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German Pages 290 S. [300] Year 2011
Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung
Refresher Course Aktuelles Wissen für Anästhesisten 37
Refresher Course Aktuelles Wissen für Anästhesisten Nr. 37
14. - 17. Mai 2011, Hamburg
Herausgegeben von der Deutschen Akademie für Anästhesiologische Fortbildung
Aktiv Druck & Verlag GmbH
Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung (DAAF) Schriftführung: Prof. Dr. med. T. Koch Direktorin der Klinik und Poliklinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden Internet: www.uniklinikum-dresden.de E-Mail: [email protected]
ISSN 1431-1437 ISBN 978-3-932653-35-3 Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach Aktuelles Wissen für Anästhesisten: Refresher Course / hrsg. von der Deutschen Akademie für Anästhesiologische Fortbildung. ISSN 1431-1437 Nr. 37, Mai 2011, Hamburg- (2011) ISBN 978-3-932653-35-3 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach http://www.aktiv-druck.de
©
Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2011 Printed in Germany
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IV
Geleitwort
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Refresher Course auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hat sich - neben den weiteren etablierten DAAF-Veranstaltungen und Repetitorien - zu einem der herausragenden Instrumente der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Sinne der Continuous Medical Education (CME) entwickelt. Auf dem DAC 2011 in Hamburg wird der nunmehr 37. Refresher Course der Deutschen Akademie für Anästhesiologische Fortbildung (DAAF) angeboten, der in bewährter Tradition eine breite Palette von aktuellen Themen beinhaltet und alle Bereiche von klinischer Anästhesie über die Intensivmedizin und Notfallmedizin bis zur Schmerztherapie abdeckt. Namhafte Referenten geben in zehn Sitzungen einen Überblick über den aktuellen Wissensstand unseres Fachgebietes und tragen somit maßgeblich zur Qualitätssicherung in unseren täglichen Aufgaben bei. Auch in diesem Jahr werden die Beiträge wieder in dem Ihnen vorliegenden Buchband zusammengefasst. Er soll interessierten Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit geben, die Themen nachzulesen, nachzuarbeiten und zu vertiefen. Ein besonderer Dank gilt den Referenten und Autoren, die sich neben ihren klinischen Verpflichtungen die Mühe gemacht haben, einen aktuellen Überblick über die Entwicklungen des Fachgebietes herauszuarbeiten. Mit ihrer Hilfe konnte wieder ein hochwertiger Weiterbildungsbeitrag geschaffen werden. Wir wünschen den Lesern viel Freude mit diesem Werk und hoffen, dass die referierten Inhalte in Ihrer täglichen Routine nutzbringende Anwendung finden.
Prof. Dr. med. Thea Koch - Präsidentin der DAAF -
Prof. Dr. med. Hans Anton Adams - Vizepräsident der DAAF -
V
Inhaltsverzeichnis
Anästhesiologische Besonderheiten bei Patienten mit M. Parkinson, Epilepsie, Apoplexie und Demenz 1. RUNDSHAGEN . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
: ..... . . . . . . . .....
1
Perioperative Neuroprotektion C. WERNER . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Pharmakotherapie in der Kinderanästhesie M.JÖHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Prophylaxe und Therapie der Hypotension bei der Sectio caesarea H. BüRKLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Die thorakale Periduralanalgesie - ist eine Neubewertung notwendig? H. VAN AKEN, A. GOTTSCHALK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
G. BRODNER,
Neue Thrombozytenaggregationshemmer und Antikoagulantien Konsequenzen für die Anästhesie
w. GOGARTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Therapie perioperativer Arrhythmien C. STROM, E. KILGER . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Diagnose und Therapie der atraumatischen Subarachnoidalblutung H. THEILEN, M. LEIMERT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Bildgebende Verfahren in der Intensivmedizin - Möglichkeiten und Grenzen s. G. SAKKA, F. WAPPLER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... ... ... 109
Kleine Tidalvolumina für alle - auch im OP? H. WRIGGE . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Therapie der akuten Herzinsuffizienz s. REX, G. MARX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Update: Thromboseprophylaxe und Lungenarterienembolie
w. A. WETSCH, B . W. BöTTIGER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Pilzinfektionen bei kritisch kranken Patienten R . FüSSLE ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Leberdysfunktion beim Intensivpatienten M . BAUER,A. KORTGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Herausforderung Intensivtransport A. FLEMMING . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . ....
201 VII
Die wichtigsten Kindernotfälle im Rettungsdienst M. LASCHAT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
J. KAUFMANN,
Die Reanimationsleitlinie 2010 für Erwachsene H. A. ADAMS, A. F'LEMMING . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Die Reanimationsleitlinien 2010 - Kinder M. P. MüLLER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
Schmerztherapie in der lntensivmedizin S. 'fROJAN, F. WAPPLER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Opioide - Was bringen neue Wirkstoffe und Applikationsformen? R. JOPPICH, M. POELS .... .. . ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
VIII
Autorenverzeichnis
RUNDSHAGEN, 1., PD DR. Universitätsklinik für Anästhesiologie Campus Virchow Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
WERNER, C., PROF. DR. Klinik für Anästhesiologie Langenbeckstraße 1, 55131 Mainz
JöHR, M., DR.
Institut für Anästhesie, Chir. Intensivmedizin, Rettungsmedizin und Schmerztherapie (IFAIRS) Luzerner Kantonsspital, 6004 Luzern, Schweiz
BÜRKLE, H., PROF. DR. Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Klinikum Memmingen Bismarckstraße 23, 87700 Memmingen
BRODNER, G ., PROF. DR. Fachklinik Hornheide Abteilung Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Dorbaumstraße 300, 48157 Münster
GOGARTEN, w., PD DR. Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Klinikum München-Harlaching Sanatoriumsplatz 2, 81545 München
KILGER, E., PD DR. Herzklinik der Universität am Augustinum Am Wolkerweg 16, 81375 München
THEILEN, H., PD DR. Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und lntensivtherapie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
IX
SAKKA, S. G., PROF. DR. Klinik für Anaesthesiologie, Lehrstuhl für Anästhesiologie II der Universität Witten-Herdecke Kliniken der Stadt Köln Krankenhaus Merheim, 51058 Köln
H., PD DR. Universitätsklinikum Leipzig Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Liebigstraße 20, 04103 Leipzig WRIGGE,
MARX, G., PROF. DR. Fachübergreifende Klinik für Operative Intensivmedizin Erwachsene Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
BöTIIGER, B . W., PROF. DR.
Klinik und Poliklinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin der Universität zu Köln Kerpener Straße 62, 50937 Köln
FüSSLE, R., PROF. DR.
Universitätsklinikum Gießen und Marburg Institut für Medizinische Mikrobiologie Frankfurter Straße 107, 35392 Gießen
BAUER, M., PROF.
Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Leipzig, Universitätsklinikum Jena Erlanger Allee 101, 07747 Jena
F'LEMMING,A., DR .
Stabsstelle für Interdisziplinäre Notfall- und Katastrophenmedizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
J., DR. Abteilung für Kinderanästhesie Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße 59, 50735 Köln-Riehl
KAUFMANN,
H. A., PROF. DR. Interdisziplinäre Notfall- und Katastrophenmedizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover ADAMS,
X
MÜLLER, M. P., PD DR. Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Fetscherstraße 74, 01307 Dresden TROJAN, S ., DR. Klinik für Anaesthesiologie, Lehrstuhl für Anästhesiologie II der Universität Witten-Herdecke Kliniken der Stadt Köln Krankenhaus Merheim, 51058 Köln
R., DR. Klinik für Anaesthesiologie, Lehrstuhl für Anästhesiologie II der Universität Witten-Herdecke Kliniken der Stadt Köln Krankenhaus Merheim, 51058 Köln JOPPICH,
XI
Anästhesiologische Besonderheiten bei Patienten mit M. Parkinson, Epilepsie, Apoplexie und Demenz 1. RUNDSHAGEN
Morbus Parkinson Allgemeines 1817 wurde von James Parkinson die „Schüttellähmung" erstmals beschrieben. Die Ursache, der Untergang von doparninergen Nervenzellen in der Substantia nigra, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Das Parkinson-Syndrom ist typischerweise eine Erkrankung des älteren Menschen mit einer Häufigkeit von ca. 2 % bei den über 65-Jährigen bis zu ca. 5 % in der Altersgruppe der über 80-Jährigen. Das idiopathische ParkinsonSyndrom ist somit eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen in Deutschland.
Pathophysiologie Der neurodegenerativ bedingte Untergang der doparninergen Neurone in der Pars compacta der Substantia nigra führt zum Verlust der Feinabstimmung der motorischen und propriozeptiven Regelkreise in den Basalganglien. Im gesunden Zustand dominiert eine direkte Hemmung vom Putamen auf das Globus pallidus intemus, der von den dopaminergen Neuronen der Substantia nigra reguliert wird. Beim Parkinsonkranken kommt es zum Überwiegen von exzitatorischen Einflüssen über den Globus pallidus extemus und den Nucleus subthalarnicus. Der Globus pallidus intemus wiederum beeinflusst die Aktivität im Thalamus, der die Aktivität im motorischen Kortex reguliert. Aufgrund des Ausfalls der regulativen doparninergen Neurone in der Substantia nigra ist keine sinnvolle Abstimmung zwischen agonistischen und antagonistischen Muskelaktivitäten mehr möglich. Das Überwiegen der antagonistischen Anteile führt zur Bradykinesie, Tremor und Störungen der Haltereflexe.
Klinische Symptomatik und Differentialdiagnose Das Parkinson-Syndrom (PS) umfasst als Oberbegriff verschiedene Ätiologien (idiopathisches, nichtidiopathisches PS). Parkinson-Syndrome sind definiert durch das Vorliegen einer Akinese und eines der folgenden, in unterschiedlicher Gewichtung auftretenden Kardinalsymptome: • Rigor • Ruhetremor • Posturale Instabilität Fakultative Begleitsymptome sind: • Sensorische Symptome (Dysästhesien und Schmerzen) • Vegetative Symptome (Störungen von Blutdruck, Temperaturregulation, Harnblasenfunktion und sexuellen Funktionen) • Psychische Symptome (vor allem Depression) • Kognitive Symptome (frontale Störungen, in fortgeschrittenen Stadien Demenz)
1
Parkinson-Syndrome werden in 4 Gruppen klassifiziert: 1. Idiopathisches Parkinson-Syndrom (ca. 75 % aller PS): 2. Familiäre Formen des Parkinson-Syndroms 3. Symptomatische (sekundäre) Parkinson-Syndrome 4. Parkinson-Syndrome im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen (atypische Parkinson-Syndrome): • Multisystematrophie • Progressive supranukleäre Blickparese • Kortikobasale Degeneration • Spinozerebelläre Atrophien (einige Subtypen) • Demenz vom Lewy-Körper-Typ Sekundäre Parkinson-Syndrome können vielfältige Ätiologien haben (z.B. subkortikale vaskuläre Enzephalopathie, medikamenteninduziert [Neuroleptika, Antiemetika, Reserpin, Lithium, Kalziumantagonisten, Valproinsäure], tumorbedingt, posttraumatisch, entzündlich und vieles mehr).
Allgemeine anästhesiologische Versorgung
Präoperative Evaluation und Prämedikation Der Morbus Parkinson ist ein relevanter Faktor der perioperativen Morbidität, wobei neurologische, respiratorische und kardiovaskuläre Komplikationen vermehrt auftreten. Patienten mit Morbus Parkinson finden sich gehäuft in der Ophthalmochirurgie, bei urologischen und orthopädischen Eingriffen sowie den neurochirurgischen spezifischen Interventionen, wie der Implantation von Tiefenhirnstimulatoren bzw. den zugehörigen Aggregatwechseln. Es liegen keine evidenzbasierten Empfehlungen für die perioperative anästhesiologische Versorgung der Parkinsonpatienten vor, vielmehr stützen sich Konzepte auf Kasuistiken und Beobachtungsstudien. Neben dem üblichen Standards zur präoperativen Evaluation stehen die Beachtung möglicher Begleiterkrankungen und der spezifischen Parkinsonmedikation im Vordergrund [ 1]. Häufige Begleiterkrankungen und mögliche ergänzende diagnostischen Maßnahmen · sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Organsystem
Symptome
Komplikationen
Konsequenz
ZNS
Depression, Halluzination, Demenz
Postoperative kognitive Dysfunktion?
Atemweg
Schluckstörungen, Rigidität der Atemmuskulatur
Mundöffnung ! Aspirationsgefahr j , Hustenstoß ! , Atelektasen j
Atemtherapie Rö-Thorax
Kardiovaskuläres System
Orthostatische Dysregulation, Hypovolärnie
Kollaps
Normovolärnie anstreben
Gastroiotestinaltrakt
Mangelernährung
Pharmakokinetik?
Bedarfsadaptierte Anästetikagabe
Harnwege
Miktionsschwierigkeiten
Urinableitung?
Tab. 1: Häufige Begleiterkrankungen und mögliche ergänzende diagnostische Maßnahmen.
2
Wesentlicher Aspekt der perioperativen Strategie ist die möglichst kontinuierliche Fortführung der Parkinsonmedikation. Je nach Schweregrad der Erkrankung erhalten die Patienten als Einzelsubstanz oder in Kombination Doparninagonisten, L-Dopa, und MAO-Hemmer. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an medikamentösen therapeutischen Ansätzen (Tabelle 2). Substanzgruppe
Medikament
Wechselwirkung Anästhetika
Levodopa/periphere Decarboxylasehemmer
Benserazid (Madopar) Carbidopa (Nacom)
Antihypertensiva t Katecholarnine t Opioide_ Levodopa
L-Dopa-Infusionstherapie (Duodopa-Pumpe) Dopamin-Agonisten
t
t
Ergot-Dopaminagonisten: Bromocriptin, Cabergolin, a-Dihydroergocriptin, Lisurid, Pergolid;
Antihypertensiva
Non-Ergot-Derivate: Piribedil, Pramipexol, Ropinirol, Apomorphin (s.c.), Rotigotin (transdermal; Silikon-MatrixPflaster)
NW: Übelkeit, orthostatische Dysregulation, Psychosen, Tagesmüdigkeit Fibrose Lunge und Herzklappen (Ergot-Dopaminagonisten)
Monoaminooxidase Typ-8-Inhibitoren
Selegilin (Movergan) Rasagilin
Opioide? Pethidin, Tramadol, SerotoninReuptake-Hemmer kontraindiziert
Anticholinergika
Biperidin (Akineton)
NMDA-Antagonist
Amantadin (PK Merz)
Neuroleptika kontraindiziert (malignes neuroleptisches Syndrom)
Bupidin
QT-Verlängerung
Tolcapone, Entacapone
NW: Hepatotoxizität (selten)
Catechol-0-methylTransferase Inhibitor
Tab. 2: Potentielle Wechselwirkung von Anästhetika und Parkinsonmedikamenten (modifiziert nach [I].
Die Parkinsonmedikation sollte kontinuierlich entsprechend des individuellen Therapieschemas durchgeführt werden (Ausnahme Implantation Tiefenhirnstimulation). Die letzte Medikation sollte zeitnah vor dem operativen Eingriffe erfolgen. Sollte es sich um sehr lange Eingriffe oder Eingriffe, in deren Folge die intestinale Resorption von L-Dopa nicht sichergestellt ist, handeln, empfiehlt sich in Absprache mit einem neurologischen Konsiliarius auf Substanzen, die i.v., s.c. oder via Duodenalpumpe appliziert werden können, auszuweichen. Die medikamentöse Prämedikation richtet sich nach dem klinischen Zustand der Patienten. Zu beachten ist, dass Promethazin (Atosil) wegen der antagonistischen Wirkung kontraindiziert ist. In der präoperativen Phase sollte eine adäquate Flüssigkeitszufuhr entsprechend der Nüchtemheitskriterien erfolgen, um ein präoperatives Flüssigkeitsdefizit zu vermeiden.
Anästhesiologische Versorgung
Grundsätzlich sind regionale wie auch allgemeinanästhesiologische Verfahren für Parkinsonpatienten geeignet. Die Überlegenheiten eines Verfahrens über das andere ist wissen3
schaftlich nicht überprüft bzw. bewiesen. Aus theoretischen Überlegungen heraus mag bei entsprechenden operativen Eingriffen ein regionales Verfahren sehr sinnvoll erscheinen, da weder eine Auswirkung auf das respiratorische System (z. B. Thoraxrigidität, Aspirationsrisiko) noch eine Resorptionsstörung der Parkinsonmedikation (z. B. durch PONV) zu befürchten ist. Zu beachten ist allerdings, dass es stressinduziert zur Zunahme des Tremors kommen kann, der das operative Vorgehen beeinträchtigen kann. Fallberichten zufolge kann im Einzelfall die Gabe von Ketamin (10 mg i.v.) oder Remifentanil (0,030,07 µg/kg/min i.v.) hilfreich sein, den Tremor oder verstärkte Dyskinesien zu unterdrücken [2,3] . Bei Durchführung einer Allgemeinanästhesie sind kurzwirksame Substanzen zu bevorzugen, um eine schnelle Rekonvaleszenz und möglich geringe Wechselwirkungen mit den Parkinsonmedikamenten in der perioperativen Phase zu ermöglichen (s. Tabelle 2). Zur Induktion gilt Propofol als geeignet, während Thiopental aufgrund von tierexperimentellen Befunden nicht geeignet erscheint. Die Aufrechterhaltung der Anästhesie kann sowohl mit Propofol als auch mit volatilen Anästhetika, bevorzugt Sevofluran oder Desfluran, erfolgen. Es kann zu verstärkter Hypotonie kommen, so dass eine ausgewogenene Volumenbilanz wesentlich ist. Zu beachten ist, dass alle Opioide die Thoraxrigidität verstärken können und eine Anpassung der Ventilationsparameter erforderlich machen. Nichtdepolarisierende Muskelrelaxantien gelten als sicher. Die Indikation für eine verlängerte Überwachung im Aufwachraum bzw. zur Aufnahme auf der Intermediate Care- oder Intensivstation sind - in Abhängigkeit vom operativen Eingriff und der Schwere der Parkinsonerkrankung - großzügig zu stellen. Für die postoperative Phase gilt, dass möglichst frühzeitig entsprechend des individuellen Therapieschemas die Parkinsonmedikation wieder zugeführt werden soll, um eine Akzentuierung der Parkinsonsymptomatik bzw. im schwersten Fall eine akinetische Krise zu vermeiden. Auslöser für eine akinetische Krise, die z. B. zu einer akuten Ateminsuffizienz in der postoperativen Phase führen kann, sind u. a.: Dehydrierung, Infekt, Gabe von Neuroleptika, Störungen der Resorption (Ileus, Diarrhö, Gastroenteritis, Antibiotikagabe). Generell ist die Gabe von klassischen Neuroleptika (Butarophenone, Phenothiazine) bei Parkinson Patienten kontraindiziert. In Tabelle 3 sind die Medikamente, die zur Behandlung einer akinetischen Krise indiziert sind, aufgeführt. Amantadin i.v. (A): Dosis 1 - 2 x 200 mg (über je 3 Stunden); maximal 3 x 200 mg/d Cave Hohes Psychoserisiko unter Amantadin bei Älteren
Apomorphin s.c. (B): • Einmalige Bolusinjektion 2 - 10 mg, Wirkungseintritt 10 - 15 min, Wirkungsdauer 30 - 60 min (gleichzeitige Gabe von Domperidon: nicht notwendig, wenn dopaminerge Langzeittherapie) • Weiterführung mit s.c.-Dauerinfusion. Initiale Dosierung 1 - 2 mg/h; optional 8 - 12 h Pause in der Nacht. Steigerung 0,5 - 1 mg/h alle 12 h. Maximale Rate 10 mg/h (= 170 - 240 mg/d L-Dopa per nasoduodenaler Sonde, wobei sich die tägliche Dosis an der vorherigen Dosis orientiert (B).
Tab. 3: AWMF-Leitlinie zur Behandlung einer akinetischen Krise [4].
Spezielle anästhesiologische Aspekte Die Implantation von Elektroden zur Tiefenhimstimulation ist inzwischen ein etabliertes Therapieverfahren bei Patienten mit Morbus Parkinson oder Dystonien. Es handelt sich dabei um eine Operation, die über viele Stunden andauert und, um eine exakte Platzierung der Elektroden unter klinisch neurologischer Kontrolle zu ermöglichen, vorwiegend in einer Kombination zwischen Analgosedierung und Wachphasen durchgeführt wird. Der Einsatz von Propofol und sehr niedrigdosiertem Remifentanil in 4
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Kombination mit Lokalanästhesie (ggf. Blockade des N. occipitalis) erhält die Spontanatmung und lässt nach Unterbrechung der Propofolzufuhr eine klinisch neurologische Untersuchung unter Hirnstimulation zu. Besondere Herausforderungen bestehen in der interdisziplinären Zusammenarbeit (Neurochirurgie, Neuroradiologie, Neurologie), in der Beherrschung von respiratorischen Komplikationen (Hypersekretolyse, Aspiration, Hyperkapnie), dem adäquaten Patientenkomfort und der psychologischen Anästhesieführung. Seltene Komplikationen stellen der intraoperative Krampfanfall bzw. die intrazerebrale Blutung dar.
Innovative EEG-Technologien für OP und Intensivstation
• Individuell adäquate Steuerung der Narkose, geschlechts- und altersspezifisch • Patientenüberwachung auf der Intensivstation • Zusätzliche Softwarekomponenten, wie z. B. aEEG Literatur: Anaesthesist 2010; 59: 126-134 Klin Neurophysiol 201 0; 41: 28-32
• sehr günstiges Verbrauchsmaterial
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Epilepsie Allgemeines Die Prävalenz der Epilepsie beträgt weltweit 0,3 - 0,5 %, wobei Kinder und Erwachsene
> 60 Jahre vermehrt betroffen sind. Für Deutschland bedeutet es, dass 240.000 - 400.000 Menschen an Epilepsie leiden. Die Häufigkeit des Status epilepticus, einer potentiell letalen Manifestation, wird weltweit auf 10 - 41/100.000 Menschen geschätzt. Eine Epilepsie liegt vor, wenn zwei oder mehr Krampfanfälle aufgetreten sind und keine andere Erkrankung oder Ereignis ursächlich in Betracht kommen. Schätzungsweise 70 % der Erwachsenen mit einer neu aufgetretenen Epilepsie haben fokale Anfälle. Bei mehr als 60 % der Fälle bleibt die Ursache ungeklärt, während der Apoplex (9 %), das SchädelHirn-Trauma (9 %), Alkohol (6 %), neurodegenerative Erkrankungen (4 %), Enzephalopathie (3.5 %), Hirntumoren (3 %) und Infektion (2 %) sonstige Ursachen sind [5] .
Pathophysiologie Bis heute ist die Pathophysiologie zur Entstehung der Epilepsie nicht eindeutig geklärt. Es wird das Zusammenwirken von verschiedenen Mechanismen vermutet: Gesteigerte intrinsische Entladung von Neuronen, Störung der inhibitorischen Fähigkeiten der umgebenden Neuronen sowie rekurrente Kreisschaltungen von Neuronen. Die Neurotransmitter Glutamat (Exzitation), y-Aminobutyrat sowie die Konzentrationen der membrangängigen Ionen spielen eine wichtige Rolle bei der Epileptogenese. 5
Klinische Symptomatik
In Abhängigkeit vom epileptischen Fokus können die klinischen Symptome äußerst vielfältig sein. Einchücklich ist der tonisch-klonische generalisierte Grand-mal-Anfall, wobei die Abgrenzung vom Exzitationsstadium der Anästhetika im Einzelfall nicht einfach ist. Fokale Anfälle können sich in Kloni oder auch Lähmungen einzelner Extremitäten bei erhaltenem Bewusstsein oder in Automatismen z.B . der Mund- oder Handbewegungen manifestieren. Kurzzeitige Bewusstseinsverluste bzw. verminderte Reaktion auf Ansprache können ebenfalls auftreten. Differenzialdiagnostisch sind Hyperventilationssyndrom, Migräne, Panikattacke, psychogener Anfall, Synkope, transiente globale Amnesie und transiente ischämische Attacke abzugrenzen. Intraoperativ ist nur mit Hilfe des Mehrkanal-Elektroenzephalogramms (EEG) möglich, einen epileptischen Anfall sicher zu detektieren , zumal beim relaxierten Patienten die möglichen Willkürbewegungen der Muskulatur abgeschwächt bzw. vollständig unterdruckt sind. In der postoperativen Phase kann sich die Abgrenzung gegenüber einem psychogenen Anfallsgeschehen im Einzelfall herausfordernd gestalten.
Allgemeine anästhesiologische Versorgung
Grundlagen Anästhetika können sowohl antikonvulsive als auch prokonvulsive Wirkungen haben, wobei die Wirkungen in Abhängigkeit von der Dosis unterschiedlich sein können (Tabelle 4). Während bei epilepsiespezifischen Eingriffen prokonvulsive Anästhetika bei der Identifikation des epileptogenen Fokus indiziert sein können, gilt für andere Eingriffe, das Risiko für einen perioperativen Anfall zu minimieren und Anästhetika mit antikonvulsiven Eigenschaften einzusetzen. Die klinische Relevanz der im EEG nachweisbaren epileptogenen Aktivität ist nicht immer eindeutig geklärt ist. Lokalanästhetika können bei versehentlicher i.v.-Applikation epileptische Anfälle auslösen und sollten möglichst in niedriger Konzentration verwendet werden. Humanexperiment prokonvulsiv
antikonvulsiv
Tierexperiment prokonvulsiv
antikonvulslv
Lachgas
+
-
++
- --
Isofluran
++
++ +
Sevofluran
++
Desfluran
++
---
Thiopental
++
+++
Etomidat
+++
+++
Benzodiarepine
---
+++
+++
Ketamin
++
++
+++
Propofol
++
++
Opioide
+++
+++ +++
+++
+++
++
Studien mit positiven Ergebnissen (+ Einzelberichte; ++ zahlreiche Berichte; +++ reproduzierte, kontrollierte Studien oder sehr viele Berichte). Analog für negative Studien (-).
Tab. 4: Pro- und antikonvulsive Wirkungen von Anästhetika; modifiziert nach (6] .
6
Prämedikation Das Risiko für einen Patienten mit Epilepsie, perioperativ einen Anfall zu erleiden, hängt im Wesentlichen vom Zusammenspiel verschiedener Faktoren ab: 1) Präoperative Anfallskontrolle 2) Auswahl der Medikation 3) Perioperativer Stress und Komplikationen Deshalb sollte im Prämedikationsgespräch erfragt werden, ob der Patient derzeit anfallsfrei ist, wie häufig im Durchschnitt Anfälle auftreten, welcher Art die Anfälle sind und welche Antiepileptika zur Anfallskontrolle eingenommen werden. Von manchen Autoren wird eine präoperative Spiegelbestimmung der Antiepileptika empfohlen. Antiepileptika müssen perioperativ zeitnah eingenommen werden. Falls die orale Gabe perioperativ nicht möglich ist, muss auf eine i.v.-Medikation (z. B. Phenytoin, Phenobarbital, Valproat) umgestellt werden. Eine kurzfristige Abschirmung ist mit Clonazepam oder Diazepam möglich. Da Schlafmangel vor der Operation vermieden werden sollte, empfehlen sich die Gabe von Sedativa am Abend vor der Operation sowie eine medikamentöse Prämedikation auf der Basis einer individuellen Dosierung.
Narkoseführung Zur Einleitung einer Allgemeinanästhesie gelten Propofol, Thiopental und Benzodiazepine als sichere Substanzen. Der Einsatz von Ketamin wird kontrovers diskutiert. Unter Etomidat kann ein epileptischer Fokus aktiviert werden, daher sollte es vermieden werden. Zur Aufrechterhaltung sollten bei der balancierten Anästhesie lsofluran oder Desfluran bevorzugt werden. Die klinische Relevanz der unter hohen Konzentrationen von Sevofluran auftretenden epileptischen Aktivität im EEG ist nicht eindeutig geklärt. Insbesondere bei der Maskeneinleitung von Kindern konnten diese EEG-Veränderungen nachgewiesen werden. Die individuelle Empfindlichkeit von Epileptikern auf Hypnotika und Opioide kann aufgrund von Wechselwirkungen mit Antiepilektika herunter gesetzt sein, so dass Epilepsiepatienten möglicherweise ein erhöhtes Risiko für intraoperative Wachheit (,,Awareness") haben. Bisher sind die „Narkosetiefenmonitore" für Patienten mit Epilepsie nicht validiert. Es kann aufgrund epileptogener EEG-Aktivität zu fehlerhaften Berechnung der EEG-Indices dieser Monitore kommen. Für Muskelrelaxantien von Curarederivaten besteht eine verkürzte und verminderte Wirkung bei Patienten unter Antiepileptika, z.B. Phenytoin, die zu einer hepatischen Enzyminduktion führen. Herausfordernd sind die zahlreichen Wechselwirkungen von Antiepileptika und perioperativ indizierten Medikamenten; dies wegen der zum Teil hohen Proteinbindungen, Enzyminduktionen und konkurrierenden Eliminationswegen. Medikament (Beispiel Handelsname)
Proteinbindung
Enzyminduktion
HWZ (h)
Renale Elimination
Hepatische Elimination
Carbarnazepin (Tegretal)
75
9- 15
1
99
Clonazepam (Rivotril)
85
20- 60
90
Lamotrigine (Lamictal)
55
ii ii ii
12- 62
10
90
Levetiracetam (Keppra)
< 10
keine
6-8
100
0
Phenytoin (Phenhydan)
90
9- 36
5
95
Valproinsäure (Orfiril)
90
ii ii
6- 18
2
98
Tab. 5: Pharrnokinetische Eckdaten einiger häufig verwendeter Antiepileptika (nach [6]).
7
Bei einem intraoperativ auftretenden epileptischen Anfall besteht die initiale Therapie in einer Vertiefung der Narkose. Als Bolusgabe eignen sich z. B. Lorazepam, Thiopental oder Propofol i.v. Insgesamt ist die Häufigkeit, perioperativ einen epileptischen Anfall zu erleiden, mit ca. 2. % als niedrig zu erachten, sofern es sich um nicht epilepsiespezifische Eingriffen handelt. In einer Beobachtungsstudie, in der 297 Patienten mit Epilepsie eine Narkose erhielten, war eine medikamentöse Therapie bei einem Anfallsereignis nur in einem Fall notwendig [7].
Postoperative Phase Die postoperative Überwachung erfolgt nach den üblichen Standards. Eine adäquate Schmerztherapie und Stressreduktion sind wesentlich. Es gilt, Schwankungen der Plasmaspiegel von Antikonvulsiva zu vermeiden. Bei hohen Blut- und Proteinverlusten besteht theoretisch die Gefahr einer Überdosierung insbesondere für Substanzen mit hoher Proteinbindung wie Valproat oder Phenytoin. Ebenfalls können Überdosierungen infolge hepatischer oder renaler Insuffizienz perioperativ auftreten. Bei ungenügender Resorption besteht dagegen die Gefahr einer Unterdosierung. Tritt in der unmittelbaren postoperativen Phase ein epileptischer Anfall auf, sind auch Differenzialdiagnosen wie Operationskomplikationen (intrazerebale Blutung bei Kraniotomie) oder Alkoholentzugssyndrom zu erwägen. Grundsätzlich gilt, dass zeitnah eine engmaschige neurologische Verlaufskontrolle, eine EEG-Kontrolle und ggf. ein bildgebendes Verfahren zur differenzialdiagnostischen Abklärung durchgeführt werden müssen.
Spezielle anästhesiologische Versorgung Zu den spezifischen epilepsiechirurgischen Eingriffen zählt die Implantation von EEGElektroden, um über Langzeit-EEG Messungen einen epileptischen Fokus zu diagnostizieren. Dabei kann es sich um die Implantation von Druckknopf-Elektroden (PEG-Elektrode) handeln, die über kleine Bohrlochtrepanationen epidural platziert werden. Ebenso werden Elektroden über das Foramen ovale vorgeschoben. Diese Eingriffe erfolgen unter Allgemeinanästhesie mit üblicher Überwachung. Bei korrekter Position der Elektroden über das Foramen ovale kommt es kurzfristig zu einer ausgeprägten Bradykardie, die üblicherweise keiner medikamentösen Therapie bedarf. Die Einlage von Plattenelektroden oder Tiefenhimelektroden zur umfassenden elektrophysiologischen Ableitung erfolgt über eine Kraniotomie, wobei hier ein erweitertes Monitoring mit invasiver Druckmessung und zentralvenöser Katheter meist erforderlich ist. Es gelten die üblichen Standards für ausgedehnte intrakranielle Eingriffe. Eine perioperative Antibiotikatherapie ist für diese Eingriffe aufgrund der Implantation von Fremdmaterialien zwingend erforderlich. Bei therapierefraktärer Epilepsie kann, wenn der epileptische Fokus eindeutig identifiziert worden ist, eine Resektion des betroffenen Hirnareals (z.B. eine Temporallappenresektion) indiziert sein. Es gelten die üblichen Standards für intrakranielle Eingriffe. In manchen Fällen kann es notwendig sein, intraoperativ elektrophysiologische Messungen zur Fokusidentifikation durchzuführen. Es wird kontrovers diskutiert, ob prokonvulsive Anästhetika zur sicheren Identifikation des Fokus beitragen. Wenn es sich um die Resektion von Hirngewebe in der Nähe der Sprach- oder motorischen Region handelt, werden epilepsiechirurgische Eingriffe auch als Wachkraniotomie durchgeführt, um eine klinisch neurologische Testung intraoperativ zu ermöglichen. Dieses erfordert eine gut abgestimmte interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die besondere anästhesiologische Herausforderung besteht im Atemwegsmanagement und der Behandlung intraoperativer Anfälle. In eingespielten Teams wird die Wachkraniotomie bei geringer Komplikationsrate und guter Akzeptanz von Seiten des Patienten zunehmend standardisiert durchgeführt. 8
Apoplexie Inzidenz und Differentialdiagnose
In Deutschland ist der Schlaganfall die häufigste neurologische Erkrankung, die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Einzelursache für lebenslange Behinderung. Die Ursache für einen Apoplex ist bei mehr als 85% der Fälle ischämisch bedingt. Ein hämorrhagischer Hirninfarkt infolge einer intrazerebralen oder subarachnoidalen Blutung ist wesentlich seltener. Anhand der Anamnese und der klinischen Untersuchung ist eine eindeutige Entscheidung nicht möglich, sondern nur mittels bildgebender Verfahren. Die Inzidenz für den ischämischen Schlaganfall liegt in Deutschland bei 160 - 250/100.000 Menschen pro Jahr, die Prävalenz für zerebrovaskuläre Erkrankungen auf 700 - 800/ 100.000 Einwohner. Die lnzidenz nimmt mit dem Lebensalter zu; 75 % der Schlaganfälle ereignen sich in einem Alter> 65 Jahre. Die kumulative Mortalität für den ischämischen Apoplex liegt innerhalb von 5 Jahren bei 60 % [8]. Differentialdiagnostisch sind in der Akutphase andere Ursachen abzuklären [9]: 1) Todd'sche Parese nach fokalem epileptischem Anfall 2) Hirntumor mit akuter Einblutung 3) Komplizierte Migräne 4) Entzündliche Hirnerkrankungen 5) Relevante Elektrolytstörungen (hypokaliämische Lähmung) 6) Psychogene Lähmungen.
Pathophysiologie
Wesentlichen Ursachen der zerebralen Ischämie sind kardial, kardiovaskulär, zerebrovaskulär, systemisch oder hämatologisch bedingt. Pathophysiologische Studien zeigen, dass eine zerebrale „Ischämie" ein dynamischer Prozess ist. Wenn die Hirnperfusion einen kritischen Wert von ca. 20 ml/100 g/min unterschreitet, folgt zunächst eine reversible funktionelle Schädigung. Ein weiterer Perfusionsabfall (ca.< 12 rnl/100 g/min) führt zu einer irreversiblen Schädigung mit Ausbildung des später sichtbaren Infarkts. Die ischämische Region besteht aus einem Infarktkern mit irreversibel geschädigten Hirngewebe und der noch vitalen, aber kritisch minderperfundierten Penumbra. Bei fehlender Reperfusion - und moduliert von Blutzucker, Sauerstoffsättigung, zerebralem Perfusionsdruck und Temperatur - nimmt der irreversibel geschädigte Gewebeanteil zuungunsten der Penumbra zu. Die wesentlichen Ursachen der zerebralen Ischämie werden klassifiziert als: • Kardial • Kardiovaskulär • Zerebrovaskulär • Systemisch • Hämatologisch.
Klinische Symptomatik
Je nachdem, welches Hirnareal betroffen ist, gibt es eine Vielzahl klinischer Erscheinungsformen (s. Tabelle 6). Die Symptome können Minuten oder Stunden andauern, was als sog. transitorisch schämische Attacke (TIA) bezeichnet wurde. Das Risiko, einen manifesten Schlaganfall zu erleiden, ist in den ersten Tagen nach einer TIA hoch. Da auch in spezifischer Bildgebung wie dem MRT mit diffusionsgewichteten Sequenzen in einem 9
Teil der Fälle bereits Infarkte demarkiert sind, wird in den aktueller Leitlinien eine TIA daher ebenfalls als Schlaganfall bewertet. Klinischer Befunde
Versorgungsgebiet
Motorisches oder sensibles Hemisyndrom, Armparese
M , VB *
Beinparese
A, VB
Gesichtslähmung (Fazialisparese)
M,VB
Sprachstörung (Aphasie)
M
Monokuläre Blindheit (Amaurose)
I
Sprechstörung (Dysarthrie), Vigilanzstörungen bis zum Koma
VB,M
Gesichtsfeldausfall (Hemianopsie)
P,M
Doppelbilder (Diplopie), Übelkeit, Erbrechen , Ataxie, Schwindel, Nystagmus
VB
* 1. A. carotis intema, M: A. cerebri media; P: A . cerebri posterior; A: A. cerebri anterior; VB: Vertebrobasiläres Stromgebiet
Tab. 6: Klinische Befundkonstellation je nach betroffenem zerebrovaskulärem Areal , modifiziert nach [9] .
Allgemeine anästhesiologische Versorgung
In der Akutphase wird bei Patienten mit Hirninfarkt in der Regel die Primärbehandlung durch Neurologen, Internisten oder Neurochirurgen (bei hämorrhagischen Infarkten bzw. der Indikation zu Entlastungskraniotomie) durchgeführt. Häufig sind Anästhesisten aber in die Versorgung eingebunden, insbesondere wenn es um diagnostische oder therapeutische Interventionen (Angiographie, Angioplastie mit oder ohne Stenteinlage, Aneurysmacoiling) oder Operationen (Hämatomausräumung bei intrazerebraler Blutung, Ventrikeldrainagenanlage oder Aneurysma-Clipping bei SAB) handelt. Neben dem zerebrovaskulärem Risiko wird die Prognose der Patienten vor allem auch durch die Begleiterkrankungen, wobei kardiale und respiratorische Erkrankungen häufig anzutreffen sind, bestimmt. Grundsätzliche anästhesiologische Überlegungen in der Akutphase beziehen sich auf eine optimale Einstellung der physiologischen Parameter um die Penumbra zu schützen [10]. Eine Optimierung der Atmung und Oxygenierung ist aus pathophysiologischer Überlegung wichtig, um eine Hypoxie dieser Hirnareale zu vermeiden. Hinsichtlich der Blutdruckkontrolle ist zu beachten, dass die Infarktregion eine gestörte Autoregulation hat und dass die Akutphase mit hypertonen RR-Werten einhergeht. Es wird ein „Bedarfshochdruck" angenommen und beim ischämischen Hirninfarkt nur zurückhaltend therapiert. Die klinischen Daten sind aber heterogen. Bei vorbestehendem Hypertonus wird eine Einstellung auf 180/100 mm Hg empfohlen. Ohne Hypertonus sind Werte von 160 - 180 mm Hg systolisch und 90 - 100 mm Hg diastolisch empfohlen. Als kritische obere Grenze werden 220 mm Hg systolisch und 120 mm Hg diastolisch angegeben. Generell sollten akute Blutdruckabfälle und hypotone Phasen vermieden wird. Bei hämorrhagischen Infarkten mit akuter Blutung sind die Blutdruckgrenzen niedriger anzusetzen, um eine Zunahme der intrazerebralen Blutung zu vermeiden, bis die Blutungsquelle chirurgisch beherrscht wurde. Zur Stabilisierung der Kreislaufsituation sind eine ausgewogene Volumentherapie und ggf. Katecholarnine indiziert. Da sowohl Hyper- als auch Hypoglykämie einen negativen Einfluss auf das neurologische Ergebnis haben, soll ein engmaschige Überwachung und bedarfsangepasste Therapie erfolgen. Ab 37,5 °C soll eine Senkung der Körpertemperatur erfolgen. Bei vorhandenem Hirndruck gelten die entsprechenden Maßnahmen zur Behandlung und Hirnprotektion. 10
Spezifische anästhesiologiesche Versorgung
In der Akutphase sind bei neuroradiologischen Interventionen oder Anlage einer Ventrikeldrainage ggf. nur eine „Standby"-Betreuung erforderlich. Die Indikation zur invasiven Blutdrucküberwachung ist großzügig zu stellen. Umfangreichere Eingriffe, z.B. die interventionelle oder die operative Versorgung eines Aneurysma oder die Entlastungskraniotomie, erfordern eine Intubationnarkose und eine erweiterte Überwachung, um ein engmaschiges Behandlung des Blutdruck und möglicher Komplikationen, wie Hirndrucksteigerung oder Blutung, gewährleisten zu können. Wenn möglich, soll die arterielle Punktion unter Lokalanästhesie im Wachzustand erfolgen, um die Narkoseeinleitung unter kontinuierlicher Blutdruckkontrolle durchzuführen. Bei Hirndruckzeichen ist die Indikation zur Blitzeinleitung großzügig zu stellen. Sowohl total intravenöse als balancierte Anästhesieverfahren sind möglich, wobei Lachgas wegen seiner vasodilatatorischen Wirkung mit konsekutiver Hirndrucksteigerung nicht geeignet ist. Es gelten die üblichen Standards für intrakranielle Eingriffe. Auf eine ausreichende Bereitstellung von Blutprodukten ist zu achten, um eine zerebrale Hypoxie infolge kritisch niedriger HbWerte zu vermeiden. Zunehmend werden zerebrovaskuläre Eingriffe in relativ kurzem Abstand zum Infarktereignis durchgeführt, um einer weiteren Schädigung des Hirnes vorzubeugen. Zu nennen sind hier die verschiedenen Techniken der zerebrovakulären Bypasschirurgie. Diese Patienten haben ein hohes Risiko für eine zerebrale Ischämie, so dass auch hier die akribische Blutdruckkontrolle perioperativ eine hohe Bedeutung einnimmt. Diese Operationen werden unter Thrombozytenaggregationshemmung (Acetylsalicylsäure 100 mg) durchgeführt, da ein hohes Risiko für eine Thrombosierung des Bypasses besteht. Postoperativ ist eine engmaschige klinisch-neurologische Überwachung erforderlich. Für elektive operative Eingriffe gilt, dass bei klinischen Hinweisen auf eine zerebrovaskuläre Erkrankung die Ursache präoperativ abgeklärt werden muss. Falls sich ein pathologischer Befund ergibt, ist kritisch abzuwägen, ob eine Risikoreduktion präoperativ möglich ist oder der Eingriff durchzuführen ist. Generell sind o.g. anästhesiologischen Strategien notwendig, um eine perioperative Verschlechterung der Hirnfunktion zu vermeiden [11].
Demenz Grundlagen Demenzerkrankungen (ICD-10-Code: FOO-F03) gewinnen aufgrund der demografischen Entwicklung an Bedeutung. Eine Vorstufe kann, muss aber nicht eine leichte kognitive Störung (MCI = mild cognitive impairment) sein. Je nach Ätiologie werden verschiedene Kategorien von Demenzen unterschieden, wobei 1 und 2 als häufigste Formen gelten [12]: 1) Demenz bei Alzheimer-Krankheit 2) Vaskuläre Demenz 3) Gemischte Demenz 4) Frontotemporale Demenz 5) Demenz bei Morbus Parkinson 6) Lewy-Körperchen-Demenz
Definition Das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM IV) gibt fünf Kriterien an, die für die Diagnose Demenz gegeben sein müssen (Tabelle 7). 11
A
Verlust der intellektuellen Fähigkeiten von ausreichender Schwere, um die sozialen und berufliehen Leistungen zu beeinträchtigen
B
Gedächtnisschwäche
C
1. Beeinträchtigung des abstrakten Denkens 2. Beeinträchtigung des Urteilsvermögens 3. Zentrale Werkzeugstörungen (Aphasie, Apraxie, Agnosie und/ oder exekutive Dysfunktion 4. Persönlichkeitsveränderungen bzw. Verstärkung auffälliger prärnorbider Persönlichkeitszüge
D
Keine Bewusstseinsstörung
E
Hinweise für einen hirnorganischen Grundprozess
Tab. 7: Symptornkomplex der dementiellen Syndrome.
Dementielle Syndrome nehmen ab dem 65. Lebensjahr exponentiell zu. So wird die Prävalenz für 65 - 70-Jährige mit 3 - 5 % angegeben, während sie für Menschen > 90 Jahre bei 30 % liegt. Eine Frau hat ein höheres Risiko an einer Demenz zu erkranken als ein Mann gleichen Alters (35 vs. 16 %). Ursachen für sog. sekundäre Demenzen können vaskulären, toxischen, entzündlichen, metabolischen und traumatischen Ursprungs sein. Als wesentlichen Differenzialdiagnosen zur Demenz gelten insbesondere Depression, Delir, Negativsymptomatik bei Schizophrenie, schizophrenes Residuum und Abhängigkeitserkrankungen.
Pathophysiologie
Den dementiellen Syndromen als Manifestation des neurodegenerativen Prozesses liegen komplexe Ursachen zu Grunde. Modellhaft wurde in den letzten Jahrzehnten insbesondere die Pathophysiologie der Alzheimer Demenz erforscht. So besteht weitestgehend Konsens, dass es aufgrund einer genetischen Fehlsteuerung zu extrazellulären Amyloidablagerungen und intrazellulären Neurofibrillen im Rahmen des Stoffwechsels der Neuronen kommt. Besonders betroffen sind der Hippokampus und kortikale Regionen des Frontallappens. Letztendlich führt das zu einem Neuronenverlust, der, sofern die kritische Grenze überschritten wird, durch kognitiven Funktionsverlust in Erscheinung tritt. In welchem Ausmass exogene Faktoren, z.B. Medikamente (u.a. volatile Anästhetika) und zerebrale Hypoperfusion, eine Auswirkung auf die Manifestation einer Alzheimer Demenz haben, wird seit Jahren kontrovers diskutiert [13] .
Diagnostik und klinische Symptomatik
In der täglichen Praxis können kognitive Störungen übersehen werden, falls nicht gezielt nachgefragt wird und keine Angaben von Angehörigen erfolgen. Als Instrumente zur orientierenden Einschätzung von kognitiven Störungen sind z.B. der Mini-Mental-StatusTest (MMST), der Syndrom-Kurz-Test (SKT), der Demenz-Detektions-Test (DemTect) und der Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) zu nennen [14]. Der Uhrenzeichentest kann in Kombination mit den anderen genannten Kurztestverfahren die diagnostische Aussagekraft erhöhen, ist jedoch als alleiniger kognitiver Test nicht geeignet. Zur exakten Diagnosestellung und Verlaufsbeobachtung stehen dann umfassende neuropsychologische Testbatterien und Interviewtechniken zur Verfügung. Grob orientierend kann der MMST zur Einschätzung des Schweregrades einer Demenz herangezogen werden: 12
1) MMST 20 bis 26 Punkte: leicht 2) MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwer 3) MMST weniger als 10 Punkte: schwer Bildgebende Verfahren spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der ätiologischen Demenzdiagnostik. Neben der Routinediagnostik mit der Magnetresonanztomographie (MRT) sind derzeit volumetrische Analysen der Protonen-MR-Spektroskopie, ,,diffusion tensor imaging" (DTI) sowie Perfusions- und funktionelle MRT Gegenstand klinischer Forschung. Als wichtigste nuklearmedizinische Innovation der letzten Jahre ist die Darstellung von zerebralem Amyloid mittels Positronenemissiontomographie (PET) in der Früh- und Differenzialdiagnostik der Alzheimer-Demenz zu werten [15]. Je nach Ätiologie der Demenz stehen Funktionsstörungen der Hirnrinde (Störungen des verbalen und visuellen Gedächtnisses, Sprachstörungen und visuell-räumliche Orientierung) oder subkortikaler Areale (Verhaltens- und Antriebsstörungen wie Apathie, psychomotorische Verlangsamung, aber auch Disinhibition wie Distanzverlust) im Vordergrund. Häufige Begleitsymptome sind Depression, Agitiertheit, Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Wahn und Halluzinationen [14].
Allgemeine anästhesiologische Versorgung
Allgemeine Aspekte und Prämedikation Es liegen wenig evidenzbasierte Empfehlungen für die anästhesiologische Versorgung von Patienten mit Demenz vor, da eine Demenz nahezu für alle anästhesiologischen Studien ein Ausschlusskriterium darstellt. Grundsätzlich besteht bei diesen Patienten ein Problem mit der Einsichtsfähigkeit, das umso stärker ist, je ausgeprägter die Demenz ist. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass bereits Patienten mit moderater Ausprägung z. B. einer Alzheimer Demenz eine eingeschränkte Entscheidungs- und Einsichtsfähigkeit haben. Sie verstehen trotz vielfacher Erläuterung häufig nicht die Notwendigkeit von medizinischen Maßnahmen. Patienten mit ausgeprägter Demenz lehnen häufig sämtliche Maßnahmen ab. Um diesen Patienten gerecht zu werden, ist es notwendig, dass eine gesetzliche Betreuung für den Patienten eingerichtet wird [16]. Bei der Anamnese dementer Patienten sind deren Angaben häufig lückenhaft und aufgrund der kognitiven Störungen unzuverlässig. Deshalb kommt fremdanamnestischen Angaben eine große Bedeutung zu, um die körperlichen und kognitiven Einschränkungen der Patienten zu erfassen. Das Prämedikationsgespräch soll in ruhiger Umgebung stattfinden, um die meist sehr ängstlichen Patienten nicht zusätzlich zu verunsichern, was z. T. zu aggressivem Verhalten führt und die Situation erschwert. Demente Patienten leiden häufig unter Schluckstörungen, was ein erhöhtes perioperatives Risiko bedeutet. Eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit und die Unfähigkeit, ausreichend zu husten, sind wichtige Prädiktoren für postoperative kardiale und pulmonale Komplikationen. Eine Herausforderung stellt auch die medikamentöse Therapie dar, wobei Antidementiva (Acetylcholinesterase-Hemmer: Donezepil, Galantamin, Rivastigmin; NMDA-RezeptorAntagonisten: Memantin), Antidepressiva (Citalopram, Sertrailin, Moclobemid) und klassische sowie atypische Neuroleptika (Haloperidol, Clozapin, Meldperon, Pipamperon) vielfach eingesetzt und perioperativ weitergeführt werden. Bei der vaskulären Demenz gehören Thrombozytenaggregationshemmer, Antihypertensiva sowie Statine zur Standardtherapie der Grunderkrankung. Die Indikation zur medikamentösen Prämedikation bei den oft verängstigten oder auch agitierten Patienten ist individuell zu stellen. Es gibt keine spezifischen Empfehlungen für eine bevorzugte medikamentöse Therapie. Anxiolytika vom Benzodiazepintyp sollten wegen der kognitiven Beeinträchtigung und möglicher paradoxer Reaktionen nur zurückhaltend eingesetzt werden. 13
Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung Grundsätzlich sind alle Verfahren der Allgemein- und Regionalanästhesie durchführbar. Es gibt keine evidenzbasierte Datenlage für die Überlegenheit eines der Verfahren bei dieser Patientengruppe. Der eindeutige Vorteil der Regionalanästhesie - die geringere Interaktion mit Medikamenten - mag sich bei ängstlich agitierten, nur eingeschränkt kooperierenden Patienten rasch verlieren, wenn sie nur unter Sedierung die Anlage der Regionalanästhesie und die Operation über sich ergehen lassen können. So hat sich bisher auch nicht nachweisen lassen, dass postoperative kognitive Funktionsstörungen (POCD) nach Regionalanästhesie seltener auftreten bzw. weniger ausgeprägt sind. Da es sich vorwiegend um ältere Patienten handelt, führen veränderte Rezeptordichte und Verteilungsvolumina zu veränderter Pharmakokinetik und -dynamik der Anästhetika. Von manchen Autoren wird eine 50 %-Reduktion der Induktionsanästhetika vorgeschlagen. Bei eingeschränkter kardialer Leistungsfähigkeit ist mit einem verspäteten Wirkungseintritt und einer ausgeprägten Hypotonie zu rechnen, so dass häufig Vasokonstriktiva trotz langsamer Injektionsgeschwindigkeit benötigt werden. Bei der Alzheimer-Demenz besteht eine lmbalance des zentralen cholinergen Systems, dem eine modulatorische Funktion von Bewusstseinszustand, Gedächtnisfunktion und Informationsverarbeitung zugeschrieben wird. Da Anästhetika die Freisetzung von Acetylcholin verändern wird diskutiert, ob auch sie einen neurodegenerativen Prozess induzieren können. Es konnte gezeigt werden, dass sie mit dem Tau-Protein und Amyloid-ß interagieren, beides Substanzen, die auch bei der Pathogenese der Alzheimer-Demenz eine wichtige Rolle spielen. Ob diese Ergebnisse aus in-vitro-Studien klinisch relevant sind, ist bisher nicht geklärt. Es gibt keine evidenzbasierte Datenlage, ob eine total intravenöse Anästhesie einer balancierten Anästhesieführung in Bezug auf die postoperative kognitive Leistung bzw. das Fortschreiten der Erkrankung überlegen ist. In Bezug auf die intraoperative Hypnose ist bisher leider unzureichend erforscht, in wie weit EEG-Monitore zur Quantifizierung bei dieser Patientengruppe geeignet sind. Für Opioide ist bekannt, dass Remifentanil im Gegensatz zu Fentanyl keine anticholinerge Wirkung hat. Bei Muskelrelaxantien gibt es Einzelfallbeschreibungen einer verlängerten Wirkdauer von Succinylcholin. Um das Risiko einer Restcurarisierung zu minimieren, sollte die Wirkung von nicht-depolarisierende mittels Relaxometrie überwacht bzw. gesteuert werden. Grundsätzlich ist mit einer prolongierten Aufwachphase bei diesen Patienten zu rechnen, da die ZNS-Wirkungen der Anästhetika auf das demente Gehirn nur schwer einschätzbar sind.
Postoperative Versorgung In der postoperativen Phase ist eine adäquate Schmerztherapie unabdingbar, wobei die Schmerzerfassung/-messung bei dementen Patienten spezifische Aufmerksamkeit erfordert. Es gibt spezielle Skalen, die zur Selbsteinschätzung (bei moderater Ausprägung der Demenz) und zur Fremdeinschätzung genutzt werden sollten [17] . So werden Gesichtsausdruck, Körpersprache, Atmung, Reaktion auf Zuwendung und Schmerzäußerungen berücksichtigt. In Abhängigkeit vom operativen Eingriff soll die Schmerztherapie dem WHO-Stufenkonzept entsprechen, wobei die Dosis altersadaptiert erfolgen muss. Grundsätzlich tritt bei dementen Patienten häufiger ein Delir auf. Insbesondere in der postoperativen Phase ist es hier wesentlich, nicht nur das klinisch leicht erkennbare hyperaktive, sondern auch das weniger auffällige hypoaktive oder gemischte Delir zu erkennen. Dazu sollte im Aufwachraum vor Verlegung ein Delir-Screening durchgeführt werden . Eine medikamentöse Therapie des Delirs soll entsprechend der S3-Leitlinie erfolgen [18] .
14
Literatur 1) 2)
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15
Perioperative Neuroprotektion C. WERNER
Schlaganfall, zerebrale Ischämie nach Herz-Kreislaufstillstand, Schädelhirntrauma, Subarachnoidalblutung, sowie oft unvermeidbare zerebrale Belastungen während kardiochirurgischer, gefäßchirurgischer oder neurochirurgischer Eingriffe stellen nach wie vor eine große Herausforderung für die perioperative Medizin dar. Die genannten Erkrankungen und Interventionen besitzen ein beträchtliches Schädigungspotential mit zum Teil hoher Mortalität oder nur mäßiger Rehabilitation mit fehlender Wiedereingliederung der betroffenen Patienten in die Gesellschaft. Die gemeinsame pathophysiologische Endstrecke o.g. Ereignisse ist stets die inadäquate Versorgung des zentralen Nervensystems mit Sauerstoff und Glukose, welche charakteristische Destruktionsprozesse triggert, die ultimativ zum akuten oder programmierten neuronalen Zelltod führen. Konsequenterweise wurde über Jahrzehnte hinweg intensiv untersucht, inwieweit physikalische, hämodynarnische oder pharmakologische Interventionen neuroprotektives Potential besitzen, um auf den unterschiedlichen Ebenen der ischämischen Kaskade zerstörerische Prozesse aufzuhalten. Allerdings blieben die Untersuchungen zu Anästhetika, freien Radikalfängern, Antagonisten exzitatorischer Aminosäurerezeptoren, Calciumkanalblockern, Ionenpumpenmodulatoren, Wachstumsfaktoren, Immunomodulatoren, Steroiden und Genprodukten bisher erfolglos, obwohl diese Substanzen in laborexperimentellen Systemuntersuchungen ein zum Teil erstaunliches neruoprotektives Potential entfaltet hatten. Nach Expertenmeinung ist die fehlende Translation unter anderem durch die Existenz multipler Schädigungsmechanismen, inadäquate Dosierung, nicht verfügbare Therapiezeitfenster, miserable Biometrie etc. erklärbar. Andereseits hat die vorliegende Forschungsleistung klargestellt, dass die derzeit wichtigste Strategie zu perioperativer Neuroprotektion in der profunden Kenntnis der zerebralen Physiologie und Homöostase des gesunden und kranken Patienten liegt. Die vorliegende Übersicht diskutiert essentielle physiologische Mechanismen und therapeutische Vorgehensweisen zur Homöostase, die eine adäquate Balance aus Sauerstoff- und Glukoseangebot und -bedarf des zentralen Nervensystems verwirklichen sollen. Darüber hinaus wird das potentielle neuroprotektive Potential von Substanzen im Kontext der perioperativen Medizin analysiert.
Management des zerebralen Perfusionsdruckes (CPP) Pathologische Veränderungen der Hirndurchblutung (z.B. bei Patienten mit zerebralem Vasospasmus nach Subarachnoidalblutung oder während intrakranieller Hypertension) verlangen ein individualisiertes Management des zerebralen Perfusiondrucks. Nach wie vor existieren zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche CPP-Managementstrategien (Philosophien), die zerebrale Perfusion auf einem für die Hirnversorgung mit Sauerstoff und Glukose adäquaten Niveau zu halten. Obwohl beide Konzepte unterschiedliche CPP Niveaus favorisieren, mag jedes der Konzepte bei individuellen Patienten in Abhängigkeit vom Zustand der zerebralen Autoregulation und der Blut-Hirnschranke Berechtigung finden. 1. Kaskade der zerebralen Vasodilatation und Vasokonstriktion (,,Rosner Konzept", ,,Edinburgh-Konzept") Studien an Patienten nach Schädelhirntrauma konnten zeigen, dass arterielle Hypotension bzw. ein niedriger CPP unabhängige Risikofaktoren in der Entstehung des sekundären Hirnschadens darstellen. So ist z.B. die Häufigkeit des Auftretens, die 17
Ausprägung und die Dauer einer arteriellen Hypotension respektive eines CPP unter 80 mmHg mit einer signifikant erhöhten Mobidität und Mortalität bei diesen Patienten vergesellschaftet. Der hier empfohlene Ansatz zum Management des CPP verlangt eine intakte zerebrovaskuläre Auotregulation, um autoregulative Vasokonstriktion für die Hirndruckkontrolle zu nutzen. Ist die Autoregulation intakt, werden Zunahmen des CPP eine Vasokontriktion herbeiführen, um die Hirndurchblutung konstant zu halten. Gleichzeitig wird diese autoregulatorische Vasokonstriktion das intrakranielle Blutvolumen und sekundär den Hirndruck reduzieren. Dieses Konzept gilt ebenfalls für Patienten, bei denen ein Shift der autoregulativen Kurve hin zur höheren Drücken vorliegt, d.h. bei normalen CPP Werten sind diese Patienten noch druckpassiv perfundiert, während eine therapeutische Steigerung des CPP sie in die autoregulierte Druck-Flussbeziehung zurückführt. Die o.g. Überlegungen sind in Übereinstimmung mit klinischen Daten nach Schädelhirntrauma, nach denen bei hochnormalen CPP Werten zwischen 75 und 95 mmHg seltener kritische Hirndruckepisoden auftreten. Allerdings gehen CPP Werte von mehr als 75 mmHg mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten eines ARDS einher. Rosner, Robertson 2. Behandlung des posttraumtischen Hirnödems (,,Lund-Konzept") Dieser therapeutische Ansatz geht von einer defekten Blut-Hirnschranke sowie einer aufgehobenen zerebrovaskulären Autoregulation aus. Konsequenterweise zielt das Lund-Konzept darauf ab, niedrige präkapilläre hydrostatische Drücke und eine zerebrovenöse Konstriktion zu erzeugen, um die Ausbildung eines Hirnödems ebenso wie das zerebrale Blutvolumen im venösen Schenkel durch Infusion von a) Dehydroergotarnin b) alpha 2 - Agonisten und beta 1 - Antagonisten c) der Normalisierung des kolloidosmotischen Druckes Plasmaalbuminkonzentration von mehr als 40 gn herbeizuführen. Während tatsächlich Subgruppen von Patienten von der Reduktion des präkakapillären hydrostatischen Druckes zusammen mit einer zerebrovenösen Konstriktion profitieren mögen, existieren noch immer keine überzeugenden Daten, die einen verbesserten Heilverlauf (outcome) durch das Lund-Konzept belegen. Allerdings ist gegenwärtig klinischer Konsens, dass CPP Zielwerte von weniger als 50 mmHg mit einem erhöhten Risiko für zerebrale Ischämien einhergehen und sicher inakzeptabel für Patienten sind, bei denen ein zerebraler Vasospasmus vorliegt. So ist der gegenwärtige Expertenrat, dass ein Behandlungskorridor für den CPP von 50 - 70 mmHG durch die Gabe von Sedativa, Osmodiuretika das Aufrechterhalten einer Normovolämie und ggf. den Einsatz von Vasopressoren das neurologische Endergebnis bei Patienten mit ischämischen oder traumatischen Provokationen verbessern kann.
Anästhetika Volatile Anästhetika Isofluran, Sevofluran und Desfluran erzeugen eine dosisabhängige Reduktion des Hirnstoffwechsels. Dieser Effekt legt nahe, dass volatile Anästhetika die Balance zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf während zerbraler Ischämien korrigieren können. Tatsächlich konnten vorexperimentelle Untersuchungen an Modellen fokaler oder Hemisphärenischämie belegen, dass die genannten Inhalationsanästhetika die Infarktgröße reduzieren und das neurologische Endergebnis verbessern können, wenn die Medikamente vor der ischämischen Provokation das Endorgan erreicht hatten. Diese experimentellen Daten sind konsistent mit Untersuchungen an Sevofluran - anästhesierten Patienten, die sich einer Carotisdesobliteration unterziehen mussten. Diese Patienten
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zeigten eine erhöhte Toleranz gegenüber ligaturbedingten Hirndurchblutungsreduktionen. Im Gegensatz hierzu besitzen Inhalationsanästhetika keine neuroprotektive Wirkung in Zusammenhang mit globalen zerebralen Ischämien oder wenn sie nach einem Insult verabreicht werden. Im Vergleich zu Isofluran und Desfluran besitzt Sevofluran eine nur sehr geringe zerbrovasodilatierende Wirkung in Konzentrationen unter 1 MAC endexpiratorisch, was diese Substanz für neurochirurgische Patienten mit erschöpfter intrakrankieller Elastance empfiehlt. Hypnotika Laborexperimentelle Untersuchungen ergaben, dass Barbiturate ebenso wie Propofol die Infarktgröße reduzieren und das neurologische Endergebnis verbessern können, wenn in Zusammenhang mit fokaler oder inkomplett globaler zerebraler Ischämie physiologische Variablen währen der Experimente konstant gehalten wurden. Im Gegensatz hierzu ergab sich für Etomidat eine Verschlechterung des neurologischen Befundes. Während experimentelle Studien die präventive neuroprotektive Gabe von Hypnotika nahelegen, fehlt hingegen jede klinische Evidenz für diesen Ansatz. Trotz der hirndrucksenkenden Effekte von Barbituraten und Propofol konnte für diese Substanzgruppe bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck keine outcome-verbessernde Wirkung in klinischen Studien belegt werden. Anästhetika und zerebraler Perfusionsdruck Der CPP (s.o.) errechnet sich aus der Differenz zwischen mittlerem arteriellem Blutdruck und intrakraniellem Druck. Insofern verlangt die Interpretation von Anästhesieeffekten auf den CPP, deren Einfluss auf Blutdruck und Hirndruck zu charakterisieren. Grundsätzlich besitzen sämtliche Anästhetika (Barbiturate, Propofol, Benzodiazepine, Opioide, Dexmedetonidin, Sevofluran, Desfluran und Isofluran) das Potential, den arteriellen Blutdruck dosisabhängig zu reduzieren. Die Ausprägung dieser hämodynamischen Suppression ist darüber hinaus abhängig von der Applikationsgeschwindigkeit des Medikamentes und dem vorbestehenden Volumenstatus des Patienten. Das einzige Medikament, welches die systemische Hämodynamik augmentiert, ist Ketamin. Im Gegensatz hierzu reduzieren Barbiturate und Propofol den Hirndruck. Benzodiazepine, Ketamin, Dexmedetonidin und Sevofluran (weniger als 1 MAC) haben wenig Einfluss auf den Hirndruck, während Desfluran und lsofluran potente zerebrale Vasodilatatoren sind, was zu einer Zunahme des zerebralen Blutvolumens und des Hirndruckes führt. In Abwägung der o.g. Wirkungen auf Blutdruck und Hirndruck können Barbiturate und Propofol zu einer Zunahme des CPP führen, wenn die Gabe der Substanzen nicht gleichzeitig mit einem Abfallen des Blutdruckes assoziiert ist. Während Benzodiazepine und Opioide wenig Einfluss auf den CPP besitzen, kann Ketamin diesen als Folge der hämodynamischen Stimulation steigern. Dexmedetonidin, Desfluran und Isofluran reduzieren den CPP, nachdem sie den Blutdruck reduzieren und / oder den Hirndruck erhöhen. Triple - H - Therapie Die Kombination einer induzierten Hypertension, einer Hypervolämie und einer Hämodilution ist ein verbreitetes Konzept in der Prävention und Therapie des zerebralen Vasospasmus nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung. Trotz der Popularität der Triple - H - Therapie ist diese Vorgehensweise erstaunlicherweise noch nie in adäquaten klinischen Untersuchungen als heilverlaufsverbessernd belegt worden. Dies liegt vor allem an den Nebenwirkungen des verfahrens, zu denen das Lungenödem, die Myokardischämie, die Hyponatriämie, das Nierenversagen, die Hirnblutung, das Hirnödem sowie Einschwemmkatheter-assoziierte Komplikationen zählen. Osmodiuretika Mannitol und hypertone Kochsallösung sind Osmodiuretika, welches den Hirndruck reduzieren, den CPP erhöhen und eine konsekutive Verbesserung der Hirndurchblutung
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herbeiführen. Diese Effekte sind durch Plasmaexpansion, konsekutive Reduktion des Hämatokrites und der Plasmaviskosität ebenso erklärbar wie mit der Mobilisation extrazellulärer Flüssigkeit entlang des osmotischen Gradienten. Die Behandlung einer intrakraniellen Hypertension mit Mannitol oder hypertoner Kochsalzlösung scheint effektiver als die Infusion von Barbituraten. Es ist indiziert, auf der Basis von Hirndruckmonitoring Bolusgaben der jeweiligen Substanz zu veranlassen und nicht eine kontinuierliche oder prophylaktische lnfusionsstrategie als Teil eines rigiden Algorithmus zur Kontrolle des Hirndruckes anzuordnen. Nebenwirkungen der Osmodiurektika sind die akute tubuläre Nekrose, weswegen die Plasmaosmolarität 320 mosmol/1 nicht übersteigen sollte. Sorgen um einen Rebound-Effekt von Osmodiuretika (d.h. der Akkumulation des Osmodiuretikums innerhalb des extrazellulären Raumes) scheinen nur bei defekter Blut - Hirnschranke und einer länger dauernden Therapie relevant zu sein. Nach Expertenmeinung können Mannitol oder hypertone Kochsalzlösungen auch jenseits dieser genannten Endpunkte eingesetzt werden, solange kritische ICP Erhöhungen osmosensitiv bleiben. Plasmaglukosekonzentration Laborexperimentelle und klinische Untersuchungen konnten zeigen, dass Hyperglykämie ebenso wie Hypoglykämie mit unvorteilhaften Intensivbehandlungsverläufen und ungünstigem neurologischem Endergebnis nach zerebrovaslulären oder neurotraumatologischen Ereignissen einhergehen. Zu den Mechanismen, über die eine normoglykäme Patientenführung neuronales Gewebe schützen können, zählen die Reduktion der intrazellulären Laktatazidose, der Permeabilität biologischer Membranen und des Ödems endothelialer Zellen sowie von Neuroglia und Neuronen. Als pragmatischer Ansatz wird derzeit eine Plasmaglukosekonzentration innerhalb eines Behandlungskorridors von 110 - 140 mg/dl parallel zu zweistündlichen Blutzuckerkontrollen empfohlen, um eine Hypoglykämie als überschießende Therapieantwort zu vermeiden. Calciumantagonisten Der vermutete Mechanismus neuronaler Protektion durch Calciurnkanalblocker beinhaltet die Auslösung einer zerebralen Vasodilatation, die Prävention des Vasospasmus, einer reduzierten Calciumeinstrom in postsynaptische Zellen sowie die Modulation des Stoffwechsels freier Fettsäuren. Unglücklicherweise sind die Resultate zur Neuroprotektion durch diese Substanzgruppe bereits auf laborexperimenteller Ebene eher widersprüchlich. Während einige Studien Reduktionen des neuronalen Schadens und einer Verbesserung der neurologischen Funktion nach Ischämie ergaben, gelang es anderen Studien nicht, derartige hoffnungsvolle Ergebnisse zu bestätigen. Klinische Untersuchungen haben die neuroprotektive Wirkung des L-Typ-Calciurnkanalblockers Nimodipin an Patienten mit ischämischem Schlaganfall und aneurysmatischer oder traumatischer Subarachnoidalblutung untersucht. Nach einer Metaanalyse bleibt als neuroprotektive Indikation für Nimodipin ausschließlich die aneurysmatische Subarachnoidalblutung, bei der diese Substanzgruppe im Falle oraler Applikation eine 5,1 % -ige Risikoreduktion erzeugen konnte. Magnesium Das potentielle neuroprotektive Potential von Magnesium beinhaltet die Reduktion der präsynaptischen Glutamatfreisetzung, die Blockade der NMDA-Rezeptoren, eine Verbesserung des mitochondrialen Calciumpuffersystems, einer Blockade des Calciumeinstroms über spannungsabhängige Kanäle sowie die Relaxierung glatter Muskelzellen, die für Patienten mit zerebralem Vasospasmus von Belang sein mag. Leider konnten bisher selbst exzellent angelegte klinische Untersuchungen das theoretische neuroprotektive Potential von Magnesium nicht bestätigen. Erythropoietin Zerebrales Erythropoietin wird im Hippocampus, in der inneren Kapsel, im Cortex, den Endothelzellen, den Astrozyten gebildet und seine Rezeptoren werden von Neuronen,
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Microglia, Astrozyten und zerbralen Endothelzellen exprimiert. Hypoxie und Ischämie wurden als bedeutende Triggerrnechanismen für die Erythropoietinexpression im Gehirn identifiziert, woraus man schloss, dass Erythropoietin Teil eines selbstregulierenden physiologischen Protektionsmechanismus sein könnte. Die systemische Applikation von Erythropoietin stimuliert Neurogenese, neuronale Differenzierung und aktiviert neurotrophe, antiapoptotische, antioxidative und antiinflammatorische Signalwege. In einer klinischen Untersuchung an 80 Patienten nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung schien diese Substanz tatsächlich die Ausprägung des zerebralen Vasospasmus sowie die Dimension der verzögert auftretenden zerebralen Ischämie günstig beeinflussen zu können. Allerdings verdient dieser Ansatz größere, bestätigende Untersuchungen, um eine sichere Indikation für die Substanz stellen zu können.
Statine Statine sind HMG - CoA Reduktase Inhibitoren, die bei Patienten mit Hypercholesterinämie indiziert sind, nachdem sie die Morbidität und Mortalität als Folge von kardialen, zerebralen oder peripher vaskulären Erkrankungen reduzieren können. Darüber hinaus scheinen Statine zu einer pleiotropen Wirkung fähig zu sein, deren günstige Effekte völlig unabhängig von Veränderungen des Serum Cholesterinwertes sind und vaskuläre Inflammation, verbesserte endotheliale Zellfunktion, Stabilisierung arteriosklerotischer Plaques, reduzierte Gefäßmuskelmigration und Proliferation etc. beinhalten. Metaanalysen, die den Einfluss von Statinen auf das neurologische Endergebnis nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung untersucht haben, haben widerspriichliche Resultate ergeben. Während ein systematischer Review mit 3 RCTs eine Reduktion des Auftretens von Vasospasmus sowie verzögerter zerebraler Ischämie und Mortalität für statinbehandelte Patienten ergab, wurde in einer erweiterten Metaanalyse von 4 RCTs auf der Basis statistischer Re-Evaluation die günstige Statinwirkung in Frage gestellt. Es scheint, dass der Konflikt dieser beiden Metaanalysen durch unterschiedliche Philosophien in der biometrischen Herangehensweise herbeigeführt wurde: so wird gefordert, dass die Autoren dieser Metananalysen nicht auf die Null - Hypothese für das 5 % Niveau testen sollten, sondern eher die Dimension des Behandlungseffektes und seine Richtung betrachten sollten. Darüber hinaus wird reklamiert, dass die Dimension Konfidenzintervalles oft unberiicksichtigt bleibt. Als Folge der o.g. Unterschiede im Ansatz der Interpretation von Daten mögen beide Metaanalysen „in der Nähe der Wahrheit liegen". Konsequenterweise scheint die Gabe von Statinen gerechtfertigt zu sein, ohne dass diese als einziges Werkzeug in der Behandlung periopertiver zerebraler Ischämien empfehlbar wären. Glukokortikoide Die Rationale für die Gabe von Glukokortikoiden basiert auf der Erwartung, dass diese Substanzen freie Radikale abfangen, Membranstabilisierung herbeiführen, die Akkumulation freier Fettsäuren reduzieren und die Lipidperoxidation inhibieren. Gleichwohl existieren nur zwei sichere Indikationen für die Gabe dieser Substanzgruppen: a. Perifokales Ödem b. Pneumokokkenmeningitis Fragliche Indikationen stellen akute (weniger als 8 Stunden) Rückenmarkläsionen sowie die Gabe der Substanz während Kraniotomien dar. Keine Indikationen existieren für Patienten mit Schädelhirntrauma, Schlaganfall oder Subarachnoidalblutung, nachdem hier therapieassoziierte Nebenwirkungen wie Hyperglykämie, Elektrolytimbalance und Immunkompetenz überwiegen.
Hypothermie Das Interesse an thermalen Interventionen wurde bereits friih durch Erkenntnisse zu charakteristischen zerebralen Effekten einer moderaten oder milden Hypothermie sowohl 21
in laborexperimentellen als auch klinischen Unersuchungen ausgelöst. Hypotherme Neuroprotektion ist herbeigeführt durch die Supression nahezu aller biochemischer Prozesse wie des zerebralen Hirnstoffwechsels, der Reduktion exzitatorischer Neurotransmitterfreisetzung, der Inhibition von Lipidperoxidation und freier Radikalbildung. Darüber hinaus vermag eine milde Hyperthermie die Hirndurchblutung zu ökonomisieren und postischärnische Hyper- oder Hypoperfusionen sowie Hirnödemformationen zu vermeiden. In der perioperativen Situation ist eine milde Hypothermie (leitliniengerecht) nach beobachtetem Herz-Kreislaufstillstand ebenso gerechtfertigt wie nach perinataler Hypoxie. Eine intraoperative Hypothermie, z.B. in der zerebralen Aneurysmachirurgie oder nach adultem oder kindlichem Schädelhirntrauma ist nicht gerechtfertigt. Unstrittig ist, dass eine Hyperthermie zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität sowie einer verlängerten Intensiv- sowie Krankenhausverweildauer führt.
Zusammenfassung Die Komplexität neuronaler Schädigung nach Schlaganfall, globaler zerebraler Ischämie, Subarachnoidalblutung oder Schädelhirntrauma verlangt nach einem vieldimensionalen, der Homöostase geschuldeten Therapieansatz. So gilt es als allgemeines Therapieprinzip, eine Normovolärnie, Normotension, Normocapnie, Normoxärnie, Normoglykärnie und Normothermie umzusetzen. Zu spezifischen Interventionen zählt die Kontrolle des intrakraniellen Druckes durch Osmodiuretika und ggf. Hyperventilation oder Hypnotika. Hypothermie ist gerechtfertigt nach kardiopulmonaler Reanimation sowie perinataler Hypoxie, während der Calciumantagonist Nimodipin bei oraler Gabe streng auf die aneurysmatische Subarachnoidalblutung beschränkt bleiben muss. Steroide können bei perifokalem Ödem oder Meningitiden verabreicht werden, während die Gabe von Statinen beim Schlaganfall gerechtfertigt sein mag. Triple - H - Therapie, Magnesium oder Erythropoietin sind derzeit nicht inidiziert.
Weiterführende Referenzen G. F. Strandvik. Hypertonie saline in critical care: a review of the literature and guidelines for use in hypotensive states and raised intracranial pressure. Anaesthesia 2009, 64,990 - 1003. S C Lewis. General anaesthesia versus local anaesthesia for carotid surgery (GALA): a multicentre, randomised controlled trial. The Lancet; Dec 20 , 2008/Jan 2, 2009; 372, 9656; Academic Research, pg. 2132. Guy L Clifton. Very early hypothermia induction in patients with severe brain injury (the National Acute Brain Injury Study: Hypothermia II): a randomised trial. Lancet Neurol 2011; 10: 131-39. David M. Greer. Impact of fever on outcome in patients with stroke and neurologic injury. A compreshensive meta - analysis . Stroke. 2008; 39:3029 - 3035 . Andreas Schneider. Cerebra! resuscitation after cardiocirculatory arrest. Anesth Analg 2009; 108:971-9. Mikael Jerndal. A systematic review and meta-analysis of erythropoietin in experimental stroke. J Cereb Blood Flow Metab. 2010 May;30(5):961-8. Brian T. Bateman. Perioperative acute ischemic stroke in noncardiac and nonvascular surgery. Anesthesiology 2009; 110:231-8. Jan W Dankbaar. Effect of different components of triple-H-therapy on cerebral perfusion in patients with aneurysmal subarachnoid haemorrhage: a systematic review. Critical Care 2010, 14: R 23. Joshua B. Bederson. Guidelines for the management of aneurysmal subarachnoid Hemorrhage. Stroke. 2009, 40: 994-1025. George Kwok Chu Wong. Intravenous magnesium sulphate for aneurysmal subarachnoid hemorrhage (IMASH). Stroke. 2010; 41 :921-926. The Nice Sugar Trial Investigators. Intensive versus conventional glucose control in critically i1l patients. N Engl J Med 2009; 360: 1283-97.
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Pharmakotherapie in der Kinderanästhesie M. JöHR
1. Einleitung 1.1. Allgemeines Die Pharmakotherapie unterscheidet sich bei Kindern nicht grundlegend von der in der Erwachsenenanästhesie. Es gibt aber Unterschiede in der Pharmakokinetik: Viele Eliminationswege sind noch unreif zum Zeitpunkt der Geburt und ereichen erst im Laufe des ersten Lebensjahrs ihre volle Leistungsfähigkeit; ebenfalls verändert sich die Körperzusammensetzung im Laufe der Säuglingszeit. Das Herzminutenvolumen ist beim kleinen Kind groß im Vergleich zum Körpergewicht und begünstigt somit die rasche Verteilung der Pharmaka im Körper. Viele Medikamente zeichnen sich zudem durch eine altersabhängige Pharmakodynarnik aus (z.B. altersabhängige MAC-Werte). 1.2. Dosis und Größe Die Dosierung muss dem Alter und der Größe des Kindes individuell angepasst werden. Eine Dosierung linear zum Körpergewicht ist einfach praktikabel und wird oft verwendet; sie führt in der Regel zur Überdosierung bei großen und zur Unterdosierung bei kleinen Individuen. Der wohl berühmteste Fehlschlag, eine Dosierung linear vom Körpergewicht abzuleiten, war 1962 der Versuch, einem Elefanten LSD zu verabreichen, was zu einer letalen Überdosierung führte (1). Eine nichtlineare Dosierung proportional zur Körperoberfläche wäre für viele Substanzen besser geeignet (2), sie hat sich aber im klinischen Alltag außerhalb der Kinderonkologie nicht durchgesetzt. Alter
Teil der üblichen Erwachsenendosis
1 Monat
1/8
1 Jahr
1/4
7 Jahre
1/2
12 Jahre
3/4
Tab. 1: Dosierung nach Körperoberfläche: Faustregel.
Die Metabolismusrate, z.B. der Sauerstoffverbrauch, verändert sich nicht linear zum Körpergewicht, sondern verhält sich proportional zum (Körpergewicht)3'4 (3). Auch andere biologische Variablen wie z.B. die Clearance lassen sich am besten mittels (Körpergewicht)3'4 normieren. Eine strukturbasierte Erklärung für dieses Phänomen wurde von McMahon 1974 in Science publiziert (4). Volumina hingegen verändern sich meist linear zum Körpergewicht, d.h. linear zu (Körpergewicht) 1• Dies trifft z.B. für Blutvolumen, Vitalkapazität, Tidalvolumen oder auch für die Verteilungsvolumina vieler Medikamente im Steady state zu. Eine Dosierung linear zum Körpergewicht ist daher für die initiale Dosis oft adäquat, für die nachfolgenden Erhaltungsdosen, die von der Clearance abhängen, wäre es dann (Körpergewicht) 314 . Diese allometrischen Modelle zur Dosisbestimmung sind theoretisch sehr interessant, trotzdem sind aber für jedes einzelne Medikament pharmakokinetische Untersuchungen auch bei Kindern nötig, um klare Dosierungsempfehlungen für die verschiedenen Altersklassen geben zu können. Der in der Kinderanästhesie wenig Erfahrene tut aber trotz dieser Unsicherheiten immer gut daran, die dem Kind verabreichten Dosen auf ein Körpergewicht von 60-70 kg hochzurechnen und diese dann mit den ihm vertrauten Erwachsenendosen zu vergleichen. Grobe Irrtümer, z.B. Dezimalfehler, können so vermieden werden.
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1.3 Off-label use Viele Medikamente sind bei Kindern, besonders bei Neugeborenen, nicht oder nur ungenügend untersucht; Kinder sind „therapeutic orphans", therapeutische Waisen. Nur für wenige Substanzen besteht eine Zulassung für die Anwendung bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen. Ein „off-label use" ist hier eher die Regel als die Ausnahme (5). Der Anästhesist muss sich daher auf die kollektive Erfahrung stützen und die Fachliteratur gut kennen. Es bewährt sich in der Regel, kein therapeutisches Neuland zu betreten, sondern Dinge zu tun, mit denen andere Kinderanästhesisten ebenfalls Erfahrung haben (,,wenn man im Zentrum des Schwarms schwimmt, so ist das Risiko, gefressen zu werden, am geringsten").
2. Anästhetika 2.1. Inhalationsanästhetika Die inhalative Narkoseeinleitung spielt in der Kinderanästhesie eine große Rolle. Sie wird sogar oft auch dann gewählt, wenn der Narkoseunterhalt später mittels intravenöser Substanzen erfolgen soll (6). Sie schneidet im Vergleich zu einer intravenösen Einleitung gut ab (7). Pharmakodynamik: Die MAC-Werte sind altersabhängig: Kinder benötigen höhere Konzentrationen (Tabelle 2). Die kardiovaskulären Auswirkungen sind aber oft erheblich (,,Das Gehirn ist resistent, das Herz jedoch nicht") und bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen viel stärker ausgeprägt als bei größeren Kindern (8). Bei Neugeborenen hingegen scheint der Anästhetikabedarf in den ersten 4 Wochen geringer zu sein, was allerdings nur für Isofluran mit Daten belegt worden ist. Die Gaskonzentration (in MACÄquivalenten) zum Zeitpunkt des Wiedererlangens des Bewusstseins scheint bei Kindern gleich wie bei Erwachsenen zu sein (9). · Desfluran
Isofturan
-
-
1,3
Neugeborene
3,3
9,1
1,6
1-6 Monate
3,2
9,4
1,85
Kleinkinder
2,5
8,6
1,6
Erwachsene
2,0
6,0
1,16
Alter
Sevofluran MAC
Frühgeborene
Blut/Gas 1,2
Neugeborene Erwachsene
0,65
0,4
1,4
0,02%
erwünschte Wirkung); Natriumkanäle sind auch in anderen Organen wie Herz und Hirn vorhanden(=> Nebenwirkungen). Lokalanästhetika haben aber auch bei systemischer Gabe günstige Effekte (117); hier ist der genaue Wirkmechanismus nur zum Teil geklärt. Lokalanästhetika spielen bei Kindern eine ganz besonders große Rolle in der Schmerztherapie, da sie risikoarm prophylaktisch verabreicht werden können. Das zentrale Problem bei Kindern ist die Evaluation, ob Schmerzen vorliegen oder nicht, d.h. eine Titration z.B. von Opioiden gegen den Schmerz ist schwierig (vgl. Kap. 3.1.). 6.2. Pharmakodynamik Bei Kindern sind die Nervenfasern dünner. Sie haben weniger Myelin und die Ranvier'schen Schnürringe liegen näher beieinander, d.h. ein kleineres Gebiet muss dem Lokalanästhetikum exponiert werden, damit 3 oder mehr Ranvier'sche Schnürringe erreicht und damit die saltatorische Leitung blockiert wird. Die Nervenfasern sind empfindlicher und niedrigere Konzentrationen reichen für eine Blockade aus (118). So bewirkt z.B. kaudales Ropivacain 0,2% beim kleinen Frühgeborenen eine totale motorische Blockade (119). 6.3. Pharmakokinetik Die Pharmakokinetik weist bei kleinen Kindern drei Phänomene auf: Ein größeres Verteilungsvolumen (120;121), eine niedrigere Proteinbindung (120;122) und eine kleinere
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Clearance (123) (Tabelle 17). Wegen der venninderten Clearance sollen Nachinjektionen oder Dauerinfusionen bei Neugeborenen und kleinen Kindern vorsichtig erfolgen. Nach dem ersten Lebenshalbjahr erfolgt die Metabolisierung sehr rasch und höhere Dosen sind möglich. Pharmakokinetische Besonderheit
Klinische Relevanz
Größeres Verteilungsvolumen
Niedrigere Plasmaspiegel
Niedrigere Proteinbindung
Höheres Toxizitätspotential
Kleinere Clearance
Ansteigende Spiegel bei Dauerinfusion
Tab.17: Pharmakokinetische Besonderheiten bei der Verwendung von Lokalanästhetika bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen.
6.4. Klinische Anwendung Bei Kindern ist eine lange Wirkdauer wichtig; wegen der meist begleitenden Allgemeinanästhesie spielt die Anschlagszeit keine große Rolle. In der Regel werden daher die langwirkenden Substanzen Ropivacain, Levobupivacain oder Bupivacain verwendet. Es liegen außer bei der Kaudalanästhesie keine Daten über die optimalen Konzentrationen und Dosen für bestimmte Verfahren vor. Bupivacain ist immer noch das weltweit bei Kindern am meisten verwendete Lokalanästhetikum. Levobupivacain und Ropivacain haben aber ein geringeres Toxizitätspotential (124) und werden Bupivacain in Zukunft ersetzen. Ropivacain bietet vermutlich den Vorteil, dass im Fall einer Intoxikation die Reanimation leichter gelingt (125); Levobupivacain dagegen erlaubt höhere Dosen bis zum Eintreten schwerer Toxizitätszeichen (124) und hat möglicherweise den Vorteil einer längeren Wirkdauer (126). Toxizität kommt bei Kindern vor; vermutlich sind aber kleine Kinder nicht vermehrt empfindlich gegenüber den zentralnervösen oder kardialen toxischen Effekten (127). Die meist begleitende Allgemeinanästhesie unterdrückt Krämpfe, verstärkt aber die kardiale Toxizität. Die myotoxische Wirkung ist hingegen möglicherweise bei kleinen Kindern stärker (128); diese wird jedoch außerhalb der Augenchirurgie nicht als Problem gesehen. Lokalanästhetikum
Einzeldosis
Dauerinfusion
Bupivacain
2,5 mg/kg
0,25 mg/kg/h
Levobupivacain
2,5 mg/kg
0,25 mg/kg/h
Ropivacain
3-4 mg/kg
0,4 mg/kg/h
Lidocain
7
2
Prilocain
7-10 mg/kg
mg/kg
mg/kg/h
nicht anwendbar
Tab. 18: Empfohlene Höchstdosen der Lokalanästhetika bei Kindern (63).
Bei der topischen Anwendung, z.B. zur Bronchoskopie, sollen 3-4 mg/kg Lidocain nicht überschritten werden. Prilocain gilt in Bezug auf akute Toxizität als das sicherste Lokalanästhetikum überhaupt. Krämpfe oder kardiovaskuläre Toxizität kommen kaum vor. Eine klinisch relevante Bildung von Methämoglobin ist nach höheren Dosen (ab 5 mg/kg) möglich. Wegen der noch geringeren Aktivität der Methämoglobinreduktase kommt dies bei Säuglingen schon nach moderaten Dosen (ab 2,5 mg/kg) vor (129;130). Lidocain kann eine Methämoglobinbildung begünstigen.jedoch in weit geringerem Ausmaß (131). EMLA®(2,5% Prilocain und 2,5% Lidocain) kann bei Beschränkung der Dosis auf 1-2 g auch bei kleinen Säuglingen problemlos verwendet werden (132).
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7. Schlussfolgerungen Jede Medikation bei Kindern erfordert die Kenntnis der altersabhängigen Pharrnakodynamik und vor allem der Pharrnakokinetik. Besonders Hypnotika wie Propofol oder Thiopental weisen einen sehr stark vom Lebensalter abhängigen Dosisbedarf auf. Bei der intravenösen Anästhesie werden in Zukunft vermehrt computergestützte Dosierungssysteme Anwendung finden. Die Aussage „Anaesthesia is an art, but based on knowledge" trifft ganz besonders für dieses Kapitel zu.
Literatur (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
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2.694
100,0
330
12,3
5ll 196 191 123
19,0
88
3,3
2.072 1.514 54 275
76~
Anästhesietechnik: Allgemeinanästhesie - lnhal. Anästh. m. i.v/i.m. Ein!. -TIVA - balancierte Anästhesie
Kombinationsanästhesie Regionalanästhesie - Spinalanästhesie - Epiduralanästhesie - Epidural- und RA mit Katheter
7,3
7,1 4,6
56,2 2,0
10,2
- Spinal- und Epidural- und RA mit Katheter
64
2,4
- Sonstige Regional-/Infiltrations-Leitungsanästhesien
25
0~
Keine Angaben zu Allgemein- oder Regionalanästhesie
23
0~
Tab. 1: Tracer Operationen Quelle BÄQ 2009.
Die über die Spinalanästhesie induzierte Sympathikolyse mit nachfolgender Vasodilatation und venösem Pooling verursacht jedoch sehr häufig eine hierbei gefürchtete arterielle Hypotension der Mutter. Dabei wird die Reduktion des systolischen arteriellen Drucks den uteroplazentaren Blutfluss und die foetale Zirkulation negativ beeinträchtigen. Die Folge des erniedrigten Gefäßwiderstands und des reduzierten Herzzeitvolumens kann eine foetale Azidose oder Asphyxie sein [1,2]. Im Gegensatz hierzu werden bei der Epiduralanästhesie mit titrierter Lokalanästhetika-Applikation weniger maternale arterielle Hypotensionen gesehen [3] .
Matemale arterielle Hypotension entsteht durch eine medikamentöse temporäre Sympathektomie mit reduzierten Vorlast- und Nachlastkonditionen. 41
Die arterielle Hypotension während einer Kaiserschnittentbindung unter Spinalanästhesie ist seit mehr als 5 Jahrzehnten Gegenstand von zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und Betrachtungen gewesen. Die Suche nach der besten Technik und den optimierten Kautelen zur Vermeidung von matemaler arterieller Hypotension soll in dieser Übersicht näher betrachtet werden. Dabei wird die matemale arterielle Hypotension ebenfalls kritisch bezüglich ihrer Definitionen und ihrer Auswirkung hinterfragt werden.
Inzidenz Die Inzidenz von matemalen arteriellen Hypotensionen zeigt eine sehr hohe Variationsbreite und reicht,je·nach Definition, in der Literatur von 1,9 % bis 71 % [4,6].
Definition Die Definition der Hypotension ist in Abhängigkeit von Untersuchungen stark variierend: Dahlgren et al. postulierten die Hypotension als arterieller systolischer Blutdruckwert unter 80 mmHg, während andere Untersucher eine Abfall unter 90 % der Ausgangswerte als Hypotension definieren [5,6]. In einer systematischen Literaturrecherche haben Klöhr et al. Arbeiten der letzten 10 Jahre (1999- 2009) evaluiert, um eine exaktere Definition der arteriellen Hypotension zu erzielen [4] . In 63 Studien kamen 7120 Patientinnen zur Beobachtung. Alle Studien hatten eine sehr hohe Variabilität bezüglich der verwandten Messsysteme, der benutzten Messintervalle und der Definitionen von arterieller Hypotension. In der Folge wendeten Klöhr et al. [4] die verschiedenen ermittelten Definitionen auf eine Kohorte von 107 prospektiv inkludierten Schwangeren zur Sectio caesarea an. In der Untersuchung konnten Klöhr et al. [4] zeigen, daß je nach der verwendeten Definition eine sehr große Schwankung in der Inzidenz der arteriellen Hypotonie bei ihren Patientinnen gefunden werden konnte (Faktor 10: systol. RR < 80 mmHG: 7 ,4 %; 80 % Reduktion des Ausgangswertes 52,6 %). In einer britischen Untersuchung betrachteten 44 % der Kollegen einen systolischen Blutdruck unter 100 mmHg als Grenzwert, um eine antihypotensive Therapie zu initiieren. 100 90 80 70
Q)
1-
~
60
C)
.l!! C:
~
50
l;
Q)
l 4
CL
40 30
20
fvI ~
-V---
10 0 Abb. 1: Inzidenz der matemalen arteriellen Hypotension in Abhängigkeit der Definition der Blutdruckgrenzen; Abbildung aus Klöhr et al. [4].
42
Pathophysiologie Die uteroplazentare Einheit verfügt über keine eigentliche Autoregulation der Durchblutung. Die Veränderungen des Gefäßtonus werden hauptsächlich über Prostazyklin - Freisetzung und über Stickstoffmonoxid sowie durch hormonelle Faktoren beeinflußt [7] . Obwohl in experimentellen Studien häufig eine Verschlechterung der uteroplazentaren Perfusion durch den Einsatz von Vasopressoren gezeigt werden konnte, nimmt man in der Klinik weiterhin an, dass die Aufrechterhaltung des mütterlichen arteriellen Blutdrucks mittels Vasopressoren zu weniger foetalen Beeinträchtigungen führen wird.
Mechanismen Eine arterielle Hypotension unter der Spinalanästhesie ist bei Schwangeren häufiger und in ihrem Ausmaß schwerer als bei Nicht-Schwangeren zu beobachten. Als disponierende Faktoren werden eine erhöhte Sensitivität gegenüber Lokalanästhetika, aortokavale Kompression sowie eine höhere Ausbreitung der sympathischen Blockade genannt. Letzteres ist mit einer reduzierten Freisetzung von vasoaktiven Stoffen aus dem Endothelium sowie einer Erhöhung von endogenen Vasodilatatoren verbunden. Diese Assoziation gilt über die Beobachtung, dass bei Präeklampsie keine erhöhten Raten von arteriellen Hypotensionen festzustellen ist, mitbegründet. Hier kommt es auf dem Boden eines persistierenden erhöhten arteriellen Vasotonus über plazentare Mediatoren zu einer relativen Resistenz gegenüber den Effekten der Spinalanästhesie auf den Sympathikotonus.
Risikofaktoren Multivarianzanalysen konnten zeigen, dass ein höheres Alter der Schwangeren, eine vorbestehende arterielle Hypertension, eine Adipositas (BMI > 29-35 kg/m2) und eine hohe Blockade(> T4-T6) als unabhängige Risikofaktoren für eine arterielle Hypotension gelten. Ebenso gilt die Barizität des Lokalanästhetikums als ein weiterer Risikofaktor. So werden bei Anwendung hyperbarer Lösungen weniger hohe Ausbreitungen und nachfolgend eine Reduktion der blockierten präganglionären sympathischen Fasern gefunden [8] . Parameter
Odds ratio
Maternale Hypertension vorbestehend
Untere Grenze
Obere Grenze
p-Wert
2.034
1.049
3.945
0,036
Anästhesietechnik •
1.483
1.056
2.083
0,023
Maternales Alter •
1.034
1.008
1.061
0,011
1.036
1.006
1.066
0,017
Geburtsgewicht '
a Spinal- vs. Epiduralanästhesie, b für jedes weitere Jahr, c für jede zusätzliche 100 Gramm
Tab. 2: Parameter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einen > % Abfall in mittleren arteriellen Blutdruck zu finden (Tabelle aus Maayan-Metzger et al. (9)).
Monitoring Die intermittierende, initial 1-minütliche, nachfolgend 3-minütliche Messung des nichtinvasiven arteriellen Blutdrucks gilt neben der Pulsoxymetrie und dem EKG als Standardmonitoring für die Überwachung von Schwangeren während Sectio caesarea unter Regionalanästhesie. Über Messungen durch semi-invasive Herzzeitvolumenbestimmungen (HZV) (Liddco+) konnten Langesreter et al. zeigen, dass sich unter laufender Vasokonstriktorapplikation (Phenylephrin) und einer CSE das HZV erhöhte während der Blutdruck und der Gefäßwiderstand sich initial erniedrigte (10].
43
Prävention und Therapie der Hypotonie Während einer Schwangerschaft wird eine Zunahme des venösen Blutvolumens in den unteren Extremitäten beobachtet. So können über entsprechende Kompressionsbehandlungen durch z. B. sog „anti-shock-trousers" eine Rückführung des venösen Blutvolumens und damit eine Steigerung der Vor- und Nachlast mit konsekutiver Reduktion der Hypotonieinzidenz erzielt werden [11]. Die Wirksamkeit der Lagerung bei der Punktion ist in der Bewertung uneinheitlich [12-14]. So zeigen sowohl Arbeiten bei Punktion in Seitenlagerung eine Reduktion der Hypotonien als auch bei Punktionen im Sitzen. Das aortokavale Kompressionssyndrom wird jedoch durch die Seitenlagerung eher positiv beeinflusst.
Volumentherapie Um eine optimierte Vorlast zu erzielen werden im Rahmen von Spinalanästhesien oder Periduralanästhesien vor der Punktion 500- 1000 ml Volumen intravenös zugeführt. Hiermit soll die durch das venöse Pooling verursachte relative Volumenmangelsituation der Schwangeren kompensiert werden. Diese Hypothese konnte in einer Untersuchung bestätigt werden. So wurde eine Reduktion der Häufigkeit von arterieller Hypotonie bei Einsatz von Flüssigkeit beobachtet (relatives Risiko (RR) 0.78, 95 % confidence interval (Cl) 0.60 to 1.00) [27]. Die Kontroverse um die hierfür am besten geeignete Volumenersatzlösung zeigt, dass Kolloide einen besseren Effekt als Kristalloide erzielen lassen (RR 0.68, 95 % CI 0.52 to 0.89; 11 Studien, 698 Patientinnen). Dabei erhöhen Kolloide das zirkulierende Blutvolumen und steigern nachfolgend das Herzminutenvolumen. Gleichzeitig wird eine Optimierung der Durchblutung in der uteroplazentaren Einheit gesehen [15]. In der Frage des Applikationszeitpunktes scheint die gleichzeitige Applikation von Kristalloiden während des Anlegens der rückenmarksnahen Regionalanästhesie einer Flüssigkeitstherapie vor Anlage der Anästhesie überlegen zu sein [16].
Medikamentöse Therapie In der Therapie der maternalen arteriellen Hypotonie werden die verschiedenen Vasopressoren aufgrund ihrer Pharmakologie und besonderer Berücksichtigung der uteroplazentaren Durchblutung eingesetzt [7]. Dabei stehen die früher gemachten Überlegungen zur reinen Stimulation des HZV ohne Gefäßwiderstandserhöhung den damit verbundenen häufigen Nebenwirkungen wie Tachykardie gegenüber. Klinische Untersuchungen und Daten liegen hauptsächlich zu Ephedrin und Phenylephrin vor, während für CafedrinTheodrenalin (Akrinor®) nur tierexperimentelle Daten und eine retrospektive Analyse existieren [17,19]. Cafedrin-Theodrenalin (Akrinor) stimuliert ß-Rezeptoren und wirkt über zyklisches Adenosinmonophosphat positiv inotrop. Ephedrin in Bolusgaben von 5- 10 mg wurde routinehaft in der Geburtshilfe eingesetzt, da in Tierversuchen eine vergleichsweise bessere Aufrechterhaltung der uteroplazentaren Perfusion erzielt werden konnte. Nebenwirkungen sind jedoch häufig mütterliche Tachykirrdien, überschießende Hypertonien und eine erhöhte Rate an kindlichen Azidosen [1,20]. Diese Azidosen sind jedoch nicht aufgrund des schnelleren und besseren Übertritts von Ephedrin im Vergleich zu Phenylephrin in den fötalen Kreislauf festzustellen, sondern scheinen vielmehr eine direkte metabolische ß-mimetische Wirkung an der Leber des Foeten zu induzieren. Im Gegensatz hierzu verursacht das reine alpha-Sympathikomimetikum Phenylephrin i_n den üblicherweise gegebenen Dosierungen von 50-100 µg eher Bradykardien über die induzierte Vasokonstriktion [18] und hypertensive Situationen [22]. Hierdurch kann es ebenfalls in hohen Dosierungen zu einer Reduktion des uteroplazentaren Blutflusses 44
kommen. Prinzipiell scheinen Bolusapplikationen kontinuierlichen Infusionen von Phenylephrin überlegen. Die gleichzeitige Aufrechterhaltung der Herzfrequenz scheint Hinweise auf die Aufrechterhaltung des HZV unter der Applikation von Phenylephrin zu geben [23-25]. Metaanalysen zeigen jedoch, dass der kindliche pH-Wert mit Phenylephrin besser als mit Ephedrin aufrechterhalten werden kann [7 ,26]. Ebenfalls scheint es keine Azidose wie bei Ephedrin beobachtet zu induzieren. Phenylephrin kann wie Ephedrin nur über internationale Apotheken bezogen werden und muss vor der Anwendung 1:100 verdünnt werden [7].
Spinalanästhesietechniken: Niedrigdosis-Spinalanästhesie Um eine arterielle Hypotension in Folge der Spinalanästhesie zu reduzieren, fokussierten in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen auf die synergistische Wirkung von spinal applizierten Opioiden und Lokalanästhetika [ 1,7 ,21]. Dabei kann über die gleichzeitige Applikation von spinalen Opioiden die minimal effektive Dosierung des benötigten Lokalanästhetikums deutlich reduziert werden, ohne einen Verlust der Analgesie zu beobachten. Diese synergistische Wirkung von Opioiden und Lokalanästhetikum führt in der Regel zu einer schnelleren Anschlagszeit bei ebenfalls kürzerer Wirkdauer der Spinalanästhesie. Für Bupivacain gelten in Verbindung mit Fentanyl (25-50 ug) oder Sufentanil (5 ug) Lokalanästhetikum-Dosierungen 14 Tage
< 30-45 Tage
> 30-45 Tage
< 365 Tage
> 365 Tage
1
1
1
1
1
1
------
Abb. 1: Vorgehen nach perkutaner Koronarintervention mit oder ohne Stentimplantation (modifiziert nach [26]).
77
Da bekannt ist, dass die Kombination von Heparinen mit Acetylsalicylsäure das Blutungsrisiko erhöhen kann, wird empfohlen, bei Patienten unter Acetylsalicylsäure, bei denen eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie geplant ist, mit der Thromboseprophylaxe unabhängig von der gewählten Substanz erst postoperativ zu beginnen. Gleichermaßen sollte am Abend vor der geplanten Katheterentfemung die Thromboembolieprophylaxe einmalig ausgesetzt werden, um auch zum Zeitpunkt der Katheterentfemung die Kombination aus Acetylsalicylsäure und Heparinen zu vermeiden (Abb. 2). Das American College of Chest Physicians empfiehlt, Zeitintervalle soweit möglich auch bei peripheren Nervenblockaden einzuhalten, um Hämatomen vorzubeugen und die perioperative Thromboembolieprophylaxe zusätzlich am Operationstag abends auszusetzen, wenn es zu einer blutigen oder traumatischen rückenmarksnahen Punktion gekommen ist [14].
Ausgel"ssene Dosis
18:00-19:00
18:00-19:00 .
OP
18:Q0-19:00 .
Katheterentfernung ~m Morgen (Zeitintervall 36 - 42 h)
Abb. 2: Vorgehen bei Patienten mit Acetylsalicylsäure und medikamentöser Thromboseprophylaxe (nach [24])
Thienopyridiene Thienopyridiene inhibieren den ADP-Rezeptor von Thrombozyten und führen zu einer effektiveren Thrombozytenaggregationshemrnung als Acetylsalicylsäure. Der am häufigsten eingesetzte Vertreter dieser Gruppe ist Clopidogrel. Clopidogrel inhibiert den ADPRezeptor irreversibel, von einer Normalisierung der Thrombozytenfunktion ist 7 Tage nach Absetzen von Clopidogrel auszugehen. Aufgrund der intensiveren Thrombozytenaggregationshemrnung wurden im Gegensatz zu Acetylsalicylsäure bei Operationen schwere, transfusionspflichtige Blutungen beobachtet. Rückenmarksnahe Regionalanästhesien sind deshalb kontraindiziert.
Neue Thrombozytenaggregationshemmer Neuere Thrombozytenaggregationshemrner sind Prasugrel und Ticagrelor. Bei Prasugrel handelt es sich wie bei Clopidogrel um ein Thienopyridin, das zu einem aktiven Metaboliten umgewandelt werden muss, welcher die Thrombozytenfunktion irreversibel hemmt. Diese Konversion erfolgt rascher und ausgeprägter als bei Clopidogrel. Bei Patienten mit einer Stentimplantation wurde im Vergleich mit Clopidogrel eine geringere Rate an kardiovaskulären Ereignissen und akuten Stentthrombosen beobachtet [27]. Die effektivere Thrombozytenaggregationshemrnung führt jedoch auch zu einem deutlich höheren Blutungsrisiko, so dass von einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie dringend abgeraten werden muss, wenn nicht ein Zeitintervall von 7-10 Tagen zwischen Absetzen von Prasugrel und der Anästhesie möglich ist.
78
Ein weiterer neuer Thrombozytenaggregationshemmer ist Ticagrelor. Die Thrombozytenaggregationshemmung erfolgt über den ADP-Rezeptor ohne eine vorherige Metabolisierung. Die Wirkung von Ticagrelor ist schneller, ausgeprägter und mit einer geringeren Variabilität als die Wirkung von Clopidogrel. Die Wirkung von Ticagrelor ist reversibel mit einer Halbwertszeit von 48-72 h, die Gabe erfolgt zweimal täglich, 5 Tage nach Absetzen wird eine normale Thrombozytenaggregation erreicht. Ticagrelor ist in der Vermeidung kardiovaskulärer Ereignisse ebenfalls wirksamer als Clopidogrel, die Blutungsneigung etwas verstärkt (28]. Eine rückenm~ksnahe Regionalanästhesie sollte frühestens 5 Tage nach Absetzen von Ticagrelor erfolgen.
Cilostazol Cilostazol führt zu einer schwachen reversiblen Thrombozytenaggregationshemmung über noch nicht vollständig geklärte Wege. Zusätzlich führt es über eine Phosphodiesterase-11-Hemmung zu einer Vasodilatation. Die Halbwertszeit beträgt 21 h, 42 h nach Absetzen ist von einer normalen Thrombozytenfunktion auszugehen (29]. Cilostazol wird von der ACCP als Therapie der Wahl bei Patienten mit Claudicatio interrnittens empfohlen, wenn eine operative Therapie nicht geeignet ist (30]. Das Risiko von perioperativen Blutungen kann aufgrund geringer Erfahrungen bisher nicht beurteilt werden. Ein neuerer Einsatz von Cilostazol ist die Gabe nach koronarer Stentimplantation als sogenannte Triple-Therapie, d.h. Cilostazol wird zusätzlich zu Acetylsalicylsäure und Clopidogrel verabreicht. In bisherigen Studien wurde hierdurch eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen im Vergleich mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung ohne eine erhöhte Blutungsneigung beobachtet [31] .
Koronarstents und dringliche Operationen Entsprechend der Empfehlungen der American Heart Association und der European Society of Cardiology sollen Patienten mit einem Metall-Stent (BMS, Bare Metal Stent) für wenigstens 1-3 Monate mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel behandelt werden, bei Medikamenten-freisetzenden Stents (DES, Drug Eluting Stent) beträgt dieses Intervall 12 Monate [32]. Bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko für eine Stentthrombose (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, geringe linksventrikuläre Ejektionsfraktion, Bifurkationsläsionen) wird zum Teil eine lebenslängliche duale Plättchenhemmung empfohlen (33]. In der Phase der Clopidogrelgabe sollten Patienten aufgrund der hohen Rate an kardiovaskulären Ereignissen nicht elektiv operiert werden, sondern die Operation um die Dauer der notwendigen Clopidogrelgabe verschoben werden. Bei Patienten mit einem koronaren Stent, die einen nicht aufschiebbaren Eingriff haben (z.B. Frakturen, Malignome) muss das Blutungsrisiko gegenüber dem Risiko der akuten Stentthrombose abgewogen werden. Die ACCP empfiehlt bei nicht aufschiebbarem Eingriff und vertretbarem Blutungsrisiko (Ausnahme Herz- und Neurochirurgie) Operationen unter fortgeführter Therapie mit Clopidgrel durchzuführen (34]. Auch die fortgeführte duale Thrombozytenaggregationshemmung schützt nur bedingt vor perioperativen kardiovaskulären Ereignissen. Van Kuijk und Mitarbeiter (35] beobachteten eine 50 %ige Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit einem Metall-Stent, wenn diese innerhalb von 30 Tagen nach Stentimplantation unter einer dualen Plättchenhemmung operiert wurden, bei Medikamenten-freisetzenden Stents betrug die kardiovaskuläre Ereignisrate 35 % bei einer Operation innerhalb der ersten 30 Tage und 15 % innerhalb der ersten 6 Monate. Die Inzidenz schwerwiegender Blutungen
79
wurde unter Acetylsalicylsäure mit 4 %, unter einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit 21 % angegeben. Operationen in dieser vulnerablen Phase sollten deshalb ausschließlich bei dringlicher Indikation aber keinesfalls elektiv durchgeführt werden. In Einzelfällen wurde bei Patienten mit noch nicht abgeschlossener Clopidogrelgabe eine überbrückende Therapie mit Glykoprotein llb/Illa-Antagonisten wie Tirofiban unternommen. Savonitto und Mitarbeiter [36] berichten über insgesamt 30 Hochrisikopatienten, die 5 Tage vor Tumoroperationen die Einnahme von Clopidgrel beendeten und eine überlappende Therapie mit Tirofiban erhielten. Postoperativ wurde entweder erneut mit Tirofiban begonnen oder eine Aufsättigung mit 300 mg Clopidogrel durchgeführt. In dieser Fallserie kam es nicht zu einer akuten Stentthrombose, lediglich 2 Patienten erlitten eine transfusionspflichtige Blutung. Vorteil einer überlappenden Therapie mit Tirofiban ist, dass die Zeitspanne einer normalen Thrombozytenfunktion perioperativ auf das äußerste beschränkt werden kann. Ob dieses Vorgehen sicher ist, kann anhand einer einzelnen Fallserie mit 30 Patienten nicht abschließend beurteilt werden und wird in den aktuellen Leitlinien der ACCP nicht empfohlen. Der Stellenwert der perioperativen Thrombozytenfunktionsdiagnostik kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Testverfahren, am besten geeignet scheint die Multiplate Impedanzaggregometrie zu sein. Mittels dieses Testverfahrens kann der Einfluss von Thrombozytenaggregationshemmern auf die Thrombozytenfunktion reproduzierbar bestimmt werden und somit insbesondere Patienten mit einer Resistenz für die einzelnen Substanzen detektiert werden. Die Bedeutung dieser Tests bezüglich der intraoperativen Risikoeinschätzung im Vergleich mit einer detaillierten Anamnese bleibt offen, zumal eine perioperative Normalisierung der Thrombozytenfunktion nicht angestrebt werden sollte, die Testergebnisse somit von untergeordneter klinischer Bedeutung sind. Bei herzchirurgischen Patienten konnte das Risiko von Blutungen perioperativ mittels Gabe des vom Markt genommenen Aprotinin reduziert werden, eine aktuelle in vitro Untersuchung zeigt, dass Tranexamsäure die Thrombozytenfunktion bei Einnahme von Clopidogrel normalisiert [37] . Als ultima ratio bleibt bei massiver Blutung die Gabe von Thrombozytenkonzentraten unter Inkaufnahme eines erhöhten Risikos einer Stentthrombose.
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Therapie perioperativer Arrhythmien C.
STROM,
E. KILGER
Einleitung Die Vermeidung, Erkennung und Therapie perioperativer Arrhythmien gehört zu den wichtigen Aufgaben des Anästhesisten Kardiale Reizbildung und Reizleitung Normalerweise beginnt der Erregungszyklus mit der Entstehung eines Aktionspotenzials am Sinusknoten, das über das Vorhofmyokard zumAV-Knoten weitergeleitet wird. Durch eine Verzögerung der Weiterleitung um ca. 75 ms im AV-Knoten wird ermöglicht, dass das Blut aus den Vorhöfen in die Ventrikel gepumpt werden kann. Vom AV-Knoten gelangt der Erregungsimpuls über das His-Bündel, die Tawaraschenkel und die PurkinjeFasem zu den Ventrikelmyokardzellen, wo eine direkte Weiterleitung von Zelle zu Zelle erfolgt. Bei einigen Patienten (z.B. beim WPW-Syndrom) kann es über eine akzessorische Leitungsbahn zu einer direkten Weiterleitung des Vorhofimpulses am AV-Knoten vorbei kommen. Grundelement der Erregung stellt auch ani Herzen das Aktionspotenzial dar. Diese Aktionspotenziale sind verschiedenartig geformt, je nachdem ob es sich um eine Schrittmacherzelle (z.B. im Sinusknoten oder AV-Knoten) oder um eine Zelle des Arbeitsmyokards handelt. Grund dafür ist eine unterschiedliche Aktivierung der Natrium-, Kalium- und Kalziumkanäle. Schrittmacherzellen weisen als Besonderheit eine spontane diastolische Depolarisation (Automatie) auf. Normalerweise verfügt der Sinusknoten über die höchste spontane Depolaristationsgeschwindigkeit, gefolgt von den Zellen des AV-Knotens und der Tawara-Schenkel. Arten von Arrhythmien In der Klinik haben sich verschiedene Einteilungen für Arrhythmien etabliert. • Nach der Ätiologie: Reizbildungsstörungen (normotop und heterotop), Reizleitungsstörungen (SA-, AV- und Schenkelblock), Präexzitationssyndrome (WPW u.a. • Nach der Frequenz: Bradykardien vs. Tachykardien • Nach der Lokalisation: Supraventrikulär vs. ventrikulär Neben bereits bestehenden kardialen oder endokrinologischen Grunderkrankungen spielen auch spezielle anästhesiologische bzw. chirurgische Stimuli eine Rolle bei der Auslösung perioperativer Arrhythmien. Auch perioperativ eingesetzte Medikamente können zum Auftreten von Arrythmien führen. Besondere Aufmerksamkeit ist auf Medikamente mit verlängernder Wirkung auf das QT-lntervall (z.B. Antibiotika, Antimykotika, Propulsiva und Psychopharmaka) zu richten. Eine Hypothermie ist besonders bei Abfall der Körpertemperatur auf unter 34°C häufig mit ventrikulären Arrhythmien assoziiert. Auch Störungen des Elektrolythaushaltes oder des Gasaustausches beeinflussen das Erregungsbildungs- bzw. Reizleitungssystem des Herzens. Therapiemöglichkeiten perioperativer Arrhythmien Bei der antiarrhythmischen perioperativen Notfalltherapie unterscheidet man zwischen medikamentösen und elektrotherapeutischen Maßnahmen. Hierbei steht meist nicht die differenzierte EKG-Diagnostik und arrhythmiespezifische Therapie im Vordergrund, son-
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dem die Ausrichtung der Behandlungsmaßnahmen nach einfachen und schnell erkennbaren Kriterien. Dabei stellen die hämodynamisch stabilen Tachykardien eine Domäne der medikamentösen antiarrhythmischen Therapie dar, während die elektrotherapeutischen Verfahren ihren Stellenwert v.a. beim hämodynamisch instabilen Patienten haben.
Medikamentöse antiarrhythmische Therapie
Bei den Antiarrhythmika unterscheidet man zwischen spezifischen und adjuvanten antiarrhythmischen Substanzen. Spezifische Antiarrhythmika Die spezifischen Antiarrhythmika werden nach Vaughan Williams in Abhängigkeit ihrer Wirkung auf die Aktionspotenziale am Herzen in vier Klassen eingeteilt Klasse 1. Natriumkanalblocker A. Chinidin, Procainamid, Disopyramid B. Lidocain, Phenytoin C . Propafenon, Aecainid, Ajmalin
Wirkmechanismus
Indikation
IA. Dauer des Aktionspotenzials
Akute ventrikuläre Arrhythmien; Substanzen der Gruppe 1A und IC auch bei Vorhofflimmern
IB . Dauer des Aktionspotenzials.!. IC. Dauer des Aktionspotenzials H
II. Betarezeptorenblocker z.B. Metoprolol, Bisoprolol Esmolol
Sympatikolyse
Supraventrikuläre Tachykardien
m. Kaliumkanalblocker
Hemmung des Kaliumausstroms
Ventrikuläre Arrhythmien, Vorhofflimmern
Hemmung des langsamen KalziumEinstroms
Supraventrikuläre Tachyarrhythmien
Amiodaron, Sotalol IV. Kalziumantagonisten Verapamil, Diltiazem
In der folgenden Graphik ist die Wirkung der spezifischen Antiarrhythmika an den Aktionspotenzialen des Herzens genauer dargestellt.
C
J!!
0
0
~ U)
::, C
ü;
-50
mV 25
...
(1)
0
5l
J!!
(0)
-~ ~ ::,
-
1 B-Natriumkanalblocker
-50
~
(4)
• • • Kaliumkanalblocker -
Kalziumantagonisten
-100
Die unterschiedlichen Aktionspotenziale im Erregungsleitungssystem bzw. Arbeitsmyokard des Herzens erklären das unterschiedliche Ansprechen auf spezifische Antiarrhythmika. Vorhof- und Ventrikelmyokardpotenzial sind eher von einem Natriumeinstrom geprägt während die Potenziale des Sinus- und AV-Knotens mehr durch einen Kalziumstrom entstehen. Phase 0: Schnelle Depolarisation. Phase 1: Frühe Repolarisation. Phase 2: Plateauphase. Phase 3: Schnelle Repolarisation. Phase 4: Diastolische Depolarisation.
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Die Anwendung spezifischer Antiarrhythmika hat folgenden Einfluss auf kardiovaskuläre Parameter: Klasse
Substanz
IA/C
Ajmalin
1B
Lidocain
II
Esmolol
III IV
Myokardiale Kontraktion
Gefäßwiderstand
Herzzeitvolumen
Blutdruck
HJ. H
HJ. H
HJ. H
J. H
J.
tJ.
Amiodaron Sotalol
J. J. J.
J. J.
Verapamil
J. J.
J. J.
HJ. J.H j J. J.H
HJ. J. J. J. J.
Klasse I Antiarrhythmika nach Vaughan Williams Klasse JA Antiarrhythmika (Procainamid, Disopyramid, Chinidin) wirken auf NatriumKanäle mit intermediär langer Zeitkonstante (300-lSOOms). Alle diese Medikamente besitzen zusätzlich noch eine Wirkung auf den Kaliumstrom und damit auch Klasse m Eigenschaften. Sie verlängern das Aktionspotenzial und die Refraktärzeit und verlangsamen die Weiterleitung. Klasse IB Medikamente (Lidocain und Phenytoin) wirken auf Natrium-Kanäle mit kurzer Zeitkonstante (300-400 ms). Die Klasse IB Antiarrhythmika wirken besonders bei hoher Herzfrequenz und in depolarisierten (z.B. ischämischen) Myokardfasern. Auf Ventrikelebene verkürzen sie die Aktionspotenzialdauer und Refraktärzeit. Dadurch können Reentry bedingte Arrhythmien entweder durchbrochen oder in Ausnahmefällen auch verstärkt werden. Phenytoin wirkt allerdings hauptsächlich über die Reduktion des zentral-efferenten Sympatikotonus, was seine Wirksamkeit bei Digitalis induzierten tachykarden Arrhythmien erklärt. Klasse IC Antiarrhythmika (Propafenon, Flecainid und Ajmalin) blockieren NatriumKanäle mit langer Erholungszeit ( 1,5-1 Oms) und Ca++ sowie K +-Kanäle. Ein besonderes Problem dieser Medikamentengruppe (v.a.von Flecainid) ist ihre proarrhythmische Wirkung (vgl. auch CAST-Studie). Mittlerweile erfahren diese Medikamente aber auf Grund ihrer guten Wirksamkeit bei behandlungsbedürftigen supra-und ventrikulären Arrhyhtrnien eine Renaissance. Dennoch gelten Zustände nach Myokardinfarkt (für ca. 3 Monate), eine schwere koronare Herzerkrankung sowie eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 35% weiterhin als Kontraindikationen. Ajmalin nimmt eine Sonderstellung ein, von machen Autoren wird es auch der Gruppe IA zugeordnet. Es verringert die Frequenz der Phase-0-Depolarisation und verlängert das Aktionspotenzial. Die Refraktärzeit akzessorischer Leitungsbündel steigt. Als Klasse IA/ IC Antiarrhythmikum ist Ajmalin sowohl bei tachykarden ventrikulären als auch supraventrikulären Rhythmusstörungen wirksam. Aufgrund seiner guten Wirkung auf akzessorische Leitungsbahnen ist es das Mittel der Wahl bei Präexzitationssyndromen. Wichtig ist die kontinuierliche Kontrolle der QRS-Breite während der Applikation, da eine QRS-Verbreiterung Hinweis für eine Überdosierung sein kann. Klasse II Antiarrhythmika nach Vaughan Williams (Betablocker) verringern die Automatizität des Sinusknotens und latenter Schrittmacherzentren. Dies führt zu einer Antagonisierung der elektrophysiologischen Wirkung endogener Katecholamine mit einer Abnahme der Sinusfrequenz, Erhöhung der AV-Siebwirkung und Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. Daraus ergeben sich als Indikationen Sinustachykardie, Vorhofflattern/-flimmern und AV-Knoten-Reentry-Tachykardien. Für den perioperativen Einsatz erscheint wegen seiner guten Titrierbarkeit Esmolol interessant.
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Klasse III Antiarrhythmika nach Vaughan Williams Die beiden Substanzen Sotalol und Amiodaron sind die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe. Als Klasse III Antiarrhythmikum mit zusätzlich ß-blockierender Wirkung wirkt Sotalol an allen Strukturen des Reizleitungssystems. Es kann sowohl bei supraventrikulären als auch ventrikulären Tachyarrhythmien eingesetzt werden. Eine Verlängerung QTc-Zeit über die Norm gilt als Kontraindikation für eine Sotalolgabe bzw. als Zeichen einer Überdosierung. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählt eine relativ ausgeprägte Proarrhythmie (Torsade de pointes Tachykardien). Als Kontraindikationen gelten Herzinsuffizienz NYHA IV und Sulfonamid-Überempfindlichkeit. Obwohl der Klasse III zugeteilt verfügt Amiodaron über die Eigenschaften aller vier Antiarhythmikaklassen. Zusätzlich hat es eine koronardilatierende Wirkung. Als Indikationen gelten supraventrikuläre und ventrikuläre Tachyarrhythmien, die nicht mit anderen Medikamenten oder Überstimulation behandelt werden konnten. Der primäre Einsatz von Amiodaron empfiehlt sich bei sehr schlechter LV-Funktion und/oder hohem Katecholaminbedarf. Vorsicht ist geboten beim gleichzeitigen Einsatz volatiler Anaesthetika und einer vorbestehenden oralen Amiodaron-Dauertherapie. Hier kann es zu Sinusarrest, AV-Block und schweren hämodynamischen Einbrüchen kommen. Zu den Nebenwirkungen gehören Hyper- oder Hypothyreose, Lungenfibrose, ARDS, hepatozelluläre Nekrose, Blaufärbung der Haut, Corneaablagerungen, Parästhesien, Tremor und Ataxie. Klasse IV Antiarrhythmika nach Vaughan Williams Wichtigster Vertreter dieser Klasse ist das Verapamil. Es wirkt vor allem über eine Verzögerung der AV-Überleitung. Kalziurnkanalblocker verlangsamen also die ventrikuläre Antwort bei Vorhoftachykardien aber terminieren nicht Arrhythmien die im Vorhof oder Ventrikel entstanden sind. Als Indikationen ergeben sich damit tachykarde supraventrikuläre Arrhythmien, die nicht durch eine akzessorische Leitungsbahn verursacht sind. Verapamil zeigt eine stark negativ inotrope Wirkung. Bei gleichzeitiger ß-Blockergabe oder Gabe von Herzglykosiden kann es zu ausgeprägten Bradykardien und zu höhergradigen AV-Blockierungen kommen. Bei gleichzeitiger Anwendung von volatilen Anaesthetika wurden bei i.v.-Gabe im Tierversuch schwere myokardiale Depressionen, Sinusarrest und AV-Blockbilder beobachtet. Adjuvante antiarrhythmische Substanzen: Adenosin Adenosin stimuliert kardiale Adenosin-1-Rezeptoren. Es verkürzt die Dauer des Aktionspotenzials, hyperpolarisiert das Membranpotenzial, antagonisiert die katecholamininduzierte Aktivierung der Adenylzyklase und vermindert den Ca++-Einstrom. Die Wirkung ist aufgrund der raschen intrazellulären Aufnahme sehr kurz (15 sec). Zu den Indikationen zählen die Termination paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardien, vor allem bei denen, die durch einen Reentry-Mechanismus innerhalb des AV-Knoten hervorgerufen werden. Liegt der Reentry-Mechanismus im Vorhof, so wird nur die ventrikuläre Antwort verlangsamt. Außerdem wird es zur Diagnostik bei Tachykardien mit fehlenden P-Wellen eingesetzt. Es muss im Bolus gegeben werden, da sonst die vasodilatierende Wirkung in den Vordergrund tritt. Antimuskarinergika Atropin, lpratropium und Glykopyrrolat führen zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und beschleunigen die AV-Überleitung, wobei der Effekt im Einzelfall schwer steuerbar ist oder sogar ausbleibt. Besonders bei Patienten mit eingeschränkter Koronarreserve ist
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daher die Indikation mit Vorsicht zu stellen. Aufgrund des unterschiedlichen zeitlichen Ansprechens der prä- und postsynaptischen muskarinischen Rezeptoren kann es initial zu einer kurzen Bradykardie kommen. Digitalispräparate Digitalispräparate hemmen die Na-K-Pumpe. Dies führt zu einem Anstieg des intrazellulären Ca++-Spiegels, was wiederum eine Steigerung der Kontraktilität nach sich zieht. Am AV-Knoten erhöhen sie die Refraktärzeit. Zu beachten ist die geringe therapeutische Breite. Die gleichzeitige Gabe von Ca-Antagonisten, Betablockern und Chinidin kann zu ausgeprägten Bradyarrhythmien führen. Während einer Digitalis-Therapie sollte der Kaliumspiegel im hochnormalen Bereich gehalten werden. Als Kontraindikation für eine Digitalisgabe gelten u.a. Präexzitationssyndrome. Indikationen sind die chronische Herzinsuffizienz und die Kontrolle der Kammerfrequenz bei VorhofflimmemNorhofflattern. Kalium Dem Kalium kommt eine zentrale Rolle bei kardialen Erregungsbildung und Leitung zu. So bewirkt eine Hypokalärnie (z.B. durch Fehlernährung, Dialyse, Diuretika, Hyperventilation, Insulintherapie, Therapie mit beta-Agonisten) eine verstärkte Automatizität und veränderte Repolarsiation, was das Auftreten von Tachyarrhythmien begünstigt. Dabei scheint weniger ein Kaliumabsolutwert als der Zeitraum des Abfalls oder Anstiegs von Bedeutung zu sein. Zu beachten ist, dass die rasche Infusion von mehr als 20- 40 mval Kalium pro Stunde zu Sinusknotenarrest, AV-Blockierungen und Kammerflimmern führen kann. Magnesium Magnesium spielt eine wichtige Rolle beim Ionentransport über die Zellmembran. Arrhythmien bei Magnesiummangel (z.B. durch Diuretika, Chemotherapie, Alkoholismus, Fehlernährung) ähneln denen bei Digitalisüberdosierung oder Kaliummangel. Eine Indikation für die Magnesiumgabe besteht bei Hypomagnesiärnie, Hypokaliärnie, Digitalisintoxikation und als Mittel der Wahl bei Torsade de pointes mit erworbenem langen QT-Intervall
Elektrotherapie von perioperativen A"hythmien In allen Fällen, in denen eine tachykarde Rhythmusstörung mit einer klinisch relevanten Verschlechterung der Hämodynamik einhergeht und der Wirkungseintritt einer medikamentösen Antiarrhythmikatherapie nicht abgewartet werden kann, muss an eine Elektrotherapie der Tachyarrhythmie gedacht werden. Man unterscheidet dabei zwei Formen, die Kardioversion und die Defibrillation. Bei therapiebedürftigen, pharmakologisch nicht besserbaren Bradykardien kommen verschiedene Schrittmacherverfahren (extern, intravenös, epikardial, ösophageal) zum Einsatz. Kardioversion Die Kardioversion stellt ein R-Zacken getriggertes elektrisches Verfahren zur Terminierung tachykarder Rythmusstörungen dar. Absolute Indikationen für eine Kardioversion sind atriale und ventrikuläre Tachykardien mit (drohendem) kardiogenem Schock. Üblicherweise werden hierfür bei Breitkomplextachykardie/ Vorhofflimmern Impulse beginnend mit: 120-150 J biphasisch oder 200 J monophasisch angewendet. Bei Wirkungslosigkeit wird in zwei weiteren Schocks bis zur maximalen Energie gesteigert. Bei Vorhofflattern/Schmalkomplextachykardie werden zunächst 70-120 J biphasisch oder 100 J monophasisch angewendet, bei Erfolglosigkeit wird ebenfalls bei zwei weiteren Impulsen bis zur maximalen Energie gesteigert Zu den relativen Indikationen zählen das Versagen einer medikamentösen Therapie von Vorhofflattern bzw. -flimmern.
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Defibrillation Die Defibrillation unterscheidet sich von der Kardioversion durch die fehlende R-ZackenTriggerung. In der Regel wird im Gegensatz zur Kardioversion bei Erwachsenen gleich mit 360 J monophasisch oder entsprechendem biphasischen Äquivalent begonnen. Die Indikationen sind defibrillierbare Rhythmen wie Kammerflimmern oder pulslose Breitkomplextachykardie. Antibradykarde Schrittmachertherapie Zu den Indikationen für eine perioperative antibradykarde Schrittmachertherapie zählen das Siek-Sinus-Syndrom, höhergradige SA- oder AV-Blockierungen, ein trifaszikulärer Block, v. a. dann, wenn eine Bradykardie bedingte Herzinsuffizienz droht. Je nach Umfeld kann dabei entweder ein externer Schrittmacherimpuls über Klebeelektroden, über eine transvenöse oder aber (z.B. in der Kardiochirurgie) über epikardiale Schrittmachersonden appliziert werden.
Perioperative Funktionstörungen interner Schrittmacher (SM)/Kardioverter (ICD) Weltweit leben derzeit ca. 3 Millionen Patienten mit einem Schrittmacher und 300 000 mit einem implantierten ICD. Die eingesetzten Geräte werden zunehmend komplexer, so dass allgemein gültige Aussagen bzgl. des richtigen perioperativen Handlings dieser Geräte nur noch mit Einschränkungen getroffen werden können. lntraoperative Störungen der Schrittmacherfunktion resultieren in der Regel in Arrhythmien mit unterschiedlichen hämodynamischen Folgen. Häufig ist die Diagnostik durch das bereits durch den Schrittmacher veränderte EKG erschwert. Im einzelnen müssen in Erwägung gezogen werden: • • •
Schrittmacherbedingte Arrhythmien, Konstruktionsbedingte Rhythmusstörungen bei normaler Schrittmacherfunktion und Arrhythmien aufgrund fehlerhafter Schrittmacherfunktion.
Um hier eine richtige Entscheidung zu treffen ist es notwendig, genaue Informationen über das implantierte Gerät zu besitzen (SM-Paß immer mit in den OP). So schalten z.B. Demand-SM beim Auftreten elektromagnetischer Störsignale auf asynchrone Stimulation um. Dies kann zu unkoordinierten Stimulationen des Herzens und Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern führen. Besonders gefährdet sind dabei Patienten unter Digitalis- oder Katecholamintherapie, mit Hypokaliärnie, mit Z. n. frischem Myokardinfarkt und gehäuften VES. Folgende Formen einer SM-Malfunktion können intraoperativ auftreten: Schrittmacherrasen wird v.a. bei fixfrequenten älteren Systemen beobachtet. Die Therapie besteht in Neuprogrammierung bzw. Durchtrennung der implantierten SM-Sonde und Einsatz eines externen SM. Keinesfalls dürfen Antiaarrhythmika gegeben werden Eine Abnahme der SM-Frequenz kann durch falsches Sensing (elektromagnetische Interferenzen) oder durch Erschöpfung der Batterien bedingt sein. Fusionsschläge und Pseudofusionsschläge sowie eine retrograde Vorhoferregung haben in der Regel keine unmittelbare intraoperative Relevanz. Eine Endless-loop-Tachykardie (Schrittmacherreentry) wird typischerweise durch eine Extrasystole aber auch durch externe Interferenzen und Muskelpotenziale ausgelöst. Neuere Schrittmacher terminieren diese Rhythmusstörung selbständig. ICD sollten vor Einsatz elektromedizinischer Geräte abgeschaltet werden und ein externer Defibrillator/SM bereitgestellt werden. Bleibt der ICD intraoperativ in Betrieb sollte zum Eigenschutz vor plötzlichen Entladungen der Patient nur mit Handschuhen angefasst werden. Prinzipiell verfügen ICD auch über eine Basisstimulation bei Bradykardie. Diese darf nicht mit einer Rhythmusstörung verwechselt werden. ICD sollten vor Anlage eines zentralvenösen Katheters abgeschaltet werden, um die inadäquate Abgabe von Elektroschocks und mögliches !CD-Versagen zu vermeiden.
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Prinzipiell sollte präoperativ geklärt werden, wie sich die Auflage eines Magneten auf das vorliegende Schrittmachermodell/ICD auswirkt. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung dient das Auflegen eines Magneten nicht etwa dem Einschalten eines ,,Notfallrhythmus" sondern der Batteriekontrolle bzw. der Überprüfung bestimmter Schwellenwerte. Daher muss die Auflage eines Magneten besonders bei synchron arbeitenden Schrittmachern nicht zu einer Änderung des Stimulationsmusters führen. Es ist also sinnvoller, ein für den Schrittmacher/lCD geeignetes Programmiergerät bereit zu halten. Im Einzelfall (z.B. Demandschrittmacher) ist zu klären, ob ggf. eine präoperative Umprogrammierung (z.B. auf VOO-Modus) erfolgen soll. Es gibt vermehrt Hinweise darauf, dass es besonders bei den SM mit Bioimpedanz-Sensor (Atemminutenvolumen) durch den Einsatz von künstlicher Beatmung, monopolarer Elektrochirurgie und Überwachung des Patienten mit EKG-Monitoren mit Atemfrequenzkontrolle zu teilweise lebensbedrohlichen Arrhythmien durch eine SM-Fehlfunktion kommen kann. Bei Anlegen der Elektrode für die monopolare elektrische Blutstillung ist darauf zu achten, dass der Stromfluß keinesfalls den Thorax oder das SM/ICD-System kreuzt. Prinzipiell erscheint der Einsatz von Strom zur Koagulation eher zu Interaktionen zu führen als das „elektrische" Messer. Der Einsatz von monopolarem Strom kann auch zu Änderungen der Erregungsschwelle führen. Auch wenn die neuen Geräte wesentlich stabiler gegenüber Störungen von außen sind, sollten SM und ICD postoperativ kontrolliert werden, da durch intraoperative elektromagnetische Störsignale eine unerkannte Umprogrammierung erfolgt sein kann.
Therapie perioperativer Arrhythmien: Folgende zwei Diagramme geben einen Überblick über die Behandlungsmöglichkeiten bei bradykarden und tachykarden Rhythmusstörungen.
Vorgehen bei perioperativen neuen Bradykardien Bradykardie mit hämodynamischer Instabilität? (systolischer RR < 90 mmHg, Herzfrequenz < 40/min, Herzinsuffizienz, Bradykardie mit ventrikulärer Arrythmie nein
ja
Atropin 0,5 mg i.v.
L I
'--------~
adäquate Antwort
drohende /stattgehabte Asystolie AV-Block II Mobitz II AV-Block III mit breitem Ersatzrythmus Pausen > 3 sec
keine adäquate Antwort
ja
nein
Wiederholt Atropin i.v. bis auf 3 mg oder Adrenalin 0,02-0, 1 mg
i.v. keine adäouate Antwort
Passagerer Schrittmacher
Monitoring
adäquate_---" Antwort
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Vorgehen bei perioperativen neuen Tachykardien
Behandlungsbedürftlge Tachykardie (systolischer RR < 90 mmHg ?, Bewußtseinstrübung, Brustschmerzen, Herzinsuffizienz?)
1 QRS < 120ms
/
l / \ regelmäßig
I \
• Vorhofflimmern" primär Frequenzkontrolle, ggf. elektrische oder pharmakologische Kardioversion (Amiodaron, Klasse 1C Antiarrhythmika*)
1
Supraventrikuläre Tachykardie Vagales Manöver, bei Ineffektivität: Adenosin 6-18 mg i.v.) Alternativ: Calciumantagonisten (Verapami( Dilzem) Betablocker Ggf. Klasse 1C Antiarrhythmika*
Kardioversion Defibrillation bei Torsade de pointes Mg++
Ventrikuläre Tachykardie ?
'"'
regelmäßig
Kardiogener Schock
l
l
Supraventrikuläre Tachykardie
unregelmäßig
1 QRS >120ms oder?
unregelmäßig
l
Kammertachykardie oder unklarer Ursprungsort Amiodaron i.v. 150-300 mg, anschließend evtl. 900 mg/24h Alternativ Ajmalin i.v. 25-50 mg Bei sicherem Vorliegen einer supraventrikulären Tachykardie mit Faszikelblock: Adenosin i.v. (6-18mg) Ggf. Klasse 1CAntiarrhythmika*
~ "Vorhofflimmern" mit Fasikelblockierung Behandlung wie Vorhofflimmern mit schmalen Komplexen "Vorhofflimmern" mit akzessorischer Leitung: Amiodaron, ggf. Klasse 1C Antiarrhythmika* Polymorphe Kammertachykardie ohne QT-Verlängerung: Elektrolyte normalisieren, Myokardischämie?, Medikamentenüberdosierung? Therapie Amiodaron i.v. ggf. Lidocain l.v., Betablocker
*) Anwendung ist nicht Bestandteil der Empfehlung des Euro pean Resuscitation Councils, entspricht aber der Praxis in Deutschland.
"Torsades de pointes" bei langem QT-Syndrom: Magnesium l.v., Lidocain l.v., ggf. Adrenalin/Orciprenalin i.v. und passagere Schrittmacherstimulation.
Antiaarrhythmische Therapie bei maligner Hyperthermie (MH) Einen Sonderfall stellen Arrhythmien bei maligner Hyperthermie dar. In mehr als 80% aller MR-Episoden kommt es zu Tachykardien und Tachyarrhythmien sowie plötzlichen Herzstillständen. Ursächlich dürfte die exzessive Sympathikusaktivierung und endogene Katecholaminausschüttung während der MH-Krise sein. Die antiarrhythmische Behandlung sollte bei sympathischer Überstimulation mit Betablockern (z. B. Esmolol 0,25 mg/kgKG i.v.) oder bei ventrikulären Arrhythmien mit Lidocain (lmg/kgKG i.v.) erfolgen. Keinesfalls darf wegen der Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels Digitalis gegeben werden. Auch Kalziumantagonisten dürfen nicht verabreicht werden, da in Kombination mit Dantrolen hyperkaliämische Kreislaufstillstände beschrieben sind
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Diagnose und Therapie der atraumatischen Subarachnoidalblutung H. THEILEN' M. LEIMERT
Einleitung Eine atraumatische Subarachnoidalblutung (SAB) beschreibt eine Form der intrakraniellen Blutung aus einem Aneurysma der proximalen Hirnarterien, die spontan auftritt und mit erheblichen unmittelbaren, aber auch im weiteren Verlauf der Erkrankung jederzeit drohenden Komplikationen aufwartet.
Epidemiologische Aspekte Ca. 5-10% aller so bezeichneten Schlaganfälle sind Folge einer Subarachnoidalblutung, die von einer erheblichen Letalität und Morbidität begleitet ist. Bei einer Gesamtletalitätsrate von nahezu 50% versterben immerhin 10-15% der Patienten vor Erreichen der Klinik. Von den überlebenden Patienten büßen mehr als die Hälfte einen deutlichen Anteil ihrer vor Erkrankungsbeginn bestehenden Lebensqualität ein (1). Die jährliche Inzidenz der Erkrankung liegt laut statistischem Bundesamt, auch unter Berücksichtigung der möglicherweise nicht erkannten SAB, in Deutschland bei ca. 10-13/100.000 Einwohner, was einer Neuerkrankungszahl von ca. 6.000-9.000 Patienten pro Jahr in Deutschland entspricht. Diese Zahl ist über die letzten 30 Jahre weitgehend stabil geblieben. Während das Auftreten einer SAB bisher mit einem Erkrankungsgipfel zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr verbunden wurde, weisen neuere Daten darauf hin, dass die Inzidenz im Alter< 25 Jahre bei 2/100.000 Einwohner liegt und mit zunehmendem Alter bis auf einen Wert von> 30/100.000 Einwohner bei Patienten mit mehr als 85 Lebensjahren ansteigt (2). Frauen sind ca. 1,2-fach häufiger betroffen als Männer, wobei sich der Geschlechtsunterschied ausgenommen bei Patienten < 25 Jahre erst im Alter> 55 Jahre manifestiert. Zwischen dem 25. und dem 45. Lebensjahr sind Männer häufiger betroffen.
Ätiologie Letztlich ist die atraumatische SAB immer die Folge einer Angiopathie. In ca. 80% aller Fälle ist die Ruptur eines in den basalen Hirnarterien lokalisierten Aneurysmas Ursache der Blutung. In 40% der Fälle sind die Aneurysmata in der Arteria communicans anterior oder A. cerebri anterior (ACA) lokalisiert, 30% finden sind in der A. carotis intema (ACI), 20 % in der A. cerebri media (ACM) und 10% in der A. basilaris oder vertebralis. In ca. 6% der Fälle ist eine arterio-venöse Maiformation verantwortlich (1). In 20% der Fälle findet sich trotz wiederholter Angiographien keine Blutungsquelle, wobei hier typischerweise bei 65% der Patienten die Blutungslokalisation perimesencephal ist. Bei dieser speziellen Form der SAB, die meistens einen wesentlich blanderen klinischen Verlauf nimmt, wird eine rein venöse Blutung aus perimesencephalen Venen diskutiert. Die oft erhebliche Menge subarachnoidalen Blutes korreliert nicht mit dem guten klinischen Befinden der Patienten. Es existieren des Weiteren zahlreiche weitere mögliche Ursachen für die Entwicklung einer SAB, die letztlich auf eine entzündliche Genese, eine Tumorerkrankung oder eine Koagulopathie zurückzuführen sind (8). Die Ursache für die Aneurysmabildung ist eine reduzierte Festigkeit des Kollagennetzwerkes in der Tunica media größerer Arterien. So können Anteile der Tunica intima 93
sackförmig durch diese entstehende Lücke prolabieren und es entsteht ein sakkuläres Lumen. Insbesondere beim Ehlers-Danlos-Syndrom oder dem Marfan-Syndrom sind solche im gesamten Gefäßsystem auftretenden pathomorphologischen Vorgänge bekannt, so dass diese Erkrankungen erwartungsgemäß auch mit einer deutlich erhöhten Inzidenz an Hirnarterienaneurysmata einhergehen. In der Mehrheit der Fälle scheint es sich jedoch um Veränderungen zu handeln, die nicht mit gehäuften Gefäßmaiformationen im sonstigen arteriellen System in Verbindung gebracht werden können. Unter Betrachtung der bevorzugten Lokalisation der Aneurysmata insbesondere an den Teilungsstellen der Hirngefäße des Circulosus arteriosus Willisii, sind Überlegungen folgerichtig, die zusätzlich auch Druck- und Blutstromphänomene in den Arterien für die Entwicklung dieser Pathomorphologie verantwortlich machen. Sakkuläre Aneurysmata zeigen dementsprechend eine Wachstumstendenz, die mit einer zunehmenden Rupturgefahr der Gefäßwand einhergeht. Dies erklärt die Zunahme der SAB-Inzidenz mit dem Lebensalter. Die hereditäre Theorie geht von einem genetisch bedingten Defekt der Tunica media aus. Gestützt wird diese Annahme durch den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Hirnarterienaneurysmata und verschiedenen hereditären Erkrankungen wie beim EhlersDanlos-Syndrom, der Neurofibromatose I, dem Marfan-Syndrom oder auch der polyzystischen Nierenerkrankung. In einer großen Kohortenanalyse wurden bei Patienten aus Europa und Japan letztlich drei Genloci identifiziert, deren Mutation mit der vermehrten Ausbildung von Aneurysmata assoziiert wurde (4). Bei der Degenerationstheorie werden degenerative Gefäßwandveränderungen beispielsweise infolge hypertensiver Belastungen für die Entstehung eines Aneurysmas verantwortlich gemacht. Die Annahme, dass beide gleichzeitig bestehenden Phänomene eine entsprechende Rolle spielen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Risikofaktoren und Outcome Laut einer Prävalenzstudie von Rinke! et al. (3), die besagt, dass bis zu 6% aller Einwohner ein Hirnarterienaneurysma aufweisen, sind in Deutschland ca. 3-4 Mill. Menschen betroffen. Lediglich ca. 8% dieser Aneurysmata sind> 10mm im Durchmesser. Ungefähr 2% rupturieren im weiteren Verlauf pro Jahr, die Gefahr ist deutlich erhöht bei symptomatischen Aneurysmata bzw. Aneurysmata> 10mm Durchmesser oder solchen, die im hinteren Stromkreislauf lokalisiert sind. Eine familiäre Prädisposition für die Entwicklung von Aneurysmata lässt sich durch das bereits angesprochene Phänomen der hereditären Theorie erklären. In Untersuchungen zeigte sich, dass insbesondere bei Geschwistern von betroffenen Patienten eine Häufung von bis zu 20% für den positiven Nachweis eines Aneurysmas vorliegt (5). Ein angiographisches Screening bei besonders prädisponierten potenziellen Aneurysmaträgern ist jedoch unter Berücksichtigung der Risiken und Nebenwirkungen einer angiographischen Untersuchung zurzeit nicht zu empfehlen (6,7). Weitere Risikofaktoren führten zur Formulierung der oben angesprochenen Degenerationstherorie. Hier sind insbesondere eine länger bestehende arterielle Hypertonie, die Arteriosklerose, eine Hypercholesterinämie, der Nikotin- und Alkoholabusus zu nennen, wobei die Hypertonie jedoch eher die Rupturrate als das Auftreten des Aneurysmas begünstigt. Auch der Konsum sympathomimetischer Drogen wie Kokain scheint die Aneurysmaentstehung zu begünstigen. Sonstige Prädiktoren für die Ruptur eines bestehenden Aneurysmas sind die Größenprogredienz, die Lokalisation des Befundes in der ACA, der A. pericallosa, der ACI und der A. basilaris, sowie eine unregelmäßige und multilobuläre Aneurysmaarchitektur. Zuletzt sollte nicht vergessen werden, dass 1-2% Patienten mit stattgehabter SAB pro Jahr erneut ein Aneurysma ausbilden. Bei unveränderter Inzidenz der SAB innerhalb der letzten 30 Jahre zeigte sich hinsichtlich der auf das zunehmende Lebensalter der Patienten mit SAB adjustierten Letalität eine
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Reduktion um nahezu 50% bei zugleich auch sinkender Morbidität (8). Gemäß aktueller Daten liegt die derzeitige Letalität der SAB bei ca. 27% (8). Die Hauptgründe hierfür dürften zum einen in der verbesserten prähospitalen Versorgung als auch der besseren diagnostischen Möglichkeiten sowie der damit verbundenen frühzeitigeren Initialtherapie mit Verschluss des Aneurysmas zu finden sein.
Klinik Das charakteristische Symptom für eine SAB ist der innerhalb von Sekunden bis Minuten einsetzende Kopfschmerz, der in einer solchen Heftigkeit noch nicht erlebt wurde und deshalb auch oft als „Vemichtungskopfschmerz" beschrieben wird. Dieses Symptom wird bei einem Drittel aller Patienten initial als einziges klinisches Zeichen beschrieben. Allerdings gibt es eine Reihe von Differentialdiagnosen, die mit einem vergleichbaren intensiven Kopfschmerz einhergehen können und die sich auch innerhalb von Minuten entwickeln. Der sogenannte primäre Thunderclap-Kopfschmerz, dessen Ursache wenig bekannt ist, ischämische Hirnschädigungen, eine intrazerebrale Blutung sowie intrakranielle Infektionen oder eine hypertensive Krise sind nur einige Erkrankungen mit vergleichbarer Kopfschmerzintensität (9). Lediglich bis zu 37% aller Patienten mit der genannten Klinik weisen letztlich wirklich eine SAB auf (10). Die Ausdehnung der subarachnoidalen Blutung lässt sich nicht ohne Weiteres mit der Heftigkeit des Kopfschmerzes in Verbindung bringen, wenn hier auch durchaus ein Zusammenhang besteht (Abb. 1). Der Kopfschmerz persistiert in der Regel 1-2 Wochen. Nicht selten werden vom Patienten im nachhinein bereits Tage bis Wochen vor dem Ereignis leichtere, aber länger anhaltende Kopfschmerzen beschrieben, die einer bereits vor dem Hauptereignis durchgemachten kleineren SAB zugeordnet werden können (,,sentinel bleed" oder Warnblutung). Diese im Charakter wesentlich milderen Kopfschmerzen sind selten mit Übelkeit, Erbrechen oder Meningismus vergesellschaftet und werden oft vom Patienten als Migräneanfall fehlinterpretiert.
Abb. 1: CCT einer 45-jährigen Frau mit ausgeprägter SAB und nachweisbarem Ventrikelaufstau; klinisch zeigte sich lediglich eine Symptomatik gemäß Grad-2 der Hunt&Hess-Klassifikation.
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Als weiteres klinisches Zeichen ist regelmäßig eine ausgeprägte Nackensteifigkeit nachweisbar, die aber natürlich auch die oben erwähnten Differentialdiagnosen begleiten kann. Im zeitlichen Verlauf braucht es meist 3-12 Stunden, um die volle Ausprägung dieses Symptoms zu entwickeln. Übelkeit und Erbrechen sind ebenso unspezifische Symptome, die auch bei den genannten Differentialdiagnosen auftreten können. Eher pathognomonisch sind begleitende und unmittelbar nach dem Blutungsereignis einsetzende Krampfanfälle, die bei Thunderclap-Kopfschmerz oder entzündlichen Hirnerkrankungen selten so unmittelbar beginnen (8). Der Schweregrad des Kopfschmerzes ist durch den erstversorgenden Arzt oft nur unzureichend ermittelbar, da immerhin ca. 60% aller SAB-Patienten, zumindest bei Aufnahme in das Krankenhaus, eine deutlich reduzierte Vigilanz aufweisen, wovon sich wiederum sogar die Hälfte in einem komatösen Bewusstseinszustand befindet (8). Ebenso kann eine akute psychotisch anmutende Symptomatik auftreten, die als psychiatrische Erkrankung missinterpretiert werden kann. Bei milderen Verläufen sind nicht selten Hirnnervenausfälle begleitendes Phänomen. Der N. oculomotorius ist dabei am häufigsten betroffen, insbesondere bei Ruptur eines Aneurysmas der ACI oder der Arteria communicans posterior. Weitere fokale neurologische Defizite sind infolge der Kompression von Hirnnerven beschrieben, oft bereits durch die Kompression des betroffenen Nervens durch ein wachsendes Aneurysma, ohne dass es zu einer SAB gekommen sein muss. Die Verschlechterung der Sehfähigkeit hingegen ist eine Konsequenz einer in mehr als 10% aller Fälle auftretenden intraokulären Blutung. Diese Form der Blutung wird durch einen Anstieg des Druckes der zerebrospinalen Flüssigkeit erklärt, was eine Obstruktion der V. centralis retinae mit einer konsekutiven Stauungsblutung zur Folge hat. Je schwerer das Vigilanzdefizit nach SAB, um so häufiger ist dieses Phänomen zu beobachten. Deshalb wird bei Zustand nach SAB eine Fundoskopie als essentieller Bestandteil der Initialuntersuchung gefordert (8). Systemische Begleiterscheinungen nach SAB sind insbesondere in der Akutphase eine ausgeprägte arterielle Hypertension, EKG-Auffälligkeiten im Sinne von ST-Streckenveränderungen, welche durchaus als Myokardinfarkt gedeutet werden können, und sogar Asystolien bei ca. 3% aller Patienten, die bei entsprechend rascher Reanimation auch eine gutes Outcome zeigen (11). Aufgrund der beschriebenen Bewusstseinsstörungen sind natürlich auch respiratorische Insuffizienzen keine Seltenheit. Als weitere Begleitproblematik entwickelt sich bei 20-30% aller Patienten nach SAB innerhalb von Stunden ein Hydrocephalus internus, dessen Pathogenese nach wie vor nicht sicher geklärt ist (12, Abb. 1). Zum einen wird eine Obstruktion der Liquorabflusswege diskutiert, wobei zum anderen auch eine Malresorption des produzierten Liquors eine Rolle zu spielen scheint. Klinisch macht sich diese Komplikation als intrakranielle Drucksteigerung mit den entsprechenden Symptomen bemerkbar. Da der Schweregrad der Blutung und der klinische Zustand bei Aufnahme als Grundlage aller weiteren Maßnahmen von erheblicher Bedeutung sind, und für die Prognose eine wichtige Rolle spielen, sind zahlreiche Einteilungen der aneurysmatischen SAB unternommen worden. Es wurde eine Vielzahl von Skalen entwickelt, von denen sich die Hunt & Hess-Skala und später die WFNS-Skala und die Skala nach Fisher im klinischen Alltag durchgesetzt haben. Es besteht ein durchaus nachweisbarer Zusammenhang zwischen dem Hunt & Hess-Grad sowie der Fisher-Klassifikation und der Letalität bzw. Morbidität nach SAB. In den Tabellen 1-3 sind die gebräuchlichsten Klassifikationen dargestellt.
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Grad I
asymptomatisch
Grad II
Mäßige bis mittelschwere Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, neurologische Ausfälle lediglich im Hirnnervenbereich nachweisbar
Grad III
somnolent, moderates fokales Defizit
Grad IV
soporös, ausgeprägte fokale Defizite
Grad V
komatös, Mittelhirnsymptomatik
Tab. 1: Klassifikation nach Hunt&Hess (13).
Blutnachweis im CCT (< 5 Tage nach SAB)
Vasospasmusrisiko
Grad 1
kein subarachnoidales Blut
niedrig
Grad2
diffus oder vertikal mit Schichtdicke < 1mm
niedrig
Grad3
lokal und/oder vertikal mit Schichtdicke > 1mm
ausgeprägt
Grad4
intrazerebral oder intraventrikulär mit diffuser oder fehlender SAB
mäßig
Tab. 2: Klassifikation nach Fisher (14).
Grad
GCS
Fokales Defizit, Aphasie oder Hemiparese
vergl. mit Hunt&Hess
1
15
nein
1-2
2
13 - 14
nein
2-3
3
13 - 14
ja
3
4
7-12
ja/ nein
3-4
5
3-6
ja/ nein
5
Tab. 3: Klassifikation nach WFNS (World Federation of Neurosurgical Surgeons).
Diagnostik Zerebrales Computertomogramm (CCT) Die Durchführung eines CCT ohne Kontrastmittel ist zur Sicherstellung bzw. zum Ausschluss einer SAB die diagnostische Maßnahme der ersten Wahl. Am Tag der Blutung gelingt mit dem CCT in mehr als 95% aller Fälle der Nachweis von Blut im Subarachnoidalraum. Mit zunehmendem Abstand zwischen Initialereignis und CCT fällt dieses Untersuchung jedoch trotz stattgehabter SAB negativ aus, da es zu einer Resorption bzw. Umverteilung des Blutes aus dem Subarachnoidalraum kommt. In der Regel ist 5 Tage nach SAB nur noch bei 50-70% aller Patienten Blut im CCT nachweisbar. Lumbalpunktion Insbesondere bei Patienten mit klassischen klinischen Symptomen einer SAB, aber ohne Blutnachweis im CCT, sollte eine Lumbalpunktion erfolgen. Hier ist jedoch unbedingt zu beachten, dass ein zeitlicher Mindestabstand von 6 Stunden, besser noch 12 Stunden, zwischen dem klinischen Ereignis und der Lumbalpunktion eingehalten werden muss. Diese Zeit ist wegen der langsamen Liquorzirkulation und der dann erst nachweisbaren Verfärbung des Liquors im unteren Spinalbereich absolut erforderlich. Im gewonnenen Liquor ist zudem zwingend darauf zu achten, dass nicht frisches Blut, sondern eine xanthochrome Verfärbung durch Bilirubin hinweisend ist.
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CCT-Angiografie (CTA) Da die CCT-Angiografie nach erfolgtem Nativ-CCT zügig und ohne Umlagerung des Patienten rasch durchgeführt werden kann und dabei bis auf Kontrastmittelreaktionen eine nebenwirkungsarme Untersuchung ist, stellt dieses Verfahren unmittelbar im Anschluss an das Nativ-CCT zum Nachweis und zur Lokalisation eines Aneurysmas die logische Konsequenz dar. Zudem sind die Strahlendosis und die Menge des notwendigen Kontrastmittels zur Darstellung des Aneurysmas deutlich geringer als in der konventionellen Angiographie. Mit den modernen CT-Geräten ist - verglichen mit der konventionellen Angiographie - eine fast gleichwertige Sensitivität erreicht worden. Durch die Möglichkeit der 3D-Darstellung in der CTA kann zudem auch mit dieser Technik eine Planung des weiteren Vorgehens zum Verschluss des Aneurysmas erfolgen. Für Aneurysmata > 5mm Durchmesser ist inzwischen mit modernen Geräten eine Sensitivität von 95-100% (15) erreicht worden, bei Aneurysmata< 5mm liegt der Wert noch bei 64-83% (7). Allerdings existieren noch Defizite hinsichtlich der Spezifität, da durch Windungen intrakranieller Gefäße falsch positive Aneurysmanachweise vor allem im Bereich der MCA möglich sind. Zudem wird die Größe des Aneurysmahalses, eine für das weitere therapeutische Vorgehen essentielle Information, durch die CTA noch zu groß gemessen (16). Als weitere Einschränkung wird die noch deutlich geringere Sensitivität bei nahe an der Schädelbasis liegenden Aneurysmata genannt, da hier Knochenstrukturen noch störend auf die Bildqualität einwirken können. Hier mag in der nahen Zukunft die CT-DSA (CT-Angio mit digitaler Subtraktion des Knochenfensters) eine technische Lösung sein.
Abb. 2: Syngo-Neuro DSA" der zuführenden Arterien zum Hirn vom Aortenbogen ausgehend bis zum Carotissiphon, CTA mit DSA-Modus zur Subtraktion des Knochengewebes, damit bessere Darstellung der Hirnbasisarterien (Quelle: https://www.medical.siemens.com).
Zerebrale Magnetresonanztomographie Ausgebend von den technischen Möglichkeiten ist auch das MRT inzwischen durchaus in der Lage, einer CCT vergleichbare Bilder zu liefern. Abgesehen von der noch deutlich geringeren Verfügbarkeit in den Kliniken sind hier jedoch das wesentlich aufwändigere Procedere, d.h. die Versorgung und auch Überwachung des Patienten im MRT, sowie der höhere zeitliche Aufwand praktische Limitierungen des Verfahrens. Bis auf die Möglichkeit, Veränderungen im Hirnparenchym besser beurteilen zu können und eventuell nach selteneren Ursachen der Aneurysmabildung zu suchen, bietet das MRT keine entscheidenden Vorteile, so dass dieses Verfahren derzeit nur in speziellen Situationen eingesetzt wird. Hier ist beispielsweise die Diagnostik bei schwangeren Patientinnen mit SAB zu nennen, da das MRT keine Strahlenbelastung darstellt.
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Zerebrale arterielle Katheterangiographie Die arterielle Katheterangiographie galt zum Nachweis eines Aneurysmas bisher als die sensitivste diagnostische Methode nach SAB und damit als Goldstandard, wird jedoch zunehmend, wie bereits diskutiert, durch die CTA abgelöst. Letztlich bedeutet eine Katheterangiographie eine Schleusenanlage in die A. femoralis mit der postinterventionellen Gefahr der Blutung bzw. Entwicklung eines Aneurysma spurium und auch der Infektion an der Punktionsstelle, vor allem nach Entwicklung eines Hämatoms. Zudem ist die Strahlenbelastung im Vergleich zur CTA deutlich höher. Nicht vergessen werden darf die Möglichkeit einer durch die Angiographie durchaus beschriebenen Aneurysmaruptur (17). Vorteile gegenüber der CTA bieten die höhere Sensitivität v.a. bei Aneurysmata im Bereich der Schädelbasis und der A. vertebralis, sowie die theoretische Option einer unmittelbaren endovaskulären Versorgung nach entsprechender interdisziplinärer Falldiskussion. In den Leitlinien der AHA/ASA, die 2009 publiziert wurden, wird das Verfahren nach wie vor als erste Wahl genannt, hier wird aber wohl in naher Zukunft eine Änderung zu erwarten sein.
Abb. 3: zerebrale CT-DSA mit Darstellung eines ACI-Aneurysma; gut sichtbar der Aneurysmahals sowie hier der Aneurysmaschnabel (Pfeil) als Hinweis auf eine besonders hohe Rerupturgefahr und die wahrscheinliche Blutungsstelle des Aneurysmas.
Da in einer Minderheit der Fälle kein Aneurysmanachweis gelingt, muss diese Untersuchung zum jetzigen Zeitpunkt nach 4-6 Tagen mittel zerebraler Arteriographie wiederholt werden. Hier zeigen sich nochmals in 3-5% der Fälle Aneurysmata, die entsprechend therapiert werden können. Auf jeden Fall muss die Suche nach der Blutungsquelle mit allen verhältnismäßigen Mittel erfolgen, da eine fahrlässige Diagnostik mit einem 4-fach erhöhten Risiko einer Reblutung mit tödlichem Ausfall einhergeht.
Management des Patienten mit SAB Die Versorgung des Patienten mit SAB lässt sich in 3 Phasen mit unterschiedlichen Zielsetzungen gliedern: 1. prähospitale- und präoperative Phase 2. Aneurysmaausschaltung und periinterventionelle Betreuung inkl. EVD-Anlage 3. postinterventionelle Intensi vtherapie Jede Phase bietet für dich spezielle Gefahren und damit auch Anforderungen an die betreuenden Ärzte. 99
Prähospitale und präoperative Phase Die prähospitale Versorgung hängt selbstverständlich von der Bewusstseinslage des Patienten ab. Soporöse oder gar komatöse Patienten mit eingeschränkten Schutzreflexen oder gar respiratorischer Insuffizienz müssen mit begleitender Analgosedierung intubiert und beatmet werden. Die rasche Erhebung eines möglichst genauen neurologischen Status sollte vor Intubation erfolgen, um den weiterbehandelnden Ärzten möglichst viele Informationen übermitteln zu können. Zur Aufrechterhaltung einer adäquaten zerebralen Perfusion sollte auf eine stabile Kreislaufsituation mit einem systolischen Blutdruck um 120 mmHg sowie auf Normokapnie geachtet werden, da die Hypokapnie via zerebraler Vasokonstriktion die Hirnperfusion pathologisch relevant beeinträchtigen kann. Beide Maßnahmen besitzen insbesondere bei erhöhtem intrakraniellen Druck einen hohen Stellenwert. Die arterielle Sauerstoffsättigung sollte.!:: 95% sein. In den ersten Stunden nach SAB weisen bis zu 15% der Patienten eine akute Vigilanzverschlechterung infolge einer erneuten Blutung aus dem Aneurysma auf. Obwohl bisher der Beweis aussteht, dass erhöhte Blutdruckwerte die gefürchtete Zweitblutung provozieren, existieren Hinweise in kleineren Untersuchungen, dass ein Blutdruckanstieg auf systolische Werte> 150mmHg die erneute Blutung wahrscheinlicher machen (7). Die Initiierung einer antifibrinolytischen Therapie mit Tranexamsäure ist zwar in der Lage, die Reblutungsrate zu reduzieren, dafür traten jedoch gehäuft thrombembolische zerebrale Komplikationen auf, so dass bisher keine Evidenz für diese Form der begleitenden Therapie besteht. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte jeder akut auftretende heftige Kopfschmerz als SAB betrachtet und behandelt werden, da diese Erkrankung die potenziell schwerwiegendsten Komplikationen aufweist und deshalb in dieser Phase der größten Aufmerksamkeit bedarf. Aneurysmaausschaltung und perünterventionelle Betreuung inkl. EVD-Anlage Nach aneurysmatischer SAB liegt das Risiko einer Nachblutung innerhalb der ersten 24h bei ca. 4% mit einem kumulativen Risiko von 19% bis zum 14. Tag. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, publiziert bei AWMF-Online, heißt es: ,,In den ersten 4 Wochen nach einer Aneurysmaruptur kommt es ohne Ausschaltung der Blutungsquelle in ca. 40% der Fälle zu einer Reruptur. Diese hat eine noch schlechtere Prognose als die erste Blutung. Trotz des Fehlens prospektiv randomisiert gewonnener Evidenz resultiert hieraus die Empfehlung einer möglichst raschen Aneurysmaausschaltung innerhalb der ersten 72 Stunden nach der Blutung, d. h. noch vor Einsetzen der Vasospasmen." Diese Ansicht wird auch von den Leitlinien der AHN ASA vertreten, so dass man inzwischen von einem möglichst raschen Verschluss des Aneurysmas als Blutungsquelle innerhalb der ersten 2-3 Tage, besser noch der ersten 24h nach Beginn der SAB-Symptomatik spricht. Wie bei der AWMF-Leitlinie angesprochen, spielt hier auch der zeitliche Verlauf bis zum Einsetzen des gefürchteten Vasospasmus nach SAB eine Rolle, mit dem erfahrungsgemäß ab dem 4. Tag nach Blutung zu rechnen ist. Eine Operation während eines bestehenden Vasospasmus wird als deutlich risikoreicher angesehen, als vorher. War bis vor 15 Jahren die Ausschaltung des Aneurysmas lediglich operativ durch Verschluss des Gefäßes mittels Gefäßclip möglich, so hat sich seitdem in Form einer endovaskulär interventionellen Therapie mittels sogenanntem Coiling eine wichtige Alternative entwickelt. Clipping bedeutet die operative Freilegung des Aneurysmas und anschließend das Setzen eines Gefäßclips über Aneurysmahals bzw. -basis, um dieses vollständig auszuschließen. Die Gefäßclips, die es in vielfältigen, den jeweiligen anatomischen Verhältnissen angepassten Formen gibt, verbleiben auf Dauer im Hirngewebe (Abb. 4) und sind MRT kompatibel.
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AmmtrtrH-P et ■. Joumallir Nturolo9e. Naurochinqla und Papdl1atrtt 200J; 4 (4l 14-21 •
Abb. 4 links: Unterschiedliche Gefäßclips zum Verschluss eines Hirnarterienaneurysma Abb. 4 rechts: Postoperatives CCT 5 Tage nach Oipping, Clip sichtbar an der rechten ACM (Pfeil)
Die Frage, welches Verfahren unter welchen Umständen vorteilhafter ist, ist Gegenstand internationaler und kontrovers geführter Diskussionen. Die 2002 erstmals publizierte International Subarachnoid Aneurysm Trial (ISAT) (18) folgerte aus ihren Ergebnissen, dass Coiling hinsichtlich Outcome und Komplikationen dem Clipping eindeutig überlegen ist. Diese Aussage muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Zum ersten sind hier die Ausschlusskriterien für die Zulassung zum Coiling zu nennen, die auch für die Entscheidung in der klinischen Routine, welches Verfahren im konkreten Fall für den Patienten das optimale Verfahren ist, Gültigkeit besitzen. Von den 9559 Patienten, die für die Studie rekrutiert wurden, wurden 7416 Patienten wegen der Nichteignung für das Coilingverfahren ausgeschlossen. Es konnte hier keine Randomisierung stattfinden. Ein Hauptgrund war beispielsweise ein breitbasiges Aneurysma, welches kein Coiling erlaubt, da das Coil in die Blutstrombahn ragen würde und rezidivierende Embolien in der Hirnstrombahn provozieren könnte. Des Weiteren waren Aneurysmata, aus denen weitere wichtige Gefäße zur Versorgung anderer Hirnareale abgingen, dieser Methode nicht zugänglich, da es unter Anwendung des Coilings unweigerlich zum Verschluss dieser Arterien gekommen wäre. Hier ist nur die operative Intervention möglich. Andererseits gibt es Aneurysmalokalisationen wie beispielsweise an der A. basilaris, die aufgrund des gesichert besseren postprozeduralem Outcome eher mittels Coiling verschlossen werden sollten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist die Annahme eines Selektionsbias nahe liegend. Clipping wurde mit einer erhöhten Zahl an postoperativen Blutungskomplikationen in Verbindung gebracht, die im Erfassungszeitraum der Studie eine Rolle spielten. Im weiteren Verlauf, was durch das Studiendesign nicht mehr erfasst wurde, waren jedoch deutlich mehr erneute endovaskuläre Interventionen notwendig, da das Aneurysma durch das Coil nicht vollständig ausgeschaltet werden konnte bzw. es durch das Phänomen der Kompaktierung in bis zu 55% zu einer Rekanalisation des Aneurysmas kam. Dementsprechend ereigneten sich auch mehr Zweitblutungen, wenn auch mit gewisser zeitlicher Latenz. Die Diskussion lässt sich noch mit weiteren Argumenten ausweiten, soll jedoch nicht Gegenstand der hiesigen Darstellung sein. Zur Vertiefung sei hier auf ein kürzlich publiziertes und sehr profundes Editorial von E. Figueiredo verwiesen (20). Die für den Patienten richtige Entscheidung kann letztlich nur durch eine sachliche und offene Diskussion der zuständigen neuroradiologischen und neurochirurgischen Entscheidungsträger getroffen werden. Eine Anästhesie ist für beide Eingriffe erforderlich. Wie bereits angesprochen, kommt es bei nahezu 30% der Patienten mit SAB rasch zu einem Hydrocephalus occlusus, der eine externe Ableitung des Ventrikelliquors notwendig macht. Erkennbar ist diese Komplikation oft schon im ersten CCT, in der sich eine 101
Weitung der inneren Liquorräume nachweisen lässt (Abb. 1). Die initiale Anlage einer externen Ventrikeldrainage (EVD) ist oft schon vor der operativen oder endovaskulären Aneurysmaausschaltung erforderlich, da ohne Hirndruckmessung unter Narkose während der jeweiligen Interventionen ein kritischer Hirndruckanstieg durch den Hydrocephalus kaum zu erfassen ist. Letztlich brauchen ca. 20% der Patienten eine dauerhafte artifizielle Liquordrainage in Form eines ventrikulo-peritonealen oder ventrikulo-atrialen Shunts (12).
Die Narkoseführung während der Intervention sollte bis zum Verschluss des Aneurysmas v.a. darauf ausgerichtet sein, kritische Blutdruckanstiege strikt zu vermeiden. Sowohl beim Clipping als auch beim Coiling kann es zu einer Reruptur des Aneurysmas kommen, was mit einer unmittelbaren Hirndrucksteigerung beim Coiling, jedoch einer ausgeprägten intraoperativen Blutung beim Clipping einhergeht. Auf diese Komplikation sollte man durch entsprechende präoperative Maßnahmen vorbereitet sein (z.B. Bereitstellung von Blutkonserven, hirndrucksenkende Maßnahmen vorbereiten, Anlage einer arteriellen Blutdruckmessung). Da in den ersten 72h bis zur Versorgung noch nicht mit einem Vasospasmus zu rechnen ist, kann man die Reduktion des Blutdruckniveaus auf einen periinterventionellen MAP von 70 - 80mmHg verantworten. Beim Clipping ist damit zu rechnen, dass intermittierend temporäre Clips gesetzt werden, die bei der Präparation am fragilen Gefäßgewebe eine ausgeprägte Blutung unmittelbar beim Setzen des Clips verhindern sollen. Da das nachgeschaltete Hirngewebe hier einer potenziellen Ischämiegefahr unterliegt, sollte man kurz vorher eine Vertiefung der Narkose durch Erhöhung der Dosierung von Propofol oder zusätzliche Bolusapplikation von Thiopental bis hin zum Nachweis einer nahezu vorliegenden neuronalen Stille des Cortex (Nulllinien-EEG, ggf. Burst-Suppression-EEG, sofern überwacht) durchführen. Zudem kann während der Präparationsphase am Gefäß eine inspiratorische Sauerstoffkonzentration von 80%, die nachweislich zu einer Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks im Hirngewebe beiträgt, helfen, die kritische Phase ohne ischämische Schädigung zu überstehen. Sollte es zu einer unerwarteten Ruptur des Gefäßes während des Clippings kommen, kann man nach Rücksprache mit dem Operateur versuchen, durch Kompression der ipsilateralen A. carotis das Ausmaß der Blutung zu reduzieren und dem Operateur damit die Möglichkeit geben, einen temporären Clip zu setzen. Die perioperative Hypothermie als Maßnahme der Hirnprotektion hat sich unter Berücksichtigung der damit verbundenen Komplikationen (Gerinnungsstörung, Reduktion der Immunantwort) als unwirksam hinsichtlich des Outcome erwiesen. Als häufige Begleitkomplikation bei SAB muss auch in dieser Phase schon mit pathologisch relevanten kardiopulmonalen Reaktionen gerechnet werden. Insbesondere die systemische aber auch pulmonalarterielle Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, myokardiale Pumpsstörungen und auch ein, wenn auch selten auftretendes, neurogenes Lungenödem können die perioperative Narkoseführung erschweren. EKG-Veränderungen im Sinne von QT-Verlängerungen oder ST-.Elevationen werden oft beobachtet, das kardiale Troponin und auch die CKMB sind in bis zu 30% der Betroffenen pathologisch erhöht. Als Ursache wird eine nach SAB rasch auftretende Katecholaminbelastung des Herzens diskutiert, die durch die exzessive Stressreaktion des Patienten initiiert wird. . Die perioperative Überwachung sollte standardisiert mit einer arteriellen Katheterisierung zur kontinuierlichen Blutdruckmessung und der Möglichkeit der wiederholten Abnahme von Blutgasanalysen, einem 5-Pol-EKG, einer Pulsoximetrie, der Kapnographie sowie der Relaxometrie erfolgen. Die Anlage eines ZVK kann helfen, neben der sicheren Anästhetikagabe, insbesondere bei totaler intravenöser Anästhesie, nicht selten eine hämodynamisch wirksame Medikation sicher applizieren zu können. V.a. bei Erhöhung der Propofoldosis bzw. bei notwendiger zerebroprotektiver Thiopentalapplikation können medikamentöse druckunterstützende Maßnahmen in Form einer adaptierten Noradrenalinmedikation erforderlich sein. Auch die wiederholt notwendige Gabe von Mannitol als hirndrucksenkende Maßnahme ist über den ZVK besser zu bewerkstelligen. Der Blasen102
verweilkatheter sollte selbstverständlich nicht vergessen werden. Nach Anlage einer EVD kann dieser Katheter zur Überwachung des intrakraniellen Drucks genutzt werden. Verschiedene periinterventionelle Überwachungsmaßnahmen sind vorgeschlagen worden, um in dieser Phase Informationen über die Hirnintegrität zu erlangen. Darunter sind Verfahren wie die bulbärvenöse Oximetrie, die Ableitung somatosensibel evozierter Potentiale, verschiedene prozessierte EEG-Parameter oder die Nah-Infrarot-Spektroskopie. Bisher konnte zumindest für die intraoperative Überwachung keines der Verfahren eine wirkliche Verbesserung der Überwachungsmöglichkeit nachweisen. Grundsätzlich sollte, wenn möglich, am Ende einer Intervention die Narkose rasch beendet werden. Die klinisch neurologische Überwachung des Patienten ist allen apparativen Möglichkeiten in Hinsicht auf potenzielle postoperative Komplikationen einschließlich Nachblutung oder auch die Entwicklung eines klinisch relevanten Vasospasmus überlegen.
Postoperative Phase und lntensivtherapie Die postoperative Phase ist hinsichtlich ihrer therapeutischen Ziele darauf ausgerichtet, hirnprotektiv zu wirken und dabei auch die sich erst im Verlaufe der nächsten Tage nach SAB entwickelnden Komplikationen zu erkennen und, soweit möglich, zu behandeln. Optimal ist dabei die klinisch neurologische Überwachung, sofern eine entsprechend reduzierte Bewusstseinslage dem nicht entgegenläuft. Nur zur hypothetisch ausgesprochenen Zerebroprotektion eine Analgosedierung ohne weitere klinische Notwendigkeit aufrecht zu erhalten, bedeutet die Akzeptanz potenzieller Nebenwirkungen, wie beatmungsassoziierte Pneumonie, gastrointestinale Störungen, hämodynamische Nebenwirkungen und vieles mehr. Zudem lässt sich anhand der momentan verfügbaren Monitoringverfahren eine pathologisch relevante zerebrale Perfusionsstörung nicht sicher einordnen. Die rasche Erkennung neurologischer Defizite ist dazu mit Sicherheit die sensitivste Methode. Das größte Problem nach erfolgreicher Erstversorgung im Anschluss an eine SAB ist die Entwicklung eines verzögerten neurologischen Defizits (DIND, ,,delayed ischemic neurologic deficit") (21). Sie trägt zu einem erheblichen Teil an der Morbidität und Letalität der SAB bei. Generell wird dieser Pathologie auf einen ausgeprägten arteriellen Vasospasmus zurückgeführt, was jedoch inzwischen als eine zu starke Vereinfachung der Problematik gelten muss (Abb. 5).
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Abb. 5: Arterielle Angiographie der ACI mit ausgeprägtem Vasospasmus (lks., Pfeil), der nach lokaler intraarterieller Applikation von 2mg Nimodipin deutlich regredient ist (rechts).
103 .
Je nach Erhebung betrifft dieses Phänomen bis zu 40% aller Patienten, und die Konsequenzen sind nicht selten dramatisch (Abb. 6). Die DIND-Symptomatik entwickelt sich ab dem 3. Tag nach SAB und dauert ca. bis zum 15. Tag. Grundsätzlich gilt: Je mehr Blut im Subarachnoidalraum, desto größer die Wahrscheinlichkeit, was den Zusammenhang zwischen den pathologischen Vorgängen und der Menge an Blutkomponenten nahe legt. Dieser Beobachtung liegt letztlich auch die Fisher-Skala (s.o.) zugrunde, die den Vasospasmus mit der Blutmenge und der Prognose in Zusammenhang bringt. Es existieren zahlreiche Hinweise darauf, dass der Vasospasmus ein begleitendes Phänomen in der Entstehung des DIND ist, jedoch nicht der Auslöser per se.
Abb. 6: CCT-Verlaufskontrolle der in Abb. 1 vorgestellten Patientin, jetzt mit Zustand nach bifrontaler osteokJastischer Trepanation wegen Hirndrucks infolge ausgedehnter Infarzierungen beidseits frontal und rechts im gesamten ACM-Stromgebiet.
Es sind letztlich 3 Wege, die für sich einzeln, eher aber in unterschiedlichem Ausmaß gemeinsam für die zerebrale Schädigung verantwortlich gemacht werden: 1. eine biochemisch getriggerte Dysfunktionen der Gefäßregulation 2. Gerinnungsstörungen in der zerebralen Mikrozirkulation mit Ausbildung von Thromben 3. Inflarnmatorische and apoptotische Vorgänge, initiiert durch 1. + 2., sich aber im weiteren Krankheitsverlauf verselbständigend. Biochemisch getriggerte Vasodysregulationen werden v.a. drei Vorgängen zugeschrieben. Die erste Theorie nimmt eine gestörte NO-Regulation an, die zum einen direkt durch eine NO-Scavangerfunktion des durch Erythrozytenzerfall freigesetzten Hämoglobins verursacht wird, zum anderen wird eine veränderte NO-Synthetasefunktion vermutet. NO wird jedenfalls als sehr potenter Vasodilatator in geringerer Konzentration zur Verfügung stehen, was eine Vasokonstriktion zur Folge hat. In der zweiten Hypothese, die die Endothelin-1 (ET-1)-Freisetzung betrifft, geht man davon aus, dass im Rahmen der inflammatorischen Vorgänge durch den Blutclot vermehrt ET-1 gebildet bzw. freigesetzt wird und damit als bekannter Vasokonstriktor den Spasmus hervorruft. Der statistische Zusammenhang zwischen der ET-1-Konzentration im betroffenen Hirngewebe und der Entwicklung des DIND ist jedoch ziemlich schwach. Die dritte Theorie beruht auf der Hypothese der Akkumulation von Arachidonsäure mit konsekutiver Veränderung der Vasoregulation sowie Schädigung der Blut-Hirn-Schranke. Gerinnungsstörungen der zerebralen Mikrozirkulation sind insofern nachvollziehbar, da Endothelzellen der Hirngefäße eine besonders hohe Konzentration an sog. Tissue-factor (TF) haben, um Einblutungen in das Hirngewebe mit noch höherer Wahrscheinlichkeit bei kleineren Traumen zu unterbinden. Eine Schädigung von Endothelzellen durch 104
inflammatorische Vorgänge könnte die TF-Freisetzung erleichtern, was in einer erhöhten Gerinnungsaktivität resultiert. In der durch den Vasospasmus verminderten zerebralen Perfusion könnte dies bei verlangsamtem Blutstrom zu kleineren Hirnarterienembolien führen. Diese These würde zumindest die wiederholt in autoptischen Untersuchungen festegestellten multiplen disseminierten Infarzierungen bei Zustand nach SAB erklären, die nicht in Zusammenhang mit dem Verschluss großer Hirnarterien in Verbindung zu bringen sind (23). Die dritte These zur Erklärung des DIND geht von einer unmittelbaren Hirngewebsschädigung durch inflammatorische Vorgänge in Verbindung mit dadurch auch in Gang gesetzten apoptotischen Abläufen aus. Das Interleukin-6, welches in besonders hoher Konzentration in Astrozyten nachgewiesen wurde, könnte hier eine Schlüsselrolle spielen und zusätzlich auch zur Entwicklung des Vasospasmus beitragen. Wahrscheinlich ist, dass alle drei Vorgänge an der Pathologie beteiligt sind, weshalb auch auf die Beeinflussung einzelner Vorgänge abgezielte Therapiemaßnahmen bisher so wenig klinischen Erfolg gezeigt haben. Möglicherweise sind diese Vorgänge auch in dem Einzelverlauf unterschiedlich stark ausgeprägt, so dass therapeutische Ansätze sich auch hier am Individuum und der jeweils intraindividuell gültigen pathologischen Kaskade ausrichten müssen. Lediglich die klinische Konsequenz als Endprodukt, das DIND, bleibt identisch. Zur Diagnostik des Vasospasmus wird die transkranielle Dopplersonographie als Standardmonitoring herangezogen (7). Hinsichtlich Sensitivität und Spezifität besteht jedoch nach wie vor erhebliche Uneinigkeit. Abgesehen von der Untersuchervariabilität des Verfahrens werden die Werte durch eine therapeutische Hypertension möglicherweise verfälscht. Zudem gibt es erst ab Flussgeschwindigkeiten > 200cm/sec hinreichend sichere Aussagen über einen relevanten Vasospasmus. Aber auch bei diesen Werten sind klinischneurologische Defizite durch Hirnischärnien nicht regelhaft nachweisbar. Etwas genauer in Bezug auf die Spezifität ist hier die sogenannte Lindegaard-Ratio (Erythrozytenflussgeschwindigkeit im betroffenen Gefäß im Verhältnis zur ipsilateralen extrakraniellen ACI). Ein Wert > 5 wird hier als Nachweis eines erheblichen Vasospasmus gewertet. Zuverlässiger in der Aussage, jedoch mit erheblichen Nebenwirkungen belastet, ist die Kontroll-Angiographie, die wegen ihrer Risiken nicht als Standard empfohlen werden kann, aber den bereits erwähnten Vorteil einer intraarteriellen Applikation von Nimodipin bei schweren Vasospasmen bietet (7). Prävention und Therapie des DIND Unbestritten bleibt, dass der Vasospasmus zu einer erheblichen Einengung der großen arteriellen Gefäße des Gehirns im Bereich des Circulosus Willisii führt (Abb. 5). Gemäß dem Gesetz von Hagen-Poiseuille folgt aus der Lumenverengung ein reduzierter Blutstrom hinter der Stenose. Der primär symptomatisch ausgerichtete therapeutische Ansatz, durch Erhöhung des Druckgradienten bzw. Reduktion der Viskosität dieser Blutromverminderung entgegenarbeiten zu können, ist sicherlich vom physikalischen Ansatz her korrekt. Aus diesen Überlegungen leitete sich die über lange Jahre als Standard definierte sogenannte Triple-H-Therapie ab. Die drei H stehen für die Maßnahmen Hypertension, Hypervolärnie und Hyperhydratation. Die Hypertension, induziert mittels Applikation von Katecholaminen, und die durch forcierte Volumenapplikation auch in Form kolloidaler Substanzen induzierte Hypervolärnie sollen dabei den Druckgradienten erhöhen, die Hyperhydratation intendiert die Senkung der Viskosität. Initial wurde die Triple-H-Therapie nicht nur zur Behandlung nachgewiesener DIND indiziert, sondern auch prophylaktisch, um eine solche Symptomatik gar nicht erst entstehen zu lassen. Selbstverständlich kann diese Therapie erst nach Verschluss des Aneurysma induziert werden. Insbesondere die Hypervolärnie hat unter Berücksichtigung ihrer erheblichen Nebenwirkungen (Myokardischämie, Linksherzbelastung, Erhöhung des pulmonalarteriellen Drucks etc.) und dem Nachweis, dass sich die zerebrale Durchblutung durch Hypervolä105
mie nicht relevant steigern lässt und auch die klinischen Symptome keine Besserung erfahren (23), keinen Stellenwert mehr in der SAB-Therapie (7). Es gilt lediglich die strikte Vermeidung einer Hypovolämie. Die Hypertension, sofern hämodynamisch zu verkraften, kann ein akut auftretendes Defizit suffizient therapieren, wobei durchaus in Einzelfällen auch ein arteriellen Mitteldruck von 150 mmHg notwendig sein kann. Hier muss jedoch sehr exakt auf potenzielle Nebenwirkungen wie beispielsweise die Myokardischämie oder Myokardinsuffizienz geachtet werden. Hinsichtlich der Hämodilution als Therapieprinzip ist bisher ebenfalls kein eindeutiger Benefit nachgewiesen worden. Lediglich ein diskreter Zusammenhang zwischen dem Outcome nach SAB und dem Ausmaß an während der Behandlung indizierten Transfusionen wurde insofern formuliert, dass vermehrte Transfusion das Outcome verschlechtert. Ob es an den Nebenwirkungen der Transfusion selbst oder der Steigerung des Hämatokrit gelegen hat, bleibt offen (25). Abschließend sollte zu diesem Therapieprinzip gelten, dass die Hypertension nach Auftreten eines DIND ein persistierendes neurologisches Defizit verhindern kann, als Präventivmaßnahme jedoch mit erheblichen Risiken belastet ist. Die Hämodilution bleibt umstritten, die Hypervolämie kann nicht mehr empfohlen werden, die Normovolämie ist unbedingt einzuhalten. Nicht vergessen werden sollte, das das Gehirn mit dem sog. Cushing-Reflex, d.h. der zerebral induzierten systemischen Blutdrucksteigerung bei drohender Hirnischämie, selbst über einen Reflexweg verfügt, der dem therapeutischen Ansatz der induzierten Hypertension entspricht. Eine langsam einsetzende Erhöhung des gemessenen Blutdruckniveaus bei Patienten nach SAB sollte deshalb auch als Warnzeichen verstanden werden. Ein weiterer mechanistischer Therapieansatz zur Behandlung eines klinisch relevanten Vasospasmus ist die Eröffnung des spastischen Gefäßareals durch Ballonangioplastie. Dieses Verfahren ist jedoch nur in den großen proximalen Hirnarterien anwendbar, da in kleineren Gefäßen eine Ruptur droht. Dieser Vorgang ist jedoch oft nur mit zeitlich begrenzter Wirkung und wiederum mit deutlichen Nebenwirkungen versehen. Im Einzelfall kann jedoch diese Intervention diskutiert werden. Die medikamentöse Prävention bzw. Therapie des Vasospasmus ist zurzeit ein sehr offenes Feld. Wie in Tabelle 4 ersichtlich, sind zahlreiche Pharmaka zur Behandlung des DIND untersucht worden. Grundsätzlich unterschieden werden muss dabei zwischen der systemischen und der lokalen Applikation des Agens während der Katheterangiographie. Medikament
Einfluss auf DIND bzw. Outcome
Aspirin
keine Reduktion
Clazosentan
weniger Vasospasmus, keine Outcome-Verbesserung
Ebselen (Radikalenfänger)
Keine bis diskrete Besserung des DIND
Endothelin-Antagonist
keine Outcome-Verbesserung
Enoxaparin
Kein Einfluss
Magnesium
keine bis geringe Outcome-Verbesserung
Milrinon
protrahierte Reduktion des Vasospasmus
Nimodipin i.v.
kein Einfluss
Nimodipin oral
besseres Outcome
rTPA intrathekal
kein Einfluss
Statine
besseres Outcome, weniger DIND
Tirilazad
kein Einfluss
Urokinase intrathekal
weniger DIND
Tab. S: Untersuchte Pharmaka zur Behandlung des DIND nach SAB in alphabetischer Reihenfolge.
106
Das bekannteste Medikament zur Behandlung des Vasospasmus mit Zulassung ist Nimodipin, das sowohl per os als auch i.v. appliziert werden kann. Es handelt sich hier um einen Blut-Hirn-Schranken gängigen Calcium-Antagonisten, der in einer 1989 publizierten Untersuchung das Outcome nach SAB gebessert hat (26). Es fehlt jedoch der Nachweis, dass es sich hier um einen Reduktion des Vasospasmus handelt, die die klinischen Folgen des DIND mindert. Eine intravenöse Gabe hat bisher in keiner Weise ein vergleichbares Ergebnis gezeigt, so dass momentan lediglich die orale Gabe (6 x 60mg / die) als wirksam gelten kann und die i.v.-Applikation nur sehr eingeschränkt empfohlen wird. Dies mag auch damit zu begründen sein, dass die systemische Gabe zu einem deutlichen Blutdruckabfall beitragen kann und damit der empfohlenen Hypertension zuwiderläuft. Nicardipin als dem Nimodipin pharmakologisch und chemisch sehr verwandter Calciumantagonist, ist nicht in der Lage das Outcome zu verbessern. Weitere Untersuchungen mit durchaus vielversprechenden Resultaten bei systemischer Applikation sind zurzeit unter Anwendung von Ebselen als Endothelin-la-Antagonist und den Statinen zur erwarten. Endgültige Empfehlungen lassen sich jedoch anhand der aktuellen Datenlage nicht formulieren (7). Studien mit Acetylsalicylsäure, Enoxaparin und Tirilazad sind ohne positives Ergebnis geblieben. Studien zur Untersuchung der lokalen Anwendung mittels unmittelbar am Spasmus appliziertem Agens während der arteriellen Katheterangiographie sind bisher mit Nimodipin, Papaverin und Milrinon durchgeführt worden. Die Wirksamkeit der Maßnahme lässt sich unmittelbar radiologisch nachweisen (Abb. 5), unklar ist jedoch bisher nicht nur, ob sich das Outcome wirklich bessern lässt, sondern auch, wie lange die lokale Wirkung anhält. Bisherigen Untersuchungen bzw. eigenen Beobachtungen mittels TCD zufolge ist eine Wirkdauer von 24 - 48 Stunden zu erwarten (27). Begleitende Maßnahmen bei drohender Hirnischämie mit potenziell pathologischen Konsequenzen sollten entsprechend den Maßnahmen nach Hirninfarkt unbedingt beachtet werden. Hierbei sind die Vermeidung einer ausgeprägten Hyperglykämie (BZ > 10 mmol/1), die Vermeidung einer Azidose und die Hypoxie zu benennen. Ob die Hyperthermiebehandlung zu einer Verbesserung führt, ist bisher nicht erwiesen. Es kann · auch hypothetisiert werden, dass nicht die Hyperthermie eine Hirnschädigung forciert, sondern das Ausmaß der Hirnschädigung mit der Entwicklung und Vehemenz des Fiebers korreliert (28). Nicht vergessen werden darf, dass nahezu jede fiebersenkende Maßnahme eigene Risiken wie Reduktion der körpereigenen Abwehr, renale oder hepatische Funktionseinschränkungen und Senkung des arteriellen Blutdrucks birgt.
Zusammenfassung Der gegenwärtige Therapiestandard nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung umfasst den raschen, innerhalb von spätestens 72 Stunden nach SAB durchzuführenden Verschluss des Aneurysmas mittels operativer oder endovaskulärer Intervention. Welches Verfahren für den Patienten vorteilhafter ist, bedarf eine individuellen Entscheidung durch intensive Diskussion der Operateure und Neuroradiologen. Hier allgemeine Regeln zu formulieren, fällt zurzeit schwer, wenn auch beispielsweise Aneurysmata der A. basilaris eindeutig günstiger durch das Coiling angebbar sind. Die postinterventionelle Therapie beinhaltet die bereits präventive orale Applikation von Nimodipin sowie bei nachweisbarem DIND die Hypertension und ggf. eine moderate Hämodilution. Unbedingt ist auf eine Normovolämie zu achten, die Hypervolämie kann aktuell nicht mehr empfohlen werden. Des Weiteren ist eine Normoglykämie anzustreben. Wenn möglich, sollte der Patient nicht analgosediert werden, um ein DIND anhand neurologischer Zeichen rechtzeitig erkennen zu können. Vielversprechende begleitende medikamentöse Therapieverfahren mit systemischer Applikation von Statinen und ggf. Ebselen sind noch nicht abschließend beurteilbar. 107
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Bildgebende Verfahren in der lntensivmedizin Möglichkeiten und Grenzen S.
G. SAK.KA, F. WAPPLER
1. Vorbemerkung In der Intensivmedizin findet eine bildgebende Diagnostik überwiegend am Krankenbett statt (,,bedside radiology"), da für jegliche stationsferne Diagnostik zwischen dem Transportrisiko und einem neuen und ggfs. behandlungsrelevanten Befund abzuwägen bleibt. Etwa 90 % der radiologischen Untersuchungen in der Intensivmedizin stellen Röntgenaufnahmen des Thorax, des Abdomens und Skelettsystems dar. In zunehmendem Maße werden neben den klassischen Aufnahmen auch Schnittbildverfahren eingesetzt, hier kommt der Sonographie und der Computertomographie {CT) ein wachsender Stellenwert zu. Spezielle Verfahren, wie die Magnetresonanztomographie (MRT) werden allenfalls für selektive neuroradiologische und die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) für angiographische Fragestellungen eingesetzt. In der Regel werden CT, MRT bzw. DSA nur dann durchgeführt, wenn von ihrem Einsatz ein entsprechend hoher diagnostischer Zusatzgewinn erwartet wird und somit das erhöhte Transportrisiko im Interesse des Patienten eingegangen werden kann. Die bildgebende Diagnostik in der Intensivmedizin ist durch folgende Problematik gekennzeichnet: • die Mehrzahl der Patienten ist nicht kooperationsfähig • es bestehen eingeschränkte Aufnahmebedingungen (z. B. Thoraxorgane in liegender oder sitzender Position, Seitaufnahmen) • zusätzliche diagnostische Verfahren wie Schichtaufnahmen, Durchleuchtung oder Projektionen sind bettseitig nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich • die Überlagerung von Strukturen durch potenziell vorhandenes Fremdmaterial (Verbandmaterial, Metallimplantate, Katheter, Sonden und/oder Elektroden) • eine begrenzte gerätetechnische Ausstattung (fahrbares Röntgengerät). Die verschiedenen Punkte unterstreichen, dass gerade in der Intensivmedizin die Interpretation radiologischer Befunde vielfach nur in Kenntnis klinischer Parameter (Flüssigkeitsbilanz, Beatmungstherapie, Entzündungszeichen) möglich ist. Da es schwierig erscheint, einzelne intensivmedizinische Fragestellungen anhand verschiedener bildgebender Verfahren abzuhandeln, werden im Folgenden die diagnostischen Möglichkeiten durch konventionelles Röntgen, Computertomographie und Ultraschallverfahren vorgestellt. In Anbetracht des begrenzten Umfangs können an dieser Stelle nur die wichtigsten Indikationen und Befunde Erwähnung finden.
2. Konventionelle Röntgendiagnostik Das konventionelle Röntgen umfasst im Wesentlichen die Thoraxdiagnostik. Dank auf der Station positionierter fahrbarer Geräte wird relativ rasch eine Diagnostik der Thoraxorgane, d.h. vor allem von Herz und Lungen, möglich. Da trotz technischer Entwicklungen der Strahlenschutz unverändert von Bedeutung ist, bleiben der indikationsgerechte Einsatz und eine gezielte Fragestellung unabdingbar. Durch Thoraxverlaufsserien (im Mittel 39 Röntgenbilder) fand sich eine effektive Dosisbelastung mit einem Krebsrisiko zwischen 0,01 % und 0,07 %, was gegenüber dem Risiko der Grunderkrankung als ver109
nachlässigbar einzustufen ist [1]. Ein täglicher „Routine-Thorax" ist jedoch nicht zu rechtfertigen, es besteht kein Vorteil im Hinblick auf Prognose, Beatmungs- und Intensivbehandlungsdauer im Vergleich zu einer „on-demand" Diagnostik [2].
Digitale Radiographie Die digitale Radiographie hat sich wegen ihrer technischen Vorteile in zunehmendem Maße gerade auf der Intensivstation als Bildaufnahme- und Bilddokumentationssystem durchgesetzt. Vorteile beziehen sich vor allem auf organisatorische Aspekte: bei der konventionellen Radiographie steht pro Exposition lediglich ein Film zur Verfügung, während bei der digitalen Radiographie hingegen pro Film unbegrenzt viele Aufnahmen möglich sind. Die digitale Bildgebung verfügt zudem über den wesentlichen Vorteil, dass die Aufnahmen in mannigfaltiger Art (Kontrast, Zoomen, Invertieren, Abmessen etc.) nachbearbeitet werden und per Netzwerk transferiert werden können. Im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung (Picture Archiving and Communication System, PACS) kann auf dem mobilen Gerät das Röntgenbild unmittelbar aufgerufen und später im entsprechenden Radiologie-Informationssystem (RIS) jederzeit eingesehen werden. Die elektronische Bildgebung und -archivierung ist auf dem Vormarsch und stellt die Zukunft dar.
2.1. Thorax-Röntgenaufnahme am Krankenbett Jede Röntgenaufnahme am Krankenbett auf der Intensivstation stellt einen Kompromiss dar, der sich aus den eingeschränkten Projektionsmöglichkeiten ergibt. Die radiologische Diagnostik insbesondere des Thorax ist durch eine nur geringe Spezifität der Befunde gekennzeichnet. Die Bildgebung sollte standardisiert durchgeführt werden, um einige der möglichen Fehlerquellen auszuschalten, die die radiologische Diagnostik der Lunge in liegender Position kennzeichnen. Eine „gute" Liegendaufnahme gilt immer noch diagnostisch verwertbarer als eine unzureichende Sitzendaufnahme.
Merke: Der „Bett-Thorax" sollte in tiefer Inspiration im anterior-posterioren Strahlengang und „so aufrecht sitzend wie möglich" angefertigt werden. Der Patient sollte nur dann in eine sitzende Position gebracht werden, wenn es sein Allgemeinzustand erlaubt. Für eine adäquate Aussagekraft bedarf es einer ausreichenden Inspirationstiefe. Bei unzureichender Inspirationstiefe erscheinen die beiden Lungenanteile verdichtet, das Herz ist quergelagert und scheinbar vergrößert, das Mediastinum scheinbar verbreitert.
Merke: Für eine ausreichende Inspiration spricht die Abgrenzbarkeit der Zwerchfellkuppe in der Medioklavikularlinie in Höhe der 5. ventralen Rippe. Problematisch sind „verdrehte", d.h. nicht orthograd getroffene Aufnahmen. Zur Bewertung der korrekten Projektion dienen die medialen Enden der Calviculae als vordere, die Dornfortsätze der oberen BWS als hintere Leitstrukturen. Bei einer „verdrehten" Aufnahme erscheint der nach hinten gerichtete Lungenflügel auf der Röntgenaufnahme kleiner und vermehrt strahlendicht, das Mediastinum wirkt verbreitert. Wenn immer möglich, erfolgt die Betrachtung am Einzelbild seitenvergleichend, bei Röntgenbildserien eines Patienten stets im Vergleich mit früher angefertigten Aufnahmen. Initialveränderungen und Prozesse geringer Ausdehnung können dadurch vielfach erst erkannt werden. Die Belichtungsparameter sollten bei Verlaufsaufnahmen eines Patienten übereinstimmen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
2.1.2. Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden Die richtige Lage aller zur Therapie oder diagnostischen Überwachung eingeführten Sonden und Katheter ist Grundvoraussetzung für eine optimale Funktion und Prävention 110
möglicher Schäden. In jedem Fall bleibt das Thoraxübersichtsbild, auch nach erfolgloser Gefäßpunktion, unerlässlich für die Erkennung etwaiger Komplikationen und Fehllagen. Eine Fehlpositionierung von neu eingebrachten Kathetern und Tuben wurde in bis zu 27 % beschrieben, mit einer radiologisch erkennbaren Komplikationsrate von 6 % [3]. Da in der Regel nur Aufnahmen im sagittalen Strahlengang vorliegen, ist die exakte topographische Zuordnung des Fremdmaterials gelegentlich schwierig. Es sollte korrekterweise die Angabe einer Katheterposition „in Projektion auf' eine bestimmte Gefäßstruktur gewählt werden. Ist die korrekte Lage aufgrund einer einzelnen Aufnahme nicht eindeutig zu klären, muss ggfs. eine weitergehende Diagnostik durchgeführt werden. Dazu zählen Aufnahmen in weiteren Untersuchungsebenen, die Darstellung von Kathetern oder Drainagen mit Kontrastmittel sowie die Dokumentation der Kontrastmittelverteilung. Bei Unklarheit müssen Schnittbildverfahren (Sonographie und Computertomographie) zur Bewertung der Lage eingebrachten Materials herangezogen werden.
Endotrachealtubus Bei 12-15% der intubierten Patienten wird auf der Thoraxaufnahme eine Fehllage des Endotrachealtubus gefunden [4]. Ein Großteil der zumeist endobronchial fehlpositionierten oro- bzw. nasotrachealen Tuben wird durch alleinige klinische Untersuchung (Atemgeräusch, Thoraxexkursion) nicht erkannt. Auch kann die Tubuslage bei Manipulationen (z.B. Neufixierung) oder durch Husten verändert sein. Merke: Die Lage des Endotrachealtubus und aller anderen Sonden und Katheter muss auf jeder angefertigten Thoraxaufnahme kontrolliert werden. Der röntgendichte Streifen ermöglicht die Lokalisation der Spitze des Trachealtubus auf der Thoraxaufnahme, welche normalerweise in Bezug auf die Trachealkarina (95 % in Höhe des 5. BWK) angegeben wird. Flexion und Extension von Kopf und Hals können jedoch zu einer Änderung der Lage der Tubusspitze führen, d.h. bei einer Flexion des Halses wird der Tubus bis zu 2 cm distalwärts, durch Extension bis zu 2 cm kranialwärts verlagert. Der Cuff des Tubus sollte das tracheale Lumen ausfüllen, ohne die Trachealwand nach außen vorzuwölben, anderenfalls ist mit Schleimhautschädigungen bis hin zur Ruptur zu rechnen. In ca. 10-20 % der Fälle muss der Tubus nach radiologischer Lagekontrolle, am häufigsten wegen einer einseitigen endobronchialen Intubation, korrigiert werden [5]. Eine schwerwiegende, jedoch sehr seltene Komplikation der Intubation stellt die Ruptur im Bereich des Larynx oder der Trachea (meist im Bereich der Pars rnembranacea) dar. In der Thoraxübersichtsaufnahme muss eine Trachealruptur vermutet werden bei einer Überblähung des Cuffs. Durch Luftaustritt aus der rupturierten Trachea kann es zu Pneumomediastinum, Weichteilemphysem sowie Pneumothorax kommen. Eine CT bei bestehender Trachealperforation ist zu empfehlen zur genauen Lokalisation der Ruptur, zur Beurteilung einer möglichen Infektion im Bereich des Mediastinums bzw. der Halsregion sowie zur Planung eines eventuellen chirurgischen Eingriffes.
Zentralvenöser Katheter (ZVK) Bei der röntgenologischen Lagekontrolle ist darauf zu achten, dass der gesamte intrathorakale Verlauf des Katheters von der Punktionsstelle bis zur Katheterspitze abgebildet ist. Auch bei erfolgloser Punktion ist zum Ausschluss möglicher punktionsassoziierter Komplikationen eine Bildgebung anzufertigen. Um extravasale Katheterfehllagen oder Fehllagen eindeutig zu identifizieren, kann die Darstellung des Katheters mit einem nichtionischen Kontrastmittel (5-10 rnl) erforderlich werden. ZVK-Fehllagen werden in bis zu einem Drittel der Thoraxübersichtsaufnahmen gefunden. Ein über die V. subclavia oder V. jugularis intema eingeführter Katheter sollte mit der Spitze im Bereich der V. cava superior liegen. Im a.p.-Bild sollte sich die Spitze auf einen Bereich zwischen den sternalen Ansätzen der 1.-3. Rippe und nicht tiefer als die Trachealkarina projizieren.
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Die radiologische Beurteilung der verschiedenen Möglichkeiten zentralvenöser Katheterfehllagen setzt die genaue Kenntnis der venösen thorakalen Anatomie voraus [6]. Die häufigste Katheterfehllage bei Anlage eines Katheters über die V. subclavia ist der Verlauf in die ipsilaterale V.jugularis intema (ca. 15 %) [7]. Eine weitere Fehllage nach Punktion der V. jugularis intema ist der Verlauf in die Venen der oberen Extremität. Noch seltener sind Katheterfehllagen im Bereich der V. azygos und der V. thoracica intema zu beobachten, sie sind schwieriger bzw. nur bei Aufnahmen in 2 Ebenen oder nach Kontrastmittelmarkierung zu erkennen. Eine Katheterfehllage mit der Spitze in der V. azygos ist an einer Schleifenbildung in Projektion auf den Einmündungsbereich der V. azygos in die V. cava superior ableitbar [8]. Eindeutig ist eine Fehllage im Bereich der V. azygos auf einer Aufnahme im lateralen Strahlengang durch ihre dorsalwärts gerichtete Position charakterisiert. Eine Katheterlage in der V. thoracica intema kann in der Seitenaufnahme an ihrem retrostemalen Verlauf identifiziert werden. Andere Fehllagen wie im Bereich der V. pericardiophrenica, der V. intercostalis superior links, und der V. thyroidea inferior stellen ausgesprochene Raritäten dar. Die häufigste venöse Gefäßvariante ist eine persistierende linke obere Hohlvene, die in 0,3 % der Bevölkerung und in 4,3 % der Patienten mit angeborenen Herzfehlern zu erwarten ist. Der Katheter verläuft typischerweise bei Punktion der linken V. jugularis interna oder V. subclavia links mediastinal nach kaudal. Die häufigste ZVK-punktionsassoziierte Komplikation ist ein Pneumothorax, am häufigsten nach Punktion der V. subclavia, insbesondere wenn bei dem Patienten ein Lungenemphysem bzw. Bullae verbanden sind.
Cave: Beim Vorliegen eines Pneumothorax kann es zu respiratorischen Problemen und beim Spannungspneumothorax auch zu kardiozirkulatorischen Veränderungen kommen. Bei einer respiratorischen Funktionseinschränkung nach einem Punktionsversuch ist an die Möglichkeit des verspäteten Auftretens eines Pneumothorax zu denken; dies ist noch Stunden bis Tage nach der Punktion möglich [9]. Eine extravasale Katheterfehllage sollte durch Aspirationsversuch aus allen Schenkeln ausgeschlossen werden, da die Lage in Mediastinum oder Pleura zu einem lnfusionsmediastinum mit zunehmender Mediastinalverbreiterung und Pleuraerguss führen kann. Diese Fehllage kann durch eine Extravasation nach Kontrastmittelgabe über den Katheter nachgewiesen werden.
Cave: Es ist stets zu beachten, dass bei mehrlumigen Kathetern auch nur ein Lumen
extravasal gelegen sein kann. Eine repositionsbedürftige Katheterposition ist die im Bereich der V. cava superior rechts wandständige Katheterspitze bei meist über die linke V. subclavia eingeführtem Katheter. Es besteht hier ein erhöhtes Risiko von Endothelschädigungen und Gefäßperforationen meist Stunden bis Tage nach der Anlage. Längere Katheterliegezeiten, Länge des intravasalen Verlaufs, Schleifenbildungen und Infektionen begünstigen die Bildung intravenöser Thrombosen. Nach 2 Wochen werden bei bis zu 73 % Thrombosierungen um den ZVK gefunden. Primäres Verfahren zur Thrombosediagnostik auf der Intensivstation im Bereich der V. subclavia und V. jugularis intema ist die dopplersonographische Untersuchung. Zur exakten Bestimmung der Ausdehnung der Thrombose in Richtung V. cava superior ist eine CT unter i.v.-Kontrastmittelapplikation über beide Arme angezeigt.
Intraaortale Ballonpumpe Die intraaortale Ballonpumpe (IABP) ist im Röntgenthoraxbild während der Diastole als längliche, gasgefüllte Struktur im Bereich der thorakalen Aorta descendens erkennbar. Während der Systole ist der Ballon leer und daher nicht sichtbar. An der Katheterspitze befindet sich eine kleine, röntgendichte Markierung. Merke: Idealerweise liegt die Spitze der IABP unmittelbar distal des Abgangs der linken A. subclavia und kann in der a.p.-Thoraxaufnahme in Projektion auf den Arcus aortae dargestellt werden. 112
Wichtig ist der Ausschluss einer Katheterfehllage: liegt die IABP zu weit proximal im Aortenbogen, besteht die Gefahr eines Verschlusses der linken A. subclavia oder der hirnversorgenden Arterien mit dem Risiko zerebraler Embolien. Eine zu weit distale Fehllage der IABP führt zu ungenügender Funktion und der Gefahr einer Obstruktion von Viszeralarterien. Die häufigste Komplikation ist eine Ischämie der unteren Extremität, die sowohl ipsials auch kontralateral auftreten kann. Zur Abklärung eventueller thromboembolischer Gefäßverschlüsse stehen die Doppleruntersuchung, die Farbduplexsonographie sowie die intraarterielle DSA zur Verfügung. Während der Platzierung einer IABP kann es zu einer Dissektion der Aortenwand oder zu einer Perforation der Aorta kommen. Bei Verdacht auf Aortendissektion oder Aortenruptur ist die transösophageale Echokardiographie (TEE) bzw. die CT-Angiographie zur weiteren Abklärung das Verfahren der Wahl. Pleuradrainagen Pleuradrainagen werden zur Evakuierung von pleuraler Luft oder Flüssigkeit eingeführt. Nach Punktion bzw. Anlage einer Thoraxdrainage sollte zur Lagekontrolle, zum Ausschluss evtl. Komplikationen (z.B. Pneumothorax bei Pleuraergusspunktion) und zur Überprüfung des Therapieerfolges ein Thorax-Röntgenbild in zwei Ebenen angefertigt werden. Die Drainagespitze sollte beim Pneumothorax in der Nähe der Lungenspitze in antero-superiorer Richtung liegen, bei Entlastung pleuraler Flüssigkeit sollte die Drainagespitze postero-inferior zur Darstellung kommen. Abgekapselte Flüssigkeits- oder Luftansammlungen können evtl. atypische Drainagepositionen erfordern. Merke: Es ist besonders darauf zu achten, dass alle Seitenlöcher - diese sind an einer Unterbrechung des Röntgenstreifens erkennbar - intrathorakal liegen.
Eine Fehllage der Drainage muss vermutet werden, wenn in der Kontrollröntgenaufnahme keine Besserung eingetreten ist. Pleuradrainagen können in Interlobien, im Lungenparenchym sowie extrapleural im Bereich der Thoraxweichteile liegen. Zur genauen Lokalisation der Thoraxdrainage können, wenn die Drainagefunktion ungenügend ist, zusätzliche Seiten- oder Schrägaufnahmen bzw. eine CT, indiziert sein. Des Weiteren können auch Koagel, die via Thoraxsaugdrainage nicht entfernt werden können, oder gekammerte Ergüsse für den fehlenden Therapieerfolg verantwortlich sein. Eine Drainagelage innerhalb des Lungengewebes führt zum Parenchymdefekt, zu Hämatombildung und bronchopleuraler Fistelbildung. Im Einzelfall kann bei unklarer projektionsradiographischer Lage der Thoraxdrainage eine Thorax-CT erforderlich sein, sie erlaubt zwischen einer Lage im Bereich der Interlobien oder innerhalb des Lungenparenchyms zu differenzieren. Ernährungssonden Eine Fehlpositionierung von Magen-, Duodenal- oder Jejunalsonden, die in der Intensivmedizin zumeist klinisch oder endoskopisch kontrolliert platziert werden, ist nicht selten und wird häufig nicht erkannt. Daher sollte nach dem Einführen einer neuen Ernährungssonde und bei unklarer Position eine Thoraxübersichtsaufnahme angefertigt werden. Das Auffinden der Ernährungssonde wird durch einen röntgendichten Streifen erleichtert. Es muss jedoch beachtet werden, dass diese, bei unterexponierten Aufnahmen und bei nur wenig röntgendichten Ernährungssonden, nicht oder nur sehr schlecht sichtbar sind; hier kann Kontrastmittel über die Sonde verabreicht werden. Üblicherweise besitzen die Ernährungs- und Ablaufsonden Seitenlöcher im Bereich der distalen 10 cm; die Spitze sollte also zumindest 10 cm distal des gastroösophagealen Übergangs liegen. Die Ernährungssonde kann versehentlich in das Tracheobronchialsystem gelangen und zu Pneumonien, zur Perforation und zu einem Pneumothorax führen. Eine Ösophagusperforation ist eine sehr seltene Komplikation im Rahmen der Platzierung einer Ernährungssonde. Sie kann zu einer Mediastinalverbreiterung und zu einem Pneumomediastinum führen. Transvenöser Herzschrittmacher Bei Intensivpatienten werden meist transvenös über die V. subclavia oder die V. jugularis interna eingeführte Schrittmachersonden verwendet. Die Schrittmachersonde wird in der 113
Regel unter EKG-Kontrolle in die Spitze des rechten Ventrikels platziert und in den Trabekeln positioniert, so dass sie engen Kontakt zum Endokard besitzt. Im a.-p.-Bild projiziert sich die Spitze der Sonde auf den Boden des rechten Ventrikels, etwas medial vom linken Herzrand. In der Seitenaufnahme sollte die Schrittmachersonde nach ventral verlaufen. Eine Lage im Sinus coronarius ist nur im Seitenbild an einem nach dorsal gerichtetem Verlauf zu erkennen. Weitere, meist schon durch gestörte Erregungsübertragung erkennbare Fehllagen sind die in der V. cava superior oder inferior, im rechten Vorhof, Truncus pulmonalis oder den Pulmonalarterien. Myokardperforationen können schwer zu erkennen sein, wenn sich die Spitze der Schrittmachersonde nicht eindeutig außerhalb des Myokards oder des epikardialen Fettstreifens projiziert. In seltenen Fällen kommt es zu einem Hämotoperikard mit Herzbeuteltarnponade.
Pneumothorax Das Auftreten eines Pneumothorax auf einer Intensivstation, insbesondere bei beatmeten Patienten, ist kein seltenes Ereignis: Die Häufigkeit unter positiver Druckbeatmung wird mit 5-15 % angegeben. Die Ursachen eines Pneumothorax bei Intensivpatienten sind häufig iatrogen, durch ein Barotrauma oder Komplikationen im Rahmen der Anlage eines zentralvenösen Katheters bedingt. Seltene Ursachen sind ein penetrierendes oder stumpfes Thoraxtrauma oder ein Mediastinalemphysem mit sekundärer Entwicklung eines Pneumothorax. Ursächlich können auch Rippenfrakturen nach Herz-Druckmassage, die Punktion eines Pleuraergusses oder intraoperative Lungenverletzungen verantwortlich sem. Die direkten Röntgenzeichen eines Pneumothorax sind der Nachweis der abgehobenen Pleura viszeralis als scharf abgrenzbare Linie zwischen Lunge und lufthaltigem Pleuraraum und die fehlende Darstellung von peripheren Lungengefäßen im Pneumothoraxspalt. Beim stehenden Patienten verteilt sich die pleurale Luft entsprechend der Schwerkraft mehr in die kranialen Pleuraabschnitte. Eine Aufnahme in Exspiration erhöht die Nachweisrate. Beim liegenden Patienten, wie es auf einer Intensivstation meist der Fall ist, findet man die klassischen Zeichen des Pneumothorax nur bei größerer intrapleuraler Luftansammlung und erhaltener Lungenelastizität. Für eine derartige Darstellung im Röntgenbild ist eine maximal aufgerichtete Patientenposition von besonderer Bedeutung. Häufiger verteilt sich in der liegenden Position die Luft vorwiegend in den ventralen und basalen Pleuraabschnitten. Ein sog. ,,deep sulcus sign", das einen besonders tief stehenden Recessus phrenicocostalis andeutet, kann auf einen Pneumothorax hinweisen. Eine ,,aufgehellte" Lunge kann ebenfalls Hinweis auf einen Pneumothorax sein.
Cave: Auf der a.-p.-Thoraxaufnahme können ventral gelegene Luftansammlungen dem direkten Nachweis entgehen. Die aussagekräftigste Methode bei der klinischen Verdachtsdiagnose eines verborgenen Pneumothorax ist die Computertomographie [10]. Vorsicht ist geboten, um die Fehlinterpretation von Hautfalten besonders bei älteren und kachektischen Patienten zu vermeiden: Diese laufen typischerweise über die Thoraxwand hinaus, sind oft bilateral oder multipel, verschwinden plötzlich und lassen durchziehende Gefäßstrukturen erkennen. Ebenso sprechen eine unscharfe Begrenzung, ein begleitender Weichteilschatten und die nicht parallele Ausrichtung zur Thoraxwand für das Vorliegen einer Hautfalte. Gegebenenfalls muss eine Wiederholungsaufnahme unter kontrollierten Aufnahmebedingungen oder eine CT angefertigt werden. Intra- und extrathorakale Luftansammlungen, verursacht durch zystische Lungenveränderungen (Zysten, Emphysembullae), Luftansammlungen im Mediastinum, im Perikard oder in den Thoraxweichteilen, intrathorakale Hernien und externe Fremdkörper können ebenfalls zu einer Verwechslung mit einem Pneumothorax führen. 114
Beim Spannungspneumothorax bestehen folgende radiologische Leitsymptome: • Verlagerung der Mediastinalstrukturen zur Gegenseite mit Verlagerung der Trachea • Hemiation der kollabierten bzw. retrahierten Lunge in das Mediastinum • Kaudalverlagerung des Zwerchfells • Kaudalverlagerung und Verbreiterung des lateralen Recessus phrenicocostalis. Sicherstes und häufig einziges Spannungszeichen im Röntgenbild sind Kaudalverlagerung und Abflachung des Zwerchfells auf der betroffenen Seite. Bei höheren Druckwerten verläuft die Zwerchfellkontur in kaudalwärts gerichteter Konvexität mit stumpfwinkliger breiter Öffnung des lateralen Sinus (,,deep sulcus sign"). Cave: Die Röntgenzeichen eines Spannungspneumothorax können bei Vorliegen bilateraler diffuser Lungenveränderungen (z.B. ARDS) nur sehr diskret ausgebildet sein.
Bei mit Positivdruck beatmeten Patienten führt fast jeder Pneumothorax zu einem Spannungspneumothorax, auch wenn er klein und durch pleurale Adhäsionen abgekapselt erscheint. Atypische Lokalisationen des Pneumothorax Aufgrund der meist liegenden Patientenposition auf der Intensivstation sammelt sich die freie pleurale Luft meist ventral und subpulmonal und führt somit häufig zu atypischen Lokalisationen des Pneumothorax. Am liegenden Patienten sammelt sich ein Pneumothorax bevorzugt anterior entlang der vorderen Thoraxwand bzw. das anteriore Mediastinium umgebend an. Es kommt zu einer deutlichen Demarkierung thorakaler Grenzflächen in Abhängigkeit von der Lokalisation der freien pleuralen Luft (indirekte Pneumothoraxzeichen). Pneumomediastinum Neben den für die Pneumothoraxentstehung bereits angeführten Ursachen kommen für das Pneumomediastinum folgende Mechanismen ergänzend in Frage: • Ösophagusläsionen durch Sonden, Endoskopie, Dilatation bzw. Bougierungen, verschluckte Fremdkörper • Ösophagotrachealfistel, Boerhaave- oder Mallory-Weiss-Syndrom, • Z.n. Ösophaguschirurgie • selten: Tumoren und Entzündungen
Ein Mediastinalemphysem darf postoperativ bis zu 2 Wochen nach Thoraxeingriffen nachweisbar sein. Lufteinschlüsse im Perikard (Pneumoperikard) sind Folge einer penetrierenden Verletzung oder einer Operation mit Perikarderöffnung. Die mediastinal gelegene Luft verteilt sich entlang der Mediastinalfaszien, des Perikards, der Mediastinalgefäße, Trachea, Bronchien und des Zwerchfells. Dadurch werden normalerweise unsichtbare Mediastinalstrukturen sichtbar. Dies führt im Thoraxbild zu streifenförmigen, in kraniokaudaler Richtung verlaufenden mediastinalen Luftaufhellungen. Differenzialdiagnostisch kann manchmal die Unterscheidung eines medialen Pneumothorax von einem Mediastinalemphysem schwierig sein. Ein Weichteilemphysem der Thoraxwand oder des Halses ist ein häufiger Begleitbefund des Mediastinalemphysems, eine Ausbreitung der mediastinalen Luft bis in das Retroperitoneum und Peritoneum ist möglich. In Zweifelsfällen ist der Luftgehalt im Mediastinum retrostemal durch ein CT gut darstellbar. Interstitielles Emphysem Intrapulmonale, extraalveoläre Luftansammlungen stellen eine ernste Komplikation beim beatmungspflichtigen Intensivpatienten dar. Erhöhter intraalveolärer Druck infolge Überdruckbeatmung führt zur Ruptur der Alveolarwand, Luft breitet sich im Interstitium entlang dem broncho-vaskulären Bündel und der interlobulären Septen aus [11]. Ein inter-
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stitielles Emphysem kann sich nach peripher bis zum Pneumothorax und nach zentral bis zum Pneumomediastinum ausweiten. Die Ruptur subpleuraler Alveolen führt direkt zum Pneumothorax ohne Nachweis einer interstitiellen Emphysems. Wegweisend sind irregulär angeordnete Luftbläschen von bis zu 5 mm Durchmesser, seltener streifenförmige Luftansammlungen entlang der kleinen Gefäße und Bronchusstrukturen sowie subpleural gelegene Luft. Man erkennt lufthaltige, vom Hilus nach peripher ziehende Aufhellungsstreifen, die im Gegensatz zum Luftbronchograrnm keine Verzweigungen oder eine regelmäßige, peripherwärts gerichtete Kaliberabnahme aufweisen. Ringförmige, perivaskuläre Aufhellungen, sog. ,,Halos" sind selten, aber typisch und entstehen durch Luft im perivaskulären Interstitium. Im Verlauf können vorbestehende Konsolidierungen bei Ausbildung eines interstitiellen Emphysems transparenter erscheinen. Hier ist Vorsicht vor einer Fehlinterpretation einer scheinbaren Befundbesserung geboten. Pleuraerguss Pleurale Flüssigkeitsansammlungen sind in der lntensivmedizin häufige Begleitbefunde. Nach abdominellen Operationen werden bei bis zu 50% der Patienten pleurale Ergüsse nachgewiesen, die jedoch keiner speziellen Behandlung bedürfen. Nach Thoraxeingriffen kommt es beinahe bei allen Patienten zur Ausbildung von Pleuraergüssen, z.T. mit hämorrhagischer Komponente. In der Regel werden diese Patienten bereits intraoperativ mit Thoraxdrainagen versorgt. Beim liegenden Patienten kommt es bei nicht obliteriertem Pleuraspalt zu einer flächigen dorsalen Verteilung des Pleuraergusses, wobei das Anheben des Oberkörpers eine mehr kaudale Umverteilung bedingt. Bei einseitigem Pleuraerguss ist die betroffene Thoraxseite im Vergleich zur gesunden Seite transparenzgemindert, bei beidseitgem Erguss müssen zur Diagnosestellung weitere Röntgenzeichen wie die homogene, nach kranial abnehmende Transparenzminderung einer Lungenhälfte, die unscharfe oder fehlende Begrenzung des Zwerchfells, die Verbreiterung des Pleuraraums lateral und apikal sowie die Flüssigkeitsmarkierung der Interlobärspalten hinzutreten. Merke: Beim liegenden Patienten ist eine Ergussmenge von 200-500 ml notwendig, um eine sichtbare Verschattung im Thorax-Röntgenbild zu verursachen.
Bei großen Ergüssen steigt die charakteristische homogene Verschattung weiter nach kranial, überlagert und verdeckt die Konturen von Zwerchfell und Mediastinum bzw. Herzrand und kann zur Totalverschattung einer Thoraxhälfte mit Verdrängung des Mediastinums zur Gegenseite führen (sog. ,,expansiver Pleuraerguss"). Einen Interlobärerguss erkennt man im a.-p.-Bild an elliptischen oder runden, in der Seitenaufnahme spindelförmigen Verschattungen im Verlauf der Interlobärspalten. Abgekapselte Pleuraergüsse entstehen bei Adhäsionen zwischen viszeraler und parietaler Pleura. In der Thoraxübersichtsaufnahrne sieht man bei tangentialer Projektion eine halbkugelige, der Pleura parietalis breitbasig aufsitzende Verschattung. Der Nachweis, die Bestimmung der Ausdehnung sowie der optimalen Punktionsstelle bei abgekapselten Pleuraergüssen ist eine Indikation für die Sonographie der Pleura, ggfs. ist eine CT indiziert. Dabei besteht gleich die Option zur computergestützten Punktion bzw. Drainageanlage. Atelektase Pulmonale Belüftungsstörungen sind im Intensivbereich sehr häufig. Bedingt durch Schwerkraft und eingeschränkte Atembewegungen liegen v.a. dorsobasal hypoventilierte Areale vor. Atelektasen finden sich in 20-30 % nach Oberbauchoperationen, 5 % nach Unterbaucheingriffen und >90 % nach Thoraxoperationen. Man unterscheidet Dystelektasen (v.a. im Mittel- und Unterfeld), d.h. Minderbelüftung von Subsegmentbereichen, von Lappen-/ Totalatelektasen, d.h. der Minderbelüftung eines ganzen Lappens (zumeist des Unterlappens). Durch die fehlende Belüftung kommt es zur Volumenminderung des 116
Lungenabschnitts, so dass eine Atelektase auch durch indirekte Zeichen (Zwerchfellhochstand, Mediastinalverlagerung zur betroffenen Seite, Überblähung der kontralateralen Lungenabschnitte) diagnostiziert werden kann. Es kann unmöglich sein, eine lobäre Atelektase von einer Lobärpneumonie zu unterscheiden.
Pneumonie Eine Pneumonie ist eine relativ häufige Diagnose in der Intensivmedizin. Der radiologische Befund einer nosokomialen Pneumonie besteht in pulmonalen Infiltraten, es liegen alveoläre Konsolidierungen und ein positives Bronchopneumogramm vor. Eine Bronchopneumonie zeigt sich radiologisch als unscharf begrenzte, konfluierende Verdichtungsareale auf Subsegment- oder Segmentniveau. Eine ambulant erworbene Pneumonie (S . aureus, H. influenzae) ist gekennzeichnet durch eine Beteiligung ganzer Lappen (Lobärpneumonie).
Wichtig: Einschmelzende Prozesse bei einer Pneumonie sollten unbedingt mittels einer Computertomographie abgeklärt werden. Lungenödem und ARDS Das Lungenödem ist definiert als pathologische Ansammlung von Flüssigkeit im Lungenparenchym. Ein Lungenödem entwickelt sich immer dann, wenn das Gleichgewicht zwischen Transsudation und Resorption gestört ist.
Merke: Es werden 2 Klassen von Lungenödemen unterschieden, das sog. kardiale (,,hydrostatische") Ödem und das nicht kardiale (,,Permeabilitätsödem") beim ARDS. Bei Dysfunktion des Kapillarendothels kommt es zum Austritt von Flüssigkeit aus den Kapillaren ins Interstitium (hydrostatisches Ödem oder Permeabilitätsödem ohne Alveolarschädigung). Das Wasser bleibt im Interstitium solange das Alveolarepithel intakt ist. Erst wenn das Alveolarepithel ebenfalls Permeabilitätsstörungen zeigt, kommt es zum Übertritt in die Lufträume der Alveolen. Eine CT-Untersuchung kann im Vergleich zum Röntgenbild wesentlich mehr Aufschluss liefern zur Differenzierung zwischen kardialem Ödem, ARDS und atypischen pulmonalen Infektionen.
2.2. Abdomenaufnahme am Krankenbett Zur Gewährleistung einer reproduzierbaren Aufnahmetechnik bei der konventionellen Übersichtsradiographie des Abdomens wird die Untersuchung in 2 Ebenen durchgeführt. Vor der Aufnahme sollten die Patienten 15 bis 30 Minuten in Linksseitenlage gelagert werden. Es wird jeweils ein Röntgenbild in Rücken- und Linksseitenlage angefertigt. Eine Ausnahme stellt lediglich die Untersuchung bei Kindern dar, hier kann je nach Fragestellung nur eine Ebene angefertigt werden. Die Aufnahme dient dem Nachweis von Spiegelbildungen, der Beurteilung der intraluminalen Gasverteilung, einer freien Perforation und atypischer Gasansammlungen (z.B. Pneumatosis, Aerobilie).
3. Computertomographie (CT) Aktueller Standard der Computertomographietechnik stellt heute das sog. Spiral-CT dar, welches die Untersuchung von z.B. Thorax und Abdomen, in einer Atemstillstandphase (ca. 30 s) ermöglicht. Diese Scantechnik hat neben der Tatsache, dass die Untersuchung sehr schnell und damit nur wenig belastend für den Patienten ist, den Vorteil, dass ein Kontrastmittelbolus optimiert ausgenutzt werden kann. Mit Hilfe der Dichtehestimmung in Houndsfield-Einheiten (HE) können Blutungen, Flüssigkeitsansammlungen und Luft 117
voneinander differenziert werden. Die Spiral-CT hat andere diagnostische Methoden bei der Untersuchung eines Aortenaneurysmas, einer Aortendissektion oder einer Lungenarterienembolie verdrängt. Die CT ist auch zur Untersuchung des Venensystems (z.B. Subclavia- oder Jugularisthrombose) geeignet. Die Wahl der Scanparameter (Schichtdicke, Tischvorschub und Rekonstruktionsabstand) ist abhängig von der Fragestellung und der notwendigen Ortsauflösung in allen 3 Raumebenen. Während die Routine-CT einer standardisierten Technik folgt, ist bei einer Notfallsituation die Untersuchung der klinischen Fragestellung anzupassen. Es muss im Einzelfall geklärt werden, ob eine Nativserie erforderlich ist (zumeist bei Frage nach Blutung) und ob eine zusätzliche Kontrastierung des Gastrointestinaltraktes oder Markierung von z.B. Harnblase oder Rektum erfolgen soll. Multislice-Computertomographie Mit Einführung der Multislice-CT 1998 wurde es erstmals möglich, gleichzeitig 4 Schichten zu erfassen (,,4-Zeilen-Scanner") und so entweder dünne Schichten zur Datenerfassung heranzuziehen oder den Untersuchungsbereich schneller abzubilden. Besonders beim Notfallpatienten Jassen sich somit Thorax und Abdomen mit hoher Auflösung gemeinsam untersuchen. Dank der neuesten CT-Generation (16-Detektor-Zeilen) Jassen sich bei höchster Auflösung Thorax oder Abdomen in weniger als 10 sec untersuchen. Mit der Multislice-CT wird die CT-Angiographie ein Routineverfahren für die Darstellung fast aller Gefäßregionen (Ausnahmen: A. spinalis anterior, mikroangiopathische Veränderungen). Merke: Intensiv- oder Notfallpatienten sollten mittels Spiral-CT, idealerweise mit Hilfe moderner Multislice-Scanner, untersucht werden. Subsegmentale Lungenembolien lassen sich durch Multislice-Scanner im Vergleich zu Einzelscannern sicher und regelhaft nachweisen. Entsprechend der Fragestellung sollte mit dem Radiologen die Indikation zur Kontrastmittelgabe besprochen werden.
Heutzutage stehen fahrbare CT-Geräte für den Einsatz auf der Intensivstation zur Verfügung. Eine Auswertung zum Einsatz eines solchen Systems erbrachte, dass in 97 % eine Schädel- gefolgt von Thorax- und Abdomen-CT durchgeführt wurde. Als Gründe für die bettseitige Diagnostik wurden die Schwere der Erkrankung (77 %), extrakorporale Verfahren (93 %) und eine kardiovaskuläre (70 %) bzw. respiratorische Instabilität (57 %) benannt. Die Autoren dieser Arbeit beschreiben die mobile CT-Diagnostik als eine alternative und potentiell sichere Möglichkeit der Bildgebung [12].
3.1. Thorakale und abdominelle Computertomographie
Indikationen für den Einsatz der CT zur Thoraxdiagnostik beinhalten die Differenzierung sämtlicher Prozesse, die sich überlagern und potenziell gegenseitig maskieren und im Röntgenbild zu einer pulmonalen Verschattung führen. Beim Intensivpatienten bestehen als Gründe hierfür möglicherweise multiple Befunde, wie Atelektasen, Pneumonie, Aspiration, kardiales Lungenödem, ARDS und Pleuraerüsse. Die Überlegenheit der CTDiagnostik wird hier offensichtlich, da das konventionelle Röntgenbild beim Intensivpatienten in nur 50 % eine korrekte Diagnose einer Pneumonie erlaubt [13]. Merke: Die Computertomographie erlaubt die Differenzierung zwischen pleuralen und pulmonalen Prozessen, z.B. zwischen Lungenabszess und Pleuraempyem.
Vielfach wird eine CT-Diagnostik nicht zum Nachweis sondern Ausschluss (z.B. Infektquelle bei unklarem Fieber) indiziert. Mediastinale Prozesse sind klare Indikationen für eine Cf-Bildgebung: Halsabszesse, Ösophagusperforation, mediastinales Hämatom oder eine Gefäßruptur. Die CT-Diagnostik stellt das Goldstandard-Verfahren zum Nachweis 118
einer Lungenarterienembolie dar. Die Spiral-Cf kann sowohl akute Embolien als auch organisierte Thromben mit einer Sensitivität und Spezifität von je >90 % bis auf Segmentebene nachweisen. Durch die Kontrastmittelaussparung gelingt mit diesem Verfahren im Vergleich zu anderen der direkte Thrombusnachweis. Eine abdominelle CT sollte bei sonographisch nicht adäquat zu untersuchendem Patienten (Meteorismus, Verbände, eingeschränkte Lagerungsmöglichkeit u.a.) und klinischer Fragestellung mittels CT erfolgen. Freie intraabdominelle Luft, intestinale Ischämie, eine akute Cholezystitis (kalkulös oder nicht-kalkulös), Flüssigkeitsareale, Hämatome und Abszesse (z.T. intraparenchymatös) und Blutungen zählen zu den Indikationen einer CT [14,15]. In der Diagnostik und Verlaufsbeobachtung einer akuten Pankreatitis (CTSchwere-Score) bleibt die Computertomographie das Verfahren der Wahl [16].
3.2. Computertomographie in der Neuroradiologie Die CT stellt die am schnellsten verfügbare und für die Akutsituation meistens ausreichende Untersuchung zur Bewertung von Schädel und Wirbelsäule dar. Die Indikationen für eine CT beinhalten im Wesentlichen: Trauma, ischämischer Infarkt, Blutungen, postoperative Kontrollen und (seltener) entzündliche Prozesse (z.B. Hirnabszesse). Spezielle Fragestellungen (z.B. Scherverletzungen, Hirnstammpathologien) können nur unzureichend mittels Cf-Diagnostik beantwortet werden und bedürfen der Magnetresonanztomographie. Die wesentlichen Probleme liegen in der unzureichenden Zugänglichkeit der Patienten während der Untersuchung: alle Gefäßzugänge, Atemwegsbrücken, Sonden, und Monitoringsysteme müssen entsprechend gesichert und funktionstüchtig gehalten werden.
4. Ultraschall Der Ultraschall als nicht auf ionisierender Strahlung beruhendes Verfahren hat sich zu einem unverzichtbaren Instrument im Management kritisch kranker Patienten entwickelt. Ultraschallgeräte in der Intensivmedizin unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den „Routine-Geräten", das heißt es handelt sich um sog. Realtime-Geräte mit Sektortechnik und einem 3- bis 3,5-MHz-Schallkopf als Minimalausstattung. Zudem sollte eine Duplexfunktion vorliegen, weil diese Technik zur nicht-invasiven Beurteilung der Durchblutung von Organen, Herzhöhlen und Gefäßen zum Standard zählt. Hochfrequentere Schallköpfe (5-10 MHz) sind angebracht in der pädiatrischen Intensivmedizin sowie bei Erwachsenen zur Beurteilung von oberflächennahen Prozessen (bis 5 cm Eindringtiefe). Die Bilddokumentation erfolgt über einen Direktdruck (relativ teuer) oder Videoprinter. Eine evtl. sinnvolle Zusatzausstattung umfasst einen Punktionsschallkopf für interventionelle Maßnahmen wie Punktionen und Drainagen. Die Sicherheit und breite Verfügbarkeit des Verfahrens ermöglichen bettseitig eine rasche und detaillierte Information über das kardiovaskuläre System (Echokardiographie) sowie die Anatomie und Funktion anderer innerer Organe [17,18]. Ein wesentlicher Vorteil des Verfahrens ist, dass die Untersuchung ohne einen potenziell gefährdenden Transport auf der Intensivstation erfolgen kann. Insbesondere die transösophageale Echokardiographie (TEE) stellt ein wichtiges Verfahren in der Intensivmedizin dar.
4.1. Echokardiographie Indikationen zur Durchführung einer transösophagealen Echokardiographie (TEE) beim nicht-kardiochirurgischen Patienten stellen dar:
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Indikation
Wertung
Hämodynamisch instabiler Patient, intra- und postoperativ
Klasse 1
lntensivpatient mit vermuteter Klappenpathologie oder Thrombembolie
Klasse 1
Erhöhtes Risiko für perioperative Myokardischämie
Klasse 2
Erhöhtes Risiko für hämodynamische Instabilität
Klasse 2
Thoraxtrauma, Verdacht auf Herzkontusion
Klasse 2
Nicht-kardiochirurgischer Eingriff bei Endokarditis
Klasse 3
Echokardiographische Kontrolle nach Aortenruptur
Klasse 3
Intraoperative Beurteilung von Pleura und Lunge
Klasse 3
Lagekontrolle zentralvenöser/ pulmonalarterieller Katheter
Klasse 3
* Wertung durch die American Society of Anesthesiologists. Klasse !-Indikation: nach heutigem Wissensstand sinnvolle Indikation mit wahrscheinlich positivem Einfluss auf das Patientenoutcome. Klasse 2-Indikation: mögliche Indikation ohne gesicherten positiven Einfluss auf das Patientenoutcome. Klasse 3-Indikation: wenig belegte Indikation mit unklarem Einfluss auf das Patientenoutcome. Tab. 1: Mögliche Indikationen für die perioperative TEE beim nicht-kardiochirurgischen Patienten*. Modifiziert aus [19].
Als absolute Kontraindikationen einer transösophagealen Echokardiographie gelten ösophageale Pathologien (Strikturen, Tumore, Ösophagusdivertikel, Mallory-Weiss Läsion), eine unabgeklärte Dysphagie oder Odynophagie und die Instabilität der Halswirbelsäule. Zu den relativen Kontraindikationen zählen Ösophagusvarizen, eine stattgehabte Ösophagus- oder Magenoperation, eine obere gastrointestinale Blutung und Erkrankungen des atlanto-axialen Gelenks. Merke: Die TEE gilt als ein sicheres Verfahren, die Rate lebensbedrohlicher Komplikationen (Herzstillstand und respiratorisches Versagen) wird in der Literatur mit 0,4 % beschrieben [20]. Zu den allgemeinen Komplikationen der TEE zählen Blutdruckschwankungen (0,8 %), selbst-limitierende diffuse orale Schleimhautblutungen (0,7 %) und vor allem atriale Arrhythmien (0,2 %). Als eine mögliche Alternative beim kritisch Kranken bleibt die schneller einsetzbare und weniger invasive transthorakale Echokardiographie (TTE). Transthorakale Echokardiographie (TTE)
Transösophageale Echokardiographie (TEE)
Generelles Screening
Unzureichende Visualisierung durch TIE
Bewertung der Hämodynamik
Hämodynamische Instabilität Unerklärbare Hypoxämie Bauchlagerung
Ausschluss einer Perikardtamponade
Perikardtamponade (lokal) Nach herzchirurgischem Eingriff- komplizierter Verlauf
Akute Rechtsherzbelastung (Lungenarterienembolie)
Akute Rechtsherzbelastung mit Hypoxämie, hämodynamische Instabilität, Lungenarterienembolie
Thoraxtrauma (Patient nicht beatmet)
Thoraxtrauma (Patient beatmet) und Verdacht auf Aortenverletzung
Kontraindikationen für eine TEE
Diagnose/ Ausschluss einer thorakalen Aortendissektion, Endokarditis, kardiale oder aortale Emboliequelle Platzierung eines zentralen Venenkatheters, Pulmonaliskatheters, Kanülierungen
In Abhängigkeit von der Qualität der Visualisierung: • maschinell beatmeter Patient • Komplikationen eines Myokardinfarktes • Evaluation eines potentiellen Organspenders Tab. 2: Indikationen für die transthorakale und transösophageale Echokardiographie. Modifiziert aus [20) .
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4.2. Nicht-kardiale Ultraschalldiagnostik Weitere Indikationen zum bettseitigen Einsatz des Ultraschalls in der Intensivmedizin stellen dar: • Beurteilung parenchymatöser Organe in Thorax und Abdomen • Bewertung von Ausmaß und Lokalisation von pleuraler und abdomineller Flüssigkeit • Platzierung zentraler Venenkatheter (z.B. V. jugularis interna, V. femoralis) • Platzierung arterieller Zugänge (z.B . A. axillaris, A. femoralis) • lntra-aortale Ballonpumpe (IABP) • Harnstauung, Nierenperfusion, Füllungszustand der Harnblase • Fokussierte Erfassung beim Traumapatienten (FAST) • Neurosonographie • Kranielle Dopplersonografie im Rahmen der Hirntoddiagnostik zum Nachweis von Pendelflüssen Zusätzlich kann die Duplexsonografie zum Nachweis einer arteriovenösen Fistel nach Punktion benutzt werden. Da die Bildgebung des Thorax eine besondere Bedeutung hat, stellt neben der Echokardiographie die Sonographie des Thorax einen wesentlichen Aspekt dar. Sowohl Pleuraerguss als auch Pneumothorax können in kurzer Zeit zu einer sich rasch entwickelnden respiratorischen Insuffizienz führen. Daher bedarf es umgehend der korrekten Diagnose, die in den meisten Fällen zunächst anhand eines Thorax-Röntgenbildes erfolgt. Die meisten Pleuraergüsse in der lntensivmedizin sind von geringem Ausmaß, die nicht unbedingt die Anlage einer Drainage erfordern, sondern auch punktiert werden können. Eine Drainage ist bei einer respiratorischen Insuffizienz angezeigt. Es bleibt zu beachten, dass vor allem nach einem Trauma große hämorrhagische Ergüsse vorliegen können. Bei Koageln kann eine Thorakotomie indiziert sein (CT-Befund). Das Röntgenbild verfügt beim auf dem Rücken liegenden Patienten nur über eine begrenzte Aussagekraft (40-60 % Sensitivität) und erlaubt keine sichere Differenzierung zwischen pleuralen und parenchymatösen Verschattungen.
Merke: Der Ultraschall bietet eine hohe Sensitivität (100 %) und Spezifität (90 %) beim Nachweis eines Pleuraergusses. Neben der Quantifizierung eines Ergusses erlaubt die Sonographie die Lokalisation, Beurteilung der Binnenstruktur und Kompression der anliegenden Lungenabschnitte. Atelektatische Lungenareale ohne jegliche Belüftung zeigen sonographisch das Bild von Gewebe (Hepatisation). Teilweise belüftete Lungenabschnitte sind durch multiple echoreiche Punkte und ein Bronchopneumograrnm charakterisiert. Die Platzierung eines zentralen Venenkatheters sollte stets ultraschallgestützt erfolgen [21]. Die Empfehlungen des britischen National Institute for Clinical Excellence (NICE) lauten, dass eine 2D-Ultraschalluntersuchung eingesetzt werden sollte als zu bevorzugendes Instrument bei der Anlage eines V. jugularis interna Katheters bei Erwachsenen und Kindern in elektiven Situationen. Die Sonographie sollte generell in den meisten klinischen Situationen, ob elektiv oder Notfall, herangezogen werden. Eine adäquate Ausbildung des Anwenders wird in diesem Rahmen ausdrücklich gefordert. Eine akustischgeführte Doppler-basierte Punktion und Platzierung wird nicht empfohlen. Eine 2DDarstellung ist in der Tat mit einer höheren Erfolgsrate und geringeren Komplikationen, vor allem bei Patienten mit einem BMl>30 kg/m2 , verbunden [22]. Der Einsatz des Ultraschalls zur Platzierung von Gefäßzugängen führt zu einer Reduktion weiterer radiologischer Bildgebung [23]. Die Platzierung eines zentralen Venenkatheters bei maschinell beatmeten Patienten führt in 4-15 % zu einem Pneumothorax. Besonders häufig tritt diese Komplikation bei Patienten mit einem ARDS auf, die Gefahr eines Spannungspneumothorax ist hier besonders hoch ist (60-96 %). Ungefähr die Hälfte der Fälle mit einem ventralen Pneumothorax 121
beim Patienten in Rückenlage wird dieser nicht zeitnah mit Hilfe eines Röntgenbildes diagnostiziert. Ein Pneumothorax kann bettseitig sonographisch durch das Auslöschen des Ultraschallsignals erkannt werden. Im Vergleich zum Röntgenbild beträgt die Sensitivität >95 % und ist damit deutlich überlegen (28-60 %) [24]. Die sonographisch erfassbare Binnenstruktur des Lungengewebes erlaubt zudem eine Aussage bezüglich infiltrativer Prozesse und des Ausmaßes eines Lungenödems [24]. Der Routineeinsatz der Thorax-Sonographie ist mit einer signifikanten Reduktion von Röntgenaufnahmen und CT's assoziiert [25]. Wichtig: Vor allem eine Seitenlage des Patienten kann die Einsicht in bestimmte Lungenabschnitte erschweren. Postoperative Bedingungen, Wundverbände und Drainagen können die Visualisierung ebenfalls beeinträchtigen . Intrathorakale und intraabdominelle Aüssigkeitsareale und Abszesse lassen sich sonographisch sowohl nachweisen als auch ggfs. in einer Sitzung gezielt durch die Einbringung geeigneter Drainagen entlasten [26]. Schwierig zugängliche Lokalisationen sollten allerdings einer Cf-gestützten Punktion vorbehalten bleiben. Die Perikardpunktion wird klassisch unter Zuhilfenahme der transthorakalen Echokardiographie durchgeführt. Die Sonographie sollte in der Planung und Durchführung einer perkutan-dilatativen Tracheotomie berücksichtigt werden. In Anbetracht des Ultraschallbefundes wurde vor Durchführung der Maßnahme die Punktionsstelle der Trachea bei 24 % geändert und bei einem der 72 untersuchten Patienten wurde aufgrund der Gefäßanatomie eine (kostenintensivere) offene chirurgische Tracheostomie durchgeführt [27]. Die Kombination aus Ultraschallund Bronchoskopiekontrolle wurde als sicher, einfach und kosteneffektiv bewertet. Die Abdominalsonographie stellt ein ebenfalls wichtiges Instrument in der Intensivmedizin dar. Eine retrospektive Analyse abdominal-sonographischer Untersuchungen bei 400 Intensivpatienten (2 % Notfall, 56 % dringlich, 42 % elektiv) erbrachte, dass neue pathologische Befunde in 31 % gefunden und bereits bekannte Pathologien in 33 % der Fälle bestätigt wurden [28]. In 53 % bestand keine unmittelbare therapeutische Konsequenz, in 27 % wurde die Therapie gemäß dem Ultraschallbefund fortgesetzt und in 10 % wurde eine Intervention abgeleitet. In 80 % wurde keine zusätzliche Bildgebung durchgeführt, so dass die Sonographie bei einem Großteil der Patienten als ausreichend eingestuft wurde· und eine weitergehende Diagnostik vermieden werden kann. Die Bedeutung der Ultraschalldiagnostik in der Versorgung von Traumapatienten erfährt ebenfalls Fortschritte. Nicht nur prähospital sondern auch auf der Intensivstation hat die sog. fokussierte abdominelle Sonographie beim Trauma (FAST) einen hohen Stellenwert erlangt [29]. Dieses Konzept beinhaltet eine strukturierte, vor allem auf die Verletzung parenchymatöser Organe gerichtete Diagnostik. Die Neurosonographie stellt ein eigenes Gebiet dar, neben der extra- und intrakraniellen Gefäßdiagnostik (Duplex- und Doppler-Sonographie) kann auch eine 2D-Darstellung (z.B. nach osteoklastischer Trepanation) Aufschluss über die Lokalisation der Mittellinie und das Ventrikelsystem liefern. Einschränkungen der Sonographie zur Erlangung aussagekräftiger Befunde liegen darin, dass eine adäquate Ausbildung des Anwenders und regelmäßige Praxis unabdingbar sind. Die Kosten für die Anschaffung und Wartung der Gerätschaften sind zu rechtfertigen und sollten nicht zu ungunsten der Ultraschalldiagnostik ausgelegt werden. Die aktuelle Datenlage zum Einsatz der TEE beim kritisch kranken Patienten beinhaltet, wie für viele andere Maßnahmen und Monitoringverfahren in der Intensivmedizin, keine prospektiven, randomisiert kontrollierten Studien zu den Endpunkten wie Kosteneffektivität, Morbidität und Mortalität [30,31]. Allerdings weisen Studienergebnisse auf die Vorteile der Echokardiographie, insbesondere die Verfügbarkeit der TEE in der Intensivmedizin, und auf die Notwendigkeit der Ausbildung in diesem Bereich hin.
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Ausblick Die zunehmende Verbreitung elektronischer Bildgebung und Archivierung stellt einen wesentlichen Fortschritt dar. Die radiologische Bildgebung kann intern oder extern zugänglich gemacht werden und die jeweiligen therapeutischen Maßnahmen zeitnah und optimiert durchgeführt werden. Die mobile CT-Diagnostik stellt ein viel versprechendes Instrument in der Intensivmedizin dar, es wird sich zeigen müssen, in welchem Umfang sie Einzug in die Klinik finden wird. In der Ultraschalldiagnostik wird die 3D-Echokardiographie, die derzeit noch keinen Standard darstellt, ein wesentlicher Fortschritt sein. Mittels dieser Technik wird die visuelle und funktionelle Erfassung kardialer Dimensionen und Funktionen noch detaillierter möglich. Besondere Ultraschalltechniken und spezielle Gerätschaften mit integrierten anatomischen Grundlagen werden eine deutlich größere Sicherheit in der Durchführung von ultraschallgestützten Interventionen ermöglichen und vor allem für die Ausbildung von Bedeutung sein.
Zusammenfassung Die bettseitige radiologische Bildgebung in der Intensivmedizin besteht im Wesentlichen unverändert aus der Thoraxdiagnostik. In Anbetracht der vielfältigen Einschränkungen dieser Diagnostik ist und bleibt die Computertomographie bei unklaren Befunden das Verfahren der Wahl. Für bestimmte Indikationen (Nachweis einer Lungenarterienembolie) stellt die Computertomographie den Goldstandard dar. Abzuwägen bleibt in jedem Falle das Risiko des Transportes des kritisch kranken Patienten und eines neuen und ggfs. therapierelevanten Befundes. Der Ultraschall als bettseitiges Verfahren ohne ionisierende Strahlung hat ein großes Potential. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass durch den Einsatz der Ultraschalldiagnostik in der Intensivmedizin der Umfang anderer potentiell gefährdender und kostenintensiver radiologischer Bildgebung signifikant gesenkt werden kann.
Interessenskonflikt: S.O. Sakka ist Mitglied des Medical Advisory Board der Firma Pulsion Medical Systems AG und hat von dieser Firma und MSD Sharp&Dohme Honorare für Vorträge erhalten.
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Kleine Tidalvolumina für alle - auch im OP? H. WRIGGE
Vorbemerkung Für Patienten mit akuten Lungenversagen (acute lung injury, ALi) oder ARDS (acute respiratory distress syndrome), die regelmäßig für einen längeren Zeitraum von Tagen oder sogar Wochen maschinelle Beatmung benötigen, hat sich die Beatmungstrategie in den letzten Jahrzehnten hin zu kleineren applizierten Atemzug- oder Tidalvolumina (VT) und mittleren bis hohen end-exspiratorischen Beatmungsdrucken (positive end-expiratory pressure, PEEP) geändert. Nach heutiger Datenlage wird die Verwendung von Tidalvolumina s 6 ml/kg des idealen Körpergewichtes bei diesen Patienten empfohlen, da dies die Überlebensrate verbessern kann (1;2). Die Verwendung von höherem PEEP führte bei Patienten mit ALi/ARDS nicht grundsätzlich zu einer Senkung der Letalität, allerdings zu einer Senkung des Einsatzes von Rescue-Therapien und einer Letalitätssenkung bei Patienten mit besonders schwerem ARDS (2;3). Größere chirurgische Eingriffe in Allgemeinanästhesie erfordern eine endotrachiale Intubation und maschinelle Beatmung, die im Regelfall nur wenige Stunden erforderlich ist. Diese Patienten mit normaler Lungenfunktion werden in der Regel weiterhin mit hohen - vielleicht zu hohen - Tidalvolumina beatmet. Studien, die sich mit beatmungsassoziierten Lungenschäden bei Patienten ohne akutes Lungenversagen beschäftigten, zeigen keine einheitlichen Ergebnisse. Dennoch mehren sich Hinweise, die auch bei Patienten ohne akutes Lungenversagen die Verwendung von lungenprotektiven Beatmungsstrategien nahelegen. Nachfolgend soll über potentielle Mechanismen der beatmungsassoziierten Lungenschädigung sowie mögliche Schlüsse, die sich für die Behandlung von Patienten ohne akutes Lungenversagen im OP ergeben, eingegangen werden. Viele der Fragen zur Beatmung von Patienten ohne akutes Lungenversagen im OP sind nicht abschließend geklärt, so dass die in dieser Übersicht aufgeführten Schlussfolgerungen und Therapieempfehlungen nur für den gegenwärtigen Wissensstand gelten können.
Beatmung von Patienten mit ALi/ARDS Maschinelle Beatmung ist zweifellos eine lebensrettende Behandlungsform für Patienten mit akutem Lungenversagen. Dennoch liefern sowohl experimentelle als auch klinische Studien klare Hinweise dafür, dass maschinelle Beatmung bei kritisch kranken Patienten ein bestehendes Lungenversagen verstärken oder, unter bestimmten Bedingungen, möglicherweise sogar auslösen können (sog. beatmungs-assoziiertes Lungenversagen, ventilator-associated lung injury, VALI) (4). Die in der Klinik zur maschinellen Beatmung verwendeten VT haben sich in den letzten Jahrzehnten von mehr als 12-15ml/kg des realen Körpergewichtes in den sechziger Jahren auf unter 9 'ml/kg (etwa 10ml des „idealen" Körpergewichts, iKG) kontinuierlich verringert (5). Diese Veränderungen beruhen zum Teil auf der zunehmenden Erkenntnis aus experimentellen Untersuchungen, dass Beatmungsstrategien, die große VT verwenden, zu einer deutlichen Zunahme einer bereits bestehenden Lungenschädigung führen können. Dieses Phänomen wird als beatmungsinduzierte oder beatmungsassoziierte Lungenschädigung (,,ventilator induced/associated Jung injury, VILi bzw. VALI) bezeichnet (4). In den letzten Jahren konnten randomisierte, kontrollierte Studien bei Patienten mit ALi/ ARDS zeigen, dass die Verwendung von Tidalvolumina von nicht mehr als 6 ml/kg iKG im Vergleich zu 12 ml/kg iKG zu einer Reduktion von inflammatorischen Markern einer beatmungsasso~iierten Entzündungsreaktion, einer Zunahme der beatmungsfreien Tage 125
und einer Senkung der Letalität führte (1;6). Dem gegenüber konnten andere kleinere Studien mit unterschiedlichem Studiendesign keinen Überlebensvorteil für erniedrigte Tidalvolumina bei Patienten mit akutem Lungenversagen zeigen (7-9). Meta-Analysen konnten den Überlebensvorteil für kleine Tidalvolumina bei Patienten mit akutem Lungenversagen allerdings absichern (2;3). Weiterhin konnte bei Patienten mit ALi oder ARDS - im Gegensatz zu experimentellen Untersuchungen - in mehreren klinischen Studien keine Verbesserung der Letalität durch Verwendung höherer PEEP Werte nachgewiesen werden. Als ursächlich hierfür werden individuelle Unterschiede des Potentials für alveoläre Rekrutierung durch erhöhte Beatmungsdrucke diskutiert (10). Allerdings war die Notwendigkeit zur Verwendung von Rescue-Therapien mit höherem PEEP seltener und die Letalität von Patienten mit schwerem Lungenversagen bei Beatmung mit höherem PEEP niedriger (2;3). Insgesamt stellt sich die Frage, ob auch Patienten~ ALi/ARDS, die zum Beispiel in der perioperativen Phase beatmet werden müssen, von der Anwendung sogenannter lungenprotektiver Beatmungsstrategien profitieren.
Beatmungsassoziierte Lungenschäden bei Patienten mit akutem Lungenversagen Zu den pulmonalen Veränderungen durch schädigende Beatmung zählen die diffuse Parenchymschädigung mit Lungenödem (11;12), die Ansammlung und Aktivierung von inflammatorischen Zellen (13;14), die regionale Produktion von inflammatorischen Mediatoren - wie Zytokinen (15;16) sowie die Freisetzung von diesen Mediatoren in den Körperkreislauf (17-19). Da die meisten Patienten mit akutem Lungenversagen nicht an Hypoxämie oder Rechtsherzversagen sondern an einem Multiorganversagen versterben, muss ein Zusammenhang zwischen auf das Lungenparenchym einwirkendem mechanischen Stress und der Entstehung oder Zunahme von Organdysfunktionen bestehen, damit die Änderung von Beatmungsparametern die Letalität von Patienten mit ALi oder ARDS beeinflussen kann. Es wird in diesem Zusammenhang vermutet, dass mechanischer Stress eine bei ALI/ARDS bestehende pulmonale und systemische Entzündungsreaktion modifizieren und somit über inflammatorische Mediatoren vermittelt zu weiteren Organdysfunktionen führen kann (20). Mehrere Studien an Patienten mit akutem Lungenversagen legen nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen pulmonalen und systemischen Entzündungsmediatorenspiegeln und schädigenden oder protektiven Beatmungsstrategien zu geben scheint (6;18;19).
Pulmonale Veränderungen bei Lungengesunden - Narkoseeinleitung Im Rahmen der Einleitung einer Vollnarkose wird der Patient in der Regel präoxygeniert, d.h. es wird ihm 100 % Sauerstoff über eine Gesichtsmaske zugeführt. Wird dies über eine dicht sitzende Maske ausreichend lange durchgeführt, so wird der in der Raumluft überwiegend vorhandene Stickstoff aus der Lunge ausgewaschen und durch Sauerstoff ersetzt. Durch die nachfolgende Narkoseeinleitung kommt es zum Verlust der Muskelspannung des Thorax und des Zwerchfells mit Sistieren der Spontanatmung. Die konsekutiv erforderliche maschinelle Beatmung führt auf Grund des schwerkraftabhängigen Gradienten des spezifischen Lungengewichtes zu einer bevorzugten Belüftung der ventralen Lungenareale (21). Da sich die muskulären Abschnitte des Zwerchfells lateral und dorsal befinden und das Zwerchfell ventral mit seiner Sehnenplatte am Sternum fixiert ist, waren vorher unter Spontanatmung die dorsalen Lungenabschnitte besser belüftet. Diese Umverteilung der Ventilation von dorsal nach ventral nach Sistieren der Spontanatmung im Rahmen der Narkoseeinleitung kann zu sog. Resorptionsatelektasen führen. Dorsale Lungenanteile, die nicht mehr an der Ventilation teilnehmen, können nach Aufnahme des 126
in der Lunge befindlichen Sauerstoffs kollabieren (22). In der Entstehung solcher Resorptionsatelektasen spielt auch die Kompression von Lungenarealen durch das Gewicht der abdominellen Organe, übertragen durch das relaxierte Zwerchfell auf die Lunge, eine Rolle, so dass insbesondere in den abhängigen, dorsalen Lungenarealen Kompressionsatelektasen auftreten können. Computertomographische Untersuchungen von Lungengesunden in Narkose zeigen, dass der Anteil dieser Atelektasen im Mittel bei etwa 4 % liegt (23). Das Auftreten von Resorptionsatelektasen kann durch Verwendung von 80 %-igem Sauerstoff statt 100 %-igem Sauerstoff bei der Präoxygenierung im Rahmen der Narkoseeinleitung verhindert werden (24). Dieses Vorgehen kann aber nicht grundsätzlich empfohlen werden, da sich die Zeit der apnoeischen Oxygenierung durch Absenkung der inflatorischen Sauerstoffkonzentration verkürzt und damit das Risiko für den Patienten im Falle eines schwierigen Atemweges zunimmt. Eine andere Methode zur Vermeidung von Atelektasen im Rahmen der Narkoseeinleitung ist die Verwendung eines kontinuierlichen positiven Atemwegdrucks (CPAP bzw. PEEP). Die Applikation eines kontinuierlichen Druckes von 6 cm Wassersäule über eine dicht sitzende Gesichtsmaske und eines PEEP nach Intubation konnte Atelektasen vollständig verhindern (25). Die heutzutage übliche Narkoseeinleitung mit Präoxygnierung führt auch bei gesunden, normalgewichtigen Patienten regelhaft zu Atelektasen in den dorsalen Lungenarealen.
Mechanische Lungenschädigung Das mechanischer Stress durch maschinelle Beatmung zu einer Schädigung des Lungenparenchyms führen kann, ist unstrittig. Insbesondere die in der Frühphase der Beatmungstherapie verwendeten hohen Tidalvolumina führten zu einem sog. Barotrauma oder Volutrauma. Hierbei handelt es sich um eine direkte mechanische Schädigung von Lungenparenchym durch Überdehnung von belüfteten Alveolen, was zu einer direkten mechanischen Schädigung durch Zerreißung von Lungenstrukturen führt. Eindrückliche klinische Befunde sind ein Pneumothorax, Pneumomediastinum und Hautemphysem. Als weiterer grundsätzlicher Schädigungsmechanismus wird das sogenannte Atelektrauma diskutiert. Hierbei handelt es sich um einen besonderen mechanischen Stress für das Lungengewebe durch zyklisches Öffnen und Schließen von Alveolen, das bedeutet, dass Alveolen in der Inspiration eröffnet werden und in der Exspiration durch Unterschreiten des kritischen Verschlussdrucks kollabieren. Das zyklische Öffnen und Schließen von respiratorischen Arealen gilt als einer der wesentlichen Faktoren bei der Entstehung eines beatmungsassoziierten Lungenschadens. Ein weiterer Schädigungsmechanismus sind Scherkräfte, die an Übergangszonen zwischen belüfteten (oder sogar überblähten) und kollabierten Lungenarealen auftreten und lokal zu Gewebsspannungen zwischen diesen Arealen führen können, die 100 cm Wassersäule regional überschreiten können (26). Biotrauma-Hypothese In den letzten Jahren ist ein weiterer Mechanismus zur Erklärung der Entstehung von beatmungs-assoziierten Lungenschäden hinzu gekommen: das Biotrauma. Hierunter versteht man die Produktion oder Freisetzung von inflammatorischen Mediatoren und Akkumulation von inflammatorischen Zellen durch reversible oder irreversible Zellschädigungen in Folge des mechanischen Stresses durch die Beatmung (20). Neben direkten mechanischen Schäden kann maschinelle Beatmung eine pulmonale und systemische Entzündungsreaktion verstärken. 127
Grundsätzliche Mechanismen auf zellulärer Ebene beinhalten (27;28): • Zellnekrosen mit Freisetzung von Mediatoren und Zytosolbestandteilen • Schädigung endothelialer- und epithelialer Zellverbindungen mit Verlust der Kompartimentierung und Einblutung • Schädigung der extrazellulären Matrix • Inflammation durch Dehnung ohne Zelltod • Mechanischer Stress auf Blutgefäße durch Veränderung der pulmonalen Hämodynamik. Die Frage ob mechanischer Stress durch Beatmung alleine oder nur in Kombination mit einer anderweitigen inflammatorischen Stimulation zu einer Entzündungsreaktion führt, kann nicht abschließend beantwortet werden; dies liegt u. a. in der Uneinheitlichkeit von experimentellen Modellen begründet, z.B. Dehnung von Zellkulturen (29) oder Verwendung von isolierten beatmeten Rattenlungen (15;16;30). Insgesamt überwiegen die Hinweise, dass eine beatmungsinduzierte Lungenschädigung insbesondere in Kleintiennodellen möglich ist. Die kurzzeitige Beatmung lungengesunder Patienten im OP unter Verwendung hoher Tidalvolumina ohne PEEP führte - zumindest nach einer Stunde nicht zu einer systemischen Entzündungsreaktion (31). Aktuell wird daher ein sogenanntes Doppelschädigungsmodell (,,two-hit-model") diskutiert. Dieses Konzept sieht vor, dass eine Vorschädigung der Lunge (z.B. im Rahmen eines ALI/ARDS) vorliegen muss, damit ein zweiter schädigender Stimulus wie die Beatmung mit hohen Tidalvolumina und niedrigem PEEP die bereits entstehende Entzündungsreaktion aggraviert. Ob andere Vorschädigungen oder zeitgleiche Schäden, wie etwa eine systemische inflammatorische Reaktion durch ein Operationstrauma ausgelöst, eine ausreichende Schädigung darstellen, damit mechanischer Stress durch Beatmung eine relevante pulmonale oder systemische Entzündungsreaktion verstärken kann, ist nicht abschließend geklärt. Indirekte Hinweise auf die mögliche Relevanz einer inflammatorischen Reaktionen im Rahmen von großen chirurgischen Eingriffen gibt eine Studie, bei der Patienten, die nach Oesophaguschirurgie eine Pneumonie entwickelten, bereits intraoperativ erhöhte Plasmaspiegel inflammatorischer Marker zeigten (32). Dies beweist natürlich keine Kausalität, aber zumindest eine Assoziation zwischen systemischen Entzündungsmarkern und dem postoperativem Outcome. Beatmungsassoziierte Schädigungen bei Lungengesunden Bei beatmeten lntensivpatienten, die aus anderen Gründen als einem ALi/ARDS beatmet waren, konnten Atemwegsplateaudruck und Größe des VT als unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung eines akuten Lungenversagens unter Beatmung identifiziert werden (33;34). Die vorliegenden Studien zum Einsatz von protektiven Beatmungsstrategien im OP zeigen inhomogene Ergebnisse und sind limitiert durch kleine Patientenzahlen sowie die Untersuchung von Surrogatparametern für Lungen- oder andere Organschädigungen, wie etwa inflammatorische Mediatoren, die nicht notwendigerweise klinische Relevanz haben müssen (5;35-39). Es verstärkt sich aber der Eindruck, dass bei großen chirurgischen Eingriffen mit signifikantem chirurgischen Trauma und ausgeprägter inflammatorischer Aktivierung, wie etwa während Herz- oder Oesophaguschirurgie, die Lungen eine höhere Empfindlichkeit gegenüber potentiell schädigender Beatmung zeigen (35-37). Eine aktuelle Arbeit konnte bei 149 kardiochirurgischen Patienten zwar keine Verkürzung der Beatmungsdauer, aber weniger beatmete Patienten 6 Stunden postoperativ und eine geringere Reintubationsrate nachweisen, wenn die Patienten perioperativ mit kleinen VT beatmet wurden (40). Für Beatmung mit höheren PEEP Werten konnte neben der Minimierung von Belüftungsstörungen auch eine Dämpfung von pulmonaler lnflammation und Gerinnungsaktivierung gezeigt werden (41;42). Weiterhin konnte bei hirntoten Organspendern die Anzahl der verwendbaren Spenderlungen durch lungenprotektive Beatmung nahezu verdoppelt werden (43).
128
Empfehlungen für die perioperative Beatmung Frühere computertomographische Studien konnten zeigen, dass die intraoperative Atelektasenbildung bei normalgewichtigen Patienten durch Beatmung mit einem PEEP von 10cmH20 weitgehend verhindert werden konnte, wenn vorher ein Rekrutierungsmanöver durchgeführt wurde (44). Unter besonderen Bedingungen wie Pneumoperitoneum, Adipositas und besonderen chirurgischen Interventionen dürften noch höhere PEEP Werte zur Vermeidung von Atelektasen bei Lungengesunden nötig sein. Expertenempfehlungen halten eine Beatmungseinstellung bei Eingriffen mit geringem Trauma mit VT bis lOml/kg iKG bei einem PEEP 2:: 5cmHp für unkritisch, sofern der Atemwegsplateaudruck unterhalb von 15cmHp bleibt. Für Risikopatienten, Eingriffe mit größerem Trauma und höheren Atemwegsplateaudrucken sollte das VT auf 6-8ml/kg iKG reduziert werden und der Atemwegsplateaudruck bei einem PEEP 2:: 5c~O unter 20c~O erzielt werden (5). Zur Stratifizierung von Patienten nach dem zu erwartenden Risiko, postoperative pulmonale Komplikationen zu entwickeln, ist kürzlich ein hilfreicher und einfacher Score validiert worden (45), wobei hier unter anderem die Faktoren Bauchchirurgie und Dauer der Allgemeinanästhesie > 2 Stunden als Risikofaktoren für postoperative pulmonale Komplikation identifiziert wurden. Protektive Beatmungsstrategien mit niedrigem VT und höherem PEEP können Nebenwirkungen haben. So kann es zu Hyperkapnie und verringertem venösen Rückstrom zum rechten Herzen durch PEEP kommen, was eine vermehrte Flüssigkeitszufuhr oder sogar Katecholamintherapie nach sich ziehen kann. Wie immer sollte eine individuelle RisikoNutzenabwägung erfolgen.
Zusammenfassung Protektive Beatmungsstrategien, die das Ziel haben, den mechanischen Stress auf das Lungenparenchym zu minimieren, können auch bei bestimmten Patientengruppen in der perioperativen Beatmung eine Rolle spielen. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Risikofaktoren, die sich operativen Eingriffen unterziehen müssen, die mit größerem operativem Trauma verbunden sind. Als vorläufiges Fazit ließe sich formulieren: Je kränker der Patient und je größer das OP Trauma, desto wichtiger ist die Beatmungsstrategie.
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Therapie der akuten Herzinsuffizienz S. Rex, G. Marx
Interessenskonflikt: S. Rex hat von der Firma Edwards Lifesciences GmbH, München, Deutschland, Honorare für Vorträge und beratende Tätigkeiten erhalten. G. Marx ist für die Durchführung wissenschaftlicher Projekte von Edwards Life Sciences und Pulsion Medical Systems finanziell unterstützt worden. Unabhängig hiervon hat GM Honorare im Rahmen von Vortragstätigkeiten von diesen Firmen erhalten und ist Berater von Edwards Life Sciences.
Vorbemerkungen In Europa sind 5 % aller Krankenhausaufnahmen auf eine akute Herzinsuffizienz zurückzuführen. 10 % aller Krankenhausbetten sind mit Patienten belegt, die wegen einer Herzinsuffizienz stationär behandelt werden müssen. Obwohl ca. 2 % aller öffentlichen Gesundheitsausgaben in die Versorgung der Patienten mit Herzinsuffizienz fließen, ist die Prognose der akuten Herzinsuffizienz nach wie vor als sehr schlecht zu bezeichnen: 40 % der Patienten, die wegen einer akuten Herzinsuffizienz stationär behandelt werden müssen, sind nach einem Jahr verstorben oder müssen in dieser Zeit erneut stationär aufgenommen werden [ 10, 54]. Im Bereich der Intensivmedizin tritt eine akute Linksherzinsuffizienz bei ca. 1/3 aller Patienten im Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung auf [5]. Der auf einem linksventrikulären (LV) Versagen beruhende kardiogene Schock weist nach wie vor eine Letalität von ca. 50 % auf [58]. Das akute Rechtsherzversagen ist zwar insgesamt selten, kommt aber bei bestimmten Patientengruppen v.a. im Bereich der Intensivmedizin überproportional häufig vor und ist mit einer ähnlich schlechten Prognose wie das Linksherzversagen assoziiert (siehe unten). Für das „klassische" Linksherzversagen z.B. auf dem Boden einer Myokardischärnie oder im Rahmen einer Exazerbation einer chronischen Herzinsuffizienz liegt eine recht gute Evidenzbasis vor, die 2008 in den aktuellsten „European Society of Cardiology Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure" zusammengefasst wurde [10]. Im Bereich der Anästhesiologie und perioperativen Intensivmedizin tritt eine akute Herzinsuffizienz aber gehäuft auch bei Patienten auf, die von dieser Guideline wenn überhaupt nur am Rande erwähnt werden, so z.B. bei Patienten mit Sepsis oder nach Herzchirurgie, bei denen die Evidenzlage hinsichtlich der Behandlung der Herzinsuffizienz deutlich schwächer ist. Die vorliegende Übersicht widmet sich zunächst der allgemeinen Herangehensweise an die akute Herzinsuffizienz, um dann die „Sonderfälle" septische Kardiomyopathie, ,,Low Cardiac Output Syndrome" nach Herzchirurgie und akutes Rechtsherzversagen aufzugreifen.
1) Akute Herzinsuffizienz 1.1 Ätiologie
Die Ätiologie der akuten Herzinsuffizienz ist vielschichtig [Tabelle 1]. Es ist jedoch von herausragender Bedeutung, die zugrundeliegende Ursache der akuten Herzinsuffizienz zu diagnostizieren, um die Patienten so früh wie möglich einer kausalen Therapie zuführen zu können. Dabei hilft es, den Patienten zur weiteren Stratifizierung schon bei der initialen Evaluation in eine der sechs Kategorien einzuteilen, in denen die akute Herzinsuffizienz gewöhnlich auftritt [Abb. 1] [10]. 133
Ursache
Ätiologie
Ischämie
• Akutes Koronarsyndrom bei KHK • Mechanische Komplikationen des akuten Myokardinfarktes (Papillarmuskelabriß, Ventrikelseptumdefekt) • Rechtsherzinfarkt • Koronarembolie (linksatriales Myxom, linksatrialer Thrombus) • Aortendissektion mit Involvierung der Koronarien
Valvulär
• • • •
Myopathie
• Akute Myokarditis • Postpartale Kardiomyopathie • Stress-Kardiomyopathie (Tako-Tsubo, .,apical ballooning")
Hypertonie/Arrhythmie
• Hypertensive Krise • Akute Herzrhythmusstörungen
Akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuff'Izienz
• • • • • • • • •
Mangelnde Compliance Volumenüberladung Infektionen (v.a. Pneumonie) Cerebrovaskulärer Insult Operation Niereninsuffizienz Asthma, COPD Alkoholabusus Drogenabusus
Verschiedenes
• • • • • • • • • • • •
Sepsis Thyreotoxikose Anämie Shunts Perikardtamponade Lungenarterienembolie Herzkontusion Kokainintoxikation ,,Post Cardiac Arrest Syndrome" "Low Cardiac Output Syndrome" nach Herzchirurgie Hypothermie Ertrinkungsunfall
Stenose Insuffizienz Endokarditis Aortendissektion
Tab. 1: Ätiologie der akuten Herzinsuffizienz. Nach (10, 5].
Hypertenslves Akut Herzversagen ----- dekompensierte chronische Herz-
RHV
Abb. 1: Klinische Klassifikation der akuten Herzinsuffizienz. Nach [10]. (RHV = Rechtsherzversagen).
134
1.2 Diagnostik der akuten Herzinsußlzienz Die Diagnose „akute Herzinsuffizienz" wird primär klinisch gestellt [Abb. 2]. Apparative Zusatzuntersuchungen dienen in erster Linie dem Ausschluß von Differentialdiagnosen. Hierbei sei daran erinnert, dass das Fehlen von Stauungszeichen in der Röntgen-ThoraxUntersuchung keinesfalls einen erhöhten LV Füllungsdruck ausschließt [37] und dass insbesondere die Bestimmung des Brain Natriuretic Peptide (BNP) bei intensivmedizinischen Patienten eine sehr niedrige Spezifität und damit eine deutlich eingeschränkte Aussagekraft besitzt [11]. Mittels sorgfältiger Anamnese, körperlicher Untersuchung, EKG, Röntgen-Thorax, laborchemischen Untersuchungen und Echokardiographie muß schon bei der initialen Evaluation des Patienten die Ursache der Herzinsuffizienz diagnostiziert werden, um den Patienten ohne Zeitverzögerung einer kausalen Therapieoption zuführen zu können (Bsp.: Reperfusion bei Ischämie).
Klinische Symptome: •Bewußtseinsstörung •Dyspnoe •Ödeme •Feuchte Rasselgeräusche •Jugularvenenstauung •Hypotonie •Arrhythmie
1 Abnormales EKG? Stauungszelchen im Röntgen-Thorax? Erhöhung der natriuretischen Peptide? Bekannte Herzerkrankung? Chronische Herzinsuffizienz?
l 1
Echokardiographie :
1 Pulmonale
l
Erkrankung?
1
T
l 1 Bestätigung
der Diagnose „Akute Herzinsuffizienz" 1
l
Symptomatische Therapie Ursachenabklärung ➔ Kausale Therapie Stabilisierung
Abb. 2: Algorithmus zur initialen Evaluation des Patienten mit vermuteter akuter Herzinsuffizienz (Class of Recommendation I, Level ofEvidence C). Nach [IO].
1.3 Therapie der akuten Herzinsuffizienz Parallel zur Diagnosefindung muss unmittelbar mit der Therapie begonnen werden, die folgende Ziele verfolgt: Stabilisierung des Patienten, Wiederherstellung der Oxygenierung, Verbesserung von Hämodynamik und Organperfusion, Limitierung von Schäden an Herz und Niere, Minimierung der Aufenthaltsdauer auf Intensivstation [10]. Die hierzu erforderlichen Maßnahmen sind in Tabelle 2 geschildert. Die ESC schlägt dabei ein Vorgehen vor, welches sich primär am systolischen Blutdruck orientiert [Abb. 3] .
135
Therapieziel
Maßnahme
Wlrkprinziplen
Nebenwirkungen
Kontraindikationen
CoR/LoE
Analgesie, Anxiolyse
Morphin (2,5-5mg als Bolus)
Analgesie, Linderung von Dyspnoe, leichte Sedierung, Anxiolyse
Atemdepression, Übelkeit, Erbrechen
Bradykardie, Hypotonie, Bewußtseinsstörungen
-
Verbesserung derOxygenierung (SaO1 > 95%)
Sauerstoff
Ggf.Atemdepression bei Patienten mit schwerer COPD
Keine absoluten Kontraindikationen
1/C
f RV Nachlast Austrocknung der Schleimhäute Agitation Aspiration
Rechtsherzversagen Unkooperativer Patient Fehlende Schutzreflexe Apnoe
Ila/B
Nicht-invasive Beatmung
(CPAP, 5-JOcmHP)
fFRC,
! Atemarbeit ! LV Nachlast
Therapie der Stauung und der Hypervolämie
Diuretika (Furosemid 40mg Bolus, ggf. Perjusor)
Wasser- und Natriumausscheidung
Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hyponatriämie) Hypovolämie, Hypotonie
Keine absoluten Kontraindikationen
1/B
Reduktion der erhöhten Füllungsdrücke
Vasodilatatoren Nitroglycerin (10-200µglmin) Natriurnnitroprussid (0,3-5 µgl kg/min)
! Vorlast, ! Nachlast
Hypotonie Kopfschmerzen Tachyphylaxie
RRsyst. 100 mmHg
SBP 90 - 100 mmHg
SBP 5 µglkglmin (a-adrenerg)
Renale Vasodilatation
t Kontraktilität, ! Nachlast t Nachlast
Milrinon
PDE-111-Inhibitor
0,125-0,75 µglkglmin
t Kontraktilität, ! Nachlast,
Im kardiogenen Schock erhöhte Letalität gegenüber Noradrenalin
Ggf. Hypotonie
Auch wirksam bei Patienten mit chronischer ß-BlockerTherapie
Ilb/B
Ggf. Hypotonie
Auch wirksam bei Patienten mit chronischer ß-BlockerTherapie
Ila/B
Zur Kombination mit Inotropika, nicht ,,first-line"
IIb/C
„Rescue Therapy"
Ilb/C
Inodilatator Levosimendan
Ca++-Sensitizer
0,1 µglkglmin (ggf. vorher Bolus von 6-12 µglkg)
t Kontraktilität, ! Nachlast,
Noradrenalin (a » ß)
0,2 -1 ,0 µglkglmin
Adrenalin (a = ß)
0,05..(),5 µglkglmin CoR =Class of recommendation; LoE
Inodilatator
t Kontraktilität, t Nachlast, Vasopressor
t Kontraktilität, t Nachlast,
Ilb/C
Inopressor
=Level of evidence; PDE-III =Phosphodiesterase Typ III
Tab. 3: Therapie der akuten Herzinsuffizienz mit Inotropika und Vasopressoren. Nach [10) .
137
Es gibt nur wenige Studien, die die Überlegenheit eines Katecholamins über andere untersucht haben. In einer jüngst veröffentlichten Studie an Schockpatienten war der Gebrauch von Dopamin generell mit einer erhöhten Tachyarrhythmierate und in der Subgruppe der Patienten mit kardiogenem Schock sogar mit einem Letalitätszuwachs verbunden [6]. Diese Evidenz lag zum Zeitpunkt der Erstellung der ESC-Guidelines noch nicht vor. Levosimendan konnte in Studien an Patienten mit therapierefraktärem, infarktbedingten kardiogenen Schock im Vergleich zu Enoximon die Letalität senken [15] und im Vergleich zu Dobutamin/Noradrenalin eine nachhaltige Verbesserung der Härnodynamik bewirken (62]. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass ß-adrenerge Substanzen bei den mehrheitlich ß-blockierten Patienten eine nur reduzierte Wirksamkeit aufweisen. Bei Patienten mit akut dekompensierter chronischer Herzinsuffizienz und vorherrschender kompensatorischer Vasokonstriktion sind primär Vasodilatantien uJo. Inodilatatoren einzusetzen, um die Nachlast und hierdurch den myokardialen Sauerstoffverbrauch zu senken. Levosimendan bietet als Inodilatator bei diesem Patientengut ein attraktives Wirkspektrum. So konnte in zwei frühen Studien bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz für Levosimendan ein Überlebensvorteil gegenüber Dobutamin [13] bzw. Placebo (47] gezeigt werden, der allerdings in einer neueren Studie an mehr als 1300 Patienten nicht mehr reproduziert werden konnte (41] . Nur in der Subgruppe der ß-blockierten Patienten reduzierte Levosirnendan im Vergleich zu Dobutamin die Mortalität [40]. Vasokonstriktoren kommen erst bei Vasoplegie zum Einsatz, die nach neueren Erkenntnissen nicht selten im infarktbedingten kardiogenen Schock auftritt, da sowohl IschärnieReperfusion als auch Störungen der Mikrozirkulation eine systemische Inflarnrnation provozieren, die in einer Vasoplegie münden kann (24] . Die Identifizierung der im individuellen Patienten jeweils dominierenden pathophysiologischen Störung ist daher Grundvoraussetzung jeder zielgerichteten Therapie und ist ohne erweitertes härnodynamisches Monitoring (Echokardiographie u./o. Pulmonalarterienkatheter) nur schwerlich möglich (58).
II) Die septische Kardiomyopathie Häufig kommt es im Rahmen der Sepsis auch zu einer Beeinträchtigung der myokardialen Kontraktilität [45]. Die Ursachen hierfür sind nicht abschließend geklärt, gehen aber v.a. auf die Interaktionen verschiedener inflarnrnatorischer Kaskaden mit dem koronaren Endothel und dem Myokardgewebe zurück. Die septische Kardiomyopathie ist grundsätzlich ein reversibles Geschehen und betrifft bevorzugt den linken Ventrikel. Sie läßt sich echokardiographisch als globale LV Hypokinesie darstellen. Nach jüngeren Untersuchungen tritt sie in bis zu 60 % aller Patienten mit septischem Schock auf [68]. Während frühere Autoren im Auftreten einer septischen Kardiomyopathie sogar einen Überlebensvorteil sahen [55], scheint sie bei adäquater Therapie nach aktueller Studienlage keinen Einfluß auf die Letalität zu haben [68]. Ohne erweitertes härnodynamisches Monitoring wie z.B. der Echokardiographie oder der Messung des Herzzeitvolumens ist die septische Kardiomyopathie nur schwierig nachzuweisen. Patienten, die trotz adäquater Volumensubstitution weiterhin hypotensiv bleiben, können ein erniedrigtes, normales oder erhöhtes Herzzeitvolumen aufweisen. Daher wird in Situationen, in denen das Herzzeitvolumen nicht gemessen wird/werden kann, der Einsatz von Substanzen mit sowohl inotroper als auch vasopressorischer Wirkung empfohlen (wie z.B . Noradrenalin und (als zweite Wahl) Adrenalin). Dobutamin soll laut „Surviving Sepsis Campaign" und auch nach den aktuellsten Empfehlungen der Deutschen Sepsis-Gesellschaft immer dann eingesetzt werden, wenn trotz adäquater kardialer Füllung und ausreichender Volumentherapie das Herzzeitvolumen erniedrigt ist [8, 56]. 138
Eine kritische Erniedrigung des Herzzeitvolumens kann hierbei u.U. auch aus einer trotz Bluttransfusion erniedrigten zentralvenösen Sauerstoffsättigung abgleitet werden [59]. Methode der Wahl zur Diagnose einer septischen Kardiomyopathie ist aber die transthorakale (ggf. transösophageale) Echokardiographie, mit Hilfe derer auch eine Verschlechterung der myokardialen Pumpfunktion unter einer Vasopressoren-Therapie frühzeitig aufgedeckt werden kann [68].
III) Die akute Linksherzinsuffizienz in der postoperativen Phase nach herzchirurgischen Eingriffen: Das „Low Cardiac Output Syndrome" 111.1 Epidemiologie und Definition Es gibt nur wenig prospektive Daten zur Inzidenz einer kardiovaskulären Insuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen. In einer aktuellen Erhebung aus der Schweiz fand sich in 45 % aller elektiv operierten Patienten ein postoperatives myokardiales Stunning und in fast einem Drittel der Patienten ein kardiogener Schock [60] . Von einem postoperativen ,,Low Cardiac Output Syndrome" (LCOS) spricht man, wenn Patienten während oder nach der Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine einen kardiogenen Schock entwickeln (willkürlich definiert als die Kombination aus einem erniedrigten Herzzeitvolumen (Cardiac Index je nach Autor< 2,4 oder< 2,2 l · min- 1 • m·2) und dem Nachweis einer eingeschränkten Endorgan-Perfusion) [19, 60]. 111.2 Ätiologie Das LCOS kann primär linksventrikulär, primär rechtsventrikulär (siehe weiter unten) oder biventrikulär bedingt sein. Die Gründe für ein postoperatives LCOS sind vielschichtig und umfassen: Stunning nach kardioplegischem Herzstillstand, myokardiale Dysfunktion durch den Ischärnie-Reperfusionsschaden, Aktivierung inflammatorischer und koagulatorischer Kaskaden wie auch das Fortbestehen intraoperativ nicht korrigierter/ korrigierbarer kardialer Pathologien. Daneben muß die postoperative myokardiale Dysfunktion von einer nach Einsatz der extrakorporalen Zirkulation gehäuft auftretenden Vasoplegie abgegrenzt werden. 111.3 Diagnostik Zur (Differential)Diagnose, Ursachenabklärung, Differenzierung in primär links- bzw. rechtsventrikuläres Versagen wie auch zum Therapiemonitoring ist der Einsatz eines erweiterten hämodynamischen Monitorings inkl. Echokardiographie und Pulmonalarterienkatheter (PAK) geboten, v.a. bei Hoch-Risiko-Patienten mit komplexen herzchirurgischen Eingriffen, bei Patienten mit einem schweren LCOS und bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie [4]. Iß.4 Therapie Grundsätzlich gelten für die Therapie des linksventrikulären LCOS die gleichen Überlegungen wie in den ESC-Empfehlungen zur Therapie der akuten Herzinsuffizienz geschildert [10]. Aufgrund der anders gelagerten und zum Teil komplexen Ätiologie scheint aber ein adaptiertes Vorgehen gerechtfertigt, wie es von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie im Kontext einer S3-Leitlinie empfohlen wird [Tabelle 4] [4].
139
Empfehlung
Evidenzgrad
Empfehlungsgrad
Eine Vorlastoptimierung ist die Grundvoraussetzung für eine medikamentöse oder apparative Therapie der Linksherzinsuffizienz.
D
A
Werden nach einer Vorlastoptimierung die Zielwerte nicht erreicht, ist eine Therapie mit positiv inotropen Mitteln indiziert. Die Auswahl der Substanz richtet sich nach der patient~ndividuellen Situation
D
B
PDE-III-Hemmer sind bei Patienten mit bestehender ß-Blockade und/ oder einer inadäquaten hämodynamischen Reaktion auf eine Dobutamingabe zu bevorzugen.
C
0
Zur Vor- und Nachlastsenkung bei akuter Herzinsuffizienz wird der Einsatz von Nitraten zur Therapie empfohlen.
B
B
Ist ein Vasopressor indiziert, ist Noradrenalin als einziger zugelassener Vasopressor das Mittel der Wahl.
C
A
Der Einsatz von Low-Dose-Dopamin zur Prophylaxe oder Therapie eines Nierenversagens ist obsolet.
A
A
Die protektiven Einflüsse von Dopexamin auf die hepatosplanchnikuläre Durchblutung und die Erhöhung der Kreatininclearance bei kardiochirurgischen Patienten ist nicht nachgewiesen. Die Gabe von Dopexamin wird daher nicht empfohlen.
A
B
Levosimendan soll zur Prävention hämodynamischer Komplikationen bei Patienten mit eingeschränkter LVEF und bei Patienten mit bestehendem LCOS eingesetzt werden. Die empfohlene Dosierung liegt bei 0,1 µg/ kgKG/min über 24 h. Auf eine Bolusgabe soll verzichtet werden. Aktuell keine Zulassung in Deutschland, daher Down-Grading im Empfehlungsgrad.
B
0
Empfehlungsgrade: A =sehr starke Empfehlung (,,soll"); B =starke Empfehlung (,,sollte"); 0 fehlung (,,kann")
=offene Emp-
Tab. 4: Empfehlungen zur Therapie der postoperativen Linksherzinsuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie [4].
Obwohl sich jährlich allein in den westlichen Ländern mehr als 500.000 Menschen einer Herzoperation unterziehen, liegen keine Daten aus größeren randomisierten und kontrollierten Studien vor, die eindeutige Empfehlungen zur Wahl eines Inotropikums in dieser Situation zuließen [19]. Bei Patienten nach einem kardiochirurgischen Eingriff hatten Adrenalin und Dobutamin vergleichbare Effekte auf Blutdruck, ZVD, PCWP, SVR, PVR und LV Schlagarbeit, allerdings erhöhte Dobutamin die Herzfrequenz stärker [3]. Adrenalin, Dobutamin und Dopamin erhöhen postoperativ alle den myokardialen Sauerstoffbedarf, wobei lediglich unter Dobutamin eine kompensatorische Steigerung des koronaren Blutflusses beobachtet wurde [14]. Die Phosphodiesterase-Typ-111-Inhibitoren sind hingegen potente Inodilatatoren, die zu einer Abnahme der Füllungsdrücke, des PVR und SVR führen, bei geringerer Zunahme des myokardialen Sauerstoffbedarfs [20] . In einer der wenigen randomisierten Studien zu diesem Komplex war der Gebrauch von Milrinon im Vergleich zu Dobutamin mit einer geringeren Steigerung der Herzfrequenz und einer niedrigeren Inzidenz von Arrhythmien verbunden [12]. Die präemptive Gabe von Milrinon kann sowohl bei Kindern [26] als auch bei Erwachsenen die Inzidenz eines postoperativen LCOS senken [31]. Zu Levosimendan liegen derzeit noch die wenigsten Daten vor. Über die Öffnung ATP-abhängiger Kalium-Kanäle kann Levosimendan u.U. vor einer Myokard-Ischämie und ihren Folgen schützen. In einer Meta-Analyse an 440 Patienten aus 10 einzelnen Studien war der Gebrauch von Levosimendan mit einer Reduktion der postoperativen Letalität, der Troponin-Freisetzung und der Inzidenz an Vorhofflimmern verbunden [34]. 140
Häufig wird die postoperative Katecholamintherapie bei herzchirurgischen Patienten durch die Fortführung der chronischen Medikation mit Beta-Rezeptoren-Blockern bis zum OP-Tag kompliziert. In diesem Fall kommt es zu einem deutlich verminderten und teilweise auch veränderten Ansprechen auf adrenerge Substanzen, so dass u.U. auf PDEIII-Inhibitoren oder Levosimendan ausgewichen werden muß [40]. Eine europäische Expertengruppe sieht zusammenfassend für die Therapie des LCOS mit Inotropika die oben genannten drei Optionen: Dobutamin bzw. Adrenalin, Milrinon oder Levosimendan [43]. Allerdings kann für keine dieser einzelnen Substanzen eine klare evidenz-basierte Überlegenheit dargestellt werden. Häufig werden zudem Kombinationen der einzelnen Substanzen untereinander oder mit Noradrenalin empfohlen. Die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur Therapie des akuten postherzchirurgischen Linksherzversagens sind in Tabelle 4 dargelegt. Hierbei sollen die folgenden hämodynamischen Zielgrößen angestrebt werden [4]: • ScvO2 > 70 % oder SvO2 > 65 % • MAP > 65 mmHg • Cardiac Index > 2,0 l · min- 1 • m·2 • ZVD 8-12 mmHg (abhängig von der Beatmung) • Linksventrikulärer enddiastolischer Flächenindex 6-9 cm2 • m· 2 • Intrathorakaler Blutvolumenindex 850-1000 ml · m·2 • Globaler enddiastolischer Volumenindex 640-800 ml · m·2 • Pulmonalarterieller Verschlussdruck 12-15 mmHg • Diurese> 0,5 ml · kgKG- 1 • h· 1 • Laktat < 3 mmol/1 Bei Versagen der pharmakologischen Ansätze ist das LCOS eine der Domänen der mechanischen Kreislaufunterstützung. Hierbei stehen verschiedene Systeme zur Verfügung: intraaortale Ballonpulsation (IABP), veno-arterielle extrakorporale Membranoxygenierung (va-ECMO), ventrikuläre Assist-Devices (VAD). Zum Einsatz der mechanischen Kreislaufunterstützungssysteme existieren keine evidenz-gestützten Empfehlungen, so dass sich ihr Einsatz eher an der vorherrschenden Pathophysiologie und an der Erfahrung des jeweiligen Zentrums orientiert. Die IABP augmentiert den koronaren Perfusionsdruck und senkt die LV Nachlast. Ihr Einsatz ist dementsprechend bei koronarer Hypoperfusion und bei Zuständen indiziert, bei denen das Therapiekonzept auf einer nachhaltigen Senkung der LV Nachlast beruht, etwa bei der akuten Mitralinsuffizienz und dem Ventrikelseptumdefekt [43]. Die va-ECMO wird vielerorts als „Bridgeto-recovery" und als „Bridge-to-decision" eingesetzt. Für eine weitergehende Diskussion dieses Verfahrens und auch der Kunstherzsysteme sei auf Spezialliteratur verwiesen [64, 65, 23].
IV) Akutes Rechtsherzversagen IV.1 Epidemiologie und Ätiologie Die genaue Inzidenz des akuten Rechtsherzversagens ist unbekannt, mutmaßlich deshalb, weil häufig nicht an diese Diagnose gedacht wird und die Echokardiographie auch weiterhin nicht flächendeckend zur Abklärung einer hämodynamischen Instabilität eingesetzt wird. Insbesondere in der perioperativen Intensivmedizin sind jedoch zahlreiche Erkrankungen/Operationen überproportional häufig mit einer Rechtsherzinsuffizienz assoziiert. In erster Linie sind hierbei zu nennen: ALI/ARDS, Lungenembolie, akute Myokardinfarkte mit Beteiligung der RCA und/oder des RCX und herzchirurgische Eingriffe. Bei diesen Erkrankungen kommt der rechtsventrikulären (RV) Funktion zudem eine 141
prognosedeterminierende Bedeutung zu. Beispielsweise zeigen auch unter Anwendung protektiver Beatmungsverfahren noch 25-30 % aller ALI/ARDS-Patienten eine RV Insuffizienz (Letalität: 30-40 %) [70, 29, 52]. Bei der Lungenembolie ist das Auftreten eines schweren akuten Cor pulmonale mit einer Letalität von knapp 60 % assoziiert [69]. Bei vielen herzchirurgischen Patienten liegt bereits präoperativ eine (zumeist sekundäre) PHT vor, die intraoperativ (v.a. bei Einsatz der extrakorporalen Zirkulation) exazerbieren kann. Daneben tritt in der Herzchirurgie postoperativ regelhaft eine kontraktile Dysfunktion des RV auf, zum einen als Ausdruck des myokardialen Stunnings nach intraoperativer Myokardischämie, zum anderen daher, weil in Rückenlage die RCA die höchstgelegene Koronararterie ist und damit bei inadäquater Entlüftung der Ventrikel Luft am ehesten in die RCA embolisiert. In einer Untersuchung gingen 48 % aller postoperativen LCOSFälle nach Herzchirurgie auf ein Rechtsherzversagen zurück (Letalität: 44 %). Nach Herztransplantationen gehen 50 % der akuten Komplikationen auf ein akutes Rechtsherzversagen zurück, welches damit 42 % der perioperativen Mortalität ausmacht [21]. Auch nach Implantation eines linksventrikulären Unterstützungssystems (LVAD) wird ein Rechtsherzversagen in 30-50 % der Fälle beobachtet, mit einer Letalität von 46 % [39]. Grundsätzlich können drei Mechanismen - einzeln oder in Kombination - zu einem Rechtsherzversagen führen. Sie sind in Abbildung 4 (zusammen mit hierfür typischen Erkrankungen) aufgeführt. URV Kontraktilität
•Ischämie •Postoperative kontraktile Dysfunktion (Stunnlng, Luftembolie) •Rechtsseitige Kardiomyopathie
ORV Nachlast
•Trlkuspldalklappenlnsuff. •Pulmonalklappenlnsuff.
ORV Vorlast
Abb. 4: Ätiologie des akuten Rechtsherzversagens.
IV.2 Pathophysiologie Aufgrund seiner geringen kontraktilen Reserven kompensiert der rechte Ventrikel im Gegensatz zum linken Ventrikel akute Steigerungen der Nachlast und eine Abnahme der Kontraktilität nur sehr eingeschränkt, so dass rasch eine Zunahme des rechtsseitigen Ventrikelvolumens resultiert. Da der rechte Ventrikel aufgrund seiner dünnen Wand eine hohe Compliance besitzt, zeichnet sich seine Frank-Starling-Kurve durch eine flache Steigung aus (geringe Vorlast-Abhängigkeit). Die Zunahme des end-diastolischen Ventrikelvolumens resultiert daher nicht in einer Steigerung des Schlagvolumens, sondern in einer
142
Dilatation des rechten Ventrikels. Ohne geeignete therapeutische Maßnahmen mündet die RV Dilatation rasch in einem akuten Rechtsherzversagen, wobei zwei unterschiedliche Mechanismen interagieren [Abb. 5): 1) Durch die Reduktion des RV Schlagvolumens (,.Vorwärtsversagen") gelangt weniger Blut über die pulmonale Strombahn, so dass die LV Vorlast sinkt (serielle ventrikuläre Interdependenz). Da beide Ventrikel von dem nur wenig dehnbaren Perikard umgeben sind, kann die Volumenzunahme des rechten Ventrikels nur auf Kosten einer Volumenabnahme des linken Ventrikels erfolgen. Hierbei kommt es zu einer Verschiebung des interventrikulären Septums nach links [Abb. 1), wodurch die LV Compliance und damit die LV Füllung weiter abnehmen (parallele ventrikuläre Interdependenz, diastolische ventrikuläre Interaktion). Durch die veränderte Septum-Geometrie kommt es aber auch zu einer Einschränkung der septalen Kontraktilität, so dass der Beitrag des Septums an der Generierung des RV Schlagvolumens abnimmt (parallele ventrikuläre Interdependenz, systolische ventrikuläre Interaktion). In jedem Fall resultiert eine Abnahme des Herzzeitvolumens (HZV) und damit ein Abfall des aortalen Blutdrucks, der zu einer Reduktion des koronaren Perfusionsdrucks und damit des myokardialen Oi-Angebots führt [Abb. 5A]. 2) Gleichzeitig ist aber durch die Dilatation des rechten Ventrikels und angesichts der gesteigerten Nachlast der Ür Verbrauch des rechten Ventrikels erhöht. Es resultiert eine RV Ischämie mit konsekutiver Abnahme der RV Kontraktilität, die ihrerseits zu einer weiteren Dilatation des rechten Ventrikels führt (,.Teufelskreis") [Abb. 5 B]. '
--
---- ---- -- ---- ---- --- ------------------------- -- -------- ,,----- ----------- ------ -------------------- ----------
t RV Nachlast !i
i A.
B.
.----_::==::::::;-7--' ----.---~::
! RV Kontraktilität RVlschämie Rechts-LinksShunt
llV
Konfraktilität
! RV koronarer Perfusionsdruck
! Herzzeltvolumen 1 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - ,, - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Abb. 5: Pathophysiologie des akuten Rechstherzversagens (Nähere Erläuterungen siehe Text).
Von großer Bedeutung ist auch die aus der RV Dilatation resultierende venöse Stauung, die zu einem rasch progredienten Leber- und Nierenversagen führen kann. Auf eine chronische Rechtsherzbelastung reagiert der rechte Ventrikel zunächst mit einer Hypertrophie und damit einer Zunahme der kontraktilen Reserven. Nach Ausschöpfung/ Überschreitung der kompensatorischen Reserven kommen jedoch die gleichen pathophysiologischen Mechanismen wie bei der akuten Rechtsherzbelastung zum Tragen.
IV.3 Diagnostik Der klinische Goldstandard in der bettseitigen Diagnostik des akuten Rechtsherzversagens ist die Echokardiographie, welche transthorakal oder (bei beatmeten Patienten vorzugsweise) transösophageal durchgeführt wird. Ein geübter Untersucher kann binnen 143
Sekunden die Diagnose einer gestörten RV Funktion stellen. Schon der simple Vergleich zwischen end-diastolischer Größe von RV und LV hat einen exzellenten prädiktiven Wert in der Diagnose der RV Dysfunktion [38]. Daneben wird auch die gleichzeitige Beurteilung der linksseitigen Herzfunktion und der ventrikulären Interaktion ermöglicht. Auch gelingt mit der Echokardiographie in den allermeisten Fällen die Identifikation der dem akuten Rechtsherzversagen zugrundeliegenden Ursache. Der PAK stellt derzeitig das einzige Überwachungsverfahren dar, mit dem die RV Nachlast kontinuierlich überwacht werden kann. Die Indikation zur Anlage eines PAK ist daher bei Patienten mit RV Dysfunktion grundsätzlich gerechtfertigt, insbesondere dann, wenn das zum Einsatz kommende Therapiekonzept auf der Senkung der RV Nachlast beruht [4].
IV.4 Therapie Wann immer möglich, sollte durch eine exakte Diagnosestellung eine kausale Therapie des akuten Rechtsherzversagens angestrebt werden, wie z.B. die Revaskularisation bei RV Infarkt oder die Thrombolyse/Embolektomie bei Lungenembolie. In vielen Fällen ist jedoch ein kausaler Therapieansatz nicht verfügbar oder sind auch neben dem kausalen Therapieansatz supportive Maßnahmen erforderlich. Die medikamentöse Therapie des akuten Rechtsherzversagens stützt sich im wesentlichen auf drei Säulen: 1) selektive pulmonale Vasodilatation, 2) systemische Vasokons~tion und 3) positiv-inotrope Unterstützung.
IV.4.1
Selektive pulmonale Vasodilatation
Aufgrund der zentralen Bedeutung der Nachlast für die Pathophysiologie des Rechtsherzversagens kommt dem Therapiekonzept der pulmonalen Vasodilatation eine herausragende Rolle zu. Bis dato sind allerdings keine Vasodilatatoren bekannt, die ausschließlich in der pulmonalen Zirkulation wirken. Die intravenöse Gabe von Vasodilatatoren führt nicht nur zu einer pulmonalen, sondern auch zu einer systemischen Vasodilatation und damit konsekutiv zu einer arteriellen Hypotonie. Hierdurch kann die Koronarperfusion auf ein kritisch niedriges Niveau abfallen und ein Shift des intraventrikulären Septums nach links provoziert werden. Daneben durchbrechen systemisch applizierte Vasodilatatoren den Mechanismus der hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion und führen daher bei Patienten mit ALI/ARDS zu einer Zunahme des intrapulmonalen Rechts-Links-Shunts mit konsekutiver Verschlechterung der Oxygenierung [44]. Aus diesen Gründen sollten systemische Vasodilatatoren bei Patienten mit Rechtsherzversagen und/oder ARDS - wenn überhaupt - nur zurückhaltend verwendet werden, beginnend mit niedrigen Dosierungen und/oder in Kombination mit systemischen Vasopressoren. Eine selektive Wirkung auf die pulmonale Strombahn kann jedoch erzielt werden, wenn Vasodilatatoren inhaliert und damit an den Wirkort, die Gefäße in den Alveolarwänden, transportiert werden. Zweckmäßigerweise werden Vasodilatatoren eingesetzt, die sich durch eine kurze Halbwertszeit auszeichnen. Bei diesen ist der Übertritt in die systemische Zirkulation vernachlässigbar, so daß nur ein geringes Risiko für das Auftreten einer arteriellen Hypotension besteht.
N.4.1 A Inhaliertes Stickstoffmonoxid (iNO) Nach Inhalation diffundiert NO rasch über die alveolo-kapilläre Membran in die darunter liegenden glatten Muskelzellen der pulmonalen Gefässe. Durch die Aktivierung der löslichen Guanylat-Cyclase wird GTP zu cGMP umgewandelt, welches eine Relaxation der glatten Muskulatur induziert. Die physiologischen Wirkungen von cGMP sind auf den Syntheseort beschränkt, da cGMP rasch durch Phosphodiesterasen (PDE) hydrolysiert wird, in erster Linie durch PDE-5 [28]. Nach Diffusion in die Blutbahn reagiert NO mit 144
Oxyhämoglobin zu Methämoglobin und Nitrat und mit Desoxyhämoglobin zu EisenNitrosyl-Hämoglobin. In der Atemluft reagiert NO bei Zufuhr hoher Dosen mit 0 2 zum potentiell toxischen NO2 und Sauerstoffradikalen. iNO wird eingesetzt in der Behandlung des ARDS und der perioperativen pulmonalen Hypertonie unterschiedlicher Ätiologie, v.a. in der kongenitalen Herzchirurgie, bei Herztransplantationen und bei der Implantation eines LVAD. Zur Behandlung der PHT wurden Konzentrationen von bis zu 80 ppm vorgeschlagen. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, daß höhere Konzentrationen als 20 ppm wahrscheinlich nur die Toxizität von iNO steigern, ohne einen weiteren hämodynamischen Benefit zu zeitigen. Bei Patienten mit ARDS kann die Oxigenierung in den meisten Fällen mit Konzentrationen von 5-10 ppm (oder sogar weniger) verbessert werden [9]. Obwohl mit iNO oft deutliche Effekte auf die pulmonale Hämodynamik und die Oxygenierung erzielt werden können, steht bis heute der Nachweis eines Überlebensvorteils für die Therapie erwachsener Patienten aus. Für das akute Rechtsherzversagen, etwa nach Herztransplantation oder i.R. einer LVADImplantation, liegen auch heute noch keinerlei Daten vor, die eine evidenzbasierte Empfehlung ermöglichen würden. Der Einsatz von iNO bleibt daher in diesen Fällen der klinischen Erfahrung der einzelnen Zentren vorbehalten [17]. Die inhalative Gabe von NO bedarf spezieller Beatmungsgeräte bzw. Applikatoren und erfordert ein kontinuierliches Monitoring von NO2 und Methämoglobin. iNO kann praktisch nur bei beatmeten Patienten eingesetzt werden. Eine beträchtliche Zahl an Patienten sind sogenannte „Non-Responder" [9] . Nach Beendigung der NO-Zufuhr können Rebound-Effekte auf den pulmonalen Gefäßtonus auftreten. Die Kosten für iNO sind seit der FDA-Zulassung für die Therapie der persistierenden PHT des Neugeborenen drastisch gestiegen. Daher werden derzeit intensiv Alternativen zu iNO getestet [36]. N.4.1.B Inhaliertes Iloprost Iloprost ist ein Carbacyclin-Derivat des Prostacyclins (PGI2). PGI2 vermittelt sowohl eine Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur als auch eine potente Hemmung der Thrombozytenaggregation. Über die Bindung an einen spezifischen Prostanoid-Rezeptor (IP) wird die Adenylat-Cyclase stimuliert und dadurch die intrazelluläre cAMP-Konzentration erhöht. cAMP wird v.a. durch die PDE-III hydrolysiert. Iloprost ist im Gegensatz zu PGI2 auch bei Raumtemperatur stabil und muß nicht lichtgeschützt verwahrt/appliziert werden. Die Halbwertzeit von Iloprost wird mit 6-9 Minuten angegeben. Die pulmonal-vasodilatierenden Effekte halten jedoch für eine Dauer von 20-60 Minuten an, so daß eine intermittierende Verneblung möglich ist [51] . Auch wenn Iloprost nach Bolusgabe vorübergehend in der systemischen Zirkulation nachgewiesen werden kann (,,Spill-Over"), sind die Effekte auf den systemischen Gefäßtonus deutlich geringer als auf den pulmonalen Gefäßwiderstand [51]. Ähnlich wie PGl2 scheint inhaliertes Iloprost ein potenterer pulmonaler Vasodilatator zu sein als iNO [25]. Für den Bereich der Herzchirurgie konnten zwei kleinere Studien die Effektivität von inhaliertem Iloprost demonstrieren [32, 57]. Bis heute ist die optimale Dosis für inhaliertes Iloprost in der Behandlung der akuten RV Insuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen unbekannt, da keine Dosis-WirkungsUntersuchungen vorliegen. In unserer klinischen Routine setzen wir 20 (-40) µg ein. N.4 .1 .C Phosphodiesterase-Typ-V-lnhibitoren (PDEI-V) Sildenafil ist ein selektiver Hemmstoff der PDE-V. Sildenafil erhöht die intrazelluläre Konzentration von cGMP, und vermittelt damit eine Relaxation in den glatten Muskelzellen der Gefäße [16]. Da PDE-V besonders reichlich in pulmonalen Endothelien vorkommt, wird spekuliert, daß Sildenafil vorzugsweise den pulmonalen Gefäßtonus beeinflusst. Sildenafil kann die pulmonal vasodilatierenden Effekte von iNO [2] und auch von inhaliertem Iloprost [18] potenzieren. Offensichtlich zeichnen sich PDEI-V durch eine gewisse Non-Selektivität gegenüber cGMP und cAMP aus. Sildenafil hat in der Zwischenzeit eine große Bedeutung in der Therapie von Patienten mit chronischem pulmonalem Hypertonus erlangt [16]. 145
Bei der akuten pulmonalen Hypertonie resultierte die Inhalation von Sildenafil im Tierversuch in einer selektiven pulmonalen Vasodilatation [27) . In der kongenitalen Herzchirurgie verursachte intravenöses Sildenafil einen signifikanten Abfall des arteriellen Blutdrucks und eine Verschlechterung der Oxygenierung [63). Kürzlich wurde berichtet, dass Sildenafil die Kontraktilität im hypertrophierten rechten Ventrikel steigert [49) . Dies könnte Sildenafil unter bestimmten Umständen zum Inodilatator werden lassen. Sildenafil steht kommerziell derzeit nur zur oralen Anwendung zur Verfügung. Die Effekte einer enteralen Applikation von Sildenafil auf die perioperative Hämodynamik sind bislang allerdings nicht systematisch untersucht worden. In einer Gruppe von acht Erwachsenen mit PHT nach Mitralklappenchirurgie oder Implantation eines LVAD erleichterten 25-50 mg orales Sildenafil die Entwöhnung von Milrinon, iNO und intravenösen Vasodilatatoren [67) . Die Therapie in diesen Fällen sollte ggf. sogar mit noch niedrigeren Dosierungen (12,5 mg) erfolgen, um systemische Nebenwirkungen zu vermeiden [50). Solange prospektive Daten in größeren Patientenkollektiven fehlen, sollte Sildenafil zur Therapie der perioperativen RV Insuffizienz nur zurückhaltend und unter engmaschigem Monitoring der pulmonalen und globalen Hämodynamik eingesetzt werden.
IVA.2 Systemische Yasokonstriktion Der Gebrauch von systemischen Vasopressoren in der Therapie des akuten Rechtsherzversagens verfolgt zwei Ziele: a) den rechtskoronaren Perfusionsdruck zu erhöhen und b) die interventrikulären Druckverhältnisse wiederherzustellen und damit der Verschiebung des Ventrikelseptums zur linken Seite entgegenzuwirken. Vasopressoren erhöhen sowohl den Widerstand im System- als auch im Lungenkreislauf. Die Effektivität der gewählten Vasopressor-Therapie hängt daher davon ab, wie die einzelnen Substanzen das Verhältnis zwischen pulmonal- und systemisch-vaskulärem Widerstand beeinflussen. Hierbei spielt auch die zugrunde liegende Ursache des Rechtsherzversagens eine wichtige Rolle. Im Falle einer akuten Druckbelastung des rechten Ventrikels durch eine mechanische Obstruktion wie z.B . bei der Lungenembolie werden Vasokonstriktoren einen nur geringen zusätzlichen Effekt auf die rechstventrikuläre Nachlast ausüben. Dagegen überwiegen die vorteilhaften Effekte der Vasopressoren auf den koronaren Perfusionsdruck und die ventrikuläre Interdependenz [71). Im Falle einer akuten reaktiven pulmonalen Hypertonie (z.B . i.R. einer hypoxisch pulmonalen Vasokonstriktion oder nach extrakorporaler Zirkulation) kann dagegen die Reagibilität der pulmonalen Gefäße/Arteriolen auf Vasopressoren gesteigert sein, was den Nutzen der systemischen Vasokonstriktion gefährden kann. Es gibt nur wenige Daten, die die Überlegenheit eines bestimmten Vasokonstriktors belegen könnten. Im Tierexperiment führte Vasopressin zu einem Anstieg der RV Nachlast bei gleichzeitiger Reduktion der RV Kontraktilität [35). Vasopressin sollte daher bei Patienten mit akutem Rechtsherzversagen nur sehr zurückhaltend und unter engmaschiger Überwachung der RV Funktion eingesetzt werden.
IV.4.3
Inotropika
Positiv inotrope Medikamente sind hinsichtlich ihrer Effektivität in der Therapie des akuten Rechtsherzversagens bislang nur ungenügend analysiert. Auch in der klinischen Praxis besteht bezüglich der Auswahl dieser Medikamente häufig eine Kontroverse. Adrenalin und Noradrenalin sind als Inopressoren zu bezeichnen, da sowohl a- als auch ß-adrenerge Rezeptoren stimuliert werden. Inopressoren sind wahrscheinlich bei einem isolierten Rechtsherzversagen besonders effektiv. Da der rechte Ventrikel nur eingeschränkte kontraktile Reserven hat, dürfen die Effekte einer ßl-Rezeptor-Stimulation auf die RV Kontraktilität allerdings nicht überschätzt werden. Höhere Adrenalin-Dosen verursachen oftmals (v.a. wenn das Rechtsherzversagen auf einer fixierten Obstruktion der pulmonalen Strombahn beruht) einen hyperkontraktilen, hypovolämen linken Ventrikel 146
und induzieren nicht selten ausgeprägte Tachyarrhythmien, so dass eine hämodynamische Verbesserung nur schwerlich eintreten kann. Die mit dem Einsatz von Inopressoren assoziierte pulmonale Vasokonstriktion kann ihre Effektivität limitieren, so daß ggf. zusätzlich inhalative Vasodilatatoren zum Einsatz kommen müssen. In einem Tiermodell des akuten Rechtsherzversagens steigerte Dobutamin in einer Dosis bis zu 5 µg · kg· 1 • min- 1 die RV Kontraktilität und das Herzzeitvolumen, während die RV Nachlast gesenkt wurde [30]. In einer anderen Untersuchung konnten allerdings für Dobutamin-Dosierungen bis zu 10 µg · kg· 1 • min- 1 keine vasodilatierenden Eigenschaften in der pulmonalen Zirkulation nachgewiesen werden [53]. Es ist daher unklar, ob Dobutamin ein reines Inotropikum ist oder auch als Inodilatator wirkt. Inodilatatoren wie der PDE-111-Inhibitor Milrinon bewirken eine Kombination aus Inotropiesteigerung und Senkung der RV Nachlast [7]. Die fehlende Selektivität für die vasodilatatorische Komponente zieht aber meist eine systemische Hypotension nach sich, so dass eine zusätzlich Vasopressoren-Gabe erforderlich wird. Um eine systemische Vasodilatation zu vermeiden, wurde die inhalative Applikation von Milrinon vorgeschlagen [22, 33]. Theoretisch sind systemisch gegebene Inodilatatoren v.a. dann vorteilhaft, wenn gleichzeitig ein Linksherzversagen vorliegt, bei welchem die Senkung der Nachlast ein wesentliches Therapieprinzip ist. Die Kombination aus positiver Inotropie und pulmonaler Vasodilatation läßt auch den Inodilatator Levosimendan in der Therapie des akuten Rechtsherzversagens attraktiv erscheinen. In einem Tiermodell mit der Kombination aus pulmonaler Hypertonie und RV Stunning konnte Levosimendan das RV-pulmonalarterielle Coupling optimieren und den rechtskoronaren Blutfluss steigern, ohne dabei die diastolische Funktion des rechten Ventrikels zu beeinträchtigen [46]. Bei Patienten mit ARDS und septischem Schock konnte Levosimendan den pulmonal vaskulären Widerstand vermindern und den Herzindex wie auch die RV Ejektionsfraktion verbessern [48]. Bei Patienten im kardiogenen Schock auf dem Boden eines RV Infarktes, die auf die konventionelle Therapie mit Dobutamin und Noradrenalin nicht mehr ansprachen, wurde durch die Gabe von Levosimendan eine anhaltende Verbesserung der globalen und pulmonalen Hämodynarnik erreicht [61].
IV.4.4
Sonsti~ Therapieansätze
Weitere Therapieansätze des akuten Rechtsherzversagens umfassen: die Rhythmusstabilisierung, die Optimierung der RV Vorlast unter echokardiographischer Kontrolle, die Adjustierung der maschinellen Beatmung zur gleichzeitigen Vermeidung hoher Plateaudrücke und einer Hyperkapnie sowie in Einzelfällen die Implantation mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme (va-ECMO, RVAD).
V) Zusammenfassung Die akute Herzinsuffizienz ist im Bereich der perioperativen Intensivmedizin ein sehr häufiges Krankheitsbild mit einer sehr ernsten Kurz- und Langzeitprognose. Die Ätiologie ist vielschichtig, die Pathophysiologie komplex. Nur durch eine genaue Diagnosestellung mit Hilfe v.a. der Echokardiographie und des erweiterten hämodynamischen Monitorings ist es möglich, die betroffenen Patienten rasch einer zielgerichteten Therapie zuführen zu können. Hierbei sollte der Einsatz von Inotropika differenziert und restriktiv erfolgen.
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Update: Thromboseprophylaxe und Lungenarterienembolie W. A. WETSCH, B . W. BöTIIGER
Prophylaxe venöser Thrombembolien Die symptomatische tiefe Venenthrombose (TVT) hat in der Allgemeinbevölkerung eine jährliche lnzidenz von 90 bis 130 bezogen auf 100.000 Einwohner. Die Häufigkeit beträgt somit ca. 0,1 % und variiert in Abhängigkeit von Definition, Alters- und Geschlechtsverteilung, ethnischer Zugehörigkeit und dem Vorhandensein variabler Risikofaktoren (wie z.B. höheres Lebensalter, maligne Grunderkrankungen etc.). Ätiologisch liegt einer Thrombose das Vorliegen der Virchow-Trias zugrunde, die aus einer Hyperkoagulabilität (z.B. erhöhte Viskosität, Störungen der Fibrinolyse, Dehydratation etc.), Stase (z.B. durch Varizen, Immobilisation, turbulenter Blutfluss etc.) sowie einer Endothelschädigung (z.B. traumatisch, operativ, altersbedingt etc.) besteht (2). Dies macht auch klar, warum hospitalisierte Patienten in besonderem Maße gefährdet sind, thrombembolische Ereignisse zu erleiden. Es steht bislang kein verlässlicher Test zur Bestimmung des individuellen Thromboserisikos zur Verfügung. Eine Frühdiagnose einer TVT ist darüber hinaus so gut wie nie möglich, da sich hier noch kaum klinische Zeichen präsentieren; andererseits ist gerade hier durch die Ablösung von lockeren Gerinnseln die Gefahr für eine Lungenembolie (LE) am größten. Da jedoch selbst eine asymptomatische Thrombose zur Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms führen kann und der größte Teil von tödlichen Lungenembolien völlig ohne klinische Ankündigung auftritt, erscheint eine generelle Thrombembolieprophylaxe in Risikosituationen wie einem Krankenhausaufenthalt prinzipiell sinnvoll.
Risikostratiflzierung Die Indikationsstellung zur Thrombembolieprophylaxe sowie die Wahl der für den Patienten geeigneten Form einer Thromboseprophylaxe sollte dabei stets individuell und risikoadaptiert erfolgen. Dabei ist zwischen Patienten mit niedrigem, mittlerem und hohem Thromboserisiko zu unterscheiden. Das individuelle Risiko für den Patienten setzt sich dabei stets aus dispositionellen, d.h. patienteneigenen, und expositionellen, also erkrankungs- sowie eingriffsbedingten, Risikofaktoren zusammen. Zur Einschätzung der dispositionellen Risikofaktoren sollte in jedem Fall auch eine Familienanamnese erhoben werden. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über dispositionelle Risikofaktoren und deren klinische Relevanz.
153
Klinisches Risiko
Risikofaktor
hoch
Anamnestisch stattgehabte TVT/LE Maligne Grunderkrankung
mittel bis hoch
Thrombophile Hämostasedefekte (z.B. AT-Mangel, Protein-C- oder Protein-SMangel, APC-Resistenz, Faktor-V-Leiden, Antiphospholipidsyndrom etc.)
mittel
Alter >60 Jahre BMI >30 kg/m2 Herzinsuffizienz TVT / LE bei Verwandten 2. Grades Therapie mit Sexualhormonen
gering
Schwangerschaft Postpartalperiode Varikosis Nephrotisches Syndrom
Tab. 1: Dispositionelle Risikofaktoren und deren klinisches Risiko.
Die präoperative Erhebung von Laborparametern (wie z.B. D-Dimere, Thrombin-Antithrombin-Komplex) hat in der Risikostratifizierung von Patienen keine relevante prädiktive Aussagekraft und sollte deshalb nicht verwendet werden [3). Um das Risiko für ein thrombembolisches Ereignis einschätzen zu können, sollte eine Einteilung in drei Risikogruppen (Tabelle 2) erfolgen. Tabelle 3 zeigt dabei die Häufigkeiten thrombembolischer Ereignisse in den jeweiligen Risikogruppen (nach [1]). Die Art sowie der Umfang der Thromboseprophylaxe sollten sich dabei stets nach dieser Einteilung richten. Operative Medizin
Nicht-operative Medizin
hohes VTE-Risiko
- größere Eingriffe in der Bauch- und Beckenregion bei malignen Tumoren oder entzündlichen Erkrankungen - Polytrauma, schwere Verletzungen der Wirbelsäule, des Beckens und/oder der unteren Extremität - größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken, Hüft- oder Kniegelenk - größere operative Eingriffe in Körperhöhlen der Brust-, Bauch- und/oder Beckenregion
- Schlaganfall mit Beinparese - akut dekompensierte, schwere COPD mit Beatmung - Sepsis - schwer erkrankte Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung
mittleres VTE-Risiko
- länger dauernde Operationen - gelenkübergreifende Immobilisation der unteren Extremität im Hartverband - arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie an der unteren Extremität - kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
- akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV) - akut dekompensierte, schwere COPD ohne Beatmung - Infektion oder akut-entzündliche Erkrankung mit strikter Bettlägerigkeit - stationär behandlungsbedürftige maligne Erkrankung - kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
niedriges VTE-Rislko
- kleine operative Eingriffe - Verletzung ohne oder mit geringem Weichteilschaden - kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
- Infektion oder akut-entzündliche Erkrankung ohne Bettlägerigkeit - zentralvenöse Katheter/Portkatheter - kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
Tab. 2: Einteilung in Risikogruppen (nach [4]).
154
hohes VTE-Risiko
Distale Beinvenenthrombose
Proximale Beinvenenthrombose
Tödliche Lungenembolie
40-80%
10-30%
>1 %
mittleres VTE-Risiko
10-40%
l-10%
0,1 -l %
niedriges VTE-Risiko
1,5 mg/dl und der Ausschluss anderer Ursachen für das akute Nierenversagen, wie etwa eine Schocksymptomatik, die Behandlung mit nephrotoxischen Substanzen oder andere Nierenparechymerkrankungen. Das klinische Bild bessert sich dabei weder durch Flüssigkeitszufuhr (1,5 Liter NaCl 0,9 %) noch durch das Absetzen der Diuretika [Salemo 2007, Arroyo 2008). Klinisch unterschieden werden das rasch progrediente HRS Typ I mit einer Verdopplung des Serum-Kreatinins auf> 2,5 mgldl in weniger als 2 Wochen. Die Letalität wird mit über 60 % in 2 Wochen angegeben. Das HRS Typ Il ist demgegenüber durch eine langsamere Verschlechterung der Niereninsuffizienz meist über mehrere Monate hinweg gekennzeichnet. Eine prototypische Konstellation für die Entwicklung eines HRS Typ] ist die Entwicklung einer Sepsis oder erforderliche Notfalleingriffe bei Leberzirrhose. Cirrhotische Kardiomyopathie Im Rahmen einer Leberzirrhose ist eine direkte Störung der kardialen Funktion anzunehmen. Diese wird u.a. durch Gallensäuren und Zytokine hervorgerufen. Die Kreislaufsituation ist zwar bei erniedrigtem systemischen Widerstand und erniedrigtem arteriellen Druck eher im Sinne einer hyperdynamen Zirkulation mit erhöhtem Herzzeitvolumen verändert; bei Normalisierung der peripheren Widerstände (z.B. nach Lebertransplantation) kann sich jedoch die Pumpleistung im Rahmen der Nachlasterhöhung verschlechtern. Zusätzlich können Störungen des Erregungsablaufes, wie QT-Verlängerungen, bestehen [Möller 2010). Hepatopulmonales Syndrom und sekundäre pulmonale Hypertension Im Rahmen schwerer Lebererkrankungen bestehen häufig auch pulmonale Beeinträchtigungen. Unter einem hepatischen Hydrothorax (häufig mit begleitenden Kompressionsatelektasen) versteht man die Flüssigkeitsansammlung (analog zur Aszitesbildung) in der Thoraxhöhle bei schwerer dekompensierter Leberzirrhose. Daneben entwickelt ein Teil der Patienten ein hepatopulmonales Syndrom, das durch eine arterielle Hypoxämie gekennzeichnet ist, die sich charakteristisch im Liegen bessert. Viel seltener, aber prognostisch wichtig ist eine sekundäre pulmonale Hypertonie mit erhöhtem pulmonalarteriellem Widerstand bei vorbestehender portaler Hypertonie, die sogenannte portopulmonale Hypertonie, mit histopathologischen Veränderungen der Lungenarterien (Mediahypertrophie, Intimafibrose und Proliferation der Adventitia) [Halank 2005). Diese kann zu erhebliche Problemen, z.B. im Rahmen einer Lebertransplantation führen.
Diagnostische Einschätzung der Leberfunktion Aufgrund der Vielzahl der Leberfunktionen ist eine Einschätzung nicht mit einzelnen Tests möglich; dies gelingt vielmehr erst durch Zusammenschau verschiedener Tests als Befundmuster. Traditionelle statische Tests wie z.B . die Bestimmung von Gerinnungsfaktoren oder der Aktivität leberspezifischer Enzyme sowie die Quantifizierung von Albumin oder Bilirubin stehen hierbei dynamischen Tests gegenüber, die die Leberfunktion anhand ihrer Clearanceleistung (z.B. lndocyaningrün (ICG)-Clearance), ihrer Fähigkeit zur Bildung von Metaboliten nach Verabreichung bestimmter Ausgangssubstanzen (z.B. MEGX (Monoethylglycinxylidid)-Test, [14C]-Aminopyrintest), der Syntheseleistung (z.B. Aminosäuren-Clearance-Test) oder der Quantifizierung der Eliminationskapazität (z.B. Galaktose) beurteilen (Tab. 2). 189
Testtyp
Parameter
Informationsgehalt
Statische Tests:
ALT.AST y-GT,AP Bilirubin Albumin Gerinnungsfaktoren
hepatozelluläre Integrität Cholestase Exkretionsleistung Syntheseleistung Syntheseleistung
Dynamische Tests:
MEGX-Test ICG-Clearance Aminosäuren-Clearance-Test
Metabolisierungskapazität Clearanceleistung Syntheseleistung
Tab. 2: Einteilung und Informationsgehalt gebräuchlicher Leberfunktionstests.
Statische Tests Leberenzyme Zur Beurteilung der Leber werden im klinischen Alltag die Aktivitäten von mehr oder weniger leberspezifischen Enzymen im Serum gemessen, die sich im Wesentlichen in zwei Gruppen einteilen lassen: Enzyme, die das Ausmaß der Störung der hepatozellulären Integrität widerspiegeln (z.B. Transaminasen), und solche, die Indikatoren für eine Cholestase sind (alkalische Phosphatase, y-Glutamyltransferase). Transaminasen Alanin-Aminotransferase (ALT) undAspartat-Aminotranferase (AST) stellen die diagnostisch wichtigsten Transaminasen dar. Sie kommen in unterschiedlicher Konzentration in verschiedenen Geweben vor: Hohe Konzentrationen von ALT finden sich lediglich in der Leber, während Herzmuskel, Niere, Gehirn, Pankreas, Lunge, Leukozyten und Erythrozyten ebenfalls hohe Konzentrationen an AST aufweisen. Die ALT befindet sich im Zytoplasma der Hepatozyten, während die AST zu 30 % im Zytoplasma und zu 70 % in den Mitochondrien lokalisiert ist. Die Höhe des Anstiegs der Serumaktivitäten von Aminotransferasen hat jedoch nur eine geringe prognostische Aussagekraft und korreliert unzureichend mit dem Ausmaß eventueller Leberzellnekrosen. Cholestaseparameter Die alkalische Phosphatase (AP) kommt in den meisten Organen einschließlich Leber, Knochen, Dünndarm, Niere, Plazenta und Leukozyten vor und wird als Indikator für Cholestase genutzt. Mäßig erhöhte Serumaktivitäten finden sich jedoch auch bei Hepatitiden, Leberzirrhose oder Malignomen der Leber, sowie bei einer Vielzahl von Knochenerkrankungen, entzündlichen Darmerkrankungen und verschiedenen extrahepatischen Tumorerkrankungen (z.B. Bronchialkarzinom, Hypernephrom). Neben einem Anstieg der Serumaktivität der y-Glutamyl-Transferase (y-GT) bei Cholestase finden sich erhöhte Werte unter antikonvulsiver Therapie oder bei chronischem Alkoholkonsum. AP und y-GT eignen sich zur Verlaufskontrolle bei Lebererkrankungen, die mit einer Cholestase einhergehen, einschließlich der typischen Exkretionsstörung in der Intensivmedizin.
Bilirubin Der überwiegende Teil des Bilirubins entsteht aus dem Abbau .von Häm und wird albumingebunden zur Leber transportiert. Bilirubin wird enzymatisch mit Glucuronsäure zur wasserlöslichen Form (direktes Bilirubin) konjugiert und anschließend über die Gallenwege in den Darm ausgeschieden. Dort erfolgt die Reduktion zu Urobilinogen, das partiell einem enterohepatischen Kreislauf unterliegt. Eine Hyperbilirubinämie kann prähepatischen (z.B. Hämolyse), intrahepatischen (Hepatitis, Parenchymschaden) oder posthepatischen Ursprungs (Cholestase) sein. Diese Dif190
ferenzierung der Ursachen des Ikterus gelingt in der Regel durch die Quantifizierung des relativen Anteils an direktem und indirektem Bilirubin in Kombination mit weiterer Enzymdiagnostik. Syntheseparameter Typische Parameter zur Quantifizierung der hepatozellulären Syntheseleistung, die in der klinischen Routine bestimmt werden, sind die Serum-Albuminkonzentration und die Aktivität der Serum-Cholinesterase (CHE) sowie Globalteste der Blutgerinnung bzw. Bestimmungen der Einzelfaktoren. Diese Indikatoren charakterisieren das Ausmaß des Verlustes an Hepatozyten. Konventionelle statische Parameter sind zu diagnostischen und differentialdiagnostischen Überlegungen oft hilfreich. Untersuchungen, in denen dynamische Leberfunktionstests mit den unterschiedlichen der hier aufgeführten statischen Laborwerte bei kritisch kranken Intensivpatienten korreliert wurden, haben ergeben, dass nur wenige biochemische Parameter eine prognostische Wertigkeit besitzen. Auch bei Patienten im septischen Schock zeigten sich statische Tests verglichen mit dynamischen Tests weniger sensitiv zur Beurteilung einer hepatozellulären Dysfunktion [Kimura 2001, Kortgen 2009a]. Statische Parameter haben dagegen Vorteile in der Bewertung der Prognose chronischer Lebererkrankungen [Kortgen 2010).
Dynamische Tests Dynamische Tests zur Beurteilung der Leberfunktion quantifizieren die aktuelle funktionelle Leberleistung zum Zeitpunkt der Bestimmung; sie beruhen auf der Fähigkeit der Leber bestimmte Ausgangssubstanzen zu metabolisieren und/oder zu eliminieren. Sie unterscheiden sich im Hinblick auf die Partialfunktionen der Leber und vor allem in Bezug auf Praktikabilität und Verfügbarkeit: So ist beispielsweise die Untersuchung der Aminosäureclearance zeitaufwendig und hat im klinischen Alltag auch wegen ihrer geringen Aussagekraft keinen Stellenwert. Geeignet für die alltägliche klinische Praxis sind die Bestimmung der Indozyaningrün-Elimination und der Monoethylglycinxylidid(MEGX)-Test. Charakteristisch für alle dynamischen Teste ist ihre Abhängigkeit sowohl von der metabolischen Kapazität als auch vom Leberblutfluss, d.h. von der funktionellen Hepatozytenreserve. Indozyaningrünclearance Indocyaningrün (ICG) ist ein anionischer Farbstoff; der an Plasmaproteine bindet und rezeptorverrnittelt exklusiv in die Hepatozyten aufgenommen und unverändert biliär sezerniert wird. Die Elimination einer Bolusinjektion folgt einer Kinetik erster Ordnung; die Geschwindigkeit der Abnahme der ICG-Plasmakonzentration ist proportional zur jeweiligen ICG-Plasmakonzentration. Die Messung dieser Plasmaverschwinderate von ICG (plasma disappearance rate of ICG, PDR1co) kann bettseitig, nicht-invasiv, transkutan mit Hilfe der Pulsdensitometrie, die auf dem Prinzip der Pulsoxymetrie beruht, erfolgen. Die gebräuchliche Injektionsdosis ist 0,25-0,.5 mg/kg KG. Der Normalwert der PDR1co beträgt 18-25 %/min. Die Elimination des ICG ist abhängig von sinusoidaler Perfusion und Membrantransport. Die Elimination des ICG zeigte sich als guter prognostischer Marker in klinischen Studien. So bestand in einer retrospektiven Untersuchung bei 336 kritisch kranken lntensivpatienten eine gute Korrelation zwischen PDR1co und Letalität. Die PDR1co der Überlebenden lag im Median bei 16 ,.5 %/min, die der im weiteren Verlauf verstorbenen Patienten bei 6,4 %/min. [Sakka 2002). In einer prospektiven Untersuchung an Patienten mit schwerer Sepsis war eine PDR1co < 8 %/min mit einem schlechten Outcome assoziiert [Kortgen 2009a]. Eine erniedrigte ICG-Clearance hat auch prognostische Aussagekraft für die perioperative Letalität von Patienten mit Leberzirrhose, z.B. bei Leberresektionen
191
[Hemming 1992] und bei kardiochirurgischen Eingriffen [Watanabe 1999]. Aufgrund ihrer einfachen bettseitigen Bestimmbarkeit ist die PDR1co besonders auch zur kurzfristigen Verlaufsbeurteilung und Therapiesteuerung geeignet [Kimura 2001, Kortgen 2009c] MEGX-Test Der MEGX-Test stellt eine weitere Methode zur Beurteilung der Leberfunktion im Sinne einer dynamischen Testung dar. Hier wird die cytochromabhängige Metabolisierungskapazität bestimmt. Der MEGX-Test basiert auf der hepatischen Konversion von Lidocain zu Monoethylglycinxylidid (MEGX). Wie alle dynamischen Testverfahren hängt auch dieser Funktionstest neben der metabolischen Kapazität der Leber vom hepatischen Blutfluss ab.
Diagnostik extrahepatischer Manifestationen des Leberversagens Die Entwicklung extrahepatischer Funktionsstörungen ist für Verlauf und Prognose des Patienten mit schwerer Leberdysfunktion bestimmend. Für die Diagnose Leberversagen obligat ist die Entwicklung einer qualitativen und/oder quantitativen Bewusstseinsstörung; allerdings ist der Beitrag einer Leberdysfunktion an der Entwicklung einer Bewusstseinstrübung im MOOS schwer einzuschätzen. Weiterhin können als typische extrahepatische Manifestationen Störungen der Herz- und Kreislauffunktion, der Nierenfunktion sowie des Gasaustausches auftreten, die entsprechend diagnostisch abgeklärt und symptomatisch therapiert werden müssen. Grundsätzlich steht heute als supportives Therapieverfahren für ausgewählte extrahepatische Komplikationen, wie die HE und das HRS, die extrakorporale Leberunterstützung zur Verfügung [Hassanein 2007].
Therapie des Leberversagens Ein akutes oder ein „akut-aufchronisches" Leberversagen sowie die schwere Leberdysfunktion bei Sepsis oder nach Leberchirurgie bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung, wobei insbesondere die Prophylaxe und Therapie von Komplikationen im Vordergrund stehen. Spezifische Therapieoptionen Spezifische Therapiemaßnahmen sind nur für wenige Ursachen des Leberversagens möglich; hierzu gehören die • die frühzeitige hochdosierte N-Acetylcystein-Therapie bei Paracetamolintoxikation, • die antivirale Therapie (z.B. Lamivudin bei Hepatitis B, Aciclovir bzw. Ganciclovir bei HSV- oder CMV-Hepatitis) • die Gabe von Silibinin bei Amanita-lntoxikation • die TIPS-Anlage bei Budd-Chiari-Syndrom • die Gabe von Kortikosteroiden bei Autoirnmun-Hepatitis • sowie die Entbindung bei schwangerschaftsassoziiertem Leberversagen. Symptomatische und supportive Therapie Ulkuspro_phylaxe Bei akutem und akut-auf-chronischem Leberversagen sollte zur Stressulkusprophylaxe eine Säuresuppression durchgeführt werden, da zum einen häufig eine Blutungsneigung bei schweren Gerinnungsstörungen besteht, zum anderen werden auch Magenschleimhauterosionen im Rahmen einer Stauungsgastritis beschrieben. 192
Ernährung Die Ernährungstherapie im akuten Leberversagen zielt auf eine Abschwächung der Katabolie und Aufrechterhaltung der Glukosehomöostase hin. Der Energiebedarf im akuten Leberversagen ist um 20 - 30 % erhöht. Zur Deckung dieses Bedarfes eignen sich Glukose und Lipide. Empfohlen wird häufig die Nicht-Eiweiß-Kalorien im Verhältnis 60-50:40-50 Glukose:Fett zuzuführen [Plauth 2009]. Hyperglykämien sollten dabei vermieden werden und gegebenenfalls mit zusätzlicher Insulingabe therapiert werden. Glukoseaustauschstoffe sollten nicht angewendet werden, da sie eine hepatische Metabolisierung erfordern. Eine Eiweißrestriktion kann bei höhergradiger HE gerechtfertigt sein; bei schwerer Mangelernährung bei Patienten mit Leberzirhose hingegen werden bis zu 1,5 g Aminosäuren/kg KG/Tag auch für Patienten mit HE 1/11° empfohlen [Plauth 2009]. Die Applikation verzweigtkettiger Aminosäuren konnte in einer Metaanalyse bei Patienten mit HE keinen Einfluss auf die Letalität zeigen [Als-Nielsen 2004]; die Gabe wir bei HE III/IV 0 aber als gerechtfertigt angesehen [Plauth 2009]. Aus pathophysiologischer Sicht erscheint der Einsatz entsprechend adaptierter Aminosäurelösungen mit einem höheren Anteil verzweigtkettigger und einem erniedrigten Anteil aromatischer Aminosäuren sinnvoll. L-Ornithin-L-aspartat, in hoher Dosierung (40 g/d} intravenös verabreicht, kann prinzipiell durch Steigerung der Harnstoffsynthese erhöhte Ammoniakspiegel senken und den Verlauf einer HE günstig beeinflussen. Allerdings gibt es hierzu widersprüchliche Studienergebnisse. Möglicherweise ist der Effekt beim akuten Leberversagen geringer als bei chronischen Verlaufsformen [Kircheis 1997, Acharya 2009). Das metabolische Monitoring sollte neben der regelmäßigen Blutzucker-Bestimmung mindestens eine Kontrolle der Laktat-,Ammoniak-, Harnstoff- und Triglyceridwerte umfassen. Auch der Elektrolythaushalt bedarf einer engmaschigen Überwachung; Hypophosphatämien sind bei der Paracetamol-Intoxikation aber auch beim „akut-auf-chronischen" Leberversagen bei Alkoholabusus häufig. Beim „akut-auf-chronischen" Leberversagen muss auch mit Vitamin-Defiziten gerechnet werden. Aus diesem Grund sollten, neben Spurenelementen, wasser- und fettlösliche Vitamine substituiert werden [Plauth 2009). Wann immer möglich sollte einer zumindest partiellen enteralen Ernährung der Vorzug gegeben werden.
Laktulose Die Gabe von Lactulose dient der Ansäuerung des Darminhaltes und der Beschleunigung der Darmpassage. Durch Erniedrigung des pH-Werts im Kolon wird die AmmoniakBildung durch Supprimierung ureaseproduzierender Bakterien reduziert und die Resorption des Ammoniaks durch Bildung schlecht resorbierbarer Ammonium-Ionen vermindert. Laktulose kann zur Therapie und Prophylaxe einer HE eingesetzt werden [Prakash 2010].
Prophylaktische Antibiotikagabe und Selektive Darmdekontamination Durch selektive Darmdekontamination (SDD) kann bei Leberinsuffizienz die Häufigkeit der Infektion mit Keimen der Darmflora reduziert werden, bei gleichzeitiger systemischer Antibiose konnte jedoch kein zusätzlicher Nutzen der SDD gezeigt werden. Im Rahmen einer gastrointestinalen Blutung sollte eine prophylaktische Antibiotikagabe erfolgen [Soares-Weiser 2004]. In den klinischen Studien wurden mit unterschiedlicher Therapiedauer (1-10 Tage) Fluorchinolone und Amoxycillin/Clavulansäure, allein oder in Kombination, aber auch Cephalosporine, Imipenem/Cilastatin wie auch schlecht resorbierbare Antibiotika zur enteralen Applikation im Sinne einer SDD verwendet. Eine Überlegenheit eines Regimes konnte in einer Metaanalyse nicht gezeigt werden [Soares-Weiser 2004]. Die Gabe vorwiegend nicht-resorbierbarer Antibiotika kann auch einen positiven Einfluss auf den Verlauf einer HE haben. Rifaximin ist hier möglicherweise die vielversprechendste Substanz aufgrund der geringen Nebenwirkungsrate [Prakash 2010, Bass 2010). 193
Hirndrucktherapie Die Therapie bei erhöhtem Hirndrucks in der Folge eines akuten Leberversagens umfasst die Maßnahmen, die auch bei anderen mit einem erhöhten Hirndruck einhergehenden Krankheitsbildern empfohlen werden. Durch die kontinuierliche Infusion einer hypertonen Natriumchloridlösung konnte in einer prospektiv randomisierten Studie an 30 Patienten mit akutem Leberversagen und HE III/IV 0 der intrakranielle Druck gesenkt werden. Die Inzidenz eines erhöhten intrakraniellen Drucks wurde reduziert [Murphy . 2004]. Insgesamt ist die Evidenz aller Maßnahmen für Patienten mit Leberversagen gering. Gerinnungstherapie Zum Bild des akuten Leberversagens gehören definitionsgemäß Gerinnungsstörungen. Dabei sind die Faktoren ebenso vermindert wie die Inhibitoren der Gerinnung. Begleitend zur verminderten Synthese, die durch die reduzierte Kapazität der Hepatozyten bedingt ist, entwickelt sich häufig ein erhöhter Verbrauch der Gerinnungsfaktoren im Sinne einer disseminierten intravasalen Koagulopathie und eine Hyperfibrinolyse. Obwohl keine kontrollierten Studien vorliegen, wird deshalb zur Prophylaxe insbesondere der intrazerebralen und intraabdominellen Blutungen eine Substitutionsbehandlung durchgeführt. Angestrebt werden dabei Quickwerte von über 20 %. Bei invasiven diagnostischen und therapeutischen Interventionen (z.B. Aszitespunktion, Anlage einer Sonde zur Hirndruckmessung) sollten höhere Werte angestrebt werden; auch eine Thrombozytopenie bzw. Thrombozytopathie kann hier von klinischer Bedeutung sein. Rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIla) kann im Leberversagen die Prothrombinzeit innerhalb einer Stunde normalisieren und konsekutiv Blutungskomplikationen reduzieren. Dies gelingt auch bei Koagulopathien, die trotz kontinuierlicher FFP-Gabe persistieren. Insbesondere bei Gefahr einer Volumenüberladung stellt rFVIla eine Alternative zur alleinigen FFP-Gabe dar. N-Acetylcystein Die hochdosierte N-Acetylcystein(NAC)-Gabe stellt bei der Behandlung der Paracetamolintoxikation eine spezifische Standardtherapie dar. NAC führt zur Rekonstitution der hepatischen Reserven an Glutathion. Für den Erfolg der Therapie ist ein frühzeitiger Beginn wichtig [Bemal 2010]. Auch beim nicht Paracetamol-induzierten Leberversagen kann die frühzeitige, hochdosierte Therapie mit NAC die Überlebensrate nicht-transplantierter Patienten erhöhen [Lee 2009]. Glutathion ist generell von ausschlaggebender Bedeutung zum Schutz der Hepatozyten vor toxischen Radikalen. Daher wird auch in der Therapie der Leberdysfunktion bei Sepsis von einzelnen Arbeitsgruppen die mehr oder weniger hochdosierte Verabreichung propagiert. In einzelnen Studien konnte eine Verbesserung der Sauerstoffextraktionsrate und der Splanchnikusperfusiqn bei Patienten mit Sepsis gezeigt werden [Rank 2000]. Vasopressoren Entsprechend der pathophysiologischen Konzepte zum HRS werden Vasopressoren bei dieser zentralen Komplikation des Leberversagens empfohlen, um die Vasodilatation im Splanchnikusgebiet zu vermindern. Die längerfristige Anwendung von Vasokonstriktoren kann beim HRS den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Dies ist insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung von Albumin gezeigt. Am besten evaluiert ist hier die Therapie mit Terlipressin [Gluud 2010] aber auch mit Noradrenalin, können wohl ähnliche Resultate erzielt werden. Auch zur Therapie der Ösophagusvarizenblutung werden Vasokonstriktoren, v.a. Terlipressin verwendet. Terlipressin kann jedoch den zerebralen Blutfluss und intrakraniellen Druck bei Patienten mit akutem Leberversagen erhöhen [Shawcross 2004J und sollte daher bei höhergradiger HE und akutem Leberversagen zurückhaltend eingesetzt werden. 194
Albumin Die Therapie mit Albumin bei Patienten mit Lebererkrankungen erscheint in bestimmten Fällen gerechtfertigt. So ist die Volumenexpansion mit Albumin begleitend zur Durchführung einer großvolumigen Parazentese sinnvoll, um die Begleiterscheinungen der Parazentese mit arterieller Vasodilatation, Stimulation der vasoaktiven Systeme und akuter Verschlechterung der Nierenfunktion abzumildern oder zu verhindern. Hierzu werden 8 g Albumin/! Aszites bei Parazentesevolumina von mehr als 5 Litern empfohlen. Auf künstliche Kolloide sollte verzichtet werden [EASL 2010]. Bei spontan bakterieller Peritonitis, die häufig Auslöser eines HRS ist, konnte die Applikation von Albumin zusätzlich zur Antibiotikatherapie mit Cefotaxim in einer randomisierten Studie das Auftreten einer schweren Nierendysfunktion von 33 auf 10 %, die Krankenhausmortalität von 29 auf 10 % und die 3-Monate-Mortalität von 41 auf 22 % senken [Sort 1999]. Auch beim HRS selbst wird Albumin in Kombination mit Vasokonstriktoren empfohlen [EASL 2010].
Transjugulärer intrahepatischer portrn1ystemischer Shunt (TIPS) Der TIPS ist ein interventionelles Verfahren zur Senkung des Pfortaderhochdrucks. Unter radiologischer Kontrolle wird mit einem Stent eine Verbindung zwischen einer Lebervene und einem Pfortaderast geschaffen. Im Gegensatz zu entsprechenden chirurgischen Verfahren ist der TIPS mit einer geringeren periinterventionellen Mortalität verbunden. Ein TIPS kann bei therapierefraktärem Azites sinnvoll sein. Er birgt aber die Gefahr der Entstehung oder Verschlechterung einer hepatischen Enzephalopathie. Die Anlage eines TIPS schließt eine Lebertransplantation nicht aus; er kann vielmehr als Überbrückung bis zur Verfügbarkeit eines Organs dienen.
Extrakorporale Leberersatztherapie Extrakorporale Leberersatzverfahren verfolgen prinzipiell zwei Therapieziele: Zum einen den Ersatz der Entgiftungsfunktion, zum anderen kann man durch „Bioreaktoren", die homologe oder heterologe Leberzellen enthalten, die Funktion des Leberparenchyms global zu ersetzen versuchen. Es wird allerdings angenommen, dass die Entgiftung mittels extrakorporaler Verfahren am bedeutsamsten ist, da die Akkumulation toxischer Substanzen zu einer weiteren Verschlechterung der Leberfunktion und zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme im Sinne einer endogenen Vergiftung (,,toxic liver syndrome") führt. Letztendlich ist die Therapie darauf ausgerichtet, die 'Zeit bis zur Bereitstellung eines Organs zur Transplantation oder im Idealfall bis zur Erholung der erkrankten Leber zu überbrücken. In einer Metaanalyse der Cochrane Library wurden Studien verschiedenster extrakorporaler Verfahren seit 1973 untersucht. Bei inhärenten methodischen Limitationen konnte beim akuten Leberversagen keine Reduktion der Letalität nachgewiesen werden, während beim „akut-auf-chronischen" Leberversagen durch den Einsatz extrakorporaler Leberunterstützungsverfahren die Letalität verringert wurde. Insgesamt wurde die HE günstig beeinflusst [Liu 2004].
isoliert maschinelle Verfahren Bei den rein maschinellen Verfahren steht die Unterstützung der Entgiftungsfunktion der Leber im Vordergrund. Hierfür wurden zunächst klassische Entgiftungsverfahren wie Hämodialyse, Hämoadsorption oder Hämoperfusion evaluiert, die keine Verbesserung der Prognose zeigen konnten. Neuere Verfahren haben insbesondere die Elimination der albumingebundenen Substanzen (,,Leberdialyse") zum Ziel. 195
Albumindialyse Molecular Adsorbent Recirculating System (MARS) Bei diesem Verfahren der extrakorporalen Leberunterstützung werden zur maschinellen Reinigung des Blutes von toxischen Substanzen die Methoden der Hämodiafiltration, der Adsorption und der konventionellen Hämodialyse miteinander kombiniert. Das Patientenblut fließt zunächst durch einen Filter mit einer Polysulfon-Hohlfasermembran. Als primäre Dialysatflüssigkeit dient Albumin-Lösung, die proteingebundene Toxine aus dem Blut aufnehmen soll. In einem Kreislauf zirkuliert das Albumin über einen Aktivkohlefilter und einen Anionenaustauscher und wird so regeneriert. Zur Elimination wasserlöslicher Toxine enthält der Albuminkreislauf einen weiteren konventionellen Dialysefilter. Aufgrund der Porengröße der MARSFlux-Membran werden Substanzen mit einem Molekulargewicht von größer 50 kDa nicht entfernt. Unter anderem sinken so die Spiegel von Bilirubin, Gallensäuren, mittel- und kurzkettigen freien Fettsäuren, aromatischen Aminosäuren, Kupfer sowie von wasserlöslichen Stoffen, z.B. Kreatinin, Harnstoff und Ammoniak. Auch Zytokine wie TNFa und Interleukin 6 werden reduziert. Es kann eine Verbesserung der Dysfunktionen von Gehirn, Niere, Kreislauf und Leber resultieren [Mitzner 2009]. Eine neuere Metaanalyse belegt das Dilemma des Verfahrens. Obwohl schon Tausende Patienten behandelt wurden, identifizierten die Autoren lediglich 4 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 67 eingeschlossenen Patienten. Die Analyse der Daten zeigte keinen Überlebensvorteil beim akuten und „akut auf chronischen" Leberversagen (Relatives Risiko: 0.56; Konfidenzintervall 0.28 - 1.14, p=0,11 [Khuroo 2004]). Derzeit laufende Studien zur Albumindialyse sind von ihrer Power eher nicht geeignet hier die Datenlage fundamental zu verbessern. Sin~le Pass Albumin Dialysis (SPAD) Bei einer SPAD wird herkömmliche Dialysierflüssigkeit mit Humanalbumin angereichert auf eine Zielkonzentration von z.B. 4-5 %. Als Filter wird ein high-flux Polysulfon-Filter verwendet. Dadurch können wie beim MARS albumingebundene Stoffe eliminiert werden. Das Albumin wird hier nicht regeneriert, sondern verworfen, passiert den Dialysefilter also nur einmal. Zu diesem Verfahren sind derzeit nur in-vitro Studien, Kasuistiken sowie eine retrospektive Untersuchung publiziert. Die retrospektiven Daten deuten auf eine vergleichbare Elimination zumindest von Bilirubin mit MARS und SPAD hin [Kortgen 2009b]. Fraktionierte Plasmaseparation und Adsorption - Prometheus Beim Prometheus-System wird zunächst das Plasma durch einen albumindurchlässigen Filter separiert und anschließend in einem Sekundärkreislauf über einen Adsorber geleitet. In diesem Sekundärkreislauf findet zusätzlich eine konventionelle Dialyse statt. Auch mit diesem System können Albumin-gebundene Substanzen wie Bilirubin und Gallensäuren neben wasserlöslichen Stoffen eliminiert werden. Verglichen mit MARS liegen für das Prometheussystem weniger Daten vor. Bioartifizielle Verfahren (,,Bioreaktoren") In den letzten Jahren wurden von verschiedenen Arbeitsgruppen bioartifizielle Systeme entwickelt, die Kulturen von unterschiedlichen isolierten Leberzellen verwenden. Schweinehepatozyten sind hierfür leicht verfügbar, tragen aber das prinzipielle Risiko der Übertragung von Viruserkrankungen und einer immunologischen Antwort auf die Fremdantigene. Menschliche Tumorzelllinien können einfach kultiviert werden, haben aber schlechte metabolische Eigenschaften und bergen das Risiko der Übertragung von Tumorzellen. Primäre menschliche Zellen, die die Erfordernisse der metabolischen Kapazität am besten erfüllen, sind zurzeit nicht in ausreichendem Maße verfügbar. 196
Die verwendete Leberzellmasse in den evaluierten Systemen reicht in der Regel bis maximal 500 g, also ungefähr einem Drittel der normalen Leberzellmasse eines Erwachsenen. In einer prospektiv randomisierten Multizenterstudie wurde das HepatAssist System, ein auf Schweinehepatozyten basierendes System an 171 Patienten mit fulminantem und subfulminantem Leberversagen bzw. primärem Transplantatversagen nach Lebertransplantation untersucht. Die 30-Tage Überlebensrate betrug für das gesamte Patientenkollektiv 71 % für die HepatAssist-Gruppe und 62 % für die Kontrollgruppe (Cox Regression: Risk Ratio: 0.67; p= 0.13). In einer Subgruppenanalyse der Patienten mit fulminantem und subfulminantem Leberversagen zeigte sich ein signifikanter Unterschied nach Adjustierung für verschiedene Einflusseingrößen (Cox Regression: Risk Ratio: 0.56; p = 0.048) [Demetriou 2004].
Lebertransplantation Für Patienten mit schwerem akutem Leberversagen mit, an Scores gemessen, sehr schlechter Prognose stellt die Lebertransplantation oft die einzige Möglichkeit dar, die Überlebenswahrscheinlichkeit zu verbessern. Die Indikation zur Lebertransplantation ist dann gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Spontanüberlebens gering ist. Grundlage für die Organzuteilung bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen stellt heute der MELD-Score dar. Eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Transplantationszentrum muss erfolgen, um den günstigsten '.Zeitpunkt für eine Transplantation nicht zu verpassen.
Zusammenfassung Für die Diagnose des Leberversagens i.e.S. maßgeblich ist, neben Koagulopathie und Ikterus, das Vorliegen einer hepatischen Enzephalopathie (HE). Dabei muss das „akutauf-chronische" Leberversagen bei vorbestehendem Leberparenchymschaden vom akuten Leberversagen ohne vorbestehende schwere Leberschädigung abgegrenzt werden. Gerade das „akut-auf-chronische" Versagen muss als typisches Problem der operativen Intensivmedizin angesehen werden. „Dynamische" Tests, wie Clearance-Bestimmungen, dienen der Beurteilung des aktuellen Funktionszustands der Leber im Hinblick auf die untersuchten Partialfunktionen sowie die Durchblutungssituation zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt und eignen sich gut zur kurzfristigen Verlaufs- und Therapiekontrolle. Traditionelle „statische" Tests sind dagegen weniger sensitive und träge reagierende Parameter für die Beurteilung der Leberfunktion und eignen sich besser zur Prognosebeurteilung chronischer Lebererkrankungen, insbesondere im Rahmen von Scoresystemen. Eine kausale Therapie des akuten Leberversagens ist nur bei einigen Ursachen möglich, muss aber, wenn indiziert, umgehend begonnen werden. Die weitere Therapie ist auf die Verhinderung und Therapie der Komplikationen des Leberversagens ausgerichtet. Neue Behandlungsoptionen der für Verlauf und Prognose mitentscheidenden extrahepatischen Komplikationen der schweren Leberinsuffizienz wurden mit zunehmendem Verständnis der Pathophysiologie der Leberdysfunktion evaluiert, wie z.B. die Therapie des HRS mit Albumin und Vasopressoren. Die Lebertransplantation bleibt für den Patienten mit absehbar infauster Prognose das Therapieverfahren der Wahl. Im Kontext der knappen Organressourcen und langer Wartezeiten auf den Lebertransplantationslisten gewinnt die extrakorporale Leberunterstützung zunehmend an Bedeutung zur Behandlung der extrahepatischen Organkomplikationen und zur Überbrückung der Zeit bis zur Regeneration der Leber oder bis zur 197
Verfügbarkeit eines Organs zur Lebertransplantation. Die Verfügbarkeit der Leberdialyse hat in einigen Zentren dabei auch zum Einsatz im Rahmen eines MOOS geführt. Diese Indikation ist im Sinne der evidenzbasierten Medizin nicht belegt und sollte nur in Studien erfolgen.
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Herausforderung Intensivtransport A.
FLEMMING
Einführung Die strukturellen Änderungen in der medizinischen Versorgungslandschaft, besonders die zunehmende Spezialisierung sowie die Abnahme der Bettenkapazitäten, erfordern einen steigenden Bedarf an Sekundärtransporten von Intensivpatienten (Intensivtransport). Zusätzlich müssen Intensivpatienten innerklinisch zur Spezialdiagnostik, Intervention oder Operation transportiert werden. Jeder Intensivpatient soll fach- und zeitgerecht und ohne Unterbrechung bzw. Minimierung der begonnenen intensivmedizinischen Therapie transportiert werden. Im Rettungsdienst werden Primär- und Sekundäreinsätze unterschieden. Beide Einsatztypen können boden- und luftgebunden sowie mit und ohne Arztbegleitung erfolgen. •
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Der außerklinische Patiententransport (lnterhospitaltransport) wird regelhaft durch die beauftragten Organisationen des Rettungsdienstes unter Koordination der Rettungsleitstelle durchgeführt (Synonym: Sekundärtransport oder Sekundäreinsatz) Der innerklinische Patiententransport (Intrahospitaltransport) wird häufig durch klinische Teams verschiedener Fachabteilungen sichergestellt.
Die eingesetzten Rettungsdienstfahrzeuge verfügen über die notwendige DIN-Ausstattung für den Rettungsdienst, aber regelhaft über keine spezielle intensivmedizinische Zusatzausstattung. Einige Patienten benötigen aber neben der kontinuierlichen Überwachung auch eine erweiterte intensivmedizinische Ausstattung und entsprechend intensivmedizinisch geschultes Personal. Diese Patientengruppe soll mit speziellen Fahrzeugen (Intensivtransportwagen (ITW), lntensivtransporthubschrauber (/TH)) oder in einem ,,Dual-Use-R1W" verlegt werden. Aufgrund der hohen Investitionskosten sollten die genannten Spezialfahrzeuge (ITW, ITH) zentral und landesweit koordiniert werden, hierdurch werden auch Einsätze über die kommunalen Rettungsdienstbereiche und Bundesländergrenzen hinaus möglich. Einige Bundesländer haben hierfür auf Grundlage der landesrechtlichen Bestimmungen entsprechende landesweite Koordinierungsstellen (z.B. Koordinierungsstelle Intensivtransport Niedersachsen) eingerichtet.
Intrahospitaltransport In einer medizinischen Einrichtung kann jederzeit ein innerklinischer Transport von Intensivpatienten zur Diagnostik oder Therapie erforderlich werden. Hierbei ergibt sich die besondere Herausforderung, die erforderliche Intensivtherapie auch während des Transportes und der Untersuchung lückenlos fortzusetzen. Die meisten Hersteller von Medizintechnik produzieren hierfür bereits Monitore und Beatmungsgeräte, welche die Anforderungen für einen innerklinischen Transport erfüllen. Allerdings müssen die medizinische Ausrüstung am Patientenbett sicher befestigt, sowie die Gas-, und Stromversorgung und das notwendige Verbrauchsmaterial mitgeführt werden. Zusätzliche Umlagerungen zum Transport des Patienten sollen beim innerklinischen Transportgrundsätzlich vermieden werden, es erfolgt somit regelhaft der Transport im Patientenbett. Die 201
Abbildung 1 zeigt beispielhaft eine fahrbare Transporteinheit mit der intensivmedizinischen Technik, sowie einem Koffer für Notfall- und Verbrauchsmaterial. Dies System kann mit einer Halteklammer am Kopf-, oder Fußende des Intensivbettes befestigt werden. Alternativ kann das System bei räumlicher Enge (z.B. Fahrstuhl) auch neben dem Patientenbett plaziert werden. Das begleitende Personal wird entweder von der behandelnden Fachabteilung gestellt, oder es existiert ein entsprechendes intensivmedizinisch geschultes Transportteam (Arzt, Fachpflegekraft und Begleitperson). Der innerklinische Transport muss den gleichen Sorgfältigkeitsansprüchen genügen, wie der außerk:linische Patiententransport. Nur durch Fortbildung des Personals, sowie die Verwendung eines geeigneten Transportsystems, wird jederzeit die Sicherheit auf dem Patiententransport gewährleistet.
Abb. 1: Beispiel für Transportmodul für innerklinischen Patiententransport. Intensivbeatrnungsgerät, Infusionsspritzenpumpen, Intensivmonitor und Defibrillator, Notfallkoffer mit intensivmedizinischem Verbrauchsmaterial, Sauerstoff- und Druckgasflasche und Anschlüsse für zentrale Gasversorgung, Halterungsklammer für Krankenhausbett.
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lnterhospitaltransport Ein Interhospitaltransport kann mit und ohne eine ärztliche Begleitung durchgeführt werden, wobei bei allen Intensivpatienten regelhaft die ärztliche Begleitung erforderlich ist. Bezogen auf die klinische Versorgungsstufen weisen die Intensivtransporte ~nterschiedliche Transportrichtungen auf. Transportrichtungen für Intensivtransporte . • Von der klinischen Grund-, Regelversorgung zur Maximalversorgung oder Spezialtherapie, z.B. zur Intensivtherapie, Intervention und Operation. Vielfach handelt es sich um dringliche Transporte. • Rückverlegung von der klinischen Maximalversorgung bzw. Spezialversorgung zurück zur (heimatnahen) Grund-, Regelversorgung, z.B. zur weiteren Intensivtherapie nach erfolgter Intervention. Weiterhin werden Transporte in Spezialkliniken (Rehabilitation, Weaningzentrum etc.) erforderlich. Häufig finden sich hierbei planbare Transporte. • Eine Sonderstellung nehmen die meist luftgebundenen Repatriierungen von Patienten aus dem Ausland ein. Zusätzlich können verschiedene Organisationsformen unterschieden werden. • ,,Bringprinzip": Der Patient wird vom Arzt des verlegenden Krankenhauses gebracht, in der Regel in einem Fweug des Rettungsdienstes (RTW). Auch dringliche Transporte mit Primärrettungsmitteln (NEF/RTW/RTH) können hier subsummiert werden. • „Holprinzip": Der Patient wird vom Intensivarzt oder einem Team des aufnehmenden Krankenhauses geholt, z.B. Intensivinkubator oder ECMO-Team. Hierzu kommen auch Spezialtransportmittel (ITW, 1TH) zum Einsatz. • „Spezialsystem": Hierbei holt ein Spezialfahrzeug (ITW/ITH) mit einem ärztlich geleiteten Team den Patienten ab. Diese Systeme werden häufig in Zusammenarbeit mit Kliniken der Maximal- und Schwerpunktversorgung durch intensivmedizinisch erfahrene Ärzte besetzt. In dringlichen Einsatzsituationen sollen primär notärztlich besetzte Fahrzeuge des luft-, bodengebundenen Rettungsdienstes eingesetzt werden. Der bodengebundene Interhospitaltransport mittels ITW ist regelhaft der häufigste Transportweg, das luftgebundene Transportsystem (1TH) unterstützt bei speziellen medizinischen Indikationen, bzw. aus Zeit- oder Distanzgründen. Hierbei unterscheidet sich der grundsätzliche Einsatzradius von Primär- und Sekundärhubschraubern. Nachteinsätze sind unter definierten Umständen möglich. Einsatzeinschränkungen für Hubschrauber können sich aus der Wetter- und Sichtflugabhängigkeit ergeben. Ein organisatorisches Gesamtkonzept (Tab. 1) beschreibt die strukturellen Voraussetzungen im Bereich des lntensivtransportes.
Organisatorisches Gesamtkonzept und strukturelle Vorrausetzungen für den lntensivtransport 24 h- Einsatzbereitschaft Anforderung und Koordination: (überregionale) Koordinierungsstelle oder Leitstelle Modeme Kommunikationstechnik (BOS-Funk:, Mobiltelefon und Fax, Navigation) Geeignete intensivmedizinische sowie technische Ausstattung Intensivmedizinisch qualifiziertes und fortgebildetes Personal Dokumentation und Qualitätsmanagement
Tab.l
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Rechtliche Grundlagen Für die sachgerechte Durchführung von Intensivtransporten sind zusätzliche Kenntnisse über die rechtlichen Grundlagen notwendig. • Im Rahmen der haftungsrechtlichen Verantwortung der Mitarbeiter und Betreiber kommen in erster Linie dem Strafgesetzbuch (StGB) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) besondere Bedeutung zu. • Verschiedene Sondergesetze wie das Medizinproduktegesetz (MPG) und die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBtreibV) haben rechtliche Relevanz für den Anwender und Betreiber medizinischer Geräte. • Die Anforderungen an die Organisation und Durchführung von Intensivverlegungen werden in den jeweiligen Landesrettungsdienstgesetzen unterschiedlich geregelt und müssen ebenso wie die kommunalen Vorschriften beachtet werden.
Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeiten Da lntensivtransporte häufig planbar sind werden besonders an die Sorgfaltspflicht aller Mitarbeiter gesteigerte juristische Anforderungen gestellt. Dies bedeutet, dass schon im Vorfeld der Intensivverlegung eine qualifizierte Auswahl eines geeigneten Transportmittels stattfinden soll. Jeder Mitarbeiter soll die notwendigen Qualifikationen erfüllen und alle eingesetzten Geräte sachgerecht bedienen können. Weitere rechtliche Probleme können insbesondere bei Zusammenarbeit an den Schnittstellen der medizinischen Versorgung entstehen. Bei Durchführung zusätzlicher medizinischer Maßnahmen (z.B. Intubation), durch den transportbegleitenden Arzt vor Transportbeginn in der abgebenden Klinik, ist die rechtliche Situation nicht unproblematisch. Besonders die Weisungsbefugnis an (fremdes) Krankenhauspersonal, unklare Verantwortlichkeiten und die Zurechnung von Fehlern, ist problematisch. •
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Klare Absprachen des Personals mit der Klärung aller Verantwortlichkeiten, sowie die Festlegung über die Art und Durchführung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen, hilft dies Problem zu entschärfen. Es empfiehlt sich bereits bei Einsatzbeginn die Durchführung eines telefonischen Arzt-Arzt-Gespräches, um evt. erforderliche Therapieerweiterungen bereits im Vorfeld der Verlegung, durch die abgebende Klinik durchführen zu lassen - hierbei sollte regelhaft ein kollegialer Konsens erzielt werden. Die Übergabe in der Klinik erfordert ein persönliches Arzt-Arzt-Gespräch, eine orientierende klinische Untersuchung sowie die Übergabe aller wichtigen Befunde, Arztbriefe etc. Hierbei sind Fehlinformationen sowie Informationsverlust zu vermeiden.
Qualifikation des Personals Im Rettungsdienst kommen Notärzte, sowie Rettungsassistenten und Rettungssanitäter zum Einsatz. Dies Personal muss für den Transport von Intensivpatienten in speziellen Rettungsmitteln mit intensivmedizinischen Geräten entsprechend fortgebildet werden. Für den ärztlichen Bereich gibt es Empfehlungen der DNI (Tab. 2), für den Bereich des Rettungsdienstpersonals existieren Fortbildungsemp/ehlungen der BAND (Tab. 3).
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Empfehlungen der DIVI zur ärztlichen Qualifikation Intensivtraosport Drei Jahre klinische Weiterbildung in einem Fachgebiet mit intensivmedizinischen Versorgungsaufgaben Zusätzlich sechs Monate nachweisbare Vollzeittätigkeit auf einer Intensivstation Qualifikation für den Einsatz als Notarzt nach landesrechtlichen WBO Vorschriften der Ärztekammer (Zusatzbezeichnung Notfallmedizin) Kurs ,,Intensivtransport" nach Empf. der DIVI
Tab.2 Empfehlungen der BAND für Rettungsdienstpersonal im Intensivtransport Berufsqualifikation Rettungsassistent Mindestens dreijährige Tätigkeit als Rettungsassistent (Vollzeitform), bzw. zeitlich vergleichbare Berufserfahrung) Mindestens 14-tägige Hospitation auf einer Intensivstation, die in höchstens zwei Blöcke a sieben Tage aufgeteilt sein darf Besuch eines Kurses ,Jntensivtransport für Rettungsfachpersonal"
Tab.3
Es besteht weiterhin die Möglichkeit auch speziell ausgebildete Besatzungsmitglieder zusätzlich aufzunehmen (lntensivfachpflegekraft), bzw. einen Rettungsassistenten durch eine Fachpflegekraft zu ersetzen. Die Fachpflegekraft soll ebenfalls den Kurs ,,lntensivtransport für Rettungsdienstfachpersonal" absolviert haben und die Voraussetzungen der BAND erfüllen. Falls keine rettungsdienstliche Ausbildung vorliegt wird die 14-tägige klinische Hospitation durch eine rettungsdienstliche Hospitation gleicher Zeitdauer ersetzt. Sollte das Intensivverlegungsfahrzeug ausschließlich mit Fachpflegekräften besetzt sein, darf das Fahrzeug entsprechend der Rettungsdienstgesetze der Bundesländer, grundsätzlich nicht planmäßig am regulären Rettungsdienst teilnehmen. Zusätzlich werden für den Bereich der Hubschraubemoteinsätze in den JAR-OPS (Joint Aviation Requirements Operations) weitere Bestimmungen festgelegt. Hierbei müssen die verantwortlichen Rettungsassistenten eine HEMS (Helicopter Emergency Medical Service)-Schulung durchlaufen haben. Auch die weiteren Anforderungen an die Piloten für die Durchführung von REMS-Flügen werden hier geregelt. Der begleitende Arzt ist regelhaft kein HEMS-Crewmember.
Teamtraining - Crew Ressource Managment Die Simulation von Einsatzszenarien ist ein komplexes, realitätsnahes und praxisorientiertes Fortbildungsinstrument für das aktive Üben in Mitarbeiterteams. Hierbei steht die Teamzusammenarbeit im Vordergrund, so dass Teammitglieder mit unterschiedlichen Qualifikationsstufen sowie berufsgruppenübergreifend zusammen üben können. Seit fast zwei Jahrzehnten werden ,,Fullsize-Simulationen" an universitären Simulationszentren für die studentischen Ausbildung und ärztlichen Weiterbildung im Fachbereich der Anästhesie eingesetzt. Die Trainingsszenarien finden in realitätsnaher Umgebung statt und sind an den Qualifikationsgrad des Trainierenden adaptiert. Eine ausführliche Nachbesprechung „Debriefing" durch erfahrene Instruktoren beendet jedes Szenario. Der Begriff „Crew Ressource Management" beschreibt ein in der Luftfahrt bewährtes Sirnulatortraining, welches für den medizinischen Bereich angepaßt wurde. Hierbei werden die Schwerpunkte auf die Tearnkommunikation und den Umgang in schwierigen Einsatzsituationen gelegt. Zunehmend werden auch für den Bereich der Notfallmedizin entsprechende Trainingszentren etabliert. 205
Transportmittelausstattung Die Ausstattung der Transportmittel des Rettungsdienstes ist in DIN Normen geregelt, diese definieren hierbei die grundsätzliche Mindestausstattung. Diese Rettungsdienstausstattung ist für den „lntensivtransport von Risikopatienten" allerdings nicht ausreichend, allerdings beschreibt die NEF DIN 75079 seit November 2009 ein Notfallbeatmungsgerät mit speziellen Beatmungsmodi (z.B. NIV und druckkontrollierte Beatmungsformen). Hiermit wird auch die Beatmungstherapie für Intensivtransporte in Primärrettungsmitteln erweitert. Ein Entwurf einer speziellen DIN für lntensivtransportfahrzeuge soll die bestehende Ausstattungslücke schließen. Dieser Entwurf wurde im November 2004 vom Normenausschuss Rettungsdienst und Krankenhaus abgelehnt, zur Zeit befindet sich ein neuer DIN Normentwurf bezüglich der intensivmedizinischen Ausstattung für Intensivtransportmittel in Vorbereitung.
Bodengebundene Transportmittel Rettungsdienstfahrzeuge Die Ausstattungsgrundlage für bodengebundene Rettungsdienstfahrzeuge ist die europäische DIN EN 1789. Für Notarzteinsatzfahrzeuge existiert in Deutschland zusätzlich die DIN 75079. Diese Normen definieren die allgemeine, sowie die medizinische Ausstattung. •
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Die allgemeine Ausstattung beschreibt unter anderem die Fahrzeugabmessungen und Gewichte, sowie die Fahrzeugleistung und Technik. In Deutschland kommt als RTW meist das größte Fahrzeug, die „Typ C-Ambulance", zum Einsatz. Die medizinische Ausstattung beschreibt die installierte bzw. mobile Ausstattung zur Patientenversorgung und zum Transport. Spezielle notärztliche Ausstattungsbestandteile und Medikamente werden nur auf den notärztlichen Rettungsmitteln (NAW, NEF, RTH) vorgehalten.
Falls ein Krankenhausarzt einen Intensivpatienten mit einem RTW begleitet, muss er sich dieser genannten Tatsachen bewußt sein und ggf. die benötigten Materialien nachrüsten. Hierbei ergibt sich zusätzlich das Problem einer sachgerechten Halterung entsprechend der DIN EN 1789. Alle Geräte und Gegenstände müssen hierbei in Rettungsmitteln so gesichert werden, dass diese bei einem definierten Aufprall nicht zu einem Geschoß werden.
Intensivtransportwagen Intensivtransportwagen (Abb. 2) sollen entsprechend erweitert ausgestattet sein, um auch über längere Distanzen einen sachgerechten Transport zu ermöglichen. Hierzu wird u. a. eine Klimatisierung des Krankenraumes, sowie eine Stromversorgung für zusätzliche medizinische Geräte (inkl. 230 V Anschlüssen und Zusatzbatterien) empfohlen. Die Gasvorräte für Sauerstoff sind gegenüber der DIN EN 1789 ebenfalls zu erweitern, ggf. ist eine Druckluftanlage für den Intensivrespirator erforderlich. Mittlerweile existieren Intensivrespiratoren mit integrierter Druckluftturbine, so dass die aufwendige Druckgastechnik im Fahrzeug und auf dem Transportsystem hierbei entfallen kann. 206
Abb. 2: Intensivtransportwagen Berufsfeuerwehr Hannover.
Das Transportsystem (Abb. 3) soll einen sicheren Patiententransport gewährleisten. Hierfür müssen die mitgeführten Strom-, und Gasvorräte über einen Mindestzeitraum den Betrieb ermöglichen und sicher an dem System gehaltert sein. Das Transportssystem sollte stufenlos in der Höhe angepaßt werden können und über eine ausreichende Tragkraft für Patient und Geräte verfügen.
Abb. 3: Beispiel für ein Transportsystem für Intenslvtransportwagen im ITW. Elektrohydraulische stufenlose Höhenverstellung, verschiebbarer Gerätehalter mit Notfalltransportbeatmungsgerät oder Intensivrespirator, Intensivdatenmonitor mit kabelloser Übertragung, Infusionsspritzenpumpen, Gasversorgung.
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Abb. 4: Beispiel einer intensivmedizinischen Geräteausstattung im Intensivtransportwagen.
,,Dual-Use-RTW"
Eine Sonderstellung zwischen ITW und RTW nehmen die „Dual use"- RTW ein. Diese RTW haben neben der DIN-Ausrüstung eine erweiterte allgemeine Ausstattung und können zusätzlich für einen Intensivtransport ein spezielles Transportsystem mit der intensivmedizinischen Technik aufnehmen. Hierzu wird die Rettungsdiensttrage gegen das Transporttragesystem ausgetauscht. Diese Fahrzeuge können somit flexibel im Rettungsdienst und Intensivtransport eingesetzt werden. Allerdings empfiehlt sich dies System grundsätzlich nur für Standorte mit geringer Einsatzfrequenz im Intensivtransport, da der RTW im Einzelfall während eines Intensivtransportes nicht für den Rettungsdienst zur Verfügung steht.
Luftgebundene Transportmittel Die luftgebundenen Transportfahrzeuge lassen sich in Flächenflugzeuge und Helikopter einteilen und dienen dem schnellen sowie schonenden Patientenransport über längere Distanzen. Grundsätzlich kommen die Flächenflugzeuge auf größeren, Hubschrauber hingegen für kürzere Flugstrecken zum Einsatz. Der Einsatz von Flächenflugzeugen kann nach Sicht- und Instrumentenflugregeln durchgeführt werden, der Einsatz von Hubschraubern unterliegt immer ausreichenden, klar definierten Mindestsichtweiten und ist somit trotz Instrumentenunterstützung in den Nachtstunden und bei schlechten Wetterbedingungen nur eingeschränkt möglich. Nachteinsätze finden grundsätzlich nur zwischen nachtflugtauglichen beleuchteten Landeplätzen statt, hierbei sind die entsprechenden luftfahrtrechtlichen Rahmenbedingungen (Beleuchtung, Fläche etc.) zu beachten.
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Flächenflugzeuge Die Flächenflugzeuge ermöglichen einen schnellen Transport über längere Distanzen, benötigen allerdings immer einen Flughafen mit entsprechender Landebahn. Somit erfordert dies Transportmittel regelhaft den zusätzlichen Einsatz eines (meist) bodengebundenen Rettungsmittels zum Transport zwischen Krankenhaus und Flughafen. Häufig werden Flächenflugzeuge beim internationalen Repatriierungseinsatz verwendet. Für die Ambulamflugzeuge beschreibt die DIN 13230 die näheren technischen Merkmale und die medizinischen Ausstattungsdetails. Falls ein Intensivpatient über sehr lange Flugstrecken (Transkontinental) transportiert werden muss, kann aus zeitlichen und ökonomischen Gründen der Einbau einer abgeschlossenen medizinischen Behandlungskabine in ein Linienflugzeug erfolgen. Dies „Patient Transport Compartment" (PTC) hält die Lufthansa am Standort Frankfurt für den Einbau in Großraumflugzeuge (B 747-400 / A 340) bereit. Der begleitende Arzt wird vom Auftraggeber gestellt, das medizinische Assistenzpersonal (PTC-Escort) von der Lufthansa. Dieser Mitarbeiter ist auch Einweisungsberechtigt auf die gesamte Medizintechnik des PTC und assistiert dem Arzt während des Fluges.
Hubschrauber Bei den in Deutschland eingesetzten Helikoptern wird regelhaft zwischen Rettungshubschrauber (RTH) und Intensivtransporthubschrauber (1TH) unterschieden. Bis 2010 galten noch HEMS-Ausnahmeregelungen betreffend der Leistungsklasse der eingesetzten Hubschraubermuster. Seit 2010 werden nur noch Helikopter der Leistungsklasse I im HEMS-Einsatz eingesetzt. Das Netz der Rettungshubschrauberstandorte ist in Deutschland flächendeckend ausgebaut. An einigen Hubschrauberstandorten kommen „Dual use"- Helikopter zum Einsatz, hiermit können dann beide Einsatzfunktionen (1TH und RTH) wahrgenommen werden. Die DIN 13230 regelt für den Bereich der 1TH deren Ausstattung und Leistungsfähigkeit, weiterhin wird die medizinische Qualifikation des Personals definiert.
Transportmittelauswahl Die Auswahl eines geeigneten Transportmittels obliegt regelhaft dem anfordernden Arzt. Hierzu müssen immer die folgenden Faktoren in die ärztliche Entscheidungsfindung einbezogen werden: • Erkrankungs-, Verletzungsschwere • Notwendige intensivmedizinische Therapie auf dem Transport • '.Zeitfenster für den Transport (sofort- dringlich- oder planbar) • Transportstrecke Die Rettungsleitstelle muss aufgrund dieser medizinischen Anforderung die logistische und organisatorische Durchfürbarkeit abklären: • Arztbesetztes Primäreinsatzmittel (NAW / RTH) • Arztbesetztes Intensivtransportmittel (ITW / 1TH) • RTW mit Krankenhausarzt der verlegenden Klinik Falls landesweite Koordinierungsstellen eingerichtet sind, werden diese entsprechend der landesrechtlichen Regelungen auf Anforderung durch die regionale Rettungsleitstelle oder der anfordernden Klinik tätig. 209
In einigen Bundesländern stehen Algorithmen für die Disposition arztbegleiteten Verlegungen zur Verfügung, die dem anfordernden Arzt und der Rettungsleitstelle als weitere Entscheidungsgrundlage dienen. Systeme in denen ein 24h ärztlicher Bereitschaftsdienst für den Bereich „Intensivtransport" eingerichtet ist können bei „Problementscheidungen" eine zusätzliche medizinische Beratung durchführen (vorgezogenes Arzt-Arzt Gespräch).
Transportablauf Beim Patiententransport werden die Patientenübergaben von der eigentlichen Transportphase abgegrenzt. Jede Phase weist spezifische Gefährdungen auf, welche bekannt und mittels eines Risikomanagements (Problembewußtsein / Planung etc.) minimiert werden müssen. Arzt-Arzt Gespräch Bei Intensivtransporten soll möglichst frühzeitig ein „Arzt-Arzt" Gespräch zwischen Klinikarzt und transportbegleitenden Arzt stattfinden. Dies Gespräch dient dem medizinischen Informationsaustausch sowie der Absprache der notwendigen Transportvorbereitungen. Bereits zu diesem Zeitpunkt sollte der transportbegleitende Arzt klar seine Anforderungen (z.B. Intubation für den Transport) benennen, damit kein zusätzlicher Zeitverlust während der Übernahme auftritt. Das notwendige kollegiale Verständnis für erforderliche Maßnahmen kann durch eine kurze Darstellung der Besonderheiten des Patiententransportes im eingesetzten Rettungsmittel erzielt werden. Beispielsweise ist eine endotracheale Intubation aufgrund räumlicher Enge während eines Hubschraubertransportes nur eingeschränkt möglich. Übergabegespräch und Befunde •
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Vor Beginn des Transportes ist ein persönliches Übergabegespräch zwischen den zuständigen ärztlichen Kollegen notwendig. Hierbei sollen ,,Flüchtigkeitsfehler" mit Informationsdefizit verhindert werden. Dies bedeutet, dass wichtige Sachverhalte sorgfältig schriftlich protokolliert werden müssen. Ein Arztbrief ist ebenso wie die aktuellen Untersuchungsbefunde selbstverständlich, diese ermöglichen eine medizinische Einschätzung des Transportrisikos. Besonders bei Beatmungspatienten sollen weiterhin ein aktuelles Röntgenbild des Thorax, sowie eine aktuelle Blutgasanalyse vorliegen. Falls zentralvenöse Katheter neu angelegt worden sind, ist insbesondere vor dem Lufttransport, ein aktuelles Röntgenbild des Thorax notwendig. Falls für den Transport spezielle Medikamente oder Blutpräparate etc. erforderlich sind, müssen diese entsprechend kontrolliert und mitgenommen werden.
Untersuchung Die orientierende ärztliche Untersuchung des Patienten erfolgt nach dem ärztlichen Übergabegespräch, damit ggf. noch vor Transportbeginn eine eventuell erforderliche Erweiterung der medizinischen Maßnahmen stattfinden kann . 210
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Die Beurteilung der Bewusstseinslage, der respiratorischen Funktion sowie die Kreislaufsituation sind obligatorisch und müssen in die weiteren therapeutischen Entscheidungen einbezogen werden. Weiterhin sollen alle Tuben und Katheter auf korrekte Funktionsfähigkeit ggf. Lage kontrolliert werden. Lagerungsbesonderheiten sind zu besprechen und auf dem Transport entsprechend zu berücksichtigen. Der transportdurchführende Arzt trägt die medizinische Verantwortung für den Transport und entscheidet grundsätzlich über die Therapie während dieses Zeitraumes.
Umlagerung und Transport Nachdem das Übergabegespräch und die Untersuchung stattgefunden haben, wird die Transporttherapie festgelegt und anschließend nach entsprechender Teamabsprache die Patientenumlagerung durchgeführt. Während der Umlagerung kann es zu Problemen durch Diskonnektion, Dislokation oder Abknicken von Kathetern, Tuben und Drainagen kommen. Insbesondere Kreislaufreaktionen bei Patienten mit kontinuierlicher Katecholamintherapie, sowie eine Hypoxie/ Aspiration durch iatrogene Extubation, gefährden den Patienten. Während des Transportes kann sich der Zustand des Patienten entsprechend dem Verlauf der Grunderkrankung und den vielfältigen externen Einflüssen stetig ändern. Das notwendige Anpassen der Therapie erfordert somit die stetige Aufmerksamkeit, sowie gute intensivmedizinische Kenntnisse des begleitenden Arztes.
Transporttrauma Der Begriff des Transporttraumas beschreibt alle schädigenden Einflüsse auf den Patienten während der Transportphase. Hierbei können verschiedene ursächliche Faktoren beschrieben werden: • Missgeschicke und Zwischenfälle • Inadäquate Transportbedingungen • Transportstress • Spontanverlauf der Erkrankung Einige dieser Faktoren sind beeinflußbar, z.B. Missgeschicke und Zwischenfälle, andere hingegen kaum oder gar nicht, beispielsweise der Spontanverlauf der Erkrankung. Jegliche praktische Fortbildung (z.B. CRM-Training) muss deshalb darauf abzielen, die ersten drei Faktoren zu minimieren und somit einen sicheren Transport zu gewährleisten.
Missgeschicke und Zwischenfälle Das Risiko für menschliches Versagen (human error) ist insbesondere im Bereich der Intensivbehandlung nicht selten und steigt während des Patiententransportes an.
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Auch in anderen hochkomplexen Systemen, wie beispielsweise der Luftfahrt, wird dies Problem mit den daraus resultierenden Folgen beobachtet. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens menschlicher Fehler ist in diesen Systemen wesentlich häufiger als das Auftreten technischer Fehler. Alle Mitarbeiter müssen deshalb speziell für diese Problematik sensibilisiert werden, damit entsprechend sorgfältig gearbeitet und Missgeschicke auf ein Minimum reduziert werden. •
• •
Das einzelne „Missgeschick" ist meist ni_c ht sofort vital bedrohlich, da häufig durch nachgeschaltete Kontrollmechanismen sowie die allgemeine Aufmerksamkeit dieser Fehler rechtzeitig erkannt und korrigiert werden kann. Versagen diese Kontrollebenen allerdings, kommt es früher oder später zu vital bedrohlichen Zwischenfällen. Die mögliche Folgeschädigung des Patienten ist direkt abhängig vom aktuellen Patientenzustand und Therapieabhängigkeit. Insbesondere bei der Patientenumlagerung sowie beim Transport in das Rettungsmittel besteht eine erhöhte Gefahr für das Auftreten von Missgeschicken (Tab. 4). Typische Beispiele für Missgeschicke beim lntensivtransport Diskonnektion von medizinischen Leitungen (Drainage, Infusionsleitung, Beatmungsschlauch) Blockade von medizinischen Leitungen (Drainage, Infusionsleitungen, Beatmungsschlauch) Dislozieren von medizinischen Leitungen (Kathetern, Tuben und Drainagen) Fehlbedienung von medizinischen Geräten (Beatmungsgerät, Infusionspumpe) Unterlassenes Monitoring (EKG, Pulsoxymetrie, invasive Druckmessung) Unterlassene Alarmeinstellungen (EKG, Pulsoxymetrie, invasive Druckmessung, Beatmung) Unterlassene Fixierung (Patient, Personal, Geräte) Fehlende „Back up" Geräteausstattung (Beatmungsbeutel, Notfallrespirator etc.)
Tab.4
Menschliche Fehler können in hochkomplexen Systemen jederzeit auftreten und nur durch sorgfältige Teamarbeit, vielfältige Sicherheitsebenen und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen, minimiert werden.
Inadäquate Transportbedingungen Inadäquate Transportbedingungen können durch em umfassendes organisatorisches Gesamtkonzept verhindert werden. • Dies enthält die Auswahl des geeigneten Transportmittels, die ausreichende Qualifikation des begleitenden Personals, sowie die Festlegung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen während des lntensivtransportes. • Für Intensivpatienten darf grundsätzlich keine Reduktion medizinischer Überwachungs- und Therapiemaßnahmen erfolgen, ggf. muss für den Transport sogar eine Therapieerweiterung erwogen werden. • Somit sollen nur Transportunternehmen beauftragt werden, die diese personellen und materiellen Möglichkeiten bereitstellen.
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Transportstress Der Transportstress des Patienten kann vielfältige Ursachen haben. Als typische Beispiele können hier Erschütterungen, Vibrationen, Beschleunigungskräfte, Lärm und Temperaturschwankungen genannt werden. Gegenmaßnahmen • Jeder (ansprechbare) Patient soll über den bevorstehenden Transport rechtzeitig aufgeklärt werden, um schon im Vorfeld auf eventuelle Ängste und Sorgen individuell reagieren zu können. • Der transportbegleitende Kollege stellt vor Beginn aller Maßnahmen sich und sein Team persönlich vor, dies führt häufig schon zu einer ausreichenden Vertrauensbasis und entsprechenden Stressreduktion. • Falls erforderlich werden sedierende, anxiolytische und antiemetische Substanzen appliziert, um eine gute Stressabschirmung für die Transportphase zu erreichen. • Bei bereits analgosedierten Patienten ist eine ausreichende Sedierungstiefe zu gewährleisten. • Falls Schmerzen bei der Umlagerung zu erwarten sind, müssen zeitgerecht entsprechend potente Analgetika appliziert werden. • Zum Schutz vor Lärmexposition ist insbesondere beim Hubschraubertransport ein geeigneter Gehörschutz erforderlich. • Die Fahrweise des Rettungsmittels muss dem Patientenzustand angepasst und grundsätzlich schonend sein, der Einsatz von akustischen Sondersignalen soll sich auf das notwendige Maß beschränken. • Die Fahrzeugkabine muss ausreichend temperiert und der Patient mit einer geeigneten Decke geschützt werden, um eine Hypothermie zu vermeiden.
Insbesondere analgosedierte Beatmungspatienten sind auf dem Transport von einer Hypothermie bedroht.
Spontanverlauf der Erkrankung Der Spontanverlauf einer Erkrankung ist nicht sicher vorherzusagen, deshalb muss auch auf dem Transport auch mit einer Verschlechterung des Patientenzustandes gerechnet werden. Die Transportzeit beeinflusst hierbei die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Zustandsverschlechterung und muß somit in die Entscheidung über das geeignete Rettungsmittel einbezogen werden. Nur die ,.zeitgerechte" Alannierung eines auch ,,zeitlich verfügbaren" Transportmittels steilt für einen Patienten den zeitlichen Benefit dar. Falls auf dem Transport eine fulminante Verschlechterung eintritt, muss entschieden werden, ob der Patient stabilisiert werden kann und wie der Transport fortgesetzt wird. Hierbei stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: •
•
Beschleunigter Transport (Sonderrechte) und Voranmeldung zur: o aufnehmenden Klinik (häufig) o abgebenden Klinik (selten) Beschleunigter Transport (Sonderrechte) und Voranmeldung zur: o nächsten geeigneten Klinik (selten) 213
Im bodengebundenen Transport ist eine Erweiterung der Maßnahmen jederzeit möglich, im Hubschrauber kann es aufgrund der räumlichen Verhältnisse zu Problemen kommen. Die Entscheidung muß somit immer situationsabhängig vom begleitenden Arzt getroffen werden. Der Spontanverlauf der Erkrankung, sowie eingeschränkte therapeutische Maßnahmen der abgebenden Klinik, können in Ausnahmefällen auch den Transport instabiler Patienten erfordern, um eine entsprechende Spezialversorgung (Behandlungsoption) in der aufnehmenden Klinik sicherzustellen.
Dokumentation Die Hauptaufgaben der Dokumentation im Intensivtransport sind folgende: • Darstellung des gesamten medizinischen Verlaufs auf dem Transport, inkl. Übergabe und Übernahmestatus • Juristische Absicherung (Dokumentationspflicht ärztlicher Leistungen) • Erfassung von AVB (Allgemeine Verlaufbeobachtung) • Datensammlung für das Qualitätsmanagement Die DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) hat eine geeignetes Intensivtransport-Protokoll entwickelt. Hierbei ist zu beachten, dass das Notarzteinsatzprotokoll grundsätzlich nur eingeschränkt geeignet ist, den Transportverlauf eines Intensivpatienten ausreichend zu dokumentieren. Das Intensivtransport-Protokoll unterteilt sich in die folgenden Bereiche: • Patientendaten und einsatztaktische Daten • Arzt-Arzt Gespräch, Transportdisposition, Transportdaten • Übernahmestatus des Patienten • Diagnosen • Verlaufsbeschreibung • Maßnahmen und Geräteeinsatz • Übergabestatus des Patienten • Ergebnisbeschreibung Die Dokumentation des Übernahme- und Übergabestatus des Patienten sind neben der ausführliche Verlaufsbeschreibung wesentliche Schwerpunkt der Dokumentation. Die medizinische Dokumentation im Bereich Intensivtransport ist eine ärztliche Aufgabe, die einer besonderen Sorgfaltspflicht unterliegt.
Qualitätsmanagement Das Qualitätsmanagement dient u. a. der kontinuierlichen Verbesserung eines Systems. Hierzu müssen geeignete Daten erhoben und analysiert werden. In Niedersachen hat sich hierfür eine Arbeitgruppe unter Beteiligung der Kostenträger, Leistungsanbieter sowie des Innenministeriums zusammengefunden. Dies AG QM Intensivtransport analysiert die einsatztaktischen und medizinischen Daten der luft- und bodengebundenen Intensivtransporte. Die Analysen ermöglichen einen Einblick in die landesweite Intensivverlegung und führen ggf. zu entsprechenden Anpassungsmaßnahmen. Schwerpunkte der Datenanalyse befassen sich mit:
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• • • • •
Häufigkeitsverteilung für Einsatzorte und Transportziele Zeitaufwand für baden-, luftgebundene lntensivtransporte Analyse der Einsatzhäufigkeit und Auslastung (Wochentage und Uhrzeit) Erkrankungsschwere und Versorgungsaufwand Erfüllungsgrad der festgelegten landesweiten Dispositionsgrundsätze
Durch Auswertung der Datensätze können u. a. die Standorte, sowie die Anzahl der notwendigen Spezialtransportmittel überprüft und ggf. angepaßt werden.
Wichtige Aussagen • •
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Der innerklinische Transport (lntrahospitaltransport), wird durch die ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter verschiedener Fachabteilungen der Klinik sichergestellt. Der außerklinische Patiententransport (lnterhospitaltransport, Sekundäreinsatz), wird regelhaft durch die beauftragten Organisationen des Rettungsdienstes der jeweiligen Landesrettungsdienstgesetze durchgeführt. Der rechtliche Rahmen wird u. a. durch das Landesrettungsdienstgesetz, sowie Verschiedene Sondergesetze wie das Medizinproduktegesetz (MPG) und die Medizingerätebetreiberverordnung (MPBtreibV) vorgegeben. Im Schadensfall greifen das Strafgesetzbuch (StGB) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Schnittstellenprobleme können durch klare Absprachen des Personals bezüglich der Verantwortlichkeiten, sowie die Festlegung erforderlicher therapeutischer Maßnahmen vor Einsatzbeginn entschärft werden. Zur Personalqualifikation gibt es im ärztlichen Bereich Empfehlungen der DIVI, für den Bereich des Rettungsfachpersonals existieren Fortbildungsempfehlungen der BAND. Die Ausstattung der Transportmittel des Rettungsdienstes ist in den entsprechenden DIN und EN Normen geregelt; dies definieren hierbei grundsätzlich eine Mindestausstattung für die mit der Durchführung des Rettungsdienstes beauftragten Organisation. Die Auswahl des Transportmittels richtet sich nach Erkrankungs-Nerletzungsschwere, dem Umfang der intensivmedizinischer Therapie auf dem Transport, sowie dem Zeitfenster für die Transportdurchführung bzw. der Transportstrecke. Der Patiententransport teilt sich in die Patientenübergabephase und die eigentliche Transportphase auf. Zu Einsatzbeginn findet ein informelles telefonisches Arzt-Arzt Gespräch statt. Vor Patientenübernahme findet ein persönliches ärztliches Übergabegespräch, die Patientenuntersuchung sowie die Festlegung der notwendigen Transporttherapie durch den transportdurchführenden Arzt statt. Die Umlagerung und sichere Lagerung des Patienten beendet die Patientenübergabe. Besonders an den Schnittstellen müssen Informationsverlust und iatrogene Schäden durch Umlagerung vermieden werden. Der Begriff Transporttrauma beschreibt alle schädigenden Einflüsse auf den Patienten während der Transportphase. Dies sind insbesondere Missgeschicke und Zwischenfälle, inadäquate Transportbedingungen, Transportstress sowie der Spontanverlauf der Erkrankung. Die Hauptaufgabe der Dokumentation im lntensivtransport sind die Darstellung des gesamten medizinischen Verlaufs auf dem Transport, die juristische Absicherung (Dokumentationspflicht ärztlicher Leistungen), die Erfassung von AVB (Allgemeine Verlaufsbeobachtung) und die Datensammlung für das Qualitätsmanagement. Die DIVI hat hierfür ein geeignetes Intensivtransportprotokoll entwickelt. Im Rahmen des Qualitätsmanagements ermöglicht die Datenerfassung und Analyse die notwendige Systemsteuerung innerhalb eines lntensivtransportsystems. 215
Weiterführende Literatur Adams HA, Flemming A, Schulze K. (Hrsg): Kursbuch Intensivtransport, 5. Aufl. Lehmanns Media (2008) Dönitz S: Luftrettung in Deutschland - Vom Flughelfer zum HEMS-Crew-Member. Rettungsdienst (2003) 26, 374-379 Ellinger K, Genzwürker H, Hinkelbein J, Lessing P.: Intensivtransport 2. Aufl. Deutscher Änteverlag Köln (2010) Empfehlungen der DIVI zur ärztlichen Qualifikation bei Intensivtransporten (2003) www.divi.org.de Huf R, Weninger F: Der Intensivtransporthubschrauber. Notarzt (2000), 16, 130-132 Koppenberg J:"24-hour-dual-use" Prinzip in der Luftrettung. Anaesthesiol Intensivmed (2003), 43, 841-855 Linden M: Weltweiter Krankenrückholtransport auf dem Luftweg. Notfall-, und Rettungsmedizin (2000) 3, 171-178 Moecke H, Anding K: Intensivtransportprotokoll - Empfehlungen der DIVI und des Bayerischen Staatsministerium des Inneren. Notfall und Rettungsmedizin (2000), 3, 441-444 Poloczek S, Madler C: Transport des Intensivpatienten. Anaesthesist (2000), 49, 480-491 Schlechtriemen et al.: Empfehlungen der BAND zum arztbegleiteten Interhospitaltransfer. Notarzt (2003), 19, 215-219 Thierbach A, Veith J: Praxisleitfaden Interhospitaltransfer. Stumpf und Kossendey Verlag Edewecht (2005) Reason J: Human error: models and management. Brit Med J (2000), 320 (3), 768-770 Warren JW et al.: Guidelines for the inter- and intrahospitaltransport of critically ill patients. Crit Care Med (2004), 32, 256-262
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Die wichtigsten Kindernotfälle im Rettungsdienst J. KAUFMANN, M. LASCHAT
1. Einleitung Kindernotfälle stellen für jeden Notarzt eine besondere Herausforderung dar. Dies spiegelt sich auch in den aktuellen Reanimationsleitlinien des ERC wieder [1] . In deren Einleitung ist zu lesen, dass lebensbedrohliche Situationen bei Kindern wesentlich seltener stattfinden als beim Erwachsenen und die den Notfall Versorgenden meist über limitierte Erfahrungen mit Kindernotfällen verfügen. Dies wird als Grund angeführt, warum die Leitlinien die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft zu berücksichtigen hätten, aber eben auch einfach und umsetzbar sein müssen. Der besonderen Situation bei der Versorgung von Kindernotfällen sollte mit folgenden Grundregeln begegnet werden: • • • •
,,Suche Expertenrat und -hilfe." ,,Halte es so einfach wie möglich." ,,Bereite dich so gut vor wie möglich." ,,Beziehe die Eltern mit ein."
Die genannten Regeln werden im folgenden Teil anhand von Beispielen untermauert und sich daraus ergebende Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Kindern bei der notfallmedizinischen Versorgung abgeleitet. Weiterhin werden häufige spezielle Krankheitsbilder und die Veränderungen der Reanimationsleitlinien 2010 des ERC präsentiert.
2. Grundregeln 2.1. Fachkompetenz - ,,Suche Expertenrat und -hilfe" Je akut bedrohlicher eine Notsituation ist, desto weniger sind spezielle Fachkompetenzen, wie sie im Katalog eines Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin gefordert werden, gefragt. Hier ist an Kompetenz letztlich „nur noch" die Kenntnis der Reanimationsleitlinien notwendig und kommt es vor allem auf deren sichere technische Umsetzung an. Besondere Aufmerksamkeit gebührt der Sicherung der Atemwege, der Anlage von Zugängen und Dosierungen von Medikamenten, weswegen diese separat besprochen werden. Bei weniger akuten Situationen ist das Erkennen einer möglichen Progredienz bedeutsam, wofür spezielle Fachkompetenz erforderlich sein kann. Kleinkinder und Säuglinge können beispielsweise innerhalb von einer Stunde nach dem Beginn von oft diffusen klinischen Zeichen einer Infektion (wie beispielsweise Apnoen) in einen septischen Schock geraten. Petechien müssen erkannt und als Zeichen einer möglichen Meningitis gedeutet werden. Erst bei Kindern, die älter als ein Jahr sind, ist mit den von Erwachsenen bekannten klinischen Zeichen eines Meningismus zu rechnen. Daher muss bei Säuglingen mit Fieber ohne klaren Fokus auch an diese Differentialdiagnose gedacht werden. Ganz selten gibt es klare Aussagen in Empfehlungen oder Leitlinien zu der erforderlichen Fachkompetenz, wie bei der Versorgung von als lebensbedrohlich empfundenen Ausnahmezuständen (ALTE). Auch wenn sich diese Kinder nach dem Zustand meist wieder unauffällig präsentieren, wird explizit gefordert, dass ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin die Beurteilung des Kindes übernimmt und die weiteren diagnostisch und therapeutischen Notwendigkeiten festlegt [2]. Auch bei anderen Symptom- oder Krankheitsbildern wäre eine solche Forderung wünschenswert. Die Notwendigkeit der spezifischen Fachkompetenz betrifft jedoch nur in geringem Umfang die präklinische Versorgung. Aus der Perspektive des Notarztes sollte dieser, wo immer er eine Situation nicht 217
gänzlich in der Gesamtheit aller möglichen Aspekte und Verläufe beurteilen kann, seinen pädiatrischen Patienten der Beurteilung durch einen Kinderarzt zuführen. Dass diese Forderung bei Weitem keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die Tatsache, dass im Jahr 2003 in Deutschland mehr als die Hälfte aller stationär behandelten Kinder zwischen 5 und 15 Jahren in einer Abteilung für Erwachsene ohne Zugriff auf eine Behandlung durch eine Kinderpflegepersonal oder Pädiater untergebracht waren [3].
2.2. Technische Umsetzung - ,,Halte es so einfach wie möglich". Grundsätzlich sollten Verfahren, Instrumente und Medikamente mit denen der Anwender am meisten Erfahrung hat, bevorzugt werden. Bei ausbleibendem Erfolg mit der gewählten Methode sollten frühzeitig alternative Methoden in Erwägung gezogen werden. 2.2.1. Atemwege Ziel aller Maßnahmen an den Atemwegen ist letztendlich das Aufrechterhalten einer ausreichenden Oxygenierung der lebenswichtigen Organe. Dazu ist es entscheidend, dass eine Beatmung stattfindet, diese muss jedoch nicht zwingend über eine bestimmte Technik erfolgen. Es ist meist nicht kategorisch erforderlich, ein Kind zu intubieren. Selbst bei der präklinischen Versorgung von Kindern mit einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT)-was als grundsätzliche Intubationsindikation gilt - war kein Unterschied bezüglich des Überlebens oder dem neurologischen Outcome beim Vergleich einer Beatmung durch Maske oder Intubation feststellbar [4]. Auch bei Erwachsenen ist dokumentiert, dass es nicht selten zu Fehlintubationen kommt, die erst post mortem erkannt werden [5]. Gerade der Umgang mit dem kindlichen Atemweg kann für den Ungeübten schwierig sein, Besonderheiten und Verletzungsgefahren bieten. Bei einem Intubationsversuch ist die Wahl eines passenden Tubus über die bekannten Schätzformeln (ungecufft: Alter/4 + 4) oder eine längenbezogene Schätzung (z.B. Pädiatrisches Notfalllineal) möglich [1]. Zur Vermeidung von Verletzungen ist vor allem unterhalb der Stimmritze jedes Ausüben von Kraft zur Intubation zu vermeiden. Es ist letztendlich nicht entscheidend, ob dabei ein Tubus mit oder ohne Cuff verwendet wird. Für die Wahl mit einem Cuff spricht allerdings eine geringere Rate an notwendigen Umintubationen [6]. Wenn man sich jedoch für einen gecufften Tubus entscheidet, muss der gewählte Tubus nach der oben genannten Formel eine halbe Nummer kleiner gewählt werden. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass der Abstand zwischen der Tubusspitze und dem Cuff sowie die Markierung zur Platzierung des Tubus je nach Hersteller erheblich variieren [7]. Daher muss die Platzierung des Tubus sehr sorgfältig und unter Sicht erfolgen, um eine zu tiefe Intubation und das Blocken des Cuff in der Stimmritze zu vermeiden. Bei Kindern besteht nur sehr selten ein schwieriger Atemweg, dennoch sollte man einen Handlungsplan abrufbar haben, den man aktivieren kann, wenn eine Beatmung oder Intubation nicht gelingt oder nicht erfolgsversprechend scheint [8]. Zu erst sollte auf die Alternativen eines supraglottischen Atemwegs (z.B. Larynxmaske, nasopharyngealer Tubus) ausgewichen werden. Dies entspricht den empfohlenen Abläufen zum schwierigen Atemweg oder zur schwierigen Intubation [9], wie sie in Abbildung 1 zusammengefasst sind. Sehr sinnvoll erscheint die von Weiss et al. vorgeschlagene Ergänzung der üblichen Schemen durch eine direkte Laryngoskopie (10]. In den Schemata für die Erwachsenenversorgung wird als Alternative das „Aufwachen lassen" aufgeführt. Beim Säugling liegt darin meist keine sinnvolle Alternative, denn aufgrund sehr kurzer ApnoeToleranz ist dies kaum ohne Hypoxie zu erreichen. Oft werden Probleme mit dem kindlichen Atemweg durch zu oberflächliche oder fehlende Narkose verursacht. Daher sollte eine ausreichende Narkosetiefe angestrebt werden. Andere supraglottischen Atemwegshilfen sind sicher auch denkbar, jedoch weniger etabliert als die genannten (11]. Eine Koniotomie, welche die Ultima ratio zur Oxygenierung beim Erwachsenenalter darstellt, ist beim Säugling aufgrund des hoch sitzenden Kehlkopfes und der engen Trachea auf
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dieser Höhe nicht durchführbar. Hier sollte statt dessen eine perkutane Nadeltracheotomie mit einer Venenverweilkanüle oder einem Koniotomieset durchgeführt werden [8,12]. Selbstverständlich dient diese nur dazu, über eine Oxygenierung Zeit bis zum Schaffen eines chirurgischen Atemweges zu gewinnen, eine dauerhaft ausreichende Ventilation ist damit nicht zu erwarten.
( (
Maskenbeatmung möglich?
Ja= Routineversorgung
)
(___N_ei_·n_=_N_otfa_llp__la_n_ _)
♦
~
Alternative Verfahren abwägen:
Lagerungsveränderungen, lntubationshilfen, Andere Spatel, Supraglottische Atemwegshilfen Flexible oder rigide Optiken
(
)
(
( HILFE RUFEN
Dlrette LaryngNkople
)
)
Notfallbeatmung/Oxygenierung Zwei-Personen Maskenbeatmung Supraglottische Atemwegshilfen Koniotornle[Trachealpunktion
Kein Erfolg: chirurgischer Aa,nweg
]
Abb. 1: Mögliches Ablaufschema des schwierigen Atemweges beim Kind.
2.2.2. Zugänge Bei einem gut genährten Säugling, der aufgrund von Hypovolämie und/oder Unterkühlung zentralisiert ist, kann es unmöglich sein, einen peripheren Venenzugang zu finden. Wenn in einer Notfallsituation das Anlegen eines venösen Zugangs nicht gelingt oder initial aussichtslos erscheint, muss auf eine intraossäre Nadel ausgewichen werden. In der Regel sind die Kinder in einer solchen Situation bewusstlos, sollte das nicht der Fall sein, kann mit einer Infiltration der Haut und des Periost die Anlage schmerzfrei erfolgen. Nach der Stabilisierungsphase muss die intraossäre Nadel in der Klinik durch einen anderen Zugang ersetzt werden. Die Gefahr einer Osteomyelitis besteht vor allem bei längerer Liegedauer [13]. Die technische Durchführung wird durch Systeme, die mit einem Akkubohrer vergleichbar sind (wie den EZ-IO® Intraossär-Bohrer der Firma Vidacare) erheblich erleichtert, denn damit wird eine Handhabung ermöglicht, die aus dem Alltag (Umgang mit einer Bohrmaschine) bekannt ist. Zur Flüssigkeitstherapie dürfen ausschließlich Vollelektrolytlösungen verwendet werden, da ansonsten ein Hirnödem droht. Zum Grundbedarf kann die weit verbreitete 4-2-1-Regel verwendet werden (4 ml/kg/h für die ersten 10 kg Körpergewicht (KG), 2 ml/kg/h für die weiteren 10 kgKG und für jedes folgende kgKG je 1 ml/kg/h). Zu einem akuten Volumenersatz sind Bolusgaben von 20 ml/kg Körpergewicht zu empfehlen. Bei wiederholten Volumengaben muss mit einem Transfusionsbedarf gerechnet werden. Über den präklinischen Einsatz von Kolloiden bei Säuglingen und Kleinkindern liegen keinerlei Studien vor, diese scheinen aber verzichtbar zu sein. Es sollten auf jeden Fall die zugelassenen Höchstmengen beachtet werden.
2.3. Vorbereitung - ,,Bereite dich so gut vor wie möglich". 2.3.1. Hospitationen, Simulationen Zur Vorbereitung auf Kindernotfälle ist es besonders bedeutsam, Kenntnisse bei der beschriebenen technischen Umsetzung zu erlangen. So sind bei Kollegen, die in einem spezialisierten Bereich hospitieren, beeindruckende Lernerfolge zu verzeichnen. Es ist davon auszugehen, dass mit einer solchen Maßnahme in kurzer Zeit viel an Sicherheit
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erreicht werden kann. Wahrscheinlich kann auch die Teilnahme an Simulationstraining eine Verbesserung der Fähigkeiten im Umgang mit Kindernotfällen bewirken. Ein Beweis für die Evidenz solcher Vorbereitungen liegt bisher nicht vor. 2.3.2. Kenntnisse über Normwerte Kinder zeigen altersabhängige physiologische Normwerte, wobei Kenntnisse darüber diagnostisch und therapeutisch entscheidend sind. Beispielsweise unterscheiden sich die mittleren arteriellen Blutdruckwerte deutlich vom Erwachsenen. Neben der Entscheidung, ob eine Intervention notwendig ist, können die Normwerte auch als Therapieziel dienen. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bei Kindern mit einem SHT bei Erreichen der altersentsprechenden Normwerte des Blutdruckes ein deutlich besseres Outcome erzielt wird [14]. 2.3.3. Spezielle Ausrüstung, Tabellen und Hilfsmittel Die gesamte notfallmedizinische Ausrüstung muss in den altersentsprechenden Größen auch für Kinder vorgehalten werden. Dazu gehören Atemwegs-Equipment, Zugänge, Spritzen, Katheter, Materialien zur Bergung, Lagerung und Immobilisation. Nachgewiesenermaßen sind neben Atemwegsproblemen Fehldosierungen von Medikamenten die häufigsten bedrohlichen Fehler bei der Reanimation von Kindern. Es bietet sich an, ein Hilfsmittel für die geforderten Kenntnisse zu Medikamentendosierungen, passenden Ausrüstungsgegenständen und Normwerten schnell zugreifbar, beispielsweise in Form von Tabellen und Kitteltaschenbüchern, vorzuhalten. Wichtig ist, dass man sich mit diesen Informationsquellen schon vor ihrem eigentlichen Einsatz vertraut gemacht hat. Das „Pädiatrische Notfalllineal" vereint eine Auflistung von Normwerten, passenden Ausrüstungsgegenständen und körpergewichtbezogenen Medikamentendosierungen und bietet zusätzlich die Möglichkeit zu einer präzisen Gewichtsschätzung bei Kindern mit nicht bekanntem Körpergewicht (Einzelheiten zum wissenschaftlichen Hintergrund und Bezug unter www.notfalllineal.de). Das in den USA verbreitete „Broselow-Tape" benutzt die gleichen Prinzipien, ist dort bereits etabliert und wurde in einer Vielzahl von Studien evaluiert. So konnte zum Beispiel in einer präklinischen Studie die Rate an korrekten Dosierungen von Adrenalin fast verdoppelt werden [15]. Auch die europäischen Reanimationsleitlinien 2010 erwähnen dieses Prinzip als empfehlenswertes Hilfsmittel [ 1].
2.4. Anwesenheit von Angehörigen - ,,Beziehe die Eltern mit ein".
Eine Anamnese durch die Eltern ist in Notfallsituationen von meist entscheidendem Wert. Diese kann neben eine Auflistung von ganz konkreten Fakten oder Beschreibungen von Beobachtungen auch ein diffuses und wenig konkretisierbares Gefµhl enthalten, wie „mit meinem Kind stimmt was nicht". Aufgrund mangelnder Erfahrung bezüglich entwicklungsbedingter Fähigkeiten sowie Reflex- und Verhaltensmuster, aber auch den ausgeprägten individuellen Schwankungen derselben, kann es für einen Notarzt unmöglich sein, festzustellen, ob sich ein Kind normal verhält. Es kommen lebensbedrohliche Krankheitsverläufe vor, die zunächst keine fassbare Pathologie zeigen und ausschließlich mit einem diffusen Gefühl der Eltern vorgestellt werden wie „mein Kind ist so ruhig, dass habe ich noch nie erlebt". Daher gilt es immer, die Einschätzung der Eltern sehr ernst zu nehmen. Bei der Versorgung von Kindern sollte den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, der Behandlung beizuwohnen, sofern es der Qualität des Handelns nicht im Wege steht. Wenn möglich, sollte jemand abgestellt werden, der den Angehörigen den Ablauf erklärt und für Fragen zur Verfügung steht. Bei einem solchen Vorgehen konnte nachgewiesen werden, dass Eltern signifikant seltener behandlungsbedürftige posttraumatische Psychopathologien entwickeln [16]. Daher wird ein solches Vorgehen auch in den aktuellen Leitlinien empfohlen [1]. 220
3. Spezielle Krankheitsbilder 3.1. Traumata
Traumata und Verletzungen machen unter den durch Notärzte versorgten Kindern mehr als ein Drittel, im Falle eines Rettungshubschraubers sogar über 60% der pädiatrischen Patienten aus [ 17). Das Verteilungsmuster der Verletzungen ist bei Kindern aufgrund Ihrer Körperproportionen und knöchernen Entwicklung anders als beim Erwachsenen: mit fast 90 % weisen schwerverletzte Kinder wesentlich häufiger Kopfverletzungen auf. Diese Verletzungen haben bei Kindern auch die größte Bedeutung für das Überleben und das neurologische Outcome. Thorax und Becken sind hingegen seltener betroffen und zudem klinisch seltener bedrohlich als beim Erwachsenen. Bezüglich eines SHT ist bemerkenswert, dass es regelhaft Kinder gibt, die weder durch Prellmarken, noch durch eine initiale neurologische Symptomatik einen Hinweis auf eine schweres SHT präsentieren, die dennoch Schädelfrakturen, intrakranielle Blutungen oder neuroaxonale Schädigungen aufweisen [18]. Daher ist es besonders wichtig, die Anamnese eines schweren Traumas detailliert zu erheben und sehr ernst zu nehmen. Eine weitere Besonderheit des Kindes ist das subgaleale Hämatom [19). Aufgrund.einer noch sehr lockeren Anheftung der Kopfschwarte an die Kalotte, kann sich ein Hämatom um den gesamten Kopf herum ausbreiten - Säuglinge und Kleinkinder können hier rasch lebensbedrohliche Blutverluste erleiden, die adäquat substituiert werden müssen. Eine Kompression dieses Hämatoms ist vor allem bei noch nicht verschlossenen Fontanellen obsolet. Bei der prähospitalen Polytraumaversorgung gelten die gleichen Grundregeln, wie beim Erwachsenen. Im Rahmen der präklinischen Primärversorgung ist entscheidend, allzeit stabile Vitalparameter zu gewährleisten. Ziel aller Maßnahmen ist letztendlich das Aufrechterhalten einer ausreichenden Perfusion und Oxygenierung der lebenswichtigen Organe und dazu sollten als Therapieziel die physiologischen Normwerte erreicht werden. Eine erste grob orientierende Untersuchung des verletzten Kindes sollte unmittelbar nach der Feststellung der Vitalparameter erfolgen. Mit Abschluss der präklinischen Versorgung und Beginn des Transports ist es wichtig, das Ausmaß und die Verteilung der Verletzungen differenziert zu erkennen und somit eine Entscheidung zu ermöglichen, in welche Klinik und mit welchem Rettungsmittel ein Kind transportiert werden muss. Für die dazu notwendige Untersuchung sollte ein festes Ablaufschema eingeübt werden, um dieses lückenlos und zügig in Stresssituationen durchführen zu können. Jeder Zeitverlust muss bei der Versorgung wie beim Erwachsenen vermieden werden, wobei durch schnelleres Auskühlen bei Kindern eine zusätzliche Gefahr droht. Auch bezüglich der klinischen Versorgung gilt, dass die Ablaufschemata (beispielsweise nach ATLS) wie bei den Erwachsenen angewendet werden können. Vermutlich liegt es an der besseren Performance in der genannten technischen Umsetzung, dass Traumazentren mit speziell für Kinder qualifizierten Teams bessere Ergebnisse erzielen als andere [20]. Aufgrund der führenden Bedeutung und der oft überraschenden Befunde muss bei der klinischen Erstversorgung großer Wert auf eine rasche cerebrale Bildgebung gelegt werden. Solange die Fontanellen offen sind, kann per Ultraschall eine sehr schnelle, aussagekräftige und strahlungsfreie intrakranielle Bildgebung erfolgen. Bei allen anderen Kindern mit einem Wert nach der pädiatrisch modifizierten Glasgow-Coma-Scale (GCS) von unter 12 sollte eine Computertomographie (CT) des Gehirns durchgeführt werden [21].
3.2. Erkrankungen der Atemwege
Atemwegserkrankungen machen zwar nur in der Dimension von 10-20 % der von einen Notarzt versorgten Kinder aus, stellen aber einen großen Anteil der Kinder mit lebensbedrohlichen Zuständen. 221
3.2.1. Asthma, Anaphylaxie Plötzliche einsetzende Atemnot aus völliger Gesundheit mit expiratorischem Stridor lässt vor allem an einen Asthmaanfall denken. Als auslösendes Ereignis können Infektionen, Allergien, Stress und Anstrengung in Frage kommen. Ein giemendes und verzögertes Exspirium ist das Leitsymptom, wobei besonders das letztere beim Kleinkind oft besser durch Beobachtung der Brustkorbbewegungen und/oder Handauflegen zu erkennen ist. Das therapeutische Vorgehen unterscheidet sich nicht vom Erwachsenen, erste Maßnahme ist die Inhalation von ß-Mimetika wobei die Dosierung nahezu identisch mit der beim Erwachsenen ist (Tabelle 1). Die Durchführung kann beim wehrigen Kindern schwierig sein. Es ist in diesen Fällen notwendig, das Kind vor allem initial ausreichend fest zu halten (ohne es zu verletzen) - oft merken die Kinder dann, dass es Ihnen gut tut oder dass sie sich nicht erfolgreich wehren können und tolerieren die Maßnahme. Ob dabei ein Vernebler oder ein Dosieraerosol mit einer lnhalierhilfe verwendet wird ist bei optimaler Anwendung bei der Notfallversorgung bedeutungslos, es sollte daher das vertrautere Verfahren gewählt werden. Beim Ungeübten gelingt die Verneblung technisch meist besser und hat im stationären Bereich Vorteile gezeigt. Bei leichten bis mittleren Fällen sollte auch ein orales Kortikoid verabreicht werden, dabei kann von den in der Tabelle genannten Alternativen Prednison oder Dexamethason keinem ein evidenzbasierter Vorzug gegeben werden. Nur bei schwer kranken Kindern hat eine intravenöse Gabe Vorteile gezeigt [22). Die Anwendung von Betamethason wurde bisher nur in einer Untersuchung beim Krupp-Syndrom bei Kindern als gleichwertig gesichert [23). Wenn das genannte Repertoire erschöpft ist und ein bedrohlicher Zustand persitiert, kann es notwendig sein, ß-Mimetika i.m. zu verabreichen, was dann in gleicher Dosierung und Art wie beim anaphylaktischen Schock erfolgen sollte. Inhalation mit Vernebler Epinephrin (lnfectokrupp•, u.a.)
bis 10 kg: 1 ml + 1 m1 NaCI 0,9 % (= 4 mg) ab 10 kg: 2 ml pur (=8 mg)
Salbutamol-lnhalier-Lsg. (Sultanol•-Lsg, u.a.)
5-10 Tropfen (= 1,25 - 2,5 mg) (1 gtt. pro Jahr oder 3 kg) min. 3 max. 10 gtt . jeweils in 2 ml NaCI 0,9 %
Ipratropriumbromid-Lsg. (Atroven„ LS , u.a.)
5-10 Hübe (= 0,125 - 0,25 mg) Dosierung wie Sultanol jeweils in 2 ml NaCI 0 ,9 %
Inhalation mit lnhalierhilfe Salbutamol (Sultanol'", u.a)
1-2 Hilbe (0,1-0,2 mg)
Fenoterol (Berotec•, u.a)
1-2 Hübe (0,1-0,2 mg)
Terbutalin (Bricanyl•, u.a)
1-2 Hübe (0,25-0,5 mg)
Kortikoide Methyl-Prednisolon (Urbason•, u.a)
2-4 mg/kg i.v.
Prednisolon (Decortin H'", Solu Decortin®, u.a.)
2-10 mg/kg i.V.
Prednison (Decortin•, Rectodel.. , u.a.)
2 mg/kg/d p.o. über 5 Tage 5-10 mg/kg (meist 100 mg) rectal
Dexamethason (Fortecortin'", Isopto•, u.a.)
0,6 mg/kg Einzeldosis p.o.
Betamethason (Celestamin'", u.a.)
0,3 mg/kg alle 4-6 Stunden p.o.
ß-Mimetika Im. z.B. Epinephrin oder Tcrbutalin
!
10 µg/kg (max. 300 µg)
Zusätzliche Optionen Magnesium, Ketanest, Theophyllin Tab. 1: Medikamentöse Therapie beim akuten Asthmaanfall des Kindes.
222
Bei der Anaphylaxie ist eine möglichst rasche Behandlung mit Epinephrin in der genannten Dosierung die wichtigste Therapiemaßnahme. Die Verabreichung von Antihistaminika dient vor allem einer Reduktion von Hautmanifestationen, dann sollte man gerade bei Kindern auf neuere Substanzen zurückgreifen, die weniger sedierend wirken (z.B. Loratadin und Cetirizin sind zugelassen ab dem 2. Lebensjahr). Kortikoide haben in Plazebokontrollierten Studien bei der Anaphylaxie bisher keine Vorteile geboten, dennoch wird deren Anwendung immer empfohlen, weil dadurch begleitende oder auslösende Krankheiten behandelt werden [24] 3.2.2. Krupp-Syndrom Die führende Symptomatik beim Krupp-Syndrom besteht in typischerweise plötzlich auftretendem inspiratorischem Stridor und bellendem Husten. Oft sind die Kinder in der Zeit unmittelbar vor dem Ereignis mit einem Infekt der oberen Atemwege erkrankt, es gibt aber auch Krupp-Anfälle aus völliger Gesundheit heraus. Der Pathomechanismus ist eine Schwellung der Subglottis bis zur engsten Stelle der kindlichen Luftröhre, welche sich auf Höhe des Krikoid befindet. Bei leichten Fällen kann das Zuführen von frischer, kühler Luft schon ausreichend sein. Ansonsten entspricht die Therapie weitestgehend derjenigen beim Asthma (Tabelle 1). Sehr selten werden auch lebensbedrohliche Zustände erreicht. Zu den Diffentialdiagnosen gehört die Tracheitis und Epiglottitis (s.u.). Besonders bei fehlenden Impfungen sowie einer schon über Tage sich entwickelnden Progredienz von Heiserkeit, inspiratorischen Stridor und bellendem Husten - der typischerweise mit einem Spateldruck auf die Zunge ausgelöst werden kann - muss an eine Diphterie gedacht werden, die früher auch als „echter Krupp" bezeichnet wurde. 3.2.3. Epiglottitis, Tracheitis Auch wenn die Epiglottitis zu einer extrem seltenen Erkrankung geworden ist, muss sie erwähnt werden, weil aus ihr eine besondere Bedrohung resultiert. Sie kommt aber immer noch vor, weil nicht alle Eltern die empfohlene Impfung (HiB) durchführen lassen und weil auch andere Erreger als auslösende Ursache in Frage kommen. Das klinische Bild der Epiglottitis wird wie beim Krupp durch inspiratorischen Stridor und Husten gekennzeichnet. Im Unterschied zum Krupp-Syndrom zeigen die Kinder mit Epiglottitis Zeichen einer schweren, bakteriellen Infektion mit hohem Fieber und erheblich eingeschränktem Allgemeinzustand. Auffallend ist die Ruhe im Bereich des Kehlkopfes: die Kinder sitzen aufrecht mit offenem Mund und versuchen Sprechen und Schlucken zu vermeiden, was manchmal zu einem Speichelfluss aus dem Mund führen kann. Die Bedrohlichkeit entsteht aus der infektionsbedingten massiven Reizung und Schwellung der Epiglottis, die bei einem misslungenen Intubationsversuch putrides Sekret entleeren, zusätzlich schwellen und bluten kann. Im Extremfall kann sich hieraus eine „cannot ventilate, cannot intubate" Situation entwickeln. Daher ist ein präklinischer Intubationsversuch nur im äußersten Notfall angezeigt und es kann nötig werden, zu koniotomieren. Die Klinik die angefahren wird, muss zwingend so früh wie möglich über die Verdachtsdiagnose informiert werden, um ein erfahrenes Team zusammenzustellen und sich auf eine mögliche Tracheotomie vorzubereiten. Eine Tracheitis kann klinisch nicht von der Epiglottitis unterschieden werden, die Diagnose kann nur bronchoskopisch gestellt werden. Sie ist mittlerweile die häufigste Ursache von lebensbedrohlichen Atemweginfektionen [25]. Diese Kinder sind in der Regel einfach zu intubieren, wobei dennoch fiberoptische Verfahren zur Intubation verwendet werden sollten, um gleichzeitig Probenentnahmen und ein exakte Platzierung des Tubus gewährleisten zu können [26]. 3.2.4. Fremdkörperaspiration Typischerweise aspirieren Kinder, wenn Sie beim Spielen oder in einer sonstigen unruhigen Situation etwas essen, was eine glatte Oberfläche hat. Dabei tritt dann eine beein-
223
druckende Hustenattacke auf, wodurch der Fremdkörper wieder ausgehustet werden kann oder in eine tiefere Region der Lunge gelangt, wo er zunächst klinisch unauffälliger zum Liegen kommt. Somit ist auch bei einem dann klinisch unauffälligem Kind eine Aspiration nicht auszuschließen. Nüsse sind Fremdkörper, die sich oft im weiteren Verlauf problematisch verhalten, weil Sie ätherische Öle sezernieren und damit eine progrediente Reizung der Atemwege verursachen. Zusätzlich sind Sie oft technisch schwierig zu bergen. Aspirierter Puder birgt ebenso erhebliche Gefahren und sollte unbedingt sobald wie möglich entfernt werden. Zur Notfallversorgung sollte das vital stabile Kind so stressfrei wie möglich in die Klinik verbracht werden. Dazu ist der Platz auf dem Schoss der Mutter oft am besten geeignet. Bei nur noch flacher Atmung sollte die Mundhöhle wenn möglich eingesehen und freige, macht werden. Die Lagerung des Kindes muss optimiert werden. Weiterhin kann versucht werden, die Atmung mit einem Ambubeutel zu unterstützen. Wenn frustrane Atembemühungen stattfinden aber noch Bewusstsein besteht, sollte beim Kleinkind durch Rückenschläge in kopftiefer Lagerung und beim größeren Kind mittels eines Heimlich-Manövers versucht werden, den Fremdkörper zu mobilisieren [l]. Beide Techniken setzen ein noch über Reflexbahnen kontraktionsfähiges Zwerchfell voraus und sind daher beim bewusstlosen Patienten nicht sinnvoll. Bei bewusstlosen Kindern sollte primär eine Inspektion und Auswischen der Mundhöhle erfolgen. Unmittelbar danach muss nach den Reanimationsleitlinien, die bei Fremdkörperaspiration gelten, gehandelt werden [1]. So schnell wie möglich ist eine Inspektion der Mundhöhle mit einem Laryngoskop durchzuführen und sichtbare Fremdkörper zu entfernen. Bei fehlender Besserung muss dann intubiert werden. Sollte beim korrekt liegendem Tubus keine ausreichende Beatmung möglich sein, muss versucht werden, durch ein gezielt zu tiefes, einseitiges Vorschieben des Tubus die Verlagerung des Fremdkörpers in einen der Hauptbronchien zu erreichen.
3.3. Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen Bewusstseinsstörungen und Krampfanfälle machen mehr als 30 % der durch Notärzte versorgten Kinder aus. Meistens handelt es sich um Fieberkrämpfe, die sich in der Regel selbst terminieren. Wichtig ist, nicht zu übersehen, wenn es sich um eine Hypoglykämie, eine Intoxikation oder ein SHT handelt. Bei einem Fieberkrampf ohne lnfektfokus muss bei einem Säugling an eine Meningitis gedacht werden. Bei einem prolongierten Krampfgeschehen sollten auf keinen Fall wiederholte rectale Medikamentengaben erfolgen, weil es sonst zu einer Atemdepression kommen kann. Stattdessen ist es sinnvoll, Medikamente schrittweise zu titrieren, um den Krampfanfall zu durchbrechen. Dazu bieten sich die in der Tabelle 2 aufgeführten Medikamenten an. Wenn ein Krarnpfanfall ohne relevantes Fieber auftritt, beginnend oder auch vollständig fokal war, länger als 15 Minuten gedauert hat oder sich innerhalb von 24h wiederholt, bedarf das Kind einer weiteren stationären Abklärung, auch wenn es nach dem Anfall wieder vollständig unauffällig erscheint [27]. Medikamente zum Unterbret:hen von Krampfanfällen Lorazepam (Tavor-expide~)
30 °C KKT eingesetzt; bis 35 °C werden die Abstände zwischen den Injektionen verdoppelt.
Praktischer Ablauf einer Reanimation Allgemeines
Nachfolgend wird der Ablauf für eine Zwei-Helfer-CPR beschrieben, die präklinisch oft der initiale Normalfall ist. Bei höherer Helferzahl können die Atemwegssicherung und die Anlage des Gefäßzugangs früher bzw. parallel erfolgen. • • • •
Universeller CPR-Algorithmus (für Erwachsene und Kinder) siehe Abb. 4. Eine Schleife dauert 2 min und umfasst etwa 5 TK-B-Zyklen 30:2. Eine Pulskontrolle soll nur während der Rhythmusanalyse und bei Anzeichen eines organisierten Rhythmus erfolgen. Reversible Ursachen sind zu beseitigen; dabei ist insbesondere die Ultima Ratio-Lyse zu erwägen.
Bewusstlose Person Situationsgerechter Notruf
Ahnung • und ggf. Kreislauf - prüfen Atemweg freimachen
TK-B 30: 2
Bei _,ögertem Beginn initial 2 x beatmen (Initial Sx beatmen - 1S:2)
Asystolie / PEA
1 ,DF 150-360 Jbiphaslsch 360 J monophasisch (4Jlkg KG)
Adrenalin
min TK-B 30 : 2 (15 : 2) Adrenalin ab 3. DF 1 mg (10 µglkg) alle 3-5 min 2
1 mg (1 0 µg/1:g) alle 3-S min 2 min TK-B 30:2 (15:2)
Reversible Ursachen Hypo,cie Hypovolämie Hyper./Hypobliämie usw. Hypothermie
Perikardtamponade
Spannungspneumothorax Vergiftungen Lungenarterienembolie
Abb. 4: Universeller CPR-Algorithmus für Erwachsene und Kinder (Werte für Kinder in Klammem). Abkürzungen siehe Text.
237
Initialmaßnahmen • • • •
Bei beobachtetem KF/PVT sofort Präkordialschlag und ggf. bis 3 x DF ohne BLS. Bewusstsein prüfen, situationsgerechter Notruf, Atmung und ggf. Kreislauf prüfen. Unverzüglich mit BLS (30 TK) beginnen. Anmerkung: Bei verzögertem Beginn der CPR ggf. initial 2 x mit möglichst hoher FiO 2 beatmen. Situationsabhängig den Atemweg sichern (z.B. Einsetzen des Larynxtubus). Defibrillator anschließen. 1. Rhythmusanalyse (RA).
• • •
KF, PVT - Defibrillierbarer Rhythmus • • • • • • • •
1. DF + 2 min TK-B (1. Schleife) - in der 1. Schleife vorrangig den Atemweg sichern. 2. RA+ 2. DF + 2 min TK-B - in der 2. Schleife einen Gefäßzugang anlegen. 3. RA+ 3. DF + 1 mg Adrenalin+ 300 mg Amiodaron + 2 min TK-B. 4 . RA+ 4. DF + 2 min TK-B. Weitere RA und DF alle 2 min. 1 mg Adrenalin alle 3-5 min (in jeder zweiten Schleife). Ggf. erneut 150 mg Amiodaron (z.B. bei 5. DF). Magnesium erwägen.
Asystolie, PEA - Nicht-defibrillierbarer Rhythmus • • • • • •
Initialmaßnahmen und 1. Rhythmusanalyse wie oben. 2 min TK-B (1. Schleife) - in der 1. Schleife vorrangig einen Gefäßzugang anlegen und sofort 1 mg Adrenalin injizieren. 2. RA+ 2 min TK-B - in der 2. Schleife den Atemweg sichern. Weitere RA alle 2 min. 1 mg Adrenalin alle 3-5 min (in jeder zweiten Schleife). Bei regelmäßigen P-Wellen externe Stimulation versuchen.
Vitalbedrohliche Rhythmusstörungen Grundsatz Vitalbedrohliche Rhythmusstörungen sind durch Bewusstseinstrübung, Angina pectoris oder Schock gekennzeichnet und werden abgestuft behandelt. Bradykardie • • •
Atropin initial 0,5 mg i.v. (ggf. bis 3 mg steigern). Adrenalin 2-10 µg/min i.v. (= 0,2-1,0 rnl 1:100.000; 1 mg ad 100 rnl). Stimulation mit transkutanem Schrittmacher (immer Pulskontrolle).
Tachykardie Bei supraventrikulärer Tachykardie (SVT) mit schmalen oder breiten sowie ventrikulärer Tachykardie (VT) mit breiten Kammerkomplexen: • Bis 3 x Kardioversion in Kurznarkose (z.B. mit 0,3 mg/kg KG Etomidat) oder Analgosedierung: 238
• • •
- SVT initial 70-120 J biphasisch bzw. 100 J monophasisch, - VT initial 120-150 J biphasisch bzw. 200 J monophasisch. 300 mg Amiodaron über 10-20 min i.v. Erneute Kardioversion mit höherer Energie. 900 mg Amiodaron über 24 h als Infusion.
Hyper- und Hypokaliämie •
•
Bei bedrohlicher Hyperkaliämie mit EKG-Veränderungen 10 ml Calciumgluconat 10 %, 50 mmol Natriumhydrogencarbonat(= 50 ml 8,4 %) und 10 E Humaninsulin mit 25 g Glukose i.v. geben; zusätzlich kann ein ß2-Mimetikum wie Salbutamol inhaliert oder i.v. injiziert werden. Bei bedrohlicher Hypokaliämie 20 mmol KCl über 10 min i.v. geben; unter laufender CPR ggf. 10-20 mmol KCl als Bolus i.v. - regelmäßig zusammen mit 2 g Magnesiumsulfat, da häufig gleichzeitig eine Hypomagnesiämie vorliegt.
Post-Reanimationsphase Es gelten folgende Grundregeln: • Aus kardiologischer Ursache reanimierte Patienten werden möglichst in eine kardiologische Abteilung mit Einrichtung zur Koronarintervention transportiert. Ggf. ist vor dem Transport ein 12-Kanal-EKG abzuleiten. • Die Patienten werden präklinisch - aus Gründen der Transportsicherheit und der kurzen Transportzeiten - weiter kontrolliert mit einer FiO2 von 1,0 beatmet. • Anmerkung: Die vom ERC empfohlene Anpassung der FiO2 kann nach der Klinikaufnahme und einer arteriellen BGA erfolgen. • Zur Verbesserung des neurologischen Ergebnisses sind nach CPR anhaltend bewusstlose Patienten - unabhängig vom vorgefundenen Rhythmus und dem Lebensalter - im Rahmen der therapeutischen Hypothermie für 12-24 h auf 34-32 °C KKT zu kühlen. Sie sind daher bereits präklinisch aktiv zu kühlen (z. B. mit Kühlpackungen) oder zumindest kühl zu halten. • Nach der Klinikaufnahme sind BGA, Elektrolyte, Blutzucker, Laktat, Troponin und Gerinnungsstatus usw. zu kontrollieren und ggf. zu behandeln. Eine Hypo- oder Hyperglykämie ist zu vermeiden; die Blutzuckerkonzentration soll 180 mg/dl (10 mmol/1) nicht übersteigen. Anmerkung: Nach Wiederherstellung des Kreislaufs (ROSC; return of spontaneous circulation) soll der Patient erst nach einer kurzen Konsolidierungsphase und nur mit vollständiger Notfallausrüstung transportiert und subtil überwacht werden (Klinik, EKG, Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie, Kapnographie). Nach der Klinikaufnahme ist eine Reanimationsverletzung durch Röntgen-Aufnahme des Thorax, Sonographie von Abdomen und Thorax sowie wiederholte Hb-Kontrollen auszuschließen.
Zusammenfassende Wertung Die ERC-Leitlinie 2010 betont die hohe Bedeutung der Thoraxkompression, ohne den pathophysiologisch evidenten Zusammenhang mit der Oxygenierung zu vernachlässigen. Es sind keine tiefgreifenden Umstellungen in Ausbildung und Ausstattung erforderlich, was insbesondere den Mitarbeitern im Rettungsdienst entgegen kommt. Aufgabe aller Verantwortlichen - inner- wie außerklinisch - ist es nunmehr, die neuen Empfehlungen konsequent in die Tat umzusetzen. 239
Literatur 1.
2. 3. 4.
5.
6.
240
Adams HA: Ethische Aspekte der Notfall- und Intensivmedizin. In: Adams HA, Flemming A, Ahrens J, Schneider H (Hrsg): Kursbuch Notfallmedizin-Fibel für angehende Notärzte. (15.Aufl) Berlin: Lehmanns Media 2009; 113-118. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2010. Resuscitation 2010; 81: 1219-1451. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2005. Elsevier Ireland; 2005. Koster RW, Bossaert LL, Nolan JP, Zideman D, on behalf of the Board of the European Resuscitation Council: Advisory statement of the European Resuscitation Council on Basic Life Suppport. March 31, 2008. Adams HA, Baumann G, Cascorbi I, Dodt C, Ebener C, Emmel M, Geiger S, Janssens U, Klima U, Klippe HJ, Knoefel WT, Lampl L, Marx G, Müller-Werdan U, Pape HC, Piek J, Prange H, Roesner D, Roth B, Sarrafzadeh A, Stand! T, Teske W, Unterberg A, Vogt PM, Werner GS, Windolf J, Zander R, Zerkowski HR; unter Mitarbeit von Flemming A: Kardiopulmonale Reanimation - CPR. Eine Empfehlung der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Schock der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin zur praktischen Umsetzung der Richtlinien des European Resuscitation Council 2005. Intensivmed Notfallmed 2006; 43: 446-451. Adams HA, Flemming A, Friedrich L, Ruschulte H: Taschenatlas Notfallmedizin. Stuttgart: Thieme 2011.
Die Reanimationsleitlinien 2010 - Kinder M.P.MOLLER
Im Jahr 2005 wurden durch den European Resuscitation Council (ERC) Leitlinien für die Reanimation veröffentlicht, die auf einem internationalen Konsens zum derzeitig aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand basierten. Dieser "Consensus on CPR Science with Treatment Recommendations" (CoSTR) wurde 2010 auf der Basis neuer wissenschaftlicher Daten aktualisiert und am 18. Oktober 2010 international veröffentlicht [1]. Die deutsche Übersetzung der aktuellen Leitlinien ist über die Webseite des Deutschen Rates für Wiederbelebung/ German Resuscitation Council unter www.grc-org.de im Volltext zugänglich.
Reanimation von Kindern In den Empfehlungen für die Reanimation von Kindern wird zwischen Säuglingen ( 1 Jahr empfohlen. Die Gefahr einer Schockabgabe ohne Indikation ist hierbei sehr unwahrscheinlich. Nach Möglichkeit sollten allerdings Defibrillatoren verwendet werden, die mit speziellen Kinderelektroden arbeiten, diese reduzieren beim Einstecken dieser Elektroden die Energie automatisch auf 50-75 J.
Ablauf des BLS Bei sicherer Umgebung wird das Bewusstsein überprüft, hierzu wird das Kind berührt und angesprochen, keinesfalls geschüttelt, um bei eventuellem Trauma keine sekundären Schäden zu verursachen. Wenn das Kind nicht reagiert, erfolgt unmittelbar der Hilferuf. Falls mehrere Helfer anwesend sind, kann ein Helfer sofort den Notruf auslösen. Nun werden die Atemwege frei gemacht, hierzu wird der Kopf nur leicht überstreckt. Auch darf kein Druck auf die Halsweichteile ausgeübt werden, um die Atemwege nicht zu verlegen. Bei Verdacht auf ein Trauma der Halswirbelsäule sollten die Atemwege nur mittels Esmarch-Handgriff frei gemacht werden. Der Helfer evaluiert nun die Atmung. Ausdrücklich betont wird in den aktuellen Leitlinien die Bedeutung der Schnappatmung als Zeichen eines Kreislaufstillstandes. Wird keine normale Atmung festgestellt, ist von 241
einem Kreislaufstillstand auszugehen . Auch im Zweifelsfall ist von einem Kreislaufstillstand auszugehen. Die Überprüfung auf Lebenszeichen darf in keinem Fall länger als 10 Sekunden dauern. Professionelle Helfer sind üblicherweise nicht in der Lage, innerhalb 10 Sekunden zuverlässig zu bestimmen, ob ein Puls vorliegt. Helfer, die mit der Technik vertraut sind, dürfen das Palpieren des Pulses an der A. brachialis (Kind< lJ), der A . carotis (Kind >lJ) oder A. femoralis (alle Altersgruppen) zur Entscheidung hinzuziehen. Dies darf den Beginn der Reanimation allerdings nicht verzögern. Im Gegensatz zur Erwachsenenreanimation erfolgen bei Kindern ohne Lebenszeichen 5 initiale Beatmungen. Hierzu wird bei Säuglingen der Kopf in Neutralposition belassen und das Kinn angehoben, die Beatmung erfolgt über Mund und Nase des Säuglings. Bei Kindern wird der Kopf leicht überstreckt und das Kinn angehoben, die Beatmung erfolgt über den Mund. Bei der Beatmung ist auf möglichst geringen Druck und geringes Volumen zu achten, um eine Insufflation des Magens zu vermeiden. Die sichtbare Thoraxexkursion als Zeichen der effektiven Beatmung sollte bei jedem Atemzug evaluiert werden. Bei Schwierigkeiten können sichtbare Fremdkörper entfernt und die Kopfposition korrigiert werden. Keinesfalls sollten ineffektive Beatmungen wiederholt werden. Nach 5 Beatmungen wird erneut nach Lebenszeichen gesucht, auch hier gilt der Grundsatz, dass die Kontrolle 10 Sekunden nicht überschreiten darf. Die Thoraxkompressionen werden bei Kindern aller Altersklassen über der unteren Sternumhälfte mit einer Frequenz von 100-120/min durchgeführt. Die Drucktiefe beträgt mindestens ein Drittel des Thoraxdurchmessers. Bei Säuglingen können die Thoraxkompressionen mit 2 Fingern einer Hand (vor allem bei einem Helfer) oder mit beiden Daumen (umschließen des Thorax mit beiden Händen, vor allem bei mehreren Helfern) durchgeführt werden. Bei Kindern über einem Jahr kann der Helfer entscheiden, ob er die Thoraxkompressionen mit einer oder zwei Händen durchführt, die Betonung liegt hier auf der adäquaten Drucktiefe. Eine der wichtigsten Botschaften der Leitlinien von 2010, die es in den nächsten 5 Jahren umzusetzen gilt, ist die Forderung nach qualitativ hochwertigen Thoraxkompressionen sowie minimalen Unterbrechungen der Herzdruckmassage. Das Verhältnis von Thoraxkompressionen zu Beatmungen wird für Laienhelfer mit 30:2 empfohlen. Laienhelfer, die in den Maßnahmen des BLS für Erwachsene geschult sind, können so nach minimalen Instruktionen auch BLS für Kinder durchführen. Für professionelle Helfer allerdings wird ein Verhältnis von 15:2 empfohlen. Da der Kreislaufstillstand beim Kind meist auf einer pulmonalen Störung oder einer Verlegung der Atemwege beruht, wird die Beatmung bei Kindern als sehr wichtiger Bestandteil der Reanimation gesehen. Allerdings sollten Laien, die sich eine Beatmung nicht zutrauen, ermutigt werden, wenigstens Thoraxkompressionen durchzuführen . Der empfohlene Zeitpunkt für die Durchführung des Notrufs (sofern kein zweiter Helfer verfügbar ist) ist nach ca. 1 Minute, dies entspricht etwa 5 Zyklen HLW. Einzige Ausnahme ist der beobachtete plötzliche Kollaps, bei dem von einer kardialen Genese des Kreislaufstillstandes ausgegangen werden muss. In diesem Fall ist vermutlich die Indikation zur Defibrillation gegeben, es wird empfohlen, dass der Notruf unmittelbar nach Feststellen des Kreislaufstillstandes durchgeführt wird. Der komplette Ablauf der Maßnahmen des BLS bei Kindern ist in Abbildung 1 dargestellt.
242
Keine Reaktion?
• • •
Hilferuf Atemwege freimachen
keine normale Atmung?
5 Beatmungen
Keine Lebenszeichen?
15 Thoraxkompressionen
• •
2 Beatmungen 15 Thoraxkompressionen (100 - 120/ min; mind. 1/3 Thoraxdurchmesser)
nach 1 min Notruf Abbildung 1: Ablauf des Basic Life Support bei Kindern
Algorithmus für Fremdkörperverlegung der Atemwege beim Kind In den USA ist die Fremdkörperaspiration bei Kindern unter 4 Jahren für 7% der plötzlichen Todesfälle verantwortlich (Mantor PC 1989 Am J Surg). Während bei der chronischen Aspiration die Diagnose häufig erst spät gestellt wird, ist das akute Ereignis mit plötzlicher Atemnot, Husten oder Würgen, meist eindrucksvoll und oft dramatisch.
ja
nein
nein
'
Effektives Husten?
Bei Bewusstsein?
Atemwege freimachen 5 Beatmungen Kardiopu lmonale Reanimation
Ermutigen weiter zu husten Ständiges Überprüfen: - Hustenstoß ineffektiv? - Verlegung behoben?
5 Rückenschläge 5 Thoraxkompr!ionen ( 1 Jahr werden abdominelle Kompressionen empfohlen. Hierzu steht oder kniet der Helfer hinter dem Kind, platziert eine Faust zwischen Nabel und Xiphoid des Kindes und umschließt diese mit der anderen Hand. Nun wird die Hand ruckartig nach dorsal und kranial gezogen. Nach 5 abdominellen Kompressionen (bzw. Thoraxkompressionen beim Säugling) wird das Kind erneut evaluiert. Bei weiterhin verlegten Atemwegen und erhaltenem Hustenstoß werden die Schläge auf den Rücken und die Kompressionen im Wechsel fortgeführt. Wird das Kind bewusstlos, wird es sofort in Rückenlage positioniert. Die Atemwege werden freigemacht, eventuell sichtbare Fremdkörper werden entfernt. Es erfolgen 5 Beatmungen, wobei die Position des Kopfes bei jeder Beatmung verändert wird, sofern keine Thoraxexkursion sichtbar ist. Daraufhin werden die Maßnahmen des BLS für Kinder angewandt.
Erweiterte Maßnahmen der Reanimation - Advanced Life Support Bei Eintreffen professioneller Hilfe wird unter Fortführung der Maßnahmen des BLS schnellstmöglich eine Rhythmusanalyse durchgeführt. Kammerflimmern (VF) und pulslose ventrikuläre Tachykardie (VT) sind defibrillierbare Rhythmen, Asystolie sowie pulslose elektrische Aktivität (PEA) sind nicht defibrillierbare Rhythmen. Die Thoraxkompressionen werden für die Rhythmusanalyse kurz unterbrochen, danach erfolgt bei defibrillierbaren Rhythmen das Laden des Defibrillators während laufender Herzdruckmassage. Unabhängig vom Modell wird eine Energie von 4 J/kg KG empfohlen, eventuelle weitere Defibrillationen erfolgen mit der gleichen Energie. Für die Schockabgabe werden die Thoraxkompressionen maximal 5 Sekunden unterbrochen. Nach der Defibrillation wird die CPR ohne Rhythmuskontrolle mit minimalen Unterbrechungen für 2 Minuten fortgeführt. Nach diesem Zeitintervall erfolgt die nächste Rhythmusanalyse. Nach der dritten Defibrillation werden unter laufenden Thoraxkompressionen 1 mg Adrenalin sowie 300 mg Amiodaron intravenös oder intraossär gegeben. Bei persistierendem defibrillierbaren Rhythmus können nach dem 5. Schock erneut 5 mg/kg Amiodaron gegeben werden. Adrenalin sollte in gleichbleibender Dosierung alle 3-5 Minuten wiederholt gegeben werden, praktikabel ist die Applikation nach jedem zweiten Schock. Der Ablauf der Reanimation bei defibrillierbaren Rhythmen ist in Abbildung 3 dargestellt. Neu In den Leitlinien 2010: • • • • • •
Beim Laden des Defibrillators Thoraxkompressionen durchführen Gabe von Adrenalin und Amiodaron nach dem 3. Schock Keine Atropingabe Endotracheale Gabe von Medikamenten nicht mehr empfohlen Maßnahmen vor Unterbrechung der CPR planen Minimale Unterbrechungen
244
Rhythmusanalyse: Defibrillierbar (Kammerflimmern/ Kammertachykardie)
Spontankreislauf Adrenalin
Ohne konkrete Zeltvorgabe: Ventilation/ Oxygenlerung Gefäßzugang: l.o./ l.v. Medikamente Intubation
Adrenalin lOµg/kg
10 µg/kg 1 Amlodaron S mg/kg
Adrenalin 10µg/lcg
1
Amiodaron 5 mg/kg
Abbildung 3: Ablauf der Maßnahmen bei defibrillierbaren Rhythmen
Bei nicht defibrillierbaren Rhythmen wird sofort Adrenalin (10 µg/kg KG i.o. oder i.v.) gegeben. Auch hier erfolgt alle 2 Minuten eine Rhythmuskontrolle. Zu betonen ist, dass die neuen Leitlinien bei Asystolie und PEA keine Gabe von Atropin mehr empfehlen.
1
Rhythmusanalyse: Nicht defibrillierbar {Asystolie/ pulslose elektrische Aktivität)
CPR
f
2min
Adrenalin
10µg/kg
f
2min
f
2min
Adrenalin 10 µg/kg
f
2min
f
2minf 2minf
Adrenalin 10pg/lcg
Spontankreislauf
Adrenalin 10pg/kg
Ohne konkrete Zeltvorgabe: Ventilation/ Oxygenierung Gefäßzugang: l.o./ i.v. Medikamente Intubation Abbildung 4: Ablauf der Maßnahmen bei nicht defibrillierbaren Rhythmen.
Während der laufenden CPR sollte zügig ein Gefäßzugang etabliert werden. Da das Legen eines periphervenösen Zugangs bei Kindern häufig zeitintensiv ist, sollte der intraossäre (IO) Zugang bevorzugt werden, wenn nicht bereits ein intravenöser Zugang etabliert ist. Die Leitlinien empfehlen generell bei kritisch kranken Kindern die Anlage eines intraossären Zugangs, wenn nicht innerhalb 60 Sekunden ein intravenöser Zugang gelegt werden kann. Über einen intraossören Zugang können alle Medikamente appliziert werden, die intravenös gegeben werden können. Die Dosierung entspricht der bei intravenöser Gabe, die Anschlagzeiten sind vergleichbar. Besonders hervorzuheben ist, dass über einen 10-Zugang auch Blut für Blutgruppenbestimmung und Kreuzprobe abgenommen werden kann [4]. Desweiteren können Elektrolyte, Blutglucosekonzentration sowie die Hämoglobinkonzentraion zuverlässig bestimmt werden[5]. Leider sind selbst Experten bei Kindernotfällen trotz der sachlichen Argumente für den 10 Zugang dem Einsatz 245
der intraossären Kanüle gegenüber immer noch zurückhaltend [6]. Eine Studie, die gezeigt hat, dass Soldaten nach einer einfachen Videodemonstration mit den verschiedenen IQ-Nadeln Erfolgsraten von 94-97% hatten [7], sollte auch in der Anwendung wenig routinierte Kolleginnen und Kollegen ermutigen, die Technik einzusetzen. Einen weiteren wichtiger Punkt bei der Reanimation stellt das Airwaymanagement dar. Im Rahmen der Reanimation durch professionelle Helfer wird die Beatmung initial über Beatmungsbeutel und Maske durchgeführt. Oro- und nasopharyngeale Atemwegshilfen können die Maskenbeatmung erleichtern, erfordern allerdings die korrekte Anwendung, da vor allem bei Kindern die Auswahl der falschen Größe oder das nicht korrekte Einführen die Atemwege verlegen können. Die endotracheale Intubation stellt nach wie vor den Gold-Standard der Atemwegssicherung dar. Es besteht mittlerweile Konsens darüber, dass geblockte Tuben bei Kindern verwendet werden können. Für die Auswahl der richtigen Tubusgröße kann die folgende Formel hilfreich sein: Tubusgröße (mm) = Alter/4 + 4. Die Thoraxkompressionen sollten durch die Intubation möglichst minimal unterbrochen werden. Für die Erwachsenenreanimation wird empfohlen, dass die endotracheale Intubation nur von darin geübten Helfern durchgeführt werden sollte. Alternative (supraglottische) Atemwegshilfsmittel wie die Larynxmaske (LM) und der Larynxtubus (LT) sind sehr einfach und komplikationsarm anzuwenden. Auch bei Kindern stehen Larynxmaske und Larynxtubus als Alternativen zur Sicherung des Atemwegs zur Verfügung, allerdings ist die Komplikationsrate für die LM bei kleinen Kindern erhöht [8]. Für den LT existieren bisher noch nicht ausreichende Daten bei Kindernotfällen. Reversible Ursachen für einen Kreislaufstillstand: Hypoxie Hypovolämie Hyper-/ Hypokaliämie/ Glucose Hypothermie Herzbeuteltarnponade Intoxikation Thrombembolisches Ereignis Spannungspneumothorax
Während der laufenden Reanimation sollten reversible Ursachen für den Kreislaufstillstand erkannt und behoben werden. Als Merkhilfe für die häufigsten Ursachen ist das Akronym 4 H's und HITS gebräuchlich.
Postreanimationsphase In der Postreanimationsphase bei Erwachsenen stellt die therapeutische Hypothermie ein etabliertes und sicheres Standardverfahren dar [9] . Auch bei Neugeborenen ist die therapeutische Hypothermie etabliert [10,11]. Kinder, die nach Wiedererreichen eines spontanen Kreislaufs (Restoration of spontaneous circulation, ROSC) anhaltend komatös sind, können von der Kühlung auf 32-34°C über 24 Stunden profitieren. Unbedingt zu vermeiden ist die Hyperthermie in der Postreanimationsphase, da diese das neurologische Outcome verschlechtert [12]. Eine wesentliche Änderung der Leitlinien betrifft die Empfehlung zur inspiratorischen Sauerstoffkonzentration in der Postreanimationsphase. Während unter Reanimation noch empfohlen wird, möglichst mit einer FiO2 von 1,0 zu beatmen, sollte unmittelbar nach ROSC die FiO2 reduziert werden. Ziel ist eine arterielle Sauerstoffsättigung zwischen 94 und 98%. Diese Empfehlung beruht vor allem auf einer Studie, die gezeigt hat, dass eine Hyperoxämie in der Postreanimationsphase mit erhöhter Mortalität einhergeht [13].
246
Literatur 1. 2. 3. 4. 5.
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247
Schmerztherapie in der lntensivmedizin S. TROJAN, F. W APPLER
1 Einleitung Schmerzen entstehen in der Intensivmedizin durch Traumatisierung (Verletzungen, Folgen operativer Eingriffe), Grund- und Begleiterkrankungen, lange Immobilisation sowie durch therapeutische, diagnostische und pflegerische Maßnahmen. Invasive Behandlungen, wie kontrollierte Beatmung, werden häufig erst durch Schmerztherapie und Sedierung möglich. Die Behandlung der Schmerzen ist ärztliche, ethische und rechtliche Pflicht. Durch unzureichende analgetische Therapie wird das Outcome des Patienten gefährdet, aber auch eine in Dauer und Dosierung übermäßige Behandlung kann negative Folgen haben. Um der Bedeutung von Schmerztherapie und Sedierung in der Intensivmedizin gerecht zu werden, wurden nationale und internationale Leitlinien entwickelt (1, 2). In diesen werden evidenzbasierte Empfehlungen für die Strukturen eines Behandlungskonzeptes zur Schmerztherapie in der lntensivmedizin gegeben. Umfragen zeigen, dass die Leitlinien jedoch längst noch nicht flächendeckend auf den Intensivstationen implementiert wurden (3-5). Es gilt kontinuierlich ein, der aktuellen Situation angemessenes Analgesieniveau zu erreichen, auch bei Patienten die aktuell nicht oder nur bedingt in der Lage sind antworten zu können. Es steht ein Arsenal von Schmerztherapieverfahren zur Verfügung, für deren sichere Durchführung die Besonderheiten der Intensivmedizin beachtet werden müssen. Als Voraussetzung müssen Kenntnisse über die Physiologie und Pathophysiologie des Schmerzes sowie die Stressreaktion des kritisch kranken Patienten erworben werden. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik der Analgetika, unter Veränderungen des Verteilungsvolumens und Organdysfunktion des Intensivpatienten, sollten verstanden sein. Die praktische Umsetzung erfordert die Entwicklung eines Behandlungskonzeptes mit den Eckpunkten Schmerzmonitoring, Dokumentation, Behandlungsalgorithmen, Schulung und Qualitätssicherung, auch unter Beachtung ökonomischer Aspekte.
Limitationen: Kritisch Kranke auf der Intensivstation sind eine extrem heterogene Patientengruppe. Sie beinhaltet Neonaten, Säuglinge, Kinder, Alte, Schwangere, Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der Erkrankung und verschiedener Fachrichtungszugehörigkeit. In den letzten Jahren wurde die Bedeutung einer an den individuellen Patienten angepassten Schmerztherapie erkannt. Demzufolge wurden Empfehlungen für eine spezifisch angepasste Therapie entwickelt (z.B. S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und postoperativer Schmerzen") (6). Schmerz hat eine physiologische, pathophysiologische und, als sensorisches Erlebnis, eine psychologische Komponente. Die Erkenntnisse hierzu sind umfangreich und haben besondere Bedeutung bei der Entwicklung von Behandlungskonzepten zur Vermeidung der Chronifizierung von Schmerzen. Die ausführliche Darstellung aller oben genannten Aspekte würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Er begrenzt sich im Wesentlichen auf die Behandlung des Symptoms „Schmerz" in der Intensivmedizin und die zugehörigen Behandlungskonzepte beim Erwachsenen.
Vorbemerkung: Der Empfehlungsgrad von Leitlinienempfehlungen wird in diesem Artikel mit dem folgenden Graduierungssystems angegeben (Tab. 1).
249
Empfehlungsgrad (GoR)
S3-Leitlinie ,,Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin" (1)
S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und postoperativer Schmerzen" (6)
A
Starke Empfehlung
Standard
B
Empfehlung
Empfehlung
0
Offene Empfehlung
Option
A*
Wichtiger Praxispunkt
Tab. 1: In diesem Artikel verwendetes Graduierungssystems.
2 Häufigkeit von Schmerzen in der Intensivmedizin Die meisten Patienten auf der Intensivstation haben Schmerzen (63 % mit Schmerzen, 36 % davon mit starken Schmerzen) (7). Durch Schmerzen werden Abhusten (bei 68 % der Patienten), tiefes Durchatmen (55 %) und Schlaf (55 %) erschwert (8). Therapeutische, diagnostische und pflegerische Maßnahmen sind mit einem signifikanten Anstieg der Schmerzintensität verbunden (9, 10) und können zur Verweigerung der Behandlung durch den Patienten führen (11). Ausmaß und Häufigkeit der Schmerzen werden ohne adäquate Schmerzerfassung oft unterschätzt. So vermuteten 59 % der Ärzte und 81 % der pflegerischen Kräfte eine suffiziente Analgesie bei ihren Patienten, von denen tatsächlich 74 % moderate bis starke Schmerzen hatten (8).
3 Schmerztherapie und Outcome Schmerzen haben Einfluss auf die Stressreaktion des kritisch kranken Patienten. Durch chirurgische und nichtchirurgische Gewebeschädigung (Operation, Trauma, Pankreatitis, Myokardinfarkt), durch Blutung, Hypovolämie, Hypothermie, Infektionen, wird eine Stressantwort des Körpers ausgelöst. Es werden komplexe neurale, endokrine, metabolische und immunologische Abläufe initiiert, in deren Folge es zu einem Anstieg von Herzfrequenz und Herzzeitvolumen, Natrium- und Wasserretention, Katabolie und Hyperkoagulabilität kommt. Diese an sich physiologische Reaktion zum Erhalt der Homöostase nach Verletzung beinhaltet insbesondere für den älteren, kardiopulmonal eingeschränkten Patienten Risiken. Folge können kardiopulmonale Ereignisse wie Arrhythmie, Hypertonie, Myokardischämie und Lungenödem sein. Durch unzureichend behandelte Schmerzen können Elemente der Stressreaktion unterstützt oder sogar ausgelöst werden (12, 13). Hierauf basiert die Hypothese, dass eine Reduktion des chirurgischen Stresses durch Analgesie das postoperative Outcome verbessert. Für nichsteroidale Antiphlogistika, COX-2-lnhibitoren und Paracetamol sowie Opioide in jeglicher Art und Anwendung konnte jedoch kein relevanter Einfluß auf die postchirurgische Stressreaktion gezeigt werden. Durch eine zentrale neurale Blockade wie die thorakale epidurale Analgesie mit Lokalanästhetika läßt sich jedoch ein profunder hemmender Effekt auf die katabole, endokrine Stressreaktion erreichen (14). Im Vergleich zu einem traditionellen Behandlungskonzept lässt sich durch ein optimiertes, an Verfahrensanweisungen gebundenes Vorgehen mit Schmerzmessung und Dosisanpassung die Analgesiequalität signifikant verbessern (7). Durch ein multimodales Behandlungskonzept mit systemischer Schmerztherapie als wichtigem Bestandteil, kann das Risiko nosokomialer Infektionen (7, 15) reduziert werden. Die Dauer der Beatmung (7, 16, 17) und die Tracheostomierate (17), die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation (17) und im Krankenhaus (16, 17) werden vermindert. In den letzten Jahren wurde zunehmend die Bedeutung des Delirs für das Outcome des lntensivpatienten erkannt. So wurde das Delirmanagement in die S3-Leitlinie ,,Analgesie, Sedierung und Delirmanagement" neu aufgenommen. Intensivpatienten, die ein Delir erleiden, haben ein erhöhtes Risiko 250
1
auf der Intensivstation (18) und ein um den Faktor 3 erhöhtes Risiko in den folgenden 6 Monaten zu versterben (19). Für Patienten mit Hüftfrakturen konnten starke Schmerzen in Ruhe sowie eine niedrige Opioiddosierung als unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs ermittelt werden (20). Ob ein Kausalzusammenhang zwischen erhöhter Mortalität und Delir besteht ist letztendlich noch nicht geklärt (19). Das durch Sedativa und Analgetika induzierte Koma ist ein bedeutender Risikofaktor für die Entwicklung eines Delirs (18). Durch ein optimiertes Behandlungskonzept, mit Schmerztherapie als integralen Bestandteil wurde in einer aktuellen Untersuchung weniger häufig ein medikamentöses Koma induziert und die Häufigkeit eines subsyndromalen Delirs signifikant gesenkt (21). Ein Risikofaktor für die Chronifizierung akuter neuropathischer Schmerzen ist das Ausmaß des akuten Schmerzes. Als Beispiele hierfür sind chronische neuropathische Schmerzen nach Extremitätenamputation, nach Thorakotomie, Brust- und Hernienoperation zu nennen. Ob diese Beziehung ein Indikator für eine durch Schmerzen induzierte neuroplastische Veränderungen, ein Mangel an Analgesie oder Zeichen besonderer Disposition ist, blieb bisher ungeklärt. Die Prävention chronischer postoperativer Schmerzen ist auch bei effektiver Schmerztherapie weiterhin ein noch nicht vollständig gelöstes Problem (22). Regionalanalgesieverfahren bieten eine überlegene Schmerztherapiequalität (23). Die postoperative Stressantwort des Organismus, ausgelöst durch unkontrollierte Schmerzen, sollte somit besonders effektiv gemindert werden. Dies gilt insbesondere für die thorakale Periduralanalgesie, mit der zusätzlich noch eine Blockade des sympathischen Nervensystems erzielt wird. Experimentelle Daten weisen auf eine Verbesserung der postoperativen Organfunktionen hin. Die myokardiale Sauerstoffbilanz soll durch Steigerung des Sauerstoffangebots und Verminderung des Sauerstoffverbrauchs verbessert werden. Durch die Sympathikusblockade soll auch die postoperative Reflexhemmung der gastrointestinalen Motilität vermindert werden, wodurch der postoperative Ileus nach abdomineller Chirurgie günstig beeinflusst wird (24). Bei beatmeten Patienten mit Peritonitis konnte durch eine Periduralanalgesie mit Bupivacain im Vergleich zu einer systemischen Morphintherapie die gastrointestinale Funktion (Motilität, Durchblutung der Magenschleimhaut) verbessert werden (25). Die Pathophysiologie der respiratorischen Dysfunktion nach operativen Eingriffen oder Thoraxtrauma beinhaltet eine schmerz- und reflexbedingte Beeinträchtigung der normalen Aktivität der Atemmuskulatur und des Zwerchfells, wodurch Abhusten von Sekret und tiefes Durchatmen erschwert wird. Im Vergleich zu einer systemischen Schmerztherapie mit Opioiden kann durch die thorakale Periduralanalgesie die pulmonale Morbidität günstig beeinflusst werden. Dies zeigt sich in einer Reduktion der postoperativen Häufigkeit von Pneumonien und der Notwendigkeit von Reintubation und verlängerter Beatmung (26, 27). Eine besondere Wirksamkeit der thorakale Periduralanalgesie ist bei Thoraxtrauma und bei thorakalen Eingriffen zu erwarten. In einer retrospektiven Untersuchung auf Grundlage der Nationalen Amerikanischen Traumadatenbank wurde eine Analyse von 64750 Patienten mit Rippenfrakturen in Bezug auf Mortalität und Morbidität durchgeführt. Bei Einsatz der thorakalen Periduralanalgesie wurde die Krankenhausmortalität signifikant vermindert. Der Effekt wurde besonders deutlich bei Patienten mit mehr als 5 frakturierten Rippen. (28). In einer Leitlinie zur Schmerztherapie nach stumpfen Thoraxtrauma wird die thorakale Periduralanalgesie mit höchstem Empfehlungsgrad empfohlen, insbesondere bei Patienten mit 4 oder mehr frakturierten Rippen oder mit einem Alter größer oder gleich 65 Jahren (29). In einer aktuellen Metaanalyse zum Effekt der Periduralanalgesie bei traumatischen Rippenfrakturen im Vergleich zu anderen Schmerztherapieverfahren konnte jedoch keine Verbesserung hinsichtlich Mortalität, Beatmungszeit oder Intensiv- und Krankenhausaufenthaltsdauer festgestellt werden (30). Angesichts der genannten positiven Einflüsse auf die postoperativen Organfunktionen ist eine Verminderung der Mortalität durch die thorakale Periduralanalgesie zu erwarten. Die Evidenz aus Studien ist jedoch nicht ausreichend (oder nur für bestimmte Hochrisikokollektive eingeschränkt ausreichend (28, 31)), um dies verbindlich zu belegen oder auch abzulehnen (32). Dies gilt allerdings für alle postoperativen Schmerztherapietechniken. 251
4 Analgesie-Monitoring Die Reaktion auf Schmerzreize, die Schmerzakzeptanz und der Analgetikabedarf unterliegen einer hohen intra- und interpersonellen Variabilität. Ein patientenorientiertes Analgesiekonzept in der Intensivmedizin setzt die Formulierung individueller, patientenspezifischer Behandlungsziele und eine adäquate Erfolgskontrolle sowie einen Analgesieplan zur Anpassung der Therapie voraus (1). Allgemeiner Konsens ist, dass ein Behandlungskonzept, welches sich an den individuellen Bedürfnissen des Patienten orientiert und unzureichende Analgesie aber auch Überbehandlung vermeidet, das Behandlungsergebnis günstig beeinflusst. Fehlendes Analgesiemonitoring ist assoziiert mit längerer Aufenthalts- und Beatmungsdauer auf der Intensivstation und höherer Mortalität (33). Analgesiemonitoring wurde als ein ,Jcey performance indicator", also einen Indikator für einen intensivmedizinisch bedeutenden Schlüsselprozess erkannt (33). Dementsprechend wurde das Monitoring von Sedierung, Schmerz und Delir als Qualitätsindikator in den Kerndatensatz Intensivmedizin 2010 der DIVI und DGAI aufgenommen (34). Das Schmerzniveau sollte routinemäßig einmal pro Schicht, mindestens 8-stündlich erfasst und dokumentiert werden. Sinnvoll sind weitere Schmerzmessungen bei neu aufgetretenen und stärker werdenden Schmerzen, nach Analgetikagaben, bei schmerzhaften Interventionen, Belastungen oder Therapieänderungen. Wenn möglich sollte die Eigenbeurteilung durch den Patienten der Fremdbeurteilung durch den Behandler vorgezogen werden, da eine erhebliche Diskrepanz in der Einschätzung der Schmerzintensität besteht. Physiologische Indikatoren für Schmerzen, wie Blutdruckerhöhung, Anstieg der Herzfrequenz, Tachypnoe, Schwitzen oder Agitation müssen beachtet werden, sind aber weder spezifisch noch sensitiv (9). Für die Schmerzmessung stehen mehrere validierte Scoringsysteme zur Verfügung. Die am meisten benutzten und in den deutschen Leitlinien (1, 6) favorisierten Messverfahren sind die Numerische Ratingskala (NRS), Visuelle Analogskala (VAS), und Verbale Ratingskala (VRS) für Erwachsene ohne wesentliche kognitive Einschränkung, die Skala zur Beurteilung von Schmerzen mit Demenz (BESD) bei Erwachsenen mit kognitiven Einschränkungen und die Behavioural Pain Scale (BPS) bei beatmeten Erwachsenen. 4.1 Numerische Ratingskala (NRS), Visuelle Analogskala (VAS), Verbale Ratingskala (VRS) Diese eindimensionalen Verfahren (Abgrenzung zu mehrdimensionalen, detaillierten Schmerzfragebögen) sind geeignete Algesimetrieinstrumente für Jugendliebe und Erwachsene ohne wesentliche kognitive Defizite.
Numerische Ratingskala (NRS): Bei der 11-stufigen numerischen Ratingskala (NRS) werden der Schmerzintensität Zahlenwerte zwischen den Endpunkten „0 = kein Schmerz" und „10 = stärkster vorstellbarer Schmerz" zugeordnet (alternativ 0-20, 0-100) (Abb. 1). Die Angabe des Patienten erfolgt verbal oder durch Anzeigen auf einer vorgelegten Skala. Der Zahlenwert wird dokumentiert. Die Anwendung setzt ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen voraus, was die Eignung für Patienten mit kognitiven Defiziten herabsetzt.
2
3
4
kein Schmerz
Abb. l: Numerische Ratingskala (NRS).
252
5
6
7
8
9
10 stärkster vorstellbarer Schmerz
Visuelle Analogskala (YAS): Die Visuelle Analogskala (VAS) wird häufig in Form eines Schmerzlineals angewandt, wobei der Patient mit Hilfe eines Schiebers auf einer stufenlosen Linie mit den Endpunkten „kein Schmerz" und „stärkster vorstellbarer Schmerz" seine Schmerzintensität festlegt (Abb. 2). Der Untersucher liest den zugeordneten Messwert auf der Linealrückseite ab. Die Anwendung der VAS setzt visuellräumliches Vorstellungsvermögen voraus, um die Länge einer Linie in Verbindung mit der Schmerzintensität zu setzen. Die VAS ist für Patienten mit motorischen Defiziten oder Sehschwäche eher ungeeignet.
kein Schmerz
stärkster vorstellbarer Schmerz
Abb. 2: Visuelle Analogskala (VAS).
Verbale Ratingskala (VRS): Bei der ordinalskalierten VRS wird die Schmerzintensität durch Worte beschrieben und in Kategorien eingeteilt. Für die Dokumentation werden den Kategorien Zahlenwerte zugeordnet (Abb. 3). Kategorie Kein Schmerz
0
Leichte Schmerzen
1
Mäßige Schmerzen
2
Starke Schmerzen
3
Sehr starke Schmerzen
4
Stärkste vorstellbare Schmerzen
5
Abb. 3: Beispiel VRS mit 6 Kategorien.
Kombinierte Messskalen: Es stehen auch Kombinationen aus numerischer, visueller und verbaler Ratingskala zur Verfügung. Alle Skalen zeigen eine hohe Übereinstimmung und Validität. Die Fehlerrate bei der Anwendung ist bei der VRS am niedrigsten ( 1,6 %) und bei der VAS am höchsten (18,3 %). Alte Patienten machen mehr Fehler bei Schmerzmessung mit der VAS (35, 36), wobei die Fehlerquote durch Übung verbessert werden kann. Die NRS ist die Messskala mit der höchsten Akzeptanz (Praktikabilität, Genauigkeit) und würde von den meisten Patienten für zukünftige Messungen auswählt werden (36). Die NRS wird von den deutschen Leitlinien mit den insgesamt besten Ergebnissen bei der Schmerzerfassung bewertet ( 1, 6).
4.2 Skala zur Beurteilung von Schmerzen mit Demenz (BESD) Die BESD Skala ist die ins Deutsche übertragene Form der „Pain Assessment in Advanced Dementia Scale" (PAINAID) (37). Erfasst werden fünf mit Schmerzenbeidementen Patienten assoziierte Verhaltensweisen (Atmung, negative Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körpersprache und Reaktion auf Tröstung). Die Ausprägung jeder dieser Kategorien wird mit einer Skala von O bis 2 bewertet. Die Addition der Einzelwerte ergibt einen Summenwert mit der Wertespanne von Obis 10, wie bei der NRS (Abb. 4). 253
1
0
Atmung (unabhängig von Lautäußerungen)
Negative Lautäußerungen
Gesichtsausdruck
nonnal
keine
lächelnd nichtssagend
gelegentlich angestrengt atmen
2
Score
lautstark angestrengt atmen lange Phasen von Hyperventilation
kurze Phasen von Hyperventilation
Cheyne-Stoke Atmung
gelegentlich stöhnen oder ächzen
laut stöhnen oder ächzen
wiederholt beunruhigt rufen
sich leise negativ oder missbilligend äußern
weinen
traurig
grimassieren
ängstlich sorgenvoller Blick
Körpersprache
entspannt
angespannt
starr
nervös hin und her gehen
geballte Fäuste
nesteln
sich entziehen oder wegstoßen
angewgene Knie schlagen
Trost
trösten nicht notwendig
ablenken oder beruhigen durch Stimme oder Berührung möglich
trösten, ablenken, beruhigen nicht möglich
Summe
Abb. 4: Skala zur Beurteilung von Schmerzen mit Demenz (BESD).
Die Schmerztherapie bei kognitiv eingeschränkten Patienten, z.B. bei fortgeschrittener Demenz, stellt eine besondere Herausforderung dar. Schmerzen haben eine hohe Prävalenz in dieser Patientengruppe, werden aber häufig nicht erkannt und therapiert. Soweit möglich sollte eine Selbstbeurteilung durch den Patienten erfolgen. Bei Verlust der verbalen Kommunikationsfähigkeit muss eine Fremdbeurteilung als Ersatz dienen. Erschwert wird die Beurteilung dadurch, dass sich Schmerzen bei dementen Patienten in Verhaltensweisen widerspiegeln, die nicht typischerweise mit Schmerzen assoziiert werden (z.B. Verwirrung, Zurückgezogenheit oder Aggression). So ist es nicht verwunderlich, dass die Schmerzintensität durch Behandler und Angehörige systematisch inkorrekt eingeschätzt wird (38). Für die BESD-Skala konnte gezeigt werden, dass sich nach einer Schmerzmittelgabe die Scoringwerte signifikant verringerten und bei Aussetzen weiterer Gaben erneut anstiegen. Dies wurde als Beweis dafür gewertet, dass tatsächlich Schmerzen beurteilt werden (Konstruktvalidität) (39). Sie ist praktikabel und einfach anzuwenden. Dennoch befindet sich auch die BESD weiterhin im Bereich der Entwicklung und Testung.
4.3 Behavioral Pain Scale (BPS) Die Behavioral Pain Scale (BPS) dient zur Messung der Schmerzintensität bei sedierten und beatmeten Patienten (10). Sie basiert auf der (Fremd)Beurteilung des Gesichtsausdrucks, der Bewegungen der oberen Extremität und der Adaptation an das Beatmungsgerät. Jedes dieser Kriterien wird mit vier Verhaltensweisen beschrieben, die die Schmerzstärke widerspiegeln sollen. Dabei wird mit der ersten Merkmalsausprägung (z.B. Gesichtsausdruck entspannt) die geringste und mit der vierten Merkmalsausprägung (z.B. Gesichtsausdruck grimassieren) die höchste Schmerzintensität assoziiert. Der Punktwert jedes Kriteriums wird einzeln bestimmt und anschließend der Summenwert gebildet mit der Wertespanne von 3 bis 12 (Abb. 5). 254
Item
Beschreibung
Punkte
Gesichtsausdruck
entspannt teilweise angespannt stark angespannt grimassieren
l 2 3 4
Obere Extremität
keine Bewegung teilweise Bewegung anziehen mit Bewegung der Finger ständiges Anziehen
l 2 3 4
Adaptation an das Beatmungsgerät
toleriert Beatmung seltenes Husten kämpfen mit dem Beatmungsgerät kontrollierte Beatmung nicht möglich
l 2 3 4
Summe Abb. 5: Behavioral Pain Scale (BPS).
Die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der BPS wurde in mehreren Untersuchungen bei Patienten mit chirurgischen und internistischen Krankheitsbildern belegt (10, 40, 41). Nach schmerzhaften Maßnahmen (wie endotracheales Absaugen oder Umlagerung des Patienten) werden höhere BPS-Werte als in Ruhe oder nach nichtschmerzhaften Prozeduren gemessen (10). Dieser Unterschied fällt bei tiefer Sedierung jedoch geringer aus, da das Ausmaß der Sedierung und die Höhe des BPS-Wert negativ korreliert sind (40). Anders ausgedrückt, tief sedierte Patienten zeigen ein weniger ausgeprägtes schmerzassoziertes Verhalten, wodurch Veränderungen in den Messwerten auf einen Schmerzreiz geringer ausfallen. Die Übereinstimmung der Messungen zweier unabhängiger Untersucher (lnterrater-Reliabilität) ist gut, jedoch besser im unteren Bereich der Skala (geringe Schmerzintensität) als bei höheren BPS-Werten (höhere Schmerzintensität) (41). 4.4 Schmerzintensität und Therapiezielbereiche Für die Definition eines Therapiezielbereiches ist die Festlegung klinisch relevanter Grenzbereiche der Schmerzstärke notwendig. Grundlage hierfür kann das Verhältnis zwischen Beeinträchtigung durch Schmerzen (Aktivität, Schlaf, Stimmung u.a.) und der Schmerzintensität sein. In der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin" wurden im Behandlungsalgorithmus zur Therapie der Analgesie als Zielbereich für die NRSNASNRS Werte kleiner oder gleich 4, für die BESD Skala ein Wert kleiner gleich 4, für die BPS Werte kleiner 6 angegeben. In einer Veröffentlichung wurde ein schmerzhaftes Ereignis bei einem BPS-Wert größer 5 vermutet (7). Die Definition der Therapieziele sollte für jede Einrichtung festlegt werden. Bei einem kommunikationsfähigen Patienten muss auch die Akzeptanz des Patienten und der Wunsch nach mehr Schmerzmittel berücksichtigt werden. Die Rationale für den Einsatz von Regionalanalgesieverfahren liegt in dem Verständnis, die günstigen Einflüsse auf die Organfunktionen und die exzellente Analgesiequalität nicht isoliert, sondern als integralen Teil eines multimodalen, postoperativen Behandlungskonzeptes zu betrachten (42). Den Komponenten eines solchen Behandlungskonzeptes, wie beispielsweise frühzeitige enterale Ernährung, Mobilisation oder physiotherapeutische Behandlung, muss die Schmerztherapie angepasst werden. Das übergeordnete Ziel ist es, neben der Reduktion der Schmerzintensität, Behandlungsschritte zur Frührehabilitation zu ermöglichen. Dies darf jedoch nicht durch unerwünschte Wirkungen der Verfahren, wie motorische Blockade oder Übelkeit und Erbrechen behindert werden. Hieraus ergibt sich auch, dass zu einem zielgerichteten Behandlungskonzept das Monitoring von potentiellen Nebenwirkungen gehört. In den Tabellen 2 und 3 werden die Empfehlungen der Leitlinien für das Schmerzmonitoring wiedergegeben. 255
Empfehlung
Empfehlungsgrad
In der Intensivmedizin sollen patientenorientierte Behandlungskonzepte zur Analgesie, Sedierung und Delir mit individueller patientenspezifischer Festlegung von Therapiezielen und einem adäquaten Monitoring der Behandlungseffekte Anwendung finden sowohl im Bezug auf gewünschte Wirkungen als auch Nebenwirkungen.
GoR: A
Das Behandlungsziel und der aktuelle Grad von Analgesie, Sedierung und Delir sollen mindestens 8-stündlich dokumentiert werden. Dies soll Standard auf allen Intensivstationen sein.
GoR: A
Validierte Scoringsysteme sollen zur Therapiesteuerung und Überwachung der Analgesie, der Sedierung und des Delirs eingesetzt werden.
GoR: A
Es sollten zusätzlich die Schmerzakzeptanz und das Ausmaß schmerzassoziierter Funktionseinschränkungen erhoben werden.
GoR: A
In Abhängigkeit vom Sedierungsgrad sollen zum Monitoring der individuellen Schmerzsituation zur Verfügung stehen: -+ bei wachen Patienten: Numerische Ratingskala (NRS), alternativ die Verbale Ratingskala (VRS) oder die Visuelle Analogskala (VAS) -+ bei beatmeten Patienten: Behavioral Pain Scale (BPS) sowie Beurteilung schmerzassoziierter Kriterien subjektiver Art wie Bewegung und Mimik und physiologische Parameter wie Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz, Tränenfluss und Schweißsekretion, sowie deren Veränderung unter analgetischer Therapie -+ bei dementen Patienten: BESD (Behandlung von Schmerzen bei Demenz).
GoR: A
Tab. 2: Empfehlungen der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin" für das Schmerzmonitoring ( 1).
Empfehlung
Empfehlungsgrad
Die Schmerzintensität beim Erwachsenen soll mit Hilfe einfacher eindimensionaler Schmerzintensitätsskalen regelmäßig erfasst werden.
GoR: A
Die Einschätzung soll durch den Patienten selbst erfolgen.
GoR:A
Grundsätzlich sollten Schmerzen bei allen schmerzverursachenden Prozeduren und schmerztherapeutischen Maßnahmen erfasst werden.
GoR: B
Es sollten zusätzlich die Schmerzakzeptanz und das Ausmaß schmerzassoziierter Funktionseinschränkungen erhoben werden.
GoR: B
Bei stark kognitiv und/oder kommunikativ einschränkten Patienten sollte die Schmerzeinschätzung auf der Basis nonverbaler Schmerzäußerungen und Beobachtungsskalen erfolgen.
GoR: B
Wichtige therapieassoziierte Nebenwirkungen sollen gemessen und dokumentiert werden. Hierfür sollten klare Interventionsgrenzen mit Handlungsanweisungen festgelegt werden.
GoR: A * GoR: B
Die Ergebnisse der Schmerzmessung und schmerztherapeutische Interventionen sollen zeitnah in der Krankenakte dokumentiert werden.
GoR: A *
Tab. 3: Empfehlungen der S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und postoperativer Schmerzen" für das Schmerzmonitoring (6).
5 Schmerztherapieverfahren Patienten auf der Intensivstation sollen eine an die individuelle Situation angepasste Schmerztherapie erhalten. Hierfür stehen systemische Analgesieverfahren und Regionalanalgesieverfahren oder auch die Kombination von beidem zur Verfügung. Die Erkenntnisse über physikochemische, pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften, die bei nichtintensivmedizinischen Patienten gewonnen wurden, sind auf Grund von Veränderungen bei Metabolismus und Elimination durch Organinsuffizienzen, Veränderungen des Verteilungsvolumens oder durch Medikamenteninteraktionen nicht problemlos auf den kritisch kranken Patienten übertragbar. Daneben komplizieren andere Faktoren, wie die Schwierigkeit zwischen Nebenwirkungen der Analgetika und anderen
256
medizinischen Problemen zu unterscheiden, Variabilität der Patientenreaktionen, eingeschränkte Bioverfügbarkeit und spezifische Risiken in der intensivmedizinischen Situation (z.B. bei der Anlage und Durchführung von Regionalanalgesieverfahren bei analgosedierten Patienten) die pharmakologische Schmerztherapie. Der Goldstandard für die Applikation von systemisch wirkenden Analgetika beim Intensivpatienten ist die intravenöse Gabe. Sie sichert einen schnellen und zuverlässigen Wirkungseintritt unabhängig von Resorbtionsstörungen. Die intravenöse Gabe kann kontinuierlich und diskontinuierlich erfolgen, abhängig von der Pharmakokinetik des Analgetikums, der zu erwartenden Behandlungsdauer sowie dem zeitlichen Verlauf und der Intensität der Schmerzen. Die Aufnahme von Analgetika nach enteraler Zufuhr ist bei Intensivpatienten mit veränderter gastrointestinaler Funktion (z.B. postoperativ nach abdominalchirurgischem Eingriff) unregelmäßig und unvorhersehbar. Bei Normalisierung können Analgetika über Ernährungssonden verabreicht werden. Hierfür können manche Medikamente zerkleinert werden oder stehen in flüssiger Form zur Verfügung. Nicht alle Darreichungen sind hierfür geeignet, so sollten retardierte Formen nicht zerkleinert werden (43). Andere Applikationsformen (rektal, subkutan, transdermal) sind weniger geeignet für den kritisch kranken lntensivpatienten, da bei diesen die Aufnahme und Bioverfügbarkeit variabel und nicht vorhersehbar ist. Die intramuskuläre Gabe gilt als obsolet. Empfehlung
Empfehlungsgrad
Patienten auf Intensivstationen sollen eine an die individuelle Situation angepasste Schmerztherapie erhalten.
GoR:A
Zur Durchführung einer kürzer dauernden Analgesie :S 72 Stunden kann die Bolusap• plikation von Piritrarnid und/oder die kontinuierliche Applikation von gut steuerbaren Opioiden wie z.B. Remifentanil, Sufentanil durchgeführt werden .
GoR:0
Zur Durchführung einer länger dauernden Analgesie(>72 Stunden) im intensivmedizinischen Bereich kann eine Opioidtherapie geeignet sein.
GoR: 0
Bei kritisch kranken,> 72 Stunden therapiebedürftigen Patienten kann Sufentanil oder Fentanyl eingesetzt werden.
GoR:0
Wenn es der Zustand der Patienten ermöglicht (z.B . bei RASS 0/-1 oder im Rahmen des Weaningprozesses), kann auf eine patienten-kontrollierte Bedarfsmedikation umgestellt werden .
GoR:0
In Abhängigkeit von der Schmerzsituation und den potentiellen Nebenwirkungen der Medikamente können alternativ oder adjuvant Nicht-Opioid-Analgetika sowie Clonidin oder Ketamin eingesetzt werden .
GoR:0
Die Möglichkeit einer Kombination mit regionalen Analgesieverfahren (insbesondere der epiduralen Analgesie) sollte in das therapeutische Konzept miteinbezogen werden. Die Anlage von regionalen Kathetern und der Beginn der Therapie sollten möglichst präoperativ erfolgen.
GoR:B
Potenziell schmerzende Wundversorgungen sollen nur mit ausreichender analgetischer Abschirmung durchgeführt werden (Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Analgosedierung oder Narkose).
GoR:A
Bei wachen, kooperativen Patienten sollte die patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bevorzugt gegenüber konventioneller bedarfsweise applizierter Schmerztherapie eingesetzt werden, da dadurch eine bessere Schmerzkontrolle und Patientenzufriedenheit erzielt wird.
GoR:B
Tab. 4: Empfehlungen der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin" für die analgetische Therapie ( 1)
Vor dem Beginn einer sedierenden Therapie sollte die Analgesie sichergestellt sein. Bei der Schmerztherapie von kurzzeitig intensivüberwachungspflichtigen Patienten nach operativen Eingriffen kann die Therapie den Empfehlungen der S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und postoperativer Schmerzen" folgen. Opioide sind meist Hauptbestandteil der Schmerztherapie bei stärkeren Schmerzen. Nichtopioid-Analgetika, adju257
vante Medikamente oder Regionalanalgesieverfahren können in nahezu jeder Phase der Behandlung, unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, eingesetzt werden (Tab. 4). Therapeutische, diagnostische und pflegerische Maßnahmen sind häufig mit Schmerzen verbunden und bedürfen einer ausreichenden analgetischen Abschirmung und ggf. auch einer postinterventionellen Anpassung der Dauertherapie. Der kommunikationsfähige Patient sollte immer über die anstehende Maßnahme und die damit verbundenen Schmerzen informiert werden.
5.1 Systemische Schmerztherapie Opioide sind für die Therapie starker Schmerzen in der Intensivmedizin häufig unverzichtbar. Überwiegend werden starkwirksame, agonistische Opioide eingesetzt. Agonisten-Antagonisten wie Buprenorphin sind wegen des Ceilingeffektes, bei dem es trotz Dosissteigerung nicht mehr zur Intensivierung der Analgesie kommt, weniger geeignet. Die rationale Auswahl eines speziellen Opioids kann auf Grundlage von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik einer Substanz erfolgen. Bei der Anwendung in der Intensivmedizin werden die Opioide häufig kontinuierlich als Dauerinfusion verabreicht. Für den Kliniker ist die Steuerbarkeit dieser Therapie von besonderem Interesse. Um die Erholungszeiten von der Medikamentenwirkung zu vergleichen kann das Konzept der „kontextsensitiven Halbwertszeit", hilfreich sein. Diese ist definiert als die Zeit, die benötigt wird damit im zentralen Kompartiment die Konzentration eines Medikamentes, nach Beendigung der Zufuhr, um die Hälfte abfällt (44). Die kontextsensitive Halbwertszeit wird durch Computersimulation eines pharmakokinetischen Mehrkompartimentenmodells ermittelt und graphisch dargestellt (Abb. 6). Für die klinische Anwendung wird postuliert, dass die kontextsensitive Halbwertszeit den Zusammenhang zwischen Infusionsdauer (Kontext) und Abfallgeschwindigkeit der Plasmakonzentration beschreibt.
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Abb. 6: Kontextsensitive Halbwertszeit modifiziert nach (44, 45).
Hieraus ergibt sich, dass Remifentanil aufgrund der kurzen kontextsensitiven Halbwertszeit von ca. 3,5 Minuten, die auch nach mehrstündiger Infusionsdauer stabil bleibt, exzellent steuerbar ist. Im Gegensatz hierzu kumuliert das Fentanyl und eignet sich daher deutlich weniger für eine flexible Anpassung an das individuelle Analgesieniveau. Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt bei der Auswahl eines Opioids kann das Vorliegen von Organinsuffizienzen sein. Das Hauptmetabolisierungsorgan der meisten Opioide ist 258
die Leber. Hier erfolgt eine Biotransformation, bei der die aktiven, fettlöslichen Medikamente in meist inaktive und wasserlösliche Substanzen umgewandelt werden, deren Ausscheidung dann über Niere und Galle erfolgt. Bei Leberfunktionsbeeinträchtigung kommt es durch Verringerung von Enzymaktivität und Enzymgehalt, intra- und extrahepatische Shuntverbindungen und vermindertem hepatischen Blutfluß zur Veränderung der Pharmakokinetik. Fentanyl und Sufentanil haben eine hohe, Morphin eine mittelhohe hepatische Extraktionsrate, wodurch auch bei niedriger Enzymaktivität noch genügend Substanz abgebaut wird und die Metabolisierung vorrangig von der Leberdurchblutung abhängt. Der Abbau von Alfentanil wird hingegen bei niedriger Extraktionsrate wesentlich durch die Kapazität des Enzymssystems und das Ausmaß der Proteinbindung bestimmt. Die Opioidwirkung ist bei Leberinsuffizienz mit einer hohen Variabilität verbunden. Die Ausscheidung über die Niere erfolgt nach Metabolisierung in der Leber. Die Metaboliten sind meist inaktiv mit Ausnahme der Morphinabbauprodukte. Bei Fentanyl wird bei reduziertem hepatischen Blutfluss und verminderter hepatozellulärer Funktion sowie bei Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung bei kontinuierlicher Gabe empfohlen. Bei Sufentanil kann bei erniedrigtem Albumin oder Alkalose die Elimination verlängert sein. Die Pharmakokinetik zeigt bei Niereninsuffizienz eine hohe Variabilität, eine Dosisreduktion ist jedoch nicht erforderlich. Bei Alfentanil ist bei Leberinsuffizienz mit einer erheblichen Wirkungsverlängerung zu rechnen, eine Anpassung der Dosis bei Niereninsuffizienz ist meist nicht erforderlich. Remifentanil nimmt durch seine schnelle extrahepatische Hydrolysierung mittels unspezifischer Blut- und Gewebsesterasen zu weitgehend inaktiven Metaboliten eine Sonderstellung ein. Eine Dosisanpassung ist bei Leber- und Niereninsuffizienz nicht erforderlich. Die hepatische Metabolisierung von Morphin kann bei Leberfunktionsstörung signifikant beeinträchtigt sein. Beim Abbau entstehen zwei aktive Hauptmetaboliten, die bei Niereninsuffizienz akkumulieren können . Piritramid wird hauptsächlich in der Leber metabolisiert. Eine Leberfunktionsstörung kann eine verminderte Clearance der Substanz zur Folge haben. Bei Niereninsuffizienz besteht keine Einschränkung. Aus dem Genannten wurden die in Tab. 5 dargestellten Empfehlungen für die Wahl des Opioids bei Leber und Niereninsuffizienz abgeleitet (46). Substanz
Leberinsuffizienz
Niereninsuffizienz
Fentanyl
günstig
günstig (Bolusgabe) ungünstig (kontinuierlich)
Sufentanil
günstig
günstig
Alfentanil
ungünstig
günstig
Remifentanil
günstig
günstig
Morphin
ungünstig
ungünstig
Piritramid
ungünstig
günstig
Tab. 5: Empfehlungen für die Wahl des Opioids bei Leber- und Niereninsuffizienz (46).
Die S3-Leitlinie ,,Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin" empfiehlt für eine kurzfristige Schmerztherapie kleiner oder gleich 72 Stunden den Einsatz von Piritramid oder die kontinuierliche Gabe gut steuerbarer Opioide, wie Sufentanil oder Remifentanil. Die Behandlung mit Piritramid erfolgt diskontinuierlich. Für die längerfristige Analgesie größer 72 Stunden, z.B. bei Schädelhirntrauma oder schwerer Sepsis, werden Sufentanil oder Fentanyl empfohlen. Für das Weaning nach längerer Beatmungsphase kann erneut der Wechsel auf Sufentanil oder Remifentanil erfolgen. Die Substanzen unterscheiden sich in äquipotenter Dosierung nicht in ihrer analgetischen Wirkung. 259
Sufentanil ist das am häufigsten auf deutschen Intensivstationen verabreichte Opioid (3). Es besitzt die höchste analgetische Potenz aller Opioide (relative Wirkstärke im Vergleich mit Morphin 1 zu 500-1000). Die Substanz bindet mit hoher Affinität an den µ,-Rezeptor, wodurch die starke analgetische Wirkung erzeugt wird, und mit geringerer Affinität an ~- und ö-Rezeptoren, welches die im Vergleich zu anderen Opioiden geringere Atemdepression erklärt. Sufentanil besitzt zudem stärker sedierende Eigenschaften und kann als alleiniges Medikament oder als Teil eines Stufenkonzeptes, in Kombination mit Midazolam und/oder Clonidin, in allen Phasen der Behandlung zur Sedoanalgesie eingesetzt werden. Initial kann mit einer Dosierung von 1 µg·kg· 1-h· 1 begonnen werden. Auch eine Titration der Anlagesie mit Bolusgaben ist möglich, jedoch unter dem erhöhten Risiko einer Apnoe. Unter kontrollierten Beatmungsbedingungen werden Dosierungen von 0,6-1,5 µg·kg· 1·h· 1 (Median) benötigt. Mit Sufentanil ist das Weaning vom Respirator in einer Dosierung von 0,4-0,9 µg·kg· 1•h· 1 (Median) ohne klinisch relevante Atemdepression sicher möglich. Voraussetzung hierfür ist ein adäquates Monitoring der Sedierungstiefe und der Atemfunktion. Die notwendige Dosis unterliegt in allen Phasen der Behandlung einer hohen Variabilität (47, 48). Bei kritisch kranken Patienten hat Sufentanil eine erhöhtes Verteilungsvolumen und eine verlängerte Eliminationshalbwertszeit, dennoch kann auch nach längerer kontinuierlicher Zufuhr mit einem zügigen Wirkungsverlust aufgrund der geringen kontextsensitiven Halbwertszeit gerechnet werden (49). Fentanyl ist das zweithäufigste in Deutschland in der Intensivmedizin parenteral verabreichte Opiod. Es besitzt eine große Affinität zum µ-Rezeptor und somit eine hohe analgetische Potenz (relative Wirkstärke im Vergleich mit Morphin 1 zu 100). Die Substanz zeigt nach Bolusgabe einen schnellen Wirkungseintritt und Wirkungsverlust. Die atemdepressive Wirkung ist stärker ausgeprägt als bei Sufentanil. Anders als Sufentanil kumuliert die Substanz bei kontinuierlicher Zufuhr und hat nach kurzer Zeit eine deutliche längere kontextsensitive Halbwertszeit als Remifentanil, Alfentanil oder Sufentanil und eignet sich somit eher für die längerfristige Analgesie. Der Dosierungsbereich liegt meist im Bereich von 0,7-10 µg·kg· 1•h· 1 (2). Wie bei Sufentanil wird die Dosis nur durch Nebenwirkungen limitiert. Alfentanil wird in Deutschland nur selten auf der Intensivstation angewendet (50). In Großbritannien wird die Substanz in der Intensivmedizin jedoch häufiger verwendet als Fentanyl (51). Alfentanil ist ein kurzwirksames Opioid und wirksam zur Augmentierung der Analgesie bei schmerzhaften Maßnahmen im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung (52). Beim Intensivpatienten ist das Verteilungsvolumen erhöht und die Eliminationshalbwertszeit verlängert (53). Remifentanil ist ein hochpotenter µ-Rezeptoragonist (mit einer relativen Wirkstärke im Vergleich mit Morphin von 1 zu 100). Im Gegensatz zu den anderen Opioiden wird Remifentanil durch unspezifische Esterasen unabhängig von der Leberfunktion vollständig zu einem nahezu inaktiven Abbauprodukt (Remifentanilsäure) abgebaut. Bei Niereninsuffizienz kann Remifentanilsäure akkumulieren, ohne jedoch auch nach längerer Infusionsdauer einen klinisch relevanten Effekt zu erzeugen (54). Eine Dosisanpassung ist sowohl bei Nieren- als auch bei Leberinsuffizienz nicht erforderlich. Remifentanil hat eine terminale Halbwertszeit von 10 bis 20 Minuten und eine kontextsensitive Halbwertszeit von 3 bis 4 Minuten unabhängig von der Infusionsdauer. Diese herausragende pharmakokinetische Eigenschaft von Remifentanil birgt aber auch das Risiko von akuten Schmerzen oder Entzugssymptomen mit sympathoadrenerger Reaktion bei absichtlicher oder unabsichtlicher Beendigung der Zufuhr. Daher sollte bei Beendigung der Therapie überlappend ein längerwirksames Opioid (z.B. Piritramid 7,5-15 mg) verabreicht werden. Der Spritzenwechsel bei kontinuierlicher Zufuhr sollte unverzüglich erfolgen, ähnlich wie der Wechsel bei Katecholamingabe. Die empfohlene Startdosis liegt bei 0,10,15 µg·kg· 1·min- 1 • Der analgetische Effekt kann mit einer stufenweisen Dosissteigerung 260
in Schritten von 0,025 µg·kg· 1·min· 1 erfolgen. Bei einer notwendigen Dosis von 0,2 µg·kg· 1·min· 1 sollte zusätzlich ein Sedativum verabreicht werden (55). Durch eine Sedoanalgesie mit Remifentanil/Propofol läßt sich im Vergleich zu Midazolam/Fentanyl eine signifikant kürzere Weaningzeit und Verweildauer auf der Intensivstation nach kardiochirurgischen Eingriffen (56) und eine signifikant schnellere neurologische Beurteilbarkeit bei beatmeten Patienten mit akuter, schwerer neurochirurgischer oder neurologischer Hirnschädigung erreichen (57). Der Vergleich einer analgesiebasierten Therapie von Remifentanil/Midazolam gegenüber Morphin/Midazolam bei kurzeitbeatmeten, postoperativen Patienten, zeigte für die Kombination Remifentanil/Midazolam eine bessere Steuerbarkeit hinsichtlich Erreichen des Sedierungsziels, eine Verkürzung der Zeit bis zur Extubation und einen geringeren Midazolambedarf (58). Bei der Bewertung dieser Ergebnisse muss in Betracht gezogen werden, dass nicht eindeutig zu trennen ist, ob der positive Effekt ausschließlich auf die pharmakokinetischen Vorteile von Remifentanil beruht oder auch durch die unterschiedliche Pharmakokinetik (59) und Dosierung der zusätzlich verabreichten Sedativa beeinflusst wird. Die Sicherheit und Wirksamkeit von Remifentanil wurde in kontrollierten klinischen Prüfungen über eine Dauer von bis zu drei Tagen nachgewiesen. Daher wird die Anwendung über eine Dauer von länger als drei Tagen nicht empfohlen. Die obere empfohlene Dosisgrenze beträgt 0,74 µg·kg· 1·min· 1• Ein in den letzten Jahren zunehmend beachteter und durchaus kontrovers diskutierter Aspekt der Schmerztherapie mit Opioiden ist die sogenannte opioidinduzierte Hyperalgesie (definiert als Sensitivierung nozizeptiver Signaltransduktionswege durch Opioide). Sie resultiert in einer Abnahme der Schmerzschwelle für schmerzhafte Stimuli und zeigt sich klinisch durch einen höheren Analgetikabedarf und eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit. Verschiedene pathophysiologische Mechanismen dienen zur Erklärung. Eine opioidinduzierte Hyperalgesie kann beim Opioidentzug ausgelöst werden. Opioide erzeugen nach Bindung an die Opioidrezeptoren auf zellulär-molekularer Ebene eine analgetische Wirkung, aktivieren aber auch pronozizeptive Hochregulationsmechanismen, die bei Entzug des Opioids zu Sensitivierung des schmerzleitenden Systems mit Hyperalgesie und Allodynie führen können. Weiterhin wurde für das Morphinabbauprodukt Morphin3-Glukuronid, bei hochdosierter Gabe von Morphin, eine neuroexitatorische Wirkung mit Hyperalgesie, Allodynie und Myoklonus beschrieben. Als weitere Auslöser werden Opioidtoleranzentwicklung und eine genetische Disposition genannt. Bei gesunden Probanden konnte nach kurzzeitiger Infusion von Remifentanil ein gesteigertes subjektives Schmerzempfinden und eine Hyperalgesie auf mechanische Reize gezeigt werden. Unter klinischen Bedingungen konnte die Relevanz der opioidinduzierte Hyperalgesie jedoch weder für Remifentanil noch für andere Opioide zweifelsfrei bestätigt oder widerlegt werden (60). Pirtramid ist ein µ-Rezeptoragonist (mit einer relativen Wirkstärke im Vergleich mit Morphin von 1 zu 0,7-1). Es ist das am häufigsten für die intermittierende Gabe verabreichte Opioid auf deutschen Intensivstationen (3). Eine Überlegenheit des Piritramid gegenüber Morphin ist, außer bei Niereninsuffizienz, letztendlich nicht belegt. Bei dem Vergleich von Piritrarnid und Morphin für die i.v.-PCA nach chirurgischen Eingriffen zeigte sich hinsichtlich Übelkeit, Erbrechen und Pruritus kein Unterschied zwischen den Substanzen (61). Bei der kontinuierlichen Anwendung bei Intensivpatienten zeigt sich, im Vergleich zur intermittierenden Bolusgabe, ein vergrößertes Verteilungsvolumen und eine verlängerte Eliminationshalbwertszeit. Die kontextsensitive Halbwertszeit liegt im Bereich von Fentanyl (62). Piritramid wird häufig zur patientenkontrollierten i.v. Analgesie (i.v.-PCA) eingesetzt. Für die i.v.-PCA konnte im Vergleich zu konventionellen Behandlungsregimen mit Opioiden im postoperativen Bereich eine bessere Analgesiequalität, ein höherer Opioidverbrauch und eine höhere Patientenzufriedenheit gezeigt werden (63, 64).
261
In der postoperativen Schmerztherapie haben die sogenannten „Nicht-Opioidanalgetika" einen festen Stellenwert. Die Nicht-Opioidanalgetika werden nach ihrem pKa-Wert in die sauren antipyretischen Analgetika (wie Acetylsalicylsäure ASS), nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID wie Ibuprofen oder Diclofenac) und die nichtsauren antipyretischen Analgetika (wie Metamizol, Paracetamol, COX-2-Inhibitoren) eingeteilt. Die analgetische Wirkung aber auch viele Nebenwirkungen der Nicht-Opioidanalgetika werden durch die Hemmung der Cyclooxygenase-lsoenzyme (COX-1 und COX-2) ausgelöst. Arachnoidonsäure wird unter Einwirkung der Cyclooxygenase in Prostaglandine gespalten. Die Prostaglandine tragen sowohl im Gewebe als auch auf spinaler und supraspinaler Ebene wesentlich zur Entstehung von Schmerzen bei. Der Schmerz ist ausschließlich COX-2 vermittelt. Die COX-2 Bereitstellung wird unter Entzündungsbedingungen gesteigert. NSAID führen zu einer unselektiven Blockade von COX-1 und COX-2 vermutlich im Gewebe und auf spinaler Ebene. COX-2-Inhibitoren wirken selektiv im Gewebe und auf spinaler Ebene. Paracetamol hemmt die Prostaglandinsynthese im Wesentlichen im Zentralnervensystem, darüber hinaus wird die Stimulation hemmender Bahnen angenommen. Die Substanz wirkt wie Metamizol gut antipyretisch. Die Metamizolwirkung wird vermutlich durch die Hemmung spinaler COX-2 und darüber hinaus über die Aktivierung schmerzhemmender Areale im Gehirn vermittelt. Metamizol hat zudem eine gute spasmolytische Wirkung. Die Nicht-Opidanalgetika haben einen Ceilingeffekt. Auch die Nebenwirkungen sind teilweise dosisabhängig, daher werden Höchstdosierungen empfohlen. Besonders beachtet werden muss die geringe therapeutische Breite von Paracetamol hinsichtlich seiner hepatotoxischen Wirkung. Paracetamol wird in der Leber durch Glutathion inaktiviert. Sind die Glutathionvorräte erschöpft (Dosis> 140mg/kg KG) wird stattdessen ein Metabolit produziert, der direkt hepatotoxisch wirkt und zu akutem Leberversagen führen kann. Bei chronischer Lebererkrankung liegt die toxische Dosis niedriger (65). COX-1 und COX-2 kommen in den Organen in unterschiedlichem Ausmaß vor. In der Lunge wird sowohl COX-1 als COX-2 exprimiert. Die Prostaglandine supprimieren in der Lunge die Bildung von Leukotrienen. Hemmung der Cyclooxygenase durch ASS, NSAID, Metamizol aber auch COX-2-Inhibitoren kann bei disponierten Patienten zu Asthmaanfällen führen (sogenanntes „aspirininduziertes Asthma"). Prostaglandine werden im Magen-Darmtrakt ausschließlich durch COX-1 bereitgestellt. Prostaglandine sind von entscheidender Bedeutung für die Schleimhautdurchblutung, Mukusproduktion und Hemmung der Magensäuresekretion. Insbesondere die NSAID aber auch Metamizol können auch kurzzeitiger Anwendung von ein bis zwei Wochen bei gesunden Probanden zur Entstehung von Ulcerationen führen. Für die Entwicklung von Ulkuskomplikationen sind meist längere Behandlungszeiten notwendig. Beim kritisch kranken Patienten sollte diesbezüglich besonders auf die NSAID verzichtet werden. In der Niere wird sowohl COX-1 als COX-2 . exprimiert. Prostaglandine tragen zur Natriumrückresorbtion, Kaliumsekretion und Aufrechthaltung der Nierenperfusion bei. Die Gabe von NSAID und COX-2-Inhibitoren führen bei Nierengesunden nicht zu einer relevanten Abnahme der Kreatininclearance, dennoch ist die Gabe mit einer erhöhten Inzidenz von akutem Nierenversagen verbunden. Bei intensivmedizinischen Risikopatienten mit großen Volumenverschiebungen oder Organversagen sind NSAID und COX-2-Inhibitoren nicht indiziert. Auch bezüglich des Herzkreislaufsystems und der Hämostase sind beim Einsatz der Nicht-Opioidanalgetika Besonderheiten zu beachten. Thrombozyten enthalten ausschließlich COX-1 und vermitteln die Produktion von Thromboxan aus Prostaglandinen. Thromboxan fördert die Thrombozytenaggregation und wirkt vasokonstriktorisch. Im Gefäßendothel hingegen findet sich COX-2, welches aus Prostaglandinen Prostazyclin bildet. Prostazyclin hemmt die Thrombozytenaggregation und wirkt vasodilatatorisch. Die COX-2-Inhibitoren dürfen bei nachgewiesener koronarvaskulärer oder zerebrovaskulärer Erkrankung nicht eingesetzt werden. ASS führt zu einer irreversiblen Hemmung der COX-1 in den Thrombozyten. Die Thrombozytenaggregationshemmung durch NSAID ist nur mäßig, die von Paracetamol und Metamizol gering. COX-2-Inhibitoren hemmen 262
die Thrombozytenaggregation nicht. ASS und NSAID sollten bei Operationen mit hohem Blutungsrisiko oder potentiell schweren Folgen einer Blutung nicht verabreicht werden. Für Metamizol sind nach schneller intravenöser Verabreichung Blutdruckabfälle bis zum Schock beschrieben worden. Abzugrenzen hiervon sind allergische Reaktionen auf Metamizol. Eine schwerwiegende, aber im deutschsprachigen Raum seltene immunologische Komplikation von Metamizol ist die Agranulozytose (65). Die Rationale für den Einsatz einer Kombinationstherapie aus Opioiden und NichtOpioidanalgetika liegt in der Verbesserung der Analgesie und der Einsparung von Opioiden durch einen additiven oder darüber hinausgehenden synergistischen analgetischen Effekt beider Substanzgruppen. Von diesem sogenannten „Opioidsparenden Effekt" wird auch eine Reduktion der opioidassoziierten Nebenwirkungen erwartet. In der postoperativen Schmerztherapie bei großen operativen Eingriffen konnte eine Senkung des Opioidverbrauchs um 15-55 % gezeigt werden, durch NSAID wird das Risiko von Übelkeit und Erbrechen sowie Vigilanzminderung signifikant gesenkt und die Analgesiequalität verbessert (66). Die zu erwartende Reduktion der Nebenwirkungen und die Verbesserung der Analgesiequalität sind klinisch eher als gering bis moderat zu bewerten (67). Auch sind die Substanzen in der Intensivmedizin nur wenig untersucht. Ob ein möglicher opioidsparender Effekt beim Intensivpatienten zur Verkürzung der Beatmungsdauer oder Verminderung des postoperativen Ileus führt ist nicht belegt (68). In Anbetracht der potentiell schwerwiegenden Nebenwirkungen, insbesondere der NSAID und COX-2-Inhibitoren, sollten daher die Indikation, unter Beachtung des individuellen Risikoprofils, streng gestellt werden. Häufig bei der Schmerztherapie in der Intensivmedizin eingesetzte Adjuvantien sind Clo- · nidin und Ketamin. Der a2-Agonist Clonidin wird häufig und in nahezu jeder Phase der perioperativen und intensivmedizinischen Behandlung „off label" eingesetzt. Dabei werden die sympathikolytischen, anxiolytischen, sedierenden, opioid- und anästhetikasparenden Eigenschaften genutzt. Durch Dämpfung der perioperativen Stressantwort kann bei Patienten mit kardialer Vorerkrankung oder erhöhtem Risiko einer Koronarischämie die Häufigkeit von kardialen Komplikationen reduziert werden. Das lmidazolinderivat Clonidin wirkt ganz überwiegend an a2-Adrenorezeptoren und hat eine geringere Affinität zu al-Adrenorezeptoren und lmidazolinrezeptoren. a2-Adrenorezeptoren sind G-Protein gekoppelte Rezeptoren die intrazelluläre „second messenger" modulieren und die Aktivität von Ionenkanälen beeinflussen können. Nach der Aktivierung bindet der a2-Adrenorezeptor an die a-Untereinheit des G-Protein wodurch cAMP vermindert wird. G-Protein vermittelt wird ein Mechanismus ausgelöst, dessen Effekt sich nach Art des a2-Adrenorezeptors unterscheidet. a2-Adrenorezeptoren finden sich prä-, post- und extrasynaptisch. Es werden drei Subtypen von a2-Adrenorezeptoren unterschieden (Tab. 6). Rezeptor
Verteilung
Effekt
a2-a
Gehirn: Locus coeruleus Rückenmark: Nucleus inter-mediolateralis und Substantia gelatinosa
Analgesie, Sedierung, Sympathikolyse
a2-b
Glatte Muskulatur
Kurzzeitiger Blutdruckanstieg
a2-c
Nucleus Striatum und Hippocampus
Anxiolyse und Reduktion der Stressantwort.
Tab. 6: a2-Adrenorezeptoren-Subtypen, Hauptlokalisation und Effekt modifiziert nach (69).
Die Mechanismen, die den analgetischen Effekt von Clonidin auslösen sind noch nicht vollständig bekannt. Die analgetische Wirkung von Clonidin wird über den a2-aAdrenorezeptor im Locus coeruleus und im Rückenmark vermittelt. Stimulation des 263
Locus coeruleus führt zur Aktivierung absteigender, medullospinaler, adrenerger, antinozizeptiver Bahnen. In der Substantia gelatinosa des Rückenmarkhinterhorns werden nach Stimulation von a2-a-Adrenorezeptoren die Signalübertragung von Aö- und C-Fasern gehemmt. Daneben werden noch weitere Mechanismen diskutiert, wie Hemmung der Freisetzung von Substanz P, Freisetzung von Acetylcholin im Hinterhorn des Rückenmarks und Aktivierung des serotinergen Systems (69). Durch eine perioperative intravenöse Gabe von Clonidin kann dosisabhängig der postoperative Morphinbedarf gesenkt werden. Als optimale Dosierung wurde eine intraoperative Bolusgabe von 3 µg·kg- 1 gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion mit 0,3 µg·kg- 1•h- 1 vorgeschlagen (70). Der Einfluss auf das Herzkreislaufsystem ist die führende dosislimitierende Nebenwirkung von Clonidin. Arterielle Hypotonie wird durch a2-a Adrenorezeptor vermittelte Sympathikolyse ausgelöst. Bradykardie tritt als Folge einer Steigerung des Vagotonus und der Sympathikolyse auf. Der atemdepressive Effekt von Clonidin ist nur gering ausgeprägt. Ketamin ist ein Phenzyklinderivat und hat eine analgetische Wirkung durch Bindung an den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA-Rezeptor) und Opioidrezeptoren. Welcher der Opioidrezeptoren die analgetische Wirkung vermittelt, wird kontrovers diskutiert. Vermutlich ist die Bindung an den X-Rezeptor wesentlich für die über Opioidrezeptoren vermittelte Analgesie (71). Durch Ketamin kann dosisabhängig eine sogenannte „dissoziative Anästhesie" erzeugt werden. Damit wird ein Zustand beschrieben, bei dem der Patient wie entkoppelt von seiner Umwelt wirkt. Neben dieser Hauptwirkung besitzt Ketamin auch psychomimetische Nebenwirkungen, wie Halluzinationen, Albträume oder Dysphorie. Eine weitere besondere Eigenschaft von Ketamin ist dessen sympathomimetische Potenz. Als Monoanästhetikum zur Narkoseeinleitung löst die Substanz eine sympathoadrenerge Reaktion mit Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz aus. Die sympathomimetische Eigenschaft und eine zusätzliche bronchodilatatorische Wirkkomponente machen Ketamin zu einer geeigneten Substanz bei der Narkoseeinleitung von Patienten im Schock oder bei Status asthmaticus. Der Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck mit konsekutiver Zunahme des myokardialen Sauerstoffverbrauchs schränken jedoch auch die Anwendbarkeit bei kardial vorerkrankten Patienten ein. Ketamin ist ein Razemat mit den beiden optischen Enantiomeren S-(+)- bzw. R-( - )-Ketamin. ·S-( +)- Ketamin besitzt eine etwa doppelt so hohe analgetische und anästhetische Potenz wie das Razemat. Ketamin wirkt auch im subanästhetischen Dosierungsbereich stark analgetisch. Hierdurch lässt sich bei der postoperativen Schmerztherapie eine opioidsparende Wirkung erzielen (72, 73). Ob auch opioidassoziierte Nebenwirkungen reduziert werden, wird kontrovers diskutiert (72-74). Auch speziell für den intensivmedizinischen Bereich wurde nach großen abdominalchirurgischen und kardiochirurgischen Eingriffen der opioidsparende Effekt der niedrigdosierten Ketamingabe nachgewiesen (75, 76).
5.2 Regionale Analgesieverfahren Aus den unter 3. genannten Vorzügen einer Schmerztherapie mit Regionalanalgesieverfahren gegenüber einer systemischen Schmerztherapie mit Opioiden ergeben sich eine Vielzahl von Indikationen im intensivmedizinischen Bereich. Durch die gute Analgesie, auch bei Belastungssituationen ohne zentralnervöse Nebenwirkungen, werden Maßnahmen wie Umlagerung, Mobilisierung oder Atemtherapie unterstützt. Durch kontinuierliche Verfahren werden auch wiederholte lokal begrenzte schmerzhafte Prozeduren wie Verbandwechsel oder Wundrevisionen ermöglicht. Durch Einsparung von Opioiden oder Sedativa werden Nebenwirkungen der systemischen Therapie reduziert. Die Rationale für den Einsatz von Regionalanalgesieverfahren liegt in dem Verständnis, die günstigen Einflüsse auf die Organfunktionen und die exzellente Analgesiequalität nicht isoliert sondern als integralen Teil eines multimodalen, postoperativen Behandlungskonzeptes zu betrachten (42). Den Komponenten eines solchen Behandlungskonzeptes, wie beispielsweise frühzeitige enterale Ernährung, Mobilisation oder physiotherapeutische Behandlung, muss die Schmerztherapie angepasst werden. Das übergeordnete Ziel ist nicht die Reduk264
tion der Schmerzintensität an sich, sondern dass Ermöglichen der oben genannten Behandlungsschritte, deren Erreichen nicht durch unerwünschte Wirkungen der Verfahren, wie motorische Blockade oder Übelkeit und Erbrechen, behindert werden darf. Bei der Mehrzahl der Patienten mit kontinuierlich durchgeführten perioperativen Regionalanalgesieverfahren für größere operative Eingriffe wird der Katheter im Rahmen der Narkoseeinleitung angelegt. Die intensivmedizinische Weiterbehandlung und Fortführung der Regionalanalgesie erfolgt geplant kurzzeitig auf der Intensivstation. Eine besondere Situation liegt bei Anlage oder Fortführung der Regionalanalgesieverfahren bei kritisch kranken Patienten mit manifesten oder zu erwartenden Organdysfunktionen, Sepsis, Beatmung und Vigilanzminderung durch Analgosedierung vor. Auch diese Patienten können von den Vorteilen der Regionalanalgesie profitieren, jedoch liegen häufig spezielle Risiken oder Kontraindikationen vor, die den Einsatz der Verfahren traditionell verbieten. Für die Durchführung rückenmarksnaher Regionalanalgesieverfahren bestehen die folgenden Kontraindikationen (Tab. 7). Sepsis mit positiver Blutkultur Akute Schocksymptomatik mit hochdosierter Katecholamintherapie Infektionen oder frische Blutung im ZNS-Bereich Erhöhter Hirndruck Spezifische neurologische Erkrankung ohne Dokumentation Hochgradige Aorten- oder Mitralstenose Manifeste Gerinnungsstörung Lokale Hautinfektion im Punktionsbereich Allergie gegen die verwendeten Lokalanästhetika Fehlende Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters (eine präoperative Ablehnung des Verfahrens im Aufklärungsgespräch gilt auch postoperativ) Tab. 7: Absolute Kontraindikationen für Durchführung rückenmarksnaher Regionalanalgesieverfahren bei intensivmedizinischen Patienten (1).
Neurologische Komplikationen bei der Anlage von regionalen Anästhesie- und Analgesieverfahren sind vermutlich seltene Ereignisse. In einer prospektiven Erhebung wurden bei der Anlage epiduraler Verfahren 6 (0,02 %) schwerwiegende neurologische Komplikationen bei 30413 Anwendungen beobachtet. Bei allen Patienten (n=5), die ein Nervenwurzelsyndrom erlitten, traten Missempfindungen bei Einbringen der Punktionsnadel oder Schmerzen bei der Injektion auf (77). Die Anlage einer epiduralen Nervenblockade beim analgosedierten Patienten stellt somit eine potentiell gefährdende Situation dar, da die oben genannten Warnsymptome fehlen können. Ein erhöhtes Risiko neurologischer Komplikationen bei diesen Patienten wurde jedoch nicht belegt. In einer Untersuchung wurden 4298 Patienten mit Anlage eines lumbalen epiduralen Katheters unter Allgemeinanästhesie erfasst. Es wurden keine neurologischen Komplikationen beobachtet (78). Besonders gefürchtet sind im Zusammenhang mit epiduralen Katheterverfahren Infektionen und Blutungskomplikationen, bei denen häufig permanente neurologische Schäden bis zum Querschnittssyndrom zurückbleiben. Viele der gesicherten Risikofaktoren für Katheterinfektionen, wie Komorbiditäten und eine gestörte Immunkompetenz (Diabetes mellitus, Gefäßerkrankungen, Tumorerkrankungen, Traumapatienten u.a.) (79) liegen bei den intensivmedizinisch betreuten Patienten vor. Besonders die Durchführung von epiduralen Katheterverfahren bei Patienten mit lokalisierter oder systemischer Infektion wird kontrovers diskutiert, da die hämatogene Dissemination von Bakterien als Ursache für die Entstehung epiduraler Abzesse betrachtet wird. In einer Erhebung wurden bei 69 Patienten epidurale Katheter (teilweise auch mehrfache Anlage) zur wiederholten chirurgischen Versorgung lokaler Wundinfektionen eingesetzt. Bei 12 Anwendungen wurden lokale Katheterinfektionen beobachtet, eine epidurale Abzedierung trat jedoch nicht auf (80).
265
Bei der Bewertung dieses Ergebnisses muss in Betracht gezogen werden, ·dass epidurale Abzesse in Zusammenhang mit epiduralen Katheterverfahren eher selten auftreten. Die in der Literatur veröffentlichten Daten zur Inzidenz zeigen eine große Spannweite, von nicht beobachtet bis 83/100000 (81). In einer landesweiten Erhebung in Dänemark wurden in einem einjährigen Zeitraum 17372 epidurale Katheterverfahren erfasst. Die Inzidenz des epiduralen Abszesses wurde mit 52/100000 (1:1930) angegeben. Symptome waren neurologische Stö-rungen bei 78 % der Patienten (Paraplegie der Beine, Urin- oder Stuhlinkontinenz), lokalisierte Rücken-schmerzen oder Zeichen einer lokalen Infektion bei 67 % der Patienten, Fieber bei 56 % der Patienten und Zeichen der Meningitis (Fieber, Meningismus, Kopfschmerz) bei 11 % der Patienten (82). Die genannten Symptome können, insbesondere beim analgosedierten Patienten, leicht übersehen oder fehlgedeutet werden. Auch das tatsächliche Risiko des spinalen Hämatoms als Komplikation der epiduralen Analgesieverfahren ist unbekannt. Die Inzidenz liegt jedoch, insbesondere bei bestimmten Patientenkollektiven, deutlich höher als früher angenommen. So wurde bei Patientinnen, die eine epidurale Analgesie im Rahmen einer endoprothetischen Versorgung des Kniegelenks erhielten, eine Inzidenz für das spinale Hämatom von 28/100000 angegeben (83). In der überwiegenden Anzahl der Fälle von spinalem Hämatom nach rückenmarksnahen Regionalanalgesieverfahren wurden Gerinnungsstörungen als Risikofaktor ermittelt. Gerinnungsstörung treten beim intensivmedizinisch betreuten Patienten durch die Grunderkrankung oder Komorbiditäten, aber auch im Rahmen einer Thromboembolieprophylaxe oder antithrombotischen Therapie auf. Das spinale Hämatom tritt in gleicher Häufigkeit sowohl bei Anlage aber auch bei Entfernen des Katheters auf. Daher wird die Beachtung von Zeitintervallen vor und nach rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterentfemung empfohlen (Tab. 8). Die dort genannten Zeitintervalle müssen bei Vorliegen von Organinsuffizienzen (eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion) sowie Kombinationstherapien verschiedener Antithrombotika reevaluiert werden (84). Vor Punktion/ Katheterentfernung
nach Punktion/ Katheterentfernung
Laborkontrolle
Unfraktionierte Heparine (Prophylaxe, :s15 OOOIE/d)
4h
Jh
Thrombozyten bei Therapie >5 Tagen
Unfraktionierte Heparine (Therapie)
4-6h
lh (keine i.v. Bolusgabe)
aPIT, (ACT), Thrombozyten
Niedermolekulare Heparine (Prophylaxe)
12h
2-4h
Thrombozyten bei Therapie > 5 Tage
Niedermolekulare Heparine (Therapie)
24h
2-4 h
Thrombozyten, (anti-Xa)
Fondaparinux (Prophylaxe, :s 2,5mg/d)
36-42h
6-12h
(anti-Xa)
Vitamin-K-Antagonisten
1NR 72 51unden Sufentanil Fentanyl
Adjuvante Substanzen Bedarfsadaptierte Bolusapplikation von kurzwirksamen Analgetika a2-Agonisten (Clonidin), Ketamin (nur mit Benzodiazepin oder Propofol)
Analgaslazlel unterschritten
Analgesiazlel erreicht?
Analgeslezial überschritten
Regelmäßige Evaluation von Diagnose, Indikation, Therapieziel, Thonplasllakl, Patientenwunsch Dosisanpassung
Dosisreduktion Monitofing von Vllallunktionen und unerwünschten Wirkungen
Abb. 8: Schema zu analgetischer Therapie und Schmerzmonitoring modifiziert nach (1).
Schmerz.messung und die Dokumentation der Messwerte sind eine wesentliche Maßnahme zur Verbesserung der Schmerztherapiequalität (98). Die lückenlose Dokumentation der Behandlung, von Wirkung und Nebenwirkungen ist aus rechtlicher Sicht und für die Qualitätssicherung sowie für die Lösung von Schnittstellenproblemen unverzichtbar. Schnittstellen entstehen im Rahmen von Schichtwechseln und Zu- oder Vedegung des Patienten oder durch die fach- und berufsgruppenübergreifende Therapie des Patienten. Für die Planung und Durchführung der analgetischen Therapie auf der Intensivstation ist neben der Eigenanamnese, der aktuellen Situation (z.B. Zustand des Patienten, aktuelle Diagnose) und dem Therapieplan, auch die Schmerzanamnese von Bedeutung. Die lückenlose Weitergabe der relevanten Informationen ist insbesondere für die sichere Durchführung der Regionalanalgesieverfahren unabdingbar. Schmerzen können Warnsignal einer postoperativen Komplikation sein und sollten daher bei der Visite kommuniziert werden. Vor der Verlegung des Patienten auf die Normalstation sollte eine suffiziente Einstellung der Schmerztherapie erfolgt sein. Sinnvoll ist auch die Einstellung auf eine Therapie, die in der normalstationären Versorgung fortgeführt werden kann. Ein Kernproblem bei der Entwicklung neuer Behandlungskonzepte ist die Umsetzung in den Klinikalltag. Es gilt zum einen Widerstände der Mitarbeiter und Barrieren, wie feh271
lende technische oder zeitliche Ressourcen und die Erreichbarkeit der Mitarbeiter im Rahmen von Schichtwechseltätigkeit auf der Intensivstation, zu überwinden. In den oben genannten Untersuchungen werden konkrete Maßnahmen zur Umsetzung benannt. Diese sind Schulungen, Praxisanleitung und Bereitstellung von Taschenkarten, Postern oder anderen Materialien in schriftlicher Form, die über das Behandlungskonzept informieren. Alleinige Maßnahmen sind jedoch meist nicht effektiv. Die ausschließliche Bereitstellung von Information in Form von Dienstanweisungen, E-mails oder Literatur oder alleinige Schulung des Teams über Frontalunterricht gilt als ineffektiv. Als effektiver gelten Audits, oder Anleitungen in der Eins-zu-Eins Situation mit der Möglichkeit nachzufragen (96).
8 Zusammenfassung Die Häufigkeit und das Ausmaß von Schmerzen in der lntensivmedizin werden ohne adäquates Monitoring oft unterschätzt. Die Schmerztherapie ist ein integraler Bestandteil der intensivmedizinischen Therapie. Durch eine adäquate analgetische Behandlung kann der Behandlungserfolg verbessert werden. Hierfür steht ein Arsenal von schmerztherapeutischen Verfahren zur Verfügung, deren differenzierter Einsatz im Rahmen eines zielorientierten, an Verfahrensanweisungen gebundenen, evidenzbasierten Behandlungskonzepts erfolgen sollte. Grundlage für die Entwicklung eines, an die Bedingungen der eigenen Klinik angepassten, Behandlungskonzepts, sollten die Empfehlungen der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement" sein.
9 Literatur l.
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275
~
°'
Quelle
Kernelemente Behandlungsalgorithmus
Monitoring
Aufgabenverteilung
(7)
Regelmäßige Erhebung von Schmerz- und Sedierurigsgrad, Festlegung von Therapiezielen, Frage nach Ursache für Schmerzen oder Agitation, Auswahl Analgetikum/Sedativum unter Berücksichtigung individueller Risikonutzenabwägung, Anpassung der Therapie in Dosierung und Substanzwahl (WHO Schema), systematische Übergabe (Schmerz als Vitalzeichen), unmittelbare Information von Pflegekraft an Ant bei Schmerz/Agitation
NRS BPS RASS
Monitoring Pflegekraft, Verordnung Ant
Regelmäßige Erhebung des Sedierungsgrad, Festlegung von Therapiezielen, Frage nach Ursache für Schmerzen oder Agitation, falls Schmerz wahrscheinlich primär Schmerztherapie, Anpassung der Therapie durch Auswahl der Analgetika und Sedativa sowie Applikationsmodus (Bolus/kontinuierlich) und Dosis, zusätzlich Weaningprotokoll
RamsaySkala Kein Schmerzscore
Monitoring und Anpassung der Therapie durch Pflegekraft
Regelmäßige Überprüfung von Wachheit und Toleranz (Agitation, Anpassung an Respirator, Gesichtsausdruck) und VAS bei kontaktfähigen Patienten, Festlegung von Therapiezielen, Frage nach Ursaehe für Schmerzen oder Agitation, falls Schmerz wahrscheinlich primär Schmerztherapie, Anpassung der Therapie durch Auswahl des Applikationsmodus (Bolus/koninuierlich) und Dosis
ATICE VAS
Verordnung durchAnt, Monitoring und Dosisanpassung durch Pflegekraft
Multidisziplinäres Team aus Pfle~~kräften und Anten
Regelmäßige Erhebung von Schmerzstärke- Agitationsgrad und Delir, Festlegung von Therapiezielen, Frage nach Ursache für Schmerzen, Agitation oder Delir, Anpassung der Therapie durch Auswahl der Analgetika und Sedativa sowie Applikationsmodus (Bolus/kontinuierlich) und Dosis, Medikamentenauswahl und Protokoll auch adaptiert an voraussichtlicher Beatmungszeit und individuellen Patientenfaktoren
VAS/ OPAS RASS CAM-ICU
Monitoring und Dosisanpassung durch Pflegekraft
Multidisziplinäres Team aus Pflegekräften Ärzten, Pharmazeut und Beatmungsspezialisten
Schulungen durch das Multidisziplinäres Team, Praxisanleitung, Bereitstellung des Schulungsmaterial in schriftlicher Form
Regelmäßige Erhebung von Schmerz- und Sedierungsgrad, Festlegung von Therapieziel, Falls Schmerz wahrscheinlich primär Schmerztherapie, Medikamentenauswahl und Protokoll auch adaptiert an voraussichtlicher Beatmungszeit und individuellen Patientenfaktoren
Modifizierte VAS und RamsaySkala
Multidisziplinäres Team aus Ärzten.und Pharmazeuten
2 wöchige Einarbeitung von Pflegekräften und Ärzten, Algorithmus und Dosierungsinformation in schriftlicher Form
(17)
(93)
(16)
(94)
Erstellung ~
~
lmplementierung
Nutzen
Schulung, SOP, Bedside Teaching Pflegekräfte, Taschenkarte, Poster
Schmerz/Agitation Beatmungsdauer
i
i
Nosokomiale Infektionen i
Durch Pflegekräfte
Beatmungsdauer
Tracheostomierate
Monitoring Pflegekraft, Verordnung Ant
Beatmungsdauer Z-eit bis Aufwachen
·= ~ g.
i
i
i
Lagerungsschäden
Beatmungsdauer
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