Rezipienten herzustellen. Da weder eine exakte alltagssprachliche noch eine wissenschaftliche Unterscheidung vorliegt, werden Gerüchte und Klatsch häufig synonym verwendet. Eine exakte Definition ist schwierig, wenn nicht unmöglich, da sich beide Begriffe überschneiden. Klatsch wird eher mit trivialen persönlichen Begebenheiten und Gerüchte mit wichtigen Ereignissen identifiziert. Klatsch gilt primär als wertende Aussage in einem begrenzten sozialen Umfeld, während Gerüchte vor allem als konkrete Information verstanden werden. Klatsch appelliert stärker an das Unterhaltungsbedürfnis der beteiligten Personen – oder einer bestimmten sozialen Gruppe – und ist in einem höheren Maß mit erzählerischen Momenten verbunden. Gerüchte sprechen das Informationsbedürfnis einer heterogenen Personengruppe an; inhaltlich sind sie offener als Klatsch.42 Ganz offensichtlich besteht aber zwischen Gerücht und Klatsch eine Wechselbeziehung. Aus Klatsch kann ein weit verbreitetes Gerücht erwachsen und aus Gerüchten kann sich Klatsch entwickeln.43 Der französische Soziologe und Psychologe Jean-Noel Kapferer lehnt es ab, Legenden von Gerüchten grundsätzlich zu unterscheiden und in ihnen ein eigenständiges Phänomen zu sehen. Anhand gemeinsamer Kriterien kommt er zu dem Schluss, diese als eine besondere Form von Gerüchten zu betrachten.44 Eine genauere Unterscheidung zwischen Legende und Gerücht ist allerdings möglich und soll im Folgenden anhand zweier Beispiele aus dem Ersten Weltkrieg skizziert werden. Als Ende August 1914 den Alliierten an der Westfront eine schwere Niederlage drohte, musste sich die britische Armee zurückziehen. Nachdem erste Nachrichten über diesen Rückzug veröffentlicht wurden, verbreitete sich in Großbritannien das Gerücht von russischen Soldaten, die zu hunderttausenden in Schottland angelandet würden, um von dort nach Belgien 40 41 42 43 44
Jaworski, Verschwörungstheorien, S. 12, 14. Ebd., S. 28. Vgl. Rosnow und Fine, Rumor, S. 83–84. Thiele-Dohrmann, Charme, S. 55. Kapferer, Gerüchte, S. 328–330.
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transportiert zu werden. Dort sollten sie an bedrohten Frontabschnitten eingesetzt werden, um die britischen Truppen zu unterstützen.45 Im Frühjahr 1915 verbreitete sich in Großbritannien eine hier als Legende zu verstehende Erzählung, der so genannte ‚Engel von Mons‘. Während des Rückzuges von 1914 sei bei der belgischen Stadt Mons eine von deutschen Truppen bedrohte britische Einheit der sicheren Vernichtung nur dadurch entgangen, dass sich dort eine Schar himmlischer Gestalten zwischen sie und die feindlichen Truppen geschoben hätte.46 Die Legende integrierte in verschiedenen Varianten St. George, den englischen Nationalheiligen, der bereits 1098 Kreuzfahrern in der Schlacht von Antiochia beigestanden haben soll. Für das Verständnis der Unterscheidung zwischen Gerücht und Legende ist entscheidend, dass das Gerücht von den Russen in Großbritannien innerhalb einer Situation eine sich unmittelbar auf diese beziehende Funktion hatte: Es versprach Beistand in einer konkreten militärischen Krise. Der als Legende zu verstehende ‚Engel von Mons‘ bezieht sich auf die gleiche militärische Situation und versprach gleichermaßen Rettung aus höchster Not. Die Legende hatte aber – nachdem der Rückzug von Mons bereits viele Monate zurücklag, symbolische Bedeutung: Die wundersame Errettung versicherte den Briten himmlischen Beistand für den Verlauf des Krieges. Schwerer zu bestimmen ist die Unterscheidung zwischen Gerücht und Nachricht. Denn durch die Verbreitung eines häufig durch Mündlichkeit definierten Phänomens durch Medien wird das Hörensagen als Definitionsmerkmal ad absurdum geführt. Auch die Wiedergabe eines Gerüchtes durch eine Zeitung ist als ein Teil des Prozesses der Gerüchteverbreitung anzusehen. Damit ist es noch als Gerücht zu verstehen, auch wenn es nach außen hin alle Kriterien einer Nachricht trägt. Nachrichten werden häufig mit gesicherter Information gleichgesetzt – es ist jedoch irrig anzunehmen, dass jede veröffentlichte Nachricht zutreffend ist.47 Da Post, Presse, Radio und Telegraph die Abhängigkeit von Gerüchten als Informationsmittel verringert hätten, sehen Allport und Postman Mündlichkeit als primäre Zirkulationsform von Gerüchten an. Andererseits räumen sie ein, dass durch diese Medien ein breiterer Wissenshorizont entstünde und somit neue Bereiche der Unbestimmtheit.48 An anderer Stelle weisen die beiden Psychologen darauf hin, die Presse bei der Verbreitung von Gerüchten nicht zu unterschätzen – zwar sei im Prinzip der Gegensatz von Gerücht und Nachricht richtig, zumal die Möglichkeit der Verifikation bestünde, doch vollziehe sich diese Unterscheidung anhand einer idealen Trennlinie.49 Gerüchte und Nachrichten verhalten sich zueinander komplementär. Falsch ist, von einem grundsätzlichen Gegensatz von Gerücht (= unwahr) und Nachricht (= wahr) auszugehen. Auch eine in einer Zeitung veröffentlichte Nachricht kann auf ein 45 46 47 48 49
S. Kap. V.3.2. ‚Fallbeispiel ‚Russian Rumour‘. Allgemein zu dieser Legende s. Clarke, Rumours of Angels. Vgl. Shibutani, Improvised News, S. 3–4. Allport und Postman, Psychology, S. 161–162. Ebd., S. 186–187.
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Gerücht zurückgehen und dennoch eine wahre Aussage sein. Die Trennlinien zwischen Gerücht, Nachricht und Falschmeldung sind überaus fließend. Nicht jede falsche Nachricht muss absichtlich verfälscht sein – auch Unachtsamkeit oder mangelnder Sachverstand können zu einer ganz oder teilweise falschen Nachricht führen. Daher verweist der Untertitel von Lars-Broder Keils und Sven Felix Kellerhoffs Sammelband Gerüchte machen Geschichte. Folgenreiche Falschmeldungen im 20. Jahrhundert in die falsche Richtung. Weder sind Gerüchte grundsätzlich unwahr, noch sind sie von vornherein in die Nähe von Desinformationen zu rücken. Ein erster Schritt für die kritische Analyse von Gerüchten ist eine ausführliche Phänomenologie des Ungewöhnlichen: „Erste Voraussetzung für das Erklären ist die phänomenologische Beschreibung solcher Sinnwelten: ihrer Entstehung, Verbreitung und ihrer ideellen Binnenstruktur.“50 Ein auf der Dichotomie von wahr und falsch beruhendes Verständnis von Gerüchten führt in die Irre, da die subjektive Dynamik der Kommunikation von Gerüchten gerade diese Maßstäbe außer Kraft setzt: „In ungesicherten Aussagen spielt nicht wahr oder falsch eine Rolle, sondern Evidenz oder Wahrscheinlichkeit. Dabei ist die Evidenz nicht rational, sondern situational bestimmt, bezogen auf den übrigen, dem Individuum zur Verfügung stehenden Datenkranz.“51 Die Dynamik der Kommunikation von Gerüchten beruht auf der Macht des Möglichen, des Wahrscheinlichen und des Denkbaren. Gerüchte bieten Sicherheit und Eindeutigkeit in Situationen, die der Erklärung und der Versicherung bedürfen. Sie erklären und rechtfertigen das eigene Verhalten und weisen der Umwelt Bedeutung zu. Gerüchte sind keinesfalls zufällig und gehen weder auf Phantasmagorien noch auf bewusste menschliche Erfindungsgabe zurück. Sie stehen in einem bestimmten und bestimmbaren individuellen wie gesellschaftlichem Kontext. Es sind unverifizierte oder pseudoverifizierte, konsensfähige Interpretationen einer aktuellen, problematischen und uneinheitlichen Situation.52 Ihre Kontur ist unscharf, keinesfalls verläuft sie an einer objektivierbaren Scheidelinie zwischen wahr oder unwahr. In ihnen spiegelt sich die Weltvorstellung derer, die sie verbreiten und derer, die sie für wahr erachten. Sie entspringen Wunsch- und Angstvorstellungen und prägen sie zugleich. Entscheidend ist also nicht, ob ein Gerücht wahr oder falsch ist, sondern dass es von einer Vielzahl von Menschen für plausibel gehalten wird. Ein Gerücht ist plausibel, wenn es mit den Einstellungen und Vorstellungen seiner Rezipienten kohärent ist. Keinesfalls aber sind Gerüchte als eigenständiges Medium zu verstehen. Ob eine einzelne Kommuni50 51 52
Schetsche, Probleme, S. 234. Dröge, Der zerredete Widerstand, S. 222. Die subjektiv befriedigende Verifikation anhand eines ungenügenden Instruments wird hier als Pseudoverifikation verstanden. Jemand, der ein Gerücht hört, kann dieses durch eine Zeitungsnachricht (oder eine mündliche Mitteilung) bestätigt finden. Subjektiv ist das Verlangen nach Verifikation erfüllt worden, ohne dass die Möglichkeit einbezogen wird, dass auch die bestätigende Zeitungsmeldung auf die gleiche oder eine andere fehlerhafte Angabe zurückgehen kann.
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kationshandlung als Gerücht bezeichnet werden kann, ist nur aus ihrem Kontext zu ersehen.53 Eine einzelne Kommunikationshandlung allein kann kein Gerücht an sich sein, da ein Gerücht die Summe von Kommunikationshandlungen ist und sich nur als sozialer Prozess verstehen lässt. Verschiedene Annahmen über Gerüchte sind nicht zutreffend: Weder handelt es sich um Phänomene, die sich grundsätzlich durch Mündlichkeit und Fehlerhaftigkeit auszeichnen, noch sind sie bestimmten Gesellschaftsschichten mit bestimmten Intentionen im Sinne einer Gegenöffentlichkeit zuzuschreiben. Gerüchte sind keinesfalls immer „Gegenmacht“ oder „Gegenöffentlichkeit.“54 Auf diese Verklärung des Gerüchts und seine Stilisierung zur unterdrückten Kommunikationform der Unterschichten hat Jakob Vogel hingewiesen.55 Denn das Verbreiten von Gerüchten ist nicht an sich als Form des Widerstandes zu verstehen. Ein Beispiel sind die vielen Gerüchte über Spione, die im Sommer 1914 in ganz Europa die Menschen in ihren Bann zogen. Als Affirmation der offiziösen Berichterstattung stimmten ihre Themen mit den durch offizielle Kanäle verbreiteten Nachrichten überein. Gerüchte sind somit keinesfalls allein als ein Medium der Subversion, sondern zunächst als ein Medium der Imagination zu verstehen. Gerüchte lassen sich weder auf eine einzelne Öffentlichkeitsebene, noch auf ein bestimmtes Medium eingrenzen. Die Notwendigkeit, (massen-) medial vermittelte Kommunikation verstärkt zu berücksichtigen, ergibt sich zum einen aus der oben angeführten Erweiterung des Gerüchtebegriffs auf andere Öffentlichkeitsebenen als personale und zum anderen aus dem erweiterten Öffentlichkeitsbegriff. Um das Verhältnis von Massenmedien und Gerüchten zu fassen sind drei Punkte zu beachten: (a) Massenmedien stimulieren Gerüchte: Die (intensive) Kommunikation von Gerüchten ist die Folge der veränderten Qualität (massen-) medial vermittelter Informationen. Wenn das mediale Informationsangebot seine Funktionen nicht mehr erfüllt, sind Gerüchte das funktionale Äquivalent. d. h. es besteht eine hohe Korrelation zwischen Informationsmangel und Gerüchtefrequenz bzw. -intensität. (b) Massenmedien motivieren Gerüchte: Gerüchte beziehen sich zu einem großen Teil auf Verhältnisse und Phänomene, die Rezipienten nur durch Massenmedien bekannt sind, bzw. deren Relevanz sich erst durch ihre massenmediale Prominenz ergibt.56 (c) Massenmedien verbreiten Gerüchte: Massenmedien und andere formell institutionalisierte Kommunikationsinstanzen57 sind keine subjektivitätsfreien Räume, sondern unterliegen Leistungsschwankungen und sind nicht grundsätzlich fehlerfrei. 53 54 55 56
57
Rosnow, Rumor, S. 485, Anm. 2. Kapferer, Gerüchte, S. 26. S. a. Daniel, Informelle Kommunikation, S. 80. Vogel (Hrsg.), Politik des Gerüchts, S. 4. Allport und Postman stellen fest, dass durch moderne Medien ein breiterer Wissenshorizont entstehe und somit neue Bereiche der Unbestimmtheit. Allport und Postman, Psychology, S. 161–162. d. h. Massenmedien prägen die Inhalte von Gerüchten. Im Rahmen dieser Arbeit z. B. Nachrichtenagenturen, Zensurstellen, Relaisstationen (Telephon- bzw. Telegraphenämter) usw.
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Davon ausgehend, dass Gerüchte in Kommunikationsnetzen verbreitet werden, können in bestimmten Situationen einzelne Knoten dieses Netzes auch (massen-) medial konstituiert werden. Gerüchte können eben sehr wohl auch auf formellem Weg weitergereicht werden, ohne dass sie die entsprechenden Eigenschaften verlieren.58 Je intensiver gesellschaftliche Krisen wahrgenommen und erfahren werden, desto mehr verlieren Staat und Medien an Vertrauen und Glaubwürdigkeit und umso bedeutender werden alternative und situational strukturierte Kommunikationsinstitutionen. Da sie in den meisten Fällen etablierte Medien nicht vollständig ersetzen, sondern deren Berichterstattung ergänzen, sind sie als komplementäre Kommunikationsform zu verstehen. Dauer ist kein entscheidender Parameter, um solche alternativen Kommunikationsinstitutionen zu fassen. Als ein Beispiel können die so genannten „Lügenecken“ in Berlin im August 1914 gelten. Die Presse bezeichnete so jene Orte, an denen man sich im Zentrum Berlins versammelte, um auf die neuesten Zeitungen zu warten und sich über die letzten Neuigkeiten auszutauschen.59 Gerüchte sind der kollektive Versuch, der Welt eine Ordnung zurückzugeben, die zu einem bestimmten Moment vermisst wird. Eine Gerüchte thematisierende Geschichte der Kommunikation ist daher die Geschichte des Verlustes mentaler Sicherheiten und Orientierungen.60 Unterschiedliche Dimensionen und Handlungsebenen gesellschaftlicher Kommunikation zusammenzuführen ist das Konzept Öffentlichkeit geeignet. Denn Gerüchte im Kontext dieses Begriffes zu untersuchen bedeutet, sie nicht allein auf interpersonale Kommunikationsakte zu reduzieren.61 Der Begriff Öffentlichkeit scheint nur schwer fassbar und bedarf der weiteren Differenzierung. Die Soziologen Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt gehen in ihrem Modell von einer dreistufig horizontal gegliederten Öffentlichkeit aus. Sie unterscheiden zwischen Encounter-, Versammlungs- und massenmedialer Öffentlichkeit.62 Als Kriterien führen sie zum einen die Menge der Kommunikationsteilnehmer und zum anderen den Grad der strukturellen Verankerung der Ebenen an. Unter einfachen oder Encounter-Öffentlichkeiten verstehen sie alle möglichen Kommunikationsformen von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die mehr oder weniger zufällig zusammentreffen und miteinander kommunizieren.63 Als zweite Öffentlichkeitsebene wird die so genannte Versammlungsöffentlichkeit angeführt.64 Diese wird als thematisch zentrierter, ausdifferen58 59 60
61 62 63 64
Im Gegensatz zu: Dröge, Der zerredete Widerstand, S. 153. S. Kap. V.3.1. In der Forschung wird Unsicherheit häufig auf den Kontext Kriminalität reduziert. Dinges und Sack, Unsichere Großstädte; Roscher (Hrsg.), Stadt. Im Folgenden wird von einem weiter gefassten Verständnis ausgegangen. Dazu s. Föllmer (Hrsg), Sehnsucht nach Nähe. Gerhards und Neidhardt, Strukturen, S. 49–59. Ebd., S. 50–52. Ebd., S. 52–54.
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zierter und sozial voraussetzungsvoller als Encounters verstanden.65 Als dritte und wichtigste Öffentlichkeitsebene nennen sie die massenmediale Öffentlichkeit und führen als deren Kriterien ihre Permanenz und ihren Apparat an, der sich in der Moderne stets technisch und professionell erweitert.66 Ihr Publikum ist relativ abstrakt und in seinen Reaktionsmöglichkeiten beschränkt. Als „Gegensphären des Öffentlichen“ gelten im Allgemeinen das Private und das Geheime.67 Georg Simmels Konzeption des Geheimnisses als „Wissen um Nichtwissen“ ist hierbei um die Unterscheidung von einfacher und reflexiver Geheimhaltung zu erweitern.68 Bleibt im ersten Fall der Inhalt einer Mitteilung verborgen, so wird im zweiten Fall die Tatsache der Geheimhaltung selbst verborgen.69 Zu betonen ist mit Joachim Westerbarkey auch, dass Voraussetzung eines Geheimnisses das Interesse oder die Erwartungshaltung gegenüber einem Gegenstand ist. Er definiert daher Geheimhaltung als „Nicht-Information wider Erwarten.“70 Es fehlen klare Trennlinien, die das Geheime und das Private schlüssig von einander abgrenzen. So hat Westerbarkey die semantische Nähe von geheim und Heim betont.71 Eine Reduzierung des Geheimen allein auf den staatlichen Arkanbereich ist daher verkürzend – im Rahmen dieser Studie aber ausreichend. Geheimnis und Gerücht stehen in einer engen wechselseitigen Beziehung zueinander. Einerseits kann die Geheim- bzw. Zurückhaltung von Informationen das Entstehen und die Verbreitung von Gerüchten provozieren. Andererseits können Gerüchte wiederum Geheimnisse konstruieren. Denn aus einem nicht befriedigten Informationsbedürfnis kann leicht auf eine willentliche Geheim- bzw. Zurückhaltung von Informationen geschlossen werden, ohne dass tatsächlich eine solche vorlag. Fragestellung Vorliegende kommunikationsgeschichtliche Studien verfolgen mehrheitlich eine Geschichte der Zeitungen, der Journalisten, nicht aber des Zeitungslesens. Eine Sozial- und Berufsgeschichte der Journalisten befindet sich aber eben nicht, wie Michael Schmolke schreibt, „mitten in der Kommunikationsgeschichte.“72 Denn erst durch Rezeption und Aneignung werden Medieninhalte zu gesellschaftlichen Realitäten. Eine Geschichte der Aneignung von Medienangeboten, ihrer Rezeption, Handlungsrelevanzen und Wechselwirkungen fehlt. Bernd Sösemann zählt daher „Publikums- und Rezeptionsverhalten“ und die „Wirkungsmacht der Medien“ zu den größten Desideraten einer „Geschich65 66 67 68 69 70 71 72
Als Sonderform dazu zählen Gerhards und Neidhart auch kollektive Proteste. Ebd., S. 53. Ebd., S. 54–59. Requate, Öffentlichkeit, S. 15. Simmel, Geheimnis; Spitznagel (Hrsg.), Geheimnis; Westerbarkey, Geheimnis. Ebd., S. 434–435. Ebd. Ebd., S. 433. Schmolke, Kommunikationsgeschichte, S. 97.
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te der öffentlichen Kommunikation.“73 Besonders zu berücksichtigen sind im Folgenden die durch Zensur und Propaganda veränderten medialen Angebote. Denn so korrekturbedürftig die Annahme ist, in der Presse unter Normalbedingungen den Spiegel unterschiedlicher Meinungen zu sehen,74 so grundlegend falsch wird diese Annahme unter den Bedingungen des Kriegszustandes. Kommunikationsgeschichte wird und wurde häufig in den Zyklen von so genannten Kommunikationsrevolutionen geschrieben.75 Darunter werden mediale Entwicklungssprünge und ihre Folgen für den gesellschaftlichen Fortschritt verstanden: z. B. Buch und Zeitung im 16. Jahrhundert sowie Telefon und Telegraph im 19. Jahrhundert. Zu fragen ist aber im Folgenden vor allem, wie sich Gesellschaften entwickelten, deren Kommunikationsstrukturen durch Zensur und Propaganda erheblichen Einschränkungen unterworfen waren. Mit dem Ersten Weltkrieg wendet sich diese Arbeit einer Zeit zu, in der die „Steuerungsmacht der Medien“76 an ihre Grenzen gelangte. Einerseits verfügten die kriegführenden Staaten über enorme und im Laufe des Krieges noch zunehmende Potentiale zur gesellschaftlicher Überwachung und Steuerung, andererseits aber waren sie zunehmend auf die zumindest stillschweigende Unterstützung seitens der Regierten angewiesen. Sinn- und Konsensstiftung wurde zu einem kriegswichtigen Faktor.77 Seit Beginn des Ersten Weltkrieges war die Presse nicht mehr in der Lage, glaubwürdige und authentische Informationen im gleichen Umfang wie vor dem Krieg zu vermitteln. Daher kam es sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich von Beginn des Krieges an zu Glaubwürdigkeitskrisen der Presse, die zunehmend auch mit disintegrativen Sinnangeboten aufgeladen wurden. Eine Folge war das Entstehen und die Verbreitung von Gerüchten als komplementäre Elemente öffentlicher Kommunikation. Allerdings entwickelten sich diese Strukturen in Großbritannien und im Deutschen Reich höchst unterschiedlich. Während in Großbritannien Gerüchte eine zeitlich begrenzte, jeweils situationsabhängige Erscheinung waren, entwickelten sie sich allein im Deutschen Reich zu einem strukturellen Phänomen. Ein Indikator für die Intensität, mit der im Deutschen Reich Gerüchte zu einem Bestandteil der Kommunikation im Krieg wurden, ist die Aufmerksamkeit, die Gerüchten von Seiten des Staates gewidmet wurde. Diese führte einerseits zu einer immer weiter zunehmenden Beobachtung der im Deutschen Reich verbreiteten Gerüchte und andererseits zu dem Versuch, diese Kommunikation zu unterbinden. Sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich wurden Gerüchte von Seiten der Presse und der Zensurbehörden als etwas die Bevölkerung Beunruhigendes eingeschätzt. Aber nur im Deutschen Reich galten Gerüchte als eine solche Bedro73 74 75 76 77
Sösemann, Bemerkungen, S. 21. Verhey, Geist, S. 33. Vgl. North (Hrsg.), Kommunikationsrevolutionen. Requate, Öffentlichkeit, S. 15. Horne (Hrsg.), State, S. 1.
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hung der öffentlichen Ordnung, dass weitergehende Maßnahmen zu ihrer Beobachtung und Kontrolle eingerichtet wurden. Vor dem Hintergrund der nicht abgeschlossenen Diskussion um den Begriff des totalen Krieges wird die massenhafte Entstehung und Verbreitung von Gerüchten während des Ersten Weltkrieges als ein Resultat der Anforderungen und Verstörungen eines totalen Krieges verstanden. Eine allgemein akzeptierte Definition liegt nicht vor.78 Er gilt als problematischer und umstrittener Begriff, der sich eines nahezu „inflationären Gebrauchs“ erfreut.79 Geprägt wurde der Begriff durch den französischen Journalisten Leon Daudet, Herausgeber der weit rechts stehenden Zeitschrift L’ Action Française. Daudet hatte 1916 in einer Artikelserie von seinen Landsleuten eine entschlossenere Kriegführung eingefordert, mit der die deutschen Angreifer niedergerungen werden sollten. Leider fehlt eine Begriffsgeschichte des totalen Krieges, die klärt, ob sich Daudet an Robespierre anlehnte, der 1792 in der Nationalversammlung den guerre totale gefordert hatte. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine Übernahme von Carl von Clausewitz, dem Exponenten preußischen militärischen Denkens, der in seiner Schrift Vom Kriege den ‚absoluten Krieg‘ als äußerste Form der Kriegführung bezeichnete. Daudet ging davon aus, dass das Deutsche Reich bereits einen totalen Krieg (guerre totale) führte, der durch systematische Vorbereitung und rücksichtslose Durchführung gekennzeichnet war. Zur problematischen Vieldeutigkeit des Begriffes hat in der Folge sein Gebrauch in ganz unterschiedlichen Kontexten beigetragen: als programmatisches Schlagwort, deskriptiver Begriff und heuristisches Instrument. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verwendeten z. B. der ehemalige Generalquartiermeister Erich Ludendorff und Propagandaminister Joseph Goebbels den Begriff im Sinne Daudets programmatisch als eine noch zu erfüllenden Forderung. Ludendorff, mit dessen 1935 erschienenem Buch Der totale Krieg der Begriff im deutschen Sprachraum identifiziert wird, verstand den Ersten Weltkrieg ausdrücklich nicht als totalen Krieg.80 Die Popularität des Begriffes beruhte weniger in den intellektuellen, militärischen oder schriftstellerischen Verdiensten Ludendorffs, sondern „in erster Linie auf der populären Form, in der hier von scheinbar authorativer Seite völkisches Gedankengut mit bereits seit längerem vorliegenden Einsichten in den komplexen Charakter moderner Kriege vermengt wurde.“81 Der ehemalige Generalquartiermeister hatte den Begriff jedoch keinesfalls erfunden. Begriffsbildungen wie der totale Krieg hatten, ebenso wie der ‚totale Staat‘ oder die ‚totale Mobilmachung‘, in Deutschland seit den 20er Jahren Konjunktur.82 Während eine Totalität des Krieges als „militärisch-historische Zeitenwende“ sehr wohl wahrgenommen worden war, fehlte es lange an 78 79 80 81 82
Förster, Zeitalter, S. 15. Förster und Nagler, Introduction, S. 13. Ludendorff, Der totale Krieg, S. 10, 11. Longerich, Joseph Goebbels, S. 4–5. Eine offene Frage ist, wie (und ob) der Begriff des ‚Totalen‘ von Daudet zu Autoren wie Carl Schmitt, Jünger, Forsthoff und Ludendorff fand.
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einem allgemein gültigen Begriff, der das Phänomen erfasste. Die Begrifflichkeit hinkte der eigentlichen Konzeptionalisierung mit bemerkenswerter Verzögerung hinterher und fand erst in der zweiten Hälfte der Dreißiger Jahre Eingang in einer Flut militärischer Veröffentlichungen.83 In seiner Rede im Berliner Sportpalast griff Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 den Topos des totalen Krieges im Sinne einer noch zu erfüllenden Forderung auf.84 Wie Ludendorff verband auch der Propagandaminister mit der Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ eine noch nicht erreichte Form der Kriegführung. Der Begriff des totalen Krieges lässt sich weiterhin in einer vor allem deskriptiven Verwendung nachweisen, der in erster Linie durch die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs geprägt und mit dem dieser als Inbegriff eines totalen Krieges verstanden wurde. In diesem Kontext hat der Begriff seinen programmatischen Charakter verloren und bezieht sich v. a. auf die Destruktions- und Vernichtungspotentiale des Zweiten Weltkrieges. Dieser galt lange – durchaus pauschalisierend formuliert – als paradigmatischer Fall eines ‚totalen Krieges‘. In der Folgezeit wurde der Begriff auch als Epochenbezeichnung verwendet, wie z. B. durch Raymond Aron, der das 20. Jahrhundert als „Jahrhundert des totalen Krieges“ bezeichnete.85 Der britische Militärhistoriker Hew Strachan stellt aber fest: „To that extent, the notion that the Second World War was a total war was a self-fulfilling prophecy: extrapolating from the experience of the First World War, commentators expected a future war in Europe to be ‚total‘ and so it became. In reality there was no such inevitability.“86 Im Folgenden kann die ausufernde Diskussion über den Begriff nicht wiedergegeben werden. Mehrfach wurde aber die ins Beliebige gedehnte Vieldeutigkeit des Begriffes bemängelt: Der britische Historiker Trevor Wilson konstatierte, dass der Begriff nicht viel bedeute und stellte fest: „all that it meant is something like ‚bloody big war.‘“87 In der neueren Forschung wird seit einiger Zeit versucht, den totalen Krieg als „heuristisches Mittel“ zu präzisieren, um wichtige Tendenzen der Militärgeschichte zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 20. Jahrhunderts zu untersuchen.88 Gekennzeichnet ist dieser Ansatz durch eine idealtypische Definition des Begriffes. Aus dieser Perspektive stellt die ‚Totalität‘ eines Krieges einen „nie vollständig zu erreichenden Zustand dar.“ Dieser Interpretation zufolge war keiner der Kriege des 20. Jahrhunderts ein totaler Krieg.89 Ihr Schlüsselbegriff ist Extensität. Darunter wird die Ausdehnung des Krieges und nicht seine Intensität als Indikator für die Totalität eines Krieges vorgeschlagen. Als Beispiele für Extensität wurden die räumliche Ausdehnung eines Krieges, die moralische Entgrenzung, wie die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Solda83 84 85 86 87 88 89
Pöhlmann, Kriegserwartung, S. 347. Heiber (Hrsg.), Goebbels-Reden, Bd. 2, S. 172–208. Aron, Century of Total War. Strachan, Conduct of War, S. 33. Wilson, Myriad Faces, S. 669. Chickering, Militärgeschichte, S. 307. Ebd.
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ten und Zivilisten, angeführt.90 Für den Ersten Weltkrieg konstatiert Stig Förster klare Tendenzen zu einem totalen Krieg, die aber nicht voll zur Entfaltung kamen.91 Er identifiziert vier Hauptbestandteile des Konzepts totaler Krieg: Totale Kriegsziele, totale Kriegsmethoden, totale Mobilisierung und totale Kontrolle.92 Im Folgenden wird das Konzept des totalen Krieges auf zwei Ebenen in Beziehung zu Gerüchten gesetzt: Zum einen mit Bezug auf die Organisation staatlicher Gewalt und zum anderen in Hinsicht auf die mentalen Auswirkungen des Krieges.93 Gerade weil Gerüchte oberflächlich und unwichtig erscheinen, bieten sie sich als Perspektive auf den totalen Krieg an. Wenn der totale Krieg alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang, dann ist er auch zu einem scheinbar so oberflächlichen Phänomen wie dem Gerücht in Beziehung zu setzen.94 In dieser Arbeit soll im Folgenden drei Fragenkomplexen aus dem Zusammenhang totaler Kontrolle nachgegangen werden: (a) Auf welchen rechtlichen Grundlagen werden Informationsangebote, Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt? Welche Überlegungen bestimmen staatliche Informationsangebote? Welche Grenzen werden zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit gezogen? Mit welchen Mechanismen werden Informationen der Presse zur Verfügung gestellt? (b) Welche Organisationen versuchen mit welchen Instrumenten die Kommunikation von Gerüchten zu kontrollieren? In welcher Beziehung mit den weiteren Aufgaben dieser Organisationen stehen diese Versuche? Warum werden Gerüchte vor allem im Deutschen Reich in wesentlich stärkerem Umfang als in Großbritannien Objekte staatlichen Handelns? (c) Mit welcher Intensität werden Gerüchte verbreitet? Welche Unterschiede sind zwischen medialem Angebot und komplementären Informationsangeboten zu beobachten? Auf welche Veränderungen öffentlicher Kommunikation verweisen Gerüchte? Welche gesellschaftlichen Wirklichkeiten werden durch Gerüchte konstruiert? Bestehen reale Korrelate? Hat die Kommunikation von Gerüchten gesellschaftliche Folgen? Das Deutsche Reich und Großbritannien wurden als Komparanden ausgewählt, um anhand eines eher liberal und eines eher autoritär geprägten Staates die staatlichen Antworten auf die Herausforderungen und die gesellschaftlichen Auswirkungen des totalen Krieges zu überprüfen. Gerade weil sich die politischen Systeme und die Gesellschaften deutlich unterscheiden, bieten sie sich als Komparanden an, um nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten zu betonen. Am Beispiel der politischen und publizistischen Zentren Berlin und London wird ausgeführt, welche Auswirkungen Zensur und Propaganda auf die Produktion, Rezeption und Folgen öffentlicher Kommunikation hatten. Pressepolitik hatte dort immer auch überregionale Bedeutung, 90 91 92 93 94
Ebd. Förster, Zeitalter, S. 19. So auch Thoss, Zeit, S. 11–12. Förster, Zeitalter, S. 20–28. Zum geschichtwissenschaftlichen Erfahrungsbegriff s. Buschmann und Carl (Hrsg.), Erfahrung; Hartewig, Gefahr. Healy, Vienna, S. 3.
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war immer auch nationale Pressepolitik. Zudem waren Städte primärer Erfahrungsraum der politischen und militärischen Eliten und prägten deren Wahrnehmung von der Heimat wesentlich. Für einen nationalen Vergleich, der sich auf die Hauptstädte konzentriert, spricht zum einen, dass mit dem Sammelband Capital Cities Ergebnisse einer groß angelegten internationalen Studie in einer komparativen Perspektive vorliegen. Zum anderen liegt für die beiden Hauptstädte eine Vielzahl von unterschiedlichen Quellen vor, die in dieser Dichte nicht gleichermaßen für andere Städte und Regionen erhoben werden können. Städte sind Orte verdichteter Kommunikation mit einer kritischen Masse an Kommunikatoren und bieten eine gute Möglichkeit, unterschiedliche Ebenen und Dimensionen von Öffentlichkeit aufeinander zu beziehen.95 Sie bieten sich als Komparanden an, da sie soziale und geographische Einheiten sind, in denen Menschen ihr alltägliches Leben konstruieren. In diesem Sinne sind Stadtviertel „experienced communities“, wohingegen eine Nation eine „imagined community“ ist. Städte bilden Schnittmengen: Sowohl mit einer imaginierten als auch einer sichtbaren Existenz.96 Zudem beziehen sich die Idealtypen von Öffentlichkeit in der Regel auf einen städtischen Kontext. Weiterhin erfordern die Unterschiede in der politischen Kultur des Deutschen Reiches (z. B. Bayern, Sachsen, Württemberg und Preußen) und die aktuelle Diskussion in Großbritannien um die ‚Britishness‘ der nationalen Geschichte ein kleinräumiges Vorgehen.97 Trotz der Vielzahl regionaler und lokaler Studien über einzelne Städte während des Krieges liegen bislang – gemessen an der zentralen Bedeutung der Hauptstädte – über diese nur wenige Studien vor.98 Auffällig ist vor allem, dass der Stadtgeschichte Londons in den Jahren zwischen 1914 und 1918 in Überblicksdarstellungen nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Ein Historiker stellte fest, dass nach dem allgemeinen Verständnis das viktorianische London 1914 verschwunden gewesen sei. Der Erste Weltkrieg würde daher als eine bequeme Zäsur angesehen, die nur von wenigen Arbeiten überschritten werde.99 95 96 97
98 99
S. a. Geinitz, Kriegsfurcht, S. 21–34. Zur Relevanz lokaler Studien s. a. Purseigle, Beyond and Below. Winter, Paris, London, Berlin 1914–1919, S. 3–5. Diese Diskussion behandelt die Frage, was eigentlich unter englischer oder britischer Geschichte zu verstehen ist. Nicht zuletzt im Zeichen der ‚Devolution‘ der 1990er Jahre werden die Geschichten von Wales, Schottland und Irland neu bewertet. So wurde aus einer historischen Reihe des Verlaghauses Penguin The History of England eine History of Britain. Vgl. Grant (Hrsg.), Uniting the Kingdom; Asch (Hrsg.), Three Nations – a Common History? Im Folgenden wird daher immer von Großbritannien gesprochen und nicht von England. Zu Berlin s. Triebel, Gesellschaftsverfassung, S. 412. Zu regionalen Perspektiven s. Krumeich, Kriegsalltag. Davis, London, S. 66. Davis zählt 1995 nur eine Handvoll Studien, die die Geschichte Londons während des Krieges thematisieren. Zu Berlin s. Triebel, Gesellschaftsverfassung, S. 412.
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Gliederung Jörg Requate hat betont, dass „Forschung über Gerüchte letztlich Forschung über Kommunikation insgesamt“ wäre, und postuliert: „Die Beschäftigung mit Gerüchten ist daher nicht nur unter dem Aspekt ihrer jeweiligen Inhalte von Interesse, sondern sie lenkt den Blick auch auf gesellschaftliche Kommunikationsstrukturen.“100 Es wäre demnach verkürzend, Gerüchte lediglich als Phänomen der Mündlichkeit oder allein im Kontext von einfachen Öffentlichkeiten zu thematisieren. Gerüchte sind daher im Folgenden auf drei Ebenen zu thematisieren: Zunächst werden die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für das Entstehen und die Verbreitung von Gerüchten in einem Vergleich staatlicher Informationskulturen herausgearbeitet (Kapitel I. und III.). Zu betonen sind hierbei die nationalen und lokalen Zeitungsmärkte und während des Krieges entstandene Institutionen und Methoden der Informationskontrolle. Zudem wird der Ausnahmezustand als Rechtsgrundlage der Zensur und als Voraussetzung weiterer staatlicher Eingriffe in die Grundrechte erläutert (Kapitel II). Zentrales Raster dieser Untersuchung ist mit dem amerikanischen Soziologen Tamotsu Shibutani das für die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten als notwendig erachtete Gefälle zwischen Informationsangebot und Informationsbedürfnis. Weiterhin ist die Kontrolle aller Öffentlichkeitsebenen durch den Staat zu analysieren. So ist der Prozess der Ausweitung gesellschaftlicher Überwachung u. a. durch Nachrichtendienste zu untersuchen (Kapitel IV.). Diese Praktiken werden in Unterscheidung von Zensur als Kontrolle der veröffentlichten Meinung als Kommunikationskontrolle verstanden.101 Unterschiede in der Kontrolle einfacher Öffentlichkeiten wie z. B. Gerüchte als Gegenstand staatlichen Handelns, werden vor dem Hintergrund der allgemeinen gesellschaftlichen Überwachung herausgearbeitet. Der Prozess der Expansion gesellschaftlicher Überwachung ist für diese Arbeit nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung, da viele der in Hinsicht auf Gerüchte aussagekräftigen Quellen erst aus dem Problembewusstsein staatlicher Behörden hervorgingen. Daher sind auch Institutionen, Methoden und Dimensionen gesellschaftlicher Überwachung vergleichend zu betrachten. Z. B. wurde zwischen 1914 und 1918 das Aufgabenspektrum militärischer Nachrichtendienste immer breiter. Waren sie vor dem Krieg im Inland vor allem für die Abwehr feindlicher Spionage zuständig, so wurden sie im Verlauf des Krieges in beiden Staaten zu zentralen Organisationen in Fragen von Zensur, Propaganda und gesellschaftlicher Überwachung. Am Beispiel der Wahrnehmung des Kriegsausbruchs und der Entstehung von Kriegsöffentlichkeiten wird gezeigt, dass die Arbeit der Zensurbehörden nicht ohne Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten blieb (Kapi100 101
Requate, Anmerkungen, S. 240. Zu diesem Begriff s. a. Kap. IV.1.
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tel V.). Zensurbedingte Glaubwürdigkeitskrisen der Presse führten zu einem durch den Krieg verursachten Strukturwandel von Öffentlichkeiten, der unter anderem die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten nach sich zog. Aber auch wenn im August 1914 in Großbritannien die Entstehung und der Verlauf von Gerüchten weitgehend den Prozessen im Deutschen Reich entsprach, so sind für den weiteren Verlauf des Krieges erhebliche Unterschiede zu betonen. Um Gerüchte fassbar zu machen, sind sie anhand thematischer Komplexe zu isolieren und an Fallbeispielen zu konkretisieren. Dadurch, dass Gerüchte Handlungen motivieren, hinterlassen sie befragbare Spuren – diese gilt es zu verfolgen. Da es vielschichtige und hochmobile Phänomene sind, die regional nur schwer einzugrenzen sind und sich während ihrer Verbreitung veränderten, ist es nahezu unmöglich, sie ausschließlich innerhalb fixer räumlicher und zeitlicher Grenzen zu verfolgen. Gerüchte sind daher als ‚moving targets‘ anzusehen und erfordern eine entsprechend flexible Recherchestrategie. d. h. bestimmte Aspekte sind auch außerhalb der Untersuchungsräume dieser Arbeit zu verfolgen. Über die Thematisierung von Gerüchten und ihrer Kommunikation forderte Marc Bloch 1921: „Was wir im Augenblick zum Thema Falschmeldungen brauchen, sind begrenzte und sorgfältig durchgeführte Einzeluntersuchungen: ausgewählte typische Fälle oder auffällige Legendenzyklen, deren Entstehung und Verzweigung sich genau verfolgen lassen.“102 Dieser Forderung Blochs wird mit zwei ausführlichen Fallstudien zu den Gerüchtekomplexen ‚Flugzeug von Nürnberg‘ und dem so genannten ‚Russian Rumour‘ nachgekommen. In Kapitel VI. werden einerseits die Ursachen für die sehr starke Verbreitung von Gerüchten 1918 in Berlin aufgezeigt und andererseits erläutert, warum sie in London nicht gleichermaßen Bestandteil öffentlicher Kommunikation wurden. Ausgehend von der Inszenierung und Rezeption militärischer Krisen in den beiden Hauptstädten wird deren Auswirkung auf die Stimmung verfolgt. Hierbei wird die Entwicklung in London zwischen Herbst 1917 und Frühling 1918 untersucht, als die britischen Armeen an der Westfront der schwersten militärischen Krise des gesamten Krieges ausgesetzt waren. Dem wird die Entwicklung in Berlin zwischen Frühling und Herbst 1918 gegenüber gestellt, als trotz der anfänglichen Erfolge der deutschen Frühjahrsoffensiven die militärische Niederlage des Kaiserreiches unausweichlich wurde. Da sich aus der Analyse der deutschen Luftangriffe auf London 1917/18 (VI.3.1.) und dem Verlauf der Novemberrevolution in Berlin (VI.4.) wichtige Rückschlüsse auf den Zusammenhang von Zensur und Kommunikationsverhalten ergeben, werden diese Themenkomplexe gesondert untersucht. Kapitel VII.1. beleuchtet in einem kurzen Ausblick den Stellenwert von Gerüchten im Kontext gesellschaftlicher Überwachung in den Nachkriegsgesellschaften. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse. 102
Bloch, Falschmeldungen, S. 198.
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Quellen Gerüchte lassen sich vor allem in folgenden drei Quellengruppen nachweisen: In staatlichen Archivalien v. a. in Dokumenten, die aus der Observation öffentlicher Stimmungen und Meinungen resultierten, in Zeitungen und in persönlichen Dokumenten wie Erinnerungen, Tagebüchern und Briefen. Zu beachten ist allerdings, dass Gerüchte vor allem dann überliefert wurden, wenn sie für wichtig, bedrohlich oder auch nur für skurril gehalten wurden. Eine gesellschaftliche Normalität, die alltägliche Kommunikation von Gerüchten, wird in der Regel nicht dokumentiert. Anders als z. B. Feldpostbriefe sind Gerüchte zudem nicht als einzelne Kommunikationsakte rekonstruierbar und in der Regel nur als Wahrnehmungen überliefert. Es ist daher nur bedingt möglich, sie einzelnen Personen oder Schichten zuzuordnen, so dass Gerüchte als sozial unscharfe Perspektive auf Gesellschaften anzusehen sind. Für das Jahr 1914 erlauben eine Vielzahl von Stimmungsberichten in den Zeitungen und eine Flut von Artikeln, die aus der Neuigkeit des Krieges und der damit verbundenen Adaptionskrisen resultierten, Rückschlüsse über in der Bevölkerung verbreitete Gerüchte und Stimmungen. Entsprechende Artikel fehlen weitgehend für das Kapitel über das Jahr 1918. Daraus resultiert, dass weit seltener als in der Anfangsphase des Krieges 1918 Gerüchte medial verbreitet wurden. Sie sind daher schwerer in gedruckten Quellen nachzuweisen. Daher können in diesem Kapitel nicht wie im Kapitel V. einzelne Gerüchte als Fallbeispiele ausgeführt werden. In Großbritannien und in Deutschland sind Aktenbestände der Nachrichtendienste – während des Krieges auch mit Zensur- und Propagandafragen befasste Organisationen – und politischen Polizeien nur sehr lückenhaft überliefert. In Großbritannien liegen zwar die Unterlagen der zentralen Zensurbehörde, des Press Bureau, in den National Archives/ Public Record Office fast vollständig vor.103 Gesperrt oder zerstört sind allerdings die Unterlagen jener Institutionen, mit denen das Press Bureau eng zusammenarbeitete und von denen es Instruktionen erhielt: dem militärischen Nachrichtendienst, dem War Office und dem Home Office. Während einige Akten des britischen militärischen Nachrichtendienstes 1997 freigegeben wurden, ist der Verbleib der Akten der Special Branch, der politischen Abteilung von Scotland Yard ungeklärt.104 1918 wurden die Akten des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, der Abteilung III b des Generalstabes, von Offizieren verbrannt. 1945 zerstörte ein Luftangriff mit den Akten des Heeresarchivs auch ihre verbliebenen Bestände. Daher ist die Forschung noch immer auf ältere Veröffentlichungen angewiesen, vor allem die ihres ehemaligen Chefs, Oberst Walter Nicolai.105 Eine moderne 103 104 105
Bestand PRO HO 139. Als Übersicht über die 1997 freigegebenen Akten s. M.I.5: The First Ten Years; Porter, Secrecy, S. 9. Nicolai, Nachrichtendienst; ders., Geheime Mächte. Zur Abt. III b vor 1914 s. Schmidt, Gegen Russland; Altenhöner, Spionitis. Eine knappe Biographie unter Verwertung des im
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Darstellung ihrer Tätigkeit während des Krieges fehlt. Eine Bereicherung des schmalen Quellenbestande ist der im Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg überlieferte Gempp-Bericht, eine auf der intensiven Auswertung von Archivquellen und Zeitzeugen beruhende Geschichte der Abt. III b. Generalmajor Friedrich Gempp, ehemaliger Mitarbeiter der Abt. III b, verfasste im Ruhestand den mehrbändigen, unveröffentlichten Entwurf Geheimer Nachrichtendienst und Spionageabwehr des Heeres, der 1945 noch nicht abgeschlossen war. Nicht zuletzt wegen der Quellen, die in Anhängen abgedruckt sind, ist das Werk trotz Lücken und seines inhaltlichen Schwerpunktes auf der Spionageabwehr unter Vernachlässigung von Zensur- und Pressefragen eine wichtige Ergänzung. Erinnerungen britischer Journalisten und Mitarbeiter von Zensur- und Propagandaorganisationen erschienen in weitaus größerer Zahl als von deutscher Seite.106 Über die Arbeit der Zensurbehörden im Deutschen Reich während des Ersten Weltkrieges liegen mehrere Studien vor.107 Dagegen fehlen Untersuchungen über die Arbeit des militärischen Nachrichtendienstes, der Polizeien und der politischen Polizeien.108 Für das Deutsche Reich bildet die nachrichtendienstliche Überwachung von gesellschaftlichem Dissens durch politische Polizeien und Militär während des Ersten Weltkrieges im Vergleich zu Großbritannien noch eine Forschungslücke.109 Die Forschung hat sich bislang nur wenig für Domestic Intelligence interessiert, mehr dagegen für die gesellschaftliche Überwachung durch Geheime Staatspolizei, den Sicherheitsdienst der SS (SD) und das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Auch eine Geschichte politischer Polizeien zwischen Sozialistengesetz und Gestapo fehlt. Vorliegende Arbeiten zur Geschichte politischer Polizeien in Deutschland enden entweder 1914 oder beginnen 1918/19 und können daher zum Untersuchungsgegenstand nur wenig beitragen.110 Es fehlen zudem Studien zu kollektiven Vorstellungen
106
107 108 109 110
Sonderarchiv in Moskau befindlichen Nachlass Nicolais durch Schmidt, Tales from Russian Archives. Aus forschungsökonomischen Gründen konnte dieser nicht ausgewertet werden. Eine wissenschaftliche Biographie Nicolais ist Desiderat. Auf dem Nachlass beruhend erschien in Moskau 2001 eine von einem russischen Nachrichtendienstoffizier und einem Journalisten verfasste Biographie Nicolais. Taratuta und Zdanovic, Tainstvennyj. Anfang 1915 wurde die Sektion III b zu einer eigenständigen Abteilung aufgewertet. Nicolai zufolge war diese Entscheidung eine reine Formalität, da der Nachrichtendienst seit Kriegsbeginn den Status einer unabhängigen Abteilung hatte. Schmidt, Tales. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird im Folgenden durchgehend die Bezeichnung Abt. III b verwendet. Vgl. Cook, Press; Charteris, At G.H.Q; Lytton, Press; Cockerill, Fools; Swinton, Eyewitness. Einzelne Tagebücher und Editionen persönlicher Dokumente britischer Journalisten und Herausgeber wurden herausgegeben: Riddell, Riddell’s War Diary; Wilson (Hrsg.), Rasp of War; Wilson (Hrsg.), Political Diaries. Von deutscher Seite liegen nur die Tagebücher des Chefredakteurs des Berliner Tageblatts vor: Wolff, Tagebücher. Creutz, Pressepolitik; Deist, Zensur; Vogel, Organisation; Welch, Germany, Propaganda and Total War. Reinke, Polizeigeschichte in Deutschland, S. 13. Aus einer Vielzahl von Studien zur britischen Entwicklung sind zu nennen: Andrew, Secret Service; Hiley, Counter-Espionage; Thurlow, Secret State. Z. B. Funk, Polizei; Reinke, Policing Politics. Materna und Schreckenbach, Berichte, gehen nur auf die lokale Tätigkeit des Berliner Polizeipräsidiums ein. Der Aufsatz von Ludwig Richter leistet dazu keinen Beitrag. Richter, Militar.
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von Spionage, Verrat und vom inneren Feind entsprechend der Arbeit über die französische Innenpolitik von Gundula Bavendamm, ein Befund, der vor dem Hintergrund der ‚Dolchstoßlegende(n)‘ mehr als verwundert.111 Die Akten des Oberkommandos in den Marken (OKM), während des Krieges Träger der vollziehenden Gewalt in Berlin, wurden ebenso wie die Akten des Londoner Militärbefehlshabers, der Competent Military Authority, durch den Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs zerstört.112 Wie die Arbeit des OKM ist auch die Arbeit der Competent Military Authority nur durch Parallelüberlieferungen dokumentiert. Trotz der überragenden Bedeutung der Militärbefehlshaber für die deutsche Innenpolitik während des Krieges liegen nur wenige Studien zu ihrer Tätigkeit vor. Über die Arbeit des OKM wurden nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen verfasst.113 Informativ ist ein 1917 erschienenes Buch, das angesichts der Lücken der archivalischen Überlieferung wichtige Hinweise über dessen Arbeit enthält.114 Strukturen und Entscheidungen, die sich aufgrund der Aktenverluste für Berlin nicht herausarbeiten lassen, wurden durch die Ersatzüberlieferung der bayerischen und württembergischen Armee erschlossen. Als ergiebig erwiesen sich Regierungsakten – v. a. des War Cabinet und der Reichskanzlei, die aufgrund der besonderen Bedeutung der Hauptstädte eine Vielzahl von Quellen mit ausgeprochen lokalem Bezug enthalten. Freilich können diese die verloren gegangenen und gesperrten Akten nicht ersetzen. Die von Wilhelm Deist herausgegebene ausgezeichnete Quellenedition Militär und Innenpolitik ist für diese Arbeit unverzichtbar; bedauerlicherweise liegt für Großbritannien kein vergleichbares Werk vor.115 Demgegenüber fehlt für die Innenpolitik des Deutschen Reiches eine der Arbeit Brock Millmans entsprechende Untersuchung über den Umgang der britischen Innenpolitik mit Dissens.116 Auch die Akten der Polizeibehörden beider Städte liegen nur lückenhaft vor. Ursachen sind für London, neben einer restriktiven Freigabepraxis des Public Record Office, Kriegsverluste und Aktenvernichtungen. In Berlin wurden im November 1918 im Hof des Berliner Polizeipräsidiums die Akten der politischen Polizei verbrannt.117 Während für Entscheidungsträger auf nationaler Ebene vereinzelt persönliche Quellen und Erinnerungen vorliegen, fehlen diese von Seiten wichtiger Akteure auf lokaler Ebene wie z. B. der Militärbefehlshaber und ihrer Stäbe.118 111
112 113 114 115 116 117 118
Bavendamm, Spionage. Die von Roger Chickering und Stig Förster edierten Sammelbände gehen auf Themen wie den Ausnahmezustand, Repression und Figurationen des inneren Feindes nicht ein. Roper, War Office, S. 255. Zu den Zuständigkeiten des OKM s. Schmidt, Heimatheer und Revolution, S. 145–152. Wolff, Oberkommando. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik. Millman, Managing Domestic Dissent. Trumpener, War Premediated, S. 59, Anm. 4. Von einigen Offizieren des OKM sind kurze Erinnerungsberichte überliefert, die sich vor allem auf die Novemberrevolution beziehen. Schmidt, Heimatheer; Matthias und
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Zeitungen sind weitere zentrale Quellen, da sie einen Überblick darüber geben, welche Informationen angeboten wurden. Im durch die Zensur verursachten Unvermögen der Presse, substantielle Informationen zu vermitteln, ist eine wesentliche Ursache der Gerüchtebildung zu sehen. Daher ist der Vergleich der Rahmenbedingungen von Kommunikation im Ersten Weltkrieg grundlegend für das weitere Vorgehen. Im Besonderen sind die Authentizitäts- und Glaubwürdigkeitskrisen der Presse und das Entstehen alternativer Kommunikationsstrukturen zu verfolgen. Als problematisch erwies sich hierbei, dass in Zeitungssammlungen vieler Bibliotheken in der Regel nur die regulär erschienen Ausgaben aufbewahrt werden. Extrablätter und Sonderausgaben wurden dagegen nur äußerst lückenhaft in Archiven überliefert.119 Persönliche Quellen wie Briefe und Tagebücher werden ergänzend herangezogen. Allerdings ist die reichhaltige Memoirenliteratur nur beschränkt im Rahmen dieser Arbeit zu verwenden. Da die individuelle Erinnerung an den Krieg aufgeladen wurde mit Topoi wie ‚Kriegsbegeisterung‘, ist ein Rückgriff auf diese nur dann sinnvoll, wenn sich die Möglichkeit ergibt, sie mit zeitnahen persönlichen Quellen zu vergleichen. Aufgrund des damit verbundenen Mehraufwandes wurde mit wenigen Ausnahmen darauf verzichtet, nicht publizierte Tagebücher und Erinnerungen heranzuziehen.
119
Morsey (Hrsg.), Regierung, Nr. 150. Ab 1918 liegen die Erinnerungen des im Herbst 1918 ernannten Commissioner der Londoner Polizei vor. Macready, Annals. Eine Erfassung zeitnah verfügbarer Informationsangebote wird dadurch erheblich erschwert. Im Folgenden werden Zeitungen nur dann mit ihrer Nummerierung zitiert, wenn täglich mehrere Ausgaben erschienen. Da allein deutsche Zeitungen an einem Tag mit mehreren Ausgaben erschienen, werden sie mit Angabe der Ausgabe zitiert, britische ohne. Als vorzügliches Hilfsmittel erwiesen sich der elektronische Index der Times: The Official Index to The Times on CD-ROM (1906–1980). Cambridge 1998/99 und The Times Digital Archives, 1785–1985. London 2002 ff.
I. DIE PRESSE, DAS MILITÄR UND DER KOMMENDE KRIEG I.1. Zeitungen in Berlin und London 1914 stand die Tagespresse im Deutschen Reich wie in Großbritannien auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung und war als Informationsmedium nahezu konkurrenzlos.1 Eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren war die Voraussetzung für die Gewinnung neuer Leserschichten für und durch Zeitungen. Nicht nur das Bevölkerungswachstum und die zunehmende Verstädterung, sondern auch die zunehmende Literalität hatte einen deutlichen Anstieg der Leserzahlen mit sich gebracht. Effektivitätssteigerungen in der Zeitungsproduktion und die Zunahme der Reallöhne machten den Kauf von Zeitungen erschwinglicher. Neue umfassende Informationsbedürfnisse zu politischen, internationalen, lokalen, kulturellen und naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen steigerten die Nachfrage nach aktuellen Nachrichten. Obwohl die Reichsgründung die Dezentralisierung im Pressewesen nicht aufgehoben und die Regionalisierung der Provinzpresse zu einem Höhepunkt getrieben hatte, kam den Berliner Zeitungen in der deutschen Presselandschaft eine herausragende Bedeutung zu.2 Diese spiegelt sich auch in der Entwicklung der Auflagenzahlen wider. Die Gesamtauflage der dort erscheinenden Zeitungen hatte von 1878 bis 1914 um 650% zugenommen und betrug 1913 etwa 2 200 000 Exemplare pro Tag. Demgegenüber hatte die Einwohnerzahl nur um 75% zugenommen. Vor dem Krieg erschienen in Berlin und seinen Vororten (dazu zählten u. a. Großstädte wie Köpenick, Spandau und Charlottenburg) 115 Tages- und Wochenzeitungen mit insgesamt über 600 Ausgaben pro Woche. War Berlin bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Zentrum der Presse neben anderen im deutschen Sprachraum, so entwickelte es sich zwischen Märzrevolution und Reichsgründung zum führenden Pressezentrum des späteren Reiches. Aber trotz der steten Zunahme des Einflusses und der Bedeutung der Berliner Presse erreichte sie nicht die gleiche nationale Bedeutung wie die großen Zeitungen in London oder Paris.3 Als Berlin Hauptstadt wurde, hatte sich in regionalen Zentren bereits eine eigenständige Zeitungslandschaft entwickelt. Das Deutsche Reich war politisch, wirtschaftlich und kulturell wesentlich dezentraler als z. B. Großbritannien strukturiert. Daher bildeten sich dort während der Urbanisierung regionale Anzeigen- und Absatzmärkte heraus, die eine Voraussetzung für den wirtschaft1
2
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Raithel, Wunder, S. 34. Eine sich allmählich entwickelnde Ergänzung bildeten illustrierte Zeitschriften und Kino-Wochenschauen – auf diese kann nicht weiter eingegangen werden. Koszyk, Deutsche Presse, S. 159–161; Stöber, Deutsche Pressegeschichte; Wilke, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte; de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin; Enke, Presse Berlins; Fritzsche, Reading Berlin. Briesen, Berlin im System der deutschen Medienstandorte, S. 6–7.
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I. Die Presse, das Militär und der kommende Krieg
lichen Erfolg der Provinzpresse waren.4 Schließlich war Berlin nicht gleichermaßen wie London auch demographischer Mittelpunkt der Nation. Im Großraum London lebten 16% der Gesamtbevölkerung – im späteren Groß-Berlin waren es nur 6%. Weitaus stärker als Berlin war London das Zentrum der nationalen Presselandschaft und galt Ende des 19. Jahrhunderts sogar als „Nachrichtenmetropole der Welt.“5 Dort erschienen mit Ausnahme des Manchester Guardian alle der etwa dreißig Zeitungen des Königreiches von nationaler Bedeutung. Auch hinsichtlich der Typologie und der Auflagenhöhe bestanden zwischen dem Berliner und dem Londoner Zeitungsmarkt erhebliche Unterschiede. Während große Berliner Zeitungen wie das Berliner Tageblatt täglich in mehreren Ausgaben erschienen – in der Julikrise 1914 waren es bis zu fünf Ausgaben am Tag –, kamen die führenden Blätter in London nur einmal am Tag heraus. Aber in Großbritannien boten Verlage mit Morgen- und Abendblättern unterschiedliche Zeitungen an, die auch von unterschiedlichen Redaktionen erarbeitet wurden – im Deutschen Reich waren nur einmal am Tag erscheinende eigenständige Abendzeitungen die Ausnahme. Da die Berliner Tageszeitungen auch am Sonntag erschienen, kamen dort keine eigenständigen Sonntagszeitungen auf. Diese bildeten in London einen ebenso festen Bestandteil des Zeitungsmarktes wie die Trennung zwischen Morgen- und Abendzeitungen. Waren Blätter wie der Observer oder die Sunday Times seriöse Zeitungen, so dienten Lloyd’s Weekly News, Reynold‘s News oder die mit einer Auflage von 1,5 Millionen erscheinende News of the World, eher der Unterhaltung als der Information.6 Ein deutlicher Unterschied der jeweiligen Presselandschaften bestand darin, dass es in Großbritannien keine ausgeprägte sozialistische Tagespresse gab. Ende 1913 erschienen im Deutschen Reich täglich 90 sozialdemokratische Parteizeitungen mit fast 1,5 Millionen Abonnenten. Allein der in Berlin erscheinende Vorwärts hatte eine Auflage von 155 000.7 Demgegenüber war der Anfang 1912 zum ersten Mal erschienene Daily Citizen die erste tägliche sozialistische Tageszeitung Großbritanniens; 1915 stellte das Blatt sein Erscheinen wieder ein. Der Daily Herald, Organ der Labour Party, erschien erst ab 1919 täglich; auch der Labour Leader, Organ der Independent Labour Party, erschien nur wöchentlich. Viele deutsche Zeitungen waren Mitte des 19. Jahrhunderts nach der Märzrevolution und mit der Herausbildung politischer Parteien entstanden und fühlten sich auch in der Folgezeit einer bestimmten politischen Richtung verpflichtet. Politisch neutraler als diese so genannte Parteipresse galt die Generalanzei4 5
6 7
Ebd., S. 7. Sanders und Taylor, Britische Propaganda, S. 25. Über die britische Zeitungslandschaft s. Wittek, Auf ewig Feind, Kap. 2; Boyce und Curran, Newspaper History; Koss, Rise and Fall; Lee, Origins; Wiener (Hrsg.), Papers. Als Übersicht s. d. Eintrag in Encyclopaedia Britannica, Bd. 19 (191111), S. 544–581. Vergleiche liegen nur vereinzelt vor. Informativ: Requate, Journalismus; Grünbeck, Presse. McEwen, National Press, S. 473. Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, S. 21.
I.1. Zeitungen in Berlin und London
27
gerpresse, die sich neben ihrer stärkeren parteipolitischen Neutralität durch einen niedrigen Preis, viele Kleinanzeigen und eine ausführliche Lokalberichterstattung auszeichnete.8 Wenn auch mit dem Typus der Generalanzeiger der Einfluss der parteipolitisch gebundenen Presse im Deutschen Reich langsam abnahm, waren im Vergleich dazu britische Zeitungen parteipolitisch nicht gleichermaßen festgelegt. Den britischen Zeitungsmarkt kennzeichnete vor allem die Unterscheidung von seriösen Zeitungen und der Massenpresse – ein Unterschied, der sich auch in der Preisgestaltung niederschlug. Galten die Zeitungen zu einem Penny als Organe der „educated democracy“9, so wurden diejenigen zu einem halben Penny von der unteren Mittelklasse und den Arbeitern gelesen.10 Demonstrierten erstere durch eine Titelseite voller Kleinanzeigen, dass sie auf äußere Kaufanreize nicht angewiesen waren, so lockten letztere auf der ersten Seite mit großen Schlagzeilen und Photographien. Während in London allein drei illustrierte Morgenzeitungen (Daily Mirror, Daily Sketch, Daily Graphic) veröffentlicht wurden, war in Berlin Der Tag die einzige regelmäßig mit Photographien erscheinende Tageszeitung. Der so genannte ‚New Journalism‘ – verkörpert durch Alfred Harmsworth, dem späteren Lord Northcliffe, und die von ihm gegründete Daily Mail – erreichte mit neuen Zeitungstypen riesige Auflagen, die Berliner Zeitungen auch nicht annähernd erzielten.11 Während in vielen westeuropäischen Staaten und den USA traditionell die meisten Zeitungen im Direktverkauf abgesetzt wurden, war im Deutschen Reich das Abonnement die Regel.12 Erst 1904 erschien mit der BZ am Mittag die erste deutsche Boulevard-Zeitung, die allein im Straßenverkauf vertrieben wurde. Sie wandte sich an den „neuen, nervösen, angestrengt tätigen Berliner […] für den Zeit Geld war.“13 Wie sehr Zeitdruck und Aktualität ein Wert an sich geworden waren, zeigt ein Plakat, mit dem die BZ am Mittag 1913 als „schnellste Zeitung der Welt“ beworben wurde: Nur acht Minuten nach dem Eingang der letzten Nachricht begann der Druck der aktuellen Ausgabe.14 Neben dem Abonnementverkauf hatte in Berlin nach der Jahrhundertwende der Straßenverkauf von Zeitungen erheblich zugenommen. Nicht allein die BZ am Mittag, sondern auch andere große Tageszeitungen erschlossen sich diesen Vertriebsweg.15 Dies bedeutete, dass Zeitungen, die nicht allein im Abonnement vertrieben wurden, weitaus stärker an den Leser appellieren mussten, um gekauft zu werden. Die Zunahme des Straßenverkaufs führte so zu einem wachsenden Aktualitätsdruck 8 9 10 11 12 13
14 15
Fischer, Handbuch, S. 205–207. Lee, Structure, S. 122. Ebd., S. 124. Zu Northcliffe s. Thompson, Northcliffe; Catterall (Hrsg.), Legacy. Dulinski, Sensationsjournalismus, S. 126. Kauder, Bezett, S. 194. Dulinski, Sensationsjournalismus, S. 141–144. Sie erschien ursprünglich zur besseren Auslastung der Druckmaschinen als Mittagsausgabe der bereits in einer Morgen- und Abendausgabe erscheinenden Berliner Zeitung. Kauder, Bezett, S. 200–201. Nahnsen, Straßenverkauf, S. 39.
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I. Die Presse, das Militär und der kommende Krieg
und einer größeren Abhängigkeit von Aufmachern, Schlagzeilen, und Plakaten. Eine „Sensationalisierung“ des deutschen Zeitungsmarktes begann aber gegenüber der Entwicklung in den USA, Großbritannien und Frankreich mit einer Verzögerung von etwa dreißig Jahren. Ulrike Dulinski spricht daher von einem „deutschen Sonderweg der Boulevardisierung.“16 Im Deutschen Reich hatte die Konkurrenz um Marktanteile, trotz der Klagen über eine ‚Amerikanisierung‘ vor allem der Berliner Presse, noch nicht zu einem Entstehen einer Sensationspresse geführt, die mit der Entwicklung in den USA oder in Großbritannien zu vergleichen wäre. Obwohl eine Boulevardzeitung, war die BZ am Mittag immer noch eine seriöse Zeitung, die sich in ihrer Qualität von den britischen Massenzeitungen deutlich unterschied.17 Während des Krieges wurde die öffentliche Meinung zu einem kriegswichtigen Faktor. Diese Entwicklung war vor dem Krieg jedoch nicht absehbar. Einer hoch entwickelten und differenzierten Presse stand zunächst kein entsprechendes System staatlicher Einflussnahme gegenüber. Zwar hatte in beiden Staaten seit der Jahrhundertwende der Faktor Öffentlichkeit für die Regierenden an Bedeutung gewonnen, aber die im Krieg entstandenen Organisationen der Meinungslenkung beruhten weit mehr auf Improvisation als Planungen der Vorkriegszeit oder systematischen Vorbereitungen. Im Deutschen Reich bestand vor 1914 keine zentrale Pressestelle der Reichsregierung. Trotz verschiedener Reform- und Zentralisierungspläne blieb Pressepolitik vor allem informell, so dass ein Charakteristikum des Verhältnisses zwischen Staat und Presse die Distanz zwischen politischer Führung und Presse war. Wichtige Politiker und Beamte pflegten keinen regelmäßigen Kontakt mit der Presse, so dass ein System privilegierter Kontakte bestand, regelmäßige Pressekonferenzen erfolgten erst ab Kriegsausbruch.18 Auch in Großbritannien entsprach einer immer stärker werdenden „Beachtung und Wertschätzung der Macht der Presseöffentlichkeit“ kein „Verfahren zur Kanalisation amtlicher Nachrichten und Meinungen in das Medium Zeitung.“ Innerhalb der Regierung und der Ministerialbürokratie überwog vor 1914 die Meinung, dass Geheimhaltung und Diskretion dem Kontakt mit der Öffentlichkeit vorzuziehen waren.19 Eine britische Besonderheit war die Bedeutung, die Pressemagnaten wie Lord Northcliffe und Lord Beaverbrook zukam.20 Lord Northcliffe war Eigentümer so unterschiedlicher Blätter wie des Daily Mirror – mit 1 200 000 Exemplaren die auflagenstärkste Tageszeitung der Welt – und der Times, die als das einflussreichste Blatt der britischen ‚Gesellschaft‘ galt. Er kontrollierte ungefähr 40% der Morgenzeitungen, 45% der Abendzeitungen und 15% der Sonntagszei-
16 17 18 19 20
Dulinski, Sensationsjournalismus, S. 124. Wilke, Grundzüge, S. 270; Dulinski, Sensationsjournalismus, S. 121. Raithel, Wunder, S. 54. S. a. Seeling, Organisierte Interessen; Stöber, Pressepolitik. Sanders und Taylor, Britische Propaganda, S. 15, 22. S. a. Requate, Medienmacht und Politik. Zu Northcliffes Selbstverständnis s. Wittek, Auf ewig Feind, S. 54 f.
I.1. Zeitungen in Berlin und London
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tungen.21 Die Machtposition Northcliffes leitete sich einerseits aus seinem Presseimperium ab, dessen Zeitungen täglich von Millionen und Abermillionen von Menschen gelesen wurden. Andererseits beruhte sie zu einem großen Anteil auf der Überschätzung, mit der viele Politiker seinen Einfluss auf die britische Gesellschaft betrachteten.22 Northcliffe nutzte diese Abhängigkeit durch verschiedene Parteien übergreifende ‚Flirts‘ aus. Da ihm der wirtschaftliche Erfolg seiner Zeitungen finanzielle Unabhängigkeit gewährte, scheute Northcliffe nicht davor zurück, seinen Einfluss auf die britische Politik geltend zu machen. Verhielt sich Premierminister Asquith gegenüber der Presse allgemein zurückhaltend, so erkannte jedoch der Schatzkanzler und spätere Nachfolger David Lloyd George weitaus stärker die öffentliche Meinung als innenpolitischen Machtfaktor. In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch waren die Tagespresse und das durch sie gewährleistete permanente Angebot neuester und allerneuester Nachrichten zu einem Teil des modernen Lebensstils geworden. Zeitungen setzten Thomas Nipperdey zufolge den Einzelnen zu dem „Allgemeinen, zum Fernen, zur Nation wie zur Welt“ in Beziehung und wurden Bestandteil des modernen Lebensstils.23 Ein Zeitgenosse beobachtete 1908: „Wir können uns die moderne Kultur ohne die Presse gar nicht vorstellen.“24 Mit dem Informationsangebot war ein heute naiv anmutender Optimismus verbunden: „Heute ist es möglich geworden, daß jeder belangreiche Vorfall, der sich an irgend einem Punkte der zivilisierten Erde ereignet, innerhalb von 24 Stunden in den Kulturländern bekannt wird. Heute, wo wir über die Schicksale fremder Völker täglich fast ebenso sorgfältig unterrichtet werden, wie über unsere eigenen, ist es ganz undenkbar, da sich eine solche Summe von Vorurteilen und Abneigungen zwischen die Nationen legen könnte, wie ehedem.“25 Ein britischer Historiker bezeichnet Zeitungen als „normal furniture of life“ aller Gesellschaftsschichten.26 Allerdings ist fraglich, ob tatsächlich alle Schichten gleichermaßen Zeitung lasen. Der ‚New Journalism‘ hatte Ende des 19. Jahrhunderts zwar in Großbritannien die Leserschaft der Tagespresse um die untere Mittelschicht erweitert, die Masse der Arbeiterschaft wurde jedoch erst in den 1930er Jahren durchdrungen.27 Es wird vermutet, dass die Zeit, die Menschen 1914 täglich mit dem Konsum von Medieninhalten verbringen konnten, viel geringer war als heute.28 Bezieht man diese Vermutung auf die Summe des Medienangebotes, so ist sie zutreffend, bezieht man sie allein auf die Tagespresse, so erscheint sie unzutreffend. Denn ange21 22 23 24 25 26 27 28
Thompson, Politicians, S. 2. Im März 1914 verkaufte Northcliffe den Daily Mirror an seinen Bruder Lord Rothermere. Requate, Zeitung als Medium, S. 165–166. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2, S. 797. Kellen, Zeitungswesen, S. 130. Ebd. Thompson, Politicians, S. 3. Seymour-Ure, Legacy, S. 10; Lee, Origins, S. 35–41. Rosenberger, Zeitungen, S. 70.
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I. Die Presse, das Militär und der kommende Krieg
sichts der in beiden Städten täglich erscheinenden Zeitungen – in London waren es täglich 6 Millionen, in Berlin über 2 Millionen – die morgens, mittags und abends Neuigkeiten boten, ist zu vermuten, dass die Zeit, die mit der Lektüre von Tageszeitungen verbracht wurde, deutlich höher als heute war. Es liegen keine Daten vor, die Rückschlüsse darüber erlauben, wie viele Zeitungen einzelne Leser pro Tag konsumierten, oder wie viel Zeit sie mit der jeweiligen Lektüre verbrachten. Weitgehend unbekannt ist ebenfalls, wie sich die Auflage der Berliner und Londoner Zeitungen geographisch verteilte, und es fehlen Angaben, wie groß der Anteil der außerhalb Berlins vertriebenen Blätter war oder welche Zeitungen aus anderen Landesteilen in Berlin gelesen wurden.29 Eine vorsichtige Schätzung kommt zu dem Ergebnis, dass 1914 etwa 60% der in London gedruckten Zeitungen in London selbst vertrieben und nur etwa 20% außerhalb des englischen Süd-Ostens gelesen wurden.30
I.2. Militär und Presse zwischen Kooperation und Konfrontation „Ist die Presse eine Macht?“ fragte 1911 eine deutsche Zeitschrift und stellte fest: „Diese Frage wird und kann kein Mensch verneinen.“31 So erschien den Deutschen vor dem Krieg die Macht der Presse ungebrochen und die politische Zensur des 19. Jahrhunderts überwunden. Doch zur gleichen Zeit berieten zivile Behörden und Militär bereits über die Notwendigkeiten einer Zensur der Presse im Falle eines Krieges. In den Jahren vor dem Krieg hatte das Sicherheitsbedürfnis der Militärs angesichts außenpolitischer Krisen, internationaler Aufrüstung und einer wachsenden Sensibilisierung für die Bedrohung durch Spione zugenommen. Zunächst kooperierten Presse und Militär mit wechselndem Erfolg miteinander. In Großbritannien und Deutschem Reich wurden die das militärische Geheimnis betreffenden Gesetzgebungen novelliert. Zudem verhandelten Militär und Presseverbände über den Schutz des militärischen Geheimnisses und die Vorbereitungen für eine Zensur im Kriegsfall. Erschwert wurden diese Verhandlungen dadurch, dass sich in beiden Staaten die staatliche Pressepolitik zwischen Jahrhundertwende und Kriegsbeginn noch in ihren Anfängen befand.32 Nachdem in den britischen Streitkräften weder Kolonialkriege noch der Burenkrieg eine grundsätzliche Regelung der Pressezensur angeregt hatten, änderte sich dies mit dem Russisch-Japanischen Krieg.33 Sowohl in militärischen Krei-
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Über den Anteil des Postvertriebes an der Auflage Berliner Zeitungen zwischen 1882 und 1901 s. Enke, Presse Berlins, S. 392. Hiley, News Media, S. 179. Zeitungs-Verlag 22 (2. 6. 1911), Sp. 459. Stöber, Pressepolitik; Sanders und Taylor, Propaganda. Towle, Debate, S. 104–107.
I.2. Militär und Presse zwischen Kooperation und Konfrontation
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sen als auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit wurde der unerwartete japanische Sieg auf die strenge Geheimhaltung des japanischen Militärs und die zu ‚pressefreundliche‘ Politik des russischen Militärs zurückgeführt. Die militärische Fachpresse forderte aus diesem Anlass sogar die Einführung einer Zensur bereits im Frieden. Auch konservative Zeitschriften und Zeitungen wie der Spectator oder die Times unterstützten die Ansicht, dass der Kriegsberichterstatter zu einem Spion der gefährlichsten Art geworden wäre.34 Gleichzeitig mit zunächst ergebnislosen Gesprächen zwischen Militär und Presseverbänden über eine Zusammenarbeit verschärfte die Regierung das Gesetz zum Schutz militärischer Geheimnisse deutlich. Im Juli 1911 wurde die Neufassung des Gesetzes zum Schutz staatlicher Geheimnisse (Official Secrets Act) in weniger als einer Stunde in allen drei Lesungen im Unterhaus verabschiedet. Es wurde absichtlich an einem Freitagnachmittag eingebracht, als nur wenige Abgeordnete anwesend waren.35 Anders als es die Eile, mit der der Official Secrets Act im Parlament verabschiedet wurde, vermuten lässt, war das Gesetz bereits im Juni 1910 entworfen worden und wurde 1911 zu einem günstigen Zeitpunkt eingebracht. Artikel I.1. untersagte die Anwesenheit in oder in der Nähe verbotener Zonen ebenso wie das Anfertigen von Skizzen, Plänen, Modellen etc., die dem Feind von Nutzen sein könnten. Art. I.2. des Gesetzes bestimmte, dass bei Anklagen die Beweislast bei dem Angeklagten lag, seine Unschuld zu beweisen. Artikel 2 machte es nicht nur zu einer Straftat, Informationen über verbotene Zonen oder geheime Informationen zu verbreiten, sondern stellte auch die Verbreitung solcher Informationen unter Strafe, die der Angeklagte durch seine Tätigkeit für die Regierung, oder durch ein Vertragsverhältnis mit der Regierung erlangt hatte.36 Das Ausbleiben parlamentarischer Proteste gegen den Official Secrets Act ist vor dem Hintergrund der Marokko-Krise und der anhaltenden Angst vor deutschen Spionen zu verstehen. Auch wenn der Official Secrets Act vor 1914 nur selten zur Anwendung kam und allein der Strafverfolgung deutscher Spione diente, so erwies er sich doch als mächtiges Instrument zur Einschüchterung der Presse. Denn der Official Secrets Act gewährleistete nicht nur den Schutz militärischer, sondern allgemein staatlicher Geheimnisse.37 Auch die Verhandlungen zwischen dem Militär und den Presseverbänden wurden durch die Marokko-Krise erheblich beschleunigt. Mit dem Admiralty, War Office and Press Committee wurde ein Ausschuss geschaffen, in dem je ein Vertreter des War Office, der Admiralität und fünf Vertreter von Presseverbänden saßen. Durch das Admiralty, War Office and Press Committee sollte einerseits der Schutz des militärischen Geheimnisses und andererseits die Veröffentlichung von Nachrichten der Armee und der Marine sichergestellt werden. Es 34 35 36 37
Ebd., S. 108. French, Spy-Fever, S. 360–361. Das Gesetz ist abgedruckt u. a. in: Manual of Military Law, S. 799–802. Williams, Not in the Public Interest, S. 32. Bis zum Kriegsausbruch kam es nur zu fünf Verfahren unter dem OSA. Ewing und Gearty, Struggle, S. 41, Anm. 25.
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wurde vereinbart, dass der Ausschuss sofort zusammenkommen sollte, wenn eine militärische Stelle die Nichtveröffentlichung einer Nachricht wünschte. Die Presseverbände willigten ein, dass geheime militärische Informationen einem möglichen Verbot unterliegen konnten und erklärten, dass, wenn Zeitungen von dritter Seite militärische Informationen erhielten, diese militärischen Stellen zur Prüfung vorgelegt werden sollten.38 Im Gegenzug erreichten sie die Zusage des Militärs, Zeitungen weder für die Verbreitung von Falschmeldungen noch für das Mundtotmachen kritischer Stimmen zu missbrauchen. Als zulässig wurde das Zurückhalten von Nachrichten erachtet. Das Admiralty, War Office and Press Committee tagte nur selten. 1912 trat es nur zweimal zusammen. Seine Bedeutung für die Entwicklung der britischen Pressezensur lag daher weniger in seiner tatsächlichen Arbeit, als vielmehr in dem durch seine Einrichtung geschaffenen Vertrauensverhältnis zwischen Militär und Presse. Auch wenn das Admiralty, War Office and Press Committee während des Krieges nahezu bedeutungslos war, so war seine Arbeit in zweierlei Hinsicht für die Durchführung der Zensur 1914/1918 richtungweisend. Zum einen wurde ein Übereinkommen zwischen Militär und Presse ohne eine gesetzliche Neuregelung erreicht, und zum anderen beruhte das gewählte Verfahren allein auf der freiwilligen Kooperation der Presse. Eine weitere Parallele war die Absicherung der Freiwilligkeit der Presse durch eine harte Gesetzgebung. Bot vor 1914 der Official Secrets Act die gesetzliche Grundlage, um gegen Zeitungen vorzugehen, die die militärische Geheimhaltung gefährdeten, so gewährleistete dies zwischen 1914 und 1918 der Defence of the Realm Act (DORA), die britische Ausnahmezustandsgesetzgebung.39 Allerdings spielten die Vorbereitungen für eine Zensur der Presse in den britischen Mobilmachungsvorbereitungen nur eine untergeordnete Rolle. Ohnehin hatte vor dem Krieg niemand die Bedeutung und den während des Krieges erreichten Umfang der Zensur vorausgesehen.40 Im Unterschied zur britischen Armee versuchte die preußische Armee erstmals knapp ein Jahr vor Kriegsausbruch, ihren Beziehungen zur Presse eine institutionelle Grundlage zu geben. Das Preußische Kriegsministerium hatte im Gegensatz zum Reichsmarineamt keine eigene Presseabteilung unterhalten.41 Erst im September 1913 wurde dort eine kleine aus zwei Offizieren bestehende Abteilung eingerichtet, deren Aufgaben die „Aufklärung der Öffentlichkeit“ und die Auskunftserteilung an die Presse war.42 Leiter der Presseabteilung war 38 39 40 41 42
Lovelace, British Press Censorship, S. 309. S. Kap. II. The Organization of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 37. Im Folgenden wird, wenn nicht anders vermerkt, immer von preußischen Einrichtungen gesprochen. Deist, Flottenpolitik, S. 322–323. Vgl. Raithel, Wunder, S. 57. Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA RW 5, Film, Nr. GB 2143 P, S. 313. Nur sehr knapp über die Öffentlichkeitsarbeit des Kriegsministeriums s. Stöber, Pressepolitik, S. 40.
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der spätere Chef des Kriegspresseamtes Hauptmann Erhard Deutelmoser. Er galt Major Walter Nicolai, dem Chef der Abteilung III b des Generalstabes (Abt. III b), dem militärischen Nachrichtendienst als „tatsächlich der einzige Offizier, der im Verkehr mit der Presse einigermaßen geschult war.“43 Bis dato hatte der Chef der Ministerialabteilung des Kriegsministeriums um Auskunft bittende Journalisten empfangen. Mit der Arbeit der neu geschaffenen Presseabteilung des Kriegsministeriums zeigte sich die Presse schon bald unzufrieden, und eine Verbandszeitschrift klagte, dass dessen Nachrichtendienst „deutlich zu wünschen übrig“ lasse. Trotz der eingetretenen Verbesserung stünde kein Ministerium in Berlin der Presse so fremd gegenüber wie das Kriegsministerium, und seinen Offizieren fehlte das Verständnis für die Presse.44 Die geplante Erweiterung der Abteilung scheiterte im Frühjahr 1914 im Reichstag. Ausschlaggebend für die Ablehnung durch alle Parteien mit Ausnahme der Konservativen waren der Umgang der Armee mit der Presse in der Zabern-Affäre und die wieder einsetzende Rüstungsagitation. Von Seiten der Presseverbände wurde die Entscheidung des Reichstages bedauert, da eine solche Einrichtung für „unbedingt notwendig“ gehalten wurde.45 Auch wenn im Reichstag und der Presse Befürchtungen geäußert wurden, dass sich die Presseabteilung zu einer „offiziösen Meinungsfabrik“46 entwickeln würde, hatte das Kriegsministerium eine mit den Aktivitäten des Reichsmarineamtes auch nur ansatzweise zu vergleichende Propaganda nicht angestrebt.47 Dem für die Flottenpropaganda verantwortlichen Nachrichtenbüro (N) des Reichsmarineamtes kommt für die Entwicklung von Zensur und Propaganda während des Krieges im Deutschen Reich nur eine nachgeordnete Bedeutung zu. Zum einen konkurrierte es mit der entsprechenden Einrichtung des Admiralstabes, und zum anderen erfolgte vor 1914 so gut wie keine Zusammenarbeit zwischen dem Nachrichtenbüro und den mit Pressefragen befassten Ressorts von Kriegsministerium und Abt. III b. Anders als in der Literatur in der Regel beschrieben ist es daher eher als Episode denn als entscheidender Schritt in der Geschichte staatlicher Propaganda anzusehen.48 Gleichzeitig mit der Einrichtung der Presseabteilung traten die Interessengegensätze zwischen Armee und Presse in der Diskussion um die Neufassung des 43
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Nicolai, Nachrichtendienst, S. 51. Nach dem Krieg wurde Nicolai mit dem Beinamen ‚Vater der Lüge‘ geehrt. Ziesenitz, Vater der Lüge. Dieser ‚Ehrentitel‘ war zuvor auch schon an Tirpitz für die Tätigkeit des Nachrichtenbüros des Reichsmarineamtes verliehen worden. Zur ‚Frühgeschichte‘ des Nachrichtendienstes vor 1914 s. Schmidt, Gegen Russland. „Presse und Kriegsministerium“, in: Deutsche Presse 1 (4. 10. 1913), S. 6–7; „Die Behandlung der militärischen Nachrichten durch die Presse“, in: Zeitungs-Verlag, Nr. 23 (6. 6. 1914), Sp. 443. „Die Nachrichtenstelle des Kriegsministeriums“, in: Zeitungs-Verlag, Nr. 22 (29. 5. 1914), Sp. 1084–1085. VdR 294 (7. 5. 1914), S. 8545. Anders und unzutreffend: Wernecke, Wille, S. 313. Deist, Flottenpolitik, S. 322–324.
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Gesetzes über den Schutz des militärischen Geheimnisses zu Tage. Obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch ‚Spionagegesetz‘ genannt, griff das Gesetz in seiner beabsichtigten Form tief in die Arbeit der Presse ein. Hauptkritikpunkt der Presseverbände und der meisten Zeitungen war § 9 des Gesetzesentwurfs, der die fahrlässige Veröffentlichung militärischer Geheimnisse unter Strafe stellte. Begründet wurde der Paragraph durch angeblich zahlreiche Indiskretionen der Presse, durch die militärische Geheimnisse an die Öffentlichkeit gedrungen seien.49 Vorbereitungen für die Einführung einer Zensur im Falle eines Krieges hatte vor 1914 vor allem der Generalstab mit der Abt. III b betrieben. Über diese urteilte Deutelmoser in seinen Erinnerungen: „Sie taugten nicht viel, aber waren doch immerhin besser als nichts.“50 Zu den Aufgaben des militärischen Nachrichtendienstes hatten vor allem Spionage und Spionageabwehr gezählt, die Vorbereitung der Pressezensur wurde lediglich durch den Bürooffizier quasi im Nebenamt bearbeitet.51 Allerdings waren die Kontakte des Generalstabes mit der Presse zunächst sowohl zahlreicher als auch einvernehmlicher als es Nicolai nach Kriegsende nahe legte.52 Als 1908 Beratungen über ein in den Mobilmachungsplan aufzunehmendes Merkblatt für die Presse begannen, zeigte diese gegenüber dem Generalstab großes Entgegenkommen, nicht zuletzt, um dadurch besseren Zugang zu Informationen zu erhalten. Pressevertreter äußerten den Wunsch, in dieser Sache nur mit militärischen Behörden und nicht mit dem Auswärtigen Amt oder dem preußischen Innenministerium in Verbindung zu treten. Als Ergebnis wurden gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt „Anhaltspunkte für die Tagespresse über Veröffentlichungen, die im Interesse der Landesverteidigung unerwünscht sind“ formuliert.53 In den folgenden Jahren wurde die Kooperation zwischen Armee und Presse weiter ausgebaut, und nach dem Kaisermanöver von 1912 war die Behandlung der Journalisten durch den Generalstab, der ihnen mit dem „nötigen Vertrauen“ entgegen gekommen war, von allen Seiten gelobt worden.54 Dennoch scheiterten aber die Bemühungen, zwischen Armee und Presse zu einer kooperativen Regelung der Berichterstattung über geheimnisrelevante Themen zu kommen. Als Nagelprobe für die Zuverlässigkeit der Presse erwies 49 50 51 52
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54
Ebner, Gesetzesentwurf, Sp. 574. Deutelmoser, Tagebücher, Erinnerungen, Bd. 1, fol. 85, IfZD Film, Nr. 13373. Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA Film Nr. GB 2143 P, fol. 314. In seinen Erinnerungen betonte Nicolai, dass sich der Generalstab von der Presse ferngehalten hätte und mit ihr lediglich während der jährlichen Kaisermanöver und durch die Spionageabwehr in Berührung gekommen wäre. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 52 u. S. 71. Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA Film Nr. GB 2143 P, fol. 311. Leider liegen über diese Verhandlungen keine weiteren Quellen vor, so dass nicht überprüft werden konnte, ob und inwieweit hier eine Alternative für die zwischen 1914 und 1918 durchgeführte Zensurpolitik diskutiert wurde. Vgl. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 31, S. 63; Creutz, Pressepolitik, S. 45–46. „Die Presse im Kaisermanöver.“, in: Zeitungs-Verlag, Nr. 39 (26. 9. 1913), Sp. 809–810.
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sich für die Armee die Berichterstattung über Spionagefälle. Bis zum Ausbruch des Krieges hatte der militärische Nachrichtendienst eine Mobilisierung der Bevölkerung zur Bekämpfung der Spionage nicht angestrebt, sondern im Gegenteil versucht, möglichst wenig Aufsehen darauf zu lenken. Gerichtsverfahren gegen Spione und Landesverräter fanden häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und nur Vertreter des General- und des Admiralstabes nahmen als Sachverständige teil, so dass die Presse in den meisten Fällen lediglich die Namen der Verurteilten und das Strafmaß, nicht aber Details über die Straftat berichten durfte.55 Die Frage „wie der Verkehr der Presse im Mob.[ilmachungs]Fall zu regeln“ sei, wurde in der Armee erst ab März 1912 diskutiert, und kurz vor dem Krieg legte das Kriegsministerium die noch im Krieg geltenden Richtlinien für die Handhabung der Zensur im Krieg fest.56 Zwar hatte es Anfang 1914 an einer weiteren Verbesserung der Pressearbeit militärischer Stellen gearbeitet und auch bei den Generalkommandos „militärische Auskunftstellen“ geplant. Deren Offiziere sollten im Mobilmachungsfall die „Zensurstellen bei den Generalkommandos“ übernehmen. Bei Kriegsausbruch waren die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Zudem hatten sich einige Generalkommandos gegen das Vorhaben in einer Form ausgesprochen, die keinerlei Verständnis für die Arbeit der Presse gezeigt hatten.57 Aus den wenigen vorliegenden Quellen geht nicht hervor, dass sich die Generalkommandos vor der Mobilmachung auf die Durchführung einer Pressezensur vorbereitet hätten. Vielmehr gingen Verwaltung und Militär offensichtlich davon aus, dass die Zensur aus einem Verbot der sozialdemokratischen Presse einerseits und andererseits aus einer Überwachung der Presse durch lokale Polizeibehörden bestehen würde. Wie ungleichmäßig in den Provinzen und Korpsbezirken die Pressezensur gehandhabt werden sollte und wie wenig militärische und zivile Behörden auf die Durchführung der Zensur vorbereitet waren, veranschaulicht der Stand der Vorbereitungen, den Ende Juli 1914 die Oberpräsidenten dem preußischen Innenministerium übermittelten. Der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen teilte mit, dass mit dem Generalkommando des I. AK bei Erklärung des Kriegszustandes eine Präventiv-Zensur der Presse vorläufig für ausreichend gehalten wurde. Zeitungen sollten erst nach Prüfung eines Pflichtexemplars durch das Polizeipräsidium erscheinen dürfen: „Erscheint trotzdem einmal ein aufreizender Artikel, so wird die betreffende Zeitung durch Schliessung der Redaktion und der Herstellungsmöglichkeiten unterdrückt werden.“58 Eine solche politische Zensur auf Grundlage des nach dem Pressegesetz von 1874 bei der 55
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Nicolai, Geheime Mächte, S. 41. Die Sorge, dass die Medien möglichen Spionen Anregungen und Anreize bieten könnten, ging so weit, dass 1913 die Aufführung aller Filme, die Landesverrat und Spionage zum Thema hatten, verboten wurde. BA R 1501/112030, fol. 46. Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA Film Nr. GB 2143 P, fol. 312. Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA Film Nr. GB 2143 P, fol. 314; Vogel, Organisation, S. 26. GStA Rep. 77, Tit. 332 r, Nr. 60, Bd. 1, fol. 72.
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lokalen Polizeibehörde einzureichenden Pflichtexemplars durchzuführen, spiegelt die Unkenntnis der Behörden von der Arbeit der Presse wieder. Mit diesem Verfahren, das auf Grundlage bereits fertig gestellter und gedruckter Zeitung erfolgen sollte, wurde nicht nur ein Erscheinen der Zeitung, sondern auch eine effiziente Zensur unmöglich gemacht. Denn eine Korrektur beanstandeter Passagen wurde so nahezu undurchführbar. Auch scheint das geschilderte Verfahren, eine Zeitung entweder aufgrund ihrer politischen Orientierung zu verbieten oder aber als zuverlässig eingeschätzt, ungehindert erscheinen zu lassen, zumindest naiv. An keiner Stelle finden sich in den Schriftwechseln Hinweise auf eine Kooperation mit übergeordneten Stellen oder auf Absprachen mit der Presse. Wie in den Provinzen des Reiches waren auch in der Hauptstadt die Vorbereitungen für eine Pressezensur im Kriegsfall durch die erwarteten Auseinandersetzungen mit der Sozialdemokratie geprägt. Im Herbst 1913 beschloss das Oberkommando in den Marken (OKM), mit Erklärung des Kriegszustandes die sozialdemokratische Presse sofort zu verbieten.59 Das OKM hatte u. a. die Besetzung des Vorwärts beschlossen.60 Gegen das geplante harte Vorgehen des OKM hatten sich der Potsdamer Oberpräsident, das preußische Innenministerium und auch das Berliner Polizeipräsidium erfolglos ausgesprochen. Anfang 1914 sprach sich das Kriegsministerium auf einer Konferenz dagegen aus, sozialdemokratischen Zeitungen „von vornherein zu verbieten; man soll erst abwarten, ob sie sich vaterlandsfeinlich stellen. Man müsse sie nicht gleich vor den Kopf stoßen und ins feindliche Lager stoßen.“61 Im Mai 1914 teilte das Kriegsministerium den Militärbefehlshabern mit, dass mit Ausspruch des Zustandes drohender Kriegsgefahr, Sozialdemokraten nicht vorbeugend zu verhaften waren, sondern erst dann, wenn sich diese durch ihr Verhalten „ins Unrecht“ gesetzt hätten.62 Eine Besprechung Anfang Juli 1914 sollte zunächst zwischen Preußen und dem Reich Einigkeit darüber herstellen, wie mit der Sozialdemokratie im Falle eines Krieges verfahren werden sollte.63 Diese Bereitschaft zur Zurückhaltung drohte an der Eigenmächtigkeit der Militärbefehlhaber zu scheitern. Nachdem eine erste Besprechung Anfang Juli darüber ohne Ergebnis geblieben war, verhinderte erst eine weitere Besprechung am 24. Juli im Kriegsministerium harte Maßnahmen der Militärbefehlshaber.64 Einige Generäle wollten „gleich schiessen und ‚es den Roten zeigen‘“, und der Kommandierende General des OKM von Kessel drängte darauf, alle Sozialdemokraten präventiv ver59 60 61 62 63 64
Schreiben des OKM an den Oberpräsidenten in Potsdam (22. 10. 1913), Rep. 77 Tit. 332 r, Nr. 60, Bd. 1, fol. 7. Schreiben des OKM an das preußische Innenministerium (27. 11. 1913). Ebd., fol. 12. Allgemein zu den Vorbereitungen s. Jansen, Weg, Kap. IV.3. Zit. n. Jansen, Weg, S. 194. Groh, Negative Integration, S. 590. Das Reichsamt des Inneren hatte den Termin bereits im Mai des Jahres vorgeschlagen. Ebd., S. 592. Ebd., S. 627. S. a. Riezler, Tagebücher, S. 193.
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haften zu lassen.65 Am 25. Juli teilte der Kriegsminister den preußischen Generalkommandos die Ergebnisse der Besprechung vom Vortag mit, und empfahl zunächst abzuwarten, betonte aber ein scharfes Vorgehen für den Fall, dass die sozialdemokratische Presse sich „selbst ins Unrecht setzen“ sollte.66 Vor 1914 stellte eine Studie des preußischen Generalstabes über den ‚Kampf in insurgierten Städten‘ die Grundlage für die Vorbereitung des Ausnahme- und Belagerungszustandes dar. Diese bedeutete im Deutschen Reich somit immer auch die Vorbereitung auf den möglichen Bürgerkrieg.67 In dieser bereits in der Vorkriegszeit angelegten Haltung gegenüber weiten Teilen der eigenen Bevölkerung ist eine Voraussetzung für die sich während des Krieges verhärtende Frontstellung nach Innen zu sehen. Diese ist in abgeschwächter Form auch in Großbritannien zu beobachten: Im August 1913 wurde in London beschlossen, die Polizei mit Karabinern zu bewaffnen, da im Falle eines Krieges mit einer großen Zahl „of ignorant, underfed discontented population“ gerechnet wurde, die mit Hilfe von Kriminellen und Ausländern Hungerrevolten und Ausschreitungen anzetteln würden.68 Doch obwohl auch die Zuverlässigkeit der Arbeiterschaft im Falle eines Krieges in beiden Staaten von militärischer wie ziviler Seite diskutiert wurde, resultierten daraus keine Maßnahmen, um die Bevölkerung durch staatliche Propaganda zu informieren und zu mobilisieren. Sowohl in London als auch in Berlin wurde auf die Vorbereitung einer Meinungslenkung im Falle eines Krieges verzichtet. Planungen für eine Zensur im Kriegsfall betrafen in Großbritannien allein den Schutz des militärischen Geheimnisses und im Deutschen Reich zusätzlich den Umgang mit der SPD. In diesen Kriegsvorbereitungen spiegelt sich das von einem kurzen Krieg ausgehende zeitgenössische Kriegsbild wieder. Eine ideologische Mobilisierung der Bevölkerung während eines Krieges wurde vor 1914 daher nicht für notwendig erachtet. Auch wenn Stig Förster mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das Kriegsbild des preußischen Generalstabes weitaus realistischer war, als lange angenommen, so bedeutet dies nicht, dass eine gesamtgesellschaftliche Mobilisierung für einen langen Krieg vorbereitet wurde.69 Denn in beiden Staaten vertraute die militärische wie die politische Führung auf die vermeintlich grenzenlose Begeisterungsfähigkeit und Leidensbereitschaft der eigenen Bevölkerung. In beiden Staaten sah das Militär in der Presse zunächst eine Bedrohung des militärischen Geheimnisses, so dass seine grundsätzliche Haltung ihr gegenüber in beiden Staaten von Skepsis geprägt 65 66 67 68
69
Ebd., S. 193, 409. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 77, S. 189–190. Zur Vorbereitung der preußischen Armee s. Schulte, Die deutsche Armee, S. 258–289, 535–547. Zum Ausnahmezustands 1914–1918, s. Kap. II. Englander, Police, S. 100–102. Zudem war in einer Besprechung zwischen Vertretern des War Office, des Home Office und der Londoner Polizei im Januar 1913 beschlossen worden, London in Bezirke aufzuteilen, die im Fall von Unruhen jeweils einem Militärbefehlshaber unterstehen sollten. Förster, Der deutsche Generalstab, S. 75, 88.
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war. Im Deutschen Reich führte dieser Mangel an Kooperation und die fehlende Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der Presse einzugehen, zu einer unzureichenden Vorbereitung der preußischen Armee auf den ‚publizistischen Ernstfall‘. Zwar wurde die Heimat durchaus als Kriegsschauplatz in Betracht gezogen, aber allein in Hinsicht auf Invasionen und Luftangriffe auf militärische Ziele.70 An eine Heimatfront im Sinne einer Mobilisierung der gesamten Gesellschaft und ihrer personellen und materiellen Ressourcen wurde nicht gedacht. Eine Totalisierung der Kriegsanstrengungen war nicht absehbar. Insofern verwundert es nicht, dass auch eine totale Überwachung nicht einmal ansatzweise angedacht oder vorbereitet wurde.
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S. Kap. V.3.1. ‚Das Flugzeug von Nürnberg‘.
II. DIKTATUREN DES AUSNAHMEZUSTANDES Rechtliche Grundlage sowohl der Pressezensur als auch der während des Krieges erfolgenden Eingriffe in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit war die jeweilige nationale Ausnahmezustandsgesetzgebung. 1851 war in Preußen als eine unmittelbare Folge der Revolution von 1848 das ‚Gesetz über den Belagerungszustand‘ erlassen worden.1 Gemeinsam mit dem französischen ‚état de siège‘ gilt es als der klassische Typus des im 19. Jahrhundert entstandenen Ausnahmezustandes. Dieser ermöglichte Einsätze des Militärs im Inneren, vorausgesetzt, dass eine „Gefahr für die innere Sicherheit“ bestand. Er bedeutete die Übernahme der Exekutivrechte ziviler Behörden durch das Militär, die Einrichtung außerordentlicher Kriegsgerichte und Eingriffe in bürgerliche Freiheitsrechte.2 Die verfassungsrechtlich eingebettete Ausnahmezustandsgesetzgebung sah damit eine rechtsstaatliche Einhegung des Militärs durch dessen Beschränkung auf gesetzlich zugestandene Maßnahmen, die Ermächtigung durch eine besondere ‚Verhängung‘ des Ausnahmezustandes und dessen räumliche und zeitliche Begrenzung vor. Für den Rechtshistoriker Hans Boldt bedeuten diese Auflagen einen Triumph der Idee rechtsstaatlicher Rationalität und Normalität über die ‚Ausnahme‘.3 Im Deutschen Reich wurde ein die Einzelheiten des Ausnahmezustandes regelndes Reichsgesetz nicht ausgearbeitet, so dass mit Ausnahme Bayerns, das mit dem Gesetz über den Kriegszustand von 1912 ein eigenes Gesetz erlassen hatte, das preußische Gesetz von 1851 galt. Am 31. Juli 1914 wurde mit Erklärung des ‚Zustandes drohender Kriegsgefahr‘ durch Wilhelm II. über das Reich der Kriegszustand verhängt, was zugleich die Durchführung der die Mobilmachung vorbereitenden Maßnahmen bedeutete.4 Die vollziehende Gewalt ging auf die Militärbefehlshaber, die Kommandierenden Generäle der Generalkommandos, die Gouverneure größerer Festungen und die Festungskommandanten und mit dem Ausrücken der mobilen Truppenteile auf die Stellvertretenden Generalkommandos (StGKs) unter Stellvertretenden Kommandierenden Generälen über. Der Belagerungszustand verlieh den Militärbefehlshabern das Verordnungsrecht der Zivilbehörden und ermächtigte sie darüber hinaus zum selbstständigen Eingriff in die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte Einzelner. Da Wilhelm II. seiner Funktion als Oberster Kriegsherr in keinerlei Weise gerecht wurde, kam während des Krieges eine „in allen Bereichen gleichmäßige, zentral1 2 3 4
Boldt, Strukturwandel des Ausnahmezustandes, S. 323. Ebd., S. 323. Ebd. Zum Gesetz über den Belagerungszustand s. Boldt, Rechtsstaat; ders., Strukturwandel des Ausnahmezustandes; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5; Trotter, Ausnahmezustand; Schudnagies, Belagerungszustand. Der ‚Zustand drohender Kriegsgefahr‘ war ein weder in der preußischen Verfassung noch in der Verfassung des Reiches vorgesehenes Maßnahmenbündel.
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II. Diktaturen des Ausnahmezustandes
gesteuerte Handhabung des Belagerungszustandes nicht zustande.“5 Zwar blieben Versuche, diese zu vereinheitlichen, nicht ohne Ergebnisse. Doch täuscht die Einrichtung verschiedener zentraler Dienststellen wie Oberzensurstelle, Kriegspresseamt, Kriegsernährungsamt, Kriegsamt und die Schaffung eines Obermilitärbefehlshabers in der Person des preußischen Kriegsministers nicht darüber hinweg, dass die Immediatstellung der Militärbefehlshaber kaum angetastet wurde. Erst im Oktober 1918 erhielt der Obermilitärbefehlshaber durch kaiserlichen Erlass Weisungsbefugnisse gegenüber den Militärbefehlshabern.6 An der Spitze der StGKs standen reaktivierte Generäle, die zu einem Großteil bereits vor 1914 verabschiedet worden waren.7 Angesichts der ihnen auf Grundlage des Belagerungszustandes zufallenden Machtfülle kam ihnen bei dessen Durchführung eine erhebliche Bedeutung zu. Mangelnde Einsicht der StGKs in die Arbeit der Presse blieb während des gesamten Krieges ein Problem. Nach Kriegsende stellte der ehemalige Chef des Kriegspresseamtes fest, dass diese „z. T. ausgezeichnet arbeiteten, z. T. aber mit Generalen besetzt waren, die den Anforderungen, die der Weltkrieg an sie stellte, in keiner Weise gewachsen waren und besonders die Zensurgewalt oft in wenig modernem Geist handhabten.“8 In Berlin verkündete der Oberkommandierende in den Marken am 31. Juli 1914 den Kriegszustand.9 In der Militärstruktur des Reiches bildete das 1848 geschaffene Oberkommando in den Marken (OKM) eine Besonderheit. Da neben dem III. AK in der Provinz Brandenburg auch das Gardekorps stationiert war, diente diesen beiden Korps das OKM als übergeordnete Kommandobehörde, der jedoch keine Truppen unmittelbar unterstellt waren. Im Falle innerer Unruhen sollte sein Oberbefehlshaber den Oberbefehl über die in und um Berlin stehenden Truppen übernehmen und gegenüber den Kommandierenden Generalen des Gardekorps und des III. AK weisungsberechtigt sein. Im Krieg war er der Militärbefehlshaber für Berlin und die Provinz Brandenburg und die StGKs des Gardekorps und des III. AK waren ihm in dieser Hinsicht unterstellt.10 Bis zu seinem Tod am 27. Mai 1918 war Generaloberst von Kessel Oberkommandierender in den Marken, sein Nachfolger wurde am 28. Mai 1918 Generaloberst von Linsingen. Beide Offiziere standen im Ruf besonderer Entschlusskraft und ausgeprägten Durchsetzungsvermögens.11 5 6 7
8 9 10 11
Deist, Zensur, S. 155. Schudnagies, Belagerungszustand, S. 213–221. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 584–614. Über sie liegen weder Einzelstudien noch kollektivbiographische Untersuchungen vor. 1914 waren von den 50 Stellvertretenden Kommandierenden Generälen 22% zwischen 55 und 59, 46% zwischen 60 und 64 und 26% zwischen 65 und 69 Jahre alt. Einige der jüngeren Generale waren nach Ansicht ihrer Vorgesetzten nicht mehr fronttauglich und hatten daher nur im Heimatgebiet Verwendung gefunden. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, S. 1403, Anm. 1. BA/MA W 10/50300, fol. 8. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 3. Deist, Zensur, S. 130. Ebd., S. 147.
II. Diktaturen des Ausnahmezustandes
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Nach Wilhelm Deist wurde das Immediatrecht der Stellvertretenden Kommandierenden Generäle zwischen 1914 und 1918 nur einmal durch einen Besuch Kessels im Großen Hauptquartier in Anspruch genommen.12 Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Initiative für diese Unterredung von Wilhelm II. ausgegangen war und die Unterredung damit nicht auf die Inanspruchnahme des Immediatrechtes durch von Kessel zurückzuführen war.13 Wie widersprüchlich die Person und Tätigkeit von Kessels während des Krieges bewertet wurden, zeigen die Nachrufe auf ihn in Berliner Zeitungen. Nachdem er am 27. Mai 1918 im Alter von 72 Jahren in Berlin gestorben war, galt ihm der Norddeutschen Allgemeine Zeitung zufolge das aufrichtige Bedauern der Berliner Bevölkerung.14 Dazu hatte nach Ansicht der Vossische Zeitung vor allem seine Volkstümlichkeit beigetragen: Dem Volke wäre von Kessel „so etwas wie der ‚große Bruder‘, auf dessen Hilfe man gläubig hoffte“, gewesen.15 Dem gegenüber stellte der Vorwärts in seinem Nachruf fest, dass die Versuche einiger Berliner Zeitungen gescheitert seien, den General zu „einer populären Berliner Persönlichkeit zu stempeln.“16 Über diese Bemühungen, „dem Toten nachträglich die Popularität des ‚ollen Wrangel‘ anzufrisieren“, beklagte sich auch die pazifistische Zeitschrift Der Friede.17 Bereits zu seinen Lebzeiten war von Kessel als ‚Papa‘ Kessel zum fürsorglichen Vater der Hauptstadt stilisiert worden.18 Ebenso gespalten wie die Beurteilungen seiner Person waren die zeitgenössischen Urteile über seine Tätigkeit als Oberkommandierender in den Marken. In seinem Nachruf auf Kessel bezeichnete ihn der Vorwärts als „die lebende Diktatur“, die über eine „phantastisch anmutende Machtfülle“ verfügt habe und dem eine „nahezu diktatorische und faktisch kaum begrenzte Gewalt“ zugekommen sei. Auch Der Friede verwies auf das von Kessel ausgefüllte „Amt eines unbeschränkten Diktators über die Millionen einer großstädtisch geweckten Bevölkerung.“19 Liegen über von Kessel, das OKM und dessen Arbeit zumindest bruchstückhafte Informationen vor, so fehlen entsprechende Angaben aus der britischen Hauptstadt fast völlig. Befehlshaber des Londoner Militärbezirks war zwischen 1913 und Herbst 1918 General Francis Lloyd. Über seine Aufgaben und Zuständigkeiten liegen mit wenigen Ausnahmen keine Arbeiten vor.20 General Lloyd wird nur äußerst selten in der Literatur oder in Tagebüchern und Erinne12 13 14 15 16 17 18 19 20
Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, S. LI; ebd., Nr. 110, Anm. 9. Görlitz (Hrsg.), Regierte der Kaiser, S. 128–129; Janssen (Hrsg.), Exzellenz, S. 177; Scheck, Alfred von Tirpitz, S. 37–43; Riezler, Tagebücher, S. 344. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 28. Mai 1918. Vossische Zeitung 268, 28. Mai 1918. Vorwärts 143, 29. Mai 1918. „Kaempf und Kessel“, in: Der Friede 1 (1918), S. 476–477. Wolff, Oberkommando, S. 16. Vorwärts 143, 29. Mai 1918. „Kaempf und Kessel“, in: Der Friede 1 (1918), S. 476–477. Die ausführlichste Quelle zu seiner Biographie ist ein Nachruf. The Times, 27. Februar 1926. Sein Nachfolger wurde im Herbst 1918 Major-General Geoffrey C.T. Feilding. The Times, 30. September 1918.
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rungen genannt. Der Herausgeber des Daily Express beschrieb ihn als Alleinherrscher Londons und seine Tätigkeit als „iron hand in a velvet glove“ – bezog sich dabei allerdings allein auf seine rein militärischen Aufgaben.21 Wie wenig die Rolle des Militärs in der britischen Innenpolitik Gegenstand der britischen Geschichtswissenschaft war, zeigt sich u. a. daran, dass die Biographien Sir John Frenchs, zwischen 1914 und Ende 1915 Chef der BEF und nach seiner Ablösung durch Sir Douglas Haig bis Mai 1918 Oberbefehlshaber der Truppen in Großbritannien, letztere Position fast nicht behandeln.22 Grundlage der Kompetenzen Lloyds während des Krieges war der ‚Defence of the Realm Act‘, die britische Ausnahmezustandsgesetzgebung. Während das preußische Gesetz über den Belagerungszustand auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückging, resultierten die britischen Vorbereitungen eines Ausnahmezustandes aus der unmittelbaren Vorkriegszeit. In Großbritannien war 1911 nach der zweiten Marokko-Krise mit der Ausarbeitung eines ‚War Book‘ begonnen worden, in dem für alle Regierungsstellen die im Falle eines Krieges zu treffenden Maßnahmen aufgelistet waren. Das ‚War Book‘ unterschied zwischen einer u. a. nach dem Vorbild des deutschen ‚Zustandes drohender Kriegsgefahr‘ entwickelten ‚precautionary period‘ und dem Kriegszustand. Die britische Verfassung sah keinen Belagerungszustand als Phase zwischen Normalität und Ernstfall vor, in dem Maßnahmen eingeleitet werden konnten, ohne dass ein unmittelbarer Notstand vorlag. Daher drängte das Militär auf eine gesetzliche Regelung des Ausnahmezustandes. Noch 1913 wiesen Attorney-General und Solicitor-General in einem knappen Gutachten unter Berufung auf die Dehnbarkeit des Common Law solche Forderungen zurück und betonten, dass dieses, solange der Rechtsgrundsatz ‚salus res publicae suprema lex‘ gewahrt würde, für jede Eventualität ausreichte.23 Im November 1913 wurde schließlich ein Unterausschuss des Committee of Imperial Defence, des Beratergremiums des Premierministers in Verteidigungsfragen, geschaffen, um über ein Notstandsrecht (‚emergency powers‘) zu beraten. Aber erst knapp einen Monat vor Kriegsausbruch fand seine erste Sitzung statt, um die Frage zu diskutieren, mit welchen Vollmachten die Regierung im Falle eines Krieges versehen werden sollte. Das War Office forderte weitgehende Vollmachten betreffend die Beschlagnahme von Lebens-, Transport- und Kommunikationsmitteln, die Zensur, Verhaftungen und nicht zuletzt legislative Vollmachten in allen Fragen der öffentlichen Sicherheit. Angesichts des letzten 21 22
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Blumenfeld, All in a Lifetime, S. 103. Cassar, Tragedy of Sir John French; Holmes, Little Field Marshal. Auch die Biographie Sir William Robertsons, des Nachfolger von French, geht auf diesen Teil seiner Laufbahn nicht weiter ein. Woodward, Field Marshal Sir William Robertson. Rubin, Royal Prerogative, S. 145–146. In Großbritannien teilen sich der Attorney-General und sein Stellvertreter der Solicitor-General mit dem Home Secretary und dem Lord Chancellor die in anderen Staaten von Justizministern wahrgenommenen Aufgaben. Neben ihrer Zuständigkeit für die Strafgerichtsbarkeit und den Strafrechtsvollzug in England und Wales beraten sie die Regierung in Rechtsfragen.
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Punktes verwies der Attorney-General auf die durch das Common Law gedeckte Pflicht des Militärs, im Krieg alle im Interesse der Sicherheit des Staates notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.24 Bis in den Juli 1914 wurde zwischen den Ministerien keine Einigkeit in Fragen einer Ausnahmezustandsgesetzgebung erreicht. Unbekannt ist, unter welchen Umständen schließlich der DORA unter Beteiligung von Oberst Macdonogh, dem Chef von M.O.5, der vor dem Krieg u. a. mit Zensurfragen beauftragten Abteilung des War Office, und Maurice Hankey, Sekretär des Committee of Imperial Defence, sowie Abgeordneten des Parlaments ausgearbeitet wurde.25 Im War Office war 1907 die Abteilung Directorate of Military Operations 5 (M.O.5) gebildet worden, um verschiedenste Aufgabenbereiche zusammenzufassen. 1909 wurde M.O.5 auch die neu gebildete Spionageabwehr zugeschlagen.26 Zu den Aufgaben von M.O.5 zählten vor 1914 die Überwachung und Registrierung von Ausländern, Zensur und Kontrolle der Presse im Kriegsfall, Kontrabande und internationales Recht. Manche dieser Zuständigkeiten waren dieser Abteilung zugefallen, da sich keine Zuständigkeit anderer Abteilungen des War Office ergeben hatte. Der DORA und seine Folgegesetze waren die Rechtsgrundlage des zwischen 1914 und 1918 in Großbritannien herrschenden Ausnahmezustandes, einer in der Geschichte des britischen Rechtes beispiellosen Gesetzgebung.27 Der DORA als Ausnahmezustandsgesetzgebung ist vom Kriegsrecht im Sinne des Standrechtes („martial law“) zu unterscheiden. Dieses wurde während des Ersten Weltkrieges in Großbritannien nur während des Osteraufstandes in Irland verhängt und war zuvor nur in den Kolonien zur Anwendung gekommen. Britische Behörden stellten sich auf den Standpunkt, dass entsprechende Notmaßnahmen grundsätzlich durch das Common Law gedeckt wären und eine rechtliche Regelung daher nicht erforderlich wäre.28 Mit dem DORA sprach das Parlament der Regierung für die Dauer des Krieges das Recht zu, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der Verteidigung des Königreiches Verordnungen zu erlassen.29 Anfänglich erstreckte sich dieses Recht nur auf wenige Sachverhalte. Im Verlauf des Krieges wurden die Felder, in denen die Regierung bevollmächtigt wurde, fortlaufend überarbeitet und erweitert. Der am 27. November 1914 verabschiedete ‚Defence of the Realm Consolidation Act‘ übertrug auf Druck der Admiralität und des War Office dem Militär noch weitere Vollmachten und ermächtigte u. a. Kriegsgerichte, bei Verstößen gegen den DORA auch die Todesstrafe zu verhängen – bis dahin war die Höchststrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe. Obwohl damit zum ersten Mal seit über 250 Jahren Zivilisten ohne 24 25 26 27 28 29
Ebd., S. 153. Hankey, Supreme Command, S. 153–154. S. Kap. IV.2. Thurlow, Secret State, S. 47–73; Ewing und Gearty, Struggle, S. 43–93; Townshend, Making the Peace, S. 56–79. S. Townshend, Martial Law. Zum DORA s. Rossiter, Constitutional Dictatorship; Ewing und Gearty, Struggle; Townshend, Making the Peace; Trotter, Ausnahmezustand.
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Urteil einer Jury zum Tode verurteilt werden konnten, regte sich in den beiden Kammern des Parlaments kaum Widerspruch. Nach Kriegsende kommentierte ein Jurist: „Such fundamental principles of the constitution as those expressed by the phrases Government by Parliament, the Responsibility of the Executive to the Legislature, the Liberty of the Subject, Trial by Jury, Open Law Courts, Freedom of Speech, the Freedom of the Press, and the Englishman’s House is his Castle were attacked, whittled down, and in some cases reduced to mere shreds of their former consequence.“30 Ausdrücklich orientierten sich die Strafandrohungen durch den DORA am militärischen Strafrecht.31 Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit hatte das Parlament Anfang August 1914 seine Rechte ohne größere Aussprache an die Regierung abgetreten. Die Verabschiedung des Gesetzes im House of Commons erfolgte in solcher Eile, dass sich die Debatte vom 7. August 1914 aufgrund ihrer Knappheit vollständig in einer Fußnote wiedergeben ließe, von der der Wortlaut des Gesetzes bereits die Hälfte umfassen würde.32 Diese Bereitwilligkeit gilt als einmalig in der britischen Geschichte: „What is surprising to – if not shocking – to the foreign observer in the light of English history in the preceding century is the alacrity with which the English surrendered practically the totality of their cherished liberties to discretion of Government officials during an emergency.“33 Auch die Lesung des ersten Ergänzungsgesetzes war von keiner größeren Debatte begleitet. Im House of Lords wurde erst im November 1914 Kritik an dem Umstand laut, dass Militärgerichte eingesetzt worden waren, obwohl zivile Gerichte von den Kriegseinflüssen ungestört arbeiten konnten. Schließlich führte die Kritik des Parlamentes dazu, dass mit einem Ergänzungsgesetz (‚Defence of the Realm Amendment Act‘) im März 1915 Briten das Recht auf ein Verfahren vor einer Jury wieder zuerkannt wurde.34 Auch wenn zwischen 1914 und 1918 einzelne, aufgrund des DORA erlassene Verordnungen im Parlament kritisiert wurden, so wurde weder eine aufgrund dieser Kritik widerrufen, noch gab es überhaupt eine Generaldebatte über den DORA während des gesamten Krieges. Zu keinem Zeitpunkt des Krieges versuchte das Parlament, seine vor dem Krieg innegehabten Unabhängigkeit und Initiative wiederzuerlangen. Seine verbleibende Aufgabe war es nach dem amerikanischen Politologen Clinton Rossiter, den diktatorischen Edikten eines autokratischen Kabinetts demokratische Form zu verleihen.35 Bemerkenswert ist, dass der Bruch mit britischen Rechtstraditionen unmittelbar nach Beginn des Krieges zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem die Ausmaße der Kriegführung und ihre Anforderungen an die gesamte Gesellschaft noch nicht übersehbar waren. 30 31 32 33 34 35
Clarke, Rule of DORA, S. 32. Zu den Brüchen mit britischen Rechtstraditionen s. Ewing und Gearty, Struggle, S. 37. Grundlage des Strafrahmens war der Army Act von 1879. S. a. Army Act, S. 14. HC 65 (7. 8. 1914), Sp. 2192–2193. Ingraham, Political Crime in Europe, S. 295. Ewing und Gearty, Struggle, S. 49–50. Rossiter, Constitutional Dictatorship, S. 126.
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Kernstück des ‚Defence of the Realm Act‘ waren die Defence of the Realm Regulations (DRRs), die erstmals am 12. August 1914 bekannt gegeben wurden.36 Im Verlauf des Krieges erließ die Regierung ohne Bestätigung durch das Parlament eine Vielzahl dieser Verordnungen, die vielfach überarbeitet und erweitert wurden. Neue DRRs oder Erweiterungen bestehender DRRs wurden in einem ständigen Ausschuss, in dem alle Ministerien vertreten waren, diskutiert und dann dem geheimen Staatsrat, dem Privy Council, vorgelegt. Sie waren damit dem parlamentarischen Verfahren entzogen.37 Anfänglich zielten die DRRs auf die Abwehr von Spionen, die innere Sicherheit und die Heimatverteidigung, nicht aber auf die Unterdrückung von gesellschaftlichem Dissens. Dies änderte sich, je länger der Krieg andauerte, und entsprechende DRRs erlaubten nun die Beschlagnahme von Häusern, Grundstücken, Fahrzeugen, Booten und kriegswichtigen Gütern, das Betreten und Durchsuchen von Häusern und Wohnungen, die Räumung von Wohngebieten; die Verhängung von Ausgangssperren und die Verhaftung Verdächtiger ohne Haftbefehl. Rechtsgrundlage einer Verhaftung konnte bereits der Verdacht sein, der Beschuldigte beabsichtige ein Vergehen gegen den DORA.38 Die Distanz zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten schwand immer mehr. Kinder, die Drachen steigen ließen, Sportschützen mit ihren Kleinkalibergewehren benötigten ebenso wie Künstler mit ihren Zeichenutensilien Genehmigungen der Militärbehörden.39 Während des Ersten Weltkrieges wandelten sich in beiden Staaten sowohl Charakter als auch Funktionen des Ausnahmezustandes, und er entwickelte sich von einem Rechtsproblem des Verfassungsstaates zu einer Infragestellung des „bisherigen Verständnisses vom Verfassungsstaat überhaupt.“40 Neben der zeitlichen und räumlichen ist auch eine sachliche Ausweitung des Ausnahmezustandes zu beobachten und das Militär wurde zu einer Nebenverwaltung für den Krieg.41 Mit dessen Fortdauer und ohne ein absehbares Ende verstetigte sich der Ausnahmezustand und trug Züge einer neuen Rechtsordnung. In beiden Staaten wurden die Parlamente aus dem Gesetzgebungsverfahren entkoppelt und in Hinsicht auf den Ausnahmezustand auf gesellschaftliche Foren mit akklamatorischen Funktionen reduziert. Während des Krieges entwickelte sich damit auch das House of Commons zu einem relativ einflusslosen Mundstück der öffentlichen Meinung.42 36 37 38 39 40 41 42
Ewing und Gearty, Struggle, S. 61–62. Troup, Home Office, S. 240. Englander, Military Intelligence, S. 24–25. Vgl. Storry Deans, Law, S. 312. Boldt, Strukturwandel des Ausnahmezustandes, S. 324, 333. Ebd., S. 327. Thurlow, Secret State, S. 48. Zur Rolle des Reichstages während des Krieges s. Rauh, Parlamentarisierung. Den Stand der Forschung fasst zusammen: Barth, Dolchstoßlegenden, S. 173–180. Vergleichende Arbeiten zur Stellung der Parlamente in den kriegführenden Staaten liegen nicht vor. In komparativer Perspektive untersucht Marcus Kreuzer die Parlamentarisierung im Deutschen Reich vor 1914. Kreuzer, Und sie parlamentarisiert.
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Der Rechtshistoriker E. R. Huber sieht im Deutschen Reich mit der Militärdiktatur und der Zivildiktatur des Bundesrates ein „Nebeneinander von zwei Formen kommissarischer Diktatur.“ Unter kommissarischer Diktatur versteht er eine „auf eine Notzeit begrenzten, rechtlich gebundenen, der Erhaltung der gegebenen Staats- und Verfassungszustandes dienenden Ausnahmegewalt.“43 Ihm zufolge war die durch das Kriegsermächtigungs-Gesetz vom 4. August 1914 an den Bundesrat delegierte Rechtssetzungskompetenz von „weit grundsätzlicherer Bedeutung“ als die Verordnungsgewalt der Militärbefehlshaber. Während in Großbritannien durch den DORA und im Deutschen Reich durch das Ermächtigungsgesetz die gesetzgebende Gewalt einerseits auf ein einziges oberstes Regierungsorgan übertragen wurde, resultierte andererseits im Deutschen Reich aus der Übertragung der vollziehenden Gewalt auf die Militärbefehlshaber ihre vielfache Zersplitterung. Für Wilhelm Deist liegt die Einzigartigkeit der deutschen Handhabung daher weniger in den umfassenden Eingriffsmöglichkeiten der Militärbefehlshaber, sondern in dem Umstand, dass diese Machtbefugnisse außerhalb Bayerns insgesamt 57 Militärbefehlshabern zukamen, die allein dem Kaiser verantwortlich waren.44 In Bezug auf das Deutsche Reich zwischen 1914 und 1918 wird der Diktaturbegriff vor allem auf die zweite Kriegshälfte angewendet. So schrieb etwa Friedrich Meinecke 1929 von einer „militärischen Diktatur“ seit der Juli-Krise von 1917, Martin Kitchen spricht von einer „silent dictatorship“ der OHL, und Hans-Ulrich Wehler erkennt eine „Militärdiktatur Ludendorffs.“45 Nach Manfred Rauh ist es aber unzutreffend, die Stellung der OHL als diktatorisch zu bezeichnen. Ihm zufolge wird ihre Stellung am besten dadurch erfasst, dass sie „unter den Machtfaktoren des Reiches zeitweilig die Suprematie gehabt“ hätte.46 In der Regel wird der Diktaturbegriff allein mit dem Konflikt zwischen OHL und politischer Führung in Verbindung gebracht. Diese Verwendung des Begriffes lässt allerdings außer Acht, dass bereits mit Unterzeichnung der „Verordnung betreffend die Erklärung des Kriegszustandes im Reichsgebiet“ durch den Kaiser am 31. Juli die Militärbefehlshaber die vollziehende Gewalt übernommen hatten und damit in ihren Korpsbezirken über diktatorisch zu nennende Vollmachten verfügten. Im Deutschen Reich wurden damit weite Bereiche der Innenpolitik in die Hände der Militärbefehlshaber gelegt, deren 43
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Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 66. Zu dem auf Carl Schmitt zurückgehenden Begriff der kommissarischen Diktatur s. Hamacher, Carl Schmitts Theorie der Diktatur. Wie Michael Stolleis betont, ignoriert Schmitt in seinem Werk die Zivil- und Militärdiktatur während des Krieges. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 59, Anm. 40. Schmitt hatte 1916 einen grundsätzlichen Aufsatz zu diesem Problem veröffentlicht – ohne aber auf die Besonderheiten des Weltkrieges einzugehen. Schmitt, Diktatur und Belagerungszustand. Deist, Zensur, S. 155. Johanna Schellenberg hat dies als dezentralisierte Militärdiktatur bezeichnet. Schellenberg, Herausbildung, S. 45. Meinecke, Staat und Persönlichkeit, S. 214; Kitchen, Silent Dictatorship; Wehler, Kaiserreich, S. 213. Rauh, Parlamentarisierung, S. 345.
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Machtvollkommenheit auf Grundlage des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand von 1851 eine unmittelbare Folge der Revolution von 1848 war. Übertragungen der vollziehenden Gewalt erfolgten in allen kriegführenden Staaten. Diese diktatorischen Vollmachten erwiesen sich für deren Regierungen von den ersten Tagen des Krieges an als Notwendigkeit, um eine erfolgreiche Führung des Krieges zu gewährleisten. Die Geschichte moderner Diktaturen beginnt somit in Europa nicht erst zwischen 1917 und 1919. Mit der konstitutionellen Diktatur des Ausnahmezustandes ist das Jahr 1914 als die entscheidende Zäsur in der Geschichte moderner Diktaturen anzusehen. 1948 prägte Clinton Rossiter den Begriff der konstitutionellen Diktatur, indem er die Diktatur der römischen Republik als Vorbild einer temporär gedachten Absicherung der Demokratie als Diktatur in Krisenzeiten verstand. Ausführlich thematisierte er die britische Handhabung der Notstandsgesetzgebung zwischen 1914 und 1918 als idealtypisch.47 Forschungen zum Diktaturbegriff und zum Diktaturvergleich berücksichtigen sowohl den inneren Zusammenhang von (konstitutioneller) Diktatur und totalem Krieg als auch die mit der Ausübung des Ausnahmezustandes verbundenen staatlichen Erfahrungen und Enttäuschungen nur unzureichend.48 Zwar bestanden sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich Parlamente und Grundrechte während des Krieges weiter, und in einzelnen Fällen gelang es dem Reichstag, in die Ausnahmegesetzgebung einzugreifen. In beiden Staaten war die zeitliche Dauer des Ausnahmezustandes nicht konkret definiert, sondern bezog sich auf die Dauer des Krieges. Mit dem DORA veränderte sich zudem die Stellung des Militärs in der britischen Innenpolitik grundsätzlich. Großbritannien war in militärische Verwaltungseinheiten (Commands) gegliedert unter Militärbefehlshabern, den Competent Military Authorities, die dem Great Headquarters Home Forces unterstellt und für die Durchsetzung und Einhaltung der DRR verantwortlich waren.49 Während des Krieges lag bei Verstößen gegen den DORA die Entscheidung, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren einzuleiten, bei den Competent Military Authorities. Anklagen in Fällen von Spionage oder Subversion wurden in der Regel der militärischen Spionageabwehr (M.I.5) überlassen.50 In beiden Staaten war der Ausnahmezustand Grundlage für die unterschiedlichsten Eingriffe in bürgerliche Freiheitsrechte. Der Kontrollanspruch ging so weit, dass die Verbreitung von Gerüchten mit empfindlichen Strafandrohungen verbunden war. Obwohl die britische Regierung zugesichert hatte, mit dem DORA so wenig wie möglich in das Leben und die Eigentumsrechte der Bürger einzugreifen (DRR 1), erfolgte bereits am 26. August die erste Erweiterung des 47 48 49 50
Rossiter, Constitutional Dictatorship, Kap. XI. Heydemann, Theorie und Methodologie; Schmiechen-Ackermann, Diktaturen. Thurlow, Secret State, S. 52. Andrew, Secret Service, S. 192; Englander, Military Intelligence, S. 25.
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DORA durch den ‚Defence of the Realm Act (No 2) 1914‘. Dieses Gesetz ermächtigte die Regierung, Verordnungen zu erlassen, die die Verbreitung von Berichten, die dazu geeignet waren Missstimmung zu verursachen, verboten („to prevent the spread of reports likely to cause disaffection“).51 Auf dieser Grundlage wurde die im Verlauf des Krieges mehrfach erweiterte DRR 27 eines der wichtigsten Instrumente zur Kontrolle öffentlicher Meinungen, erlassen. In ihrer Fassung aus dem Jahr 1917 verbot sie: (a) spread false reports or make false statements; or (b) spread reports or make statements intended or likely to cause disaffection to His Majesty or to interfere with the success of His Majesty’s forces or of the forces of any of His Majesty’s Allies by land or sea or to prejudice His Majesty’s relations with foreign powers; or (c) spread reports or make statements intended or likely to prejudice the recruiting, training, discipline, or administration of any of His Majesty’s forces or the discipline of any police force; or (d) spread reports or make statements intended or likely to undermine public confidence in any bank or currency notes which are legal tender in the United Kingdom or any part thereof.52
DRR 27 galt für Aussagen in Wort und Schrift und konnte sowohl auf Presse, Kino- und Theateraufführungen, Reden als auch auf einfache Gespräche angewendet werden, und der bloße Besitz eines dagegen verstoßenden Dokuments stellte einen Straftatbestand dar, solange der Besitzer nicht beweisen konnte, dass er es nicht weiterverbreiten wollte.53 Im Deutschen Reich stellte das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 unter § 9 a das Verbreiten falscher Gerüchte unter Strafe: Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte [...] in Beziehung auf die Zahl, die Marschrichtung oder angeblichen Sieg der Feinde oder Aufrührer wissentlich falsche Gerüchte ausstreut oder verbreitet, welche geeignet sind, die Civil- oder Militairbehörden hinsichtlich ihrer Maßregeln irre zu führen, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe vorsehen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden.54
Noch 1912 wurde der Tatbestand des Verbreitens falscher Gerüchte in das bayerische Gesetz über den Kriegszustand aufgenommen. Auch in der Ausnahmezustandsgesetzgebung anderer deutscher Staaten des 19. Jahrhunderts fand ein solcher Passus Erwähnung. Die Aufnahme dieses Tatbestandes in die Ausnahmegesetzgebung der deutschen Staaten war eine unmittelbare Folge der Revolution von 1848/49.55 Schon bald nach Kriegsausbruch zeigte sich, wie schwierig die Anwendung dieses Paragraphen war. Hierzu hatte die den Tatbestand sehr
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Ewing und Gearty, Struggle, S. 44. Defence of the Realm Manual (19173), S. 94. Zur Anwendung des DRR 27 auf Gerüchte s. Kap. V.5., VI.3.1., VI.3.3. Zit. n. Boldt, Rechtsstaat, S. 259. Ebd., S. 272, 277. Vgl. Schudnagies, Belagerungszustand, S. 31–35. Zu Gerüchten 1848/49 s. Eibach, Gerüchte.
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einschränkende Formulierung des § 9 a wesentlich beigetragen, da Strafbarkeit nur dann eintrat, wenn sich die Gerüchte auf einen durch den Paragraphen genannten Gegenstand bezogen, objektiv falsch und objektiv geeignet waren, die Behörden irre zu führen, ohne dass es zu einer tatsächlichen Irreführung gekommen war.56 Aufgrund dieser Uneindeutigkeiten war der § 9 a in der Rechtspraxis nur von untergeordneter Bedeutung. Maßgeblich wurde schon im Spätsommer 1914 der § 9 b des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand. Dieser stellte Verstöße gegen von Militärbefehlshabern erlassene Verbote unter Strafe.57 Voraussetzung einer Bestrafung unter § 9 b war somit ein von den jeweiligen Militärbefehlshabern ausgesprochenes explizites Verbot des Verbreitens von Gerüchten.58 Nach dem ursprünglichen Wortlaut des Gesetzes waren Verstöße ausnahmslos mit bis zu einem Jahr Haft zu bestrafen. Erst Ende 1915 ermöglichte das auf Initiative des Reichstagsabgeordneten Schiffer zurückgehende Gesetz vom 11. Dezember 1915, bei Vorliegen mildernder Umstände auf eine niedrigere Haft- oder eine bis dahin nicht vorgesehene Geldstrafe von bis zu 1 500 Mark zu erkennen.59 Es fehlen Angaben über die Zahl der bei allen Instanzen anhängigen Gerüchte betreffende Verfahren und ihre zeitliche Verteilung.60 In beiden Staaten hatte das Militär auf Grundlage des jeweiligen Ausnahmezustandes in einem Umfang Aufgaben und Kompetenzen übernommen, der vor dem Krieg undenkbar gewesen war. Aber trotz der Ausrichtung des Landes an militärischen Interessen, sah es die britische Armee nie als ihre Aufgabe an, die Lebensmittelversorgung, die Produktion von Rüstungsgütern oder zivile Arbeitskräfte in ihre Hände zu nehmen.61 In Fragen der inneren Sicherheit – oder dem was die Armee dafür hielt – kam es allerdings zu einer deutlichen Ausdehnung militärischer Zuständigkeiten. Als Beispiele dafür sind die Stellung der Competent Military Authorities, der Ausbau des militärischen Nachrichtendienstes und der militärische Einfluss auf die Pressezensur zu nennen. Richard 56 57
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Strupp, Deutsches Kriegszustandsrecht, S. 90–91; Pürschel, Belagerungszustand, S. 148–153. „Wer [...] ein bei Erklärung des Belagerungszustandes oder während desselben vom Militärbefehlshaber im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes Verbot übertritt, oder zu solcher Übertretung auffordert oder anreizt.“ Zit. n. Boldt, Rechtsstaat, S. 259. Eine Auswertung der ermittelten Verbote zeigt eine Häufung im November 1914 und im Sommer 1918. S. Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten. Zu den juristischen Maßnahmen gegen Gerüchte im Deutschen Reich. S. a. Kap. V.5., VI.3.2., VI.3.3. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 47. 1914 und 1915 erfolgten 60 Verurteilungen wegen Verstößen gegen § 9 a, c, d. Die Statistik unterscheidet nicht weiter. Diese Angaben schließen nicht die von Militärgerichten und außerordentlichen Kriegsgerichten ausgesprochenen Urteile ein. Zum Vergleich: Wegen Zuwiderhandlungen gegen den § 9 b erfolgten 1915 38 145 Verurteilungen und 5 442 Freisprüche. Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 284, S. 306 und Bd. 297, S. 20. Die entsprechenden Paragraphen wurden in den folgenden Jahren nicht mehr erfasst, so dass weitere Angaben nicht möglich sind. Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 342, S. 14. Strachan, British Army, S. 143.
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Thurlow erkennt daher in Großbritannien Strukturen eines Polizeistaates unter militärischer Kontrolle.62 Allerdings war die britische Armee hierbei weitaus stärker als das Militär im Deutschen Reich in zivile Strukturen eingebunden. Auch wenn Ausnahmezustand und Zensur in den Parlamenten permanent thematisiert, und Regierungen und Behörden unter ständiger Beobachtung standen und kritisiert wurden, erwiesen sich rechtsstaatliche Bedenken aber in keinem der beiden Staaten als wesentlicher Hemmschuh der oben geschilderten Expansion. Mit dem DORA kam der britischen Armee durch die Competent Military Authorities und die Assistant Competent Military Authorities in der Innenpolitik eine bis dahin unbekannte Machtfülle zu.63 Aber das Militär übernahm diese zunächst nur zögerlich, und dem Home Office gelang es, weitergehende Ansprüche des Militärs abzuwehren.64 Allerdings war auch die britische Armee nicht gänzlich frei von Machtansprüchen. Das Verhältnis zwischen militärischer und politischer Führung war aber weitaus stärker als im Deutschen Reich von ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen gekennzeichnet, in denen es der Armee zu keiner Zeit gelang, der Politik ein Primat aufzuzwingen.65 Insofern ist der Feststellung Christoph Jahrs zuzustimmen, dass das Primat der Politik durch das britische Militär zwar herausgefordert wurde, diese sich aber gegenüber dessen „Machtprätentionen“ behaupten konnte.66 Um die Veränderungen der britischen Politik und der britischen Verfassung zwischen 1914 und 1918 zu erklären, ist allerdings für Großbritannien kein eventueller Primat des Militärischen, sondern das Primat der Maßnahme zu betonen. Dieser Begriff bezieht sich hier bewusst auf den von Ernst Fraenkel geprägten Terminus des Doppelstaates, der das „Nebeneinander eines seine eigenen Gesetze im allgemeinen respektierenden ‚Normenstaates‘ und die gleichen Gesetze missachtenden ‚Maßnahmestaates‘“ bezeichnet.67 Unter letzterem versteht er – mit Blick auf die nationalsozialistische Diktatur formuliert – das „Herrschaftssystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt“ war. Fraenkel bezog sich dabei ausdrücklich auf die Verfassungswirklichkeit des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg, die bereits Züge des Doppelstaats aufwies. Er verweist auf den Soziologen Emil Lederer, der als erster „das Nebeneinander von Normenstaat und Maßnahmenstaat geschildert“ habe.68 Fraenkel benutzt die englische Geschichte und die englische Varianten des Ausnahmezustandes und des Kriegsrechtes als Negativfolie zur deutschen Entwick62 63 64 65 66 67 68
Thurlow, Secret State, S. 53. Thurlow, Secret State, S. 52. Die Militarisierung der vollziehenden Gewalt durch den DORA wird weder von Strachan noch durch Rossiter diskutiert. Ebd., S. 53. Viele Konflikte wurden in einem Dreieck von Militär, Politik und Presse entschieden. McEwen, Brass Hats. Jahr, British Prussianism, S. 300. Fraenkel, Doppelstaat. Ebd., S. 220; Lederer, Soziologie.
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lung. Allerdings bezieht er sich dabei vor allem auf das britische Kriegsrecht („martial law“) des 18. und 19. Jahrhunderts und blendet die britische Entwicklung des Ausnahmezustandes während des Krieges aus. Im Unterschied zur Definition durch Fraenkel war der Maßnahmenstaat des Ersten Weltkriegs nicht als dauerhafte Einrichtung vorgesehen – also keine „souveräne Diktatur“ im Sinne Carl Schmitts.69 Da auch die britische Entwicklung mit dem DORA Konturen eines Maßnahmenstaates in einem zivilen Gehäuse erkennen lässt, ist es weniger die Konservierung britischer Zivilität als vielmehr eine Modernisierung der Herrschaftstechniken, die die britische Entwicklung von der preußisch-deutschen Entwicklung unterscheidet. Die Annahme Brock Millmans, dass sich Großbritannien unter Lloyd George 1917/1918 auf dem Weg in den Faschismus befand, führt aber in die Irre.70 Denn Millman skizziert Entwicklungslinien, die auf alle kriegführenden Staaten und nicht allein auf Großbritannien zutrafen und die allesamt als Reaktionen auf die Anforderungen des totalen Krieges zu verstehen sind. Millman hat jedoch an anderer Stelle zu Recht betont, dass von allen kriegführenden Staaten, mit Ausnahme der USA, Großbritannien das größte Maß an bürgerlichen Freiheiten bewahren konnte.71 Doch die Feststellung Millmans darf nicht davon ablenken, dass auch hier Staat und Verfassung massiven Veränderungen unterlagen und sich das Großbritannien von 1918 deutlich von dem Großbritannien von 1914 unterschied. Deutlichstes Beispiel dafür war neben dem DORA die Einführung der Wehrpflicht Anfang 1916. Unter dem Schlagwort ‚British Prussianism‘ wurde die drohende Angleichung an den verhassten Feind diskutiert.72 Clinton Rossiter zählt zu den Veränderungen des britischen politischen Systems den Bedeutungszuwachs des Kabinetts bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust des Parlamentes, fundamentale Veränderungen in der Struktur des Kabinetts und des Kabinettsystems, Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten durch Regierungsbeschlüsse und eine staatliche Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat.73 Zwar wäre das Parlament nicht ausgeschaltet worden, habe aber weitaus stärker als z. B. sein französisches Pendant erheblichen Einschränkungen in seinen legislativen Aufgaben unterlegen.74 Im Oberhaus konstatierte ein Lord: „At the present time the idea of parliamentary government in this country is nothing more than a farce.“75 Unter Lloyd George explodierte zudem die Anzahl der Kommissionen, Ausschüsse und Unterausschüsse – bis zum Ende des Krieges wurden allein zwölf neue Ministerien eingerichtet – damit waren im69 70 71 72 73 74 75
Zum Verhältnis von Fraenkel zu Schmitt s. Wildt, Ernst Fraenkel. Zu Diktaturplänen im Deutschen Reich während des Weltkrieges s. Thoss, Nationale Rechte. Millman, Lloyd George. Millman, Managing, S. 305. Dazu s. den gleichnamigen Aufsatz von Christoph Jahr. Rossiter, Constitutional Dictatorship, S. 151–152. Ebd., S. 156. HL 24 (7. 3. 1917), Sp. 418.
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mer weitere Politikfelder der unmittelbaren Kontrolle durch das Parlament entzogen.76 Allerdings überstiegen im Königreich die Möglichkeiten des Ausnahmezustandes die Realität des Ausnahmezustandes bei weitem, und die Regierung nutzte ihn nie voll aus.77 Dieses asymmetrische Verhältnis von Machtbefugnissen und Machtanwendung ist als das Spezifikum der britischen Entwicklung anzusehen.78
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Cronin, Politics, S. 71. Rossiter, Constitutional Dictatorship, S. 167. Dies ist schon 1911 am Official Secrets Act zu erkennen, dem britischen Gesetz zum Schutz staatlicher Geheimnisse. S. a. Kap. I.2.
III. ZENSUR III.1. Zensurapparate III.1.1. Oberzensurstelle und Kriegspresseamt Im Deutschen Reich bildete das preußische Gesetz über den Belagerungszustand auch die rechtliche Grundlage der Zensur. Weitere gesetzliche Regelungen wie der § 15 des Reichspressegesetzes, der dem Reichskanzler im Kriegsfall das Recht gab, Veröffentlichungen über Truppenbewegungen zu untersagen, und die Vorgaben des Reichsgesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 waren nur von nachrangiger Bedeutung.1 Mit Außerkraftsetzung der Artikel 27 und 28 der preußischen Verfassung war die Freiheit der Meinungsäußerung beendet. Der Presse im Allgemeinen und der Organisation einer Zensur im Kriegsfall im Besonderen war vor dem Kriegsausbruch lediglich eine nachgeordnete Bedeutung zugekommen.2 Die Zuständigkeit in Zensurfragen fiel vor allem Einrichtungen der preußischen Armee zu: der im Großen Hauptquartier befindlichen Abt. III b, der in Berlin unter Leitung von Oberst Brose neu gebildeten Stellvertretenden Abt. III b (StAbt. III b) und dem Kriegsministerium. Mit der Mobilmachung war der Große Generalstab um den Stellvertretenden Generalstab erweitert worden und damit auch um eine Stellvertretende Abteilung III b.3 Lediglich von nachrangiger Bedeutung waren zwischen 1914 und 1918 mit den Presseabteilungen des Reichsmarineamtes und des Admiralstabes die entsprechenden Einrichtungen der Marine. Verantwortlich für die Zensur der die Marine betreffende Angelegenheiten war die Presseabteilung des Admiralstabes, dem Nachrichtenbüro des Reichsmarineamtess fielen nur beratende Aufgaben zu, und mit Ausnahme der Handhabung des U-Bootkrieges in der Presse setzte die Marine nur wenige Akzente.4 1916 wurden die beiden Abteilungen zusammengelegt. Ein Schritt, der während des Krieges bei den Presseabteilungen von Generalstab und Kriegsministerium unterblieb. Innerhalb der Abt. III b gab es vor Kriegsausbruch keine eigenständige, mit Presseangelegenheiten beauftragte Abteilung und die Mobilmachungsvorbereitungen sahen vor, diese durch den Büro-Offizier der Abt. III b wahrzunehmen. Erst während der Mobilmachung entstand dort eine Sektion Presse.5 Be1 2 3
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Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 23–24. Vgl. Kap. I.1. Allgemein zu den Aufgaben des Stellvertretenden Generalstabes und der StAbt. III b: Erste Einführung in die Organisation und die Tätigkeit des Stellvertretenden Generalstabes der Armee und des Großen Generalstabes (1919) bis zur Auflösung am 30. 9. 1919, BA/MA PH 3/310. BA/MA RM 5, Nr. 3736, fol. 38–41, 231. Deutelmoser, Tagebücher, Erinnerungen, Bd. 1, S. 81–82; BA/MA RM 5, Nr. 3682, fol. 305–306; Gempp-Bericht, Teil 1, BA/MA Film Nr. GB 2143 P, fol. 314.
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III. Zensur
reits im Herbst 1914 wurde das Fehlen einer zentral gesteuerten und verbindlichen Handhabung der Zensur offenkundig. Die Uneinheitlichkeit der Zensur, das Ungeschick und die Engstirnigkeit der Zensurbehörden machten eine Neuorientierung notwendig, nicht zuletzt, um eine „übertriebene Schärfe“ der Zensur zu vermeiden.6 Ausschlaggebend waren einerseits Klagen der Presse über Ungleichbehandlungen und unnötige Härten und andererseits die Einsicht, dass mit diesen Mitteln der gewünschte Erfolg nicht erreicht worden war: Militärische Behörden anerkannten Beschwerden der Presseverbände. Anfang Oktober 1914 ergriff der Stellvertretende Generalstab die Initiative und forderte von den militärischen Zentralbehörden Vorschläge für die „Vereinheitlichung des gesamten Zensurwesens.“ Vorausgegangen waren Forderungen des Verbandes Deutscher Zeitungs-Verleger, eine „Ober-Zensurstelle“ zu schaffen.7 Am 19. Oktober 1914 wurde bei der StAbt. III b die Oberzensurstelle (OZ) als ständiger Ausschuss von Generalstab, Kriegsministerium, Admiralstab und Reichsmarineamt in Zensurfragen eingerichtet. Ihr Leiter war bis zum Kriegsende Major von Olberg.8 Da in das Verfügungsrecht der Militärbefehlshaber nicht eingegriffen werden konnte, kam der OZ kein Weisungsrecht zu. Ihre Tätigkeit beschränkte sich allein auf den „Austausch von Anregungen und Gutachten“ und das Erstellen von Richtlinien für die Durchführung der Zensur durch die Presseabteilungen und die durch diese beauftragten zivilen Stellen. Nach der Einrichtung der OZ kam der StAbt. III b selbst nur noch eine nachgeordnete Bedeutung in Presse- und Zensurfragen zu. Bei ihr verblieben in der Folge nur wenige Zuständigkeiten in Presseangelegenheiten, vor allem die Zulassung von Kriegsberichterstattern, Malern, Photographen und Pressevertretern und Ausländern zum Kriegsschauplatz.9 Die OZ verkehrte nur mit den militärischen Zensurstellen und lehnte den Verkehr mit der Presse selbst rigoros ab. 1915 legte der Stellvertretende Generalstab Organisation und Aufgaben der OZ durch Regeln fest. Die Tätigkeit der OZ umfasste: a. Festlegen allgemeiner Richtlinien durch Zuschriften an die mit der vollziehenden Gewalt betrauten Behörden, b. Erstattung von Gutachten in Zensurfragen, auf Ersuchen von Behörden an diese unmittelbar, auf Bitten oder Beschwerden der Presse durch die Vermittlung der zuständigen Zensurbehörden. c. Aufklärung von Zweifeln der Zensurbehörden und Telegramm-Überwachungsstellen, d. Übermittlung von Weisungen über die Behandlung bestimmter Sonderfälle an die Zensurbehörden, wenn Eile geboten ist, auch unmittelbar an die Presse.10
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Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 45. Ebd., Nr. 37. Die Veröffentlichungen Olbergs nach 1918 sind wenig aufschlussreich. Vogel, Organisation, S. 28 Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 54. Obwohl nicht formell in Kraft gesetzt, bestimmten diese Regeln die Praxis.
III.1. Zensurapparate
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Aufgrund anhaltender Ungleichmäßigkeiten in der Ausübung der Zensur erteilte der Kaiser mit der Kabinettsorder vom 4. August 1915 dem Kriegsministerium den Auftrag, eine Zentralorganisation für das Pressewesen einzurichten. Weiterhin verpflichtete diese Ordre die Militärbefehlshaber, sich den Empfehlungen der OZ besser als bisher „anzupassen.“11 Die Schaffung des Kriegspresseamtes (KPA) durch eine Verfügung des Kriegsministeriums am 14. Oktober 1915 bedeutete den Schritt von einer im Modus der Verhinderung betriebenen Zensurpolitik zu einer weiter gefassten Beeinflussung der Presse, und das KPA wurde zur „Zentrale einer militärisch organisierten Propaganda in Feld und Heimat.“12 Die damit verbundene Unterstellung der OZ aus dem Zuständigkeitsbereich der StAbt. III b unmittelbar unter die Abt. III b und somit die OHL änderte an ihren Zuständigkeiten und Aufgaben bis Kriegsende nichts. Auch das KPA konnte eine Einheitlichkeit der Zensurpolitik nicht gewährleisten, da ihm als rein beratende Stelle ebenfalls kein Weisungsrecht gegenüber den Militärbefehlshabern zukam, die die alleinigen Träger der vollziehenden Gewalt blieben. Nicht allen Zensuroffizieren gelang es gleichermaßen, ihre Aufgaben auszufüllen. Jedoch fällt es angesichts des lückenhaften Quellenmaterials schwer, Aussagen über die Mentalität der Zensoren zu machen. Einschränkend wirkte sicherlich das Ressortieren der Zensurstellen aus dem geheimen Nachrichtendienst, der vor dem Krieg vor allem mit der Spionage- und Spionageabwehr beauftragt war. So war der spätere Leiter des KPAs Stotten zuvor Chef der Abt. III b West und damit als Nachrichtendienstoffizier nur mittelbar mit Pressefragen in Berührung gekommen.13 Stottens Ablösung im August 1917 ging vermutlich auf dessen Unvermögen zurück, mit der Presse einvernehmlich zusammenzuarbeiten. Ein Offizier notierte Ende 1916, dass die Pressekonferenz immer stürmischer verliefe und Stotten anscheinend die Presse „nach rein militärischen Gesichtspunkten und mit den Befehlsformen eines Regimentskommandeurs leiten“ wolle.“14 Als ebenso folgenreich wie diese mangelnde Erfahrung mit der Presse erwies sich vermutlich das dem Nachrichtendienst immanente Misstrauen gegen jede Art von Öffentlichkeit. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Angehöriger der Abt. III b, der bis dahin jeder Form von Publizität kritisch bis ablehnend gegenüberstand, durch eine Versetzung innerhalb dieser Einrichtung zu einem geeigneten Manager von Publizität wurde. Auch waren die Zensurorganisationen bei Kriegsbeginn allein aus der Notwendigkeit der militärischen Geheimhaltung entstanden. So urteilte Deutelmoser nach dem Krieg über Oberst Brose, Chef der StAbt. III b, dass dieser ein „alter III b Mann“ gewesen sei, der „fast ausschließlich an den geheimen Nachrichtendienst und 11 12 13 14
Ebd., Nr. 52. Deist, Zensur, S. 162. BA/MA RM 5/3682, fol. 305–306. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 137, S. 342. Auch Nicolai bezweifelte die Eignung Stottens. Ebd., Nr. 330, S. 839, Anm. 1.
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III. Zensur
die Abwehr der Spionage dachte, die Presse-Sektion dagegen als lästiges Anhängsel“ betrachtet habe.15 Aufgrund der Rechtslage stand die Durchführung der Pressezensur im Deutschen Reich in einem bis zum Ende des Krieges nicht aufgelösten Spannungsverhältnis zwischen den Machtbefugnissen der Militärbefehlshaber und den Bemühungen der zentralen militärischen und politischen Institutionen um eine Vereinheitlichung der Zensur. Aufgabe der Presseabteilungen der StGKs war die Umsetzung und Überwachung der anfänglich von Abt. III b, dem Kriegsministerium und später durch die OZ erlassenen Verfügungen. Richtlinien, Empfehlungen und Anweisungen zentraler militärischer Behörden wie dem Kriegsministerium, dem Stellvertretende Generalstab oder der OZ waren erst nach der Bestätigung durch den Stellvertretenden Kommandierenden General verbindlich. Die Entscheidung über Zensurmaßnahmen blieb somit allein die Sache des örtlichen Militärbefehlshabers, eigenmächtige Initiativen in Presse- und Zensursachen blieben aber die Ausnahme.16 Die Militärbefehlshaber übten die Zensur nur selten unmittelbar durch ihre Presseabteilungen aus. Mit der Durchführung waren in den meisten Fällen nachgeordnete militärische Dienststellen oder auch zivile Behörden, zumeist Polizeiorgane, befasst.17 Mit Ausnahme von sofort notwendigen Maßnahmen hatten nachgeordnete Zensurstellen nicht das Recht, selbstständig Verbote und Verwarnungen auszusprechen. Verstöße waren der übergeordneten Zensurstelle zu melden, die dann das Erforderliche veranlasste.18 Da sich jedoch die Durchführung der Zensur durch Ortspolizeihörden nach Ansicht des Militärs nicht bewährt hatte, sollten diese im Verlauf des Krieges durch militärische ersetzt werden. Ein Grund dafür lag darin, dass dem Militär der Offizier als alleiniger Träger parteipolitischer Neutralität galt: Im August 1915 empfahl das Kriegsministerium den Militärbefehlshabern, alle Persönlichkeiten, die sich vor dem Krieg in irgendeiner Weise politisch betätigt hatten, von den Zensurstellen an weniger exponierte Posten zu versetzen.19 Verglichen mit den Presseabteilungen der anderen StGKs war die Presseabteilung des OKM wesentlich stärker besetzt.20 Allerdings ist ein 1917 veröffentlichtes Photo der einzige Hinweis darauf. Es zeigt 5 Hauptleute, 6 Oberleutnante und 15 Leutnante. Da Angaben über die Zahl der Schreib- und Hilfskräfte fehlen, können keine Angaben über ihre Gesamtstärke gemacht werden.21 Erster Leiter der Presseabteilung war Polizeidirektor und Hauptmann der Reserve Dr. Henninger, vor dem Krieg Leiter der politischen Abteilung des Berli15 16 17 18 19 20 21
Deutelmoser, Tagebücher, Erinnerungen, Bd. 1, fol. 88, IfZD Film, Nr. 13373. Deist, Zensur, S. 156. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 62, S. 131–134. Zur Stellung der Zensur in Bayern. Ebd., Nr. 43; vgl. Olberg, Kriegszensur, S. 597. Ebd., Nr. 41, Anm. 2. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 62, S. 131. Wolff, Oberkommando, S. 40.
III.1. Zensurapparate
57
ner Polizeipräsidiums. Bemerkungen Deutelmosers deuten darauf hin, dass Henninger aufgrund übertriebener Härte und Eigenmächtigkeit abgelöst wurde. In seinem Tagebuch kommentierte er am 28. November 1915 das Vorgehen Henningers: Oberkommando in den Marken hat in erster Linie die Mißstimmung verursacht. Erst war es nicht imstande, den Burgfrieden zu wahren (Herr Henninger wollte eben keinen Burgfrieden, weil dann die Polizei nichts zu tun hat) – und dann nachdem die Störung glücklich da war, ging es [...] vor: gegen die SozDem. auf eigenen Antrieb, u. gegen die V[ossische].Ztg. auf Druck von der Wilhelmstraße.22
Deutelmoser beklagte den in Preußen vorherrschenden Geist, der sich durch Worte nicht bannen ließ: „Und schritt man zu Taten, wie beispielsweise zu der Entlassung des Berliner Polizeidirektors Henninger, dann wirkte das nur lokal und meistens zu spät.“23 Sein Nachfolger war bis zu seiner Ablösung durch Hauptmann Beer am 15. Juni 1918 Hauptmann von Vietsch.24 Vor Kriegsausbruch war das Berliner Polizeipräsidium eine Behörde mit nahezu unbegrenzten Kompetenzen und nahm neben seinen polizeilichen auch die Aufgaben eines Regierungspräsidiums wahr. Es war somit zugleich Ortspolizei wie auch polizeiliche Aufsichtsbehörde, die jeder Einmischung durch kommunale Stellen entzogen war. Mit Erklärung des Kriegszustandes und der Übernahme der vollziehenden Gewalt durch die Militärbefehlshaber wurde es dem Oberkommandierenden in den Marken unterstellt, der nun alle zivilen und militärischen Vollmachten in seiner Person vereinigte.25 Wie bereits vor dem Krieg zwischen OKM und Berliner Polizeipräsidium vereinbart, übernahm nach Ausbruch des Krieges der Leiter der Exekutive der Abteilung VII die Leitung einer ‚Abteilung für die polizeilichen Angelegenheiten‘ des OKM.26 Das Polizeipräsidium diente dem OKM wie anderen Regierungsstellen als „allgemeine Auskunftsbehörde“ und nicht selten wurde das OKM erst auf Anregung des Polizeipräsidiums tätig.27 Die enge Zusammenarbeit zwischen OKM und der politischen Polizei führte dazu, dass diese als Exekutive des OKM diente und z. B. in dessen Namen Verwarnungen aussprach. Wie weit die Kompetenzen und der Machtanspruch der Militärbefehlshaber und vor allem des OKM reichten, zeigen mehrere Auseinandersetzung zwischen dem Reichskanzler und von Kessel. Vor allem in der Frage einer Zensur der öffentlichen Diskussion der Kriegsziele bemühte sich der General seine Auffassungen durchzusetzen. So kam es bereits im Oktober 1914 zu einer ersten Aus22 23 24 25 26
27
Deutelmoser, Tagebücher, Erinnerungen, Bd. 1, S. 31, IfZD Film, Nr. 13373. Ebd. Bd. 1, S. 93, IfZD, Film, Nr. 13373. Anlässlich seiner Verabschiedung am 15. Juni 1918 sprach Vietsch davon, 2 Jahre Leiter der Presseabteilung gewesen zu sein. BayHStA MKr, Nr. 14026. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 3a, S. 7–8. Wolff, Oberkommando, S. 30; Henning, Das Wesen und die Entwicklung der politischen Polizei, S. 90. N.B.: Henning und Henninger sind nicht identisch! Unklar ist, ob Henninger seine Position im Polizeipräsidium weiter ausübte. Z. B. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11361, S. 355.
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III. Zensur
einandersetzung zwischen von Kessel und Bethmann-Hollweg. Der Reichskanzler hatte versucht, die notwendigen Zensurmaßnahmen in direktem Kontakt mit dem OKM durchzusetzen. Von Kessel war jedoch nicht bereit, auf die Wünsche des Kanzlers einzugehen, so dass dieser eine Allerhöchste Kabinettsordre, einen kaiserlichen Befehl, anregte, die Militärbefehlshaber zu einer Unterstützung seiner Politik zu bewegen. Doch dieser Versuch scheiterte.28 Die Kontroversen zeigen, wie sehr der Oberbefehlshaber in den Marken und seine Befugnisse dem Einfluss der Politik entzogen waren.29 In der Anfangsphase des Krieges kam der Berliner Zensurbehörde eine besondere Bedeutung zu, es wurde sogar angeregt, sie zu einer nationalen Behörde zu vergrößern.30 Die Übernahme von bereits durch das OKM zensierter Artikeln der Berliner Presse war für die Provinzpresse zensurfrei – ein Verfahren, das der verbreiteten Praxis der Provinzpresse entgegenkam, Artikel aus den Zeitungen der Hauptstadt zu übernehmen. Von einer Nachzensur durch lokale Zensurbehörden waren ebenfalls alle Artikel befreit, die Berliner Vertreter der Provinzpresse auf Grundlage der in den Pressebesprechungen im Reichstag mitgeteilten Informationen verfasst hatten und die durch das OKM geprüft worden waren.31 Damit reichte die Arbeit der Berliner Zensurbehörde weit über ihre territoriale Zuständigkeit hinaus. Weitaus stärker als andere StGKs war das OKM an der Formulierung von Richtlinien und Grundsätzen der Zensur- und Pressepolitik beteiligt. So nahm z. B. Hauptmann von Vietsch an Referentenbesprechungen teil, zu denen die Leiter der Presseabteilungen anderer StGKs nicht eingeladen wurden.32 Als einziges StGK war das OKM in der OZ mit einem eigenen Referenten vertreten.33 In Berlin oblag auch die Durchführung der so genannten „Aufklärung“ der Zivilbevölkerung dem OKM, das in diesem Aufgabenbereich auch für die Korpsbezirke des StGKs des Gardekorps und des III. AK und damit für die gesamte Provinz Brandenburg zuständig war.34 Angesichts der sich verschlechternden Stimmung der Zivilbevölkerung hatten sich ab Mitte 1916 militärische Stellen zunehmend mit Fragen der Inlandspropaganda befasst. Im Frühjahr 1917 verfügten OHL und Kriegsministerium die Dezentralisierung der Inlandspropaganda und in den StGKs wurden Aufklärungsoffiziere ernannt.35 Mit der Einführung des Vaterländischen Unterrichts bei der Armee Ende Juli 28 29 30
31 32 33 34 35
Deist, Zensur, S. 157. Deist, Kontroverse. Hierzu s. die Denkschrift „Die Überwachung und Leitung der Presse in Kriegszeiten“ von Korvettenkapitän Mann, Leiter der Zentralabteilung des Reichsmarineamtes. BA/MA RM 3, Nr. 10294. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 36, S. 71–72. Z. B. BA R 1501/114440, fol. 48. Organisationsplan des KPA (Sommer 1918), BA R 43/2439 c. Schreiben des Kriegsministers an Deutelmoser (1. 3. 1918), BA R 43/2440, fol. 15. Stegmann, Inlandspropaganda, S. 82. Mai, Aufklärung; Loch, Aufklärung; Heise, Kampf, sind die einzigen Regionalstudien zur Propagandarbeit einzelner StGKs.
III.1. Zensurapparate
59
1917 ging schließlich die Kontrolle sämtlicher Propagandaaktivitäten auf die OHL über. Der allgemeine Rahmen der Propagandaarbeit wurde durch die Richtlinien des KPAs vorgegeben, die vor Ort durch die Aufklärungsoffiziere ausgefüllt wurden. Die Durchführung des Vaterländischen Unterrichtes für die Zivilbevölkerung wurde in den Korpbezirken jedoch weit uneinheitlicher gehandhabt als die Aufklärung des Militärs.36 Im Sommer 1918 arbeitete das OKM in Propagandafragen schließlich mit einer Vielzahl staatlicher Stellen zusammen u. a. mit der Aufklärungsstelle Preußen, der Kriegsamtstelle, der Nachrichtenstelle der Reichsbank, dem Kriegs-Ernährungsamt, landwirtschaftlichen Genossenschaften, den Regierungspräsidenten und weiteren kleinen Stellen.37 Allerdings bemängelte das OKM, dass gerade kleinere Aufklärungsstellen „ganz planlos“ arbeiteten und eigene Netze von Vertrauensleuten aufbauten und damit unnötige Mehrarbeit verursachten.38 Neben staatlichen Stellen arbeitete das OKM in Aufklärungsfragen mit einer Vielzahl vor allem konservativer privater Verbände zusammen. So kooperierte das OKM z. B. mit Berliner Arbeitgebern, die zudem um eigene Propagandamaßnahmen bemüht waren. 1917 hatte der Verband Berliner Metallindustrieller einen Ausschuss eingesetzt, der Propagandamaterial auf seine Verteilung an die Arbeiterschaft prüfen sollte und beschäftigte einen Schriftsteller, der eigenes Propagandamaterial verfasste.39 Im März 1918 baten Berliner Industrielle das OKM, „Flugblätter, Druckschriften und auch geeignete Herren zur Abhaltung von Vorträgen zur Verfügung zu stellen.“40 Über Einzelheiten der Propagandaarbeit des OKM liegen jedoch nur bruchstückhafte Informationen vor. So wurde seine Propaganda durch einen Propagandaausschuss begleitet, in dem auch die SPD vertreten war. Über die Arbeit dieses Ausschusses liegen aber keine weiteren Details vor.41
III.1.2. Press Bureau und M.I.7 In britischen Regierungskreisen war bereits vor 1914 über die Einrichtung einer Zensurbehörde im Kriegsfall nachgedacht worden, konkrete Planungen hatte es 36 37
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Schreiben des Kriegsministers an Deutelmoser (1. 3. 1918), BA R 43/2440, fol. 15. Zum Vaterländischen Unterricht in der Armee s. Lipp, Meinungslenkung, S. 62–89. Eine Übersicht über die Aufklärungsabteilungen verschiedener Reichsämter und preußischer Ministerien in: BA R 703/111, fol. 126–128. Zum Stand der Aufklärungstätigkeit der StGKs im Frühjahr 1918 s. den Bericht des Kriegsministers an Deutelmoser (1. 3. 1918), BA R 43/2440, fol. 15–17. Tagung der Leiter der StGKs und des OKM (15./16. 5. 1918), GStA Rep. 77, Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 159–160. Bieber, Gewerkschaften, Bd. 1, S. 477. Über die Propagandatätigkeit verschiedener Verbände s. u. a. Kimmel, Methoden. Zit. n. Bieber, Gewerkschaften, Bd. 1, S. 480. Tagung der Leiter der StGKs und des OKM (15. 5./16. 5. 1918), GStA Rep. 77, Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 127.
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III. Zensur
jedoch nicht gegeben.42 So war trotz aller getroffenen Vorkehrungen das Militär in Großbritannien in Pressefragen auf den Kriegsausbruch nicht vorbereitet, und in den ersten Tagen des Krieges weigerten sich sowohl Armee als auch Marine Informationen irgendeiner Art auszugeben.43 Nachdem das Admiralty, War Office and Press Committee bereits am 27. Juli 1914 die freiwillige Vereinbarung getroffen hatte, keine Einzelheiten der britischen Mobilmachungsvorbereitung zu berichten, gab es in den ersten Tagen des Krieges Rundschreiben heraus, in denen es die Presse auf zu vermeidende Veröffentlichungen hinwies.44 Als Winston Churchill am 7. August im House of Commons die Gründung des Press Bureau bekannt gab, nannte er die vielen Gerüchte als Motiv: a great many very disconcerting rumours spread about. These rumours arise from the fact that the censorship of the Press at present is of a very strict kind [...], and I think one consequence of that is that newspapers, in default of facts, are rather inclined to fill up their columns with gossip which reaches them from irresponsible quarters along the coast, where no doubt a great deal of apprehension may in the minds of nervous individuals prevail.45
Vermutlich wurde die Bekanntmachung der Einrichtung einer Zensurorganisation in die zweite Augustwoche herausgezögert, bis mit dem Defence of the Realm Act (DORA) eine bis dahin nicht bestehende Notstandsgesetzgebung als rechtliche Grundlage der Zensur ausgearbeitet worden war.46 Mit Gründung des Press Bureau wurde das Admiralty, War Office and Press Committee nahezu bedeutungslos.47 Nachdem die Bekanntmachung Churchills, dass eine Zensurbehörde geschaffen würde, zunächst keinerlei Reaktionen hervorgerufen hatte, nahm die Kritik am Press Bureau in Presse und Parlament schon bald zu. Trotz der Zusicherung eines „steady stream of trustworthy information“ war das Press Bureau schon im ersten Monat seines Bestehens mehr damit befasst, Publizität zu verhindern, als zu gewährleisten. Kriegsminister Kitchener erwies sich schon bald aufgrund seiner restriktiven Handhabung militärischer Nachrichten als schwere Belastung für die Beziehungen zwischen Militär und Presse. Anfang September 1914 äußerte Premierminister Asquith über Kitcheners Verhältnis zur Presse: „The papers I see are crying out (not without reason) for news, of which they had precious little this week. [...] K.[itchener] is absolutely no use for this kind of 42
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45 46 47
Lovelace, British Press Censorship, S. 310; Military Press Control, PRO INF 4/1 B. Allgemein über die britische Zensur: Cook, Press; Rose, Aspects; Hopkin, Domestic Censorship. Rose, Aspects, S. 14. McEwen (Hrsg.) Riddell Diaries, S. 85. Während des Krieges diente das Admiralty, War Office and Press Committee vor allem als Kanal zwischen Ernest Brade, dem Permanent Under Secretary im War Office, und der National Press Association. 1915 trat es fünfmal und 1916 nur dreimal zusammen. The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/93. HC 65 (7. 8. 1914), Sp. 2154–2155. Zum DORA s. Kap. II. Rose, Aspects, S. 16; Cook, Press, S. 39, Anm. 1.
III.1. Zensurapparate
61
thing, and has undisguised contempt for the ‚public‘ in all its moods and manifestations.“48 Zuvor war es im Kabinett bereits zu Auseinandersetzungen über das Verhalten des Kriegsministers gekommen. Der Eigentümer einer weit verbreiteten Sonntagszeitung, G. A. R. Riddell, gab eine Bemerkung des Direktors des Press Bureau wieder: There has been a great row in the Cabinet, so I am told, regarding suppression of news and delay in publication. Kitchener cannot understand that he is working in a democratic country. He rather thinks that he is in Egypt where the Press is represented by a dozen mangy newspaper correspondents whom he can throw into the Nile if they object to the way in which they are treated.49
Ungeklärt ist, welche Motive Kitchener zu seiner restriktiven Haltung bewegten. Farrar vermutet u. a. schlechte Erfahrungen Kitcheners mit Kriegsberichterstattern während der Kolonialkriege.50 Aufgrund dieser obstruktiven Haltung v. a. des Kriegsministers diente das Press Bureau in den ersten Wochen des Krieges in der Öffentlichkeit als Sündenbock für das Unvermögen des Militärs, mit einer kooperativen Informationspolitik auf die Bedürfnisse der Zeitungen und der Bevölkerung einzugehen.51 Unklar ist, warum F. E. Smith als erster Direktor ausgewählt wurde, ein enger Freund Churchills und führendes Mitglied der konservativer Opposition, der aber keine auf diese Aufgabe vorbereitende Qualifikation aufwies.52 Vermutlich war die Ernennung Smiths wie die Entscheidung, den parteilosen Feldmarschall Kitchener, den höchstdekorierten und populärsten Offizier des Empire, zum Kriegsminister zu ernennen, eine Konzession an die konservative Opposition. Nach den Ereignissen im irischen Curragh im Frühjahr 1914 war Kriegsminister Seely zurückgetreten und Premierminister Asquith hatte das Amt übernommen. In Irland stationierte Offiziere hatten angedroht, sich der Durchsetzung der Home-Rule Politik der britischen Regierung zu verweigern. Ihr Verhalten gilt als eine wenigen Gelegenheiten, in denen die Armee in Friedenszeiten den Primat der Politik herausgefordert hatte.53 Da keinem Befehl widersprochen und nur angekündigt wurde, diese nicht zu befolgen, sieht Charles Townshend die Vorfälle weniger als Meuterei sondern als Versuch, die Armee als Gegengewicht gegen das Parlament zu instrumentalisieren. Hew Strachan versteht seine Bedeutung als Wegweiser in die Zu-
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53
Brock und Brock (Hrsg.), Asquith, S. 221 (5. 9. 1914). S. a. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 105 (8. 4. 1915). McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 89. Über das Verhältnis Kitcheners zur Presse, s. a. Thompson, Northcliffe, S. 27–28. Farrar, News, S. 7. Headlam, Censorship of the Press, S. 141–142; Sanders und Taylor, Propaganda, S. 25–37; Thompson, Northcliffe, S. 28. Die Entscheidung, Smith zu berufen gilt als bizarr. Lovelace, British Press Censorship, S. 311. Smith war der Pate von Churchills Sohn Randolph. Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 4, Anm. 4. Jahr, British Prussianism, S. 296. Die Vorfälle fasst knapp zusammen: Strachan, Politics, S. 112–117.
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III. Zensur
kunft und betont, dass die britische Armee in den Ersten Weltkrieg im Kern politisiert und wohl beschlagen in der Kunst der politischen Intrige eintrat.54 In der ersten Phase der Arbeit des Press Bureau existierten weder Richtlinien, noch waren seine Aufgaben festgelegt. Da es ohne Richtlinien oder klar definierte Aufgabenbereiche geschaffen worden war, beruhte seine Arbeit zunächst vor allem auf Improvisationen.55 Wie einer seiner Direktoren nach dem Krieg feststellte, wuchs es mehr als dass seine Entwicklung einem festen Plan folgte: „officials were left to work out its scope and methods as experience might suggest.“56 Am 26. Oktober 1914 formulierte der Nachfolger Smiths Sir Stanley Buckmaster Grundsätze der Zensur:57 (i) to prevent the publication of news injurious to the naval and military operations of the British Empire; (ii) to prevent the publication of news likely to cause needless alarm and distress among the civil population; and (iii) to prevent the publication of news objectionable on political grounds: news, for example, calculated to injure the susceptibilities of other Allies.58
In einem internen Memorandum präzisierte Buckmaster die Formulierung „news objectionable on political grounds“ und betonte, dass es keine Zensur innenpolitischer Kritik gebe und dass alle Zensurmaßnahmen in dem Bewusstsein durchgeführt würden, „free publication“ zu erlauben, so lange diese mit der öffentlichen Sicherheit vereinbar war.59 Verfügte das Press Bureau über keine rechtlichen Mittel, um gegenüber der Presse Strafen auszusprechen, hatte die Regierung mit dem DORA allein die Streitkräfte und ab 1915 auch den Director of Public Prosecutions dazu in die Lage versetzt. Mit der Ablösung Buckmasters und der Ernennung des Journalisten Sir Edward Cook und des bewährten Kolonialbeamten Sir Frank Swettenham zu Direktoren des Press Bureau endete dessen Gründungsphase im April 1915. Sir Stanley Buckmaster (1861–1934) gehörte zwischen 1906 und 1910 und ab 1911 als liberaler Abgeordneter dem House of Commons an und war 1913 zum Solicitor-General ernannt worden. Seine Tätigkeit als Direktor des Press Bureau übte er zusätzlich aus. Mit der Umbildung des Asquith-Kabinetts Ende Mai 1915 wurde Buckmaster Mitglied im Oberhaus und Lord Chancellor. Aus dem Tagebuch G. A. R. Riddells geht hervor, dass Buckmaster bereits im November 1914 vor allem mit der von Northcliffe dominierten Presse aneinander geriet und ihm infolgedessen in Regierungskreisen Amtsmüdigkeit nachgesagt wurde.60 Nachfolger von Buckmaster wurden ein erfahrener Journalist und ein verdienter Beamter. Nach jahrelanger journalistischer Tätigkeit wurde Sir Edward 54 55 56 57 58 59 60
Townshend, Military Force, S. 270; Strachan, Politics, S. 116–117. Sanders und Taylor, Propaganda, S. 26. Cook, Press, S. 42. Zur Ablösung Smiths s. Kap. V.2. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 94–96. Notice to all officers of the Press Bureau (26. 10. 1914), PRO HO 139/17/66. PRO HO 139/17/67. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 94–96.
III.1. Zensurapparate
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Cook Ende des 19. Jahrhunderts Herausgeber verschiedener einflussreicher Zeitungen und galt als einer der einflussreichsten Journalisten seiner Zeit und wurde 1912 geadelt. Nachdem Sir Frank Swettenham dreißig Jahre vor allem in Asien in verantwortlicher Position gearbeitet hatte, war er 1904 aus dem Kolonialdienst ausgeschieden und gehörte dem Press Bureau seit dessen Gründung zunächst als stellvertretender Direktor an.61 Während des Krieges bestand das Press Bureau aus vier Abteilungen: Cable Department, Issuing Department, Military Room und Naval Room. Dem vor allem aus Armeeoffizieren bestehenden Cable Department des Press Bureau oblag die Prüfung ein- und ausgehender Pressetelegramme und Briefe an und von Zeitungen. Das Issuing Department hatte die Aufgabe, als Pressestelle der Regierung zu arbeiten.62 Aber während des Krieges gelang es nicht, diese Funktion durchzusetzen, so dass das Press Bureau die Ministerien in Rundschreiben auffordern mussten, Nachrichten nur durch das Press Bureau zu verbreiten.63 Dem Military Room oblag die Zensur aller militärischen Nachrichten. Hierbei arbeitete das Press Bureau mit keiner anderen Institution so eng zusammen wie mit der mit Presse- und Zensurangelegenheiten befassten Abteilung des War Office. Im ‚War Book‘ war festgelegt worden, dass die Kontrolle der Presse während des Krieges durch eine Unterabteilung von M.O.5 durchgeführt werden sollte, und zwei Offiziere wurden vor allem für die Veröffentlichung militärischer Kommuniques abgestellt.64 Schon bald nach Kriegsausbruch erzwangen die unerwarteten Anforderungen der Zensur eine personelle Verstärkung der Abteilung.65 Aus der 1914 geschaffenen kleinen Unterabteilung, deren Aufgabe allein die Zensur der Presse war, entwickelte sich während des Krieges eine Organisation, die nur noch zu einem geringen Teil mit Zensurfragen befasst war: M.I.7(a) war zuständig für die Zensur aller militärischen Nachrichten, Photographien, Bilder und Filme.66 M.I.7(b) war die Propagandaabteilung; M.I.7(c)
61 62 63 64 65
66
Vgl. Saxon Mills, Sir Edward Cook. 1917 wurde Cook mit dem Orden ‚Knight of the British Empire‘ ausgezeichnet. Cook, Press, S. 46–51. The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/91. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 4. Um Verwechslungen zu vermeiden wird im Folgenden die bei Ende des Krieges gebrauchte Bezeichnung verwendet: M.I.7. Die verwirrenden Umbenennungen lassen sich nachverfolgen in: Military Press Control, PRO INF 4/1 B. Aufgrund mehrerer Umstrukturierungen des britischen Nachrichtendienstes wurden seine Abteilungen zwischen 1914 und 1918 vielfach umbenannt. Innerhalb des im Januar 1916 im War Office eingerichteten Directorate of Military Intelligence entstand ein Deputy Directorate of Special Intelligence, in dem alle Tätigkeiten zusammengefasst werden sollten, die die militärischen Sicherheit im Inland betrafen (Post-, Brief-, Telegrammzensur, Spionageabwehr, Grenzkontrollen etc.). The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity. PRO INF 4/9. Anfang 1918 wurde es in Deputy Directorate of Military Intelligence umbenannt. Hiley, Counter-Espionage, S. 665 Wiederholt findet sich auch in der neueren Literatur die falsche Annahme, dass M.I.7(a) das Press Bureau war. Millman, Managing, S. 40, 181.
64
III. Zensur
organisierte Frontbesuche für Abgeordnete, Offiziere, Journalisten u. a.; M.7.(d) erstellte Pressespiegel ausländischer Zeitungen.67 Weitaus stärker als die Armee versuchte die Marine ihre Autonomie gegenüber dem Press Bureau durchzusetzen, so dass der ‚Naval Room‘, die im Press Bureau vertretenen Zensoren der Marine, als „imperium in imperio“ bezeichnet wurden.68 Zwischen 1914 und 1918 erwies sich als wichtigstes Aufgabenfeld der Marine-Zensur weniger die Berichterstattung über militärische Auseinandersetzungen auf See, sondern über den Handelskrieg. Nachrichten über Versenkungserfolge deutscher U-Boote waren immer auch Nachrichten über die angespannte Versorgungslage der britischen Zivilbevölkerung und hatten somit unmittelbare Auswirkungen auf die Stimmung an der Heimatfront.69 Während des Krieges gab das Press Bureau durch Buchstaben gekennzeichnete Reihen von Informationen heraus: A-Notices (Verlustlisten), B-Notices (Bulletins), C-Notices (im Auftrag verschiedener Ministerien verteilte ‚Communiques‘); P (oder PO)-Notices waren tägliche Kurzfassungen der Kriegsereignisse, die im ersten Jahr des Krieges an Postämter verschickt wurden, um eine rasche Information der ländlichen Bevölkerung über das Kriegsgeschehen durch Aushänge zu gewährleisten.70 Als wichtigstes Instrument des Press Bureau zur Beeinflussung der Presse erwiesen sich die D-Notices. Durch diese an die Zeitungen verteilten Rundschreiben wurden die Redaktionen mit Instruktionen und Warnungen darüber versehen, was die Regierung für veröffentlichungswürdig hielt und was nicht. Das Press Bureau verteilte die D-Notices durch das Admiralty, War Office and Press Committee an die einzelnen Zeitungen – ein Verfahren, das die Freiwilligkeit der Kooperation zwischen Zensur und Presse betonte.71 Neben dieser Verregelung der Berichterstattung beeinflusste das Press Bureau die Presse durch die Begutachtung freiwillig eingereichter Artikel. Journalisten konnten dem Press Bureau Artikel vorlegen, von denen sie vermuteten, dass sie den Bestimmungen des DORA widersprachen. Weder bestand ein Zwang, Artikel zur Zensur einzureichen, noch existierte neben den D-Notices und den Bestimmungen des DORA ein Regelwerk, das Journalisten die Notwendigkeit einer Überprüfung durch das Press Bureau empfahl.72 Allerdings schützte Unwissenheit der Redakteure wie auch der Zensoren vor Strafe nicht, und der 67 68 69 70 71
72
Military Press Control – A History of the Work of M.I.7, 1914–1919, PRO INF 4/1 B. Cook, Press, S. 45. Vgl. Thompson, Northcliffe, S. 135. PRO HO 139/13/48/4; Rose, Aspects, S. 22–23. Ebd., S. 16; Cook, Press, S. 39, Anm. 1; Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 9. Obwohl sich die Direktoren des Press Bureaus während des Krieges dafür aussprachen, dass diese Aufgabe durch das Press Bureau übernommen werden sollte, verblieb sie beim Admiralty, War Office and Press Committee. The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/93. Zu den D-Notices s. a. Kap. III.3.1. Die Zensoren prüften eingereichte Artikel anhand interner Instruktionen. Diese Instruktionen sind nicht überliefert. Rose, Aspects, S. 20.
III.2. Aufgaben der Pressezensur
65
Umstand, dass eine Information aus dem Press Bureau oder von einer anderen Regierungsbehörde stammte, konnte die Einleitung eines Ermittlungsverfahren nicht verhindern. Wenn ein Zensor einen Artikel prüfte, dann gab er nur die Auffassung des Press Bureau wieder, dass der Artikel nicht gegen die Bestimmungen von DORA verstieß. Eine Rechtssicherheit ergab sich daraus nicht. Aufgaben und Pflichten des Press Bureau blieben bis zu seiner Auflösung im April 1919 nicht unumstritten und Kritik von so unterschiedlichen Seiten wie der Presse, dem Parlament aber auch den Streitkräften verstummte zu keinem Zeitpunkt des Krieges gänzlich. Für die Arbeit des Press Bureau war entscheidend, dass der Öffentlichkeit das Agieren von Armee und Marine weitgehend verborgen und die Zensur nach außen eine zivile Einrichtung blieb, die allein der Kontrolle durch die Regierung unterlag und sich Handlungsfreiräume gegenüber dem Militär hatte bewahren können. Während des Krieges blieb das Press Bureau daher eine schwache Institution, die weder über alle Ereignisse in ihrem Aufgabenbereich informiert wurde noch ein Mitspracherecht in allen Angelegenheiten hatte. So erfolgte z. B. die Einführung offizieller Kriegsberichterstattern in Großbritannien ohne Wissen des Press Bureau, und die Direktoren erfuhren davon eher beiläufig wenige Tage vor der Abreise der ersten Journalisten.73 Auch wurde das Press Bureau nicht von allen Ermittlungsverfahren gegen Zeitungen wegen Zensurverstößen in Kenntnis gesetzt.74 Wenn Probleme der Pressezensur im Kabinett diskutiert wurden, dann nahm der Leiter des Directorate of Military Intelligence (später Directorate of Special Intelligence) daran wesentlich häufiger teil, als die jeweiligen Leiter des Press Bureau. Obwohl am 10. September 1914 das Home Office die politische Verantwortung für das Press Bureau übernommen hatte, wurden relevante Entscheidungen vor allem von den damit befassten militärischen Stellen und weder durch das Home Office noch durch das Press Bureau getroffen.75 Diesem kam im Verkehr mit M.I.7(a) und der Marine eine beratende Funktion zu und Naval und Military Room wurden von ihren Ministerien als ihre Außenposten im Press Bureau verstanden.76
III.2. Aufgaben der Pressezensur Sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich erwies sich die Durchführung der Pressezensur als ein komplexes Feld von Aufgaben und Rücksichtsnahmen. Rasch zeigte sich, dass das Aufgabenfeld der Zensurorganisa-
73 74 75
76
PRO HO 139/24/100/1. PRO HO 139/7/21/28. HC 65 (9. 9. 1914), Sp. 560. Obwohl dem Home Office verantwortlich, musste dieses die Direktoren nur selten konsultieren. The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/93. Rose, Aspects, S. 16.
66
III. Zensur
tionen in beiden Staaten weit gefasst war.77 Trotz aller Unterschiede überwiegen in der Tendenz die Gemeinsamkeiten in der Aufgabenstellung. Unterschiede lagen in der Wahl der Mittel und der daraus resultierenden Intensität der Zensur. Für die Militärs stellten Zeitungen doppelte Bedrohungen des militärischen Geheimnisses dar. Denn einerseits bestand immer die Gefahr, dass die Presse versehentlich oder absichtlich geheime oder vertrauliche Sachverhalte veröffentlichte, und andererseits konnten Zeitungen durch den gegnerischen Nachrichtendienst als Medium verschlüsselter Botschaften (z. B. durch Anzeigen) verwendet werden. In beiden Staaten galt daher die Presse aufgrund ihrer Auswertung durch den gegnerischen Nachrichtendienst als wichtigste Informationsquelle des Feindes. Das Ende Juli 1914 im Deutschen Reich ausgegebene ‚Merkblatt für die Presse‘ warnte vor unvorsichtigen Veröffentlichungen, die „auf tausend Wegen in Blitzeseile“ den Feind erreichen könnten. Ausdrücklich wurde betont, „selbst harmlos scheinende Mitteilungen“ oft ausreichten, „um dem Gegner ein zutreffendes Bild unserer militärischen Lage zu geben.“78 In Großbritannien betonte im März 1917 eine Zusammenstellung von D-Notices, dass es die Presse sei, die den Feind mit den schnellsten und zuverlässigsten Informationen versorgte.79 Um den Kriegsschauplatz errichteten die Zensurstellen eine Mauer, die gleichermaßen Feind und Heimat vom Kriegsgeschehen ausschloss. War es Aufgabe der OZ, nichts zu veröffentlichen, „was den Feinden wertvolle militärische, politische oder wirtschaftliche Aufschlüsse geben würde“80, so hatte das Press Bureau u. a. die Veröffentlichung von Nachrichten zu verhindern, die dem Erfolg der Operationen von Armee und Marine schaden konnten.81 Als eine der wichtigsten Aufgabe der Pressezensur galt, die Nummern der im Feld stehenden Bataillone geheim zu halten.82 Mit dieser Maßnahme sollte verhindert werden, dass der deutsche Nachrichtendienst Erkenntnisse über deren Einsatzräume und Einsatzbereitschaft erhielt. Dies führte dazu, dass dem Wunsch der Presse, über Erfolge und Einsätze lokaler Einheiten zu berichten, nicht entsprochen werden konnte. In Presse und Parlament wurde über dieses Vorgehen geklagt, da es angesichts der ausgeprägten regionalen Identität der Armee vor allem auf Bataillonsebene, den Rekrutierungsanstrengungen entgegenstünde. Den Zensurbehörden unterlag nicht allein die Berichterstattung über militärische Vorgänge, sondern alle Informationen, die dem Feind unter Umständen nutzen konnten. Weder waren die Absichten der Zensur für Außenstehende 77
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Aus Platzgründen kann im Folgenden nicht darauf eingegangen werden, wie sehr Zensurund Propagandaorganisationen unter Druck standen, dass in den Zeitungen für die Verwendung im Ausland verwertbare Artikel erschienen. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, S. 63–65. PRO HO 139/19/78/82, S. 2–3. Entwurf einer Dienstordung des KPA (Anfang September 1915), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 54. Notice to all Officers of the Press Bureau, PRO CAB 21/93, fol. 5. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 12.
III.2. Aufgaben der Pressezensur
67
nachvollziehbar, noch waren die damit verbundenen militärischen Interessen immer ersichtlich. In beiden Staaten unterlagen z. B. die Wetterberichte einer strengen Überwachung. Ursache war nicht blinde Kontrollwut, sondern das Wissen, dass Wetterprognosen Verlauf und Ausgang militärischer Operationen erheblich beeinflussen konnten.83 Da günstige Sichtbedingungen z. B. Voraussetzung für den Erfolg deutscher Luftangriffe waren, versuchte das Press Bureau meteorologische Informationen, zu verhindern. Bereits im Oktober 1914 wurde in Großbritannien nur der Abdruck offizieller Wetterberichte erlaubt, und im April 1918 wurden Wettervorhersagen vollständig verboten.84 Zu den weiteren Aufgaben der Zensur zählte, heimliche Kommunikation mit dem Feind zu verhindern. Aus den Zeitungen wurden Rätsel und Chiffreanzeigen verbannt, und in den Zensurreglements beider Staaten nahm die Zensur von Anzeigen einen wichtigen Platz ein. Allein die Presseabteilung des OKM prüfte täglich 6 000 bis 8 000 Inserate.85 Mit Hinweis auf eine Warnung des War Office verbot das Press Bureau die Veröffentlichung von Schachproblemen für die Dauer des Krieges und erlaubte diese nur dann, wenn die Absender Briten und von absoluter Zuverlässigkeit waren.86 Inwieweit eine solche Gefahr tatsächlich bestand, ist offen. Während einer Sitzung des Admiralty, War Office and Press Committee im Juli 1917 betonte der Leiter der Special Branch, dass seine Abteilung in den letzten Jahren hunderte von „personal advertisments“ überprüft und nichts Verdächtiges gefunden hätte.87 In allen kriegführenden Staaten diente die Zensur auch der Lenkung und Manipulation öffentlicher Meinungen. Zunehmend wurde die Berichterstattung von der Front wie von der Heimatfront nicht mehr allein unter dem Gesichtspunkt des Schutzes militärischer Geheimnisse, sondern immer mehr in Hinsicht auf die Wirkung auf die eigene Bevölkerung betrachtet. Mit Fortdauer des Krieges verwischten sowohl die Grenzen zwischen militärischer und politischer Zensur wie auch zwischen Zensur und Propaganda. Kriegswichtig und damit für die Zensur schutzwürdig wurden immer weitere Bereiche des öffentlichen Lebens. In der Anfangsphase des Krieges zählte zu den Aufgaben der britischen Pressezensur, die Veröffentlichung verschlüsselter Botschaften zu verhindern und die Herausgeber darüber zu informieren, welche militärisch sensiblen Informationen besser nicht veröffentlicht werden sollten.88 1917 räumten die Direktoren des Press Bureau ein, dass im nationalen Interesse die Zensur auch auf die Rekrutierung, Streiks von Eisenbahn- und Munitionsarbeitern und andere Themen ausgeweitet werden musste.89 83 84 85 86 87 88 89
Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 126–127. D-Notice 80 (21. 10. 1914), PRO HO 139/43/164; D-Notice 657 (13. 4. 1918), PRO HO 139/46/167. Vgl. Cook, Press, S. 142–145. Wolff, Oberkommando, S. 31. D-Notice 375 (3. 4. 1916), PRO HO 139/44/165. PRO DEFE 53/1. Zur Special Branch s. Kap. IV.2. Millman, Managing, S. 40 The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/93.
68
III. Zensur
Je länger der Krieg andauerte, umso großzügiger wurde die öffentliche Sicherheit als Legitimation der Zensur ausgelegt. Im Deutschen Reich sahen es die Zensurbehörden als Aufgaben der Zeitungen: Unsere Zeitungen sollen nicht schreiben, was das Volk gerne hört und was demzufolge den Straßenverkauf der Blätter ergiebiger macht. Sie sollen zu den geistigen Führern des Volkes gehören und schreiben was ihm nützt. Und darum dürfen sie nicht nur auf Augenblickwirkungen hinarbeiten, sondern sie müssen weiter blicken. Statt gestützt auf mangelnde Sachkenntnis vorauszuahnen, was draußen unsere Generale und Truppen vollbringen werden, sollen sie lieber voraus zu berechnen suchen, wie ihre Veröffentlichungen im Inland und Ausland wirken werden. Das ist das rechte Betätigungsfeld für den Journalistendrang, in die Zukunft zu sehen.90
Ein Motiv, die öffentliche Meinung durch Zensureingriffe zu lenken, war die Feinjustierung der öffentlichen Meinung auf ein kontrollierbares Niveau. Nicht kontrollierbare Affekte wie eine Beunruhigung der Bevölkerung sollte ebenso vermieden werden, wie der patriotische Überschwang, der in keiner Phase des Krieges ein erwünschtes Resultat der Berichterstattung war. Genauso wie im August 1914 ‚Begeisterung‘ von den Behörden nicht gewünscht worden war, waren Verunsicherung und Erregung des Publikums auch im weiteren Verlauf des Krieges zu vermeiden.91 Denn um die Steuerungsfähigkeit der öffentlichen Meinung zu wahren, hatten sich populäre Erwartungshaltungen an Verlauf und Ausgang des Krieges an den militärischen Möglichkeiten auszurichten. Im Deutschen Reich empfahl im Dezember 1914 der Chef des Stellvertretenden Generalstabes den Militärbefehlshabern, Zeitungen zu streichen, was „im Inlande übertriebene Hoffnungen, unbegründete Befürchtungen oder Niedergeschlagenheit erwecken könnte.“92 Dazu zählten Übertreibungen oder Überbewertungen durch reißerische Schlagzeilen oder sensationelle Aufmachung. Angesichts der von Übertreibungen ausgehenden Gefahr wurde der Presse im November 1915 damit gedroht, Überschriften unter Zensur zu stellen.93 Im weiteren Verlauf des Krieges wiederholte das KPA diese Drohung mehrfach. Im Frühjahr 1918 sprach es sich angesichts der erfolgreichen deutschen Offensive gegen die sensationelle Aufmachung von Überschriften aus, und drohte mit der Verhängung der Vorzensur über Überschriften. Ende Mai/Anfang Juni wurde nachdrücklich vor Voraussagen über zukünftige militärische Erfolge gewarnt.94 Während einer Besprechung der Zensuroffiziere im Februar 1916 betonte Nico90 91 92
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Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 129. Zum Ideal der Ruhe s. a. Kap. IV.5., VI.3.3. Schreiben des Chef des Generalstabes des Feldheeres an die Militärbefehlshaber (10. 12. 1914), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 45, S. 88. Vgl. die am 10. 12. 1914 von Abt. III b veranlasste Zensuranweisung, Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 56 Erläuterung des KPA über die Zusammenarbeit mit der Presse (6. 11. 1915), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 55, S. 109. S. a. Pressebesprechung vom 15. 11. 1915, Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 117. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 463, Anm. 3.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
69
lai, dass die OHL der Ausgabe von Extrablättern ablehnend gegenüberstand, damit „nicht eine nervöse Stimmung unter der Bevölkerung Platz greift.“95 Wie im Deutschen Reich zählte auch in Großbritannien zu den Aufgaben des Press Bureau: „To prevent the publication of news likely to cause needless alarm or distress among the civil population.“96 Im März 1915 wurde die Presse durch D-Notice 183 gewarnt: The magnitude of the British task in this great war runs serious risks of being overlooked by reason of exaggerated accounts of success printed daily in the Press and especially by exhibiting posters framed to catch the eye and magnify comparatively unimportant actions into great victories. Reported reverses to the enemy are proclaimed as crushing defeats, Germany is represented as within measurable distance of starvation, bankruptcy, and revolution, and, only yesterday, a poster was issued in London declaring that half the Hungarian Army had been annihilated. All sense of just proportion is thus lost, and with these daily, and often hourly, statements of Allied gains and immense enemy losses, the public can have no appreciation of these facts or of the gigantic task and heavy sacrifices before them.97
Ende Juni 1916 wies D-Notice 416 auf die zunehmende Tendenz der Presse hin, über kommende Ereignisse zu spekulieren und das War Office betonte nachdrücklich, dass Voraussagen über bevorstehende militärische Ereignisse äußerst unerwünscht wären.98 Veranlasst wurde das Ersuchen durch die am Vortag begonnene Offensive der britischen Armeen an der Somme, die von großen Erwartungen der britischen Öffentlichkeit begleitet wurde. Tatsächlich endete der erste Tag der Offensive mit einer beispiellosen Katastrophe für die britische Armee. Nur wenige Tage nach Beginn der Somme-Schlacht drängte M.I.7(a) angesichts der von Zeitungen verbreiteten Hoffnungen auf einen baldigen Sieg das Press Bureau auf eine Erneuerung von D-Notice 183: „There is a great danger of suggeration in the Posters which appeared yesterday afternoon, and any such suggeration is liable to mislead the Public, and does not give a true appreciation of events. A reasonable restraint is therefore desirable.“99
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur III.3.1. Zentralisierung und Reglementierung von Informationen Wichtigste Handlungsebene der Zensur war die Durchsetzung der Kontrolle über die der Presse zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten. Mit der Unterbrechung des freien Flusses von Informationen wurden staatlich kon95 96
97 98 99
Protokoll der Zensurbesprechung (28. und 29. 2. 1916), BA R 1501, Nr. 112269, fol. 81. Hier traten im weiteren Verlauf des Krieges Änderungen ein. Die Regelung „was subsequently omitted, and there has consequently been no means of stopping unduly alarmist articles or posters.“ The Official Press Bureau, S. 5. Vgl. Cook, Press, S. 28. D-Notice 183 (12. 3. 1915), PRO HO 139/43/164. PRO HO 139/44/165. PRO HO 139/22/92/7.
70
III. Zensur
trollierte Kommunikationskanäle und standardisierte Informationsangebote erzwungen. Informationsangebote unterlagen auch einer steten Konzentration. Im Deutschen Reich kam dem Wolffschen Telegraphen Bureau, der wichtigsten deutschen Nachrichtenagentur, eine Schlüsselstellung zu. Mit Kriegsausbruch wurde es von einem privaten Unternehmen mit offiziöser Stellung zu einem „Dienstleistungsunternehmen in staatlichem Auftrag.“100 Eine eigenständige Informationspolitik – jenseits wirtschaftlicher Interessen – kam ihm jedoch nicht zu. Mit Verhängung des Kriegszustandes war es neben dem üblichen Korrespondenzbetrieb verantwortlich für die Übermittlung amtlicher Nachrichten, wie den Heeresberichten, an die Zeitungen. Agenturmeldungen wurden von Berlin an 42 Büros in großen Städten telephoniert und von dort an die einzelnen Zeitungen weitergegeben. 1916 wurden auf diesem Weg über 2 500 Zeitungen täglich mit amtlichen Nachrichten versorgt – Ziel war es, diese Meldungen in ein bis zwei Stunden flächendeckend zu verteilen.101 Im Deutschen Reich wurden die Redaktionen so zunehmend von einer einzigen Nachrichtenquelle abhängig. Neben einer auffälligen Eintönigkeit der Blätter machte es diese Monopolstellung einzelnen Redaktionen unmöglich, den Wahrheitsgehalt der Nachrichten zu prüfen oder zu korrigieren. Ein weiteres zentrales Instrument staatlicher Presselenkung waren die seit dem 3. August 1914 zunächst täglich auf Einladung des Generalstabes stattfindenden Sprechstunden für die Vertreter der Berliner Presse.102 Aus dieser anfänglich provisorischen Einrichtung entwickelte sich eines der wichtigsten Instrumente der deutschen Pressepolitik des Ersten Weltkrieges, und schon bald nahmen Vertreter weiterer Behörden und der Provinzpresse an den mehrmals wöchentlich stattfindenden Besprechungen teil.103 100 101 102
103
Basse, Wolff’s Telegraphisches Bureau, S. 159, 192. Creutz, Pressepolitik, S. 38. Seit dem 15. 3. 1915 verteilte die OZ als vertraulich geltende Kurzfassungen der Besprechungen (Aufzeichnungen aus den Pressebesprechungen) vor allem an Zensurbehörden, nicht jedoch an die Presse. Empfänger waren der Generalstab, alle Stellvertretenden Generalkommandos, die Kriegministerien in Berlin, München, Stuttgart und eine Reihe weiterer Dienststellen. Sie sind einerseits als maschinenschriftliche Konzepte für die Zeit vom 10. 11. 1915 bis 16. 2. 1916 in den Presseakten der Reichskanzlei überliefert und für die Zeit vom 15. 3. 1915 bis 5. 11. 1918 im Reichsamt des Inneren. Weitaus umfangreicher als diese Kurzfassungen sind die Wortprotokolle (große Protokolle), die für den Zeitraum Oktober 1917 bis Anfang November 1918 überliefert sind und den Verlauf der Besprechungen fast wörtlich festhalten. Nach Creutz wurden Wortprotokolle bereits seit 1915 angefertigt. Creutz, Pressepolitik, S. 63–64. Mit Deist sind diese Wortprotokolle als eine der „interessantesten Quellen für die Wandlungen der öffentlichen Meinung und der Stimmung im Kriege“ anzusehen. Deist, Zensur, S. 157, Anm. 27. Die Hinweise für den Dienstgebrauch waren mit römischen Ziffern I–III markiert. Mit I. gekennzeichnete Mitteilungen durften der Presse zur Verfügung gestellt werden, II. kennzeichnete nur zur vertraulichen Information gedachte Mitteilungen und mit III gekennzeichnete Hinweise dienten nur der Kenntnisnahme der Zensurbehörden. Kosyk, Pressepolitik, S. 186–188; Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 67, S. 147. Koszyk, Pressepolitik, S. 186
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
71
Eine mit den Pressekonferenzen vergleichbare, regelmäßige Unterrichtung der Presse erfolgte in Großbritannien nicht. Ab Dezember 1917 organisierte die ‚Newspaper Press Association‘ Vorträge für die britische Presse vor etwa 30 bis 50 Journalisten. Amerikanische Pressevertreter konnten bereits ab Oktober 1916 und Journalisten verbündeter und neutraler Staaten ab Mai 1917 an solchen Konferenzen teilnehmen. Der Director of Military Operations gab „authoritative information, whether for publication or, confidentially, for guidance“ heraus. Journalisten erhielten die Mitschrift des Vortrages. Obwohl ursprünglich als Material für Leitartikel gedacht, ging die Presse bald dazu über, diese Mitschriften nur unwesentlich verändert zu veröffentlichen.104 War die Berichterstattung der Presse weitgehend zensurfrei, so unterlag der Telegrammverkehr der Presse in Großbritannien einer obligatorischen Zensur.105 Das Press Bureau prüfte jedes vom Central Telegraph Office direkt durch eine Rohrpostverbindung an das Press Bureau weitergeleitete ein- und ausgehende Telegramm an Zeitungen.106 Während des Krieges unterlagen der Briefverkehr der Zeitungen und die Versendung von Zeitungen aus dem In- und Ausland der obligatorischen Prüfung durch die Postzensur (M.I.9).107 Im September 1918 übertrug das War Office die Zensur aller Pressekommunikationen per Draht an das Press Bureau. Die Zensur aller anderer Verbindungen per Post und Draht verblieben beim Chefzensor im War Office. Angesichts der Konzentration und Kontrolle der Berichterstattung durch das Militär waren die Zeitungen von ihren normalen Informationskanälen wie Korrespondenten und Nachrichtenagenturen weitgehend abgeschnitten und vor allem auf offizielle Verlautbarungen des Militärs und von diesem freigegebenen Mitteilungen angewiesen. In beiden Staaten bestand die erste publizistische Aktivität des Militärs in der Ausgabe von offiziellen Informationen über den Kriegsverlauf. Sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich verblieb diese Aufgabe bei den Hauptquartieren der Armeen und fiel nicht in die Zuständigkeit der Presse-, Zensur- und Propagandaorganisationen.108 Diese Verlautbarungen enthielten nur wenig substantielle Informationen, so dass den Zeitungen nur die Kommentierung und Analyse des ihr zur Verfügung gestellten Nachrichtenmaterials verblieb – eine eigenständige, unabhängige Berichterstattung war ihr nicht mehr möglich. Vorliegende Arbeiten über die Geschichte der Kriegsberichterstattung verfolgen fast ausschließlich die amerikanische und bri104 105 106
107 108
Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 25. Im Gegensatz zu: Marquis, Words, S. 476. 1917 schlugen die Direktoren des Press Bureau zur Optimierung ihrer Arbeit vor, dass insofern es Presseangelegenheiten betraf, auch die Postzensur durch das Press Bureau ausgeübt werden sollte. The Official Press Bureau (16. 3. 1917), PRO CAB 21/93. The Organization of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 39. Zu den deutschen Heeresberichten s. „Aufzeichnungen des Obersten Wetzell“, in: Schwertfeger, Verantwortlichkeiten, Nr. 22, S. 434–440. Für die Heeresberichte war in der 3. OHL Ludendorff persönlich verantwortlich.
72
III. Zensur
tische Entwicklung. Damit fehlen nicht nur Untersuchungen über die deutschen Kriegsberichterstatter während des Ersten Weltkrieges, sondern auch über Eigenheiten der Kriegsberichterstattung in Deutschland vor 1914.109 In beiden Staaten war die Verregelung der Berichterstattung durch Zensuranweisungen elementarer Bestandteil der Zensur. In Großbritannien hatte das Admiralty, War Office and Press Committee bereits vor 1914 durch die Press Association Hinweise an die Redaktionen übermittelt, welche Veröffentlichungen als unerwünscht angesehen wurden.110 Im Verlauf des Krieges wurden sie unter der durch das Press Bureau vorgenommen Bezeichnung ‚D-Notice‘ bekannt. Mit diesem Instrument wurden die Redaktionen darüber in Kenntnis gesetzt, was die Regierung für veröffentlichungswürdig hielt und was nicht. In den meisten Fällen formulierten die D-Notices allgemein gehaltene Hinweise an die Redaktionen und nur in Ausnahmefällen wurde auf einzelne Vorfälle eingegangen.111 Bis April 1919 versandte das Press Bureau 747 dieser Anweisungen an über 1 500 Redaktionen.112 D-Notices waren so abgefasst, dass sie der Presse so wenig wirkliche Informationen wie möglich mitteilten: „though marked ‚Private and Confidential‘ the whole Press cannot be trusted to treat as really confidential.“113 D-Notices waren vertraulich und sollten auch nicht in die Hände von Mitgliedern des Parlamentes fallen.114 Sie waren rechtlich nicht bindend, sie zu befolgen lag allein im Ermessen der Zeitungen und wurden in der Regel von anderen Einrichtungen als dem Press Bureau initiiert – die meisten entstanden auf Anregung eines Ministeriums. Die Frequenz der D-Notices war schwankend. Durchschnittlich wurden während des Krieges pro Monat etwa 15 D-Notices verteilt. Allerdings war ihre Anzahl in den ersten Monaten des Krieges weitaus höher als gegen Ende des Krieges. Die meisten wurden im September 109
110
111
112
113 114
Zu den britischen Kriegsberichterstattern Knightley, Casualty, S. 80–112; Grieves, War Correspondents; Farrar, News. S. a. Lerg, Kriegsberichterstattung, S. 407, 411. Ein grober Überblick über Kriegsberichterstattung im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland findet sich ebd., S. 409–413. S. a. Daniel (Hrsg), Augenzeugen; Brandt, Vom Kriegsschauplatz zum Gedächtnisraum; Creutz, Pressepolitik; Lindner-Wirsching, Patrioten im Pool. PRO INF 4/1 B (Military Press Control, S. 4). Noch während des Krieges wurden diese als Parker-Telegramme bezeichnet. Dies leitete sich vermutlich aus dem Namen des Sekretärs des Admiralty, War Office and Press Committees vor 1914, Ernest Parke, ab. Z. B. verbot eine D-Notice im Februar 1918, zu erwähnen, dass in Liverpool Fähren von der Regierung beschlagnahmt worden waren. Hintergrund war, dass die Schiffe bei einem waghalsigen Kommandounternehmen verwendet werden sollten, D-Notice 625 (12. 2. 1918) PRO HO 139/45/166. PRO HO 139/43/164 (Nr. 1–276), 165, Nr. (277–470); 166 (Nr. 471–640); D-Notices (641–747). Von den 747 D-Notices bezogen sich fast 50 auf andere D-Notices und bezogen sich allein auf deren Wiederuf. Bei 74 D-Notices handelte es sich um Mitteilungen an die Presse, über welche Reisen wichtiger Persönlichkeiten nicht berichtet werden sollte. 13 D-Notices wurden nach dem Waffenstillstand ausgegeben. Schreiben der Direktoren des Press Bureau an den Director of Military Intelligence, General Macdonogh (13. 4. 1917), PRO HO 139/31/122. PRO HO 139/39/140.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
73
1914 ausgegeben und ihre Zahl nahm bis 1917 ab. 1918 nahm ihre Zahl wieder leicht zu.115 Zusätzlich zu den ‚D-Notices‘ erhielt ab Sommer 1916 eine geringe Anzahl von Verlegern geheime und vertrauliche Kommentare. Mit diesen wollte die Regierung vertrauliche Informationen von der Veröffentlichung ausschließen, den Verlegern aber zugleich Hintergrundinformation zukommen lassen.116 Entsprechende Mitteilungen wurden von M.I.7 gesammelt und zur Verteilung an das Press Bureau weitergeleitet.117 Im Deutschen Reich stand den Presseabteilungen der StGKs zu Anfang des Krieges nur das am 31. Juli 1914 an alle Zeitungen des Reiches ausgegeben knappe ‚Merkblatt für die Presse‘ zur Verfügung. Erst in den folgenden Monaten entstanden Richtlinien und detaillierte Regelwerke der Zensur. Das im Herbst 1914 und im Frühjahr 1918 erweiterte Merkblatt listete einen Katalog von 26 Punkten auf, deren Veröffentlichung verboten war.118 Das ursprüngliche Merkblatt hatte vor allem den Aspekt der militärischen Geheimhaltung betont, wohingegen mit den Ergänzungen versucht wurde, der Presse verbindliche Sprachregelungen in politischen Angelegenheiten zu empfehlen. Unter anderem wurde gefordert: „Ein Zweifel an der nationalen Gesinnung und Entschlossenheit irgendeines Deutschen, einer Partei oder Zeitung wirkt in hohem Maße nachteilig, weil er den Eindruck der deutschen Einheit und Energie beeinträchtigt.“119 Wurden die allgemeinen Absichten der Zensur durch das Merkblatt für die Presse und seine Ergänzungen dargelegt, so reglementierte eine Flut von Zensuranweisungen die Berichterstattung. Zu Anfang des Krieges gaben das Kriegsministerium und die Abt. III b des Generalstabes diese aus. Nach ihrer Einrichtung gingen die meisten Zensuranweisungen von der OZ aus. Die Zahl der deutschen Zensuranweisungen überstieg die der britischen D-Notices um ein vielfaches. Allein bis Ende 1916 sollen über 2 000 ausgegeben worden sein.120 Anders als die britischen D-Notices liegen die deutschen Zensuranweisungen nicht geschlossen vor, so dass ihre exakte Zahl nicht angegeben werden kann. Da sie nicht fortlaufend nummeriert sind, sondern jeweils die Journalnummer 115
116 117
118 119 120
Die wichtigsten D-Notices wurden in Abständen zu gebundenen Sammlungen, so genannten ‚Blue Books‘ zusammengefasst. PRO HO 139/19/78/23 (Juli 1915), HO 139/19/78/38 (Februar 1916), HO 139/19/78/82 (März 1917), HO 139/19/78/104 (März 1918). PRO HO 139/39/160. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 14. Rose, Aspects, S. 22. Die Empfänger dieser Kommentare waren in unterschiedlichen Listen zusammengefasste, benannt je nach der Anzahl der darin aufgelisteten Verleger: 40er-, 100er- und 140er-Liste. Über die Zusammensetzung der Listen ist wenig bekannt. Auch veränderte sich die Anzahl der enthaltenen Verleger. So zählte die 40er-Liste bei Kriegsende 65 Namen. Eine Zusammenstellung dieser Briefe findet sich in PRO HO 139/39/160. Abgedruckt bei Koszsk, Deutsche Pressepolitik, S. 22–23. S. a. Deutscher Reichsanzeiger 34, 8. Februar 1918. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 42, S. 81–83. Erst im Februar 1918 wurde das Merkblatt geringfügig überarbeitet. Ebd. Anm. 3. Rathert, Kriegsberichterstattung, S. 40.
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III. Zensur
der ausgebenden OZ tragen, fällt es schwer, wie im britischen Fall, anhand ihrer Frequenz Angaben über die Intensität der Zensur zu machen. Neben der uneinheitlichen Überlieferung wird eine Erfassung der deutschen Zensurvorschriften zusätzlich dadurch erschwert, dass die Presseabteilungen der StGKs eine eigene Nummerierung und eine von den Veröffentlichungen der OZ abweichende Verschlagwortung einführten.121 Von der Oberzensurstelle publizierte Zusammenstellungen der bisherigen Zensurverfügungen in Buchform und als Kartothek erlauben jedoch Einblicke in Inhalte und Dichte der Zensuranweisungen.122 Redaktionen konnten diese für einen geringen Preis beziehen, um angesichts der schieren Masse an Veröffentlichungsverboten, Hinweisen und Richtlinien die Übersicht zu bewahren. In nummerierter Stückzahl verteilt, hatten es die Redaktionen vertraulich zu behandeln und mit größtmöglicher Sorgfalt aufzubewahren.123 In der dritten Auflage des Nachschlagebuchs für die Pressezensur vom August 1917 wurden auf 134 Seiten von ‚Aalandfrage‘ bis ‚Zweifel‘ unter über 1 000 Schlagworten die wichtigsten Zensuranweisungen zusammengefasst. Es liest sich als ein Lexikon offizieller Sprachregelungen und spiegelt die thematische Reichweite des Kontrollanspruchs der Zensurbehörden wider. Zensuranweisungen regelten die Berichterstattung über unmittelbare Kriegsfolgen wie ‚Verlustlisten‘, ‚Vermißte‘, künstliche ‚Glieder‘, die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung (‚Lebensmittel‘, ‚Saatenstandsberichte‘), aber auch zentrale Begriffe der Propaganda wie ‚Burgfrieden‘ und ‚Kriegsziele‘. Neben den Zensuranweisungen kam auch den Pressebesprechungen bindender Charakter zu: „Alles was die militärischen Stellen in den Pr.[esse]-Bespr.[echung] bei der Behandlung der einzelnen Fragen als unerwünscht bezeichnen, ist einem Zensurverbot gleichzusetzen.“124 Waren in Großbritannien für die Kontrolle der Presse einige wenige, zentrale Organisationen zuständig, so erwies sich im Deutschen Reich der kaum zu 121
122 123
124
Vgl. Beilage der Presse-Abteilung zum Kriegs-Korps-Verordnungsblatt für das XI. Armeekorps 1 (1916) – 3 (1918); Stellv. GK. VII. AK (Hrsg.), Nachschlagebuch der Anweisungen für das Verhalten und die Beaufsichtigung der Presse. Zusammenstellung der vom Stellv. General-Kommando des VII. Armeekorps für die Presse des Korpsbezirks bis zum 30. Juni 1918 erlassen. Münster 1918. Die in verschiedenen Archiven überlieferten Sammlungen sind unvollständig. Zusammenstellung von Zensurverfügungen des Kriegsministeriums, des Stellvertretenden Generalstabes und der Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes. Berlin 1916. Mit Nachträgen bis 1918, in: WüHStA M 635/1, Bd. 934; Nachschlagebuch für die Pressezensur. Herausgegeben von der Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes. Berlin 19173. Vgl. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 67, S. 147, Anm. 14. Neben der OZ gaben die StGKs Zusammenstellungen ihrer Verfügungen heraus. S. u. a. für das VII. StGK in Münster: Lehmann (Hrsg.), Handbuch der Verordnungen; StGK XIII. Armeekorps (Hrsg.), Handbuch der während des Krieges ergangenen Verordnungen; Das StGK XI. AK (Kassel) teilte den Zensurstellen des Korpsbezirkes die Ergebnisse der Pressebesprechungen durch Beilagen des Kriegs-Korps-Verordnungsblattes mit. Diese sind bis November 1918 überliefert und sind damit eine geeignete Quelle, nach der Erstellung des von der OZ herausgegebenen Nachschlagebuches ergangene Zensurbestimmungen zu erschließen. Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 97.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
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überschauende Partikularismus der Zuständigkeiten als erschwerender Faktor der Zensur. Diese Eigentümlichkeiten des deutschen Belagerungszustandes führten dazu, dass Entscheidungen zentraler Einrichtungen für die Militärbefehlshaber nicht zwingend waren und lediglich den Charakter einer Empfehlung besaßen. Erst durch ihre ausdrückliche Bestätigung durch den jeweiligen Militärbefehlshaber gewannen die Zensuranweisungen auch in deren Zuständigkeitsbereich Verbindlichkeit. So weit ersichtlich, sahen Militärbefehlshaber in der Regel aber davon ab, eigenmächtig in die Pressezensur einzugreifen. Ihre Interventionen beschränkten sich darauf, durch kleinere und größere Veränderungen den Weisungen der zentralen Einrichtungen eine ‚persönliche Note‘ zu geben. Eine der Aufgaben der nationalen Zensurbehörden war es daher, die Arbeit der Zensur in den verschiedenen Bundesstaaten und den Korpsbezirken aufeinander abzustimmen. Dem Oberkommandierenden in den Marken kam dadurch ein weit größerer Einfluss und eine weit größere Unabhängigkeit gegenüber militärischen Zentralbehörden zu als der Londoner Londonder Competent Military Authority.
III.3.2. Disziplinierung der Presse Im Deutschen Reich stand den Presseabteilungen der Militärbefehlshaber eine abgestufte Skala von Sanktionen zur Verfügung, um auf Verstöße gegen Zensurbestimmungen zu reagieren.125 Zu ihren schwächsten Instrumenten zählten die telefonische Rüge oder schriftliche Verwarnungen. Allein im Februar 1917 sprach die Presseabteilung des OKM 1 006 „Erinnerungen“ gegenüber Zeitungen aus, die vor allem über die Ernährungslage und den Burgfrieden nicht „sachlich“ berichtet hätten. Eine solche Erinnerung hatte nicht scharf zu sein, wichtig war allein, dass sie rasch erfolgte.126 Wie die Verhängung der Vorzensur bedeuteten befristete und unbefristete Publikationsverbote gegen Journalisten eine Steigerung des Sanktionsdruckes. Zu den prominentesten Journalisten, die dieser Maßnahme unterlagen zählten auch Theodor Wolff und Maximilian Harden. Ein weiteres Instrument war die Aufhebung der Freistellung einzelner Journalisten vom Militärdienst. So wurde im Januar 1918 Erich Kuttner, Redakteur des Vorwärts, einberufen.127 Als schärfstes Instrument der Zensurbehörden erwiesen sich befristete oder unbefristete Erscheinungsverbote. Angesichts der Kritik in Presse und Parlamenten an der Praxis der Zensurbehörden, Zeitungsverbote zu verhängen, wandte 125 126
127
Schmidt, Überwachungs-Reglementierung, S. 186. GStA Rep. 90/2433 Auszug aus den Aufzeichnungen der Zensurbesprechung vom 4. 4. 1917, S. 1. Beispiele für an das Berliner Tageblatt gerichtete Ermahnungen bei: Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 354, S. 361. Ermahnungen an die Welt am Montag finden sich bei Schulte, Gerlach, S. 143. Ingenthron, Kuttner, S. 150–151; Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 423, S. 1131, Anm. 7.
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III. Zensur
sich im März 1915 der Chef des Stellvertretenden Generalstabes an die Militärbefehlshaber. Er empfahl, auf „solche Disziplinarmaßnahmen“ zu verzichten und auf Verstöße nur „durch geeignete Belehrung und Verwarnung“ zu reagieren.128 Trotz dieses Vorstoßes änderte sich die Verbotspraxis der Zensurabteilungen nicht, so dass mit Verweis auf zahlreiche Beschwerden der Obermilitärbefehlshaber im November 1917 verfügte, Zeitungsverbote nur noch befristet für die Dauer weniger Tage zu verhängen.129 Vorausgegangen war eine Initiative des Reichskanzlers, die auf einer Zensurbesprechung im Oktober 1917 diskutiert wurde. Einmütig hatten sich die Zensuroffiziere dagegen ausgesprochen, die Dauer von Zeitungsverboten zu beschränken. Nach ihrer Auffassung stellte ein Zeitungsverbot keine Strafe dar, sondern hatte, wie Major van den Bergh für das Kriegsministerium ausführte „immer nur den Charakter einer militärisch notwendigen Maßregel.“ Der Leiter der Presseabteilung des OKM von Vietsch betonte, dass das bis auf weiteres ausgesprochene Verbot die einzig mögliche Form eines Zeitungsverbotes sei, da es die Zeitungen zu Wohlverhalten gegenüber der Zensurbehörde zwinge, um die Aufhebung des Verbotes zu erreichen.130 Im Gegensatz zur Verhängung der Präventivzensur, die von den Zeitungen nicht veröffentlicht werden durfte, waren Zeitungsverbote unübersehbare Zeichen für das Arbeiten der Zensur. Sie trugen dazu bei, dass die Zensur für jeden offensichtlich wurde. Verbote besaßen somit selbst wieder Nachrichtenwert und wurden daher rasch auch überregional bekannt. Das journalistische Arbeiten unter dem über ihm schwebenden „Damoklesschwert der Zensur“ bezeichnete Wolff in einem Artikel als „Tanz zwischen Dornenspitzen.“131 Nicht ohne Spott hatte Wolff im August 1914 über die Offiziere der Presseabteilung geurteilt, sie seien „liebenswürdig, und die meisten auch intelligent.“132 So schwankte der Umgangston zwischen Zensur und Presse zwischen Vertrautheiten, verbalen Entgleisungen und Drohungen. Aber noch im November 1914 betonte Wolff gegenüber Ballin, dass er die Zensur manchmal segnete, da sie die ganze Verantwortung von der Presse nehme.133 Während die Militärbefehlshaber im Deutschen Reich über nahezu unbegrenzte Machtbefugnisse zuverfügten, besaß das Press Bureau über keinerlei rechtliche Möglichkeiten, um mit den Mitteln des Strafrechts oder des Ausnahmezustandes gegen Zeitungen vorzugehen. Ergab die Auswertung der Presse Hinweise auf Verstöße oder Indiskretionen, teilten die Direktoren des Press Bureau oder der Director of Special Intelligence dem Director of Public Prosecu128 129
130 131 132 133
Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 48, S. 91. Ebd., Nr. 74, S. 176–178. In einer Resolution hatte der Hauptausschuss des Reichstages Ende September 1917 gefordert, dass Verbote nur mit Zustimmung des Reichskanzlers erlassen werden sollten. VdR 322 (26. 9. 1917) Anlage Nr. 1048; Schiffers und Koch (Hrsg.), Hauptausschuß, Bd. 3, Nr. 186, S. 1785–1787. Protokoll der Zensurbesprechung (16. 10. 1917), BA/MA RM 5, Nr. 3804, fol. 171–172. Sösemann, Theodor Wolff, S. 148. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 76. Ebd., Nr. 51, S. 121.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
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tions mit, dass eine Straftat vorlag.134 Wenn eine Strafverfolgung nicht opportun erschien, wurde das Press Bureau aufgefordert, dem jeweiligen Herausgeber zumindest eine Warnung auszusprechen. Galten die Direktoren des Press Bureau auch als Schulmeister ohne Rohrstock, so verfügte die Regierung mit dem DORA über ein potentes Mittel, Bestrafungen mit oder ohne Strafverfahren durchzusetzen. Allerdings wurde aus Sorge, dass ein Gerichtsverfahren zu unerwünschter Aufmerksamkeit führen könnte, häufig von der Einleitung eines Strafverfahrens abgesehen.135 Angaben über die Kontrolldichte sind nur schwer zu ermitteln. Es fehlen sowohl statistische Angaben über die Anzahl der Verfahren als auch über die ausgesprochenen Strafen, ebenso wie Hinweise darauf, auf wessen Initiative die Verfahren eingeleitet wurden. Aus den vorliegenden Unterlagen geht allein hervor, dass das Press Bureau 1915 zwölf Fälle von Pressevergehen an den Director of Public Prosecutions zur Strafverfolgung weitergab.136 Im gleichen Jahr erfolgten etwa zwei bis drei Ermahnungen von Zeitungen durch das Press Bureau pro Woche.137 Bei weitem nicht alle angestrengten Verfahren führten zu dem von den Behörden gewünschten Ergebnis.138 So lehnte Ende September 1914 der Director of Public Prosecutions die Einleitung eines Verfahrens gegen den Labour Leader mit der Begründung ab, dass eine Strafverfolgung nicht zwingend sei, da die Höhe der Freiwilligenzahlen zeigten, dass deren Berichterstattung keine Folgen auf die Anwerbung hätten.139 Ein weiteres gegen den Labour Leader angestrengtes Verfahren wies das zuständige Gericht im August 1915 zurück, so dass das offizielle Organ der Independent Labour Party während des ganzen Krieges ununterbrochen erscheinen konnte. Zwar wurde Ende des Krieges die Überwachung der Arbeiterpresse verschärft: „but it cannot be said to have made any difference owing to the difficulty, for various reasons, of sustaining a successful prosecution against any newspaper.“140 Zu den Hindernissen zählte Protektion von höchster Stelle. Denn nachdem er Premierminister geworden war, bewahrte Lloyd George linke, pazifistische Zeitungen wie The Herald und The Labour Leader vor Strafverfolgungen, um sich der Unterstützung durch die LabourPartei zu versichern. Als im Januar 1917 das Home Office auf die Einleitung von Strafverfahren gegen diese Zeitungen drängte, wies der Premierminister den Home Secretary an, von Prozessen abzusehen. Zuvor hatte ihn Arthur Henderson, Labour-Vorsitzender und seit Dezember 1916 Kabinettsmitglied, darum 134 135 136
137 138 139 140
Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 13. Cook, Press, S. 83. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 9. Nach Hiley führten Ermittlungen von M.I.5 zu einer nicht quantifizierbaren Zahl von Verurteilungen wegen Zensurvergehen. Hiley, Counter-Espionage, S. 669. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 13. Weitere Indikatoren für die Kontrolldichte liegen nicht vor. Kritisch über die Haltung der Gerichte: Ewing und Gearty, Struggle, S. 80–90. PRO HO 144/10741/263275. Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 16.
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III. Zensur
ersucht.141 Einer Bestrafung einzelner Zeitungen standen somit nicht allein verfassungsrechtliche und strafrechtliche Bedenken, sondern auch politische Rücksichtsnahmen entgegen. Sowohl den Reichstag als auch das House of Commons beschäftigte kaum ein Thema so sehr wie Zensur und Ausnahmezustand. Zensurmaßnahmen hatten in der Regel Widerspruch in Presse und Parlament zur Folge. Nicht selten wurde aber auch die Zensur des politischen Gegners applaudiert und eingefordert. Als im November 1915 der ultrakonservative Globe verboten wurde, kritisierten liberale Abgeordnete, dass keine Maßnahmen gegen die Zeitungen Lord Northcliffes ergriffen worden wären.142 Auch wenn das Press Bureau nicht mit dem Strafrecht gegen Zeitungen vorgehen konnte, so verfügte es doch z. B. mit dem Entzug von Privilegien über subtile Methoden der Einflussnahme. 1915 wurden 35 sozialistische und pazifistische Zeitungen von der Verteilerliste für die D-Notices genommen. Eine weitere Möglichkeit war die Streichung von Herausgebern von der 40er-Liste.143 Solche Schritte hatten zur Folge, dass diesen Zeitungen einerseits sensible Informationen nicht mehr zugänglich waren und sie andererseits einem größeren Risiko unterlagen, Informationen zu veröffentlichen, die eine Strafverfolgung zur Folge haben konnten.144 Angesichts der Gesamtzahl der Zeitungen, die D-Notices erhielten, und der geringen Auflage dieser Zeitungen hatte eine solche Maßnahme für die gesamte Zeitungslandschaft keine Bedeutung – abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen immer auch eine implizite Drohung an andere Zeitungen war, den Vorschriften freiwillig Folge zu leisten. Als wohl effizientes Mittel zur Durchsetzung der Ziele des Press Bureau erwies sich die Verzögerung der Bearbeitung der vorgelegten Artikel. Buckmaster erläuterte 1915, dass die Verzögerung einer Nachricht um einige Tage seiner Ansicht nach in der Regel das Problem aus der Welt schaffen würde.145 Eine weitere Möglichkeit der britischen Zensurbehörden, Zeitungen zu bestrafen, war die Verhängung von Exportverboten. Als ausschlaggebend dafür erwies sich die Verwendung von Artikeln durch die deutsche Propaganda. So wurde im Juni 1916 die Ausfuhr des Labour Leader und der Tribunal und am 29. März 1917 der Export der angesehenen liberalen Zeitschrift The Nation verboten.146 Über die Zahl der während des Krieges ausgesprochenen Exportverbote liegen keine einheitlichen Zahlen vor. Im House of Commons wurde am 141 142 143 144 145 146
Hopkin, Domestic Censorship, S. 161. Lovelace, British Press Censorship, S. 313. Rose, Aspects, S. 22. Hopkin, Domestic Censorship, S. 156. PRO HO 139/17/127. PRO CAB 23/4/119; The Nation 21 (14. 4. 1917), S. 28; The Nation 21 (21. 4. 1917), S. 56–57. S. dazu auch die Debatten im Unterhaus. HC 92 (17. 4. 1917), Sp. 1509–1512; HC 92 (17. 4. 1917), Sp. 1598–1643. Zur Haltung der Nation in der Frage eines Verständigungsfriedens s. Havighurst, Radical Journalist, S. 249–260. Nation und Manchester Guardian waren zwei der wenigen Blätter, die die Friedensnote Präsident Wilsons vom 22. 12. 1916 begrüßt hatten.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
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19. April 1917 die Anzahl der Exportverbote mit 28 angegeben – ein Jahr zuvor waren es 24 Blätter.147 Rechtsgrundlage der Strafverfahren gegen Zeitungen in Großbritannien war der DORA, die kurz nach Kriegsausbruch in Kraft gesetzte Ausnahmezustandsgesetzgebung, die es der Regierung erlaubte, während des Krieges mit den Defence of the Realm Regulations Verordnungen zu erlassen.148 Im November 1914 erläuterte der Leiter des Press Bureau, Buckmaster, die bei Verstößen gegen den DORA zu verhängenden Strafen: If orders are broken which are given for the safety of the State the punishment is punishment by court-martial, and if the offence is one committed in complete ignorance without knowledge of the order, without any intent to disobey, the punishment is three months‘ imprisonment, and if committed with knowledge it may be imprisonment for life.149
Neben Defence of the Realm Regulation (DRR) 27 war DRR 18 Grundlage der meisten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Zeitungen.150 DRR 18 verbot: „[to] collect, record, publish or communicate, or attempt to elicit, any information with respect to the movement, numbers, description, condition, or disposition of any of the forces, ships or aircraft of His Majesty.“ Ebenfalls unter Strafe gestellt wurde, Informationen zu sammeln, weiterzugeben oder zu veröffentlichen, die „calculated to be or might be directly or indirectly useful to the enemy.“ Als wichtiges Instrument beim Vorgehen gegen die Presse erwies sich DRR 51, die es dem Militär erlaubte, Privatgrundstücke, Häuser und Wohnungen jederzeit und, wenn erforderlich, mit Gewalt zu betreten, wenn der Verdacht bestand, dass gegen eine DRR verstoßen wurde oder worden war. Die Behörden berechtigte DRR 51 zudem, alle Gegenstände zu beschlagnahmen oder zu zerstören, die nach ihrem Ermessen bei diesem Verstoß verwendet worden waren. Wenn ein Artikel in der Presse erschienen war, der nach DRR 27 einen Verstoß gegen den DORA darstellte, dann waren die Behörden durch DRR 51 berechtigt, Druckmaschinen oder andere Maschinen zu beschlagnahmen und damit das Erscheinen der betreffenden Zeitung unmöglich zu machen. Galten die DRRs 18 und 27 für alle Medien gleichermaßen, so wurde mit den im Juni 1915 neu geschaffenen ‚press offences‘ eine Kategorie geschaffen, die allein für die Presse Anwendung fand. Als solche wurden durch DRR 56(13) definiert: „the publication or attempted publication, or communication or attempted communication for publication, in any newspaper or other periodical, or any reprint of any part thereof, of any information, report, or statement in contravention of the provisions of these regulations.“151 147
148 149 150 151
HC 92 (19. 4. 1917), Sp. 1862. Die Titel der betroffenen Zeitungen und Zeitschriften wurden nicht genannt. Einige Tage zuvor hatte die Nation allerdings die Zahl von 66 verbotenen Zeitschriften genannt. The Nation 21 (14. 4. 1917), S. 28. S. Kap. II. HC 68 (12. 11. 1914), Sp. 134. Defence of the Realm Manual (19173), S. 84–85. Zur DRR 27 s. Kap. II. Defence of the Realm Manual (19173), S. 140–141.
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III. Zensur
Anders als bei Verstößen gegen DRRs waren Verstöße gegen ‚press offences‘ nicht durch die Competent Military Authorities, sondern durch den Director of Public Prosecutions zu verfolgen und erlaubten die Verhängung von Geldstrafen.152 Home Secretary John Simon hatte seine Initiative zur Verschärfung der Zensur 1915 auch mit den seines Erachtens nicht ausreichenden Möglichkeiten der Bestrafung begründet. Denn bestraft werden konnten nur der jeweilige Journalist, Drucker oder der Herausgeber – niemals aber der Eigentümer der beklagten Zeitung, so dass Simon für die Einführung befristeter Erscheinungsverbote plädierte, mit denen die finanziellen Interessen der Eigentümer getroffen werden konnten. Als ein weiteres Problem erwies sich nach Simon, dass Gerichtsverfahren gegen Zeitungen in London in der Regel vor den Aldermen der City of London stattfanden.153 Denn da die Fleet Street in der City of London lag, fielen Strafverfahren gegen die meisten Zeitungen in die Zuständigkeit dieser Laienrichter, von denen er sich kein scharfes Vorgehen versprach. Während des ganzen Krieges wurde die ultima ratio eines Verbotes nur ein einziges Mal gegen eine große Tageszeitung angewendet. Im November 1915 wurde die konservative Tageszeitung The Globe für zwei Wochen unterbunden, nachdem in einem Artikel behauptet worden war, dass Kriegsminister Kitchener zurückgetreten wäre. Allerdings bestimmten andere Faktoren als die Einhaltung der Zensurbestimmungen das Verbotsverfahren. Hintergrund waren Überlegungen, den beliebten, aber zunehmend überforderten Kriegsminister Kitchener abzulösen.154 Auch bei dem Versuch der Regierung, im Februar 1918 die konservative Morning Post zu verbieten, handelte es sich nicht um eine einfache Zensurmaßnahme. Denn der inkriminierte Artikel war als Instrument von H. A. Gwynne, dem Herausgeber der Zeitung, und dem Chief of the Imperial General Staff General Robertson lanciert worden, um einerseits in einem Konflikt zwischen militärischer und ziviler Führung eine Entscheidung in der Frage des Oberbefehls über die geplanten inter-alliierten Reserven zu erzwingen. Andererseits stand dahinter die Erwartung, Lloyd George bloßzustellen, um ihn so in der öffentlichen Meinung entscheidend zu schwächen und dadurch seine Ablösung zu erzwingen. Das Verfahren gegen den Herausgeber der Morning Post, H. A. Gwynne und den Verfasser des Artikels, den bekannten Journalisten, Kriegsberichterstatter und Militärexperten Charles Repington, endete mit deren Verurteilung zu Geldstrafen von je 100 Pfund.155 Auch wenn keine Zweifel bestehen, dass der betroffene Artikel Teil einer Verschwörung gegen Lloyd George war, in die Robertson zumindest eingeweiht war, so fällt es dennoch schwer, dessen Rolle bei Gwynnes Plänen zu bestimmen, ihn zum Premierminister zu ma152 153 154 155
Ewing und Gearty, Struggle, S. 61; Cook, Press in War Time, S. 27–28; Rose, Aspects, S. 18. Vgl. Gebele, Probleme, S. 25. Press Censorship (27. 10. 1915), PRO CAB 37/136/37. Hiley, Lord Kitchener Resigns. Wilson, Morning Post, S. 91–107; Wilson (Hrsg.), Rasp of War, Nr. 197, Nr. 203, S. 249.
III.3. Handlungsebenen der Pressezensur
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chen.156 Mit der Verdrängung Robertsons endete der Machtkampf mit dem Sieg des Premierministers. Doch wie nur wenig später die Auseinandersetzung zwischen Lloyd George und General Maurice um die Stärke der in Frankreich verfügbaren Truppen zeigt, war der Konflikt zwischen Teilen der Armee und dem Premierminister damit nicht beigelegt. Nur fünf Wochen nach der Entlassung Robertsons erlitt die britische Armee in Frankreich mit der am 21. März beginnenden deutschen Offensive die schwerste Niederlage während des gesamten Krieges. Schon bald wurde in der Presse nach Schuldigen gesucht, und in London drängten konservative Zeitungen auf die Wiedereinsetzung Robertsons. Am 9. April 1918 trat der Premierminister im Unterhaus diesen Unterstellungen entgegen und betonte, dass 1918 die britischen Armeen in Frankreich stärker gewesen seien als ein Jahr zuvor. Am 7. Mai widersprach ihm öffentlich General Maurice, bis zur Ablösung Robertsons Director of Military Operations, und beschuldigte ihn, das Parlament über die Stärke der britischen Armee belogen zu haben. Seine Angriffe auf Lloyd George, dass dieser im Gegensatz zu seinen Beteuerungen die Armeen geschwächt habe, wurden von der konservativen Presse unterstützt. Ein von einigen konservativen Abgeordneten getragenes Misstrauensvotum gegen den Premierminister überstand dieser jedoch mit einer deutlichen Mehrheit. Der britische Oberkommandierende in Belgien und Frankreich Haig sympathisierte mit Maurice – enthielt sich aber öffentlicher Äußerungen. Michael S. Neiberg hat darauf hingewiesen, dass der ‚Curragh Incident‘ 1914 und die Maurice-Affäre 1918 ein britisches Offizierskorps erkennen lassen, das der Einmischung in politische Angelegenheiten nicht abgeneigt war.157 Aber die Stellung der britischen Armee im innenpolitischen Machtgefüge ist wesentlich auf stete Aushandlungsprozesse zurückzuführen. Bemerkenswert ist hierbei das Ausmaß, in dem die Presse – vor allem in Gestalt einflussreicher Herausgeber – Teil dieser Prozesse war und immer wieder durch Militärs instrumentalisiert wurde. Im Herbst 1918 hatte die Maurice-Affäre ein unerwartetes Nachspiel. Im Auftrag des Premierministers erwarb eine Gruppe von Geschäftsleuten den Daily Chronicle, eine angesehene und einflussreiche liberale Tageszeitung mit einer Auflage von 800 000 Exemplaren. Ihr Herausgeber Robert Donald hatte während der Maurice-Affäre den General unterstützt und ihn anschließend als Militärexperten für seine Zeitung verpflichtet. Beide wurden unter der neuen Führung entlassen. Das Kalkül des Premierministers war weniger Rache als die Suche nach einem publizistischen Standbein für die erwarteten Wahlen.158 Hatte der Einfluss der Morning Post ihr Verbot verhindert, so fehlte dieser Rückhalt einer unbekannten Zahl kleinerer Zeitungen, die zwischen 1914 und 1918 unterdrückt wurden. Während des Krieges verbot die Regierung nur weni156 157 158
Roskill, Hankey, Bd. 1, S. 499. Neiberg, Cromwell on the Bed Stand, S. 73. Zur so genannten ‚Meuterei von Curragh‘ s. Kap. III.1.2. McEwen, Lloyd George’s Acquisition.
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III. Zensur
ge Zeitungen, da ein solches Vorgehen immer mit der Gefahr ungewünschter Aufmerksamkeit in Presse und Parlament verbunden war. Ende 1916 betonte der Home Secretary, dass Strafverfahren mehr Schaden als Nutzen mit sich brachten und der Leiter der Rechtsabteilung des Home Office stellte fest: „Whilst the ... movement remains small, prosecution would do more harm than good ... If the movement grows to considerable dimensions prosecution will not repress it.“159 Neben diesem innenpolitischen Kalkül trug dazu auch die außenpolitisch motivierte Überlegung bei, dass ein repressives Vorgehen das britische Ansehen in der Welt – v. a. in den USA – erheblich schädigen konnte. Aber trotz dieser Rücksichtsnahmen wurde auf Verbote nicht vollständig verzichtet. In der Mehrheit betrafen sie Blätter des linken Spektrums. Zu diesen zählten u. a. irische Zeitungen, die sich gegen die Einführung der Wehrpflicht in Irland ausgesprochen hatten (The Irish Worker, The Irish Volunteer, Irish Freedom, Sinn Fein).160 Das Verbot des Globe (1915) und das versuchte Verbot der Morning Post (1918) zeigen, dass in den wenigen Fällen, in denen in Großbritannien gegen überregionale Zeitungen vorgegangen wurde, nicht Verstöße gegen Zensurbestimmungen ausschlaggebend für Interventionen der Regierung waren. Vielmehr resultierten diese Konflikte innerhalb der britischen Eliten aus komplexen politischen Erwägungen. In jedem dieser Fälle handelte es sich um ein auf höchster politischer Ebene koordiniertes Vorgehen und in keinem dieser Fälle war eine Bestrafung des jeweiligen Presseorgans das alleinige Motiv.161 Während im Deutschen Reich über ein Verbot der jeweilige Militärbefehlshaber entschied, war z. B. das Exportverbot der Nation Ergebnis der Erörterungen zwischen War Office, Foreign Office, Home Office, militärischem Nachrichtendienst und dem Oberkommandierenden in Frankreich. Lloyd George begrüßte in der Sitzung des War Cabinet ausdrücklich, dass das Verbot nicht auf willkürliches Handeln des Militärs zurückzuführen war.162 Wie sehr das War Cabinet auch in Detailfragen eingebunden wurde, zeigen Erörterungen über den Untergang zweier Zerstörer nach einer Kollision im Dezember 1916. Nach diesem militärisch unbedeutenden Ereignis, das sechzig Tote gefordert hatte, diskutierte es die Zweckdienlichkeit der Veröffentlichung dieser Information. Nachdem davor gewarnt wurde, dass ein Durchsickern dieser Nachricht die Gefahr mit sich brächte, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehe, schlechte Nachrichten würden verheimlicht, entschied das Kabinett unter Berufung auf das öffentliche Interesse zugunsten einer Veröffentlichung. Damit setzte es sich über die Einwände der Royal Navy hinweg.163 Im Deutschen Reich war das Handeln der Militärbefehlshaber keiner Kontrolle unter-
159 160 161 162 163
Zit. n. Hopkin, Domestic Censorship, S. 158. Zu einigen kleineren Verfahren s. The Trend of the Modern Press, in: Newspaper Press Directory 71 (1916), S. 16–17; Military Press Control, PRO INF 4/1 B, S. 7. Zur Diskussion der Pressezensur im War Cabinet nach Luftangriffen s. Kap. VI.3.1. PRO CAB 23/4 (WC 119). PRO CAB 23/15 (WC 3).
III.4. Zwischenbilanz
83
worfen, demgegenüber waren die Entscheidungen der britischen Zensurstellen in ein Netz von formellen und informellen Verantwortlichkeiten eingebunden. Dominierte auf der deutschen Seite das Militär die aus dem Ausnahmezustand resultierenden Zensurmaßnahmen, so wurde dessen Auslegung auf britischer Seite durch ein Netzwerk gesellschaftlicher und politischer Eliten bestimmt – nicht aber durch die Institutionen der parlamentarischen Demokratie.
III.4. Zwischenbilanz „Über alle öffentlichen Angelegenheiten herrscht eine Klarheit, eine Übersichtlichkeit, eine Publizität wie in keinem anderen Land der Welt.“ So urteilte 1912 der deutsche Zeitungswissenschaftler Friedrich Glaser über Großbritannien, das sich ihm zufolge „von der buereaukratischen Geheimniskrämerei des Kontinents“ abhob.164 Doch nur zwei Jahre danach trafen Glasers Beobachtungen nicht mehr zu. Verursacht durch den Krieg unterlag die britische Presse Kontrollen und Einschränkungen, die nur wenige Jahre zuvor undenkbar waren. Während des Krieges erschien in beiden untersuchten Staaten der überwiegende Großteil der Zeitungen scheinbar ungehindert. Gemessen an der Gesamtauflage der Presse war z. B. die Zahl der im Deutschen Reich aus wirtschaftlichen Gründen eingestellten Zeitungen unbedeutend, und manche Zeitungen konnten sogar erhebliche Zuwächse ihrer Auflage verzeichnen.165 Dieser unter Normalbedingungen aussagekräftige Indikator über die Akzeptanz und den Erfolg eines Mediums verlor wie oben geschildert unter den Bedingungen des Kriegszustandes an Signifikanz. Weitere Faktoren bestimmten Inhalt, Umfang und Nachfrage der Zeitungen: Papier und Druckerschwärze wurden knapp, das Anzeigenaufkommen ließ nach, Redakteure und anderes Personal wurden eingezogen, und nicht zuletzt standen Millionen von Männern, die die Mehrheit der Leser stellten, im Feld. Ein weiterer wesentlicher Faktor war die Zensur. Die ordnende Hand des Zensors war zumeist unsichtbar, nur in Ausnahmefällen lassen sich in Zeitungen offensichtliche Lücken, Streichungen oder Schwärzungen finden.166 Hinsichtlich der Aufgaben der Zensur und ihrer Instrumente lassen sich deutliche Gemeinsamkeiten feststellen. Dennoch überwiegen angesichts der unterschiedlichen Intensität ihrer Interventionen die Unterschiede. Indikatoren für die In164 165
166
Glaser, Vater der Geheimnisse, S. 450. Angaben über die Auflage deutscher Zeitungen sind in den meisten Fällen Schätzungen. Allein für die Zeit des Ersten Weltkrieges liegen amtliche Statistiken vor. Allerdings gehen aus diesen keine verbindlichen Angaben über die Auflagenhöhe hervor. Michel (Hrsg.), Handbuch deutscher Zeitungen. Zur Problematik, aus von den Verlagen veröffentlichten Zahlen Angaben über die Auflage britischer Zeitungen zu erlangen s. McEwen, National Press. Seit Dezember 1914 waren in Großbritannien Zeitungen angewiesen, offensichtliche Lücken zu vermeiden. PRO HO 139/39/160.
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III. Zensur
tensität der Zensur sind z. B. die Häufigkeit von Zeitungsverboten und die Dichte von Zensuranweisungen. In Großbritannien wurde neben einigen kleineren Zeitungen nur eine große Tageszeitung für zwei Wochen verboten. Dem gegenüber war die Zahl der Verbote im Deutschen Reich wesentlich höher. Martin Creutz hat zu Recht betont, dass Zeitungsverbote im Deutschen Reich viel seltener und für erheblich kürzere Zeiträume vorkamen, als man bei bisherigen Schilderungen der Handhabung durch die Behörden annehmen konnte.167 So ist Creutz auch zuzustimmen, dass die deutsche Pressepolitik während des Krieges besser war als ihr Ruf. Dennoch verweisen die angeführten Indikatoren darauf, dass Repression und Kontrolldichte der Pressezensur im Deutschen Reich weitaus höher waren als in Großbritannien. Bis Mai 1918 wurden 174 Zeitungen ganz oder für die Dauer mehrerer Tage verboten. Allein bis März 1916 wurden gegen 92 Blätter Publikationsverbote ausgesprochen, die sich insgesamt auf 602 Tage summierten, 21 Blätter wurden dauerhaft verboten.168 Über die schriftlichen, telefonischen oder persönlichen Ermahnungen liegen keine Zahlen vor. Kaum mehr als einen Hinweis erlauben die Angaben von etwa 1 000 schriftlichen Ermahnungen allein durch das OKM im Februar 1917 und den zwei bis drei vom Press Bureau 1915 pro Woche initiierten Schreiben an die Presse.169 Zudem überstieg die Zahl der deutschen Zensuranweisungen die Zahl der D-Notices deutlich. Auch dies ist ein Indikator für eine wesentlich höhere Kontrolldichte im Deutschen Reich. Wie unten gezeigt wird, kam es im Deutschen Reich aufgrund dieser dichteren Überwachung und Kontrolle der Presse durch Zensurbehörden weitaus stärker als in Großbritannien zu einschneidenden Glaubwürdigkeitsverlusten der Presse.170 Unabhängig von der tatsächlichen Intensität der Zensur entstand ein Bewusstsein für deren Arbeit und das Wissen, dass die Berichterstattung durch Zeitungen manipuliert wurde. So ist weitgehend unerforscht, mit welchen Erwartungshaltungen in Hinsicht auf Glaubwürdigkeit und Informationsgehalt Menschen in Berlin und London Zeitungen lasen, Vorträge hörten oder z. B. Wochenschauen und Filme über das Kriegsgeschehen ansahen. Während des Krieges und nach Friedensschluss wurde sowohl in Großbritannien wie auch im Deutschen Reich der Presse und der staatlichen Propaganda vorgeworfen, die Bevölkerung über die Wirklichkeit des Krieges belogen zu haben. Ein kurzes Beispiel soll zeigen, wie falsch es ist, das mediale Angebot während des Krieges ausschließlich mit Lügen gleichzusetzen. Als der britische Film Battle of the Somme im August 1916 – nur einen Monat nach Beginn der Somme-Schlacht – in den Verleih kam, strömten die Kinobesucher in Massen in die Kinos, und am Ende der ersten Woche hatten mindestens eine Million Londoner den Film gesehen.171 Mit seinen Bildern von Verwunde167 168 169 170 171
Creutz, Pressepolitik, S. 52. Verhey, Geist, S. 242–243. S. Kap. III.3.2. S. Kap. V., VI. Hiley, Erste Weltkrieg, S. 221.
III.4. Zwischenbilanz
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ten und Gefallenen und Szenen von britischen Soldaten, die aus ihren Gräben kletterten und zum Angriff übergingen, bedeutete der Film einen Bruch mit allen bis dahin bekannten Darstellungsformen. Manche Kinobesitzer weigerten sich aufgrund der drastischen Bilder, den Film zu zeigen. Battle of the Somme zeigte vor allem einfache Soldaten, verwüstete Landschaften und bislang niemals gesehene Bilder von Leid und Tod. Auch wenn der Film das Ausmaß der katastrophalen britischen Verluste verschwieg und seine drastischen Bilder vor allem deutsche Verwundete und Tote zeigten, so bedeutete er doch einen erheblichen Bruch mit den bisherigen filmischen Erzählformen. Die Bilder formten eine bis dahin nicht visualisierte Einheit von Front und Heimat und vermittelten eine Ahnung von dem entfernten Geschehen. Auf die gesamte Dauer des Krieges betrachtet, erwiesen sich die folgenden offiziellen britischen Dokumentarfilme jedoch nicht als große Kassenerfolge. Das Publikum wollte keine Bilder massenhaften Sterbens sehen. Dies ist nur ein Hinweis darauf, dass völlig offen ist, welche Form einer wahrhaftigen und vollständigen Berichterstattung das Publikum von den Medien tatsächlich wünschte.172 Studien zum Rezeptionsverhalten liegen nicht vor, wie insgesamt eine Geschichte des Zeitungslesens und damit einer Rezeption der Presse Desiderat ist.173 Offen ist z. B., inwieweit auch die Leserinnen und Leser von Zeitungen zwischen den Zeilen lasen und die Begrenztheit des medialen Wahrheitsanspruches erkannten. Fest steht aber, dass sich die Rezeption der Zeitungsinhalte nicht auf die Kontrastierung von Wahrheit und Lüge reduzieren lässt.174 Zwar vervielfachte der Kriegsausbruch die Bedeutung der Presse sowohl in Großbritannien wie auch im Deutschen Reich, und es fehlte nicht an Beteuerungen ihrer Bedeutung. Doch liegen über das Leseverhalten weder für die Vorkriegszeit noch für die Dauer des Krieges aussagekräftige Studien vor. Daher müssen an dieser Stelle zunächst einige wenige widersprüchliche Eindrücke genügen: Ein junger Berliner Arbeiter berichtet in seinen Erinnerungen, dass der Kriegsausbruch unter seinen Kollegen zu einem starken Interesse an Extrablättern geführt hätte, die meisten aber kaum Zeitungen läsen – außer Montags, wenn die Zeitungen die Wettergebnisse brächten.175 Einen Berliner Schriftsteller hingegen bedrückte die „Nachrichtenlosigkeit“ in der Abgeschiedenheit des märkischen Blankensee so sehr, dass er 1915 aus seinem Sommerhaus wieder nach Berlin reiste.176 Neben den staatlichen Zwangsmaßnahmen standen die Zeitungen im Zeichen einer strukturellen Gleichrichtung: Ihrer patriotisch motivierten Bereitschaft, sich formal und inhaltlich den oktroyierten Maßnahmen ohne großen Wider-
172
173 174 175 176
Über die Entwicklung des Kinos während des Krieges s. Barkhausen, Filmpropaganda; Mühl-Benninghaus, German Film; Oppelt, Film und Propaganda; Rother, Erfahrung; Badsey, Battle of the Somme; Reeves, Official British Film. Ansätze dazu durch Bösch, Massenmedien. Zuletzt Hamann, Der Erste Weltkrieg: Wahrheit und Lüge in Bildern und Dokumenten. Retzlaw, Spartakus, S. 28–29. Leux (Hrsg.), Briefe Hermann Sudermanns, S. 287 (25. 5. 1915).
86
III. Zensur
stand zu beugen.177 Anders als Alice Goldfarb Marquis andeutet, sahen sich nicht nur in Großbritannien Journalisten und Herausgeber als willige und begeisterte Partner der Regierung.178 Auch wenn die Erinnerungen vieler Journalisten das Gegenteil andeuten, war ihre Arbeit weder in London noch in Berlin allein durch einen permanenten Kampf gegen übermächtige und uneinsichtige Zensuroffiziere geprägt. In den meisten Fällen gelang den Antagonisten durch Anpassung und Arrangements ein eher misstrauisches, aber friedliches Nebeneinander. Nach dem Krieg erklärte einer der Direktoren des Press Bureau das Funktionieren der britischen Zensur durch die Gabe des britischen Volkes, mit einem logisch unhaltbaren Kompromiss zu leben. Niemand außerhalb des Press Bureau, nicht einmal die Presse, habe wirklich sie oder die Aufgaben und Tätigkeiten des Press Bureau verstanden.179 Doch was machte diese ‚Britishness‘ aus? Ein Faktor war gewiss die bereitwillige Kooperation der britischen Zeitungen, die sich so konfliktfrei vollzog, dass während des Krieges einige Zeitungen fragten, ob die Zensur überhaupt notwendig sei. Weiterhin zeichnete sich die ‚Britishness‘ durch ein Minimum an Regeln und ein Maximum an staatlichen Interventionspotentialen aus. Diese bildeten einen Rahmen für informelle Absprachen und wechselseitige Einflussnahmen von Politik, Militär und Presse. In beiden Staaten herrschte zu Anfang des Krieges ein starkes gegenseitiges Misstrauen zwischen Journalisten und den Zensurbehörden, das sich aber im Verlauf des Krieges legte. Nach einer Phase der Improvisationen, in denen vor allem das Militär auf eine harte Durchführung der Zensur bestand, fanden Zensurbehörden und Journalisten zu einem modus vivendi. Absprachen und Entgegenkommen zwischen Eigentümern und Regierung wurden aber in Großbritannien durch nationale Unterschiede in der Struktur der Zeitungsmärkte und dem journalistischen Selbstverständnis erleichtert. Dort bestand der Zeitungsmarkt insgesamt aus weniger Zeitungstiteln mit jeweils höheren Auflagen als im Deutschen Reich. Durch die Konzentration in den Händen einer kleinen Zahl von Eigentümern kam diesen in der britischen Politik ein deutlich höheres Gewicht zu. Auch erleichterte diese Konzentration die gegenseitige Beeinflussung. Vor allem in Person prominenter Eigentümer wurde die britische Presse wesentlich stärker als ihre deutschen Kollegen an der Aushandlung von Zensurund Propagandamaßnahmen und sogar in einem bisher unbekannten Umfang an Regierungsämtern beteiligt. Zwischen der Regierung und vor allem den Besitzern großer Zeitungen bestanden enge Verbindungen.180 So stellte Riddell, Eigentümer der Zeitung News of the World ein von ihm gemietetes Sommerhaus Lloyd George zur Verfügung. Zahllose Tagebucheinträge Riddells – wie „lunched and played Golf with LG [Lloyd George]“ – dokumentieren seinen 177 178 179 180
Raithel, Wunder, S. 297–310. Marquis, Words, S. 486. Cook, Press, S. 44, 38. Marquis, Words, S. 478.
III.4. Zwischenbilanz
87
zwanglosen Umgang mit dem Premierminister. Über die Bedeutung Riddells für diesen notierte Frances Stevenson, Geliebte und spätere Ehefrau Lloyd Georges: „He keeps D.[avid Lloyd George] informed as to all the gossip that goes on in newspaper circles, & his latest piece of information is, that there is a conspiracy between Northcliffe and certain members of the Army in high offices to get rid of Ll.G.“181 Nach Alice Goldfarb Marquis erschmeichelte sich die britische Regierung die Kooperation der Presse durch eine weise Anwendung von „political power and peerages.“182 Wichtige Herausgeber wurden mit Regierungsämtern beauftragt, und die Verbindungen zwischen Politikern und der Presse wurden so eng und vielgestaltig, dass nur schwer zu trennen ist, wer wen beeinflusste (oder korrumpierte).183 Formlose gesellschaftliche Kontakte zwischen Regierungsangehörigen, Herausgebern und Journalisten sind im Deutschen Reich nicht gleichermaßen zu beobachten. Zwar pflegten diese durchaus gesellschaftlichen Verkehr, allerdings fehlen auf deutscher Seite Entsprechungen zu den überaus privaten und freundschaftlichen Verbindungen zwischen Herausgebern und Journalisten und Kabinettsmitgliedern. Aber auch im Deutschen Reich waren Zeitungen nicht nur Befehlsempfänger der militärischen Zensurstellen, sondern durchaus in der Lage, eigenen Einfluss geltend zu machen, und die Tagebücher Theodor Wolffs geben zahllose Beispiele für den vielfältigen Verkehr zwischen Presse und Politik. Jörg Requate hat die Differenz zwischen dem die Spielräume der Presse einengenden rechtlichen Rahmenbedingungen im Deutschen Reich und andererseits das journalistische Selbstverständnis in Großbritannien betont. Letzteres wird schlagwortartig mit dem Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Konzepts des Fourth Estate verbunden.184 Auf der Grundlage des Anspruchs auf Unabhängigkeit entwickelte sich die Presse in Großbritannien zu einem eigenständigen Faktor, der frei von staatlicher Unterdrückung oder politischer Abhängigkeit handelte.185 Zudem trugen die von Requate festgestellten Strukturdefizite des deutschen Journalismus dazu bei, dass der Arbeit der Zensurbehörden nur selten widersprochen wurde. Ihm zufolge hatten die restriktive Informationspolitik offizieller Stellen und das vergleichsweise restriktive deutsche Presserecht dazu beigetragen, dass das journalistische Selbstbewusstsein und eine investigative Kultur der Recherche im Deutschen Reich im internationalen Vergleich nur schwach ausgeprägt waren. Als eine Ursache benennt er, dass ihr Selbstverständnis weniger durch parteipolitische Unabhängigkeit, sondern durch politische Prinzipien geprägt war. Im Deutschen Reich war eine spezifische Verbindung von Unabhängigkeit und Parteilichkeit zu einem eigenen
181 182 183 184 185
Stevenson, Lloyd George, S. 117 (16. 10. 1916). Ebd., S. 480. Die britische Regierung verteilte großzügig Orden und Titel an Herausgeber und Journalisten. S. a. Gebele, Probleme, S. 43. Marquis, Words, S. 474. Requate, Politischer Massenmarkt, S. 146. Ebd., S. 153, 168.
88
III. Zensur
Konzept journalistischer Unabhängigkeit entstanden, in der Parteilichkeit zu einem Element des journalistischen Berufsethos geworden war.186 Wie weit diese unterschiedlichen Konzepte journalistischen Selbstverständnisses in Großbritannien und dem Deutschen Reich die Berichterstattung während des Krieges prägten, bedarf weiterführender Untersuchungen. In beiden Staaten resultierten die während des Krieges entstandenen Zensurpraktiken weder aus dem vor 1914 geltenden Presserecht, noch erwiesen sich mit wenigen Ausnahmen vor 1914 getroffene Vorbereitungen als maßgeblich. Aber auch wenn sich das britische Militär in den ersten Jahren des Krieges nur zögerlich einer Zusammenarbeit mit der Presse annäherte, gelang es, Arrangements zu treffen, die im Deutschen Reich fehlten. Eine Ursache dieser im Vergleich mit dem Deutschen Reich größeren Freiräume britischer Zeitungen ist, nach Alice Goldfarb Marquis, das Vertrauen der Regierung in die Presse. Nach ihr band ein enges Netz persönlicher, politischer und berufsbedingter Verbindungen Herausgeber, Besitzer und Politiker in die herrschenden Eliten ein.187 Allerdings ist fraglich, ob das Vertrauen der britischen Regierung tatsächlich der Presse oder nicht vielmehr den Herausgebern und Eigentümern galt. Denn nicht allein im Deutschen Reich, sondern auch in Großbritannien entstanden Agenturen der Überwachung, die zunehmend die Bevölkerung observierten und kontrollierten. Im folgenden Kapitel wird gezeigt, wie politische Polizeien und Nachrichtendienste ihre Tätigkeit mehr und mehr auf eine Überwachung nicht massenmedialer öffentlicher Meinungen ausdehnten. Hierbei werden einerseits die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten und andererseits die staatlichen Versuche, nicht massenmedial vermittelte Kommunikation zu kontrollieren, als Indikatoren für die Auswirkungen der Zensur auf die Presse und ihre Rezeption verstanden. Im Deutschen Reich war die Zensur nicht nur Voraussetzung für die höhere Intensität der Kommunikation von Gerüchten, sondern auch dafür, dass die Kontrolle von Gerüchten wesentlich stärker staatliches Handlungsfeld wurde.
186 187
Requate, Zeitung als Medium, S. 151; Requate, Protesting. Marquis, Words, S. 485.
IV. KOMMUNIKATIONSKONTROLLE IV.1. Öffentliche Meinungen zwischen Manipulation und Kontrolle Zwischen 1914 und 1918 veränderte sich unter den Bedingungen von Zensur und Ausnahmezustand nicht nur das Kommunikationsverhalten. Im Verlauf des Krieges nahm auch das Interesse der Staaten zu, öffentliche und private Kommunikation jenseits der Massenmedien zu kontrollieren und zu manipulieren. Erst nachdem der Krieg bereits begonnen hatte, wurde Propaganda zu einem staatlichen Handlungsfeld. Zunächst mussten alle beteiligten Staaten in Propagandafragen improvisieren.1 Die ‚Entdeckung‘ der öffentlichen Meinung durch den Staat führte zu einem zunehmend differenzierten Verständnis von Propaganda. Schon bald wurden öffentliche Meinungen als sozial inklusiv wahrgenommen und Propaganda nicht mehr nur an ein männliches, akademisches oder bürgerliches Publikum adressiert. Zunehmend wurden auch die Arbeiterschaft und mehr und mehr auch Frauen Adressaten staatlicher Propaganda. Ein weiteres Merkmal war ihre massive Ausweitung auf allen Öffentlichkeitsebenen und unter Instrumentalisierung aller verfügbaren Medien. Je unumgänglicher während des Krieges eine breite Zustimmung der Bevölkerung zum Handeln des Staates geworden war, umso wichtiger wurden Akzeptanzstrategien, diese zu gewährleisten. Über das Mittel der Zensur als Beeinflussung im Modus der Verhinderung weit hinausgehend, bedeutete Propaganda eine weit umfassendere Manipulation der als die öffentliche Meinung geltenden Auffassungen. Zwischen 1914 und 1918 kam es nicht nur zu einer zunehmenden Verdichtung der Propagandaapparate, sondern ihnen kamen auch neue Aufgaben zu. Mehr und mehr gewannen sie auch observierende und disziplinierende Aufgaben. Vor allem ihre Entwicklung in der Endphase des Krieges in beiden Staaten zeigt, dass Propagandaorganisationen nicht nur der Beeinflussung durch gelenkte Informationen, sondern auch der unmittelbaren Kontrolle der Gesellschaften dienten. Dieser Prozess resultierte aus der Erkenntnis, dass Propaganda nicht allein die Mobilisierung von Konsens, sondern immer auch die Kontrolle von Dissens bedeutete. Eine effektive Propaganda – verstanden als Manipulation und Kontrolle der öffentlichen Meinung – musste daher von einem Bündel von disziplinierenden Maßnahmen flankiert werden, um Wirkung zu erlangen. Da1
Nicolai, Nachrichtendienst; Vogel, Organisation; Creutz, Pressepolitik; Mai, Aufklärung; Stegmann, Inlandspropaganda; Deist, Zensur; Kestler, Vaterländischer Unterricht; Welch, Germany, Propaganda and Total War; Sanders und Taylor, Propaganda; Gebele, Probleme; Douglas, Voluntary Enlistment; Haste, Keep the Home Fires Burning; Horne, Remobilizing; Messinger, British Propaganda. Vergleichend allein: Marquis, Words. Nicht mehr eingearbeitet werden konnte: Anne Schmidt, Belehrung – Propaganda – Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914–1918, Essen 2006.
90
IV. Kommunikationskontrolle
mit war nicht nur die Verknüpfung der Arbeit der Propagandaorganisationen mit Polizeiorganisationen und militärischen Nachrichtendiensten verbunden. Wie im Folgenden gezeigt wird, veränderte sich damit die Idee des inneren Feindes und der von ihm ausgehenden Bedrohung für die Kriegführung. Eine besondere Bedeutung bei der Bekämpfung des inneren Feindes kam den militärischen Nachrichtendiensten zu. Diese übernahmen in beiden untersuchten Staaten – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – neben der Zensur Aufgaben im Bereich der Lenkung, Überwachung und Kontrolle öffentlicher Meinungen und der Überwachung der jeweiligen Gesellschaften. Die beiden letztgenannten Tätigkeitsbereiche sind unter dem Begriff ‚Intelligence‘ zusammenzufassen. Der nur schwer ins Deutsche übertragbare Begriff meint den Dreischritt von Erfassen – Sammeln – Auswerten von Informationen, der nicht notwendigerweise nur von geheimen Diensten ausgeführt wird. Nach dem Nachrichtendiensttheoretiker Michael Herman bezieht sich Intelligence auf ‚die anderen‘, nicht auf ‚uns‘.2 Intelligence gilt als das „Wissen von der Feindschaft, von inneren und äußeren, latenten und manifesten Feinden“.3 Im Folgenden geht es nicht darum, zu fragen, wie die einmal akkumulierten Informationen politisch verwertet wurden, sondern allein, welche Organisationen, Methoden und Aufgabenfelder entstanden. Peter Holquist hat darauf hingewiesen: „In fact the desire to generate such material is of far greater significance than the material itself.“4 Ob und inwieweit diese Überwachungen politische Akteure motivierten oder etwa Handlungsalternativen oder Handlungsspielräume anboten, soll daher hier nicht diskutiert werden. Nach Wesley K. Wark ist es nicht notwendigerweise erforderlich, den Einfluss von Intelligence auf staatliches Handeln im Detail nachzuvollziehen – angesichts der Quellenlage ist dies auch nur schwer möglich: „Instead, one can argue that a study of the intelligence process illuminates the atmosphere and mentalities surrounding decision-making, crucial elements about which other sorts of documents are often silent.“5 Sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich versuchten Nachrichtendienste und Polizeien in der Bevölkerung Voröffentliches, Privates und Geheimes zu entdecken. Von Revolutionsfurcht getrieben, entstanden während des Krieges Institutionen, die auch nichtöffentliche Kommunikation überwachten. In der Ergründung der Geheimnisse des öffentlichen Raumes durch die verschiedenen Agenturen der Überwachung verschmolzen somit das Geheime und das Öffentliche wieder miteinander.6 Die kriegführenden Staaten verfügten über enorme und im Laufe des Krieges noch zunehmende Potentiale zur gesellschaftlichen Überwachung und Steuerung. Gleichzeitig aber waren sie zunehmend auf die zumindest stillschwei2 3 4 5 6
Zit. n. Horn, Geheime Dienste, S. 56. Ebd., S. 56. Holquist, Bolshevik Surveillance, S. 416–417. Wark, Study of Espionage, S. 3–4. Stöber, Die erfolgverführte Nation, S. 73.
IV.1. Öffentliche Meinungen zwischen Manipulation und Kontrolle
91
gende Unterstützung seitens der Regierten angewiesen. Jeder und jede wurden zu einem Teil der Kriegsmaschinerie und somit wurde die gesamte Bevölkerung auch zu einem potentiellen Risiko, von dem der Ausgang des Krieges abhing. Daher entwickelte sich Sinn- und Konsensstiftung zu einem kriegswichtigen Faktor.7 Vorliegende Arbeiten zu Pressepolitik, Propaganda und Zensur bieten Institutionengeschichten, Darstellungen von Entscheidungsfindungen und Reglements der Zensurbehörden. Bislang wurde aber bei der Analyse der Mobilisierung der Heimatfronten zu sehr das Gewicht auf mobilisierende Aspekte von Propaganda gelegt. Repressive Mittel neben der Pressezensur wie Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung wurden vor allem in Hinsicht auf das Deutsche Reich unzureichend untersucht. In der Forschung werden in der Regel Kommunikationskontrolle und Überwachung und Zensur der Presse gleichgesetzt. Die Kontrolle der Presse durch die Zensurbehörden war aber kein Selbstzweck, sondern nur ein Instrument zur Durchsetzung gesamtgesellschaftlicher Kontrolle und des staatlichen Lenkungsanspruches. Während des Krieges erkannten staatliche Stellen, dass die zunehmenden Restriktionen unterliegende Presse nicht mehr alle in der Bevölkerung verbreiteten Meinungen und Stimmungen widerspiegelte. Je wichtiger eine Überwachung und Lenkung der öffentlichen Meinung für die Kriegführung wurde und je mehr die Presse der staatlichen Kontrolle unterlag, desto stärker wurde nach zusätzlichen Wegen der Überwachung und Kontrolle auch einfacher Öffentlichkeiten gesucht. Es zeigt sich, dass während des Krieges die Arbeit staatlicher Propagandaapparate und polizeiliche wie nachrichtendienstliche Repressionsapparate weitaus stärker miteinander verknüpft war, als es in der Forschung bislang den Anschein hatte. In Großbritannien war das National War Aims Committee, die inoffizielle staatliche Propagandaorganisation, unmittelbar in den staatlichen Apparat zur Unterdrückung von Dissens eingebunden. Auf Vorschlag des Home Office erhielt es ab November 1917 durch dieses Hinweise auf geplante Anti-Kriegsveranstaltungen und organisierte Gegenveranstaltungen. Es versuchte aber nicht nur die öffentliche Meinung im nationalen Sinn zu mobilisieren, sondern machte auch nationale Verbände gegen diese mobil.8 Nicht selten wurden Veranstaltungen von einem Mob gestürmt. Nationale Presse, Polizei und nationale Verbände arbeiteten eng zusammen: Die nationale Presse veröffentlichte Termine kriegskritischer Veranstaltungen, und nicht selten wiesen Behörden sie auf entsprechende Veranstaltungen hin. Als im Juli 1917 ein Londoner Sowjet ins Leben gerufen werden sollte, informierte die Special Branch den Daily Express.9 Im East End wurden Flugblätter verteilt, dass eine pro-deutsche Veranstaltung stattfinden würde. Schließlich wurde die Veranstaltung von einer 8 000 Personen zählenden Menge gestürmt. 7 8 9
Horne (Hrsg.), State, S. 1–2. Millman, Managing, S. 245–246. Thomson, Scene Changes, S. 383.
92
IV. Kommunikationskontrolle
Da die Polizei immer weniger bereit war, pazifistische Veranstaltungen vor dem Mob zu schützen, hatten Pazifisten zwar das Recht, ihre Meinungen zu äußern – gleichzeitig aber hatten die Patrioten das ‚Recht‘, sie zusammenzuschlagen.10 Ein weiteres effizientes Mittel, oppositionelle Veranstaltungen zu verhindern, ohne dass der Staat unmittelbar Zensur ausübte, war Druck auf Besitzer von Lokalen auszuüben, diese nicht zu gestatten. Brock Millman bezeichnet die patriotische Mobilisierung zur Verhinderung oppositioneller Veranstaltungen als einen für britische Skrupel maßgeschneiderten Mechanismus, da das Home Office weitgehend auf eine öffentlich sichtbare Zensur von Veranstaltungen verzichten konnte.11 Für ihn liegt die Bedeutung des National War Aims Committee in seinem Beitrag zur Propaganda. Es organisierte nicht allein den verbalen Kampf gegen den Pazifismus, sondern legte auch den Finger an den Pulsschlag der Nation und berichtete regelmäßig über die Stimmung der Bevölkerung.12 Wie weit die Pläne gingen, unmittelbare ‚Abwehr‘ und Propaganda miteinander zu verbinden, zeigt der gescheiterte Versuch des Anfang 1918 unter Lord Beaverbrock gegründeten Ministry of Information, ein Political Intelligence Department einzurichten. Es sollte dem Ministerium als Schnittstelle zu Erkenntnissen von Scotland Yard, dem Ministry of Labour und dem Home Office dienen.13 Im Deutschen Reich waren Vertrauensleute eine solche Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft, die nicht nur Propaganda durchführen sollten, sondern auch über die Bevölkerung zu berichten hatten. Sie waren zentrales Instrument der Propagandaarbeit durch Militär- und Zivilbehörden auf der Ebene einfacher Öffentlichkeiten. Angesprochen wurden Gewerkschaften und Unternehmerverbände, Handelskammern, Vaterlandspartei, Frauenverbände, Kirchen, Lehrer, Professoren, Künstler. Als ihre Aufgabe galt, in ihrem Umfeld: 1. Die wehleidige, mißmutige und oft verärgerte Stimmung zu bekämpfen und einer freudigen, opferwilligen und aufrechten Stimmung Platz zu schaffen. 2. Für die vielfachen behördlichen Anordnungen Verständnis zu wecken und zu ihrer freiw[illigen] Beachtung anzuspornen. Viele Wege führen zu diesem Ziel; der Vertrauensmann soll von keinem sagen, daß er zu entbehren ist. Viel ,Wenig‘ machen ein ,Viel‘.14
Voraussetzung ihrer Arbeit war es einerseits, „an das Volk heranzukommen“, und andererseits, „über alle Dinge unterrichtet sein, die sich bei der Aufbesserung der Stimmung benutzen lassen oder mit denen der Miesmacherei entgegengewirkt werden kann.“15 Die Vertrauensleute hatten dafür zu sorgen, dass der Vaterländische Unterricht „schließlich an jeden einzelnen Stammtisch, in jede einzelne Fabrik, in jeden Verein hineinkommt.“ Ihre Arbeit hatte sich nicht 10 11 12 13 14 15
Millman, Managing, S. 157. Ebd., S. 87. Ebd., S. 222–223. S. a. Sanders und Taylor, Propaganda, S. 22–25. The Need for an Intelligence Department of the Department of Information (20. 2. 1918), CAB 24/43 (GT 3702). KPA (Hrsg.), Aufgaben der Vertrauensmänner, S. 5. Ebd., S. 5–6.
IV.1. Öffentliche Meinungen zwischen Manipulation und Kontrolle
93
auf Organisatorisches und größere Veranstaltungen zu beschränken, sondern hatte „Tagesgespräch im Volk“ zu schaffen.16 Diese lückenlose Beeinflussung der Bevölkerung erforderte eine möglichst weit reichende Organisation. So wurden die Verantwortlichen für die Durchführung des Vaterländischen Unterrichts angehalten, aus den ihnen zur Verfügung stehenden Personen „ein Spinnennetz über Ihren Bezirk zu bauen.“17 Ausdrücklich betonte das für die Inlandspropaganda zuständige Kriegspresseamt (KPA): „uns fehlt die innere Fühlung mit dem Volke. Wir sind schließlich nur Leute vom grünen Tisch.“18 Aufgaben der Vertrauensleute waren nicht allein Veranstaltungen und Vorträge, sondern explizit die Einflussnahme auf ihr unmittelbares Umfeld. Ihre Arbeit hatte sich „vielfach darauf [zu] beschränken, Äußerungen der Wehleidigkeit, des Mißmutes und der Verärgerung zu entkräften, sei es durch sachliche Darlegungen, durch gutmütigen Spott, oder aber durch Vergleich des vermeintlichen Leides mit wirklichem, viel schwereren Leid.“19 Über die Gesamtzahl der Vertrauensleute liegen keine einheitlichen Zahlen vor. 1918 standen etwa 15 000 Vertrauensleute allein unter dem Einfluss des KPA.20 Eine Untersuchung der Zensur und ihrer Folgen ist unvollständig, wenn sie außer Acht lässt, dass nicht allein das gedruckte Wort einer staatlichen Kontrolle unterlag. Denn neben Zeitungen und sonstigen Publikationen wurden während des Krieges zunehmend auch andere Öffentlichkeitsebenen überwacht. Im Folgenden soll der Begriff Kommunikationskontrolle nur auf die Kontrolle nicht massenmedial vermittelter Kommunikationshandlungen angewendet werden.21 Eine Übersicht über die Gesamtheit gesellschaftlicher Überwachung – z. B. auch von Flugblättern und Veranstaltungen – kann hier nicht geleistet werden. Auch auf Überwachungsmaßnahmen, die sich gegen Ausländer und nationale Minderheiten richteten, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Im Folgenden werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutscher und britischer Überwachungspraktiken herausgearbeitet. Dieser Begriff meint hier einerseits den Nexus von Definition und Kontrolle von Normen und andererseits die Observation auch nicht-massenmedialer Öffentlichkeitsebenen und Kommunikationshandlungen. Die beiden Tätigkeitsfelder sind nicht klar zu trennen, und gerade diese Multifunktionalität ist als ein Charakteristikum dieser Phase gesellschaftlicher Überwachung anzusehen. In beiden Staaten überschnitten sich die Kontrolle von Öffentlichkeiten und öffentlicher Meinungen mit allge16 17 18 19
20 21
KPA (Hrsg.) Bericht über die Sitzungen am 20. und 21. April 1917, S. 14. Ebd., S. 24. Ebd., S. 15. KPA (Hrsg.), Aufgaben der Vertrauensmänner, S. 6. Es fehlen Angaben über die Zahl der Vertrauensleute im Korpsbezirk des OKM. Zum Vergleich: Allein die Aufklärungsabteilung des StGKs des VI. AK in Breslau verfügte im Juli 1917 über 240 Ortsausschüsse und 17 000 Vertrauensleute. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 360, S. 950. Stöber, Die erfolgverführte Nation, S. 158. Diese Definition in Unterscheidung zur Verwendung durch Fischer (Hrsg.), Deutsche Kommunikationskontrolle.
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IV. Kommunikationskontrolle
meinen Fragen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit. Zu den Aufgaben der kommunikationsüberwachenden Organisationen zählten anfänglich vor allem Spionageabwehr, später die Abwehr gesellschaftlicher Bedrohungen und die Observation von gesellschaftlichem Dissens und schließlich ‚Meinungsforschung‘. Mit dem Begriff Meinungsforschung wird hier eine anachronistische Terminologie verwendet. Jedoch fehlt ein Begriff, der einerseits die beschriebenen Tätigkeiten erfasst und andererseits auf beide Komparanden anwendbar ist. Neue Organisationen und veränderte Methoden der Überwachung zogen den Zerfall und die Fragmentierung von Öffentlichkeiten nach. So entstand während des Ersten Weltkrieges bei Militär, Polizei und Verwaltung ein die Bedürfnisse der Kriegführung berücksichtigendes neues, pragmatisches Verständnis von öffentlichen Meinungen, das diese immer weniger mit der Presse gleichsetzte. Mit den Veränderungen, denen der öffentliche Raum während des Krieges unterlag, änderten sich auch Ziele und Methoden seiner Überwachung. Der Prozess der Expansion und Intensivierung gesellschaftlicher Überwachung ist eher als eine Abfolge von Improvisationen denn als eine planmäßig geordnete Ausweitung bestehender Tätigkeiten zu verstehen. Die während des Krieges in beiden Staaten aus höchst unterschiedlichen Kontinuitätslinien resultierende gesellschaftliche Überwachung war vor 1914 noch nicht einmal ansatzweise angedacht. Zwischen 1914 und 1918 waren in beiden Staaten drei Institutionen maßgeblich für die Expansion und Intensivierung gesellschaftlicher Überwachung: politische Polizeien, militärische Nachrichtendienste und Militärbefehlshaber. Letzteren kam bei der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung eine besondere Bedeutung zu. Während des 19. Jahrhunderts war mit dem Aufund Ausbau polizeilicher Organisationen das Militär schrittweise aus innergesellschaftlichen Konflikten verdrängt worden, auch wenn es sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich bei großen Streiks gelegentlich eingreifen musste.22 Bis 1914 war das Militär in der Innenpolitik vor allem Träger physischer Gewalt; und vor Kriegsausbruch bestanden keine auf Dauer angelegten Einrichtungen, die sich ausschließlich mit innenpolitischen Themen befassten. Erst während des Krieges führte die veränderte Bedeutung des Faktors Intelligence dazu, dass die militärischen Nachrichtendienste Aufgaben politischer Polizeien übernahmen.
IV.2. Nachrichtendienste und politische Polizeien Die Intensivierung gesellschaftlicher Überwachung durch Nachrichtendienste und Polizeien im Verlauf des Krieges war eine Reaktion auf veränderte Bedrohungslagen und Feindbilder. Mit der polizeilichen Verteidigung der gesellschaftlichen Ordnung standen politische Polizeien immer im Kontext der klassenbe22
Knöbl, Polizei und Herrschaft, S. 358.
IV.2. Nachrichtendienste und politische Polizeien
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dingten Interessenkonflikte des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, und ihre Arbeit richtete sich vor allem gegen Sozialisten und Anarchisten. Zentrales Merkmal der Arbeit politischer Polizeien ist das Sammeln von Informationen. Während des Krieges überschnitten sich zunehmend die Tätigkeiten von militärischen Nachrichtendiensten und politischen Polizeien. Vor 1914 war die Spionageabwehr die einzige Aufgabe der Nachrichtendienste im Inland, die diese in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden durchführten. Nach Ausbruch des Krieges waren Spione daher in beiden Staaten Anlass einer ersten Phase gesellschaftlicher Überwachung. Erst später wurden sie von der Angst vor der drohenden Revolution abgelöst und „political policing“ ersetzte die Spionageabwehr als Daseinsberechtigung militärischer Nachrichtendienste.23 Im Folgenden soll aber nicht die Spionageabwehr, sondern kurz der Prozess der Ausdehnung des Überwachungsauftrages auf Dissens, Subversion und die allgemeine Stimmung verfolgt werden. Nach Kriegsausbruch entstanden in den Nachrichtendiensten beider Staaten neue Bedrohungsszenarien, denen nicht immer reale Korrelate entsprachen. Zunehmend wurde die Vorstellung vom Spion als Kundschafter und Späher als Bedrohung des militärischen und politischen Geheimnisses abgelöst durch die Idee eines gegen Meinung und Stimmung wühlenden Agenten einer äußeren Macht. War zu Anfang des Krieges die ‚Psychose des imaginären Spions‘ in beiden Staaten verbreitet, so entstanden nach Beginn des Krieges nationale Eigenheiten in der Interpretation der Bedrohung durch Spionage. Versuchte man im Deutschen Reich vergeblich, reisende Agitateure zu fassen, die durch unablässige Mund-zu-Mund-Propaganda Zwietracht und Verunsicherung säten, suchte man in Großbritannien ebenso vergeblich zu beweisen, dass Pazifisten und Sozialisten mit deutschem (später auch mit sowjetischem) Geld finanziert wurden.24 Wie im Folgenden gezeigt wird, war die Fahndung nach Spionen, Agenten und Saboteuren und die Unterbindung ihrer Kommunikation eine zentrale Aufgabe der Pressezensur, der Briefszensur, der Nachrichtendienste und der politischen Polizeien. In Großbritannien hatte bis in die 1880er Jahre die Idee einer geheimen Polizei eher Misstrauen erweckt. Zu dessen Ursachen zählte das Unbehagen allen nicht-uniformierten Polizeiorganisationen gegenüber. Da politische Polizeien als Strukturmerkmal ausländischer Tyranneien angesehen wurden, galt das notwendige Vertrauensverhältnis von Staat und Bevölkerung als bedroht. Erst 1883 wurde die Spezialabteilung (Special Branch) des Criminal Investigation Department der Londoner Polizei (Metropolitan Police) zur Bekämpfung irischer Terroristen gegründet.25 Zwischen 1883 und 1914 war die Hauptaufgabe der Special Branch die Verhinderung politisch motivierter Kriminalität. Waren es anfangs 23 24 25
Englander, Military Intelligence, S. 24. Vgl. Panayi, Enemy, S. 163–181. Bekannt ist das Criminal Investigation Department vor allem durch ihre Anschrift: Scotland Yard.
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IV. Kommunikationskontrolle
Bombenanschläge irischer Nationalisten, so forderten in den folgenden Jahren Anschläge von Nationalisten aus den britischen Kolonien, von Anarchisten und russischen Emigranten den Einsatz der Special Branch.26 Als nach 1909 Angehörige der Metropolitan Police in Streikgebiete geschickt wurden, waren darunter keine Angehörige der Special Branch.27 Denn politische Organisationen wurden vor 1914 nur vereinzelt von der Special Branch überwacht. Zwar suchten ihre Beamten öffentliche Veranstaltungen radikaler Parteien auf, allerdings ist kein Fall bekannt, bei dem sie sich Zugang zu privaten Veranstaltungen verschafft oder überhaupt Informanten und Spitzel unterhalten hätten.28 Aber auch wenn politische Repression in Großbritannien vor 1914 unbekannt war, so hatte sich der Aufgabenbereich der Special Branch bereits vor 1914 dem kontinentalen Muster politischer Polizeien angenähert.29 Jedoch erst der Krieg machte aus der Special Branch eine politische Polizei im oben genannten Sinn.30 Diese Veränderung spiegelte sich auch in der Personalentwicklung wider. 1914 zählte die Special Branch 114, bei Kriegsende etwa 700 Mitarbeiter.31 Bereits mit Ende des Jahres 1914 waren Intelligence und durch den Krieg bedingte Arbeiten zur wichtigsten Aufgabe der gesamten Criminal Investigation Department geworden und hatten ihre kriminalpolizeilichen Aufgaben nahezu vollständig verdrängt.32 Bei der Entstehung des Secret Service Bureau, der im Oktober 1909 geschaffenen militärischen Spionageabwehr, hatten innenpolitische Aspekte keine Rolle gespielt.33 In Großbritannien waren nicht zuletzt durch Spionageromane angeheizte Ängste der Bevölkerung vor Spionen erst der Anlass, den Ausbau von Nachrichtendiensten zu intensivieren. Übertriebene Darstellungen der Presse trugen nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Regierungskreisen erheblich dazu bei, die Bedrohung durch deutsche Spione und Saboteure ernst zu nehmen. Zwischen nachrichtendienstlicher Arbeit und ihrer Fiktionalisierung entspann sich ein Geflecht von Beeinflussungen und Abhängigkeiten von Journalisten, Schriftstellern, Institutionen und Angehörigen der Spionageabwehr.34 Bereits am Tag vor der Kriegserklärung wurde ein deutscher Ring von 22 Spionen bis auf einen verhaftet. Dadurch wurde bereits in der ersten Woche des 26 27 28 29 30 31 32 33
34
Porter, Origins, S. 189. Ebd., S. 173. Ebd., S. 175–178. Thurlow, Secret State, S. 3. Porter, Plots and Paranoia, S. 133. Thurlow, Secret State, S. 49. Englander, Police, S. 96. Hiley, Counter-Espionage, S. 848–849. Die Spionageabwehr war zwar formal M.O.5, einer Abteilung des War Office, angegliedert, blieb aber bis Kriegsausbruch de facto eine unabhängige Organisation. Zu M.O.5 s. Kap. I.2. Erst nach mehreren Umbenennungen erhielt die britische Spionageabwehr mit M.I.5 Anfang 1916 ihre bis heute beibehaltene Bezeichnung. Der Einfachheit halber wird daher im Folgenden immer der Begriff M.I.5 verwendet. Andrew, Secret Service, S. 51. S. a. French, Spy-Fever; Hiley, British Counter-Espionage.
IV.2. Nachrichtendienste und politische Polizeien
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Krieges das deutsche Agentennetz enttarnt. Zwischen 1914 und 1917 wurden in Großbritannien 31 deutsche Agenten angeklagt, von denen 12 hingerichtet wurden. Das letzte Verfahren gegen einen deutschen Spion fand im August 1917 statt.35 Trotz dieser Erfolge blieb die Angst vor Spionen bestehen und verunsicherte die britische Spionageabwehr nicht weniger als die breite Öffentlichkeit. Denn damit hatten die von (zumeist nicht vorhandenen) Spionen ausgehenden Gefahren – Christopher Andrew spricht von der „menace of the imaginary spy“ – nicht geendet.36 Nach Thomas Boghardt wurde nur etwa ein Viertel der etwa 120 deutschen Spione in Großbritannien verhaftet. Insofern scheinen die britischen Ängste berechtigt. Boghardt betont aber auch, dass aus deren Tätigkeit kein Schaden für die britische Kriegführung entstand und M.I.5 dazu beitrug, die Bedrohung durch deutsche Spione maßlos zu überschätzen.37 Aus dieser Verunsicherung entstand eine weitreichende Überwachung des Briefverkehrs, der Einund Ausreise, des Inlandsverkehrs, von Ausländern und von Verdächtigen jeder Art.38 In Großbritannien brachte der Erste Weltkrieg damit sowohl kurz- wie auch mittelfristig erhebliche Veränderungen in den Beziehungen zwischen Grundrechten, innerer Sicherheit und dem Staat.39 Zwischen 1914 und 1918 wurden nicht nur die Tätigkeitsbereiche von Special Branch und M.I.5 immer weiter ausgedehnt, sondern es entstand auch eine Vielzahl weiterer Organisationen der politischen Überwachung. Im Februar 1916 richtete z. B. das Ministry of Munitions eine Labour Intelligence Division zur Überwachung ausländischer und anderer verdächtiger Arbeiter in der Munitionsindustrie mit personeller Unterstützung des Security Service ein. Schon bald sah diese ihre Aufgaben in der allgemeinen Sicherstellung der Munitionsherstellung und untersuchte jede mögliche Störung, sowohl durch deutsche Agenten, als auch durch britische oder ausländische Arbeiter. Der Leiter des Criminal Investigation Department Sir Basil Thomson betrachtete diese Organisation herablassend als „amateur service“, der über „a host of private agents who produce little that cannot be found in the local press“ verfügte.40 Um ihr erweitertes Aufgabenspektrum geheim zu halten, wurde sie im Juni 1916 in PMS2 (Parliamentary Military Secretary Department, Nr. 2 Section) umbenannt. Ende 1916 berichtete eine große Anzahl von Spitzeln an PMS2, so dass diese Organisation zu einem ‚central clearing house‘ für Informationen über Streiks, beabsichtige Streiks und Sabotageakte geworden war.41 Zu den Aufgaben von M.I.5 zählten schließlich alle Fragen militärischer Geheimhaltung und die „repression of enemy activities outside the area of 35
36 37 38 39 40 41
Hiley, Counter-Espionage, S. 645. The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 43. S. a. Boghardt, Spies of the Kaiser, S. 77–81. Andrew, Secret Service, S. 188. Boghardt, Spies of the Kaiser, S. 143–147. Hiley, Counter-Espionage, S. 637. Thurlow, Secret State, S. 47. Thomson, Scene Changes, S. 312. Hiley, Counter-Espionage, S. 653; Andrew, Secret Service, S. 195–196.
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IV. Kommunikationskontrolle
operations.“42 Immer öfter verließen nach Nicholas Hiley M.I.5 und Special Branch in ihrer gierigen Jagd nach Informationen dieses Aufgabenfeld und verfolgten neue Ziele.43 Ab 1916 sieht Hiley im Secret Service nicht mehr eine Organisation zur Verhaftung feindlicher Agenten, sondern ein großes, dezentralisiertes System, um Informationen aller Art zu sammeln, die der Bekämpfung feindlicher Aktivitäten außerhalb der Schlachtfelder dienten. Von diesen Informationen diente jedoch nur ein Bruchteil dazu, deutsche Spione zu entlarven.44 Mitte 1917 löste die Special Branch M.I.5 als wichtigste Organisation zur Überwachung von Arbeitsniederlegungen ab.45 Der Einfluss der Special Branch wurde weiter gestärkt, als das War Cabinet im Oktober 1917 Berichte über pazifistische Propaganda und ‚industrial unrest‘ einforderte. Ab 1917 war die Special Branch für die Information des War Cabinet über pazifistische und revolutionäre Organisationen verantwortlich.46 Nach der Oktoberrevolution in Russland untersuchte die Special Branch den Einfluss sowjetischer Gelder in Großbritannien und verfasste regelmäßige Berichte über „revolution and industrial unrest.“47 M.I.5 und der Special Branch diente die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit als Rechtfertigung, ihre Tätigkeit auf Protestbewegungen und politische Organisationen auszuweiten, die eine vermeintliche Bedrohung des Staates. Feindlicher Einfluss wurde so definiert, dass jede gegen die Kriegsanstrengungen gerichtete tatsächliche oder mögliche Handlung Gegenstand nachrichtendienstlicher Tätigkeit werden konnte. So diente gegen Ende des Krieges M.I.5 mehr der Bekämpfung der politischen Subversion als der Abwehr der deutschen Spionage.48 Das erweiterte Aufgabenfeld der inneren Sicherheit verschob sich spätestens seit dem Sommer 1917 immer mehr von der Kontrolle von Ausländern und der Spionageabwehr zur Überwachung britischer Bürger. Vor dem Krieg hatte sich die Special Branch nicht für die Arbeiterbewegung interessiert und auch Berichte der Competent Military Authorities erwähnten in den ersten beiden Jahren des Krieges keine Probleme mit der Arbeiterschaft – nicht weil sie nicht vorgekommen waren, sondern aufgrund der „ingrained liberal phobia that political surveillance was a nasty and unneccessary habit of Continental policemen.“49 Im weiteren Verlauf änderte sich diese Haltung, und es kam zu einer 42 43 44 45 46 47
48 49
The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 37. Hiley, Counter-Espionage, S. 649. Ebd., S. 648. Andrew, Secret Service, S. 196. Hiley, Counter-Espionage, S. 657. Ebd., S. 659. Zu dieser Berichterstattung s. Kap. IV.3.2. Zu den erfolglosen britischen Versuchen, zwischen dem deutschen Nachrichtendienst und pazifistischer Propaganda eine Verbindung herzustellen s. Boghardt, Spies of the Kaiser, S. 117–121. Andrew, Secret Service, S. 192. S. a. The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 41. Thurlow, Secret State, S. 67.
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massiven Ausdehnung des secret state mit einer zunehmenden Intensivierung gesellschaftlicher Überwachung und der Arbeit der politischen Polizei.50 Objekte dieser Expansion waren alle Bürger, in denen der Staat Risiken für die Kriegsanstrengungen erkannte.51 Ab 1916 war der Nachrichtendienst schließlich mehr mit ‚domestic unrest‘ als mit der Bedrohung durch deutsche Spione und Saboteure befasst. Obwohl in Großbritannien während des Krieges kein einziger Sabotageakt durch feindliche Agenten stattfand, hatte dies die Furcht vor Attentaten nicht schmälern können.52 Für Polizei und Militär bestand immer die Gefahr, dass der deutsche Nachrichtendienst mit Briten bei Sabotageakten gegen die Industrieproduktion zusammenarbeiten könnte. Auf Grundlage des DORA hatten sich während des Krieges die Aufgaben der Armee im Inland grundlegend verändert und erstmals wurde sie dauerhaft zu einem Machtfaktor. Mit der Schaffung einer Nachrichtenabteilung beim Oberkommando der in Großbritannien stationierten Truppen waren entsprechende Abteilungen bei den Commands wie auch in Zentren möglicher Unruhen entstanden.53 Im Juli 1918 wurden die Grenzen der Commands an die Grenzen der Polizeidistrikte angeglichen und jedes bedeutende Industriegebiet zu einem eigenständigen Militärbezirk erklärt. Brock Millman sieht in dem Verfahren einen deutlichen Hinweis auf Vorbereitungen zur Abwehr eines für möglich erachteten Bürgerkrieges, erleichterte es doch die Zusammenarbeit von Militär und Polizei im Falle von Unruhen erheblich.54 Im Juli 1918 wurden in den Commands für die Kooperation zwischen Polizei und Militär Assistant Competent Military Authorities eingerichtet. Zu ihren Aufgaben zählte, die Anwendung der DRR zu überwachen; Listen von in Notfällen zu verhaftenden Personen auszuarbeiten; Liaison mit Emergency Committees; Vorbereitung der Zusammenarbeit ziviler Behörden mit Truppenbefehlshabern im Falle innerer Unruhen; die sich aus dem oben genannten ergebende nachrichtendienstliche Tätigkeit und Ermittlungen gegen verdächtige Personen und Vorfälle.55 In den Polizeidistrikten waren die Chief Constables, die Chefs der regionalen Polizeibehörden, den Assistant Competent Military Authorities nachgeordnet. Entscheidungen, ob Gerichtsverfahren eingeleitet oder Maßnahmen gemäß DORA durchgeführt wur50
51 52 53 54
55
Unter dem secret state versteht Thurlow jene Gesetze und Organisationen, die wie Ausnahmezustandesgesetzgebung, politische Polizeien und Nachrichtendienste, der Öffentlichkeit weitgehend verborgen waren. Ebd., S. 1–3 Ebd., S. 67. Hiley, Counter-Espionage, S. 652. Englander, Military Intelligence, S. 24. Millman, Managing, S. 295–296. Nach Millman erachteten die militärische und politische Führung eine Revolution zumindest für möglich und hielten mit acht Divisionen erhebliche Truppenverbände in Großbritannien als innenpolitische Reserve vor. Zur Kritik an Millman die Rezension von David R. Woodward in: Journal of Military History 66 (2002), S. 217–218. PRO HO 144/1484/349684. Nach Millman wurden die Assistant Competent Military Authorities im März 1918 eingerichtet. Aus dem angeführten Dokument ergibt sich jedoch der 8. 7. 1918 als Stichtag. Millman, Managing, S. 292.
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IV. Kommunikationskontrolle
den, oblagen allein letzteren. Diese waren gegenüber M.I.5 eher in einer nachgeordneten Rolle.56 Wie in Großbritannien kooperierten im Deutschen Reich auf dem Gebiet der Spionageabwehr politische Polizei und militärischer Nachrichtendienst. Auf Anregung des Kriegsministers hatte der preußische Innenminister im Berliner Polizeipräsidium Anfang 1907 eine der politischen Polizei nachgeordnete „Staatspolizei Central-Stelle“ eingerichtet, deren Aufgabe die „Abwehr und Unterdrückung der gegen das Deutsche Reich oder den Preußischen Staat gerichteten verräterischen Handlungen“ sein sollte.57 Aber angesichts der komplexen verfassungs- und polizeirechtlichen Probleme in Reich, Bundesstaaten und Kommunen – z. B. existierte nur in wenigen Städten Preußens eine staatliche Polizei – ging die Schaffung einer nationalen Spionageabwehr durch die Polizei auch während des Krieges nicht über Memoranden und Planungen einer nach dem Krieg geplanten Reform hinaus. In den Defiziten bei der Organisation und Durchführung gesellschaftlicher Kontrolle und Überwachung durch die Polizeien ist eine Ursache des innenpolitischen Einflusses des Militärs auf diesen Feldern während des Krieges zu sehen. Die tatsächliche Bedrohung durch Spionage und Sabotage während des Krieges lässt sich auch für das Deutsche Reich nur schwer quantifizieren. Aufgrund von Verstößen gegen das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse wurden zwischen 1914 und 1918 verurteilt: 235 Deutsche (davon 67 ElsaßLothringer), 46 Franzosen, 31 Holländer, 25 Schweizer, 22 Russen, 20 Belgier, 13 Luxemburger, 5 Dänen, 4 Österreicher, je 3 Briten, Italiener, Schweden und 1 Peruaner.58 Allerdings sind diese Angaben nur unter Vorbehalt zu verwenden, da es sich bei ihnen um Verurteilungen nach dem Gesetz zum Schutz des militärischen Geheimnisses handelt, das nicht allein Spionage unter Strafe stellte. Auch die Angaben über feindliche Sabotageakte im Deutschen Reich scheinen übertrieben, da alle Fälle, in denen keine Unglücksursache festgestellt werden konnte, als Sabotageakte gezählt wurden.59 Nur in wenigen Fällen konnte Sabotage nachgewiesen werden, nach Auffassung des Leiters der Abwehrabteilung der StAbt. III b Hauptmann Roeder war aber in jedem Fall der Verdacht begründet.60 Wie die Spionage trug auch die Angst vor Sabotage zur permanenten Verunsicherung der Behörden bei, da diese sich niemals über Art und Umfang 56 57 58
59 60
Englander, Military Intelligence, S. 25, S. 27; ders. Police, S. 116–117. GStA Rep. 77 Tit 872, Nr. 12, Bd. 1, fol. 20–21. Begünstigt war in 175 Fällen Frankreich, Großbritannien (59 Fälle), Rußland (55), Belgien (21), Italien (2). In 14 Fällen gab es mehrere begünstigte Staaten. Nicolai, Geheime Mächte, S. 149. Nach dem Krieg bemängelte Gempp in seiner internen Geschichte des Nachrichtendienstes die traditionelle Überschätzung des ausländischen Nachrichtendienstes gegen Deutschland. Gempp-Bericht, 2. Teil, 4. Abschnitt, BA/MA RW 5 Film Nr. GC 419 P, fol. 278. Nicolai, Geheime Mächte, S. 141. Roeder, Einfluß der Sabotageakte, S. 157, S. 162. Unvollständige Angaben über Zerstörungen ebd., S. 165.
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tatsächlicher Bedrohungen im Klaren sein konnten. Warnungen vor Spionage und Sabotage trugen erheblich dazu bei, Behörden, Industrie und Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren und forderten eine allgemeine Wachsamkeit gegen ebenso unsichtbare wie gefährliche Feinde. In Großbritannien wie im Deutschen Reich führte die Rivalität zwischen militärischen und polizeilichen Stellen zu einer Überschneidung der Tätigkeitsbereiche von politischer Polizei und militärischem Nachrichtendienst.61 In Großbritannien hatte ab Mitte 1917 die Special Branch M.I.5 als wichtigste Abteilung für die Untersuchung von ‚labour unrest‘ abgelöst.62 Sowohl in Großbritannien als auch im Deutschen Reich vollzogen sich der Ausbau und die Intensivierung der Überwachung weitgehend unter Ausschluss der Parlamente und der Regierungen. Bemerkenswert ist z. B., dass die Ausweitung und Kompetenzverteilung zwischen Special Branch und M.I.5 allein durch die beteiligten Organisationen ausgehandelt wurde.63 Am Ende dieses Prozesses stand in Großbritannien, dass die Special Branch 1918 die maßgebliche Organisation der inneren Sicherheit war. Im Gegensatz dazu steht die Stellung des Militärs in allen Fragen der Überwachung im Deutschen Reich. Seine Rolle bei der Überwachung resultierte einerseits aus Kontinuitätslinien der Verwaltung und der politischen Polizei. Andererseits stand der bundesstaatliche Partikularismus im Reich dem Aufbau nationaler Polizeistrukturen entgegen. Ein weiterer konstitutioneller Faktor war die Übertragung der vollziehenden Gewalt an die Militärbefehlshaber. Mit Erklärung des Ausnahmezustandes waren Polizeibehörden zu Hilfsorganisationen der Militärbefehlshaber geworden. Zentrale Funktionen der Spionageabwehr und der inneren Sicherheit wurden daher während des Krieges vom Militär übernommen. Die Annahme Dieter K. Buses, dass gesellschaftliche Überwachung im Deutschen Reich nur in dem Sinne durch die Armee dominiert wurde, dass diese die Spitze des Überwachungsapparates kontrollierte, ist jedoch unzutreffend. Das Militär richtete parallel zu den zivilen eigene Institutionen zur Überwachung der Zivilbevölkerung ein und machte auch die Bekämpfung des inneren Feindes zunehmend zu seiner Aufgabe.64 Es übernahm nicht nur die Aufsicht über bestehende Apparate, sondern baute eigene Organisationen und Berichtswege auf. Angesichts der Mängel der polizeilichen Spionageabwehr hatte der militärische Nachrichtendienst nach dem Kriegbeginn mit dem Ausbau militärischer Organisationen der Spionageabwehr begonnen. Im Verlauf des Krieges entwickelte sich aus diesen Anfängen eine über die Spionageabwehr weit hinausgehende nachrichtendienstliche Tätigkeit militärischer Stellen im In- und Ausland. Intensität und Umfang dieses 61 62 63 64
Andrew, Secret Service, S. 191–192. Hiley, Counter-Espionage, S. 656–657. Über die Überwachungsorganisationen nach Kriegsende s. Andrew, Secret Service, S. 228–245; Thurlow, Secret State, S. 50–51. Hiley, Counter-Espionage, S. 660 f. Buse, Domestic Intelligence, S. 45.
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Prozesses sind unzureichend erforscht.65 War der militärische Nachrichtendienst zu Anfang des Krieges im Inland allein mit der Spionageabwehr beauftragt, so wurde dieser Auftrag im Verlauf des Krieges auf die Abwehr aller die Kriegführung gefährdenden Risiken ausgedehnt. Dabei handelte es sich nach Walter Nicolai: nicht nur um die Wirkung der Spionage, sondern um den Schutz der Kriegführung gegen die wesentlich weitgehenderen Ziele des feindlichen Nachrichtendienstes [...]. Nur wenn wir neben der Geheimhaltung unserer operativen Absichten keine auf Sabotage zurückführenden Störungen unserer Wirtschaft erlebten und der Zersetzungspropaganda den Weg zur Tüchtigkeit unseres Volkes versperrten – nur dann hatte die Abwehr ihre Aufgabe gelöst.66
Zwar zog der militärische Nachrichtendienst während des Krieges keine unmittelbar polizeilichen Tätigkeiten an sich, denn wie in Zensurfragen dienten v. a. politische Polizeien als Exekutive der Militärs. Allerdings bildeten Abt. III b und StAbt. III b Strukturen aus, deren Aufgabenbereiche z. T. deckungsgleich mit denen der politischen Polizei waren, aber auf das Sammeln von Informationen und eine generelle Prävention beschränkt waren. Am 8. Mai 1917 übertrug Hindenburg der Abt. III b die „Bearbeitung von Vorgängen über die innere Politik im Deutschen Reich in dem Umfange, wie sie an die Oberste Heeresleitung herantreten.“67 Angesichts der zunehmenden Sabotageakte durch feindliche Geheimdienste und deren Einflussnahme auf die Stimmung im Inland wies Ludendorff am 15. November 1917 die StAbt. III b an, die Abwehr dagegen weiter auszubauen. Zu diesem Zweck wurde dort die Gruppe ‚Abwehr X‘ für politische Abwehrangelegenheiten gebildet. Zu deren Aufgaben zählte v. a. die „Abwehr feindlicher revolutionärer Propaganda zur Anstiftung von Streiks und inneren Unruhen einschließlich der pazifistischen Bewegung.“68 Diese Ausdehnung der Aufgaben des militärischen Nachrichtendienstes trug dazu bei, dass nach 1918 die Abt. III b als „politische Polizei“ bezeichnet wurde, in deren Zuständigkeit die „hiermit zusammenhängende[n] Angelegenheiten der inneren Politik“ fielen.69 Während des Krieges war die gestiegene Bedeutung und das erweiterte Aufgabenfeld der Abt. III b nicht verborgen geblieben, und so wurde Nicolai im Reichstag als „militärisch-politische[r] Informator“ Hindenburgs bezeichnet.70 Im Dezember 1917 betrug die Personalstärke der StAbt. III b in Berlin ohne die ihr nachgeordneten Stellen 250 Mitarbeiter, der Großteil verteilte sich auf 65 66 67 68
69 70
S. Einleitung. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 39. Gempp-Bericht, II. Teil, 9. Abschnitt, BA/MA RW 5, Film Nr. GB 2142 P, fol. 47. GStA Rep. 77 tit. 332 bb, Nr. 33, Bd. 1, fol. 332–335. Zu den weiteren Aufgaben zählten: „alle die Abwehr angehenden Presseangelegenheiten“ und „Anschläge auf Fürsten und Heerführer.“ ‚G‘ war die entsprechende Abteilung des Admiralstabes. S. a. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 409, Anm. 7. Cron, Organisation, S. 15. VdR 317 (14. 6. 1918), S. 5508.
IV.2. Nachrichtendienste und politische Polizeien
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die Abwehrabteilung (77) und die Passzentrale (128).71 Die anderen Abteilungen, Adjudtantur und Verwaltung (33), die Zentralstelle für Kriegserfahrungen (5) und die Abteilung Kriegsberichterstatter (6) waren deutlich schwächer besetzt. Die von StAbt. III b und den Abwehrabteilungen der StGKs gemeinsam betriebenen Zentralpolizeistellen und die diesen nachgeordneten militärischen Polizeistellen zählten 889 Mitarbeiter.72 Zu den genannten Mitarbeitern kommt noch das Personal der Abwehrabteilungen der StGKs. Nach Nicolai betrug die Personalstärke der deutschen Abwehrorganisation bei Kriegsende 1 139 Personen. Diesen stellte er die Zahl von 6 000 Angehörigen der gegen Deutschland gerichteten britischen Abwehrorganisation gegenüber.73 Vermutlich bezieht Nicolai hier die Mitarbeiter des mit der Postzensur befassten M.I.9 mit ein – die u. a. mit der Spionageabwehr befasste M.I.5 war personell weitaus schwächer ausgestattet. Aus dem bei Kriegsausbruch nur rudimentär vorhandenen militärischen Inlandsnachrichtendienst war im letzten Kriegsjahr eine umfangreiche und weit verzweigte Organisation geworden, die vielfältige Aufgabenbereiche bearbeitete. Neben ihren Vorkriegsaufgaben Spionage und Spionageabwehr und den ihr während des Krieges zugefallenen Aufgaben Zensur und Propaganda hatten Abt. III b und die ihr nachgeordnete StAbt. III b die Aufgaben einer politischen Polizei übernommen.74 Anfänglicher Auftrag der bei Kriegsausbruch entstanden Organisationen wie der Presse- und Postzensur war in beiden Staaten vor allem der Schutz des militärischen Geheimnisses.75 Im weiteren Verlauf des Krieges wurden einmal eingerichtete Organisationen jedoch zunehmend zur Gewinnung militärisch und politisch relevanter Informationen verwendet. Am Beispiel der Briefzensur soll dies im Folgenden kurz aufgezeigt werden. Von Seiten der britischen Armee wurde vor dem Krieg eine allgemeine Briefzensur nicht als notwendig angesehen, und man rechnete allein mit der Überwachung des Briefverkehrs verdächtiger Personen.76 Mit der Postzensur war bei Kriegsausbruch ein einziger Offizier befasst, der verhindern sollte, dass sensible Informationen den Feind erreichten. Bis 1918 wuchs die Postzensur zu einer eigenen Abteilung des Nachrichtendienstes (M I.9) 71
72
73 74
75 76
Nicolai, Nachrichtendienst, S. 40. Zur Handhabung der Passerteilung durch die Passzentrale s. die Bemerkungen des bayerische Staatsminister des Inneren. VdKA 18 (22. 3. 1918), S. 638–640 und BA/MA PH 3/310, fol. 71, 77–79. Zur Durchsetzung dieser Aufgaben dienten der Abwehrabteilung neben den Zentralpolizeistellen und den Militärpolizeistellen auch die Abwehrstellen im In- und Ausland. Letztere waren zur Abwehr von Spionage, Sabotage und Propaganda u. a. in Bern und Maastricht geschaffen worden. Nicolai, Geheime Mächte, S. 150. Während des Krieges übernahm Abt. III b auch geschichtspolitische Aufgaben, so wurde bei ihr eine Abteilung Kriegsgeschichte eingerichtet. S. Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik, S. 51–61. Felstead, German Spies, S. 69–83; Silber, Die anderen Waffen, S. 103–136; Millman, Managing, S. 39–40, 63. The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 37.
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mit 4 861 Mitarbeitern an und ihre Personalstärke betrug damit mehr als die doppelte Vorkriegsstärke des gesamten War Office.77 Nach Kriegsbeginn hatte das Home Office darauf bestanden, dass zivile Post unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien nur nach seiner Genehmigung zu öffnen war. Auch das Foreign Office zeigte sich besorgt, dass eine Überwachung der Post von Staatsbürgern neutraler Staaten zu diplomatischen Verstimmungen führen könnte.78 Aber zunehmend wurde nicht nur die aus und nach Großbritannien versendete Post geprüft, sondern auch die so genannte Transitpost, d. h. Postsendungen, die in Großbritannien umgeschlagen wurden. Vermutlich gab es außerhalb des Territoriums der Mittelmächte keinen internationalen Postverkehr, der nicht durch die Hände der britischen Postzensur ging.79 Die Überwachung des deutschen Handels mit neutralen Staaten wurde eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Wechsel im Wert von über 100 Millionen Pfund konnten einbehalten werden, so dass die Postzensur als die „Augen der Blockade“ bezeichnet wurden.80 So resultierten fast alle Urteile der Prisengerichte zugunsten der Krone aus Ermittlungen der Postzensur.81 Im Schnitt wurden täglich 375 000 Briefe geprüft; 1917 wurden 180 Millionen Pakete durchgesehen.82 Die Postzensur entwickelte sich zudem zum wichtigsten Instrument der Spionageabwehr, der Großteil der während des Krieges in Großbritannien aufgedeckten Spionagefälle war auf ihre Tätigkeit zurückzuführen.83 Ab 1917 wurde ihr Aufgabenbereich systematisch um die Überwachung dissidenter Bewegungen und Organisationen ausgeweitet.84 Am bekanntesten ist die Überwachung von E. D. Morel, des führenden Kopfes der Union of Democratic Control.85 Wie breit die Aufgabenfelder der Postzensur angelegt waren, illustriert eine 1919 in einem Erinnerungsband von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Postzensur erschienene Karikatur: Eine allegorische Darstellung der Zensur hält an Zügeln fest in der Hand: einen Wolf (Spionage), einen Ackergaul (Handelsspionage), einen Vollblüter (Bolschewismus), einen Esel (Indiskretion), ein Maultier (Pazifismus) und eine Schlange (deutsche Propaganda).86 Während bekannt ist,
77 78 79 80 81
82 83 84 85
86
Hiley, Counter-Espionage, S. 647. Andrew, Secret Service, S. 176–177. So zumindest Felstead, German Spies, S. 70–71. Zur Entwicklung der britischen Postzensur vor 1914 s. Thurlow, Secret State, S. 42–43; Porter, Origins, S. 176–177. Vgl. The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 48–51. Nach Felstead belief sich die Summe schließlich auf 40 Millionen Pfund. Felstead, German Spies, S. 77. Die Zahl wird bestätigt in: The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 50. Felstead, German Spies, S. 82. Andrew, Secret Service, S. 185. Millman, Managing, S. 40; CHS POST 56/58. Millman, Managing, S. 40, S. 63. Wahrscheinlich war bereits Ende 1915 mit der Überwachung des Briefverkehrs prominenter Kriegsgegner begonnen worden. Aufgrund der ablehnenden Haltung des Home Office konnten die Erkenntnisse bis 1916 bei Gerichtsverfahren nicht verwendet werden. London Censorship, 1914–1919. By Members of the Staff. London 1919, S. 31, IWM 92/721.
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Abb. 1: Die vielfältigen Aufgaben der Postzensur dargestellt in einem 1919 als Privatdruck erschienen Erinnerungsband von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der britischen Postzensur. The London Censorship. London 1919, S. 31
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dass die britische Feldpost einer Briefzensur unterlag, die auch die Stimmung der Armee prüfte, ist weitgehend unbekannt, dass auch die zivile Post von den Zensurbehörden auf die Stimmung der Bevölkerung überprüft wurde.87 Allerdings handelte es sich hierbei um eine Ausnahme. Allein im Frühjahr 1918 diente die Postzensur der allgemeinen ‚Meinungsforschung‘ an der Heimatfront.88 Anders als z. B. die Handhabung des Versammlungsrechtes erfolgte die tief in verfassungsmäßige Freiheitsrechte eingreifende Briefzensur im Deutschen Reich ohne gesetzliche Grundlage. Dies verhinderte jedoch nicht, dass sie durch militärische Stellen während des Krieges weiter zunahm und ein immer größeres Aufgabenfeld abdeckte.89 Waren zu Anfang des Krieges die Postüberwachungsstellen noch zivile Einrichtungen der Post, so fielen sie schon bald dem Aufgabenbereich der Militärbefehlshaber zu. Zur Koordination und Vereinheitlichung wurde am 11. September 1915 bei der StAbt. III b die Zentralstelle für Post- und Telegrammüberwachung eingerichtet, die aber nur beratende Funktion hatte und zu Weisungen nicht befugt war.90 In das Ausland ausgehende Post war „lückenlos“ und eingehende war durch „reichliche Stichproben“ zu prüfen. Alle eingehenden Sendungen waren grundsätzlich auf durch den gegnerischen Nachrichtendienst genutzte Deckadressen zu untersuchen.91 Die gesamte ausgehende Post sollte durch chemische Prüfung auf Geheimschriften überprüft werden. Zu diesem Zweck wurde bei StAbt. III b eine chemische Prüfungsstelle eingerichtet. Die monatliche Höchstzahl lag bei 9 Millionen geprüften Postsachen – hierbei wurden in 1 700 Fällen Geheimschriften festgestellt.92 Zum Vergleich: Allein die Feldpost bearbeitete zwischen 1914 und 1918 durchschnittlich 28,7 Millionen Sendungen täglich.93 Wie in Großbritannien zählte auch im Deutschen Reich die Briefzensur zu den „wichtigsten Organe[n] der Abwehr“, da sie zu einem effizienten Instrument der Aufdeckung des Briefverkehrs gegnerischer Spione geworden war.94 Die Zensur des nach Post- und Zensurorganisation voneinander getrennten Postverkehrs im Heimatgebiet und der Feldpost griffen ineinander. Nach Klagen über die ungleichmäßig gehandhabte und von den Mannschaften als entwürdigend empfundene Zensur durch die vorgesetzten Offiziere, hatte die OHL im April 1916 bei Armeeoberkommandos und Divisionen Postüberwachungsstellen
87 88 89
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The British Armies in France as gathered from Censorship (1917), PRO CAB 24/36 (GT 3044), fol. 150. S. Kap. VI.2.2. Schudnagies, Belagerungszustand, S. 167; Ulrich, Augenzeugen, S. 83; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 62. Huber rechtfertigt die Briefzensur mit der „unabweisbaren Notwendigkeit der Staatsnotwehr.“ Nicolai, Nachrichtendienst, S. 40; Ulrich, Augenzeugen, S. 86. Leitfaden für den Postüberwachungsdienst, S. 13, 21. Nicolai, Geheime Mächte, S. 143, 147. Ulrich, Augenzeugen, S. 40. Protokoll der Abwehrbesprechung (12. 4. 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 950.
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eingerichtet.95 Diese hatten einerseits durch die Zensur der Soldatenbriefe den Schutz des militärischen Geheimnisses zu überwachen und andererseits Berichte über die Stimmung der Truppe zu erstellen. Die Kontrolle der wechselseitigen Kommunikation zwischen Front und Heimat entwickelte sich zu einem Aufgabenfeld dieser Zensurstellen,96 denn Feldpostbriefe trugen nach Ansicht der Armee zu einer Verschlechterung der Stimmung in der Heimat entscheidend bei.97 Zwar sollte der „private Gedankenaustausch zwischen Feld und Heimat [...] möglichst nicht gestört“ und daher von einer zu strengen Zensur abgesehen werden. „Nachrichten, die erhebliche Missstimmung oder Beunruhigung im Inlande hervorrufen könnten“, waren aber „mit allen Mitteln“ zu verhindern.98 Weitaus stärker als in Großbritannien wurde auch im Deutschen Reich die Postzensur für die ‚Meinungsforschung‘ instrumentalisiert. In einigen Armeen wurde in Zusammenarbeit von Geheimer Feldpolizei, den Feldpostüberwachungsstellen und StGKs die Korrespondenz einzelner besonders verdächtiger Soldaten geheim überwacht. Vor allem wenn in der Heimat Streiks und Demonstrationen bevorstanden, waren Maßnahmen zu treffen, um das „Eindringen der Propaganda in das Heer“ zu verhindern.99 Einen Sonderfall stellt in diesem Zusammenhang der im März 1917 von dem Professor der Kunstwissenschaft Adolf Schinnerer in München geschaffene Briefabschriftdienst dar. Er wollte einerseits die Behörden besser über die Stimmung in der Bevölkerung informieren und andererseits der Nachwelt Material zu sozialpsychologischen und volkskundlichen Studien hinterlassen. Von seinen militärischen Vorgesetzten wurde Schinnerer schon bald dazu angehalten, vor allem politische Äußerungen zu erfassen. Nach dem Kriterium der Repräsentativität wurden von den im Bahnpostamt I in München durchlaufenden Sendungen täglich über 70 000 überprüft und exzerpiert. Auf diese Weise gelang es, „einen repräsentativen Querschnitt durch die Wahrnehmungsmuster zu gewinnen, die die BriefschreiberInnen im Krieg und vom Krieg entwickelten.“100 Allerdings konnte die Briefzensur den die Stimmung gefährdenden wechselseitigen Austausch zwischen Front und Heimat kaum eindämmen, da es Wege gab, unzensierte Briefe durch Urlauber zustellen zu lassen, z. T. wurden Briefe und Karten in der Hoffnung aus Urlauberzügen geworfen, dass die Finder für eine Weiterbeförderung sorgten. Vermehrt fanden Kontrollen von Urlauberzü95 96
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Über die Zensur der Feldpost britischer Soldaten durch ihre Offiziere s. Sheffield, Leadership, S. 136–137. Ulrich, Augenzeugen, S. 91–95. Angesichts von täglich 28,7 Millionen Sendungen zwischen Front und Heimat konnte eine Zensur der Feldpost nur stichprobenhaft erfolgen. Ebd., S. 40, S. 78. Befehl des Chefs des Generalstabes an die Armee-Oberkommandos betr. Aufklärung des Feldheeres über wirtschaftliche Fragen (18. 10. 1916), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 135, S. 326. Zit. n. Ulrich, Augenzeugen, S. 99. Ebd., S. 98–99. Ziemann, Front und Heimat, S. 28; Daniel, Informelle Kommunikation, S. 81–82.
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gen statt, um dieses verbotene Verfahren zu unterbinden.101 Auch die Zensur der Post im Heimatgebiet diente verstärkt nicht mehr nur dem Schutz des militärischen Geheimnisses, sondern zunehmend anderen Aufgaben: „Die Beanstandungen der ausgehenden Briefe durch die Postüberwachungsstellen hatten im abgelaufenen Berichtshalbjahr immer weniger die Preisgabe militärischer Geheimnisse und immer mehr übertriebene Mitteilungen über die wirtschaftliche Notlage und die Stimmung in der Heimat zum Gegenstand.“102 Zur Verhinderung unkontrollierter Kontakte zwischen Truppen und der eigenen Bevölkerung unterlag nicht nur der Briefverkehr, sondern auch der Personenverkehr einer strengen Überwachung. Die Militärbehörden strebten eine weitgehende Unterbindung aller nicht kontrollierbaren Kontakte an. So sollten Truppentransporte durch die Heimatorte der Soldaten auf keinen Fall dort Fahrtunterbrechungen einlegen.103 Für die allgemeine Überwachung der Eisenbahnreisen wurde mit den so genannten Eisenbahnüberwachungsreisen eine eigene, in der Regel den StGKs unterstehende Organisation aufgebaut.104 Zu ihren Aufgaben zählte auch, die „wünschenswerte Trennung der Militär- und Zivilpersonen nach Möglichkeit“ sicherzustellen.105 Je länger der Krieg andauerte, umso stärker versuchte das Militär, den Kontakt zwischen reisenden Soldaten und der Zivilbevölkerung zu unterbinden. Ende August 1918 forderte der Kriegsminister ein rücksichtsloses Einschreiten gegen beurlaubte oder verwundete Soldaten, die durch ihre Berichte von der Front den „Geist der Heimat“ zersetzten.106 Der ständige Strom von Urlaubern ermöglichte wie die Flut von Feldpostbriefen trotz aller Kontrolle und Verregelung einen permanenten Austausch zwischen Front und Heimat. Wirtshäuser wie Eisenbahnabteile waren Orte der Begegnung zwischen Fremden, in denen Soldaten über ihre Erfahrungen sprachen und neben ihren Erlebnissen auch Gerüchte weitererzählten. Die Themen dieser Gespräche entsprachen den unmittelbaren Erlebnissen der Soldaten: Schilderungen der unzureichenden Verpflegung, der Verluste und der Kluft zwischen Mannschaften und Offizieren bestimmten diese ebenso wie Berichte über den Wechsel zwischen Schlacht und unendlicher Langeweile.107 Nicht selten erzählten die Soldaten in übertriebener Form von ihrer Bereitschaft zu kollektiver Widersetzlichkeit. Diese Bereitschaft bestand vor allem in der Phantasie der Soldaten, und Gerüchte über Desertation ganzer Regimenter oder gar Divisionen entbehrten ebenso der Grundlage wie 101 102 103 104 105 106 107
Ulrich, Augenzeugen, S. 103–105. Vgl. Sheffield, Leadership, S. 137. Erfahrungsbericht der Abwehr-Abteilung des StGK XIII. AK (15. 10. 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 949, fol. 1. Protokoll der Abwehrbesprechung vom 4. 12. 1917, WüHStA M 77/1, Nr. 950, fol. 44. Neben den Eisenbahn-Überwachungsreisen wurde der Zugverkehr durch Zugpatrouillen der Linienkommandanturen überwacht. S. a. Kap. IV.3.1.; IV.5. Dienstanweisung der Eisenbahn-Überwachungsreisen im Reichsgebiet (12. 12. 1917), WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 256. Archivalische Forschungen 4/III, Nr. 660, S. 1513. Ziemann, Front und Heimat, S. 123–124.
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Berichte über die Erschießung missliebiger Offiziere. Diese Erzählungen waren Ausdruck von Hoffnungen, die sich nur in der Imagination erfüllten, dienten jedoch der Beruhigung bestehender Unzufriedenheiten.108 In der Heimat wurden die Schilderungen der Frontsoldaten „wie ein Evangelium hingenommen und geglaubt.“109 Bereits Ende 1915 wurden daher erste Klagen über den negativen Einfluss der Urlauber auf die Zivilbevölkerung laut.110 Anfang Februar 1916 schrieb das Bayerische Kriegsministerium an die höheren Kommandeure des bayerischen Kontingents, dass es über Beweise verfüge, dass „Berichte von Angehörigen des Feldheeres und Erzählungen von Urlaubern über wirkliche und vermeintliche Ungerechtigkeiten, Mißstände usw. die Stimmung ganzer Ortschaften vergifte.“111 Angesichts dieser Beschwerden weigerten sich die Kommandeure jedoch, den Realitätsgehalt der Erzählungen anzuerkennen und betonten, dass vielmehr die Heimat einen ungünstigen Einfluss auf die Soldaten ausübte.112 Vor ihrer Abreise wurden Heimaturlauber im Rahmen des Vaterländischen Unterrichts dazu angehalten, mit ihren Schilderungen zu einer Stärkung der Heimatstimmung beizutragen. Heimaturlaubern wurde ein Merkblatt in ihr Soldbuch geklebt, das diese vor Übertreibungen warnte und die schwierige Ernährungslage in der Heimat schilderte.113 Während für den Zweiten Weltkrieg eine vergleichende Studie über zu Schweigen aufrufende Propagandakampagnen vorliegt, fehlt eine solche für den Ersten Weltkrieg.114 Auch aufgrund der nur lückenhaften Quellenlage sind daher an dieser Stelle zunächst nur Annahmen über die unterschiedlichen Kontrollregime möglich. So ist über die Überwachung des Eisenbahnverkehrs in Großbritannien nur wenig bekannt. Als einziger Hinweis s. die folgenden Bemerkungen: „A further precaution against the leakage of military information as a result of innocent indiscretions is provided by the regulation for the control of civilian passenger traffic under which every effort is made to reduce travelling on private affairs to a minimum. But these regulations are aimed rather at the enemy’s effort to obtain information by means of spies and agents.“ Der private Reiseverkehr sollte so weit wie möglich eingeschränkt werden: „These regulations are designed to prevent suspect persons from travelling at all.“115 In öffentlicher und privater Kommunikation erkannten Nachrichtendienste und Polizeien eine potentielle Bedrohung der Kriegsanstrengungen. Ebenso wie die Pressezensur diente auch die Kontrolle nicht massenmedialer Kommunikation wie durch Briefe oder in Gesprächen einer vielfältigen Gefahrenabwehr. 108 109 110 111 112 113 114 115
Ebd., S. 201–202. Ebd., S. 123. Ziemann, Front und Heimat, S. 121. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 127, S. 300. Ziemann, Front und Heimat, S. 122. Ebd., S. 123. Fleischer, Feind hört mit. The Organisation of the Services of Military Secrecy, Security and Publicity (Oktober 1917), PRO INF 4/9, fol. 40 und fol. 42.
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Immer stärker gerieten einzelne Kommunikationshandlungen und nicht allein Massenmedien in das Visier staatlicher Überwachung. Die Anforderungen des Krieges erzwangen nach Ansicht militärischer und ziviler Behörden eine bis dahin beispiellose Überwachung der Bevölkerung. Als bedrohlich galten nun nicht mehr nur oppositionelle Parteien oder dissidente Organisationen. Das Beispiel der Postzensur verweist darauf, mit wie unterschiedlichen Aufgaben diese Überwachung verbunden war und wie sehr sich die nationalen Kontrollkulturen unterschieden.116 In der regelmäßigen Berichterstattung verschiedener Stellen manifestierten sich grundsätzliche Einschätzungen über die Zuverlässigkeit der eigenen Bevölkerung. Wie im Folgenden gezeigt wird, unterschieden sich diese Praktiken in beiden Staaten erheblich in ihrer Intensität und ihren Perspektiven auf die eigene Gesellschaft. Ein wesentlicher Unterschied zwischen deutscher und britischer ‚Meinungsforschung‘ war die Bedeutung, die auf deutscher Seite dem Aspekt Stimmung beigemessen wurde. Zwar ist Stimmung eine diffuse Kategorie und eine scharfe analytische Unterscheidung von Stimmung und Meinung nahezu unmöglich.117 Meyers Lexikon definierte 1909 Stimmung als „jenen relativ beharrlichen Zustand des Gemütes, in dem allen einzelnen Erlebnissen eine (von ihrer Beschaffenheit unabhängige) gleichmäßige Gefühlsregung sich mitteilt.“118 Wie in der Terminologie der Massenpsychologie erfolgte eine Übertragung individualpsychologischer Kategorien auf soziale Einheiten. So definiert auch Rudolf Stöber 1998 öffentliche Stimmungen als „temporäre[n] Gemütszustand eines Organismus.“119 Anhand des Begriffspaares Stimmung/Meinung werden im Folgenden wesentliche Unterschiede der gesellschaftlichen Beobachtung aufgezeigt. Mit der Kategorie Stimmung wird versucht, gesellschaftliche Verhältnisse jenseits einer ziel- und handlungsfähigen öffentlichen Meinung zu erfassen. Während in Großbritannien tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen und Risiken in das Visier des Staates gerieten, versuchte im Deutschen Reich der Staat einen weitaus allgemeineren Kontrollanspruch durchzusetzen. Aus der Überwachung der Bevölkerung entwickelte sich in beiden Staaten während des Krieges eine regelmäßige Berichterstattung über Stimmungen und Meinungen.120 Die zwischen 1914 und 1918 praktizierten Methoden der Über116
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Im Folgenden wird die Überwachung öffentlicher Meinungen und Stimmungen durch die oben genannten Agenturen der Überwachung und nicht durch die Propagandaorganisationen untersucht. Denn einerseits erfolgten Beurteilungen öffentlicher Kommunikation zunehmend in den Kategorien von Feindschaft und Bedrohung, und andererseits bestand ein enger institutioneller Zusammenhang zwischen staatlichen Propagandaorganisationen und den Agenturen der Überwachung. Die Berichte des Sicherheitsdienstes z. B. unterschieden zwischen Stimmung und Haltung. S. Boberach (Hrsg.), Meldungen. Meyer Lexikon, 19096, Bd. 19, S. 43–44. Stöber, Die erfolgverführte Nation, S. 28. Im hier untersuchten Kontext bedeutungslos sind die im frühen 19. Jahrhundert in Preußen entstandenen Zeitungsberichte, die mit kleineren Änderungen bis zum Ende des Kaiserreichs fortgeführt wurden. Ebd., S. 45.
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wachung waren jedoch weit entfernt von den empirisch und wissenschaftlich fundierten Methoden der in den 30er und 40er Jahren in den USA entstandenen Meinungsforschung. Zudem wären zuverlässige Resultate demoskopischer Erhebungen angesichts der während des Krieges herrschenden Atmosphäre der Überwachung und der ubiquitären nationalistischen Selbstverpflichtung nicht zu erwarten gewesen.121 Angesichts fehlender Parameter erfolgte mit ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ die Erfassung der Stimmung in einem binären Code, der immer in einem Funktionszusammenhang von Herrschaftssicherung und Mobilisierung für den Krieg stand. In der Regel lag aber die Bewertung der Beobachtungen allein beim Berichterstatter oder dem Auswerter und deren individuellen Eindrücken und jeweiligen Erwartungshaltungen. Rudolf Stöber unterscheidet zwischen drei Möglichkeiten der „MeinungsbildErmittlung“: indirekt, aktiv und passiv. Diese Unterscheidung lässt sich auf die Methoden gesellschaftlicher Überwachung zwischen 1914 und 1918 übertragen. Als indirekte Ermittlungen bezeichnet Stöber die Beobachtung von Verhaltensänderungen und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen. Quantifizierbare Angaben über Streiks, Lebensmittelpreise etc. ermöglichten handfeste Daten unter Ausschaltung des Unsicherheitsfaktors Zuträger. Unter aktiven Ermittlungen versteht Stöber den Einsatz von gesteuerten und entlohnten Spitzeln durch die Überwachungsorganisationen, aber auch durch Informanten und Vertrauensleute. Während regelmäßige Informanten oder Spitzel in einem festen Verhältnis zu den überwachenden Organisationen stehen und symbolische wie geldliche Belohnungen erhalten, kooperieren Vertrauensleute aus Überzeugung und werden, anders als Spitzel, von ihren Partnern als gleichrangig betrachtet. Unter passiv versteht Stöber das Warten auf freiwillig mitgeteilte Informationen aus der Bevölkerung, u. a. Denunziationen.122 Denunziationen über unabkömmliche und in der Etappe verwendete Juden waren 1916 für das Kriegsministerium Anlass, eine ‚Judenzählung‘ zu befehlen.123 Denunziatorische Praktiken erreichten in beiden Staaten bei Kriegsausbruch einen ersten Höhepunkt. Im Deutschen Reich fanden die Jagden auf tatsächliche wie vermeintliche Spione und Ausländer im August 1914 allein in Form von Beleidigungsprozessen Eingang in der Kriminalstatistik.124 Aufgrund der äußerst lückenhaften Quellenlage ist ein Vergleich denunziatorischer Praktiken nicht möglich. Allerdings weisen einzelne Quellen darauf hin, dass auch in Großbritannien die Angst vor Spionen über den August 1914 hinaus eine Vielzahl von Denunziationen verursachte.125 121 122 123 124
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In Deutschland begann die empirische Demoskopie erst mit den nach 1945 einsetzenden amerikanischen Surveys. Ebd., S. 73. Stöber, Die erfolgverführte Nation, S. 69. Stöber erarbeitet die Differenzierung anhand seiner Auswertung der 1944 eingestellten Berichte des Sicherheitsdienstes der SS. Berding, Moderner Antisemitismus, S. 168. Liepmann, Krieg und Kriminalität, S. 42. Ebenso Pickardt, Polizeipräsidium, S. 90. Unter Beleidigung sind im Wesentlichen drei Straftatbestände zusammengefasst: üble Nachrede (§ 186), Verleumdung (§ 187) und die einfache, formelle Beleidigung (§ 185). S. Kap. V.4.1. und VI.3.1.
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IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung IV.3.1. Beobachtung der Stimmung im Deutschen Reich Um „in stetiger Kleinarbeit die Hand an den Pulsschlag des Volkes legen zu können“, wurde in der zweiten Kriegshälfte das Deutsche Reich mit einem Netz von Beobachtungsstationen überzogen. Zivile und militärische Stellen hatten vom letzten Garnisonskommando bis zur kleinsten Gemeinde alle wichtigen Ereignisse und Entwicklungen zu berichten, die über die Volksstimmung Aufschluss geben konnten.126 Vor dem Hintergrund verstärkter Bemühungen um eine einheitliche Organisation der Inlandspropaganda sind in der Ausweitung dieses Berichtswesens einerseits Indikatoren für das zunehmende behördliche Misstrauen gegenüber der Bevölkerung zu sehen. Andererseits belegen sie den auf den Behörden lastenden Druck, auf diesem Feld Maßnahmen zu ergreifen. Zentrale Dokumente dieser ‚Meinungsforschung‘ waren die von den StGKs erstellten monatlichen Berichte. Seit November 1915 informierten sie den Kriegsminister über die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung und seit März 1916 auf dessen Ersuchen auch über die Stimmung der Zivilbevölkerung.127 Ab dem Frühjahr 1916 erstellte das Kriegsamt von diesen in standardisierter Form Zusammenstellungen und leitete diese an eine immer größere Zahl von Empfängern weiter.128 Die uneinheitliche Struktur der Militärbefehlshaber einerseits und andererseits die nur lückenhafte Quellenüberlieferung erlauben keine umfassende und abschließende Analyse dieser Einrichtung der ‚Meinungsforschung‘, da der Prozess ihrer Erarbeitung und ihre Quellen weitgehend unerforscht sind. Die Stimmungsberichte entstanden auf Grundlage einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen. Als eine Hauptquelle erwiesen sich die seit Frühling 1916 erfolgenden, u. a. auf der Arbeit der Preisprüfungsstellen aufbauenden, Berichte der Oberpräsidenten an die StGKs über die allgemeine Stimmung der Zivilbevölkerung und ihrer Versorgung mit Lebensmitteln. Neben Meldungen von Vertrauenspersonen wurden aber auch Berichte unterschiedlicher Institu126 127 128
So das KPA im Oktober 1917 an Leiter des Vaterländischen Unterrichts. Zit. n. Daniel, Informelle Kommunikation, S. 81. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 154, S. 378, Anm. 1. Während des Krieges nahm der Umfang dieser Zusammenstellungen immer weiter zu: von 27 Seiten im März 1916 auf 85 Seiten im Oktober 1917. Wurden im Berichtsmonat September 1916 84 Stück gedruckt, so waren es im März 1917 205 und im Juli 1917 244 Stück. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, S. 378, Anm. 1. Zunächst wurden die wichtigsten Ergebnisse der Berichte der einzelnen StGKs aneinandergereiht. Im Herbst 1916 wurde zu einer analytischeren Auswertung unter verschiedenen Rubriken übergegangen: I. Allgemeine Stimmung; II. Lebensmittelerzeugung; II.1. Landwirtschaft; II.2. Jagd und Fischerei; III. Verteilung der Lebensmittel; IV. Massenspeisungen; V. Weitere Wünsche und Anregungen. Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkommandos für März 1917, GStA Tit. 1059, Nr. 3, Bd. 1.
IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung
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tionen wie Linienkommandanturen und Kriegsamtstellen sowie Zeitungsartikel eingearbeitet. Zu den bekanntesten Berichten zählen die des Berliner Polizeipräsidenten an das OKM. Seit 1878 erstellte die politische Polizei regelmäßig „Übersichten über die allgemeine Lage der sozialdemokratischen und revolutionären Bewegung“ in Preußen, die den deutschen Bundesstaaten und ausländischen Regierungs- und Polizeidienststellen zur Verfügung gestellt wurden. Bis 1913 waren 34 dieser Übersichten erschienen.129 Durch Erlass des Innenministers vom 18. August 1914 wurde im Herbst 1914 auf den fälligen Bericht verzichtet.130 Während die nationale Berichterstattung wegfiel, intensivierte das Berliner Polizeipräsidium die lokale Überwachung. Als „Brennpunkt des politischen Lebens“ und als Sitz der Sozialdemokratie bestand nach Ansicht der Abteilung VII in Berlin die besondere Gefahr politischer Unruhen. Alle derartigen Versuche „im Keim zu ersticken“ war nur dadurch möglich, dass ihre Kommissariate „in dauernder Fühlung mit den in Betracht kommenden Volksschichten und politischen Kreisen blieb[en].“131 Zwischen August 1914 und Oktober 1918 verfasste der Berliner Polizeipräsident auf Aufforderung des OKM in regelmäßigen Abständen insgesamt 102 Berichte über Lage und Stimmung der Bevölkerung. Nachdem diese zunächst zweimal wöchentlich vorzulegen waren, wurden sie ab dem 15. September 1914 wöchentlich vorgelegt. Obwohl anfänglich allein für das OKM bestimmt, erhielten bereits Anfang September 1914 die Reichskanzlei und der Innenminister Abschriften.132 Die sechs Kommissariate der Exekutive bzw. des Außendienstes der Abt. VII lieferten Zuarbeiten, die auf eigenen Beobachtungen, Ermittlungen der Kriminalbeamten und der Arbeit von Polizeiagenten beruhten. Als Quellen dienten Flugblätter, Zeitungsartikel und andere Veröffentlichungen. Aus diesem Rohmaterial verfassten die sechs Kommissariate der Abt. VII Zuarbeiten, aus denen der Leiter der Exekutive, Polizeidirektor Dr. Henninger den Entwurf eines zusammenfassenden Stimmungsberichtes erarbeitete, der dem Polizeipräsidenten vorgelegt wurde. Dieser sah den Entwurf persönlich durch und korri129
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Ediert in: Fricke und Knaack, Übersichten. Bis zum Herbst 1894 erfolgte die Berichterstattung vierteljährlich, dann halbjährlich und ab dem 1. Oktober 1900 bis zum Ausbruch des Weltkrieges jährlich. Neben diesen Übersichten erstellte das Polizeipräsidium Quartalsberichte, die sich allein auf den Raum Berlin bezogen. Funk, Polizei, S. 259. BLHA Pr. Rep. 30 C 11361, fol. 355. Im Laufe des Krieges stieg die Zahl der Empfänger auf 15 an. Zu ihnen zählten u. a. das preußische Innenministerium, das Reichamt des Inneren, das Zivilkabinett, der Oberpräsident der Provinz Brandenburg. Materna und Schreckenbach, Berichte, S. XXV. Für das OKM waren die Berichte des Polizeipräsidenten Rohmaterial für eigene Berichte, die aber nur in seltenen Ausnahmen überliefert sind. Diese sind enthalten in den Monatsberichten des Kriegsministeriums. Z. B. GStA Rep. 77 Tit. 1059, Nr. 3, Bd. 2. (3. 9. 1918). Einer der wenigen vollständig überlieferten Berichte, ein Bericht des Oberkommandierenden in den Marken von Kessel an Wilhelm II, findet sich in Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 28.
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IV. Kommunikationskontrolle
gierte ihn stilistisch und inhaltlich. Nicht selten ergaben sich Diskrepanzen zwischen den Beurteilungen durch die Kommissariate und der Endfassung durch den Polizeipräsidenten. Dieser neigte nicht selten zu einem zu positiven Bild, und im Dezember 1914 warnte ein hochrangiger Beamter des Innenministeriums, dass der „grundsätzliche Optimismus in den Briefen des Herrn Polizeipräsidenten […] nicht unbedenklich“ sei, und betonte, dass sich aus der Presse „ein abweichendes Bild“ ergebe.133 Eine fortlaufende Unterrichtung der maßgeblichen militärischen und politischen Instanzen des Reiches und der Bundesstaaten über die Stimmung im sozialdemokratischen Lager erfolgte seit 1915 durch Stimmungsberichte des Büros für Sozialpolitik. In 112 Berichten erstellte es auf Anregung Deutelmosers, dem Francke „ein feines Verständnis für Arbeiterfragen“ zuerkannte, bis Dezember 1918 alle zehn Tage etwa zehnseitige Berichte. Diese informierten, immer differenzierter gegliedert, über Rubriken wie ‚Äußere Politik‘, ‚Innere Politik‘, ‚Gewerkschaftliches‘ und ‚Innerparteiliches‘. Zunehmend entwickelten sich die Berichte zu einem „hervorragenden Instrument sozialreformerischer Einflußgestaltung“, die von fast allen Empfängern als wertvoll erachtet wurden. Während das Kriegsministerium in der Beurteilung der Berichte zwischen „sympathischen Interesse und kühler Reserve“ schwankte, begegneten ihnen die StGKs mit „Mißtrauen, Kritik und deutlich artikuliertem Unmut.“ Mitarbeiter des Büros lasen täglich etwa 90 sozialdemokratische Zeitungen und hielten Kontakt zur freigewerkschaftlichen Führung. Nach Ratz vermochten die Mitarbeiter des BfS durch ihre Fähigkeit zu einfühlsamer Beobachtung, ihrer umfangreichen Kontakte und ihres hohen Kenntnisstandes ein genaues, „von taktischen Rücksichtsnahmen unbeeinträchtigtes Bild“ zu geben. Aber das Büro stieß allzu oft auf die Grenzen der Möglichkeiten seiner Einflussnahme und vermochte „keine grundlegende Kurskorrektur der amtlichen Politik“ zu erreichen.134 Im Unterschied zu den Berichten des Polizeipräsidenten der Vorkriegszeit nahmen in ihnen während des Krieges politische Vorgänge innerhalb der SPD immer weniger Raum ein. Zunehmend versuchten die Beamten die allgemeine Stimmung der Bevölkerung zu erfassen. Hierbei standen sie den materiellen Nöten der Arbeiterschaft durchaus verständnisvoll gegenüber.135 Zu den eher unbekannten Quellen militärischer ‚Meinungsforschung‘ zählen die Berichte der Eisenbahnüberwachungsreisen.136 An ihnen lässt sich im Folgenden beispielhaft die sich verändernde Aufgabenstellung der Überwachung der Bevölkerung während des Krieges zeigen. Ursprünglich zum Schutz des militärischen Geheimnisses eingerichtet, dienten sie zunehmend der Stimmungs-
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Ebd., S. XXVI. Ratz, Zwischen Arbeitsgemeinschaft und Koalition, S. 254, 258, 260, 263. Davis, Keep the Home Fires, S. 5, 83, 99–103. Bislang wurden die Eisenbahnüberwachungsreisen nur am Rande thematisiert: Nicolai, Nachrichtendienst, S. 41; Thimme, Weltkrieg ohne Waffen, S. 163; Ziemann, Fahnenflüchtige im deutschen Heer, S. 107–108; Jahr, Soldaten, S. 180.
IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung
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beobachtung und -kontrolle. Der Eisenbahnverkehr bedurfte nach Ansicht des Militärs einer besonderen Überwachung, um einerseits Spione und Deserteure zu fassen und andererseits den Schutz des militärischen Geheimnisses im Gespräch sicherzustellen. Im Juli 1915 wies das Kriegsministerium alle StGKs darauf hin, dass in der Eisenbahn regelmäßig Gespräche überwacht werden sollten, in denen Frauen versuchten „durch Redensarten aller Art den Soldaten Abscheu vor dem Krieg beizubringen. […] Wahrscheinlich sind diese Vertrauenspersonen von Agenten des feindlichen Auslandes oder von einer gewissen Gruppe des Heimatlandes zu dem erwähnten Zweck ausgesandt worden.“137 Entstanden waren die Eisenbahnüberwachungsreisen aus der Initiative einzelner StGKs, die bereits Ende 1914 dazu übergegangen waren, den Eisenbahnverkehr regelmäßig zu überwachen. Dem Kriegsminister erschien die Maßnahme, die dem Stellvertretenden Generalstab zufolge gute Ergebnisse erzielt hätte, zweckmäßig, und er schlug sie weiteren Militärbefehlshabern vor.138 Schon bald nach ihrer Einführung durch weitere StGKs stellte die StAbt. III b fest, dass der: Zweck der Überwachungsreisen weniger darin besteht, möglichst viele Spione zu fangen, als vielmehr darin, abschreckend zu wirken. Dies ist besonders hinsichtlich der reisenden Zivil- und Militärpersonen, die oft unglaublich fahrlässig und indiskret bei ihren Unterhaltungen sind, dringend geboten. Die hier gemachten Erfahrungen lassen erkennen, daß auf diesem Gebiet nur dann ein durchschlagender Erfolg zu erwarten ist, wenn unnachsichtlich gegen alle Personen eingeschritten wird, die hiergegen verstossen.139
Die Tätigkeit der Eisenbahnüberwachungsreisenden richtete sich einerseits gegen „fahrlässige und indiskrete Gespräche“ der Reisenden und andererseits gegen vermutete, Flüsterpropaganda betreibende, feindliche Agenten. Württembergischen Berichten angefügte Statistiken zeigen allerdings, dass der Gesamtzahl kontrollierter Personen und zurückgelegter Kilometer nur wenige Anzeigen und Festnahmen gegenüberstanden, und es nur vereinzelt gelungen war, auch nur Verdächtige zu ermitteln.140 So legten zwischen dem 15. Juni und 15. August 1917 die 8 Eisenbahnüberwachungsbeamten der Zentralpolizeistelle Württemberg 100 996 km zurück und kontrollierten 100 436 Deutsche und 2 007 Ausländer. Verhaftet wurden allerdings nur 17 Deutsche und 42 Ausländer; Anzeigen erfolgten gegen 12 Deutsche und 144 Ausländer.141 Anfang 1917 hatte die Zentralpolizeistelle Württemberg auf die Frage der StAbt. III b, ob von den Überwachungsreisenden Spionageverdächtige festgestellt worden seien, geantwortet, dass sich in allen Fällen der Verdacht als unbegründet herausgestellt habe,142 und im Oktober 1918 informierte die Abwehrabteilung des StGKs des 137 138 139 140 141 142
BayHStA MKr, Nr. 11484. Kriegsministerium an das StGK XIII. AK (16. 3. 1915), WüHStA M 1/4, Nr. 1624, fol. 11. WüHStA M 1/4, Nr. 1624, fol. 67. WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 106. Erfahrungsbericht der Zentralpolizeistelle Württemberg (2. 9. 1917), WüHStA M 71/1, Nr. 594, fol. 93. Weitere Statistiken dokumentieren ähnliche Ergebnisse. WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 56, 59.
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IV. Kommunikationskontrolle
XIII. AK, dass ein „eigentlicher Spionagefall“ durch Überwachungsreisende nicht festgestellt werden konnte.143 In der Regel mussten die Berichterstatter einräumen, dass „Agenten der feindlichen Propaganda zur Aufhetzung der Arbeiter zu Streiks und Unruhen“ nicht ermittelt werden konnten.144 Der anfängliche Auftrag der Überwachungsreisen bot somit kaum Anlass, die Überwachungsreisen fortzusetzen. Doch seit ihrer Einrichtung war es zu einer schleichenden Ausweitung ihres Auftrags gekommen, und zunehmend dienten sie der Observation der Bevölkerung. Die Dienstanweisung für EisenbahnÜberwachungsreisen legte im Dezember 1917 fest: § 2. Zweck der [Eisenbahn-Überwachungs] Reisen ist, den Gefahren entgegenzuwirken, die sich aus dem Eisenbahnverkehr für die Wahrung des militärischen Geheimnisses ergeben. Gespräche über geheime militärische Angelegenheiten hat der [Eisenbahn-Überwachungs] Reisende zu verhindern. [...] § 3. Zweck der [Eisenbahn-Überwachungs]-Reisen ist ferner, den Bestrebungen des Feindes, in der deutschen Bevölkerung Unruhe und Mißstimmung zu erregen, entgegenzuwirken. Gesprächen, welche diese Bestrebungen fördern, und Personen, die sich in dieser Richtung betätigen, hat der [Eisenbahn-Überwachungs] Reisende in geeigneter Weise entgegenzutreten.145
Einerseits hatten die Überwachungsreisenden die Gespräche der Reisenden zu überwachen und waren verpflichtet, bei als gefährlich erachteten Themen und Aussagen einzuschreiten. Die ihren Dienst in Zivilkleidung verrichtenden Überwachungsreisenden waren Soldaten mit den Befugnissen von Polizeibeamten und hatten die Reisenden „zunächst unauffällig zu beobachten und dann zur Feststellung ihrer Persönlichkeit zu schreiten.“146 Andererseits hatten die Überwachungsreisenden Berichte, über ihre Beobachtungen zu verfassen, die für die „Beurteilung der Stimmung der Zivilbevölkerung und der Militärpersonen“ wichtig waren.147 Aus den Zusammenfassungen ihrer vorgesetzten Dienststellen stellte die für Vereinheitlichung und Verwertung der Erfahrungen zuständige StAbt. III b reichsweite Übersichten zusammen. Umfangreichster Punkt der Berichterstattung der Eisenbahn-Überwachungsreisen war die Rubrik ‚Stimmung von Militär und Zivil‘.
IV.3.2. Fahndung nach Subversion in Großbritannien In den ersten zwei Jahren des Krieges hatten Berichte des Militärs Probleme mit der Arbeiterschaft nicht thematisiert. Dies geschah nicht, weil es an Auseinandersetzungen gefehlt hatte, sondern resultierte aus der bereits oben angeführten 143
144 145 146 147
WüHStA M 77/1, Nr. 949, fol. 17. Erfahrungsbericht der Abwehr-Abteilung des StGK (15. 10. 1918). Im Bereich des OKM wurden die Eisenbahnüberwachungsreisen von der Kommandantur Berlin durchgeführt. WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 161. WüHStA M 77/1, Nr. 594 fol. 241. WüHStA M 77/1, Bd. 594, fol. 256. WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 255. WüHStA M 77/1, Bd. 594, fol. 256.
IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung
117
Überzeugung, dass politische Überwachung allein die unappetitliche wie überflüssige Gewohnheit kontinentaler Polizisten war.148 Mit der Zunahme der Anzahl von Regierungsstellen, die in Großbritannien mit Arbeiterfragen befasst waren, ging eine Zunahme jener Organisationen einher, die über die Arbeiterschaft berichteten. Im Frühjahr 1917 beschloss das Kabinett eine Vereinheitlichung der Berichte und das Ministry of Labour wurde beauftragt, dem Kabinett wöchentlich über Streiks und eine allgemeine Einschätzung der Lage zu berichten.149 Alle mit ‚labour intelligence‘ befassten Behörden wurden angewiesen, ihre Erkenntnisse an das Ministry of Labour weiterzureichen. Verantwortlicher Bearbeiter war Sir David Shackleton, ehemaliges Labour MP und Präsident des Trade Union Congress, der 1916 der erste Permanent Undersecretary des Ministry of Labour geworden war.150 Als Shackletons erster Bericht im Mai 1917 mit dem Höhepunkt einer neuen Streikwelle zusammenfiel, warnte er davor, dass diese nicht nur der Munitionsversorgung erheblichen Schaden zufügte, sondern auch eine tiefe Unruhe eines Teiles der Bevölkerung hervorrief, die, wenn nicht beseitigt, die Führung des Krieges an sich in Frage stellen würde.151 Die russische Februarrevolution hatte in Regierungskreisen Befürchtungen vor einem gewaltsamen Umsturz auch in Großbritannien verstärkt, und in einer Besprechung am 5. April 1917 im Home Office hatte Thomson vor allem unter den anwesenden Generälen „a good deal of ignorant alarmism“ beobachtet.152 Thomson wurde angewiesen, Berichte über die Zunahme anarchistischer und sozialistischer Bewegungen und deren Einfluss auf die Streiks zu erstellen. Thomson wie Shackleton waren überzeugt, dass die Streikwelle weniger aus revolutionären Absichten als aus Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheiten der Arbeiterschaft resultierte – eine Annahme, die von den Berichten der Commission on Industrial Unrest bestätigt wurde. Diese war nach der Streikwelle im Frühjahr 1917 eingerichtet worden, um Arbeitskämpfe vor dem Ausbruch von Streiks zu schlichten. Durch regionale Kommissionen und die Vernetzung mit der Polizei entwickelte sich die Kommission zu einem weiteren Element des britischen Systems der Überwachung.153 Trotz dieser Ergebnisse hatte innerhalb der Regierung die Befürchtung einer deutschen Subversion der Arbeiterbewegung und des organisierten Pazifismus nicht abgenommen. Sir Edward Carson beklagte Anfang Oktober 1917 in einem Memorandum an das Kabinett, dass weder die Berichte des Ministry of Labour 148 149 150
151 152 153
Thurlow, Secret State, S. 67. PRO CAB 24/13 (GT 733). Andrew, Secret Service, S. 196. Die zwischen vier und zehn Seiten umfassenden Berichte befassten sich unter den vier Rubriken I. General Remarks, II. Press Remarks, III. District Reports, IV. Disputes vor allem mit Streiks und drohenden Arbeitskämpfen. Unter der Rubrik Allgemeines finden sich neben Aussagen zur Versorgung mit Lebensmitteln vereinzelte Bemerkungen über die Stimmung der Arbeiterschaft. PRO CAB 24/14 (GT 832) (24. 5. 1917). Thomson, Queer People, S. 273. Millman, Managing, S. 170.
118
IV. Kommunikationskontrolle
noch der Commissioners on Labour Unrest tief genug gingen und verwies auf die für ihn feststehende Tatsache, dass deutsches Geld in Russland, Frankreich, Italien, Spanien, den USA, Argentinien und Chile Arbeitskämpfe ausgelöst hatte. Das War Cabinet folgte Carsons Annahme und stellte am 4. Oktober 1917 fest, dass „the only really efficient system of propaganda at present existing in this country was that organised by the pacifists, who had large sums of money at their disposal and who were conducting their campaign with great vigour.“154 Am 19. Oktober diskutierte das Kabinett erneut die deutsche Finanzierung pazifistischer Propaganda, nachdem ein beruhigender Bericht Thomsons seine Wirkung auf den Home Secretary verfehlt hatte. Das Kabinett würdigte zwar die Berichterstattung des Ministry of Labour, stimmte aber in der Annahme überein, dass diese bei weitem nicht das volle Ausmaß pazifistischer Propaganda abdeckte und Ergebnisse des War Office und M.I.5 nicht ausreichend berücksichtigte. Daher wurde das Home Office beauftragt, Berichte der verschiedenen Nachrichtendienste auszuwerten, die beweisen sollten, dass der Feind pazifistische Propaganda direkt oder indirekt finanzierte.155 Ab November 1917 war die Special Branch dafür verantwortlich, das War Office über pazifistische und revolutionäre Organisationen zu informieren.156 Allerdings überschnitten sich die Aufgabenbereiche von Special Branch und M.I.5. Der einzige überlieferte monatliche Tätigkeitsbericht von M.I.5 zeigt, wie sehr die Tätigkeit der zentralen Organisation der Spionageabwehr auf andere Aufgaben ausgedehnt worden war. Neben Angelegenheiten der Spionageabwehr wurde über pazifistische Aktivitäten der Independent Labour Party, der Union of Democratic Control und der Frauenbewegung berichtet.157 Thomson informierte ab Herbst 1917 unter der Überschrift „Pacifism and revolutionary Organizations in the United Kingdom“ zweiwöchentlich das Home Office, das die Berichte an das War Cabinet weiterleitete. Die Berichte von wechselndem Umfang weisen keine feste Gliederung auf. Gegenstand waren in der Regel sozialistische und pazifistische Organisationen wie die Independent Labour Party, Sinn Fein oder die oppositionelle Presse wie der Herald. Aufbauend auf Meldungen anderer Polizeistellen, von Informanten und Vertrauenspersonen, dokumentieren sie einerseits die Vielzahl der Bedrohungen der Heimatfront, denen die Special Branch die britische Gesellschaft ausgesetzt sah. Andererseits dokumentieren sie, wie vereinzelt, geringfügig und ungefährlich diese Bedrohungen waren. Zunehmend wurde allerdings auch über Entwicklungen berichtet, die über Großbritannien hinausreichten. Warum aber die Stimmung der Bevölkerung und der Armee in Belgien, Italien und Frankreich Gegenstand der Berichterstattung durch die Special Branch wurde, erschließt sich ebenso wenig, wie Bemerkungen über Prügeleien zwischen portugiesischen und kanadischen 154 155 156 157
PRO CAB 23/4/253. PRO CAB 24/4 (GT 157). Hiley, Counter-Espionage, S. 657. PRO KV 2/51.
IV.3. Gesellschaftliche Überwachung und Berichterstattung
119
Soldaten an der Westfront. Auffälligerweise wurde explizit über die Stimmung der französischen, nicht aber der britischen Zivilbevölkerung informiert. Nach Kriegsende informierte Thomson zudem über die Entwicklung des Bolschewismus z. B. in Dänemark und der Schweiz.158 Die einzige regelmäßige, mit dem deutschen Vorgehen vergleichbare britische Berichtsform, die den Faktor Stimmung erfasste, waren die von den Competent Military Authorities angefertigten Weekly Intelligence Summaries.159 In der ersten Hälfte des Krieges hatten sie dem Oberkommando der in Großbritannien stationierten Truppen wöchentlich über feindliche Aktivitäten wie Sichtungen von U-Booten, Sabotageakte, Verstöße gegen den DORA und Allgemeines zu berichten.160 Im weiteren Verlauf des Krieges änderte sich ihre Gliederung, und innenpolitischen Aspekten kam mehr und mehr Bedeutung zu.161 Ihr Umfang und Inhalt schwankten, und nicht immer wurden alle Punkte abgehandelt. Neben der ausgewerteten Presse wurde auf eine Vielzahl unterschiedlichster Quellen zurückgegriffen. Ergebnisse der Postzensur, Flugblätter, Plakate, Pamphlete und auch Graffiti gingen in die Berichterstattung ein. Neben Spitzeln griffen die Competent Military Authorities auch auf vertrauenswürdige Informanten zurück, v. a. lokale Arbeitgeber und Kaufleute.162 Sie rekrutierten sich aus einem festen Stamm von Vertrauensleuten: ehemalige Offiziere, lokale Honoratioren, Geistliche, Arbeitgeber und vereinzelt auch Gewerkschafter teilten ihre Beobachtungen unregelmäßig mit. Während die einen reflektiert berichteten, reichten andere Hörensagen oder diffuse Ängste der Geschäftsleute weiter.163 Ein dem deutschen Berichtswesen vergleichbarer Parameter wie Stimmung wurde nicht gesondert erfasst. Unbekannt ist, welchen Stellen die Weekly Intelligence Summaries vorgelegt wurden und inwieweit diese die Entscheidungsfindung der politischen und militärischen Führung beeinflussten. Anders als die Berichte des Ministry of Labour und der Special Branch wurden sie nicht dem Kabinett unterbreitet und dienten vermutlich vor allem der Orientierung des Militärs.164 158 159 160
161 162 163 164
Pacifism and revolutionary Organisations in the United Kingdom (21. 10. 1918), PRO CAB 24/67 (GT 6079); das. (13. 11. 1918), PRO CAB 24/70 (GT 6321). Vgl. Englander, Military Intelligence. Während ein erster Teil der Weekly Intelligence Summaries Verstöße gegen DORA im Berichtsgebiet auflistete, war der zweite Teil nach folgenden Gesichtspunkten gegliedert: „I. General Public Opinion Concerning the War, II. Effect of Defence of the Realm Restrictions Order Including Suggestions for New Measures, III. Effect of Food Control, IV. Information concerning Pacifist Organisations, V. Industrial Conditions and Labour Organisations, Including Strikes and Lockouts, VI. Acts of Disloyality Other than Strikes, VII. General and Miscellaneous.“ Instructions on the Collection and Transmission of Intelligence in the United Kingdom (März 1916), PRO WO 158/984, S. 16 f, S. 19–20. Englander, Military Intelligence, S. 27. Ihre häufig als Anlage beigefügten Berichte von Informanten und Vertrauenspersonen machten den größten Teil des Umfanges der Weekly Intelligence Summaries aus. Englander, Military Intelligence, S. 29. Zumindest finden sie sich nicht in den Unterlagen des War Cabinet.
120
IV. Kommunikationskontrolle
Im Deutschen Reich wurde weitaus stärker als in Großbritannien die allgemeine gesellschaftliche Überwachung ausgedehnt. Neben der Abwehr von außen kommender Bedrohungen und der Beobachtung von Dissens wurde die Erfassung von Stimmung(en) anders als in Großbritannien ein drittes Raster der meisten deutschen Berichtsformen. Diese hatten Regierung, Militär, Polizei und Verwaltungen in Ermangelung zuverlässiger Presseberichte über die ‚wahren‘ im Volk verbreiteten Meinungen und Stimmungen zu informieren. Die intensive Überwachung der Bevölkerung war somit auch eine Folge der weitaus strengeren deutschen Zensur. Denn durch ausgedehnte Beobachtung von Meinung und Stimmung „den Pulsschlag des Volkes“ zu messen, machte nur dann Sinn, wenn die militärische und politische Führung diesen Kontakt bereits verloren hatte – in Ermangelung anderer Quellen aber darauf angewiesen war. Nach dem Krieg stellte Nicolai fest, dass aus der Presse allein ein „zuverlässiges Bild der Volksstimmung nicht gewonnen werden“ konnte.165 Politische Polizeien und Nachrichtendienst hatten im Deutschen Reich die Arbeit der Zeitungslesedienste zu ergänzen. Herrschaftsrelevantes Wissen über die Regierten war nun nicht mehr durch die Presse öffentlich zugängig, sondern musste erst durch eine Ausweitung der Aufgaben dieser Agenturen in öffentlichen und nicht-öffentlichen Räumen akkumuliert werden.
IV.4. Wahrnehmungen der Überwachung In beiden Staaten blieb die immer weiter zunehmende Überwachung der Bevölkerung nicht verborgen. Mit Hinweis auf die veränderte politische Situation wies der Vorwärts bereits am 1. August 1914 Parteimitglieder darauf hin, dass auch der „persönliche Verkehr“ eine „gewisse Vorsicht“ erforderlich machen würde, da bei Parteiversammlungen sich in den letzten Tagen „zahlreiche Spitzel bemerkbar gemacht“ hätten. Da zu erwarten sei, dass „in Zukunft noch mehr als bisher auf die Auslassungen unserer Freunde geachtet“ werden müsse, wurde empfohlen, dass die Genossen „in mündlichen Äußerungen die Vorsicht üben, die der Sachlage entspricht.“166 Im November 1915 warnte der Zentralvorstand der SPD, dass „alle Kreise voll von Spitzeln wimmeln, wodurch die internsten Sachen der Polizei zugetragen werden.“ Nach Meinung des Vorstandes triebe die „herrschende Not und die Teuerung die Frauen der Polizei in die Hände“, die dann an der Partei „Verrat üben.“ Daher ernannte der Vorstand eine Kommission, die „verdächtige Genossen, Genossinnen und auch Beamte der politischen Polizei zu beobachten“ habe. Keine Mittel sollten gescheut werden, um „dem Spitzelunwesen die Spitze zu brechen.“167 Der Kom165 166 167
Nicolai, Nachrichtendienst, S. 80. Vorwärts, 1. August 1914. Bericht des Kriminalschutzmannes Hartwig (19. 11. 1915), BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11361, fol. 166.
IV.4. Wahrnehmungen der Überwachung
121
mission, deren Mitglieder namentlich nicht bekannt werden sollten, stand der Vorsitzende der Groß-Berliner und der preußischen Landesorganisation Eugen Ernst vor. Bereits vor 1914 hatte die SPD Spitzel in den eigenen Reihen aufzuspüren versucht und die Ertappten bloßgestellt. Für Sozialdemokraten war die Auseinandersetzung mit staatlicher Überwachung nichts Neues. Im Kaiserreich war der Spitzel vor allem für Sozialdemokraten und die bürgerliche Linke nicht nur verachtetes Werkzeug der politischen Polizei, sondern auch Beleg demokratischer Defizite v. a. des preußischen Staates. Mit Auslaufen des Sozialistengesetzes hatte die Überwachung der Arbeiterschaft nicht geendet, sondern eine weitere Generation der SPD geprägt. 1913 bezeichnete Wilhelm Liebknecht im Abgeordnetenhaus Preußen als „Dorado“ der Spitzel.168 Allerdings verkannte die SPD die tatsächlichen Machtverhältnisse. So prangerte der Abgeordnete der USPD Arthur Stadthagen im Reichstag die Kontinuität des polizeilichen Spitzelsystems seit dem Sozialistengesetz an und verkannte die Machtstellung des OKM: Diese politische Abteilung [des Berliner Polizeipräsidiums] mag äußerlich, somit formell, als Organ des Oberbefehlshabers [in den Marken] sich gerieren; in Wahrheit steht es [...] so, daß diese politische Abteilung [...], der Kopf, das dirigierende Haupt für alle Vexationen schmählichster Art ist. [...] Der Oberbefehlshaber ist nur das Instrument, auf dem die politische Polizei die Saiten aufzieht und spielt, die ihr belieben. [...] Das Instrument gehorcht, ist stumm und taub und weiß wohl nicht, wozu es mißbraucht wird. [...] Die politische Polizei ist in Preußen und infolge des Belagerungszustandes in ganz Deutschland die Herrscherin zur Durchsetzung ihrer Politik. Das Polizeisystem herrscht in Deutschland.169
Nur selten wurde das Spitzelwesen öffentlich thematisiert. Eine Ausnahme bildete eine Anfang 1918 in Bayern aufgekommene Debatte in Presse und Parlament. Dort war die während des Krieges vollzogene Intensivierung der Überwachung der Volksstimmung nicht verborgen geblieben, und das Stillschweigen der Regierung über die getroffenen Maßnahmen hatte viel Raum für Vermutungen und Gerüchte gelassen.170 Angesichts der „Beunruhigung“ durch den im Raum stehenden Verdacht über das bestehende Spitzelwesen, die das öffentliche Leben zu vergiften drohten, forderte der sozialdemokratische Abgeordnete Eduard Schmid im März 1918 in der bayerischen Kammer der Abgeordneten Klarheit darüber, ob eine solche Überwachungsorganisation tatsächlich bestand.171 Seine Verdächtigungen konnte Schmid weniger durch Beweise als durch Vermutungen untermauern. Besonderes Misstrauen hatte nicht nur bei Schmid, sondern auch in der bayerischen Presse die Praxis erregt, dass Reisepässe durch eine nicht weiter genannte Berliner Behörde auszustellen waren. Dieses Verfahren wurde einerseits als Übergehen bayerischer Zuständigkeiten 168 169 170 171
HdA 169. Sitzung (18. 4. 1913), Sp. 14582. VdR 308 (31. 10. 1916), S. 1949. Albrecht, Landtag und Regierung, S. 310. VdKA 18 (22. 3. 1918), S. 615–640.
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IV. Kommunikationskontrolle
empfunden und andererseits als unzulässige Schnüffelei der unbeliebten Preußen wahrgenommen.172 Die Annahme, dass die Bespitzelungen auf preußische Initiative zurückgingen, spiegelte antipreußische Ressentiments wieder. Denn unter der bayerischen Bevölkerung hatte sich die Stimmung gegenüber Preußen immer weiter verschlechtert und ‚Berlin‘ wurde mehr und mehr zum Synonym für die Ursachen und Lasten des Krieges.173 Aus den Fragen Schmids spricht damit nicht zuletzt die Sorge vor einer fortschreitenden Zentralisierung des Reiches unter preußischer Führung und einem entsprechenden Bedeutungsverlust Bayerns: Wer steht hinter diesem systematischen Schnüffelsystem? Zivil- oder Militärbehörden, ist es die Polizeidirektion, sind die Kriegsberatungsstellen Filialen dieser hochfeinen Vaterlandspartei geworden? Was geschieht mit dem erschnüffelten Material, mit den gemeldeten erlauschten Gesprächen und den Namen der festgestellten Personen? Wird das Zeug hier angehäuft, geht es nach Berlin, damit vielleicht Bayerns Bevölkerung bei andern Gelegenheiten in der Paßfrage und sonstwie schikaniert werden kann wegen ‚besonderer Unzuverlässigkeit‘?174
Als Beleg für die Verbindung zwischen Vaterlandspartei und der unbekannten Spitzelorganisation führte Schmid einen in Berlin verteilten Aufruf an, den er der Vaterlandspartei zuschrieb. Ein Flugblatt hatte Frauen dazu aufgerufen, für das ‚Heimatheer deutscher Frauen‘ zu spitzeln und Schmid fragte, ob die Partei „im Schnüffeldienst der Polizei [stünde] oder hat sich diese glorreiche Gesellschaft eine eigene Spitzel- oder Denunziantengarde geschaffen?“175 Militärbehörden standen in Bayern, anders als in Preußen, der Partei ablehnend gegenüber. Die Gründung der Vaterlandspartei hatte auch in Bayern zu einer Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzung geführt, und der Januarstreik 1918 wurde nicht zuletzt auf deren Agitation zurückgeführt.176 Als „preußischer Import“ geltend, hatte die Vaterlandspartei in Bayern nach Gründung eines bayerischen Landesverbandes im Oktober 1917 nicht Fuß fassen können.177 Versicherungen des bayerischen Kriegsministers, dass es in Bayern keine geheimen Überwachungsorganisationen gab, entsprachen nicht ganz den Tatsachen. Bereits im November 1917 war das bayerische Kriegsministerium durch Zufall einer Agentin des KPA auf die Spur gekommen, die ohne Wissen baye172 173 174 175 176
177
Gemeint war die Paßzentralstelle der StAbt. III b. VdKA Bd. 18 (22. 3. 1918), S. 620. Vgl. Münchener Post 64, 16. März 1918. Zum so genannten ‚Preußenhaß‘ s. Ay, Entstehung, S. 134–148; Albrecht, Landtag und Regierung, S. 232–238; Ziemann, Front und Heimat, S. 207–231. VdKA Bd. 18 (22. 3. 1918), S. 622. VdKA Bd. 18 (22. 3. 1918), S. 621. Über das HHdF s. Kap. VI.3.2. und Anhang 1: Merkblatt Heimatheer deutscher Frauen. S. a. Altenhöner, Heimatheer deutscher Frauen. Weisung des bayerischen Kriegsministeriums an die StGKs betr. Einschränkung der Veranstaltungen der Vaterlandspartei (30. 1. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 431, S. 1145. Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, S. 229–244; Ziemann, Front und Heimat, S. 135 f, S. 212.
IV.4. Wahrnehmungen der Überwachung
123
rischer Behörden über die Stimmung der Bevölkerung nach Berlin berichtete. Nach scharfen Protesten der bayerischen Regierung verpflichtete sich das KPA, Überwachungsmaßnahmen hinter ihrem Rücken zu unterlassen. Im Februar 1918 lagen jedoch der bayerischen Regierung Hinweise auf die Einrichtung einer Überwachungsstelle durch die OHL vor178; und wie das bayerische Kriegsministerium im März 1918 feststellte, war eine „Unmenge bezahlter und unbezahlter Spitzel aller Gesellschaftskreise“ für die Abwehrabteilung des Stellvertretenden Generalstabes im Einsatz.179 Unmittelbar nach Kriegsende wurde diese Überwachungstätigkeit in eine Reihe mit weiteren Anschuldigungen gegen Preußen gestellt: „Die Art und Weise des Hamsterns und die empörende Art, mit der unzählige norddeutsche Kriegsgewinnler sich in Bayern benahmen, hat politisch geradezu verheerend gewirkt und reihte sich würdig den Wirkungen an, die das Agentenunwesen des Chefs der Abt. IIIb (Nicolai) in Bayern auslöste.“ Nicolai verwehrte sich nach Kriegsende dagegen, dass es in Bayern ein „Agentenunwesen“ des Generalstabes gegeben hätte, das „verheerende politische Wirkungen ausgelöst“ hätte.180 Im Pressebericht für den Monat April 1918 betont der Leiter des Pressereferates im Bayerischen Kriegsministerium, Alfons Falk von Sonnenburg, dass er nichts von der Existenz eines politischen Nachrichtendienstes in Bayern wisse. Von diesem hieß es, dass sich dessen Agenten mit Tagesspesen von 25 M „im Lande herumtreiben“, um „im Auftrage einer im Hintergrunde wirkenden Stelle“ die Volksstimmung zu beobachten und zu beeinflussen. Nach Erkenntnissen von Sonnenburgs mehrten sich die Hinweise, die die Vaterlandspartei mit diesen „geheimen Machenschaften in Verbindung bringen.“ Sonnenburg hielt diese Annahmen für berechtigt und vermutet, „daß zwischen diesen geheimen Treibereien und den wirtschaftlichen und politischen Zentralisationsbestrebungen (...) ein gewisser Zusammenhang besteht.“181 In der Debatte der bayerischen Kammer der Abgeordneten bemerkte ein liberaler Abgeordneter zuversichtlich, dass sich die „Papierkörbe unserer Ministerien“ mit „anonymen Denunziationen“ füllten, und nicht nur der Vorwärts begrüßte diese Absage an die verachtete Überwachungspraxis.182 Zwar landeten nicht alle anonymen Mitteilungen im Papierkorb, doch Bespitzelung und Denunziationen zeitigten nur begrenzte Erfolge. So hatte der preußische Innenminister im Herbst 1916 deutlich gemacht, dass die Untergrundarbeit der USPD damit nicht mehr zu kontrollieren war.183 Wie weit der Staat bei der Auslobung von Belohnungen zu gehen bereit war, zeigt die Höhe der ausgelobten Summe. 178 179 180 181 182 183
Albrecht, Landtag und Regierung, S. 310, Anm. 22. Zit. n. Daniel, Informelle Kommunikation, S. 81. E.B. „Bayern und die Reichsfrage“, in: Vossische Zeitung 606, 27. November 1918; Nicolai, Nachrichtendienst, S. 152. Zit. n. Ay, Entstehung, S. 182–183. VdKA Bd. 18 (22. 3. 1918), S. 626. Schreiben des preußischen Innenministers an den Reichskanzler (25. 9. 1916), BA R 1501/ 112271, fol. 84–85.
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IV. Kommunikationskontrolle
In Berlin hatte das OKM 3 000 M für Nachrichten über bevorstehende Streiks ausgesetzt, und 1918 wurde eine Summe von 5 000 M für jeden vorgeschlagen, „der zweckdienliche Nachrichten über das Arbeiten von fremdem Gelde bei den Streiks machen könne.“184 Die Höhe der vorgeschlagenen Summen deutet an, dass das Anzeigeverhalten nicht den behördlichen Erwartungen entsprach. Auch in Großbritannien veränderte sich das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft drastisch und auch dort war es immer mehr von wechselseitigem Misstrauen geprägt. Im ersten Satz seiner Geschichte Englands zwischen 1914 und 1945 betont der Historiker A. J. P. Taylor, dass vor dem August 1914 „a sensible, law-abiding Englishman could pass through life and hardly notice the existence of the state, beyond the Post Office and the policeman.“185 Im Verlauf des Krieges änderte sich dies drastisch. Zu den für viele Briten erfahrbaren Veränderungen zählte das Bewusstsein, Objekt weitreichender staatlicher Kontrolle zu sein. In den Weekly Intelligence Summaries finden sich viele Hinweise darauf, wie weit spätestens 1918 in der Bevölkerung ein Bewusstsein verbreitet war, dass der Staat insbesondere die Arbeiterschaft bespitzelte. 1917 hatte der Chef der Special Branch vor den unkontrollierbaren Folgen gewarnt, die ein Ausspionieren der Arbeiterschaft durch die Armee mit sich brachte. Ein solches Vorgehen würde den Eindruck einer Militärdiktatur erwecken und Streiks hervorrufen.186 Seine Annahme wurde durch die Berichterstattung bestätigt. Ein weiterer Vertrauensmann fasste für die Londoner Weekly Intelligence Summaries ein Gespräch mit einem Gewerkschaftsfunktionär in Sheffield zusammen und gab dessen Klagen wieder: They don’t trust us. They spy on us, but their damned spies learn nothing. We know all their spies, every mother’s son of them. What is more, we hold the whole gang in contempt because they send out spies on us. Why can’t we be trusted? [...] And can we trust them? We know all about the rotten lies they send out from the Press Bureau. We know all about them. And we know that we’re ready to drop, and we know that our pals and people are chucked away; and all our reward is a pack of dirty spies.187
1918 stellte ein Journalist einer Sammlung seiner Beiträge über die britische Heimatfront ein satirisches Gedicht voran. Adressiert an Dora, eine gestrenge, ältere Dame, die den Defence of the Realm Act verkörperte, zog er Bilanz der Ausnahmegesetzgebung: In humble acknowledgment of HER who orders our Meals, and restricts, regulates, and waters-down our Beverages; who draws our blinds at nightfall; who restricts our travels and recreations; who commandeers our clubs, restaurants, hotels, petrol, horses, asses, 184
185 186 187
Auf diesen Vorschlag wurde entgegnet, dies erfordere eine Summe von mindestens 30 000 M, die dem Anzeigenden ein „späteres unabhängiges Leben“ ermöglichen sollte. Besprechung im Kriegsministerium über die Ursachen der Streikbewegung (18. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 444, S. 1183. Taylor, English History, S. 25. Thomson, Scene Changes, S. 314. Pacifism and Labour Unrest, in: Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/560/82638.
IV.4. Wahrnehmungen der Überwachung
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and all that we own; who supplies us with our clothes and boots; who watches our larders and raids our cupboards; who opens our letters and eavesdrops our telephone calls; who listens to our talk in public places; who sends us to bed early and turns off our lights; who can enter upon us night or day; who ordains all our lives and of whom we live in everpresent apprehension.188
Nach Arthur Marwick wurde der DORA im allgemeinen Verständnis häufig mit einer unbarmherzigen, launischen, älteren Dame verglichen, die durch Fingerschnippen eine Zeitung schließen, ein Schiff beschlagnahmen oder das Heranpfeiffen von Taxis verbieten konnte.189 Ein Schriftsteller beobachtete, dass während des Krieges die offene Atmosphäre in den Arbeiterkneipen in Docklands verloren gegangen sei: But the free-and-easy atmosphere is gone. You enter any bar and are at once under a cloud. Suspicion has been bred in all these docks men by the cheap Press. The patriotic stevedores regard you as a disguised alien. The landlord wonders whether you are one of those blasted newspaper men or are from [Scotland] Yard.190
In den Berichten und dem überlieferten Schriftverkehr von Polizei und Militär finden sich kleinere Hinweise darauf, wie sehr die Berichterstattung und Bespitzelung den Behörden als unangenehm galt. So wurden die meisten der Berichte von Vertrauensleuten für die Weekly Intelligence Summaries anonymisiert. Ein Brief des Chief Constables in Nottingham an das Home Office im März 1918 zeigt, als wie ‚delikat‘ die Polizei ihre Berichterstattung an das Home Office einschätzte. Aus dem Brief geht hervor, dass diese Berichte dort in der Regel sofort vernichtet würden. Ausdrücklich warnte er davor, dass Militärbehörden nicht wie zivile Stellen in der Lage seien, die notwendige Vertraulichkeit zu bewahren. Als Ursache führte er die große Zahl Wehrpflichtiger an, die möglicherweise mit Arbeiterorganisationen in Verbindung standen. Somit bestünde die Gefahr, dass sensible Informationen in die falschen Hände gerieten und möglicherweise einen Skandal verursachen konnten.191 Im Parlament beklagte ein Abgeordneter die außerordentliche Entwicklung des Polizeisystems in Großbritannien und verwies neben der enormen Anzahl von Polizisten in Zivil vor allem auf die allseits bekannte Verwendung von ‚agents provocateurs‘.192 Ein anderer Abgeordneter beklagte, dass die Regierung die Unruhe in der Bevölkerung durch Agenten schüren würde.193 Als Minister of Munition bestätigte 188 189
190 191 192 193
Brex, Adventures, Vorwort. Marwick, Deluge, S. 76. In der Literatur findet sich mehrfach der Hinweis darauf, dass durch den DORA das Heranpfeifen von Taxis verboten wurde. Zwar wurde über eine solche Maßnahme nachgedacht, diese jedoch nicht umgesetzt. Hintergrund war die Sorge, durch das Pfeifen deutschen Luftschiffen die Orientierung zu erleichtern. Jones, War in the Air, Bd. 3, S. 183. Burke, Out and About, S. 30. PRO HO 144/1484/349684. HC 90 (7. 2. 1917), Sp. 55. HC 103 (18. 2. 1918), Sp. 536.
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IV. Kommunikationskontrolle
Churchill im Unterhaus die Existenz eines Nachrichtendienstes seines Ministeriums, betonte aber, dass dieser bereits vor Monaten aufgelöst worden sei und seine Aufgaben sowohl von der Polizei als auch von den Militärbehörden übernommen worden waren.194
IV.5. Maßnahmen gegen Gerüchte im Deutschen Reich 1914–1918 Nach dem britischen Historiker Clive Emsley wirkte in Großbritannien die Polizei jedem die Stimmung an der Heimatfront gefährdenden Gerücht rasch entgegen. Als Beispiel führt er aber lediglich eine Anweisung des Chief Constable von Hull an seine Beamten an, in Zivilkleidung gelegentlich in der Straßenbahn mitzufahren und sich in Gaststätten aufzuhalten, um entsprechende Verstöße gegen den DORA festzustellen.195 Aber anders als im Deutschen Reich war dieses Vorgehen vereinzelt und unsystematisch, Emsley führt keine weiteren Beispiele an. Dagegen nahmen im Deutschen Reich die Überwachung von zufälligen Gesprächen und die Bekämpfung von Gerüchten im Verlauf des Krieges immer weiter zu. Wie unterschiedlich sich in beiden Staaten gesellschaftliche Überwachung und die Praktiken der Kommunikationskontrolle entwickelten, zeigt der jeweilige Umgang mit Gerüchten, der vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kontrollkulturen zu verstehen ist. Diese manifestierten sich zum einen in der unterschiedlichen Bewertung des Faktors Stimmung in den beiden Staaten. Anders als in Großbritannien wurde im Deutschen Reich Stimmung zu einem der Raster gesellschaftlicher Überwachung. Zum anderen wurde diese weitaus stärker auf einfache Öffentlichkeiten und einzelne Kommunikationshandlungen ausgedehnt. So gerieten Alltagskommunikation und damit auch Gerüchte in das Visier des Staates. Wie weit dieser Kontrollanspruch auch gegenüber den unscheinbarsten Äußerungen reichte, zeigen die Anstrengungen, die Kommunikation von Gerüchten zu kontrollieren. Gerade in diesem Umgang mit Gerüchten spiegelt sich nicht nur das Verhältnis von Staat und öffentlicher Meinung wider, sondern auch das, was der Staat jeweils als relevante öffentliche Meinung ansah. Denn je krisenhafter die Institutionen der Überwachung die überwachten Gesellschaften einschätzten, umso stärker wurden einfache Öffentlichkeiten und damit auch Gerüchte Gegenstand ihrer Kontrolle. Anfangs wurde allein mit juristischen Mitteln versucht, die Kommunikation von Gerüchten einzudämmen. Angesichts einer Flut von Gerüchten wurde im August 1914 mehrfach in der Presse der Ruf laut, ihre Verbreiter zu bestrafen. In einem Schreiben an den Staatssekretär im Reichsamt des Inneren forderte z. B. der Dresdener Bürger-Verein am 8. August 1914 strenge Strafen, sogar die Todes194 195
Ebd., Sp. 563. Emsley, English Police, S. 129. Die Kontrolle von Gerüchten in Großbritannien wird in Kap. V.5., VI.3.1. und VI.3.3. diskutiert.
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strafe, gegen die „Erfinder, Drucker und Verbreiter“ von Gerüchten für den Fall, dass sich ihre Nachrichten als falsch herausstellten.196 Der Publizist Franz Graetzer konstatierte 1915: „Gegen Kriegsgerüchte gibt es nur ein Mittel: Kriegsgerichte“ und bemängelte, dass die Rechtsprechung bislang zu milde gewesen sei.197 Da aber bestehende Gesetze den Tatbestand nicht präzise genug fassen konnten, standen wirkungsvolle juristische Mittel nicht zur Verfügung, um gegen Verbreiter von Gerüchten vorzugehen. Auf die Frage, ob und auf welcher strafrechtlichen Grundlage die Verbreiter falscher Gerüchte zu bestrafen seien, verwies der Jurist Alfred Simon auf den Tatbestand des groben Unfugs (StGB, § 360, 11). Er schlug vor, die „Verbreiter und Ausstreuer wilder Nachrichten und Gerüchte“ auf dieser Grundlage zu 100 Mark für jeden Akt der Verbreitung und eine Haftstrafe für das Erfinden von Gerüchten zu verurteilen, um bei der Verbreitung zukünftiger „Tartarenachrichten“ mehr Vorsicht zu erzwingen.198 Als maßgeblich in der Rechtsprechung erwies sich aber zunächst das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851, das unter § 9 a das Verbreiten falscher Gerüchte unter Strafe stellte.199 In der juristischen Zeitschriftenliteratur finden sich Urteile verschiedener Gerichte, die die Verbreitung von Gerüchten betrafen. Aus der Rechtsprechung geht hervor, wie weit der Kontrollanspruch der Militärbefehlshaber reichte. So war nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes der Tatbestand der Verbreitung „beunruhigender unwahrer Gerüchte“ bereits dann erfüllt, wenn sie auf nicht zugestellten Postkarten und Briefen erfolgte, die nur von den Beamten der Postzensur gelesen wurden.200 Auch Fahrlässigkeit, hervorgerufen durch die „innere Aufregung solcher Personen, die ihre im Felde stehenden Angehörigen in Gefahr wähnen“, entschuldigte die Verbreitung von Gerüchten nicht.201 Die Strafbarkeit war unabhängig von der Zahl der Personen, an die ein Gerücht weiterverbreitet wurde, eine „Ansprache an eine Personenmehrheit“ wurde nicht als ein Tatbestandsmerkmal erachtet. Noch weiter ging ein anderes Urteil, das Strafbarkeit auch dann feststellte, „wenn der Täter das Gerücht
196 197 198
199 200
201
BA R 1501, Nr. 112266, fol. 79–80. Graetzer, Kriegsgerüchte, S. 212. Noch drastischer wurde in der Presse die körperliche Züchtigung der Verbreiter von Gerüchten gefordert. Simon, Strafbarkeit, S. 797. „Mit Geldstrafen bis zu einhundertfünfig Mark oder mit Haft wird bestraft: [...] wer ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder groben Unfug verübt.“ Frank (Hrsg.), Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, S. 457. Über den ‚groben Unfug‘ im Kontext der Pressegeschichte s. Requate, Journalismus, S. 244–264. Der Begriff ‚Tartarennachricht‘ geht auf den Krimkrieg zurück und bezeichnete eine nicht unwahr erscheinende, tatsächlich jedoch erfundene Nachricht. Angeblich soll während des Krimkrieges ein türkischer Tartar den Fall von Sebastopol ein Jahr zu früh gemeldet haben. Meyers Konversationslexikon, Bd. 19. Leipzig 19086, S. 339. S. Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten. Preussisches Verwaltungsblatt 37 (2. 10. 1915), S. 20; Das Recht 19 (10. 10. 1915), S. 517; Conrad, Gesetz über den Belagerungszustand, S. 79–80. Vgl. Berichte der Postüberwachungsstelle Stuttgart an StAbt. III b (April–Oktober 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 774, fol. 69–70. Preussisches Verwaltungsblatt 37 (2. 10. 1915), S. 20.
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nur im engsten, geschlossenen Kreis unter Bekannten“ erzählt hatte. Ausdrücklich wurde betont, dass der Tatbestand auch dann erfüllt war, wenn hierbei der Täter das Gerücht selbst als falsch bezeichnet hatte.202 Zunehmend wurde die so unter Strafe gestellte Beunruhigung der Bevölkerung auch auf das Abhalten „deutschfeindlicher Kundgebungen“ ausgedehnt. Daher liefen alle von „unpatriotischer Gesinnung“ zeugenden Äußerungen Gefahr, mit den Mitteln des § 9 b verfolgt zu werden.203 So stellte das Reichsgericht fest: „Militärische Verbote, die sich gegen die Verbreitung von Gerüchten wenden, bedrohen in dieser Fassung nicht etwa nur Mitteilungen über Kriegsereignisse, sondern überhaupt alle Angaben, die geeignet sind, die im Krieg bedrohte Sicherheit des Reiches zu gefährden.“ Auslöser waren Erzählungen deutscher Soldaten über die grausame und unmenschliche deutsche Kriegführung.204 Je länger der Krieg andauerte, umso ungenügender erwiesen sich die juristischen Mittel des Belagerungszustandes, die Kommunikation von Gerüchten einzudämmen. Spätestens seit 1916/17 bestand für Gerüchte „de facto eine Anzeigepflicht, wie sie sonst nur beim Auftreten ansteckender Krankheiten üblich war.“ Militärische und zivile Stellen begannen geradezu Buch über die in ihrem Beobachtungsgebiet auftauchenden Gerüchte zu führen.205 Als zunehmend problematisch hatte sich die Unterscheidung von wahren und falschen, wichtigen und unwichtigen Gerüchten erwiesen. In Bayern war sogar ohne Erfolg die Einrichtung einer offiziellen „Auskunftsstelle für Gerüchte“ angeregt worden: Nachdem er an einer Unterrichtstagung für Propagandaarbeit teilgenommen hatte, schickte ein Vertrauensmann eine Liste von Gerüchten an das bayerische Innenministerium. Angesichts seiner Unsicherheit, wie mit den ihm zu Ohren gekommenen Gerüchten zu verfahren sei, schlug er vor: „Wäre es nicht möglich, für die Vertrauensmänner, die absolut zuverlässig sind, eine offizielle Auskunftsstelle für Gerüchte zu schaffen.“206 Zwar wurde dieser Anregung nicht entsprochen, dennoch entstanden Stellen, zu deren Aufgaben die Auskunft über den Wahrheitsgehalt von Gerüchten und deren Bekämpfung zählte. Angeregt durch das KPA entstanden Berichtswege, die ein möglichst rasches Dementi der als bedrohlich erachteten Gerüchte ermöglichen sollten. Wenn sie die Verbreitung und Gefahr eines Gerüchtes nicht beurteilen konnten, waren Einrichtungen des vaterländischen Unterrichts in Heer und Heimat angeordnet, das KPA zu benachrichtigen. Dieses hatte dann Auskunft zu erteilen oder aber eine öffentliche Richtigstellung zu veranlassen. Ausdrücklich wurde davor gewarnt, dass eine solche Richtigstellung das Gerücht auch dort verbreiten würde, wo dies bis dahin noch nicht geschehen 202
203 204 205 206
Preussisches Verwaltungsblatt 38 (29. 1. 1916), S. 279; Juristische Wochenschrift (15. 10. 1915), S. 1211; Beiblatt zum Justizministerialblatt für das Königreich Bayern (1915), S. 159–161. Schudnagies, Belagerungszustand, S. 168. Zit. n. Das Recht 21 (10. 3. 1917), S. 116. Daniel, Informelle Kommunikation, S. 78. Zit. n. Ay, Entstehung, S. 181.
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war.207 Bereits 1916 hatte Major Nicolai als Chef der Abt. III b in einer Zensurbesprechung angewiesen, Gerüchte über die militärische Lage zur Weitergabe an die OHL der OZ mitzuteilen: „Wenn nötig, wird die Antwort allen StGK übermittelt werden.“208 Am 12. September 1918 wies der Stellvertretende Kommandierende General des StGK XVIII. AK (Frankfurt/Main) die Offiziere des Vaterländischen Unterrichts an, über die in der Truppe und der Bevölkerung umlaufenden Gerüchte in dringenden Fällen sofort und sonst zweimonatlich zu berichten: „Dabei ist in Stichworten über den Umfang, die Art der Verbreitung und die vermutliche Ausgangsstelle der Behauptung Mitteilung zu machen.“209 In Württemberg wurde auf Veranlassung des Württembergischen Kriegsministeriums unter Fühlungnahme mit dem Ministerium für Kirchen- und Schulwesen beim Württembergischen Innenministerium die ‚Mittelstelle für Volksaufklärung‘ ins Leben gerufen. Anstelle der überlasteten Oberämter sollte sie unter Ausnutzung der Strukturen der Schul- und Kirchenverwaltung Informationen über die Versorgungs- und Ernährungslage gewinnen und weitergeben.210 Zu ihren Aufgaben zählte auch die Beobachtung von Gerüchten. Angesichts zahlreicher Gerüchte wies am 8. Februar 1917 das Württembergische Ministerium des Kirchen- und Schulwesens alle ihm nachgeordneten Stellen an, über „alle Gerüchte, die ihnen bekannt werden, unverzüglich auf dem Dienstwege unter tunlichst genauer Angabe der einschlägigen Verhältnisse und Unterlagen“ Bericht zu erstatten, und forderte alle Mitarbeiter auf, „bei jeder sich bietenden Gelegenheit an der Bekämpfung solcher Gerüchte mitzuwirken.“211 Im Oktober 1917 schrieb ein Pfarrer aus Neckarems an das StGK XIII. AK, dass dort das „blödsinnige Gerede“ aus Stuttgart verbreitet sei, dass Luftangriffe auf Stuttgart von deutschen Flugzeugen ausgeführt würden, um für die „Kriegsanleihe Stimmung zu machen.“ In seinem Antwortschreiben wies das StGK darauf hin, dass das Gerücht sich nach dem ersten Luftangriff auf Stuttgart in Stuttgart verbreitet hatte. Schließlich empfahl der Offizier, dem ganzen nicht allzu viel Bedeutung zuzusprechen: „Am Gescheitesten ist [das Geschwätz] nach Möglichkeit ins Lächerliche zu ziehen.“212 Als problematisch erwies sich in Württemberg die Frage, ob die Vertrauensleute ihnen bekannt werdende Gerüchte nicht nur weitergeben, sondern auch die Verbreiter zur Anzeige bringen sollten. In einem Schreiben an das Kriegsministerium betonte das Ministerium für Kirchen- und Schulwesen, dass solche Mitteilungen über Gerüchte amtlichen Stellen nicht schaden dürften. Auch würde ein solches Vorgehen dazu führen, dass „Mitteilungen über Kriegsgerüchte überhaupt unterbleiben.“ Da207 208 209 210 211 212
Allgemeine Bestimmungen für den Vaterländischen Unterricht. Ergänzung der Leitsätze. Anlage zu MvU 28 (22. 8. 1918). Protokoll Zensurbesprechung (28. bis 29. 2. 1916), BA R 1501, Nr. 112269, fol. 69. Eingefügt in: Nachrichten der Aufklärungsstelle (StGK XVIII. AK) Nr. 12 (12. 9. 1918). Mai, Aufklärung, S. 207. WüHStA M 1/4, Nr. 1279, fol. 12. WüHStA M 77/1, Nr. 456.
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her kündigte das Ministerium an, den Erlass vom 8. Februar 1917 dahingehend zu ändern, militärischen Stellen „genaue tatsächliche Angaben nach Zeit, Ort und Namen der beteiligten Personen und Truppenteile“ zu machen, nicht aber den Namen des jeweiligen Berichterstatters.213 Die zunehmende Überwachung der Kommunikation von Gerüchten beschränkte sich nicht allein auf das Beobachten durch Vertrauensleute. Wie eine am 10. Februar 1917 ausgegebene Zensuranweisung der OZ zeigt, wurden auch die Zensurabteilungen der StGKs immer stärker in den Kampf gegen Gerüchte miteinbezogen: Immer wieder tauchen in allen Teilen des Reichs Gerüchte auf, die zum Teil schon den Stempel des Falschen an der Stirn tragen, trotzdem aber geeignet sind, die Bevölkerung in erheblichem Maße zu beunruhigen. Die Oberzensurstelle ist daher der Ansicht, dass es erforderlich ist, mit allen irgendwie zu Gebote stehenden Mitteln auf das schärfste gegen die Verbreiter dieser Gerüchte vorzugehen und in den Zeitungen immer wieder auf die Gefährdung vaterländischer Interessen, aber auch strenge Freiheitsstrafen hinzuweisen, die derjenige zu erwarten hat, der böswillig oder fahrlässig sich an der Verbreitung unwahrer Kriegsnachrichten beteiligt.214
Neben den Zensurabteilungen wurde auch die Verwaltung miteinbezogen. So wies das OKM das Polizeipräsidium Berlin und die Regierungspräsidien in Frankfurt/Oder und Potsdam an, über „Gerüchte umgehend hierher Meldung zu machen, um mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auf das schärfste gegen die Verbreiter derartiger Gerüchte vorgehen zu können.“215 In die Eindämmung der Kommunikation von Gerüchten wurde immer stärker auch die Presse eingebunden. Beschwerden von Journalisten ausgesetzt, Gerüchten entschiedener entgegenzutreten, stellte ein Vertreter des KPA in der Pressebesprechung fest: Ich gebe den Herren hier eine Widerlegung der Gerüchte, soweit dies zweckmäßig und notwendig ist. Aber dann die Gerüchte in der Presse noch zu widerlegen, würde ich für falsch halten; sehr viele Leser würden dann erst auf die Gerüchte aufmerksam und sich sagen, etwas wäre doch daran, sonst würde man sich nicht Mühe geben, sie zu widerlegen. Die ausländische Propaganda hat erst dann ihren Zweck erreicht, wenn die von ihr ausgestreuten Gerüchte in die deutsche Presse hineinkommen. Das muß vermieden werden.216
Alle Zensurstellen waren angewiesen, falsche Nachrichten der Tagespresse und falsche Gerüchte möglichst schnell zu dementieren.217 Als problematisch erwies 213 214
215
216 217
WüHStA M 1/4, Nr. 1729, fol. 10. BA R 1501/114414, fol. 140. Ähnliche Zensuranweisungen gab die OZ auch am 13. 7. 1917 und am 1. 8. 1917 aus. Nachschlagebuch für die Pressezensur (19173), S. 50; Fischer (Hrsg.), Pressekonzentration und Zensurpraxis, S. 224. BLHA Pr. Ber. Rep. 2 A I Pol, Nr. 1337, fol. 77. Am 24. 2. 1917 ersuchte der Potsdamer Regierungspräsident Landräte, Polizeipräsidenten und Polizeiverwaltungen „Anzeigen über das Auftreten derartiger Gerüchte“ an ihn weiterzuleiten. Ebd., fol. 76. Protokoll der Pressebesprechung (2. 7. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14026. Nachrichten der Aufklärungsstelle bei der Presseabteilung des StGK XVIII. Armeekorps 2 (26. 1. 1918), S. 1.
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sich nach Nicolai, dass man zwar bemüht sei, immer zuverlässige Auskünfte auf Fragen nach dem Wahrheitsgehalt von Gerüchten zu erteilen. Es hätte sich aber herausgestellt, dass die Erteilung von Auskünften nicht immer im militärischen Interesse war. Im Mai 1917 regte der Chef des KPA an, dass „eine amtliche Persönlichkeit sich im Reichstag äußern sollte, wenn dieselben Gerüchte gegen dieselbe Person immer wieder auftreten.“218 Wiederholt wurde in den Periodika des Vaterländischen Unterrichts auf aktuelle Gerüchte hingewiesen und Empfehlungen für Gegenmaßnahmen ausgesprochen. Als es im Sommer 1918 zu einem fast nicht mehr zu kontrollierendem Anschwellen der Kommunikation von Gerüchten kam, versuchte das KPA, diesen verstärkt öffentlich entgegenzutreten. Unter anderem empfahl es, Gerüchten mit „treffenden Schlagworten auf Schriftplakaten in auffälliger Form in den Zeitungen sowie in Kinos entgegenzuarbeiten.“ Eines der im September 1918 vorgeschlagenen Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten lautete z. B.: „Die unsinnigsten Gerüchten werden von feindlichen Agenten ausgesprengt und von gutgläubigen Toren weiterverbreitet. Meldet die Verbreiter von Gerüchten zur Bestrafung!“219 Im Mai 1917 hatte sich eine ganze Folge von Besprechungen an der Zensur beteiligter Stellen mit der zunehmenden gegen die Monarchie gerichteten Stimmung im Reich auseinander zu setzen. Ausgelöst wurde diese Aktivität durch dem Militärkabinett zugegangene, sich auf ausländische Zeitungen beziehende Briefe, in denen Wilhelm II. zum Thronverzicht aufgefordert wurde. Zur Rücksprache mit dem Kriegsminister über die Bekämpfung der antimonarchistischen Propaganda wurde Major Nicolai nach Berlin geschickt.220 Verkörperte Wilhelm II. im August 1914 die Einheit der Nation, wandelte sich seine Rolle von einer positiven zu einer negativen Integrationsfigur. Gerüchte spiegelten den Zerfall staatlicher Legitimität und das Schwinden monarchischer Loyalitäten wider und fanden im Kaiser eine Projektionsfläche für kollektive Phantasien. Am 25. Mai 1917 fand im Kriegsministerium eine Besprechung über „feindliche antimonarchistische Bestrebungen und Erörterungen über die zu ergreifenden Maßnahmen“ statt.221 Zu den Ergebnissen zählte, dass eine weitere „Sammel218 219
220
221
Behördenbesprechung über Aufklärungsrichtlinien (18. 5. 1917), BA R 1501/Nr. 112475, fol. 112. „Entwürfe für Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten“, in: MvU 30 (11. 9. 1918), S. 1; „Der Feind streut Gift durch falsche Gerüchte; daher hütet eure Zunge.“ MvU 31 (18. 9. 1918), S. 1. S. a. Anhang 2: Entwürfe für Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten. Telegramm des Legationssekretärs von Lersner an Staatssekretär Zimmermann (29. 4. 1917), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 322, S. 813. Aufgrund des Telegramms wies Deutelmoser die Zensur- und Postüberwachungsstellen des Auswärtigen Amtes an, derartige Pressestimmen grundsätzlich als „bedenklich“ zu bezeichnen und an die militärischen Zensurstellen weiterzuleiten, die solche Artikel zu unterdrücken hätten. Ebd. Anm. 8. Ergebnisprotokoll, GStA Rep. 90/2433, fol. 97–100; Mitschriften, Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 326 a, b.
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stelle“ neben der bei der Abt. III bestehenden Sektion IV für Artikel der ausländischen Presse, Flugblätter, Illustrationen und auch Gerüchte im Auswärtigen Amt eingerichtet wurde. Zu den Aufgaben der Sektion IV zählte zunächst die Herausgabe einer zweiwöchentlichen Übersicht ‚Feindliche antimonarchische Propaganda‘.222 Die Zentralstelle im Auswärtigen Amt sollte alle in Frage kommenden Stellen mit Material versorgen und „einen nach jeder Richtung erschöpfenden und wirkungsvollen Pressefeldzug führen.“223 Als weitere Maßnahme wurde „sofortige Unterdrückung von Gerüchten“ gefordert. Zu den weiteren empfohlenen Maßnahmen zählte auch: „d) Das Hofpersonal ist zu strenger Vermeidung jeden Klatsches und falscher Gerüchte anzuhalten e) Den Gerüchten über den Kronprinzen muß ein Ende gemacht werden.“ So machte im Januar 1917 der Chefredakteur der Leipziger Abendzeitung Bethmann-Hollweg auf Gerüchte über den Thronfolger aufmerksam. Diesem wurde nachgesagt, „eine Anzahl Rennpferde im Hauptquartier zu besitzen.“224 Verschiedene Quellen belegen eine allgemeine Verstimmung über die Monarchie und vor allem über den Thronfolger. Ein Bericht des Reichstagsabgeordneten Friedrich Naumann über die Stimmung in Süddeutschland an Deutelmoser gab einige Gerüchte wieder: Im Dezember 1916 soll der Kronprinz nur 10 km hinter der Front eine große Parade abgenommen haben. Nach deren Ende sollen etwa 12–14 000 Soldaten ohne einen einzigen Schuss von den Franzosen gefangen genommen worden sein, da ihnen vor der Parade die Munition abgenommen worden war. Einem weiteren Gerücht zufolge, hatte Hindenburg, empört über die Schlappe bei Verdun, den Kronprinzen zu sich ins Große Hauptquartier versetzt, um ihn besser überwachen zu können.225 Das Gerede über den Thronfolger ging so weit, dass Hindenburg im April 1917 an die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, Armeen und Armeeabteilungen appellieren musste. Er wandte sich gegen die „an vielen Stellen des Heeres“ verbreitete Auffassung, die Schlappe bei Verdun habe in der Verantwortung des Kronprinzen gelegen: „Es ist durchaus ungehörig, die Schuld an Fehlschlägen ohne jegliche Begründung leichtfertig dem zukünftigen Träger der Kaiserkrone zuzuschieben.“ Weiterhin wandte sich Hindenburg dagegen, dass in „manchen Kreisen des Offizierskorps und der Beamten törichte Gerüchte über das Privatleben [des Kronprinzen] im Umlauf sind. Die Verbreitung solcher völlig aus der Luft gegriffener Behauptungen ist in hohem Maße bedenklich und entspricht nicht den in der Armee 222
223
224 225
BA R 1501, Nr. 114438, fol. 1–3. Auszugsweise abgedruckt in Archivalische Forschungen, 4/II, Nr. 109, S. 524–530. Ab Oktober 1917 wurden die Zusammenstellung vom KPA erarbeitet. Unbekannt ist, ob damit die Militärischen Stelle des Auswärtigen Amtes gemeint war, deren Aufgabenbereich vor allem im Ausland lag, aber auch Inlandspropaganda betrieb. Es ließ sich ein Hinweis ermitteln, dass ihr auch die „Leitung des Gerüchtedienstes“ oblag. Cron, Organisation, S. 20–21. Was unter dieser Tätigkeit zu verstehen ist, geht aus den Angaben Crons nicht hervor. BA R 43/2398 j, fol. 19. Zur Antwort des Reichskanzlers s. ebd., fol. 25. BA R 43/2398 j, fol. 29–30.
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herrschenden Anschauungen von Ehre und Pflicht.“226 Ein auf den 1. Februar 1918 datierter anonymer Bericht eines Offiziers zeigt, wie sehr in der Armee die Stimmung gegen den Kronprinzen umgeschlagen war. Als bedenklich galten diesem vor allem seine „vielen Unvorsichtigkeiten“: „Seit Jahr und Tag laufen Gerüchte durch das Heer, wonach der Kronprinz sehr lebhaften Verkehr mit Französinnen unterhielte und dabei keine Rücksicht auf die Außenwelt nehme. Herren aus der Umgebung des Kronprinzen haben mir eingestanden, dass diese Gerüchte zwar übertrieben, aber nicht grundlos wären.“ Wie „Lauffeuer“ gingen Erzählungen über das Fehlverhalten des Kronprinzen „durch die Schützengräben und wirken dort keineswegs im staatstragenden Sinne.“227 Da die Eisenbahn als der „günstigste Nährboden für auftauchende Alarmnachrichten“228 galt, zählte zu den Aufgaben der Eisenbahn-Überwachungsreisen auch das Erfassen von Gerüchten: Die Eisenbahnüberwachungs-Reisenden machen vielfach wertvolle Beobachtungen über missstimmende Gerüchte hinsichtlich wirtschaftlicher oder militärischer Ereignisse und Massnahmen sowie über Aeusserungen von Unzufriedenheit mit den Zuständen in der Heimat. Für die Verwertung derartiger Meldungen von hier aus ist es meistens bei der zweimonatlichen Zusammenfassung der Meldungen zu spät. Es empfiehlt sich deshalb, derartige Tatsachen zunächst unverzüglich dem Militärbefehlshaber weiterzumelden, damit dieser sogleich für entsprechende Aufklärung durch seine Presseabteilung oder für Abstellung von Mißständen sorgen kann.229
Die Tätigkeit der Überwachungsreisen beschränkte sich nicht allein auf das Beobachten. Als z. B. ein Soldat im Gespräch als Grund für seine Verlegung von der Westfront nach Italien angab, dass an der Isonzofront 35 von den Italienern eingeschlossene österreichische Divisionen befreit werden sollten, griff ein Überwachungsreisender ein. Er hielt dem Soldaten zunächst entgegen, dass diese Aussage Unsinn sei und warnte, dass er sich mit der „Verbreitung derartiger Unwahrheiten strafbar mache.“ Der Soldat erwiderte, dass er die Information von einem Offizier des Generalkommandos habe. Der Überwachungsreisende gab sich daraufhin als solcher zu erkennen und verwarnte den Soldaten, solche beunruhigende und unsinnige Gerüchte weiterzuverbreiten, sah aber von einer Festnahme ab.230 Das zuständige StGK wies daher im Weiteren die Eisenbahnüberwachungsreisenden an, „künftig in derartigen Fällen unnachsichtlich zur Festnahme zu schreiten.“231 Als Ursache der Zunahme der Kommunikation 226 227 228
229 230 231
GStA Rep. 90/2433, fol. 117. Zit. n. Jonas, Kronprinz, S. 156. Bericht der Zentralpolizeistelle Württemberg über Eisenbahnüberwachungsreisen im März 1917 (20. 4. 1917), WüHStA M 77/1, Nr. 593, fol. 22. Zu den Eisenbahnüberwachungsreisen s. Kap. IV.3.1. Erfahrungsbericht StAbt. III b (5. 11. 1917), WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 106. Bericht des Überwachungsreisenden Vizefeldwebel Wagner (5. 10. 1917), WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 125. Schreiben StGK XIII. AK an Zentralpolizeistellen Württemberg (4. 2. 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 594, fol. 132.
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von Gerüchten im Spätsommer 1918 wurden die deutschen Misserfolge an der Westfront erkannt. Mit einem auch in der Presse verbreiteten Erlass erneuerte das Stuttgarter StGK am 13. September 1918 das bereits bestehende Verbot, Gerüchte zu verbreiten.232 Die Eisenbahnüberwachungsreisenden wurden angewiesen, „gegen alle Verfehlungen dieser Art energisch einzuschreiten.“ Allerdings konnten nicht mehr als 13 Fälle zur Strafverfolgung gebracht werden. In einem Fall wurde aufgrund einer deutschfeindlicher Äußerung eine Gefängnisstrafe von 2 Monaten ausgesprochen. Als wichtigstes Resultat der EisenbahnÜberwachungsreisen wurde festgehalten: „Das Publikum ist seit mehreren Wochen vorsichtiger in seinen Gesprächen worden.“233 Zur Bekämpfung der „maßlosen Schimpfereien“ wurde im August 1918 in Stuttgart die Überwachung der Eisenbahnen sogar auf die Straßenbahn ausgedehnt. Diese Maßnahme zielte „ganz überwiegend“ gegen Gerüchte „über unsere militärische und wirtschaftliche Lage.“ Demgegenüber trat der „vorsätzliche wie fahrlässige Verrat militärischer Geheimnisse“ immer weiter zurück.234 Wie ein Bericht der Zentralpolizeistelle Württemberg festhielt, wurde die Abnahme der „Schimpfereien“ auf diese Tätigkeit der Überwachungsreisenden zurückgeführt. Bis Ende September 1918 wurden 24 Personen verhaftet. Von diesen waren 19 Militärangehörige, zwei Angestellte der Straßenbahn und drei Zivilisten. Eingeschritten wurde in vierzehn Fällen wegen deutschfeindlicher Äußerungen, in acht Fällen wegen der Beleidigung von Vorgesetzten und wegen der Verbreitung beunruhigender Gerüchte in zwei Fällen. Ausdrücklich betonte die Zentralpolizeistelle, dass in keinem Fall die Tätigkeit feindlicher Agenten nachzuweisen war.235 Je wichtiger die Beeinflussung der Bevölkerung durch eine immer intensivere Propaganda mit anderen Mitteln als der Presse geworden war, umso wichtiger wurde das gesprochene Wort für Erfolg oder Misserfolg der Propaganda. Immer mehr galten Gerüchte als eine Bedrohung aller Propagandamaßnahmen. Im September 1918 stellte ein Unterrichtsoffizier fest, dass es das Urlaubergeschwätz schwer mache, „die Front der Gebildeten und Führer des Volkes, auf die bei der Stimmungsbildung alles ankommt und die allenthalben ins Weichen gekommen ist, zu neuer Standhaftigkeit zu bringen.“236 Die gezielte Bekämpfung von Gerüchten wurde daher Teil der Propagandamaßnahmen, und u. a. wurde den im Rahmen des Vaterländischen Unterrichts durch das Land reisenden Rednern empfohlen, sich vor ihrem Vortrag zu informieren, welche Ge232 233 234 235
236
Heimatdienst in Württemberg 26 (5. 10. 1918), S. 1. Erfahrungsbericht der Abwehr-Abteilung des StGK XIII. AK (15. 10. 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 949, fol. 16. Erfahrungsbericht der Abwehr-Abteilung des StGK XIII. AK (15. 10. 1918), WüHStA M 77/1, Nr. 949, Bl 1. Bericht der Zentralpolizeistelle Württemberg über die Tätigkeit der Eisenbahnüberwachungsreisen für die Zeit vom 1. 7. bis 30. 9. 1918 (6. 10. 1918), WüHStA M 1/4, Nr 1624, fol. 145. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 365, S. 963.
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rüchte an dem jeweiligen Ort verbreitet waren, um darauf angemessen eingehen zu können.237 Im gleichen Sinne wurde Vortragsrednern vorgeschlagen, dass jeder der einen „Volksvortrag“ halten solle, „eine Stunde lang 3. oder 4. Klasse“ fahren sollte, „dann [habe] man den Stoff für seine Rede in Hülle und Fülle und kann wirksam herausfühlen, wo die Menschen heute empfindlich geworden sind.“238 Seit 1914 waren die jährlich zweimal stattfindenden Kriegsanleihen das wichtigste Mittel zur Sicherung der Kriegsfinanzierung, und ihr Erfolg wurde „zu einem Symbol für die Bereitschaft breiter Bevölkerungskreise zum Durchhalten und zur Identifikation mit der nationalen Kriegsanstrengung.“239 Mit Propagandakampagnen in Presse, Plakaten, Filmen und Vorträgen wurde Werbung für Kriegsanleihen gemacht. Zunehmend wurden die Kampagnen von unerwünschten Äußerungen vor allem von Frontsoldaten begleitet, die ihre Angehörigen in Feldpostbriefen und bei Heimaturlauben warnten, keine Anleihen mehr zu zeichnen. Aber auch in der Bevölkerung sank das Vertrauen in Bonität und Sicherheit der Anleihen beständig. Dazu hatten Gerüchte erheblich beigetragen und behördliche Gegenmaßnahmen erforderlich gemacht. Da bei vorangegangenen Kriegsanleihen die Werbung durch „wie ein Lauffeuer“ um sich greifende Gerüchte „gelegentlich erschwert und gestört“ worden war, sprach 1917 ein Leitfaden für die Werbearbeit Empfehlungen aus: „Man hat dann als Werber das Gefühl, dass man mit einem Donnerschlag sollte dreinfahren können. Aber im Allgemeinen sind Ruhe und Besonnenheit besser als ein Donnerschlag.“ Zunächst sei vor einer Inanspruchnahme der Presse zu prüfen, ob man es bei Fragen und Bemerkungen mit „sinnlosen Einwänden persönlicher Art oder mit tatsächlich verbreiteten Gerüchten zu tun hat“, da man sonst Gefahr laufe, bislang unbekanntes Gerede zu verbreiten. Bei wiederholtem Aufkommen von Gerüchten gab der Leitfaden das Muster einer kurzen Pressenotiz zur Hand: „Der Ausschuß für Kriegsanleihe schreibt uns, dass wieder ein unbedachtes oder mißverstandenes Wort, von einem einzelnen hingeworfen, die Runde macht und vielleicht unter den weniger Sachkundigen Unklarheit und Unsicherheit erzeugt.“ Sollten Gerüchte weitere Verbreitung gefunden haben, so war das Nachrichtenbüro der Reichsbank telefonisch oder brieflich zu benachrichtigen.240 Auch die vom Nachrichtenbüro der Reichsbank herausgegebenen Kriegswirtschaftlichen Blätter warnten wiederholt vor Gerüchten und versicherten, dass „alle Redereien über eine Beschlagnahme des Vermögens oder der Bankguthaben und über eine Schädigung der Kriegsanleihebesitzer durch eine Vermögensabgabe in das Reich der Fabel gehören.“241 Im Februar 1918
237 238 239 240 241
Nachrichten der Aufklärungsstelle (StGK XVIII. AK) Nr. 9 (28. 2. 1918), S. 1. Traub, Technik des Redens, S. 17, 19. Ziemann, Front und Heimat, S. 125. Zur VI. Kriegsanleihe. Leitfaden und Nachschlageblätter zur Werbearbeit. Von einem Vertrauensmann. Berlin 1917, S. 41–42. Kriegswirtschaftliche Blätter 3 (1918), S. 1.
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wandte sich der Berliner Magistrat in einem Rundschreiben an die Verwaltungsmitarbeiter. Um der achten Kriegsanleihe zu einem „durchschlagendem Erfolg“ zu verhelfen, hatte die Versammlung der Vorsitzenden der Berliner Vertrauensmännerausschüsse festgestellt, dass eine „Werbearbeit von Mund zu Mund“ den besten Erfolg verspräche. Diese „sei Pflicht eines jeden Deutschen, insbesondere aller Beamten.“ Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Beamten zum einen im Publikumsverkehr die „Stimmung der Bürgerschaft“ beeinflussen, „namentlich unwahren und törichten Gerüchten entgegenzutreten, welche die Güte und die Sicherheit unserer Kriegsanleihe betreffen und vielleicht von feindlicher Seite in Umlauf gesetzt werden, um den Erfolg unserer Anleihe zu schädigen.“ Zum anderen sollten sie „in den Vereinen und am Stammtische“ tätig werden. Zunächst sollte durch Umfragen ermittelt werden, welchen Vereinen usw. die Beamten angehörten: „Turner, Segler, Kegler, Sänger usw.“ Im Anschluss daran sollten für die Kriegsanleihe werbende Vortragsabende organisiert werden.242 Um zu erklären, warum Zivil- und Militärbehörden im Deutschen Reich mit der geschilderten Schärfe gegen Gerüchte vorgingen, ist es notwendig, deren zeitgenössischen Deutungsmuster zu erläutern. Ein Element war die weit verbreitete Überzeugung, dass von diesen eine unmittelbare Bedrohung für die innere Sicherheit des Reiches ausging. Dahinter stand die Annahme, dass Gerüchte vor allem auf feindliche Spione und Agenten der feindlichen Propagandaorganisationen zurückgingen. Hauptmann Kaufmann, Chef der Aufklärungsabteilung des OKM, sah in Berlin einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Tätigkeit feindlicher Agenten, Gerüchten und deren Folgen für die Stimmung in der Heimat. Ihm zufolge hatten die Alliierten ein „Heer von Agenten losgelassen“, die im Deutschen Reich die „Stimmung zielbewußt verderben sollen“ und zu diesem Zwecke den „weibliche[n] Abschaum der feindlichen Großstädte“ nach Deutschland geschickt.243 Die Ausführungen Hauptmann Kaufmanns waren keine nach außen gerichteten Propagandabehauptungen, sondern spiegelten weit verbreitete Auffassungen über das Entstehen und die Verbreitung von Gerüchten wieder. Als das OKM Anfang September 1918 die Verbreitung unwahrer Gerüchte durch eine Verordnung unter Strafe stellte, stellte es in einem Aufruf an die Bevölkerung fest: „Törichtes Geschwätz, leichtfertiges Gerede, in vereinzelten Fällen wohl auch landesverräterische Böswilligkeit, verbreiten jeder tatsächlichen Unterlage entbehrende Gerüchte.“244 Es ist bezeichnend, dass die Verordnung nicht von der Aufklärungs- oder Presse-, sondern von der Abwehrabteilung des OKM entworfen worden war.245 Gegenüber Journalisten führte der Vertreter des OKM am 3. September 1918 in der Pressekonferenz die Gerüchte darauf zurück, dass „zweifellos eine große 242 243 244 245
LAB A Rep. 001-04, Nr. 9110, Bd. 5, fol. 132. Kaufmann, Heimatheer deutscher Frauen, S. 4–5. Protokoll der Pressekonferenz (3. 9. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1259. Ebd., S. 1268. S. a. Kap. VI.3.2.
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Zahl feindlicher Agenten [damit beauftragt seien, in Deutschland] die Gerüchte systematisch weiter zu tragen.“246 Diese Annahme, Gerüchte auf konkrete Verursacher zurückzuführen, erwies sich als eine der am weitesten verbreiteten Erklärungen ziviler und militärischer Behörden für die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten. Aus verschiedenen Äußerungen geht hervor, dass diese in Gerüchten vor allem Manipulationen durch feindliche Agenten oder Verräter sahen. Während einer Abwehrbesprechung betonte der Leiter der Abwehrabteilung der StAbt. III b, dass der gegnerische Nachrichtendienst nicht nur mit Flugblättern und Briefen revolutionäre Propaganda betriebe: „Ferner ist festgestellt, daß Agenten in Deutschland herumreisen und die Bevölkerung aufhetzen.“247 In den Leitsätzen für den ‚Vaterländischen Unterricht‘ wurde Ende August 1918 aus dem Umstand, dass gleich lautende Gerüchte „von mehreren räumlich weit getrennten Stellen gleichzeitig gemeldet wurden“ geschlossen, dass „hinter dem Entstehen dieser Gerüchte eine auf die Schwächung unserer Kampfkraft abzielende Organisation steckt.“248 Aus dem militärischen Schriftverkehr geht aber hervor, dass von reisenden Gerüchteverbreitern keine Rede sein kann. So finden sich weder Hinweise darauf, dass Gerüchte tatsächlich auf gezieltes feindliches Einwirken zurückzuführen waren, noch darauf, dass den Behörden dieser Sachverhalt nicht bekannt war. Aus den vorliegenden Unterlagen geht z. B. hervor, dass die Eisenbahn-Überwachungsreisenden keinen einzigen dieser angeblichen Agenten verhaften konnten. Angesichts der Vielzahl von Nachrichten und Warnungen vor Spionen war, nicht nur die Bevölkerung, sondern wie Nicolai einräumte, auch die Abt. III b nicht ohne „Spionenfurcht.“249 So berichtete im November 1917 der deutsche Militärattaché aus Bern dem Auswärtigen Amt, dass nach Agentenberichten von alliierter Seite mit „Hochdruck“ an einem Plan gearbeitet würde, „etwa 400 Personen aller Stände“ in das Deutsche Reich zu schicken, die mit ihrer v. a. von Mund-zu-Mund verbreiteten antimonarchistischen Propaganda das ganze Reich „mit einem geschickt gespannten Netz überziehen sollen.“ Adressaten sollten nicht nur Männer aller Gesellschaftsschichten, sondern auch Frauen sein. Ausdrücklich betonte der Berichterstatter den „amerikanisch phantastisch[en]“ Charakter der Pläne.250 Monate später stellte das Kriegsministerium auf Anfrage des Auswärtigen Amtes fest, dass dieser Plan weder dort noch dem Stellvertretenden Generalstab bekannt war und dass der stark übertriebene Bericht nur wenig Glauben verdient hätte.251 Anfang 1918 leitete der Nachrichtendienst der Marine einen vertraulichen Bericht über das angebliche Treffen eines Propaganda-Komitees in Washington 246 247 248 249 250 251
Protokoll der Pressekonferenz (3. 9. 1918), ebd., S. 1263. Protokoll der Abwehrbesprechung (23. 7. 1917). HStA Stuttgart M 77/1, Bü. 950, fol. 10. Allgemeine Bestimmungen für den Vaterländischen Unterricht. Ergänzung der Leitsätze. Anlage zu MvU 28 (22. 8. 1918). Nicolai, Nachrichtendienst, S. 36, S. 41 PAAA R 622. PAAA R 623.
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weiter, dessen Aufgabe die „umfassende, technisch gut durchgeführte Massenagitation“ im Deutschen Reich und die Organisation einer Revolution sein sollte. Herumreisende Agenten sollten im Reich „in geschickter Weise für den Umsturz Propaganda [...] machen“ und Sabotageanschläge durchführen. Besonders wurde vor den amerikanischen „indianerhafte[n] Teufeleien“ gewarnt.252 In diesem Erklärungsmuster, das eher außergesellschaftliche als innergesellschaftliche Ursachen benannte, verschmolzen innerer und äußerer Feind. Durch den Generalverdacht der Außensteuerung von Dissens und Opposition erfolgte eine Exterritorialisierung militärischer und gesellschaftlicher Krisen. Kriegsmüdigkeit, Stimmungsschwankungen und Zweifel wurden auf eine übermächtige feindliche Propaganda zurückgeführt, die der Heimat die Hand beim Dolchstoß führte. Bereits lange vor Kriegsende war eine Rechtfertigungsideologie entstanden, die als Ursache für militärische Rückschläge das Versagen der Heimat verantwortlich machte.253 Nach Ansicht der Militärs waren nicht nur die Fahrten der Fronturlauber eine potentielle Bedrohung der Stimmung in der Heimat, sondern das Reisen an sich hatte sich zu einer Art Risikokommunikation entwickelt.254 Vor allem innerhalb des Eisenbahnverkehrs wurden einzelne Risikogruppen identifiziert. So erwiesen sich nach Ansicht des Militärs als weitere Bedrohung der öffentlichen Meinung die vielen Ehefrauen der in der Schweiz internierten deutschen Kriegsgefangenen. Angesichts der aus der Schweiz von diesen verbreiteten Nachrichten warnte der Chef der StAbt. III b, dass diese Besuche „das reinste Gift und die vollste Unterstützung der Propaganda der Entente“ seien, da sie aus der Schweiz „noch schlimmere Stimmungen mit [brächten], da [dort] die Niederlage Deutschlands als Tatsache“ galt.255 Neben feindlichen Agenten und Fronturlaubern standen Frauen ohnehin im Generalverdacht, durch ihre angebliche Geschwätzigkeit die Heimatfront zu unterminieren. Hauptmann Kaufmann warnte vor Annäherungen der Gerüchte verbreitenden Agenten an „Lieferanten, bürgerliche und namentlich militärische Mitreisende auf Bahnen und Straßenbahnen.“ Als weitere Opfer sah er „Dienstboten, Ladnerinnen, Friseusen usw.“256 Während einer Tagung von Aufklärungsoffizieren fragte ein Offizier: „Wer bürgt mir dafür, daß diese Frauenzimmer nicht bestochen sind? Sie gehen in den Gassen und niederen Lokalen umher wie ein schleichendes Gift, und je drastischer das ist, was sie erzählen, je mehr wirkt es.“257 252 253 254 255 256 257
PAAA R 622. S. a. Kap. VI.3.3. Zu den Versuchen des Militärs, Kontakte zwischen Soldaten und der Zivilbevölkerung mit der Briefzensur einzuschränken s. Kap. IV.2. Schreiben des Chefs der StAbt. III b, Brose, an den Staatssekretär im Reichsamt des Inneren (23. 9. 1918), GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 195. Kaufmann, Heimatheer deutscher Frauen, S. 4. Zu dieser 1918 gegründeten Propagandaorganisation s. Kap. VI.3.2. Lehrgang über Fragen der Kriegsaufklärung in Hamburg 6.–8. Juni 1918 veranstaltet vom stellvertretenden Generalkommando IX. Armeekorps. Hamburg 1918, S. 30.
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Trotz uneinheitlicher und z. T. widersprüchlicher Erklärungsmuster fehlte es aber auch nicht an der Bereitschaft, Gerüchte auf gesellschaftliche Missstände zurückzuführen. So erwiesen sich die Behörden im Umgang mit Gerüchten als durchaus lernfähig. Als im Februar 1918 in einer Besprechung zwischen Kriegsministerium und Vertretern der StGKs über den Januarstreik und seine Folgen der Vorschlag gemacht wurde, in der Presse keine Angaben über die Zahl der Streikenden zu machen, entgegnete der Vertreter des Kriegsministeriums: „aber das gehe nicht an, sonst entstünden tolle Gerüchte.“258 So mangelte es durchaus nicht an Versuchen, Gerüchte als gesellschaftliche Prozesse zu verstehen, die ihren Anfang in der offiziellen Informationspolitik nahmen. Wie der Vorsitzende des Vereins Deutscher Zeitungs-Verleger 1917 feststellte, hatten die Zeitungen „infolge der Zensur in der Öffentlichkeit alle Autorität verloren. Die Unterdrückung von Nachrichten führt vielfach zu wilden Gerüchten.“259 Ein bayerischer Stimmungsbericht unterstrich im September 1918 die Wechselwirkung zwischen Zensur und der Kommunikation von Gerüchten: „Der Schrei nach Klarheit und Wahrheit ist allgemein. Die reine Wahrheit allein erscheint geeignet, die unterirdischen Quellen zu verstopfen und die Gerüchtebildung einzudämmen, die die Nerven des Volkes zerrüttet.“260 In einer vom KPA für die Schulung von Propaganda-Rednern verbreiteten Broschüre stellte der Verfasser fest, dass in der Bevölkerung die Auffassung verbreitet sei, „alles, was in den Zeitungen steht, ist gelogen“, und musste einräumen, „das ist nämlich deshalb so schwierig, weil einiges davon ja nicht so ganz unrichtig ist.“261 Allen angeführten Erklärungen war die von Gerüchten ausgehende Bedrohung der inneren Sicherheit gemeinsam. In Gerüchten sahen Behörden u. a. Indikatoren für eine unerwünschte Erregung der Bevölkerung und ein Symptom für ihren Kontrollverlust über die öffentliche Meinung, dem es gegenzusteuern galt. Freilich war die Angst der Behörden vor Gerüchten als Bedrohung der inneren Sicherheit nicht unbegründet. Zwar stand hinter ihnen nicht der gegnerische Nachrichtendienst, nicht selten aber waren Gerüchte über die Verschwendung von Lebensmitteln oder über ihre ungerechte Verteilung Auslöser lokaler Unruhen, die u. a. zur Plünderung von Geschäften führten. Die ab Sommer 1915 spürbare Verknappung von Lebensmitten verursachte vor allem in den Städten unter Frauen, Kindern und Jugendlichen Unmut, und auf die Ausschreitungen folgten weitere Gerüchte über Übergriffe und Ungerechtigkeiten durch Polizei und Militär.262 Neben der Annahme einer Manipulation durch das feindliche Ausland wurde die Wahrnehmung von Gerüchten vor allem durch ein psychologisch und psy258 259 260 261 262
Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 445, S. 1189. Zum Januarstreik s. a. Kap. VI.3.2. Aufzeichnung über Besprechung mit Vertretern der Presse (14. 9. 1917), BA R 1501, Nr. 112271, fol. 332. Stimmungsbericht für August 1918, zit. n. Ay, Entstehung, S. 183. Traub, Technik des Redens, S. 19. Scholz, Unruhiges Jahrzehnt, S. 83; Daniel, Arbeiterfrauen, S. 245–246.
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chiatrisch motiviertes Vokabular geprägt. Aber nicht nur vor dem Hintergrund populärer Aneignungen wissenschaftlicher Diskussionen wie der Nervositätsdebatte, sondern auch als Gegenstand psychiatrischer wie psychologischer Veröffentlichungen entsprachen Gerüchte den zeitgenössischen Problemhorizonten dieser Disziplinen. Die Dynamik der Masse, ‚Suggestion‘ und ‚psychische Ansteckung‘ galten als wesentliche Triebkräfte kollektiven Verhaltens.263 Die Bedeutung dieser Begrifflichkeiten wurde durch den Krieg noch gesteigert. In einer Zeit, in der verstärkt auf die „seelischen Rüstungskredite“264 der Nation verwiesen wurde, wurden auch die ‚Nerven‘ kriegswichtig. In den ausgewerteten Zeitungen und Archivalien fand sich nur ein vager Hinweis darauf, dass Behörden explizit auf Erkenntnisse der Psychologie zurückgriffen und mit Wissenschaftlern zusammenarbeiteten, um Gerüchte zu kontrollieren. Ende Juli 1918 erschien im Berliner Tageblatt ein von dem Psychologen Max Brahn verfasster Artikel über Gerüchte. Aus dem Artikel geht hervor, dass Brahn „mit Untersuchungen über die Psychologie des Gerüchts für Amtsstellen beauftragt war.“265 In seinem Beitrag verwies Brahn ausdrücklich auf die Ergebnisse der Psychologie der Aussage. Seit der Jahrhundertwende waren Gerüchte erstmals Gegenstand empirisch abgesicherter Untersuchungen der experimentellen Psychologie. Um die Jahrhundertwende hatten unabhängig voneinander die Psychologen Alfred Binet in Frankreich und William Stern in Deutschland mit den Mitteln der experimentellen Psychologie festgestellt, dass die Annahme, eine mit gutem Gewissen gegebene (Zeugen-) Aussage sei immer wahr, nicht zutreffend war – ja nicht zutreffen konnte, da nach Stern die „fehlerlose Erinnerung nicht die Regel, sondern die Ausnahme“ war.266 Die Idee des unbedingt zuverlässigen Zeugen und des zuverlässigen Zeugnisses wurde verworfen und die Fähigkeit des Menschen zur wahrheitsgetreuen Aussage relativiert. Die Suche nach vermeintlich objektiven Kriterien der Wahrheitsfindung bestimmte die folgende erste Generation der Zeugenpsychologie.267 1915 fragte die Psychologin Lucy HoeschErnst angesichts der irritierenden Fülle einander widersprechender Nachrichten über den Krieg: „Sind die vielen Übertreibungen bewußte Lügen?“268 Als Antwort auf diese Frage verwies sie auf die Psychologie der Aussage, deren Experimente auf Fehlerquellen hindeuteten, denen die Gerüchte und Schreckensnachrichten von furchtbaren Gräueln zugrunde lägen. Als Instrument der Wahrheits263 264 265
266
267 268
Müller-Brettel, Psychologische Beiträge, S. 36. Fuchs, Kriegspsychologisches, S. 565. Brahn, Gerücht. Nach seinem Biographen hat Brahn über seine Zusammenarbeit mit den Militärbehörden nichts veröffentlicht, so dass darüber nichts Genaueres bekannt ist. Gundlach, Max Brahn, S. 227. Solche Kooperationen zwischen Staat, Militär und Wissenschaft sind bisher vor allem aus den USA während des Zweiten Weltkrieges bekannt. Neubauer, Fama, S. 174–188. Stern, Psychologie der Aussage, S. 327. William Stern war einer der bekanntesten und einflussreichsten Psychologen seiner Zeit, in dessen Gesamtwerk die Aussagepsychologie nur ein Aspekt war. Vgl. Deutsch (Hrsg.), Über die verborgene Aktualität. Diese erste Generation der Zeugenpsychologie fasst zusammen: Lerg, Gespräch, S. 47–56. Hoesch-Ernst, Psychologie der Aussage.
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findung aber, wie von Hoesch-Ernst gefordert, musste die Psychologie der Aussage fehlschlagen. Ursachen waren nicht nur ihre begrenzten wissenschaftlichen Möglichkeiten, sondern auch der Umstand, dass jede Hoffnung, im Krieg ein Experiment der Wahrheitsfindung zu sehen, zum Scheitern verurteilt war. Die Aussagepsychologie wurde so Bestandteil des propagandistischen Arsenals der kriegführenden Mächte. Besonders in der Diskussion um die beiderseitige ‚Gräuelpropaganda‘ wurde sie durch ihr Versprechen wissenschaftlicher Objektivität zum Instrument der Propaganda im Kampf um die Wahrheit.269 Von geradezu bizarrer Naivität scheint daher der Vorschlag zu sein, „Korrektheit der Aussage und das Verantwortlichkeitsgefühl“ anzuerziehen, um einem zukünftigen Völkerfrieden nicht durch Lüge und Hass den Boden zu entziehen.270 Zwar war die Aussagepsychologie eine im Deutungsangebot von Psychologie und Psychiatrie akzeptierte Alternative, um sozialpsychologische Prozesse wie Gerüchte zu analysieren, ohne auf pathologisierende Deutungsmuster zurückzugreifen. Methoden und Ergebnisse der Aussagepsychologie waren nicht allein Psychologen vorbehalten, die Grenzen zwischen den Disziplinen waren fließend, auch Psychiater griffen auf sie zurück.271 Aber noch verfügte die zeitgenössische Sozialpsychologie nicht über standardisierte empirische Methoden und in der Praxis erprobte Techniken und Verfahren, Massenphänomene valide zu untersuchen. Daher wurde gerade von sozialpsychologisch orientierten Psychologen der Krieg als wichtiges Forschungs- und Erprobungsfeld begrüßt.272 Allerdings eigneten sich die an der Analyse konkreten, individuellen und rationalen Verhaltens orientierten und erprobten Methoden nicht für die Auswertung kollektiver und auf Affekten und Emotionen beruhenden psychologischen Prozesse, die für die Erfahrung des Krieges von wesentlicher Bedeutung waren.273 Prominentestes Beispiel eines populären psychiatrischen und psychologischen Vokabulars ist der Diskurs über ‚Nervosität‘.274 Erschien den Menschen der Jahrhundertwende ihre Gegenwart als das ‚nervöse Zeitalter‘, so fehlte doch eine einheitliche oder exakt definierte Terminologie. Damals wie heute wurde und wird ‚Nervosität‘ von Laien und Ärzten auf die unterschiedlichsten seelischen und körperlichen Zustände angewandt. Auf keinen Fall beschrieb der Begriff einen ausschließlich krankhaften Zustand. Zunehmend wurde der ambivalente Nervositätsbegriff aus einem ursprünglich medizinisch geprägten Begriffsfeld heraus auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche übertragen. Zwar kam die Neurasthenie als medizinischer Befund aus der Mode, doch als popu269 270 271 272
273 274
Vgl. van Langenhove, Wie Legenden entstehen; Hellwig, Psychologie; ders., Greuel. Hoesch-Ernst, Psychologie der Aussage, S. 32. Vgl. Sommer, Krieg und Seelenleben; Stransky, Psychologie und Psychopathologie. Da der Weltkrieg diese Phänomene an die Oberfläche brachte, bezeichnet Marc Bloch ihn als „sozialpsychologisches Experiment von riesigem Ausmaß.“ Bloch, Falschmeldungen, S. 192. Über den Laborbegriff und das soziale Experiment in den Sozialwissenschaften nach der Jahrhundertwende s. Raulff, Marc Bloch, S. 66–70. Müller-Brettel, Psychologische Beiträge, S. 37–38. Radkau, Zeitalter der Nervosität; Ulrich, Nerven und Krieg; Reimann, Der große Krieg.
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lärer Topos erlebten die ‚Nerven‘ im Verlauf des Ersten Weltkrieges eine Konjunktur sondergleichen.275 ‚Nervosität‘ ist nur ein Beispiel für die Popularität, den Bedeutungswandel und die Übertragung psychologischer Terminologien in einen alltagssprachlichen Gebrauch. ‚Nerven‘ stehen in diesem Kontext stellvertretend für die immer wichtiger werdenden psychischen Werte an sich; sie galten als „Umschreibung“, oder „Euphemismus für einen psychischen Wert in letzterer Linie für das seelische Gleichgewicht und die seelische Tüchtigkeit und Widerstandsfähigkeit.“276 Ein anderer Aspekt dieser Psychisierung ist die intensive Übertragung individualpsychologischer Begriffe auf kollektive Prozesse. Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Interesses an massenpsychologischen Phänomenen wurden Terminologien und Erkenntnisse aus Medizin, Psychiatrie und Psychologie auf Kollektive übertragen. Damit gewannen auch Phänomene kollektiver „Beeinflussbarkeit“ – oder „Suggestibilität“ – an Bedeutung.277 Vor diesem Hintergrund sozialpsychologischer Deutungskategorien war bereits vor dem Krieg die ‚öffentliche Meinung‘ zunehmend mit Phänomenen kollektiver Identität verknüpft worden.278 Thomas Raithel beobachtet bei der inhaltlichen Entwicklung des zeitgenössischen Begriffs ‚öffentliche Meinung‘ zum einen die sozialpsychologische Tendenz, den Bezug zu großen gesellschaftlichen Gruppen herzustellen. Zum anderen verweist er auf seine Verknüpfung mit Phänomenen kollektiver Emotionalität und seine teilweise mit kulturpessimistischer Furcht und Geringschätzung verbundene sozialpsychologische Aufladung. In populären Annahmen über die Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen von Gerüchten verschränken sich Vorstellungen von Suggestibilität und kollektiver Geisteschwäche. Durch die Nervositätsdebatte geprägte Begriffe wie Erregung und Aufregung sowie deren Gegenpol Ruhe bildeten den Kontext, durch den Gerüchte in der Tagespresse geschildert und erklärt wurden. So wurden Nerven mit den Telegraphendrähten verglichen, durch die die Presse mit immer neuen Nachrichten versorgt wurde, als die „Nervenfäden“ der Nation im Krieg.279 Im Sommer 1918 machte z. B. ein Artikel der Familienzeitschrift Reclams Universum die „Gemütschlappheit“ und die Besorgnis in den Köpfen der „geistig Armen“ für die Flut von Gerüchten verantwortlich.280 In der Regel wurden Gerüchte als ein Phänomen der ungebildeteten Unterschichten angesehen: „Das Volk glaubt allen Blödsinn und Unfug.“281 Allgemein wurden massenpsychologische Phänomene dem „Pöbel“ zugeschrieben, der „rückgratlosen 275 276 277 278 279 280 281
Radkau, Die wilhelminische Ära als nervöses Zeitalter, S. 219. Weygandt, Der Krieg und die Nerven, S. 281. LeBon, Psychologie der Massen, S. 16–20. Raithel, Wunder, S. 28. Ebd. Neumann, Wir sind verwöhnt, S. 282. Vaterländischer Unterricht. Tagung der Vertrauensleute der militärischen Unterrichtskräfte und Zivilvertrauensmänner aus dem Bezirk des I. Armeekorps [...] am 15. und 16. Juli 1918. Königsberg 1918, S. 55.
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Abb. 2 u. 3: In der zweiten Kriegshälfte vermutlich in Bayern verbreitetes Propagandamaterial mahnte zu Verschwiegenheit und Disziplin im Gespräch.
Molluske.“282 Genauso wie die Masse in den Augen der Intellektuellen immer die ‚Anderen‘ waren, so trug auch das Gerücht den Makel der gesichtslosen, raunenden Masse an sich. Um so verblüffter musste neben vielen anderen in Marburg der Ordinarius für klassische Philologie Theodor Birth feststellen, dass auch die Gelehrten vor der „erstaunlich(en) Mythenbildung im Volk“ nicht gefeit waren.283 Nicht selten wurde der deutsche Nationalcharakter für die angebliche die Kriegsanstrengungen bedrohende besondere Geschwätzigkeit der Deutschen verantwortlich gemacht. Abt. III b meinte als besondere Probleme der Spionageabwehr die besondere Anfälligkeit der Deutschen für Landesverrat und das mangelnde Verständnis für die Notwendigkeiten der Geheimhaltung und die weitaus stärker als in anderen Nationen ausgeprägte „Schwatzsucht und Wichtigtuerei“ zu erkennen.284 In zahllosen Aufrufen wurden Militär und Zivilbehörden zur Verschwiegenheit aufgefordert. Im Verlauf des Krieges erforderte die Mobilmachung der gesamten Gesellschaft für den Krieg so eine totale Disziplin der 282 283 284
Jenichen, Krieg, S. 434. Zit. n. Wettmann, Kriegstagebücher, S. 153 (19. 11. 1914). Protokoll einer Besprechung über die Regelung der Spionageabwehr im Frieden (3. 9. 1917). BA R 43/5133.
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Bevölkerung. Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in allen Situationen des Lebens – auch in alltäglichen Gesprächssituationen galt: „Pflicht eines jedes aufrechten Mannes und jeder anständigen Frau ist es, an der Bekämpfung der Gerüchte und törichten Geschwätze[s] wirksam mitzuarbeiten.“285 Angesichts der vermeintlich überall lauernden Gefahr, dass Spione aus harmlosen Gesprächen kriegswichtige Informationen entnehmen könnten, musste der Bevölkerung einerseits die Risiken scheinbar völlig unverdächtiger Situationen für die Kriegführung veranschaulicht werden. Andererseits wurde so an die nationale Disziplin appelliert: „Aus-, Durch- und Maulhalten!“286 Immer aber wurde von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gerüchten und feindlichen Agenten ausgegangen: „Der Feind streut Gift durch falsche Gerüchte; daher hütet eure Zunge!“287 Allen angeführten Erklärungsmustern von Gerüchten ist gemeinsam, dass sie sich vor dem Hintergrund des Gegensatzpaares Ruhe/Unruhe immer implizit oder explizit auf die ‚Nerven‘ bezogen. Bereits vor dem Krieg hatte die Nervositätsdebatte das Ideal der Ruhe geprägt.288 Aufregung und Panik galten als Bedrohung der inneren Ordnung, der die geregelte Emotionalität im Kontext des männlich-bürgerlichen Ideals von Selbstdisziplin und Ruhe gegenübergestellt wurde. Aber erst durch die Anforderungen des Kriegs an den menschlichen Willen war Ruhe zu einer nationalen Notwendigkeit geworden: Ruhe ist der geistige Zustand, dessen unser Geschlecht heute am meisten bedarf. Ruhe heißt nicht Langsamkeit, Trägheit oder gar Faulenzerei. Ruhe heißt vielmehr, an jeder Tätigkeit Freude finden. Ruhe vollbringt alles Tun mit größerer Kraft. Ruhe schließt Erschöpfung aus. Ruhe macht jede Tätigkeit angenehm. Ruhe nimmt jeder Arbeit das Beschwerliche. Ruhe bedeutet, den festen Nerv und die feste Hand, mögen sie nun dem Zeichner, dem Schützen oder dem Mann im Takelwerk angehören.289
Der in die zivile Welt einbrechende Krieg und die von ihm ausgehenden Veränderungen sollten durch die innere Unerschütterlichkeit der Deutschen gebändigt werden. Gerüchte wurden daher nicht nur wegen der von ihnen ausgehenden Bedrohung der inneren Sicherheit als eine Bedrohung des Staates, sondern darüber hinaus als Bedrohung des bürgerlichen Wertegefüges angesehen. Sichtbar verkörpert wurde der deutsche Durchhaltewille und die deutsche Ruhe durch Hindenburg-Bilder und -Denkmäler.290 Um trotz des Krieges die bestehende Ordnung bürgerlicher Werte aufrechtzuerhalten, galt es, jeder Form der Beunruhigung und Verunsicherung einen eisernen Willen entgegenzustellen. So verwundert es nicht, dass ein 1918 vom KPA verbreitetes Schlagwort zur Bekämpfung von Gerüchten betonte: „Falsche Gerüchte wirken beunruhigend. Es ist auf diese Gefahr hinzuweisen. Wir brauchen starke Nerven.“291 285 286 287 288 289 290 291
Heimatdienst in Württemberg 26 (5. 10. 1918), S. 1. MvU 29 (4. 9. 1918), S. 1. MvU 31 (18. 9. 1918), S. 1. Vgl. Radkau, Geschichte der Nervosität, S. 535. Prentice Mulford,“Ruhe, Ruhe, Ruhe!“ In: Vossische Zeitung 399, 6. August 1916. Reimann, Der große Krieg, S. 49. Nachrichten der Aufklärungsstelle (StGK XVIII. AK) 1 (12. 9. 1917), S. 1.
IV.6. Zwischenbilanz
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IV.6. Zwischenbilanz Mit Blick auf die Berichterstattung über die Stimmung der Arbeiterschaft, erstellt durch die Hamburger politische Polizei zwischen 1892 und 1914, spricht Richard Evans pointiert von ‚Meldungen aus dem Kaiserreich‘.292 Wenn sich ihm bei dieser Berichtsform die Analogie mit den Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes der SS aufdrängt, wie ist dann die weitaus intensivere Überwachung zwischen 1914 und 1918 in Großbritannien und dem Deutschen Reich zu bewerten? Während des Ersten Weltkrieges ist in beiden Staaten ein mehrfacher Prozess der Expansion gesellschaftlicher Überwachung zu beobachten: (a) Aus der militärischen Spionageabwehr entwickelte sich eine Abwehr aller gesellschaftlich-politischen Bedrohungen. (b) Die Überwachung verschob sich von spezifischen Bedrohungen wie pazifistischen oder sozialistischen Organisationen tendenziell auf die gesamte Bevölkerung, wenn auch in Großbritannien deutlich zurückhaltender. (c) Während des Krieges waren öffentliche Räume für die Regierungen an sich riskant geworden. (d) Gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen wurden immer stärker durch Freund-Feind-Kategorien geprägt. (e) In Feindbildern wie dem Spion und dem Verräter wurden schließlich Vorstellungen vom inneren und äußeren Gegner miteinander verschränkt. Mit Brock Millman kann als eigentliche Stärke der britischen Politik das höchst effektive Management von Dissens an der Heimatfront gelten.293 Ihm zufolge konnte Großbritannien von allen kriegführenden Staaten, mit Ausnahme der USA, das größte Maß an bürgerlichen Freiheiten bewahren, und das trotz z. T. erheblicher Eingriffe in bürgerliche Freiheitsrechte. Staatliche Interventionen wurden außerordentlich flexibel und permanent den veränderten Verhältnissen entsprechend gehandhabt. Als folgenreich erwies sich jedoch, dass die Regierung Dissens sorgfältig beobachtete und kontrollierte und damit immer einen Schritt vor den ‚Dissenters‘ blieb.294 In Großbritannien erfolgte die Überwachung gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Probleme im Wesentlichen problemabhängig. In das Visier des Staates gerieten tendenziell subversive oder vermeintlich subversive Organisationen. Auch wenn die Bevölkerung im Generalverdacht potentieller Unzuverlässigkeit stand, wurde eine allgemeine Beobachtung öffentlicher Meinungen und Stimmungen in Großbritannien nicht angestrebt. Zwar finden sich in den entsprechenden Berichten wiederholt allgemeine Bemerkungen über die Stimmung im Land – eine breite, allgemeine Überwachung der Stimmung der Bevölkerung wurde aber nicht beabsichtigt. Allein die ‚Weekly Intelligence Summaries‘ der Competent Military Authorities hatten einen weiter gefassten Überwachungsauftrag, und nur sie sind neben der Ausdehnung der Postüberwachung im Frühjahr 1918 als Versuch der Überwachung öffentlicher Stimmungen zu verstehen. 292 293 294
Evans, Kneipengespräche, S. 7. Vgl. Boberach (Hrsg.), Meldungen. Millman, Managing, S. 2. Ebd., S. 305.
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IV. Kommunikationskontrolle
Der Widerspruch zwischen einer relativ laxen Zensur der Tagespresse in Großbritannien und der strengen Überwachung von politischem Dissens ist nur ein vermeintlicher. Denn der Erfolg der britischen Zensur war zu einem wesentlichen Teil dem Umstand geschuldet, dass sie nur abgestuft und kontrolliert verschärft (und gelockert) wurde. Dies war nur möglich, weil staatliche Stellen durch ein ausdifferenziertes Berichtswesen über Einschätzungen gesellschaftlicher Krisen und Probleme verfügten.295 Die Komparanden Deutsches Reich/Großbritannien lassen sich aber nicht auf das Gegensatzpaar liberal/autoritär reduzieren. Denn würde man die Expansionen der Überwachung als fiktive Summe von Überwachungsmaßnahmen zählen oder gelänge es, die Kontrolldichte durch Indikatoren zu fixieren, dann wäre das Ergebnis dieser Gegenüberstellung deutlich: Diese Summe wäre im Deutschen Reich deutlich größer als in Großbritannien. Würde man allerdings die Summe der zwischen 1914 und 1918 erfolgten Veränderungen bezogen auf die einzelnen Staaten betrachten, dann zeigt sich, dass – gemessen am status quo – die Veränderungen in Großbritannien umfangreicher und gravierender waren als im Deutschen Reich. In Großbritannien war mit dem DORA eine neue Rechtslage geschaffen worden, die heute als ‚konstitutionelle Revolution‘296 oder als das drakonischste Gesetz, das jemals von einem britischen Parlament verabschiedet wurde, bezeichnet wird.297 Wenn auch politische Repression in Großbritannien vor 1914 als unbekannt galt,298 so hatte sich außerdem der Aufgabenbereich der Special Branch bereits vor 1914 dem kontinentalen Muster politischer Polizeien angenähert. Aber erst der Krieg machte aus der Special Branch eine politische Polizei im ‚kontinentalen‘ Sinn.299 Nicht zuletzt im Zeichen der Russischen Revolution glichen sich unter den Bedingungen des Krieges die Überwachungsorganisationen (Polizei, Nachrichtendienst und Militärbefehlshaber) einer kontinentalen Normalentwicklung (Frankreich/Deutsches Reich) an.300 Wie der DORA bedeutete auch die Tätigkeit der Competent Military Authorities einen erheblichen Bruch mit britischen Verfassungstraditionen. Erstmals erhielt das Militär exekutive Vollmachten, die über den Moment der unmittelbaren Gefahrenabwehr hinausgingen. Die Expansion gesellschaftlicher Überwachung in den Jahren 1914/1918 bedeutet das Ende einer liberalen britischen ‚Sonderentwicklung‘. Dieser Konvergenzprozess hatte bereits in den Jahren vor dem Kriegsausbruch begonnen. Richard Thurlow spricht angesichts dieser Veränderungen von der stillen Revolution von 1909 bis 1911 und nannte in Anspielung auf George Dangerfields klassische Studie zum Verfall der liberalen Partei sein Kapitel über 295 296 297 298 299 300
Allerdings fehlen Quellen, die diese erfolgreiche Interaktion zwischen Organisationen der Überwachung und der Zensur im Detail dokumentieren. Townshend, Making the Peace, S. 56. Englander, Military Intelligence, S. 24. Thurlow, Secret State, S. 3. Porter, Plots and Paranoia, S. 133. Ingraham, Political Crime, S. 283, 289.
IV.6. Zwischenbilanz
147
diese Verfallserscheinungen des liberalen Staatsgedanken The Strange Death of Liberal England.301 Im Deutschen Reich dagegen standen die Praktiken gesellschaftlicher Überwachung wie z. B. die Berichterstattung des Berliner Polizeipräsidenten ebenso wie der Belagerungszustand einerseits in der Kontinuität des 19. Jahrhunderts. Andererseits bedeutet der Erste Weltkrieg auch einen Bruch innerhalb dieser Kontinuitätslinien. Mit dem Einfluss des Militärs, der auf dem Ausnahmezustand beruhte, war die Entwicklung zu einer Verpolizeilichung gesellschaftlicher Konflikte unterbrochen. Die Dauer und Intensität des Krieges führte dazu, dass das Militär eigene Organisationen gesellschaftlicher Überwachung ausbildete. Neben den entsprechenden Abteilungen der StGKs ist hierbei die Abt. III b zu nennen, die Aufgaben politischer Polizeien übernahm. Da Agenturen der Überwachung in der Regel ein Korrektiv fehlt, um zu beurteilen, inwieweit ihren Bedrohungsszenarien reale Korrelate entsprechen und ob ihre gesammelten Informationen ausreichen, um erwartete (und unerwartete) Risiken erkennen und bewerten zu können, ist ihnen eine Tendenz zur Expansion immanent. Waren im Deutschen Reich die Ergebnisse der gesellschaftlichen Überwachung einerseits ein Faktor der Verunsicherung der Regierenden, so trug das Wissen um die Überwachungspraktiken andererseits dazu bei, dass unter den Regierten Legitimität und Autorität des Staates weiter schwanden. Da im Deutschen Reich wesentlich dichtere und umfangreichere Daten erhoben wurden, hätten die Behörden dort wesentlich besser auf innenpolitische Krisen reagieren können. Entscheidend ist aber, dass die Spitzen des Deutschen Reiches außerstande waren, die Ergebnisse der Berichterstattung von z. T. erheblicher Qualität in Handlungswissen umzusetzen.302 Der 107. Bericht des Büros für Sozialpolitik hielt daher am 11. November 1918 die „traurige Genugtuung“ fest, dass „die rechtzeitige Beachtung der in den Berichten geschilderten und belegten Volksstimmung und der dargetanen Volkswünsche wahrscheinlich eine sprunghafte Entwicklung der Dinge überflüssig gemacht hätte.“303 Zwischen 1914 und 1918 bedurfte es keiner totalitären Regime, um sowohl im Deutschen Reich als auch in Großbritannien eine Steigerungsspirale gesellschaftlicher Überwachung in Gang zu setzen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung in beiden Staaten waren die jeweils als notwendig erachteten Anforderungen der Kriegführung. Der Krieg, der 1914 begann, kann mit Stig Förster als ganz gewöhnlicher Krieg verstanden werden, der in seinem Verlauf Züge eines totalen Krieges annahm.304 Unter diesem Begriff wird hier auch der Prozess der Entgrenzung staatlicher Gewalt und Machtansprüche nach Innen zur gesell301 302 303 304
Thurlow, Secret State, S. 37; vgl. Lee, Aspects, S. 38–53. Vgl. Buse, Domestic Intelligence, S. 54–56. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2. Zu den Berichten des Büros für Sozialpolitik s. Kap. IV.3.1. Förster, Zeitalter, S. 18.
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IV. Kommunikationskontrolle
schaftlichen Mobilisierung für den Krieg verstanden.305 Obwohl entsprechende Tendenzen sehr wohl zu beobachten sind, wurde zwischen 1914 und 1918 eine Totalität gesellschaftlicher Überwachung bei weitem nicht erreicht. Zu den Faktoren, die einer totalen Überwachung entgegenstanden, zählte auch, dass der Übergang zum totalen Krieg nur sehr langsam erfolgte. Wurde vor dem Krieg weitgehend von einer bedingungslosen Zuverlässigkeit der Bevölkerung ausgegangen, so begannen im Verlauf des Krieges Regierungen und Behörden an der Zuverlässigkeit der eigenen Bevölkerung zu zweifeln.306 Gegen Ende des Krieges brachte dies der Chef der Abt. III b, Oberstleutnant Nicolai, auf den Punkt, als er im August 1918 notierte, dass aus dem „Zweifrontenkrieg gegen Ost und West“ ein „Zweifrontenkrieg gegen den äußeren und inneren Feind“ geworden sei.307 Für Mark Mazower gilt der Erste Weltkrieg als Wasserscheide in der Geschichte politischer Polizeien.308 Angesichts der Zunahme von Institutionen und Praktiken der Überwachung ist der Krieg jedoch mit Peter Holquist zwischen 1914 und 1918 als Zäsur in der Geschichte gesellschaftlicher Überwachung an sich anzusehen.309 Auch wenn eine totale Kontrolle zwischen 1914 und 1918 weder angestrebt noch erreicht wurde, ist doch eine erhebliche Ausdehnung staatlicher Überwachungspraktiken zu beobachten.310 Zwar stand am Ende der 1918 noch im Fluss befindlichen Expansion gesellschaftlicher Überwachung kein totalitärer Überwachungsstaat, wohl aber eine erhebliche Ausdehnung gesellschaftlicher Überwachung, die in keinem der beiden Staaten vor Kriegsausbruch auch nur ansatzweise absehbar war. In beiden Staaten wurden diese Entwicklungen nach dem Kriegsende nicht wieder rückgängig gemacht.311 Zu betonen ist, dass sich weder für Großbritannien noch für das Deutsche Reich Willkür und Gewalt in einem Umfang nachweisen lassen, der z. B. an den nationalsozialistischen Unrechtsstaat erinnert.
305 306 307 308 309 310 311
Zu der noch nicht abgeschlossenen Debatte s. ebd. S. Kap. I.2. Ursachen und Folgen, Bd. 2, Nr. 351, S. 290–291 (24. 8. 1918). Nicolai war Anfang 1918 befördert worden. Mazower, Policing of Politics, S. 243–244. Holquist, Bolshevik Surveillance, S. 443. Vgl. Barth, Dolchstoßlegenden, S. 122, 129–131, 135. S. Kap. VII.1.
V. GERÜCHTE UND DIE FORMIERUNG VON KRIEGSÖFFENTLICHKEITEN IM SOMMER UND HERBST 1914 V.1. Zwischen Frieden und Krieg Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo am 28. Juni 1914 bedeutete anfangs noch keine Europa umfassende Krise und noch Ende Juli erschien ein begrenzter Krieg zwischen Österreich und Serbien möglich.1 Für die Deutschen vollzog sich in den folgenden Tagen in zunehmend qualvoller Spannung die Wendung zum ‚Weltkrieg‘. Dieser Begriff wurde schon vor Kriegsausbruch gebraucht. Die öffentliche Meinung kippte erst mit dem österreichischen Ultimatum an Serbien am 23. Juli. Am 25. Juli versammelten sich in Berlin tausende Menschen auf Plätzen, in Cafés und vor den Redaktionen der großen Zeitungen und warteten auf Nachrichten über die serbische Antwort.2 Am Tag der serbischen Antwort auf das österreichische Ultimatum rief die Führung der SPD im ganzen Reich für den 28. Juli zu Demonstrationen gegen den Krieg auf.3 In Groß-Berlin fanden 32 Anti-Kriegskundgebungen der SPD statt, an denen insgesamt über 100 000 Menschen teilnahmen – weit mehr als an den patriotischen Kundgebungen der vorangegangenen Tage.4 Nachdem am 28. Juli der Polizeipräsident alle Straßendemonstrationen verboten hatte, schritt erstmals seit Verschärfung der Krise die Polizei gegen Demonstranten ein. Am Abend marschierten dennoch sozialdemokratische Züge zu den Orten der patriotischen Kundgebungen in der Stadtmitte. Obwohl die Polizei versuchte, mit Straßensperren ihr Vordringen zu verhindern, gelang es vielen Sozialdemokraten, Unter den Linden auf und ab zu marschieren und Lieder zu singen. Schließlich räumte die Polizei die Straßen und ging auch gegen eine Menschenmenge vor, die sich vor dem Gebäude des Vorwärts versammelt hatte.5 So waren in Berlin nicht nur Kundgebungen für, sondern auch gegen den Krieg zu beobachten. Nachdem er auf der Bahnfahrt nach Berlin Presseberichte über die dortige Begeisterung gelesen hatte, notierte der dänische Reichstagsabgeordnete Hans 1
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Während der Kriegsausbruch und seine Stilisierung seit Jahrzehnten Gegenstand der deutschen Geschichtswissenschaft sind, sind sie in Großbritannien ein „weitgehend unerforschtes Phänomen.“ Müller, Nation, S. 70. Zuletzt Gregory, British ‚War Enthusiasm‘. Zur Rezeption des Jahres 1914 als Epochenzäsur in Großbritannien s. Connelly, Never such Innocence. Hew Strachan betont, dass es in Großbritannien kein Schlagwort gab, das dem ‚Burgfrieden‘ im Deutschen Reich oder der ‚Union Sacrée‘ in Frankreich entsprach. Strachan, First World War, Bd. 1, S. 131. Verhey, Geist, S. 53. Vorwärts 200 a, 25. Juli 1914. Kruse, Krieg, S. 31–34; Raithel, Wunder, S. 244, Anm. 170. Ebd., S. 244–246.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Peter Hanssen am 2. August 1914 nach seiner Ankunft in seinem Tagebuch: „The opposite is evidently the truth, judging by what I have had the ample opportunity to see on the way here to the hotel.“6 Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Eduard David stellte fest: „das Gros des Publikums ist wie alle die Tage vorher äußerst ruhig.“7 Im Verlauf der Woche normalisierte sich das Straßenleben weiter, und die Anzahl der Teilnehmer an Kundgebungen nahm stetig ab. Am 30. Juli sorgte die verfrühte Bekanntgabe der Mobilmachung durch ein Extrablatt des Berliner Lokalanzeigers für erneute Aufregung. Gegen 14 Uhr war in Berlin ein bereits vorbereitetes Extrablatt ausgegeben worden, welches den deutschen Mobilmachungsbefehl bekannt gab. Doch sein Inhalt eilte den Ereignissen um 27 Stunden voraus. Die Falschmeldung wurde schnell dementiert, und der Verkauf des Extrablatts des Lokalanzeigers und anderer Blätter, die die Nachricht brachten, sofort unterbunden.8 Am 31. Juli gingen viele Menschen nicht zur Arbeit, sondern versammelten sich wiederum auf den großen Plätzen der Stadt. Am Morgen hatten die Zeitungen die russische Generalmobilmachung berichtet und am Mittag sollte das deutsche Ultimatum an Russland ablaufen. Nach dem Verstreichen der Frist hielten zahllose Extrablätter die Spannung aufrecht. Als am frühen Nachmittag das Kaiserpaar in das Berliner Stadtschloss zurückkehrte, wurde ihm begeistert zugejubelt. Gegen 16 Uhr hatte das Warten ein Ende: Ein Offizier verkündete vor dem Zeughaus unter dem Applaus des Publikums den Zustand drohender Kriegsgefahr. Bei dieser mit „fieberndem Interesse“ wahrgenommenen Nachricht löste sich die „elektrische Spannung“, die seit zehn Tagen auf Berlin gelegen hatte.9 Aus allen Stadtteilen strömten nun Menschen in die Innenstadt: „‚Na endlich!‘ Wie ein Erlösungsschrei geht’s durch die Menge. Kein Jubel wird laut, alle Mienen sind ernst – die unheimliche Spannung, die auf ganz Berlin lastet, löst sich in einem befreiten Aufatmen: Also doch!“10 Der Vorwärts beobachtete: „Die Spannung löste sich, als bekannt wurde, die Mobilmachung sei angeordnet. Wenn auch der Beifall der Kriegslüsternen stark hervortrat, so konnte dem aufmerksamen Beobachter doch nicht entgehen, wie vielen mit der Bekanntmachung der letzte Strohhalm ihrer Hoffnungen entglitt und tiefernste Sorge aufs Antlitz trat.“11 Vor dem Schloss kamen zwischen 10 000 und 40 000 Menschen zusammen und noch nachdem gegen 18:30 der Kaiser eine kurze Rede gehalten hatte, harrte die Menge bis in die Nacht aus. Vergleichbares hatte sich auch vor anderen staatlichen Gebäuden ereignet. So versammelte sich am 31. Juli 1914 vor dem Reichskanzlerpalais eine Menge, die mit Spannung zu den Fenstern hinaufblickte. Am 1. August scharten sich vor dem Schloss Hunderttausende, nach Jeffrey Verhey
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Hanssen, Diary, S. 13 (2. 8. 1914). David, Kriegstagebuch, S. 5 (1. 8. 1914). Koszyk, Pressepolitik, S. 104–111; Raithel, Wunder, S. 253. Berliner Tageblatt 384, 31. Juli 1914. Tägliche Rundschau 356, 31. Juli 1914. Vorwärts 208, 2. August 1914.
V.1. Zwischen Frieden und Krieg
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die größte spontane Menschenansammlung, die Deutschland je erlebt hatte.12 Als gegen 17:30 ein das Schloss verlassender Offizier die Mobilmachung bekannt gab, entlud sich die angespannte Stimmung in überschwänglichem Jubel. In London vollzog sich die Entwicklung zum Krieg weitaus schneller und unter geringerer Anteilnahme der Bevölkerung als in Berlin. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers und die sich anschließende diplomatische Krise hatten die innenpolitische Lage in Irland nicht aus den Schlagzeilen verdrängen können. Wurde im Juli 1914 in Großbritannien von einem drohenden Krieg gesprochen, verstanden bis in die letzten Julitage die meisten Briten darunter den in Irland drohenden Bürgerkrieg. Noch in den Tagen vor der britischen Kriegserklärung hatte innerhalb der Regierung Unentschlossenheit über einen Kriegseintritt geherrscht. Am 24. Juli, als der Außenminister erstmals die Entwicklung auf dem Kontinent im Kabinett erwähnte, beschrieb Premierminister Asquith seiner Geliebten Venetia Stanley die politische Lage in einem Brief: „So that we are within measureable, or imaginable distance of a real Armageddon, which would dwarf the Ulster & Nationalist Volunteers to their true proportions. Happily there seems to be no reason why we should be anything more than spectators.“13 Noch am 1. August stellte die linksliberale Nation fest: „There has been no crisis in which the public opinion of the English people has been so definitely opposed to war as it is at the moment.“14 Am gleichen Tag beobachtete die Times, dass am Vorabend die üblichen Menschenmassen Restaurants, Theater und Varietés aufgesucht hätten. Über die Möglichkeit eines europäischen Armageddons sei nur hier und da gesprochen worden, und man habe nicht feststellen können, dass sich das Land inmitten einer Krise befinde. Auch die am späten Abend verbreiteten Extrablätter über die russische Mobilmachung hätten keine Aufregung verursacht. Dieser gelassenen Stimmung in London wurde die aufgeregte Stimmung in anderen europäischen Hauptstädten gegenübergestellt.15 Bis zum 31. Juli fehlten öffentliche Kundgebungen und jene Stimmungsberichte in der Presse, die in Berlin das Bild der öffentlichen Meinung prägten.16 Erst ab dem folgenden Tag schlug die Stimmung um. Am Abend des 2. August versammelten sich nach der Bekanntgabe der Mobilmachung 6 000 Menschen vor dem Buckingham Palast und sangen die Nationalhymne und die ‚Marseillaise‘. In der Menschenmenge im Stadtzentrum herrschte eine spannungsgeladene Stimmung, die von immer neuen Nachrichten weiter angeheizt wurde. Wie in Berlin bestanden diese patriotischen Massen mehrheitlich aus jungen Männern der Mittelschicht. Nur bei einer Minderheit war Kriegsbegeisterung zu beobachten, und auf keiner Veranstaltung wurde explizit ein Kriegseintritt Großbritanniens gefordert.17
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Verhey, Geist, S. 116. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 103, S. 123. The Nation (1. 8. 1914), S. 653. The Times, 1. August 1914. Müller, Nation, S. 73. Ebd., S. 74, 73, 76.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
In den ersten Augusttagen fanden in London wie in ganz Großbritannien eine Vielzahl von Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Krieg statt. So organisierte die Labour Party am 2. August eine Demonstration auf dem Trafalgar Square, an der etwa 20 000 Menschen teilnahmen – nach Angaben der Veranstalter die größte Demonstration, die je dort stattgefunden hatte. Sie setzte sich mehrheitlich aus Angehörigen der Unterschicht zusammen, vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem East End. Die Times beobachtete dagegen, dass dort nicht mehr Menschen als sonst an einem normalen Sonntag versammelt gewesen wären. Am Ende der Veranstaltung hätte schließlich eine rivalisierende patriotische Kundgebung mehr Teilnehmer angezogen als die sozialistische.18 Am 3. August versammelten sich etwa 60 000 Menschen zwischen dem Buckingham Palast und dem Parlament, Whitehall und Trafalgar Square. Ein junger Bankangestellter stellte fest: „we found London in a state of hysteria. A vast procession jammed the road from side to side, everyone waving flags and singing patriotic songs. (…) We were swept along (…) bitten by the same mass hysteria.“19 Wie in Berlin konzentrierten sich die patriotischen Massen auf das Stadtzentrum und weite Teile der Stadt blieben von den Ereignissen unberührt. So konnte der englische Psychologe Ernest Jones am gleichen Tag seinem Freund Sigmund Freud berichten: „London is absolutely quiet and indistinguishable from other times except from the newspapers.“20 Eine Zeitung würdigte am 3. August das besonnene Verhalten der Londoner im Angesicht der Krise: Except in isolated instances confined to the neighbourhood of the West-End drinking bars and cafés there has been no mafecking. Quite obviously, the people waiting hour after hour outside the newspaper offices, buying up the editions as they come out, took no pleasure in the prospect of going to war. Their expression was that of men shocked and bewildered by the swift approach of an incredible calamity.21
Nachdem am 4. August deutsche Truppen in Belgien einmarschiert waren, trat gegen 11:00 das Kabinett zusammen und beschloss, dem Deutschen Reich ein Ultimatum zu stellen. Gegen 14:00 erläuterte Premierminister Asquith im Unterhaus, dass bis 23:00 die deutschen Truppen Belgien verlassen müssten. Als das Ultimatum ohne eine Antwort aus Berlin abgelaufen war, bedeutete das den Kriegseintritt Großbritanniens. Bereits vor Ablauf des britischen Ultimatums hatten sich vor dem Buckingham Palast 10 000 und auf dem Trafalgar Square bis zu 15 000 Menschen versammelt. Nach dem Bekanntwerden des Kriegseintrittes entlud sich ihre Anspannung in minutenlangem Jubel und dem Absingen der Nationalhymne. Im Anschluss zerstreute sich die Menge jedoch und die Teilnehmer gingen nach Hause. Am folgenden Tag hielt die Times fest, 18 19 20 21
The Times, 3. August 1914. Zit. n. Müller, Nation, S. 75. Paskauskas (Hrsg.), Correspondence, Nr. 202, S. 298 (3. 8. 1914). The Star, 3. August 1914. Der überschwengliche Jubel auf den Straßen Londons nach der Entsetzung der von Buren belagerten Stadt Mafeking im Mai 1900 wurde in Großbritannien ein Synonym für nationalistische Hysterie. Spontane Kundgebungen waren begleitet von Ausschreitungen gegen vermeintliche Unterstützer der Buren.
V.1. Zwischen Frieden und Krieg
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dass der Kriegsausbruch in London mit beeindruckender Ruhe wahrgenommen wurde.22 Wie in Studien zur Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich wurde auch in Arbeiten zum Kriegsausbruch in Großbritannien lange die patriotische „Stimmung der in der Öffentlichkeit überrepräsentierten Journalisten, Gelehrten und Schriftsteller oft unzulässig auf die Gesamtbevölkerung übertragen.“23 In der unerwarteten Einheit gegen einen äußeren Feind sahen viele Beobachter in Großbritannien Anzeichen einer nationalen Wiedergeburt: „I had not conceived it possible that a nation could so quickly be born again. The war even now has undone the evils of a generation.“24 Im Verhalten der Arbeiterschaft erkannten konservative Kolumnisten den Beleg, dass die Nation für diese eine größere Bedeutung hatte als Klasse: „At the breath of war and the higher call of patriotism in the hour of national danger the voices of party and faction have sunk into silence. The artificial conflicts they represent are dispersed at the touch of a real one.“25 Wie im Deutschen Reich war somit auch in Großbritannien das kollektive Erleben des Kriegsausbruchs „die Grundlage eines mächtigen und vieldeutigen nationalen Einheitsmythos.“26 In beiden Hauptstädten wurden die Stadtzentren zu Orten patriotischer Massenkundgebungen, die vor allem von bürgerlichen Zeitungen mit der öffentlichen Meinung gleichgesetzt wurden und als Manifestationen der nationalen Einheit galten. Doch bei den sich in den Innenstädten versammelnden Menschenmassen ließen sich durchaus andere Motivationen und Verhaltensformen beobachten. Jeffrey Verhey erfasst die z. T. widersprüchlichen Wahrnehmungen im Deutschen Reich mit einer „Topologie der Massenerlebnisse.“27 Er sieht in Menschenmassen „expressive Handlungen“, die ein „gemeinsames Gefühl der Macht erzeugen. Ihm zufolge bringen expressive Massen „durch kollektives Demonstrieren von Solidarität ihre Macht zum Ausdruck.“ Er unterscheidet zwischen begeisterten Massen, panischen und deprimierten Massen, neugierigen Massen und karnevalesken Massen. Er sieht dieses von ihm als karnevalesk bezeichnete Verhalten als typisch für das ‚Augusterlebnis‘ an und bezeichnet damit die Außerkraftsetzung bürgerlicher Werte und Normen durch einzelne Gruppen, die als ‚öffentliche Meinung‘ agierten.28 Die karnevalesken Akteure entsprachen den Bevölkerungsgruppen, die seit Ende Juli das Bild der patriotischen Umzüge geprägt hatten. Die Stimmung in London war gekennzeichnet von Gelassenheit und dem Bewusstsein nationaler Einheit, jene Ausgelassenheit aber, die das kollektive Verhalten auf Berliner Straßen prägte, war in London nicht gleichermaßen zu beobachten. 22 23 24 25 26 27 28
The Times, 5. August 1914. Müller, Nation, S. 73. Zit. n. ebd., S. 71. The Times, 10. August 1914. Müller, Nation, S. 81. Verhey, Geist, S. 129. Zum Begriff des Karnevals: Ebd., S. 50–51, 144.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
V.2. Strukturelle Gleichrichtung der Presse Im Deutschen Reich begann die Tätigkeit der Zensurbehörden bereits vor Ausbruch des Krieges mit der Erklärung des Kriegszustandes. Erste Richtlinien über die Ausübung der Zensur ergingen am 31. Juli mit der „Bekanntmachung betreffend das Verbot von Veröffentlichungen über Truppen- oder Schiffsbewegungen und Verteidigungsmittel“29 und am 1. August mit dem an die Presse ausgegebenen ‚Merkblatt für die Presse‘.30 Dieses wurde in Berlin den Pressevertretern am Morgen des 1. August durch den Oberkommandierenden in den Marken, General von Kessel erläutert. Zu den von Kessel mit Handschlag begrüßten Anwesenden zählten auch Vertreter der sozialdemokratischen Presse – eine von den Zeitungen aller Parteirichtungen beachtete Geste nationaler Einheit. Kessel sagte den Journalisten zu, seine Befugnisse nicht rigoros zu handhaben, und appellierte an das vaterländische Gefühl der Pressevertreter.31 Am 3. August verlangte der Chef der Abt. III b Major Nicolai von Journalisten in Berlin: „Vertrauen, unbedingtes Vertrauen in unsere oberste Armeeleitung. Das weitere wird sich schon finden.“ Außerdem gab er die auch durch die Presse verbreitete Parole aus: „Der Generalstab wird mit seinen Meldungen auf keinen Fall Schönfärberei treiben. Er wird sachlich und offen alles sagen, was zu sagen ist. Wir sagen entweder nichts, aber wenn wir etwas sagen, ist es wahr.“32 Von Seiten der Presse fehlte es zunächst nicht an Einsicht in die Notwendigkeit einer Zensur, die zu befolgen als „Erfüllung einer vaterländischen Pflicht“ galt.33 In den ersten Monaten des Krieges ist daher eine „grundsätzliche Kooperationsbereitschaft der Presse“ mit den Zensurbehörden zu betonen, deren Arbeit als zwar unangenehme, aber unbedingt notwendige Selbstverständlichkeit akzeptiert wurde.34 Verärgerungen über die Zensur resultierten nicht aus ihrer grundsätzlichen Ablehnung, sondern aus den damit verbundenen Gängelungen, Drohungen und Ungleichbehandlungen. Für Verstimmung zwischen den verschiedenen Zensurstellen und der Presse sorgten zunächst vor allem Beschwerden über die Ungleichbehandlung der Presse und das Nichteinhalten von Zusagen durch das Militär.35 Neben den unmittelbaren Eingriffen der Zensurbehörde war die Arbeit der Presse durch eine Vielzahl von kriegsbedingten Änderungen gehemmt. So war die Lieferung ausländischer Zeitungen eingeschränkt, Kom29 30 31 32 33 34 35
Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, S. 63, Anm. 2. Ebd., S. 63–65. Abgedruckt in Vorwärts, 1. August 1914. Wolff, Oberkommando, S. 13; Jastrow, Kriegszustand, S. 51. Der Tag 388, 3. August 1914. Vgl. „Der Krieg und die Presse“, in: Zeitungs-Verlag Nr. 33 (14. 8. 1914), Sp. 1540. P.H., Pflichten der Presse, in: Deutsche Presse 34 (17. 12. 1914), S. 223. Raithel, Wunder, S. 305, 309, 313. Brief des Berliner-Lokal-Anzeigers an den Leiter der Nachrichtenabteilung des RMA Kapitän z. S. Löhlein (1. 9. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10269, fol. 17–18. Löhlein war bis Oktober 1914 Leiter der Pressbesprechungen im Reichstag.
V.2. Strukturelle Gleichrichtung der Presse
155
munikations- und Transportmittel standen nur noch eingeschränkt zur Verfügung, und Einberufungen führten in den Redaktionen zu personellen Engpässen. Als weitaus folgenreicher und nur schwer einzuschätzen für das journalistische Arbeiten erwies sich die Selbstzensur, die sich viele Journalisten und Herausgeber und weitere Mitarbeiter von Zeitungen auferlegten. In Berlin weigerten sich z. B. die Telefonistinnen, der Zensur nicht unterliegende Depeschen des Wolffschen Telegraphen Bureaus weiterzugeben, mit der Begründung, dass „es sich um unerlaubte politische Gespräche“ handelte.36 Das erste Verbot einer Berliner Tageszeitung erging am 22. August, als das OKM die Deutsche Tageszeitung verbot, da in einem Artikel der Bündnispartner Italien scharf angegriffen worden war.37 Im September traf es den Vorwärts zweimal: Am 21. wurde er für drei Tage verboten, und am 28. erging ein unbefristetes Verbot. Wie der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Eduard David beobachtete, zeitigte dieses allerdings keine besondere Verstimmung in der Arbeiterschaft: „von Entrüstung gegen die Militärzensur war nichts zu merken.“38 Bereits Ende August hatte das Kriegsministerium auf eine Verwarnung des Vorwärts gedrängt, da dort dessen „immer klarer hervortretende Art des Flaumachens“ auf Missfallen gestoßen war.39 Auch wenn Journalisten und Herausgeber klagten, dass die Zensur mit unerträglicher Härte ausgeübt würde, wurde von anderer Seite ihre weitere Verschärfung gefordert. Ende August äußerte der Berliner Polizeipräsident gegenüber dem Innenministerium seine Bedenken hinsichtlich der Sozialdemokratie und warnte vor der Freigabe des Vorwärts, da sich durch diesen nach wie vor der „Internationalismus“ als roter Faden zöge. Zwar würde die Zensur nicht in seine Zuständigkeit fallen, wohl aber die „Beobachtung der sozialdemokratischen Bewegung in der Reichshauptstadt.“ Daher forderte er angesichts der von der SPD ausgehenden Gefahr, die Pressezensur bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufrechtzuerhalten.40 Über die Auswirkungen der Zensur auf die Berichterstattung der Zeitungen notierte der Zeitungs-Verlag, Fachzeitschrift des Vereins Deutscher ZeitungsVerleger, bereits in der dritten Augustwoche: 36
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Vertrauliche Korrespondenz des Verbandes Deutscher Zeitungsverleger, Nr. 4 (n. d.), BA/MA RM 3, Nr. 10266, fol. 176. Wie andere Korrespondenzen ist auch die dieses Verbandes nur bruchstückhaft überliefert. M.[ann], Die Überwachung und Leitung der Presse in Kriegszeiten, BA/MA RM 3, Nr. 10294, fol. 37–38; Raithel, Wunder, S. 303, Anm. 176. Allerdings war dort unbekannt, dass der Artikel durch den Generalstab angeregt worden war, so dass das Verbot vor allem die Versäumnisse verschiedener an der Zensur beteiligten Stellen offen legte. Ein Offizier des Reichsmarineamtes notierte: „Selbstverständlich ist dieses Vorkommnis in Berlin in weiten Kreisen bekannt geworden und wird nicht sehr freundlich besprochen.“ M.[ann], Die Überwachung und Leitung der Presse in Kriegszeiten, BA/MA RM 3, Nr. 10294, fol. 26–40. David, Kriegstagebuch, S. 46 (1. 10. 1914). Schoen, Vorwärts, S. 97, 122. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, S. 306.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Das Publikum, die Leser stehen vor einer Tatsache, die in ihrer plötzlich eingetretenen Wirkung das bisher Gewohnte hinter eine hohe unübersteigbare Mauer zu stellen scheint. Spärlich und tropfenweise gibt der Nachrichtenapparat seine Meldungen den tausenden von lauschenden Ohren kund: tagelang nach den Ereignissen erst und dann noch in grausamer Kürze.41
Ursache der restriktiven Informationspraxis des Militärs gegenüber der Presse war nicht allein Geheimniskrämerei und die Abschottung militärischer Vorgänge vor verräterischen Augen und Ohren. Denn einerseits fanden in den ersten Wochen des Krieges schlicht keine militärischen Ereignisse statt, die eine Entscheidung herbeiführen konnten, andererseits übte das Militär nicht nur gegenüber der Presse Zurückhaltung. Kurt Riezler, Privatsekretär des Reichskanzlers, beklagte Mitte August im Großen Hauptquartier: „Über die Kriegslage nichts zu erfahren, die Militairs schweigen absolut.“42 In der Pressebesprechung im Reichstag betonte Anfang September Major Deutelmoser, Chef der Presseabteilung der StAbt. III b: „Dem Wunsch der Öffentlichkeit, mehr zu wissen, entspricht der Wunsch der Heeresleitung, mehr mitzuteilen.“ Allerdings entwickelte sich ihm zufolge das Kriegsgeschehen mit einer solchen Geschwindigkeit, dass auch die militärische Führung kaum etwas wüsste: „Korpskommandos, Armeekommandos, die oberste Heeresleitung befinden sich in einer aufsteigenden Linie der Unbekanntschaft mit dem Verlaufe im Einzelnen.“43 Schon in den ersten Kriegswochen entwickelte sich aus der Zensur militärischer Angelegenheiten eine politische Zensur und bald war die Wahrung des Burgfriedens eine der wichtigsten Aufgaben der Zensur. So wurden mit einer Zensuranweisung bereits Mitte August Angriffe auf politische Gegner verboten.44 Einem generellen Verbot unterlagen nur die Publikationen antikatholischer, antisemitischer und antisozialdemokratischer Organisationen, und die Zensuroffiziere zeigten sich noch bemüht, alle die nationale Geschlossenheit spaltenden Äußerungen gleich zu behandeln.45 Aber schon bald wurde z. B. der Redaktion des Vorwärts eröffnet, dass die Zeitung zwar zunächst allen Erwartungen entsprochen hätte, zuletzt aber mehrere Artikel „mit dem allgemeinen patriotischen Empfinden nicht im Einklange“ gestanden hätten. Das OKM erwartete, dass dieser Hinweis genügte, um „die Haltung des Blattes einwandfrei zu gestalten.“46
41 42 43 44
45 46
Zeitungs-Verlag, Nr. 34 (21. 8. 1914), Sp. 1549–1550. Riezler, Tagebücher, S. 196 (Bad Ems, 18. 8. 1914). Am 16. 8. 1914 war das GHQ von Berlin nach Koblenz verlegt worden. Berliner Lokalanzeiger 449, 4. September 1914. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 1, Nr. 79, S. 193. Vgl. Raithel, Wunder, S. 303, 493. Über den Begriff ‚Burgfrieden‘ s. a. Verhey, Geist, S. 239, Anm. 29; Müller, Nation, S. 82–83. Verhey, Geist, S. 240. BA R 43, Nr. 2437 c, fol. 61. Bis Ende September waren nicht nur in Berlin, sondern auch in Bayreuth, Danzig, Mülhausen (Elsass) und Bochum Zeitungen der SPD verboten worden. Protokoll der Sitzung des Parteiausschusses der SPD (27. 9. 1914), in: Protokoll über die Verhandlungen, Bd. 1, S. 95.
V.2. Strukturelle Gleichrichtung der Presse
157
Thomas Raithel spricht angesichts der „Uniformierung und Reduzierung politischer Öffentlichkeiten“ von einer strukturellen Gleichrichtung in den ersten Wochen des Krieges.47 Zwar trug nach Einschätzung des zuständigen Bearbeiters im Innenministerium von Berger die Zensur dazu bei, bereits entstehende politische Differenzen einzudämmen.48 Jedoch wurde für die Wahrung des Burgfriedens ein hoher Preis bezahlt, dessen Konsequenzen im Herbst 1914 noch nicht absehbar waren. Denn wie von Berger beobachtete, rief die Zensur eine „Monotonie der Presse“ hervor.49 Fraglich ist, ob die Auswirkung der Zensur so weit ging, wie der ehemalige Reichskanzler von Bülow gegenüber Theodor Wolff betonte, dass die Deutschen „von der Außenwelt wie durch einen eisernen Vorhang abgeschlossen“ wären und in einem Zustand totaler Ahnungslosigkeit lebten.50 Anders als im Deutschen Reich trat im Königreich eine Zensur der Presse erst nach dem Kriegseintritt in Kraft. Am 10. August, fast eine Woche nach der Kriegserklärung, nahm das Press Bureau seine Arbeit auf. Weitere Unterschiede bestanden darin, dass mit Ausnahme von Angriffen aus der Luft und von der See das Königreich nicht unmittelbar bedroht war. Britische Streitkräfte waren in den ersten drei Wochen des Krieges lediglich an kleineren Gefechten in der Nordsee beteiligt. Die wichtigste Aufgabe der Zensur war daher die Geheimhaltung der Entsendung der britischen Armeen an die Front. In den ersten vier Tagen des Krieges gaben weder die Admiralität noch das War Office Informationen irgendeiner Art aus, allein das Admiralty, War Office and Press Committee verschickte eine Anzahl von Rundschreiben an Herausgeber.51 Auch das erste Kommuniqué des Press Bureau, das am 11. August erschienen war, konnte die Nachfrage der Presse nach Nachrichten nicht stillen. Die Times bemängelte, dass die zur Verfügung gestellten Informationen bekannt und bereits von anderen Zeitungen veröffentlicht worden wären.52 Nachdem britische Zeitungen fast drei Wochen lang fast nichts über das Kriegsgeschehen in Belgien und Nordfrankreich berichtet hatten, erschien am 30. August in der Sunday Times ein Aufsehen erregender Artikel über den britischen Rückzug. F. E. Smith, Leiter des Press Bureau, überarbeitete persönlich eine dem Press Bureau vorgelegte Depesche des Korrespondenten der Times. Aber anders als von der Zeitung erwartet, wurde die drastische Schilderung nicht gekürzt, sondern von Smith mit Zusätzen versehen, in denen dieser auf eine Verstärkung der britischen Truppen drängte („men, men and yet more men“).53 47 48 49
50 51 52 53
Raithel, Wunder, S. 309, 297. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20, fol. 2. Stimmungsbericht des Innenministeriums für Oktober 1914 (3. 11. 1914), GStA Rep. 90/2681, fol. 26–27. Bereits Ende August hatte ein Offizier des Reichsmarineamtes die Farblosigkeit der meisten Zeitungen beklagt. M.[ann], Die Überwachung und Leitung der Presse in Kriegszeiten (24. 8. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10294, fol. 33. Sösemann (Hrsg.), Wilhelminische Epoche, S. 30. Rose, Aspects, S. 14. Farrar, News, S. 5. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 89–90.
158
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Erst durch dieses Eingreifen Smiths wurde die britische Öffentlichkeit auf die prekäre Lage der britischen Streitkräfte in Belgien aufmerksam. Denn fast drei Wochen lang hatten die Zeitungen nur vage Andeutungen der drohenden Niederlage der Alliierten abgedruckt. Im Unterhaus mussten sich Asquith und Smith für das Vorgehen des Press Bureau rechtfertigen. Nachdem zunächst nur das Verhalten der Times kritisiert worden war, machte sein Auftreten im Parlament Smith untragbar, da er sich in Widersprüche verwickelte und die Verantwortung für den erschienen Artikel auf die Times abwälzen wollte.54 Mit der Diskussion um das Verhalten Smiths kulminierte die immer schärfer werdende Kritik an der Zensur. Bereits in der vierten Kriegswoche erschien der Presse die Zensur unerträglich, und ihre Vertreter bemühten sich bei der Regierung um Abhilfe. Die zunehmende Kritik richtete sich nicht allein gegen den Kriegsminister, der für die Zensur verantwortlich gemacht wurde, sondern auch gegen das Press Bureau.55 Über alle Parteigrenzen hinweg wurde die Kritik an der Zensur immer schärfer. In einem Leserbrief an die Morning Post protestierte der konservative Lord Milner: in view of the determination of our own Government to treat this singularly patient & reasonable people like an infant school & to keep them in the dark about events that vitally affect our national existence [...]. The worst of it is the concealing of material facts, like the childish & withal extremely cruel juggling with the casualty lists, entirely defeats its own object. The intention is no doubt to prevent discouragement & panic. But the British are no panicky people. They are prepared to take hard knocks, & these will only stiffen their resolution to see the thing through.“56
Als erschwerend für eine problemlose Zusammenarbeit von Zeitungen und Zensur erwies sich der Verzicht des britischen Militärs auf eine offizielle Berichterstattung. Besondere Kritik rief die von Kitchener erzwungene Nichtentsendung offizieller Kriegsberichterstatter an die Front hervor. Diese Beschränkung führte dazu, dass sich britische Zeitungen in Ermangelung substantieller Nachrichten gezwungen sahen, alles zu drucken, was den Anschein einer Neuigkeit erweckte.57 Eines der bekanntesten Beispiele für den Zusammenhang zwischen Zensurmaßnahmen und dem Entstehen von Gerüchten ist die Geheimhaltung der Versenkung eines der modernsten Schlachtschiffe der Royal Navy. Am 27. Oktober sank die ‚Audacious‘, nachdem sie vor der Ostküste Irlands auf eine Mine gelaufen war. Die Admiralität versuchte, den Verlust geheim zu halten und gab ihn erst nach dem Krieg offiziell bekannt. Als Churchill am 28. Oktober diesen Wunsch nach Geheimhaltung dem Kabinett vortrug, stimmte dieses erst nach einer hitzigen Debatte zu, in der sich neben dem Premierminister vor allem Lloyd Geor-
54 55 56 57
HC 66 (31. 8. 1914), Sp. 372–374; HC 66 (31. 8. 1914), Sp. 453–511; HC 66 (10. 9. 1914), Sp. 726–752. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 89 (25. 8. 1914). Morning Post, 5. September 1914; Brief Lord Milners an Gwynne (3. 9. 1914), Wilson (Hrsg.), Rasp of War, Nr. 12, S. 28–29. Gibbs, Adventures, S. 217.
V.2. Strukturelle Gleichrichtung der Presse
159
ge gegen die Verheimlichung ausgesprochen hatte.58 Bereits am Tag der Versenkung hatte eine Zeitung davon erfahren, und das Kabinett ersuchte Churchill, den Herausgeber unter Androhung eines Kriegsgerichtsverfahrens aufzufordern, seine Quellen zu nennen.59 Bemühungen um eine Geheimhaltung wurden nicht unerheblich dadurch erschwert, dass der Untergang von über tausend Passagieren des passierenden Liners ‚Olympic‘ beobachtet werden konnte, die das Ereignis auch photographierten. Bereits unmittelbar nach der Versenkung wurde in Regierungskreisen davor gewarnt, dass die Versenkung kaum geheim gehalten werden könnte, und Asquith nannte sie ein offenes Geheimnis.60 Am 14. November veröffentlichte eine amerikanische Zeitung ein Photo der sinkenden ‚Audacious‘, und im weiteren Verlauf des Krieges berichteten auch amerikanische Marinezeitschriften über den Vorfall, so dass er in keinerlei Weise mehr ein Geheimnis darstellte.61 Nachdem die Times am 4. Dezember einen Leserbrief veröffentlichte, der diese Geheimniskrämerei der Admiralität beklagte, reagierte am gleichen Tag das Press Bureau mit einer D-Notice, in der es auch für die Zukunft auf eine Nichtveröffentlichung drängte.62 Tatsächlich führte die misslungene Geheimhaltung in weiten Kreisen der Bevölkerung zu Verunsicherungen und weckte Zweifel an der offiziellen Berichterstattung. Wie schnell sich die Nachricht in der Bevölkerung verbreitet hatte, wird daran deutlich, dass die Mannschaft der ‚Audacious‘, die das Unglück unbeschadet überlebt hatte, sofort mit Nachfragen besorgter Angehörige bestürmt wurde.63 Die Besatzung war angewiesen worden, zu antworten, dass es ihr gut ginge und ihr Schiff seinen Aufgaben nachkäme. Am 8. Dezember notierte Margot Asquith, die Ehefrau des Premierministers, in ihrem Tagebuch, dass die Verheimlichung dazu führte, dass in weiten Kreisen über weitere Rückschläge zur See spekuliert würde, die ebenfalls geheim gehalten worden wären.64 In konservativen Kreisen wurde Ende November sogar befürchtet, dass der Untergang auf irische Nationalisten zurückzuführen sei.65 Die Verheimlichung der Versenkung der ‚Audacious‘ führte in Pressekreisen zu heftiger Kritik an Churchill, dem wiederholt Überschreiten seiner Zuständigkeiten vorgeworfen wurde. Schon in den vorangegangen Wochen hatte das Vertrauen der Briten in die Royal Navy abgenommen, von der seit Ausbruch 58
59 60 61 62 63 64 65
Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 141. Über die Kabinettssitzung s. a. David (Hrsg.), Inside Asquith’s Cabinet, S. 203 (28. 10. 1914). Für die Royal Navy war die Geheimhaltung der Versenkung gegenüber der Kaiserlichen Marine von größter Wichtigkeit. Denn gleichzeitig waren vier moderne Schlachtschiffe reparaturbedürftig und daher nicht einsatzfähig sowie zwei Neubauten noch nicht in Dienst gestellt, so dass nur 17 britische 15 deutschen Schlachtschiffen gegenüber standen. Wilson, Myriad Faces, S. 79–80. Jellicoe, Grand Fleet, S. 152–153; Brownrigg, Indiscretions, S. 32–34. Brock und Brock (Hrsg.), Asquith, Nr. 193, S. 295 (29. 10. 1914). Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 142. Cook, Press in War Time, S. 148–149. D-Notice, Nr. 109 (4. 12. 1914)), PRO HO 139/43/164. Zit. n. Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 142. Brock und Brock (Hrsg.), Asquith, S. 299, Anm. 11.
160
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
des Krieges entscheidende Seeschlachten und nichts anderes als triumphale Siege erwartet wurden.66 Die misslungene Verteidigung Antwerpens, die auf Churchill persönlich zurückging, schwächte das öffentliche Ansehen der Marine und des Ersten Lords der Admiralität weiter, und Mitte Oktober griffen Morning Post, Daily Mail und Times Churchill heftig an.67 Auch innerhalb des Kabinetts sorgten die Daily Mail und die Times für Unstimmigkeiten. Der Direktor des Press Bureau beschuldigte deren Herausgeber Northcliffe, amerikanische Zeitungen gegen ihn aufzubringen, und beklagte sich, dass Churchill und Kitchener davor zurückschreckten, diesen vor ein Kriegsgericht zu stellen.68 Am 6. November diskutierte das Kabinett die Frage, ob gegen Times und Daily Mail Kriegsgerichtsverfahren eingeleitet werden sollten.69 Anders als im Deutschen Reich unterlagen die Zeitungen noch keinen Sanktionen, die über Beschwerdebriefe des Press Bureau hinausgingen. Ende September teilte das Press Bureau dem War Office mit, dass sich die Presse bislang loyal und verantwortungsbewusst verhalten hätte und dass die wenigen Verstöße nicht auf absichtsvolles Verhalten zurückzuführen wären.70 Zwar gab es Versuche, gegen einzelne Zeitungen mit rechtlichen Mitteln vorzugehen, doch endeten diese, ohne dass ein Verfahren eingeleitet wurde.71 Da die Arbeit der Zensurbehörden der Presse nur einen Rahmen vorgab, den diese durch ihre Berichterstattung auszufüllen hatte, verblieb den Herausgebern und Journalisten in Fragen der Berichterstattung ein hohes Maß an Verantwortung. Nur vereinzelt waren militärische Ereignisse Gegenstand einer D-Notice.72 Wie weit rechtsstaatliche Überlegungen die Arbeit der Zensur beeinflussten, zeigt das folgende Beispiel: In dieser frühen Phase des Krieges unternahm die britische Regierung noch keine dauerhaften Bemühungen, die Zensur auf politische Themen auszudehnen. Ende September 1914 teilte der Director of Public Prosecutions dem Home Office mit, dass dessen Wunsch nach der Einleitung eines Verfahrens wegen Aufhetzung („sedition“) gegen die sozialistische Tageszeitung Labour Leader nicht entsprochen werden könne. Ein Verfahren habe so lange als unklug zu gelten, wie es nicht zwingend würde. Davon könne aber in dem vorliegenden Fall keine Rede sein, da die enorme Zahl von Freiwilligen beweise, dass die Agitation des Labour Leader und anderer Zeitungen gegen die für die britische Kriegführung unverzichtbare Rekrutierungskampagne folgenlos geblieben sei und somit keine rechtliche Grundlage für ein Verfahren beste66 67 68 69 70 71
72
Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 144. McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 92 (22. 10. 1914); Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 125–127. Ebd., S. 94 (5. 11. 1914), 95 (10. 11. 1914); Thompson, Politicians, S. 34–35. David (Hrsg.), Inside Asquith’s Cabinet, S. 206. Buckmaster an Brade (26. 9. 1914), PRO HO 139/24/99. Im Newspaper Press Directory werden für das Jahr 1914 keine Verfahren gegen Zeitungen aufgeführt. „The Trend of the Modern Press“, in: Newspaper Press Directory 70 (1915), S. 18–19. So wurde am 7. September die Veröffentlichung der Versenkung des Kreuzers ‚Pathfinder‘ als unerwünscht erklärt. D-Notice Nr. 24 (7. 9. 1914), PRO HO 139/43/164.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
161
he.73 Die Pressezensur wurde in Großbritannien sowohl in Presse und Parlament als auch innerhalb der Regierung kontrovers diskutiert. So wurde in der gesamten Presse das Verbot offizieller Kriegsberichterstatter bitter beklagt.74 Anders als im Deutschen Reich konnte sich diese Diskussion öffentlich und ohne Interventionen der Zensur entwickeln. Einen erheblichen Beitrag leistete dazu der Umstand, dass das britische Parlament nahezu ununterbrochen tagte im Unterschied zum Reichstag, der sich nach seiner Sitzung am 4. August vertagt hatte und erst im Dezember wieder zusammentrat. Obwohl es durch die Ausnahmegesetzgebung in seiner Eigenschaft als Legislative nur eingeschränkt arbeiten konnte, blieb es dennoch Ort des politischen Geschehens, in dem alle Fragen des politischen Lebens angesprochen wurden.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung V.3.1. Berlin: „Für alles finden sich Augenzeugen“ Zeitungen waren in den ersten Wochen des Krieges nicht nur eine viel gesuchte Lektüre, sondern prägten auf vielfältige Weise das Berliner Straßenbild. Neben Redaktionen und Büros, vor denen die neuesten Nachrichten ausgehängt wurden, zogen auch die Zeitungsverkäufer Menschenmassen an. Am 26. Juli flauten Unter den Linden die Menschenmassen erst ab, als gegen 22:00 der „Depeschensaal“ des Berliner Lokalanzeigers geschlossen wurde.75 Die Ausgabe der ersten Extrablätter mit der Nachricht der Mobilmachung führte vor dem Gebäude des Berliner Tageblattes zu „turbulente[n] Szenen.“ Jene, die ein Exemplar erkämpfen konnten, lasen den anderen vor.76 Eine Flut von Extrablättern und Sonderausgaben warb mit reißerischen Schlagzeilen um Leser. Schusswechsel zwischen kleineren Einheiten wurden zu Schlachten aufgebauscht und als Anlass genommen, anzukündigen, dass die Kriegsentscheidung bevorstünde. Erst am 12. August bestimmte das OKM, dass als Extrablätter nur Meldungen des Wolffschen Telegraphen Bureau verbreitet werden durften, und verbot die Herausgabe jeglicher Sonderausgaben.77 Aber auch die somit gleichförmiger gewordenen Extrablätter verloren für ihre Leser nicht an Bedeutung. Am 23. August beobachtete Eduard David vor dem Büro des Berliner Lokalanzeigers Unter den Linden: „Furchtbares Gedränge, in dem kein Flugblatt heil in die Hände der Kämpfenden gerät.“78 73 74 75 76 77 78
PRO HO 144/10741/263275. Z. B. HC 66 (31. 8. 1914), Sp. 464; The Star, 19. 8. 1914. Bericht der XI. Polizeihauptmannschaft über die Umzüge am 27. 7. 1914 (28. 7. 1914), BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 31. Berliner Tageblatt 384, 31. Juli 1914. „Eine Warnung vor falschen Gerüchten“, in: Vorwärts 218, 12. August 1914. Vgl. Vorwärts 202, 27. Juli 1914). David, Kriegstagebuch, S. 21.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Das Verlangen nach den allerneuesten Nachrichten war so groß, dass die Menschen in die Innenstadt eilten, um sich dort zu informieren. In der Erwartung, dort Extrablätter lesen zu können, versammelten sie sich an den entscheidenden Orten, z. B. vor dem Schloss oder in der Wilhelmstraße. Thomas Raithel konstatierte für Berlin „den Willen, an geschichtlichen Ereignissen unmittelbar teilzuhaben.“79 Als die Mobilmachung immer noch nicht erklärt worden war, konnte auch der Oberbürgermeister von Schöneberg, Alexander Dominicius, am 31. Juli seine „Ungeduld nicht länger bemeistern“ und fuhr in die Innenstadt.80 Wiederholt suchte die Leserschaft den direkten Kontakt zu den Redaktionen. In den ersten Kriegsmonaten konnten sich die Zeitungen vor unverlangt eingesandten Beiträgen kaum retten. Schließlich wurden die Militärbehörden von den Zeitungen zur Zensur aufgefordert, um diese nicht drucken zu müssen.81 Das Berliner Tageblatt appellierte an Angehörige von Soldaten, nicht an den Generalquartiermeister zu schreiben, um sich nach deren Aufenthaltsort zu erkundigen.82 Denn da in den ersten Kriegswochen die Feldpost nur unbefriedigend arbeitete, fehlten häufig Nachrichten und Lebenszeichen von Angehörigen.83 Angesichts ihres unbefriedigten Informationsbedürfnisses bemühten sich viele Berliner und Berlinerinnen, es auch durch andere Quellen als Zeitungen zu stillen. In Berlin betonte das Wolffsche Telegraphen Bureau, dass es „durch telephonische Anfragen über wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Ereignisse“ in seiner Arbeit „auf das empfindlichste gestört“ würde, und erklärte sich außerstande, „Abonnements auf telephonische Verbreitung“ zu übernehmen. Die Verbreitung von Nachrichten wäre Aufgabe der Presse.84 Um die „Flut der abenteuerlichsten Nachrichten“ einzudämmen, schlug die BZ am Mittag vor, „Dementiertelephone“ einzurichten: Telefonämter sollten Auskunft geben, ob bestimmte Nachrichten offiziell bestätigt werden könnten. Eine solche Maßnahme würde dazu führen, „Ruhe und Würde unseres Straßenlebens am besten aufrechtzuerhalten, und sie wird auch gewiß dazu führen, daß gewisse, recht wenig erfreuliche Preßerzeugnisse sehr bald vom Erdboden verschwinden.“85 Als „Lügenecken“ bezeichnete die Presse jene Orte, an denen man sich im Zentrum Berlins versammelte, um auf die neuesten Zeitungen zu warten und sich über sensationelle Neuigkeiten auszutauschen. Für die BZ am Mittag war die Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Str. schlicht eine „hysterische Ecke.“86 Dort geriet die „kochende Volksseele in die wildeste Siedehitze; hier 79 80 81
82 83 84 85 86
Raithel, Wunder, S. 226. LAB E Rep. 200-41, Nr. 5, fol. 2. Ulrich, Feldpostbriefe, S. 80, Anm. 28. Zuschriften an die Presse sind nur in den seltensten Fällen überliefert. Anders als in britischen Zeitungen war eine Rubrik Leserbriefe kein fester Bestandteil der deutschen Tagespresse. Berliner Tageblatt 439, 31. Juli 1914. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 15. August 1914. Berliner Tageblatt 430, 25. August 1914. Paul Schlesinger, „Das Dementiertelephon“, in: BZ am Mittag, 11. August 1914. BZ am Mittag, 11. August 1914.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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schlägt eine im Grunde edle und freudig zu begrüßende Gesinnung ins Parodistische um; hier wird ein ums andere Mal Vernunft Unsinn, Wohltat Plage.“87 Eine Kölner Zeitung berichtete von den Berliner Lügenecken. Man verwies auf die „Phantasietätigkeit der [in der Heimat] Zurückgebliebenen [...]. Sie sind nervös, überreizt [...] und ohne inneren Zusammenhang mit dem, was sie noch vor vier Wochen für allein wichtig hielten.“88 Für die Vossische Zeitung waren die Lügenecken eine „Stätte der buntesten und verwegensten Münchhausiaden.“89 Dem als mürrisch und maulfaul geltenden Berliner wurde sogar nachgesagt, sich in sein Gegenteil verwandelt zu haben: „Er befreundet sich, sucht und findet Aussprache, debattiert, kannegiessert ein bisschen, erzählt nicht nur, was gestern gewesen ist, sondern auch was morgen sein wird, hat immer etwas Neues gehört von einem, ‚der es ganz genau weiß‘ und ist plötzlich ein umgängliches, höfliches und rücksichtsvolles Wesen geworden.“90 Unter dem Eindruck des Krieges verwandelten sich anonyme Stadtzentren in Momente der Kommunikation unter Fremden.91 Orte verdichteter Kommunikation waren Gaststätten und Cafés: „Die Wirtshäuser sind voll, daß es oft schwer fällt, Platz zu finden, die Kaffeehäuser sind mehr noch als früher Zusammenkunftsorte politisierender Männer und plaudernder Frauen geworden.“92 Die Vossische Zeitung betonte das „veränderte Verhältnis der Berliner zu ihren Plätzen.“93 Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung verortete Gerüchte „namentlich in den Straßenbahnwagen, auf der Hochbahn, in Restaurants und öffentlichen Orten. Selbst innerhalb der Häuser werden solche Dinge kolportiert.“94 Kuno Graf Westarp, 1914 Vorsitzender der Deutschkonservativen Reichstagsfraktion, betont in seinen Erinnerungen, dass die „Besprechung der politischen Fragen unter vier Augen und im kleinen Kreis“ einen „gewaltigen Umfang“ angenommen hätte. Er erinnerte sich, dass nicht immer die notwendige Verschwiegenheit gewahrt wurde: „Das Bedürfnis, sich auszusprechen, vor allem aber wohl doch die Eitelkeit, gut unterrichtet zu sein, führte dazu, daß Tatsachen und Gerüchte sich von Mund zu Mund in rasendem Tempo verbreiteten und vergrößerten.“95 Aber vor allem der Straße wurde in der Presse eine gänzlich andere Bedeutung für das Alltagsleben zugesprochen. Eine große Illustrierte stellte fest: „Bis hierher gehörten wir der Straße, jetzt gehört die Straße uns. Die Raumweite 87
88 89 90 91 92 93 94 95
Vossische Zeitung 406, 12. August 1914. Vgl. Kölnische Zeitung, 15. August 1914. Der Arzt Albert Moll erinnerte 1915 an die „berüchtigte hysterische Lügenecke“ am Kurfürstendamm. Moll, psychopathologische Erfahrungen, S. 75. Kölnische Zeitung, 15. August 1914. Vossische Zeitung 406, 12. August 1914. Berliner Tageblatt 484, 23. August 1914. Raithel, Wunder, S. 465. Scheffler, Berlin, S. 189. Vossische Zeitung 417, 18. August 1914. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 9. August 1914. Westarp, Konservative Politik, Bd. 2, S. 11.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
zwischen den Häusern ist da, damit wir uns versammeln, demonstrieren, Nachrichten lesen und auf Nachrichten warten können; der Fahrdamm hat seine Asphaltdecke, damit man Extrablätter von ihr aufheben kann.“96 In der Hauptstadt wurden offizielle Nachrichten nicht nur durch die Presse verbreitet. Von allerhöchster Seite wurde die Nachrichtenvermittlung von Mund zu Mund unterstützt. Der Kaiser hatte am 7. August persönlich die schnelle Bekanntgabe der Einnahme von Lüttich durch Schutzleute befohlen, und zwanzig berittene Schutzleute verkündeten die Nachricht in der ganzen Stadt.97 Siegesnachrichten prägten neben dem Straßenleben das gesamte Erscheinungsbild der Stadt: Auch in Arbeitervierteln wurden gegen Ende August Häuser mit der deutschen und der preußischen Fahne geschmückt. Wurden Siegesmeldungen bekannt, läuteten in der ganzen Stadt Kirchenglocken. Aber auch diese hatten das Potential, für Falschmeldungen zu sorgen: Der SPD Politiker Hermann Molkenbuhr berichtet in seinem Tagebuch, wie das Glockengeläut einer Beerdigung als Anzeichen für weitere Siegesnachrichten gedeutet wurde.98 Ein erster Indikator für eine zunehmende Unruhe in der Berliner Bevölkerung war der am 27. Juli 1914 einsetzende so genannte ‚Sturm auf die Sparkassen‘. Bereits in den vorangegangenen Jahren hatten außenpolitische Krisen zu kurzfristig erheblich gesteigerten Abhebungen geführt.99 Am 27. Juli verschärfte die österreichische Kriegserklärung an Serbien die internationale Krise.100 Zwischen dem 27. Juli und dem 8. August 1914 wurden 10,5 Millionen Mark allein von den Konten der Berliner Sparkasse abgehoben. Zwar handelte es sich angesichts der Summe der Einlagen um unbedeutende Beträge, doch war das Vertrauen in Banken und Sparkassen für einige Tage erschüttert. Nach Bekanntgabe der Mobilmachung gingen sowohl die Zahl als auch die Summe der Abhebungen zurück und erreichten mit dem Ende der ersten Augustwoche das Niveau vor Beginn der Krise. Über die soziale Zusammensetzung der Abhebenden ist nur wenig bekannt. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung vermutete unter ihnen mehrheitlich die Inhaber kleinerer Konten und Berlins Oberbürgermeister Wermuth führte die Panikabhebungen auf eine „gewisse Angst und Kopflosigkeit mancher kleiner Leute“ zurück.101 Die Motive für diese überstürzten Abhebungen sind im Einzelnen unklar, in der Presse und in den Veröffentlichungen der Sparkassen wird Angst vor Beschlagnahme der Guthaben durch den Staat und mangelndes Vertrauen in die Banken angeführt.102 Bei den massenhaften Abhebungen handelte es sich um Verhaltensformen, die im Gegensatz zu den offiziell verbreiteten Empfehlungen standen. Eine Vielzahl 96 97 98 99 100 101 102
„Die Straße“, in: Zeit im Bild 33 (13. 8. 1914), S. 1665. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 64; Vorwärts, 8. August 1914. Braun (Hrsg.), Arbeiterführer, S. 237–238. Götting, Kritische Zeiten, S. 361. „Ansturm auf die Sparkassen Groß-Berlins“, in: Berliner Tageblatt 376, 27. Juli 1914. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 31. Juli 1914. Stellungnahmen der Sparkassen in Schöneberg, Charlottenburg und Teltow, in: Reusch, Panik, S. 367.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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von Menschen kam zu Einschätzungen der Lage, die nicht im Einklang mit den verbreiteten Bewertungen durch die Presse standen. Verlautbarungen und Aufrufen wurde kein Glauben mehr geschenkt, so dass der Sparkassen-Verband empfahl, die Leiter der Sparkassen oder Bürgermeister direkt zu den Sparern sprechen zu lassen, da Zeitungsmeldungen „nicht mit der nötigen Wirkung bis zu allen erregten Schichten“ durchdrängen.103 Das Beispiel der so genannten ‚Panikabhebungen‘ zeigt, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung der Berichterstattung der Presse und den offiziellen Verlautbarungen skeptisch gegenüber stand.104 Die Verunsicherung der Bevölkerung endete nicht mit dem Beginn der Kampfhandlungen, im Gegenteil: In den ersten Kriegswochen zählte der Kriegsverlauf zu den häufigsten Themen der Gerüchte. Aber die Zeitungen konnten, abgesehen von der Einnahme der Festung Lüttich am 7. August in den ersten Kriegswochen von den Grenzen nur unbedeutende Scharmützel berichten. Schon bald beobachtete Theodor Wolff angesichts der enttäuschten Erwartungen bezüglich einer Entscheidungsschlacht ein Nachlassen der „Festigkeit der Stimmung“: „Noch immer keine Verlustliste von Lüttich, und die Gerüchte über die Totenziffer werden immer übler. Die Geheimniskrämerei mißfällt überall. Im Volk ist man überzeugt, daß Lüttich ein voller Erfolg war, in anderen Kreisen fragt man, wieviel Forts sich noch halten.“105 In den ersten Kriegswochen verwiesen Tagebucheinträge wie „Noch keine Entscheidung“ auf die weit verbreitete Hoffnung auf einen schnellen Sieg.106 Wiederholt mussten Zeitungen der von ihnen geschürten Erwartungshaltung entgegentreten, die eine, alles entscheidende Schlacht stehe unmittelbar bevor. Tag um Tag mussten sie einräumen, dass sie angesichts des ihnen zur Verfügung stehenden Nachrichtenmaterials nicht in der Lage wären, dieses Informationsbedürfnis zu befriedigen. Mehrfach wurde die Leserschaft für ihren Sensationshunger getadelt: „Noch eine Weile Geduld“ mahnte der Berliner Lokalanzeiger am 15. August. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Eduard David notierte in seinem Tagebuch: „Von Tag zu Tag wächst die Erwartung auf eine große Entscheidung. Eine dumpfe Spannung liegt im Untergrund der Seele. Jetzt erfährt man, was Massenpsychosen sind. Gemeinsame Furcht, Hoffnung, Schmerz, Jubel greifen mit elementarer Macht den einzelnen und zwingen ihn in die Richtung der Umgebung.“107 Als schließlich am 22. August der Berliner Lokalanzeiger einen deutschen Sieg bei Metz meldete, kommentierte die Redaktion: „Zu Ende ist die Zeit des bangen Fragens, des heimlichen Tuschelns, daß wohl etwas nicht stimme.“108 Eduard David notierte nach der Siegesnachricht „Man atmet auf.“109 Die Nachrichten 103 104 105 106 107 108 109
Götting, Kriegsmaßnahmen, S. 310–311. Dies belegen auch der misstrauische Umgang mit Papiergeld und die vielen Hamsterkäufe. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 77 (14. 8. 1914). David, Kriegstagebuch, S. 19 (20. 8. 1914). Ebd., S. 18 (18. 8. 1914). Berliner Lokalanzeiger 424, 22. August 1914. David, Kriegstagebuch, S. 20 (21. 8. 1914).
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
über die erfolgreiche Abwehr der französischen Offensive in mehreren Grenzschlachten führte zu großen Jubelkundgebungen in Berlin, und in den Zeitungen aller Parteirichtungen herrschte breiter Optimismus über den Ausgang des Krieges: „Im Grund wird da nur noch über das Mehr oder Minder gekämpft.“110 Bereits am Abend des 19. August 1914 hatte sich in Berlin das Gerücht verbreitet, die nordfranzösische Stadt Nancy sei eingenommen worden: „Wie von einem elektrischen Strom gefaßt, ballen sich die Menschen an verschiedenen Stellen des Platzes zusammen. Durch die ganze Stadt geht ein Zittern; eine bis zur Explosion ansteigende Spannung hält alle in Bann.“111 Die Redaktion des Berliner Tageblatts wurde daraufhin von Anfragen bestürmt, und der Generalstab erklärte dessen Chefredakteur Theodor Wolff, dass das Gerücht völlig aus der Luft gegriffen sei.112 Nachdem die Nachricht mehrfach durch Schutzleute weiterverbreitet wurde, verbot am 20. August das OKM das Weitergeben von Nachrichten durch Schutzleute ausdrücklich und erlaubte lediglich das Anschlagen der Nachrichten.113 Dagegen wehrte sich der Polizeipräsident und stellte fest, dass die Schutzleute im Gegenteil „ganz ausgezeichnet dem Gerüchtetragen mit der Erklärung entgegengewirkt“ hätten. Nach seinen Informationen besagte das Gerücht, dass die Kaiserin vom Balkon des Schlosses sowie ein Generalstabsoffizier Unter den Linden den Fall Nancys verkündet hätten. Nach seiner Einschätzung waren diese Gerüchte „zum Teil böswillig geschaffen worden, um der in ihrem Erwerbsinteresse beeinträchtigten Presse Handhabe zum Ansturm zu bieten.“114 Wichtiger als die schnelle Verbreitung von Meldungen sei es, auszuschließen, dass falsche Nachrichten verbreitet würden.115 Der Vorwärts vermutete hinter dem Gerücht ein Missverständnis bei der Bekanntgabe der Nachrichten durch die Schutzleute. Der Zeitung galt das Verhalten der Polizisten als Beispiel dafür, dass Gerüchte auch „ohne Böswilligkeit und feindliche Machenschaften“ verbreitet werden konnten. Bemängelt wurde, dass man die „ebenfalls erregten Schutzleute“ nur schlecht hatte verstehen können: „Nur einige Worte drangen an die Ohren der sich drängenden und hinzulaufenden Menge.“116 Es verwundert nicht, dass auch Schutzleute erfolgreiche Verbreiter von Gerüchten waren, denn Uniformträger galten als besonders vertrauenswürdige Quellen. Aber wie ein Berliner am 3. August in seinem Tagebuch notierte: „Für alles finden sich Augenzeugen.“117 Während von der Westfront ab der dritten Augustwoche eine öffentlich bejubelte Siegesmeldung nach der anderen verkündet wurde, standen diesen die nur 110 111 112 113 114 115 116 117
Vorwärts 235, 4. September 1914. David, Kriegstagebuch, S. 19. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 84. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 69. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 70. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 75. „Eine Warnung vor falschen Gerüchten“, in: Vorwärts, 12. August 1914. S. a. Stampfer, Erfahrungen und Erkenntnisse, S. 165. Feder, Heute sprach ich mit, S. 12.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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spärlichen Nachrichten über das Kriegsgeschehen im Osten gegenüber. Die ersten Niederlagen in Ostpreußen wurden weitgehend verschwiegen: Zwischen Mitte August und Mitte September waren russische Truppen tief nach Ostpreußen eingedrungen und hatten den östlichen Teil der Provinz besetzt. Ein für jedermann erkennbares Anzeichen für die kritische Lage im Osten war die zunehmende Zahl ostpreußischer Flüchtlinge, die Ende August in Berlin auffielen.118 Auch über die Marneschlacht drangen zwischen dem 6. und 10. September nur vage Nachrichten in die deutschen Zeitungen. Im Heeresbericht wurde die entscheidende Zurücknahme des rechten Flügels am 10. September als eine taktische Maßnahme ohne weitere Folgen bezeichnet.119 Insgesamt wurde über die Kampfhandlungen nur in so lapidarer Kürze berichtet, dass das tatsächliche Kampfgeschehen nicht ersichtlich war.120 Aber wie das Auswärtige Amt beobachtete, drangen entsprechende Nachrichten über die britische und französische Berichterstattung „zwar nicht in die große Menge, [würden] aber unter der Hand vielfach bekannt und drück[t]en auf die Stimmung.“121 Auch wenn die OHL versuchte, die Marneschlacht zu verschleiern, vermochte die Zensur deren Ausgang und Bedeutung nicht gänzlich geheim zu halten: „Daß das alles verschwiegen wird, nur hier und da durchsickert, macht keinen guten Eindruck.“122 Die aus der Niederlage an der Marne resultierende Ablösung Moltkes durch Kriegsminister von Falkenhayn am 14. September wurde lange geheim gehalten und erst am 20. Januar 1915 offiziell bestätigt. Trotzdem wurde in der Öffentlichkeit über die Ablösung Moltkes spekuliert. Eine Korrespondenz empfahl daher Anfang Oktober, dass die „unsinnige Meldung [...] am besten unberücksichtigt“ bleiben sollte.123 Theodor Wolff notierte Ende Oktober, dass „furchtbar viel über das Verhältnis zwischen dem Kaiser u. Moltke geredet“ würde.124 Das Sozialdemokratische Pressbureau betonte am 26. Oktober, Moltke werde aufgrund einer Erkrankung („Gallen- und Leberbeschwerden“) durch Falkenhayn lediglich vertreten. Um aber im Ausland nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Krankheit eventuell nur vorgespiegelt würde, sollte überhaupt nicht darüber berichtet werden.125 Mit der Verschleierung des Ausgangs der Marneschlacht und dem Verschweigen der Ablösung Moltkes wurden die „Weichen zu einer langfristig illusionären Beurteilung des Krieges gestellt.“126 Aus Rücksicht 118 119 120 121 122 123 124 125 126
BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15806, Bl. 116. Zur Rezeption der Schlachten an der Ostfront s. a. Kap.V.4.2. Lange, Marneschlacht, S. 47. Ein Abdruck der entsprechende Heeresberichte Ebd., S. 46–48. Zit. n. Raithel, Wunder, S. 314, Anm. 26. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 100 (27. 9. 1914). Winke und Ratschläge, Nr. 23 (8. 10. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 8. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 112. Sozialdemokratisches Pressbureau. Zur Information (26. 10. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 69. Raithel, Wunder, S. 315.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
auf die Stimmung der Bevölkerung wurde darauf verzichtet, die Anfang August gemachte Zusicherung einzuhalten, nichts als die Wahrheit zu berichten. Im Herbst 1914 drangen von der Ostfront schlechte Nachrichten in die Hauptstadt. Daraufhin verbreiteten Korrespondenzen im offiziellen Auftrag Richtigstellungen umlaufender Gerüchte und Falschmeldungen. Anfang November 1914 dementierte das Sozialdemokratische Pressbureau Gerüchte über die Kriegslage im Osten: Da sollten die Russen vor der Festung Posen stehen, das Städtchen Vreschen sollte schon von der Zivilbevölkerung geräumt sein; auch vor Thorn und Gnesen sollen schon Russen gesehen worden sein und die Zivilbevölkerung verlasse in großer Eile diese Städte. Ein ganzes deutsches Infanterie-Bataillon sei gefangen genommen worden und was dergleichen Sensationsnachrichten mehr waren. An allen diesen Erzählungen ist kein Wort wahr. [...] Die Verbreiter gehören vor ein Kriegsgericht.127
Nur zwei Tage später wurde festgestellt, dass Gerüchte über den russischen Vormarsch „immer wildere Formen“ annehmen.128 Vielfach wurde auch der Berichterstattung ausländischer Zeitungen entgegengetreten: Danach soll Generaloberst Kluck von einer feindlichen Bombe getroffen und getötet worden sein; nach französischen und englischen Blättern sollen französische Dragoner ein deutsches 42-Zentimeter Geschütz nebst zahlreicher Munition für dieses Geschütz erbeutet haben; sechs Güterwagen seien notwendig gewesen, um das Geschütz abzutransportieren; eine dritte falsche Meldung besagt, daß Hindenburg gefangen genommen worden sei.129
Zu einer ernüchterten Haltung gegenüber dem Kriegsverlauf hatten bei Vielen die „zum Teil schaurigen Erzählungen der heimkehrenden Verwundeten“ beigetragen.130 Wie in anderen Städten waren auch in Berlin die Bahnhöfe Orte, an denen man sich gezielt versammelte, um ankommende Reisende über neueste Nachrichten zu befragen. Als ab Mitte August die ersten Verwundeten in Berlin eintrafen, wurden die einlaufenden Züge von Neugierigen bestürmt: „Das zieht. Die will man sehen.“131 Auch die ab Ende August eintreffenden Kriegsgefangenen waren bestaunte Sensationen und wurden von der Bevölkerung in der Regel sehr freundlich behandelt. An die Stelle eines Anfangs scheinbar nicht enden wollenden patriotischen Rausches trat mit Fortschreiten des Krieges eine langsame Gewöhnung. In seinem neunten Stimmungsbericht betonte der Polizeipräsident, dass die Stimmung in Berlin insgesamt „gelassener geworden“ sei.132 Diesem Befund ent127 128 129 130 131 132
Sozialdemokratisches Pressebureau. Zur Information (4. 11. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 98. Sozialdemokratisches Pressbureau. Zur Information (6. 11. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 102. Sozialdemokratisches Pressebureau. Zur Information (9. 11. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 196. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 100. Tägliche Rundschau, 385, 17. August 1914. Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 11, S. 13 (28. 9. 1914).
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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sprach die nur wenige Tage später gemachte Beobachtung Wolffs, dass sich die Menschen an den Krieg gewöhnt hätten und ihn mit „Phlegma“ ertragen würden.133 Als Mitte Dezember 1914 der Heeresbericht einen großen Sieg meldete, wurde in Berlin erstmals seit langem wieder geflaggt, und man erwartete „mindestens 200 000 Gefangene.“134 Als diese Zahlen keine Bestätigung fanden, breitete sich Enttäuschung aus.135 In das Schwanken der Stimmung zwischen Jubel und zunehmender Ernüchterung mischte sich aufkommende Friedenssehnsucht. Anfang Dezember meldete der Bericht an das Polizeipräsidium, dass die „breiteren Volksschichten“ ein baldiges Ende des Krieges herbeisehnten.136 Aber noch schlug die stetig schwankende Stimmung nicht in eine dauerhafte Enttäuschung um. Kurt Riezler beobachtete Anfang November: „In Berlin schien mir die Stimmung getragen von einer grossen Begeisterung der kleinen Leute, des grossen ‚Volks‘ (,) von einer gar nicht zu erschütternden Zuversicht in den Sieg der gerechten Sache und der Tapferkeit – dagegen in den oberen Schichten viel mangelnde Nerven, Flaumacherei etc.“137 Bereits in der Einleitung wurde auf die soziale Unschärfe des Gerüchtes hingewiesen. Es fällt daher schwer, die soziale Reichweite der Kommunikation von Gerüchten zu erfassen. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass alle gesellschaftlichen Schichten daran Anteil hatten. Eine sozialdemokratische Korrespondenz wies im Oktober 1914 darauf hin: Der törichte und leichtfertige Klatsch über die Kriegsverhältnisse beschränkt sich nicht nur auf die Masse des Publikums, es liefern dazu bedauerliche Beiträge auch Leute aus Kreisen, denen mehr Verantwortlichkeitsgefühl zugetraut werden sollte. So ist neuerdings von Leuten, deren Stellung und Ansehen die Glaubwürdigkeit zu garantieren schien, behauptet worden, daß feindliche Unterseeboote in deutsche Häfen eingedrungen seien.138
Immer wieder wurde auf Offiziere als Autoritäten verwiesen, von denen man eine Nachricht erhalten habe, die ganz bestimmt wahr sei.139 Persönliche Kontakte zu Politikern, Offizieren und Diplomaten erwiesen sich als ausschlaggebend, um ein vollständiges Bild über den Kriegsverlauf und das politische Geschehen zu erhalten. So erkannte Theodor Wolff in seinem Tagebuch eine besondere Schicht. Mit den „Informierten“ waren jene gemeint, die Zugang zu solchen Personen hatten und sich um diese bemühten.140 133 134 135 136 137 138 139 140
Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 103 (5. 10. 1914). Ebd., S. 142 (17. 12. 1914). Ebd., S. 143 (20. 12. 1914). Bericht der Abteilung VII, Exekutive, 3. Kommissariat (11. 12. 1914), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 32. Riezler, Tagebücher, S. 224. Sozialdemokratisches Pressebureau. Zur Information (21. 10. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 67. BZ am Mittag, 11. August 1914. S. a. BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 11360, fol. 76; GStA Rep. 90/2681, fol. 21–32, fol. 24. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 131.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Fallbeispiel: ‚Das Flugzeug von Nürnberg‘ Anhand eines längeren Fallbeispiels wird im Folgenden mit Gerüchten über Luftangriffe auf deutsche Städte einer der verbreitesten Topoi von Gerüchten in den ersten Kriegstagen untersucht. Nach dem Krieg fragte Karl Kautsky spöttisch, ob Anfang August 1914 eine „seltsame Manie die Masse der Bevölkerung“ ergriffen habe, und verwies auf einen Aufruf des Stuttgarter Polizeipräsidenten. Dieser hatte am 4. August die Bevölkerung zur Ruhe gemahnt: „Die Einwohnerschaft fängt an, verrückt zu werden [...] Wolken werden für Flieger, Sterne für Luftschiffe, Fahradlenkstangen für Bomben gehalten.“141 Veranlasst wurde der Aufruf durch Menschenmassen, die sich am Vorabend in der Stuttgarter Innenstadt versammelt hatten, um einen angeblich die Stadt überfliegenden französischen Doppeldecker zu beobachten, auf den schließlich Soldaten das Feuer eröffneten.142 Bei dem geschilderten Vorfall handelte es sich nicht um einen Einzelfall. Bei Kriegsausbruch war die Angst vor feindlichen Luftangriffen im Deutschen Reich weit verbreitet und verursachte auch in den grenzfernen Teilen des Reiches Gerüchte und Falschmeldungen über angebliche Bombenabwürfe. In Düsseldorf dementierte am 4. August der Oberbürgermeister in der Stadtverordnetenversammlung eine Vielzahl der in der Stadt umlaufenden Gerüchte. Unter anderem betonte er, dass keine französischen Flieger die Gegend von Düsseldorf erreicht hätten. Am gleichen Tag hatte an den Rheinbrücken stationierte Artillerie das Feuer auf ein angeblich feindliches Luftschiff eröffnet. Das Luftschiff stellte sich rasch als ein deutscher Zeppelin heraus. Um über den peinlichen Vorfall hinwegzutäuschen, wurde behauptet, es habe sich um eine militärische Schießübung gehandelt.143 Noch am gleichen Tag erzählte man sich in Münster, dass über Düsseldorf vor den Augen zahlreicher auf die Dächer gekletterter Zuschauer ein Zeppelin ein feindliches Flugzeug abgeschossen habe.144 In Berlin wollte man sogar eine „Flottille von Luftfahrzeugen“ am Himmel gesehen haben.145 Ein Verfasser eines Schreibens an den Berliner Polizeipräsidenten zeigte sich besorgt um die Sicherheit des Kaisers und warnte vor möglichen Luftangriffen auf den Reichstag und das Stadtschloss.146 Auf Empfehlung des Luftschiffkonstrukteurs Johann Schütte ließ der Berliner Polizeipräsident in der Nähe der großen Berliner Bahnhöfe die Lichtreklamen ausschalten. Schütte hatte auf die Möglichkeit verwiesen, dass gegnerische Luftschiffe sich an solchen Lichtreklamen orientieren könnten.147 In der Berliner Presse dagegen war 141 142 143 144 145 146 147
Kautsky, Wie der Weltkrieg entstand S. 153. „Wie es in Stuttgart war“, in: Kriegstagebuch 1 (1914), S. 41–42, 42. Oehler, Düsseldorf im Weltkrieg, S. 80. Schulte, Kriegschronik der Stadt Münster, S. 12. Der Tag 393, 5. August 1914. Vgl. Jastrow, Kriegszustand, S. 49. BLHA, Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15711, fol. 31. StAMr, Best. 150, Nr. 2007, fol. 175. Der preußische Innenminister wies am 7. August in einem Rundschreiben an sämtliche Regierungspräsidenten auf diesen Hinweis Schüttes hin.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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die Verdunklung in einem Aufruf des Berliner Polizeipräsidenten als Schritt gegen die Vergnügungssucht der Berliner dargestellt worden.148 Zeitungen wiesen wiederholt darauf hin, dass der Abwurf von Bomben aus Flugzeugen keine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellte und es fast ausgeschlossen sei, dass feindliche Flieger die Hauptstadt erreichten. Im Weiteren wurde gefordert, über die Beobachtung eigener Flugzeuge strengstes Stillschweigen zu bewahren. Aus Geheimhaltungsgründen würde über die Tätigkeit deutscher Flieger nichts berichtet.149 Den Berlinern wurde jedoch versichert, dass „unsere eigenen Luftfahrzeuge in derselben energischen Art ihre Pflicht tun werden.“150 Der Generalstab erinnerte am 8. August daran, bis in das kleinste Dorf hinein davor zu warnen, auf Flugzeuge zu schießen.151 Gleichlautende Ermahnungen finden sich in der regionalen wie überregionalen Presse, teilweise auch in der militärischen Fachpresse. Anfang August wurde allerdings mindestens ein deutsches Luftschiff irrtümlicherweise über dem Reich beschossen.152 Auslöser der zahlreichen vermeintlichen Fliegersichtungen waren Meldungen um das so genannte ‚Flugzeug von Nürnberg‘. Am 2. August verbreiteten Extrablätter, dass französische Flieger – unter Bruch des Völkerrechts noch vor einer Kriegserklärung – in der Umgebung von Nürnberg Bomben geworfen hätten. Hinter der Nachricht stand ein komplexes Ineinandergreifen von nicht korrigierten Falschmeldungen, Erwartungshaltungen und politischem und militärischem Entscheidungsdruck. Nach Maximilian Graf von Montgelas waren Nachrichten über Bombenabwürfe auf Eisenbahnlinien von den Strecken Würzburg–Nürnberg und Ansbach–Nürnberg bei der Nürnberger Linienkommandantur eingegangen, die das III. Bay. AK telephonisch informierte.153 Letzteres habe die Nachricht unter Vorbehalt dem Großen Generalstab weitergegeben und, nachdem sich die Nachricht als unzutreffend herausgestellt habe, auch dies dem Generalstab gemeldet. Montgelas führt aus, dass die Linienkommandantur Nürnberg der Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabes die Nachricht von Bombenabwürfen mit dem Zusatz telegraphiert habe, dass sichere Nachricht nicht zu erlangen sei. Ein Widerruf sei nicht erfolgt. Montgelas kritisiert den fehlerhaften Umgang mit der anfänglichen Falschmeldung, nicht allerdings ihre Quellen. Er lässt in seiner Darstellung außer Acht, dass die ersten Meldungen über Luftangriffe Berichte der betroffenen Linienkommandanturen 148 149 150 151 152
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Berliner Tageblatt 394, 6. August 1914. Vorwärts 213, 7. August 1914. Der Tag 395, 6. August 1914. Vorwärts 215, 9. August 1914. StAMr, Best. 150, Nr. 2007, fol. 183 (13. 8. 1914). Um die Identifikation von Luftfahrzeugen zu erleichtern, wurde in der Tagespresse verstärkt auf das Eiserne Kreuz als Erkennungszeichen deutscher Militärflugzeuge hingewiesen. Vorwärts 214 (8. 8. 1914). Montgelas, Bombenabwurf bei Nürnberg. Nach dem Krieg war Montgelas einer der Herausgeber der Edition Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch und Sachverständiger des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Kriegsschuldfrage. Zu betonen ist, dass in offiziellen Dokumenten zu keiner Zeit von einer Bombardierung Nürnbergs ausgegangen wurde. Gegenstand waren immer Bombenabwürfe bei Nürnberg.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
waren. Der damalige Nürnberger Bürgermeister Otto Gessler führte in seinen Erinnerungen die Nachricht auf Landsturmleute zurück, die außerhalb der Stadt Bahnlinien bewachten, im „Spiel der Wolken“ Flieger gesehen hätten und daraufhin Meldung bei den zuständigen militärischen Stellen gemacht hätten. Von diesen sei die Meldung ohne Überprüfung nach Berlin weitergegeben worden.154 Verschiedentlich wurde auf die Verbindung zwischen der vermeintlichen Beobachtung und einem wenige Tage zuvor in einer Nürnberger Zeitung erschienenen Artikel über französische Flugzeuge angedeutet. Im Fränkischen Kurier findet sich am 25. Juli 1914 die Nachricht über einen bei Osterhofen in Niederbayern notgelandeten französischen Eindecker. Die Vossische Zeitung stellte am 10. Oktober 1919 fest, dass am 1. August 1914 ein französisches Flugzeug über Nürnberg nach Frankreich zurückgeflogen sei und hierbei beschossen worden sei.155 Montgelas hatte es in seinem Aufsatz vermieden, darauf einzugehen, wie sehr die Nachricht aus Nürnberg die militärische Entscheidungsfindung beeinflusst hatte. Über ihre Wirkung auf die militärische Führung in Berlin meldete der bayerische Militärbevollmächtigte am 2. August nach München: Noch immer dauert der Kampf zwischen Militär und Diplomatie fort; letztere schob und schob die entscheidenden Schritte hinaus. Die Grenzüberschreitung durch Rußland klärte wenigstens nach dieser Seite die Lage; [...] Das Kriegsministerium und der Generalstab waren darüber sehr verdrossen, denn von allen Generalkommandos kamen Anfragen, wer denn als Feind zu betrachten sei. Da traf die willkommene Nachricht von unserem III. AK über den Bombenabwurf durch einen französischen Flieger bei Nürnberg ein. Nun erklärten Kriegsministerium und Generalstab, ohne noch einen diplomatischen Akt abzuwarten, Frankreich als Feind. Hinsichtlich Frankreich und Rußland hat nunmehr die Politik zu schweigen. Nur hinsichtlich England geht der Meinungsstreit weiter.156
So ‚willkommen‘ die Nachricht auch war, so fehlen doch Hinweise, die den Vorwurf einer Fälschung des Vorfalls von deutscher Seite erhärten.157 Eine Verfälschung fand jedoch von dem Moment an statt, als wider besseres Wissen seitens der militärischen und politischen Spitze des Reiches kein Dementi erfolgte. Denn noch am Abend des 2. August hatte der preußische Gesandte in München dem Reichskanzler telegraphiert, dass die Meldung keine Bestätigung gefunden hatte. Lediglich unbekannte Flugzeuge seien gesichtet worden, die augenscheinlich keine Militärfahrzeuge waren; weder hätten sich Nachrichten über Bombenabwürfe bestätigt, noch dass die Flieger Franzosen gewesen wären.158 Bereits am 2. August hatte das bayerische Kriegsministerium öffentlich die Richtigkeit 154 155
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Gessler, Bürgermeisterstuhl, S. 101. „Der Bombenwurf auf Nürnberg“, in: Vossische Zeitung 510, 10. Oktober 1919. Auch Marc Bloch weist darauf hin, dass am 1. 8. 1914 ein französisches Flugzeug Nürnberg überflogen haben soll. Marc Bloch, Falschmeldungen, S. 201, Anm. 23. Vgl Oscar Bloch, Vérité sur les Avions des Nuremberg. Schulte, Neue Dokumente zu Kriegsausbruch, S. 140–141. So: Binder, Kriegsberichterstatter, S. 7–8; Gumbel, Vier Jahre Lüge, S. 7–8. Deutsche Dokumente, Bd. 4, Nr. 738, S. 191.
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der Eisenbahndirektion Nürnberg zugegangener Meldungen über Bombenabwürfe bezweifelt.159 Dennoch zählte die deutsche Kriegserklärung an Frankreich am 3. August neben anderen Verletzungen des deutschen Luftraumes durch französische Militärflieger auch die Bombenabwürfe bei Nürnberg auf.160 Am 4. August stellte Reichskanzler Bethmann-Hollweg vor dem Reichstag unter Verweis auf ‚Nürnberg‘ und andere Verletzungen des Völkerrechts durch Frankreich fest: „Meine Herren, wir sind jetzt in Notwehr; und Not kennt kein Gebot.“161 ‚Nürnberg‘ diente aber nicht nur als Beleg der Notwehrsituation, sondern auch als Legitimation, eine durch die Not gebotene Radikalisierung des Krieges zu propagieren. „Sollen wir dem Beispiel folgen und unsere Luftflotten den Schrecken der Luft auf feindliches Gebiet tragen lassen?“ fragte das Berliner Tageblatt am 3. August.162 Erst fast zwei Jahre nach den Anschuldigungen an Frankreich wurde die Nachricht um das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ schließlich dementiert. Der Nürnberger Magistrat schrieb am 3. April 1916 in einem privaten Briefwechsel, dass dem III. Bayerischen Armeekorps nichts über Bomben in der Umgebung von Nürnberg bekannt sei: „Alle diesbezüglichen Behauptungen und Zeitungsnachrichten haben sich als falsch herausgestellt.“163 Als einzige deutsche Tageszeitung brachte der sozialdemokratische Volksfreund in Karlsruhe diese Richtigstellung und verband sie mit scharfen Angriffen auf die Regierung.164 Nach dem Waffenstillstand wurde das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ Teil der erbitterten Debatte um die Kriegsschuld zwischen deutschen und französischen Wissenschaftlern.165 Im Szenario des erwarteten Krieges war der Luftkrieg vor 1914 nur ein winziges Detail. Entsprechend war die Vorbereitung auf Luftangriffe auf Ziele innerhalb der eigenen Grenzen geringfügig. Immerhin wurde trotz aller Unzulänglichkeiten des deutschen Militärflugwesens der kommende Krieg auch als Luftkrieg gedacht.166 Noch bevor entsprechende technische Möglichkeiten ver-
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Kölnische Zeitung, 3. August 1914. Diese Meldung wurde von keiner der ausgewerteten Zeitungen übernommen. Ein Extrablatt des in Nürnberg erscheinenden Fränkischen Kuriers hatte die Nachricht am 2. August noch mit einem Fragezeichen versehen. Deutsche Dokumente, Bd. 4, Nr. 734 b, S. 187. Geiss (Hrsg.), Julikrise, S. 685. Zur Reichstagssitzung: Scheidemann, Memoiren, S. 258. Berliner Tageblatt 388, 3. August 1914. Schwalbe, Eine Berichtigung, S. 611. PAAA R 22416. Dort auch Überlegungen von Abt. III b, KPA und Auswärtigem Amt über eine evtuelle Zensur des Volksfreundes. Wie vom Radio-Presse-Dienst der Funkerabteilung der O.H.L. aufgefangene französische Funksprüche zeigen, war das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ bereits während des Krieges Gegenstand der propagandistischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und dem Deutschland. WüHStA M 1/2, Bd. 124 (8. 6. 1916), Bd. 125 (24. 7. 1916). Da das Deutsche Reich mit Ausbruch des Krieges vom internationalen Telegraphenverkehr abgeschnitten war, wurde bereits zu Anfang des Krieges damit begonnen, Nachrichten per Funk zu verbreiten. Wegerer, Die Wiederkehr der Versailler Kriegsschuldthese, S. 70. Bülow, Geschichte der Luftwaffe, S. 24.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
fügbar waren, hatten die Großmächte auf der Haager Konferenz von 1899 ein Verbot für die Dauer von 5 Jahren beschlossen, Geschosse und Sprengstoffe aus Luftfahrzeugen abzuwerfen. Eine Verlängerung scheiterte am Veto einiger Mächte, so dass ein spezifisches Luftkriegsrecht nicht existierte. Maßgeblich war die Haager Landkriegsordnung, der zufolge unverteidigte Städte, Dörfer und Wohnstätten nicht angegriffen oder beschossen werden durften.167 Das Militär ging in seinen Planungen von der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit feindlicher Luftangriffe aus und rechnete mit französischen Luftangriffen auf Ziele im deutschen Hinterland.168 Um dieser Bedrohung zu entgegnen wurde mit dem Aufbau einer Luftabwehr begonnen. Im Februar 1914 war ein Rundschreiben des preußischen Kriegsministeriums davon ausgegangen, dass feindliche Luftangriffe nur auf große für die Aufmarschtransporte und Heeresversorgung „wichtige Strombrücken, Luftschiffhallen und -Werften, große Bahnhofsanlagen“ vor allem unmittelbar nach Kriegsausbruch erfolgen würden.169 Bereits der am 31. Juli beschlossene und die Mobilmachung vorbereitende ‚Zustand drohender Kriegsgefahr‘ sah Sicherungsmaßnahmen wichtiger Einrichtungen gegen Luftangriffe vor.170 Schon am 1. August, noch bevor eine irrtümliche ‚Fliegermeldung‘ Aufregung hätte verbreiten können, hatte der Reichsanzeiger davor gewarnt, dass „infolge der Entwicklung des Luftfahrt- und des Automobilwesens“ auch das Landesinnere unmittelbar bei Ausbruch eines Krieges bedroht wäre.171 Im Europa der Vorkriegszeit galt die Luftfahrt als Indikator nationaler Stärke und aeronautische Rekorde waren eines jener Felder, auf dem nationale Rivalitäten ausgetragen wurden. Maschinen hatten sich als Maßstab des Menschen im technischen Zeitalter etabliert und vermutlich verdeutlicht die Luftfahrt besser als andere Technologien die Verbindung zwischen nationalen Träumereien und modernistischen Visionen.172 Im Deutschen Reich manifestierte sich spätestens seit dem ‚Wunder von Echterdingen‘ diese Haltung am Zeppelin. Nach dem Absturz eines Zeppelins bei dem kleinen schwäbischen Ort hatte eine Welle der Hilfsbereitschaft ein Spendenvolumen von 6 Millionen Mark erbracht und das wirtschaftliche Überleben Graf Zeppelins sichergestellt.173 Bis 1914 hatte sich 167 168 169
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Messerschmitt, Kriegstechnologie, S. 66–72. Vgl. die Überlegungen über ein internationales Luftkriegsrecht bei: Jung, Luftkriegsrecht. Jansen, Weg, S. 154, 177–179, 183. Zit. n. Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkrieges 1914. Bd. 2, Nr. 117, S. 253–254. S. a. Von Hoeppner, Krieg in der Luft, S. 31–32. Zu den Anfängen einer deutschen Luftabwehr zusammenfassend Jansen, Weg, Kap. IV.2. „Zustand drohender Kriegsgefahr“, in: Die Kriegsschuldfrage 6 (1928), S. 43–45, 43. Zit. n. Berliner Tageblatt 385, 1. August 1914. Vereinzelte Luftangriffe auf Ziele innerhalb der Reichsgrenzen erfolgten bereits ab September 1914. Ein erster britischer Luftangriff traf am 22. September Luftschiffhallen in Düsseldorf und am 8. Oktober erfolgte ein zweiter Angriff auf Gaswerke in Köln-Ehrenfeld und nochmals auf die Düsseldorfer Luftschiffhallen, wobei ein Zeppelin zerstört wurde. Gollin, Impact of Air Power, S. 295. Fritzsche, Nation of Fliers, S. 3. Kennett, First Air War, S. 6–7.
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der Zeppelin in der Ikonographie des wilhelminischen Deutschland etabliert. Zeppeline hatten auch ohne Bewaffnung die Aura einer bedrohenden Macht, waren Symbole nationaler Stärke und imperialen Geltungsbedürfnisses. In einer Karikatur des Simplicissimus aus dem Herbst 1908 wirft ein Zeppelin einen bedrohlichen Schatten auf die Landkarte Großbritanniens, auf der der englische König friedlich schlafend abgebildet ist.174 Die Deutschen identifizierten sich aber nicht nur selbst mit dem Zeppelin, sondern wurden auch vom Ausland so wahrgenommen. Einer ausgesprochenen ‚Zeppelinbegeisterung‘ im Reich standen Ausbrüche von ‚Zeppelinitis‘ vor allem in Frankreich und Großbritannien gegenüber.175 Während in Frankreich das Flugzeug das nationale Fluggeschehen beherrschte, dominierte im Reich der Zeppelin. Hier hatte sich im europäischen Vergleich das Flugzeug nur langsam als Symbol der Moderne durchgesetzt; so wurde es um 1910 in der deutschen Belletristik eher marginal thematisiert.176 Es verwundert daher nicht, dass man im Reich meinte, feindliche Flugzeuge am Himmel zu sehen, während in Großbritannien und Frankreich vor allem Zeppeline gesichtet wurden. Die französische Armee stellte bis 1915 den Einsatz von Luftschiffen vollständig ein, nachdem im August 1914 mehrere Luftschiffe fälschlicherweise für deutsche gehalten und durch das Feuer eigener Truppen beschädigt worden waren.177 Nicht nur zu Lande, sondern auch in der Luft war für das Reich Frankreich der erwartete Hauptfeind. In der deutschen Presse finden sich wiederholt Verweise auf die so genannten Franc-Aviateurs. Anknüpfend an den Franctireurskrieg 1871 und die Gräuelpropaganda des Weltkrieges vorwegnehmend, wurde in diesen eine Art Freischärler der Lüfte gesehen. Ein Aufruf der Franc-Aviateurs im April 1913 forderte: „Wir wollen durch eine persönliche, schnelle, tollkühne Aktion einen furchtbaren Schlag ausführen, [...] Wir wollen die deutsche Hauptstadt bombardieren, mit Sprengstoff überschütten, ihre Paläste, ihre Kasernen und militärischen Gebäude, die Verwaltungsgebäude in Trümmerhaufen verwandeln und direkt ins Zentrum der feindlichen Organisationen Tod und Verderben tragen; denn es handelt sich ja um einen Vernichtungskrieg, Eisen gegen Eisen, Feuer gegen Feuer, Tod gegen Tod!“178 Noch bevor 1915 begonnen wurde, Großbritannien und insbesondere London von Zeppelinen aus mit Bomben anzugreifen, wurde bereits der Bombenkrieg gefordert: „Zeppelin flieg/Hilf uns im Krieg!/Fliege nach Engeland/Engeland wird abgebrannt/Zeppelin flieg!“179 174
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Abbildung in Fritzsche, Nation of Fliers, S. 39. Wie weit die Identifikation mit dem Zeppelin als nationales Symbol bis in die organisierte Arbeiterschaft hineinreichte zeigt Warneke, Zeppelinkult und Arbeiterbewegung. Vgl. Kennett, First Air War, S. 10. Ingold, Literatur und Aviatik. Vgl. Kennett, First Air War, S. 46–47. Zit. n. „Die Franc-Aviateurs und ihr Versagen“, in: Kriegs-Rundschau. Hrsg. von der Täglichen Rundschau. Berlin 1915, Bd. 1, S. 50. Vgl. Kennett, First Air War, S. 42. Ahnert, Fröhliche Heerfahrt, S. 93. S. a. S. 39, 41, 93–94.
176
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
In Anspielung auf die ‚airship-scares‘ in Großbritannien 1909 und 1911, als vermeintliche Sichtungen deutscher Luftschiffe kollektive Ängste weckte, höhnte eine Berliner Zeitung, dass in Großbritannien „bekanntlich schon in Friedenszeiten die Furcht vor unseren ‚Zeppelinen‘ bisweilen geradezu groteske Formen angenommen“ hatte, nun würde sich auch in Belgien und weiten Teilen Frankreichs „das gleiche Angstgefühl“ immer weiter verbreiten.180 Schon am 2. September beklagte der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff, in seinem Tagebuch die Unmenschlichkeit deutscher Flieger, die Bomben auf Paris abwarfen und am 12. Oktober bedauerte er nach weiteren Angriffen „die Schädlichkeit dieser sportlichen Fliegergroßtaten“ für das Ansehen Deutschlands.181 Einen Beitrag zu dieser Sensibilisierung der Bevölkerung für Flugzeuge und Luftangriffe als Gegenstand kollektiver Ängste hatten die nationalen Fliegervereine und -verbände geleistet. In Analogie zum Flottenverein war 1908 im Deutschen Reich ein Luftflottenverein gegründet worden. Luftschiffe und Flugzeuge waren prominenter Teil der ‚popular imagination‘; die Presse berichtete unter der Rubrik ‚Sport‘ regelmäßig über neue Rekorde und fliegerische Höchstleistungen. In der Literatur wurde der ‚Luftkrieg‘ sowohl von Seiten des Militärromans, wie auch in pazifistischer Literatur antizipiert. Allerdings hatte letztere kaum eine solche Reichweite, dass dies die weite Verbreitung entsprechender Vorstellungen erklären könnte. Ohne dass im Reich bereits entsprechende Erfahrungen des Luftkrieges gemacht oder breiten Bevölkerungsschichten vermittelt wurden, offenbarten sich hier Destruktionsahnungen.182 Für Militärs, Diplomaten, Politiker, Journalisten und auch für weite Teile der Bevölkerung war es in der Folge durchaus sinnvoll, an die Bombardements durch französische Flugzeuge zu glauben. Die alarmierenden Nachrichten über ‚Flieger‘ waren mit weit verbreiteten Erwartungshaltungen und Vorstellungswelten kohärent. Denn bei dem ‚Flugzeug von Nürnberg‘ handelte es sich weder um einen Einzelfall, noch lassen die vielschichtigen Reaktionen auf diesen Vorfall zu, diesen ausschließlich in den Kategorien politischer Schuldzuweisungen zu deuten.183
V.3.2. London: „Rumours, rumours, no definite news“ Noch vor Kriegsausbruch versammelten sich wie in Berlin auch in London neugierige Menschenmassen. Allein vor der Redaktion der Daily Mail warteten 180 181 182 183
Der Tag (Illustrierte Unterhaltungsbeilage) 201, 28. August 1914. Wolff, Tagebücher, Bd. 1, S. 98 und 108–109. Vgl. Dülffer, Kriegserwartung, S. 789–790. 1905 wies ein russischer Psychiater darauf hin, dass anläßlich einer Verschärfung der deutsch-russischen Beziehungen, sich in Russland Nachrichten über Bewegungen preußischer Luftschiffe verbreitet hatten. Man deutete diese umlaufenden Gerüchte als Massenhalluzinationen, die durch die Gefahr eines drohenden Krieges hervorgerufen wurden. Bechterew, Suggestion, S. 40. Vgl. Blake, Ufology.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
177
mehrere hundert Menschen den ganzen Tag auf Neuigkeiten.184Aufgrund der Anspannung und Aufregung der Bevölkerung wurden doppelt so viele Zeitungen als an normalen Tagen verkauft.185 Manche lasen nicht nur eine Zeitung: „We sometimes had as many as 5 papers a day, & read them too.“186 Zeitungen wurden regelrecht verschlungen: „You bolted into each edition of your paper red-hot as it came out, and swallowed the lot with a guileless and infantine faith that if employed in a matter of less present importance to you would have opened the gates of heaven.“187 Auch in London wurde der Krieg zum alles beherrschenden Thema: „I find it impossible to read anything except newspapers myself. One reads the same account of the same thing in about 6 different papers in a sort of vague hope of being able to squeeze something new out of them.“188 Das Londoner Straßenbild wurde auch von zahlreichen Ausflüglern geprägt, die von Neugierde getrieben in das Regierungsviertel gekommen waren. In diesem Suchen nach Informationen fand nicht zuletzt ein Verlangen nach Gewissheit über das eigene Schicksal Ausdruck: Das Weltgeschehen und die eigene Zukunft gingen angesichts des drohenden Krieges Hand in Hand. Niemals zuvor in der Geschichte waren Gesellschaften in einem vergleichbaren Umfang militarisiert.189 Auch in London verabschiedeten sich zehntausende Soldaten von ihren Familien. Viele Europäer im wehrfähigen Alter hatten eine militärische Ausbildung erfahren und sahen nun ihrer Einberufung entgegen, nahezu jede Familie in den vom Krieg bedrohten Staaten bereitete sich auf das Abschiednehmen von Angehörigen vor. In den ersten Wochen des Krieges war in London die Nachfrage nicht nur nach Zeitungen, sondern auch nach Nachrichten so groß, dass Tageszeitungen für ihre Leser Telefondienste einrichteten, um ihnen die neuesten Nachrichten zukommen zu lassen. Die Daily Mail übermittelte den Abonnenten ihres Telefondienstes die offiziellen Nachrichten des War Office und der Admiralität, und die Daily News bot ihren Lesern bei Vorauszahlung einen täglichen Anruf mit den wichtigsten Nachrichten an und sagte weitere Anrufe bei wichtigen Ereignissen zu.190 Eine weitere Informationsquelle waren Feldpostbriefe. Als Ende August 1914 zum ersten Mal Briefe und Postkarten von der Front in großer Zahl die Heimat erreichten, wurde dies von der Presse begrüßt. In ihnen sah z. B. die Morning Post eine Möglichkeit, den Schleier über dem Kriegsgeschehen zumindest teilweise zu lüften.191 Mitte August 1914 wurde das kurzzeitige Abschwellen der Nachrichten vom Kriegsschauplatz als Hinweis darauf gedeutet, dass wichtige 184 185 186 187 188 189 190 191
Daily Mail, 3. August 1914. Economist (22. 8. 1914), S. 348. Tagebuch Mary Coules, IWM 97/ 25/ 1. Metchim, Our Own History, S. 10. Brief Hugh Godley an Violet Asquith (24. 8. 1914), in: Pottle (Hrsg.), Champion Redoubtable, S. 6. S. a. Metchim, Our Own History, S. 6. Keegan, History of Warfare, S. 22. Daily Mail, 11. August 1914; The Star, 26. August 1914. Morning Post, 29. August 1914.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Ereignisse bevorstanden. In London wurden daraufhin Zeitungsplakate mit der Botschaft ausgehängt, dass eine große Schlacht vor sich ginge.192 Lang ersehnte Augenzeugen des Geschehens wurden schließlich in den verwundeten Soldaten gefunden, die Ende August in London eintrafen. Für die Londoner war dies die erste Begegnung mit der Wirklichkeit des Krieges.193 Andere bestaunte Augenzeugen waren die ersten belgischen Flüchtlinge, die in London ankamen.194 Mit den Auflagen stieg aber nicht unbedingt die Qualität der in den Zeitungen abgedruckten Nachrichten. Das Press Bureau warnte davor, dass militärische Nachrichten mit größter Vorsicht gelesen werden sollten: „No correspondents are at the front, and their information, however honestly sent, is therefore derived at second or third hand from persons who are often in no condition to tell coherent stories and who are certain to be without the perspective which is necessary to construct or understand the general situation.“195 Aufgrund der Zensur mussten viele Zeitungen ihre Leser enttäuschen, da sie nicht die erwarteten Informationen bieten konnten: „When the great war broke out, the newspaperreader naturally thought that he was in for a constant succession of thrills. As a matter of fact, though the papers have been full of interest, the actual war news has been scanty, and he often finds himself reading in the late special the same item that he read at the breakfast-table.“196 Auch wenn Zeitungen nicht immer Neuigkeiten vermelden konnten, wurden sie auf den Straßen lauthals angepriesen. Immer wieder wurden Zeitungsjungen karikiert, die ihre Waren auf den Straßen lauthals anpriesen: „Better ’ave one and read about it now, Sir; it might be contradicted in the Morning.“197 Eine Londonerin war erleichtert, auf dem Land Abstand von diesen Aufgeregtheiten der Großstadt zu gewinnen: „It is such a relief to be out of the vivid reality of War for a few days. The constant shouting of the paper-boys, the huge posters that one hardly dares to look at, and the stricken faces one meets in the streets, seem tearing at one’s heart-strings all day long.“198 Noch im November wurde die Bereitschaft vieler Zeitungen, alles zu glauben und die Unfähigkeit, nur das zu berichten, was man tatsächlich gesehen hatte, beklagt.199 Im gleichen Monat kritisierte der Spectator, den Karneval der Übertreibungen der auf den Straßenverkauf angewiesenen Abendzeitungen.200 Der Krieg wurde das alles beherrschende Thema in den Medien, so dass z. B. in den Kinos nur noch Filme über den Krieg gewünscht wurden.201 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201
Morning Post 13. August 1914. Macdonagh, In London, S. 19 (30. 8. 1914). Ebd., S. 19 f. (31. 8. 1914). The Star, 31. August 1914. The Sketch (19. 8. 1914), S. 201. Punch (26. 8. 1914), S. 188. Zu den Klagen über die von Zeitungsjungen verursachten Störungen und Aufregungen s. Kap. V.5. Mills, Un-told Tales, S. 17. New Statesman 84 (14. 11. 1914), S. 127 f. Spectator (28. 11. 1914), S. 747. The Star, 18. August 1914.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
179
Abb. 4: Durch die Arbeit der Zensur verursachte Lücken der Berichterstattung wurden von der britischen Presse spöttisch kommentiert. Punch, 25. 11. 1914
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Aber nur wenige Wochen später wurden Kinos aufgesucht, „for an hour or two of quiet relaxation from the tension of the constant watching and waiting for news of the campaign. [...] England’s rest cure.“202 Zu der Aufregung und Unruhe hatten Gerüchte nicht unerheblich beigetragen. Auch wenn Wirtschaft und Versorgung Londons in den ersten Kriegstagen nicht gefährdet war, waren Angst und Sorge weit verbreitet. Bereits vor der Kriegserklärung waren Gerüchte verbreitet, dass nach einer Kriegserklärung Hungerunruhen ausbrechen würden.203 In den ersten Kriegstagen führten Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln in London zu kleineren Tumulten. Vereinzelt musste die Polizei eingreifen, um wütende Frauen davon abzuhalten, Läden zu plündern und in einigen Geschäften musste der Verkauf von Fleisch und Mehl rationiert werden. Eine Ursache der Wut waren Vorratskäufe wohlhabender Frauen.204 Eine Frau notierte: „There was a certain amount of panic as to the possibility of getting food – a few maniacs laid in large stores of dried peas & lentils & for a week sugar was an impossible price, owing to the great demand.“205 Als eine besondere Bedrohung des Alltagslebens galten deutsche Lebensmittelhändler, die angeblich ihre Ware vergiften würden.206 Einen Tag vor der britischen Kriegserklärung vermerkte die Times, dass die Luft voller Gerüchte über Seeschlachten sei, und mahnte, in einer so angespannten Zeit auf bestätigte Nachrichten zu warten.207 Die umfassende Geheimhaltung aller Truppenbewegungen führte dazu, dass viele glaubten, die British Expeditionary Force (BEF) sei bereits an der Front in schwere Kämpfe verwickelt. Noch bevor diese überhaupt französischen Boden betreten hatte, verbreiteten sich in der Bevölkerung schnell Gerüchte über schwere Verluste britischer Truppen. Trotz eines Aufrufs des Press Bureau, umlaufenden Gerüchten zu misstrauen, wurden diese geglaubt. Angeblich hätten die Hinterbliebenen von Gefallenen bereits Beileidsbriefe des War Office erhalten.208 Mitte August notierte ein Londoner Journalist, dass in den vergangenen Tagen zutiefst beunruhigendes Gerede in Zügen, Straßenbahnen, Bussen, Büros und Clubs zu hören gewesen sei.209 So sei das Flaggschiff der Flotte mit seiner gesamten Mannschaft einschließlich Admiral Jellicoe, dem Oberkommandierenden der Grand Fleet, versenkt worden und die Häfen seien überfüllt mit be202 203 204 205 206 207 208 209
The Star 15. Oktober 1914. Anonymous Diary kept by a London Woman from July to September 1914, IWM Misc 522. The Star, 5. August 1914; Macdonagh, In London, S. 12 f. (5. 8. 1914), 14 (8. 8. 1914). Tagebuch Mary Coules, IWM 97/ 25/ 1. Macdonagh, In London, S. 15 (11. 8. 1914). S. a. Kap. V.4. 1. The Times, 4. August 1914. Anonymous Diary Kept by a London Woman from July to September 1914, IWM, Misc 522 (16. 8. 1914). Eine Londonerin sah in Bussen und Postämtern die wichtigsten Orte der Kommunikation von Gerüchten. Anonymous Diary Kept by a London Woman from July to September 1914, IWM Misc 522 (15. 8. 1914).
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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schädigten Kriegsschiffen. Das Personal der Krankenhäuser würde darauf eingeschworen, die Einlieferung von Verwundeten zu verschweigen.210 Am 20. August beklagte eine Londonerin angesichts der unbefriedigenden Berichterstattung in ihrem Tagebuch: „Rumours, rumours, no definite news, but we seem nearing a crisis, whether a catastrophe to the Allies or not I don’t know.“211 Eine Zeitschrift beobachtete: yet already there is a novel and growing disposition among all classes to prefer what they have ‚heard‘ to what they see in print. Instinctively the public is beginning to suspect that many things have been concealed from them, and many more would be if they happened, not because their disclosure would benefit an enemy who is sure to know them by now, but because the authorities distrust their effect on British opinion. The newspapers, through no fault of their own, are losing their confidence which they enjoyed. Wild rumours are believed, because Rumour gives the only uncensored news.212
Der Journalist Michael McDonagh führte die Gerüchte auf die strikte Zensur zurück und beobachtete ein schwindendes Vertrauen in die Zeitungen: „‚Oh, the newspapers!‘ these people exclaim. ‚Don’t we know that they are muzzled?‘213 Im gleichen Sinn zeigte sich der prominente Journalist und Militärexperte Repington in einem Brief überzeugt, dass „the Censorship is being used as a cloak to cover all political, naval and military mistakes, and I wish you to realize clearly that I am muzzled and that the Press is no longer free. I think the general result is that the country regards all ‚official‘ news with suspicion, and I doubt whether this is the best way to create confidence in the direction of the war.“214 Das Misstrauen in die Presse war nicht unbegründet. Wichtige Informationen wurden der britischen Öffentlichkeit von der Zensur vorenthalten. Am 9. August hatte unter strenger Geheimhaltung die Verschiffung der BEF nach Le Havre, Rouen und Boulogne begonnen. Erst einen Tag nach dem Ende der Verlegung durften die Zeitungen am 18. August berichten, dass die britischen Divisionen ihre Stellungen in Frankreich bezogen hätten. Bis dahin hatten sie entsprechend einer freiwilligen Zusage des Admiralty, War Office and Press Committee vom 27. Juli über die Mobilmachungsvorbereitungen von Armee und Flotte geschwiegen.215 Die völlige Geheimhaltung der Verschiffung der BEF und ihres Aufmarsches in Frankreich in Presse wurde einerseits der Arbeit des Press Bureau zugute gehalten, andererseits aber auch als Vertrauensbeweis der Presse und Beleg ihrer Zuverlässigkeit gewertet. Auch wenn in den Zeitungen nicht über den Transport berichtet worden war, war er in London dennoch Allgemeingut.216 210 211 212 213 214 215 216
Macdonagh, In London, S. 16 (14. 8. 1914). Courtney, Extracts from a Diary, S. 13. New Statesman (22. 8. 1914), S. 606. Macdonagh, In London, S. 16 (14. 8. 1914). Repington an Lord Roberts (22. 10. 1914), in: Morris (Hrsg.), Letters of Lieutenant-Colonel Charles à Court Repington, Nr. 133, S. 228. Protokoll Sitzung Admiralty, War Office and Press Committee (27. 7. 1914), PRO DEFE 53/1; McEwen (Hrsg.), Riddell Diaries, S. 85 (27. 7. 1914). Macdonagh, In London, S. 16 (14. 8. 1914).
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Wie in Berlin erwartete das Publikum auch in London von den eigenen Truppen eine rasche Entscheidungsschlacht; und obwohl die Zeitungen ihre Leser zur Geduld mahnten und vor falschem Optimismus warnten, war eine allgemeine Siegeszuversicht weit verbreitet. Von den britischen Soldaten wurde rasche Siege erwartet: Am 24. August warnte das Press Bureau davor, das gegenwärtige Kampfgeschehen als Ereignisse von grösserer militärischer Bedeutung zu verstehen: „The exaggeration into important triumphs of minor episodes, in which the Allied forces are alleged to have gained the upper hand is misleading.“217 Nachdem der britische Aufmarsch am 20. August abgeschlossen war, kam es bei der kleinen Stadt Mons am 23. August zu den ersten Gefechten zwischen deutschen und britischen Truppen. Angesichts der deutschen Übermacht begann die BEF einen Rückzug, bei dem sie bis zum 5. September 150 Meilen zurücklegte. In der britischen Presse wurden die Kampfhandlungen als eine Abfolge deutscher Niederlagen dargestellt, während derer sich der Feind unerklärlicherweise immer weiter nach Westen bewegte.218 Die britische Öffentlichkeit wurde nur unzureichend über die militärische Lage informiert. Diese wusste zwar, dass in Belgien und Nordwestfrankreich eine gigantische Schlacht tobte, wurde aber über ihren Verlauf und den Ausgang nur unzureichend informiert. Nachdem es zunächst keinerlei, später nur vage Nachrichten von der Front gegeben hatte, wurde eine überraschte britische Öffentlichkeit nun der Möglichkeit einer Niederlage ausgesetzt. Während des Rückzuges der alliierten Armeen an der Westfront wurden die Zeitungen mit großer Sorge gelesen: „Every morning we opened the paper with a feeling of sick dread – & everyone began to discuss how long Paris could hold out. Gradually we began to take the war more seriously.“219 In diesem Moment verbreitete sich in London wie in ganz Großbritannien ein Gerücht, das in dieser bedrohlichen militärischen Lage Rettung zu versprechen schien: Es hieß, dass russische Soldaten heimlich an die Westfront gebracht worden wären, um dort die Alliierten zu verstärken.220 Endgültige Erleichterung stellte sich erst nach der deutschen Niederlage in der Marneschlacht ein: „News better and better from France; and I must say the relief is great.“221 Angesichts der allgemeinen Beunruhigung durch Gerüchte und Falschmeldungen wurde die Einrichtung des Press Bureau allgemein begrüßt.222 Die Presse könne nicht nur durch die Verbreitung von Nachrichten an den Feind Schaden anrichten: It may do almost as much harm by creating undue alarm and excitement in the public mind. […] It is of the utmost importance that the people should remain perfectly calm and composed in these days, bearing patiently the inevitable suspense and strain, keeping a tight rein on their emotions, neither allowing themselves to be unduly elated by good 217 218 219 220 221 222
Morning Post, 24. August 1914. Tuchman, August 1914, S. 463. Tagebuch Mary Coules, IWM 97/ 25/ 1. S. das Fallbeispiel ‚The Russian Rumour‘. Courtney, Extracts from a Diary, S. 19 (15. 9. 1914). Macdonagh, In London, S. 16 (14. 8. 1914).
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news nor depressed by bad. But the public nerves must be seriously shaken if certain newspapers persist in regaling them in short intervals with sensational reports of doubtful authenticity, and seeking to attract customers by lurid headlines and alarmist placards. […] There must be no repetition of the scenes on [...], when the public were assailed by raucous cries proclaiming a naval disaster.223
Weitaus stärker als im Deutschen Reich wurde die offizielle Nachrichtenpolitik in Presse und Parlament kritisiert. Den Zensoren wurde die Fähigkeit abgesprochen, die öffentliche Meinung zu lenken: In a modern nervous, highly organised community, accustomed to a daily supply of printed news from independent and responsible sources, there are dangers along this new line of development which will better be appreciated by those in close touch with public opinion than by military and naval officers who, generally speaking, are not.224
Die britische Informationspolitik nach Kriegsausbruch war durch strenge militärische Geheimhaltung geprägt und führte zu einem Verzicht auf offizielle Kriegsberichterstatter. Einzige Konzession Kriegsminister Kitcheners war, dass anstelle der Journalisten ein Offizier abgestellt wurde, von der Front zu berichten. Anfang September 1914 wurde Oberstleutnant Ernest Swinton, bei Kriegsausbruch stellvertretender Chef des Eisenbahnwesens der BEF, von Kitchener damit beauftragt, für die Presse unter dem Pseudonym ‚Eyewitness‘ Artikel über den Krieg in Belgien und Frankreich zu schreiben. Für den von der Armee ernannten offiziellen ‚Augenzeugen‘ hatte der Star nur Verachtung übrig: „another bundle of gossip from the front.“225 Im Parlament wurde wiederholt über die unbefriedigenden offiziellen Informationen geklagt. Ein Redner warnte vor den schädlichen Folgen für die öffentliche Meinung und nannte als Beispiel das Entstehen von Gerüchten: The only effect of denying news to us is to produce a crop of guesses, speculations and rumours. There is no easier way of creating false news than by withholding true news. Erroneous impressions, if they are conveyed, have to be answered, and if they are neither conveyed nor answered then their place will be taken by whispers, and matters will be whispered about and magnified and distorted. In that way we are reduced to relying upon club gossip, dinner table conversation, and [...] coffee-house babble.226
Ein Element der Verunsicherung der Londoner war die Angst vor deutschen Luftangriffen. Anders als Berlin war London unmittelbar durch das Kriegsgeschehen bedroht und bereits vor Kriegsausbruch waren in London Gerüchte über Luftangriffe zu hören. Wie im Deutschen Reich war auch in Großbritannien die Bevölkerung für die Gefahren von Luftangriffen sensibilisiert.227 Dazu hatten zum einen Zukunftsromane und zum anderen die Berichterstattung der 223 224 225 226 227
Morning Post, 8. August 1914. New Statesman (22. 8. 1914), S. 606. The Star, 29. September 1914. HC 68 (26. 11. 1914), Sp. 1377. Kennett, History, S. 19.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Massenpresse beigetragen, die die technische Entwicklung der deutschen Luftschifffahrt mit großer Sorge betrachtete. Eine Vielzahl politisch-militärischer Zukunftsromane hatte seit der Jahrhundertwende vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Wettrüstens britische Invasionsängste auch in Gestalt des Luftkrieges reflektiert.228 1908 umriss der deutsche Schriftsteller Rudolf Martin in einem Interview mit der Daily Mail seinen – völlig fiktiven – Plan einer deutschen Invasion mit Zeppelinen. 300 000 Soldaten sollten mit über hundert Luftschiffen in weniger als einer Stunde nach Großbritannien transportiert werden.229 Im Frühling 1909 eskalierten diese Ängste. Seit März 1909 waren in Polizeiwachen und Redaktionen Berichte über mysteriöse Luftschiffe eingegangen, die in praktisch allen Fällen als deutsche Zeppeline gedeutet wurden. Am 20. Mai 1909 konstatierte die Daily News schließlich: „There is panic in the air – literally in the air, for mysterious airships have been seen in different parts of the country.“230 Nachdem sich wenige Jahre später ähnliche Beobachtungen wiederholt hatten, sah 1913 ein deutscher Kolumnist in Großbritannien „ein ganzes Volk in wilder Panik“ und fragte „Wo ist die vielgerühmte vornehme englische Ruhe geblieben?“ Angesichts der „Luftschiffpanik“ sah er in den Briten ein „Volk von Hasenfüßen.“231 Bereits einen Monat nach Kriegsausbruch waren Flugzeuge und Zeppeline nicht mehr nur bestaunte technische Wunder, sondern darüber hinaus tödliche Waffen. Weite Teile der Bevölkerung und nicht nur zivile und militärische Stellen imaginierten den Krieg als einen Prozess der moralischen und geographischen Entgrenzung. Auf dieser Grundlage verwundert es nicht, dass vor der britischen Kriegserklärung in London das Gerücht verbreitet war, dass Deutschland nach Kriegsausbruch sofort das dortige Arsenal bombardieren würde.232 Die Berichterstattung der Presse über deutsche Bombenabwürfe aus Zeppelinen auf belgische Städte heizte Ängste über eine Bedrohung Londons aus der Luft weiter an. So druckte Mitte August eine Illustrierte eine Karte, auf der die Reichweite deutscher Luftschiffe abgebildet war.233 Von staatlicher Seite wurde in Großbritannien die Gefahr deutscher Luftangriffe ernst genommen. Am 11. September 1914 wurde London zum ersten Mal verdunkelt und der charakteristisch geformte See im St. James’s Park trockengelegt, um angreifenden Zeppelinen die Orientierung zu erschweren.234 Über die Folgen der Verdunklung bemerkte 228
229 230 231 232 233 234
Eine Bibliographie entsprechender britischer Werke findet sich bei Clarke, Voices Prophesying War, S. 227–249. Clarke kommt zu dem Ergebnis, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, solche Romane die Realität des später eingetretenen Krieges verfehlten. De Syon, Zeppelin, S. 72. Zit. n. Gollin, Impact of Air Power, S. 56. Sogar in Neuseeland wurden 1909 deutsche Luftschiffe ‚gesichtet‘. Bartholomew und Dickeson, Expanding. Knowledge, Die englische Angst, S. 44. Anonymous Diary Kept by a London Woman from July to September 1914, IWM Misc 522. Illustrated London News, Nr. 3930 (15. 8. 1914), S. 272. S. a. Thomson, Queer People, S. 36. Macdonagh, In London, S. 122 (11. 9. 1914); Marwick, Deluge, S. 77.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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eine Londonerin, dass man die Stadt nachts nicht mehr wiedererkennen würde.235 Bereits Anfang September notierte ein Kabinettsmitglied, dass jederzeit mit einem nächtlichen Zeppelinangriff auf London zu rechnen sei. Angeblich hatten sich Piloten bereits darauf geeinigt, zu losen, wer von ihnen sich mit seinem Flugzeug auf die Angreifer stürzen sollte.236 In London breitete sich Angst vor Luftangriffen aus: everyone had got the Zeppelin scare rather badly. [...] Lighting regulations were very strict in London and the streets were very dark at night. [...] People began to make preparations for Zeppelin raids: one big wine dealer was reported to have let several of his cellars, and people we knew had furnished theirs and slept with big coats and a handbag for valuables by the bedside. Most people had water or buckets of sand or fire extinguishers on every landing. We rather laughed at this at first but by degree everyone came round to taking certain precautions.237
Obwohl die Londoner fast täglich mit Bombardements rechneten, dauerte es bis Ende Mai 1915, ehe der erste Luftangriff auf London sieben Menschen tötete.238 Gerüchte über Bombenabwürfe auf zivile Ziele hatten in beiden Staaten die Realität eines sich rapide brutalisierenden Krieges auch gegen die Zivilbevölkerung nur um wenige Tage und Wochen vorweggenommen. In beiden Hauptstädten trugen die ungezählten (und unzählbaren) Gerüchte dazu bei, den Schleier des Geheimnisses, der über den Kriegsschauplätzen lag, zu lüften. Als kapillare Kommunikationsform boten sie anders als Massenmedien einen Informationsaustausch zwischen Individuen, der sowohl auf diffuse als auch auf konkrete Informationsdefizite einging. Allerdings ersetzten sie die etablierten Massenmedien nicht, sondern ergänzten ihre Berichterstattung und sind daher als komplementäre Kommunikationsform zu verstehen. Sie schlossen die durch die Zensur verursachten Lücken und trugen zumindest zu einer subjektiven Befriedigung enttäuschter Erwartungshaltunggen bei. Somit waren Gerüchte in den ersten Wochen des Krieges ein wesentliches Element der Kriegsöffentlichkeiten. Fallbeispiel: ‚The Russian Rumour‘ Etwa drei Wochen nach Kriegsausbruch wurde in ganz Großbritannien erzählt, dass russische Soldaten in Schottland ausgeschifft würden, um von dort an der Westfront eingesetzt zu werden. Sowohl während des Krieges als auch nach Friedensschluss galt es als das bekannteste Gerücht des Krie235
236
237 238
Miles, Un-told Tales, S. 19, 26, 29–30. Über die Wirkung der Verdunklung s. a. „City of Shadow“, in: Standard, 9. September 1914; Sandhurst, From Day to Day, S. 38; McKenzie und McKenzie, Diary, S. 220 (3. 11. 1914). David (Hrsg.), Inside Asquith’s Cabinet, S. 187. Am 2. 9. 1914 hatte das Kabinett den Schutz Londons vor Bombenabwürfen aus Zeppelinen diskutiert. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 142, S. 215. Tagebuch Winifred Tower, IWM P 472, fol. 18. S. Kap. VI.3.1.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
ges.239 Überall wollte man russische Soldaten gesehen haben, die sich auf Bahnhöfen Schnee von den Schuhen traten, aus den Zügen laut nach Wodka riefen und Automaten mit Rubelmünzen verstopften.240 Den Zeitgenossen erschien das Gerücht unerklärlich, und es lag nahe, es als eine ‚nationale Halluzination‘ zu beschreiben.241 Über die Entstehung des Gerüchts bestanden unterschiedliche Vermutungen, die es vor allem durch Missverständnisse und Verwechslungen zu erklären suchten: Ein englischer Lebensmittelhändler habe aus Russland ein Telegramm über 200 000 verschiffte Russen erhalten, gemeint aber waren russische Eier. Aus einem Zug soll ein groß gewachsener, bärtiger Mann erklärt haben, er komme aus „Ross-shire.“ Mit schlechter englischer Aussprache soll ein französischer Offizier gefragt haben: „Where are de rations?“ Aus Archalansk kommend hätten russische Verbindungsoffiziere mit Gepäck, Pferden und Dienstboten einen ganzen Zug gefüllt. Auf der Bahnstrecke LondonLiverpool sollte sich nach einer siebzehnstündigen Verspätung die Nachricht verbreitet haben, die Schwierigkeiten seien durch den Transport russischer Truppen entstanden.242 Dennoch lässt sich eine bislang nicht berücksichtigte Erklärung für das Gerücht finden, die nicht auf übersteigerte Einbildungskraft zurückgreift. Zwar befanden sich im August und September – abgesehen von einigen Verbindungsoffizieren und in die Heimat reisenden Reservisten – keine russischen Soldaten in Großbritannien. Dennoch entsprach die Idee russischer Verstärkungen für die Westfront durchaus realen Planungen. Am 29. August 1914 berichtete Premierminister Asquith König George V. den Kabinettsbeschluss, Russland angesichts der dramatischen Lage an der Westfront um militärische Hilfe zu ersuchen: „It was also agreed to propose to the Russian Government that they should despatch 3 or 4 Siberian Corps to Archangel, where we would undertake to transport them to Ostend or any other port where they could be of service in supporting Sir J. French in cutting the German lines.“243 Aus den Erinnerungen des russischen Kriegsministers geht hervor, dass der britische Botschafter in St. Petersburg zu Anfang des Krieges von ihm gefordert hatte, ein russisches Korps zum Schutz der britischen Hauptstadt zu entsenden. Im Hauptquartier des Großfürsten meinte man, dass der Botschafter den Verstand verloren hätte.244 239
240 241 242 243
244
Chadwick, Influence, S. 52; Haworth, Rumours, S. x–xi; Pollard, Rumour, S. 325–329; Oman, Presidential Address, S. 16–18. Zuletzt Watson und Oldyrod, Snow on Their Boots und Hayward, Myths and Legends, Kap. 2. Ponsonby, Falsehood in War-Time, S. 64. Gretton, Modern History, S. 925. Angaben nach: Ponsonby, Falsehood in War-Time, S. 63; Wilson (Hrsg.), The Rasp of War, S. 26; Tuchmann, August 1914, S. 464. PRO CAB 41/35/37. Weder Cockfield, With Snow on Their Boots noch Neilson, Britain and the Last Tsar, gehen auf diese Quelle ein. Nach Neilson war es im August und September 1914 nur zu einer spärlichen anglo-russischen militärischen Zusammenarbeit gekommen. Britain and the Last Tsar, S. 343. Auch Hayward, Myths and Legends, Kap. 2 geht auf die o.g. Erklärung nicht ein. Suchomlinov, Erinnerungen, S. 381.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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Angesichts des Kriegsverlaufs in Belgien und Frankreich war die sofortige Verstärkung der BEF dringlichstes Thema der Kabinettssitzung. Urheber der Idee war der Erste Lord der Admiralität Winston Churchill, der am 28. August Kriegsminister Kitchener in einem Brief vorgeschlagen hatte: Here is an idea which deserves examination. The Siberian troops [would], if used against Germany & Austria, have to come South at an awkward moment & derange the communications (so I am told). On the other hand, it [would] probably be easy to send them to Archangel, & it is (roughly) only 6 days from Archangel to Ostend. If a couple of Russian Corps d’Armee were transported round this route, it [would] be possible to strike at the German Communications in a very effective manner. It is an interesting idea, though I dare say it would not greatly commend itself to the Russians.245
Schon bald erwies sich der Plan als nicht realisierbar. Bereits am 31. August schrieb Premierminister Asquith an seine Geliebte Venetia Stanley: „The Russians can’t come – it [would] take them about 6 weeks to get to Archangel!“246 Zudem lehnte die russische Regierung den Vorschlag des britischen Kabinetts mit Verweis auf das rauhe Wetter, deutsche U-Boote und die Langsamkeit des Transportes ab.247 Vermutlich nahm das Gerücht darin seinen Anfang, dass Informationen aus Militär- und Regierungskreisen durch mündliche und schriftliche Weitergabe in Umlauf gerieten. Während dieses Prozesses des steten Wieder- und Weitererzählens wurden politische und militärische Überlegungen zu vollendeten Tatsachen umgedeutet. Details dieser Informationskette und der nachfolgenden Verzerrung von schwebenden Planungen zu bereits stattfindenden Tatsachen sind nicht ermittelbar. Ende August und Anfang September erschien die Annahme, russische Soldaten würden unter strengster Geheimhaltung an die Westfront transportiert, weiten Teilen der britischen Gesellschaft glaubwürdig. Dazu hatten sechs Faktoren wesentlich beigetragen: (a) Ende August 1914 drohte mit dem Rückzug des britischen Heeres aus dem belgischen Mons eine Niederlage der Alliierten. (b) Die Erfahrung der Wochen Ende August/Anfang September 1914 war für viele Briten von einer Atmosphäre der Ungewissheit und des Bangens geprägt. Angesichts der Zensur und der Schwierigkeiten der Nachrichtenübermittlung war die Berichterstattung über den Krieg geprägt von Vokabeln wie Nebel und Schleier: „A deep mist hangs over the scenes of war.“248 (c) Da von der Front nur wenige zuversichtliche Nachrichten in die Heimat drangen, erfüllte das Gerücht einerseits ein nicht befriedigtes Informationsbedürfnis und andererseits gab es einer verunsicherten Bevölkerung neue Zuversicht in einer militärisch kritischen Phase des Krieges, ja es war geradezu mit einer „hope of salvation“
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Zit. n. Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 58. Bereits Tage zuvor hatte Churchill dem russischen Oberkommando vorgeschlagen, russische Truppen an der deutschen Ostseeküste mit dem Ziel Berlin zu landen oder Kiel und den Nord-Ostsee-Kanal anzugreifen. Ebd., S. 52. Brock und Brock (Hrsg.), Asquith, Nr. 140, S. 210. Poincare, Service, Bd. 5, S. 223. The Times, 13. August 1914.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
verbunden.249 (d) Das ‚Russian Rumour‘ appellierte an stereotype Vorstellungen über Russland und die russische Armee. Mit angeblich fast religiöser Hingabe habe man an die ‚russische Dampfwalze‘, die scheinbar unerschöpflichen Menschenmassen des Zarenreiches geglaubt.250 Bis zur Marneschlacht war die russische Armee siegreicher als die westlichen Alliierten – die Niederlagen von Tannenberg und an den Masurischen Seen wurden in der britischen Presse eher angedeutet als berichtet – und schien ganz dem Bild der russischen Dampfwalze zu entsprechen. Es verwundert also nicht, dass gerade von russischen Soldaten auch an der Westfront Erfolge erwartet wurden. Beeinflusst von der beginnenden Gräuelpropaganda erwarteten nicht wenige Briten von den russischen Soldaten, nun gerechte Rache für deutsche Untaten. Vor allem Kosaken galten als Halbwilde und waren ein Synonym für barbarische Grausamkeit.251 Ende August notierte eine Londonerin in ihrem Tagebuch über den russischen Vormarsch in Ostpreußen „it is not thought brutal or lowering that the Cossacks should take their toll. [...] No one would appear to regret the sack of Berlin.“252 (e) Das Gerücht lieferte eine Erklärung für die überall zu beobachtenden Truppentransporte, das Auftauchen fremder Uniformen und die vielen Verspätungen und Veränderungen im Eisenbahnverkehr.253 (f) Weiter verstärkt wurde die Akzeptanz des Gerüchtes durch die weit verbreitete Überzeugung, dass wichtige Entscheidungen von der Regierung geheim gehalten würden.254 Nicht zuletzt die Verladung und Verschiffung der BEF unter Ausschluss der Öffentlichkeit hatte gezeigt, dass vor der Bevölkerung Informationen verborgen wurden. Dieses Wissen um notwendige Maßnahmen der Geheimhaltung förderte die Bereitschaft, hinter den von der Zensur errichteten Mauern des Schweigens weitere Geheimnisse zu vermuten. In den ersten Tagen nach seinem Entstehen wurde das Gerücht mündlich und brieflich verbreitet, und nicht nur die ungebildeten Massen schenkten ihm Glauben.255 Wie der Londoner Journalist MacDonagh in seinen Memoiren feststellte, wurde es von üblicherweise gut informierten Personen verbürgt, und auch er selbst habe es ‚am Leben‘ gehalten.256 In der britischen Presse fand das Gerücht 249 250 251 252 253
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Pollard, Rumour, S. 324. Metchim, Our Own History, S. 10. The Star, 25. August 1914. Anonymous Diary Kept by a London Woman from July to September 1914, IWM, Misc 522. So wurde in der Verschiffung tausender russischer Soldaten die Ursache dafür gesehen, dass viele bekannte Passagierschiffe wie die ‚Lusitania‘ oder die ‚Mauretania‘ seit Wochen nicht mehr gesehen wurden. Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 32 (2. 9. 1914). Oman, Presidential Address, S. 16–17. Einzelne Zeitungen – vor allem die Provinzpresse – berichteten aber bereits Ende August knapp über das Gerücht. Watson und Oldyrod, Snow on Their Boots, S. 186–189. MacDonagh, In London, S. 21–23 (8. 9. 1914). Auch der Herausgeber der Morning Post, H. A. Gwynne vertraute dem Gerücht nach anfänglicher Skepsis. Wilson (Hrsg.), Rasp of War, S. 30–31 (3. 9. 1914), 26 (1. 9. 1914). Nicht überprüfbar ist, ob tatsächlich, wie an anderer Stelle behauptet, neun Zehntel der Bevölkerung dem Gerücht Glauben geschenkt hatten. Oman, Presidential Address, S. 16; Pollard, Rumour and Historical Science, S. 324.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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erst mit einem Umweg über amerikanische Zeitungen Erwähnung. Als am 3. September 1914 der Passagierdampfer ‚Mauretania‘ in New York anlegte, berichteten zahlreiche Passagiere der New York Times, was sie vor dem Ablegen am 27. August in Liverpool gehört und gesehen hatten – unter anderem auch das ‚Russian Rumour‘. Erst nachdem die amerikanische Presse wiederholt darüber berichtet hatte, verbreitete als erste britische Zeitung The Star am 8. September 1914, dass Russen in Frankreich gelandet seien. In den folgenden Tagen führte das Verlangen der Zeitungen nach immer sensationelleren Schlagzeilen zu weiteren erstaunlichen Nachrichten. Am 12. September wollte schließlich der Journalist Percival Philips die Russen sogar mit eigenen Augen in Belgien gesehen haben: „For two days I have been on a long trek looking for the Russians, and now I have found them – where and how it would not be discreet to tell, but the published statement that they are here is sufficient, and of my own knowledge I can answer for their presence.“257 Vermutlich waren dieser und andere angebliche Augenzeugenberichte über russische Soldaten in Belgien und Nordfrankreich der Anlass, dass das Press Bureau am 15. September ein knappes Dementi verbreitete.258 Ein Motiv für das späte Eingreifen ist nicht bekannt, schließlich war das Gerücht bereits seit fast drei Wochen unwidersprochen in Umlauf. Noch am 8. September hatte das Press Bureau eine Agenturmeldung passieren lassen, dass aus Furcht vor 250 000 russischen Soldaten der Kaiser mit seinem Stab Frankreich verlassen habe.259 Im Gegensatz zu den Botschaften Frankreichs und Russlands, die am gleichen Tag die Meldung verneinten, unterließ die britische Regierung ein Dementi.260 Wahrscheinlich blieb das Gerücht aus Rücksicht auf die mit ihm in der Bevölkerung verbundenen Hoffnungen unwidersprochen. Denn erst Mitte September, als das Dementi veröffentlicht wurde, hatte sich mit dem alliierten Sieg in der Marne-Schlacht die Situation an der Westfront stabilisiert und die zwingende Notwendigkeit eines sofortigen russischen Eingreifens bestand nicht mehr. In London wurde das Dementi als große Enttäuschung wahrgenommen.261 Doch auch danach wollten nicht alle Londoner an das Nichtvorhandensein russischer Soldaten an der Westfront glauben, und manchen galt das Dementi sogar als Bestätigung, dass die Russen in Wahrheit bereits an der Front seien. Um den Feind zu täuschen, werde die Angelegenheit aber momentan dementiert. Solange jene Faktoren, auf die das Gerücht ursprünglich zurück ging, nicht an Aktualität und Relevanz verloren hatten, wurde das Gerücht in modifizierter Form weiter verbreitet: Es entstanden Folgegerüchte, in denen an Stelle Russlands an257
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Daily News, 14. September 1914. Philips war ein erfahrener Journalist, dessen Karriere durch diese ‚Ente‘ keinen Schaden nahm. Im weiteren Verlauf des Krieges zählte er zu den offiziellen britischen Kriegsberichterstattern. In den Akten des Press Bureau (PRO HO 139) finden sich keine Hinweise auf das Vorgehen. The Star, 8. September 1914; Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 36 (9. 9. 1914). Standard, 8. September 1914. Macdonagh, In London, S. 24 (15. 9. 1914).
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
dere Verbündete Verstärkungen an die Westfront schickten.262 Weitere Gerüchte boten Erklärungen, warum die erwarteten russischen Soldaten noch nicht an der Westfront eingetroffen waren. So verbreitete sich nach der Versenkung des Dampfers ‚Oceanic‘ vor Schottland die Annahme, dass dieses Schiff die Artillerie der russischen Truppen transportiert hatte. Nun müsse man abwarten, bis neue Geschütze aus Archalansk gebracht würden.263 Noch im November 1914 musste die Regierung im Parlament die Frage verneinen, ob während des Krieges russische Truppen durch Großbritannien an die Westfront verlegt worden waren.264 Sogar in Norwegen war das Gerücht von Dauer: Ende Oktober berichtete der deutsche Gesandte aus Kristiana, dass die russischen Soldaten nun von der West- an die Ostfront zurücktransportiert würden.265 Aber das ‚Russian Rumour‘ ist nicht nur als eine kommunikationsgeschichtliche Perspektive auf die Erfahrung der ersten Kriegswochen zu verstehen, es hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf den Kriegsverlauf. Nach dem Krieg wurde spekuliert, der britische Nachrichtendienst habe das Gerücht verbreitet, um den deutschen Generalstab zu täuschen.266 Dies vermutete bereits am 23. September die Times. Auch Gempp sah in dem Gerücht eine „über die ganze Welt ausgedehnte Propagandaaktion“, die allein dazu diente, den Generalstab in die Irre zu führen.267 Im August 1914 führten britische Streitkräfte Truppenbewegungen durch, mit denen der Gegner über Vorhandensein und Stärke bis dato nicht bekannter Kräfte getäuscht werden sollte. So landeten am 26. August 1914 auf Befehl Churchills britische Marineinfanteristen in Ostende, die im deutschen Oberkommando den Eindruck erwecken sollten, Vorhut einer größeren Streitmacht zu sein. Wie der kommandierende Offizier der Marineinfanteristen feststellte, konnten diese aufgrund ihrer ungewohnten Uniformen für Russen gehalten werden. Angesichts der vielen deutschen Spione sorgte er dafür, dass das Gerücht, russische Truppen seien in Ostende gelandet, als ‚strenges Geheimnis‘ so weit wie möglich herumerzählt wurde.268 Nach einer inoffiziellen Geschichte des britischen Nachrichtendienstes wurden 1914 alle Briefe und Telegramme des deutschen Agenten Carl Hans Lody, der im September 1914 in Edinburgh war, von der Briefzensur angehalten. Nur ein einziger Brief, in dem Lody das Gerücht von den russischen Soldaten berichtete, sei durchgelassen worden, da dieses unbedingt in Deutschland verbreitet werden sollte.269 Die ge262 263 264 265 266 267 268 269
Ende Oktober 1914 schrieb eine britische Krankenschwester aus Frankreich, dass angeblich japanische Soldaten in Marseille gelandet seien. IWM 84/41/1. Macdonagh, In London, S. 24 (15. 9. 1914); Clark, Echoes, S. 21 (3. 10. 1914). HC Bd. 68 (18. 11. 1914), Sp. 417–418. PAAA R 20888, fol. 16. Felstead, German Spies at Bay, S. 30. Es wird vermutet, dass es sich aus einer vorübergehenden Truppenverschiebung entwickelte. Gilbert, Churchill, Bd. 3, S. 56. Gempp-Bericht, II. Teil, 4. Abschnitt, BA/MA RW 5, Film Nr. GC 419 P, fol. 275 und II. Teil, 6. Abschnitt, ebd., fol. 353. Aston, Secret Service, S. 73, 83. Felstead, German Spies at Bay, S. 30.
V.3. Kommunikation zwischen Information und Verunsicherung
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nannten Beispiele sind Hinweise darauf, dass das Gerücht instrumentalisiert wurde, um die deutsche militärische Führung in die Irre zu führen – nicht aber, dass es von Anfang eine Manipulation war. Weitgehend unbekannt ist, dass das Gerücht mit der folgenreichen Entscheidung des Oberst Hentsch Anfang September 1914 den Ausgang der MarneSchlacht tatsächlich mit beeinflusst hatte. Der Chef der Nachrichtenabteilung des Generalstabes Hentsch war am 8. September von Generalstabschef Moltke aus dem über 200 Kilometer entfernten Großen Hauptquartier in Luxemburg zu den äußersten Flügelarmeen vor Paris detachiert worden, um die Ordnung der Front wiederherzustellen.270 Nach der offiziellen Darstellung des Reichsarchives sollen ihn die Nachrichten über eine mögliche Bedrohung der Flanken durch russische Truppen in seinem Rückzugsbefehl beeinflusst haben. 1925 beschrieb der damalige Chef der Operationsabteilung des Generalstabes, Oberst Tappen, seine Bedenken gegen diese „Alarmnachrichten“ und „Märchen.“ Hentsch habe diese auf Moltke ‚übertragen‘ und dessen Entscheidung (mit-) beeinflusst.271 Doch anders als es die Darstellung des Reichsarchivs nahe legt, war Hentsch nicht Opfer seiner Nerven, sondern seine Entscheidung basierte auf Agentenmeldungen, die dem deutschen militärischen Nachrichtendienst zugegangen waren. Seit Anfang September waren dort aus ganz Europa als zuverlässig beurteilte Berichte eingegangen, die eine Bedrohung durch russische Truppen an der Westfront wahrscheinlich erschienen ließen.272 Auch die Berichte des bayerischen Militärbeauftragten an das bayerische Kriegsministerium geben Aufschluss über die Aufnahme entsprechender Nachrichten im Großen Hauptquartier. Am 6. September notierte er: „man spricht von englischen Nachschüben aus Indien, ja, sogar von russischen Truppen, die die englische Flotte aus Archalansk abholen u. nach dem Kanal geleiten soll.“273 Am folgenden Tag berichtet er: „Nach Agentennachrichten soll russ. A. K. in England, die indischen Truppen in Marseille gelandet sein.“274 In Berlin wurde das Gerücht auch in Regierungskreisen für plausibel gehalten: Ebenfalls am 6. September 1914 be270
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Strachan, First World War, S. 256. Die nicht mit dem geheimen Nachrichtendienst (Abt. III b) zu verwechselnde Nachrichtenabteilung wertete dem Generalstab zugehende Meldungen aus, so dass Hentsch die zahlreichen Berichte mit Sicherheit kannte. Reichsarchiv (Hrsg.), Marne-Feldzug, S. 130–131. Zu den Sorgen im deutschen Hauptquartier über eine Bedrohung der Flanken durch frische Truppen s. die Berichterstattung des bayerischen Militärbeauftragten aus dem Großen Hauptquartier. Schulte, Neue Dokumente zu Kriegsausbruch. BA/MA Gempp-Bericht, II. Teil, 3. Abschnitt, Anl. B. 4 und 7. Zu weiteren deutschen Agentenmeldungen s. Boghardt, Spies of the Kaiser, S. 92–93. Das Gerücht lief ab Ende August auch in Frankreich um. Für Marc Bloch war nicht zu unterscheiden, ob es seinen Ausgang in Großbritannien genommen hatte oder parallel in Frankreich entstanden war. Bloch, Falschmeldungen, S. 198–199. Der britische Botschafter in Paris notierte am 8. 9. 1914 in seinem Tagebuch, dass das ‚Russian Rumour‘ auch dort verbreitet war. Lennox (Hrsg.), Diary of Lord Bertie, Bd. 1, S. 30. S. a. Poincare, Au Service de la France, Bd. 5, S. 223. Schulte, Neue Dokumente zu Kriegsausbruch, S. 155. Ebd., S. 169.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
richtete der württembergische Gesandte nach Stuttgart: „Die Nachricht von japanischen Truppentransporten nach Europa wird nicht für wahrscheinlich gehalten. Dagegen wiederholt sich die Meldung immer wieder, dass Russland von Archalansk durch das Weiße Meer 80 000 Mann nach Belgien oder Frankreich schicken will. Jedenfalls wird hier damit gerechnet.“275 Ein in das Große Hauptquartier kommandierter Marineoffizier notierte Anfang September entsprechende aus Berlin kommende „Latrinennachrichten.“276
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte V.4.1. Spione, Saboteure und Fremde In den aufgeregten Wochen des Sommers 1914 bestätigten Gerüchte Vorurteile und trugen zur Entstehung und Verfestigung bestehender Feindbildern wesentlich bei.277 Sie stigmatisierten den nationalen Feind zum Unmenschen, bestätigten die eigene Unschuld und trugen zur nationalen Geschlossenheit bei. In auffälliger Weise thematisierten die Gerüchte dieser Wochen in ihrer Mehrheit den äußeren Feind. Auch Gerüchte über Spione bezogen sich auf Handlungen, die durch Agenten des Feindes im Inland vorgenommen wurden. Dafür sind typisch die Nachrichten über die Entlarvung verkleideter Offiziere, die unter einer harmlos erscheinenden Verkleidung Uniform trugen. Im ganzen Deutschen Reich führten Falschmeldungen über Anschläge zu ‚wilden Verhaftungen‘. Schwarze Haare, ein dunkler Teint oder eine schlecht sitzende Uniform genügten, um Verdacht zu erregen.278 Häufig konnte die Polizei die Opfer der Verfolgungsjagden nicht mehr vor einer aufgebrachten Menge schützen. Schon nach wenigen Tagen hatte die ‚Spionitis‘ eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik gewonnen.279 Die Erregung steigerte sich derartig, dass in der Presse schließlich zur Mäßigung aufgerufen werden musste. Zweifellos war diese Jagd auf Spione von verschiedenen Behörden initiiert worden. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass die Angst vor Spionen wider besseres Wissen geschürt worden war, um die Bevölkerung aufzuhetzen. Alle Planungen des Militärs waren davon ausgegangen, dass noch vor Kriegsausbruch mit plötzlichen Überfällen und Sabotageakte zu rechnen war.280 Wie auch die Meldung eines Bombenangriffs bei Nürnberg bestätigten Falschmeldungen und Gerüchte über Spione militärische Erwartungshaltungen.281 275 276 277 278 279 280 281
WüHStA E 50/03, Nr. 214, fol. 800 Epkenhans, Leben, S. 425 (4. 9. 1914). Allgemein zu Feindbildern Jahr et al. (Hrsg.), Feindbilder; Jeismann, Vaterland; Reichardt, Feindbild; Kühnhardt, Mentalität; Wittek, Auf ewig Feind, Kap. 1. Z. B. Stein, Erlebnisse, S. 51–52. Zur Spionitis s. Altenhöner, Spionitis. Jansen, Weg, S. 144 f., 152–155. Ebd, S. 473.
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte
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Eine 1918 von Abt. III b zusammengestellte Übersicht, die die zwischen dem 1. August 1914 und dem 31. Juli 1917 ausgesprochenen Verurteilungen wegen Spionage durch zivile und militärische Gerichte zusammenfasst, zeigt, dass nach Kriegsausbruch Verurteilungen wegen Sabotageakten so gut wie nicht vorkamen. Der Großteil der Urteile erging wegen tatsächlicher oder angeblicher Kollaboration in vorübergehend von französischen und russischen Truppen eroberten Gebieten im Elsass, in Lothringen bzw. in Ostpreußen. Aus den Großstädten, in denen die ‚Spionitis‘ in den ersten Wochen des Krieges die heftigsten Reaktionen gezeitigt hatte, liegen fast keine Verurteilungen vor.282 Nach dem Krieg erklärte Nicolai, dass sich die Mitarbeit der Bevölkerung bei der Suche nach Spionen nicht bewährt hätte, so dass der Generalstab am 13. August 1914 befohlen hatte, die Mitarbeit der Bevölkerung zwar wach zu halten, eine „planlose Spionenfurcht“ aber zu vermeiden war.283 Behördenintern galten so genannte ‚Goldautos‘ als augenscheinlichste Synonyme der allgegenwärtigen ‚Spionitis‘. So betonte die Ende August 1914 erarbeitete Dienstanweisung für die Presseabteilung der StAbt. III b ausdrücklich: „Planlose Spionenfurcht (Goldautomobile) darf im Volke nicht erzeugt werden.“284 Nachrichten und Gerüchte über Spione im August 1914 hatten Folgen, weil sie in den ersten Wochen des Krieges vielen plausibel und glaubwürdig erschienen. Sie entsprachen nicht nur den Erwartungshaltungen der Mitarbeiter der Spionageabwehr, sondern auch den langjährigen Ängsten einer zunehmend verunsicherten Bevölkerung. Denn nicht nur das Entstehen von Nachrichtendiensten, sondern auch die kollektive Sensibilisierung der Bevölkerung für Spionage war ein Prozess, der sich in der Dekade vor 1914 nahezu zeitgleich überall in Europa vollzogen hatte. So fraglich ihr Ursprung auch ist, so offensichtlich ist die Wirkung der Gerüchte über Spione. Ihre Funktion war zum einen die Rationalisierung kollektiver Ängste. Zum anderen ermöglichten Gerüchte über sie die Teilhabe des Einzelnen am großen, weit entfernten Kriegsgeschehen und somit einen individuellen Beitrag zur großen Sache. Die angenommene Allgegenwart der Spione vermittelte den Eindruck, als sei Deutschland nicht nur an seinen Grenzen von Feinden umgeben. Die äußere Einkreisung fand in den Nachrichten über Spione im Landesinneren ihre Erweiterung. Spione personifizierten und vergegenwärtigten den Feind und die ihm zugeschriebenen Eigenschaften allerorten: skrupel- und ruchlose Gestalten, die zu einer ‚ehrenvollen‘ Kriegführung außerstande waren und so in der Folge ein rücksichtsloses Vorgehen legitimierten. Angesichts der vermeintlich zahllosen feindlichen Agenten und deren skrupelloser Tätigkeit konnten sich die Deutschen scheinbar zu
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BayHStA St. GK I. Bay. AK, Nr. 1337. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 32. BA/MA RM 3, Nr. 10294, fol. 5. Die Bemerkung „Goldautomobile“ verwies auf die Anfang August überall zu beobachtende Fahndung nach Autos, die angeblich riesige Geldsummen quer durch das Reich von Frankreich nach Russland schmuggeln sollten. Verhey, Geist, S. 147–148, 150–151.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Recht als die Überfallenen und Angegriffenen wähnen. Nun galt es, diesen Feinden mit aller Entschlossenheit in einem gerechten Krieg entgegenzutreten. Auf den Straßen Berlins kam es zu zahllosen verbalen Übergriffen und Gewaltausbrüchen gegen tatsächliche und vermeintliche Fremde und angebliche Spione und zu Steinwürfen und Pöbeleien vor den Botschaften der nun verfeindeten Staaten. Vor allem in den ersten Kriegstagen waren Ausschreitungen gegen Personen, die als fremd, feindlich oder auch nur nicht gleichermaßen im patriotischen Rausch verfallen angesehen wurden, an der Tagesordnung. Banden von Jugendlichen machten geradezu ‚Jagd‘ auf Fremdwörter und nicht selten wurden unter Zwang Namensänderungen an Cafes und Restaurants vorgenommen.285 Am 5. August verbreitete sich in Berlin das Gerücht, dass der als Trinkwasserreservoir verwendete Müggelsee von Russen vergiftet worden wäre. Eine sofortige Untersuchung des Wassers ergab, dass kein Anlass zur Beunruhigung vorlag.286 Wegen dieses Gerüchts tranken in Berlin „zahllose Familien das Wasser nur noch abgekocht. Und die Freibäder wurden den Menschen durch das Gerücht verekelt, der Müggelsee sei vergiftet.“287 Hierbei handelte es sich um keinen Einzelfall: Im gesamten Reich war unter der Bevölkerung die Angst vor einer Vergiftung von Trinkwasser und Lebensmitteln weit verbreitet. Zur Intensität dieser Ängste hatte vor allem die Falschmeldung über einen angeblichen Fall von Brunnenvergiftung in Metz beigetragen. Im Auswärtigen Amt war am 2. August die Nachricht eingegangen, dass am Tag zuvor „ein französischer Arzt mit Hilfe zweier verkleideter Offiziere versucht [hat], die Brunnen des Metzer Vororts Montsigny mit Cholerabazillen zu vergiften. Er wurde standrechtlich erschossen. Ein französischer Mehlhändler hat Mehl vergiftet.288 Am 3. August wurde die Nachricht von einem aus Metz eingetroffenen Offizier bestätigt. Ebenfalls am 3. August fügte allerdings ein weiterer hoher Beamter hinzu, dass sich nach Meldung des Generalstabes die Nachricht „von Brunnen- und Mehlvergiftung als Tartarennachricht heraus [stellte]. [Der Generalstab] bittet dringend, solche Nachrichten nicht zu veröffentlichen bzw. zu verwerten, ehe nicht der Generalstab sie nachgeprüft bzw. zugestimmt hat.“289 Obwohl in diesem Fall die Falschmeldung erkannt worden war, verhinderte dies weitere Schutzmaßnahmen nicht. Am 6. August wies der Innenminister die Regierungspräsidenten an, aufgrund der „erhöhten Seuchengefahr“ unverzüglich eine Prüfung der wichtigen Wasserleitungen durch Kreisärzte vornehmen und durch Vergiftung gefährdete Wasserwerke unter Bewachung stellen zu lassen.290 Nur zwei Tage später mahnte der Staatssekretär im Reichsamt des Inne-
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Ebd., S. 151–152; Gerlach, Zeit, S. 19–20.; David, Kriegstagebuch, S. 20 (21. 8. 1914). „Falsches Alarmgerücht“, in: Vossische Zeitung 393, 5. August 1914. Gerlach, Zeit, S. 17. Vgl. Jastrow, Kriegszustand, S. 49. Deutsche Dokumente, Bd. 3, Nr. 690, S. 154–155. Ebd., S. 155, Anm. 4. WüHStA E 40/72, Nr. 606.
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte
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ren, dass die „Möglichkeit der böswilligen Infizierung von Brunnen mit Krankheitserregern“ grundsätzlich zuzugeben wäre, auf eine allgemeine Empfehlung, Trinkwasser abzukochen, aber zu verzichten da dies die „Erregung der Bevölkerung in unerwünschter Weise steigern“ würde.291 Das Beispiel zeigt, dass die politische und militärische Führung des Reiches zwar die Falschmeldung über die Brunnenvergiftung verbreitet hatte, dies aber unter der Annahme geschehen war, dass sie zutreffend sei. Nachdem sich die Falschmeldung als solche herausgestellt hatte, wurde sie dementiert.292 Falschmeldungen wurden zwar für die Kriegshetze instrumentalisiert, aber nicht wider besseres Wissen in Umlauf gebracht. Obwohl 1914 in allen Krieg führenden Staaten Gerüchte verbreitet waren, dass feindliche Agenten eifrig versucht hätten, die Trinkwasserversorgung zu vergiften, wurde nirgends auch nur der kleinste Verdacht bestätigt.293 Schon bald räumten deutsche Zeitungen ein, dass z. B. die angebliche Vergiftung der Weichsel durch russische Agenten auf die Abwässer einer Zellstofffabrik zurückzuführen war. Auch angebliche Infektionen mit Bakterien wurden nicht bestätigt. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass eine irgendwie geartete Vorsicht gegenüber dem Trinkwasser, wie Abkochen oder Filtrieren, nicht angebracht sei.294 Seuchen und Vergiftungen als Topos von Gerüchten spiegeln angesichts der zurückliegenden Epidemien – die letzte große Choleraepidemie in Deutschland traf 1892 Hamburg – kollektive Ängste wieder. Lebte man noch Anfang des 19. Jahrhunderts mit Seuchen und Krankheiten als mehr oder weniger schicksalhaften Plagen, so hatte der seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert massenwirksame Prozess der Hygienisierung Seuchen nicht mehr auf das Schicksal, sondern auf winzigkleine, allgegenwärtige Bakterien zurückgeführt. Gerüchte über Seuchen entsprachen nicht nur den (un-) mittelbaren Lebenserfahrungen, sie erhielten ihre besondere Plausibilität nicht zuletzt dadurch, dass die Hygiene in erheblichem Umfang Ängste vor Krankheiten und Bakterien konditioniert hatte.295 Es fällt auf, dass sich das Handeln der karnevalesken Massen und die meisten Gerüchte über den inneren Feind immer auch auf den äußeren Feind bezo291 292 293 294 295
WüHStA E 40/72, Nr. 606. Deutsche Dokumente, Nr. 690, S. 154–155 Vgl. Loewenberg, Rumors; Nkpa, Rumors. Berliner Tageblatt 432, 26. August 1914. Epidemien waren im 19. Jahrhundert immer von schuldzuweisendem Rumoren begleitet – am bekanntesten ist der antisemitische Vorwurf der Brunnenvergiftung. Im weiteren Verlauf des Krieges wurden sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien wiederholt Sorgen über eine Bedrohung der Heimatfronten durch eine Kriegführung mit Giften geäußert. Nachdem das Hamburger Fremdenblatt am 14. 4. 1917 berichtet hatte, dass Frankreich versuchen würde, Seuchen im Deutschen Reich zu verbreiten, wandte sich im Reichstag der Abgeordnete Heckscher an den Kriegsminister. VdR 309 (24. 4. 1917), S. 2937–2938. 1918 diskutierte das War Cabinet mehrfach die für die Bevölkerung Londons von Gasbomben ausgehende Gefahr Vgl. PRO CAB 23/4, WC 306 (1) (26. 12. 1917); PRO CAB 23/5, WC 350 (6) (20. 2. 1918); PRO CAB/5, WC 411 (20) (14. 5. 1918). S. a. Hayward, Myths and Legends, S. 19. Zu den Luftangriffen auf London s. Kap. VI.3.1.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
gen.296 Über Bevölkerungsgruppen, die vor dem Krieg z. T. noch außerhalb des nationalen Konsenses standen, lassen sich – auch in den durchgesehenen Tagebüchern – nur wenige Gerüchte finden. Es verwundert, dass sich in einem derart xenophob aufgeladenen Klima antisemitische Gerüchte und Ausschreitungen nicht in einem signifikanten Ausmaß nachweisen lassen.297 So schrieben Gerüchte über Brunnenvergiftung, einem der jahrhundertealten antisemitischen Stereotype, die Tat Agenten der feindlichen Mächte zu, nicht aber Juden. Auch auf Gerüchte über Sozialdemokraten finden sich ebenfalls nur wenige Hinweise. Die einzige durch die Presse gehende Falschmeldung, die die SPD zum Gegenstand hatte, war die angebliche Ermordung von Karl Liebknecht. Italienische Zeitungen hatten gemeldet, dass er wegen Defätismus erschossen worden sei und daher in Berlin Unruhen ausgebrochen seien; auch Rosa Luxemburg sollte ermordet worden sein.298 Der Tag hatte zuvor spekuliert, dass die Nachricht von der britischen Presse in Italien lanciert worden sei. Reichskanzler Bethmann-Hollweg beklagte sich in einer Sitzung des preußischen Staatsministeriums zu diesem Vorfall: „Allein das Gerücht, dass Liebknecht füsiliert sei, hat nach übereinstimmenden Berichten der Missionen Stimmung gegen uns gemacht.“299 In Großbritannien korrespondierte die ‚Spionitis‘ weitaus stärker als im Deutschen Reich mit vor dem Krieg verbreiteten Ängsten und populären Deutungsmustern.300 Zu der Sensibilisierung breiter Bevölkerungsschichten für die von Spionen ausgehende Bedrohung hatte das vor dem Krieg neu entstandene Genre des Spionageromans erheblich beigetragen.301 Autoren wie William Le Qeuex oder John Buchan hatten Szenarien von einer Unterwanderung der britischen Gesellschaft durch deutsche Spione entworfen, die viele in der aufgeheizten Stimmung der ersten Kriegswochen bestätigt sahen. In diesem hasserfüllten und z. T. panischen Klima war die Figur des Spions wie im Deutschen Reich Projektionsfläche kollektiver Ängste. Falschmeldungen und Gerüchte über Anschläge und Attentate wurden von den Zeitungen bereitwillig aufgegriffen und als Fakten ausgegeben. Doch weder trafen Berichte über Abertausende deutsche Spione zu, noch war es zu Anschlägen oder Attentaten gekommen. Zu den Gerüchten über die Gefahr, die von deutschen Spionen ausging, trugen nicht zuletzt die zahllosen Falschmeldungen über bereits hingerichtete deutsche 296 297
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Zu karnevalesken Massen s. Kap. V.1. Zwar verweisen Bergmann und Wetzel auf einige wenige Fälle offener Gewalt gegenüber Juden bei Kriegsausbruch. Doch scheint es sich hier um Einzelfälle zu handeln, die gegenüber der xenophoben Gewalt zurücktreten. Vorwärts 222, 16. August 1914. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Nr. 79, S. 194, Anm. 4. French, Spy-Fever; Morris, Scaremongers. Zu deutschen Spionageromanen s. Altenhöner, Spionitis, S. 81. Hiley, Decoding German Spies; Hindermann, Spionageroman. Zum Genre der Invasionsromane s. Husemann, When William came; Keep, Fearful Domestication; Eby, The Road to Armageddon.
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte
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Spione bei. Erst am 27. August betonte der Home Secretary im Unterhaus, dass keine deutschen Spione erschossen worden seien.302 Die Bevölkerung beteiligte sich mit großem Eifer an der Jagd nach Spionen und wurde durch Zeitungen zu Wachsamkeit angehalten. Bis Anfang September erhielt die Londoner Metropolitan Police zwischen 8 000 und 9 000 Hinweise auf vermutete Spione. Von diesen wurden 90 Fälle ernsthaft geprüft, alle erwiesen sich als unbegründet.303 Nicht selten gingen diese Hinweise auf verdächtige Beobachtungen wie Lichtzeichen zurück. In der Regel wurde hinter diesen die Kommunikation deutscher Agenten untereinander oder geheime Botschaften an Schiffe und Luftfahrzeuge vermutet.304 Aus der reißerischen Berichterstattung der Presse, der weit verbreiteten Sensationslust und einem sich aus Hörensagen und Gerüchten nährenden Halbwissen, aus Übertreibungen und Missverständnissen entstand ein Klima der Verdächtigungen und der Angst. Alltägliche Beobachtungen wurden dahingehend gedeutet, dass der Feind sich bereits innerhalb der eigenen Hauptstadt und eventuell bereits im Haus gegenüber aufhielt. Zu dem Gefühl der Bedrohung durch Spionage trugen auch die Versuche der Presse bei, den scheinbar unerklärlichen deutschen Vormarsch durch eine übermächtige deutsche Spionage in Belgien und Nordfrankreich zu erklären. Auf uneinnehmbar geltenden Festungen wie Namur hatten die Hoffnungen der Heimat geruht, und so kam deren plötzlicher und scheinbar unerklärlicher Fall wie ein Donnerschlag.305 Spekulationen über die Ursache des Falls der belgischen Befestigungsanlagen führten zu zahlreichen Gerüchten.306 Im Herbst verbreiteten sich auch in Großbritannien Nachrichten, dass in verschiedenen Gegenden des Landes Stellungen für schwere deutsche Belagerungsgeschütze ausgehoben worden seien.307 Die Berichterstattung griff auf bereits drei Jahre vor dem Kriegsausbruch erschienene Artikel zurück, dass deutsche Agenten in Belgien heimlich Geschützstellungen anlegen würden. Obwohl einige Zeitungen durchaus erfolgreich einige dieser Berichte widerlegten, stießen diese Aufklärungsversuche auf wenig Glauben.308 Ende Oktober berichtete der militärische Nachrichtendienst, dass er in den vergangenen Wochen zahlreiche Zuschriften erhalten habe, in denen vor angeblich vorbereiteten Betonstellungen für Ge302
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HC 66 (27. 8. 1914), Sp. 145. Die 21 bei Kriegsausbruch in Großbritannien tätigen deutschen Spione waren bereits in den ersten Kriegstagen von der britischen Spionageabwehr festgenommen worden. HC 66 (9. 9. 1914), Sp. 564. Thomson erinnert sich, dass wochenlang hunderte Denunziationen eingingen. Thomson, Queer People, S. 40. Vgl. zu ähnlichen Beobachtungen in Paris Bavendamm, Spionage, S. 149–156. Asquith, Autobiography, Bd. 2, S. 205. S. a. Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 19 (23. 8. 1914). The Star, 25. August 1914. Pollard, Rumour and Science, S. 329. Vgl. den bebilderten Artikel einer Londoner Illustrierten: „Scene of the Use of Secret Concrete Gun-Platforms?“, in: Illustrated London News (24. 10. 1914), S. 581. S. a. Ponsonby, Falsehood in War-Time, S. 153–154. S. a. Bavendamm, Spionage, S. 71–72. New Statesman (14. 11. 1914), S. 121. S. a. Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 75, 78.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
schütze, deutschen Waffenlagern und geeignete Aussichtspunkte gewarnt wurde.309 Wie die Presse mehrfach betonte, bedurften diese Geschütze allerdings keiner vorbereiteten Stellungen. Diese Angst vor der unsichtbaren Präsenz des Feindes ist nur vor dem Hintergrund der im Herbst 1914 verbreiteten latenten Invasionsängste zu verstehen, von der auch die militärische und politische Elite des Landes nicht frei war.310 Das Ausbleiben eines sofortigen militärischen Triumphes der Alliierten führte zur Suche nach Verantwortlichen für das Versagen der eigenen Armeen. Diese wurden vor allem bei jenen Angehörigen der gesellschaftlichen, politischen und militärischen Elite gesucht, deren Herkunft als zweifelhaft galt. In Leserbriefen wurde vor deutschen Spionen in der besten Gesellschaft gewarnt, und bereits Anfang September erzählte man sich in Regierungskreisen, der deutschstämmige Bankier Sir Edgar Speyer sei als Spion verhaftet worden.311 Am rechten Rand des politischen und publizistischen Spektrums, z. B. in der National Review, wurden Deutsche, Juden und Spione nahezu synonym betrachtet. Der Herausgeber der Morning Post spekulierte über die Anschuldigungen gegen Speyer: „Personally I do not believe that he is a spy at all, because the Jews always divide their firms into three parts or so, so that one belongs to one country and one to another. Each of them does his work quite independently and is quite loyal to the country in which he lives; but one does not like the idea of a German Jew who has been very generous to the Government, being made a Privy Councillor and more or less in on their secrets.“312 Ein weiteres Opfer entsprechender Verdächtigungen war der Erste Seelord, Prinz Louis of Battenberg, dessen Vater Österreicher war und der im Alter von 14 Jahren naturalisiert worden war.313 Charles Beresford, ehemaliger Admiral und konservativer Abgeordneter, forderte bereits Ende August seinen Rücktritt und stand hinter einer Flüsterkampagne gegen ihn.314 Die Aggressivität der Kampagne gegen Battenberg erklärt sich auch aus dem angeblichen Versagen der Royal Navy und den
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Intelligence Summary (17. 10. 1914–25. 10. 1914), PRO AIR 1/550/16/15/27. Entsprechende Zuschriften erhielten auch viele Zeitungen und rechte Verbände z. B. die Navy League. Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 116; Panayi, Enemy, S. 158. So diskutierte das Kabinett am 21. 10. diese Möglichkeit, vor allem auf Anregung Kitcheners, der sehr beunruhigt war. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 186, S. 281 (21. 10. 1914). S. a. Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 106–107, 111, 118. Z. B. The Times, 22. August 1914; The Times, 26. August 1914. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 142, S. 215, 292–293. Speyer war in Deutschland erzogen worden und 1892 als britischer Staatsbürger naturalisiert worden. Als großzügiger Unterstützer der Liberalen Partei wurde er 1906 geadelt und 1909 zum Privy Councillor ernannt. Speyer besaß Firmen in London, New York und Frankfurt. Ebd., S. 292–293. S. a. Panayi, Enemy, S. 188–191. Über latenten Antisemitismus s. ebd., S. 163, 180–181. Wilson (Hrsg.), Rasp of War, Nr. 24, S. 43 (19. 10. 1914). Zur Biographie Battenbergs s. Hattendorf, Admiral Prince Louis of Battenberg. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 189, S. 285, Anm. 2; French, Spy-Fever, S. 366; Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 122; Macdonagh, In London, S. 34–35 (30. 10. 1914).
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Versuchen der rechten Presse, Churchill als den politisch verantwortlichen Ersten Seelord zu beschädigen. Angesichts der nicht endenden Anschuldigungen trat Battenberg Ende Oktober zurück. Hauptopfer der Verdächtigungen waren jedoch nicht Angehörige der britischen Oberschicht, sondern die über 50 000 in Großbritannien lebenden Deutschen und Deutschstämmigen.315 Bereits im August und Oktober kam es zu vereinzelten Ausschreitungen v. a. gegen deutsche Ladenbesitzer. Unter dem öffentlichen Druck nannten viele deutschstämmige Geschäftsinhaber ihre Geschäfte um, und bis zum Herbst nahmen über 500 Deutschstämmige einen anglisierten Namen an. Zu den prominentesten Beispielen zählte im weiteren Verlauf des Krieges das britische Königshaus, das seinen Namen von Sachsen-Coburg in Windsor änderte.316 Zunehmend veränderte sich das Feindbild des Deutschen, und spätestens Anfang Oktober wurde aus der anfänglichen ‚Spionitis‘ eine weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit.317 So warnte eine von weiten Teilen der Presse mitgetragene Kritik der Times am Vorgehen des Home Office davor, die Anstrengungen auf Spione zu konzentrieren und die Vielzahl der Deutschen im Land zu ignorieren.318 Zu ersten größeren Ausschreitungen kam es im Oktober 1914 im Londoner Stadtteil Deptford und angrenzenden Stadtteilen. Erzählungen von rund 800 belgischen Flüchtlingen waren für die Bewohner des Stadtteils Auslöser für die am 17. Oktober beginnenden Ausschreitungen. Vormittags versammelte sich eine Menge vor einem Geschäft, das einem Deutschen gehörte. Schnell strömten etwa 5 000 Menschen zusammen, die auch gegen zwei weitere Geschäfte in deutschem Besitz vorgingen. Erst mit der Unterstützung von über 300 Soldaten konnte die Polizei die Ordnung wieder herstellen. Bereits am folgenden Tag begannen neue Unruhen, die vom Vormittag bis in die frühen Morgenstunden anhielten und an denen sich 5 000 bis 6 000 Menschen beteiligten. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in vielen Teilen Süd-Londons.319 Zu den Ursachen der Ausschreitungen zählten langwährende Einstellungen gegenüber den Deutschen im Allgemeinen und gegenüber den Deutschen in der Nachbarschaft. So fanden im Rahmen der Ausschreitungen durchaus auch private ‚Abrechnungen‘ mit verhassten Ladeninhabern und Arbeitgebern statt. Ein weiterer wesentlicher Faktor war die germanophobe Berichterstattung der Presse. Zwar wies die Daily Mail jede Verantwortung für die Unruhen zurück und verwies auf den ‚gesunden Volkswillen‘, der die Unruhen verursacht habe.320 Aber einige Zeitungen, wie die liberale Daily News, beklagten durchaus die Pogrom-Treibereien.321 315 316 317 318 319 320 321
Panayi, Enemy, S. 17–18. Zu den Deutschen in Großbritannien s. a. Manz, Migranten. Macdonagh, In London, S. 15 (11. 8. 1914); Panayi, Enemy, S. 108. Ebd., S. 156. The Times, 19. Oktober 1914; Panayi, Enemy, S. 156. Ebd., S. 224–229. Daily Mail, 19. Oktober 1914. Panayi, Enemy, S. 228; Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 114.
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Parallel zur Berichterstattung der Presse entstanden und verbreiteten sich zahlreiche Gerüchte über angebliche Untaten der Deutschen im Land, die eine mächtige Eigendynamik gewannen: The wildest stories are being circulated […] of outrages committed by Germans in our midst. Attempts have been made to destroy the permanent ways of railways and wreck trains! Signalmen in their boxes, and armed sentries at bridges, have been overpowered by bands of Germans who arrived speedily on the scene and, their foul work done, as speedily vanished! Germans have been caught red-handed on the East Coast, signalling with lights to German Submarines. Carrier pigeons have been found in German houses! More damnable still, bombs have been discovered in the trunks of German governesses in English country families! The fact that these things are not recorded in the newspapers does not prove them untrue – at least not to those subject to the spy mania. What about the Press Censorship? The Government deny that there is any foundation whatever for the rumours; but then the Government – these people argue – are not going to admit what everyone knows them to be – footlers, blind as bats to what is going on around them. Why, they have failed to see that tennis courts in country houses occupied by Germans were really gun platforms?322
Das Press Bureau ging nur in einem einzigen Fall gegen eine Zeitung vor, die entsprechende Halbwahrheiten und Falschmeldungen verbreitetet hatte. Im September verwarnte das Press Bureau den konservativen Globe. Die Zeitung hatte unter anderem mehrfach behauptet, dass sich 250 000 bewaffnete Deutsche bereits in London befänden. Das Schreiben entstand auf Anregung des Home Secretary, der in dieser Berichterstattung die Gefahr einer unangemessenen Beunruhigung der Bevölkerung sah. Da ein solcher Artikel einen Verstoß gegen DRR 21 darstellte, der die Beunruhigung der Bevölkerung durch Wort und Schrift verbot, fiel eine Strafverfolgung zunächst in die Zuständigkeit des Militärs, so dass McKenna sich an das War Office gewendet hatte. Da Kitchener ein Vorgehen unter dem DORA ablehnte, veranlasste er das Schreiben des Press Bureau. Die Zeitung ignorierte jedoch diese Androhung eines Strafverfahrens und fuhr in ihrer Berichterstattung fort. Für die Handhabung der Zensur in Großbritannien ist bezeichnend, dass der sich daraus entwickelnde Briefwechsel zwischen Press Bureau und Globe in der Zeitung veröffentlicht wurde.323 Zu den öffentlich laut werdenden Zweifeln an der Entschlossenheit der Regierung, gegen die Bedrohung durch den inneren Feind vorzugehen, hatte auch deren widersprüchliche und inkonsequente Internierungspolitik wesentlich beigetragen. Am 7. August gab das War Office Instruktionen für die Internierung von Deutschen und Österreichern im wehrfähigen Alter aus, nur um diese am nächsten Morgen zu widerrufen. Im September wurden die Internierungen bis auf wenige Ausnahmen eingestellt, da das War Office alle verfügbaren Unter-
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Macdonagh, In London, S. 33 (28. 10. 1914). S. a. Felstead, German Spies at Bay, S. 41–44. HC 68 (23. 11. 1914), Sp. 915–917. S. a. Panayi, Enemy, S. 155; „Under the Heel of the Press Bureau“, in: National Review 380 (Oktober 1914), S. 214–228. Der Brief ist abgedruckt ebd., S. 221.
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte
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künfte für neue Rekruten beanspruchte.324 Im Oktober wurden sie wieder aufgenommen, im November eingestellt. Im Dezember waren noch etwa 14 000 Deutsche und Österreicher im wehrfähigen Alter in Freiheit. Mit Fortdauer des Krieges sank in allen politischen Lagern und in weiten Teilen der Bevölkerung die Bereitschaft, zwischen Deutschen und britischen Staatsangehörigen deutscher Abstammung zu unterscheiden. In Kampagnen gegen Deutsche und naturalisierte Ausländer wurde v. a. von konservativer Seite ein scharfes Durchgreifen – z. B. die Internierung aller Ausländer – gefordert.325 Das Zögern der Regierung und der Verzicht auf sofortiges Einschreiten führten zu Spekulationen, dass weite Regierungskreise von deutschen Agenten kontrolliert würden.326
V.4.2. Gräueltaten Nachdem am 4. August deutsche Soldaten in das neutrale Belgien einmarschiert waren, verbreiteten sich unter den britischen Soldaten und der Zivilbevölkerung innerhalb weniger Tage in Großbritannien von Mund zu Mund Berichte über Ausschreitungen deutscher Soldaten gegenüber belgischen und französischen Zivilisten. Diese Berichte erschienen schon bald in den Zeitungen alliierter sowie neutraler Staaten. Sie erreichten ihren Höhepunkt, als die deutschen Armeen durch Belgien und Nordwestfrankreich marschierten, und endeten erst mit dem Übergang zum Stellungskrieg Ende Oktober. Ähnliche Anschuldigungen wurden auch von deutscher Seite geäußert: Belgische und französische Zivilisten hätten aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten geschossen und Verwundete verstümmelt. Gegen diese ging das deutsche Militär mit äußerster Härte vor.327 Nach Angaben der amtlichen belgischen Veröffentlichungen wurden 1914 in Belgien etwa fünfeinhalbtausend Zivilisten von deutschen Soldaten erschossen. Doch prägten nicht nüchterne Berichte über Exekutionen die Berichterstattung in der belgischen, britischen, französischen und neutralen Presse, sondern Schilderungen von brutalen Verstümmelungen und Vergewaltigungen. Verstärkt wurden diese Berichte durch Erzählungen verwundeter Soldaten und belgischer Flüchtlinge, die ab Ende August in London eintrafen.328 324
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Panayi, Enemy, S. 71–72. Nachdem bis zum 13. August in Großbritannien 1 980 Personen interniert waren, hatte diese Zahl bis zum Ende des Monats auf 4 300 zugenommen und betrug am 23. September 13 600. Daily Mail, 3. September 1914. Mitte Mai 1915 beugte sich Asquith dem massiven Druck der Konservativen und der Straße und erklärte das Ende der bisherigen Internierungspraxis. Bis Ende November 1915 wurden 32 400 Männer interniert und fast 10 000 Männer, Frauen und Kinder deportiert. Müller, Nation, S. 131. Kramer, Greueltaten; Horne und Kramer, German Atrocities; Horne und Kramer German Atrocities, 1914. Zur Kritik an Methoden und Ergebnissen s. die Rezension von Markus Pöhlmann, in: MGZ 64 (2002), S. 564–565. S. a. die Diskussion in: German History 24 (2006), H. 1. Horne und Kramer, German Atrocities, S. 185.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Gerüchte hatten zu einem publizistischen Klima beigetragen, in dem auch die unglaublichste Nachricht nicht nur im Publikum, sondern auch in Redaktionen und Zensurbehörden als glaubwürdig eingeschätzt wurde. Außerdem waren sie ein entscheidender Faktor bei der Entstehung von Gräuelberichten in der ‚Zone der Legendenbildung‘ zwischen Front und Hinterland.329 Es sind hierbei vier Phasen der Gräuelpropaganda zu unterscheiden: (a) Am Anfang standen in der Entstehungsphase zutreffende oder unzutreffende mündliche Berichte über die Ereignisse. (b) In einer ersten Verbreitungsphase wurden persönliche Eindrücke, Berichte und Hörensagen nichtmassenmedial mündlich und schriftlich weitergegeben. (c) Zeitungen berichteten in einer zweiten Verbreitungsphase über diese Ereignisse.330 (d) In der dritten Verbreitungsphase wurden Ereignisse durch eine staatlich beeinflusste Berichterstattung aufgegriffen und kanonisiert. Gerüchten und Hörensagen kam somit bei der Entstehung und ersten Verbreitung der Gräuelberichte eine wichtige Rolle zu. So waren unter deutschen Soldaten bereits während des Aufmarsches, noch vor den ersten Gefechten, Berichte über Angriffe von Franktireurs im Umlauf. Dieser Prozess wurde weder von der Regierung noch von der Presse gesteuert, sondern begann „‚von unten‘, d. h. auf dem Wege der Gerüchte.“331 Die Erinnerung an den französischen Guerillakrieg von 1870 hatte bei deutschen Soldaten Ängste vor belgischen Franktireurs mobilisiert und beeinflusste ihre Erwartungshaltungen derart, dass diese – bereits bevor ihre Einheiten in Kämpfe verwickelt waren – von Übergriffen belgischer Zivilisten ‚wussten‘.332 Auslöser der Presseberichterstattung war eine Depesche des Wolffschen Telegraphen Bureaus vom 8. August, die am folgenden Tag in der gesamten deutschen Presse aufgegriffen wurde.333 In beiden Staaten hatten bereits in den ersten Kriegstagen Berichte über Misshandlungen von Reisenden und der abreisenden Diplomaten die Öffentlichkeit erregt und gewissermaßen als Prolog den Boden für die folgenden Gräuelberichte bereitet.334 329 330
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Bloch, Apologie, S. 86. S. a. ders., Falschmeldungen, S. 210. Zwischen mündlicher Verbreitung und der Veröffentlichung von Gräuelnachrichten konnten erhebliche Zeiträume verstreichen. 1917 gaben britische Zeitungen die Behauptung wieder, deutsche Soldaten würden aus den Körpern ihrer gefallenen Kameraden Seife herstellen. Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 90–93. Die Forschung geht davon aus, dass diese Nachricht ihren Anfang in einem Übersetzungsfehler nahm. Hatte ein deutscher Zeitungsartikel über tierische Kadaver berichtet, so machten britische Zeitungen daraus menschliche Leichname. Bereits 1915 hatte die Schwiegertochter von Premierminister Asquith in ihrem Tagebuch notiert: „We discussed the rumour that the Germans utilise even their corpses by converting them into glycerine with the by-product of soap.“ Asquith, Diaries, S. 44 (16. 6. 1915). Unbekannt ist, inwieweit die Bereitschaft britischer Zeitungen, diese Gräuelnachricht zu drucken, durch Gerüchte wie dieses beeinflusst worden war. Kramer, ‚Greueltaten‘, S. 87. Horne und Kramer, German Atrocities, S. 130. Zum Vorstellungskomplex des Franctireurs s. ebd., Kap. 3. Raithel, Wunder, S. 321. Ebd., S. 320–321; Kestler, Auslandsaufklärung, S. 141.
V.4. Feindmarkierung durch Gerüchte
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Auch auf deutscher Seite gingen die Berichte über die Beschreibung von Kampfhandlungen weit hinaus. Neben Hinterhalten und Überfällen wurden den angeblichen Freischärlern Verstümmlungen und Misshandlungen deutscher Soldaten vorgeworfen. Entsprechende Mutilationsphantasien grassierten während des Krieges auf allen Seiten und waren besonders geeignet, Wut und Hass zu schüren.335 Von Seiten der deutschen Zensurbehörden wurde in einer Hinsicht versucht, die Gräuelberichte zu kontrollieren. Allerdings wandte sich die einzige diesbezügliche Zensuranweisung allein gegen „unbestätigt[e] Gerücht[e] über die Beteiligung katholischer Geistlicher an Gräueltaten in Belgien.“336 Hintergrund war eine zunehmende Beunruhigung der Katholiken im Reich, die sich im Spätsommer und Herbst 1914 als Opfer einer sie diffamierenden Berichterstattung sahen. Viele Zeitungen hatten zuvor den angeblichen Franktireurkrieg zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Anstiftung durch katholische Geistliche zurückgeführt, und wiederholt wurde von Maschinengewehren auf Kirchtürmen und Übergriffen durch Geistliche berichtet. Die Mentalität deutscher Militärs war z. T. von einem ausgeprägten Antikatholizismus gekennzeichnet. So schrieb der Kommandierende General des III. Reserve Armee Korps am 16. August an seine Frau: „Das Betragen der Belgier ist dagegen unqualificierbar; sie zeigen sich nicht als civilisiertes Volk, sondern als eine Räuberbande; eine schöne Folge der belgischen Pfaffenherrschaft.“337 In der Frage der belgischen Geistlichkeit erregte die kritische Berichterstattung der katholischen Presse und die Haltung des Zentrums Zweifel an deren nationaler Zuverlässigkeit. In Stimmungsberichten des preußischen Innenministeriums wurde die „unkluge, übereilte Haltung der Zentrumspresse“338 beklagt und die belgischen Geistlichen als „Sonder-Schützlinge“339 der Zentrumspresse bezeichnet. Im Oktober 1914 versuchten die Zensurbehörden durch die Auflage, dass „Berichte über feindliche Greueltaten an deutschen Verwundeten“ streng zu zensieren waren, Angehörige zu beruhigen.340 Einen Monat später betonte eine weitere Zensuranweisung, dass eine völlige Unterdrückung nicht erwünscht sei, wohl aber ihre „strenge Zensur.“341 Auch wenn die Zensur an einigen Stellen mäßigend einzugreifen suchte, darf dies jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gräuelberichterstattung – auch in ihrer überzogenen Form – von Anfang an politisch erwünscht war. 335 336 337 338
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Kramer, ‚Greueltaten‘, S. 101. Zensuranweisung (7. 9. 1914), Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 18. Zit. n. Kramer, ‚Greueltaten‘, S. 92. Man warnte davor, dass die Sozialdemokratie nicht zögern würde, zu betonen, dass der „ultramontane Internationalismus sich in dieser Zeit nationaler Hochspannung deutlicher gezeigt habe als der proletarische Internationalismus.“ 3. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für die Zeit vom 29. 9. bis 3. 10. 1914 (8. 10. 1914). BA R 43/2437 c, fol. 220–229, fol. 228–229. 4. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für den Oktober 1914. GStA Rep. 90/2681, fol. 22. Zensuranweisung (11. 10. 1914), Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 53. Zensuranweisung (28. 11. 1914), Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 53.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
In Berlin versuchten der Vorwärts und einige liberale Zeitungen – in der Provinz v. a. katholische Zeitungen – kritisch über den Franktireurkrieg zu berichten.342 Auch britische Zeitungen gingen unglaubwürdig erscheinenden Meldungen nach, und nicht selten erwiesen sich Gräuelberichte als freie Erfindungen. Das Press Bureau appellierte an Zeitungen, alle Anschuldigungen gegen deutsche Truppen vor der Veröffentlichung genauestens zu prüfen, und warnte, dass ungeprüfte Behauptungen der alliierten Sache schadeten.343 Eine Provinzzeitung schilderte Mitte September 1914 den Fall einer britischen Krankenschwester, die in Belgien von deutschen Soldaten grausam zu Tode gefoltert worden war. Der Bericht erregte allgemeine Empörung und wurde von mehreren Zeitungen wiederholt. Recherchen der Times ergaben wenig später, dass die Geschichte auf Erfindungen der jüngeren Schwester der Krankenschwester zurückging. Auch wenn hier – wie in einzelnen anderen Fällen – eine Zeitung die Berichterstattung hinterfragte, so wurden die meisten Übertreibungen doch gedruckt. Die Times vermutete im übrigen hinter der Geschichte feindliche Agenten, die mit dieser Übertreibung versuchten, alle Gräuelberiche zu diskreditieren.344 War die Londoner Presse auf das Geschehen in Belgien und Nordfrankreich fixiert, so blickten die Berliner Zeitungen sorgenvoll nach Osten. Der Kriegsverlauf im Osten war von Berichten von Übergriffen russischer Truppen auf die deutsche Zivilbevölkerung begleitet. Mit Flüchtlingen gelangten immer mehr Erzählungen über angebliche Gräueltaten russischer Truppen an der deutschen Zivilbevölkerung nach Berlin. Erst die Siege in der Doppelschlacht von Tannenberg und an den Masurischen Seen zwangen die russische Armee, Ostpreußen zu räumen. In der Bevölkerung wurde die Doppelschlacht von Tannenberg und an den Masurischen Seen als ein Sieg von geradezu biblischen Ausmaßen wahrgenommen. Noch Ende Oktober musste in Berlin das Gerücht dementiert werden, dass „von amtlichen preußischen Stellen Arbeiter gesucht würden, um aus den Masurischen Seen die Leichen der Russen herauszufischen, die in den Kämpfen um Tannenberg hineingetrieben worden seien.“345 Doch auch noch nach den triumphalen Siegen war eine gewisse Unruhe verbreitet. So notierte Eduard David: „Wie es jetzt [4. 9. 1914] im östlichen Ostpreußen aussieht, wissen wir nicht. Seit Tagen herrscht darüber tiefes Schweigen.“346 Wie der bayerische Gesandte in Berlin bereits am 14. September nach München berichten konnte, hatte eine nach Ostpreußen geschickte Untersuchungskommission festgestellt, „daß die Schilderungen von russischen Grausamkeiten und die gemel-
342 343 344 345 346
Raithel, Wunder, S. 323–324. Es ist offen, ob hieraus das erste Verbot des Vorwärts resultierte. Horne und Kramer, German Atrocities, S. 263. D-Notice, Nr. 42 (18. 9. 1914). PRO HO 139/43/164. Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 84. Sozialdemokratisches Pressebureau. Zur Information (26. 10. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 69. David, Kriegstagebuch, S. 34.
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
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dete Verwüstung des Landes auf Unwahrheit beruhen.“347 Zweifellos hatte die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten unter Kampfgeschehen und Besatzung zu leiden. Sie wurde Opfer von Kampfhandlungen, Zerstörungen und Plünderungen, vereinzelt kam es zu Vergewaltigungen und Exekutionen von Geiseln. Dennoch fanden die Ereignisse in Ostpreußen ein „überdimensionales Echo.“348 Der angenommene Gegensatz von Kultur und Barbarei setzte kollektive Vernichtungsängste und Gewaltphantasien frei, die eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik gewannen. Das Feindbild Russland war mit einem hohen Maß ideologischer Aufladung verbunden, und kurzfristig vermochte Russophobie die Gräben innerhalb der deutschen Gesellschaft, unter Einschluss der Sozialdemokratie, zu schließen. Der Sozialdemokrat Friedrich Stampfer schrieb bereits Ende Juli in einem Artikel seiner Korrespondenz: „Wir wollen nicht, daß unsere Frauen und Kinder Opfer kosackischer Bestialitäten werden.“349 Es ist unklar, bei wem Nachrichten über Gräuel ihren Ausgang nahmen: bei von Verwüstungen Betroffene oder bei Soldaten in Einheiten, die bereits vor dem Einsatz von solchen Untaten ‚wussten‘. In beiden Staaten wurden dem Feind von Beginn des Krieges alle Gräueltaten zugetraut, und der weit verbreitete Glaube an Gräuelnachrichten kann als Teil jener Kriegskultur verstanden werden, die im Sommer 1914 innerhalb weniger Wochen entstand. Diese ging nicht allein auf die Berichterstattung der Presse zurück, sondern reflektierte die in den meisten Krieg führenden Staaten verbreiteten Invasionsängste.350 In den Medien wurden die Gräuelberichte zu Ersatzsiegen für die ausbleibenden militärischen Triumphe stilisiert. An die Stelle einer Entscheidung auf dem Schlachtfeld trat die Versicherung, jeweils die moralisch überlegene Seite zu sein. So formten die Gräuelberichte durch die Diskreditierung des Gegners in beiden Staaten Feindbilder und leisteten einen Beitrag zur Legitimation des Krieges. In Großbritannien hatten sie erhebliche Auswirkungen auf die Rekrutierungszahlen.351
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten In beiden Staaten wurden Gerüchte als etwas Unerwünschtes, zu Kontrollierendes angesehen. In Berlin warnten in den ersten Wochen des Krieges alle Zeitungen vor der Verbreitung von Gerüchten und riefen zu Ruhe und Besonnenheit auf. Am 12. August wandte sich Generalquartiermeister von Stein an die Bevölkerung und betonte: „Es ist natürlich, daß unser Volk in diesen Tagen der 347 348 349 350 351
Deuerlein (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 124, S. 341–342. Jahn, Zarendreck, Barbarendreck, S. 146–147. Zit. n. Miller, Burgfrieden, S. 54. Horne und Kramer, War Between Soldiers, S. 161. Horne und Kramer, German Atrocities, S. 185.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Spannung auf jedes Gerücht achtet. Durch Weitertragung pflegen sich die Gerüchte zu vergrößern, mag es sich um Erfolge oder Mißerfolge unserer Waffen handeln.“352 Eine Depesche des Wolffschen Telegraphen Bureaus führte Gerüchte „auf übelwollende Elemente [zurück, die] vielleicht im Auftrag des Feindes, planmäßig auf allen Gebieten des öffentlichen Interesses Alarm und Sensationsnachrichten verbreiten.“353 Auch der Generalquartiermeister hatte in seinem Aufruf vom 12. August die Möglichkeit eingeräumt: „solche Gerüchte können der Phantasie entsprungen sein, können aber auch von feindlicher Seite absichtlich verbreitet werden, um uns zu schaden.“ Urheber falscher oder gefälschter Nachrichten vermutete man auf Seiten des Feindes, sei es in Form der ausländischen Presse oder in Gestalt von Spionen – einzig der Vorwärts warnte vor der Irreführung durch die eigene Seite und sah hinter den Gerüchten: „profitlüsterene Sensationslust oder, was vielleicht ebenso nahe liegt, de[n] Versuch einer unlauteren Stimmungsmache.“354 Bereits zwei Tage zuvor hatte sich der Vorwärts angesichts der „Gerüchtemachereien“ gegen die „ganz unverantwortliche Stimmungsmache irgendwelcher im Dunkel bleibenden Kreise“ gewandt, wenn man auch einräumte, dass die „herrschende Aufregung einer Legendenbildung sehr günstig ist.“355 Mehrfach forderten Zeitungen eine Bestrafung der Verbreiter von „Alarmnachrichten“ und riefen das Publikum dazu auf, diese der Polizei zu übergeben.356 Die Polizei schritt auch an unerwarteten Orten gegen das Entstehen von Gerüchten ein. Wurden zu Anfang des Krieges Kinofilme noch durch melodramatische Musik und mündliche Bilderklärungen begleitet, so wurden letztere schon bald polizeilich verboten. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass „Erläuterungen von nicht sachverständiger Seite [geeignet seien], im Publikum Irrtümer zu erregen und falsche Urteile über die dargestellten Dinge zu verbreiten.“357 Ein Kanal durch den Gerüchte und unkontrollierbares Gerede von der Front in die Heimat gelangte, waren die zahllosen Fronturlauber. Bereits im September 1914 wurden angesichts der mangelnden Diskretion die Soldaten und Offiziere des Feldheeres zu größerer Verschwiegenheit aufgefordert: Freilich läßt sich durch solche Befehle und Verfügungen der erstrebte Zweck nur zum Teil erreichen. Den Erzählungen und oft recht phantastischen Briefen, die durch Verwun352 353 354 355 356
357
„Eine Warnung vor falschen Gerüchten“, in: Vorwärts 218, 12. August 1914. Vorwärts 215, 9. August 1914. Vorwärts 210, 4. August 1914. Vorwärts 208, 2. August 1914. Z. B. Berliner Lokalanzeiger 399, 8. August 1914. Vgl. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 9. August 1914. Da für die Zeit zwischen 1914 und 1918 keine Berliner Gerichtsakten überliefert sind, können keine Angaben über die strafrechtliche Verfolgung der Verbreiter von Gerüchten gemacht werden. Für den Korpsbezirk des OKM liessen sich für 1914 keine Verbote der Verbreitung von Gerüchten nach § 9 b des Gesetzes über den Belagerungszustand nachweisen. Vgl. Kap. II., V.5. und Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten. „Keine Kriegserläuterungen in Berliner Kinos“, in: Licht-Bild-Bühne, Nr. 68 (14. 10. 1914).
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
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dete usw. in der Heimat verbreitet werden, durch ein Verbot beizukommen, ist nicht möglich. In der Presse bietet aber die Zensur das notwendige Vorbeugungsmittel.358
Heimkehrende Soldaten und Offiziere wurden im September angewiesen, „sich vor unbedachten Äußerungen, durch welche Nervosität und Niedergeschlagenheit hervorgerufen wird,“ zu hüten „und sich in ihren Mitteilungen über den Krieg auf die Wiedergabe persönlicher Erlebnisse beschränken.“359 Im Oktober 1914 wies der Stellvertretende Generalstab darauf hin, dass „aus dem Felde zurückkehrende Militärpersonen allerlei phantastische Gerüchte und Klatschereien“ verbreiteten: Teils geschieht dies freiwillig, wohl aus Wichtigtuerei, teils werden diese Leute mit Fragen bestürmt, die sie dann nach ihrem Gutdünken beantworten, ohne etwas Positives zu wissen. [...] Solche Gespräche in Verbindung mit ungeschickt kommentierten Nachrichten aus dem Auslande in der Presse sind geeignet, in der Bevölkerung Nervosität u. Niedergeschlagenheit hervorzurufen […]. Der Hinweis auf die amtlichen Kriegsdepeschen fruchtet dann nur wenig oder gar nichts. Es sind aus dem Felde heimgekehrten Militärpersonen derartige Äußerungen zu verbieten u. ihnen zur Pflicht zu machen über den Krieg sich in ihren Mitteilungen auf die Wiedergabe persönlicher Erlebnisse zu beschränken.360
Wie sehr Gerüchte einerseits die öffentliche Kommunikation in der deutschen Hauptstadt und andererseits die behördliche Wahrnehmung öffentlicher Meinungen prägten, zeigen zwischen September und Oktober 1914 entstandene Stimmungsberichte des Innenministeriums.361 Hierbei fällt auf, dass der Bearbeiter von Berger, Hilfsarbeiter im Innenministerium, eine Loslösung der Presse von der Volksstimmung beobachtete. Aufgrund der Zensur entspräche die öffentliche Meinung „in weit geringerem Maße als in Friedenszeit [...] den in den Zeitungen veröffentlichten Meinungen.“ Im Frieden hätten die Zeitungen „Stimmungen und Forderungen mit größtem Nachdruck“ vertreten, für die „in der Volksmeinung ursprünglich gar kein Anlaß“ vorlag. Im Gegensatz dazu seien während des Krieges Strömungen und Stimmungen im Volke lebendig [...], die in der Presse keinen Ausdruck finden und keine Regulierung erfahren können: Hierher gehören in erster Linie naturgemäß die mannigfachen falschen Gerüchte über den Stand der kriegerischen Vorgänge und über einzelne Ereignisse und Persönlichkeiten.362
358 359 360 361
362
Zensuranweisung Abt. III b (23. 9. 1914), Zusammenstellung von Zensurverfügungen, S. 93. S. a. Kap. IV.2. Zensuranweisung Abt. III b (24. 9. 1914), ebd., S. 95. BayHStA MKr, Nr. 13857 (8. 10. 1914). Diese dem Reichskanzler durch den Innenminister übermittelten Berichte sind zum einen vor dem Hintergrund der Versuche des Innenministeriums zu verstehen, seinen Einfluss auf die Pressepolitik im Reich auszuweiten. Kosyzk, Pressepolitik, S. 122; Verhey, Geist, S. 29, Anm. 4. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für den 19.–28. 9. 1914 (1. 10. 1914), BA R 43/2437 c, fol. 159.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Nach von Berger waren die Zeitungen aufgrund der Zensur nicht mehr in der Lage, in der Bevölkerung verbreitete Stimmungen wiederzugeben.363 Eine „Leitung der öffentlichen Meinung durch die Presse“ existierte nicht mehr, durchgesickerte Nachrichten gäben Anlass zu „wildesten Kombinationen, [...] man kann beinahe von einer ungedruckten Presse sprechen, an der alle mitarbeiten und die jeder kennt.“364 Er warnte davor, angesichts der „ganz und gar unlebendig“ gewordenen Zeitungen davon auszugehen, dass „in der Bevölkerung eine gänzliche Abwesenheit leidenschaftlicher Regungen, ein Zustand vertrauensvoller Gelassenheit“ vorherrschte: „Es ist ja auch selbstverständlich, daß in dieser Zeit voll gewaltiger einzelner und allgemeiner Erlebnisse die Masse des Deutschen Volkes in der Tiefe aufgewühlt ist, in eine innere Gährung versetzt, wie sie nur in wenigen seltenen Epochen der deutschen Geschichte erlebt worden ist.“365 Als einflussreiche Faktoren der öffentlichen Meinung erkannte Berger die neutrale Presse, die den größten Einfluss auf die „gewissermaßen jenseits der Presse lebende öffentliche Meinung“ hätte und war erstaunt über deren „weite, tief in die Masse gehende Verbreitung.“ 366 Mit Major Erhard Deutelmoser, seit Herbst 1914 Leiter der Presseabteilung der StAbt. III b, beklagte ein weiterer zentraler Verantwortlicher für alle Fragen der Lenkung der öffentlichen Meinung die „Dürftigkeit unserer Berichterstattung“, die in der Heimat zu einer Verstimmung geführt [hätte], die immer weitere Kreise erfasst.“ Denn auch ohne die Presse bestünden nahe Beziehungen zwischen Armee und Heimat, z. B. durch den Feldpostverkehr, durch heimkehrende Kranke und Verwundete, die Organisation der freiwilligen Krankenpflege und den Verkehr mit Liebesgaben. Was der Heimat aus diesen Quellen zufliesst, ist aber meist sehr persönlich gefärbt. Es beruht zudem auf örtlich eng begrenzten Eindrücken und wenig sachkundigem Urteil. Menschlich mag es zum Teil nicht ohne Wert sein. Militärisch ist es oft nicht nur keinem Nutzen, sondern oft geradezu schädlich. Die Nachrichten dieser Art liefern Stoff für Gerüchte und bedenklichen Klatsch, besonders wenn sie mündliche weiter verbreitet und durch Irrtum und Phantasie entstellt werden. [...] Die Unterbindung dieses Nachrichtenverkehrs ist nicht möglich. Wäre sie durchführbar, so würde sie auch nur zu einem beschleunigten Abflauen der Kriegsbegeisterung führen. Das Volk hat ein natürliches Recht, zu erfahren, wie seine Sache steht, die Taten seiner Söhne im Felde kennen zu lernen, im Geist im Leben das draussen teilzunehmen. Wer ihm dieses Recht ohne Not verkürzt durchschneidet ein der stärksten Wurzeln, aus denen die Armee ihre innere Kraft zieht.367
363 364 365 366 367
Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für Oktober 1914 (3. 11. 1914), GStA Rep. 90/2681, fol. 21–22. Stimmungbericht des preußischen Innenministers für November 1914 (18. 11. 1914), GStA Rep. 90/2681, fol. 21–32, l. 27. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für November 1914 (18. 11. 1914), GStA Rep. 90/2681, fol. 1. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für den 19.–28. 9. 1914 (1. 10. 1914), BA R 43/2437 c, fol. 160. Deutelmoser, Über Kriegsberichterstattung (25. 11. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10294, fol. 118.
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
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Deutelmoser empfahl die „amtlich überwachte Kriegsberichterstattung“ als „Gegengewicht“, um „durch einseitige, entstellte oder falsche Darstellungen und Gerüchte verwirrte Köpfe und Herzen zu beruhigen.“ Doch Berger zufolge hatte sich diese offizielle Berichterstattung als wesentlicher Faktor für die Entstehung von Gerüchten erwiesen. Die Heeresberichte hätten das Informationsbedürfnis der Bevölkerung nicht im Geringsten befriedigt: Die „überwältigende Mehrheit der Bevölkerung [sei] nicht imstande [...], aus den knappen kommentarlosen Meldungen des Großen Hauptquartiers auch nur ein annäherndes Bild vom Verlauf der kriegerischen Ereignisse zu gewinnen.“ Zudem wären wiederholt Widersprüche zwischen den morgens erscheinenden deutschen und den abends veröffentlichten französischen und britischen Heeresberichten zu beobachten gewesen.368 Ein weiterer Faktor für das Entstehen von Gerüchten waren die von Deutelmoser erwähnten zahllosen Feldpostbriefe, die von den Zeitungen nicht selten als Ersatz für eine authentische Frontberichterstattung abgedruckt wurden.369 Nicht nur mit den Mitteln der Zensur wurde gegen die angeblich phantastischen Briefe vorgegangen. Eine sozialdemokratische Korrespondenz stellte fest, dass die „unkorrigierten oder mangelhaft korrigierten Feldpostbriefe [...] nachgerade zur Plage‘“ würden und ersuchte die Redaktionen um „strengste und gewissenhafteste Durchsicht.“370 Unbekannt ist, ob Empfehlungen, Verbote und Gebote zu Einschränkungen im Kommunikationsverhalten führten. Überliefert ist allein, dass die vielen Anschuldigungen 1914 zu einer gestiegenen Zahl von Beleidigungsprozessen geführt hatten. Der Jurist Moritz Liepmann sah in diesen eine „spezifische Kriegswirkung“, die aus der gesteigerten Erregbarkeit der Menschen resultierte.371 Als ein Beispiel für die „Hypertrophie des Phantasielebens“ – vor allem des ersten Kriegsjahres – führte er die „Spionenfurcht und ihre phantastischen Erscheinungen zu Anfang des Krieges“ an. Diese Verleumdungen und Verdächtigungen hätten zu Beleidigungsprozessen geführt.372 Im House of Commons hatte Winston Churchill die Einführung der Zensur mit dem Schutz der Bevölkerung vor Gerüchten und der von diesen ausgehenden Beunruhigung dargestellt.373 Bereits am Tag zuvor hatten Abgeordnete im Unterhaus rechtliche Schritte gegen Zeitungen gefordert, die offensichtlich 368 369 370
371 372 373
Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für den 29. 9.–6. 10. 1914 (8. 10. 1914), BA R 43/2437 c, fol. 220. S. Kap. IV.2. und V.5. Winke und Ratschläge, Nr. 20 (29. 9. 1914), BA/MA RM 3, Nr. 10304, fol. 5. Auch Berger erkannte den Einfluss von Feldpostbriefen, die sich „mit großer Geschwindigkeit und unter den üblichen Übertreibungen“ herumsprechen würden. Stimmungsbericht des preußischen Innenministers für den 19.–28. 9. 1914 (1. 10. 1914), BA R 43/2437 c, fol. 159–160. Liepmann, Krieg und Kriminalität, S. 42. Ihr Anteil an der Summe der Beleidigungsverfahren ist nicht quantifizierbar. HC 65 (7. 8. 1914), Sp. 2154–2155. An diesem Tag hatte z. B. die Daily Mail von einer vollständig erfundenen Seeschlacht berichtet.
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
Abb: 5: Der Leiter des Press Bureau unterbindet in dieser Karikatur des Satiremagazins Punch mit eigener Hand die Verbreitung von Gerüchten. Punch, 19. 8. 1914
falsche Nachrichten veröffentlichten, um ihre Auflage zu erhöhen.374 Ein Abgeordneter sprach sich sogar ausdrücklich für die Einführung einer Zensur aus, um so das Problem in den Griff zu bekommen.375 Es ist allerdings fraglich, ob die Bevölkerung tatsächlich, wie ein Journalist berichtet, mit Erleichterung auf die Einrichtung des Press Bureau und der Zusage eines steten Stroms zuverlässiger Informationen durch Churchill reagierte.376 Einige Tage später griff der Punch das Thema mit einer Karikatur auf, die den Direktor des Press Bureau F. E. Smith abbildet, wie er eine Verkörperung des Gerüchts in Gestalt einer 374 375 376
HC 65 (6. 8. 1914), Sp. 2118. HC 65 (6. 8. 1914), Sp. 2128. Macdonagh, In London, S. 16.
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
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älteren Dame (“Dame Rumour“) knebelt, die einen Sack voller Klatsch (“Gossip“) trägt.377 Mitte August rief das Press Bureau die Bevölkerung zu größerer Besonnenheit, und mahnte, den zahlreichen Gerüchten kein Vertrauen entgegenzubringen.378 Nachrichten über Niederlagen würden von Seiten des Feindes verbreitet, um die Bevölkerung zu verunsichern. Als Beispiel wurden u. a. Falschmeldungen über die enormen Verluste eines schottischen Regiments angeführt. Nach Auffassung des Press Bureau waren auch die zahllosen Gerüchte, dass britische Verwundete von der Front in Krankenhäuser in der Heimat geschmuggelt würden, um Verluste geheim zu halten, auf feindliche ‚Wühlereien‘ zurückzuführen.379 Im Unterhaus hatten Abgeordnete als wesentliche Ursache für das Entstehen und die Verbreitung von Gerüchten den Straßenverkauf von Abendzeitungen ausgemacht und das Home Office zum Handeln aufgefordert. Home Secretary McKenna sagte ein Einschreiten zu, betonte aber, dass von den Zeitungsjungen nicht zu erwarten war, zwischen wahren und falschen Nachrichten unterscheiden zu können.380 Er räumte ein, dass die Veröffentlichung falscher Nachrichten bereits nach geltender Rechtslage ein Vergehen darstellte, betonte aber, dass es außerordentlich schwierig wäre, im einzelnen Fall den entsprechenden Beweis zu führen.381 In Presse und Parlament wurde vor den Folgen der Zensur gewarnt und die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten wurden wiederholt auf die unverhältnismäßig harte Pressezensur zurückgeführt. Nur vereinzelt wiesen Zeitungen entsprechende Kritik am Press Bureau zurück. Die konservative Morning Post betonte, dass seit dessen Einrichtung weit weniger beunruhige Nachrichten verbreitet worden seien.382 Am 19. August wurde in London ein Mann zu einem Monat Gefängnis verurteilt, weil er sich als britischer Offizier und Augenzeuge des Kriegsgeschehens ausgegeben hatte. Ihm zufolge sei das Regiment Black Watch bei Lüttich abgeschnitten und fast vollständig vernichtet worden.383 Gerüchte über die Vernichtung dieser Einheit hatten die Londoner Bevölkerung bereits seit Mitte des Monats beunruhigt.384 Mit diesem Gerücht und der von ihm ausgehenden Beunruhigung der Bevölkerung begründete am 26. August der Home Secretary im House of Commons die Erweiterung des DORA um das Recht, Verordnungen
377 378 379 380 381 382 383
384
Punch (19. 8. 1914), S. 162. The Times, 15. August 1914. The Times, 19. August 1914. HC 65 (8. 8. 1914), Sp. 2203. HC 65 (8. 8. 1914), Sp. 2202. Morning Post, 29. August 1914. The Times, 20. August 1914; Morning Post, 20. August 1914. Die Verurteilung erfolgte, weil der Mann nicht zum Tragen einer Uniform berechtigt war. Die Berichterstattung erweckte jedoch den Eindruck, als sei das Verbreiten falscher Nachrichten Grundlage des Urteils. Law Journal 49 (29. 8. 1914), S. 509. Vgl. Anonymous Diary Kept by a London Woman from July to September 1914, IWM Misc 522 (15. 8. 1914). S. a. Sandhurst, From Day to Day, Bd. 1, S. 19 (20. 8. 1914).
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
zur Verhinderung der Verbreitung falscher Nachrichten zu erlassen.385 Am 28. August erhielt die Regierung durch den Defence of the Realm Amendment Act das Recht, „to prevent the spread of reports likely to cause disaffection or alarm.“ Am 1. September wurde DRR 21 so abgeändert, dass er das Folgende verbot: „No person shall by word of mouth or in writing spread reports likely to cause disaffection or alarm among any of His Majesty’s forces or among the civilian population.“386 Im Unterhaus betonte McKenna im November 1914, dass dieser Abschnitt des DORA seit Kriegsausbruch nicht zur Anwendung gekommen sei.387 In Großbritannien wie im Deutschen Reich wurden Gerüchte in der Tagespresse mit einem an der Psychologie entlehnten Vokabular beschrieben. Anfang August 1914 bezeichnete z. B. der Berliner Lokalanzeiger Gerüchte als „Marodeure der Nachrichtenarmee“, die „Verwüstungen anrichten im Organismus der ruhigen Überlegung, der Besonnenheit, der guten Zuversicht, ja der gesunden Vernunft.“ Daher erhob die Zeitung es zur Aufgabe jedes pflichtbewussten Bürgers: „Einhalt zu tun und ruhig zu urteilen. Man vergesse nicht, wie leicht sowohl durch die vagen, widersprechenden Meldungen als auch durch die Erregung entspringende Auslegungen und Auffassungen ein Zustand der Verängstigung erzeugt wird, der jeder Begründung entbehrt.“388 In London begrüßte die Morning Post die Einrichtung des Press Bureau, da die Presse nicht nur durch die Verbreitung von Nachrichten an den Feind Schaden anrichten könnte.389 Am Beispiel des ‚Russian Rumour‘ lässt sich zeigen, wie unterschiedlich Gerüchte in die jeweiligen nationalen Erinnerungskulturen integriert wurden. Auch wenn Gerüchte in Großbritannien nicht im gleichen Umfang wie im Deutschen Reich in wissenschaftlichen Diskussionen thematisiert wurden, nahmen sie in der Populär- und Erinnerungskultur einen weitaus größeren Stellenwert ein. Satirische Zeitschriften wie Punch thematisierten z. B. das ‚Russian Rumour‘ im September 1914 mit großer Ironie. „The Japanese army corps which passed through Llanfairfecham, Inverness and Bushley last Saturday, on its way to outflank the German left wing at Metz, has arrived at Scutari, and is now marching on Vienna. (The Press Bureau has no notice whether this is true or not, and cannot think of any way of finding out. But it consents to its publication in the hope that it will frighten the KAISER.)“390 1916 schmückte eine das ‚Russian Rumour‘ aufgreifende Karikatur das Titelblatt einer humoristischen Sammlung von Kriegsgerüchten: Ein aus einem Zugfenster lehnender Soldat – 385 386 387 388 389
390
HC 66 (26. 8. 1914), Sp. 89. Pulling (Hrsg), Defence of the Realm Manual (1914), S. 153. HC 68 (23. 11. 1914), Sp. 915. Der einzige Fall einer Strafandrohung unter diesem Abschnitt stellte das Schreiben des Press Bureau an den Globe im Oktober 1914 dar. Berliner Lokalanzeiger 389, 3. August 1914. Morning Post, 8. August 1914. Als mahnendes Beispiel verwies die Zeitung auf die Ereignisse zwei Tage zuvor, „when the public were assailed by raucous cries proclaiming a naval disaster.“ Punch (23. 9. 1914), S. 261.
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Abb. 6: Titelseite einer 1916 in Großbritannien erschienenen Sammlung von Karikaturen und Spottversen über die Gerüchte des Krieges. Reginald Arkell, All the Rumours. London 1916
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V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
durch seine Uniform, Bart und Rauchwerk als Russe erkenntlich – erschreckt eine Frau.391 Im Deutschen Reich entwickelten sich Gerüchte zu Objekten einer Sammeltätigkeit, die nicht nur Gegenstände wie Briefe, Zeitungen, Uniformen, Waffen, etc., sondern auch Immaterielles wie Lieder, Legenden, Sagen, Prophezeiungen und Gerüchte umfassten. So wurde am literaturwissenschaftlichen Seminar der Christian-Albrechts-Universität Kiel ein ‚Archiv für Kriegsseelenkunde‘ gegründet, das Gerüchte, Ansätze zur Heldensage, religiös gefärbte Legenden, Naturmythen, Übertreibungen und Lügen, Aberglauben und Visionen“ sammelte.392 Bereits 1915 hatte der Marburger Theologieprofessor Martin Rade dazu aufgerufen, ein ‚Archiv für Kriegsphantasie, Kriegslist und Kriegslüge‘ zu gründen, da es der Kriegsverlauf unmöglich gemacht hätte, den Krieg objektiv zu betrachten.393 Gesammelt werden sollten u. a. „Beschuldigungen auf Unwahrheit und Lüge“ sowie Dementis. Als letzten Punkt führt Rade die „Kriegsphantasie“ an. Er nennt hier Aussagen des Hörensagens, die im Zuge des Weitererzählens verfremdet wurden, und zählt als Beispiel: „Spionenfurcht und Spionenjagd [...], die vergifteten Brunnen, die abgehackten Hände usw.“ auf. Diente Rades Projekt explizit der Wahrheitsfindung, so stand die sonstige Sammeltätigkeit im Zeichen des Willens, den Krieg in seiner Gesamtheit zu dokumentieren, und des Drangs, Denkmäler für kommende Generationen anzulegen sowie Material für eine zukünftige Geschichtsschreibung bereitzustellen. Die Bayerischen Hefte für Volkskunde kündigten die Errichtung einer „Zentralsammelstelle für alle volksläufige Kleinliteratur und Kleinkunst“ an. Gesammelt werden sollten „so umfassend wie irgend möglich alle Äußerungen des Volkslebens [...], die der Krieg täglich neu über Stadt und Land ausschüttet“ – hierunter zählte man auch Legenden und Sagen – in der Terminologie der Zeit sind mit diesem Begriff auch ausdrücklich Gerüchte gemeint.394 Man sprach einer solchen Sammeltätigkeit weniger eine aktuelle, als eine auf die Zukunft verweisende Funktion zu: „Ein Vergleich mit der Legendenbildung anderer Länder und Zeiten wird manchen dieser Berichte von wundersamen Spionentriks [sic], Wasservergiftungen (man gedenke etwa der mittelalterlichen Judenverfolgungen!), Bakterienübertragungen und geheimnisvollen goldbeladenen Feindeswagen erst tieferen Sinn und Verständnis geben.“395 391 392 393
394 395
Arkell, All the Rumours. Vgl. das satirische Gedicht „Russians pass through England“, ebd., S. 10–11. Helmolt, Weltkrieg, S. 347. Es fand sich nur eine Veröffentlichung, die auf das Archiv zurückgeht: Moshammer, Vision, S. 15. Rade, Archiv für Kriegsphantasie, S. 139. Nach Auskunft von Dr. Uwe Bredehorn ist in dem in der Universitätsbibliothek Marburg befindlichen Nachlass Martin Rades ein solches Archiv nicht überliefert. Bereits 1914 hatte Rade mitgeteilt, dass er zu diesem Themenkreis Material sammelte und zu weiteren Einsendungen aufgerufen. Beilage zu: An die Freunde 49 (Oktober/November 1914), Sp. 564. Spamer, Krieg, S. 3. Ebd., S. 4. Es ist falsch, in dieser Form der Sammeltätigkeit einen Brückenschlag zwischen Aussagepsychologie und moderner Sagenforschung und in William Stern einen „Pionier noch heute aktueller volkskundlicher Forschung“ sehen zu wollen. So Hartmann, Erinne-
V.5. Nationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Gerüchten
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Zu Anfang des Krieges stand das Sammeln von Gerüchten im Zeichen des Strebens nach Vollständigkeit. Ein evangelischer Pfarrer empfahl 1915, in örtliche Kriegschroniken zur Darstellung des Kriegsausbruches auch die „unsinnigsten Autojagden“ aufzunehmen: „In die sonst so ernsten Darstellungen der Chronik füge man auch solche Szenen ein.“396 Das Stadtarchiv Münster setzte sich das Ziel, „alle wichtigen Begebenheiten des Kriegszustandes“ zu dokumentieren, um so Material für eine spätere Kriegschronik der Stadt bereitzustellen. Neben der Darstellung der „kritischen Juliwoche“ sollte von den „denkwürdigen Tagen der Mobilmachung“ und auch von den „sonderbaren Auswüchsen der Spionensuche“ berichtet werden, und man wollte „Proben von den wilden Kriegsgerüchten [geben] die auf den Straßen, Bierbänken und Kaffeetischen umherliefen.“397 Der gleiche Verfasser sah in der 1930 erschienen Kriegschronik in Gerüchten „Hirngespinste der Kriegshysterie.“398 Mit der gleichen Abwertung kommentierte auch die offiziöse Barmener Kriegschronik die unterschiedlichen Stimmungen bei Kriegsausbruch: „Wo Licht ist, ist auch Schatten.“ Neben ehrlichster Begeisterung habe man auch „mancherlei unliebsame Begleiterscheinung der fieberhaften Spannung“ beobachten können. Gemeint waren „die unsinnigen Gerüchte, die die Stadt durchschwirrten und die Stadt und zahlreiche Personen in Angst und Aufregung setzten.“399 Auch in Großbritannien war das Sammeln von Erinnerungsstücken an den Krieg weit verbreitet. Für das Sammeln von Sagen, Legenden und Gerüchten fehlen jedoch Beispiele. Nachweisbar ist einzig ein 1914 erschienener Aufruf, Augenzeugenberichte über das ‚Russian Rumour‘ einzuschicken.400 In der britischen Geschichtsschreibung wurden Gerüchte in den Dekaden nach dem Krieg als farbenfrohe Anekdoten in den großen Darstellungen des Weltkrieges durchaus erwähnt.401 Eine methodische Auseinandersetzung – wie durch Marc Bloch eingefordert – ist nicht zu verzeichnen, mit Ausnahme der während des Krieges erschienenen eher feuilletonistischen Beiträge der Historiker Pollard und Oman. Letztere setzten sich jedoch nicht mit einem Phänomen der Vergangenheit, sondern einem Problem der Gegenwart auseinander. Noch in den auf den Kriegsausbruch folgenden Monaten galten im Deutschen Reich Gerüchte als integraler Bestandteil seines Erlebens. Ein Theaterkritiker
396 397 398 399 400
401
rung S. 66, S. 68. Eine solche Einschätzung lässt völlig außer Acht, dass sich dieser Aufruf in keinerlei Form auf Stern und die Aussagepsychologie, sondern vielmehr auf die Massenpsychologie beruft – und auch das in nur sehr allgemeiner Form. Jassmann, Anforderungen S. 19. Zur Jagd auf Autos s. Kap. V.4.1. Schulte, Kriegssammlung, S. 29–30. Schulte, Kriegschronik, S. 12, Anm. 1. Haacke, Barmen, S. 31–32. Journal of the Society of Psychical Research 16 (Dez. 1914), S. 320 und 17 (März 1916), S. 155. Hierbei handelte es sich um den Versuch einer parapsychologischen Zeitschrift, den Nachweis für übersinnliche Phänomene zu führen. S. Gretton, Modern History, S. 924–925. Auch A.J.P. Taylor thematisiert sie in seiner 1965 erschienen Geschichte Großbritanniens: Taylor, English History, S. 18–19.
216
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
lobte Ende September 1914 in Berlin ein Stück über die Mobilmachung: „Bewundernswert ist der Drang nach Vollständigkeit, der weder die Spionenfurcht noch die versuchte Erhöhung der Lebensmittelpreise noch die Rede des Kaisers [am 4. August vor dem Reichstag] vergessen hat.“402 Im Frühjahr 1915 hob ein Rezensent eine Sammlung von Zeitungsartikeln für ihren getreuen Gesamteindruck des öffentlichen Leben der ersten Kriegsmonate hervor: „Auch längst widerrufene Falschmeldungen und blamable Einzelheiten sind vernünftigerweise [durch den Herausgeber] nicht unterdrückt worden.“403 Eine satirische Thematisierung von Gerüchten ist im Deutschen Reich nur vereinzelt zu beobachten.404 In der Regel wurde die intensive Kommunikation von Gerüchten in der Form eines mentalen Versagens allein der verfeindeten Nationen abgebildet. Eine Karikatur des Simplicissimus spielte auf britische Ängste vor deutschen Spionen an: Ein mit dem Schwanz wackelnder Hund wurde standrechtlich erschossen, weil er angeblich deutschen Luftschiffen Zeichen gegeben haben sollte.405 Im Deutschen Reich wurde das Augusterlebnis überhöht und von seinen „naiven, karnevalesken oder widersprüchlichen Narrativen“ bereinigt.406 Eine Folge war, dass die Kommunikation von Gerüchten aus Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur ausgeblendet wurde.
V.6. Zwischenbilanz Eine Einbeziehung von Gerüchten in eine Geschichte der ersten Kriegsmonaten bietet nicht allein pittoreske Details einer aufgeregten Zeit, sondern ermöglicht zunächst die Korrektur dreier Fehlannahmen über Gerüchte: (a) Im Detail haben die beiden Fallbeispiele gezeigt, dass Gerüchte in massenmedial strukturierten Gesellschaften nicht allein mündlich verbreitet werden. Vielmehr setzt die massenhafte Verbreitung von Gerüchten ihre Kommunikation auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen voraus. (b) Die Vermutung ist unzutreffend, dass die Bedeutung von Gerüchten darin liegt, dass sie eine von offiziellen Informationen vollständig verschiedene Konstruktion von Wirklichkeit entwerfen.407 Im August 1914 handelt es sich mehrheitlich um konsonante Gerüchte, die sowohl mit der Berichterstattung der Medien als auch mit der Haltung der Regierung in Einklang standen. (c) Daraus ergibt sich auch, dass Gerüchte nicht grundsätzlich als falsch oder fehlerhaft zu gelten haben. 402 403 404 405 406 407
Ihering, Theaterbarbarei. Allgemein zum Unterhaltungstheater bei Kriegsausbruch s. Baumeister, Kriegstheater, Kap. I.4. Martens, Flugschriften, S. 734. Bei dem rezensierten Buch handelt es sich um: Eberhard Buchner, Kriegsdokumente. Der Weltkrieg in der zeitgenössischen Presse, Bd 1. München 1914. Ein seltenes Beispiel ist die Glosse „Kriegsbericht aus Berlin“, in: Kladderadatsch 67 (16. 8. 1914), H. 33, n.p. Abbildung in Hirschfeld, Sittengeschichte, S. 405. Verhey, Geist, S. 379. So: Smith, Public Sphere, S. 71.
V.6. Zwischenbilanz
217
In den ersten Monaten des Krieges erlitten alle Armeen fürchterliche Verluste. Nach der Marneschlacht und den ersten Erfolgen im Osten waren die Gefechtsstärken der deutschen Armeen an der Ost- und an der Westfront um bis zu 50% zurückgegangen, und der September 1914 war – gemessen an der Anzahl der mobilisierten Soldaten – für die deutschen Armeen der blutigste Monat des gesamten Krieges. Bis Mitte Dezember betrugen die Verluste 800 000 Soldaten.408 Die britischen Armeen verloren in Belgien und Nordfrankreich zwischen August und November 1914 mehr als ihre Ausgangsstärke bei Kriegsbeginn.409 Gemessen an diesen entsetzlichen Verlusten verlief das Leben in den Hauptstädten noch weitgehend ungestört von den Auswirkungen des Krieges. Noch wirkte sich der an den Fronten totalisierende Krieg kaum auf die Gesellschaften in der Heimat aus. Eine Ausnahme war die Verdichtung öffentlicher Kommunikation: In Berlin und London vervielfachte sich mit dem Kriegsausbruch die Bedeutung der Presse. Aber zahllosen zeitgenössischen Hymnen auf die Bedeutung der Zeitung stand ihre veränderte Rezeption gegenüber. Die explosionsartige Zunahme von Gerüchten seit Ende Juli und die schleichende Verstetigung von Gerüchten als Element der Kommunikation im Krieg, vor allem in Berlin, waren unmittelbare Folge der Einschränkungen der Zeitungen durch Zensur und Selbstzensur. Glaubwürdigkeitskrisen der Presse führten zu einer gesteigerten Verbreitung nicht-massenmedialer Kommunikationsangebote wie Briefen und Gerüchten. So sind die Gerüchte bei Kriegsausbruch auf das strukturelle Versagen der Presse zurückzuführen, substantielle Informationen zu vermitteln. Das unbefriedigte Informationsbedürfnis, das nicht nur in Berlin, sondern auch in London zu einer Unzahl von Gerüchten führte, ist keinesfalls durch die geringe Quantität der angebotenen Informationen zu erklären: Überall waren Menschen einer Flut von Informationen ausgesetzt, der Menge der verfügbaren Informationen schien keine Grenze gesetzt. Mehrere Faktoren führten dazu, dass die Intensität der Gerüchtekommunikation in London geringer war als in Berlin: (a) In Großbritannien vollzog sich die Entwicklung vom Frieden zum Krieg in weitaus größerer Geschwindigkeit als im Deutschen Reich. Eine sich über Tage hinziehende quälende Spannung, begleitet von zunehmender Verunsicherung – sozialpsychologische Voraussetzungen für die Entstehung und Verbreitung von Gerüchten – konnte daher in London nicht gleichermaßen entstehen. (b) Die britischen Grenzen unterlagen – mit Ausnahme von Luftangriffen und Invasionen – keiner unmittelbaren Bedrohung durch den Feind. (c) Aufgrund der weitaus kleineren Armee war der Anteil der von Einberufungen betroffenen Familien in London weit geringer.410
408 409 410
Storz, Schlacht, S. 252. Bourne, Britain, S. 26. Von der ursprünglichen BEF stammten etwa 20 000 Soldaten und von den Anfang August aufgebotenen Reservisten etwa 40 000 aus London. Gregory, Lost Generations, S. 73. Wie viele der 300 000 Freiwilligen, die sich allein im August meldeten, aus London stammten, ist unbekannt. DeGroot, Blighty, S. 46. Berlin beklagte 1914 weitaus mehr Tote als London.
218
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
(d) Der Zeitungsmarkt in London griff Verunsicherungen in der Berichterstattung stärker auf und thematisierte Risiken intensiver. Durch diese weitaus offenere Berichterstattung kanalisierte die Massenpresse Bedrohungen, die in Berlin nur mündlich erörtert werden konnten. In Großbritannien waren kollektive Verunsicherungen und Ängste, wie die Bedrohung aus der Luft, zudem in der Vorkriegszeit von der Presse thematisiert worden. Die Airship-Scare und die Navy-Scare – getragen nicht zuletzt von einer sensationalistischen Massenpresse – hatten die Bevölkerung bereits in der Vorkriegszeit erregt und verunsichert. In der Folge reagierten Medien und Bevölkerung nicht gleichermaßen eruptiv auf die im Sommer 1914 auftretenden Bedrohungen. In Großbritannien verzichtete die Regierung zudem auf publizistische Interventionen, die wie im Deutschen Reich die Verbreitung von Gerüchten verstärkt hatten. Dort waren offizielle Nachrichten wie das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ oder die angebliche Brunnenvergiftung in Metz Katalysatoren für weitere Gerüchte und wurden von Regierung und Militär zunächst zumindest geduldet. Wie gezeigt wurde, ist es zwar nahe liegend, aber falsch, in Gerüchten wie dem ‚Flugzeug von Nürnberg‘ eine „Strategie zur Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg“ zu sehen.411 Zwar wurde von verschiedener Seite behauptet, dass entsprechende Gerüchte und Falschmeldungen auf Manipulationen zurückgingen. So vermutete 1918 der pazifistische Hauptmann von Beerfelde hinter ihnen den Chef der Abt. III b, den damaligen Oberstleutnant Walter Nicolai. Dieser habe all jene Gerüchte in die Welt gesetzt, um entgegen allen Tatsachen die Stimmung aufzuheizen.412 Doch sind diese Behauptungen Beerfeldes vor dem Hintergrund eines „Privatkrieges“ mit Nicolai zu verstehen.413 Denn auch auf behördlicher Seite war man zumindest anfänglich von dem Vorhandensein von Spionen und feindlichen Flugzeugen überzeugt und handelte entsprechend. Zwar liegt der Verdacht nahe, dass Nicolai im Auftrag der militärischen und politischen Führung alles tat, um die Deutschen nach den Schüssen von Sarajewo in einen Weltkrieg zu ‚lügen‘. Doch es fehlen Belege, die bestätigen, dass die vor der Kriegserklärung und in der Anfangsphase des Krieges umlaufenden Gerüchte und Falschmeldungen auf wissentliche staatliche Irreführung zurückzuführen sind. Erwähnte Gerüchte und Falschmeldungen sind daher weniger als Resultate gezielter Täuschungen, sondern gewissermaßen als Störungen im Kommunikationsfluss zu verstehen. Aufgrund solcher ‚Friktionen‘ entstandene Meldungen waren Katalysatoren für weitere Gerüchte und somit sich selbst reproduzierende Referenzen. Gerüchte über Luftangriffe, Vergiftungen und Verstümmelungen boten Sinnangebote, die jeweils die eigene Seite als Opfer und den Feind als Aggressor be-
411 412 413
In der britischen Hauptstadt nahmen erst in den folgenden Jahren mit der Vergrößerung der britischen Armee die Gefallenenzahlen zu. Raithel, Wunder, S. 450. Hanssen, Diary, S. 254 (6. 1. 1918). Wieland, Wahrheit, S. 151.
V.6. Zwischenbilanz
219
stätigten. Doch markierten sie nicht allein den Feind, sondern verweisen darauf, dass der Krieg in der Bevölkerung, noch bevor der erste Schuss gefallen war, als ein Konflikt verstanden wurde, der durch Radikalisierung, Brutalisierung und Entgrenzung bestimmt sein würde. Noch vor tatsächlichen Luftangriffen, Materialschlachten und Gasangriffen waren weite Teile der Bevölkerung davon überzeugt, dass dieser Krieg keinesfalls die Fortsetzung der Paraden und Manöver der Friedenszeit auf den Schlachtfeldern sein würde. Vor allem das Beispiel der zivilen Erwartungshaltungen gegenüber Luftangriffen zeigt, dass in Großbritannien wie im Deutschen Reich eine Radikalisierung des Krieges von der Bevölkerung von Anfang an gedacht wurde. Falschmeldungen und Gerüchte über Luftangriffe gingen in beiden Hauptstädten auf die erwartete Brutalisierung der Kriegführung und einem damit verbundenen Gefühl der Bedrohung zurück. Im Deutschen Reich kam die spezifische Aufregung um das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ hinzu. Der Erste Weltkrieg trug durch diese zu diesem Zeitpunkt noch imaginierte geographische und moralische Entgrenzung Züge eines totalen Krieges, lange bevor dieses Schlagwort gefunden war und noch bevor die Kampfhandlungen begonnen hatten. In den ersten Monaten des Krieges war das schwindende Vertrauen in die amtliche und offiziöse Berichterstattung noch ohne politisches Moment oder subversive Intention. Im Gegenteil: Im Sommer 1914 trugen sie in beiden Staaten erheblich zur nationalen Kohäsion bei. Erst die Feindmarkierung durch übersteigerte Nachrichten und Gerüchte erzeugte das rauschhafte Gefühl nationaler Einheit, das die Erfahrung der ersten Wochen des Krieges prägte. Es wäre daher falsch, Gerüchte vor allem als subversive Kommunikation zu verstehen. In dieser Phase des Krieges ist in Gerüchten keine Gegenöffentlichkeit zu sehen, sie hatten vor allem affirmativen Charakter. Weder das ‚Flugzeug von Nürnberg‘ noch das ‚Russian Rumour‘ lassen sich in ihren Aussagen als subversiv verstehen. Die zahlreichen Gerüchte über den Kriegsverlauf – oder andere relevante Themen – sind ein eindrucksvoller Indikator für die Unfähigkeit der Medien, in einer so aufgeladenen Atmosphäre ausreichende und die Bedürfnisse befriedigende Informationen anzubieten. Glaubwürdige Informationen erwiesen sich als die erste Mangelware des Krieges, und schon vor Ausbruch des Krieges hatte sich ein Schwarzmarkt für Informationen gebildet. Der von Ute Daniel und Ludwig Ay bereits skizzierte Prozess der Erosion der staatlich gelenkten öffentlichen Meinung im Deutschen Reich setzte somit nicht erst in den späteren Kriegsjahren ein, sondern begann mit Ausbruch des Krieges.414 Die Intensität der Kommunikation von Gerüchten weist darauf hin, dass in den ersten Kriegswochen nicht allein patriotische Begeisterungsstürme durch die Straßen der Hauptstädte brausten, sondern auch der Flügelschlag Famas. Es empfiehlt sich daher, Gerüchte nicht als Gegenpol zur Kriegsbegeisterung, sondern beide Phänomene gleichermaßen als affektiv beeinflusstes Verhalten in einer krisenhaft wahrgenommenen Situation zu betrachten. Vor allem in Berlin 414
Ay, Entstehung; Daniel, Informelle Kommunikation.
220
V. Gerüchte und die Formierung von Kriegsöffentlichkeiten
oszillierte die Stimmung zwischen den Polen Euphorie und lähmender Furcht. Gerüchte sind sowohl Ursache als auch Resultat dieses Oszillierens. Der Mangel an Gewissheit leistete der Gerüchtebildung erheblichen Vorschub. Charakteristisch ist nicht die Existenz der beiden Pole Begeisterung und Furcht, signifikant ist das Schwanken der Stimmung zwischen diesen Extremen. Thomas Raithel hat bereits am Rande darauf hingewiesen, dass der Begriff ‚Begeisterung‘ 1914 anders konnotiert war als heute, und mutmaßt, dass mit dem Begriff „eher Äußerungen eines leidenschaftlichen patriotischen Eifers gemeint seien, als Freude über den Krieg.“415 Meyers Lexikon verweist unter ‚Begeisterung‘ auf einen kurzen Moment der Entrückung, der als „Geistestrunkenheit“ zusammengefasst wurde und nannte als Beispiel den „Champagnerrausch.“416 1920 wies der Psychologe Paul Plaut darauf hin, wie emotional aufgeladen die ‚Kriegsbegeisterung‘ 1914 war. Er erklärte die ‚Begeisterung‘ bei Kriegsausbruch als „anerzogen und aufoktroiert“ und diagnostiziert schließlich, „daß die Kriegsbegeisterung nichts anderes als eine psychische Krise war.“ An die Stelle des normalen Lebens sei ein „suggestiv affiziertes Hinstürmen nach einem scheinbar konstanten, wieder neu gegebenen Ziel Krieg“ getreten.417 Zu diesem rauschhaften Erleben haben Gerüchte erheblich beigetragen. Jeffrey Verhey beobachtete, dass im August 1914 das von allen geteilte Gefühl nicht Begeisterung war, „sondern Erregung, ein tiefes Empfinden, ein intensives Fühlen.“418 Der ehemalige Kriegsberichterstatter Wilhelm Düwell sah schon 1917 in der „‚nationalen Begeisterung‘“ einen Sammelbegriff für ein „Meer von Erregungen und Gefühlswallungen“, in dem die kriegführenden Staaten Anfang August versanken: „In Wirklichkeit waren es schon damals verschiedene Ausbrüche von Stimmungen, die verschiedenen Ursachenquellen entsprangen, und die sehr unterschiedliche, oft weit auseinanderstrebende Hoffnungen und Erwartungen auslösten.“419 Neben der Begeisterung sah Düwell einen wesentlichen Zug der Stimmung bei Kriegsausbruch in der „allgemeinen Nervosität“, die er in „Ungewissheit“ und zu einem nicht geringen Teil aus Furcht vor dem Kommenden begründet sah: „Typisch hierfür ist die Gerüchtemacherei jener Tage.“420
415 416 417 418 419 420
Raithel, Wunder, S. 423. Meyers Lexikon6, Bd. 2, S. 558. Plaut, Psychographie, S. 7,10. Verhey, Geist, S. 376. Düwell, Gesicht, S. 32. Ebd., S. 43.
VI. GERÜCHTE UND STÄDTISCHE ÖFFENTLICHKEITEN 1918 VI.1. Überleben im Krieg Während des Ersten Weltkrieges bedeutete die Zunahme vom Staat wahrgenommener bzw. verwalteter Interessen eine Ausweitung jener Räume, in denen der Einzelne mit seinen Bedürfnissen und Erwartungshaltungen dem Staat sichtbar und folgenreich gegenüber trat. Diese Ausweitung staatlicher Macht war nicht nur quantitativer, sondern vor allem qualitativer Art. Alltägliche Risiken wie der Tod an der Front, Hunger oder Mangel in der Heimat stellten das (Über-) Leben dauerhaft in Frage. Jeder Vorgang des alltäglichen Lebens, der aufgrund des Krieges und der Kriegswirtschaft aus der Verantwortung einzelner auf einen omnipräsenten und omnipotenten Staat übertragen wurde, wirkte nun mit seinem Erfolg oder Misserfolg auf dessen Legitimität. Zu deren Prüfsteinen wurden nun auch der (un-)gedeckte Tisch und der Postbote, der möglicherweise eine Todesnachricht überbrachte. Wesentlicher Faktor nationaler Kohäsion war die Fähigkeit des Staates, die materielle Sicherheit der Bevölkerung gerecht zu gewährleisten – während des Krieges zentrales Kriterium, staatliches Handeln zu beurteilen. Ursache der zahlreichen Gerüchte waren nicht allein die Zensurpraktiken, sondern auch die durch Ungerechtigkeiten und materiellen Mangel verursachte schlechte Stimmung und eine allgemeine Verunsicherung. In der Endphase des Krieges war daher die Bereitschaft, Gerüchten Glauben zu schenken und sie weiterzuverbreiten, weitaus stärker als 1914 durch den prekären Alltag geprägt. Die Versorgung ihrer Hauptstädte mit Nahrungsmitteln stellte die kriegführenden Staaten vor immense Aufgaben. Denn vor allem die Bevölkerung von Großstädten wie Berlin und London war außerstande, auf Grundlage der landwirtschaftlichen Produktion ihrer unmittelbaren Umgebung zu überleben. Vor dem Krieg war Großbritannien von Lebensmittelimporten abhängig. So trug z. B. die eigene Ernte nur zu einem Fünftel des Getreideverbrauchs bei. Im Gegensatz dazu musste das Deutsche Reich nur einen geringen Teil seiner Lebensmittel importieren.1 In London wurden im Verlauf des Krieges jedoch nur einige Lebensmittel knapp – verglichen mit der Vorkriegszeit nahm z. B. der Verbrauch von Zucker um 50% ab. Doch abgesehen von einigen Lebensmitteln, die wie Butter nur schwer erhältlich waren, veränderte sich der Durchschnittsverbrauch der Haushalte nur wenig. Bei Arbeitern in kriegswichtigen Fabriken konnte sogar eine Verbesserung ihrer Ernährung festgestellt werden.2 Als zentrales Problem der Lebensmittelversorgung in Großbritannien erwies sich die Verteilung der vorhandenen Lebensmittel.3 Dem stand im Deutschen 1 2 3
Bonzon und Davis, Feeding the Cities, S. 309. Ebd., S. 318–320. Beveridge, Food Control; Barnett, Food Policy.
222
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Reich ein genereller Mangel an verfügbaren Lebensmitteln gegenüber. Ursachen des eine Großstadt wie Berlin besonders hart treffenden Lebensmittelmangels waren der Ausfall von Importen u. a. durch die alliierte Blockade, der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion im Inland und das Zurückhalten von Teilen der Ernte durch Landwirte und Händler. Verschärfend wirkte das während des Krieges nicht gelöste Problem der gerechten Verteilung der vorhandenen Lebensmittel.4 Zwar wurden in allen kriegführenden Staaten bestimmte Lebensmittel durch andere ersetzt, doch nur im Deutschen Reich wurden Ersatznahrungsmittel zu einem festen Bestandteil der alltäglichen Ernährung. Am bekanntesten wurde das mit Kartoffelmehl gebackene K-Brot. Vor allem von der Lebensmittelversorgung hing die Bereitschaft der Bevölkerungen ab, die Härten des Krieges zu erdulden und auszuhalten. Voraussetzung dieser Bereitschaft war das Bewusstsein, dass alle Schichten gleichermaßen Opfer bringen mussten. Doch vor allem in Berlin setzte sich in weiten Teilen der Bevölkerung die Erkenntnis durch, dass diese Gleichheit nicht gewährleistet war. Auch wenn in Großbritannien z. B. über steigende Lebensmittelpreise und den Mangel an bestimmten Lebensmitteln Verärgerung herrschte, war dort lange versucht worden, die Ernährung der Bevölkerung ohne staatliche Eingriffe zu gewährleisten. Erste Proteste gegen die Teuerung von Lebensmitteln blieben 1916 ohne wesentliche Folgen.5 Dies änderte sich, als ab Frühling 1917 aufgrund des deutschen U-Bootkrieges und des wegen des amerikanischen Kriegseintrittes knapp werdenden Schiffsraumes, zum ersten Mal lange Schlangen vor Lebensmittelgeschäften auftraten. Ende des Jahres verschärften sich die daraus entstehenden Spannungen. Ab Dezember 1917 wurde in London wie in ganz Großbritannien für die meisten Menschen das Anstehen für Lebensmittel zu einer alltäglichen Notwendigkeit. Allein am letzten Samstag des Januar 1918 zählte die Londoner Polizei eine halbe Million Menschen vor den Geschäften. Die Stimmung war schlecht – nicht zuletzt weil unter den Wartenden die Überzeugung verbreitet war, dass allein die Arbeiterschaft von dem allgemeinen Mangel betroffen wäre.6 Vereinzelt kam es in London im Februar 1918 zu Plünderungen von Geschäften.7 Diese Ausschreitungen gaben zu einer der wenigen D-Notices Anlass, die auf Ernährungsfragen eingingen: The shortage of food is leading to trouble and in some cases to raids on shops. Exaggeration, or even over-zeal, in reporting such cases might easily lead to, or extend the area of, food riots. The Press are therefore requested not to devote great space to reports of food troubles, to refrain from all exaggeration of alarming headlines, and to use their influence 4
5 6 7
Diese Probleme können hier im Einzelnen nicht weiter verfolgt werden. S. a. Kaeber, Berlin; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft; Vincent, Politics of Hunger; Allen, Sharing Scarity; Godefroid, Brotversorgung. Grundlegend für die Versorgung der Berliner Bevölkerung: Davis, Keep the Home Fires. Zentral für den Vergleich der Lebensmittelversorgung in Berlin und London: Bonzon und Davis, Feeding the Cities. Ebd., S. 329. Barnett, Food Policy, S. 142. Wilson, Myriad Faces, S. 514.
VI.1. Überleben im Krieg
223
to impress upon the public the need for exercising the utmost restraint in their own and the Nation’s interest. The enemy will, of course, be only too glad to seize upon newspaper reports of British food shortage, and anything in the nature of food riots, in order to encourage his own people, and for propaganda in neutral countries. 8
Als Maßnahme gegen die Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften wurde im Februar 1918 in London die Rationierung von Lebensmitteln eingeführt. Jeder Haushalt musste sich bei einem Händler registrieren lassen, welcher entsprechend mit Lebensmitteln versorgt wurde.9 Schon nach wenigen Wochen waren in London keine Schlangen mehr zu beobachten. Mit diesem Verfahren waren auch die Klagen der Londoner schlagartig zurückgegangen – ein Bericht des Ministry of Food stellte fest: „So quick has been the change in the last year that the talk of strikes and revolutions had entirely passed away and trade union conferences ended without a reference to food.“ Aber auch nach Einführung der Rationierung herrschte nicht zuletzt wegen der unübersichtlichen Reglements in Fragen der Lebensmittelversorgung eine gewisse Verunsicherung, so dass manche schon gar nicht mehr wüssten, „which to believe and imagine the worst view put forward officially to be a misleading attempt to make the people believe that the position is better than it is.“10 Nachdem 1915 in Berlin die Brotkarte eingeführt worden war, folgte eine rasche Ausdehnung der Rationierung auf andere Lebensmittel und Behörden legten Höchstpreise für bestimmte Waren fest.11 Gegen immense Aufpreise waren alle Waren auf dem Schwarzmarkt verfügbar und der Polizeipräsident warnte vor den Folgen der Teuerung durch den „frischweg weiter blühenden und stets zunehmenden Schleichhandel.“12 Minderwertige Ersatzlebensmittel, die Einführung fleischloser und fettfreier Tage und die Abhängigkeit von Bürokratien trugen zur Verbitterung immer weiterer Teile der Berliner Bevölkerung bei. Doch die staatliche Doppelmoral, einerseits Solidarität und Leidensbereitschaft einzufordern, andererseits aber nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zu belasten, erwies sich als elementare Herausforderung an das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Die gerechte Zuteilung von Lebensmitteln, die auf einem immer komplizierteren Berechtigungssystem beruhte, scheiterte, da die Behörden nicht gewillt waren, Verteilungsgerechtigkeit zu erzwingen. Als der Vorwärts Mitte Dezember 1917 ein Schreiben des Neuköllner Magistrats an das Kriegs-Ernährungsamt abdruckte, wurden die Mängel, Unzulänglichkeiten, Ungerechtigkeiten und Rechtsbrüche des offiziellen Systems der Lebensmittelzuteilungen offensichtlich.13
8 9 10 11 12 13
D-Notice 617 (20. 1. 1918), PRO HO 139/45/166. Erst mehrere Monate später wurde dieser Schritt im gesamten Königreich vollzogen. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Zur Einführung von Brotkarten in Berlin s. Godefroid, Neun Jahre, S. 49–51. 92. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (17. 12. 1917), Materna und Schrekkenbach (Hrsg.), Berichte, S. 236. Vorwärts 344, 16. Dezember 1917.
224
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
An die Seite des äußeren Feindes trat mit Fortdauer des Krieges der innere Feind in neuer Gestalt: „Die äußeren Engländer haben uns das Leben schwer gemacht, die inneren geben uns den Rest.“14 Dieser ‚innere Engländer‘ war nicht der vom Feind gesandte Spion oder Saboteur, sondern jene Deutsche, die auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung zu den Gewinnern des Krieges gezählt wurden. Bauern, Ladenbesitzer und Großhändler wurden Zielscheiben vielfältiger Verdächtigungen. Neue Feindbilder entstanden: Wucherer, Schieber, Kriegsgewinnler, Profiteur, Schleichversorger und Hamsterer.15 Der innere Feind war nun nicht mehr nur die als ‚vaterlandslos‘ beschimpfte Sozialdemokratie: Durch die Gesellschaft zog sich eine Vielzahl von Konfliktlinien, von denen jede durch ihren Verlauf eigene Freund/Feind Gegensätze akzentuierte. Zentral war der Gegensatz zwischen dem Opfer und dem Gemeinsinn der Volksgemeinschaft einerseits und dem Eigennutz Einzelner andererseits. Als Skandal galten jedoch nicht allein die Ungleichheiten der Verteilung, sondern vor allem deren Duldung und Förderung durch die Behörden. Zahllose Gerüchte spiegelten diese Frontstellung zwischen Freund und Feind und damit die tatsächliche ebenso wie die imaginierte Ordnung der Gesellschaft wider. Erzählt wurde z. B., dass die Stadtverwaltung die Lebensmittelpreise hoch treibe, um sich – da ihr landwirtschaftliche Betriebe gehörten – selbst daran zu bereichern. Nach Ansicht vieler wurde nicht ernsthaft versucht, den Schleichhandel an seinen Quellen trockenzulegen: den Erzeugern.16 Einer der zentralen Orte dieser Kommunikation waren die Schlangen vor den Geschäften. Sie wurden Orte des kommunizierten Missmutes, der mitgeteilten Unruhe, des geteilten Misstrauens und nicht zuletzt des Austausches zahlloser Gerüchte. Diese steigerten den Gegensatz zwischen dem eigenen Mangel und dem Wohlstand der Anderen, der durch eigene Anschauung und die Berichterstattung der Presse allgemein bekannt war.17 Gerüchte über die Ursachen des Mangels gipfelten in der Annahme, der Krieg würde fortgesetzt, damit die Reichen immer reicher würden. Angesichts der schleppenden Verhandlungen in Brest-Litwosk über den Abschluss eines Friedensvertrages im Osten grassierten Spekulationen über die Ursachen dieser Verzögerungen. Z. B. wurde behauptet, dass trotz anders lautender offizieller Versicherungen die Verhandlungen zusammengebrochen seien. Der Friedensschluss mit der Ukraine am 9. Februar weckte in der Bevölkerung große Hoffnungen auf eine baldige Verbesserung der Lebensmittelversorgung.18 Ge14 15
16 17 18
Ebd. Diese Kategorien der Feindschaft wurden zumindest auch in semi-offiziellen Schriften verwendet. S. Thomsen, Bekämpfungsmöglichkeiten, Vorwort. Triebel, Innere Feind, S. 237–238. Ebd., S. 235. Armin Triebel betont zu Recht, dass eine sozialhistorische Darstellung des Schwarzmarktes und der Wucherpraktiken fehlen. Einige dieser Feindbilder verschmolzen mit antisemitischen Stereotypen s. Kap. VI.3.3. 93. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (21. 1. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 239. Davis, Keep the Home Fires, S. 222. 94. Stimmungsbericht (18. 2. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 264.
VI.1. Überleben im Krieg
225
dämpft wurden diese Erwartungen durch „allerlei Gerüchte“, dass ÖsterreichUngarn den „Riesenanteil“ der aus der Ukraine erwarteten Getreidelieferungen erhalten würde.19 Nachdem Zeitungsberichte diese Gerüchte bestätigten, schwanden die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Versorgung.20 An Österreich-Ungarn, dessen militärische Erfolge nur durch deutsche Waffenhilfe möglich galten, kostbare Lebensmittel zu liefern, erregte immer wieder Unwillen. Aber auch die nationale Solidarität wurde durch die angebliche Bevorteilung der anderen Reichsteile belastet. Besondere Unzufriedenheit riefen in Berlin die Verhältnisse in Bayern hervor, das als sehr gut versorgt galt.21 In London dagegen erfuhren die Menschen zwar Mangel, waren aber keinem Hunger ausgesetzt. Für Verbitterung sorgten vor allem die Ungleichheit der Verteilung, staatliche Misswirtschaft und die Überzeugung, dass nicht alle Klassen gleichermaßen Opfer brächten.22 Im Dezember 1917 machte die Propagandaorganisation National War Aims Committee in einem Stimmungsbericht die Regierung darauf aufmerksam, dass: There is, however, increasing discontent in consequence of administrative acts of the various Government Departments which deal with the matters closely related to the daily life of the people. It is to be feared that these things coupled with general belief as to the enormous amount of profiteering which is going on, is producing a state of mind in which anti-war propaganda secures sympathetic attention.23
Eine Londoner Lokalzeitung warnte: The unequal distribution of food has brought more discontent and dissatisfaction to the people of East London than anything we have known since the war started. Although less terrifying than the air-raids, the food scarcity has produced an amount of exasperation which German terrorism never did. At the back of it all is the feeling, that there is plenty of food in the country but that the apportioning of it has been unequal and unjust.24
Viele nahmen an der offenen Zurschaustellung des neu gewonnen Wohlstandes Anstoß. Ein Zuträger der Weekly Intelligence Summaries vermutete, dass noch nie zuvor die teuren Restaurants und Hotels der Stadt so gut besucht waren. Der weniger wohlhabende Teil der Bevölkerung registriere dies und käme zu dem Schluss, dass die Regierung sie verkaufen würde.25 Unmut erregten nicht nur die bestehenden Klassenunterschiede, sondern auch die angebliche Bevorteilung der in London lebenden Ausländer.26
19 20 21 22 23 24 25 26
Bericht der Abteilung VII, Außendienst, I. Kommissariat an den Berliner Polizeipräsidenten (13. 3. 1918), ebd., S. 270. 95. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (25. 3. 1918), ebd., S. 271. „Bayern und Berlin.“, in: Vorwärts 217, 9. August 1918. Wilson, Myriad Faces, S. 512. Millman, Managing, S. 222–223. Zit. n. Wilson, Myriad Faces, S. 519. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Zur zunehmenden Xenophobie s. Kap. VI.3.3.
226
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
In der deutschen Hauptstadt beobachtete die Polizei zunehmend eine erbitterte und gereizte Stimmung der Berlinerinnen und Berliner.27 Auch wenn es nach dem Streik im Januar 1918 nicht mehr zu Demonstrationen oder Unruhen kam, war dies im Verhalten auf der Straße durchaus spürbar. Als sich im Mai in der Friedrichstraße ein Soldat weigerte, einen Offizier zu grüßen, kam es während der folgenden Streitigkeiten zu einem Auflauf von über 500 Menschen. Da sich die Menge lautstark für ihn eingesetzt hatte, bat in der Pressebesprechung der Vertreter des OKM, den Vorfall möglichst nicht zu veröffentlichen. Ausdrücklich bezeichnete er dieses Verhalten als typisch, da es in Berlin „üblich“ sei, dass bei solchen Fällen das Publikum für den Soldaten eintrete.28 Im Mai beobachtete der Polizeipräsident, dass Frauen zwar murrten und sich zu Schmähungen gegen die Regierung hinreißen ließen. Ihr Einfluss sei aber gering, da ihre Männer den Dingen unbeteiligter gegenüberstünden.29 Mehr und mehr schritten in der Endphase des Krieges Frauen zur ‚Selbsthilfe‘, so dass ihr Anteil an Eigentumsdelikten anstieg. Diese Zunahme der Kriminalität im letzten Kriegsjahr war ein weiterer Beleg für die Macht- und Hilflosigkeit staatlicher Behörden und beunruhigte ab Anfang 1918 wiederum die breite Masse der Berliner. Im März des Jahres mussten auf Befehl des OKM Soldaten nachts den Streifendienst der Polizei verstärken.30 In auffälliger Weise berichteten auch seriöse Zeitungen ausführlich und nicht ohne reißerische Elemente über Raubüberfälle und Morde. In einer Eingabe an den Berliner Polizeipräsidenten befürchtete Ende Oktober die Berliner Handelskammer, wenn nicht entschiedener gegen die Kriminalität vorgegangen würde, das „Eintreten einer völligen Zügellosigkeit […] deren mögliche Folgen in politischer Richtung ohne weiters einleuchten.“31 Gleichzeitig berichtete der Polizeipräsident, die „Achtung vor dem Strafgesetz, die heilsame Furcht vor der rächenden Staatsgewalt“ bestünde fast nicht mehr.32 Die scheinbar unkontrollierbare Kriminalität trug zu einer Schichten übergreifenden Erosion staatlicher Legitimität bei. In der Pressebesprechung empfahl das OKM daher in einer längeren Stellungnahme, „übertriebene und unnötige Beunruhigung der Bevölkerung“ zu vermeiden und „leeren Gerüchten“ keinen Raum zu geben.33 Im Herbst mehrten sich die Anzeichen, dass der Staat nicht nur versagte, die Ernährung und die individuelle Sicherheit, sondern auch die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Als Beleg dafür wurde die Grippewel27 28 29 30 31 32 33
Bericht der Abt. I, Abteilung V, Außendienst (12. 7. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 280. Protokoll der Pressebesprechung (21. 5. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14026, fol. 6. 97. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (22. 5. 1918), Materna und Schrekkenbach (Hrsg.), Berichte, S. 277. GStA Rep. 77 Tit. 235, Nr. 1, Bd. 14, n.p. GStA Rep. 77 Tit. 235, Nr. 1, Bd. 14, n.p. Immediatbericht des Berliner Polizeipräsidenten an Wilhelm II. (29. 10. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 316, S. 300. Protokoll der Pressebesprechung (11. 3. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 6.
VI.1. Überleben im Krieg
227
le wahrgenommen, die in der zweiten Jahreshälfte Berlin traf. Nachdem eine erste Welle Ende Juni aufgetreten war, folgte Anfang Oktober eine weitere. Begleitet wurde sie von Gerüchten, z. B. dass es sich nicht um die Grippe, sondern die noch weitaus gefährlichere Lungenpest handelte.34 Am 22. Oktober warnte das Kaiserliche Gesundheitsamt in der Pressebesprechung, dass „eine besorgniserregende und die ohnehin schwer belastete Stimmung der Bevölkerung ungünstig beeinflussende Berichterstattung über die Grippeerkrankungen in Deutschland zu unterlassen“ sei.35 Aus der ohnehin zurückhaltenden Berichterstattung über die Grippe lassen sich nur wenige Hinweise auf ihre Auswirkungen auf die Stimmung in Berlin herauslesen. Für äußersten Unmut sorgte allerdings die Annahme, dass die schlechte Ernährung für die vielen Grippetoten verantwortlich war. Alle Versuche, in Berlin durch Zensur und Propaganda öffentliche Meinungen zu lenken, konnten den allgegenwärtigen Mangel nicht kompensieren und waren kein Ersatz für Lebensmittel, Kohle und Kleidung. Einer sich der Indoktrination zunehmend entziehenden Bevölkerung sollte aber zumindest Ablenkung geboten werden. So hatte der Vorsitzende des Berliner Goethebundes dem Innenministerium Ende 1917 so genannte ‚bunte Abende‘ vorgeschlagen. Da in der Unterschicht „Herde der Unzufriedenheit und des Sich-Auflehnens“ entstanden seien und diese Bevölkerungsteile für „Belehrungs- und Erziehungsversuche“ häufig nur schwer zu erreichen waren, sei es notwendig, ihnen schlichte Vergnügungen anzubieten und die „Mittel zu der patriotischen Erhebung, die daraus resultieren soll, vorsichtig mit einzuflechten.“ Diese sollten aus einem ernsten Teil, mit kurzen Ansprachen über die Kriegslage, vaterländischen Dichtungen, ernsten Gesängen und einem heiteren Teil bestehen: Neben humoristischen Vorträgen aus dem Schützengraben, lustigen Liedern und Artistendarbietungen sollten auch Kinovorführungen geboten werden.36 Die etwa hundert dieser Veranstaltungen, die zwischen November 1917 und Januar 1918 allein in Berlin durchgeführt wurden, zeigen, wie sehr Propaganda in der Endphase des Krieges zum Selbstzweck geworden war.37 Im Mittelpunkt stand nun weniger die Meinungslenkung, sondern die Ablenkung. In Berlin wie im Reich standen Propagandaorganisationen vor einer unlösbaren Aufgabe: Brot war nicht durch Flugblätter und Kohle nicht durch aufmunternde Reden zu ersetzen. Im August 1918 schilderte ein Siemens-Direktor, dass das „Interesse der Arbeiter“ für Propaganda „sehr rasch nachgelassen“ hätte: Flugblätter und Broschüren zu lesen, ist für den Arbeiter immerhin eine geistige Anstrengung; er tut es einmal und schließlich auch zwei- oder dreimal, aber dann erlahmt seine Bereitwilligkeit, fremde Gedanken aufzunehmen. Mit Vorträgen und Reden ist es … bis 34 35 36
37
Vossische Zeitung 534, 18. Oktober 1918. Zur Anzahl der Kranken und Toten in Berlin s. Müller, Spanische Influenza, S. 341; Rollet, The Other War, S. 482. Protokoll der Pressebesprechung (22. 10. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14027, fol. 1. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, fol. 38–39. Erst auf Drängen der im Propagandaausschuss vertretenen Sozialdemokraten hatten die ‚bunten Abende‘ des Goethebundes einen unpolitischen Charakter erhalten. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, fol. 60–65.
228
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
zu einem gewissen Grade ebenso. Es kostet den Arbeiter seine freie Zeit, und es dauert nicht lange, so hört man Ausdrücke wie ‚wir sind nun uffjeklärt jenuch‘.38
Auf die offizielle Stimmungsmache reagierten Berlinerinnen und Berliner nicht nur mit Desinteresse, sondern zunehmend mit Unmut. Eine Berlinerin notierte im September in ihrem Tagebuch, dass die Maßnahmen, die ein „Umsichgreifen der Niedergeschlagenheit“ verhindern sollten, das „Volk in Wut“ versetzten.39 Eine Folge dieser Entwicklung war auch die verstärkte Kommunikation von Gerüchten. Eine Zeitung beobachtete, dass Gerüchte „nicht nur an den Stammtischen und in der Familie, sondern auch in der Fabrik, in der Werkstatt und auf der Straße“ verbreitet seien. Nicht immer seien sie auf bösen Willen oder „Klatschsucht, und erst recht nicht immer auf feindliche Propaganda und Vaterlandsverrat [zurückzuführen], sondern oft sind es nur Neugierde, Wichtigtuerei und Ähnliches, die Ursprung und Nährboden von Gerüchten werden.“ Die lange Dauer des Krieges habe die Empfänglichkeit für Gerüchte gesteigert: „Wir sind alle nervöser, an Körper und Nerven schwächer geworden.“40
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen VI.2.1. Berlin zwischen Hoffnung und Katastrophe Kaum ein militärisches Ereignis des Krieges wurde von der Berliner Bevölkerung so herbeigesehnt und war gleichermaßen im Vorfeld von Gerüchten begleitet wie die im März 1918 beginnende Frühjahrsoffensive an der Westfront. Im Februar verwies ein Parlamentarier auf die große Offensive, von der seit Wochen und Monaten in den Zeitungen gesprochen werde.41 Gerüchteweise galt es als sicher, dass diesmal die feindlichen Linien durchbrochen würden. Als entscheidend werde sich ein neues schreckliches Giftgas erweisen, das erstmals zum Einsatz kommen solle.42 Mehrfach war der Beginn der Offensive bereits mündlich behauptet worden und in der Pressebesprechung wurde eine „für die Volksstimmung schädliche Nervosität in Bezug auf den Beginn der Operationen im Westen“ beobachtet: „Es sind auch Gerüchte verbreitet gewesen, dass der Beginn der Operationen aus irgendwelchen Gründen verschoben sei.“43 Lange bevor die Offensive im Westen tatsächlich begonnen hatte, musste in der Pressebesprechung die Frage beantwortet werden, warum sie ins Stocken gera38 39 40 41 42 43
Siemens-Direktor Carl Diehlmann an Hauptmann Kaufmann (30. 8. 1918), zit. n. Bieber, Gewerkschaften, Bd. 1, S. 482. Blücher, Tagebuch, S. 264 (September 1918). Berliner Morgenpost, 11. August 1918. VdR 311 (22. 2. 1918), S. 4084. Hanssen, Diary, S. 258 (25. 1. 1918). Protokoll der Pressebesprechung (18. 2. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 9. Zu Gerüchten über eine zeitweise Aufgabe der Offensive s. a. Hanssen, Diary, S. 266 (24. 2. 1918).
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen
229
ten sei.44 Unmittelbar vor ihrem Beginn am 22. März verbreiteten sich sogar Gerüchte, die Offensive habe bereits „geräuschlos“ begonnen.45 Die immensen Hoffnungen der Bevölkerung, den Krieg mit einem letzten Schlag zu beenden, entsprachen den Erwartungen der OHL, nun den Sieg endlich erzwingen zu können. Mit der Offensive legte sich – so eine Zeitung – die „bange Beklemmung“, die das „Ratespiel [beendete], ob und wann die deutsche Offensive im Westen komme.“46 In den Berichten des Berliner Polizeipräsidenten von Oppen spiegelt sich einerseits das Auf und Ab der Stimmung der Berlinerinnen und Berliner wider. Andererseits belegen sie, wie sehr diese trotz mehrfach festgestellter angeblicher Gleichgültigkeit von der Berichterstattung über die militärische Lage abhing. Nachdem er im Januar von weit verbreiteter Enttäuschung über das Ausbleiben der erwarteten Offensive berichtet hatte, beobachtete von Oppen im Februar 1918, dass der Frühjahrsoffensive „allerseits mit Spannung entgegengesehen“ wurde.47 Aber nur eine Woche vor ihrem Beginn zeigte sich, dass diese Erwartungen keinen Einfluss auf die Stimmung der Berliner hatten, und ein weiterer Bericht zeichnete ein düsteres Bild derselben: Das Volk betrachtet die gegenwärtige Lage, die wirtschaftliche sowie auch die politische, als hoffnungslos. […] Das Volk schenkt den Versicherungen und Versprechungen der Regierung keinen Glauben mehr.“ Ausdrücklich wurde betont, dass man militärischen Ereignissen teilnahmslos gegenüberstand.48 Ende März zeigten die Stimmungsberichte, dass die militärischen Erfolge der deutschen Frühjahrsoffensive zu der Überzeugung geführt hätten, dass der Krieg im Sommer beendet sei.49 Nachdem es zwischen dem 26. April und 27. Mai keine größeren Kampfhandlungen an der Westfront gegeben hatte, stellte der Polizeipräsident fest, dass das Ausbleiben weiterer Siegesnachrichten im Mai für einen deutlichen Stimmungsabfall gesorgt hätte: „Jetzt ist das Feld wieder frei für Kleinmütige und für mißgünstige Gerüchte.“ Als ein Beispiel für letztere nannte er die Annahme, dass die Vorstöße gegen Amiens und Ypern nur unternommen worden seien, um für die 8. Kriegsanleihe Werbung zu machen. Ausdrücklich warnte von Oppen: „Noch haben derartige Ausstreuungen keinen erheblichen Einfluß. Er wird sich aber steigern, je weiter das Ende des Krieges wieder in die Ferne rückt.“50 Mitte Juni beobachtete er eine erstaunliche Gleichgültigkeit gegenüber den wichtigsten Ereignissen und stellte eine deutliche Zu44 45 46 47
48 49 50
Protokoll der Pressebesprechung (10. 1. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 13. Protokoll der Pressebesprechung (21. 3. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 12. Vossische Zeitung 154, 25. März 1918. 93. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (21. 1. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 238; 94. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (18. 2. 1918), ebd., S. 264. Bericht der Abteilung VII. des Berliner Polizeipräsidiums, Außendienst, 3. Kommissariat (15. 3. 1918), ebd., S. 270–271. 95. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (25. 3. 1918), ebd., Nr. 290, S. 271. 97. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (22. 5. 1918), ebd., S. 277.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
nahme der „Friedenssehnsucht“ fest. Nur wenig später hielt er, nach Nachrichten über militärische Erfolge, eine Hebung der Stimmung und die Gewissheit fest, dass der Krieg im Herbst beendet sein würde: „Deshalb herrscht vorläufig noch Ruhe und Gelassenheit, obwohl man reichlich Grund zur Verstimmung und Erregung zu haben glaubt.“51 Im Juli sorgte zunächst eine Kampfpause für einen weiteren Stimmungsabschwung. Auch die Zuversicht, das Kriegsende im Herbst zu erleben, hatte nicht gehalten. Wiederum betonte der Polizeipräsident die Gleichgültigkeit: „Die Volksseele wird eben jetzt von der einen Frage bewegt: ‚Wann kommt der Friede?‘“52 Nach einem Zwischenhoch, bewirkt durch eine weitere deutsche Offensive Mitte Juli, setzte wieder eine Verschlechterung der Stimmung ein. Allerdings empfand ein neu nach Berlin versetzter Offizier die Stimmung Ende Juli noch zu optimistisch: Berlin ist ganz anders als ich erwartet hatte. Weder im Reichstag noch in der Bevölkerung herrscht eine rechte Vorstellung von dem Ernst unserer Lage und den noch zu überwindenden Schwierigkeiten. […] Kriegsberichterstattung und Presse, im Bestreben die Stimmung hochzuhalten, steuern nach Kräften noch dazu bei, die vorhandenen Hoffnungen zu beleben.53
Nach dem Scheitern der Juli-Offensive und alliierten Erfolgen führte das OKM Ende August einen bis dahin noch nicht beobachteten „Tiefststand“ der Stimmung auf „übertriebene Sieges- und Friedenshoffnungen“ zurück. Als folgenreich hätten sich offiziöse Zusicherungen erwiesen, dass die französischen Reserven vernichtet seien und amerikanische Truppen, aufgrund des deutschen U-Bootkrieges, Europa nicht in großer Zahl erreichen könnten. Anfangs sei beim Stillstand der Frühjahrs-Offensive noch die Hoffnung verbreitet gewesen, dass der Krieg im Laufe des Jahres beendet werden könnte. Aber bereits die „Verzögerung der so sehnlichst erwarteten Angriffe in den Vormonaten“ hätte ein „bedenkliches Abflauen der Stimmung“ bedeutet, die dann mit dem Misserfolg der Juli-Offensive „zu völliger Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit“ geführt hätte. Ausdrücklich unterstrich das OKM, dass „hierbei das bisher unerschütterliche Vertrauen zur Obersten Heeresleitung bedenklich ins Wanken geraten“ sei.54 Diese Beobachtungen werden gestützt durch eine Tagebuchnotiz Theodor Wolffs: „Der Eindruck beim Publikum: d.[ie] allgemeine Müdigkeit ist schon so groß, daß d.[ie] meisten ganz gleichg[ü]ltig.“55 Am Beispiel der entscheidenden Kampfhandlungen Mitte Juli und Anfang August 1918 soll im Folgenden kurz die offizielle Berichterstattung analysiert werden. Nachdem die deutsche Juli-Offensive am 15. Juli abgebrochen worden 51 52 53 54 55
Bericht der Abteilung V, Außendienst, 2. Kommissariat (15. 6. 1918), ebd., S. 278 und 98. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (20. 6. 1918), ebd., S. 279. 99. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (22. 7. 1918), ebd., S. 283. Hürten und Meyer (Hrsg.), Adjutant, S. 23 (31. 7. 1918). Zusammenstellung der Monats-Berichte der stellv. Generalkommandos (3. 9. 1918), GStA Rep. 77 Tit. 1059, Nr. 3, Bd. 2. Wolff, Tagebücher, Bd. 2, S. 612 (17. 8. 1918)
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen
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war, begann am 18. Juli die französische Gegenoffensive bei Villers-Cotteretes. Trotz militärischer Rückschläge zogen die in der Pressebesprechung anwesenden Journalisten aus den Mitteilungen den Schluss, dass es der OHL gelungen sei, eine kritische Situation durchzustehen und zu überwinden.56 In der Pressebesprechung am 23. Juli kommentierte der Chef des KPA, Major Würz, die Frontlage nach dem Beginn der französischen Offensive: „Der Erfolg des Feindes ist im Verhältnis zu den gebrachten Opfern kein ausschlaggebender.“57 Nach der Rücknahme der deutschen Frontlinie am 25. Juli zeigte sich Würz zuversichtlich. Zwar sei die deutsche Offensive Mitte Juli „strategisch misslungen“, im deutschen Rückzug sah er jedoch die „planmäßige Lösung einer ungünstigen Lage und Umkehrung der Verhältnisse zu unseren Gunsten.“58 Im Gespräch mit einer Berliner Zeitung räumte Ludendorff Anfang August ein, dass der deutsche Angriffsplan Mitte Juli „nicht geglückt“ sei, der Gegner aber nur taktische Erfolge errungen habe. Da für ihn aber das aufgegebene Gelände „gar keine Rolle spielte“ und man dem Gegner „wuchtige Schläge“ versetzt habe, zeigte er sich zuversichtlich über den Kriegsausgang.59 Die Annahme Roger Chickerings, dass die deutschen Behörden während des Krieges keine einzige Niederlage eingestanden, ist nur eingeschränkt zutreffend.60 Mit der französischen Offensive endeten die deutschen Niederlagen nicht. Das Beispiel der publizistischen Handhabung der Ereignisse des 8. August zeigt aber, dass zwar darauf verzichtet wurde, die Ereignisse unter dem Begriff der Niederlage öffentlich zusammenzufassen – die Wortwahl und der Zusammenhang machte aber den Leserinnen und Lesern durchaus deutlich, dass es sich um einen militärischen Rückschlag gehandelt hatte. Am 9. August 1918 fasste der Heeresbericht die Ereignisse des Vortages zusammen: „Zwischen Ancre und Avre griff der Feind gestern mit starken Kräften an. Durch dichten Nebel begünstigt, drang er mit seinen Panzerwagen in unsere Infanterie- und Artillerielinien ein. Nördlich der Somme warfen wir den Feind im Gegenstoß aus unseren Stellungen zurück.“61 In der Pressebesprechung am 9. August sprach Würz gegenüber den Journalisten von einer „empfindlichen Schlappe“ und gab damit den Begriff vor, mit dem in den folgenden Tagen die Ereignisse in der Presse geschildert wurden. Weiterhin bat er die Journalisten, den Erfolg der feindlichen Tanks nicht zu sehr zu betonen.62 Auch im offiziellen Kommentar der OHL zum Heeresbericht vom 9. August war das Element der Überraschung durch den Nebel höher bewertet worden als der Beitrag der geg56 57 58 59 60 61 62
Creutz, Pressepolitik, S. 266. Protokoll der Pressebesprechung (23. 7. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 463, S. 1234–1238. Protokoll der Pressebesprechung (2. 8. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14026, fol. 14–15. Hindenburg und Ludendorff über die Kriegslage, in: Berliner Tageblatt 392, 3. August 1918. Chickering, Das Deutsche Reich, S. 64. Berliner Tageblatt 404, 9. August 1918. Protokoll der Pressebesprechung (9. 8. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14026, fol. 10–12
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
nerischen Tanks. Die militärische Niederlage wurde als ein Ausrutscher, als einmaliger Vorfall geschildert, der keine eigentlich militärische Ursachen hatte und damit außerhalb der Verantwortlichkeit der militärischen Führung stand.63 Die hohen deutschen Verluste des 8. August bestanden zu einem großen Teil aus Kriegsgefangenen – bei der 2. Armee waren über zwei Drittel der Verluste Gefangene, für die militärische Führung ein deutliches Zeichen, dass der Widerstandswille in weiten Teilen der Truppe verbraucht war.64 Als „böses Zeichen“ wertete der Chef der Militärischen Stelle des Auswärtigen Amtes (MAA) von Haeften, dass Soldaten einer als besonders zuverlässig geltenden zurückweichenden Garde-Division eine nach vorne gehende Truppe mit Rufen wie: „Streikbrecher!“ und „Kriegsverlängerer!“ empfangen hatten. Damit wäre die Grundlage alles militärischen Handelns, das Vertrauen in die eigenen Soldaten, nicht mehr gegeben.65 Obwohl darüber in der Presse nicht berichtet wurde, drangen Gerüchte in die Heimat: Am 13. August fragte in der Pressebesprechung ein Journalist hartnäckig nach der Stichhaltigkeit von Gerüchten, dass zu den Ereignissen am 8. August das ‚Versagen‘ deutscher Truppen beigetragen habe.66 Entsprechende Gerüchte spiegelten nicht nur mangelndes Zutrauen in die eigenen Soldaten wieder, sondern waren damit auch realistische Einschätzungen der Kampfbereitschaft der Soldaten durch die Bevölkerung. Mit der Frage nach einem möglichen Versagen der Truppe entsprach sie der internen Begründung der OHL für die militärischen Ereignisse am 8. August, die von einem Nervenverlust der Soldaten ausging. Schon am 23. Juli hatte ein Journalist in der Pressebesprechung auf die zunehmende Zahl von Überläufern hingewiesen und nach „Krawalle[n“]“ bei Truppentransporten an die Front gefragt: „Das sind Dinge, die wir in der Presse nicht erwähnen dürfen und nicht breittreten möchten; aber es erscheint mir doch notwendig, einmal vertraulich über diese Tatsachen positiven Bericht zu erhalten.“ Hierbei verwies er auf Vorkommnisse in Ulm und anderen Städten in Süd- und Mitteldeutschland, und ausdrücklich betonte er die aus solchen Vorkommnissen entstehenden „Legenden.“67 In der Presse fehlte es nicht an Andeutungen, dass der Krieg für den Moment ungünstig verlief. Auf den Punkt brachte dies der von Würz vorgegebene Begriff der „Schlappe“, mit dem die Ereignisse des 8. August umschrieben wurden. Die tatsächliche Bedeutung des Kampfgeschehens wurde gegenüber den Journalisten jedoch verschwiegen. Zeitungen betonten, dass der französische Generalissimus Foch mit seiner Offensive Abertausende seiner Soldaten in den Tod trieb. Demgegenüber würde die OHL die deutschen Soldaten schonen, da durch den Rückzug zwar erobertes Gelände preisgegeben, den alliierten Solda-
63 64 65 66 67
S. a. Rupprecht von Bayern, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 437 (11. 8. 1918). Kielmannsegg, Weltkrieg, S. 658. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 465, Anm. 13. Protokoll der Pressebesprechung (13. 8. 1918), BayHStA MKr, Nr. 140426, S. 8. Pressebesprechung (23. 7. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14026, fol. 8. S. a. Lipp, Meinungslenkung, S. 141–142.
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen
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ten aber hohe Verluste zugefügt wurde. Das KPA verharmloste die Schwere der Kämpfe nicht, war aber vermutlich selbst über das Ausmaß der Anfang August eingetretenen militärischen Katastrophe nicht instruiert. Nach dem Krieg schilderte Deutelmoser dem Untersuchungsausschuss des Reichstages, wie erschüttert der Chef des KPA von dem für ihn plötzlichen Waffenstillstandsersuchen gewesen war.68 Neben der zu positiven Besprechung der Heeresberichte durch das KPA in der Pressekonferenz trugen nach Einschätzung von Wilhelm Deist vor allem deren offizielle Kommentierung durch die OHL zu einer zu optimistischen Bewertung der militärischen Lage durch die Presse bei.69 Nach dem Krieg räumte auch Ludendorff ein, dass die Kommentare „keine glückliche Fassung“ gehabt hätten. Nachdem er „Mißstände“ erkannt hätte, habe er diese allerdings sofort abgestellt.70 Angesichts der Klagen von Journalisten über eine schönfärberische Berichterstattung des KPA verwies Würz am 23. Juli in der Pressebesprechung auf entsprechende Warnungen seiner Behörde. Tatsächlich hatte das KPA mehrfach und ausdrücklich vor einer die deutschen Erfolge übertreibenden Berichterstattung gewarnt.71 Innerhalb der Zensur- und Propagandaorganisationen war der Ton der offiziellen Berichterstattung durchaus umstritten. Mitte August besprachen mit dem für die zivile Propaganda verantwortlichem Deutelmoser und dem Chef des KPA, Major Würz, die wichtigsten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet die Stimmung im Land. Dieser kritisierte die offizielle Berichterstattung durch die OHL über die Offensiven an der Westfront, die „weit übertriebene Hoffnungen“ geweckt hätte. Neben der Enttäuschung über die Misserfolge und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, drückten vermehrt auch Gerüchte und „Jammerbriefe“ von der Front auf die Stimmung.72 Unter der Überschrift ‚Notizen zur Propagandafrage‘ legte Deutelmoser eine ernüchternde Bilanz der deutschen Propagandaaktivitäten vor: „Den Behörden glaubt heute bei uns fast kein Mensch mehr, am wenigsten, wenn sie amtlich aufmunternd sprechen.“ Als Ursachen benannte er einerseits die Enttäuschung über den U-Bootkrieg, die fehlgeschlagenen Westoffensiven, die Ernährungslage und Verärgerung über die Flut von Verordnungen. Andererseits führte Deutelmoser das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung auf die „Gleichförmigkeit der zensierten Presse“, die 68 69
70
71 72
Aufzeichnung Deutelmoser (26. 7. 1922), in: Schwertfeger, Verantwortlichkeiten, Nr. 21, S. 432–434. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 463, Anm. 6. Verantwortlich war die Auslandsabteilung der OHL (Ohla), bis Juli 1918 als Militärische Stelle des Auswärtigen Amtes bezeichnet. Erich Ludendorff, Die deutschen Kriegsberichte, in: Magdeburger Zeitung 574, 13. August 1919. S. a. „Aufzeichnung des Obersten a. D. Nicolai (27. 12. 1922)“, in: Schwertfeger, Verantwortlichkeiten, Nr. 21, S. 430–432, S. 431. Vgl. Görlitz (Hrsg.), Regierte der Kaiser, S. 397 (25. 7. 1918). Zur Kritik an der Berichterstattung s. die Besprechung der Zentrale für Heimatdienst (5. 8. 1918), BA R 43/2440, fol. 110. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 463, Anm. 3. BA R 43/2439 c, fol. 58–62.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
„Lektüre ausländischer Blätter, deren Inhalt dann auch mündlich verbreitet“ würde, und den Klatsch offizieller Stellen zurück.73 Angesichts der Rückwärtsbewegung des deutschen Heeres versuchten Anfang September Zeitungs-Kommentatoren ihre Leserschaft zu beruhigen. So habe die Räumung von Gelände zwar „erneut Besorgnisse hervorgerufen.“ Diese Ängste seien „natürlich, und man kann dem großen Teil der Leserwelt bange Sorgen nicht verdenken.“74 Nur zögerlich setzte sich in der Presse in den folgenden Tagen die Einsicht durch, dass das Kriegsgeschehen einen Wendepunkt erreicht hatte: „Es würde ein verhängnisvoller Selbstbetrug sein, wenn man nicht der Tatsache offen ins Auge sehen wollte, daß unsere Heeresmacht jetzt der schwersten Belastungsprobe ausgesetzt ist, die der vierjährige Krieg bisher gezeitigt hat.“75 Trotz Zweifeln an den Erfolgsaussichten des Krieges trugen die an der Pressebesprechung teilnehmenden Journalisten die Linie der Behörden der Aufrechterhaltung der Zuversicht in Heer und Heimat mit.76 Ihre Versuche, das sich Wochen und Monate hinziehende Kampfgeschehen in täglich neue und gehaltvolle Nachrichten zu fassen, mussten angesichts der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Instruktionen scheitern. Die dürre, nüchterne Sprache der Heeresberichte, häufig eine Aneinanderreihung von Nachrichtenfetzen, deren Bedeutung für den Kriegsverlauf nicht immer zu erkennen war, bedurfte der Kommentare durch Fachleute und Kriegsberichterstatter. Der Feststellung Boris Barths ist zuzustimmen, dass ein kritischer Leser durchaus in der Lage war, aus der Presse „ein annähernd realistisches Bild der Frontsituation“ zu erlangen.77 Aber eine Diskussion der Kriegslage wurde ebenso durch die Zensurstellen unterbunden wie Kritik an der offiziellen Kriegsberichterstattung und ihrer Mängel – und wurde von der Presse auch nicht mehr versucht. Unter den meisten Journalisten herrschte Einigkeit, dass die Presse im Moment der militärischen Krise den Siegeswillen der Bevölkerung nicht trüben dürfte. Daher verwundert nicht, dass auch der Vertreter des Vorwärts in der Pressebesprechung eine Diskussion darüber, ob die Kühlmann-Rede oder die Verschleppung der preußischen Wahlrechtsreform zu der Verschlechterung der Stimmung in Heer und Heimat beigetragen hatte, vermieden wissen wollte.78 Aus den dürren Nachrichten konnten kritische Leser eigene Gewissheiten über die Lage an der Front und in der Heimat gewinnen. Angesichts der Frage, ob feindliche Heeresberichte in deutschen Zeitungen abgedruckt werden sollten, stellte Anfang September ein Journalist in der Pressebesprechung fest: „Die Leu73 74 75 76 77 78
Ursachen und Folgen, Bd. 2, Nr. 350, S. 287–288. Von Ardenne, Die Zurücknahme der Front im Westen, in: Berliner Tageblatt 446, 1. September 1918. Von Ardenne, Die Krisis der Völkerschlacht im Westen, in: Berliner Tageblatt 455, 6. September 1918. Creutz, Pressepolitik, S. 279, 290. Barth, Dolchstoßlegenden, S. 140. Protokoll der Pressebesprechung (13. 8. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 465, S. 1251–1252.
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te im Volke brauchen die feindlichen Heeresberichte gar nicht, die lesen aus den deutschen Heeresberichten kritisch vollkommen heraus, was daraus kritisch herausgelesen werden kann.“79 Jedoch beruhte das Wissen der Heimat um das Kriegsgeschehen nicht allein auf der Berichterstattung durch die Zeitungen. Neben Briefen brachten auch die Erzählungen von Fronturlaubern oder das einfache Straßengespräch unter Fremden Neuigkeiten. Der staatliche Kontrollanspruch reichte niemals so weit, kleine Öffentlichkeiten dermaßen zu beherrschen, dass keine Informationsalternativen zur gelenkten Presse mehr bestanden. Gespräche während des Schlangestehens um Lebensmittel, in Gaststätten, der Straßenbahn oder im Eisenbahnabteil bildeten während des Krieges wesentliche Elemente einer komplementären Kommunikation über den Kriegsverlauf. Noch während der März-Offensive war die Stimmung unter den Fronttruppen außerordentlich gut und die Soldaten waren voller Zuversicht, mit dieser letzten großen Anstrengung den entscheidenden Sieg erzwingen zu können. Aber schon Mitte April beobachtete ein Stabsoffizier an der Westfront ein Schwinden der Kampfmoral der Soldaten: „Nun ist die Enttäuschung da, und sie ist groß.“80 Die fortschreitende Auszehrung und Erschöpfung der Truppen trug zu einem schleichenden Disziplinverlust innerhalb der Armee bei. Mitte August berichtete der Berliner Polizeipräsident vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Stimmung in der Stadt von „Erzählungen beurlaubter Soldaten über trübe Zustände in unserem Heere, über Meutereien und den zunehmenden Übertritt zum Feinde […] Die tollsten Gerüchte, deren Urheber sich fast nie feststellen lassen, werden verbreitet und geglaubt.“81 Diese Erzählungen erlaubten ebenso wenig wie Feldpostbriefe ein umfassendes Bild der militärischen Lage, gaben den Berlinern jedoch beredte Hinweise aus erster Hand auf den Stand der Dinge im Westen. Militärbehörden sahen angesichts der zunehmend als Bedrohung gesehenen Kommunikation zwischen Front und Heimat Handlungsbedarf. Ende August forderte der preußische Kriegsminister ein rücksichtsloses Einschreiten gegen beurlaubte oder verwundete Soldaten, die durch ihre Berichte von der Front den Geist in der Heimat zersetzten. Ausdrücklich betonte der Kriegsminister, dass auch „Offiziere, Sanitätsoffiziere und Beamte“ zu den erwähnten Urlaubern zählten.82 Nur wenige Tage später konstatierte Hindenburg in einer Rundverfügung eine Zunahme von Klagen über Urlauber, deren „Redensarten […] geradezu an Landesverrat 79
80 81
82
Pressebesprechung (9. 9. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14027, fol. 3. S. a. Rupprecht von Bayern, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 432. Zur Diskussion um den Abdruck feindlicher Heeresberichte s. Koszyk, Heeresberichte. Thaer, Generalstabsdienst, S. 182. S. a. Rupprecht von Bayern, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 402 (26. 5. 1918). 100. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (19. 8. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 284–285. Vgl. den Auszug aus einem Stimmungsbericht des OKM in: Zusammenstellung der Monats-Berichte der stellv. Generalkommandos (3. 9. 1918), GStA Rep. 77 Tit. 1059, Nr. 3, Bd. 2. BA R 43/2398 l, fol. 68.
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und Aufreizung zum Ungehorsam“ grenzten. Handelte es sich dabei um Ausdruck einer „gewissen Überreiztheit“, so genügte eine Belehrung, bewusst staatsfeindlichem Verhalten war jedoch mit Nachdruck entgegen zu treten.83 Am 3. September 1918 erkannte der Vertreter des Vorwärts in der Pressekonferenz als „Hauptträger der falschen Gerüchte hauptsächlich die Feldgrauen, Soldaten und Offiziere, die auf Urlaub in die Heimat kommen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß 9/10 der Gerüchte auf Erzählungen der Leute beruhen, die, um sich wichtig zu machen, oder gutgläubig unter dem Eindruck ihrer Erlebnisse draußen viel mehr erzählen.“84 Über keine der militärischen oder zivilen Persönlichkeiten waren in der Endphase des Krieges so viele Gerüchte verbreitet wie über Hindenburg und Ludendorff.85 Bereits im Januar 1918 waren in Berlin vor allem über letzteren zahlreiche Gerüchte verbreitet. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Wilhelm II. über die Friedensverhandlungen in Brest Litowsk hatte Ludendorff Anfang Januar seinen Rücktritt angeboten.86 Der Kaiser verdächtigte die Ehefrau Ludendorffs, dessen Rücktrittsdrohung überall zu verbreiten.87 Diese vertrauliche Information wurde rasch bekannt und verursachte in Berlin „große Erregung.“88 Zu der Aufregung hatte die polarisierende Berichterstattung durch die der Vaterlandspartei nahe stehende Presse beigetragen.89 Nachdem die Nachricht am 6. Januar offiziell dementiert worden war, wurde eine weitere Berichterstattung verboten.90 Am 6. Januar 1918 wurde dementiert, dass ein Rücktrittsgesuch Ludendorffs vorlag. Die Meldung resultierte aus einem Artikel der Rheinisch Westfälischen Zeitung, die am 5. Januar unter der Überschrift „Ludendorff will sein Abschiedsgesuch einreichen“ auf entsprechende in Berlin umlaufende Gerüchte verwies. In der Bevölkerung wurde das Rücktrittsgesuch mit dem Ausbleiben der ersehnten Offensive in Verbindung gebracht. Noch waren die Erwartungen der Bevölkerung an die OHL voller Zuversicht und noch galt Ludendorff als ein Garant des Sieges.91 83 84 85
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Rundverfügung des Chefs des Generalstabes an alle Heeresgruppen und Armee-Oberkommandos (3. 9. 1918), in: Militarismus gegen Sowjetmacht, Nr. 34, S. 249. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1266. Zusammenfassend zur Rolle Hindenburgs in der zweiten Kriegshälfte: Barth, Dolchstoßlegenden, S. 180–195. S. a. Pyta, Paul von Hindenburg. Pyta betont zu Recht, dass die wissenschaftliche Literatur zu von Hindenburg überaus spärlich ist. Ebd., S. 109. Auch eine moderne Biographie Ludendorffs ist Desiderat. Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 439. Über das Verhältnis Ludendorffs zu Wilhelm II. s. Görlitz (Hrsg.), Regierte der Kaiser, S. 345; Potthoff, Friedrich von Berg, S. 141. Görlitz (Hrsg.), Regierte der Kaiser, S. 342 (8. 1. 1918). Zu den Spannungen zwischen OHL und Wilhelm II. s. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 417–418. 93. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (21. 1. 1918), Materna und Schrekkenbach (Hrsg.), Berichte, S. 238. Schwertfeger, Verantwortlichkeiten, S. 116. Protokoll der Pressebesprechung (7. 1. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 7, 12; Protokoll der Pressebesprechung (10. 1. 1918) ebd., S. 6–7. 93. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (21. 1. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 238.
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Vor dem Hintergrund der angespannten Versorgungslage, wechselseitigen Vorwürfen der Bevorzugung und der daraus erwachsenden Spannungen vor allem zwischen Preußen und Bayern sorgten im Juli Nachrichten über ein angebliches Duell Hindenburgs mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht für Unruhe.92 Gerüchte über Hindenburg und Ludendorff nahmen ein solches Ausmaß an, dass sich der Chef des KPA in der Pressebesprechung am 23. Juli 1918 gegen das Gerücht wandte, ersterer sei ermordet worden: Auf diese Gerüchte kann ich nicht mehr reagieren. Ich richte nur die Bitte an die Presse, die Übermittler solcher Gerüchte – ich kann nicht empfehlen, ihnen gegenüber handgreiflich zu werden – derartig anzupfeifen, daß sie nicht mehr wiederkommen. Das ist das einzige Mittel, um gegen solche Gerüchte anzukommen.93
In einem Interview mit einer Berliner Zeitung trat Hindenburg im August 1918 Gerüchten über seine Erkrankung offen entgegen: „Man hat mich ja schon tot gesagt. Ich soll sogar ermordet sein. Aber fühlen sie mich nur an, ich bin kein Astralleib. Es geht mir sehr gut!“94 Angesichts der restriktiven Linie hinsichtlich der Dementis von Gerüchten ist das offene Entgegentreten gegen die Gerüchte über den Generalfeldmarschall ein deutlicher Hinweis darauf, wie bedrohlich diese eingeschätzt wurden. Einen nur schwer zu bestimmenden Beitrag zu den Gerüchten über die OHL leistete die ausländische Presse, die ab der zweiten Juliwoche über eine Erkrankung Hindenburgs spekuliert hatte. In der internationalen Presse häuften sich bereits im März und April 1918 Spekulationen, dass nunmehr Ludendorff der eigentliche Chef der OHL sei.95 Die über Ludendorff verbreiteten Gerüchte waren nicht ohne reale Korrelate. Innerhalb der OHL und unter den Frontgeneralen war Ludendorff spätestens seit der fehlgeschlagenen Frühjahrsoffensive umstritten. Im Sommer 1918 beobachteten viele seiner Mitarbeiter an ihm bislang unbekannte Erschöpfungszustände, deretwegen er sich zwischenzeitlich in nervenärztlicher Behandlung befand. Möglicherweise sprach sich auch sein Verhalten herum, längere, gereizte Telefonate mit Frontkommandeuren zu führen, was viele als Beleg für diese Nervosität deuteten.96 Da im August 1918 ein Befehl Hindenburgs die Angehörigen des Großen Hauptquartiers als Verbreiter von Gerüchten nannte, ist es wahrscheinlich, dass von dort Beobachtungen über das Verhalten des Generalquartiermeisters in die Heimat gelangten.97 92
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Rupprecht von Bayern, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 430 (1. 8. 1918). S. a. Auszüge aus der Aufzeichnung des Unterrichtsoffiziers StGK XIII. AK über die Stimmung und die eingeleiteten Maßnahmen (16. 9. 1918). Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 365, S. 363–364. Der Referent führte das Gerücht auf das Einwirken der feindlichen Propaganda zurück. Ebd., Nr 468, S. 1260, Anm. 5. Berliner Tageblatt 392, 3. August 1918. Feindliche Antimonarchische Propaganda, Nr. 11 (Mitte März bis Ende April 1918) (30. 4. 1918). Nicht ersichtlich ist, ob diese Berichte der feindlichen und neutralen Presse auf Manipulationen alliierter Propagandastellen zurückgingen oder selbst auf Hörensagen beruhten. Foerster, Feldherr, S. 71; Kaehler, Beurteilung, S. 21. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 220.
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Betrafen Gerüchte über Ludendorff einen überaus prominenten General, der im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, so galten Gerüchte über Hindenburg einem Feldherrn, der anders als dieser während des Krieges zu einer nationalen Integrationsfigur aufgestiegen war. Welcher Anteil am deutschen Sieg von Hindenburg erwartet wurde, zeigt ein Bericht des Vereins für Sozialpolitik. Dort wurde vermutet, dass „sich in den allgemein verbreiteten Gerüchten von schwerer Erkrankung, Tod oder Ermordung Hindenburgs eine Ehrfurcht vor dem Feldmarschall wider[spiegelt], die nicht glauben will, daß unter seiner Führung oder Verantwortung die deutschen Heere jemals anders als mit offenkundigem Erfolge operieren könnten.“98 Dieser Interpretation zufolge war allein der Feldmarschall Garant eines deutschen Sieges und die Niederlagen nur durch seine Erkrankung oder Tod zu erklären. Der im August 1914 aus dem Ruhestand als Oberbefehlshaber an die Ostfront gerufene Hindenburg war seit dem Sieg in der Schlacht von Tannenberg mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit versehen und zu einem Idol der Massen („unser Hindenburg“) aufgestiegen.99 1915 berichtete der preußische Kriegsminister Wild von Hohenborn in einem Brief an seine Frau „von der geradezu vergötternden, stürmischen Liebe der Leute“ zu Hindenburg.100 Im Sommer 1918 neigte sich diese ‚Liebe‘ ihrem Ende zu. Noch im Januar des Jahres waren Hindenburg und Ludendorff bei ihren Spaziergängen im Tiergarten enthusiastisch begrüßt worden.101 Im Herbst dagegen wurde auf Berlins Strassen über Hindenburg gespottet: „Das Volk witzelt teilweise noch immer, ist unfähig das ganze Pathos der Situation aufzunehmen: z. B. Warum ist Hindenburg die Sonne der Nation? Er geht im Osten auf und im Westen unter.“102 Gerüchte über Hindenburg, der als ersatzmonarchische Identifikationsfigur in allen gesellschaftlichen Schichten integrierend wirkte, unterminierten aber nicht allein das Vertrauen in den Feldherren und seine Armee, sondern auch das innere Ordnungsgefüge der wilhelminischen Gesellschaft. Hindenburg schien nicht zuletzt durch sein vermeintlich unpolitisches und sein würdevolles äußeres Erscheinungsbild prädestiniert zu sein, angesichts der Fragmentierung der deutschen Gesellschaft „das tiefsitzende Integrationsbedürfnis weiter Kreise der deutschen Gesellschaft symbolisch zu repräsentieren.“103 Die Deutschen waren empfänglich für eine durch eine Person gestiftete nationale Integration, die Wilhelm II. nicht ausfüllen konnte. Gerüchte über Hindenburg waren damit Vorboten gesellschaftlicher Desintegration – damit wurde die Autorität einer der letzten 98 99 100 101 102
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97. Bericht des Vereins für Sozialpolitik (1. 8. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14029. Zu diesen Berichten S. Kap. IV.3.1. Kielmannsegg, Weltkrieg, S. 331–332. Reichold und Granier (Hrsg.) Wild von Hohenborn, Nr. 47, S. 84 (27. 8. 1915). Blücher, Tagebuch, S. 209 (Januar 1918). Baumgart (Hrsg.), Von Brest Litowsk, S. 189 (21. 10. 1918). Dieser Witz lässt sich bereits für Anfang September in einem Brief eines Offiziers nachweisen. WUA 4. Reihe, Bd. 5, S. 308. Pyta, Paul von Hindenburg, S. 120.
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Klammern, die die wilhelminische Gesellschaft noch als solche zusammenhielt, untergraben.104 Eine Ursache der nicht mehr umkehrbaren Desintegration war die Blindheit der militärischen Führung gegenüber den militärischen Gegebenheiten und den daraus resultierenden politischen Notwendigkeiten. Erst vier Wochen nach dem französischen Durchbruch an der Marne und eine Woche nach dem Zusammenbruch der Front bei Amiens trat am 14. August 1918 der Kronrat im Großen Hauptquartier in Spa zusammen, um über die veränderte militärische Lage zu beraten.105 Allerdings hatte das Bild, das die OHL von der Kriegslage entwarf, mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun.106 Gegenüber Regierung und Monarch verharmloste, ja verschwieg Ludendorff den Ernst der Lage, verweigerte eine Offenlegung des drohenden militärischen Zusammenbruchs, so dass anstelle von Informationen weiterhin Illusionen ausgegeben wurden.107 Einziges greifbares Ergebnis des Kronrates und der Planungen für eine Neuorientierung der Propagandaorganisationen war die Entscheidung, die Propaganda nach Innen und Außen zu intensivieren.108 Bis weit in den September gaben sich OHL, Monarch und Regierung Illusionen über die politische und militärische Lage hin.109 Gegenüber dem Reichskanzler und anderen Politikern verharmloste die OHL die drastische Veränderung der militärischen Lage.110 Ein in das Große Hauptquartier abgeordneter Marineoffizier notierte dort: „Allgemein ist zu beobachten, wie durch die Schärfe von Ludendorffs Regiment der Schwindel zu wuchern anfängt. Es werden Angriffe und Gegenstöße übertrieben dargestellt. Äußerungen des Pessimismus sind so verpönt im offiziellen Verkehr, daß eine Unwahrhaftigkeit daraus entsteht.“111 Angesichts der sich fast täglich verschlechternden militärischen Lage wurde offensichtlich, dass vor allem Ludendorff außer Stande war, Konsequenzen zu ziehen. Nach neuen Offensiven an der Westfront handelte Ludendorff, dessen starre Haltung innerhalb der OHL umstritten war, schließlich nicht aus eigenem Antrieb, sondern wurde von jüngeren Offizieren zu einer Entscheidung gedrängt.112 Erst am 29. September leistete die OHL ihren Offenbarungseid gegenüber der Regierung. Wie sehr das Militär den Ernst der Lage herunterspielte, lässt sich am Umgang mit Tanks aufzeigen, die am 8. August ein entscheidendes Element des alliierten Erfolges 104
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Boris Barth konstatiert einen Zerfall des Hindenburg-Mythos spätestens ab Sommer 1918. Barth, Dolchstoßlegenden, S. 186. Zu Wilhelm II. s. Sösemann, Verfall; Kohlrausch, Monarch, Kap. V. Kielmannsegg, Weltkrieg, S. 662; s. a. Potthoff (Hrsg.), Friedrich von Berg, S. 158–159. Ebd., S. 661. Vgl. WUA, 4. Reihe, Bd. 2, S. 226, 371. Ebd., Nr. 345, S. 280– 282. Kielmannsegg, Weltkrieg, S. 662. Creutz, Pressepolitik, S. 266. Hill (Hrsg.), Weizsäcker-Papiere, Bd. 1, S. 313 (28. 8. 1918). Zur Beurteilung Ludendorffs s. ebd., S. 285, 289, 291. S. a. Rupprecht von Bayern, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 449 (21. 9. 1918). Deutschland im Ersten Weltkrieg, S. 421–428.
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gewesen waren. Am 24. September behauptete ein hochrangiger Offizier vor den Mitgliedern des Hauptausschusses des Reichstages, dass die „Tankabwehr mehr eine Nerven- als eine Gerätefrage“ wäre.113 Gegenüber dem Kabinett sprach Ludendorff am 17. Oktober verharmlosend vom „Tankschreck“ und schob damit die Verantwortung für den Erfolg der neuen Waffe auf die schlechten Nerven der deutschen Soldaten.114 Gegenüber den Militärbevollmächtigten hatte er allerdings am 30. September konstatiert, dass die Kriegführung aufgrund der feindlichen Tanks, die er als die entscheidende Waffe des Bewegungskrieges ansah, den „Charakter des Glücksspiels angenommen“ hätte.115 Dieses Zögern der militärischen Entscheidungsträger führte dazu, dass bis Anfang Oktober die Presse ein unrealistisches Bild der Kriegslage wiedergab. Im Moment des militärischen Zusammenbruchs prägte damit nicht nüchterne Aufklärung, sondern weiterhin amtliche Stimmungsmache die Propagandapolitik.116 Noch am 24. September hatten erst Reichskanzler Hertling und anschließend Oberst von Wrisberg, Chef der Zentralabteilung des Kriegsministeriums, im Hauptausschuss des Reichstages die militärische Lage zuversichtlich geschildert.117 Zwischenrufe wie „Großvater erzählt Geschichten“ und „Olle Kamellen“ zeigten, dass das Vertrauen der Parlamentarier in die Beteuerungen Hertlings geschwunden war und die Tage seiner Kanzlerschaft gezählt waren. Als von Wrisberg den Abgeordneten eine überoptimistische Schilderung der Lage gab, wurde er ausgelacht und verspottet und die anschließenden Ausführungen eines Vertreters des Admiralstabes mit ironischen Bravorufen bedacht.118 Ende September 1918 beschleunigte der schleichende militärische Zusammenbruch die Parlamentarisierung des Reiches. Konstitutionelle Reform und militärische Krise bildeten einen kaum mehr auflösbaren Zusammenhang. Ludendorffs Forderung nach einer Parlamentarisierung erzwang den Rücktritt des politisch bereits angeschlagenen Reichskanzlers Hertling. Dieser Schritt machte den Weg frei für Prinz Max von Baden als Kanzler einer ‚Volksregierung‘ unter Eintritt von SPD-Politikern. Da der designierte Reichskanzler Prinz Max von Baden das Waffenstillstandsangebot der OHL ablehnte, versuchte diese über den Umweg des Reichstages auf ihn Druck auszuüben. Im Auftrag der OHL informierte am 2. Oktober Major von dem Bussche in Berlin die Führer der im Reichstag vertretenen Parteien.119 Er entsetzte seine Zuhörer mit der Mittei113 114
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Schiffers und Koch (Hrsg.), Hauptausschuß, Bd. 4, S. 2295. Von Baden, Erinnerungen, S. 414. Ursachen und Folgen, Bd. 2, Nr. 367, S. 322. Zur Einschätzung der neuen Waffen durch die OHL s. Thaer, Generalstabsdienst, S. 220 (10. 8. 1918), S. 239 (8. 10. 1918). Ursachen und Folgen, Bd. 2, Nr. 367, S. 322. Ritter, Staatskunst, Bd. 4, S. 396. Schiffers und Koch (Hrsg.), Hauptausschuß, Bd. 4, S. 2290–2293. Hanssen, Diary, S. 295–296 (24. 9. 1918). Am 25. 9. beklagte Scheidemann im Hauptausschuss, dass von Wrisberg nichts gesagt hätte, was nicht auch in den Zeitungen gestanden hätte. Schiffers und Koch (Hrsg.), Hauptausschuß, Bd. 4, Nr. 272, S. 2308. Ludendorff (Hrsg.), Urkunden, S. 535–540.
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lung, dass sich die Lage grundsätzlich geändert hätte und die „Fortsetzung des Krieges als aussichtslos aufzugeben“ sei.120 Der Major drängte die Parlamentarier zu einer schnellen Entscheidung. Die anwesenden Politiker reagierten verzweifelt.121 Nach von dem Bussche kursierten in der Stadt schon wenige Stunden später „die ungeheuerlichsten Gerüchte“ unter seinem Namen.122 Diese von vielen Militärs geteilte Lesart unterstellt, dass das Wissen der Bevölkerung um die militärische Krise erst aus dem nervlichen Versagen der Politiker resultierte und es ein Gebot der militärischen Vernunft gewesen wäre, über diese weiter Stillschweigen zu wahren. Nach dem Vortrag von dem Bussches waren die Abgeordneten schockiert. Ursache war vermutlich weniger der Umstand der drohenden Niederlage und der Unvermeidbarkeit eines Waffenstillstandes an sich, sondern dass die militärische Führung diesen in so drastischem Ton und mit einem kaum zu überbietenden zeitlichen Druck von ihnen einforderte. Die Betonung des Schockhaften, des Plötzlichen, des Unerwarteten in den Erinnerungen der Beteiligten ist wohl zu einem nicht geringen Anteil aber auch dem Versuch geschuldet, das eigene Handeln zu rechtfertigen. Boris Barth hat darauf hingewiesen, dass sich in der Forschung bei der Bewertung der letzten Kriegsmonate ein Widerspruch ergibt. Einerseits werde betont, dass das deutsche Waffenstillstandsersuchen die Heimat völlig unvorbereitet getroffen hätte, andererseits werde aber hervorgehoben, dass die Niederlagen im Westen als Katalysator des Zusammenbruchs der Heimatfront gedient hätten.123 In der neueren Forschung wurde betont, dass unter den Frontsoldaten seit Sommer 1918 eine deutsche Niederlage erwartet wurde und geht davon aus, dass dieser Informationsstand der Soldaten auch die Heimat erreichte. Sie bezweifelt daher den „Befund einer überraschenden Niederlage.“124 Das erwähnte Gelächter der Abgeordneten in der Sitzung des Hauptausschusses des Reichstages ist ein deutlicher Indikator dafür, wie wenig die Abgeordneten den Beteuerungen der militärischen und politischen Führung noch glaubten. Bereits in der SPD-Fraktionssitzung am 23. September wurde von einer bevorstehenden „Niederlage“ gesprochen.125 Zusätzlich zu der schwierigen Lage an der Westfront belastete ab Mitte September auch der Zusammenbruch der Verbündeten Österreich-Ungarn, Os-
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Zu den Ausführungen von Wrisbergs am 24. 9. 1918 s. Schiffers und Koch (Hrsg.), Hauptausschuß, Bd. 4, S. 2293–2298. von Baden, Erinnerungen, S. 328. Vgl. Haase (Hrsg.), Hugo Haase, S. 53, 166; Ebert, Schriften, S. 92; Payer, Bethmann Hollweg, S. 101–104. Scheidemann, Zusammenbruch, S. 176. Ludendorff (Hrsg.), Urkunden, S. 539. Auch von Haeften beobachtete, dass nach wenigen Tagen die Mitteilungen Bussches „zum Teil noch erheblich übertrieben – in aller Munde gewesen“ wären. Ebd., S. 539–540. S. a. Hürten und Meyer (Hrsg.), Adjutant, S. 34 (4. 10. 1918). Barth, Dolchstoßlegenden, S. 138. Lipp, Meinungslenkung, S. 182–183. Matthias und Pikart (Hrsg.), Reichstagsfraktion, Bd. 3.2, Nr. 492b, S. 431–432.
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manischen Reich und der Türkei die OHL. Unter dem Eindruck weiterer Großoffensiven im Westen und der sich gleichzeitig entwickelnden politischen Krise verstärkte sich zudem der Druck auf die militärische Führung, zu handeln. Anders als das vor der Öffentlichkeit verborgene, zum Waffenstillstandsersuchen der OHL führende Geschehen im Großen Hauptquartier, war eine Berichterstattung über die militärische Krise Bulgariens erlaubt. Am 28. September zeichnete ein Aufsehen erregender Artikel des Vorwärts ein apokalyptisches Bild der Zukunft: Angesichts des bevorstehenden Sonderfriedens der Verbündeten stünde man bald allein gegen einen übermächtigen Feind. Im Angesicht der drohenden nationalen Katastrophe war mit dem Artikel ein Angebot der Sozialdemokraten verbunden, eine Regierung der nationalen Verteidigung zu bilden.126 Die Nachricht der bevorstehenden Kapitulation Bulgariens schlug in Berlin wie eine Bombe ein und hinterließ einen sehr tiefen Eindruck: „Dem Publikum gehen allmählich d.[ie] Augen auf. Zugleich fortgesetzt schlechte Nachrichten aus dem Westen.“127 Über die dramatischen Ereignisse im Großen Hauptquartier Ende September war die Bevölkerung im Unklaren gelassen worden. Veröffentlicht wurde nur der Erlass des Kaisers, der eine Parlamentarisierung des Reiches ankündigte. Anzeichen eines deutschen Friedensschrittes finden sich erst in den Morgenausgaben der am 5. Oktober erscheinenden Zeitungen.128 Noch bevor der designierte Reichskanzler an diesem Tag im Reichstag wie geplant seine Politik erläutern konnte, hatten am Vortag Journalisten in der Pressebesprechung drängende Fragen nach der Wahrheit gestellt. Angesichts der aktuellen Entwicklung forderte ein Journalist: „Weg mit dem alten Kram! Volle Klarheit! Kein Verbergen mehr!“129 Unmittelbar vor der erwarteten Rede Prinz Max von Badens zeigten sich die meisten Journalisten in der Pressebesprechung ratlos und verunsichert. Georg Bernhard betonte: Sagen wir jetzt, es schwirrten nur Pulvergerüchte herum, es sei aber alles rosig, dann ist das Vertrauen zur Presse nicht möglich. Alles hängt von der militärischen Lage ab, alles was politisch passiert ist nur zu beurteilen unter dem Gesichtspunkt ‚Wie stehen wir militärisch?‘ […] Nun stellen sie sich einmal vor, wenn am Sonnabend ein Friedensangebot im Reichstag erfolgt: Dann gibt es im Volke eine Katastrophe, die einen werden darin die Bestätigung ihrer schwarzen Ansicht sehen, die anderen Verrat dahinter wittern.130 126 127 128
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„Bulgariens drohender Abfall“, Vorwärts 267, 28. September 1918. Schwertfeger, Verantwortlichkeiten, S. 315–316; Wolff, Tagebücher, Bd. 2, S. 630 (27. 9. 1918). S. a. Hanssen, Diary, S. 306 (29. 9. 1918). Herrmann, Zusammenbruch 1918, S. 48, 52. Die erste Note an den amerikanischen Präsidenten war bereits in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober dem Schweizer Gesandten übergeben worden. Protokoll der Pressebesprechung (4. 10. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 480, S. 1302. Protokoll der Pressebesprechung (4. 10. 1918), ebd., Nr. 480, S. 1300–1301. Zu den Erwartungen unter Abgeordneten des Reichstages an die Rede s. Hanssen, Diary, S. 309 (3. 10. 1918).
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Im gleichen Sinn warnte ein weiterer Journalist: „Wenn die Presse nicht die Mittel an die Hand bekommt, die öffentliche Meinung zu stützen, dann folgt ein noch nie dagewesener Zusammenbruch.“131 Nachdem Prinz Max von Baden im Reichstag das deutsche Waffenstillstandsersuchen bekannt gegeben hatte, verzeichneten die Zeitungen unterschiedliche Reaktionen der Berlinerinnen und Berliner. Das Berliner Tageblatt beobachtete: „in den Straßen Berlins, als die Menge beim Laternenschein diese Rede las, die hoffnungsfrohen Rufe [gehört:] Das ist der Frieden! Der Frieden ist da!“132 Die Kreuzzeitung sah in der Festtagsstimmung der Berliner Bevölkerung eine „psychologische Verkehrtheit“, die dem mangelnden politischen Verständnis der Deutschen und ihrer Verführung durch die liberale Presse zuzuschreiben wäre.133 Einen Tag nach der Rede beobachtete Hanssen, dass bei den einfachen Menschen „morale is apparently restored. Peace is in the offing. Only a few realize as yet what kind of a peace Germany is going to obtain.“134 Während in der Presse schon die militärische Krise diskutiert wurde, fuhr die Aufklärungsabteilung des OKM noch Anfang Oktober mit ihrer DurchhaltePropaganda fort. In der gegenwärtigen militärischen Lage komme es nur darauf an, eine „auf ein festes Vertrauen gegründete Ruhe und die bewährte deutsche Kaltblütigkeit [zu] bewahren und der Entwicklung der Ereignisse mit unerschütterlichem Gleichmut“ entgegenzusehen. Die Fronten würden halten und in wenigen Wochen träte der Winter ein, der allen kriegerischen Ereignissen Einhalt gebieten werde.135 Mitte Oktober gestand während einer Tagung von Aufklärungsoffizieren ein Offizier der Aufklärungsabteilung des OKM seine Hilflosigkeit offen ein. Das Vertrauen zur OHL in Berlin sei „erschüttert. Es gehen da die unsinnigsten Gerüchte, und ich möchte um Instruktionen bitten, was wir da den Leuten sagen sollen. Die Leute wenden sich an das Oberkommando und wollen Aufklärung haben.“ Man verstehe nicht, dass die OHL nicht nur ihr Einverständnis zu dem Waffenstillstandsersuchen gegeben hätte, sondern es auch „ausdrücklich verlangt haben“ sollte.136 Damit herrschte Ratlosigkeit nunmehr nicht allein unter den Journalisten, auch jene Offiziere, die die öffentliche Meinung steuern sollten, zeigten sich überfordert und außerstande, angemessen auf die Ereignisse zu reagieren. Es ist kein Zufall, dass die politische und gesellschaftliche Krise der Heimatfront im Oktober und November 1918 in der Revolution kulminierte. Im Angesicht der Katastrophe eines neuen Kriegswinters, und ohne die Aussicht auf eine 131 132
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Protokoll der Pressebesprechung (4. 10. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 480, S. 1302–1303. Berliner Tageblatt 511, 6. Oktober 1918. Unter den Mitgliedern des Reichstages war das Warten auf die Rede des Reichskanzlers von vielen Gerüchten begleitet. Hanssen, Diary, S. 319 (5. 10. 1918). Kreuzzeitung 510, 6. Oktober 1918. Hanssen, Diary, S. 329–330 (6. 10. 1918). Vertrauliche Mitteilungen Nr. 14 (1. 10. 1918). WüHStA 77/1, Nr. 451, fol. 73.
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Verbesserung der Versorgungslage, zusätzlich belastet durch die desaströse, sich täglich verschlechternde militärische Lage, bestand keinerlei Hoffnung auf eine bessere Zukunft.137 Nach den enttäuschten Hoffnungen der deutschen Offensiven verstetigte sich in Berlin ab dem Frühsommer 1918 der Eindruck, dass der Krieg nicht mehr siegreich beendet werden könnte. Als Besorgnis erregend wurde im Herbst 1918 eher die Zögerlichkeit der Behörden empfunden, dies auch einzugestehen. Denn im Lauf des Sommers hatten sich unter der Bevölkerung die Hinweise verdichtet, dass der Kriegsverlauf nicht den zuversichtlichen Parolen der offiziellen Propaganda und der optimistischen Bewertung durch die Presse entsprach. Der Informationsstand der Bevölkerung wurde weitaus stärker durch realistische Einschätzungen der Lage geprägt, als bisher von der Forschung angenommen. Hierzu hatten neben Feldpostbriefen, Gesprächen mit Urlaubern auch die zahlreichen Gerüchte beigetragen. In der Presse wurde nicht nur die sich seit Juli entfaltende militärische Krise beschwiegen. Auch der im behördlichen Schriftverkehr und in allen Stimmungsberichten beobachtete völlige „Stimmungsniederbruch“ in der Heimat fand keinen Niederschlag in den Zeitungen.138 Ein Ergebnis war eine immer offensichtlicher werdende Diskrepanz zwischen Krisenwahrnehmung, Alltag und amtlicher Berichterstattung.
VI.2.2. London zwischen Krise und Triumph Am 23. November 1917 läuteten in Großbritannien zum ersten Mal während des Krieges Kirchenglocken zur Feier eines Sieges. 19 Divisionen waren am 20. November bei Cambrai mit der Unterstützung von fast 400 Tanks tief in die deutschen Stellungen eingebrochen. Am ersten Tag rückten sie fast so weit vor wie in den hundert Tagen der Dritten Ypern-Schlacht im Sommer des gleichen Jahres – ein militärischer ‚Erfolg‘, der 400 000 Tote, Verwundete und Gefangene gekostet hatte. Doch schon am 26. November musste gewonnenes Gelände wieder aufgegeben werden und innerhalb weniger Tage eroberten deutsche Truppen das verlorene Terrain zurück. In London verbreitete sich Niedergeschlagenheit und einige Zeitungen sahen die schwerste Stunde des Krieges gekommen.139 Für die Briten hatte sich 1917 als das schlimmste Jahr des Krieges erwiesen. Mehrere Offensiven an der Westfront waren unter blutigen Verlusten gescheitert. Ende Oktober hatten die verbündeten italienischen Truppen bei Caporetto eine schwere Niederlage erlitten. Am 17. Dezember war ein Waffenstillstand 137
138 139
Vgl. Denn jedem „graut es vor einem fünften Kriegswinter.“ Bericht der Abteilung V. Außendienst, 2. Kommissariat an den Polizeipräsidenten (15. 6. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 278. Zur Verschlechterung der Stimmung s. die Zusammenstellung der Monats-Berichte der StGKs (3. 9. 1918), in: GStA Rep. 77 Tit. 1059, Nr. 3, Bd. 2. Macdonagh, In London, S. 236 (12. 12. 1918). Zum Kriegsjahr 1917 s. Liddle, Passchendale; Wilson, Myriad Faces, S. 485–492.
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zwischen den Mittelmächten und Russland geschlossen worden, durch den deutsche Divisionen an die Westfront verlegt werden konnten. Allein der Kriegseintritt der USA gab Anlass zu Hoffnungen. Aber nach den verlustreichen Schlachten des Jahres 1917 war in Großbritannien angesichts der angespannten innenpolitischen Lage eine „allgegenwärtige Krisenrhetorik“ zu beobachten.140 Ein Ende des Krieges schien nicht absehbar; das War Cabinet plante über 1919 hinaus. Verglichen mit den anderen Schlachten, die das britische Heer 1917 an der Westfront schlug, tritt die Schlacht von Cambrai in ihrer Bedeutung zurück. Wenn die Times sie dennoch wenige Monate nach ihrem Ende als „one of the most dramatic and the most controversial episodes of the war“ bezeichnete, dann ging dies zum einen auf die mit den anfänglichen Erfolgen begründeten Hoffnungen zurück. Zum anderen wurden mit der Schlacht die darauf folgende Enttäuschung und die öffentliche Debatte über den militärischen Rückschlag verbunden.141 Zwar hatte die Presse zunächst berichtet, dass die Operation mit einem vorzüglich organisierten Rückzug geendet habe. Doch nach und nach drangen anderslautende Informationen in die Heimat. Schließlich forderte die Times am 12. Dezember in einem Aufsehen erregenden Artikel eine Untersuchung der Ereignisse. Bereits am Vortag war kritisiert worden, dass die Wahrheit über den Rückschlag nur langsam in den Artikeln der Kriegsberichterstatter durchschiene: „The official communiques were more than usually laconic. The correspondents have so far been limited almost entirely to details of amazing individual gallantry.“142 Zwar wurde ausdrücklich betont, dass der Oberkommandierende Haig das Vertrauen der Regierung und der Armee besitze, doch werde zu oft schon die geringste Kritik an der Kriegführung als eine Intrige gegen Haig ausgelegt. Im Parlament wurde der Artikel sofort aufgegriffen. Ein Abgeordneter bestätigte, dass die Luft bedauerlicherweise angefüllt sei mit Gerüchten. Man sei in den letzten Tagen durch diese und äußerst beunruhigende Berichte sehr verstört worden.143 Im Parlament schlossen sich Abgeordnete der Forderung nach einer Untersuchung der Ereignisse und Bestrafung der Verantwortlichen an.144 Neben anderen Ursachen vermutete die Presse hinter dem Rückschlag das Versagen hoher Offiziere. An Beispielen fehlte es nicht: das Hauptquartier einer Brigade sei überrollt worden, Generäle hätten in Schlafanzügen gekämpft, Ärzte seien im Bademantel gefangen genommen worden.145 Andrew Bonar Law, Vorsitzender der Konservativen Partei und Mitglied des War Cabinet, machte im House of Commons die übertriebenen Erwartungen für Gerüchte und Enttäuschungen verantwortlich und sagte eine Untersuchung 140 141 142 143 144 145
Müller, Nation, S. 148. The Times, 5. März 1918. The Times, 12. Dezember 1917. HC 100 (12. 12. 1917), Sp. 1316. Ebd., Sp. 1327. The Times, 12. Dezember 1917.
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der Ereignisse zu.146 Das War Cabinet erbat von Haig einen Bericht über die Ursachen, die den Erfolg der deutschen Gegenoffensive ermöglicht hatten.147 Ein erster Bericht Haigs, der auch durch den Chef des Generalstabes Robertson und andere Offiziere geprüft wurde, erschien dem War Cabinet nicht ausreichend, so dass es mit dem südafrikanischen General Smuts eine militärische Autorität heranzog, der vor allem Lloyd George vertraute. Auch dieser bestätigte, dass weder dem Oberkommando in Frankreich noch den kommandierenden Offizieren Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte. Nachdem dem War Cabinet Mitte Januar der Bericht vorgelegt worden war, zeigte es sich überzeugt, dass das Oberkommando von der deutschen Gegenoffensive nicht überrascht worden war und dass alle notwendigen Gegenmaßnahmen getroffen worden waren. Eine weitere öffentliche Diskussion erklärte es allerdings im allgemeinen Interesse für unerwünscht. Ende Januar 1918 hörte eine aus mehreren hohen Offizieren zusammengesetzte Untersuchungskommission Zeugen und kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass allein das Versagen der einfachen Soldaten die Ursache des deutschen Erfolges war.148 Im Parlament erklärte die Regierung daher, dass keine Offiziere entlassen worden seien, auch das Gerücht, dass Haig als Oberkommandierender entlassen sei falsch.149 Unzufrieden mit diesen Angaben beklagten Abgeordnete, dass die Öffentlichkeit über die Ereignisse im Unklaren gehalten würde und verwiesen auf die darüber im Land herrschende Verärgerung.150 Die Times beschrieb die Aussprache als ungewohnt offen und bemerkte, dass ausgesprochen ehrliche Fragen – so bislang im Parlament noch nicht gehört – gestellt worden seien.151 Zugleich beklagte die Zeitung, dass die Regierung in der Handhabung des Berichtes der Untersuchungskommission jeden nur denkbaren Fehler gemacht habe. Vor allem wurde gefordert, dass der Premierminister dem Verdacht entgegentreten müsse, dass er gegen Haig intrigiere.152 In der Heimat bestätigte der Ausgang der Schlacht von Cambrai und die Diskussionen darüber weit verbreitete Zweifel an der Kompetenz der militärischen Führung. Das Ansehen Haigs fiel auf den niedrigsten Stand seiner Laufbahn. Bereits angesichts der britischen Verluste in der Dritten Ypern-Schlacht hatte Lloyd George im November 1917 öffentlich betont: „We have won great victories. When I look at the appalling casualty lists I sometimes wish it had not been necessary to win so many.“153 In den Weekly Intelligence Summaries wurde die allgemein verbreitete Auffassung beobachtet, dass Haig Männer verschwenden 146 147 148 149 150 151 152 153
HC 100 (12. 12. 1917), Sp. 1330–1331. Miles, Military Operations, S. 294. Zu der Untersuchung s. a. Baynes, Far From a Donkey; Moore, A Wood Called Bourlon. Miles, Military Operations France and Belgium, S. 297–298. HC 101 (15. 1. 1918), Sp. 145. HC 101 (21. 1. 1918), Sp. 667; HC 101 (23. 1. 1918), Sp. 1097–1099. The Times, 24. Januar 1918. The Times, 25. Januar 1918. Zit. n. Wilson, Myriad Faces, S. 547.
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würde.154 Im gleichen Sinn beklagte eine Londonerin Anfang Dezember in einem Brief: How one dreads the papers. Bourlon Wood was a great blow. I suppose the whole enterprise is one more instance of our incapacity to think & plan a thing out. After what […] was saying [about] Passchendaele it strikes one chill. What is the good of having the best troops in the world if there is no one who can lead them? 155
Bourlon Wood war ein Wald, dem in der Anfangsphase der Schlacht von Cambrai große Bedeutung zugesprochen wurde – eine Zeitung bezeichnete seine Einnahme als Krone des britischen Sieges.156 Mit der deutschen Gegenoffensive wurde er nach schweren Kämpfen aufgegeben. Auch wenn die Ergebnisse der Untersuchungskommission dem Parlament gegenüber geheim gehalten wurden, so zeigt die sich darüber entwickelnde Diskussion doch, dass ein Mindestmaß an Öffentlichkeit hergestellt worden war. Im Vergleich zur Handhabung militärischer Niederlagen im Deutschen Reich zeigen diese Ansätze einer öffentlichen Debatte jedoch, dass Kritik an der militärischen Führung in Großbritannien grundsätzlich möglich war. Denn auch wenn der Bericht nicht veröffentlicht wurde, lassen sich doch Rudimente der Transparenz politischen und militärischen Handelns erkennen. Die militärische Führung wurde öffentlich kritisiert und heftig angegriffen, ohne dass die Zensurbehörden intervenierten. In keiner einzigen D-Notice wurde im November und Dezember 1917 auf die Schlacht von Cambrai und die anschließende Debatte darüber Bezug genommen.157 Inwieweit Regierung und Militär hinter den Kulissen versuchten, Einfluss zu nehmen, ist anhand der vorliegenden Quellen nicht nachzuvollziehen. Nur bruchstückhaft werden in der Berichterstattung der Presse die Hintergründe der Debatte erkennbar. Denn die öffentliche Diskussion um das Scheitern der britischen Offensive bei Cambrai lässt sich nicht als reines Lob der Pressefreiheit werten. Die dahinter stehenden Interessen weisen die Episode eher als ein Lehrstück in Machtpolitik aus. Erst das Agieren von Lord Northcliffe, des Eigentümers der Times, durch deren Artikel die öffentliche Diskussion über den Rückschlag angeregt wurde, hatte die öffentliche Debatte ausgelöst. Dieser hatte nach Cambrai das Vertrauen in das britische Oberkommando 154 155 156 157
Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Zit. n. Wilson, Myriad Faces, S. 507–508. Daily News, 26. November 1917. So wies zwischen dem Beginn der Schlacht am 20. November und Anfang Dezember das Press Bureau darauf hin, dass die Presse Berichte über Flugunfälle nicht überbewerten sollte. D-Notice 608 (21. 11. 1917), PRO HO 139/45/166. Über britische und allliierte Bombenflugzeuge sollte ebenso wenig berichtet werden wie über die Tatsache, dass angesichts der Luftangriffe Kunstschätze aus den Museen an sicherere Orte verbracht würden. D-Notice 609 (21. 11. 1917), ebd. Anfang Dezember wurde betont, dass ein Soldat in der National Gallery einige Bilder beschädigt hätte. Um Nachahmungstaten zu verhindern, sollte von einer Berichterstattung abgesehen werden. D-Notice 611 (7. 12. 1917), ebd. Weitere D-Notices wurden in diesem Zeitraum nicht an die Presse weitergeleitet.
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verloren und begann eine vor allem gegen Robertson, den Chef des Generalstabes, gerichtete Kampagne.158 Der schwelende Streit zwischen Regierung und Armeespitze über den richtigen Einsatz der immer knapper werdenden personellen Reserven und um die richtige Strategie war der Hintergrund, vor dem sich die Diskussion entfaltete. In einem Klima des gegenseitigen Verdachts und Misstrauens zwischen Regierung und der Armee war die Debatte um die Ursachen des Rückschlages von Cambrai nur ein Vorspiel. Es ging der Entlassung Robertsons und der öffentlichen Debatte um die Kritik von General Maurice an Premierminister Lloyd George voraus.159 Die militärische Untersuchungskommission hatte in ihrem Bericht über den Rückschlag bei Cambrai für die irreführende Information der Heimat den Einfluss informeller Kommunikation betont. Nicht Zeitungen und Parlamentarier, sondern jene Offiziere, Soldaten und vor allem die Verwundeten, die während ihres Urlaubes Katastrophengerüchte erzählt hatten, wurden für die Verunsicherung der Heimat verantwortlich gemacht: „Moreover, they get home before the telegrams, and readily spread the foolish notion that if they had been in charge of the conduct of operations, things would have been very different.“160 Auch die Times hatte in ihrem Aufsehen erregenden Artikel beklagt: „the published and censored version is being amplified every day by innumerable and most disquieting first-hand accounts from officers and men who took part in the fighting.“ Die Zeitung sah es als dringlich an, die Ereignisse aufzuklären und Versager zu entfernen.161 Zuträger der Weekly Intelligence Summaries beobachteten einen regen Austausch von Informationen zwischen Soldaten und ihren Angehörigen und seine Auswirkungen. Die in ihren Berichten festgehaltene Kritik an der Presse ist in dieser Form in den Zeitungen nicht nachzulesen. Während in den Zeitungen die Zensur und die Berichterstattung der Presse kaum reflektiert wurden, lassen die Weekly Intelligence Summaries herbe Kritik der Bevölkerung erkennen: Die Zeitungen würden die britischen Operationen als brillante Siege darstellen – doch die Menschen in der Heimat, die sich entscheiden müssten, ob sie den Artikeln oder den Berichten ihrer Angehörigen von der Front vertrauten, würden letzteren Glauben schenken.162 Soldaten zeigten sich während ihres Heimaturlaubes nicht optimistisch über den Ausgang der nächsten Schlacht an der Westfront. Obwohl sie nur für ihren Frontabschnitt sprechen könnten, würden Angehörige und Freunde ihren Berichten größere Aufmerksamkeit schenken als den Zeitungen.163 Unter Gewerkschaftern verbreitete sich die Überzeugung, das Press Bureau diene weniger dem Schutz militärischer Geheimnisse, als dass 158 159 160 161 162 163
Thompson, Politicians, S. 180. Woodward, Lloyd George, S. 232. Zur Entlassung Robertsons und zur Maurice-Affäre s. Kap. III.3.2. Lloyd George, War Memories, Bd. 4, S. 443. The Times, 12. Dezember 1917. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 3. 1918), PRO AIR 560/826638.
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es Behörden vor Kritik schützen solle.164 Die ‚heiße Luft‘ der meisten Zeitungen würde mit den zutreffenden und niederdrückenden Erzählungen der Fronturlauber verglichen. Den Zeitungen würde vorgeworfen, die Bevölkerung in die Irre zu führen. Diese wären ständig bemüht: to bolster up the home morale by optimistic and glowing accounts of our prospects in this war, the truth, or frequently an unhappy distortion of it, less rosily coloured than the newspaper article, is through the men home on leave, constantly flowing back to the population in the form of ill-considered, ill-informed and merely piece-meal accounts of the war as it strikes the man in the trenches. There can be no doubt, a certain modicum of the growing distrust of the nation, is the outcome of the perception of this disparity between the officially-inspired newspapers, and the account it hears from its own kith and kin home from the front.165
Aus den Weekly Intelligence Summaries spricht zugleich tiefes Misstrauen der Berichterstatter gegenüber der Arbeiterschaft und Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit im Moment einer militärischen Krise. Die Unterschichten galten generell als käuflich.166 Wiederholt wurde vor kriminellen Bevölkerungsteilen gewarnt, von der die Gefahr von Hungerunruhen ausginge. Unmittelbare Gefahr drohe aber erst im Fall von Hunger.167 An der Haltung der Arbeiterschaft bemängelten die bürgerlichen Berichterstatter der Weekly Intelligence Summaries deren „ignorante“ Haltung gegenüber dem Krieg: Sie würde keine Generäle mit Namen kennen,168 sei nicht in der Lage, die Bedeutung des Krieges zu erkennen, und neige dazu, in deutschen Sozialdemokraten Kameraden zu sehen.169 Neun von zehn Männern wüssten nicht, ob Bulgarien für oder gegen Großbritannien kämpfe.170 Ein Berichterstatter stellte Ende Februar 1918 fest, dass die Situation auf der Oberfläche ruhig erschiene, dennoch sei es unklug, gewisse Unterströmungen von Unzufriedenheit und Misstrauen zu ignorieren.171 Ein weiterer wusste zu berichten, dass in einem Stadtteil sehr gegen das Königshaus, das die Ursache des Krieges sei, gehetzt. In einem anderen Stadtteil sei sehr illoyales Gerede in den Bussen und auf den Märkten zu hören gewesen.172 Stimmen, die sich positiv über das Verhalten äußerten, waren in der Minderzahl. So wurde betont, dass die Lebensmittelknappheit mit bemerkenswertem Sanftmut und Ergebenheit ertragen werde – mit Ausnahme einzelner Äußerungen ernsthaften Unmutes.173
164 165 166
167 168 169 170 171 172 173
Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Zum sozialen Hintergrund der Berichterstatter der Weekly Intelligence Summaries s. Englander, Military Intelligence. Weekly Intelligence Summary (London District) (18. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 3. 1918), PRO AIR 560/826638.
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Als im Frühjahr 1918 die deutsche Frühjahrsoffensive die alliierte Westfront bedrohte und die Stimmung im Inland allgemein als schlecht eingeschätzt wurde, wertete in Großbritannien die Postzensur die gesamte zensierte Post nach Hinweisen auf die Stimmung im Land aus. Probleme in der Lebensmittelversorgung und vor allem das Schlangestehen in den großen Industriestädten hatten im Januar und Februar 1918 die Bevölkerung verärgert. Im Februar 1918 zeigte sich das Oberkommando in Frankreich besorgt, dass die britischen Soldaten an der Westfront von diesen Problemen durch Presse, Heimaturlauber und Feldpostbriefe erfahren hätten und dies zu einer erheblichen Verschlechterung ihrer Stimmung beigetragen hätte. Hunderttausende Briefe aus der Heimat, in denen das Schlangestehen das einzige Thema gewesen sei, hätten den Soldaten ein übertriebenes und verzweifeltes Bild der dortigen Lebensbedingungen vermittelt.174 Um diesen Eindrücken entgegenzuwirken wurden Broschüren verteilt, ein Film („The Folk Away Back“) produziert und Redner nach Frankreich geschickt, um dort zu den Soldaten über die Lebensmittelversorgung zu sprechen. Als wesentlich erwies sich allerdings die Beeinflussung der Heimat. Mit einer Pressekampagne und Flugblättern mit dem Motto „Smile across the channel“ wurden die Briefeschreiber angehalten, über die Verhältnisse zu Hause positiver zu berichten. Ausdrücklich wies der Bericht darauf hin, dass mit großer Vorsicht vorgegangen werden musste, um den Eindruck zu vermeiden, die Regierung kontrolliere die Heimatpost.175 Auch in den Weekly Intelligence Summaries wurde betont, dass die Briefe auf die Soldaten einen schlechten Einfluss ausübten, so dass eine stärkere Zensur unausweichlich erschien: „many complaints and grumblings about the food shortage, air raids and other trifling hardships, which the folk at home have to endure, and the soldiers are very often upset and distressed to hear that those whom they have left to the care of their country are unhappy or in distress.“176 Veranlasst durch Beschwerden von Soldaten, dass die Post ihrer Ehefrauen und Kinder von der Zensur geöffnet worden war, fragte im März 1918 im House of Commons ein Labour-Abgeordneter, ob ein Ende dieses Vorgehens absehbar sei. Ihm wurde geantwortet, dass es nicht die Politik der Regierung wäre Briefe an Frontsoldaten zu zensieren. Wohl aber unterlägen sie aus Sicherheitsgründen einer gelegentlichen Untersuchung um die Truppen vor Spionen und feindlicher Propaganda zu schützen. Eine solche, zu einer gewissen Verärgerung der Soldaten führende Untersuchung, sei im Januar begonnen und im Februar beendet worden.177 Obwohl das Ministry of Information auf eine Fortsetzung der Überwachung drängte, wurde diese aus Angst vor einem Eingreifen des Parlamentes eingestellt, nachdem sich die militärische Lage an der 174 175 176 177
PRO MAF 60/243. PRO MAF 60/243. Weekly Intelligence Summary (London District) (18. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. HC 104 (21. 3. 1918), Sp. 1220–1221.
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Westfront stabilisiert und sich die Stimmung in der Bevölkerung als zuverlässig erwiesen hatte.178 Nicht nur die Zensur ihrer Post, sondern auch die drohende Allmacht des Staates sorgte unter Londonerinnen und Londonern für Beunruhigung. Ein Gewährsmann führte die im East End verbreitete Furcht „uttering unpopular sentiments“ auf die Sorge zurück, dann gezeichnet zu sein: „It don’t do to say what you think“.179 Ein weiterer Zuträger berichtete, den Begriff ‚agent-provocateurs‘ vor dem Krieg niemals von einem Arbeiter gehört zu haben, jetzt aber trüge ihn jeder auf den Lippen.180 Ein Vertrauensmann berichtete Anfang 1918, dass allgemein bekannt sei, dass Agenten der Regierung („secret service agents of the Government“) in allen industriellen Zentren tätig seien – diese würde man aber alle kennen. Nach Einschätzung des Berichterstatters verübelte die Bevölkerung diese Bespitzelung mehr als die meisten anderen Aspekte der Kriegführung.181 Für das britische Oberkommando hatte ab Mitte Januar festgestanden, dass eine deutsche Offensive unmittelbar bevorstand. In diesem Wissen war das Militär bemüht, die Heimat auf das Ereignis vorzubereiten.182 Ab Februar erschienen in britischen Zeitungen Artikel von Kriegsberichterstattern, die davor warnten. In einem langen Artikel setzte z. B. der Daily Telegraph seinen Lesern detailliert die Stärken und Schwächen der deutschen Armee auseinander.183 Ein Zuträger der Weekly Intelligence Summaries beobachtete allerorten eine wachsende Nervosität der Behörden angesichts der drohenden deutschen Offensive.184 Hinsichtlich der schlechten Stimmung eines großen Teils der Bevölkerung stellte ein weiterer Informant fest: „general dread of what might happen if there should be a German offensive on the Western front.“185 Als am 21. März 1918 die lange befürchtete deutsche Offensive an der Westfront begann, waren deren Erfolge so verheerend, dass der britische Oberbefehlshaber Haig die BEF am Rande einer Katastrophe sah.186 Mit der britischen 5. Armee unter General Gough traf der deutsche Hauptstoß eine jener Armeen, die von den Schlachten des vergangenen Jahres ausgebrannt waren. An zwei Stellen wurde ihre Front durchbrochen, und die Armee verlor allein am 21. März 382 Geschütze, die benachbarte 3. Armee am 22. März ‚nur‘ 150.187 Zwischen dem 22. und 25. März nahm ihr überstürzter Rückzug dramatische 178 179 180 181 182 183 184 185 186
187
CHS Post 58. Zu den innenpolitischen Aufgaben des Ministry of Information s. Kap. IV.1. Weekly Intelligence Summary (London District) (2. 3. 1918), PRO AIR 1/560/82638. “Pacifism and Labour Unrest“, in: Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/560/82638. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/560/82638. Bourne, Britain, S. 90. Daily Telegraph, 9. Februar 1918. Weekly Intelligence Summary (London District) (18. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Travers, How the War Was Won, S. 68. Allgemein zum Kriegsgeschehen an der Westfront 1918: Brown, 1918; Dennis und Grey, 1918; Harris, Amiens; Johnson, 1918; Kitchen, German Offensives of 1918; Duppler und Gross (Hrsg.), Kriegsende. Terraine, Impact of War, S. 150.
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Züge an.188 Er gilt als schwerste Niederlage der britischen Armee während des Krieges – sie verlor in wenig mehr als zwei Wochen insgesamt 160 000 Soldaten und 1 000 Geschütze.189 Am 27. März waren die britischen Armeen auf die Linie zurückgeworfen, von der aus sie im Sommer 1916 ihre Offensive an der Somme gestartet hatten. Angesichts des schnellen Rückzuges wurden bereits Pläne ausgearbeitet, die BEF aus Frankreich zu evakuieren.190 Aufgrund des anhaltenden Widerstandes der britischen Armeen erlahmte die deutsche Offensive in Frankreich jedoch und wurde am 5. April eingestellt. Eine weitere Offensive brach jedoch am 9. April über die britischen Truppen in Flandern herein. Nach der Einnahme von Armentieres und dem Verlust einer strategisch wichtigen Höhenlinie bei Messines am 11. April verschärfte sich die Lage der britischen Truppen, und ihr Oberkommandierender wandte sich in einem dramatischen Appell an seine Soldaten: There is no other course open to us but to fight it out. Every position must be held to the last man; there must be no retirement. With our backs to the wall and believing in the justice of our cause, each one of us must fight to the end. The safety of our homes and the freedom of mankind depend alike upon the conduct of each of us at this critical moment.191
Der Aufruf gilt als die ehrlichste Depesche, die das britische Oberkommando während des Krieges veröffentlichte.192 Sie stieß im Press Bureau auf dermaßen große Verwunderung, dass angefragt wurde, ob sie tatsächlich so veröffentlicht werden sollte. Nach dem Krieg galt sie als das krönende Beispiel britischer Offenheit.193 Auch unter den unmittelbar der deutschen Offensive ausgesetzten britischen Soldaten herrschte Entschlossenheit: There is one very noticeable and encouraging thing. The censor reports that ever since the 21st of March the whole tone of the letters from the troops has improved. All grousing has stopped, and has been replaced by a spirit of great confidence. This is remarkable, considering what the troops are undergoing.194
Eine Ursache dieser Stabilität ist auch in der regelmäßigen Verbindung von Front und Heimatfront zu sehen. Eine britische Zeitung beobachtete Anfang April, dass sich in den letzten Tagen die Stimmung in London verbessert habe und führte dies u. a. auf die Erzählungen Verwundeter zurück.195 Die britischen 188
189 190 191 192 193 194 195
Zu den militärischen Ursachen s. Travers, How the War Was Won, Kap. 3. Zum Vergleich: In den 105 Tagen der 3. Flandernschlacht – in Großbritannien nach dem Örtchen Passchendaele benannt – verloren die alliierten Armeen 244 897 Soldaten. Sie gilt dort als Inbegriff des massenhaften Sterbens an der Westfront. Terraine, Impact, S. 168. Bourne, Britain, S. 90. Ebd., S. 85. Zu den ersten Vorbereitungen einer Evakuierung s. Millman, British Strategy, S. 268. The Times, 13. April 1918. Zur Rezeption des Befehls durch einfache Soldaten s. Terraine, Impact, S. 174. DeGroot, Douglas Haig, S. 378; Wilson, Myriad Faces, S. 570–571. Cook, Press, S. 175. Charteris, At G.H.Q., S. 304 (18. 4. 1918). Westminster Gazette, 2. April 1918.
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen
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Soldaten an der Westfront waren ihrer Heimat nicht nur geographisch näher als die meisten deutschen Soldaten – ihnen waren auch die britischen Tageszeitungen zugänglich, manchmal sogar an ihrem Erscheinungstag.196 Täglich wechselten etwa 40 000 Soldaten der BEF zwischen Front und Heimat. Allein vor dem Beginn der deutschen Offensive im März 1918 hielten sich fast 190 000 Frontsoldaten in der Heimat auf.197 London war Umsteigebahnhof für die meisten Heimaturlauber und Verwundeten und damit auch Umschlagplatz für Informationen aller Art.198 Die Reaktionen an der Heimatfront bestätigten die oben geschilderten Zweifel an der Loyalität der Arbeiterschaft nicht. Waren allein im November 1917 – nach der gescheiterten britischen Offensive in Flandern – eine Million Arbeitstage durch Streiks verloren gegangen, so waren es im April 1918 nur 15 000.199 Die Special Branch beobachtete im gleichen Monat, dass fast keine Veranstaltungen mehr stattfanden, die für einen Verhandlungsfrieden eintraten.200 An der Heimatfront war es so ruhig, dass der Home Secretary notierte, der Dissens sei besiegt.201 Auch die Berichte der Londoner Weekly Intelligence Summaries bestätigten diese Beobachtungen. Ihnen zufolge sei eine allgemeine Veränderung in die richtige Richtung zu beobachten.202 Die Stimmung der Arbeiterklasse galt – wie die öffentliche Meinung insgesamt – als gut.203 Allgemein würden Gespräche über die deutsche Offensive alle Klagen über die Lebensmittelknappheit überlagern.204 Auch Zweifel an der Zuverlässigkeit der Soldaten wurden durch das Kriegsgeschehen nicht bestätigt. Im Sommer 1917 hatten die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in zwei Einheiten in der Heimat und eine unbedeutende Meuterei im Hinterland der Front in Etaples im Sommer 1917 die militärische Führung beunruhigt. Vor dem Hintergrund der Russischen Revolution und den Meutereien in der französischen Armee zeigte sich die militärische Führung besorgt um die Zuverlässigkeit der eigenen Soldaten. Die Anfänge eines politischen Unterrichts für die Truppen waren die Folge.205 Jedoch fällt es schwer, den Anteil der britischen Zensurstellen an dieser relativen Stabilität zu bestimmen. In einem Rückblick auf die Entwicklung der britischen Presse über das letzte Kriegsjahr beklagte 1919 eine britische Zeitschrift bitter die Zensur: 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205
Bourne, Working Man, S. 339. Winter, Death’s Men, S. 166. Über die Bedeutung von Urlaub für die Frontsoldaten s. Jahr, Soldaten, S. 97–98. Millman, Managing, S. 257. Pacifism and Revolutionary Organisations in the United Kingdom (10. 4. 1918), PRO CAB 24/47 (GT 4199). Playne, Britain holds on, S. 314. Weekly Intelligence Summary (London District) (15. 4. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (22. 4. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Über die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Berlin und London. S. Kap. VI.1. Mackenzie, Politics, S. 8.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
The censorship still obtained in full vigour, and newspapers were restricted in every possible way from giving the public more than the bare official announcements sanctioned by the censor. It was felt among those who knew the actual truth that this withholding of news was not in the public interest, and gave rise to all sorts of wild and exaggerated rumours.206
Doch war die britische Zensur tatsächlich so hart, wie in dem Zitat behauptet wurde? Ein Hinweis auf das Gegenteil ist der Umstand, dass in dem gleichen Artikel Klagen über den Papiermangel weitaus mehr Raum einnahmen als über die Zensur. Wie während der Schlacht von Cambrai griff das Press Bureau nicht in die Berichterstattung über das Kriegsgeschehen eingegriffen. Diese Politik setzte es mit wenigen Ausnahmen auch während der deutschen Offensive im Frühjahr 1918 fort. So sollte über eine mögliche Mobilmachung der Volunteer Force nicht berichtet werden, da dies dem Feind Rückschlüsse über die Stärke der britischen Truppen und auf die im Land herrschende Besorgnis erlauben würde.207 Auf Ersuchen der französischen Regierung sollte nicht berichtet werden, dass die Zivilbevölkerung der strategisch wichtigen Stadt Amiens evakuiert worden war.208 Ebenfalls auf eine dringende französische Bitte ging eine D-Notice mit der Aufforderung zurück, dass die Auswirkungen des Bombardements von Paris durch deutsche Artillerie auf die Stimmung der Zivilbevölkerung vermieden werden sollten.209 Weitere direkte Einflussnahmen der Zensurbehörden sind nicht überliefert. Als folgenreicher erwiesen sich die Lücken einer selektiven Berichterstattung: In den ersten Tagen der deutschen Offensive wurden die Briten an der Heimatfront durch einen selektiven Umgang mit Informationen über Bedeutung und Schwere der militärischen Krise getäuscht. So wurden Auflösungserscheinungen der 5. Armee in der Presse weitgehend verschwiegen und das Ausmaß der britischen Verluste nicht betont. Wiederholt wurden allerdings die außergewöhnlich hohen deutschen Verluste thematisiert. Eine öffentliche Diskussion über die Ursachen der Niederlage, wie sie nach der Schlacht von Cambrai zumindest ansatzweise geführt worden war, unterblieb. Nachdem General Gough wegen der katastrophalen Niederlage seiner 5. Armee am 28. März abgelöst worden war, wurde dieser Schritt erst über eine Woche später bekannt gegeben. Auf ihn konzentrierte sich im Folgenden auch die Suche nach einem Schuldigen für die Katastrophe. Gough diente nicht allein der Regierung als Sündenbock – auch der Oberkommandierende Haig erklärte nach dem Krieg, dass die Öffentlichkeit einen solchen verlangt hätte und die einzig möglichen nur er oder Gough gewesen wären, die Armee aber hätte auf ihn nicht verzichten können.210 Hinter der Frage nach militärischen Verantwortlichkeiten 206 207
208 209 210
The Trend of the Modern Press, in: Newspaper Press Directory 74 (1919), S. 23. D-Notice 648 (30. 3. 1918), PRO HO 139/45/166. S. a. Repington, First World War, Bd. 2, S. 256, 259, 261. Die Volunteer Force war ein milizartiger Freiwilligenverband der britischen Armee, der allein der Heimatverteidigung diente. D-Notice 650 (4. 4. 1918), PRO HO 139/45/166. D-Notice 661 (16. 4. 1918), PRO HO 139/45/166. De Groot, Douglas Haig, S. 376. Eine Diskussion der Rolle Goughs und der 5. Armee bei: Travers, Killing Ground, Kap. 9.
VI.2. Inszenierung und Erfahrung militärischer Krisen
255
stand auch die Frage nach der Rolle der Regierung. Intern machte der britische Oberkommandierende Haig den Premierminister dafür verantwortlich, dass ihm nicht genügend Soldaten zur Verfügung gestanden hätten.211 In der Presse wurde unter Verweis auf die Offenheit der deutschen Heeresberichte betont, dass dort die Namen der Befehlshaber der deutschen Armeen veröffentlicht worden seien, aus britischen Zeitungen die Namen der britischen Befehlshaber aber nicht ersichtlich wären: „Yet it would surely be of interest to the British public (as unquestionably the enemy know) who the commander of our Fifth Army is, and also to know some particulars (with dates) of previous recent operations for which he has been responsible.“212 Nach dem Beginn der deutschen Offensive herrschte eine enorme Nachfrage nach Informationen aller Art.213 Ein Beobachter der Weekly Intelligence Summaries berichtete, dass man sich über einen allgemeinen Mangel an Informationen über das Kriegsgeschehen beschweren würde.214 Ein weiterer vermerkte: „There is a strong feeling of distrust of the articles that appear in the press and an undercurrent of opinion that something must have gone wrong somewhere, if an attack so widely advertised and prepared for beforehand could have been so successful as regards gains of territory by the enemy.“215 Angesichts der unübersichtlichen Lage erklärte ein Journalist, dass eine detaillierte Berichterstattung im Moment unmöglich sei.216 Der ungewohnte Bewegungskrieg verursachte eine Vielzahl von Gerüchte, hinter denen britische Zeitungen deutsche Manipulationsversuche sahen: The war of movement has been responsible for an extraordinary crop of false rumours of the wildest description, many of which are undoubtedly of enemy origin. False reports as to the situation are industriously circulated, but the confidence of the populace has been restored by the exposure of many falsehoods.217
Diese Gerüchte waren das Resultat kollektiver Verunsicherung im Moment einer schweren, aber vorübergehenden militärischen Krise. Weder lässt sich eine mit der Entwicklung in Berlin vergleichbare Intensität der Kommunikation von Gerüchten, noch eine gleichermaßen gesteigerte Aufmerksamkeit der Behörden für diese nachweisen. Die OHL stellte die am 9. April begonnene Offensive in Flandern am 20. April ein. Die Geländegewinne der deutschen Armeen waren spektakulär, ein Durchbruch durch die allliierte Front war jedoch nicht gelungen. Auch weitere deut211
212 213 214 215 216 217
Gerard J. De Groot hat dagegen betont, dass die Entscheidung, 120 000 Soldaten in Großbritannien zurückzuhalten, auf das War Office zurückging, und Haig selbst unmittelbar vor Beginn der deutschen Offensive im März den Fronturlaub von etwa 88 000 Soldaten erlaubt hatte. De Groot, Douglas Haig, S. 373–374. The New Statesman (30. 3. 1918), S. 608. S. a. The Nation (6. 4. 1918), S. 2. Um diese zu befriedigen, erschienen britische Zeitungen erstmals auch an einem Karfreitag. Bourne, Britain, S. 85. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 3. 1918), PRO AIR 560/826638. Weekly Intelligence Summary (London District) (1. 4. 1918), PRO AIR 560/826638. Farrar, News, S. 193. Daily Express, 28. März 1918.
256
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
sche Offensiven im Mai und Juli konnten keine Entscheidung zugunsten des Reiches erzwingen. Das Scheitern der deutschen Offensive vom 15. Juli 1918 und die am 18. Juli bei Villers-Cotteretes beginnende französische Gegenoffensive markierten nicht nur das Ende der deutschen Offensivoperationen des Jahres 1918, sondern gelten auch als Wendepunkt des Krieges.218 Mit den am 8. August beginnenden Angriffen drängte die britische Armee in einer 100 Tage dauernden Schlacht die deutschen Armeen immer weiter zurück.219 Ein Vergleich zwischen dem Rückzug der 5. Armee und dem Rückzug der deutschen Armeen an der Westfront im Spätsommer und Herbst 1918 muss vor allem die Unterschiede betonen. Von dem Zerfall unter dem Druck der deutschen Offensive waren nur Teile des britischen Heeres betroffen. Die 5. Armee wurde aus der Front genommen und neu aufgestellt. Ihre Krise war zeitlich und räumlich deutlich begrenzt, hatte rein militärische Ursachen und wurde nicht durch einen gleichermaßen folgenreichen Austausch zwischen Front und Heimat beeinflusst. In ihrer Gesamtheit hatte die britische Armee der deutschen Offensive standgehalten und keinen Zusammenbruch wie z. B. die italienische Armee nach ihrer Niederlage von Caporetto im Vorjahr erlebt.220 Es wurde gezeigt, dass im Deutschen Reich zwischen der Verweigerungs- und Auflehnungsbereitschaft der Truppen und dem Revolutionierungsprozess an der Heimatfront ein „untrennbarer, sich wechselseitig verstärkender Zusammenhang“ bestand.221 Wie oben ausgeführt, fehlte es in Großbritannien nicht an einem wechselseitigen Austausch von Unzufriedenheiten.222 Aber die britische Heimatfront überstand die militärische Krise nicht nur unbeschadet, sondern wurde durch diese sogar gestärkt. Zwar sind vor dem Beginn der deutschen Offensiven sowohl mögliche Bruchlinien als auch ein entsprechendes Bewusstsein der Behörden zu beobachten, aber das Misstrauen gegen die Regierung kippte nicht in Delegitimierung und Disloyalität. Eine Ursache dieser Bewahrung gesellschaftlicher Kohäsion war die maßvolle britische Zensurpolitik.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten VI.3.1. Luftangriffe auf London und Gerüchte 1915–1918 In Großbritannien nahmen Gerüchte sowohl in internen Überlegungen als auch in öffentlichen Diskussionen einen weitaus geringeren Stellenwert ein als im Deutschen Reich. Dies wird im Folgenden am Beispiel des Umgangs britischer 218 219 220 221 222
Travers, How the War Was Won, S. 107. Vgl. Harris, Amiens. Zum Anteil der britischen Armee am Erfolg der Alliierten 1918 s. ebd., S. 291. Fuller, Troop Morale, S. 2, 71. Ullrich, Die nervöse Großmacht, S. 556. Über die Stimmung der britischen Soldaten zwischen April und Juni s. einen Bericht der britischen Postzensur. PRO WO 256/33.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
257
Behörden mit Gerüchten vor und nach deutschen Luftangriffen auf London ausgeführt. Aber auch wenn im Kontext dieser Angriffe kein mit der Entwicklung in Berlin vergleichbares Netz informeller Kommunikation entstand, so waren sie doch Anlass für eine Vielzahl von Gerüchten. Zudem verschärften allein vor diesem Hintergrund auch in Großbritannien Behörden ihre Maßnahmen gegen die Verbreiter von Gerüchten. Ausgehend von einem Vergleich der Maßnahmen gegen Gerüchte werden anschließend Überlegungen über unterschiedliche Vorstellungen vom inneren Feind ausgeführt.223 Gingen bei Kriegsausbruch Nachrichten über Luftangriffe auf Gerüchte zurück, so wurde Anfang 1915 die Bedrohung Londons aus der Luft Realität.224 Ein erster deutscher Luftangriff auf Großbritannien erfolgte am Heiligabend 1914, die ersten Bomben trafen London am 31. Mai 1915. Nachdem Ende 1916 aufgrund hoher Verluste die Angriffe mit Luftschiffen auf Großbritannien weitgehend eingestellt worden waren, wurden sie 1917 mit neuen Flugzeugtypen fortgesetzt: Der zweimotorige Gotha-Bomber konnte fast eine halbe Tonne Bomben tragen. So genannte ‚Riesenflugzeuge‘ – viermotorige Bomber mit einer Spannweite von 40 Metern und damit die größten in beiden Weltkriegen gegen Großbritannien eingesetzten Flugzeuge – trugen sogar eine Bombenlast von zwei Tonnen.225 Zwischen 1914 und 1918 wurden in 103 Luftangriffen auf Großbritannien 300 Tonnen Bomben abgeworfen.226 Die Angriffe forderten 1 413 Tote und 3 407 Verletzte. Allein in London, das von einem Viertel aller über Großbritannien abgeworfenen Bomben getroffen wurde, wurde 670 Menschen getötet und 1 960 verletzt.227 Nach den ersten Angriffen vermittelte die Berichterstattung den Eindruck, als seien die Verluste unbedeutend und die Zeitungen fuhren fort, die Briten als entschlossen zu beschreiben, sich von den Bomben nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Eine Karikatur des Punch zeigte im September 1915 ein zerbombtes Geschäft an dessen einzig unversehrte Mauer der Besitzer schrieb: „Business as usual.“228 Doch die Reaktionen der Londoner auf die Luftangriffe waren weitaus vielfältiger als es dieser Verweis auf nationale Stereotype vermuten lässt. Obwohl die Angriffe schon bald den Reiz des Neuen verloren und zu einer alltäglichen Bedrohung geworden waren, zogen sie immer wieder Scharen von Neugierigen an. 223 224 225
226 227 228
S. Kap. VI.3.3. S. Kap. V.3.2. Allgemein über den Bombenkrieg während des Ersten Weltkrieges s. Kennett, History, Kap. 2; Biddle, Rhetoric, Kap. 1. Über die Luftangriffe auf Großbritannien liegt eine Vielzahl von Studien vor, die allerdings mehrheitlich nicht dessen Auswirkungen und Wahrnehmungen an der Heimatfront berücksichtigen. Poolman, Zeppelins; Fredette, First Battle of Britain; Castle, Fire over England; Hyde, First Blitz. Grundlegend noch immer die offizielle britische Geschichte des Luftkrieges: Jones, Great War in the Air, Bde. 3, 5. Diese Zahl entspricht der durchschnittlichen täglichen Bombenlast, die zwischen September und November 1940 auf London abgeworfen wurde. Sillars, Art of Survival, S. 106. O’Brien, Civil Defence, S. 10. Fegan, Baby Killers, S. 42.
258
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Als 1917 die Luftangriffe zunahmen, flohen viele in weniger gefährdete Stadtteile oder auf das Land. Auf dem Höhepunkt der deutschen Angriffe im September und Oktober 1917 suchten jeden Abend etwa 250 000 Menschen Schutz in der U-Bahn und den Tunneln unter der Themse.229 Um ein Mindestmaß an Schutz zu gewährleisten, wurden in London Schutzräume ausgewiesen. Standen Anfang Oktober 1917 dort 490 000 Plätze in Unterständen zur Verfügung, so waren es zwei Wochen später 1 250 000 – dabei handelte es sich jedoch nicht um bunkerähnliche Einrichtungen, sondern als Schutzräume ausgewiesene private und öffentliche Gebäude.230 Zunehmend erkannten die Londonerinnen und Londoner, dass sie nun als Zivilisten Teil der Kampfhandlungen wurden – die Erfahrung des ersten Luftangriffes wurde im Jargon des Frontsoldaten als „Feuertaufe“ bezeichnet.231 Die Times sah London an der Front und der Daily Express warnte davor, dass das Deutsche Reich die Hauptstadt zur wichtigsten Front des Krieges machen wollte.232 Zwar waren Londonerinnen und Londoner durch die Angriffe nur einem geringen Risiko ausgesetzt, tatsächlich zu Schaden zu kommen. Die meisten waren jedoch von den Angriffen zumindest mittelbar betroffen. Denn Alarme und Fehlalarme, die im September 1914 erlassenen und seitdem verschärften lästigen Verdunklungsbestimmungen und natürlich die Angriffe selbst, begleitet vom ohrenbetäubenden Sperrfeuer der Flugabwehr, prägten die Kriegserfahrung der Londonerinnen und Londoner. Die Angst vor weiteren Luftangriffen wurde Bestandteil des alltäglichen Lebens und schuf für viele eine angespannte Atmosphäre, in der schon das Schlagen von Haustüren als ein Hinweis auf den nächsten Angriff gedeutet wurde.233 Es wäre daher falsch, anzunehmen, dass die Luftangriffe von der Presse lediglich aufgebauscht worden wären.234 Die intensive Berichterstattung der Zeitungen über die Luftangriffe ging einerseits darauf zurück, dass das alltägliche Kriegsgeschehen keine Neuigkeiten mehr bot. Andererseits ermöglichten die Luftangriffe – wie unten gezeigt wird – der Presse heftige Angriffe auf die Regierung und waren somit ein Katalysator für Unzufriedenheiten. Während des Krieges unterlag die Berichterstattung über die Luftangriffe einer Vielzahl von D-Notices, die zum einen verhindern sollten, dass die Angreifer über Erfolg oder Misserfolg informiert wurden.235 Zum anderen sollte mit diesen Maßnahmen eine Beunruhigung der Bevölkerung vermieden werden. In der Anfangsphase des Krieges hatte das Press Bureau eine relativ freie Bericht229 230 231 232 233 234
235
Ingwood, London, S. 703. PRO CAB 23/4/259 (2. 10. 1917), GT 2185. Miles, Untold Tales, S. 134 (7. 10. 1917); ebd, S. 69 (28. 9. 1915). The Times, 9. Juli 1917; Daily Express, 2. Oktober 1917. Miles, Untold Tales, S. 79. So sieht z. B. Trevor Wilson angesichts der geringen materiellen Schäden in der intensiven Berichterstattung der Zeitungen über die Luftangriffe lediglich eine Obsession der Journalisten. Wilson, Myriad Faces, S. 510. Zu den D-Notices s. Kap. III.3.1.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
259
erstattung über deutsche Luftangriffe erlaubt.236 Aber schon bald versuchte es, mit einer Reihe von D-Notices alles geheim zu halten, was dem Feind nutzen konnte. Militärisch war es äußerst wichtig, nur so wenig wie möglich über die Angriffe zu berichten. Denn die Angreifer wussten häufig nicht einmal, welche Stadt sie bombardiert hatten und verfügten in der Regel nur über wenige Informationen über die Auswirkungen ihrer Bomben. Daher durften Einzelheiten über Treffer, die Anzahl der Opfer, Zeit und Ort der Angriffe nur dann veröffentlicht werden, wenn sie zuvor durch das Press Bureau freigegeben worden waren. Da die großen Londoner Zeitungen im gesamten Königreich gelesen wurden und dem Schicksal der Hauptstadt das besondere Interesse galt, war die Zensur der Berichterstattung über dortige Luftangriffe ein exemplarischer Spagat zwischen Information und Geheimhaltung. Denn die Luftangriffe hatten auch eine symbolische Komponente – nicht zuletzt sollte mit Angriffen auf die Hauptstadt nicht nur das wirtschaftliche und politische Zentrum des Königreiches getroffen werden, sondern auch die gesamte Nation.237 Nach Ansicht der Militärs gelang es dem Press Bureau jedoch nicht, eine angemessene Berichterstattung zu gewährleisten. So warf General French, der Oberbefehlshaber der in Großbritannien stationierten Truppen, den britischen Zeitungen vor, die deutschen Luftangriffe unmittelbar zu unterstützen, und bezeichnete sie als Beobachter des Feindes.238 Gerade die Versuche, die getroffenen Städte und die Anzahl der Toten und Verwundeten geheim zu halten, führten zu einer Vielzahl von Gerüchten.239 Nach Angriffen erzählte man sich über kommende ‚Raids‘, spekulierte über deutsche Super-Zeppeline oder geheimnisvolle Wunderwaffen.240 Damit verbunden war häufig die Annahme, durch die Zeitungen nicht ausreichend informiert zu werden: „there has been a horrible Zeppelin raid in the East-End of London. All details are kept out of the papers, but of course one hears a good deal privately. It was a much bigger raid than was announced.“241 Man erzählte sich z. B., dass eigene Flugzeuge abgeschossen worden seien – dies aber von der Presse verschwiegen würde.242 Im Frühjahr 1918 sorgte das Ausbleiben weiterer Luftangriffe für Befürchtungen, dass London wie Paris mit Artillerie beschossen werden sollte.243 Wiederholt wurden die offiziellen Angaben über Tote und Verletzte bezweifelt und von weit höheren Opferzahlen ausgegangen.244 Trotz wiederholter Nachfragen gab die Regierung keine Aus236 237 238 239 240 241 242 243 244
Cook, Press, S. 129; HC 96 (25. 7. 1917), Sp. 1240. Kennett, History, S. 34; Kuropka, Image, S. 256–257. D-Notice 587 (6. 9. 1917), PRO HO 139/45/166. Fegan, Baby Killers, S. 42. Macdonagh, In London, S. 249 (27. 1. 1918); Miles, Untold Tales, S. 103 (3. 9. 1916); ebd., S. 135 (7. 10. 1917). Miles, Untold Tales, S. 56 (29. 5. 1915). HC 94 (14. 6. 1917), Sp. 1096. Miles, Untold Tales, S. 146 (7. 4. 1918). HC 96 (17. 7. 1917), Sp. 203.
260
VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
kunft über die Anzahl der Toten und Verletzten, die dem Feuer der eigenen Flugabwehr zum Opfer gefallen waren. Sie löste damit Spekulationen über die Wirkungslosigkeit der Abwehrmaßnahmen und damit über die Unfähigkeit der Politik aus.245 Das Sperrfeuer der Flugabwehrgeschütze war nicht nur lästig, für viele stellte es eine größere nervliche Belastung dar, als die Bombenabwürfe selbst. In London wurden so 24 Menschen getötet und zahlreiche verletzt.246 Die Bevölkerung war zudem verärgert über nicht explodierte Flugabwehrgranaten – z. T. wurde behauptet, dass angeblich die Hälfte der Granaten versagte.247 Vielfach sprach aus den Gerüchten die Sorge, dass die Angreifer neue, grausame Waffen zum Einsatz bringen könnten. In der Bevölkerung hatten sich Ängste vor Gasbomben schnell verbreitet. Gasmasken aller Art waren ausverkauft und Übungen mit diesen wurden schon bald Teil des Alltages.248 Anfang 1918 wurde im Parlament dementiert, dass deutsche Flugzeuge vergiftete Süßwaren abgeworfen hätten.249 Obwohl sich diese Ängste als unbegründet erwiesen, wurde zeitgleich intern die Möglichkeit deutscher Angriffe auf London mit Giftgas diskutiert. Nachdem der War Council Anfang 1916 die Möglichkeit verneint hatte, dass deutsche Luftschiffe Choleraerreger abwerfen könnten, lehnte er Ende Dezember 1917 mit Verweis auf den Bedarf der Armee die Ausgabe von Gasmasken an die Bevölkerung Londons ab.250 1918 befasste sich das Kabinett noch zweimal mit diesem Problem, ohne eine unmittelbare Bedrohung Londons zu erkennen.251 Als mindestens genauso folgenreich wie die tatsächlich erfolgten Luftangriffe erwiesen sich Fehlalarme, Falschmeldungen und Gerüchte über angebliche und bevorstehende Angriffe. Fehlalarme verursachten vermutlich größere wirtschaftliche Ausfälle als die Zerstörungen durch die Luftangriffe selbst und führten zu erheblichen Produktionsausfällen und verstärkten das Gefühl unmit245 246 247 248 249
250
251
HC 96 (17. 7. 1917), Sp. 202–204. Fegan, Baby Killers, S. 80. Daily Express, 10. Juli 1917. Peel, How We Lived Then, S. 147. HC 103 (25. 2. 1918), Sp. 1101. Entsprechende Presseberichte gingen nach Angaben des Daily Telegraph auf offizielle Quellen zurück. Daily Telegraph, 21. Februar 1918. Ob es sich hierbei um Gräuelpropaganda oder simple Fehleinschätzungen handelte, ist nicht ersichtlich. Bereits zuvor waren deutsche Luftangriffe von Beschuldigungen der Presse begleitet, giftige Stoffe abzuwerfen. 1917 hatten französische Zeitungen deutschen Fliegern vorgeworfen, vergiftete Süßigkeiten abgeworfen zu haben. Wie war’s, Sp. 197–199. S. a. Hayward, Myths and Legends, S. 19. PRO CAB 42/9/7 (29. 2. 1916); PRO CAB 23/4/306 (26. 12. 1917). Knapp zu den deutschen Versuchen einer biologischen Kriegführung: Boghardt, Spies of the Kaiser, S. 131–134. Im April 1918 warnte das Home Office: „In October, 1917, information was received from a French source, that the enemy had inoculated a large number of rats with plague and they intended to let them loose in the United Kingdom from submarines or aeroplanes.“ Zit. n. ebd., S. 132. Im Herbst 1916 hatte ein deutscher Stabsarzt angeregt, Pest-Bakterien über Großbritannien von Zeppelinen abzuwerfen. Ebd., S. 131–131. PRO CAB 23/5, WC 350 (20. 2. 1918); PRO CAB 23/5, WC 411 (14. 5. 1918).
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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telbarer Bedrohung.252 Im September 1917 stellte das Home Office offizielle Empfehlungen für das Verhalten während eines Luftangriffes zusammen. Als erstes wurden die Leser aufgefordert, nicht einfach nur Gerüchten über Luftangriffe Glauben zu schenken, sondern schlicht das Fallen von Bomben abzuwarten. Neben weiteren Maßregeln wurde abschließend daran erinnert, dass unter dem DORA das Verbreiten falscher Nachrichten verboten war.253 Das Merkblatt wurde am 1. Oktober 1917 in der Times veröffentlicht. Eine entsprechende Ermahnung findet sich auch in einer durch das War Office erstellten Handreichung, wie militärintern Luftangriffe zu melden waren. Ausdrücklich wurde gewarnt: „Reports and rumours thus repeated acquire precision and become magnified in circulation; they soon assume the form of definite statements that hostile airships have been actually seen in various localities.“254 1917 diskutierte das War Cabinet Maßnahmen gegen den ‚Bombentourismus‘. Die zehntausende Neugierigen, die getroffene Stadtviertel besuchten, würden im Gespräch mit Nachbarn ihre Eindrücke übertrieben weitererzählen und hätten damit einen beunruhigenden Einfluss auf die Stimmung. Dies führte dazu, dass unnötigerweise Angst und Panik verbreitet würden. Als Gegenmaßnahme wurde die Errichtung von hohen Sichtblenden vorgeschlagen, durch die Blicke auf die Zerstörungen verhindert werden sollten.255 Nachdem im Juni 1917 ein Luftangriff viele Tote – darunter sehr viele Kinder – gefordert hatte, nahmen die Anschuldigungen gegen die Regierung immer weiter zu. Die Verärgerung steigerte sich noch, als bekannt wurde, dass kurz zuvor eine für die Verteidigung der Hauptstadt vorgesehene Flugzeugstaffel abgezogen worden war. Die Publizisten Ellis Powell und Horatio Bottomley griffen als Redner einer öffentlichen Veranstaltung den Vorfall auf und verbanden ihn mit weiteren Vorwürfen.256 Powell, Herausgeber der xenophoben Financial News, behauptete, dass für die Bomben auf London deutsche Spione in hohen Regierungsämtern verantwortlich seien. Bottomley, Herausgeber des populären wie populistischen John Bull, verkündete, dass am gleichen Tag in einer geheimen Sitzung des House of Commons enthüllt werden sollte, dass der Oberkommandierende der Streitkräfte in Großbritannien zwei Staffeln Jagdflugzeuge unter seinem Kommando hatte, die aber auf Befehl der Regierung nach Frankreich verlegt wurden. Während die meisten Unterstellungen der Wahrheit entbehrten, traf zu, dass das Kabinett Flugzeuge abgezogen hatte. Nachdem am 13. Juni ein Luftangriff über 160 Tote gefordert hatte, waren nur eine Woche später zwei Flugzeugstaffeln aus der Front genommen und zum Schutz der Hauptstadt ver252
253 254 255 256
Fehlalarme hatten eine Vielzahl von Ursachen – manchmal war es der in London zu hörende Schlachtenlärm in Flandern. Charlton, War over England, S. 18; Wilson, Myriad Faces, S. 510. PRO WO 32/5275. Instructions on the Collection and Transmission of Intelligence in the United Kingdom (März 1916), PRO WO 158/984, S. 44. PRO HO 139/9/8176. PRO HO 45/10743/263275.
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wendet worden. Nach zwei ereignislosen Wochen wurden sie wieder an der Front eingesetzt. Am folgenden Tag ereignete sich der Luftangriff auf London, dessen Luft-Verteidigung geschwächt war.257 Bottomley beklagte zudem, dass nicht explodierende Granaten der Flugabwehrgeschütze für die Hälfte der Schäden in London verantwortlich wären. Während der Angriffe würden zudem deutsche Agenten die Aufregung der Menschen weiter anheizen, indem sie zusätzlich Bomben würfen. Auch in seiner Zeitschrift griff Bottomley die Regierung für ihr angebliches Versagen angesichts der Luftangriffe heftig an. Weder das Press Bureau noch andere Stellen gingen offen gegen Bottomley vor. Aus einem Schreiben Scotland Yards an das Home Office geht jedoch hervor, dass beabsichtigt war, Bottomley indirekt zu zügeln.258 Aber auch nach Ansicht des War Cabinet deutete der Umstand, dass der Angriff unmittelbar nach dem Abzug der Jagdflugzeuge erfolgte auf ein effektives System feindlicher Spionage hin.259 Für viele waren die Luftangriffe Beleg für die allgemeine Unfähigkeit der Regierung und ihr Unvermögen, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Hieraus erwuchs die Forderung, den Feind durch Vergeltungsangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung zur Aufgabe seiner Bombardements zu zwingen.260 Unter dem Druck der Öffentlichkeit gab die Regierung schließlich nach und kündigte Vergeltungsangriffe an. Zu den vielen Vorwürfen, die im Zusammenhang mit Luftangriffen an die Regierung gerichtet wurden, zählte auch, dass mit feindlichen Ausländern zu weichherzig umgegangen werde. Der Verzicht auf deren vollständige Internierung belastete seit Kriegsbeginn die Innenpolitik. Entsprechende Anklagen waren zunehmend mit dem Vorwurf verbunden, deutsche Spione würden Flugzeugen und Luftschiffen den Weg weisen und Informationen über britische Abwehrmaßnahmen verraten.261 Das in diesem Zusammenhang verbreitete Gerücht, dass ein abgeschossenes deutsches Besatzungsmitglied vor dem Krieg in London als Kellner gearbeitet hätte, wurde im Parlament dementiert.262 257
258 259 260
261 262
Jones, War in the Air, Bd. 5, S. 31–32. John Bull war ein weit rechts von der Mitte orientiertes Wochenblatt, das gewaltige Lesermassen ansprach. Während des Krieges stieg die Auflage von 135 000 (1916) auf 2,5 Millionen (1918) an. Robert, Image, S. 107. Haste, Keep the Home Fires Burning, S. 61–63. Zur Biographie Bottomleys s. Messinger, British Propaganda, S. 200–212. PRO HO 45/10743/263275. PRO CAB 23/3/178 (7. 7. 1917). The Times, 14. Juni 1917. Zwar wurde Berlin nicht mit Bomben angegriffen, aber im Juni 1916 hatte ein einzelnes französisches Flugzeug Berlin überflogen und Flugblätter abgeworfen. Als schließlich die Royal Air Force 1918 über Flugzeugtypen verfügte, die in der Lage waren, Berlin zu bombardieren, wurde als Angriffstermin der 12. 11. 1918 festgelegt. Kennett, History, S. 34. Aufgrund der innenpolitischen Entwicklung in Deutschland kam dieser Plan nicht mehr zur Ausführung. Nicht bekannt ist, inwieweit in Berlin die Abwehr feindlicher Luftangriffe vorbereitet wurde. Im Herbst 1917 wurden am Berliner Stadtrand angeblich „Abwehrtürme gegen feindliche Luftfahrzeuge“ gebaut – nicht nachprüfbar ist, ob es sich hierbei um ein Gerücht handelte. Grotjahn, Erlebtes, S. 182 (27. 11. 1917). HC 95 (5. 7. 1917), Sp. 1284. HC 94 (21. 6. 1917), Sp. 1959. Zur Bedrohung durch den inneren Feind s. Kap. VI.3.3.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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In Großbritannien führte die in der Bevölkerung weit verbreitete Angst vor Spionen zu tausenden von Berichten über geheimnisvolle, verbotene Nachrichten („illicit signalling“). Vor allem in den Küstenregionen verursachten angebliche Lichtzeichen deutscher Agenten eine solche Flut von Anzeigen, dass das Oberkommando der in Großbritannien stationierten Truppen eine Untersuchung veranlasste.263 In dieser wurde im Mai 1916 festgestellt, dass in lediglich acht Fällen feindliche Aktivitäten nicht ganz ausgeschlossen werden konnten. 22% der Fälle wurden darauf zurückgeführt, dass die Beschuldigten Ausländer waren. Als Hauptursache wurde das Nichtbeachten von Verdunkelungsvorschriften genannt, aber auch der Sternenhimmel hatte sich, wie die Untersuchung festhielt, als eine fruchtbare Quelle geheimnisvoller Nachrichten erwiesen.264 Die Untersuchung empfahl, allen gemeldeten Beobachtungen auf den Grund zu gehen. Nicht zuletzt um die von ihren Nachbarn zu Unrecht Beschuldigten von jedem Verdacht freizusprechen. Ausdrücklich wurde die Notwendigkeit betont, die unbegründete Verunsicherung der Bevölkerung zu zerstreuen. Denunzianten waren auch bei gänzlich unglaubwürdigen Meldungen verständnisvoll zu behandeln – nicht zuletzt um das Vertrauen in Militär und Polizei zu bewahren und möglichen Verschwörungstheorien vorzubeugen. Anfang 1917 kam eine weitere Studie zu dem Ergebnis, dass keine Hinweise dafür vorlagen, dass Spione den deutschen Luftschiffen vom Boden aus den Weg weisen würden.265 Die Angst vor Spionen war nur eine von vielen Reaktionen, die mit den Angriffen verbunden waren. Die Luftangriffe zeitigten weit über den materiellen Schaden hinaus Wirkung – Nervosität und Verunsicherung waren die Folge. Bereits 1915 wurde beklagt, dass die Bomben die Briten kopflos machen würden.266 Obwohl Presseberichte und auch Memoranden des War Cabinet panisches Verhalten der proletarischen Bevölkerung zuschrieben, verloren nicht nur unterbürgerliche Schichten die Contenance.267 Öffentlich diskutiert wurde jedoch allein das Verhalten der Bevölkerung in den ärmeren Stadtteilen. Als Ursachen wurde u. a. angenommen, dass die gesunden und starken Männer nicht mehr zu Hause seien, und daher in den dicht bevölkerten Stadtteilen nur noch die Überarbeiteten, Schwachen und Angespannten leben würden.268 In London lebende Ausländer galten als besonders nervenschwach und den Angriffen psychisch nicht gewachsen. Das angeblich besonders ängstliche Verhalten von Ju263 264
265 266 267 268
Alleged Enemy Signalling in Great Britain (Mai 1916), PRO AIR 1/2104/207/32. Vgl. Brock und Brock (Hrsg.), Letters, Nr. 279, S. 400 (27. 1. 1915). In der Bevölkerung resultierte die Bereitschaft, Verdunklungsmaßnahmen zu befolgen, auch aus der Angst, andernfalls als deutsche Spione ‚entlarvt‘ zu werden. Macdonagh, In London, S. 266 (19. 2. 1918). S. a. Panayi, British Empire Union, S. 117. Intelligence Section General Headquarters Home Forces, Raids by enemy airships (Februar 1917), PRO Air 1/2104/207/32. Middelton, Great War in the Air, Bd. 2, S. 13, 23. MacKenzie und MacKenzie (Hrsg.), Diary of Beatrice Webb, Bd. 3, S. 289 (5. 10. 1917). Paget und Lloyd, Records of the Raid, S. 6.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
den wurde auf die zweitausendjährige Geschichte von Unterdrückung und Verfolgung zurückgeführt. Diese ‚Ängstlichkeit‘ würde besonders während Luftangriffen hervor treten und war Gegenstand einer Vielzahl von Gerüchten.269 Vereinzelt waren Luftangriffe Anlass für Ausschreitungen. Nach einem Luftangriff am Morgen des 7. Juli 1917 kam es in mehreren Teilen Londons zu schweren Ausschreitungen nicht nur gegen Deutsche und Deutschstämmige, sondern auch gegen andere Ausländer.270 Hierbei handelte es sich um spontane Reaktionen, denen keine unmittelbare Aufhetzung durch die Presse vorangegangen war. Zwischen dem morgendlichen Luftangriff und den ersten Krawallen lagen nur wenige Stunden.271 Doch die deutschen Luftangriffe verursachten unter der Bevölkerung der Hauptstadt nicht die Schrecken, die sie hätten hervorrufen können. So wurde von deutscher Seite zu keiner Zeit mehr als ein Viertel der verfügbaren Bomber gegen Großbritannien eingesetzt. Nach dem Krieg zeigte man sich auf britischer Seite darüber verwundert, dass die Luftangriffe während der deutschen Frühjahrsoffensiven 1918 ausgesetzt worden waren – in diesem Fall wäre mit ernsten Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung zu rechnen gewesen.272 Zu den weiteren Faktoren, die einer intensiveren Entstehung und Verbreitung von Gerüchten entgegenstanden, zählte einerseits die breite Berichterstattung der Presse. Andererseits trug auch der Umstand, dass das Parlament in seiner Funktion als Fragestunde der Regierung ein Forum öffentlicher Verunsicherungen war, dazu bei. Wurden Skandale und Gerüchte dort thematisiert, konnten sie von der Zensur nicht mehr unterdrückt werden. Die britische Ausnahmezustandsgesetzgebung gab mit DRR 27 die rechtliche Handhabe, auch die Verbreiter von Gerüchten zu verfolgen.273 Hinter den meisten der 1917 und 1918 durch die Presse und die Weekly Intelligence Summaries nachgewiesenen Fälle von Verurteilungen auf der Grundlage von DRR 27 stand die Anklage, Gerüchte über Luftangriffe verbreitet zu haben. So wurde ein Mann, der im Dezember 1917 behauptet hatte, dass ein Luftangriff unmittelbar bevorstehe, zu einer Geldstrafe von zehn Pfund verurteilt.274 Ein Soldat, der durch seine Erzählungen große Unruhe im East End verursacht hatte, wurde ebenfalls zu zehn Pfund verurteilt – eine Strafe, die die Militärbehörden für nicht ausreichend hielten.275 Aus den wenigen überlieferten Angaben zu entsprechenden Verfahren geht hervor, dass die Angeklagten z. T. mit empfindlichen Strafen belegt wurden. Diese reichten von Geldstrafen in der Höhe von 269 270 271
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Ebd., S. 41. S. a. Bush, East London Jews, S. 156. Panayi, Enemy, S. 254–256. In den anschließenden Gerichtsverfahren wurden mehrere Personen mit dem Hinweis darauf freigesprochen, dass die deutschen Angriffe die Menschen kopflos gemacht hätten. The Times, 10. Juli 1917. O’Brien, Civil Defence, S. 11; Jones, War in the Air, Bd. 3, S. 149, 247. S. Kap. II. PRO AIR 1/558/16/15/55, fol. 111–112. PRO AIR 1/558/16/15/55, fol. 127, 162–164.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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40 Shilling oder 10 Pfund bis zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen.276 Nachdem ein Angeklagter zu einer Geldstrafe von 10 Pfund verurteilt worden war, stellte ein Offizier des Londoner Militärbezirks, fest, dass diese Strafe nicht ausreichen würde und empfahl, dass in Zukunft Offiziere an den Verhandlungen teilnehmen sollten.277
VI.3.2. Gerüchte und der Kampf gegen den inneren Feind in Berlin Über Verfahren gegen Verbreiter von Gerüchten in Berlin bzw. im Deutschen Reich liegen kaum Informationen z. B. durch Presseberichte vor. Wie im Folgenden gezeigt wird, unterlag die Berichterstattung über Gerüchte erheblichen Einschränkungen durch die Zensur. Aufgrund der Kriegsverluste des Landesarchivs Berlin fehlen zudem alle Quellen, die Rückschlüsse auf entsprechende Urteile Berliner Gerichte erlauben. Im Folgenden wird geschildert, dass dies keinesfalls als Hinweis darauf zu werten ist, dass Gerüchte in Berlin nicht intensiv kommuniziert wurden und die Behörden Gerüchte nicht als Bedrohung der inneren Ordnung ansahen. Vielmehr wird gezeigt, dass in Berlin die Versuche, Gerüchte zu kontrollieren, weitaus intensiver als in London waren. Im Januar 1918 gründeten in Berlin einige Frauen angesichts der sich stetig verschlechternden Stimmung eine neue Propaganda-Organisation: das ‚Heimatheer deutscher Frauen (HHdF)‘.278 Die Arbeit des HHdF beschränkte sich allerdings nicht allein auf Belehrung und Ermutigung. Unverhohlen forderte es zur Denunziation auf und stellte damit eine neue Stufe gesellschaftlicher Überwachung dar. Frauen wurden dabei nicht nur als metaphorisches Heimatheer angesprochen, sondern als Reserve gesellschaftlicher Kontrolle mobilisiert. Über die Tätigkeit z. B. der Eisenbahnüberwachungsreisenden hinausgehend, bedeutete diese Mobilisierung eine Expansion gesellschaftlicher Überwachung, weil damit einerseits eine scheinbar private Organisation entsprechende Aufgaben wahrnahm und andererseits im Unterschied zu den anderen Agenturen der Überwachung Frauen für diese Tätigkeit vorgesehen waren. Im März 1918 wurde in Berlin ein Flugblatt verteilt, das Frauen ausdrücklich aufforderte, „Klagen über Gerüchte, die besonders geeignet sind, die Stimmung nachteilig zu beeinflussen, zur Kenntnis der Kriegsberatungsstelle zu bringen, besonders flaumachende Personen festzustellen und namhaft zu machen.“279 276 277 278
279
S. Anhang 3: Verfahren gegen Verbreiter von Gerüchten in London. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Im militärischen Sprachgebrauch wurden mit dem Heimatheer die in der Heimat stationierten Soldaten bezeichnet. Allgemein zu den deutschen Versuchen, die Kommunikation von Gerüchten zu unterbinden s. Kap. V.5. Zum HHdF s. Altenhöner, Heimatheer. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 75–76. S. Anhang 1: Merkblatt Heimatheer deutscher Frauen. Anfang 1918 wurde in Berlin wie im ganzen Reich damit begonnen, in allen Korpsbezirken ‚Hilfs- und Beratungsstellen‘ einzurichten, in denen Soldaten Auskünfte über alle sie betreffenden Fragen erhielten. Schreiben des Kriegsministeriums an Deutel-
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
An allen öffentlichen Orten „in Straßen- Stadt- und Untergrundbahnen, an Schaltern und in Warteräumen, in Bezugsscheinstellen und beim Einkauf, in Volks- und Mittelstandsküchen, in Theatern und anderen Veranstaltungen und wo sonst immer es sei“ sollten sie „jeglicher flaumacherischen Äußerung“ entgegentreten. Mit dem Flugblatt war eine Verpflichtungserklärung für das HHdF verbunden, durch die sich Frauen bereit erklären konnten, in der Kriegsberatungsstelle „die eingehenden Klagen und Gerüchte zu sammeln, zu sichten, und zu erledigen, Auskünfte zu erteilen.“280 Wie bei vielen Propagandaorganisationen kam es im Fall des HHdF auch bei der Mobilisierung gesellschaftlicher Überwachung zu einer Kooperation zwischen staatlichen und privaten Organisationen. Denn obwohl es nach außen als unabhängige und überparteiliche Organisation auftrat, traf dies nur bedingt zu, da hinter dem HHdF die Aufklärungsabteilung des OKM stand. Deren Leiter, Hauptmann Kaufmann, war auch Vorsitzender und wichtigster Redner des HHdF.281 Unklar ist, mit welchen finanziellen Mitteln das OKM das HHdF unterstützte. Im Februar 1918 verwies der Chef des Stabes des OKM auf eine Frauen-Organisation in Brandenburg, die „ohne Bekanntgabe in der Öffentlichkeit wirke, sich aber von der Politik fernhalte“ und über einen Monatsetat von 25 000 M verfügte.282 Schon bald zeigte sich, wie erfolgreich die Verbindung des HHdF zum OKM verborgen worden war. Nicht nur in der bayerischen Kammer der Abgeordneten wurde eine Urheberschaft der Vaterlandspartei vermutet und so fiel der Verdacht auf die Partei und nicht das die Organisation protegierende OKM.283 Zwar bewirkte die Vaterlandspartei eine Richtigstellung in der Presse, dass das Merkblatt nicht von der ihr vertrieben worden war und sie von diesem Merkblatt erst aus der Presse erfahren habe.284 Trotz dieses Hinweises sah auch der Vorwärts in dem Merkblatt einen Beleg dafür, dass die „Überpatrioten der Vaterlandspartei Schnüffeleinrichtungen zu schaffen gedenken (oder schon geschaffen haben?), die man ungefähr als patriotische ‚Schwarze Hand‘ bezeich-
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moser (1. 3. 1918), BA R 43/2440, fol. 15. Vgl. Kestler, Vaterländischer Unterricht, S. 232, Anm. 36. Ausdrücklich sollte diese Beratungstätigkeit nicht allein der Fürsorge der Ratsuchenden dienen, sondern auch den Beratenden die Möglichkeit geben, die Stimmung in der Truppe zu beobachten und gegebenenfalls zu beeinflussen. Vgl. Ziegler, Grundlagen, S. 63; Tagung der Leiter der StGKs und des OKM (15./16. 5. 1918), Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 135. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 75–76. Zur Rolle Kaufmanns s. Lüders (Hrsg.), Minna Cauer, S. 217–218. Die von Kaufmann in einer nach dem Merkblatt verbreiteten Broschüre genannte Anschrift des HHdF war die Anschrift der Presseabteilung des OKM: Potsdamer Str. 22. Kaufmann, Heimatheer, S. 19. Besprechung im Kriegsministeriums über die Ursachen der Streikbewegung (18. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 444, S. 1181. VdKA Bd. 18 (22. 3. 1918), S. 621–623, 625–626, 637–638. Zur Aufklärungsabteilung des OKM s. Kap. III.1.1. GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 74.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
267
nen kann.“285 Ende März 1918 verwies die liberale Frauenrechtlerin Minna Cauer im Berliner Tageblatt auf herumschwirrende „sonderbare Gerüchte“ über das HHdF und sah „bedenkliche Symptome einer anscheinend stark betriebenen Propaganda.“ Sie empfahl eine Interpellation im Reichstag, um über „die unlauteren Dinge Klarheit zu verschaffen.“286 Dazu kam es jedoch nicht, wie überhaupt das HHdF in Berlin nicht das gleiche Aufsehen erregte wie in Bayern. In der Hauptstadt fehlte der die öffentliche Diskussion in Bayern prägende Nord/Süd-Gegensatz als ein Katalysator gesellschaftlicher Empörung. Unmittelbar nach Kriegsende wurde in Bayern diese Überwachungstätigkeit in eine Reihe mit den Anschuldigungen gegen Preußen gestellt: „Die Art und Weise des Hamsterns und die empörende Art, mit der unzählige norddeutsche Kriegsgewinnler sich in Bayern benahmen, hat politisch geradezu verheerend gewirkt und reihte sich würdig den Wirkungen an, die das Agentenunwesen des Chefs der Abt. IIIb (Nicolai) in Bayern auslöste.“287 Nicolai verwahrte sich nach Kriegsende dagegen, dass es in Bayern ein „Agentenunwesen“ des Generalstabes gegeben hätte, das „verheerende politische Wirkungen ausgelöst“ hätte.288 Es fehlt nicht an Hinweisen, die das HHdF in die Nähe der Vaterlandspartei rücken. Belege für eine entsprechende Verbindung liegen jedoch nicht vor. Unklar ist z. B., ob institutionelle und personelle Verbindungen zwischen der Vaterlandspartei und dem HHdF existierten. Außerdem ist nicht bekannt, ob das HHdF mit dem 1917/18 gegründeten Werbeausschuss der Frauenabteilung der Vaterlandspartei, in dem Schirmacher mitarbeitete, kooperierte.289 Allein die Biographie Käthe Schirmachers, der einzigen bekannten führenden Aktivistin des HHdF, deutet auf eine Verbindung zwischen HHdF und Vaterlandspartei hin. Schirmacher war 1917 an der Gründung der Vaterlandspartei beteiligt und gilt als ihr bekanntestes weibliches Mitglied. 1919/20 war sie Abgeordnete der Nationalversammlung für die als Nachfolgeorganisation der Vaterlandspartei zu verstehende DNVP.290 Für eine entsprechende Nähe Kaufmanns zur Vaterlandspartei fehlen Belege. Sein späteres Engagement in der DNVP, für die er ab 1919 Mitglied des preußischen Landesausschusses und von 1921 bis 1932 Mitglied des preußischen Landtages war, lässt seine Nähe zur Vaterlandspartei vermuten.291 Anders als in Bayern sympathisierten in Preußen die Militärbehörden 285
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Vorwärts 86, 27. März 1918. Die ‚Schwarze Hand‘ war die serbische Untergrundorganisation, die hinter dem Anschlag vom 28. 6. 1914 auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo stand. „Frauen als Spitzel. Eine Kriegsberatungsstelle?“, in: Berliner Tageblatt 162, 29. März 1918. E.B. „Bayern und die Reichsfrage“, in: Vossische Zeitung 606, 27. November 1918. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 152. Mitteilungen der deutschen Vaterlandspartei Nr. 22 (20. 7. 1918), S. 3–4. Schirmacher, Flammen, S. 77; Süchting-Hänger, Gewissen, S. 116; Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 185. Handbuch des preußischen Landtages, Bd. 3. Berlin 1928, S. 543.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
mit der Vaterlandspartei und nicht selten bekannten sich Offiziere im Aufklärungsunterricht zu deren Zielen.292 Über Sympathien des OKM für die Vaterlandspartei kann nur spekuliert werden. General von Kessel soll ihr nahe gestanden haben, ohne sich öffentlich dazu zu äußern.293 Gerüchten und ihren Ursachen kam in der Argumentation Kaufmanns und der von ihm protegierten Organisation eine zentrale Bedeutung zu, sah er doch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Tätigkeit feindlicher Agenten, Gerüchten und deren Folgen für die Stimmung in der Heimat.294 Nach Kaufmann war die „Erforschung und Belebung der Heimatstimmung“ Aufgabe des HHdF, denn diese Aufgabe dürfte „nicht den Zivil- und Militärbehörden allein überlassen werden. Sie ist Sache des ganzen Volkes, weil auch die Sache des ganzen Volkes in Frage steht.“295 Dieser Aufruf zu gesellschaftlicher Selbstpolizierung bedeutete ein bis dahin nicht praktiziertes Ineinandergreifen staatlicher und privater Überwachung und ging über die bereits praktizierten Methoden der Überwachung weit hinaus. In Kooperation mit den als ‚staatstragend‘ erachteten Teilen der Bevölkerung suchte das OKM stärker als zuvor alltägliche Öffentlichkeiten zu überwachen. In riskant gewordenen Räumen sollte durch die Instrumentalisierung von Frauen als letzter Reserve sozialer Kontrolle konformes Kommunikationsverhalten durchgesetzt werden. Gegenüber als defätistisch eingeschätzten alltäglichen Äußerungen wurde zu Denunziationen aufgerufen und gefordert, Personen, die sich durch pessimistische Äußerung an der Grenze zum Landesverrat bewegten, an den „Pranger“ zu stellen.296 Schon die militärisch anmutende Namensgebung des HHdF, Kaufmann sprach von ihm als einer „Hilfstruppe“, verdeutlicht das Selbstverständnis dieser Organisation.297 Nachdem es im Frühjahr 1918 für einiges Aufsehen gesorgt hatte, fehlen Angaben über das weitere Arbeiten des HHdF und seine regionale Ausdehnung – zunächst reichte es nicht über Berlin und die Mark Brandenburg hinaus. Auch über seine Struktur und seine Mitgliederzahl ist nur wenig bekannt. Nach Kaufmann waren in Berlin bis Juni 1918 bereits tausende Frauen in das HHdF eingetreten. Ebenfalls fehlen Hinweise auf die Frauenverbände, die mit dem HHdF zusammenarbeiteten.298 Aus den vorliegenden Quellen geht nicht hervor, ob das HHdF z. B. mit dem Berliner Polizeipräsidium zusammenarbeitete und inwieweit seine Appelle zur aktiven Beteiligung von Frauen an Denunziationen führten. Allerdings liegt die Bedeutung des HHdF weniger in seiner tatsächlichen propagandistischen Arbeit und seinen Aufrufen zur Denunziation. Ent292 293 294 295 296 297 298
Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, S. 282, 385–401. Berliner Tageblatt 268, 28. Mai 1918; Vorwärts 143, 29. Mai 1918. Kaufmann, Heimatheer, S. 4–5. Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Allgemein zur Politisierung konservativer Frauen während des Krieges s. Süchting-Hänger, Gewissen, S. 90–125.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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sprechende Thematisierungen der Überwachung in Presse und Parlamenten waren ein Faktor der Erosion staatlicher Legitimität in Deutschland. Als entscheidend ist hier die sich in diesen Aufrufen widerspiegelnde Tendenz zur Expansion gesellschaftlicher Überwachung, der Politisierung konservativer Frauen und der Ausbildung innenpolitischer Feindbilder anzusehen. Mit der Betonung seiner repressiven Komponente stellt das HHdF eine Ausnahme unter den in der Endphase des Krieges im Deutschen Reich entstandenen Propaganda-Organisationen dar. Diese Ausrichtung ist mit der äußerst konservativen Spitze des OKM und der persönlichen Initiative des Hauptmanns Kaufmann vermutlich stark durch Berliner Besonderheiten geprägt. Eine dem HHdF ähnliche Organisation schlug im November der Teilnehmer eines Lehrganges für vaterländischen Volksunterricht in Kassel im November 1917 vor. Ausgehend von seiner Idee einer Bürgerwehr zum „Schutz der anständig Denkenden gegen die Unbekümmerten“, sollte diese auch zur Abwehr der „unnützen und gefährlichen Schwätzereien“ verwendet werden.299 Ein anderes StGK schuf zur „unmittelbaren Volksaufklärung“ eine Organisation, „die im Sinne der Aufklärung und der Abwehr feindlicher Agenten tätig ist, insbesondere bei Menschenansammlungen, in Volksküchen, unter den Leuten, die sich vor Lebensmittelläden anstellen usw.“300 Die Entstehung und Arbeit des HHdF ist vor allem vor dem Hintergrund der Verschärfung des Gegensatzes zwischen Front und Heimat und der Polarisierung der Gesellschaft durch die Gründung der Vaterlandspartei zu verstehen. Anfang 1918 hatten sich mit dem Januarstreik die innenpolitischen Gegensätze verschärft.301 Nur mit harten Gegenmaßnahmen war es dem OKM in Berlin gelungen, den Streik niederzuschlagen. Nach Einschätzung des StGK III. AK war der Januarstreik die „Probe-Mobilmachung der radikalen Arbeiterbewegung.“302 Umso mehr bestätigte dieser ‚Erfolg‘ dem OKM, wie richtig das von ihm gewählte harte Vorgehen war. Das Kriegsministerium anerkannte es als vorbildlich und ließ eine Zusammenstellung seiner Maßnahmen an die anderen StGKs verteilen.303 Obwohl schon bald nach Ende des Streiks Gerüchte über 299 300 301
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Lehrgang für vaterländischen Volksunterricht, S. 206–207. Während dieser Vorschlag nicht umgesetzt wurde, verfolgte das HHdF in Berlin genau dieses Ziel. MvU 22 (17. 7. 1918), S. 4. Näheres ist nicht bekannt. Bartel, Januarstreik; Autorenkollektiv (Hrsg.), Der erste Weltkrieg, Bd. 3, S. 165–178; Bailey, Berlin Strike; Scholz, Das unruhiges Jahrzehnt; Ullrich, Die nervöse Großmacht, S. 530–536, Davis, Keep the Home Fires, S. 225–228; Barth, Dolchstoßlegenden, S. 41–48. Protokoll einer Besprechung im Kriegsministerium mit Vertretern der StGKs über Ursachen des Streiks und Gegenmaßnahmen (20. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 445, S. 1185. Nach einer oft zitierten Bemerkung Arthur Rosenbergs waren die Januarstreiks eine „Generalprobe für die Novemberrevolution.“ Rosenberg, Entstehung der Weimarer Republik, S. 181. Protokoll einer Besprechung im Kriegsministerium mit Vertretern der StGKs über Ursachen des Streiks und Gegenmaßnahmen (20. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 445, S. 1188.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
einen neuen Ausstand kursierten, kam es bis zum Ausbruch der Revolution in Berlin nicht mehr zu bedeutenden Streiks oder Unruhen. Doch das Ausbleiben organisierter öffentlicher oder offener Proteste bedeutete nicht, dass man sich mit Not und Ungerechtigkeit abgefunden hatte. Zwischen dem Ende des Streiks und der Revolution lagen Wochen und Monate, in denen sich Unzufriedenheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nicht mehr öffentlich entluden – obwohl die materiellen und politischen Ursachen des Streiks weiter bestanden. Bereits unmittelbar nach dem Ende des Streiks waren Gerüchte über neue Streiks verbreitet und die Behörden gingen davon aus, dass weitere Ausstände unmittelbar bevorstünden.304 Im gesamten Reich reagierten die Behörden daher sehr sensibel auf Gerüchte über bevorstehende Streiks. Die politische Polizei stand den zahlreichen Streikgerüchten zwiespältig gegenüber. Denn einerseits verwiesen sie auf drohende Gefahren, andererseits stellten sie für die Beamten eine aufwändige Mehrarbeit mit zweifelhaften Erfolgsaussichten dar. In einem Brief aus dem nahe Berlin gelegenen Rehfelde warnte im August 1918 ein besorgter Bürger das Polizeipräsidium, dass es demnächst in Berlin „‚losgehen‘“ solle. Zu diesem Zweck seien für Oktober bereits Versammlungen einberufen worden und die Beteiligten aufgefordert worden, ihre Waffen bereit zu halten. Ein Beamter kommentierte das Schreiben mit der Notiz: „Eine der bekannten Alarmmeldungen, die – wie gewöhnlich – jeglicher Grundlage entbehren.“305 Trotzdem ging die Polizei der Warnung nach und ermittelte, dass sie auf die Mitteilung von einer Mitarbeiterin eines Militärbüros zurückging, die diese von einem befreundeten Offizier erfahren haben wollte. Weitere Ermittlungen sollten folgen.306 Auch andere Fälle zeigen, dass die Polizei die eingegangen Nachrichten gründlich prüfte. Nachdem die Ehefrau eines Arbeiters der Berliner Borsigwerke in einem Brief geschrieben hatte, dass „es am 17. September in Berlin losgehen“ werde, prüfte die politische Polizei die Zuverlässigkeit des Arbeiters und seiner Frau („Familie unbestraft, guter Ruf, keine Gewerkschaft, sehr religiös“). Der Bearbeiter stellte fest, dass die ängstlich veranlagte Ehefrau in letzter Zeit verstärkt umlaufende Gerüchte über neue Streiks weitergegeben habe.307 Die Arbeit der politischen Polizei bestand nicht nur aus der Sammlung und Überprüfung von Streikgerüchten, man versuchte auch, ihre Verbreiter zu ermitteln und zu bestrafen. Als ein Schutzmann Gerüchte weitergab, dass im 304
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Bericht der Abteilung VII Außendienst, 2. Kommissariat an den Berliner Polizeipräsidenten (15. 2. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 283, S. 259; Protokoll einer Besprechung im Kriegsministerium über Ursachen des Streiks und Gegenmaßnahmen (18. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 444, S. 1176. S. z. B. das Schreiben des Reichsamtes des Inneren an sämtliche nicht-preußische Bundesregierungen (23. 3. 1918), Archivalische Forschungen, Bd. 4/III, Nr. 497, S. 1256–1257. Brief Franz Schüler aus Rehfelde an das Polizeipräsidium (29. 8. 1918), BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15842, fol. 146. Bericht Schutzmann Kobel (11. 9. 1918), BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15842, fol. 147–148. Major von Wertzen an das Polizeipräsidium (12. 9. 1918), BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15842, fol. 118.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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Winter ein alles übertreffender Generalstreik stattfinden solle, Näheres aber nicht bekannt sei, forderte die politische Polizei weitere Informationen an, um ihre Verbreiter verurteilen zu können. Nachdem keine weiteren Hinweise eingegangen waren, notierte ein Beamter: „Es war vorauszusehen, daß der Beamte etwas zweckdienliches zu sagen nicht in der Lage ist. Derartige Meldungen sind aber geeignet, Unruhe zu verbreiten, von unnötigen Schreibereien ganz abgesehen.“308 Das Büro für Sozialpolitik berichtete Mitte Juli, dass trotz der schlechten Stimmung in den Großstädten keine Streikgerüchte beobachtet werden konnten. Lediglich unter den Berliner Munitionsarbeitern bestand eine gewisse Beunruhigung über angebliche Herabsetzung der Stücklöhne.309 Nicht nur Gerüchte über Streiks gerieten verstärkt in das Visier des Staates, sondern die Bekämpfung von Gerüchten an sich wurde stärker als je zuvor Aufgabenfeld der Behörden. In auffälliger Weise wurde die von Gerüchten ausgehende Bedrohung der inneren Ordnung Ende August, Anfang September 1918 im behördlichen Schriftverkehr verstärkt betont. Auch verschiedene Maßnahmen ziviler und militärischer Behörden verweisen auf diese Einschätzung. So wurden Ende August z. B. die Leitsätze für den vaterländischen Unterricht um einen Passus über Gerüchte ergänzt.310 In den Zeitungen spiegelte sich diese zunehmende Sensibilisierung der Behörden für Gerüchte nicht wider. Dem Verschweigen wurde der Vorzug vor Dementis und Aufklärung gegeben. Am 2. Juli hatte ein Vertreter des KPA in der Pressebesprechung betont, dass er Gerüchte zwar gegenüber den Journalisten dementieren würde. Er sprach sich allerdings ausdrücklich dagegen aus, diese Dementis auch durch die Presse zu verbreiten, da die Gerüchte sich so immer weiter herumsprächen.311 Im gleichen Sinn hatte die OZ bestimmt, dass Zeitungen der „gegnerischen Hetz- und Flugblatt-Werbetätigkeit“ nicht entgegentreten durften, um deren Inhalte nicht weiter zu verbreiten.312 Intern waren die eingeschlagenen Gegenmaßnahmen durchaus umstritten. In einem Brief trat Deutelmoser, seit 1917 Leiter der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes und Pressechef des Reichskanzlers, Forderungen nach einer Verschärfung der Zensur entgegen: Als weitaus gefährlicher als das „Klagen und Kritisieren“ durch Zeitungen und in den Parlamenten erwiesen sich für ihn die Gerüchte: „Tausendmal schlimmer als diese offene Art der Äußerung ist das versteckte Weitertragen von Mund zu Mund. Gerade das aber wird durch schärfere Druckmittel noch verstärkt.“313 So verwundert es nicht, dass in der Berliner Presse Gerüchte nur vereinzelt thematisiert und die behördlichen Maßnahmen gegen Gerüchte nur knapp kom308 309 310 311 312 313
BLHA Pr. Ber. Rep. 30 C, Nr. 15842, fol. 153–156. Bericht des Büros für Sozialpolitik (15. 7. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14029, fol. 1. Allgemeine Bestimmungen für den Vaterländischen Unterricht. Ergänzung der Leitsätze. Anlage zu MvU 28 (22. 8. 1918). Vgl. Kap. V.5. BayHStA MKr, Nr. 14026, fol. 4. Zensurbestimmung der OZ, Nr. 43.230 (9. 7. 1918), Beilage der Presseabteilung zum KriegsKorps-Verordnungsblatt für das XI. AK, Nr. 29 (16. 7. 1918) S. 118. BA R 1501/114440, fol. 132. S. a. ebd., fol. 135–140.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
mentiert wurden. Am 25. August 1918 wandte sich der preußische Kriegsminister in einem Interview gegen alle „unsinnigen“ Gerüchte und betonte: Berlin ist leider ein guter Nährboden für solches sinnlose und hirnverbrannte Zeug und es ist erstaunlich, wie wenig die Berliner, die doch immer so helle sein wollen, aus der Erfahrung gelernt haben wollen. Wie oft ist Hindenburg schon gestorben, wie oft hat dieser oder jener unserer höchsten Führer schon Selbstmord verübt, wie oft sind hier in Berlin und das müßten doch die Berliner eigentlich selber am besten widerlegen können – schon die Maschinengewehre in Aktion getreten.314
Am 3. August hatte die gleiche Zeitung ein Gespräch mit dem bayerischen Kriegsminister von Hellingrath wiedergegeben, in dem sich dieser für ein hartes Vorgehen gegen die Verbreiter von Gerüchten ausgesprochen hatte.315 Am 4. September 1918 wurde ein Aufruf der OHL veröffentlicht, der als Flugblatt und Plakat ebenso wie durch Presse und Feldzeitungen „allerweiteste Verbreitung“ fand.316 Darin hieß es unter der Überschrift „Wehre Dich deutsches Heer und deutsche Heimat“: Den Feldzug gegen unseren Geist führt der Feind mit verschiedenen Mitteln; er überschüttet unsere Front nicht nur mit einem Trommelfeuer der Artillerie, sondern auch mit einem Trommelfeuer von bedrucktem Papier. Seine Flieger werfen neben Bomben, die den Leib töten, Flugblätter ab, die den Geist töten sollen. […] Der Feind begnügt sich aber nicht nur damit, den Geist unserer Front anzugreifen, er will vor allen Dingen auch den Geist der Heimat vergiften. […] Zu Hause wandert [das Flugblatt] dann von Hand zu Hand, am Biertisch wird es besprochen, in den Familien, in den Nähstuben, in den Fabriken, auf der Straße. Ahnungslos nehmen viele Tausende den Giftstoff in sich auf […]. Der Feind greift den Geist der Heimat auch sonst noch an. Die unsinnigsten Gerüchte, geeignet, unsere innere Widerstandskraft zu brechen, werden in Umlauf gesetzt. [...] Auch dieses Gift wirkt auf Urlauber und fließt in Briefen zur Front. Und wieder reiben sich die Feinde die Hände! Der Feind ist klug. Er weiß für jeden das Pülverchen zu mischen. […] Darum deutsches Heer und deutsche Heimat: Wenn dir einer dieser ausgeworfenen Giftbrocken in Form eines Flugblattes oder eines Gerüchtes vor die Augen oder die Ohren kommt, so denke, daß er vom Feinde stammt.317
Ein am 4. September 1918 als Maueranschlag veröffentlichter Erlass General von Linsingens, seit Mai Oberkommandierender in den Marken, drohte denjenigen mit bis zu einem Jahr Gefängnis, die „ein nicht erweislich wahres Gerücht, das geeignet ist, die Bevölkerung zu beunruhigen, ausstreut oder unbefugt weitergibt oder verbreitet, [...] auch wenn er dabei die Wahrheit des Gerüchtes bezweifelt oder bestreitet.“ Die Gefängnisstrafe konnte bei mildernden Umständen zu bis zu 1 500 M abgeändert werden. Begründet wurde das Verbot nach § 9 b des Gesetzes über den Belagerungszustande mit der Gefahr, dass „jeder tatsächlichen Grundlage entbehrende Gerüchte“ das „Vertrauen auf den 314 315 316 317
Neue Zeit – Charlottenburger Zeitung, 25. August 1918. Das Interview mit dem Kriegsminister zählte zu einer im August 1918 beschlossenen Propagandakampagne. BA R 43/2440, fol. 137. Thimme, Weltkrieg ohne Waffen, S. 195. Schulthess’ Geschichtskalender 34. 1 (1918), S. 267–268.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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schließlichen Sieg“ und den „ehernen Willen zum Durchhalten“ zu erschüttern drohten: Törichtes Geschwätz, leichtfertiges Gerede, in einzelnen Fällen wohl auch landesverräterische Böswilligkeit, verbreiten jeder tatsächlichen Grundlage entbehrende Gerüchte, übertreiben vorübergehende Erfolge unserer Feinde und ihre Machtmittel, bezweifeln unsere eigene wirtschaftliche Widerstandskraft und verringern die bewundernswerten Leistungen unserer trefflichen, dem Feinde standhaltenden Streitkräfte. Dieses Treiben ist geeignet, das durch die Tatsachen vollauf gerechtfertigte unbedingte Vertrauen auf den schließlichen Sieg und den gegenüber dem Vernichtungswillen unserer Gegner gebotenen und auch vorhandenen ehernen Willen zum Durchhalten zu erschüttern.318
Nahezu gleich lautende Verbote waren am 22. August 1918 in Kassel,319 am 9. September 1918 in Breslau320 und am 13. September 1918 in Stuttgart321 ausgesprochen worden. Es ist unklar, inwieweit die Verbote zentral organisiert waren und welche weiteren StGKs ebenfalls im August und September 1918 ähnliche Verbote aussprachen.322 Noch vor seiner Veröffentlichung wurde der Erlass am 3. September in der Pressebesprechung im Reichstag erregt diskutiert. Die meisten Pressevertreter lehnten ihn ab und warnten vor „Denunziantentum“ und „Denunziationssucht.“ Zwar waren sich die Redner in der Bewertung der von Gerüchten ausgehenden Gefahr weitgehend einig. Doch die wenigsten sahen in dem Verbot ein geeignetes Mittel zu ihrer Verhinderung und so warnten sie z. B. vor den Wirkungen im Ausland. Ein Journalist des Berliner Lokalanzeigers stellte fest: „Das Aufbringen und Verbreiten von Gerüchten ist, wenn wir die Agenten ausscheiden, ein Symptom unserer allgemeinen Lage und Stimmung. So lange nicht die Lage zu verbessern ist, ist die Stimmung nicht zu heben, und wir werden uns mit diesem Symptom weiter zu quälen haben.“323 Nach Hauptmann Beer, seit Juni 1918 Leiter der Presseabteilung des OKM, der gegenüber den Journalisten den Erlass zu rechtfertigen suchte, hatte das OKM hunderte Zuschriften erhalten, gegen Gerüchte vorzugehen.324 Es gelang Beer jedoch nicht, die anwesenden 318
319 320 321 322
323 324
Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468. Da nicht ermittelbar ist, welche Überlegungen das OKM zu dem Erlass veranlassten, können keine Angaben darüber gemacht werden, inwieweit dieser mit dem Aufruf der OHL zusammenhing. Für die Vermutung E. R. Hubers, dass der Aufruf auf eine Anregung der OHL zurückging, fehlen Belege. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 516. Gegenüber Deutelmoser deutete von Haeften an, dass der Erlass durch das Kriegsministerium angeregt worden wäre. BA R 43/2398 l, fol. 76–77. MvU [StGK XI. AK] Nr. 15 (14. 9. 1918), S. 98. Archivalische Forschungen, Bd. 4/IV, Nr. 702, S. 1594. Heimatdienst in Württemberg 2 (5. 10. 1918), S. 1. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1262. In der Pressebesprechung am 3. September 1918 machte der Vertreter der OHL darauf aufmerksam, dass zwei oder drei weitere Korps entsprechende Verbote erlassen hätten. S. a. Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1264. Ebd., S. 1263.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Journalisten zu überzeugen. Ihm gegenüber verwies Georg Bernhard, Chefredakteur der Vossischen Zeitung, ausdrücklich auf den Aufruf der OHL vom 3. September: Das Ausgezeichnete dieses in würdiger Sprache verfassten Aufrufes besteht vor allem darin, daß der Inhalt der Gerüchte ungeniert genannt ist. Der Aufruf entspricht den Forderungen, die wir zur Bekämpfung der Gerüchte aufgestellt haben. Deshalb möchte ich das Oberkommando bitten, nochmals zu prüfen, ob der Weg, den es beschritten hat und der der in dem Aufruf angewandten Methode widerspricht, der richtige ist.325
Einen Tag nach der Veröffentlichung des Erlasses wandte sich Deutelmoser in einem Schreiben an den Reichskanzler und betonte, dass er den Erlass nicht für geeignet hielt, gegen „stimmungsverderbend[e] Gerüchte“ vorzugehen. Er befürchtete, dass „sie zum Ausspionieren und zu Angebereien führen werden, die dann nur noch mehr dazu beitragen, Stimmungsdruck und Verbitterung zu erzeugen“ und warnte: „Was wir durch positive Aufklärung mit Hilfe von Wort, Schrift und Bild in der jetzigen Lage nicht erreichen können, wird sich auch durch Strafandrohungen niemals durchsetzen lassen.“ Er bat Hertling, durch den Kriegsminister bei den Stellvertretenden Kommandierenden Generäle darauf hinzuwirken, „gerade jetzt mit der Androhung von Strafmaßnahmen und mit sonstigen gewaltsamen Druckmitteln möglichst zurückhaltend“ zu sein. Deutelmoser regte an, „dem Bekanntwerden der Verordnung durch die Presse, wenn möglich, vorzubeugen und auch ihr Durchsickern nach dem Ausland soweit zu verhüten, wie das noch durchführbar ist.“326 Die Hoffnungen Deutelmosers, dass der Erlass in weiteren Kreisen nicht bekannt würde, wurden enttäuscht: Wie von Journalisten in der Pressebesprechung bereits vorausgesehen, nutzten Reichstagsabgeordnete dessen Konfliktpotential aus.327 In einer interfraktionellen Vorbesprechung am 5. September 1918 forderten die Vertreter der Parteien die Aufhebung des Verbotes, da es im In- und Ausland entmutigend wirke und zu „ungeheurem Denunziantentum“ führe. Im Ausland würde es den Eindruck erwecken, dass das Deutsche Reich vor der Militärdiktatur stehe und der innere Zusammenbruch unabwendbar sei.328 Als der Staatssekretär im 325 326
327 328
BayHStA MKr, Nr. 14027. BA R 43/2398 l, fol. 76–77. Zuvor hatte Deutelmoser bereits von Haeften auf den durch den Erlass ausgehenden Schaden hingewiesen, ein Befund, dem auch der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt von dem Bussche zugestimmt hätte. Da der Kriegsminister verreist war und von der OHL kein Eingreifen zu erwarten wäre, hatte von Haeften ein persönliches Gespräch des Reichskanzlers mit dem OKM empfohlen. Von dem Bussche unterstützte dieses und mahnte zur Eile. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1264. Matthias und Morsey (Hrsg), Der interfraktionelle Ausschuß, Bd. 2, Nr. 210, S. 478–479. Teilnehmer waren die Abgeordneten Fischbeck (Volkspartei), Ebert (SPD), Erzberger (Zentrum) und Staatssekretär von Roedern. Auch Deutelmoser hatte in seinem Schreiben an Hertling auf die schädlichen Wirkungen im Ausland hingewiesen und betont, dass im Auswärtigen Amt darüber die „die größten Bedenken“ herrschten. BA R 43/2398 l, fol. 76. Der Stellvertreter des Reichskanzlers Friedrich von Payer war abwesend und wurde daher von von Roedern vertreten.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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Reichsschatzamt, von Roedern, in seiner Funktion als Stellvertreter des Reichskanzlers den Abgeordneten anbot, ihre Forderung dem Reichskanzler mitzuteilen, eine Aufhebung des Verbotes jedoch für nicht machbar hielt, beharrten diese auf ihrer Forderung. Sie mahnten an, dass der preußische Justizminister sofort die Staatsanwaltschaften anweisen solle, dass nur dann Anklage erhoben werde, wenn die Gerüchte tatsächlich vom Feind stammten. In der Sitzung des interfraktionellen Ausschusses am 12. September 1918 teilte Ebert mit, dass der Reichskanzler über den Erlass nicht informiert war.329 In einem Gespräch sicherte der Oberkommandierende in den Marken dem Abgeordneten Fischbeck zu, in die politische Lage eingreifende Erlasse in Zukunft nicht ohne Zustimmung des Reichskanzlers zu erlassen.330 Das Vorgehen des OKM sorgte allerdings nicht nur unter den Parlamentariern für Verstimmung. Auch seitens staatlicher Stellen wurde es als Beleg für die Unkontrollierbarkeit der StGKs angesehen. In einem Schreiben an den Kriegsminister empfahl der Staatssekretär des Reichsamt des Inneren mit ausdrücklichem Verweis auf den Erlass des OKM vom 4. September, dass sich die StGKs, „bevor politisch besonders einschneidende Maßnahmen“ getroffen würden, mit dem Kriegsminister verständigen sollten. Der Staatssekretär verlangte vom Kriegsministerium „Gelegenheit zur Stellungnahme“, da die Regierung entsprechende Maßnahmen im Reichstag zu vertreten habe.331 Da die Diskussion um den Erlass in der Presse als „unerwünscht“ galt – dies bedeutete Verbot – beschränkten sich viele Zeitungen auf den Abdruck des Verbots, ohne es weiter zu kommentieren. Manche Zeitungen druckten weder den Erlass des OKM noch den Aufruf der OHL ab. Aber vor allem konservative Berliner Zeitungen äußerten ihr Verständnis für das Vorgehen des OKM. So ermahnte Der Tag seine Leser: „wir halten es für die Pflicht jedes guten Deutschen, alle Ängstlichkeiten und Bedenklichkeiten zurückzustellen, wo es gilt, das Wort von den ‚eisernen Nerven‘, deren wir bedürfen, um alle Gefahren dieses Weltkrieges siegreich zu überstehen.“332 Um dem Erlass zu größerer Wirkung zu verhelfen, forderte die Berliner Morgenpost dazu auf, an den „Geschichtenträger[n]“ ein Exempel zu statuieren. Zugleich mahnte sie aber an, nicht jene zu bestrafen, die aufgrund mangelnder Bildung und schlechter Ernährung in ihrer Kritikfähigkeit geschwächt seien. Andere aber sollten eingesperrt werden: „Es ist um [diese] nicht schade und das Exempel, das man an [diesen] ausstellt, wird erzieherisch wirken.“333 Der Berliner Lokalanzeiger forderte, 329
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Matthias und Morsey (Hrsg), Der interfraktionelle Ausschuß, Bd. 2, Nr. 217 a, S. 522. Ebert war am 6. 9. 1918 mit dem Reichskanzler zusammengekommen. S. Ebd., Nr. 211. Dort keine weiteren Hinweise zu diesem Sachverhalt. Ebd., Nr. 218 a, S. 559–560. Unklar ist, ob sich auch der Reichskanzler an von Linsingen wandte. BA R 43/2439 c, fol. 81–85. S. a. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 473, S. 1280. Der Tag 452, 4. September 1918. Berliner Morgenpost, 5. September 1918.
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Verbreiter von Gerüchten „der verdienten Bestrafung zuzuführen.“ Dabei handelte es sich „um eine dringende patriotische Pflicht, die unseren Lesern immer wieder ins Gewissen zu rufen, wir nicht müde werden wollen.“334 Einzig die Vossische Zeitung äußerte offen Kritik an dem Erlass. Nachdem sich bereits ihr Chefredakteur in der Pressebesprechung dagegen ausgesprochen hatte, betonte ein Kommentar, wie unglücklich das Vorgehen des OKM sei, da „künstlich niedergehaltene Gerüchte nur in noch verborgenere und schädlichere Kanäle zu kriechen pflegen.“ Die Zeitung warnte vor „Angeberei und Gesinnungsschnüffelei“ und forderte als bestes Mittel gegen den „Gerüchte-Unfug“, den Zeitungen „im Rahmen des unentbehrlichen Zensurmindestmaßes die Möglichkeit schleuniger, klarer, entschiedener und auf unbedingter Meinungsfreiheit beruhender Richtigstellung alles unsinnigen Schwatzes“ einzuräumen. Damit wandte sich die Zeitung einerseits gegen die nur zurückhaltende Praxis der Zensurbehörden, Gerüchte zu dementieren, und andererseits gegen die Existenz der Zensur und die Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit auf Grundlage des Gesetzes über den Belagerungszustand.335 Anders als die Tätigkeit des HHdF im Frühjahr 1918 stimmte die Kampagne des OKM gegen Gerüchte mit dem Vorgehen des ‚Vaterländischen Unterrichtes‘ überein, so dass es sich hier nicht mehr um einen Berliner Sonderweg handelte. Eine von der Aufklärungsabteilung des OKM herausgegebene Zeitschrift hatte im August 1918 den Ton vorgegeben und gefordert, dass alle Verbreiter „unnachsichtlich festgestellt und zur gebührenden Verantwortung gezogen“ werden müssten.336 Die Aufforderung zur Denunziation stand nun im Einklang mit den durch den ‚Vaterländischen Unterricht‘ vorgegebenen ‚Schlagworten zur Bekämpfung von Gerüchten‘. Diese empfahlen u. a. „Tretet [den Gerüchten] entgegen, denn sie sind unwahr. Führt ihre Verbreiter der Bestrafung zu.“337 Während sich anhand der vorliegenden Quellen nachvollziehen lässt, welche Wellen der Erlass von Linsingens, im politischen Berlin und in den Zeitungen schlug, fällt es weitaus schwerer, seine Rezeption durch die Berlinerinnen und Berlinern zu beurteilen. Am 24. September berichtete der Berliner Polizeipräsident, dass durch den Erlass der „Verbreitung törichter Gerüchte ein Ende gemacht“ worden sei. Dazu beigetragen hätte nach seiner Auffassung unter anderem auch der Aufruf der OHL und eine Rede des Kaisers am 10. September vor Arbeitern der Krupp-Werken in Essen.338 In dieser Rede hatte Wilhelm II. Verbreitern falscher Gerüchte mit dem Galgen gedroht. Wenige Tage später reimte Wilhelm II. in einer Rede vor U-Bootoffizieren in Kiel: „Das Ziel erkannt, die 334 335 336 337 338
Berliner Lokalanzeiger 450, 3. September 1918 Vossische Zeitung 453, 5. September 1918. Vertrauliche Mitteilungen, Nr. 9 (20. 8. 1918). MvU 30 (11. 9. 1918), S. 1. S. Kap. IV.5. und Anhang 2: Entwürfe für Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten. 101. Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten (24. 9. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, S. 289.
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Muskete gespannt, die Flaumacher an die Wand.“339 In der schließlich durch die Presse verbreiteten Fassung der Essener Rede forderte der Kaiser lediglich harte Strafen.340 Nur selten ging die verbale Eskalation des Kampfes gegen Gerüchte so weit wie in diesem Fall. Aber auch von anderer Seite mehrten sich entsprechende Äußerungen: In Berlin forderte Anfang September 1918 während einer Veranstaltung der Vaterlandspartei ein Redner gegen „großschnäutzige Waschweiber“ Lynchjustiz nach amerikanischem Vorbild.341
VI.3.3. Konturen des inneren Feindes Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln nationale Eigenheiten der Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten thematisiert wurden, wird in diesem Kapitel nach den Ursachen der festgestellten Unterschiede gefragt. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Intensivierung der Maßnahmen gegen Gerüchte im Deutschen Reich durch in dieser Form nur dort zu beobachtende Vorstellungen des inneren Feindes zu erklären ist. Hier wurde die behördliche Wahrnehmung von Gerüchten durch die Annahme geprägt, dass diese unmittelbar auf den äußeren Feind und seine verborgenen Helfershelfer in Gestalt von Spionen, Agenten und Verrätern zurückzuführen wären.342 In der Anfangsphase des Krieges bezogen sich Vorstellungen von Feindschaft in beiden Staaten vor allem auf den äußeren Feind. Erst im Verlauf des Krieges prägten auch Vorstellungen vom inneren Feind nationale Feindbilder. Grundlegend für das Bild des inneren Feindes wurde die Vorstellung eines möglichen Verrates und einer unsichtbaren und im Geheimen wirkenden Bedrohung. In beiden Staaten stand schließlich für staatliche Stellen die Zuverlässigkeit immer weiterer Teile der eigenen Bevölkerung in Frage. Revolutionsfurcht, die Angst vor Spionage, Subversion und Verrat führten zum Um- und Ausbau staatlicher Kontrollapparate.343 Zu Anfang des Krieges hatten die zahlreichen Gerüchte über Spione und ihre (Un-)Taten das Potential des Redens und Schreibens über Spionage und Verrat erkennen lassen.344 Umso erstaunlicher ist der Verzicht der deutschen Behörden, diese Themen verstärkt propagandistisch auszunutzen – obwohl man von der Bedrohung durch Spione, Agenten und Verräter überzeugt war.345 Trotz der 339 340
341 342 343 344 345
Görlitz (Hrsg.), Regierte der Kaiser, S. 411 (10. 9. 1918); ebd., S. 418 (25. 9. 1918). Schulthess’ Geschichtskalender 34.1 (1918), S. 276–280, S. 279. Da die Rede stark vom vorbereiteten Manuskript abgewichen und das Gefolge des Kaisers davon überzeugt war, dass die Rede in dieser Form nicht veröffentlicht werden konnte, ohne verheerenden Schaden anzurichten, musste sie stark überarbeitet werden. Zur Rezeption und Überarbeitung der Rede s. Bieber, Gewerkschaften, Bd. 1, S. 484–486. Vorwärts 242, 3. September 1918. S. Kap. IV.5. S. Kap. IV.2. S. Kap. V.4.1. S. Kap. IV.2.
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sich bereits vor Kriegsende abzeichnenden ‚Dolchstoßlegende‘ verwiesen deutsche Behörden in der Presse zwischen 1914 und 1918 nur gelegentlich auf die subversive Tätigkeit feindlicher Agenten und Spione. So forderten zwar die Leitsätze für die Bekämpfung der feindlichen Spionage: „Not tut die Mitarbeit weitester Kreise des Volkes.“346 Doch wie vor dem Krieg übte auch während des Krieges der militärische Nachrichtendienst gegenüber einer Mitarbeit der Presse bei der Fahndung nach Spionen und einer Sensibilisierung der Allgemeinheit für dieses Thema Zurückhaltung und verzichtete auf eine breite Thematisierung der Spionage in den Medien.347 In einem Memorandum betonte im Februar 1918 der Chef der Presseabteilung des Admiralstabes, Kapitän z. S. Boy-Ed, dass die Gegner die Veröffentlichung von angeblichen und wenig sachlichen Spionagegeschichten als eins ihrer Propagandamittel ansehen und mit grosser Wirkung benutzen. Wir sollten ihnen darin schleunigst und endlich folgen und uns von einer Geheimtuerei losmachen, die diesseitigen Erachtens auch für die Spionagetätigkeit selbst nur in sehr wenigen Fällen einen praktischen Nutzen hat.348
So unterlag im Deutschen Reich die Berichterstattung über Spionagefälle scharfen Zensurbestimmungen. Die OZ hatte durch eine Zensuranweisung bestimmt, dass „Nachrichten über feindliche Spionage“ nicht verboten waren, wohl aber vor der Veröffentlichung der OZ vorzulegen waren.349 Allerdings wurde am 4. Juni 1915 in der Pressebesprechung betont, dass die Presse über „angebliche deutsche Spionageangelegenheiten grundsätzlich nichts“ schreiben dürfe.350 Angesichts der Instrumentalisierung von Nachrichten über deutsche „Spionageunternehmungen“ durch die gegnerische Propaganda erlaubte die OZ im Juli 1917 schließlich die Berichterstattung über „feindliche Spionage“ – Artikel waren aber vor der Veröffentlichung der OZ vorzulegen.351 Mehrfach schilderte der Chef der StAbt. III b den an der Pressebesprechung im Reichstag teilnehmenden Journalisten die von feindlichen Spionen ausgehende Gefahr.352 Auch intern war man von der Verbindung zwischen äußerem und innerem Feind überzeugt. In einer Besprechung über die Ursachen des Januarstreiks verwies Oberst von Wrisberg, Chef der Zentralabteilung des Kriegsministeriums, darauf, dass die Streikbewegung aus dem Ausland finanziert würde und dass „in der Schweiz ein Komitee bestände, das zu diesem Zweck über 200 Millionen 346 347 348 349 350 351 352
BA/MA RM 5, Nr. 3841, fol. 61. Zur Handhabung vor 1914 s. Altenhöner, Spionitis. BA/MA RM 5, Nr. 3841, fol. 1. Im gleichen Sinn s. Herrmann, Geheimkrieg, S. 8. Oberzensurstelle (Hrsg.), Nachschlagebuch (1917), S. 110. Ebd. Ebd. Protokoll der Pressebesprechung (1. 2. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 4. S. a. die Behauptungen des Admiralstabes, der Januarstreik in Berlin würde durch feindliche Gelder unterstützt. Protokoll der Pressebesprechung (31. 1. 1918), BayHStA MKr, Nr. 14025, fol. 14.
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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verfüge.“353 Der Leiter der Gruppe X der StAbt. III b betonte in einer weiteren Besprechung, dass der Januarstreik „offenbar von Petersburg aus inszeniert [wurde], alle Schlagworte werden erst [dort] von den Drahtziehern geprägt.“ Er verwies aber auch darauf, dass sich für den Januarstreik die „Ententepropaganda […] wohl nur wenig verantwortlich machen“ lassen würde.354 Streikende galten allgemein als Agenten des Auslandes und die „Vorstellung der ‚Verhetzung‘ durch gerissene Agitatoren“ wurde nach Boris Barth zum „Stereotyp.“355 Er betont zu Recht, dass der tatsächliche Einfluss von Hetzern und Agitatoren auf die Streikbewegung nur schwer zu bestimmen ist.356 Diese Rhetorik des Verrats griff bereits auf das Bild des Dolchstoßes zurück, den die Heimat angeblich gegen die Front führte.357 Angesichts der Streikbewegung hatte sich Ende April 1917 der Reichskanzler in einem offenen Brief gegen die Streikenden gewandt und ihr Verhalten als „ehrlos und treulos“ gebrandmarkt.358 Allerdings bediente sich diese Agitation gegen den inneren Feind im Deutschen Reich weit seltener der Anschuldigung der Spionage als in Großbritannien. Trotz einer Stigmatisierung der Streikenden im Deutschen Reich kam zu keiner Zeit wie in Großbritannien ein Schlagwort wie ‚Boloismus‘ auf, das tendenziell die gesamte Gesellschaft unter den Verdacht stellte, den Feind unmittelbar zu unterstützen. In Großbritannien hatte im Herbst 1917 die ausführliche Berichterstattung über einen französischen Spionagefall die Phantasie britischer Politiker wie Zeitungsleser gleichermaßen angeregt.359 Der Zeitungsbesitzer Paul Marie Bolo war im September 1917 verhaftet und beschuldigt worden, im Dienst des deutschen Nachrichtendienstes zu stehen.360 Nicht nur in Frankreich, sondern auch in Großbritannien wurde ‚Boloismus‘ zu einem Schlagwort, mit dem eine Anklage gegen Defätismus und Verrat verbunden wurde und das für die Forderung 353
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Protokoll einer Besprechung im Kriegsministerium mit Vertretern der StGKs über Ursachen des Streiks und Gegenmaßnahmen (20. 2. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 445, S. 1190. Monate nachdem im Herbst 1917 der deutsche Militärattaché in Bern von alliierten Plänen berichtet hatte, unter Einsatz großer Geldsummen die deutschen Dynastien zu stürzen, betonte das Kriegsministerium, dass die Meldung über diesen Plan „in ihren Einzelheiten stark übertrieben sei und wenig Glauben verdiene.“ PolAAA R 622, R 623. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 444, S. 1178–1179. Zur Gruppe X. S. Kap. IV.2. Barth, Dolchstoßlegenden, S. 41, 39. Ebd., S. 44. Nach Henning Köhler hatte die Unterstützung linker Organisationen durch den französischen Geheimdienst „keine erkennbaren Auswirkungen gezeitigt.“ Köhler, Beziehungen, S. 208. Bereits in der Einleitung wurde betont, dass trotz der Bedeutung der ‚Dolchstoßlegende‘ Spionage und Verrat während des Weltkrieges für das Deutsche Reich unzureichend untersucht wurden. Müller, Nation, S. 227–229. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 26. April 1917. Searle, Corruption, S. 259–260. Zu den Hintergründen des Falles Bolo in Frankreich s. Bavendamm, Spionage, S. 203–209, 214–215, 225, 297, 323–324.
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einer Reinigung der Politik stand. Im Oktober 1917 rief Lloyd George seine Landsleute dazu auf: „to look out for Boloism in all its shapes and forms. It is the latest and most formidable weapon in the German armoury.“361 Der Fall Bolo diente im letzten Jahr des Krieges sowohl als Vorwand für Razzien auf pazifistische Organisationen als auch für die Intensivierung der Überwachung durch die Special Branch. Doch die Frage nach den Bolos in Großbritannien – Anfang Oktober fragte z. B. die Daily Mail „Who is the British Bolo?“ – galt nicht nur dem Einfluss der Pazifisten. Zugleich bezweifelte sie die Bereitschaft der politischen und gesellschaftlichen Eliten, den Krieg siegreich zu beenden. Diese Mobilmachung der Heimatfront gegen den inneren Feind konnte auf bekannte Argumentationsmuster zurückgreifen. Vor allem die Frage der Internierung der in Großbritannien lebenden Deutschen und Deutschstämmigen war seit Beginn des Krieges Anlass nicht endender Anklagen gegen die Regierung. Verbunden mit diffusen Ängsten vor deutschen Spionen und Saboteuren, bildeten sich in Großbritannien Verbände und Vereine, die gegen den inneren Feind agitierten. Mit dem Schlagwort ‚Hidden Hand‘ wurden Ängste vor der Unterwanderung durch Deutsche und Deutschstämmige gebündelt.362 Eine Facette dieser Agitation waren die Behauptungen, in Großbritannien lebende Ausländer unterstützten die deutschen Kriegsanstrengungen, indem sie die britische Gesellschaft unterwanderten. Während des ganzen Jahres 1918 beobachteten Zuträger der Weekly Intelligence Summaries bleibende Verärgerung der Londonerinnen und Londoner über die in ihrer Stadt lebenden Ausländer. Ein Berichterstatter der Weekly Intelligence Summaries stellte Mitte April während der deutschen Offensive fest: „If the press would only listen and help those who are on the spot, a great deal may be accomplished to eradicate alien influences from slowly throttling us. We have to wage a war at home as well as in the field.“363 Hatte sich 1914 diese Empörung gegen dort lebende Deutsche gerichtet, so wandte sie sich nun im Zeichen zunehmender Fremdenfeindlichkeit vor allem gegen Belgier und Russen.364 Im Großraum London lebten etwa die Hälfte aller in Großbritannien lebenden Ausländer – fast die Hälfte davon waren Russen – von denen die meisten im Londoner East End wohnten.365 Konflikte zwischen einer nationalen und einer als national unzuverlässig geltenden Wohnbevölkerung sind in Berlin nicht gleichermaßen zu beobachten.366 361
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The Times,23. Oktober 1917. Catherine Slater geht davon aus, dass der Begriff erst über britische Zeitungen – geprägt durch Lloyd George – Eingang in die politische Sprache Frankreichs fand. Defeatists, S. 90, Anm. 11. Obwohl sich diese Vermutung nicht als stichhaltig erwies, prägte diese Vorstellung die Arbeit britischer Stellen wie M.I.5 und der Special Branch. S. Kap. IV.2. Weekly Intelligence Summary (London District) (15. 4. 1918), PRO AIR 560/826638. S. a. Kap. VI.1. Englander, Police, S. 105–106. Bei Ende des Krieges lebten etwa 300 000 Ausländer in Großbritannien. Im Folgenden werden nationale Minderheiten, wie Iren, Dänen, Polen, Elsässer und Lothringer, nicht weiter berücksichtigt, da ihre Wahrnehmung auf das Alltagsleben in Berlin – so-
VI.3. Wahrnehmung und Bekämpfung von Gerüchten
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Allerdings ist im Deutschen Reich in der Endphase des Krieges eine Zunahme des Antisemitismus zu beobachten. Ausländerinnen und Ausländer wurden im Deutschen Reich aber nie wie in Großbritannien Ziele xenophober Kampagnen von Politik und Presse. Dort war der ‚innere Feind‘ zeitweise das wichtigste Thema der innenpolitischen Auseinandersetzung.367 Während die offizielle britische Propaganda eher zurückhaltend mit den im Land lebenden Deutschen umging, unterschieden weite Teile der Presse nicht zwischen den Deutschen auf dem Schlachtfeld und den in Großbritannien Lebenden.368 Während des Ersten Weltkrieges war der Antisemitismus weder eine rein deutsche, noch eine im Deutschen Reich mit besonderer Radikalität vertretene Ideologie.369 In Großbritannien gewann antisemitisches Denken und Handeln durch Ausschreitungen vor allem in Leeds und London, die in dieser Form in Berlin nicht zu beobachten waren, eine eigene Qualität.370 In beiden Staaten diente die Zuwanderung osteuropäischer Juden der antisemitischen Propaganda als Zielscheibe. Mit übertriebenen Zahlen und ihrer Stilisierung zu einer nationalen Gefahr der Überfremdung wurden sie bereits vor 1914 zu Projektionsflächen der antisemitischen Agitation.371 Im Herbst 1917 kam es in London zu einer regelrechten Straßenschlacht zwischen mehreren Tausend osteuropäischen Juden und Briten – Auslöser war der Vorwurf, dass sich diese der Wehrpflicht entziehen würden. Damit waren Forderungen nach einer stärkeren Beteiligung von Juden am Wehrdienst verbunden. Die Zahl von Juden aus dem East End, die sich freiwillig meldeten, lagen deutlich unter denen der britischen Einwohner – für jüdische Polen, Ukrainer und Russen machte es allerdings nur wenig Sinn für einen Verbündeten des verhassten Zarenreiches in den Krieg zu ziehen.372 Im April 1917 berichtete die Special Branch: „the tension of feeling in the East End (is) due to the fact that Christians of British nationality and military age have been called to the colours while a large number of Aliens of military age of an almost exclusively Jewish Faith are still at large, are doing lucrative business and are annexing the trade and the goodwill of British subjects
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weit ermittelbar – weitgehend folgenlos blieb. Quellen zur polizeilichen Überwachung der während des Krieges in Berlin lebenden Polen fehlen, auch ist ihre Geschichte bislang eher am Rande untersucht worden. Aus den vorliegenden Angaben geht nicht hervor, ob sie stärker als vor dem Krieg Diskriminierungen oder antipolnischen Tendenzen ausgesetzt waren. Steinert, Berlin, S. 24, 240. Zur Geschichte der Berliner Polen während des Krieges s. ebd., S. 240–248. Allgemein zu nationalen Minderheiten s. Müller, Nation, S. 154–188; Jahr, Soldaten, S. 253–295. Panayi, Enemy, S. 3. Ebd., S. 3, 215, 217. Zur Internierung von feindlichen Ausländern im Deutschen Reich s. Jahr, Zivilisten als Kriegsgefangene; Stibbe, Community at War. Müller, Nation, S. 144. Im Folgenden erfolgt kein Vergleich von Antisemitismen, sondern es wird nur auf einige Charakteristika verwiesen. Holmes, Anti-Semitism, S. 128–131. Kimmel, Methoden, S. 88, 231–232. Ein Vergleich der Einwanderung osteuropäischer Juden vor 1914 nach Großbritannien und in das Deutsche Reich durch Hoffmann, Ostjuden. Bush, East London Jews, S. 148.
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conscripted.“373 Auf Druck der radikalen Rechten hatte die britische Regierung im Sommer 1917 mit der russischen Regierung eine Vereinbarung getroffen, die den eingewanderten osteuropäischen Juden die Wahl zwischen der Ausweisung und dem Wehrdienst in der britischen Armee ließ. Als Anfang 1918 nach dem Ausscheiden Russlands aus dem Krieg die Rekrutierung russischer Juden für die britische Armee eingestellt wurde, verstärkte dies antisemitische Vorurteile.374 Susanne Terwey betont aber, dass es irreführend wäre, in diesen Ausschreitungen ein Charakteristikum des britischen Antisemitismus vor und während des Ersten Weltkrieges zu sehen. Dieser habe sich vor allem gegen assimilierte Juden und ihren Einfluss in Wirtschaft, Finanzwelt, Parlament und Gesellschaft gerichtet.375 Über Wirkungen und Reichweite antisemitischer Propaganda fehlen vergleichende Untersuchungen.376 Benjamin Ziemann hat für das Deutsche Reich zum einen gezeigt, dass z. B. für einfache Soldaten der Antisemitismus kein vorrangiges Thema war. Offen ist, inwieweit die Bevölkerung den Vorgaben antisemitischer Propaganda folgte.377 Weiterhin fehlen vergleichende Untersuchungen zu der Konstruktion von Fremdheit, die sowohl Xenophobie als auch Antisemitismus berücksichtigen. Jean Louis Robert hat beobachtet, dass sich nur wenige Karikaturen in deutschen satirischen Zeitschriften antisemitischer Stereotype bedienten, und Armin Triebel verweist darauf, dass in den Stimmungsberichten des Berliner Polizeipräsidenten nur in wenigen Fällen ein Zusammenhang zwischen Versorgungsmängeln und jüdischen Bürgern hergestellt wurde.378 Zudem sind im Deutschen Reich keine gleichermaßen populären Stereotype zu beobachten, die wie in Großbritannien Juden und äußeren Feind gleichsetzten. In britischer Presse und Trivialliteratur wurden Deutsche und Juden bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit Spionage und Subversion gebracht. Vor dem Hintergrund von Invasionsängsten und der Suche nach deutschen Spionen wurde vor und während des Krieges eine besondere Nähe britischer Juden zum Deutschen Reich gemutmaßt.379 Viele der fiktiven Spione, die in populären britischen Spionageromanen ‚entlarvt‘ wurden, waren Juden.380 In Frankreich hatte die Figur des Spions seit der Niederlage von 1870/71 antisemitische und fremdenfeindliche Tendenzen gebündelt und diese auf den äußeren Feind projiziert. Von der extremen Rechten wurden Verschwö373 374 375 376 377
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Zit. n. Kushner, Jew and Non-Jew, S. 41. S. a. Englander, Police, S. 113–116. Bauerkämper, Die radikale Rechte, S. 123. Terwey, Stereotypical Bedfellows, S. 128. Kimmel, Methoden, S. 11–12. Ziemann, Front und Heimat, S. 268–269, 335–336. Einen Beitrag hierzu leistet Elke Kimmel mit ihren Überlegungen über den antisemitischen Witz. Kimmel, Methoden, S. 209–217. Bemerkenswert ist vor allem ihre Beobachtung, dass deren Zahl während des Krieges abnahm. Ebd., S. 217. S. a. Lipp, Meinungslenkung, S. 232–234. Alltagsantisemitische Äußerungen in der Feldpost britischer Soldaten waren nach Aribert Reimann die Ausnahme. Reimann, Der große Krieg, S. 203. Robert, Image, S. 128; Triebel, Gesellschaftsverfassung, S. 429. Terwey, Kabale; Terwey, Juden sind keine Deutschen. Ebd., S. 42.
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rungstheorien und Beschuldigungen nach dem Muster der Dreyfus-Affäre als Vorwurf der ‚espionnage juif-allemande‘ zum Leitmotiv einer Pressekampagne stilisiert.381 In Teilen der britischen politischen Publizistik – z. B. der einflussreichen konservativen National Review – wurden Deutsche und Juden gleichgesetzt und verwuchsen zu einem „einzigen überwölbenden Feindbild.“382 Im Verlauf des Krieges gewann der Antisemitismus im Deutschen Reich zweifellos an Einfluss.383 Allerdings ist einerseits zu unterscheiden zwischen einer Intensivierung des Antisemitismus im Kontext der Kriegsnationalismen und den vielfach verstärkten Prozessen von Inklusion und Exklusion, die zwischen 1914 und 1918 in allen kriegführenden Staaten zu beobachten sind.384 Einen deutschen Sonderfall stellt die so genannte ‚Judenzählung‘ dar, die Prüfung der Anzahl jüdischer Soldaten durch das Kriegsministerium 1916 auf Druck u. a. der Alldeutschen. Dieses Nachgeben des Militärs gegenüber antisemitischen Unterstellungen, dass sich Juden vor dem Einsatz an der Front drücken würden, führte damit zu einer bis dahin unbekannten Form staatlicher Diskriminierung der jüdischen Deutschen – nicht zuletzt, weil die Ergebnisse der Zählung nicht veröffentlicht wurden.385 Die Bedeutung der ‚Judenzählung‘ lässt sich aber nur bedingt an ihrem parlamentarischen Nachspiel oder den Reaktionen der Presse ablesen. Denn dort fand sie – von der Empörung jüdischer Verbände abgesehen – kaum Niederschlag.386 Elke Kimmel hat gezeigt, dass die Rahmenbedingungen politischer Kommunikation – Zensur und der Burgfriede – dazu führten, dass antisemitische Propaganda weniger offen als verdeckt geäußert wurde. Allerdings geschah dies durch Umschreibungen, die für die Leserschaft leicht durchschaubar waren.387 In Großbritannien verstärkten politische Konzessionen der Regierung an die radikale Rechte deren Einfluss auf die britische Politik.388 Weit verbreitete Ängste vor Fremden, Spionen und der Revolution trugen während des Krieges zu einer Stärkung der äußersten Rechten bei. Dies begünstigte eine Radikalisierung 381
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Zur Verbindung von Spionen und Deutschen in Frankreich s. Bavendamm, Spionage, S. 16–18. Es fehlen sowohl Arbeiten über eine Popularisierung des Spions im Deutschen Reich vor 1914 und während des Krieges durch Romane, Theaterstücke etc., als auch Studien, die in diesem Kontext die Rolle von Antisemitismen bewerten. Altenhöner, Spionitis, S. 82. Müller, Nation, S. 143; Panayi, Enemy, S. 163. S. Kap. V.4.1. S. a. Terwey, Kabale, S. 487–489. S. a. Reimann, Der große Krieg, S. 206–207. Über die Entwicklung des Antisemitismus während des Ersten Weltkrieges liegen vor allem Arbeiten zur ‚Judenzählung‘ vor. Kimmel, Methoden, S. 11–12. Allgemein zur Kontinuität des deutschen Antisemitismus s. Volkow, Kontinuität. Bergmann und Wetzel, Antisemitismus; Müller, Nation, S. 140–148. Eine abschließende Diskussion kann hier nicht geleistet werden. Allgemein zu Prozessen von Inklusion und Exklusion s. Panayi, Dominant Societies. Zum Antisemitismus in den beiden Nachkriegsgesellschaften s. Thorns, Judentum. Zur ‚Judenzählung‘ s. zusammenfassend: Bergmann und Wetzel, Antisemitismus, S. 443. Neben der ‚Judenzählung‘ ging auch die Verhängung einer Grenzsperre für Ostjuden auf Einflussnahmen der radikalen Rechten zurück. Kimmel, Methoden, S. 237. Ebd., S. 237. Zu antisemitischen Gerüchten s. Kap. IV.2. Bauerkämper, Die radikale Rechte, S. 106.
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der Propaganda gegen Juden und in Großbritannien lebenden Deutsche, Deutschstämmige und andere Ausländer. Diese Ängste wurden von einer Vielzahl von rechten Organisationen geschürt. Der Erfolg dieser Unterstellungen ist auch durch ihre Anschlussfähigkeit an die vor 1914 verbreitete Propaganda der Rechten zu erklären. Der Korruptionsverdacht gegen Regierungsmitglieder bei der Ernennung von Mitgliedern des Oberhauses, bei der Vergabe eines Auftrages an die Marconi-Gesellschaft – unter den Beschuldigten war Schatzkanzler Lloyd George – und beim Kauf von Silber, um indische Münzen zu prägen, gab Verschwörungstheorien Auftrieb.389 Forderungen nach einer Selbstreinigung der Gesellschaft trugen zu einem xenophoben Klima bei und heizten die Stimmung gegen Ausländer an. Verschwörungstheorien fanden so massenmediale Verbreitung und die Zustimmung politischer und gesellschaftlicher Eliten. Haltlose Anschuldigungen und Verdächtigungen wurden auf den Titelseiten der Tagespresse wiedergegeben. Zu den Politikern der radikalen Rechten zählte auch Noel Pemberton Billing, während des Krieges eine der schillerndsten Persönlichkeiten Großbritanniens. Er hatte 1916 eine Nachwahl als parteiloser Kandidat mit dem einzigen Versprechen gewonnen, für einen offensiven Luftkrieg einzutreten. Im weiteren Verlauf wurde er zudem ein lautstarker Warner vor dem angeblich noch immer starken deutschen Einfluss in Großbritannien.390 Im Mai 1917 gründete er mit den ‚Vigilants‘ eine eigene Partei.391 Ihren Kandidaten gelang es bei mehreren Nachwahlen nicht, weitere Sitze zu gewinnen – dennoch errangen sie bemerkenswerte Achtungserfolge. Obwohl Pemberton Billing mit dem Imperialist – Anfang 1918 umbenannt in Vigilant – eine eigene Zeitschrift herausgab, schlug der Versuch fehl, die ‚Vigilants‘ zu einer Massenorganisation auszubauen. Im Juni 1917 zählten sie nicht, wie geplant 100 000 Mitglieder, sondern nur 800. Kaum ein einzelnes Ereignis des Krieges verdeutlicht spezifisch britische Perspektiven auf den inneren Feind deutlicher als das Verleumdungsverfahren gegen Pemberton Billing im Frühjahr 1918.392 Er behauptete Anfang 1918, über ein geheimes Buch zu verfügen („black book“), in dem die Namen von 47 000 deutschen Agenten in Großbritannien enthalten seien. Zu ihnen zählten angeblich Mitglieder des geheimen Staatsrates (‚Privy Council‘) ebenso wie Minister und ihre Ehefrauen, Diplomaten, Dichter, Bankiers, Herausgeber, Personen aus dem engeren Umfeld des Königs. Alle seien nicht nur Verräter, sondern auch sexuell abartig. Hatten diese Feststellungen anfänglich keine weitere öffentliche Beachtung gefunden, so änderte sich dies, nachdem er eine Schauspielerin beschuldigt hatte, lesbisch zu sein. Maude Allan, eine der erfolgreichsten und
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Ebd., S. 82– 87. Hinweise zur Biographie bei: Searle, Corruption, S. 255–268. Panayi, Enemy, S. 209–212. Müller, Nation, S. 148–154; Panayi, Enemy, S. 176–181, Hayward, Myths and Legends, S. 159–175; Bland, Trial; Hoare, Wilde’s Last Stand; Walkowitz, Vision; Medd, Cult; Travis, Clits in Court; Urbach, Das schwarze Buch.
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populärsten Tänzerinnen ihrer Zeit, strengte in der Folge ein Verleumdungsverfahren gegen ihn an. Mit diesem Prozess gelangten seine Anschuldigungen aus dem Umfeld der Presse des rechten Spektrums in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Die skandalträchtigen Enthüllungen Pemberton Billings appellierten an britische Degenerationsängste, Vorstellungen von der Allmacht der deutschen Spionage, Korruption in den höchsten Gesellschaftskreisen und ein von der Gräuelpropaganda geprägtes Bild von Deutschen, die zu jeder Abartigkeit, List und Grausamkeit bereit schienen. Pemberton Billing bündelte viele dieser Ängste, erhob konkrete Vorwürfe und benannte Schuldige. Vor dem Hintergrund des für die britische Armee katastrophalen Kriegsverlaufes gewannen die Beschuldigungen im Frühjahr 1918 an Glaubwürdigkeit – schlossen sie doch an bereits bestehende Vorstellungen von der Allmacht der ‚Hidden Hand‘, der im Verborgenen wirkenden Verschwörung der von deutschen Spionen unterstützten in Großbritannien lebenden Deutschen, an. Bereits im April 1918 hatte ein Zuträger der Weekly Intelligence Summaries festgestellt: „One hesitates to refer in an official document to the ‚Hidden Hand‘ but it is impossible to ignore the fact that even in the fourth year of the War large numbers of persons adhere to the belief that enemy agents are sheltering themselves behind persons of influence and working in the interests of our adversaries.“393 In der Aufmerksamkeit und der Aufregung, die das Verfahren verursacht hatte, spiegelte sich auch die Empörung über die durch den Krieg verschärften gesellschaftlichen Ungleichheiten wieder. In einer Zeit, in der von allen Opfer verlangt wurden, saß die bessere Gesellschaft und ihr Lebenswandel auf einer unsichtbaren Anklagebank. So kommentierte die Times – die das Verfahren an sich für einen Skandal hielt – den Freispruch Pemberton Billings mit dem Verweis auf die ehrliche britische Abscheu für die ganze Angelegenheit. Ausdrücklich wurde betont, dass in der Vergangenheit zu nachsichtig mit der laxen Moral der Oberschicht umgegangen worden wäre.394 Das Verleumdungsverfahren gegen Pemberton Billing begann am 29. Mai und dauerte bis zum 4. Juni. Ihm gelang es, den Prozess zu seinen Gunsten zu nutzen und in eine öffentliche Anklage der von ihm festgestellten Missstände zu verwandeln. Unter anderem beschuldigte er sogar den Richter, selbst einer der 47 000 Perversen zu sein. Obwohl sich während des Verfahrens herausstellte, dass das ominöse „black book“ nicht vorlag – eine Zeugin wollte es lediglich kurz in einem Hotel gesehen haben – wurden unzählige Namen angeblicher deutscher Agenten genannt, darunter der ehemalige Premierminister Asquith,
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Weekly Intelligence Summary (London District) (22. 4. 1918), PRO AIR 560/826638. Ein anderer Zuträger zog gleichzeitig den gegenteiligen Schluss, dass Beweise für die Existenz der ‚Hidden Hand‘ nur schwierig beizubringen wären – ihr Einfluss aber z. B. in Russland offensichtlich und daher auch in Großbritannien zu fürchten wäre. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 560/826638. The Times, 5. Juni 1918.
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seine Frau Margot, der frühere Kriegsminister Lord Haldane – und der das Verfahren leitende Richter. Am Ende des Prozesses stand ein Freispruch des Beklagten. Der Großteil der Presse zeigte sich entsetzt über Verlauf und Ausgang des Verfahrens – vor allem die liberale Presse beklagte, dass weniger feindliche Agenten als die eigene Skandalpresse der Rechten eine tödliche Gefahr für Großbritannien darstellten. Zwar distanzierten sich die meisten Zeitungen von den Anschuldigungen Pemberton Billings, setzten ihre xenophoben Kampagnen, die die gleichen Vorurteile ansprachen, aber fort. Vor dem Hintergrund einer Ende Mai beginnenden neuen deutschen Offensive hatten Anschuldigungen einer im Lande wirkenden deutschen Subversion noch einmal neuen Auftrieb erhalten. Entsprechende Verdächtigungen wurden in vielen Zeitungen geäußert. Die Möglichkeit einer militärischen Niederlage förderte „eine dichotome, feindfixierte Wahrnehmung der Umwelt und bereitete einer extrem nationalistisch verzerrten Deutung des öffentlichen und privaten Lebens Bahn.“395 Zwischen Mitte Juni und Ende August 1918 erreichte die Feindschaft gegen in Großbritannien lebende Deutsche schließlich ihren Höhepunkt.396 Am 23. Juli 1918 fand auf dem Trafalgar Square die größte Demonstration seit Beginn des Krieges statt. Sie richtete sich gegen in Großbritannien lebende Ausländer. Ende August übergaben 70 000 Demonstranten am Sitz des Premierministers eine ‚Monster-Petition‘ mit über einer Million Unterschriften.397 Für die britische Handhabung der Zensur ist bezeichnend, dass über das Verfahren gegen Pemberton Billing eine freie Berichterstattung erlaubt war. Im War Cabinet wurde zwar erwogen, die Berichterstattung des Verfahrens zu zensieren oder es zumindest unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Ersteres erwies sich rechtlich nicht durchführbar, letzteres barg die Gefahr: „the suspicion and talk which would have arisen outside the Court, relative to what had been suppressed, would have been endless.“398 Die Zurückhaltung der Zensur ist somit weniger durch liberale Überzeugungen als durch die Überlegung zu begründen, einerseits das nationale Lager nicht zu verschrecken und andererseits dem drohenden Misstrauen der Bevölkerung zu begegnen. Denn in einem dermaßen aufgeladenen Klima hätten Zensurmaßnahmen nur neue Verdächtigungen herausgefordert.399 395 396 397 398
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Müller, Nation, S. 148. Panayi, Enemy, S. 216. Wilson, Myriad Faces, S. 643. PRO CAB 23/6/425 (4. 6. 1918). S. a. Searle, Corruption, S. 267–268. Für die Behauptung, dass Pemberton Billing von der konservativen Morning Post 5 000 Pfund erhalten hätte und dass ihr Herausgeber gemeinsam mit dem Militärexperten der Zeitung Repington und den Generälen Robertson und Maurice an einer Verschwörung beteiligt gewesen wären, um die Regierung zu diskreditieren, fehlen Belege. Wilson (Hrsg.), Rasp of War, S. 293, Anm. 1. , Es ist davon auszugehen, dass in gleicher Schärfe vorgetragene Angriffe von Sozialisten und Pazifisten auf die britische Gesellschaft zu langen Haftstrafen geführt hätten. So: Wilson, Myriad Faces, S. 642.
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Cynthia Asquith, Schwiegertochter des ehemaligen Premierministers, kommentierte den Prozess in ihrem Tagebuch: „The cruel thing is that, to the public mind, the mere suggestion of such things is the same as though they were proved. […] One can’t imagine a more undignified paragraph in English history: at this juncture, that three-quarters of The Times should be taken up with such a farrago of nonsense!“400 Ein Freund bemerkte ihr gegenüber: „rumours of what came to us as fantastic shock had been rife in the mind of the public for years.“401 Nach dem Freispruch notierte Asquith: „It is such an awful triumph for the ‚unreasonable‘, such a tonic to the microbe of suspicion which is spreading through the country, and such a stab in the back to people from such attacks owing to their best and not their worst points.“402 Bemerkenswerterweise unterschieden sich die über den Fall verbreiteten zahlreichen Gerüchte nicht wesentlich von der Berichterstattung der Zeitungen. Im Gegensatz dazu wurde in Berlin versucht, mit dem Instrument der Pressezensur gesellschaftliche Probleme zu verschweigen und sie der Bevölkerung vorzuenthalten. Es wäre falsch anzunehmen, dass in London keine Gerüchte verbreitet waren. Aber dort erreichten weder ihre Kommunikation noch Maßnahmen dagegen die gleiche Intensität wie in Berlin. So ist zwar z. B. im Vorfeld und während der deutschen Frühjahrsoffensive eine erhöhte Sensibilität der Zuträger der Weekly Intelligence Summaries für unkontrollierbares Gerede und Gerüchte zu beobachten. Doch resultierten daraus – mit Ausnahme der intensivierten Postüberwachung – weder Gegenmaßnahmen wie im Deutschen Reich, noch beeinflussten sie den Verlauf der Ereignisse.403 Allein im Kontext der Luftangriffe entwickelten britische Stellen ein Bewusstsein für die Gefahren eines auf Gerüchte zurückzuführenden inneren Zusammenbruches. Auch wurde nur gelegentlich – wie in einer Karikatur des Daily Graphic – in britischen Zeitungen darauf hingewiesen, dass Gerüchte gezielt durch den Feind gestreut werden könnten. In der Karikatur wird ein in Großbritannien lebender Deutscher als willentlicher Urheber eines Gerüchtes dargestellt, der eine große Zahl von Briten verunsichert.404 Wie sind nun diese unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung von Gerüchten zu erklären? Sven Oliver Müller hat die „extreme Feindfixierung“ betont, die in beiden Staaten die politischen Diskurse charakterisierte und auf die Ubiquität von Nationalismus und Feindbestimmung verwiesen.405 Für die Ausbildung von Vorstellungen des inneren Feindes war die semantische, ideolo400 401
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Asquith, Diaries, S. 445 (2. 6. 1918). Ebd., S. 447 (4. 6. 1918). Margot Asquith beschuldigte die Regierung Lloyd George, sie zu bespitzeln und hinter den Anschuldigungen zu stehen. Asquith, Diaries, S. 446 (3. 6. 1918). Die Ehefrau des ehemaligen Premierministers war eine Zielscheibe der Verdächtigungen Pemberton Billings. Searle, Corruption, S. 260, Anm. 84. Asquith, Diaries, S. 447–448 (4. 6. 1918). Zur Postüberwachung s. Kap. IV.2. und VI.2.2. Daily Graphic, 14. Juli 1917. Müller, Nation, S. 216.
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gische, aber auch institutionelle „Verlagerung der Heimatfront […] in die Nähe der militärischen Front“ konstitutiv, die „jeden Zivilisten wenigstens implizit militärischer Disziplin“ unterstellte und „keine legitime Alternative zum staatlichen Gehorsam zuließ.“406 Aribert Reimann hat die „Angleichung der Heimatgesellschaft an die Wahrnehmungs- und Verhaltensnormen des militärischen Lebensraumes an der Front“ betont, die in die „Leitvision des totalen Krieges durch eine totale Militarisierung auch im Inneren“ mündete.407 Diese Semantik militärischen Gehorsams war Voraussetzung für die Idee des Dolchstoßes, die nach Müller während des Krieges in Großbritannien „ebenso weit verbreitet“ war wie im Deutschen Reich.408 Eine Karikatur des Punch warnte im Herbst 1918 vor der Gefahr eines Dolchstoßes in den Rücken der Frontsoldaten: Ein Arbeiter, der in der einen Hand ein Streikmanifest und in der anderen einen Dolch hält, nähert sich in geduckter Haltung von hinten einem feindwärts stehenden Frontsoldaten und droht, ihn zu erstechen.409 Aribert Reimann hat ausdrücklich betont, dass dieser Topos „mitnichten eine deutsche Spezialität“ gewesen war und eine vergleichende Untersuchung der ‚Dolchstoß‘-Semantik in den verschiedenen kriegführenden Ländern angemahnt.410 In beiden untersuchten Staaten übertrieben und überzeichneten Gerüchte gesellschaftliche Konflikte und Ungleichheiten.411 Aber allein im Deutschen Reich nahmen Gerüchte auch in der behördlichen Aufsicht auf die eigene Gesellschaft eine prominente Rolle ein. In Großbritannien waren vor allem tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen und Risiken in das Visier des Staates geraten. Im Deutschen Reich dagegen versuchte der Staat einen weitaus allgemeineren Kontrollanspruch durchzusetzen. Ungleich stärker als in Großbritannien wurde die innere Sicherheit nicht allein durch Bedrohungen von Außen, sondern auch durch die Sorge um Disziplin und Willensstärke der Zivilisten bestimmt. Je entscheidender der kollektive Wille für den Triumph der Nation über ihre Feinde angesehen wurde, desto wichtiger wurde auch der Wille des Einzelnen. Nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat waren die Nerven „zum entscheidenden Kriterium des Durchhaltewillens“ geworden.412 Die Angst vor einem Versagen der Heimat im Deutschen Reich entsprach in auffälliger Weise der Überbetonung des Willens der Frontsoldaten durch die OHL. Diese sollten un-
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Ebd., S. 228. Reimann, Der große Krieg, S. 126–127. Müller, Nation, S. 244; Reimann, Der große Krieg, S. 200. Zusammenfassend zur Dolchstoßlegende in Deutschland s. Barth, Dolchstoßlegenden. Zum Verhältnis von Front und Heimat in der Endphase des Krieges im Deutschen Reich s. Lipp, Meinungslenkung. Lipp warnt davor, generell von einer Entfremdung auszugehen und betont die Unterscheidung von soldatischen Erfahrungen und offiziellen Deutungen. ‚The Traitor’, in: Punch, Nr. 4030 (2. 10. 1918), S. 216. Abgebildet in Demm (Hrsg.), Der erste Weltkrieg, S. 143. Reimann, Mentalität, 240. S. Kap. VI.1. Reimann, Der große Krieg, S. 42.
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Abb. 7: Mit dem Streikmanifest in der einen und dem Dolch in der anderen Hand: Der Verräter droht dem ahnungslosen britischen Soldaten in den Rücken zu fallen. Punch, 2. 10. 1918
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ter Überschätzung ihrer Kampfkraft nach der Frühjahrsoffensive 1918 ihren zahlenmässig überlegenen Feind Kraft ihres Willens überwinden.413 Gerüchte wurden als eine Bedrohung dieses Willens angesehen. Anders als in Großbritannien geriet die gesamte Gesellschaft in den Verdacht potentiellen Versagens. Je weniger Vertrauen deutsche Behörden in der eigenen Gesellschaft voraussetzen konnten, desto stärker nahmen sie diese in Kategorien von Feindschaft wahr. Alle, die mit unscheinbaren Alltagsäußerungen das siegreiche Ende des Krieges vermeintlich in Frage stellten, galten nun als eine Bedrohung der Nation. Zu betonen ist allerdings, dass in beiden Staaten die für die innere Sicherheit zuständigen Behörden dazu neigten, in jeder Form der unkontrollierten Kommunikation riskante Kommunikation zu erkennen. Allerdings ging dies nur im Deutschen Reich so weit, dass auch Alltagskommunikation allgemein als eine potentielle Bedrohung der Kriegsanstrengungen gesehen wurde. Diese Hypersensibilität der Behörden ist vor dem Hintergrund eines überaus feindfixierten gesellschaftlichen Klimas zu verstehen. Nach Aribert Reimann unterschieden im Deutschen Reich und in Großbritannien zwei Faktoren die „Visionen von der inneren Feindschaft.“ In beiden Ländern wurde staatliches Handeln an der jeweiligen Fähigkeit bemessen, die Härten des Krieges gerecht zu verteilen, und auch gesellschaftliche Wahrnehmungen waren stark durch Gerechtigkeitspostulate geprägt. Aber angesichts der ungleich schwereren Versorgungskrisen entstand im Deutschen Reich ein Protestpotential, das entscheidend zur Desintegration und Delegitimierung der gesellschaftlichen Ordnung beitrug.414 Im Deutschen Reich zerfiel seit Kriegsmitte auch der Anschein eines alle Parteien übergreifenden, die gesamte Gesellschaft umspannenden nationalen Konsenses. Dies verdeutlichen nicht zuletzt die oben geschilderten Gerüchte über Hindenburg. Unter den Anforderungen des totalen Krieges erwiesen sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konflikte als nicht lösbar und das Integrations- und Inklusionsversprechen des Burgfriedens als brüchig. Zudem wies die innenpolitische Landschaft weder Milieus übergreifende Konsenspotentiale auf, noch standen die zerstrittenen Parteien, wie in Großbritannien, in der politischen Verantwortung.415 Mit Verweis auf die Vaterlandspartei und die durch ihre Gründung 1917 hervorgerufenen Polarisierungen betont Reimann, dass sich in der britischen Tagespresse „eine derartige fundamentale Desintegration der veröffentlichten politischen Semantik nicht beobachten“ lässt.416 Anders als im Deutschen Reich gelang in Großbritannien „eine diskursive Integration“ der Mitte – nicht zuletzt durch die Konstruktion eines nationalen Konsenses, der innere Spannungen auf oppositionelle Randgruppen und Ausländer ableitete.417 Ein gleichermaßen einheitliches Feindbild ist im Deut413 414 415 416 417
S. Kap. VI.5. S. Kap. VI.1. Reimann, Der große Krieg, S. 209–210. Ebd., S. 205. Ebd., S. 209.
VI.4. Die Novemberrevolution als Kommunikationsereignis
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schen Reich nicht zu erkennen. Nach Stefan Bruendel „verhinderte die Identifizierung des ‚inneren Feindes‘ in der zweiten Kriegshälfte die Konstruktion eines einheitlichen Selbstbildes.“418 Welche Dynamik in den letzten Wochen des Krieges Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrisen im Deutschen Reich entwickelten und welche Rolle informeller Kommunikation dabei zukam, zeigt das folgende Kapitel.
VI.4. Die Novemberrevolution als Kommunikationsereignis In der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober verhinderten Befehlsverweigerungen das Auslaufen der vor Wilhelmshaven liegenden Schiffe der deutschen Hochseeflotte. Auslöser waren unter den Besatzungen umlaufende Gerüchte, dass die Flotte angesichts der laufenden Waffenstillstandsverhandlungen mit einem letzten Auslaufen eine verzweifelte Entscheidungsschlacht suchen sollte. Diese Behauptungen hatten einen wahren Kern: Hinter dem Rücken von Monarch, Regierung und Parlament hatte die Seekriegsleitung Ende Oktober eine militärisch sinnlose Todesfahrt befohlen.419 Nachdem die ‚Rädelsführer‘ der Unruhen verhaftet und nach Kiel transportiert worden waren, verzichtete die Marineführung auf das geplante Unternehmen und war überzeugt, die Lage unter Kontrolle zu haben. Am 3. November kam es in Kiel jedoch zu Zusammenstössen und Sympathiestreiks von Arbeitern. Der Marine gelang es in den folgenden Tagen nicht mehr, der Unruhen Herr zu werden und am 5. und 6. griffen diese auf andere Städte, darunter auch Hamburg, über. Obwohl Revolutionen allgemein immer auch als Kommunikations- und Medienereignisse gelten, wurde diesen Aspekten in Darstellungen der Revolution von 1918/19 nur ein geringer Stellenwert eingeräumt.420 Die sich aus der Matrosenrevolte entwickelnde Revolution war kein einheitliches, sich über das gesamte Reich erstreckendes Ereignis, sondern eine Aneinanderreihung lokaler Episoden, denen eine nationale Öffentlichkeit durch die Zensur verwehrt wurde. Daher prägten weniger Zeitungen die Berichterstattung den Ablauf des Geschehens, sondern Flugblätter, Versammlungsöffentlichkeiten und personale Kommunikation. Letzterer kam in Berlin bei der Ausbreitung der Revolte, ihrem Umschlagen in eine revolutionäre Situation und dem Zerfall der bestehenden Ordnung eine erhebliche Bedeutung zu. Die Zensur hatte verhindert, dass die Berliner Zeitungen weder über die Ereignisse an Bord der Kriegsschiffe, noch über das Geschehen in Kiel berichteten. Nachrichten aus den Küstenstädten erreichten die Hauptstadt daher zu418 419 420
Bruendel, Volksgemeinschaft, S. 215. Zur Diskussion um die Entscheidung der Seekriegsleitung: Deist, Politik; Hill, Signal; Gross, Frage der Ehre; Afflerbach, Mit wehender Fahne. Requate, Medien, S. 17, 27.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
nächst nur von Mund zu Mund.421 In der Hauptstadt, aus der in dem angespannten innenpolitischen Klima die entscheidenden politischen Ereignisse erwartet wurden, blieb es zunächst ruhig. Aber in einer von Verunsicherung und Ungewissheit geprägten Atmosphäre griffen seit den ersten Novembertagen Revolutionsängste und die zögerliche Berichterstattung über die sich an der Küste ausbreitende Matrosenrevolte ineinander. Über deren allmähliches Bekanntwerden geben die Tagebücher des Chefredakteurs des Berliner Tageblatts Auskunft. Bereits am 3. November wusste Wolff: „In Kiel bei der Flotte sollen Unruhen ausgebrochen, d.[ie] Situation soll dort sehr ernst sein.“422 Nachdem er zwei Tage später beklagt hatte, dass die Zensur „alle Nachrichten über Kiel unterdrückte, stellte er am 6. November fest: „Man spricht von nichts anderem, obgleich die Zeitungen höchstens Andeutungen bringen dürfen.“423 Am 5. November hatten Berliner Zeitungen kurz über die Ereignisse berichtet, dabei allerdings nur Artikel Kieler Zeitungen wiedergegeben.424 Einen Tag später bedauerte das Berliner Tageblatt, dass über die „Vorgänge und die Lage in Kiel kein amtlicher Bericht herausgegeben wird, während Blätter, die außerhalb Berlins erscheinen, imstande sind, ausführliche Darstellungen zu veröffentlichen.“425 Den Leserinnen und Lesern wurde die Mangelhaftigkeit der Berichterstattung somit nicht allein durch die eigene Auseinandersetzung mit dem Gedruckten und dem Abgleich mit Hörensagen vor Augen geführt, sondern auch durch die Zeitungen ausdrücklich bestätigt. Nachdem bei der Niederschlagung des Januarstreiks die harten Maßnahmen– darunter auch das rigorose Eingreifen der Zensur – als Erfolg gewertet worden waren, boten die Unruhen dem OKM nun Gelegenheit, die ‚bewährten‘ Rezepte wieder zur Anwendung zu bringen. Am 4. November hatte die OZ die bestehende Zensurbestimmung wiederholt, dass alle Nachrichten über Demonstrationen und Straßenunruhen der Vorzensur unterlagen. In der Pressebesprechung erhielten die Journalisten am 5. und 6. November Informationen über die Ereignisse in Kiel, durften diese aber nicht veröffentlichen.426 Da es nicht gelang, alle Informationskanäle zu verschließen, scheiterten Versuche, Berichte über die Ereignisse aus Berlin fernzuhalten. Als z. B. am Abend des 5. November mit dem Abendzug Hamburger Zeitungen in Berlin eintrafen, fanden 421 422 423 424
425
426
Müller, November-Revolution, S. 24, 26 f; Bernstein, Revolution, S. 45. Wolff, Tagebücher, Bd. 2, S. 643. Ebd., S. 644 (5. 11. 1918). Vorwärts 305, 5. November 1918; Berliner Tageblatt 566, 5. November 1918. Einige Zeitungen berichteten erst am folgenden Tag. u. a. die Vossische Zeitung 567, 6. November 1918; Berliner Tageblatt 308, 6. November 1918; Deutsche Tageszeitung 565, 6. November 1918. Berliner Tageblatt 568, 6. November 1918. S. a. „An der Wasserkante haben sich Ereignisse abgespielt, die in aller Welt Munde sind, wenn auch noch ein zusammenhängender, erschöpfender Bericht fehlt.“ Vorwärts 307, 7. November 1918. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 505, S. 1376, Anm. 12.
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sie stürmische Nachfrage.427 Da eine Einheitlichkeit der Zensur im Reich nicht gegeben war, konnten nicht allein die Hamburger Presse, sondern auch die Zeitungen anderer Städte über das Geschehen weitaus freier als die Berliner Zeitungen berichten.428 So wusste „jedermann in Berlin“ aus Zeitungen anderer Städte, was sich in Kiel ereignet hatte – obwohl den Berliner Zeitungen „strenge Schweigepflicht“ auferlegt worden war.429 Nach Ansicht vieler an der Pressebesprechung teilnehmender Journalisten erwies sich die Arbeit der Zensur als ungeeignet, die Unruhen einzudämmen. In der Pressebesprechung am 8. November drohte Hellmut von Gerlach, Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung Welt am Montag, dem OKM die Aufkündigung der Presse an, Zensuranweisungen überhaupt zu befolgen.430 Kritik über die Berichterstattung wurde aber auch in den Zeitungen selbst geäußert. So beklagte z. B. der Vorwärts den „Maulkorb“, den das OKM der Berliner Presse umgebunden hätte: „sie muß schweigen über das, was tatsächlich seit Tagen in aller Munde ist.“431 Entscheidend ist hierbei nicht die Frage, ob die Berichterstattung über die Revolte vollständig und authentisch war, sondern ob sie auch so wahrgenommen wurde. Die in den Zeitungen veröffentlichten Aussagen über das Arbeiten der Zensur zeigen, dass die Leserschaft von Eingriffen der Zensur ausgehen konnte. Die Zensur trug somit unmittelbar dazu bei, dass Anfang November in Berlin eine Atmosphäre des Misstrauens, der Verunsicherung und Neugierde entstand. Mit allen Mitteln versuchte das OKM, sowohl Revolutionäre als auch Nachrichten über die Unruhen, aus Berlin fernzuhalten. So wurde allen Angehörigen von Armee und Marine aus dem Bereich des StGK IX. AK – zu dessen Korpsbezirk Kiel gehörte – mit Ausnahme der Offiziere, das Betreten der Stadt verboten. An den nach Berlin führenden Bahnlinien wurden Sperren errichtet und alle Züge dort zum Halten gezwungen. Bereits zuvor waren die Bahnhofswachen in Berlin verstärkt worden, um nach Berlin kommende Matrosen zu überprüfen und Verdächtige zu verhaften. Die Matrosen im Straßenbild waren ein offensichtliches Indiz für die Auflösung militärischer Disziplin und sichtbare Bestätigung ungesicherter Nachrichten über die Vorgänge in der Marine. Am Abend des 8. November trat um 23:00 mit der Unterbindung des privaten Telefon- und Telegrammverkehrs die vom OKM befohlene Abschottung Berlins in Kraft.432 427 428 429 430 431
432
Hanssen, Diary, S. 341 (5. 11. 1918). Zur Zersplitterung der Zensur durch die Militärbefehlshaber s. Kap. III.1.1. Protokoll der Pressbesprechung (6. 11. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 505, S. 1376. Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), ebd., Nr. 510, S. 1389. Vorwärts 308, 8. November 1918. Eine genaue Bewertung der Tätigkeit der Zensurabteilung des OKM ist nur anhand der Berichterstattung der Zeitungen selbst und der Protokolle der Pressebesprechungen möglich, der mündliche und schriftliche Verkehr mit den Redaktionen ist nicht überliefert. Dem letzten Verbot des OKM gegen eine größere Tageszeitung unterlag am 13. 10. 1918 die Deutsche Zeitung wegen eines Artikels über den Kaiser. BA R 1501, Nr. 112278, fol. 337, 347. Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 510, S. 1386.
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Nach Ansicht des Chefredakteurs der Vossischen Zeitung, Georg Bernhard, sorgte die Informationspolitik des OKM für die „tollsten Gerüchte.“433 Ein weiterer Journalist bestätigte, dass die Maßnahmen des OKM „sehr große Beunruhigung und sehr große Unsicherheit in der Bevölkerung“ verursacht hatte.434 Die Leipziger Volkszeitung beobachtete, dass mit der Abschottung der Stadt „die Gerüchte um so üppiger aus dem Boden [sprossen], und jeder der irgendeine Neuigkeit vortrug, mochte sie auch noch so unwahrscheinlich klingen, fand aufmerksame Zuhörer.“435 In diesen kritischen Tagen sprach das OKM kein Verbot aus, Gerüchte zu verbreiten. Dies ist weniger ein Hinweis darauf, dass Gerüchte nicht mit großer Intensität kommuniziert wurden, sondern vermutlich, dass das OKM zu der Einsicht gekommen war, dass sich ein Verbot als kontraproduktiv erweisen würde. Der Protest von Presse und Politik gegen die Bekanntmachung vom 4. September hatte gezeigt, dass ein solches Vorgehen aufreizend wirkte und in der angespannten Lage zu deren Verschärfung beigetragen hätte.436 Offiziere des StGKs des Gardekorps arbeiteten seit August 1918 an einem Gesamtkonzept zur Unterdrückung von Unruhen in Groß-Berlin.437 Zu diesem Zweck standen in und um Berlin, das neben Köln größte Garnisonsstadt des Reiches war, mit 60 000 Soldaten Truppen in beträchtlicher Stärke.438 Trotz aller Vorbereitungen erwiesen sich diese dem Ernstfall nicht gewachsen. Ihre ineffiziente Kommandostruktur und die „zur Krisenbewältigung ungeeigneten Führungspersönlichkeiten“ führten am 8. und 9. November zu dem „Debakel des Berliner Militärs“, dem später von Militärs scharf kritisierten Nichteingreifen der Berliner Truppen gegen die Revolution.439 Zu der Verunsicherung führender Militärs hatte die schleichende Auflösung der inneren Ordnung der Armee beigetragen. So hielten sich Ende Oktober in Berlin etwa 20 000 Deserteure auf.440 In einer Situation, in der alles möglich schien und Truppen an anderen Orten des Reiches den Gehorsam verweigerten, schwand auch das Vertrauen in die in und um Berlin stationierten Soldaten. Am 6. November beobachtete der Adjutant des Kriegsministers: „Der ganze militärische Apparat scheint wie von einer Lähmung befallen. Offensichtlich haben die Führer kein Vertrauen mehr 433 434 435
436 437 438 439 440
Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), ebd., Nr. 510, S. 1393–1394. Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), ebd., Nr. 510, S. 1392. Leipziger Volkszeitung, 9. November 1918. Die Zeitung war das Blatt der Leipziger SPD. Sie galt als Sprachrohr des linken Parteiflügels und wurde daher auch in Berlin viel gelesen. S. a. Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 510, S. 1387. Schmidt, Heimatheer, S. 34. Zur Zuständigkeit des Gardekorps s. ebd., S. 145–152. Ebd., S. 34, 243. Allerdings waren die in Berlin stationierten Soldaten von unterschiedlicher Einsatzbereitschaft. Ebd., S. 151. Hürten und Meyer (Hrsg.), Adjutant, S. 52 (1. 11. 1918.) S. a. Immediatbericht des Berliner Polizeipräsidenten an Wilhelm II. Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 316, S. 299 (29. 10. 1918). Seit Sommer 1918 hatte zudem die Disziplin in der Garnison Berlin rapide nachgelassen. Schmidt, Heimatheer, S. 261.
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zu ihren Truppen.“441 Am Abend des 7. November wurden in Berlin die ersten Zeichen offenen militärischen Ungehorsams beobachtet. Soldaten mit roten Schleifen an den Mützen weigerten sich, Offiziere ordnungsgemäß zu grüßen.442 Als am Morgen des 9. November die Zeitungen den Rücktritt General von Linsingens berichteten, wurde dies allgemein – auch von den noch kaisertreuen Soldaten – als entscheidende Schwäche der bestehenden Ordnung gewertet.443 Auch wenn die Zeitungen mehrfach versicherten, dass in Berlin alles ruhig geblieben sei, kam es wiederholt zu Störungen der öffentlichen Ordnung. Am Abend des 8. November forderten Unter den Linden mehrere hundert Menschen lautstark „Abdanken, abdanken!“444 Nachdem der USPD das Abhalten von Veranstaltungen verboten worden war, kam es dennoch am Abend des 7. November zu kleineren Demonstrationen. Diese verliefen zumeist ruhig, allein am Belle-Alliance Platz löste die Polizei eine Versammlung auf.445 Eine andere Gruppe zog Richtung Alexanderplatz, wurde aber dort von der Polizei aufgehalten.446 In zu Streiks und Demonstrationen aufrufenden Flugblättern sahen nicht nur Behörden ein unkontrollierbares Medium. Auch der SPD drohte angesichts einer zunehmenden Zahl von zum Umsturz treibender Flugblätter, die Meinungsführerschaft über die Arbeiterschaft zu entgleiten. Durch eigene Flugblätter und Aufrufe im Vorwärts versuchte die SPD beruhigend einzuwirken. So warnte der Parteivorstand am 4. November vor durch „unterschriftlose Flugblätter und durch Agitation von Mund zu Mund“ verbreiteten „Verwirrungsparolen.“447 Zwei Tage später appellierte man: „Folgt nicht den Parolen kleiner Gruppen und unbekannter Drahtzieher.“448 Aber nicht nur die Angst vor der Revolution, sondern auch vor einem Putsch des Militärs prägte die Wahrnehmung der Ereignisse. Anfang Oktober erhielt ein Berliner Arzt die private Nachricht aus dem Großen Hauptquartier, „daß unseren politischen Generälen der Kampf gegen den ‚inneren Feind‘ allmählich wichtiger dünkt als der gegen den äußeren.“449 Nachdem man sich schon Ende 441 442 443 444 445 446 447 448 449
Hürten und Meyer (Hrsg.), Adjutant, S. 56 (6. 11. 1918). Ebd., S. 57 (7. 11. 1918). Zu den Umständen des Rücktritts von Linsingens: Matthias und Morsey (Hrsg.), Regierung, S. 625, Anm. 12. , Wermuth, Beamtenleben, S. 412. Vossische Zeitung 572, 8. November 1918. Berliner Morgenpost, 8. November 1918; Wermuth, Beamtenleben, S. 412. Vorwärts 304, 4. November 1918. Vorwärts 306, 6. November 1918. Grotjahn, Erlebtes, S. 189 (9. 10. 1918). Zu Spekulationen unter Reichstagsabgeordneten über die Möglichkeiten einer Militärdiktatur s. Hanssen, Diary, S. 344–345 (8. 11. 1918). Allgemein zu Diskussionen um eine Militärdiktatur 1918 s. Thoss, Nationale Rechte, S. 55–62. Anfang November hatte Groener während einer Rundreise zu höheren Kommandostellen an der Westfront die Parole ausgegeben „oberste Pflicht sei die Armee intakt in die Heimat zu bringen. Die innere Gefahr sei jetzt die größte.“ Hill (Hrsg.), Weizsäcker-Papiere, Bd. 1, S. 313 (3. 11. 1918).
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Oktober in Berlin erzählte, dass Hindenburg dem Kaiser die Diktatur vorschlagen wollte, verstärkte am 8. November ein Aufruf von Linsingens Bürgerkriegsängste.450 Die Morgenzeitungen brachten seine Aufforderung an die sich in Berlin aufhaltenden Offiziere, Offizierskompanien zu bilden.451 Dies sorgte in weiten Teilen der Bevölkerung für Spekulationen, dass das Verbot, Arbeiterund Soldatenräte zu bilden, Maßnahmen waren, die nicht mit der Regierung abgestimmt und somit Anzeichen eines Militärputsches waren.452 Gleichzeitig waren Gerüchte über die Errichtung einer Militärdiktatur verbreitet. Am 7. November hatte Hindenburg dem Reichskanzler zur Abwehr eines bolschewistischen Umsturzes die Bildung eines Heimatschutzes unter drei Oberkommandos vorgeschlagen.453 Sofort war der Inhalt des Briefes in Berlin als Gerücht verbreitet.454 Entsprechende Stimmungen ausnutzend, warnte schließlich am Morgen des 9. November die Leipziger Volkszeitung, dass „eine Militärdiktatur […] unmittelbar vor der Tür“ stünde.455 Ein Auslöser für diese Feststellung war die Verhaftung Ernst Däumigs, eines Führers der Revolutionären Obleute, am Abend des 8. November. Diese wirkte auf die Anhänger eines Umsturzes ebenso aufreizend wie die militärische Besetzung vieler Betriebe am 7. November.456 Der Vorwärts beklagte, dass durch militärische Posten vor und in den Fabriken ein „kriegerische[s] Bild“ entstanden sei, das „Unwillen“ erregte und „keineswegs zur Beruhigung der Gemüter“ beitrug.457 In den Tagen zuvor hatten u. a. die Parteiversammlungen der USPD ihre Dynamik nicht allein durch Agitation und Mobilisierung revolutionären Potentials gewonnen, sondern auch durch die ihnen immanente Provokation staatlicher Macht. Denn entweder schritten Behörden gegen die verbotenen Veranstaltungen ein und kompromittierten sich oder sie schritten nicht ein und bewiesen damit ihre Ohnmacht. In den letzten Wochen des Krieges war unter der Regierung des Prinzen Max von Baden die Demokratisierung und Parlamentarisierung des Kaiserreiches eingeleitet worden. Damit verbunden war eine Neufassung des Belagerungszustandes und seiner rechtlichen Grundlagen.458 Alle über diese Vorschriften hi450 451 452
453 454
455 456 457 458
Hürten und Meyer (Hrsg.), Adjutant, S. 48 (26. 10. 1918). Vossische Zeitung 573, 8. November 1918; Schmidt, Heimatheer, S. 284 ff., 292. Protokoll der Pressbesprechung (8. 11. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 510, S. 1393. Das Verbot Arbeiter- und Soldatenräte zu bilden, wurde am 7. 11. 1918 veröffentlicht. Vorwärts 307, 7. November 1918. Reichsarchiv (Hrsg.), Der Weltkrieg, Bd. 14, S. 713; Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 510 S. 1394, Anm. 19. Hanssen, Diary, S. 344 (8. 11. 1918); Leipziger Volkszeitung, 9. 11. 1918; Protokoll der Pressebesprechung (8. 11. 1918), Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 510, S. 1393–1394. Leipziger Volkszeitung, 9. November 1918. S. a. ein Flugblatt des Vollzugsausschusses vom 9. 11. 1918, in: Ursachen und Folgen, Bd. 2, Nr. 510, S. 569. Schmidt, Heimatheer, S. 204. Vorwärts 308, 8. November 1918. Schudnagies, Belagerungszustand, S. 213–221. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 584–614.
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nausgehenden Zensurbestimmungen traten außer Kraft. Zwischen Ende September und Oktober schien sich die politische Landschaft des Kaiserreiches in ungeahnter Geschwindigkeit zu verändern. Aber sowohl die Parlamentarisierung des Reiches wie auch die Reform des Ausnahmezustandes und die Liberalisierung der Zensur standen zunächst nur auf dem Papier und blieben für die Betroffenen ohne unmittelbare Folgen. Damit war das obrigkeitsstaatliche Vorgehen des OKM ebenso sichtbarer Beleg dafür, dass sich die noch bestehende Ordnung überlebt hatte, wie die Person des Kaisers. Die ‚Kaiserfrage‘ war in den letzten Wochen und Tagen des Kaiserreiches das vorrangigste Gesprächsthema. Während sie in den Zeitungen noch diskutiert wurde, trugen Gerüchte über eine bereits erfolgte Abdankung zur Erosion der Monarchie bei.459 Als sich am 8. mittags das Gerücht verbreitete, der Kaiser habe bereits abgedankt, kommentierte eine Zeitung, dass „die weitesten Kreise des Volkes in ungeheurer Spannung auf diese Nachricht“ warteten.460 Auch wenn sich diese Gerüchte immer wieder als falsch herausstellten, trugen sie doch in diesen angespannten Tagen zu einem Verfall staatlicher Legitimität bei. Spätestens seit der dritten Note des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 23. Oktober, in der er Verhandlungen mit den militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten Deutschlands verweigerte, stand die ‚Kaiserfrage‘ im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Bereits Ende September hatte die „Abwendung von der Dynastie“ in Berlin „reißende Fortschritte“ gemacht: „Allgemein ist der Wunsch, sich von dem übermächtigen Feind loszukaufen, indem man den Kaiser opfert.“461 Zunehmend galt in weiten Kreisen der Bevölkerung – nicht nur in der Arbeiterschaft, sondern auch im liberalen Bürgertum – die Person Wilhelm II. und bald auch die Institution der Monarchie als das einzige verbleibende Friedenshindernis. Forderungen nach einer Abdankung waren die absolute Ausnahme.462 Schließlich forderte die SPD am 7. November in einem Ultimatum die Abdankung und drohte mit ihrem Austritt aus der Regierung. In den Tagen vor der Revolution nahm in Berlin das Interesse an gedruckten und ungedruckten Informationen immer weiter zu. Neben den (vor-)revolutionären Ereignissen wie vereinzelten Demonstrationen und Tumulten war das Straßenbild in der Stadtmitte geprägt von zahlreichen Menschen, die sich dort versammelten, auf Neuigkeiten warteten und sich austauschten. Die sich in diesem Verhalten äußernde demonstrative Neugierde erwies sich als ein beiläufiges, nicht intendiertes Plebiszit gegen die bestehende Ordnung, da es ihren Fortbestand grundsätzlich in Frage stellte. Denn in dieser angespannten Situation räumte das Warten auf bestimmte Nachrichten die Möglichkeit des erwarteten 459 460 461 462
Zur Diskussion der Abdankung in der Presse s. Stutzenberger, Abdankung; Herrmann, Zusammenbruch. Vossische Zeitung 574, 8. November 1918. Mayer, Erinnerungen, S. 298 (30. 9. 1918). Kohlrausch, Monarch, S. 314.
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Geschehens ein. Die vielen Gerüchte und Falschmeldungen waren so Anzeichen eines vorrevolutionären Schwebezustandes, in dem sich die alte Ordnung langsam aber merklich auflöste, da immer weniger auf ihren Fortbestand vertraut wurde. Neugierige strömten in die Innenstadt – vor allem nach Unter den Linden und in die umliegenden Straßen. Dort verdichteten sich die Anzeichen drohender Unruhen. Vereinzelt räumten Geschäfte Unter den Linden ihre Schaufenster und Schüler der höheren Schulen in der Berliner Innenstadt wurden nach Hause geschickt, um zu verhindern, dass sie in mögliche Unruhen gerieten.463 Während am 8. November in den Außenbezirken das Leben wie immer verlief, nahm Richtung Stadtmitte das Straßenleben zu: „Je näher den Linden und der Friedrichstraße und dem innersten Kern Berlins, desto lebhafter wuchs das Wimmeln.“464 Auf den Hauptverkehrsstraßen beobachtete der Vorwärts „manche Zeichen einer gespannten Situation, einer erwartungsschweren Zeit.“465 Mehrheitlich thematisierten Gerüchte in Form von „Schauergeschichten“ in diesen Tagen die politische Entwicklung, die Bedrohung des alltäglichen Lebens und die Verunsicherung über die allernächste Zukunft.466 Dazu zählten auch „alarmierende Gerüchte“ über Lebensmittelmangel, die zu kleineren Hamsterkäufen führten.467 Eine Frau notierte in ihrem Tagebuch „Natürlich können wir nicht beurteilen, welche der mannigfaltigen Gerüchte, die sich, wie eine ansteckende Krankheit, verbreiten, wahr sind, denn jeder erzählt etwas Anderes. Die Wasserwerke, die Charlottenburg versorgen, sollen in die Luft gesprengt sein, und die Hälfte der Vororte ist unter Wasser.“468 Am 8. November gaben kleinere Ansammlungen wiederholt Anlass für Gerüchte. So erwuchs z. B. aus einer Schlägerei zwischen zwei Matrosen die Meldung, dass Matrosen dabei wären, Straßenbahnschienen aufzureißen und Barrikaden zu bauen.469 Angesichts der sich auf den Straßen versammelnden Berlinerinnen und Berliner warnte das StGK des Gardekorps vor der „Neugierde des Berliner Volks am Spektakel“ und befürchtete, dass neugierige Passanten das Vorgehen des Militärs gegen umstürzlerische Massen behindern würden.470 Trotz dieser Warnungen versäumte es das OKM, für den Fall von Unruhen einen entsprechenden Aufruf an die Bevölkerung vorzubereiten. Truppeneinsätze am 27. Oktober, 4. und 7. November hatten gezeigt, dass sich jedes Mal neugierige Menschenmengen eingefunden hatten, die aber nicht rechtzeitig vor dem Militäreinsatz gewarnt werden konnten.471 Als am Abend des 8. November das OKM im Re463 464 465 466 467 468 469 470 471
Vossische Zeitung 573, 8. November 1918. Deutsche Tageszeitung 571, 9. November 1918. Vorwärts 308, 8. November 1918. Wette (Hrsg.), Geburtsstunden, Nr. 1, S. 169. Berliner Tageblatt 574, 9. November 1918. Blücher, Tagebuch, S. 308 (9. 11. 1918). Berliner Tageblatt 574, 9. November 1918. Zit. n. Schmidt, Heimatheer, S. 170. Ebd., S. 170.
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gierungsviertel Soldaten postierte, sahen sich diese etwa 10 000 Neugierige ausgesetzt, die sie in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit behinderten.472 Am Abend räumte die Polizei mehrfach mit gezogenem Säbel Unter den Linden. Gleichzeitig fuhren zahllose mit Soldaten besetzte Lastkraftwagen in die Stadt und Militär patrouillierte durch die Straßen, so dass Berlin einem „gewaltigen Waffenplatz“ glich.473 Am 9. November erwiesen sich diese neugierigen Massen als ein „folgenschwerer Faktor des revolutionären Gesamtgeschehens.“474 Unterdessen erwuchs aus der anfänglichen Revolte der Matrosen eine zunehmend revolutionäre Bewegung. Waren am 6. November in Wilhelmshaven, Bremen und Hamburg Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden, so wurde am 7. November in München die Republik ausgerufen. Nachdem auch am 8. November die Umsturzbewegung im Reich immer weiter an Boden gewonnen hatte, traten am 9. November die Berliner Großbetriebe in den Generalstreik. Ein riesiger Demonstrationszug, dessen Spitzen bewaffnete Arbeiter bildeten, bewegte sich auf das Regierungsviertel zu. Die Soldaten der Berliner Garnison gingen mehrheitlich widerstandslos zu den Aufständischen über und das nachmittags gemeldete Anrücken der kaisertreuen Potsdamer Garnison erwies sich als Gerücht.475 Nachdem er mehrfach erfolglos versucht hatte, den Kaiser zur Abdankung zu bewegen, verbreitete der Reichskanzler gegen 12 Uhr die Nachricht, der Kaiser habe auf den Thron verzichtet. Kurz darauf übertrug er Friedrich Ebert die Kanzlerschaft. Sofort wurden Unter den Linden Extrablätter verteilt, und die Nachricht wurde aus durch die Stadt rasenden Autos ausgerufen und mit Flugblättern verbreitet.476 Doch das Straßenbild bestimmten nicht allein die Demonstrationszüge. In der Stadtmitte drängten sich wie in den Tagen zuvor auch zahllose Neugierige, die an den Ereignissen teilhaben wollten: „Am eigenartigsten und unangenehmsten war es, daß niemand bestimmt wusste, was sich ereignete, und was das alles bedeutete. Jedermann wollte ‚Unter den Linden‘ sein und steuerte dem Pariser Platz zu.“477 Unter den Linden warteten am 9. November „Knäuel von Menschen“ auf Extrablätter und sahen den „Ereignissen mit Ungeduld“ entgegen.478 Eine Zeitung beobachtete: „Überall ungeheure Spannung, niemand weiß, was wird. […] überall wartende Menschen, die sich, als die Nachricht von der Abdankung des Kaisers eintrifft, nach dem Zentrum zu in Bewegung setzen.“479 472 473 474 475
476 477 478 479
Nach der Aussage eines Augenzeugen herrschte am Abend des 8. November „ein Leben auf den Straßen wie etwa beim Einzug eines fremden Herrschers.“ Zit. n. ebd. Berliner Morgenpost, 9. November 1918. Schmidt, Heimatheer, S. 170. Wolff, Tagebücher, Bd. 2, S. 649 (9. 11. 1918). Am 10. November trat das OKM in einem Aufruf dem Gerücht entgegen, dass Truppen im Anmarsch auf Berlin wären. Berliner Tageblatt 577, 11. November 1918. Berliner Lokalanzeiger, 9. November 1918. Blücher, Tagebuch, S. 307 (9. 11. 1918). Holitscher, Mein Leben, S. 151. Berliner Morgenpost, 10. November 1918.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Vor allem am 9. November lassen sich Verhaltensformen beobachten, die an die karnevalesken Massen des Kriegsausbruches erinnern. Angesichts tausender Menschen auf den Straßen – Männer, Frauen, Soldaten, Matrosen, spielender Kinder – erschien der Tag „wie ein öffentlicher Feiertag.“480 Für eine Zeitung glichen die Umzüge „mehr einem Sonntagsbummel als einem Revolutionszug.“481 Vereinzelt kam es auch zu Ausschreitungen gegen Offiziere.482 Allerdings gibt es auch zahlreiche Berichte hochrangiger und prominenter Offiziere, die sich am Nachmittag des 9. weitgehend ungestört in Berlin bewegen konnten.483 Erst am Abend kam es am gegenüber dem Schloss liegenden Marstall zu Kämpfen. Noch am 10. November führten einzelne Schusswechsel zu einer „üppige[n] Gerüchtebildung“ – u. a. wurde behauptet: „Offiziere hätten aus Wohnhäusern und Gasthöfen mit Maschinengewehren geschossen, an den Bahnhöfen würde gegen königstreue Regimenter, die mit Sonderzügen eingetroffen wären, gekämpft.“ Die Vossische Zeitung vermutete dahinter „Gerüchtemacherei“ durch Kräfte, die der neuen Regierung schaden wollten.484 Am 9. November beobachtete der Reichstagsabgeordnete Hanssen am Potsdamer Platz, dass die zahllosen Redner, die sich an kleinere Gruppen von Zuhörern wandten, nicht allein ihre Erlebnisse, sondern Hörensagen weitergaben.485 Eines der Gerüchte, das am 9. November immer wieder erzählt wurde, war die Annahme, die deutsche Flotte hätte sich mit der britischen verbrüdert. Bereits in den letzten Tagen des Krieges war die Vorstellung, dass eine Revolution im Deutschen Reich einen Startschuss für den Sturz der alliierten Regierungen geben würde, weit verbreitet. Gerüchte und Falschmeldungen berichteten vom Zusammenbruch der feindlichen Armeen und Flotten und dem Sieg des Bolschewismus, so dass am Ende des Krieges das Reich für kurze Momente als nur ein Verlierer neben anderen erschien. Nachdem zunächst in den Küstenstädten Redner behauptet hatten, dass auch die englische Flotte die rote Fahne führen würde, brachten bald auch Zeitungen diese Nachricht, die sogar bis an die Westfront verbreitet wurde.486 Nach der von Jürgen Wilke skizzierten „Zwei-Phasen-Theorie des Ausbruchs von Revolutionen“ bildet sich in einer Latenzphase revolutionäres Potential heraus, das in einer Manifestationsphase öffentlich sichtbar wird und eine ungeheure Dynamisierung erlebt.487 In der Phase der revolutionären Manifestation nimmt nach Wilke die Intensität der unvermittelten, personalen Kommunikation zu. Aus der allgemeinen Erregung entsteht dann ein erhöhter Kommunika480 481 482 483 484 485 486 487
Blücher, Tagebuch, S. 305 (9. 11. 1918). Berliner Morgenpost, 10. November 1918. S. Hanssen, Diary, S. 353 (9. 11. 1918); Holitscher, Mein Leben, S. 154–155. S. a. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 511, S. 1399 und ebd., Anm. 17. Vossische Zeitung 577, 11. November 1918. Hanssen, Diary, S. 357 (9. 11. 1918). Wermuth, Beamtenleben, S. 414; Ritter von Leeb, Tagebuchaufzeichnungen, S. 153 (8. 11. 1918). Die Vossische Zeitung dementierte die Meldung am 10. 11. Wilke, Latenz, S. 203.
VI.5. Zwischenbilanz
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tionsbedarf, der dazu führt, dass für jeden sichtbar bestehende soziale Schranken überwunden werden.488 Dieser erhöhte Kommunikationsbedarf war in den Tagen vor dem 9. November in Berlin als eine mit dem August 1914 vergleichbare Kommunikationsexplosion zu beobachten. Einer Frau erschien die Stadt als großer „Bienenhaufen“: „Ganz Berlin um uns herum schien zu summen und zu brummen.“489 Die in den letzten Tagen des Kaiserreiches herrschende Verunsicherung, die sich auch in einer verstärkten Kommunikation von Gerüchten äußerte, ist eine Ursache dafür, dass nach dem Beginn politischer Reformen eine revolutionäre Situation entstand. Diese endete mit dem Kollaps der bestehenden Staatsform. Nachdem sich das harte Durchgreifen des OKM während des Januarstreiks scheinbar bewährt hatte, sahen sich die Entscheidungsträger in ihren Maßnahmen bestätigt. Aber Anfang November scheiterten politische Führung, Kriegsministerium, OKM, StGK des Gardekorps und das Berliner Polizeipräsidium, da sie der Situation nicht mehr gewachsen waren. Die revolutionären Ereignisse vollzogen sich im Zeichen einer unerwarteten zeitlichen Verdichtung: Zwischen dem deutschen Waffenstillstandsangebot, dem Ausbruch der Unruhen in Kiel und dem schließlichen Kollaps der alten Ordnung lagen nur wenige Wochen. Auf den Punkt brachte dies die Welt am Montag unter der Überschrift „Der Galopp der Ereignisse“ und stellte fest: „Die Geschichte galoppiert; die Männer am Ruder können nicht mit.“490 Anfang November erstickte der preußisch-deutsche Obrigkeitsstaat auch an seinem Unvermögen, anders als im Modus der Verhinderung und Konfrontation mit seinen Bürgern zu kommunizieren.
VI.5. Zwischenbilanz An der Front führten im Herbst 1918 nicht gebündelter Protest oder eine revolutionäre Politisierung, sondern vor allem enttäuschte Erwartungen und die kollektive Erschöpfung zum Zusammenbruch des Herrschaftssystems in der deutschen Armee.491 Auch der „nahezu lautlose, widerstandslose Zusammenbruch des wilhelminischen Staates“ ging nur zu einem geringen Anteil auf explizit revolutionäre Handlungen zurück. Voraussetzung dieses Zerfalls war der umfassende Vertrauensverlust in die „Handlungsfähigkeit und die Integrität der kaiserlichen Behörden.“492 Zwischen diesem Erosionsprozess und der Entstehung und Kommunikation von Gerüchten besteht ein enger wechselseitiger Zusammenhang. Gerüchte sind
488 489 490 491 492
Ebd., S. 208. Blücher, Tagebuch, S. 310 (10. 11. 1918). Welt am Montag 44, 4. November 1918. Ziemann, Enttäuschte Erwartungen, S. 181. Davis, Geschlecht und Konsum, S. 138. S. a. Daniel, Arbeiterfrauen, S. 232, 274–275. Zusammenfassend: Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 196–197.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
hierbei nicht als ursächlicher Faktor dieser Erosion, sondern als Symptom verschiedener sich überlagernder Glaubwürdigkeits- und Legitimitätskrisen anzusehen. Denn nur eine Regierung, die über das Vertrauen ihrer Bevölkerung verfügt, kann durch Öffentlichkeitsarbeit deren Einschätzungen, Stimmungen und Verhalten beeinflussen. Gerüchte sind sowohl Symptome des allgemeinen Vertrauensverlustes in den Staat als auch der allgemeinen Glaubwürdigkeitskrise der Medien. Damit sind sie ein Faktor bei der Entstehung eines revolutionären Potentials im Deutschen Reich. Allerdings ist zwischen dem Verfall von Legitimität und Autorität des Staates und einer Gegnerschaft zum Staat mit dem Ziel seiner revolutionären Aufhebung klar zu unterscheiden.493 Das Gefühl, schlecht über die Kriegslage informiert zu sein, verbreitete sich zwar im Herbst 1918 nicht plötzlich. Aber nun verband es sich mit katastrophalen Lebensbedingungen und der schwindenden Zuversicht, den Krieg gewinnen zu können. Die zunehmend als Lüge wahr genommenen Differenzen zwischen offizieller Berichterstattung und eigener Lebenswirklichkeit verstärkten den bereits bestehenden Prozess der Diskreditierung staatlicher Macht und trugen damit zu einer grundsätzlichen Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung bei. Propaganda als einen weiteren Ersatzstoff auszugeben, durch den das Bedürfnis nach wahrheitsgemäßer und authentischer Unterrichtung über den Stand der Dinge nicht zu befriedigen war, erwies sich als folgenreicher Irrtum der militärischen Führung. Mit diesem untauglichen Mittel waren im Sommer und Herbst 1918 Hoffnungen auf eine Verbesserung der materiellen und politischen Lage nicht mehr zu stillen. Zudem zeigte sich die militärische Führung unfähig, aus dem Kriegsverlauf Konsequenzen zu ziehen und gab zunehmend Illusionen anstelle von Informationen aus. Dies steht in einem deutlichen Gegensatz zu dem Verhalten britischer Stellen, die im Dezember 1917 und im Frühjahr 1918 militärische Rückschläge nicht nur einräumten, sondern in einem gewissen Rahmen auch die Diskussion über die Verantwortlichkeiten zuließen.494 Im Deutschen Reich dagegen waren hohe Offiziere weder in der Lage, die prekäre Situation zu erfassen, noch Konsequenzen zu ziehen. Betrachtet man die Ursachen dieser Kommunikationsunfähigkeit im Sommer und Herbst 1918 nach innen und außen, dann ist der Beitrag der Zensur- und Propagandastellen eher zu vernachlässigen. Sie ist zudem weder auf das Versagen einzelner Personen, noch allein auf das Versagen militärischer und politischer Eliten zurückzuführen, sondern steht für das Scheitern der gesellschaftlichen und politischen Ordnung des Kaiserreiches. Im Unvermögen, das militärische Scheitern zu kommunizieren spiegelt sich die „Scheu vor Konflikten“ wieder, die Armin Owzar als Grundlage eines „spezifischen Kommunikationsverhalten der deutschen Gesellschaft“ bezeichnet.495 Er benennt Schweigen als „grundsätzliche 493 494 495
Ziemann, Front und Heimat, S. 227, Anm. 931. S. Kap. VI.2.2. Owzar, Schweigen ist Gold, S. 84.
VI.5. Zwischenbilanz
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Form des Konfliktmanagements“ und bilanziert es „als eine Form rationalen Konfliktmanagements, zumindest in der wilhelminischen Gesellschaft.“496 Im Verlauf des Krieges war das Verschweigen zu einer zentralen Kommunikationsstrategie geworden. Im Angesicht der Niederlage und der innenpolitischen Krise scheiterte diese Strategie 1918 endgültig: Das (Ver-)Schweigen als Kommunikationsstrategie trug aber nicht dazu bei, die Probleme des Kaiserreiches erfolgreich zu ‚managen‘, sondern potenzierte diese nur. Mit der militärischen Krise im Frühsommer, Sommer und Herbst konnten im Deutschen Reich komplementäre Informationsangebote das Informationsbedürfnis der Heimat weder befriedigen noch Vertrauensdefizite kompensieren. Zwar war kapillare Kommunikation ein zentrales Element der Gewährleistung des Zusammenhaltes von Front und Heimat, da so Kommunikationsdefizite der Medien ausgeglichen werden konnten. Aber so wie das K-Brot nur bedingt das Verlangen der Bevölkerung nach einem schmackhaften, sättigenden und in ausreichender Menge vorhandenem Grundnahrungsmittel stillen konnte, waren Gerüchte nur bedingt Ersatz für regelmäßige, zuverlässige und glaubwürdige Nachrichten. Verunsicherung wurde nun nicht mehr durch Vertrauen, sondern durch Misstrauen und Gerüchte kompensiert.497 Misstrauen ist hierbei jedoch nicht allein als Gegenteil von Vertrauen, „sondern zugleich als funktionales Äquivalent zu Vertrauen“ zu begreifen.“498 Mehrere Faktoren haben zu der unterschiedlichen Bewertung der Kommunikation von Gerüchten durch staatliche Stellen in Großbritannien und dem Deutschen Reich beigetragen. Neben den oben bereits ausgeführten unterschiedlichen Vorstellungen des inneren Feindes ist Folgendes zu betonen: (a) Die geringere Intensität der Kommunikation von Gerüchten: Als Indikatoren für eine nur schwer zu quantifizierende geringere Dichte der Kommunikation von Gerüchten sind die Berichterstattung der Presse, die Thematisierung in Erinnerungen und Tagebüchern, die Berichterstattung der Agenturen der Überwachung und die Häufigkeit von Gerichtsverfahren auf Grundlage von DRR 27 zu nennen. (b) Die ungleichen Kontroll- und Überwachungsregime: Einerseits ist im Deutschen Reich eine höhere Kontroll- und Überwachungsdichte als in Großbritannien zu beobachten, andererseits wurde dort der Faktor Stimmung und damit auch Gerüchte wesentlich intensiver erfasst.499 (c) Die Rezeption der Nervositätsdebatte: Weitaus stärker als in Großbritannien prägten diese und damit verbundene Deutungsmuster gesellschaftlicher Degeneration die Wahrnehmung von Gerüchten. Aribert Reimann vermutet dahinter als Ursache eine „leichte Ungleichzeitigkeit“ in der Rezeption. Denn zählte die Nervosität im
496 497
498 499
Ebd., S. 85. Vgl. „Misstrauen und Gerücht als alternative Reduktionsmechanismen bzw. als Kommunikationsmodus sind Ersatzsicherheiten für […] Verunsicherungen besonders geeignet.“ Sievers, Geheimnis und Geheimhaltung, S. 75. Bentele, Vertrauen/Glaubwürdigkeit, S. 307. S. Kap. IV.3.
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Deutschen Reich zum „allerneuesten diskursiven Inventar“, so war ihr Einfluss in Großbritannien seit der Jahrhundertwende zurückgegangen.500 Seit Kriegsbeginn waren im Deutschen Reich zudem die ‚eisernen Nerven‘ zu einer kriegswichtigen Ressource erhoben worden, die nationale Selbstbilder prägte. Joachim Radkau beobachtet eine „ständige Manie, auf der kriegsentscheidenden Bedeutung der ‚starken Nerven‘ herumzureiten.“501 Die ‚eisernen Nerven‘ wurden zum entscheidenden Kriterium des Durchhaltewillens in einem psychischen Abnutzungskrieg – nicht nur der Frontsoldaten, sondern auch der Männer und Frauen in der Heimat.502 Eine Folge dieser Wahrnehmungen war, dass zunehmend die Deutschen in ihrer Gesamtheit im Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit standen. Nach Ansicht vieler Zeitgenossen hatten Hetzer, Flaumacher und feindliche Propagandisten ihre Aufgabe erfüllt: Die Deutschen drohten, ihre ‚eisernen Nerven‘ zu verlieren. Gerüchte markierten so einen entscheidenden Abschnitt der Heimatfront.503 In ihnen erkannte der Berliner Polizeipräsident Ende Oktober in einem Immediatbericht an den Kaiser einen wesentlichen Faktor, der zu der schlechten Stimmung der Bevölkerung beigetragen habe: Dieser jähe Absturz der Stimmung, an dem freilich keineswegs alle Schichten der Berliner Bevölkerung in gleichem Maße teilgenommen haben, ist aus der Psychologie der Masse erklärlich, die ohne Übergang von einer Grenze zur anderen überzuschlagen pflegt, aus der Suggestivkraft jener Gerüchte und aus der dem Großstädter eigenen, jetzt noch durch Unterernährung und Überspannung aller Kräfte gewaltig gesteigerten Nervenüberreizung.504
1914 waren Gerüchte in beiden Staaten gleichermaßen eine Folge des Einbruchs des Krieges in die zivile Normalität und sind als Symptome von Adaptionskrisen an den gesellschaftlichen Zustand Krieg zu werten. Dagegen waren sie 1918 eine unmittelbare Folge der Verstetigung des Krieges. Gerüchte polarisierten und betonten nun weitaus stärker gesellschaftliche Unterschiede und Ungleichheiten. Konstruierten Gerüchte 1914 in beiden Staaten den äußeren Feind, so markierten sie 1918 vor allem durch die Thematisierung von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten den Verlauf der Heimatfront und reflektierten die Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft – diese Distanz war in Großbritannien durch Vertrauen kompensierbar. Angesichts der 1918 in Berlin und London so unterschiedlichen Entwicklung ist hier nicht allein die Kommunikation von Gerüchten zu betonen. Vielmehr sind einerseits die Ursachen aufzuzeigen, die im Deutschen Reich sowohl zu der intensiveren Kommunikation von Gerüchten als auch zu dem geschilderten Problembewusstsein der Behörden führten. 500 501 502 503 504
Reimann, Der große Krieg, S. 41, 48. Zur britischen Debatte um die ‚Nerven‘ s. Thomson, Neurasthenia in Britain; Neve, Public Views of Neurasthenia. Radkau, Zeitalter der Nervosität, S. 430. Reimann, Der große Krieg, S. 38–39. S. a. Kap. VI.3.3. Immediatbericht des Berliner Polizeipräsidenten an Wilhelm II. (29. 10. 1918), Materna und Schreckenbach (Hrsg.), Berichte, Nr. 299, S. 298.
VI.5. Zwischenbilanz
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Abb. 8: In dieser Karikatur des Kladderadatsch widersteht ein deutscher Arbeiter den flaumachenden Verführungen der feindlichen Propaganda. Kladderatsch, 15. 9. 1918
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VI. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten 1918
Als ausschlaggebend für diese Entwicklung erwiesen sich fünf Faktoren: (a) Unterschiedliche Zensurregime führten zu unterschiedlichen Informationskulturen und daraus resultierenden -defiziten. (b) Aus den individuellen Lebensverhältnissen resultierten unterschiedliche Grade allgemeiner Verunsicherung. (c) Im Deutschen Reich fehlten Hoffnungen und Perspektiven als ein Erwartungshorizont, der einer Verlängerung des Krieges Sinn verliehen hätte. Ein rasches Kriegsende unter unbestimmten Vorzeichen erschien daher vielen akzeptabler als eine Fortsetzung des Krieges für Werte und Programme, die nahezu täglich an Glaubwürdigkeit verloren. (d) Im Deutschen Reich erlaubte die militärische Lage kein Taktieren mit der öffentlichen Meinung mehr: Presse, Zensur- und Propagandaorganisationen hatten schließlich keine Alternative als die Krise selbst zu kommunizieren. (e) Eine unterschiedliche Fähigkeit der Staaten, grundlegende Reformen anzugehen, um die oben angeführten Entwicklungslinien umzukehren.505 Das Kaiserreich war nicht allein Militär- und Obrigkeitsstaat. Doch im Verlauf des Weltkrieges ging es an der eingeschränkten Reformfähigkeit seiner Träger und Institutionen – verstärkt durch die Anforderungen eines totalen Krieges, polarisierenden Nationalismus und Ausnahmezustand – zugrunde. Anders als in Großbritannien waren im Deutschen Reich die politischen Eliten nicht in der Lage, die aus der Mobilisierung für den Krieg entstehenden Konflikte an der Heimatfront zu moderieren. In der politischen Sprache des Kaiserreiches war weder die Möglichkeit einer Niederlage noch ein Verhandlungsfrieden vermittelbar. Mit der Idee eines Siegfriedens hatte sich die militärische und politische Spitze des Reiches einer Idee unterworfen, die im Zeichen schwindender Siegeszuversicht zu einer belastenden Hypothek geworden war. Denn sobald der Krieg im Bewusstsein breiter Teile der Bevölkerung nicht mehr zu gewinnen war, brach der Konsens des Aus- und Durchhaltens endgültig zusammen: Der Krieg wurde für immer mehr Menschen sinnlos. Auf den Punkt brachte dies Mitte Oktober Theodor Wolff mit der Beobachtung: „Alles hing eben an der Front im Westen.“506
505 506
Als beispielhaft kann die Debatte um die Reform des preußischen Wahlrechtes gelten. Müller, Nation, S. 289–311. Wolff, Tagebücher, Bd. 2, S. 632 (14. 10. 1918). S. a. Barth, Dolchstoßlegenden, S. 178.
VII. AUSBLICK UND BILANZ VII.1. Gerüchte und Kontinuitäten der Überwachung „But what is truth? We must adopt a pragmatic definition. It is what is believed to be the truth.“ Aus einem Memorandum des Ministry of Information (1939)1
Nicht nur in Berlin, sondern auch in London endete der Krieg dort, wo er begonnen hatte: auf der Straße. Als am 11. November 1918 in London das Ende des Krieges bekannt gegeben wurde, feierten in der ganzen Stadt Hunderttausende.2 Obwohl es am nächsten Tag wieder ruhig war, zeigte sich das War Cabinet besorgt, dass aus der allgemeinen Ausgelassenheit Unruhen entstehen könnten.3 Noch im Oktober hatte Scotland Yard berichtet, dass die Stimmung der Arbeiterschaft auf ihrem Höhepunkt wäre. Doch nur zwei Tage nach Kriegsende warnte man das War Cabinet, dass die patriotischen Feiern nicht darüber hinwegtäuschen dürften, dass für die Arbeiterschaft Räte die demokratischere Regierungsform wären.4 Die Beispiele zeigen, dass mit dem Ende des Krieges auch im siegreichen Großbritannien die Konfrontation und das Misstrauen zwischen Staat und Gesellschaft den Waffenstillstand überdauerten. Nach dem Friedensschluss spiegelten das Reden und Schreiben über die Gerüchte des Ersten Weltkrieges den allgemeinen Vertrauensverlust in den Wahrheitsanspruch von Medien und Politik wider. Ein Buchtitel wie Wo ist die Wahrheit über den Krieg? unterstreicht dies.5 Ein anderer Titel wie der 1927 erschienene Sammelband Die Lüge verweist auf weitaus tiefer gehende Verunsicherungen.6 Ohne den Krieg auch nur zu benennen, ist es doch ein Buch über die grundlegende Erfahrung des Krieges, dass nicht nur Wissen, sondern auch Nicht-Wissen gesellschaftlich bedingt ist. Aufgrund seiner „einschneidenden geistesgeschichtlichen Verstörungen“ wird der Erste Weltkrieg daher als „Wendepunkt in der Geschichte der Lüge“ bezeichnet.7 War aber der Vorwurf der ‚Lüge‘ während des Krieges noch eine Anschuldigung, die im Allgemeinen den feindlichen Staaten und Nationen galt, so entwickelte sich nach Ende des Krieges 1 2 3 4
5 6 7
Zit. n. MacLaine, Ministry of Morale, S. 26. S. a. Weintraub, Stillness. Geschichten dreitägiger, orgienhafter Ausschweifungen gehen auf Übertreibungen der Presse zurück. PRO CAB 23/8/502 (1), Fortnightly report on pacifism and revolutionary organizations in the United Kingdom and morale in France and Italy (21. 10. 1918), PRO CAB 24/70 (GT 6079); Fortnightly report on revolutionary organizations in the United Kingdom and morale in foreign countries (13. 11. 1918), PRO CAB 24/70 (GT 6321). S. a. Weekly Intelligence Summary (London District) (10. 12. 1918), PRO AIR 1/553/16/15/40. Cru, Wo ist die Wahrheit über den Krieg? Hierbei handelt es sich um die sehr freie Übersetzung des 1931 erschienenen französischen Titels Du Témoinage. Lipmann und Plaut (Hrsg.), Lüge. Dietzsch, Kleine Kulturgeschichte der Lüge, S. 110.
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VII. Ausblick und Bilanz
in der nationalen Publizistik ansatzweise die Einsicht, dass auch gegenüber der eigenen Bevölkerung gezielt die Unwahrheit verbreitet worden war. Ein lebenslanges Misstrauen gegenüber der Presse war daher nach dem Literaturwissenschaftler Paul Fussell eine der bleibenden Folgen des Krieges. Am bekanntesten und folgenreichsten war das anfängliche Unvermögen der amerikanischen und britischen Regierungen während des Zweiten Weltkrieges, Nachrichten über die nationalsozialistischen Massenmorde zur Kenntnis zu nehmen, da sie mit dem Stigma der Übertreibungen der alliierten Gräuelpropaganda des Ersten Weltkrieges behaftet waren.8 Mit dem Übergang vom Krieg zum Frieden wurden 1918 die innenpolitischen Konflikte der Kriegsjahre in die Friedenszeit verlängert. Die Folgen der Polarisierung der Heimatfront, die im Deutschen Reich in der Revolution und einem sich daran anschließenden schleichenden Bürgerkrieg und in Großbritannien in einem nachhaltigen Spannungszustand mündeten, differierten. Aber in beiden Gesellschaften war das politische Leben geprägt von einer „Verabsolutierung des Freund-Feind-Gegensatzes und der Austragung politischer Konflikte als Kampf gegen einen gefährlichen Gegner.“9 Obwohl auch in Großbritannien die unmittelbaren Kriegsfolgen das politische Leben prägten, erwies sich der Ausgang des ‚Großen Krieges‘ dort nicht gleichermaßen als belastend für die politische Kultur der Nachkriegszeit. Zwar wurden auch dort die idealisierte Frontgesellschaft und die Verratssemantik des Krieges auf die politischen Konflikte der Nachkriegszeit übertragen, gewannen aber niemals die gleiche gesellschaftliche Sprengkraft wie in Deutschland. In Großbritannien wurde nach Sven Oliver Müller die Form der innenpolitischen Auseinandersetzung durch die britische Zivilgesellschaft gebändigt, und die Militarisierung der Sprache schlug nur vereinzelt in Gewalt um. Er spricht daher von einer „Domestizierung des militaristischen Erbes des Krieges.“10 Demgegenüber erlebte die Weimarer Republik die „Fortsetzung des Weltkrieges mit anderen Mitteln.“ Mit der Dolchstoßlegende wurde das Trauma des inneren Feindes und des Verrats perpetuiert und mit der Polemik gegen ‚Novemberverbrecher‘, ‚Bolschewisten‘ und ‚Juden‘ verbunden. Die Feststellung Fritz Sterns, dass 1919 „der Frieden nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ bedeutete, gilt eingeschränkt auch für die Heimatfront.11 In den Nachkriegsgesellschaften Europas läßt sich, vor allem im Schatten der russischen Revolution, ganz andere Frontstellungen zwischen Staat und Gesellschaft als zuvor beobachten. Vor dem Hintergrund der zuletzt u. a. von Hans Ulrich Wehler wieder betonten Einordnung des Weltkriegs als eines zweiten Dreißigjährigen Krieges bieten sich Gerüchte oder die unkontrollierte Rede als Perspektive an, diese These zu überprüfen.12 Anhand der Durch8 9 10 11 12
Fussell, Great War, S. 316; Laqueur, Terrible Secret; Verhey, Perspektive. S. a. Müller, Nation, S. 360. Ebd., S. 365. Stern, Der Erste Weltkrieg, S. 146. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. xix, 985.
VII.1. Gerüchte und Kontinuitäten der Überwachung
309
setzung staatlicher Kontrolle gegenüber einer solch unscheinbaren Oberflächenäußerung lässt sich die Extensität gesellschaftlicher Kontrolle weit treffender bestimmen als allein durch die Auseinandersetzung mit Feindbildern und Repression. Nur wenige Stunden nachdem die ersten Schüsse des Zweiten Weltkrieges gefallen waren, versicherte Adolf Hitler am 1. September 1939 in einer Rundfunk-Rede den in der Kroll-Oper versammelten Reichstagsabgeordneten, dass sich ein November 1918 in der deutschen Geschichte niemals wiederholen werde.13 Nur vereinzelt hat in den letzten Jahren die Forschung gefragt, welche Lehren das nationalsozialistische Regime aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hatte, um einen zweiten Dolchstoß zu verhindern. In welcher Kontinuität standen diese Lehren hinsichtlich der Entwicklung der Überwachungspraktiken während des Weltkrieges und wie unterschieden sie sich von britischen Entwicklungen? Zu prüfen wäre z. B., inwieweit die Radikalisierung gesellschaftlicher Überwachung während der nationalsozialistischen Herrschaft auf diesem Wissen um das Versagen des Staates beruhte und wie sehr diese Vorstellung zu dem entschiedenen Willen beitrug, dass sich ein solcher Kollaps nicht wiederholen dürfe. Im Deutschen Reich war der hohe Stellenwert der Propaganda in der innenpolitischen Auseinandersetzung eine unmittelbare Folge des Weltkrieges. Gerhard Paul führt diesen im Allgemeinen und Hitlers Glaube an die Omnipotenz der Propaganda im Besonderen auf die Weigerung zurück, die tatsächlichen Ursachen der Niederlage anzuerkennen.14 Nach dem traumatischen Kriegsende für Deutschland hatte eine Auseinandersetzung mit den Erfolgen der feindlichen Propaganda eingesetzt, in der nahezu einstimmig von einem kausalen Zusammenhang zwischen gegnerischer Propaganda und dem Zusammenbruch von Front und Heimatfront ausgegangen wurde. Hierbei wurde der durch Lord Northcliffe verkörperten britischen Propaganda eine besondere Bedeutung zugesprochen. In ihm hatten viele den Verantwortlichen für die vermeintlich überlegene feindliche Propagandatätigkeit gesehen.15 Während des Zweiten Weltkrieges verwies die nationalsozialistische Propaganda wiederholt auf die übermächtige und folgenreiche britische Propaganda des Ersten Weltkrieges.16 In den Planungen für den als unvermeidlich erachteten kommenden Krieg nahmen Propaganda, Aspekte der Massenpsychologie und die Kontrolle der Heimatfront einen unvergleichbar höheren Stellenwert als vor 1914 ein. Es liegen allerdings nur wenige Studien vor, die nach der Entstehung der deutschen Kriegspropaganda und ihren intellektuellen Wurzeln in der Zwischenkriegszeit fragen.17
13 14 15 16 17
Domarus (Hrsg.), Hitler, Bd. 2.1, S. 1312–1317, 1316. Vgl. Mason, Arbeiterklasse, S. 1–16. Paul, Aufstand, S. 26. Nicolai, Nachrichtendienst, S. 159–160; Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 285; Hitler, Mein Kampf, S. 527. Bramsted, Goebbels, S. xxxv. Uziel, Blick, S. 301.
310
VII. Ausblick und Bilanz
Mit der Erfahrung der Heimatfront während des Krieges war in beiden Staaten nicht nur die Konfrontation von äußerem Feind und Nation, sondern auch das sich stetig polarisierende Verhältnis von Staat und Gesellschaft verbunden. Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland hatte der Staat zwischen 1914 und 1918 neue Institutionen und Praktiken der Überwachung entwickelt, um dieses Konfliktpotential zu kontrollieren. Ängste vor einem bolschewistischen Umsturz verliehen dem Gespenst der Subversion in beiden Staaten ein Gesicht. Sie waren aber nicht ursächlich für die mit Beginn des Weltkrieges entstandenen Überwachungspraktiken und Maßnahmen zur Erhaltung der inneren Sicherheit, sondern überlagerten bestehende Wahrnehmungsmuster des inneren Feindes und überlebten den Friedensschluss nach Außen. Über eine allgemeine vom Trauma der Niederlage geprägte Epochenerfahrung hinaus bestimmte der angebliche Anteil der feindlichen Spionage an der deutschen Niederlage die Vorstellungen führender Nationalsozialisten. Heinrich Himmler wurde in seinen Auffassungen von Spionage und der Notwendigkeit von Nachrichtendiensten Mitte der 20er Jahre vor allem durch ein Buch des ehemaligen Chefs der Abt. III b Oberst Nicolai beeinflusst. 1930 bestärkte das Buch Spionagezentrale Brüssel sowohl ihn als auch Hitler in ihrem Bewusstsein für die von Spionen ausgehende Bedrohung.18 Nach der Lektüre von Nicolais Buch Geheime Mächte notierte Himmler: „Hochinteressant. Man kann wahrhaftig davon lernen.“19 Wie weit die Erfahrung der Niederlage die Ideologie und Selbstwahrnehmung der SS beeinflusst hatte, zeigt ein im Dezember 1939 im Schwarzen Korps, der Wochenzeitung der SS, erschienener Artikel: Die x-tausend Häftlinge, die in den Konzentrationslagern behütet werden, sind zum Teil in der Person, zum Teil dem Wesen nach die gleichen Staatsfeinde, die Deutschlands innere Front während des Weltkrieges zermürbten und zertrümmerten, sei es durch Verbindung mit dem äußeren Feind und aktiven Hoch- und Landesverrat, sei es durch Sabotage, schlechtes Beispiel und bewußte Stimmungsmache. Sie haben sich während des Weltkrieges insgesamt als stärker erwiesen als der äußere Feind. Denn während der Soldat an allen Fronten siegte, arbeitete der innere Feind im Rücken der Soldaten erfolgreich an Deutschlands Niederlage. [...] So bilden die Konzentrationslager inselhafte Kampfgebiete der inneren Front, an denen sich jeweils eine Handvoll Männer Deutschland vor dem inneren Feind bewährten.20
Aber auch wenn Nicolai in der deutschen Emigrantenpresse als „Hausgespenst der Gestapo“ bezeichnet wurde und er mit dem Nationalsozialismus sympathisierte, so führte dennoch keine direkte Linie von den Überwachungsorganisationen des Weltkrieges zu den Organisationen des Dritten Reiches.21 Während 18 19
20 21
Browder, Foundations, S. 16, 23. Smith, Himmler, S. 165. Nicolai hatte in den 20er Jahren mehrfach in der Presse zu seinem früheren Aufgabenbereich Stellung genommen und neben mehreren Aufsätzen und Beiträgen zwei Bücher veröffentlicht: Nachrichtendienst (1920), Geheime Mächte (1923). „Kriegsgebiet KZ“, in: Das Schwarze Korps, 21. Dezember 1939. „Das Reichsinstitut für Geschichtsfälschungen,“ in: Deutsche Volkszeitung, 25. Oktober 1936. Es gibt Hinweise darauf, dass Nicolai in den 20er Jahren dem Stahlhelm nahe stand. Unklar ist auch, ob er wie sein ehemaliger Mitarbeiter Alfred von Olberg, der zwischen 1915 und 1918 Leiter der Oberzensurstelle war und im Herbst 1932 zum Reichspres-
VII.1. Gerüchte und Kontinuitäten der Überwachung
311
der 20er Jahre waren Nicolais Versuche, im Zivilleben Fuß zu fassen ebenso misslungen, wie seine Bemühungen, seine Kriegserfahrungen als Nachrichtendienstoffizier in Japan, Finnland, Litauen oder der Türkei zu verwerten. Zwar hielt sich Nicolai für den idealen Nachrichtendienstchef, aber nach 1933 griffen weder Gestapo, SD, oder die Abwehr auf ihn zurück. Allerdings referierte Nicolai am 3. Mai 1933 vor Goebbels. Dieser notierte: „Oberst Nicolai hält mir Vortrag. Sehr klar und bestimmt. Den hol ich mir.“22 In den 30er Jahren engagierte sich Nicolai für das Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands, das unter der Leitung Walter Franks nationalsozialistische Geschichtsauffassungen institutionalisieren sollte.23 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Nicolai Opfer seiner Selbststilisierung zu einem erfolgreichen Nachrichtendienstoffizier. 1941 hatte der deutsche Emigrant Curt Riess in den USA in einem Buch das angeblich die Welt umspannende Netz nationalsozialistischer Nachrichtendienste beschrieben und die Kontinuität zwischen der von Nicolai geführten Abt. III b und der Gestapo betont.24 Daraus ergab sich für sowjetische Nachrichtendienstoffiziere, dass Nicolai ‚graue Eminenz‘ der deutschen Nachrichtendienste gewesen sein musste.25 Nicolai wurde am 7. September 1945 in seinem thüringischen Wohnort von sowjetischen Soldaten verhaftet und nach Moskau transportiert. Dort starb er am 4. Mai 1947. 1999 wurde er von der russischen Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. In der Weimarer Republik wurden die Bespitzelung und Überwachung der Bevölkerung im Krieg nicht kritisch diskutiert. Zwar fanden Themen wie Spionage, Spionageabwehr, die Abwehr feindlicher Propaganda und Zensur ein breites Echo. Allerdings vollzog sich die Diskussion nicht im Zeichen der Eingriffe in bürgerliche Rechte und der Missgriffe staatlicher Autoritäten. Der Kampf um die Kriegsschuldfrage, die Suche nach den ‚wahren‘ Verantwortlichen der Niederlage wurde auf der internationalen Ebene und nach Innen gegen den republikanisch-demokratischen Staat geführt. Aber die Niederlage wurde nicht nur auf den angeblichen Dolchstoss, sondern auch auf das Versagen des ‚alten‘ Staates zurückgeführt, eine einheitliche Zensurpolitik, erfolgreiche Propaganda und Spionageabwehr zu gewährleisten. Nach dem Krieg wurden Spionage und Verrat Gegenstand einer Reihe von populären Veröffentlichungen und prägten nachhaltig das Bild des inneren Feindes als permanente, unsichtbare und elementare Bedrohung.26 Zu den verhängnisvollen Folgen der Nieder-
22 23 24 25 26
sechef des Stahlhelms ernannt wurde, dort auch eine Funktion übernommen hatte. Deutsche Allgemeine Zeitung 477, 11. Oktober 1932. Fröhlich (Hrsg.), Tagebücher Joseph Goebbels, Teil 1, Bd. 2, S. 416. Ob und inwieweit Nicolai mit Goebbels in Kontakt blieb, ist unbekannt. Heiber, Walter Frank, passim. Riess, Total Espionage, S. 3–4, 9, 95. Schmidt, Mata Haris erfolgloser Chef, in: Tagesspiegel, 8. Oktober 2001. Neben den Veröffentlichungen Nicolais sind u. a. zu nennen: Bernsdorff, Spionage; Felder (Hrsg.), Weltkrieg; Fischer, Spionage; Förster, (Hrsg.), Kämpfer; Grote (Hrsg.), Vorsicht!; Weltkriegsspionage.
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VII. Ausblick und Bilanz
lage zählte die Unfähigkeit, Zensur, Kommunikationskontrolle und den Maßnahmestaat des Weltkrieges kritisch zu diskutieren und die tatsächlichen Ursachen des Krieges und der Niederlage zu erfragen. Die während des Krieges enstandenen Diskursblockaden hatten so auch nach Kriegsende Bestand. Anders als im Deutschen Reich war der Übergang in die Nachkriegszeit in Großbritannien nicht gleichermaßen durch eine scharfe Zäsur geprägt. So bestand das War Cabinet bis 1919 fort, und erst mit der Auflösung des Oberkommandos der in Großbritannien stationierten Truppen zum 1. Februar 1920 endeten die Zuständigkeiten der Armee im Inneren.27 Wie im Deutschen Reich wurden nach dem Friedensschluss Umfang und Aufgaben des militärischen Nachrichtendienstes nicht auf den Stand vor Kriegsausbruch reduziert.28 In Großbritannien führten in der Zwischenkriegszeit die Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg und die mit diesem verbundene gesellschaftliche Mobilisierung in militärischen Kreisen nur vereinzelt zu Forderungen nach einer verstärkten Überwachung der Bevölkerung. Ein Offizier regte 1926 an, in einem zukünftigen Krieg dem Nachrichtendienst größere Bedeutung zuzuweisen. Dieser hätte sofort bei Kriegsausbruch Maßnahmen zu ergreifen, die eine Durchdringung der Nation auch mit unpopulären Kontrollen bedeuteten. Zu diesen Aufgaben der Nachrichtendienste zählte er u. a. ‚moral warfare‘ mit Propaganda und Gegenpropaganda.29 Zwar blieb der Verfasser mit seinen Forderungen allein, doch warnte er wenige Jahre später vor der Gefahr, dass Agenten einer feindlichen Macht durch subversive Propaganda und das Ausstreuen schädlicher Gerüchte („injurious rumour“) die Kriegsanstrengungen lähmen könnten.30 Mehr und mehr erkannten Offiziere das gegnerische industrielle Potential und die gegnerische Zivilbevölkerung als legitime Ziele militärischer Operationen. Daraus erwuchs auch der Schluss, die eigenen industriellen Zentren nicht nur gegen Angriffe zu Lande und aus der Luft, sondern auch gegen die Einflüsse psychologischer Kriegführung zu schützen.31 Entsprechende Stimmen blieben jedoch Einzelstimmen, so dass Probleme der gesamtgesellschaftlichen Mobilisierung im Großbritannien der 30er Jahre nur „vage und oberflächlich“ diskutiert wurden.32 In Teilen des britischen militärischen Denkens wurde der Bomber als das ultimative Instrument zum Brechen des gegnerischen Willens angesehen. In dieser Auffassung spiegelten sich durch den Weltkrieg geprägte Vorstellungen wider, dass der Krieg durch den Willen der Heimatfront entschieden worden war. Propagan27
28 29 30 31 32
Thurlow, Secret State, S. 117–188. 1920 ging die Abteilung für innere Sicherheit und Verbindung mit zivilen Behörden des Oberkommandos der in Großbritannien stationierten Truppen an das War Office über und wurde Anfang 1922 aufgelöst. Jeffrey, Army, S. 380. Andrew, Secret Service, v. a. 229–245; Thurlow, Secret State, v. a. S. 110–112; Hinsley und Simkins, Security and Counter-Intelligence, S. 5–21; Jeffrey, British Army. De Watteville, Intelligence, S. 483. De Watteville, International Espionage, S. 591. Wavell, Army, S. 669. Zu den während der 20er Jahre in der RAF diskutierten Zielen strategischer Luftangriffe s. Meilinger, Trenchard. Baumann, Entgrenzung, S. 252.
VII.1. Gerüchte und Kontinuitäten der Überwachung
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da und der Bomber galten gleichermaßen als Instrumente, diesen Widerstandswillen zu brechen. Damit war der der britischen Propaganda des Ersten Weltkrieges zugeschriebene Erfolg eine Voraussetzung, um das ‚moral bombing‘ des Zweiten Weltkrieges zu denken. Nachdem Gerüchte in den 20er Jahren in beiden Staaten Gegenstand vereinzelter wissenschaftlicher Arbeiten waren, wurden sie in den 30er Jahren wieder staatliches Handlungsfeld. Aber während in Großbritannien erst 1939 die Überwachung der Heimatfront aus dem Bedürfnis erwuchs, die innere Sicherheit im Krieg zu gewährleisten, bedeutete der in Deutschland mit der nationalsozialistischen Machtergreifung einsetzende Terror durch Polizei, Gestapo und Sicherheitsdienst der SS (SD) die Durchsetzung einer totalitären Ordnung. In Großbritannien wurden Gerüchte in den 30er Jahren im Rahmen der Vorbereitungen für ein im Falle eines Krieges einzurichtendes neues Ministry of Information diskutiert. Die Notwendigkeit ihrer Kontrolle bezog sich im Wesentlichen auf deren Entstehen im Zusammenhang mit Luftangriffen. Hierbei spielten die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges eine zentrale Rolle. Während in Großbritannien die Überwachung von Dissens und Subversion nach 1918 auf niedrigerem Niveau fortgesetzt wurde, wurden bis zum Zweiten Weltkrieg öffentliche Stimmungen nicht observiert. Im Gegensatz zum Deutschen Reich, wo der SD bereits 1936 mit der Überwachung des Faktors Stimmungen begonnen hatte, gerieten diese in Großbritannien erst mit der Bildung des Ministry of Information in der Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges in das Visier des Staates. Bemerkenswert ist hierbei, dass es mit demoskopischen Instituten zusammenarbeitete, die diesen Untersuchungen eine wissenschaftlich fundierte Basis gaben.33 Sowohl das Ministry of Information als auch die vom SD erstellten ‚Meldungen aus dem Reich‘ berücksichtigten Gerüchte als Faktor der öffentlichen Meinung.34 Wie im Deutschen Reich vollzogen sich auch in Großbritannien diese Beobachtungen nicht allein im Rahmen einer passiven Meinungsforschung, sondern waren auch mit Strafandrohungen verbunden. Aber nur im Sommer 1940 entwickelten sich Gerüchte in Großbritannien für die zuständigen Behörden zu einem Problem, das drastische Gegenmaßnahmen erforderte. Hintergrund war der katastrophale Kriegsverlauf in Frankreich, die Luftschlacht um England und die Angst vor einer drohenden Invasion. Als diese Anfang Juli 1940 in der Bevölkerung zunahm, forderte der Premierminister intern Maßnahmen gegen Gerüchte. Anders als ihre Vorläufer (z. B. ‚Careless Talk Costs Lives‘) rief die Kampagne ‚Silent Column‘ nicht allein zu Verschwiegenheit auf.35 Erklärtes 33 34 35
McLaine, Ministry of Morale, S. 23. Ebd., S. 82–85. An 2 740 Stellen werden zwischen Oktober 1939 und Juli 1944 in den SD-Berichten Gerüchte erwähnt. Dröge, Der zerredete Widerstand, S. 69. Vgl. Roland, Gerücht. MacLaine, Ministry of Morale, S. 82. Der Begriff Silent Column spielt auf die Fünfte Kolonne an. Dieses Schlagwort gewann nach seiner Entstehung während des Spanischen Bürgerkrieges große Bedeutung. Es war 1936 entstanden, nachdem ein nationalistischer General behauptet hatte, dass vier faschistische Armeen auf Madrid marschierten und sich eine
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VII. Ausblick und Bilanz
Ziel war auch, die Verbreitung von Gerüchten einzuschränken, um damit eine vermeintliche Schwächung des Verteidigungswillens auszuschließen. Gleichzeitig drängte die Regierung auf Verfahren wegen des Verbreitens von Unruhe und Niedergeschlagenheit, die zu Missstimmung in der Bevölkerung führen konnten. Da die Kampagne von der Presse scharf angegriffen wurde und den Eindruck erweckte, dass die Behörden versuchten, jede Kommunikation zu kontrollieren, wurde sie im August abgebrochen. Klatsch und Gerüchte galten im weiteren Verlauf des Krieges als äußerst unerwünscht, unterlagen aber mit wenigen Ausnahmen keiner weiteren Kontrolle und Strafandrohung.36 Während die Bekämpfung von Gerüchten in Großbritannien nur für einen kurzen Moment staatliches Handlungsfeld wurde, vollzog sich im nationalsozialistischen Deutschland eine gänzlich andere Entwicklung. Ein Hinweis darauf ist, dass 1938 der Begriff ‚Gerücht‘ erstmals als Phänomen der Gegenwart in Meyers Konversationslexikon aufgenommen wurde. Dies geschah nicht ohne zu betonen, dass dieses „im politischen Kampf“ besonders in Form der Verleumdung „ein gern verwandtes Mittel dar[stellt], das im Weltkrieg von unseren Gegnern angewandt wurde.“37 In früheren Ausgaben wurde unter diesem Eintrag allein auf den mittelalterlichen Begriff Gerüfte und antike Verkörperungen wie Fama und Rumor verwiesen. Bereits 1936 hatte der Leipziger Zeitungswissenschaftler Walter Schöne in der ersten deutschsprachigen Monographie über Gerüchte gefordert: „Das staats- und gesellschaftsfeindliche Gerücht muß unschädlich gemacht werden.“38 Schöne untermauerte seine Ausführungen u. a. mit Verweisen auf die schädliche Wirkung von Gerüchten im Ersten Weltkrieg. Im gleichen Jahr, in dem Schönes Broschüre erschien, versuchten staatliche Stellen erstmals, die Verbreitung von Gerüchten zu kriminalisieren. Am 31. März 1936 hatte das Reichsjustizministerium in einer Rundverfügung an die Generalstaatsanwälte eine einheitliche Strafverfolgung der „sog. Mundpropaganda“ gefordert39, und im Juli des gleichen Jahres mahnte Reinhard Heydrich in seiner Funktion als Politischer Polizeikommandeur der Länder anlässlich umlaufender Gerüchte über drohenden Getreidemangel ein „energisches Vorgehen gegen die Gerüchtemacher“ an.40 Zwischen der Überwachung von Gerüchten und dem nationalsozialistischen Terror bestand eine unmittelbare Verknüpfung. Sie dienten dem SD einerseits als „wichtiger Indikator für die Stimmung“41, andererseits unterlagen ihre Verbreiter dem nationalsozialistischen Terror. Ein Erlass Heydrichs unterschied am
36 37 38 39 40 41
fünfte Kolonne bereits in der Stadt befände. Seitdem wurde der Begriff synonym verwendet für die Unterwanderung durch den äußeren Feind. Ebd., S. 84. Meyers Konversationslexikon, Bd. 4, 19388, S. 1359. Schöne, Gerücht, S. 9. BA R 58/ 268, fol. 14. Schreiben an die Leiter der Staatspolizeistellen und der Politischen Polizeien (4. 7. 1936), BA R 58/268, fol. 17. Boberach (Hrsg.), Meldungen, Bd. 1, S. 25.
VII.2. Nichts als Gerüchte?
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13. März 1941 zwischen den „Gerüchten und Witzen harmloser und durchaus positiver Natur“ und jenen „besonders staatsabträglichen und gehässigen Charakters“, gegen deren Verbreiter „schärfstens“ vorzugehen war.42 Bereits 1940 hatte der Abwehrbeauftragte der SS unter Verweis auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges gefordert: „Menschen, die im Krieg staatsfeindliche Gerüchte kolportieren, müssen ausgemerzt werden, sie gehören an den Galgen.“43Als im Herbst 1943 das Reichssicherheitshauptamt einen Film zur Aufklärung über Gerüchte plante, schlug Himmler eine Szene vor, in der ein Geheimpolizist einen Verbreiter von Gerüchten („Hetzer“) mit den Worten verhaften sollte „‚Kommen sie mit, Sie haben uns gerade noch gefehlt. Derartige Dinge sind im Jahr 1917/18 durchgegangen, diesmal werdet ihr Feiglinge dasselbe nicht erleben.‘“44 Anders als während des Ersten Weltkrieges drohten den Verbreitern von Gerüchten nicht mehr Gefängnis- oder Geldstrafen. Nach 1933 konnten beiläufige Äußerungen den Beginn unvorstellbaren Leidens oder den Tod bedeuten: Nicht mehr die Gerüchte wurden, wie von Schöne gefordert, unschädlich gemacht, sondern ihre Verbreiter. Diese permanente Drohung totaler Destruktion bedeutete einen radikalen Bruch mit der Überwachungspraxis während des Ersten Weltkrieges.
VII.2. Nichts als Gerüchte? In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis von Medien, Kommunikation und Politik zu einem zentralen Thema der historischen Forschung entwickelt. Unter dem Stichwort einer „Kulturgeschichte des Politischen“ wurden verstärkt Sprache, Bilder und Rituale als symbolische Praktiken entschlüsselt.45 Indem die vorliegende Untersuchung jedoch nicht in erster Linie dem semantischen Gehalt öffentlicher Kommunikation nachgeht, ist sie diesem Ansatz nicht gefolgt. Vielmehr wurden Veränderungen des Kommunikationsverhaltens, dessen Ursachen sowie staatliche Kontroll- und Steuerungsversuche verglichen. Auf zwei Ebenen wurde mit Gerüchten den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges an einer Schnittstelle von medialem Angebot und Medienrezeption nachgegangen. In den Kapiteln I. bis IV. wurden auf einer ersten Ebene staatliche Interventions- und Kontrollmaßnahmen wie Zensur und Kommunikationskontrolle untersucht. Anhand der Kommunikation von Gerüchten wurden auf einer zweiten Ebene in den Kapiteln V. und VI. Legitimitäts- und Glaubwürdigkeitskrisen und deren Folgen betont. Gerüchte wurden als Perspektive auf Kommunikationsstrukturen in einem Dreieck von Publikum, medialem Angebot und staatlichem Handeln verstanden. 42 43 44 45
BA R 58/ 990, fol. 35–36. BA NS 19/ 3867. Heiber, Reichsführer, Nr. 272, S. 236. Frevert, Neue Politikgeschichte; Stollberg-Rillinger, Kulturgeschichte des Politischen?
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VII. Ausblick und Bilanz
Das massenhafte Aufkommen von kapillaren und komplementären Kommunikationsformen wie dem Gerücht ist durch gesellschaftliche Vertrauenskrisen zu erklären und verweist damit auf weitaus komplexere Zusammenhänge als allein den Moment ihrer Weitergabe. Gerüchte sind hierbei nicht allein als interpersonale bzw. mündliche Kommunikation zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um komplexe kommunikative Phänomene, die aus dem Spannungsfeld zwischen Informationsbedürfnis und staatlicher wie medialer Informationsverweigerung resultieren und sich nicht auf Hörensagen reduzieren lassen. Die Untersuchung bestätigt damit die Annahme Jörg Requates, dass „Forschung über Gerüchte letztlich Forschung über Kommunikation insgesamt“ sei und die „Beschäftigung mit Gerüchten daher nicht nur unter dem Aspekt ihrer jeweiligen Inhalte von Interesse [ist], sondern […] den Blick auch auf gesellschaftliche Kommunikationsstrukturen“ lenkt.46 Es wurde gezeigt, dass Gerüchte einen kommunikativen Raum des Möglichen konstruieren, in dem sich Wünsche, Ängste und Erwartungshaltungen entfalten. Während dieser Prozess in beiden Staaten in unterschiedlicher Intensität zu beobachten ist, gilt dies nicht für die Wahrnehmung von Gerüchten durch staatliche Stellen. Allein im Deutschen Reich wurde in der Kommunikation von Gerüchten das Potential einer gesellschaftlichen und politischen Bedrohung erkannt. Je mehr die Kommunikation aus Unsicherheit zu einer Kommunikation der Unsicherheit selbst geriet, umso stärker prägte im Deutschen Reich Misstrauen sowohl die Praktiken als auch die Wahrnehmungen öffentlicher Kommunikation durch staatliche Stellen. Auch wenn für diese Arbeit Gerüchte als Perspektive auf gesellschaftliche Kommunikationsstrukturen gewählt wurden, sind diese keineswegs als ein Königsweg der Kommunikationsgeschichte anzusehen. Neben der mitunter umständlichen und aufwändigen Quellenarbeit ist zu betonen, dass eine Untersuchung von Gerüchten in der Regel sozial unscharfe Ergebnisse liefert. Nur in den seltensten Fällen ist es möglich, aus den Quellen Rückschlüsse auf den sozialen Hintergrund ihrer Kommunikatoren zu ziehen oder gar Kommunikationsnetzwerke zu zu konkretisieren. Allerdings bieten sie als Perspektive auf Kommunikationsstrukturen durchaus Vorteile: (a) Gerüchte schärfen den Blick auf ‚Vorstellungswirklichkeiten.‘ Nicht allein in Hinsicht auf die Kommunikation von Gerüchten, sondern auch in Hinsicht auf die Kommunikation über Gerüchte. Sie ermöglichen damit Einblicke in das, was in in bestimmten Situationen für möglich gehalten wurde. (b) Gerüchte als Perspektive auf gesellschaftliche Kommunikationsstrukturen ermöglichen eine Dynamisierung des Öffentlichkeitsbegriffes, da sie das Verhältnis der verschiedenen Öffentlichkeitsebenen zueinander und das Verhältnis zwischen Medienangeboten und deren Rezeption betonen. (c) Gerüchte lenken den Blick auf die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Einerseits nahm zwischen 1914 und 1918 der Anspruch des Staates auf das Private zu, um die Mobilisierung für die Kriegsan46
Requate, Anmerkungen, S. 240.
VII.2. Nichts als Gerüchte?
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strengungen und eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Andererseits wurde das Öffentliche umso stärker privatisiert, je mehr der Staat in die Daseinsvorsorge eingriff. So unterlagen die Grenzen des öffentlichen Raumes permanenten Veränderungen. (d) Zuletzt ist zu betonen, dass es eine Untersuchung von Gerüchten erlaubt, gesellschaftliche Verunsicherung als kommunikativen Prozess zu thematisieren. Öffentlichkeiten sind fragile Ressourcen öffentlichen Vertrauens. Als ein Medium der Krise ermöglichen es Gerüchte, eben diese Fragilität zu erfassen. Nach Aribert Reimann war der Erste Weltkrieg nicht allein ein ‚großer Krieg der Sprachen‘, sondern auch eine Konfrontation nationaler Medien und Kommunikationsstile.47 Die Wirksamkeit von Wahrnehmungsmustern, Diskursen und semantischen Feldern war jedoch abhängig von der Fähigkeit zur öffentlichen Kommunikation: deren Voraussetzung waren glaubwürdige Medien. Das (Ver-)schweigen als Herrschaftstechnik führte vor allem im Deutschen Reich zur Desintegration medialer Öffentlichkeiten durch Glaubwürdigkeitskrisen und deren Konkurrenz mit komplementären Kommunikationsformen. Zwischen 1914 und 1918 verschwammen einerseits die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge; Maureen Healy spricht von einer Krise der Wahrheit an der Heimatfront.48 Andererseits veränderten sich auch die Praktiken der Information und wurden den veränderten Informationsangeboten angepasst: Intensiver als in der Vorkriegszeit wurde das Zeitgeschehen durch ein mediales Ensemble wahrgenommen: Massenmedien wurden nun vermehrt durch komplementäre Kommunikationsformen wie Briefe und Gerede ergänzt. Nicht allein die Praktiken der Information über das weit entfernte Kriegsgeschehen veränderten sich. Für das Leben und Überleben in der Großstadt wurden Informationen wichtig, die nur in einem begrenzten lokalen Umfeld gewonnen werden konnten: Auf der Straße, beim Schlangestehen, in Gasthäusern. Welche Dynamik gerade die Kommunikation von Gerüchten entwickeln konnte, zeigen z. B. die Monate Juli und August 1914. Die Vorwegnahme des totalen Krieges durch Gerüchte über Luftangriffe, Gräuel und Attentate mit ihren Entgrenzungen und Radikalisierungen trugen erheblich zur Kriegsbereitschaft der jeweiligen Bevölkerung bei. In diesem massenhaften Aufkommen verweisen Gerüchte auf tief greifende Verunsicherungen, Irritationen und Verstörungen. Im Deutschen Reich wurden dies Faktoren, die dazu beitrugen, dass der Krieg in einer Revolution endete. Das staatliche Misstrauen in die Zuverlässigkeit und Belastbarkeit der eigenen Bevölkerung trug zur Formierung der Heimatfront als einem Gegensatz von Staat und Gesellschaft bei. Der Erste Weltkrieg war ein Massenkrieg, in dem die Mobilisierung der gesamten Gesellschaft kriegsentscheidend war und zu einem Tätigkeitsfeld des Staates wurde. Allerdings gingen Institutionen und Praktiken der Zensur, der Meinungslenkung und der Kommunikationskontrolle nicht auf 47 48
Reimann, Der große Krieg. Eksteins, Tanz, S. 352; Healy, Vienna, S. 124.
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VII. Ausblick und Bilanz
in der Vorkriegszeit angelegte Planungen zurück. In den ersten Kriegstagen waren in beiden Staaten Zensurregime an die Stelle der im Laufe des 19. Jahrhunderts erkämpften Pressefreiheit getreten. Schon nach wenigen Monaten war aus einer Zensur der Berichterstattung über militärische Ereignisse eine allgemeine Zensur politischer Angelegenheiten entstanden, die weitgehend ziviler Kontrolle entzogen war und auf Grundlage des Ausnahmezustandes in den Händen der Militärbefehlshaber lag. Aber trotz des im Deutschen Reich zwischen 1914 und 1918 auf ein bis dahin unbekanntes Maß gesteigerten Machtpotentials des Staates waren zivile und militärische Behörden nicht in der Lage, die Heimatfront zu remobilisieren und eine Erosion staatlicher Ordnung zu verhindern. Eine Ursache für die unterschiedliche Intensität gesamtgesellschaftlicher Lenkungsansprüche in Großbritannien und dem Deutschen Reich ist der unterschiedliche Grad der Militarisierung der Meinungslenkung. Aber auch hinter der zivilen Fassade des britischen Press Bureau standen Armee und Marine. Diese hatten aber im Deutschen Reich ein ganz anderes innenpolitisches Gewicht. Weitaus stärker als in Großbritannien trug im Deutschen Reich die Zensur dazu bei, eine Kontrollspirale in Gang zu setzen: Je weniger Informationen Polizeien und Nachrichtendienste über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung durch die Auswertung von Zeitungen ermitteln konnten, desto intensiver mussten sie im voröffentlichen Raum akkumuliert werden. Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belastungen des Krieges hatten alle kriegführenden Gesellschaften vor die Aufgabe ihrer möglichst effizienten Organisation gestellt. Im Vergleich der Expansion staatlicher Überwachung zeigen sich mit der deutschen Ausdehnung gesellschaftlicher Kontrolle auf einfache Öffentlichkeiten, und damit auch auf Gerüchte deutliche Unterschiede zu britischen Entwicklungslinien. Diese Versuche, vermittels des Ausnahmezustandes mit Gerüchten das Unkontrollierbare zu kontrollieren, verweisen auf die geradezu beliebig ausgeweiteten Vollmachten der StGKs unter dem Ausnahmezustand. Sie stehen aber auch für die geringe Toleranz für Abweichungen von der patriotischen Norm im Sinne der perpetuierten Parole, dass nun Ruhe die erste Bürgerpflicht sei. Im Deutschen Reich verweist der staatliche Umgang mit Gerüchten auf vier Tendenzen der Überwachungspraxis: (a) Hier war die gesellschaftliche Überwachung dichter als in Großbritannien. (b) Die deutschen Überwachungsberichte erfassten weitaus stärker als die britischen Agenturen der Überwachung den Faktor Stimmung. Damit gerieten nicht allein tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen und Risiken in das Visier des Staates, sondern der Staat versuchte zudem, einen weitaus allgemeineren Kontrollanspruch durchzusetzen. (c) Die deutschen Versuche der Gerüchtekontrolle deuten darauf hin, dass im Deutschen Reich die Überwachung nicht allein der Gefahrenabwehr, sondern auch der Durchsetzung einer gesellschaftlichen Ordnung diente. (d) Die Wahrnehmung der eigenen Gesellschaft durch die Behörden vollzog sich hier weitaus stärker als in Großbritannien zunehmend in durch Feindschaft geprägten Kategorien.
VII.2. Nichts als Gerüchte?
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Zusätzlich zu den von Stig Förster identifizierten vier Hauptbestandteilen des Konzepts totaler Krieg – totale Kriegsziele, totale Kriegsmethoden, totale Mobilisierung und totale Kontrolle – wird totale Feindschaft als ein Merkmal des totalen Krieges vorgeschlagen. Denn die Extensität von Verfeindungen (und deren gesellschaftliche Akzeptanz) nach Innen und Außen war Voraussetzung für die Ideologisierung und Mobilisierung der kriegführenden Gesellschaften. Sven Oliver Müller hat „die offene bzw. die schleichende Ethnisierung der Nationsvorstellungen in Deutschland und Großbritannien“ und die daraus resultierende neue Qualität nationalistischer Feindbilder betont.49 Inwieweit auch die Vorstellungen des inneren Feindes einer ähnlichen Entwicklung unterlagen, ist weitgehend unerforscht. Im Rahmen dieser Arbeit eröffnet nicht allein der kontrastierende nationale Vergleich, sondern auch der diachrone Vergleich innerhalb der untersuchten Gesellschaften neue Perspektiven. Denn Unterschiede zwischen den deutschen und britischen Entwicklungen dürfen nicht den Blick darauf verstellen, wie sehr sich zwischen 1914 und 1918 auch in Großbritannien das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft verändert hatte. In beiden Staaten beruhten weite Teile der Kontrolle auf den Möglichkeiten des jeweiligen Ausnahmezustandes. In Großbritannien bedeutete die Einführung des DORA jedoch eine weitaus größere Zäsur als die Einsetzung der Militärbefehlshaber auf Grundlage des bereits bestehenden preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand von 1851 im Deutschen Reich. Der Vergleich bestätigt spezifisch preußisch-deutsche Sonderwege – zu nennen sind vor allem das antiquierte Gesetz über den Belagerungszustand, das Immediatsystem und die Rolle des Monarchen, wie auch die allgemeine Reformunfähigkeit –, verwirft aber auch Großbritannien als eindimensionale Folie einer europäischen Normalentwicklung. Denn es waren eben nicht der britische Parlamentarismus oder die britischen liberalen Traditionen, sondern deren kontrollierte Preisgabe, die die Handlungsfähigkeit und damit auch die Legitimität des Staates gewährleisteten. Diese Prozesse gingen auf Veränderungen zurück, die die politische Praxis und die Verfassungswirklichkeit der Kriegsjahre zwar deutlich von der Vorkriegszeit abgrenzte. Innerhalb dieser Prozesse sind Entwicklungslinien zu beobachten, die auf Kontinuitäten mit der Vorkriegszeit verweisen: Die Einführung des Official Secrets Act (1911) und die schleichende Ausdehnung der Aufgaben der Special Branch bereits vor dem Krieg waren unmittelbare Folgen des durch die drohende Kriegsgefahr entstandenen Bewusstseins für die innere Bedrohung durch den äußeren Feind. Dagegen war die in der zweiten Hälfte des Krieges erfolgte Expansion der staatlichen Überwachung auch auf die Bedrohung durch den inneren Feind in Gestalt der Arbeiterbewegung und des Pazifismus zurückzuführen. Obwohl vor allem liberale Zeitungen und Zeitschriften immer wieder auf die Stellung des Militärs und den DORA verwiesen, gelang es in Großbritannien zwischen 49
Müller, Nation, S. 217.
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VII. Ausblick und Bilanz
1914 und 1918, wie vor dem Krieg, zumindest die Fiktion der Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten.50 Dies war nicht zuletzt deshalb möglich, weil Öffentlichkeit als Medium der Selbstverständigung der Gesellschaft über sich selbst weitgehend intakt blieb.
50
S. a. Jahr, British Prussianism, S. 309.
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ANHÄNGE Anhang 1: Merkblatt Heimatheer deutscher Frauen Anhang 2: Entwürfe für Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten Anhang 3: Verfahren gegen Verbreiter von Gerüchten in London Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten
Anhang 1: Merkblatt Heimatheer deutscher Frauen1 „Es ist Pflicht jeder deutschen Frau. 1. In strenger Selbstzucht sich aller Äußerungen zu enthalten, die durch Schwarzseherei und Flaumacherei die Stimmung vergiften oder durch Anmaßung und Auftrumpfen die Stimmung reizen könnten, auch nicht aus falschem Gerechtigkeitsgefühl die Leistungen Deutschlands gegenüber dem Auslande herabzusetzen. 2. Auf ihre Umgebung, Angehörige, Dienstboten und sonstigen Angestellten, Bekannte, Lieferanten usw. Im gleichen Sinne einzuwirken, sie besonders zum Ausharren und Durchhalten aufzumuntern. 3. Auch in der Öffentlichkeit, – in Straßen- Stadt- und Untergrundbahnen, an Schaltern und in Warteräumen, in Bezugsscheinstellen und beim Einkauf, in Volks- und Mittelstandsküchen, in Theatern und anderen Veranstaltungen und wo sonst immer es sei, – jeglicher flaumacherischen Äußerung entgegen zu treten. (Es wird sich dabei empfehlen, aufkeimenden Unwillen durch Hinweis auf die wahren Schuldigen der Kriegsbeschwerden, dem Vielverband, hinzulenken.) 4. Bei der gleichen Gelegenheit, durch Ruhe und Humor für eine geduldige, freundliche Stimmung zu sorgen, überhaupt, auf eine Verbesserung des Verkehrstons (besonders auch am Fernsprecher und in Geschäften) hinzuwirken. 5. Klagen über Gerüchte, die besonders geeignet sind, die Stimmung nachteilig zu beeinflussen, zur Kenntnis der Kriegsberatungsstelle zu bringen, besonders flaumachende Personen festzustellen und namhaft zu machen. 6. In Theatern und Kinos Stimmung hebende Vorführungen durch halblaute Bemerkungen zu unterstützen, von Kaffeorchestern und Sängern (aller Art, auch Bänkelsängern) das Vortragen vaterländischer Lieder zu verlangen. 7. Um die Verbreitung von Plakaten und Flugschriften in geeigneter Form bemüht zu sein. 8. Im Bekanntenkreis für dieses Heimatheer deutscher Frauen zu werben und Vereine, Zeitungen, Theater, Behörden und einzelne bedeutende Persönlichkeiten für diese Bestrebungen zu gewinnen. (Nur wenn die Bewegung eine allgemeine wird und Tausende Frauen sich beteiligen kann sie zum Erfolge führen.) 9. Sich zu erheben, wenn die Nationalhymne gespielt wird. Fahnen heraus bei jedem Sieg!
1
GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20 a, Bd. 2, fol. 75–76.
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Anhänge
Erklärung. Ich erkenne an, daß der deutschen Frau eine allgemeine und freiwillig auszuübende Dienstpflicht obliegt zur Aufmunterung der Stimmung in der Heimat im Sinne des mir heute übergebenen Merkblatts. […] Ich bin ferner bereit, folgende Sonderaufgaben zu übernehmen und stehe zu Vorbesprechungen über diesen Gegenstand zur Verfügung: 1. Frauen aus dem Volke anzuwerben und namhaft zu machen, die geeignet und willens sind, in ihren Kreisen die Stimmung zu heben und umstürzlerischen Verhetzungen entgegen zu treten (auch bei Massenversammlungen, Streiks, Aufläufen etc.) 2. Im Außendienst tätig zu sein, das heißt neben der Tätigkeit im Sinne des Merkblattes an bestimmten Stellen in festgesetztem Turnus und nach vorhergegangener Instruktion in gleicher Weise beruhigend, aufklärend, vermittelnd, Klagen entgegen nehmend usw. zu wirken: und zwar in: 1. Volksküchen 2. Bezugsscheinstellen 3. Gesinde-Vermietungsbüreaus 4. Wartezimmern 5. an anderer Stelle Wie oft in der Woche? Wieviel Stunden täglich? 3. Im Innendienst tätig zu sein Wie oft und wie lange? Unentgeltlich oder (ausnahmsweise) entgeltlich? 1. In der Schriftleitung (schriftliche Arbeiten aller Art zu übernehmen). 2. In der Kriegsberatungsstelle (die eingehenden Klagen und Gerüchte zu sammeln, zu sichten, und zu erledigen, Auskünfte zu erteilen usw.) 3. In der Außendienststelle (die unter 2) geschilderte Tätigkeit zu organisieren, zu leiten und zu beaufsichtigen, sowie die fortlaufend zu ergänzenden Instruktionen herzustellen. 4. In der Abteilung für Zeitungs- und Vortragswesen (schriftstellerisch oder rednerisch tätig zu sein und dergl. mehr). 4. Sonstiges“
Anhang 2: Entwürfe für Schlagworte zur Bekämpfung von Gerüchten2 „Es empfiehlt sich den aufsteigenden unsinnigen Gerüchten mit treffenden Schlagworten auf Schriftplakaten (an allen öffentlichen verkehrsreichen Stellen, an Anschlagssäulen, in Straßenbahnwagen, Eisenbahnwagen usw.) in auffälliger Form in den Zeitungen sowie in Kinos entgegenzuarbeiten. Die folgenden Schlagworte können als Muster dienen. 1. Wer Gerüchte weiterverbreitet: Nützt den Feinden, 2
MvU 30 (11. 9. 1918), S. 1; ebd. 31 (18. 9. 1918), S. 1.
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Anhänge
Schädigt das Vaterland, Macht sich strafbar. 2. Wer Gerüchte verbreitet, die den Kampfwillen und die Zuversicht schwächen, begeht Verrat am Vaterlande. Meldet die Verbreiter von Gerüchten zur Bestrafung! 3. Die unsinnigsten Gerüchte werden von feindlichen Agenten ausgesprengt und von gutgläubigen Toren weiterverbreitet. Tretet ihnen entgegen, denn sie sind unwahr. Führt ihre Verbreiter der Bestrafung zu, denn sie sind Spionen gleich zu achten! 4. Ein Schwätzer in der Heimat macht das Werk von 1000 Frontkämpfern zunichte. 5. Wer haltlose Gerüchte glaubt, ist ein Tor; wer sie weiterverbreitet, ein Verräter! 6. Die schwatzhafte Zunge ist ein vergifteter Dolch; Deutschland aber braucht das Schwert. 7. Wer Gerüchte ausstreut, schwächt den Siegeswillen und verlängert den Krieg. 8. Schweigt! Ein unbedachtes Wort aus deinem Munde Und ob es noch so ungefährlich klingt – Macht über Berg und Täler seine Runde Bis es zu Ohren uns’rer Feinde dringt. Ein dummes, kleines Wort kann schaden, Ein winzig Sätzchen bringt viel Ungemach, Und tausend treue deutsche Kameraden, Die büßen deine Torheit tausendfach! […] 1. Gerüchte sind meist dumm und immer falsch! Ihre Verbreitung kann zu Vaterlandsverrat werden. 2. Wer Gerüchte weitererzählt, schadet seinem Vaterlande und hilft dem Feinde. 3. Die gefährlichste Waffe der Feinde ist die Vergiftung unserer Volksstimmung. Zahllose Agenten sind noch immer unter uns tätig. Wer Gerüchte glaubt und sie weitererzählt, arbeitet für sie. 4. Der Feind streut Gift durch falsche Gerüchte; daher hütet eure Zunge! 5. Gerüchte verbreiten, Heißt Deutschland verraten! Glaubt denen die streiten! Traut deutschen Taten!“
Anhang 3: Verfahren gegen Verbreiter von Gerüchten in London (September 1917 bis Mai 1918)3 Datum 1. 9. 1917
3
4
Tatbestand Behauptete, dass ein Luftangriff stattfinden würde.
Urteil 40 Shilling4
Die vorliegenden Angaben sind nicht vollständig. Sie beruhen auf den vorhandenen Weekly Intelligence Summaries und einer Durchsicht der Tagespresse. Da aus den Quellen nicht immer das Datum des Urteils hervorgeht, wird hier nur das Datum der Berichterstattung aufgeführt. Zu den Geldstrafen: ein britisches Pfund sind 20 Shilling zu jeweils 12 Pennies. Eine Guinea zählt 1 Pfund und 1 Shilling. The Times, 1. September 1917.
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2. 10. 1917 Zwei Freunde verbreiten, dass ein Luftangriff stattfinden würde. Eine Stunde nachdem ein Luftalarm aufgehoben worden war, liefen die beiden durch eine belebte Straße und behaupteten, dass ein neuer Angriff begonnen hätte. 3. 10. 1917 Ein Jugendlicher lärmte mit einer Gruppe von anderen Jungen Dies wurde von den Anwohnern als Warnung vor einem Luftangriff aufgefasst. 4. 10. 1917 Behauptete während eines Luftangriffes, dass ein Bahnhof brennen würde und löste damit eine Panik aus. 6. 10. 1917 Ein Kellner behauptete in einem Restaurant, dass Luftalarm ausgelöst worden wäre. 13. 10. 1917 Behauptete, dass ein Luftangriff stattfinden würde. 5. 11. 1917 Behauptete ein Luftangriff stünde bevor. 28. 1. 1918 28. 1. 1918 4. 2. 1918 11. 2. 1918 11. 2. 1918 25. 2. 1918 1. 4. 1918 27. 5. 1918
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand. Behauptete, dass ein Luftangriff bevorstand.
unbekannt5
unbekannt6 25 Pfund und 3 Guineen Verfahrenskosten7 1 Monat Gefängnis mit Zwangsarbeit8 6 Monate Gefängnis mit Zwangsarbeit und 40 Pfund bestraft9 6 Monate Gefängnis mit Zwangsarbeit10 Freispruch11 10 Pfund12 10 Pfund13 3 Pfund14 3 Pfund15 unbekannt16 unbekannt17 Competent Military Authority wünscht keine Verurteilung18
Daily News, 2. Oktober 1917. Daily News, 3. Oktober 1917. The Times, 4. Oktober 1917. The Times, 6. Oktober 1917. The Times, 13. Oktober 1917. The Times, 5. November 1917. Weekly Intelligence Summary (London District) (28. 1. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Der Freispruch wurde mit der großen Erregung des Angeklagten begründet. Weekly Intelligence Summary (London District) (28. 1. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Weekly Intelligence Summary (London District) (4. 2. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55; Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918) ebd. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Weekly Intelligence Summary (London District) (11. 2. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Weekly Intelligence Summary (London District) (25. 2. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/55. Weekly Intelligence Summary (London District) (1. 4. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/56. Weekly Intelligence Summary (London District) (27. 5. 1918), PRO AIR 1/558/16/15/56. Aus einer Zusammenstellung von M.I.5 geht hervor, dass zwischen April und Juni insgesamt 12 Personen wegen der Verbreitung von Gerüchten verurteilt wurden. PRO KV 2/51, fol. 91.
Anhänge
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Anhang 4: Von Militärbefehlshabern ausgesprochene Verbote, Gerüchte zu verbreiten (1914-1918)19 Datum 3. 8. 1914 16. 10. 1914 6. 11. 1914 10. 11. 1914 15. 11. 1914 27. 11. 1914 27. 11. 1914 3. 12. 1914 17. 7. 1915 29. 2. 1916 1. 6. 1916 ca. Januar 1917 18. 2. 1917 16. 5. 1917 Sommer 1918 22. 8. 1918 3. 9. 1918 9. 9. 1918 13. 9. 1918
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Militärbefehlshaber III. Bay. AK (Nürnberg)20 StGK Mecklenburg-Schwerin21 XIV. AK (Karlsruhe)22 I. Bay. AK (München)23 unbekannt24 XV. AK (Straßburg)25 XIII. AK (Stuttgart)26 Festung Köln27 XIV. AK (Karlsruhe)28 XIII. Württ. AK (Stuttgart)29 I. Bay. AK (München)30 XIV. AK (Karlsruhe)31 Festung Köln32 I., II., III. Bay. AK (München, Würzburg, Nürnberg)33 IV. AK (Magdeburg)34 XI. AK (Kassel)35 OKM (Berlin)36 VI. AK (Breslau)37 XIII. Württ. AK (Stuttgart)38
Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; z. T. handelt es sich nur um Wiederholungen bereits bestehender Verbote. Beiblatt zum Justizministerialblatt für das Königreich Bayern 7 (1915), S. 158–161; BayHStA MKr, Nr. 2332. Schiffer, Kriegsnotrecht, Sp. 1239. BA R 1501, Nr. 112328, fol. 303. Die Polizei 19 (10. 12. 1914), S. 460–461. Conrad, Gesetz über den Belagerungszustand, S. 79–80. Die Polizei 17 (12. 11. 1914), S. 399. Handbuch der Verordnungen StGK XIII. Württ. AK, S. 26. Verordnungen der Festung Cöln, 1. Nachtrag, S. 58. BA R 1501, Nr. 112328, fol. 303. Handbuch der Verordnungen StGK XIII. Württ. AK, S. 26. BayHStA StGK des I. AK, Nr. 1709. BA R 1501, Nr. 112328, fol. 303. Verordnungen der Festung Cöln, 1. Nachtrag, S. 57. BayHStA MKr, Nr. 2332. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1262. MvU [StGK XI. AK] 15 (14. 9. 1918), S. 98. Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, Nr. 468, S. 1259. Archivalische Forschungen, Bd. 4, Nr. 702, S. 1594. Heimatdienst in Württemberg 2 (5. 10. 1918), S. 1.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AfS AK BA BA/MA BayHStA BEF BLHA CHS DORA DRR GG GK GStA GWU HC HdA HHdF HL HO HZ IfZD IWM JCH JMH JRUSI KPA LAB MGM MGZ MvU MvU [StGK XI. AK] OHL OKM OZ PAAA PRO StAbt. III b StAMr
Archiv für Sozialgeschichte Armeekorps Bundesarchiv, Berlin Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München British Expeditionary Force Brandenburgische Landeshauptarchiv, Potsdam Consignia Heritage Services, London Defence of the Realm Act Defence of the Realm Regulation Geschichte und Gesellschaft Generalkommando Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Parliamentary Debates, House of Commons Stenographische Berichte der Verhandlungen des Preußischen Abgeordnetenhauses Heimatheer deutscher Frauen Parliamentary Debates, House of Lords Home Office Historische Zeitschrift Institut für Zeitungsforschung, Dortmund Imperial War Museum, London Journal of Contemporary History Journal of Modern History Journal of the Royal United Services Institute Kriegspresseamt Landesarchiv Berlin Militärgeschichtliche Mitteilungen Militärgeschichtliche Zeitschrift Mitteilungen für den Vaterländischen Unterricht. Hrsg. vom Kriegspresseamt Mitteilungen für den Vaterländischen Unterricht. Hrsg. vom StGK XI. AK Oberste Heeresleitung Oberkommando in den Marken Oberzensurstelle Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Public Record Office, Kew (jetzt The National Archives) Stellvertretende Abteilung III b Staatsarchiv Marburg
Abkürzungsverzeichnis
StGK/StGKs VdKA VdR WUA
WüHStA
327
Stellvertretendes Generalkommando/ Stellvertetrende Generalkommandos Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages Verhandlungen des Reichstages Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages Württembergische Hauptstaatsarchiv, Stuttgart
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1:
Die vielfältigen Aufgaben der Postzensur dargestellt in einem 1919 als Privatdruck erschienen Erinnerungsband von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der britischen Postzensur. The London Censorship. London 1919, S. 31. Privatbesitz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 u. 3: In der zweiten Kriegshälfte vermutlich in Bayern verbreitetes Propagandamaterial mahnte zu Verschwiegenheit und Disziplin im Gespräch. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, MKr. 2332. . . . . Abb. 4: Durch die Arbeit der Zensur verursachte Lücken der Berichterstattung wurden von der britischen Presse spöttisch kommentiert. Punch, 25. 11. 1914. Staatsbibliothek, Berlin. . . . . . . . . . . . . Abb: 5: Der Leiter des Press Bureau unterbindet in dieser Karikatur des Satiremagazins Punch mit eigener Hand die Verbreitung von Gerüchten. Punch, 19. 8. 1914. Staatsbibliothek, Berlin. . . . . . . . . . . . . . Abb. 6: Titelseite einer 1916 in Großbritannien erschienenen Sammlung von Karikaturen und Spottversen über die Gerüchte des Krieges. Reginald Arkell, All the Rumours. London 1916. Titel. Staatsbibliothek, Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Mit dem Streikmanifest in der einen und dem Dolch in der anderen Hand: Der Verräter droht dem ahnungslosen britischen Soldaten in den Rücken zu fallen. Punch, 2. 10. 1918. Staatsbibliothek, Berlin. . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: In dieser Karikatur des Kladderadatsch widersteht ein deutscher Arbeiter den flaumachenden Verführungen der feindlichen Propaganda. Kladderatsch, 15. 9. 1918. Universitätsbibliothek Heidelberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
S. 105
S. 143
S. 179
S. 210
S. 213
S. 289
S. 305
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. Ungedruckte Quellen Deutschland Bundesarchiv, Berlin (BA) Persönlicher Stab Reichsführer SS (NS 19): 3867 Reichskanzlei (R 43): 2398 j, 2398 l, 2437 c, 2439 c, 2440, 5133 Reichssicherheitshauptamt (R 58): 268, 990 Stellvertreter des Reichskanzlers (R 701): 111 Reichsamt des Inneren (R 1501): 112030, 114440, 112475, 114438, 112271
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PAAA) R 622, R 623, R 20888, R 22416
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA) Hauptabteilung I. Preußisches Ministerium des Inneren (Rep. 77): Tit. 235 Nr. 1, Bd. 14; Tit. 332 bb Nr. 33, Bd. 1; Tit. 354 Nr. 34, Bd. 1; Tit. 354 Nr. 34, Bd. 18; Tit 872, Nr. 12; Tit 872, Nr. 12, Bd. 2; Tit. 949 Nr. 1 m; Tit. 949 Nr. 20 a; Tit. 1059 Nr. 3, Bd. 2 Preußisches Staatsministerium (Rep. 90): 2433, 2681 Hauptabteilung X. Regierungspräsidium Potsdam (Pr. Br. Rep. 2 I): Nr. 35
Landesarchiv Berlin (LAB) Militärbüro (A Rep. 001-04): 9110 Polizeiverwaltung Spandau (A Rep. 038-01): 14 Nachlass Alexander Dominicius (E Rep. 200-41): 5
Institut für Zeitungsforschung, Dortmund (IfZD) Nachlass Erhard Deutelmoser: Film Nr. 13373
Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg (BA/MA) Großer Generalstab (PH 3): 310 Marinekabinett (RM 2): 1124 Reichs-Marineamt (RM 3): 10294, 10269, 10266, 10294, 10304 Admiralstab (RM 5): 3682, 3736, 3804, 3841 Oberkommando der Wehrmacht/Amt Ausland Abwehr (RW 5): Film Nr. GC 419 P, Film Nr. GB 2143 P, Film Nr. C 420 P Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres (W 10): 50300
330
Quellen- und Literaturverzeichnis
Staatsarchiv Marburg (StAMr) Oberpräsidium der Provinz Hessen-Nassau (Best. 150): 2007
Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (BayHStA) Bayerisches Kriegsministerium (MKr): 2332, 11464, 11484, 13857, 14025, 14026, 14027, 14029 Stellvertretendes Generalkommando I. Bayerisches Armeekorps (StGK I. Bay. AK): 1337, 1709
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam (BLHA) Polizeipräsidium Berlin (Pr Ber. Rep. 30 C):8857, 11360, 11361, 15711, 15806, 15842 Regierungspräsidium Potsdam/ Polizei (Pr. Ber. Rep. 2 A I Pol): 1337 Regierungspräsidium Potsdam/ Präsidialregistratur (Pr. Ber. Rep. 2 A I P): 978
Württembergisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart (WüHStA) Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten/Kriegssachen und Militärangelegenheiten (E 40/72): 606 Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten betr. Württembergische Gesandtschaft in Berlin (E 50/03): 214 Persönliche Angelegenheiten der Württembergischen Kriegsminister (M 1/2): 124 Württembergisches Kriegsministerium, Abteilung für allgemeine und persönliche Angelegenheiten (M 1/4):1279, 1624, 1625, 1729 Generalkommando Württembergisches XIII. Armeekorps (M 33/2): 885 Stellvertretendes Generalkommando Württembergisches XIII. Armeekorps (M 77/1): 456, 451, 456, 949, 774, 950, 593, 594 Amtliche Militärische Druckschriften (M 635/1): 934
Großbritannien Public Record Office, Kew (PRO)1 Air Ministry (AIR): 1/550, 1/553, 1/558, 1/560 Cabinet Office (CAB): 21/91, 21/93, 23/4, 23/5, 23/6, 23/8, 23/15, 24/13, 24/14, 24/36, 24/43, 24/4, 24/47, 24/67, 24/70, 37/136, 41/35, 42/9 Ministry of Defence (DEFE): 53/1 Home Office (HO): 45/10743, 45/10795, 139/7, 139/9, 139/13, 139/17, 139/19, 139/20, 139/22, 139/24, 139/31, 139/39, 139/43, 139/44, 139/45, 139/45, 139/46, 139/1453, 144/10741, 144/10741 Ministry of Information (INF): 4/1, 4/9 Security Service (KV): 1/51 Ministry of Agriculture and Food (MAF): 60/243 War Office (WO): 32/10776, 32/5275, 158/984, 256/33
1
Nach Einsichtnahme in die Archivalien umbenannt in: The National Archives.
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Imperial War Museum, London (IWM) Department of Documents: 84/41/1, 92/721, Misc 522, P 472
Consignia Heritage Services, London (CHS) POST 56/57: Report on Postal Censorship during the Great War (1914–1919). POST 56/58: Report on Postal Censorship during the Great War, 1914–1919.
2. Gedruckte Quellen 2.1. Parlamentsdebatten Parliamentary Debates. House of Commons, London 1914–1918. Parliamentary Debates. House of Lords, London 1914–1918. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Abgeordnetenhauses, Berlin 1910–1918. Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages. Stenographische Berichte, München 1918. Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte, Berlin 1871–1918.
2.2. Zeitungen und Zeitschriften 2.2.1. Deutschland Berliner Lokalanzeiger Berliner Tageblatt BZ am Mittag Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Presse Heimatdienst in Württemberg Kölnische Zeitung Kriegswirtschaftliche Blätter Licht-Bild-Bühne Mitteilungen für den Vaterländischen Unterricht. Hrsg. vom Kriegspresseamt Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht. Hrsg vom StGK XI. AK Mitteilungen der deutschen Vaterlandspartei Nachrichten der Aufklärungsstelle. Hrsg. vom StGK XVIII. AK Nachrichten der Aufklärungsstelle bei der Presseabteilung. Hrsg. vom StGK XVIII. Armeekorps Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) Norddeutsche Allgemeine Zeitung Preußisches Verwaltungsblatt Tägliche Rundschau Der Tag Vertrauliche Mitteilungen Vorwärts Vossische Zeitung Welt am Montag
332
Quellen- und Literaturverzeichnis
Zeit im Bild Der Zeitungs-Verlag
2.2.2. Großbritannien The Daily Express The Daily Mail The Daily Graphic The Daily News The Daily Telegraph The Economist John Bull Illustrated London News The Labour Leader The Morning Post The Nation The National Review The New Statesman Newspaper Press Directory The Spectator The Star The Times The Westminster Gazette
2.3. Offizielle Druckschriften Army Act, The, London 1914. Auslandsabteilung der OHL, Abt. Fremde Presse, Die deutsche Offensive im Westen im Urteil der feindlichen und neutralen Presse. Berlin 1 (28. 3. 1918)–53 (1. 10. 1918). Handbuch der Kriegsverordnungen für den Befehlsbereich des stellvertretenden Generalkommandos XI. Armeekorps, Kassel 1918. Kriegspresseamt (Hrsg.), Bericht über die Sitzungen am 20. und 21. April 1917, Berlin 1917. Manual of Military Law, London 1914. Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes (Hrsg.), Nachschlagebuch für die Pressezensur, 3. Auflage. Abgeschlossen am 1. August 1917, Berlin 1917. Pulling, Alexander (Hrsg.), Defence of the Realm Manual (= Manuals of Emergency Legislation), London 1917. Pulling, Alexander (Hrsg.), Manual of Emergency Legislation Comprising all the Acts of Parliament, Proclamations, Orders etc. Passed and Made in Consequence of the War to Sept. 30th, 1914, London 1914. Stellvertretender Generalstab der Armee, Abt. III b. (Hrsg.), Leitfaden für den Postüberwachungsdienst auf Grund der bestehenden Vorschriften, Berlin 1916. Stellvertretendes Generalkommando VII. Armeekorps (Hrsg.), Nachschlagebuch der Anweisungen für das Verhalten und die Beaufsichtigung der Presse. Zusammenstellung der vom Stellvertretendes. General-Kommando des VII. Armeekorps für die Presse des Korpsbezirks bis zum 30. Juni 1918 erlassen, Münster 1918. Stellvertretendes Generalkommando XI. Armeekorps (Hrsg.), Handbuch der Kriegsverordnungen für den Befehlsbereich des stellv. Generalkommandos XI. Armeekorps, Kassel 1918.
Quellen- und Literaturverzeichnis
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2.4. Quelleneditionen Ahnert, Kurt, Die Entwicklung der deutschen Revolution und das Kriegsende in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. November in Leitartikeln [...], Nürnberg 1918. Ahnert, Kurt, Fröhliche Heerfahrt! 600 lustige Aufschriften an Eisenbahnwaggons, Nürnberg o.J. Autorenkollektiv des Instituts für Deutsche Millitärgeschichte, Militarismus gegen Sowjetmacht 1917 bis 1919. Das Fiasko der ersten antisowjetischen Aggression des deutschen Militarismus, Berlin 1967. Bach, August (Hrsg.), Deutsche Gesandtschaftsberichte zum Kriegsausbruch 1914. Berichte und Telegramme der badischen, sächsischen und württembergischen Gesandtschaften in Berlin aus dem Juli und August 1914, Berlin 1937. Boberach, Heinz (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich, 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, 17 Bde., Herrsching 1984. Buchner, Eberhard (Hrsg.), Kriegsdokumente. Der Weltkrieg in seiner zeitgenössischen Presse, Bd. 1, München 1914. Deist, Wilhelm (Hrsg.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg, 1914–1918, 2 Bde., Düsseldorf 1970. Deuerlein, Ernst (Hrsg.), Der Briefwechsel Hertling/Lerchenfeld 1912–1917. Dienstliche Privatkorrespondenz zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten Georg Graf Hertling und dem bayerischen Gesandten in Berlin Hugo Graf von und zu Lerchenfeld, Boppard 1973. Domarus, Max (Hrsg.), Hitler. Reden und Proklamationen. 1932–1945, Bd. 2.1, München 1965. Evans, Richard J. (Hrsg.), Kneipengespräche im Kaiserreich: Stimmungsberichte der Hamburger politischen Polizei, 1892–1914, Reinbek 1989. Fricke, Dieter und Rudolf Knaack (Hrsg.), Übersichten der Berliner politischen Polizei über die allgemeine Lage der sozialdemokratischen und anarchistischen Bewegung 1878–1913, 3 Bde., Weimar 1983–1989. Geiss, Immanuel (Hrsg.), Julikrise und Kriegsausbruch 1914, 2 Bde., Hannover 1963 f. Gersdorff, Ursula von (Hrsg.), Frauen im Kriegsdienst 1914–1945, Stuttgart 1969. Glatzer, Ruth (Hrsg.), Berliner Leben, 1914–1918, Berlin 1983. Heiber, Helmut (Hrsg.), Reichsführer! Briefe an und von Himmler, Stuttgart 1968. Hill, Leonidas E. (Hrsg.), Die Weizsäcker-Papiere, Bd. 1 (1900–1932), Berlin 1982.
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ABSTRACT As war threatened at the end of July 1914 holidaymakers throughout Europe returned home. On their journey back they encountered a phenomenon thought to have died out: rumour. On trains and at stations they were bombarded by a deluge of news, false information and misunderstandings. At hardly any other period of 20th-century German history were so many rumours running around as in the first weeks of the First World War. If, as was the case between 1914 and 1918, they are a mass phenomenon, then it is clear that these are symptoms pointing to social crises. They are therefore more than just amusing anecdotes in the history of the First World War. In fact, they point up complex changes in the relationship between the public, “public opinion”, and the state. The First World War was a media war which changed not only societies, but their media and how these were received. In both Britain and Germany there were, from the start of the war, crises of press credibility. As a consequence rumours emerged and spread as a complementary element of public communication. Rumours constitute a communicative space of the possible, in which desires, fears and expectations unfold. Far more than in the case of newspapers, an assessment of rumours makes it possible to study how media contents and modes of communication were received. One indicator of the extent to which rumours became a component of communication during the war, especially in Germany, is the intensity with which they were monitored. It is only here that rumours are regarded as such a threat to public order that far-reaching measures, such as bans, were needed to control them. Based on a comparison of the structures of public communication such as newspaper markets, exceptional legislation, censorship machinery, the expansion of state control to forms of communication that are not part of the mass media is examined. In 1914 in both Britain and Germany rumours resulted from the war infringing on civilian normality and were symptoms of a crisis of adaptation to the social conditions of war. In 1918 on the other hand, they were a direct consequence of the social changes brought about by the war. Now rumours polarised and emphasised social differences and inequalities which had become far more marked. If, in 1914, rumours constructed the external enemy, in 1918 they marked, above all, the lines of conflict within society. Taking one liberal state and one more authoritarian state as examples, this book examines how states reacted to the answers to the challenges and social repercussions of the war. In both countries social surveillance increased between 1914 to a degree not anticipated before the war. The comparison confirms specifically Prussian-German Sonderwege, but also rejects Britain as a one-dimensional example of a normal European development.
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Allan, Maude 284, 285 Allport, Gordon W. 8, 10n Asquith, Cynthia 202n, 287 Asquith, Herbert 29, 60–62, 151, 152, 158, 159, 186, 187, 201n, 202n, 285 Asquith, Margot 159, 286, 287n Baden, Prinz Max von 240, 242, 243, 296 Battenberg, Louis of 198, 199 Beaverbrook, Lord (i.e. Max Aitken) 28, 92 Beer, Max 57, 273 Beerfelde, Hans Georg 218 Beresford, Charles William de la Poer 198 Berger, Ritter und Edler von 157, 207–209 Bergh, Ernst van den 76 Bernhard, Georg 242, 274, 294 Bethmann-Hollweg, Theobald von 58, 132, 173, 196 Billing, Noel Pemberton 284–286 Binet, Alfred 140 Birth, Theodor 143 Bloch, Marc 1, 19, 141n, 172, 191, 215 Bolo, Paul Marie 279 Bonar Law, Andrew 245 Bottomley, Horatio 261, 262 Boy-Ed, Karl 278 Brahn, Max 140 Brose, Karl 53, 55, 138 Buchan, John 196 Buckmaster, Stanley 62, 78, 79 Carson, Edward 117 Cauer, Minna 267 Churchill, Winston 60, 126, 158–160, 187, 190, 199, 209, 210 Clausewitz, Carl von 14 Cook, Edward 62, 63 Dangerfield, George 146, 147 Daudet, Leon 14 Däumig, Ernst 296 David, Eduard 150, 155, 162, 165, 166, 204 Deutelmoser, Erhard 33, 34, 55, 57, 114, 132, 156, 208, 209, 233, 271, 274
Dominicius, Alexander 162 Donald, Robert 81 Ebert, Friedrich 275, 299 Ernst, Eugen 121 Falkenhayn, Erich von 167 Feilding, Geoffrey C.T. 41n Foch, Ferdinand 232 Fraenkel, Ernst 50, 51 French, John 42, 186, 259 Freud, Sigmund 152 Gempp, Friedrich 21, 100n, 190 George V. 186 Gerlach, Hellmut von 293 Gessler, Otto 172 Goebbels, Joseph 14, 15, 311 Gough, Hubert 251, 254 Graetzer, Franz 127 Groener, Wilhelm 295n Gwynne, H.A. 80, 188n Haeften, Hans von 232, 241n, 273n, 274n Haig, Douglas 42, 81, 245, 246, 251, 254, 255 Hankey, Maurice 43 Hanssen, Hans Peter 150, 243, 300 Harden, Maximilian 75 Henderson, Arthur 77 Henninger, Eugen 56, 57, 113 Hentsch, Richard 191 Hertling, Georg Graf von 240, 274 Heydrich, Reinhard 314 Himmler, Heinrich 310, 315 Hindenburg, Paul von 102, 132, 144, 186, 235–238, 290, 296 Hitler, Adolf 309, 310 Hoesch-Ernst, Lucy 140, 141 Jellicoe, John Rushworth 180 Jones, Ernest 152 Kaufmann, Franz Alexander 136, 138, 266, 268, 269 Kessel, Gustav von 36, 40, 41, 57, 58, 113n, 154
372
Personenregister
Kitchener, Horatio Herbert 60, 61, 80, 158, 160, 183, 187, 200 Kühlmann, Richard von 234 Kuttner, Erich 75 Le Queuex, William 196 Lederer, Emil 50 Lefebvre, George 1 Liebknecht, Karl 196 Liebknecht, Wilhelm 121 Liepmann, Moritz 209 Linsingen, Alexander von 40, 272, 275, 276, 295, 296 Lloyd George, David 29, 51, 77, 80–82, 86, 87, 158, 246, 248, 280, 284, 287n Lloyd, Francis 41, 42 Lody, Carl Hans 190 Löhlein, Heinrich 154 Ludendorff, Erich 14, 15, 46, 71n, 102, 231, 233, 236–240 Luxemburg, Rosa 196 Macdonagh, Michael 188 Macdonogh, George 43 Martin, Rudolf 184 Maurice, Frederick 81, 248, 286n Milner, Alfred 158 Moltke, Helmuth von 167, 191 Montgelas, Max Graf 171, 172 Morel, E.D. 104 Naumann, Friedrich 132 Nicolai, Walter 21, 33, 34, 55n, 68, 102, 103, 120, 129, 131, 137, 148, 154, 193, 218, 267, 310, 311 Northcliffe, Lord (i.e. Alfred Harmsworth) 27–29, 63, 78, 87, 160, 247, 309 Olberg, Alfred von 54, 310 Oman, Charles C.W. 215 Oppen, Heinrich von 229 Plaut, Paul 220 Pollard, A.F. 215 Postman, Leo 8, 10 Powell, Ellis 261 Rade, Martin
214
Repington, Charles 80, 181, 286n Riddell, G.A.R. 61, 63, 86, 87 Riess, Curt 311 Robbespierre, Maximilien de 14 Robertson, William 42n, 80, 81, 246, 248, 286n Roeder, Carl von 100 Rossiter, Clinton 44, 47, 50n, 51 Rupprecht von Bayern 237 Schirmacher, Käthe 267 Schmid, Eduard 121, 122 Schmitt, Carl 14n, 46n, 50n, 51 Schöne, Walter 314 Schütte, Johann 170 Shackleton, David 116, 117 Simon, Alfred 127 Simon, John 80 Smith, F.E. 61, 62, 157, 158, 210 Sonnenburg, Alfons Falk von 123 Speyer, Edgar 198 Stadthagen, Arthur 121 Stampfer, Friedrich 205 Stanley, Venetia 151, 187 Stein, Hermann von 205 Stern, William 140, 214n Stevenson, Frances 87 Stotten, Paul 55 Swettenham, Frank 62, 63 Swinton, Ernest 183 Tappen, Gerhard 191 Thomson, Basil 97, 117–119, 124, 197n Tirpitz, Alfred von 33n Vietsch, Wilhelm von 57, 58, 76 Wermuth, Adolf 164 Westarp, Kuno Graf 163 Wilhelm II. 39, 41, 46, 55, 131, 150, 164, 167, 216, 236, 242, 276, 277, 297, 299, 304 Wilhelm, Kronprinz 132 Wilson, Woodrow 78, 297 Wolff, Theodor 21, 75, 76, 87, 157, 165–167, 169, 176, 230, 292, 306 Wrisberg, Ernst von 240, 278 Würz, Emil 231–233
SACHREGISTER Seitenzahlen mit „n“ verweisen auf Fußnoten
Abteilung III b 20n, 21, 33, 34, 53, 54, 56, 73, 102, 105n, 132, 137, 147, 173, 311 Admiralstab, Presseabteilung 33, 53, 278 Admiralty, War Office and Press Committee 31, 32, 60, 64, 67, 72,157, 181 Antisemitismus 111, 156, 163, 195n, 196, 198, 224n, 281–284 Assistant Competent Authority 50, 99 „Audacious“ 158, 159 Bayern 39, 46, 48, 121–124, 139, 225, 237, 266, 267 Boloismus 279, 280 Bundesrat 46 Burgfriede 57, 74, 75, 149n, 156, 157, 283, 290 Büro für Sozialpolitik 114, 147, 238, 271 Competent Military Authority 22, 47, 49, 50, 75, 80, 119, 145, 146; s. a. Assistant Competent Authority Curragh-Incident 61, 81 Defence of the Realm Act 32, 42–48, 50, 51, 60, 62, 64, 65, 77, 79, 99, 119, 124–126, 146, 200, 211, 212, 261, 319 Defence of the Realm Regulations 45–48, 79, 80, 99, 200, 212 – Defence of the Realm Regulation Nr. 27 48, 79, 264, 303 Denunziation 111, 122, 123, 197n, 263, 265, 268, 273, 274, 276 Deserteure 108, 115, 294 Deutsche Vaterlandspartei 92, 122, 123, 236, 266–269, 277, 290 Diktatur 3, 46–47, 51, 124, 295n, 296 Directorate of Military Intelligence 63n, 65 D-Notices 64, 66, 72, 73, 75, 84, 160, 222, 247, 258, 259 Dolchstoß/Dolchstoßlegende 22, 138, 278, 279, 308, 309 Eisenbahnüberwachungsreisen 108, 114–116, 133, 134, 137, 265 Elsass-Lothringen 100, 193, 280n Engel von Mons 8, 182, 187
Feindbilder 94, 95, 145, 192–201, 205, 224, 269, 277–291, 319 Flugzeug von Nürnberg 19, 170–176, 192, 218, 219 Fremdenfeindlichkeit 111, 196, 199–201, 225, 261–264, 280–284, 286, 290, 291 Geheimnis 12, 30, 31, 34, 53, 56, 67, 83, 90 Gerüchte s. a. Flugzeug von Nürnberg, Russian Rumour – Erinnerungskulturen 212–216 – Kontrolle 48, 49, 126–144, 205–213, 256–291 – Nationalsozialismus 313–315 – Psychologie 1, 139–142, 212, 214n – Sammeln von G.n 214, 215 Gesetz über den Belagerungszustand 39, 42, 47, 48, 53, 75, 121, 127, 147, 276, 296, 319 – § 9 a 48, 49, 127 – § 9 b 49, 128, 206n, 272 Gestapo 21, 310, 311, 313 Goldautos 193 Gräuel 1, 140, 141, 175, 188, 201–205, 260n, 285, 308, 317 Heimatheer deutscher Frauen 122, 265–269 Hidden Hand 280, 285 House of Commons 31, 44, 45, 78, 161, 261 House of Lords 44, 284 Irland
43, 61, 82, 151, 158, 159
Kino 25n, 38, 63, 84, 85, 131, 135, 178, 180, 206, 250, 277 Klatsch 6, 7 Kommunikationsgeschichte 4, 5, 12, 13, 316 Kommunikationskontrolle 18, 90–93, 126, 312, 315 Kommunikationsrevolution 13 Kriegsberichterstatter 31, 54, 61, 65, 71, 72, 80, 103, 158, 161, 183, 234, 245, 270 Kriegsministerium, Preußisches 36, 37, 40, 53
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Sachregister
– Presseabteilung 32–35 Kriegspresseamt 40, 55, 93, 122, 123, 128, 231, 233 Legenden 7, 8, 214, 215 Luftangriffe 5, 38, 67, 125n, 129, 157, 170–176, 218, 219, 287, 312, 313, 317 – Berlin 170, 171, 262n – London 19, 183–185, 216, 256–265 Martial Law 43, 51 Metropolitan Police 37, 95, 96, 197 – Criminal Investigation Department (Scotland Yard) 95–97 – Special Branch 20, 67, 92, 95–101, 118, 119, 124, 146, 253, 280, 311 M.I.5 20, 47, 77n, 96–98, 100, 101, 103, 118, 280 M.I.7 63–65, 69, 73, 103, 104 M.I.9 71 Militärbefehlshaber 22, 36, 39, 40, 46, 49, 54–58, 68, 75, 76, 82, 101, 106, 112, 115, 127, 146, 318 Militärische Stelle des Auswärtigen Amtes 132n, 232, 233n Ministry of Information 92, 250, 251, 313 M.O.5 43, 63, 96n National War Aims Committee 91, 92, 225 Oberkommando in den Marken 22, 36, 37, 40, 57–59, 113, 121, 124, 136, 166, 226, 230, 266, 268, 269, 275, 276, 292–301 – Abwehrabteilung 136 – Aufklärungsabteilung 136, 243, 266, 276 – Presseabteilung 56–58, 67, 75, 76, 154–157, 161, 226n, 293n Obermilitärbefehlshaber 40, 76 Oberzensurstelle 40, 54–56, 58, 74, 310n Öffentlichkeit 4, 10–12, 28, 89–94, 126, 185, 216, 235, 316–318, 320 Official Secrets Act 31, 32, 52n, 319 Parliamentary Military Secretary Department 2 97 Polizeipräsidium Berlin 36, 56, 57, 121, 122, 130, 147, 149, 155, 166, 226, 268, 301
– Politische Polizei 22, 113, 114, 270, 271 – Staatspolizei Central-Stelle 100 Postzensur 71–73, 103, 106, 107, 190, 250, 251 Press Bureau 20, 59–66, 67, 69, 71, 72, 76–78, 84, 86, 124, 157–159, 160, 178, 180–182, 189, 200, 204, 210–212, 248, 252, 258, 259, 262, 318 Privy Council 45, 198, 284 Reichsmarineamt, Presseabteilung 32, 33, 53, 54 Reichstag 33, 45n, 47, 49, 78, 161, 240 Revolution 102, 113, 117, 137, 138, 223 – Revolution von 1848 25, 26, 39, 47, 48 – Novemberrevolution 1918 243, 256, 269n, 270, 291–301, 317 – Revolutionsfurcht 90, 95, 117, 277, 283 – Russische Revolution 98, 117, 146, 253, 308 Ruhe/Unruhe 68, 135, 142, 144, 184, 318 Russian Rumour 19, 182, 185–192, 212–215, 219 Sabotage 95–97, 99–102, 119, 138, 192, 193, 224, 280 Schlachten – Cambrai 244–248, 254 – Caporetto 244, 256 – Deutsche Frühjahrsoffensive 1918 228–230, 237, 250–253, 264, 280, 297 – Marne 167, 182, 188, 189, 191, 217 – Mons 8, 182 – Somme (1916) 69, 84, 85 – Tannenberg 188, 204, 238 – Villers-Cotteretes 231, 256 – Ypern (1917) 244, 246 Schweigen 109, 271, 302, 303, 317 Sicherheitsdienst der SS 21, 313 – SD-Berichte 110n, 111n, 145, 313n Sonderweg 28, 319 Sozialdemokratische Partei Deutschlands 37, 59, 114, 120, 121, 123, 155, 196, 240, 241, 295–297 Spionage 10, 18, 22, 30, 31, 34,3 5, 43, 45, 47, 55, 56, 94–104, 111, 115, 116, 118, 136, 137, 143–145, 190, 192–201, 206, 209, 214, 215, 218, 224, 250, 261–263, 277–280, 285, 310, 311
Sachregister – Spionageromane 96, 196, 282, 283 – Spionitis 137, 192, 193, 196, 199, 209, 214, 216 Spitzel 96, 97, 119–125, 251, 287n, 311 Stellvertretende Abteilung III b 53–55, 100, 102, 103, 106, 115, 116 – Abwehr X 102, 279 – Abwehrabteilung 100, 103, 137 – Passzentrale 103 – Presseabteilung 193 Streiks 67, 94, 96, 107, 116, 117, 269–271, 288, 291, 295, 299 – Januarstreik 1918 122, 139, 226, 253, 269, 278, 279, 292, 301 Todesstrafe 43, 44, 126 Totaler Krieg 14–16, 38, 47, 51, 147, 148, 217, 219, 288, 290, 306, 317, 319 U-Boote 53, 65, 119, 187, 222, 230, 233 Unruhen 37n, 40, 99, 102, 113, 116, 139, 180, 196, 199, 226, 249, 270, 291–294, 298, 301, 307
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Vaterländischer Unterricht 58, 59, 92, 93, 109, 128, 129, 131, 137, 268, 269, 271, 276 Vergiftungen 180, 184, 194–196, 214, 218, 228, 260 Verschwörungstheorien 6, 7, 263, 282, 284 Vertrauen 11, 88, 290, 291, 301–303, 307, 316, 317 Vertrauensleute 59, 92, 93, 111, 118, 125, 128–130 Weekly Intelligence Summaries 119, 124, 125, 145, 248, 249, 264, 280, 287 Wolffsches Telegraphen Bureau 70, 155, 161, 162 Zeitungen 25–30, 53–88, 93, 139, 153–161, 178 Zensurbestimmungen 72–75, 80, 84, 278, 293, 297 Zentralpolizeistellen 103, 115, 134 Zeppelin 170–176, 184, 185, 216, 257, 259, 260, 262, 263; s. a. Luftangriffe