Reformpädagogik goes eLearning: Neue Wege zur Selbstbestimmung von virtuellem Wissenstransfer und individualisiertem Wissenserwerb 9783486846126, 9783486585711

Das Buch reflektiert die Erkenntnisse wesentlicher reformpädagogischer Ansätze und unternimmt den Brückenschlag zu aktue

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German Pages 222 [224] Year 2008

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1 Einleitung
2 Reformpädagogik goes e-learning
2.1 Die Frage, die wir stellen
2.2 Antworten, die wir entwickeln
3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik
3.1 Neues Lehren und Lernen?
3.2 Grundsätze der obj ektiven Didaktik
3.3 Grundsätze einer reformpädagogischen Didaktik
4 Der Tag
4.1 ... an dem die Reformpädagoglnnen
4.2 ... mit e-learning begannen
5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform
5.1 Vermitteln und Lernen
5.2 Kommunikation und Kooperation
6 Wir studieren online
6.1 Lehrpläne in Belgien
6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien
6.2.1 Rahmenbedingungen
6.2.2 Schularchitektur als Bestandteil der Schulentwicklung
6.2.3 Die architektonischen Herausforderungen
6.2.4 Lebensgemeinschaft und Gesellschaft
6.3 Forum
6.4 Chat
6.5 Reflexion der online-Lernphase
7 Der Daltonplan
7.1 Entwicklungslinien der strukturgeleiteten Selbsttätigkeit
7.2 Das dem Daltonplan zugrunde liegende Menschenbild
7.3 Die Daltonprinzipien und das Pensum
7.3.1 Lernpensen im Daltonplan
7.3.2 Die Gestaltung) von Pensen
7.4 Meine - Helen Parkhursts - Zugänge zu Scholion
7.4.1 Ich lerne mit Scholion
7.4.2 Konsequente Haltungen im und für den eigenen Lernprozess
7.4.3 Bereitschaft vorstrukturierte Lernwege zu beschreiten und die Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrenden zu akzeptieren
7.4.4 Assignments in Scholion
7.4.5 Vom Facharbeitsraum zur interaktiven Benutzungsschnittstelle
7.5 Fazit
8 Montessori-Pädagogik
8.1 Zur Organisation der Arbeit und Freiheit
8.2 Selbstaktivität bzw. Aktivierung zur Selbsttätigkeit
8.3 Vorbereitete Umgebung
8.4 Polarisation der Aufmerksamkeit
8.5 In casa di nebule
8.6 Würde ich - Maria Montessori - nun Scholion nutzen?
8.7 Meine persönliche Schlussfolgerung
9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein
9.1 Denken in Exempeln
9.2 Entdeckendes und erforschendes Lernen
9.3 Was ist ein Exemplum?
9.3.1 Das sokratische Element im exemplarischen Verfahren
9.3.2 Das genetische Element im exemplarischen Verfahren
9.3.3 Die Geschichte der Zahlen und des Zählens
9.4 Der eindimensionale Lehrgang
9.5 Der exemplarische Lehrgang
9.6 Die Auswahl eines Exemplum
9.7 Die Geschichte vom Mond
9.8 Die Realisierbarkeit von exemplarischem Lehren und Lernen in Scholion
10 Peter Petersen - Mein Jenaplan
10.1 Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik
10.1.1 Beschreibung des Jenaplans als Exemplum
10.1.2 Das dem Jenaplan zugrunde liegende Menschenbild
10.1.3 Die Erziehungsidee
10.1.4 Bedürfnisse der Kinder
10.1.5 Die Gestaltung der Schule
10.1.6 Pädagogische Situation
10.1.7 Vorordnungen und Bildungsgrundformen
10.1.8 Rhythmischer Wochenarbeitsplan
10.1.9 Die wesentliche Rolle von Gruppen
10.1.10 Leistungsnachweis
10.2 Exemplarisches, Vergleichbares in der Reformpädagogik
10.3 Wie ich - Peter Petersen - Scholion nutzen würde
10.3.1 Selbst bestimmte Arbeit
10.3.2 Vorordnungen und Bildungsgrundformen
10.3.3 Arbeit im Dokumentationszentrum und in der Bibliothek
10.3.4 Planung mit den Studierenden - Führung durch die Lehrperson
10.3.5 Gruppierung und Altersheterogenität
10.3.6 Rückmeldungen
10.4 Meine Zusammenfassung und Schlussfolgerung
11 Freinet-Pädagogik
11.1 Pädagogische Grundgedanken
11.2 Die Bedeutung von Arbeit in der Erziehung
11.3 Ateliers als Ausdruck von Lebenswirklichkeit
11.4 Die Bedeutung von Text
11.5 Die Interessenkomplexe
11.6 Kooperation
11.7 Wie ich Scholion einsetzen würde
12 Mathetik - die Lehre vom Lernen
12.1 Zur Entstehung
12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen
12.2.1 Erkenntnis (Lernen) als Konstruktion
12.2.2 Unterstützung von Selbstorganisation
12.2.3 Lernendengesteuerter Zugang zu Vermittlungsprozess
12.2.4 Pluralität der Wirklichkeitskonstruktion
12.2.5 Konstruktion holistischer Weltbilder
12.2.6 (In-)Frage-Stellen als Wissenskonstruktion
12.2.7 Differenzvielfalt
12.2.8 Irrtum als konstruktives Wissenskonstrukt
12.2.9 Kopplung von Kognition mit Emotion
12.2.10 Fazit
12.3 Die Mathetik im Kontext von Bildungszielen
12.3.1 Erwerb sinnhaften Wissens
12.3.2 Erwerb anwendungsfähigen Wissens
12.3.3 Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen
12.3.4 Erwerb von Lernkompetenz
12.3.5 Komplementarität von vertikalem und horizontalem Lerntransfer
12.4 Mathetikgeleitetes Handeln
12.4.1 Die Praxis von selbst organisiertem Lernen
12.4.2 Situiertes Lernen
12.4.3 Brain-based learning and teaching
13 Die mathetische Gestaltung von e-learning
13.1 Von der Organisation der Freiheit
13.2 ... zum Lernen in Freiheit
13.3 Strukturgeleitetes Vorgehen
Epilog zur Zukunft
Referenzen
Abbildungsverzeichnis
Autorinnen
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Reformpädagogik goes eLearning: Neue Wege zur Selbstbestimmung von virtuellem Wissenstransfer und individualisiertem Wissenserwerb
 9783486846126, 9783486585711

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Reformpädagogik goes eLearning Neue Wege zur Selbstbestimmung von virtuellem Wissenstransfer und individualisiertem Wissenserwerb

von

Harald Eichelberger Christian Laner Wolf Dieter Kohlberg Edith Stary Christian Stary flage

OldenbourgVerlag MünchenWien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D -81671 München Telefon: (089) 4 50 51- 0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58571-1

Dieses Buch ist John Bronkhorst gewidmet.

Vorwort Um die fachliche Theorie eines Praxisfeldes voranzubringen, können ein Blick über den Tellerrand und ein Vergleich mit anderen Ansätzen sehr hilfreich sein. Wenn sich Reformpädagogik und e-learning (d.h. das Lehren und Lernen mit Informations- und Kommunikationstechnologien) annähern, dann ist das nicht ganz einfach auf einen Nenner zu bringen. Die Pionierzeit von Reformpädagogik und e-learning trennt ein historischer Graben von mehr als einem halben Jahrhundert und beide Strömungen haben im Verlaufe ihrer Geschichte verschiedene Wandlungen durchgemacht. Was gemeinhin zusammenfassend als Reformpädagogik wird, ist historisch gesehen keine einheitliche Bewegung, sondern eine vielfältige Reaktion auf die erlebten Missstände im Schulwesen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (vgl. Röhrs, 1998; Oelkers, 2005). Im Gegensatz zur lehrergeleiteten Standardschule propagieren die Reformerinnen und Reformer die Individualisierung und Selbsttätigkeit der Lernenden (z.B. Maria Montessori, Helen Parkhurst) und die Bedeutung der Lerngruppe (z.B. Celestin Freinet, Peter Petersen, Anton Semjonowitsch Makarenko). Im Gegensatz zur belehrenden Wissensvermittlung der Regelschule betonen sie die Situierung des Lernens im praktischen Tun (z.B. John Dewey, Georg Kerschensteiner, Adolf Reichwein) und die Begegnung mit der unverbrauchten Natur (z.B. Hermann Lietz). Die Kombination und Gewichtung dieser und weiterer Pole ist bei allen Reformpädagoginnen und Reformpädagogen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Hinter den Ansätzen liegen vielfach humanistische Menschenbilder unterschiedlicher Couleur, die sich jedoch fast immer als Kritik am eher funktionalistischen Menschenbild der industriellen Revolution und ihres Schulwesens verstehen lassen. Viele Ideen der Reformpädagogik finden erst wieder in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang in den Alltag der allgemeinen Volksschulen, wo Gruppenarbeit und offener Unterricht zur Regel werden. Während Montessori-Kindergärten, Steiner- bzw. Waldorf-Schulen und andere versuchen, demgegenüber die „reine Lehre“ der Reformpädagogik zu bewahren, machen sich andere Projekte auf, Reformpädagogik gegenwartsbezogen neu zu erfinden (z.B. die Laborschule Bielefeld, Hartmut von Hentig). Ein Vergleich von Reformpädagogik und e-learning muss sich also immer fragen, mit welcher Art von Reformpädagogik verglichen wird. Auch e-learning hat sich gewandelt. Zu Pionierzeiten des computerunterstützten Lernens wäre die Begegnung zwischen Reformpädagogik und e-learning wohl wenig freundschaftlich verlaufen. In den Jahrzehnten der „teaching machines“ und des frühen Instructional Design war man überzeugt, dass möglichst direktes Feedback und möglichst optimal vorstrukturierte Lernwege ein effizientes und berechenbares Lernen ermöglichen würden (vgl. Cuban, 1986).

VIII

Vorwort

Dies wäre von einer ganzen Reihe von Vertreterinnen und Vertretern reformpädagogischer Konzepte wohl als elektronischer Rückfall in die „Paukschule“ des neunzehnten Jahrhunderts gesehen worden. Doch schon bald entwickelten sich auch Ansätze, die auf ein offenes, kreatives und kommunikatives Lernen mit Computern Wert legten (z.B. Papert, 1980). Allerdings kam es interessanterweise gerade in diesem Prozess der Annäherung zu grösseren Kontroversen. Während z.B. Hartmut Mitzlaff die Forderungen der Reformpädagogik im computerunterstützten Lernen exemplarisch eingelöst sah, betonte Hartmut von Hentig unermüdlich die impliziten Nebenwirkungen, die mit dem Einsatz von Computern für die Entwicklung von Kindern und Gesellschaft verbunden sein könnten (vgl. Von Hentig, 1993; Mitzlaff, 1996). Beim Lernen mit Computern wurden vor allem ein Verlust von Primärerfahrung und eine soziale Vereinsamung der Lernenden befürchtet. Der gewaltige Siegeszug des Internet ließ solche eher theoretischen Diskussionen in den Hintergrund treten und entfachte eine praktische e-learning-Euphorie, die sich in millionenschweren Impulsprogrammen an Schulen und Hochschulen äußerte. An den Hochschulen diente e-learning nicht mehr nur als Sonderlösung für Fernstudierende, sondern auch als Notlösung für überfüllte Hörsäle oder als vermeintlich günstigere und effizientere Alternative zur Präsenzlehre. An Schulen ging es mehrheitlich um verbesserte Schulleistungen in den Kernfächern und um eine frühe Sozialisation in die künftige Informationsgesellschaft. Auch wenn diese pauschalen Erwartungen oftmals enttäuscht wurden, setzte sich vielerorts die Überzeugung vom besonderen Wert der neuen Lernkultur durch. Die fachliche Theorie des e-learning entwickelte sich entlang eines modernen, empirisch gestützten Lernverständnisses, in dem Lernen als „aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess“ gesehen wird (Reinmann-Rothmeyer & Mandl, 2001, vgl. auch Jonassen, Mayes & McAleese, 1993). Problembasiertes Lernen in learning communities gilt heute als Königsweg des überdies individualisierten, motivierten und reflektierten Lernens. Das Internet bietet hierfür ständig neue Potenziale. Unter dem Stichwort „Web 2.0“ erlauben Wikis, Weblogs und Social Software niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeiten (vgl. Kerres, 2006). Mit steigenden Bandbreiten entwickelt sich das Netz von einer riesigen Textsammlung zu einem umfassenden multimedialen Tummelplatz. Informelles Lernen findet in praktisch allen Kanälen statt und hinterfragt das Wissensmonopol traditioneller Bildungseinrichtungen. Mobile Technologien ermöglichen den Zugriff „anytime“ und „anywhere“. Statt den schwerfälligen institutionalisierten Lernplattformen etablieren sich zunehmend Personal Learning Environments, in denen die Grenze zwischen formellem und informellem Lernen verschwimmt. Mittlerweile kann sogar darüber nachgedacht werden, den Begriff „e-learning“ wieder abzuschaffen und einfach nur noch von „learning“ zu sprechen, da die Nutzung neuer Technologien bei den jüngeren Generationen in allen Lebensbereichen und damit auch beim Lernen ohnehin eine Selbstverständlichkeit darstellen dürfte. Angesichts dieser technischen und sozialen Veränderungen stellt sich die Frage, was die „Reformpädagogik“ sinnvoll zum rasanten Wandel der „neuen Lernkultur“ beitragen kann. Die fachliche Theoriebildung des e-learning ist keineswegs auf einen Dialog mit der historischen Reformpädagogik angewiesen, könnte aber durchaus profitieren. Die Konvergenz der Ansätze im e-learning ist mittlerweile sehr hoch und seit Jahren wiederholen sich dieselben

Vorwort

IX

Konzepte und Postulate. Technische Innovationen geben den Takt an, während pädagogische Forschung und Entwicklung vielfach nur noch versucht, diese Entwicklungen nachzuvollziehen und bestenfalls mit eigenen Akzenten und Nutzungsweisen zu versehen. Dass reformpädagogische Theorien hier neue Ansätze eröffnen können, wurde vereinzelt bereits gezeigt (z.B. Kerres & de Witt, 2004). Hier sollen nun die Reformpädagoginnen und Reformpädagogen Wege des selbstständigen und selbst bestimmten Lernens im e-learning zeigen und dass sogar eine Lernplattform entsprechend nach reformpädagogisch-konstruktivistischen Aspekten konstruiert werden und funktionieren kann. Darüber hinaus sind auch deutlich grundlegendere Impulse denkbar: Reformpädagogik ist wesentlich in einem humanistischen Menschenbild und emanzipativen Bildungsbegriff begründet während dessen e-learning eine solche bildungsphilosophische Grundlage noch weitgehend fehlt. Beide Strömungen weisen, je nach Perspektive, verschiedene Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Eine Diskussion verspricht in jedem Fall interessant zu werden. Dominik Petko

Inhalt Vorwort Inhalt

VII XI

1

Einleitung

1

2

Reformpädagogik goes e-learning

5

2.1

Die Frage, die wir stellen ….......................................................................................6

2.2

Antworten, die wir entwickeln … ..............................................................................7

3

Objektive Didaktik versus Reformpädagogik

3.1

Neues Lehren und Lernen?.......................................................................................10

3.2

Grundsätze der objektiven Didaktik .........................................................................13

3.3

Grundsätze einer reformpädagogischen Didaktik ....................................................16

4

Der Tag …

4.1

... an dem die ReformpädagogInnen ........................................................................19

4.2

... mit e-learning begannen .......................................................................................24

5

Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform

9

19

25

5.1

Vermitteln und Lernen .............................................................................................26

5.2

Kommunikation und Kooperation............................................................................34

6

Wir studieren online

6.1

Lehrpläne in Belgien ................................................................................................40

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4

Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien.................................................42 Rahmenbedingungen ................................................................................................43 Schularchitektur als Bestandteil der Schulentwicklung ...........................................46 Die architektonischen Herausforderungen ...............................................................48 Lebensgemeinschaft und Gesellschaft......................................................................50

39

XII

Inhalt

6.3

Forum....................................................................................................................... 64

6.4

Chat .......................................................................................................................... 67

6.5

Reflexion der online-Lernphase ............................................................................... 69

7

Der Daltonplan

7.1

Entwicklungslinien der strukturgeleiteten Selbsttätigkeit ........................................ 71

7.2

Das dem Daltonplan zugrunde liegende Menschenbild ........................................... 73

7.3 7.3.1 7.3.2

Die Daltonprinzipien und das Pensum ..................................................................... 74 Lernpensen im Daltonplan ....................................................................................... 76 Die Gestalt(ung) von Pensen.................................................................................... 76

7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5

Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion .................................................. 78 Ich lerne mit Scholion .............................................................................................. 80 Konsequente Haltungen im und für den eigenen Lernprozess ................................. 80 Bereitschaft vorstrukturierte Lernwege zu beschreiten und die Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrenden zu akzeptieren ...................................... 81 Assignments in Scholion.......................................................................................... 81 Vom Facharbeitsraum zur interaktiven Benutzungsschnittstelle ............................. 86

7.5

Fazit.......................................................................................................................... 87

8

Montessori-Pädagogik

8.1

Zur Organisation der Arbeit und Freiheit................................................................. 89

8.2

Selbstaktivität bzw. Aktivierung zur Selbsttätigkeit ................................................ 91

8.3

Vorbereitete Umgebung ........................................................................................... 92

8.4

Polarisation der Aufmerksamkeit............................................................................. 94

8.5

In casa di nebule....................................................................................................... 95

8.6

Würde ich – Maria Montessori – nun Scholion nutzen? .......................................... 97

8.7

Meine persönliche Schlussfolgerung ....................................................................... 99

9

Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

9.1

Denken in Exempeln .............................................................................................. 102

9.2

Entdeckendes und erforschendes Lernen ............................................................... 103

9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3

Was ist ein Exemplum?.......................................................................................... 104 Das sokratische Element im exemplarischen Verfahren ........................................ 104 Das genetische Element im exemplarischen Verfahren ......................................... 108 Die Geschichte der Zahlen und des Zählens .......................................................... 109

9.4

Der eindimensionale Lehrgang .............................................................................. 112

9.5

Der exemplarische Lehrgang ................................................................................. 113

71

89

101

Inhalt

XIII

9.6

Die Auswahl eines Exemplum ...............................................................................115

9.7

Die Geschichte vom Mond.....................................................................................117

9.8

Die Realisierbarkeit von exemplarischem Lehren und Lernen in Scholion ...........118

10

Peter Petersen – Mein Jenaplan

10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6 10.1.7 10.1.8 10.1.9 10.1.10

Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik ...................................122 Beschreibung des Jenaplans als Exemplum ...........................................................122 Das dem Jenaplan zugrunde liegende Menschenbild .............................................123 Die Erziehungsidee.................................................................................................124 Bedürfnisse der Kinder...........................................................................................125 Die Gestaltung der Schule ......................................................................................125 Pädagogische Situation...........................................................................................126 Vorordnungen und Bildungsgrundformen..............................................................127 Rhythmischer Wochenarbeitsplan..........................................................................128 Die wesentliche Rolle von Gruppen.......................................................................129 Leistungsnachweis .................................................................................................129

10.2

Exemplarisches, Vergleichbares in der Reformpädagogik.....................................129

10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6

Wie ich – Peter Petersen – Scholion nutzen würde ................................................132 Selbst bestimmte Arbeit .........................................................................................132 Vorordnungen und Bildungsgrundformen..............................................................133 Arbeit im Dokumentationszentrum und in der Bibliothek .....................................133 Planung mit den Studierenden – Führung durch die Lehrperson ...........................134 Gruppierung und Altersheterogenität .....................................................................134 Rückmeldungen......................................................................................................135

10.4

Meine Zusammenfassung und Schlussfolgerung ...................................................135

11

Freinet-Pädagogik

11.1

Pädagogische Grundgedanken................................................................................138

11.2

Die Bedeutung von Arbeit in der Erziehung ..........................................................140

11.3

Ateliers als Ausdruck von Lebenswirklichkeit.......................................................141

11.4

Die Bedeutung von Text.........................................................................................144

11.5

Die Interessenkomplexe .........................................................................................147

11.6

Kooperation............................................................................................................148

11.7

Wie ich Scholion einsetzen würde .........................................................................149

12

Mathetik – die Lehre vom Lernen

12.1

Zur Entstehung .......................................................................................................153

12.2 12.2.1

Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen .......................155 Erkenntnis (Lernen) als Konstruktion ....................................................................156

121

137

153

XIV

Inhalt

12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7 12.2.8 12.2.9 12.2.10

Unterstützung von Selbstorganisation.................................................................... 157 Lernendengesteuerter Zugang zu Vermittlungsprozess ......................................... 158 Pluralität der Wirklichkeitskonstruktion ................................................................ 159 Konstruktion holistischer Weltbilder ..................................................................... 159 (In-)Frage-Stellen als Wissenskonstruktion ........................................................... 160 Differenzvielfalt ..................................................................................................... 160 Irrtum als konstruktives Wissenskonstrukt ............................................................ 161 Kopplung von Kognition mit Emotion................................................................... 162 Fazit........................................................................................................................ 164

12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5

Die Mathetik im Kontext von Bildungszielen........................................................ 164 Erwerb sinnhaften Wissens .................................................................................... 164 Erwerb anwendungsfähigen Wissens..................................................................... 165 Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen .............................................. 165 Erwerb von Lernkompetenz ................................................................................... 165 Komplementarität von vertikalem und horizontalem Lerntransfer ........................ 166

12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3

Mathetikgeleitetes Handeln.................................................................................... 166 Die Praxis von selbst organisiertem Lernen........................................................... 166 Situiertes Lernen .................................................................................................... 171 Brain-based learning and teaching ......................................................................... 175

13

Die mathetische Gestaltung von e-learning

13.1

Von der Organisation der Freiheit ......................................................................... 180

13.2

... zum Lernen in Freiheit ....................................................................................... 187

13.3

Strukturgeleitetes Vorgehen................................................................................... 189

179

Epilog zur Zukunft

195

Referenzen

197

Abbildungsverzeichnis

205

AutorInnen

207

1

Einleitung „Am Anfang jeder Eroberung steht nicht das abstrakte Wissen – das kommt normalerweise in dem Maße, wie es im Leben gebraucht wird – sondern die Erfahrung, die Übung und die Arbeit.“ (Célestin Freinet)

Die fortschreitende Vernetzung von Individuen und sozialen Systemen wie Organisationen sowie die damit verbundene Dynamik hat tief greifende Veränderungen mit sich gebracht. Diese betreffen vor allem die Lernfähigkeit von Individuen und Gemeinschaften, damit auch die Bildungsfähigkeit der Gesellschaft. Die Reformpädagogik widmet sich der Lernfähigkeit des Menschen und der bestmöglichen Unterstützung beim Erwerb von Erkenntnissen, Wissen und Fähigkeiten, indem sie den individualisierten und selbst gesteuerten Zugang zu Information und praktischen Tätigkeiten in den Mittelpunkt von Bildung und Ausbildung rückt. Damit stellt sie zunächst nicht die traditionelle Bedeutung von Lernen in Frage, sondern verstärkt erfahrungsgeleitetes, vertiefendes Vorgehen seitens der Lernenden. Nach dem Merriam-Webster-Lexikon wird Lernen als Wissens- oder Fähigkeitserwerb durch Studium und Erfahrung aufgefasst. Der Prozess der Wissensgenerierung und damit die eigenständige Lernfähigkeit, bilden das Kernstück reformpädagogischer Bemühungen. Die Reformpädagogik folgt aus der Sicht des Lernens der erkenntnisbiologischen Maxime von Maturana und Varela: „Jedes Tun ist Erkenntnis und jedes Erkennen ist Tun.“ Menschen nehmen die beobachtbaren Ereignisse ihrer Umgebung häufig nicht passiv wahr, sondern bringen diese aktiv hervor. Es entstehen dabei nachhaltig jene Erkenntnisse, die ihnen effektives Handeln ermöglichen. Es sind die Individuen, die den Rahmen für ihr Verhalten darstellen – Menschen organisieren sich in diesem Sinne selbst. Sie begründen damit aus biologischer Sicht ihre Lern- und DenkAutonomie – die Struktur des bestehenden Wissens und Denkens stellt den Rahmen für ihre Erkenntnisprozesse dar. Umwelteinflüsse, wie eine vorbereitete Lernumgebung, bestimmen nicht die Reaktionen eines Lebewesens, sondern sie beeinflussen diese nur. Nicht der äußere Reiz entscheidet über die Reaktion, sondern die eigene innere Struktur. Die Reformpädagogik positioniert somit Lehrende als ProzessbegleiterInnen, die Aktivierungsprozesse zur Wissensgenerierung bei Lernenden anstoßen und aus der Sicht der Lernenden konstruktiv(istisch) begleiten. Wissen kann daher nicht als verobjektivierte Ressource ohne humanen Handlungsbezug aufgefasst werden. Die allumfassende Gültigkeit von Aussagen lässt sich individuell nach der Effektivität im eigenen Handeln hinterfragen. Wissen drückt sich in individuellem Handeln aus, Erkenntnis wird von inneren Strukturen geleitet und bewertet.

2

1 Einleitung

Diese Sicht bringt für soziale Systeme, wie Organisationen und (institutionalisierte) Lerngemeinschaften (z.B. Schulen) neue Aufgaben und Handlungsweisen mit sich. Letztere reichen von der Reflexion bis zur Möglichkeitserschließung sowohl eigener Potenziale als auch der von Bildungseinrichtungen. Vorgefertigte Materialien ohne Aufforderungscharakter und schablonenhafte Rezeption von Information müssen durch Wissenserwerb als eigenständige Arbeit in ‚lebenden’, d.h. sich durch das individuelle Tun dynamisch verändernden, Systemen abgelöst werden. Können traditionelle e-learning-Umgebungen diesen Anforderungen gerecht werden? Diese zeichnen sich zunächst durch die organisationale Unterstützung von Vermittlungsprozessen in (Bildungs-)Institutionen, wie etwa dem Schul- bzw. Studienbetrieb, aus. Standardisierungsbemühungen betreffen den Umgang mit Inhalt und dominieren schließlich die Vorbereitung. Die Individualisierung von Lernmaterial erfolgt vielfach mit traditionellen Mitteln nach der Beschaffung von Inhalten via download. Die Kommunikation verläuft häufig entkoppelt vom Inhalt und damit vom Lernprozess. Die Materialien und Anmerkungen werden ohne Kontext übermittelt und erschweren die oft sozial gewünschte Wissensteilung und erforderliche Hilfestellung in der Lerngemeinschaft. Die technischen Möglichkeiten erlauben bereits einen individuell differenzierten Umgang mit Kommunikations- und Lernmedien. Was liegt also näher, als sich der Umsetzung reformpädagogischer Erkenntnisse nicht nur im programmiertechnischen Sinne, sondern als ganzheitliche Gestaltungsaufgabe zu widmen? Als Vorlauf sind Lehrende zu unterstützen bestehende Vermittlungsstrukturen aufzudecken bzw. zu verstehen sowie ein Repertoire an Ansätzen, Modellen, Methoden und Techniken zu entwickeln, welche entsprechend kognitiver Notwendigkeiten sowie organisatorischer Möglichkeiten eingesetzt werden können. Unsere Ausführungen reflektieren die Erkenntnisse wesentlicher reformpädagogischer Ansätze und versuchen den Brückenschlag zu aktuellen Lerntechnologien. Eine Moderatorin begleitet diesen Brückenschlag mit handlungsgeleiteten Diskursen, deren Hauptakteure wesentliche ReformpädagogInnen und e-learning-SpezialistInnen sind. Sie reflektieren ihre Handlungen bzw. Handlungsoptionen und regen den Einsatz von innovativen Lernmanagement- und Autorensystemen an. Mit unseren Ausführungen sollen daher Lehrende wie Lernende zur Offenheit und einer Haltung des Ausprobierens und Erkundens ermuntert werden, die ihnen auch ermöglichen, Effekte eigener Handlungen zu verfolgen und zu reflektieren. Wir wollen zu Agilität anregen, die dem Wunsch nach tiefer Erkenntnis entspricht und dem Gedanken selbst bestimmter Weiterentwicklung von Individuen Rechnung trägt, und zwar auf beiden Seiten, der der WissensträgerInnen und der ErwerberInnen. Wir glauben sowohl mit unserem Herangehen als auch vor allem mit unseren Erkenntnissen einen zeitgemäßen Beitrag zur weiteren Integration von bislang nebeneinander existierenden Gebieten zu liefern. Sie sollen gesellschaftlich relevante Anstöße sowie Mut zur Überwindung von Barrieren geben. Bildung kann und soll im Sinn einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung mithilfe reformpädagogischer Konzepte im Zeitalter der sich zunehmend mit elektronischen Medien vernetzten Informationsgesellschaft revitalisiert werden. Wir sind

1 Einleitung

3

dazu besonders den heranwachsenden Mitgliedern einer bereits proklamierten Wissensgesellschaft verpflichtet. Dominok Petko erwähnt in seinem Vorwort eine Reihe von Reformpädagoginnen und Reformpädagogen. Wir können hier leider nicht alle zu Wort kommen lassen. Wir danken den Reformpädagoginnen und Reformpädagogen, die uns für dieses Buch ihre Ideen literarisch zur Verfügung gestellt haben. Sie haben uns – den AutorenInnen – ohne ihre Zustimmung ihre Stimme geliehen. Wir hoffen, wir haben immer im Sinne der Reformpädagoginnen und Reformpädagogen argumentiert, erklärt und geschrieben, von denen wir uns ohne fragen zu können die Ideen, die Modelle und die Rede geliehen haben. Die AutorInnen:

Harald Eichelberger Wolf-Dieter Kohlberg Christian Laner Christian Stary Edith Stary

2

Reformpädagogik goes e-learning

Stellen Sie sich vor, liebe Leserin, lieber Leser, dass wir die Möglichkeit hätten an einer Begegnung der wesentlichen VertreterInnen der Reformpädagogik als Zaungäste teilzunehmen. Wäre das nicht verlockend und faszinierend zugleich? Den Personen aus der Pädagogik einmal begegnen zu können, deren Modelle wir ausführlich studiert, diskutiert und ausprobiert haben? Endlich hätten wir Gelegenheit, noch die Fragen zu stellen, die wir trotz allen Studierfleißes noch nicht beantworten konnten. Endlich hätten wir die Möglichkeit, uns ein Bild zu machen von der pädagogischen Lichtgestalt, der wir vielleicht nacheiferten. Endlich … Wir, die AutorInnen dieses Buches, fanden diese Vorstellung einer Begegnung mehrerer ReformpädagogInnen so motivierend, dass wir nicht umhin konnten, einige von ihnen zu einer gemeinsamen Arbeit einzuladen. Wir haben Ellen Key, Helen Parkhurst, Maria Montessori, Martin Wagenschein, Peter Petersen und Célestin Freinet in einen virtuellen Raum eingeladen, zur gemeinsamen Arbeit, zur Diskussion und letztlich auch zur Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Ideen. Ausgehend von unseren subjektiven didaktischen Konzepten sind wir der Überzeugung, dass die pädagogischen Modelle der genannten reformpädagogischen VertreterInnen eine unabdingbare Grundlage für ein modernes Bildungsverständnis darstellen. Unser Ausgangspunkt ist eine Erziehungs- und Lernphilosophie, die den sich in einer Gemeinschaft entwickelnden Menschen die vorbereitete Lernumgebung zur Verfügung stellt, damit sich jeder Mensch zu seiner Persönlichkeit entwickeln und seine Identität finden kann. In einem modernen Bildungsverständnis ist vor allem der Erwerb der folgenden Basiskompetenzen als Grundlage für die Fähigkeit des lebenslangen Lernens wichtig: • • • • •

Selbstverantwortung übernehmen, Initiativkraft entwickeln, Flexibilität und Problemlösungsverhalten, Teamfähigkeit, Leistungsmut.

Wir betrachten den Erwerb dieser Basiskompetenzen als Voraussetzung für die potenzielle Selbstbildung des Menschen, für ein sinnerfülltes Lernen und für ein Lernen, das die Lernenden Freude über sich selbst empfinden lässt. Gäbe es einen schöneren Verstärker für das

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2 Reformpädagogik goes e-learning

Lernwesen Mensch als sein Lernen als Freude über sich selbst zu erhalten und als eine seinem Leben Sinn gebende Tätigkeit zu verwirklichen? Für die Didaktisierung einer solchen Pädagogik der Persönlichkeitsentwicklung haben wir die reformpädagogischen Modelle der Daltonplan-Pädagogik (Helen Parkhurst), der Montessori-Pädagogik (Maria Montessori), das Konzept des Exemplarischen Lehrens und Lernens von Martin Wagenschein, der Jenaplan-Pädagogik (Peter Petersen) und der FreinetPädagogik (Célestin Freinet) ausführlich studiert. Welche weiteren pädagogischen Schritte wir nun mit den ReformpädagogInnen gerne gehen werden, ist leicht erklärt: Wir laden die Damen und Herren – virtuell – ein. Ellen Key werden wir bitten, diesen Arbeits- und Diskussionskreis zu moderieren. Wir denken, dass diese emanzipierte und in vielen gesellschaftlichen und pädagogischen Fragen versierte und engagierte Frau dieser Rolle der Moderatorin gerecht werden und vielleicht dem Arbeitskreis entscheidende Impulse geben wird. Sie wird die Pädagogik Helen Parkhursts, Maria Montessoris, Martin Wagenscheins, Peter Petersens und Célestin Freinets in einem Statement authentisch und kurz vorstellen.

2.1

Die Frage, die wir stellen …

Anschließend wird sie die ReformpädagogInnen mit der eigentlichen Frage des Arbeitskreises konfrontieren und diese Frage wird für alle Teilnehmenden gleich lauten: „Würde ich, Helen Parkhurst, ausgehend von meinem Modell der Daltonplan-Pädagogik heute e-learning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ „Würde ich, Peter Petersen, ausgehend von … usw.?“ Die e-learning-Plattform Scholion (scholion.ce.jku.at) wurde für die Fragestellung und die anschließende Diskussion mit Bedacht und aus guten Gründen gewählt: • Scholion ist eine Lehr- und Lernplattform, die nach didaktischen Kriterien aufgebaut ist. • Scholion ist eine Lehr- und Lernplattform, die selbst bestimmtes und individuelles Lernen ermöglicht. • Scholion ermöglicht und fördert kommunikatives Lernen. • Scholion ermöglicht die Konstruktion eigenen Wissens und eigener Texte in der Diskussion mit den mitstudierenden Gruppenmitgliedern und • Scholion ist selbst ein lernendes System, an das immer neue außergewöhnliche Anforderungen gestellt werden. Wir betrachten Scholion daher als Exemplum für e-learning. Nun kennen die von uns eingeladenen Gäste weder e-learning noch Scholion. Es ist daher unsere Aufgabe, die ReformpädagogInnen in Scholion einzuführen. Diese Einführung wird

2.2 Antworten, die wir entwickeln …

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in Form einer Präsenzphase gestaltet werden, sozusagen „face to face“. Wie Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, vorstellen können ist diese Phase der gemeinsamen Arbeit eine aufregende pädagogische Herausforderung. Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihre LehrerInnen unterrichten. Wir werden die ReformpädagogInnen aber nicht nur in die Arbeit mit der Lehrund Lernplattform Scholion einführen, sondern auch bitten, ein Modul auf dieser Lehr- und Lernplattform zu studieren. Dabei werden wir vorgehen, wie in einem e-learning-Seminar. Selbstverständlich haben wir ein Modul ausgewählt, das viele Anknüpfungspunkte für die Studierenden anbietet: das Modul Schularchitektur. Sie können dieses Modul je nach Ihrer Motivation im Buch nachlesen oder auch in Scholion studieren. Zu diesem Zweck eröffnen wir Ihnen einen Gastzugang: www.blikk.it. Helen Parkhurst, Maria Montessori, Martin Wagenschein, Peter Petersen und Célestin Freinet werden während des Studiums des Moduls „Schularchitektur“ gleich wie Studierende Annotationen setzen, Sichten erstellen, bearbeiten und frei schalten, ihre Arbeiten im Forum diskutieren, einen Chat durchführen und vor allem Scholion und damit e-learning als solches kennen lernen, erleben und lernen. Wir werden Ellen Key bitten, auch diesen Lernprozess zu moderieren. Die AutorInnen dieses Buches stehen als TutorInnen zur Verfügung. Von dieser Lernerfahrung ausgehend werden wir anschließend unsere reformpädagogischen Gäste nach einer Reflexionsrunde in Scholion bitten, einen Essay zu schreiben. Das Thema dieses Essays ist ja bereits in der Frage formuliert worden: „Würde ich, Maria Montessori, ausgehend von meinem Modell der Montessori-Pädagogik heute e-learning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“

2.2

Antworten, die wir entwickeln …

Mit der Beantwortung dieser Frage durch die ReformpädagogInnen ist unser virtueller Arbeitskreis bzw. auch unser virtuelles Seminar beendet und wir werden vor der Frage stehen, wie wir die Erkenntnisse und Ergebnisse umsetzen können. Der Fortschritt in der Pädagogik, den wir mit unserer Antwort anzustreben versuchen, liegt bereits in der Begründung der Inszenierung des gesamten Arrangements: Wir erhoffen uns, dass wir von den ReformpädagogInnen nach der Arbeit mit Scholion Anregungen, Hinweise und Ergebnisse erhalten, die es uns ermöglichen, die eigene didaktische Prägung als Wegweiser zu einem mathetischen Denken benutzen zu können und damit e-learning und Lernen generell unter den Aspekten der Mathetik sehen zu können, sowie Anregungen zur reformpädagogischen Gestaltung von e-learning-Plattformen. Helen Parkhurst meint, dass die traditionelle Pädagogik den Bildungsprozess der Lernenden ausschließlich aus der Perspektive der Lehrenden, „durch das falsche Ende des Fernrohrs“ („through the wrong end of the telescope“) (Parkhurst, 1922, S.23) betrachtet. Wir werden also nach der Diskussion mit den ReformpädagogInnen das „Fernrohr“ umgedreht haben und die Lernenden aus der Sicht ihrer Bedürfnisse nach Eigenaktivität, nach

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2 Reformpädagogik goes e-learning

Initiative und Selbstbildung sehen und darstellen, welche Bedingungen und Strukturen zu einem erfolgreichen Selbstbildungsprozess notwendig sind – in Scholion und an sich … Mit Martin Wagenscheins genetischem Aspekt des exemplarischen Lernens übereinstimmend, möchten wir Ihnen den gedanklichen Weg, die Genese unseres Denkens – von der Didaktik über die Reformpädagogik zur Mathetik – nicht vorenthalten. Wer lernt soll nach Martin Wagenschein auch verstehen, wie das, was jemand lernt, entstanden ist … Beginnen wir also nochmals bei der Didaktik (aber nur kurz).

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Objektive Didaktik versus Reformpädagogik

Traditionell ist unsere Lehr- und Lernkultur durch das Paradigma der geisteswissenschaftlichen Pädagogik geprägt. Aus der Sicht der Didaktik – als Kernbereich der Professionalisierung von LehrerInnen – ist ein vorherrschendes didaktisches Modell, insbesondere geformt durch die lehrtheoretische Didaktik, entstanden, das wir als „objektives Modell“ (objektive Didaktik) bezeichnen möchten. Dieses durch die lehrtheoretische Didaktik geformte LehrerInnenleitbild ist einerseits durch einen hohen pädagogischen Anspruch – die systemische Verknüpfung von Ziel, Inhalt, Methode und Medium, andererseits aber durch zunehmende Überforderung der LehrerInnen gekennzeichnet. Bedingt durch die allumfassende Verantwortung der den Lernenden (in bester pädagogischer Absicht) verobjektivierenden LehrerInnen und bedingt durch die zunehmende Divergenz und Komplexität von Lerngruppen und -situationen kommt es in Unterrichtssituationen immer häufiger zu einer völligen Überforderung der sich am objektiven Didaktik-Modell orientierenden LehrerInnen. Im Zuge der Entwicklung einer neuen Reformpädagogik und der steigenden Bedeutung von e-learning entsteht zurzeit ein alternatives, das LehrerInnen-Leitbild zunehmend prägendes „subjektives Didaktik-Modell“ (vgl. Kösel, 1993). Dieses neue Modell, das auf reformpädagogischen, konstruktivistisch-systemtheoretischen und neurobiologischen Überlegungen beruht, wird in Anlehnung an Comenius als Mathetik bezeichnet und kann als „Lehre vom Lernen“ verstanden werden. Wir werden die Mathetik im Anschluss an unsere reformpädagogischen Reflexionen im Kontext alternativer Didaktiken detaillieren. Dieses Vorgehen rundet unsere Überlegungen zu dem sich abzeichnenden Paradigmenwechsel wissenschaftstheoretisch, in diesem Fall durch didaktische Modellkonstruktion, ab.

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3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik Entwicklungslinien pädagogischer Theoriebildung und didaktischer Konstruktionen Hermeneutische Wissenschaften

Empirisch-analytische Wissenschaften

Geisteswissenschaften

Pragmatismus Konstruktivismus System-Theorie Neurobiologie Psychoneuroimmunologie (PNI)

Geisteswissenschaftliche Pädagogik

Reformpädagogik

Konstruktivistischsystemische Pädagogik

Subjektive Didaktik Objektive

DIDAKTIK

Fremd organisiertes Lernen

MATHETIK Konstruktivistisch-systemische Didaktik Neurodidaktik / PNI-Didaktik Reformpädagogische Didaktik

Selbst organisiertes Lernen

Abb. 3.1: Didaktik und Mathetik im Kontext der Disziplinen

3.1

Neues Lehren und Lernen?

Im Weißbuch „Lehren und Lernen“ der EU-Kommission von 1995 finden wir bereits ähnliche Überlegungen bezüglich eines neuen Lehr-Lern-Modells. Es enthält und detailliert das Ziel, „einen Beitrag zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung (Lehrerbildung) in der EU“ zu leisten. Qualitativ hoch stehende Bildung wird – das ist aus Sicht der Erziehungswissenschaften/LehrerInnen-Bildung ein (nach unserer Auffassung) überfälliger Umdenkprozess – als Ziel eines ganzheitlich-systemischen, vernetzten, lebenslangen Lernprozesses verstanden. Diese Forderung verstehen wir im Sinn einer neuerlichen Aktualisierung der entscheidenden Ideen der europäischen Reformpädagogik als gemeinsames europäisches pädagogisches Erbe. Aus neuer reformpädagogischer Sicht wird durch das Weißbuch ein weiteres Bildungsziel deutlich, nämlich die „Systemische Mobilität“, das ist die selbst organisierte Mobilität des lehrenden und lernenden Individuums in komplexen und vernetzten Bildungssystemen/-institutionen sowie die selbst organisierte Mobilität des Bildungssystems und dessen Institutionen.

3.1 Neues Lehren und Lernen?

11 Konstruktivismus

Psycho-Neuro-Immunologische (PNI) Begründung neuer Lehr- & Lernverfahren Europäische Reformpädagogik Mathetik Systemische Mobilität Mobilität des Systems Schule • Schule des Selbstorganisationssystem • Lean Education • Corporate Identity • Schulprofilentwicklung • Autonomie • Individualisierung der Institution • Schule als Lernwerkstatt • Schule als „Haus des Lernens“

Mobilität im System Schule • E-Learning • Lernen in Netzwerken • Vernetztes Lernen • Individualisierung von Lernprozessen • Selbstorganisiertes Lernen in Lernwerkstätten • Offenes Lernen • Integratives Lernen • Freie Arbeit / Erstellen von Lernprodukten • Epochales Lernen • Projektlernen • Handlungsorientiertes Lernen • Außerschulisches Lernen

Abb. 3.2: Systemische Mobilität

Systemische Mobilität beschreibt den Versuch, schul- und unterrichtstheoretische Ziele zu definieren, und zwar als Antwort auf die im Weißbuch der EU formulierten sog. drei großen Umwälzungen unserer Zeit: 1. Die Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft. 2. Die Globalisierung der Wirtschaft. 3. Die sich immer rascher entwickelnde wissenschaftlich-technische Zivilisation. „Systemisches Lernen“1 kann als Weg zur systemischen Mobilität aufgefasst werden, die sich durch sieben im Weißbuch aufgezeigte Komponenten auszeichnet (vgl. Weißbuch, 1995, S.10-19). Fassen wir diese Komponenten als Anforderungen an Vermittlungsformen auf, können Elemente der reformpädagogischen Praxis Umsetzungshilfen darstellen, wie in der Tabelle exemplarisch gezeigt:

1

Systemisches Lernen meint zusammenhangsorientiertes Lernen

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3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik

Systemische Mobilität

Reformpädagogische Praxis

Die Bedeutung der Dinge erfassen durch ausreichende wissenschaftliche Bildung (Systemische Mobilität durch Reduktion von Systemkomplexität) Verstehensvermögen durch selbst organisiertes innovatives Handeln (Systemische Mobilität durch Produktion von Systemkomplexität)

Reduktion von Sachkomplexität durch exemplarisches Lernen mit dem Ziel, fundamentale Strukturen des Wissensbereiches zu verdeutlichen (Wagenschein) Wochenplanarbeit, Arbeit in Lernwerkstätten, freier Ausdruck (Freinet) Selbsttätigkeit, Wahlfreiheit, Lernen am didaktischen Material (Montessori) Selbst organisiertes Lernen in Orientierung an assignments (Parkhurst) Individuelles Lernen in „pädagogischen Situationen“ (Petersen) Schule als Lebensgemeinschaft (Petersen) Sicherung der eigenen Tätigkeitsspuren im Fluss der Geschichte (Freinet)

Urteils- und Entscheidungsvermögen, das sich im Spannungsfeld von Wissen über Vergangenes und Intuition der Zukunft entwickeln soll (Systemische Mobilität in der Gegenwart durch Reflektieren und Einordnen der eigenen Handlungen in den historischen Kontext) Entwicklung der Eignung zur Beschäftigung und zur Erwerbstätigkeit durch bessere Verbindung von Allgemein- und Fachwissen und flexible und vielseitige Zugänge zur allgemeinen und beruflichen Bildung (Systemische Mobilität im Bildungsraum und Systemische Mobilität des Bildungsraums) Bildung in regionalen/europäischen Netzwerken (Systemische Mobilität durch Lernen in Netzwerken/vernetztes Lernen)

Garantie des Zugangs zur lebenslangen Bildung – hier insbesondere die Nutzung sämtlicher Möglichkeiten der Informationsgesellschaft (Systemische Mobilität in virtuellen Netzen/e-learning) Der Erwerb von Fremdsprachen soll entscheidend gefördert werden (Systemische Mobilität in der vielsprachigen europäischen Gesellschaft)

Arbeitsschulbewegung (Dewey, Kerschensteiner, Gaudig, Blonskij, Oestreich, Freinet)

Community Education (Morris) Vernetzung von Schulen (Freinet) Selbsttätiges Lernen als Voraussetzung für einen selbst organisierten, lebenslangen Lernprozess (alle ReformpädagogInnen) Offener Unterricht als Voraussetzung für e-learning (alle ReformpädagogInnen)

„Sensible Phasen“/„Absorbierender Geist“ – früher Fremdsprachenunterricht (Montessori) Internationale Vernetzung von Schulen (Freinet)

(vgl. linke Spalte Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, 1995)

3.2 Grundsätze der objektiven Didaktik

13

Wenn die bisher geleistete Interpretation des Weißbuches plausibel ist, dann müssen wir von einer nicht zu übersehenden Defizitstruktur der Lehr- und Lernkultur in Bildungsinstitutionen ausgehen. Schulen und Universitäten verfügen bisher kaum über (Mathetik-) Konzeptionen, die selbst organisiertes Lernen fördern und fordern – sie verfügen somit weder über Systemische Mobilität der Eigenstruktur noch lassen sie Systemische Mobilität der Lernenden entstehen.

3.2

Grundsätze der objektiven Didaktik

Um den Übergang vom an Lehrenden orientierten zum an Lernenden orientierten Unterricht zu gestalten, müssen wir zunächst die grundlegenden Annahmen und Prinzipien der objektiven Didaktik verstehen, um danach mathetische Konzepte entwickeln zu können. Die objektive Didaktik geht von einigen Grundsätzen aus bzw. folgt einigen Prinzipien, die wir in der Folge stichwortartig zusammenfassen und erklären: Erkenntnis (Lernen) als Abbildung Die objektive Didaktik geht von einem Abbildungsprozess als Erkenntnisprozess aus. Lehrende als Wissensträger übermitteln Lernenden als Wissensempfängern Inhalte, die Abbildern (Modellen) entsprechen. Dieser Abbildungsprozess ist allerdings nicht ohne Zwischenschritte und damit Transformation von Inhalten durchführbar, wie der folgende wissenschaftstheoretische bzw. -philosophische Exkurs zeigt. Während der naive Realismus von einer Eins-zu-Eins-Abbildung der Wirklichkeit im Menschen ausgeht, spricht der kritische Realismus bereits von einem durch Vorwissen modifizierten Abbild der bestehenden Wirklichkeit. Die auf dem Neopragmatismus aufbauende Allgemeine Modelltheorie geht noch einen Schritt weiter, indem sie formuliert, dass alle Erkenntnis eine Erkenntnis in Modellen oder durch Modelle ist. Interne Modelle des Menschen zeichnen sich nach Auffassung von Stachowiak (Stachowiak, 1973) durch drei Hauptmerkmale aus: •

Abbildungsmerkmal: „Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale, die selbst wieder Modell sein können.“ (ebenda, S.13)



Verkürzungsmerkmal: „Modelle erfassen im allgemeinen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant scheinen.“ (ebenda, S.132)



Pragmatisches Merkmal: „Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion.

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3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik – – –

für bestimmte erkennende und/oder handelnde Modelle benutzende Subjekte; innerhalb bestimmter Zeitintervalle und unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen.“ (ebenda, S.132f)

„Über die abbildungsgemäße Originalbezogenheit hinaus ist mithin der allgemeine Modellbegriff dreifach pragmatisch zu relativieren. Modelle sind nicht nur Modelle von etwas. Sie sind auch Modelle für jemanden, [...] . Sie erfüllen dabei ihre Funktionen in der Zeit, innerhalb eines Zeitintervalls. Und sie sind schließlich auch Modelle zu einem bestimmten Zweck.“ (ebenda, S.133). Selbst dieser Ansatz, der schon konstruktivistische Züge trägt (vgl. Stachowiak, 1983), folgt dem Abbildungsgedanken. Er sensibilisiert allerdings für die Verantwortung der Modellerschaffenden und den Umgang mit Modellen in einer Vermittlungssituation. Technologischer Machbarkeitsoptimismus Die lehr- und lerntheoretische Didaktik zeichnet sich durch einen hohen Binnendifferenzierungsgrad im so genannten Bedingungs- bzw. Entscheidungsfeld aus. Dieses bis ins kleinste Detail gegliederte Faktorenfeld verführt leicht zu der Annahme, dass eine solche multifunktionale Didaktik Unterrichtsgeschehen präzise planbar macht. Da wir es in Vermittlungssituationen allerdings mit komplexen Sozial- und kognitiven Systemen zu tun haben, ist dies nur bedingt möglich. Im Zusammenhang mit Technik wird dieser Umstand bedeutend, da technische Unterstützungssysteme zur Vermittlung Freiheiten beinhalten müssen, die dem menschlichen Umgang mit Wissen in Vermittlungs- und Erwerbssituationen gerecht wird. Bedeutungstragende Vermittlung Die Vermittlungssituation wird bedeutungstragend angenommen: Das so genannte SenderEmpfänger-Modell der Vermittlungssituation führt zur Vorstellung, dass der codierte Energiestrom (z.B. Schallwellen) bereits vom Sender mit Sinnhaftigkeit versehen wird, die der Empfänger nur aufnehmen muss. Dabei handelt es sich allerdings um einen Vorgang, der noch nicht mit Semantik belegt ist. Vielmehr erfolgt der Austausch auf syntaktisch bestimmter Ebene, die bedeutungstragende Elemente erst möglich macht. Information entsteht nicht ohne entsprechende Bedeutungszuweisung. Steuerung der Wissensvermittlung durch Leistungszeit Im lehrendengesteuerten Unterricht richtet sich die Mehrzahl der Lehrenden-Fragen an alle Lernenden. Überwiegend verlangen diese Fragen Reproduktionsleistungen, wobei es zu einer Frageverdichtung von bis zu 80 Fragen pro 45 Minuten-Unterrichtseinheit kommt. Diese Didaktik ist seitens der Lernenden primär durch Leistungszeit und nicht durch Lernzeit gekennzeichnet (vgl. Frey et al., 1999, S.339-340).

3.2 Grundsätze der objektiven Didaktik

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Vermittlung verbindlicher Wahrheiten Im Sinn des Neopragmatismus kann die Konstruktion von Wissen nur von intentionshomogenen Gruppen in der Zeit und auf Zeit erfolgen. Das bedeutet eine grundsätzliche Absage an alle Wissensmodelle mit raum- bzw. zeitübergreifendem Anspruch. Derartige Modelle gelangen allerdings in vielen Vermittlungssituation (noch) zum Einsatz. Reduktionistische Weltbild-Vermittlung Primär fachlich/fachdidaktisch geprägte LehrerInnen neigen zwangsläufig zu didaktischen Reduktionsprozessen, die ihrerseits zu formelhafter Wissensseparation durch die Lernenden führen. Vermittlung von Antworten Dieser Vorgang im Rahmen der Vermittlung scheint nicht unproblematisch, werden Lernende nicht an Antworten herangeführt. Bereits Martin Wagenschein kritisierte, dass herkömmliche Didaktik den genetischen Lernprozess des Lernenden/der Lernenden missachtet, indem nicht der Dreischritt – vom Phänomen initiierten, umgangssprachlichen Staunen über vorfachliches Formulieren hin zu präzisen Antworten – vollzogen wird (vgl. Wagenschein, 1962). Konsens-Einheit Herkömmlicher Unterricht zielt auf die Vermittlung von Raum und Zeit unabhängigem objektiven Wissen. Diese Vorgehensweise beruht auf einem Erkenntnisbegriff, der Wissen noch als Seinsverhältnis auffasst. Neopragmatismus und Konstruktivismus stellen dem einen multiplen, pragmatischen und intentionalen Erkenntnisbegriff entgegen. Damit kann jede Vermittlungssituation multi-perspektivisch und diskurs-orientiert aufgebaut werden. Perfekte Lösungen Die objektive Didaktik dynamisiert Unterrichtsprozesse in Richtung auf das definierte Unterrichtsziel, wobei den Lernenden pseudo-perfekte Modelle viel zu schnell „übergestülpt“ werden, die häufig nur „Apportiercharakter“ und damit eine zu geringe Nachhaltigkeit besitzen. Kognition ohne Emotion Obwohl sogar in den einschlägigen objektiven Didaktiken immer wieder darauf hingewiesen wird, dass bei der Planung von Unterricht auch die emotionale Dimension zu berücksichtigen ist, so stellt doch die Alltagsdidaktik die kognitive Dimension eindeutig in den Vordergrund. Die objektive Didaktik kann somit durch das Streben nach wohlstrukturierbaren, zeit- und raumentkoppelten Inhalten charakterisiert werden, die in detailliert planbaren Dosen bedeu-

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3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik

tungsgerecht an Lernende vermittelbar sind. Unterschiedliche Systemdynamiken, wie gesellschaftlich bedingte Veränderungen im Umgang mit Information, Relativität von Information zum Anwendungskontext, Präferenzen von Lernenden beim Erschließen von Inhalten (z.B. Frage-Antwort-Sequenzen) etc. können nur bedingt berücksichtigt werden.

3.3

Grundsätze einer reformpädagogischen Didaktik

In der Folge wollen wir einige Grundsätze und Prinzipien einer Didaktik der Reformpädagogik zusammenfassen, um die nachfolgenden Inhalte im Gesamtkontext verständlich zu gestalten. Sie betreffen das praktische Tun, die Selbststeuerung und den kommunikativen Teil des Wissenserwerbs. • Experimentelles Tasten: Insbesondere die Freinet-Pädagogik lässt eine gewisse innere konstruktivistisch-orientierte Struktur erkennen, die sich in der systemischen Vernetzung von Arbeitsbedürfnis, Arbeitsstrukturen, Arbeitstechniken und Arbeitsdokumenten im Lernprozess widerspiegelt (vgl. Hagstedt, 1997). Der Begriff des „experimentellen Tastens“ bei Freinet scheint für eine konstruktivistische Interpretation besonders geeignet zu sein. „Zweifelsohne existieren Gemeinsamkeiten zwischen dem informationstheoretisch geschlossenen Modell der Kognition und dem Modell des tâtonnement experimental. So ist z.B. auch der Theorie des experimentellen Tastens folgend Wissen nicht Abbildung sondern Konstruktion, wobei auch Freinet mit dem Aspekt der Homöostase bzw. der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts die große Bedeutung des subjektiven Faktors, d.h. die jeden Wahrnehmungs-, Interpretations- oder Konstruktionsprozess begleitende subjektiv-interpretative Komponente, herausstellt und damit genau wie Maturana (vgl. Maturana, 1985, S.29f) die Suche nach der Wahrheit und dem Absoluten, nach einer festen und sicheren Welt und nach letztmöglicher Stabilität durch Ausschluss allen Wandels aufgibt.“ (Kock, 2003, S.51) Darüber hinaus lassen sich konstruktivistische Elemente in den in reformpädagogischen Traditionen entwickelten Bereichen Freiarbeit, Wochenplanarbeit, entdeckendes Lernen und handlungsorientiertes Lernen wieder finden. • Selbsttätiges Lernen in anregenden Lernumgebungen: Reformpädagogischer Unterricht öffnet sich gegenüber der Individualität der Lernenden. Nicht mehr die Lernenden haben sich den Bedingungen und Anforderungen der Bildungseinrichtung anzupassen, sondern die Bildungseinrichtung ist aufgefordert, eine möglichst für alle Lernenden lernförderliche Arbeitswelt zu werden (vgl. didaktische Materialien in vorbereiteter Umgebung nach Montessori). Reformpädagogischer Unterricht erfordert die Wahrnehmung und Berücksichtigung der Potenziale der Lernenden. Die didaktische Herausforderung liegt dabei in der Einbeziehung von Erlebnissen und Erfahrungen, von Ängsten, Wünschen und Hoffnungen der Lernenden (z.B. freier Ausdruck bei Freinet).

3.3 Grundsätze einer reformpädagogischen Didaktik

17

Reformpädagogischer Unterricht ist insbesondere durch Handlungsorientierung gekennzeichnet. Die Zielperspektiven heißen hier „Förderung eines positiven Selbstwertgefühls“ und „Förderung kooperativen, solidarischen Handelns“. Entscheidend ist hierbei die Realisierung von Handlungsprodukten, auf die sich Lernende und Lehrende gemeinsam einigen (z.B. pädagogische Situation bei Petersen). (vgl. Werning, 1996) • Lernen in der Gemeinschaft. Vor allem institutionalisierte Erkenntnisprozesse werden für das spätere Leben in menschlichen Gesellschaftssystemen durchlaufen. Daher stellt sich für alle Bildungsverantwortliche die Frage nach der Gestaltung eines entsprechenden Beziehungsgefüges für den Wissenserweb. Peter Petersen hat den Gemeinschaftsbegriff in den Mittelpunkt seiner reformpädagogischen Bemühungen gestellt. „Wie muss diejenige Erziehungsgemeinschaft gestaltet werden, in welcher sich ein Menschenkind die für es beste Bildung erwerben kann, eine Bildung, die seinem in ihm angelegten und treibenden Bildungsdrange angemessen ist, die ihm innerhalb dieser Gemeinschaft vermittelt wird und die es reicher, wertvoller zur größeren Gemeinschaft zurückführt, es ihr als tätiges Glied wiederum übergibt. Oder kürzer: Wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität zur Persönlichkeit vollenden kann.“ (Petersen, 1927, S.7) • Individuelle Lernwege. In fast allen reformpädagogischen Modellen sind ähnliche Schrittfolgen selbst gesteuerten Lernens wieder zu finden: Lernzielprojektion, Lernprozessplanung, Lernprozessrealisierung, Lernprozessreflexion (Metakognition) und Ergebnisevaluation. • Individuelle Lernergebnisse. Die relative Offenheit von projektorientiertem Lernen (Dewey), von Ausgangslernen in pädagogischen Situationen (Petersen), von freien Ausdruckswegen (Freinet), von Lernen mit didaktischen Materialien (Montessori) führt zu individuellen Lernprodukten, die sich in ihrer differierenden Vielfalt zu einem synergetischen Lernergebnis der Gemeinschaft formen. • Ganzheitlichkeit von Lernsubjekt und -objekt. Die ReformpädagogInnen haben durchgängig die ganzheitliche Sicht der Lernenden und des zu Lernenden betont. So steht die Handlungsorientierung in der Arbeitsschulpädagogik von Georg Kerschensteiner im Mittelpunkt pädagogischer Bemühungen. Peter Petersen bringt die Definition von folgenden fächerübergreifenden Lernbereichen ins Spiel: Gott, Natur und Mensch. Maria Montessori thematisiert den Selbstbildungsprozess in der vorbereiteten Umgebung, und Célestine Freinet auf die selbsttätige Schaffung von Ganzheiten durch die Lernenden Wert legt. • Sokratischer Dialog. Ebenfalls das soziale Umfeld und damit die Konzeption der Vermittlung und des Wissenserwerbs spricht der Sokratische Dialog an. Die Konstruktion bzw. erweiternde Konstruktion von inneren Modellen erfolgt auf der Grundlage unterschiedlicher und vielfältiger externer Stimuli und trifft dabei auf komplexe innere Vernetzungsstrukturen, die in keiner Weise einer einschränkenden fachstrukturellen Außenwelt entsprechen. Daraus resultiert der reformpädagogischer Appell an Lehrende: Sie sollten möglichst oft Fragen stellen, die keine präzisen Reproduktionsleistungen erfordern, sondern weit reichende Impulse darstellen, die konstruktiv-produzierende Lernenden-Aktivitäten initiieren.

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3 Objektive Didaktik versus Reformpädagogik

• Individuelle Lernmethoden, Lernrhythmen und Lernprodukte. Der Wissenserwerb ist geprägt vom individualisierten Zugang zu Inhalten und Materialien, wie Hugo Gaudigs Prinzip der freien Tätigkeit zeigt: „Selbsttätigkeit fordere ich für alle Phasen der Arbeitsvorgänge. Beim Zielsetzen, beim Ordnen des Arbeitsganges, bei der Fortbewegung zum Ziel, bei den Entscheidungen an kritischen Punkten, bei der Kontrolle des Arbeitsganges und des Ergebnisses, bei der Korrektur, bei der Beurteilung soll der Schüler freitätig sein. Der freitätige Schüler bedarf keiner Fremdeinwirkung, um den Antrieb zur Tätigkeit zu gewinnen. Er bedarf während der Arbeit keiner Erregung der Kraft von außen, er bedarf nicht der Wegführung, damit er den Weg zur Lösung seiner Aufgaben findet. Das Prinzip der Selbsttätigkeit beherrscht den gesamten Schulkursus, vom ersten bis zum letzten Tag.“ (Gaudig, 1922, S.93) • Entdeckendes und erforschendes Lernen. Problemorientiertes Lernen, z.B. in Projektform, wird von Dewey und andere Reformpädagogen gefordert. Es führt zu einer produktiven Unterrichtssituation, in der die Lernenden konkurrierende Hypothesen entwickeln, die im Praxistest verifiziert oder falsifiziert werden, wobei auch der Weg zu einem nicht passenden Modell hohes Lernpotenzial enthält. „Doch in allen Bereichen des Lernens gilt das Prinzip, dass nicht unbedingt das Wissen, sondern vielmehr das Entdecken und das Forschen für die Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung sind.“ (Eichelberger, 2002, S.54) • Lernen im positiven Lernklima. Bildungsinstitutionen werden als Lebensraum seitens der Lernenden wahrgenommen und als Arbeitsraum für den Wissenserwerb aktiv genutzt. Nicht nur Petersen hat immer wieder gefordert, die Lehr- und Lernanstalt in eine Lebensgemeinschaftsschule umzuwandeln. „Peter Petersen versteht die Schule als „Lebensstätte“ und nicht als Unterrichtsanstalt, weil letztere nur am Schüler interessiert sein kann, der Jenaplan aber an der „ganzen Person“ des Kindes. Der Klassenraum darf nicht länger „Belehrungszelle“ sein, er muss vielmehr zur „Schulwohnstube“ ausgestaltet werden, die den Kindern Geborgenheit bietet und zugleich reiche Möglichkeit zur Erweiterung des Horizonts. Peter Petersen zweifelt energisch daran, ob der „Fetzenstundenplan“ mit seinen permanent expandierenden Fächerkombinationen ein geeigneter Zugang zur Welt für Kinder sein kann. Er entwarf einen „rhythmischen Wochenarbeitsplan“, der die Woche für ein Kind sinnvoll gliedert ...“ (Eichelberger, 2002, S.68) Im Gegensatz zur objektiven Didaktik wird eine reformpädagogische Didaktik vielfältige Strukturen und Dynamik zu lassen, inhaltlich wie sozial. Lernende mit ihren Fähigkeiten zu lernen und als Gemeinschaftswesen Erkenntnisse zu gewinnen, stehen im Mittelpunkt sämlicher Bildungs-und Vermittlungsbemühungen. Das selbsttätige situationsrelevantes Erschließen und Entdecken von Konzepten und Inhalten legt den Grundstein für die Entwicklung von Lernfähigkeiten in Sozialsystemen und damit, die Weiterentwicklung von Gesellschaftssystemen.

4

Der Tag …

Wir freuen uns, liebe Leserin und lieber Leser, dass Sie bei unserer Diskussionsrunde dabei sein wollen. Allerdings erlauben wir uns Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Sie sich bereits im virtuellen Raum befinden. Wir haben diesen virtuellen Veranstaltungsraum, den Sie eben betreten haben, mit Absicht und Voraussicht gewählt. Die meisten unserer Gäste können wir leider nur mehr zu einer virtuellen Veranstaltung einladen. Aber was macht das schon? Auch der virtuelle Raum ist real und genauso ist vieles in unserer realen Welt virtuell und existiert nur in unserer Vorstellung. Wir werden uns wieder einmal „unsere“ Welt konstruieren, sie als wahr betrachten, es aber Ihnen selbst überlassen, in Ihrer eigenen Vorstellungswelt zu bleiben. Einverstanden? Dann dürfen wir Ihnen jetzt nach einer kurzen Einführung unsere extra geladenen Gäste vorstellen, von denen Sie sicher schon gelesen bzw. gehört haben. Alle unsere Gäste sind VertreterInnen einer pädagogischen Richtung, die in der Geschichte der Pädagogik den Sammelbegriff Reformpädagogik bekommen hat. Es sind hier die VertreterInnen der Reformpädagogik versammelt, die auch heute noch mit ihren Modellen und Konzepten Einfluss auf die aktuelle Unterrichts- und Schulentwicklung haben. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sich reformpädagogische Modelle grundsätzlich an Bedürfnissen und Interessen des Kindes und damit an Lernenden orientieren. Eine solche Pädagogik ist verbunden mit dem Verständnis von Lernen als einer aktiven, kreativen, die Selbstständigkeit fördernden, lebensverbundenen und „natürlichen“ Tätigkeit.

4.1

... an dem die ReformpädagogInnen ...

Die Konzeption der Erziehung im reformpädagogischen Denken umfasst den ganzen Menschen mit seinen intellektuellen, physischen, sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Und reformpädagogische Modelle sind intentional Modelle eines guten, harmonischen, partnerschaftlichen Zusammenlebens. Kinder leben und lernen in einem pädagogisch, sozial-ethisch und ästhetisch durchgestalteten Raum und in einer anregungsreichen Lebens- und Lerngemeinschaft. Diesen Kategorien gemäß ist Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart der Versuch, eine „neue Erziehung“ durchzusetzen, die Anschluss sucht an die im Kind selbst angelegten Entwicklungskräfte, an seine Interessen und Bedürfnisse. Die Orientierung an der (kindlichen) Entwicklung ist verbunden mit der Annahme, dass eben in dieser am Kind orientierten Erziehungskonzeption der Schlüssel zu einer besseren Welt läge. Wenn also ein wesentlicher

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4 Der Tag …

„Schwerpunkt der Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart im Bereich der Unterrichts- und Schulreform“ liegt, so ist dieser auch in dem Kontext zu sehen, dass Unterrichtsund Schulreform nach den Modellen der Reformpädagogik einen Beitrag zur Weltverbesserung leisten kann und wird. Fundamental und wesentlich ist in den meisten reformpädagogischen Modellen die didaktische Orientierung an der kindlichen Entwicklung. Die hier versammelten VertreterInnen der Reformpädagogik, die Sie sogleich kennen lernen werden, weisen diese allgemeingültig und durchgängig als am Kind orientierte Pädagogik aus, als eine Pädagogik, die „vom Kinde aus geht“. „Vom Kinde aus“ bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht nur die Berücksichtigung kindlicher Interessen, Bedürfnisse und Entwicklungsphasen. Darüber hinaus stellt die Reformpädagogik den Versuch dar, „gegen die überlieferte, Angst generierende ‚alte’ Erziehung einer demgegenüber ‚neuen’ zum Durchbruch zu verhelfen, die das Glück des Kindes im Auge hat und die Zustimmung des Kindes sucht“. (Skiera, 2003, S.3f) Das Umdenken der hier anwesenden ReformpädagogInnen bezüglich der Aufgabe der Erziehung bestand und besteht nach wie vor in der Gestaltung und Verwirklichung eines am Kind und damit am Lernenden orientierten didaktischen Konzeptes, das in seiner Grundintention auf eine bessere Zukunft hin ausgelegt ist, die durch Erziehung zu erreichen sei. Eine solche Didaktik oder sollten wir zeitgemäß hier eher den Begriff „Mathetik“ verwenden, orientiert sich an der Entwicklung von Lernenden, stellt für diese entsprechende Entwicklungsaufgaben bereit und gibt die Anregungen und Richtlinien für eine reformpädagogische Organisations- und Personalentwicklung, damit zunächst kindliche und später individuelle sowie gesellschaftliche Entwicklung effektiv und konsensual stattfinden kann. Bildung wird in dieser virtuellen Erziehungskonzeption nicht durch die Forderungen der Erwachsenen bestimmt, sondern habe „vom Kinde aus“ zu gehen. Das Wesentliche, Allgemeingültige der Kindorientierung beschreibt Ellen Key in ihrem Buch „Das Jahrhundert des Kindes“: „Die erste Erziehung muss darauf hinzielen, die Individualität des Kindes zu stärken.“ „Vom Kinde aus“ kann dabei von den ReformpädagogInnen konzeptionell durchaus verschieden aufgefasst werden, nicht jedoch in der Grundintention. Eine moderne Bildungsgesellschaft wird von gebildeten Menschen gestaltet, die sich selbst bilden können. Nun zur Vorstellung unserer Gäste, die viele Jahrzehnte nach der Hochblüte der Reformpädagogik wieder einmal zusammen gekommen sind. Halt, das stimmt nicht für alle hier versammelten Gäste. Manche sind einander noch nie begegnet, manche haben intensiv zusammen gearbeitet, manche haben einander Briefe geschrieben. Aber sie haben alle von- und übereinander gelesen. Sie kennen das Modell der jeweils anderen und nach so vielen Jahren reformpädagogischer Entwicklung lässt sich sicher konstruktiv und freundschaftlich anerkennend diskutieren. Wir übergeben nun die Moderation an Ellen Key, die wir gleichsam als Auftaktgeberin der pädagogischen Reformbewegung vorstellen dürfen. Als schwedische Reformpädagogin und Schriftstellerin widmete sie sich neben pädagogischen Fragen auch den Problemen der Frauenemanzipation und stellte schul- und bildungspolitische Forderungen nach einer Gesamtschule als Schule der Zukunft. Diese Schule sollte zur Bildung eines neuen Menschen beitragen. Hier finden wir gleich am Beginn der reformpädagogischen Periode die reformpädago-

4.1 ... an dem die ReformpädagogInnen ...

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gische Idee der Weltverbesserung durch Erziehung wieder. In ihrem Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ lenkte sie die Aufmerksamkeit der ErzieherInnen auf das Kind und die Bedeutung einer Erziehung, die sich an der Entwicklung des Kindes orientiert. Frau Key, wir bitten nun um Ihre Moderation! Ich, Ellen Key, begrüße die hier eingeladenen ReformpädagogInnen und Reformpädagogen recht herzlich und beginne mit der Vorstellung derselben und einer kurzen Einführung in ihre Pädagogik: Wie könnte ich Maria Montessori besser vorstellen als durch eine ihrer Aussagen über die von ihr geschaffene Pädagogik. Ich zitiere: „Es sei wiederholt: Ich habe nicht zuerst diese Grundsätze aufgestellt und nach ihnen dann meine Erziehungsmethode eingerichtet. Gerade das Gegenteil war der Fall. Nur die unmittelbare Beobachtung an Kindern, denen Freiheit gewährt wurde, hat mir bestimmte Gesetze ihres inneren Lebens offenbart, von denen ich später entdeckte, dass sie allgemeine Gültigkeit haben. Die Kinder waren es, die aus eigenem Antrieb den Weg, der zur Kraft führt, gesucht und mit sicherem Instinkt herausgefunden haben.“ (Montessori, Wien o. J., S.3) Maria Montessori bietet ein in sich geschlossenes Modell mit einer klaren didaktischen Struktur, innerhalb derer Kinder an ihrer Selbstbildung arbeiten können. Für diese Möglichkeit der Selbstbildung stellt Maria Montessori eine „vorbereitete Umgebung“ bereit, die dem jeweiligen Entwicklungsalter der Kinder entsprechen wird und in der die Kinder die für ihre Entwicklung notwendigen Entwicklungsmaterialien finden. Mithilfe dieser Entwicklungsmaterialien für die Entwicklung der Sinne, für die Entwicklung der Fertigkeiten des praktischen oder täglichen Lebens, für die Entwicklung des mathematischen Geistes, für die Entwicklung der Sprachfähigkeit des Kindes und für die Entwicklung des naturwissenschaftlichen Geistes lernt das Kind an sich selbst zu arbeiten, den Lernprozess für sich selbst zu bestimmen, Verantwortung zu übernehmen und letztlich, wie Maria Montessori es ausdrückt, „Meister seiner selbst“ zu werden. Dazu bedarf es der Unterstützung der Erziehenden, die das Kind immer wieder anregen und es in diesem Selbstbildungsprozess intensiv begleiten und auch leiten werden. Sie sind es, die die „vorbereitete Umgebung“ immer den Entwicklungsschritten der Kinder anpassen werden, die genau beobachten und den Kindern als Teil der „vorbereiteten Umgebung“ die notwendige professionelle Unterstützung bieten. Sie müssen einerseits das Vertrauen in die Entwicklung der Kinder haben und anderseits selbst so qualitätsvoll in dem speziellen Modell der Montessori-Pädagogik arbeiten können, dass ein hoher pädagogischer Standard gesichert ist. In diesem Fall legt die Montessori-Pädagogik in den Kindern die Grundlage für das notwendige lebensbegleitende Lernen und für die Ausbildung und Ausformung der für die Bewährung in der Gesellschaft notwendigen Schlüsselqualifikationen, wie Initiativkraft, Teamfähigkeit, Verantwortung und Solidarität. Wird die Montessori-Pädagogik richtig angewandt, so bietet diese eine Qualität und eine Aktualität, die bisher kaum überboten bzw. überholt werden konnte.

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4 Der Tag …

Nun zu Helen Parkhurst, die eng mit Maria Montessori zusammenarbeitete. Sie versuchte mit dem Daltonplan, den Schwerpunkt der institutionalisierten Bildung (Schule) auf das Lernen und nicht auf das Lehren zu verlegen. Im herkömmlichen Unterricht ist es die Aufgabe der Lehrenden, darauf zu achten, dass die SchülerInnen lernen. Ein wesentliches Prinzip des Dalton-Unterrichts ist es aber, dass die Lernenden selbst verantwortlich für ihre Arbeit und ihren Fortschritt sind. Der Unterricht wird so abgehalten (Pensen, Wahlmöglichkeiten, assignments, ...), dass die SchülerInnen verstehen, dass das Lernen ihre Sache ist und nicht die der LehrerInnen. Den Lernenden Verantwortung für ihr Tun und ihr Leben in der Schule zu geben, prägt ebenso deren Selbstvertrauen sowie ihre Fähigkeit, initiativ für sich selber zu werden. Die dem Wesen des Daltonplanes nach zentrale erzieherische Leistung verweist auf ein auch in unserem System noch bestehendes Defizit: ..., dass sich die Heranwachsenden in konstruktiven Problemlösungen als lernfähig erfahren können. Einen weiter gefassten Rahmen dieser Lernfähigkeit bilden bei Helen Parkhurst die Begriffe „Daseinsbewältigung“ und „Lebenstüchtigkeit“. Helen Parkhurst ging bei der Schaffung des Daltonplanes von der Hypothese aus, dass jeglicher Lernfortschritt aus der Eigenaktivität der Lernenden entspringen muss. Dieser Punkt bereitet unter Umständen manchen PädagogInnen in ihren Vorstellungen Schwierigkeiten. Ist es doch nicht leicht, die Eigenaktivität der Lernenden zum Prinzip zu erheben und doch die pädagogische Steuerung des Unterrichts nicht außer Acht zu lassen. Hier ergibt sich vor allem für die LehrerInnen ein überaus spannender Lernprozess. Jede reformpädagogische Richtung bietet eine oder mehrere Stärken, Schwerpunkte, Entwicklungschancen und beinhaltet sicher auch Schwächen. Peter Petersens JenaplanPädagogik darf ich hier, liebe LeserInnen, als dezidiertes Schulentwicklungskonzept darstellen, in dessen Mittelpunkt der Erziehungsgedanke durch die Gemeinschaft steht. Die Bildung des Menschen erfolgt in der Jenaplan-Pädagogik in den Bildungsgrundformen „Spiel“, „Gespräch“, „Arbeit“ und „Feier“. Die Kinder gehören nicht mehr einer Klasse von altersgleichen Kindern an, sondern einer Stammgruppe, in die Kinder von drei unterschiedlichen Jahrgängen (Lehrling, Geselle, Meister) gehen. Es ist die Erziehungsgemeinschaft, die den heranwachsenden Menschen bildet und formt. Diese Erziehungsgemeinschaft wird von den Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören, gebildet und bestimmt, also den Eltern, LehrerInnen und Kindern. Gelernt und gearbeitet wird in der Jenaplan-Pädagogik nach einem Wochenarbeitsplan, in dem die Bildungsgrundformen in rhythmischer Reihenfolge aufscheinen. Dieser Wochenarbeitsplan ersetzt auch den herkömmlichen Stundenplan. Lernorte für die selbstständige Arbeit sind oft die Bibliothek und das so genannte Dokumentationszentrum. Durch die flexible Struktur bestehend aus Stammgruppenarbeit und Kursen gibt es in der Jenaplan-Schule auch kein „Sitzenbleiberelend“ mehr – eine originäre Wortschöpfung unseres Kollegen Peter Petersen. Abschließend möchte ich noch den pädagogisch integrativen Charakter der Pädagogik Peter Petersens betonen. Nichts, absolut gar nichts spricht dagegen in einer Jenaplan-Schule selbst bestimmte und selbsttätige Arbeit nach der Montessori-Pädagogik einzurichten, ja mehr noch es wäre diese Kombination eine wesentlicher Entwicklungsschritt hin zu einem kindgerechten und modernen reformpädagogischen Konzept. In einem weiteren oder anderen Entwick-

4.1 ... an dem die ReformpädagogInnen ...

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lungsschritt könnten ebenso Elemente der Freinet-Pädagogik in das Konzept JenaplanPädagogik aufgenommen und integriert werden. Ich komme nun in dieser Vorstellungsrunde zu Herrn Freinet. Auch Célestin Freinet stellte in der nach ihm benannten Freinet-Pädagogik die selbst bestimmte Arbeit mit strukturierten Arbeitsmitteln in das Zentrum des Lernens und Lebens in einer Schule, die so weit wie Schule dazu imstande ist, Modell eines demokratisch ausgerichteten Schullebens zu sein hat. Mitbestimmungen der Kinder erfolgen in einem Klassenrat und in einem Schulrat. Diese Mitbestimmung ist Teil einer wichtigen pädagogischen Intention Célestin Freinets, das Leben in die Schule herein zu nehmen und dem in der Schule Gelernten „Lebensbedeutung“ zu geben. Schreiben erfolgt daher nicht um des Schreibens willen, sondern im Sinn der schriftlichen Mitteilung und auch mit dem Ziel des Bewirkens. Geschriebenes soll demgemäß gelesen und daher publiziert werden, es soll in der (Arbeits-)Bibliothek zur Verfügung stehen. Arbeit geschieht nicht um der Arbeit willen, sondern zielgerichtet und die Arbeitsprodukte stehen anderen Menschen zur Verfügung. Gelernt und gearbeitet wird in Ateliers, die die Kinder mit den LehrerInnen in den Klassen einrichten. Kommuniziert und korrespondiert wird über moderne Kommunikationsmedien, wie e-mail und Internet. Arbeit ist in der Freinet-Pädagogik nach „wirkliches Tun“. Célestin Freinets Prinzipien wie „Leben in der Schule“, „Arbeit“, „sinnvolles Lernen“, „Freiheit“ und „Verantwortung“ fanden später in der Existenzpsychologie Viktor Frankls eine begriffliche wie auch eine inhaltliche Entsprechung. Die menschliche Verwirklichung geschieht nach Viktor Frankl im wirklichen Tun in der Welt und im Leben. Dieses Tun beschreibt Viktor Frankl in einem schöpferischen, Sinn suchenden und Sinn findenden Tun in geistiger Freiheit, gebunden durch die Verantwortung. Das Sinn-Finden in der eigenen Arbeit ist eine spezifisch humane Motivation des Menschen. Eine Pädagogik, die zur Sinn-Erfüllung des Menschen anleitet, erfüllt eine wesentliche Aufgabe der Menschenbildung und damit das pädagogische Postulat, dass Schule in einer Bildungsgesellschaft zu einem Sinn erfüllten Leben zu führen hat. Last but not least begrüße ich nun Martin Wagenschein. Seinen Ideen nach sollten wir an den Phänomenen, möglichst nah am wirklichen Leben, lernen können. Wenn wir die Schule schon nicht in allen Fällen verlassen können, so müssen wir uns immer wieder die Fragen nach der für die pädagogischen Vorhaben geeigneten „vorbereiteten Umgebung“ stellen. Fragen, die Martin Wagenschein als Reformpädagogen ausweisen: • Sind die für die Entwicklung der Fähigkeiten der Lernenden notwendigen Arbeitsmaterialien vorhanden? • Bin ich als Lehrperson ein entsprechender Teil dieser „vorbereiteten Umgebung“ und in der Lage den Lernenden zu helfen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln? • Können Lernen und Entwicklung auch in einem entspannten Feld stattfinden? • Ist ein für die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit geeigneter Rahmen geschaffen worden (auch in sozialer Hinsicht)? • Über welche Fähigkeiten muss eine Lehrperson verfügen, um helfen zu können? Das von Martin Wagenschein gedachte Modell eines exemplarischen Unterrichts regt an zu einem radikalen Umdenken: Wenn wir über die Anordnung des Lehrstoffes nachdenken, so

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4 Der Tag …

denken wir meist linear. Wir denken darüber nach, was zuerst gelehrt und gelernt werden kann und soll und was – für uns logischerweise – anschließend gelehrt und gelernt werden kann und soll. Martin Wagenschein stellt hingegen die Frage in den Vordergrund, was denn so wesentlich sei, dass es gelehrt und gelernt werden soll und wie auch das „Wesentliche“ in dem großen Angebot an Lehr- und Lernstoff gefunden werden kann und als wesentliches Beispiel gelehrt und gelernt werden kann. Also: Was ist das Wesentliche an der Mathematik, oder wie unser Gast Martin Wagenschein formulieren würde: „Was ist das Mathematische an der Mathematik?“

4.2

... mit e-learning begannen

Ich danke den anwesenden ReformpädagogInnen für die Bereitschaft an dieser Arbeits- und Diskussionsrunde teilzunehmen. Ich werde die TeilnehmerInnen bitten, aus einer heutigen und aktuellen Perspektive einen Blick auf ihre reformpädagogischen Modelle zu werfen und sie damit auch ersuchen vielleicht eine andere Perspektive als die gewohnte einzunehmen. Ich wünsche uns allen ein erbauliches Gespräch und ein wertvolles Studieren und werde Sie nun, liebe ReformpädagogInnen mit der durchaus persönlich gemeinten Frage konfrontieren, die Sie nach einem intensiven Studium für unsere LeserInnen beantworten mögen. Bitte beachten Sie, dass ich Ihnen diese Frage jetzt nur für Ihre Orientierung stelle und dass Sie diese zum jetzigen Zeitpunkt klarer Weise noch nicht beantworten können! Ich bitte Sie, sich mit folgender Frage vertraut zu machen: „Würde ich, Maria Montessori, ausgehend von meinem Modell der Montessori-Pädagogik heute e-learning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ „Würde ich, Helen Parkhurst, ausgehend von meinem Modell der Daltonplan-Pädagogik heute e-learning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ „Würde ich, Peter Petersen, ausgehend von meinem Modell der Jenaplan-Pädagogik heute elearning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ „Würde ich, Martin Wagenschein, ausgehend von meinem Modell des Exemplarischen Lehrens und Lernens heute e-learning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ „Würde ich, Célestin Freinet, ausgehend von meinem Modell der Freinet-Pädagogik heute elearning befürworten und eine Lehr- und Lernplattform wie Scholion nutzen?“ Um diese Frage beantworten zu können, bitte ich sie um einige Minuten Aufmerksamkeit. Sie werden jetzt Scholion kennen lernen und damit auch Wesentliches zu e-learning erfahren. Achtung: Wir ersuchen Sie in der Folge auch Scholion für Ihre weiteren Studien zu benutzen, damit Sie auch praktisch einschätzen können, ob Sie Scholion unterstützen würde! Unser langjähriger Praktiker und Experte für e-learning wird Sie nun in Scholion einführen.

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Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform

Es ist mir eine große Ehre, Ihnen die Lehr- und Lernplattform Scholion vorstellen zu dürfen. Dazu möchte ich aber zunächst einige grundlegende Gedanken zu Lehr- und Lernplattformen darlegen. Sehr häufig wird gefordert, eine Lehr- und Lernplattform sei so zu konstruieren, dass jede/r Lernende sofort damit umgehen kann. Dies ist ein großer Trugschluss. Wenn eine Lehr- und Lernplattform so konzipiert ist, dass wir sie ohne Einlernphase nutzen können, müssen wir nach ihrem didaktischen Mehrwert fragen bzw. ob in diesem Fall nicht eher traditionelle Lerntheorien Pate standen. Diese Befürchtung wird noch zusätzlich durch die Tatsache verstärkt, dass die meisten Lehr- und Lernplattformen von TechnikerInnen und nicht von PädagogInnen und ExpertInnen für Weiterbildung entwickelt werden. Die Lehrenden hätten dann die Sisyphusarbeit zu leisten, eine sinnvolle Didaktik einzubinden, was kaum möglich ist. Hier – in meiner Einführung in die Lehr- und Lernplattform Scholion – möchte ich daher versuchen, eine Verbindung zu Ihren reformpädagogischen Konzepten und pädagogischen Ideen herzustellen. Versuchen wir die von Ihnen entwickelten Konzepte der Reformpädagogik im Unterricht umzusetzen, ist dies nur möglich, wenn sich die Lehrenden intensiv mit diesen auseinander setzen. Literatur will gelesen sein, mit eigenen Gedanken verbunden werden und Schritt für Schritt nachvollzogen, wie Sie, werte ReformpädagogInnen Ihr Konzept, Ihr Modell entwickelt haben. Nur so können schrittweise Zusammenhänge verstanden werden. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Mit kleinen Schritten beginnen wir erste Erfahrungen zu sammeln, indem erste Ideen aus Ihren Konzepten im Unterricht umgesetzt werden. Durch die tägliche Routine gewinnen wir mit diesen kleinen Schritten an Sicherheit und können weitere Schritte setzen, d.h. das eigene Konzept wird erweitert und weitere Gedanken, Verfahren und methodische Aspekte Ihrer Konzepte fließen in den Unterricht ein. Es wäre verwegen zu denken, dass Lehrende das Konzept von Ihnen, Frau Montessori, oberflächlich lesen und anschließend sofort im Unterricht umsetzen könnten. Sie selbst haben jahrelang daran gearbeitet, Ihr Modell zu entwickeln. Dasselbe gilt auch für Ihre Modelle, Frau Parkhurst, Herr Freinet und Herr Petersen. Die Sicherheit in der Umsetzung der Konzepte gewinnen Lehrende wie Lernende durch das Tun, die tägliche Auseinandersetzungen damit. So können sie Schritt für Schritt das Konzept im Laufe der Jahre immer mehr verfeinern, verbessern und weiterentwickeln. In diesem Zusammenhang gefällt mir Ihr Gedanke,

26 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform Herr Freinet, den Sie in Ihrer Schrift „Die Lebensweisheiten des Schäfers Mathieu“ festgehalten haben: „Geht vorsichtig vor, indem ihr solange wie möglich, die sicheren alten Pfade benutzt, indem ihr euch vor dem anstrengenden Weg, der zu den Gipfeln führt – wie bei den Kreuzwegen –, auf abgesteckten Rastplätzen ausruht. Geht die Schwierigkeiten an, ohne eure Hände loslassen, fest an die Seilschaft gebunden, die euch nicht ohne eine gewisse Härte auf festen Boden zurückführt, falls dies notwendig ist. Von dort aus könnt ihr dann erneut zur unvermeidlichen Eroberung aufbrechen.“ (Freinet, 1998, S.73) Ich denke, dass dies ein notwendiger Aspekt ist, um Vertrauen in ein neues Lernen zu gewinnen, neues Lernen deshalb, da sich beim e-learning besonders die Kommunikationsformen dramatisch ändern. Auch erfordert das Studium auf einer Lehr- und Lernplattform eine ganz andere Auseinandersetzung mit den Inhalten, da sehr viel Selbstdisziplin beim elearning erforderlich ist. Bisher wurde über Bücher, Skripten, eventuell auch über audiovisuelle Medien gelernt. Die Lernenden haben sich sehr häufig die Gedanken anderer angeeignet, sich jedoch selten mit diesen so intensiv auseinander gesetzt bis zu jenem Punkt, wo sie in Auseinandersetzungen mit anderen Lernenden eigene neue Wissenskonstrukte generiert haben. Die Arbeit mit Scholion, diesen Anspruch erhebe ich für eine Lehr- und Lernplattform, bedeutet, dass • das eigene Lernen im Zentrum steht, • es kooperative Lernprozess gibt und • die BenutzerInnen, die Lernenden, neben den inhaltlichen Auseinandersetzungen zusätzlich Kompetenzen erwerben, die für die Jugend von heute bereits häufig zum täglichen Leben zählen. Ich spreche bei letzterem vom Umgang mit digitalen Medien. Für immer mehr Heranwachsende stellt dieser eine Selbstverständlichkeit dar, für viele Lehrende jedoch nicht! Letzthin habe ich einen sehr interessanten Begriff gehört, der diese Tatsache verdeutlicht: Es wird schon von den Native-ITs (IT=Information Technology) gesprochen, d.h. die Generation von Kindern, die heute die Schule besucht, wächst in dieser digitalen Welt auf. Die zurzeit tätige Erwachsenen-Generation hingegen zählt zu den „IT-Immigranten“. Der Umgang mit Computer-Systemen war nicht von Anfang an ein Grundbestandteil ihrer Lebensgeschichte. Für die Kinder und Jugendlichen von heute hingegen ist der Computer ein Bestandteil ihres Lebens wie für Erwachsene der Fernseher, mit dem sie bereits aufgewachsen sind.

5.1

Vermitteln und Lernen

Wir sollten uns also von der Illusion verabschieden, dass eine Lehr- und Lernplattform so einfach gebaut sein kann, dass wir einsteigen und loslegen können. Dies ist nur der Fall, wenn Lernen vor allem aus einer „Konsumhaltung“ verstanden wird. Dies bedeutet, dass die Lernenden Dokumente ‚herunter laden’ und Prüfungsfragen beantworten.

5.1 Vermitteln und Lernen

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Lernen im Netz bedeutet jedoch erheblich mehr: Lernen muss ein Selbsterfahrungsprozess sein. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten muss sichtbar werden und kann sich nicht auf eine Diskussion in einem Forum reduzieren. Wir müssen uns bewusst sein, dass Lernen über das Internet beziehungsweise in allen digitalen Formen neue Herausforderungen für die Lernenden darstellen. „Es wird bisher noch selten erkannt, dass der mit dem e-learning verbundene paradigmatische Wechsel zum selbst organisierten und kooperativen Lernen nicht bloß der Übergang zu einer angemessenen lernenden Nutzung eines neuen Mediums ist, sondern vielmehr die Herausbildung einer neuen Kultur des Lehrens und Lernens erfordert.“ (Zimmer, 2003, S.2) Die Lernenden müssen sich neben inhaltlichen Auseinandersetzungen noch weitere Kompetenzen aneignen, die für die Native-ITs eine Selbstverständlichkeit darstellen. Dazu gehören einfache Kompetenzen im Bereich des Umgangs mit dem PC wie Text- und Bildverarbeitung, der Umgang mit dem Internet, neue Formen der Kommunikation, auch Lernen in der Gruppe, die über das Internet kommuniziert, diskutiert, gemeinsame Dokumente entwickelt und neue Formen der Interaktion. Aufgrund der Erfahrungen, die wir gemacht haben, können wir der oben erwähnten Aussage von Herrn Freinet zustimmen, wenn es darum geht, sich mit einer Lehr- und Lernplattform vertraut zu machen, die konstruktivistischen Grundsätzen gerecht werden soll. Nur in kleinen Schritten ist es möglich, sich eine solche Lehr- und Lernplattform zu erschließen. Dazu ist ein Lernverständnis notwendig, das ganz im Sinn Ihrer pädagogischen Grundgedanken die Menschen zu einem eigenverantwortlichen, selbstaktiven, auch handlungsorientierten Lernen führt. Diese Haltung gilt auch für die Lernenden auf einer Lehr- und Lernplattform und diesem Anspruch versucht die Lehr- und Lernplattform Scholion gerecht zu werden. Im Folgenden werde ich Ihnen nun Scholion vorstellen, wobei ich mich nicht in den Details verlieren möchte, die zum Standard moderner Lehr- und Lernplattformen gehören (Anmeldung, Visitenkarte etc.). Scholion kann nicht als abgeschlossenes Projekt betrachtet werden, da die Entwicklung von der Didaktik her – und das erachte ich als grundlegend, also nicht von der Technik her – betrieben wird. Dabei geht es nicht darum, ständig die neueste Entwicklung zu implementieren, sondern vielmehr die Frage zu stellen: Was brauchen und wollen Lehrende und Lernende zur Umsetzung reformpädagogischer Vorhaben? Anders formuliert: Wie kann auch technisch an den Notwendigkeiten einer aktiven, eigenverantwortlichen, die eigenen Kompetenzen erheblich erweiternden Lernphilosophie festgehalten werden? Diesem Anspruch muss die Weiterentwicklung gerecht werden. Ich denke auch daran, wie es Ihnen mit der Entwicklung Ihrer Konzepte ergangen ist. Diese sind nicht über Nacht entstanden, sondern wurden im Laufe der Jahre entwickelt – auch in einem intensiven Austausch über ihre Pädagogik untereinander, wie beispielsweise bei Herrn Freinet und Herrn Petersen über Briefverkehr. Hier könnte ich viele Beispiele anführen, die zeigen, wie insbesondere durch diese intensive Kommunikation die eigenen Konzepte immer wieder überarbeitet und angepasst wurden, wenn dies notwendig erschien. Ähnlich verhält es sich mit der Lehr- und Lernplattform Scholion. Durch den konkreten Einsatz in der Ausbil-

28 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform dung sowie Fortbildung haben sich immer wieder neue Notwendigkeiten gezeigt, die technisch gelöst wurden oder noch werden. Ich möchte Ihnen nun kurz erläutern, wie Scholion in seinen besonderen Teilen funktioniert, damit Sie sich selbst ein Bild davon machen können. Anschließend wollen wir darüber diskutieren, wie bzw. welche methodischen und didaktischen Teile Ihrer Konzepte für e-learning einsetzbar sind, da ich immer von dem Ansatz ausging, dass wir bereits durch Ihre Konzepte viele Antworten verfügbar haben, wenn es sich um einen mehrwertbringenden Einsatz von e-learning-Instrumenten handelt. Wenn Sie nun in der Lehr- und Lernplattform Scholion einsteigen (Sie können sich dort über einen Gastzugang einloggen – www.blikk.it), kommen Sie auf eine Einstiegsseite. Dort finden Sie zurzeit folgende Elemente vor:

Abb. 5.1: Infoboard, Kurse, Kommunikationswerkzeuge

Das Infoboard ist mit einem schwarzen Brett vergleichbar, wo Sie als LeiterIn einer Gruppe, als Lehrende/r oder ModeratorIn Informationen weitergeben, die für Ihre Lerngruppe wichtig sind. Scholion besteht aus zwei großen Teilen: 1. die inhaltliche Seite und 2. die kommunikativ-kooperative Seite.

5.1 Vermitteln und Lernen

29

Zunächst möchte ich mich auf die Arbeit mit den Inhalten konzentrieren, da diese Tätigkeit ein Markenzeichen dieser Lehr- und Lernplattform ist und in der didaktischen Umsetzung sehr viele Gedanken aus Ihren Konzepten bereits enthält. Wir haben diese für unsere Fortbildungen als Grundlage benutzt haben. Wir betrachten beispielsweise assignments von Ihnen, Frau Parkhurst, als wertvolles Instrument für diese Arbeit, da sie vor allem jene unterstützen, die noch wenig oder gar keinen Zugang zu dieser Art des Lernens besitzen. Wie das didaktisch-methodische Konzept zu den Inhalten aussieht, erfahren Sie später, und zwar bei der theoretischen Fundierung der Lehr- und Lernplattform. Es gibt einen erheblichen Unterschied zu anderen Lehr- und Lernplattformen, da der Bildschirm selbst zur Arbeitsoberfläche wird. AutorInnen von Lernmaterialien bzw. Lehrende bereiten Inhalte so auf, dass Lernende direkt darauf einwirken können, und zwar durch • • • •

eigene Annotationen, Markierungen, links ins Web, Diskussionsbeiträge und auch von dort zu einzelnen Stellen in den Inhalten, durch Referenzen innerhalb des jeweiligen Kurses, wodurch ein eigener Hypertext entsteht.

Somit werden die Lernenden zu KonstrukteurInnen neuer Inhalte, ausgehend von einem Basistext oder Basisinhalt, den die/der Lehrende zur Verfügung stellt. Dies geschieht in so genannten Sichten (stellen Sie sich eine Folie vor, auf der Sie schreiben), die zunächst nur der/dem Lernenden gehören. Sie/Er entscheidet dann auch, ob diese neuen Inhalte für die Lehrenden und die Lerngruppe oder auch allen frei geschalten, d.h. zugänglich werden. Sie dienen als Diskussionsgrundlage sowohl im Rahmen der asynchronen Kommunikation im Forum als im Rahmen der synchronen Kommunikation im Chat. Die/Der Lernende muss aktiv darauf arbeiten und trägt die Verantwortung, dass nicht nur gelesen (konsumiert) wird. Die große Bedeutung liegt in der didaktisch sinnvollen Aufbereitung der Inhalte und ist sicher ein Punkt, der vielen AutorInnen (Lehrenden) einiges abverlangt, da die gesamten Inhalte nach vermittlungsrelevanten Kriterien zerlegt und aufbereitet werden müssen. Die Inhalte werden modular aufgebaut und stehen den Lernenden nach Freischaltung zur Verfügung. Dazu gibt es dann auch immer Foren und Chats für die Lerngruppen. Entscheidend ist, dass die Lernenden für sich selbst entscheiden, ob sie die Texte als Fließtext in der linearen Struktur betrachten oder ob sie über Ihre Pädagogik eher nach einzelnen Kapiteln bzw. gar nach den kleinsten gedanklichen Einheiten vorgehen und sich auf diesem Weg die entsprechenden Strukturen selbst entwickeln. Für Neulinge ist es selbstverständlich – ganz im Sinn von Herrn Freinet (siehe oben „Die Lebensweisen des Schäfers Mathieu“), dass sie meist die lineare Struktur nutzen werden, um sich dann mit der zunehmenden Kompetenz des Arbeitens auf der Lehr- und Lernplattform immer mehr für offenere Zugänge entscheiden werden. ExpertInnen hingegen werden vermutlich von Anfang an ihren eigenen Weg im Umgang mit den Inhalten wählen.

30 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform

Abb. 5.2: Lernbereich

Auf der linken Seite sehen Sie die Struktur des Moduls mit den entsprechenden Titeln. Die Lernenden können hier entscheiden, ob sie • den gesamten Fließtext, • ein Kapitel oder nur • eine gedankliche Einheit sehen wollen, um damit zu arbeiten. Für den ersten Schritt hat es sich bewährt (gemäß der Macht der Gewohnheit), den gesamten Text auszudrucken. In der Mitte sehen Sie eine gedankliche Einheit, den so genannten Knoten. Dazu wird der ursprüngliche Text vom/von der Lehrenden zerlegt und neu strukturiert, da jede gedankliche Einheit einem Blocktyp (z.B. Definition, Beispiel, Interaktion usw.) zugeordnet wird. Oben rechts sehen Sie die Bearbeitungswerkzeuge: drei Farben für Markierungen, vier Möglichkeiten links zu setzen (externer link, Referenz, zum Diskussionsforum, zum Infoboard), weiters Menüs für die drei Ebenen, die inhaltlich möglich sind (Folienansicht; Volltext, der der Standardansicht entspricht; Zusatzinformation). Die BenutzerInnen können selbst entscheiden, welche sie benutzen möchten und schließlich den Namen der Sicht, die soeben benutzt wird, sei es die eigene oder eine, die von anderen TeilnehmerInnen frei geschalten wurde. Das Prinzip der Sichten ist ein grundlegendes Merkmal von Scholion, das für die BenutzerInnen zunächst nicht leicht fassbar ist. Wir können uns eine Sicht als eine Folie vorstellen, die über den Text oder den Inhalt einer Lerneinheit oder Moduls gelegt wird und auf der direkt geschrieben werden kann. Die BenutzerInnen können an fast jeder Stelle des Inhalts

5.1 Vermitteln und Lernen

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(diese wird Knoten genannt) ihre Annotationen, Markierungen, links usw. setzen. Überspitzt formuliert ist es sogar möglich, auf diese Weise z.B. orthografische Fehler zu korrigieren. Es besteht weiters die Möglichkeit, dass eine Person unterschiedliche Sichten anlegen kann, also mehrere Folien unabhängig voneinander über den Inhalt gelegt werden können. Diese erhalten jeweils einen neuen Namen, und können somit gespeichert werden. Eine Sicht ist immer für eine Menge an zusammengehörigen Lerneinheiten, genannt Modul, verfügbar. Eine leere Folie wird bereits beim Öffnen des Moduls mitgeliefert. Sie wird als Standardsicht bezeichnet. Sie kann bereits Annotationen enthalten, etwa vom Lehrenden mit Handlungsoder Beoachtungsaufforderungen im Sinne der vorbereiteten Umgebung von Maria Montessori. Diese Sicht kann unmittelbar zum Weiterarbeiten verwendet und unter einem eigenen Namen gespeichert werden. Solange eine Sicht für andere nicht frei geschalten wird, kann sie niemand, auch nicht die Lehrperson, sehen. Verwenden Lernende oder Lehrende die Textannotationen, besteht die Möglichkeit, Texte aus anderen Quellen einzufügen, z.B. aus einer Textverarbeitung. Entscheidend für gute Arbeit ist jedoch das Freischalten der Sichten, denn sie bilden die Grundlage für Diskussionen.

Abb. 5.3: Sichten und Annotationen

Im Beispiel sehen wir Textannotationen eines Lernenden, der sich mit dem Arbeitsunterricht auseinandergesetzt hat. Dabei handelt es sich um ein Zitat, wie Sie rechts sehen können. Der Lernende hat nun den Text für sein Verständnis weiterentwickelt. Dazu hat er verschiedene Ergänzungen und Kommentare verfasst.

32 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform Wo aber liegt nun der große Vorteil dieser Arbeitsweise? Wenn bei einem Kurs mit verschiedenen Dokumenten gearbeitet wird, ist es ein sehr mühsames Unterfangen, an diese Texte direkt heranzugehen mit der Freiheit, diese auch verändern zu können und eine neue Konstruktion daraus zu entwickeln. Noch schwieriger wird es, wenn daraus ein Abbild eines vernetzten Denkprozesses werden soll. Die nächste Schwierigkeit taucht auf, wenn es darum geht, dass die Lernenden zusätzlich die Möglichkeit erhalten sollen, darüber online zu diskutieren. Dies alles lässt sich mit dieser Art der Aufbereitung sehr leicht bewerkstelligen – vorausgesetzt, die Lernenden sind bereit, die notwendigen Lernschritte zu machen. Dazu zählt auch am Bildschirm zu arbeiten und Ergebnisse für andere frei zu schalten. Es ist keine Selbstverständlichkeit und es scheint fast so, als ob es dazu einen bestimmten Mut vor allem bei Erwachsenen braucht. Das Verfahren ist dann aber sehr einfach. Zunächst erarbeiten die Lernenden ihre Inhalte, machen Markierungen, Annotationen, Kommentare und erstellen links nach außen oder Referenzen zu den anderen Modulen oder Inhalten, die online verfügbar sind. In einem nächsten Schritt wird die Sicht für die Lerngruppe durch eine Freischaltung verfügbar gemacht und kann nun von allen Mitgliedern begutachtet und kritisch beleuchtet werden. Die Gruppe wird sich aus dieser Überarbeitung, oder besser: neuen Wissenskonstruktion, je nach Umfang einen Teilaspekt bestimmen, um darüber zu diskutieren. Dazu erfolgt zunächst die Diskussion im Diskussionsforum. Dort kann jede/r TeilnehmerIn links auf bestimmte Textstellen setzen, damit die Lerngruppe gleich die richtige Stelle findet.

Abb. 5.4: Verknüpfung von Inhalt und Kommunikation

5.1 Vermitteln und Lernen

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Neben den persönlichen Sichten der/des einzelnen Lernenden gibt es auch so genannte Gruppensichten, die eingerichtet werden, um einer Gruppe die Möglichkeit zu bieten, ein Dokument gemeinsam zu erstellen. Dies ist dann bereits eine Arbeitsweise, die einige Kompetenz im Umgang mit den verschiedenen Möglichkeiten der Lehr- und Lernplattform und auch im Prozess des kooperativen Lernens voraussetzt. Die Herausforderung bei dieser Arbeit liegt sicher in einem anderen Verständnis von Lernen, wobei es besonders bei Ihnen als ReformpädagogInnen immer zentral war, dass die/der Lernende sich so entfalten kann, wie es die Umstände des Individuums zulassen. Gleichzeitig aber wird auch immer gefordert, dass sich die Lernenden in einem Lern- und Entwicklungsprozess weiter entwickeln können und dort Hilfe erhalten, wo sie gebraucht wird. Daher sollten solche Lernprozesse auf der Lehr- und Lernplattform unbedingt von ModeratorInnen begleitet werden. Ein weiteres wichtiges Werkzeug in Scholion ist das Glossar. Seine Besonderheit bei Scholion liegt darin, dass dieses auch als Lerninstrument zur Unterstützung individueller Erkenntnisprozesse eingesetzt werden kann. Üblicherweise wird ja ein Glossar von ExpertInnen erstellt und steht dann als globale Orientierungshilfe zur Verfügung. Auf der Lehr- und Lernplattform hingegen hängt der Einsatz des Glossars von den Berechtigungen ab, die vergeben werden. So ist es möglich, den Lernenden die Möglichkeit zu bieten, ein eigenes Glossar zu entwickeln, das beispielsweise für eine Lern- oder Projektgruppe von Bedeutung ist. Auf diese Weise kann ein gruppenspezifisches Glossar entstehen, das nicht nur ausbaufähig ist, sondern eben jene Begriffe beinhaltet, die die Gruppe für die Wissensgewinnung als erforderlich befunden, selbst erstellt hat, und somit für die Gruppe stimmig ist. Aus didaktischer Sicht wertvoll ist der Einblick für LernbegleiterInnen, da das Glossar Rückschlüsse zulässt, in welchem Ausmaß ein Gebiet von den Lernenden bereits erschlossen werden konnte. Ich weiß, dass besonders Sie, Herr Freinet, immer wieder neueste Entwicklungen für Ihr Konzept getestet haben, und versucht haben für Ihre Arbeit zu adaptieren. So haben Sie ja auch den programmierten Unterricht erprobt, sich jedoch sehr schnell dagegen ausgesprochen. Hier dürfte nun ein Werkzeug zur Verfügung stehen, das Ihren Vorstellungen vielleicht doch entgegen kommen könnte. Neben der Individualisierung im Lernen spielt nämlich der wechselseitige Austausch von Information eine entscheidende Rolle. Dazu werden heute Werkzeuge verwendet, die einen kontextsensitiven Austausch von Information sowie fokussierte Diskussionen zwischen Personen, die voneinander räumlich entfernt sein können, ermöglichen. Dies, ohne den jeweiligen situativen Handlungskontext vernachlässigen. Er wird durch die Plattformkonstruktion evident gehalten und bei jedem Zugriff mitgeliefert! Damit möchte ich auf den zweiten wichtigen Aspekt der Lehr- und Lernplattform zu sprechen kommen.

34 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform

5.2

Kommunikation und Kooperation

Für den interaktiven Austausch von Information und die Zusammenarbeit mit andern BenutzerInnen stehen in Scholion (asynchrone und synchrone) Hilfsmittel wie • Diskussionsforen und • Chat zur Verfügung. Beide möchte im praktischen Einsatz in der Folge vorstellen. Im Piloteinsatz sind Videokonferenzen, Whiteboards und ein Werkzeug zur Erstellung von gemeinsamen Mind- und Concept Maps. Zunächst gehe ich auf die Arbeit mit Diskursforen ein, da sie aufgrund ihrer Struktur die reformpädagische Gestaltung von Lernszenarien gut unterstützen und TeilnehmerInnen reflektiert erlauben, ihre Beiträge zu formulieren und zu positionieren. Auch sind die meisten NutzerInnen mit dieser Art von asynchroner Kommunikation aus dem Umgang mit e-mailSystemen vertraut. Ich werde die Foren anhand eines Beispiels unserer Arbeit mit Scholion nutzen. Stellen Sie sich eine Diskussion in einer Gruppe vor, die ein/e GesprächsleiterIn moderiert und in der jede/r Beiträge leisten kann. Dadurch entsteht ein Gespräch mit einem bestimmten Verlauf. Sie sehen ihre GesprächspartnerInnen, sehen ihre Mimik und Gesten und können daraus auch viel interpretieren oder zur Klärung bestimmter Aussagen nutzen. Nachteil ist, dass dieses Gespräch vielleicht am Ende ein Protokoll hat (das vermutlich nur die wesentlichen Gedanken festhält), das aber unmittelbar nicht veränderbar ist und im Nachhinein auch keine neuen Gedanken mehr zulässt. Ein Diskussionsforum ist nun mit einem Schriftverkehr zu vergleichen, wo viele Menschen gemeinsam diskutieren. Dabei entsteht häufig ein Diskussionsstrang, der den Verlauf des Gesprächs sichtbar macht. Die Beiträge sind allen Beteiligten zugänglich und jede/r kann auf die Beiträge der anderen reagieren. Ein Vorteil dieser Art von Kommunikation liegt sicher darin, dass die Kommunikationspartner in Ruhe ihren Beitrag vorbereiten können und nicht spontan reagieren müssen (etwa im Vergleich zum Chat). So kann eine qualitativ hochwertige Diskussion entstehen, vor allem dann, wenn sie sich nicht auf ein Frage-Antwort-Spiel reduziert. Da die Beteiligten nicht gleichzeitig online sein müssen, wird diese Form der Interaktion asynchrone Kommunikation genannt. Die Struktur ist so organisiert, dass die BenutzerInnen den Verlauf erkennen können und so die Diskussion nachvollziehbar wird.

5.2 Kommunikation und Kooperation

35

Abb. 5.5: Diskussionsforum mit Links

Der Chat im Vergleich zu Foren setzt voraus, dass zwei Personen sich gleichzeitig virtuell, d.h. im sogenannten Chatroom treffen, um sich austauschen zu können. In einem herkömmlichen Chat haben sie den Nachteil, dass sie ihr Gegenüber nicht sehen. Die neuen Entwicklungen ermöglichen bereits den Einsatz von so genannten Webcams, um das Gegenüber über eine Kamera-Verbindung sehen zu können. Chats schriftlicher Natur setzen voraus, dass jede/r der Beteiligten gut mit der Tastatur umgehen kann. Bei akustischen oder Videochats hingegen sind alle Beteiligten gleichberechtigt, und können sich auch entsprechend einbringen. Zusätzlich ist es möglich, alle Eingaben zu speichern, um einerseits ein Protokoll daraus zu erstellen. Dies erlaubt wichtige Passagen auch im „Original“ zu erhalten. Wenn wir nun davon ausgehen, dass Kommunikation, die eine gewisse Qualität beinhaltet und sich mit dem Themenkomplex der eigentlichen Lernarbeit auseinandersetzt, dann stehen Werkzeuge zur Verfügung, die diese Prozesse effektiv unterstützen. Konkret bedeutet dies, dass die Lernenden ihre individuellen Lernprozesse zu den Inhalten auf Ebene der Sichten durchlaufen und dort den Inhalt im Laufe des Wissenserwerbs gestalten. In Diskussionen werden neue Aspekte erschlossen bzw. Gedanken ausgetauscht, die aufgrund der Einzelaktivität vorher nicht möglich sind (siehe Grafik oben). Das Forum unterstützt dies deshalb, weil die Möglichkeit besteht, Verbindungen (über links) vom Forum zu einzelnen Inhaltsknoten herzustellen. Dies reduziert die Arbeit des Suchens nach dem relevanten inhaltlichen Ausgangspunkt auf ein Minimum. Es erlaubt darüber hinaus, zwischen Kommunikation und Inhaltsbearbeitung hin und her zu schalten, ohne den jeweiligen Zusammenhang zu verlieren – die Verbindung kann in beide Richtungen aufge-

36 5 Eine Einführung in Scholion, die konstruktivistisch-orientierte Lehr- und Lernplattform baut werden. Beiträge aus Foren können somit als Inhalt durch Verlinkung in Sichten mit eingebunden werden. Somit entsteht ein neues Gedankennetz, das für weitere Überlegungen genutzt werden kann. Sie können sich aber vorstellen, wie schwer dies für viele ist, die bisher eine ganz andere Art des Lernens gewohnt waren. Dies ist nur ein Beispiel für den Lernprozess, den NutzerInnen von Scholion bereit sein müssen zu machen, wollen sie das bereits heute verfügbare Potential der Lehr- und Lernplattform nutzen. Sie werden fragen, warum wir, da ja viele Erwachsene mit diesen Instrumenten ihre liebe Not haben, noch weitere Werkzeuge dieser Art planen. Ausgehend davon, dass die meisten BenutzerInnen nach einer intensiven Phase des Studiums auf Scholion eine große Begeisterung an den Tag legten, also sehr intensive Lernprozesse stattgefunden haben und die junge Generation bereits mit vielen Kompetenzen aufwarten kann, macht es Sinn, sich intensiv damit zu beschäftigen, welche Features in der Zukunft den Wissenserwerb effektiv unterstützen könnten, ohne die Lehrenden und Lernenden zu belasten. Werden diese Ideen zunächst mit einer pädagogisch-didaktischen Brille betrachtet, kann bereits in den Diskussionen vermieden werden, dass TechnikerInnen bestimmen, wie die Zukunft der Lehr- und Lernplattform auszusehen hat. Vielmehr muss auch bei einer konstruktivistisch-orientierten Plattform wie Scholion intensiv darüber nachgedacht werden, was einem modernen Lernverständnis, zu dem ich auch Ihre unterschiedlichen Ansätze zähle, dienlich ist. Insbesondere stellt sich die Gestaltungsaufgabe, wie die Grundprinzipien, auf die Sie sich verständigt haben, nämlich Selbstständigkeit, Eigenverantwortung, Teamarbeit, kooperatives Lernen, aber auch Erziehung zur Demokratie im Rahmen institutioneller Vermittlungsprozesse, die teilweise die Didaktik bestimmen, erhalten bleiben. Eben deshalb haben wir darüber nachgedacht, welche Instrumente eine Arbeit in diese Richtung noch unterstützen können. Es sind die geplanten Werkzeuge, die wir in einem weiteren Schritt für die Lernenden sowie die Lehrenden verfügbar machen möchten. Gemeinsame Diskussionen, gemeinsame Arbeiten und gemeinsame Ergebnisse in Form von gemeinsamen Produkten, die auch öffentlich gemacht werden können, sollen durch diese Werkzeuge unterstützt werden. Videokonferenzen, wo sich die LernpartnerInnen, aber auch die Lehrenden mit der Lerngruppe sehen, Arbeiten an gemeinsamen Dokumenten nach intensiven Phasen des Lernens und des Austausches über ein Whiteboard oder, noch besser, in der Konstruktion von gemeinsamen Mind- und Concept Maps fördern die Lerngruppe und können zusätzlich ein Verständnis für die Welt der jungen Menschen schaffen, für die solche Aktivitäten sehr häufig bereits zu ihren Basiskompetenzen gehören bzw. nicht mit Ängsten verbunden sind. In Scholion als Beispiel für eine didaktisch entwickelte Lehr- und Lernplattform wird sichtbar, dass für Lernprozesse, die selbstverantwortlichen, eigenaktiven, handlungsorientierten Ansprüchen mit dem zweiten wichtigen Aspekt des kollektiven Lernens in kooperativer Form gerecht werden, einige grundlegende Überlegungen zur Programmarchitektur im Zusammenspiel mit PädagogInnen und WeiterbildungsexpertInnen notwendig sind, wollen wir auch im virtuellen Bereich eine dem Wissenserwerb dienliche „Lernlandschaft“ schaffen. Interessant wäre ein Versuch, unterschiedliche Lernlandschaften entsprechend Ihrer Konzepten zu kreieren. Ich denke da an die Ateliers bei Ihnen, Herr Freinet, an die laboratories, Frau

5.2 Kommunikation und Kooperation

37

Parkhurst, die Sie an Ihrer Schule geschaffen haben, oder das Dokumentationszentrum, von dem Sie, Herr Petersen sprechen. Falls Sie die Lehr- und Lernplattform selbst ausprobieren wollen, besuchen Sie einfach die Internet-Adresse www.blikk.it/scholion/eisweb/start.html. Dort finden Sie neben animierten Anleitungen auch vertiefende Information zur Durchführung eines Kurses, der tatsächlich umgesetzt wurde, sowie Gastzugänge zur Erprobung. Und nun freue ich mich auf eine lebhafte Diskussion mit Ihnen, da ich überzeugt bin, dass wir für unser Projekt sehr viele Ideen finden werden, wie wir e-learning für die Reformpädagogik nutzen sowie die Zukunft von e-learning-Systemen gestalten können. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Ich übergebe das Wort nun wieder an Frau Ellen Key. Wir ersuchen Sie, in unserem vorbereiteten Modul zu Schularchitektur in Scholion zu studieren. Frau Key wird Ihnen als Moderatorin zur Verfügung stehen. Wir sind für Sie in der Rolle der TutorInnen verfügbar. Ziel ist das Kennenlernen der Arbeit in einer konstruktivistisch-orientierten Lernumgebung auf Basis didaktisierter Inhalte der Lehr- und Lernplattform. Wir haben für Sie das Modul Schularchitektur ausgesucht, weil Sie alle dazu unmittelbar Bezug herstellen können. Gutes Gelingen! Wir treffen einander wieder im Scholion-Forum und im Chatroom, jede/r aus ihrer/seiner Sicht.

6

Wir studieren online

Liebe ReformpädagogInnen, unser Präsenzseminar nähert sich nun dem Ende. Sie sind nun in Scholion eingeführt worden und es beginnt nun der erste Teil Ihres selbstständigen Studiums auf der Lehr- und Lernplattform Scholion. Wir legen dabei eine Sicht an und diskutieren im Forum. Auch einen Chattermin werden wir vereinbaren. Diese Studierphase dient für uns alle hauptsächlich dazu, erste Erfahrungen in und mit Scholion zu machen und unsere individuelle Fragestellung vorzubereiten. Wir werden bei unserem Studium von TutorInnen unterstützt werden. Bevor wir mit dem Studium beginnen, brauchen wir nun eine klare Lernvereinbarung, denn wir treffen einander ja nur in Scholion und sitzen bei unserem Studium in den verschiedenen Teilen der Welt: Maria Montessori wird ihr Studium in den Niederlanden aufnehmen. Célestin Freinet wird nochmals nach Gars gehen, um an der Côte d’Azur zu studieren. Peter Petersen wird seine Studien in Jena betreiben. Helen Parkhurst wird uns aus den USA zugeschaltet sein und Martin Wagenschein wird sich während seiner online-Studierphase an der Universität Gießen befinden. Und ich? Ich werde mich in mein wunderschönes Haus in Strand am Vätternsee zurückziehen und Ihre Arbeit von dort moderieren. Die Lernvereinbarung ist anfangs wahrscheinlich ungewohnt und es wird großer Disziplin bedürfen, um sie einzuhalten. Aber ohne Lernvereinbarung ist e-learning kaum durchzuführen. Wir treffen einander wieder zur Reflexion in drei Wochen zur gleichen Zeit zur gleichen Stunde. Sehr geehrte LeserInnen, Sie können nun das Modul Schularchitektur als Gemeinschaftssicht der ReformpädagogInnen im Buch lesen. Sie können aber auch in Scholion über den Gastzugang einsteigen und das Modul Schularchitektur in Scholion unter www.schule.suedtirol.it/ blikk studieren und Ihre eigene Sicht anlegen. Viel Erfolg! In der Folge werden die Inhalte des Moduls „Schularchitektur“ mit einer Gemeinschaftssicht versehen dargestellt. Der jeweilige Blocktyp, z.B. Information, wird zu Beginn jedes ‚Knotens’ angegeben und ist > gekennzeichnet. Die Annotationen der Personen werden in eckigen Klammern mit den jeweiligen Kürzeln angeführt: (E.K.) Ellen Key, (C.F.) Célestin Freinet, (H.E.) Harald Eichelberger, (P.P.) Peter Petersen, (H.P.) Helen Parkhurst, (M.M.) Maria Montessori, (M.W.) Martin Wagenschein.

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6 Wir studieren online

Lernvereinbarung Vereinbarungen, die wir für unsere e-learning Phase getroffen haben: Vereinbarungen Wir haben besprochen, dass wir eine individuelle Sicht bearbeiten und dann im Forum entscheiden, ob eventuell Fragestellungen zusammenpassen. Eventuelle Kooperationsvereinbarungen werden im Forum getroffen … Fragestellungen und Namen … Wir formulieren unsere Ziele des Studiums und der Arbeit in Scholion individuell. Ab nächster Woche gehen wir wöchentlich zweimal ins Forum. Wir haben vereinbart, dass wir mindestens einmal in zwei Wochen einen Beitrag zur eigenen Arbeit in das Forum stellen. Während dieser Arbeitsphase mindestens ein Beitrag! Wir reagieren unterstützend auf die Fragestellungen der Gruppenmitglieder. Wir weisen aus, woher wir unsere Studienergebnisse haben, d.h. wir zitieren! Bei den Meilensteinen wollen wir uns auf unsere eigene Reflexion verlassen. Für die Behandlung auftretender Probleme haben wir vor allem „Offenheit“ vereinbart. Notmedium: e-mail Wir haben keine Beschränkungen für die Einsicht in unsere Beiträge vereinbart. Für die Reflexion haben wir einen Chat vereinbart (Mitte und Ende einer Arbeitsphase). Ausnahmsweise verzichten wir auf einen konkreten Leistungsnachweis. Wünsche an TutorInnen: Kommentare, technische Hilfeleistungen und Kritik zu Sachfragen Ich wünsche uns allen eine angenehme, lernreiche und konstruktive gemeinsame Arbeit!

Termine Heute

Ab heute Innerhalb einer Woche Richttage: Dienstag und Freitag

[email protected]

Die Terminvereinbarung übernimmt Ellen Key.

Mit lieben Grüßen Ellen Key

6.1

Lehrpläne in Belgien

Der ab 1970 beginnende Parameterwechsel in Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften blieb auch für die Entwicklung der Schulpädagogik nicht ohne Folgen. Die neuen Forschungsergebnisse der Wissenschaften von Menschen haben die Aufmerksamkeit der Lehrerschaft wieder auf die Partner in der Schule und auf das Kind gelenkt.

6.1 Lehrpläne in Belgien

41

Daher wurden die überarbeiteten Richtlinien und Lehrpläne ab 1970 (in Belgien) wieder von einer ,,Pädagogik vom Kinde aus“ getragen.

Die Diskussion über den Menschen, sein Wesen, seine Aufgaben auf dieser Welt, seine Möglichkeiten und Grenzen, seine Rechte und Pflichten lenkten besonders in der Elternschaft und in pädagogischen Arbeitskreisen das öffentliche Interesse zunehmend auf so genannte ,,Reformschulen“ (z.B. Decroly-, Montessori-, Petersen-, Freinet- und Daltonschulen), denn die aufbrechenden anthropologischen Grundfragen waren in den belgischen Schulen nach dem 1. Weltkrieg schon einmal Gegenstand grundlegender pädagogischer Erörterungen (Lehrplan 1936). Erziehungsideale «Inhalt» Das Erbe der Reformpädagogik wurde also ausgegraben, neu interpretiert und der heutigen Terminologie angepasst. Die historischen, heute vielleicht schon verklärt gesehenen Erziehungsentwürfe entsprechen für immer mehr Eltern und LehrerInnen den Erziehungsidealen der Gegenwart: • • • •

Selbstständigkeit, Selbstbestimmung, Verantwortung, Kooperation,

42 • • • •

6 Wir studieren online Solidarität, Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen, Fachwissen u.a.

Sie sind die heutigen Erziehungsziele, die den reformpädagogischen Konzepten geradezu eigen sind. [„Die reformpädagogischen Modelle und Methoden haben seit ihrer Entstehung in verschiedenen Teilen der Welt immer wieder eine Renaissance erlebt. Das ist doch sehr erfreulich!“ (P.P.)] „Wenn Schule Entwicklung braucht, so braucht Schulentwicklung Reformpädagogik als Motor“ (H.E.) lautet die derzeitige Grundeinstellung der Fachleute in ihren Überlegungen zu Schulentwicklung.

6.2

Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

«Information» Im September 1976 wurde in Belgien ein konkreter Erneuerungsversuch der Grundschule (3 – 12 Jährige) unternommen, der eine Gruppierung der Kinder des dritten Kindergartenjahres mit den SchülerInnen des ersten und zweiten Jahres der Primarschule vollzog: allgemein bekannt als Zyklus 5 – 8. [„Meinen Beobachtungen nach würde ich eine Gruppierung von 6 – 9 bevorzugen. Wenn aber die Idee des Kinderhauses hier eine wenigstens teilweise Realisierung findet, ist das sicherlich ein großer regionaler Fortschritt in der Schulentwicklung.“ (M.M.)]

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

43

Einige Jahre später wurde die Grundschule weiter in Zyklen von 2 oder 3 Jahrgängen organisiert. Die Jahrgangsklasse mit einer Lehrperson wurde also durch einen Zwei- oder Dreijahres-Zyklus mit zwei oder drei LehrerInnen ersetzt. Das Hauptaugenmerk lag auf der Entwicklung des Kindes und nicht mehr nur auf dem Lehrstoff pro Jahr. Somit wurde ein wichtiges Grundmerkmal der Reformpädagogik – Stammgruppen anstatt Jahrgangsklassen – struktureller Bestandteil der Schulentwicklung. [„Ich habe immer wieder auf die Vorteile der alterheterogenen Stammgruppe hingewiesen: die Schülerinnen und Schüler erleben sich in verschiedenen Rollen und sie können voneinander lernen: Frau Montessori und Frau Parkhurst werden diese Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung heraus sicherlich auch bestätigen.“ (P.P.)]

6.2.1

Rahmenbedingungen

«Zitat» Wenn Schulentwicklung ,,ein stetig fließender Prozess ist, der in einer lernenden Organisation LehrerInnen die Möglichkeit bietet, gemeinsam mit Kindern Ideen zu verwirklichen, Wünsche in der Alltagswelt des Unterrichts umzusetzen und eine Chance ist, die eigene Arbeit immer wieder zu überdenken, für gut zu befinden, Erfolgreiches beizubehalten, weniger Erfolgreiches zu lassen, Wege immer wieder neu und gemeinsam zu beschreiten“ (Tarnai-Hammer C.), dann ist diese Entwicklung nur möglich, wenn wichtige institutionelle Handlungshebel eingesetzt werden, die als Rahmenbedingungen für den Erfolg zu betrachten sind.

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6 Wir studieren online

Zu diesen Rahmenbedingungen gehören in Belgien: Die Schulautonomie «Erklärung» So bedeutungsvoll der Begriff der Autonomie für die Reformpädagogik ist, so bedeutungsvoll ist er auch für die Schulentwicklung, weil Schulautonomie unverzichtbar Ausgangspunkt für Schulentwicklung ist (H.E.). Diese Schulautonomie konzentriert sich in einem Schulprogramm (Schulprojekt), das von der ganzen Schulgemeinschaft (Schulträger, Lehrerschaft, Elternschaft) getragen und publiziert wird. Dieses Schulprogramm ist im Respekt des demokratischen „Gesellschaftsprojektes“ verfasst worden, das vom Staat (Parlament) festgelegt wurde. Die interne und externe Evaluation «Erklärung» Die Schule als „lernende Organisation“ stützt sich unter anderem auf Konzepte der Selbstentwicklung, motivationstheoretische Überlegungen und Selbstverantwortung. Selbstkontrolle ist also Grundlage für Ich-Stärke und Selbstbewusstsein. Sie hilft in der Entwicklung eines gesunden Leistungsverständnisses und zeigt den Weg vom Leistungskult zur Leistungskultur. Die interne Evaluation wird damit zu einem Teil der professionellen Arbeit. Kriterien für einen qualitätswirksamen Unterricht und für gute Schulen werden bei Einschätzung der eigenen Arbeit Hilfestellung geben. Eine externe Evaluation am Schulstandort ist dennoch notwendig, um die Ergebnisse der internen Evaluation zu objektivieren, aber auch um spezifische Qualitätsmerkmale zu erarbeiten. Eine angepasste Fortbildungspolitik «Erklärung» Die Fortbildung ist einerseits ein unabdingbares Instrument zur Qualitätssicherung, andererseits sollte sie den Teamgeist stärken und Prozesse ins Rollen bringen. Das ist dann nur möglich, wenn mehrere LehrerInnen gemeinsam Seminare besuchen können oder einer Ausbildung folgen. Vernetzung von Schulen, Hospitationen, Teamentwicklung und „kritische Freunde“ gehören zu dieser Fortbildung.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Gestaltung einer neuen Lernumgebung «Inhalt» Weiß man, dass die Architektur eine ruhige Form des Unterrichts darstellt? Tatsächlich war diese These bis vor einigen Jahren für die Lehrenden und für die ArchitektInnen irrelevant. Geht man das Risiko einer Schematisierung der architektonischen Schulbaumodelle ein, so kann man zu der Annahme kommen, dass die Schulbauten in Belgien im Allgemeinen nach drei Modellen gebaut wurden: • mitunter nach dem Modell eines Gefängnisses (ein großer geschlossener und hoher Innenhof mit Klassenräumen, die den Blick auf diesen Innenhof zulassen), • manchmal nach dem Modell eines Klosters (ein zentraler Kreuzgang mit seitlich angelegten Klassenräumen), • sehr oft nach dem Modell einer Kaserne (lange, hohe Flure mit gegenüberliegenden Klassenräumen, die auf diese Flure weisen).

Traditionelle Schularchitektur «Beispiel» Die traditionelle Schularchitektur ist fast immer streng, kalt, linear, geschlossen und steht im Dienst einer ,,geschlossenen“ und „autoritären“ Pädagogik. In den Klassenräumen findet man in der Regel eine frontale Anordnung des Schulmobilars. Die Schränke sind meist geschlossen. Die Räume sind oft kalt, wenig oder unzureichend dekoriert. Es herrscht dort keine besondere Atmosphäre, so als fände kein Leben statt. [„Auch in einem solchen Raum könnten wir mit den Kindern sofort beginnen, Ateliers einzurichten und den Unterricht in Richtung des selbstständigen Studierens langsam lernen und entwickeln.“ (C.F.)]

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6 Wir studieren online

[„Lieber Célestin, du sagst es. Wenn ich an meine ersten Tag in der Landschule denke, so konnte ich gar nicht anders als den Raum zu verändern und eben die ‚subject corners’ einzurichten, und damit hat sich auch mein Unterricht verändert. Das war ein wesentlicher Schritt hin zum Daltonplan.“ (H.P.)]

6.2.2

Schularchitektur als Bestandteil der Schulentwicklung

«Erklärung» Schulentwicklung auf Basis der Reformpädagogik erforderte also auch eine neue Politik in Sachen Schulbau und Anordnung des Schulraumes. Der Schulraum muss derartig gestaltet werden, dass • den Bedürfnissen der Kinder (Bewegung, Handlung, Entdeckung, Kreativität, Sicherheit, Kenntnisse, Kommunikation, ...) entsprochen werden kann, „Lernen in Bewegung!“ (M.M.) • die erklärten Ziele (Autonomie, Selbstdisziplin, gegenseitige Hilfe und Solidarität, Individualisierung, Humanisierung, Demokratisierung, ...) verfolgt werden können [„Schulrat und Klassenrat, aber wenn schon, dann bitte auch sehr konsequent!“ (C.F.)] • und die verschiedenen Unterrichtsformen (autonome Arbeit, Gruppenarbeit, gemeinsamer Unterricht, Kurse, Feier, Kreise, Freiarbeit, frontaler Unterricht, ...) begünstigt werden, „vor allem die Bildungsgrundformen!“ (P.P.) [„Also ich hätte an dieser Stelle noch die architektonische Verwirklichung der casa dei bambini angeführt, das Zusammenleben der Kinder aus dem Kindergarten und der Schulkinder sowie natürlich auch die notwendige vorbereitete Umgebung!“ (M.M.)] Oder anders gesagt: Das Prinzip des Lebens und der gemeinsamen Arbeit im Rahmen des „Gruppengesetzes“ sowie die sich daraus ableitenden Unterrichtsformen, die selbst gesteuerte und individuelle Arbeitspraxis, die Arbeit mit PartnerInnen, das Ersetzen der Jahrgangsklassen durch Stammgruppen, aber auch die Bewegungs- und Redefreiheit führen uns dazu, den Schulraum und seine Benutzung zu überdenken, weil wir sonst Gefahr laufen, dass alle Reformbemühungen sich selbst zerstören. Lernlandschaft «Erklärung» Noch anders gesagt: Wenn die Schule den SchülerInnen die Verantwortung für ihr Lernen zurückgeben will, und ihnen gleichzeitig behilflich ist, jenes Fundament an Kompetenzen aufzubauen, das sie befähigt, ein Leben lang selbst motiviert und eigenverantwortlich am Lernen zu bleiben. Wenn die Schule dieses „neue Lernen“ umsetzen will, dann muss sie zu einer Art Lernlandschaft werden, die vielfältige Lernarrangements zulässt und unterschiedliche Zugänge zu Fach- und Themenbereiche ermöglicht.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Unterrichtsformen «Inhalt» Der Frontalunterricht wird reduziert, die Jahrgangsklasse wird wenigstens teilweise abgeschafft und an deren Stelle treten Unterrichtsformen, in denen sich die SchülerInnen aktiv und zunehmend selbst gesteuert mit Fragen, Aufträgen und Herausforderungen auseinandersetzen. Die Gruppierungsform der Jahrgangsklasse wird verlassen, um in Stammgruppen zu arbeiten.

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6 Wir studieren online

Systematische Schulentwicklung «Inhalt» Schulentwicklung hat systematisch zu erfolgen. Wer einen Teil im System ‚Schule’ erfolgreich verändern will, muss daran denken, alle damit zusammenhängende Teile mit zu verändern. Ein Teil dieser betroffenen Veränderungen betrifft die Schularchitektur. Reformpädagogik und Schularchitektur wurden also in den achtziger Jahren Bestandteil der Schulentwicklung in Belgien, insbesondere im Grundschulwesen.

6.2.3

Die architektonischen Herausforderungen

«Information» Man musste bis zu Beginn der siebziger Jahre warten, um in offiziellen Direktiven auch Texte über zukünftige Schulbau- und -umbaugestaltung zu finden, die vor allem einen pädagogischen Bezug hatten. Die Texte empfahlen eine anpassungsfähige (flexible) und funktionale Architektur, die den nachstehenden vier pädagogischen Kriterien entsprechen sollte: • • • •

die Integration der Schule im sozialen Umfeld, die Bedürfnisse der SchülerInnen, die verfolgten Erziehungsziele und die Vielfalt der Unterrichtsformen.

Mehrere konkrete Herausforderungen an die LehrerInnen und ArchitektInnen stellten sich unmittelbar ein und sind heute noch aktuell. Globales Raumprogramm «Erklärung» Ein globales Raumprogramm nimmt die lokalen Bedürfnisse wahr und „integriert“ sich im Wohnviertel. Die Schularchitektur kann nicht vom Landschafts-, Dorf- bzw. Stadtbild losgelöst werden. Will Schule an Gewichtung im sozialen Leben des Dorfes oder des „Viertels“ gewinnen, dann soll die Schule sich für Eltern, interessierte BürgerInnen, Vereine und andere Institutionen öffnen: • • • • • •

Sport- und Turnhallen, Feierräume, Bibliotheken, Tribünen, Theaterecken, Mensa und Küchen,

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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• Sportplätze, • Kinderspielplätze, • Duschen u.a.m. [„Das liest sich ja wie ein Zitat aus anderen reformpädagogischen Richtungen. Erinnert mich an die Idee der Community Education.“ (C.F.)] Selbstverständlich sind dann klare und feste Organisationsregeln gemeinsam zu bestimmen, um einen harmonischen Gebrauch dieser Räume zu gewährleisten. Echte Lebensgemeinschaft «Erklärung» Ein globales Raumprogramm ist zu schaffen, das Kommunikation und Verbindung fördert und somit eine Didaktik der Partizipation sowie eine echte Lebensgemeinschaft erlaubt. Es werden also bessere Durchgangs- und Umstellungsmöglichkeiten eingerichtet. Schematisch besteht die architektonische Umänderung einerseits darin, den Schulraum zu öffnen und Trennwände im wörtlichen Sinn zu beseitigen und andererseits die großen Schulpopulationen in kleinere, autonome Systeme zu unterteilen. Diese neuen Einheiten erlauben, in Stammgruppen, oder in größeren gemischten Gruppen, in kleinen Arbeitsgruppen, mit PartnerInnen oder alleine zu arbeiten, zu kommunizieren, zu spielen und zu feiern. [„Bis jetzt nimmt die Raumgestaltung keinen Bezug auf die vorbereitete Umgebung und die Entwicklungsmaterialien. Ich verweise hier auf eine von mir so bezeichnete scuola modella, auf das Montessori-Kinderhaus in Wien am Rudolfsplatz mit den großen hellen Räumen, der Farbgestaltung und den kindgerechten Einrichtungen und Möbeln. Liebe Frau Key, sehr geehrte TutorInnen, wie füge ich ein Bild mittels einer Annotation ein?“ (M.M.)]

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6 Wir studieren online

Grundformen des Lernens nach P. Petersen «Information» Gespräch, Arbeit, Spiel und Feier bilden Grundformen des Lernens [– „korrekt: Bildungsgrundformen!“ (P.P.)] und können durch spezifische architektonische Maßnahmen und/oder Anordnungen besser gefördert werden. Bedeutung der Lebensgemeinschaft «Motivation» Und ist nicht heute die Voraussetzung der Lebensgemeinschaft noch viel wichtiger als früher, wenn wir wissen und annehmen, dass die Krise der Schule als solche nur zu verstehen ist als ein Teil einer allgemeinen Krise der sozialen Beziehungen? Lebensgemeinschaft «Information» Peter Petersen weist mehrmals darauf hin, dass der Gedanke der Lebensgemeinschaft Grundund Vorbedingung jeder sinnvollen Bewegung innerhalb der Schule ist. Im Grunde gibt dieser Gedanke sowohl die Norm als auch die Richtung an. Die Lebensgemeinschaft ist zweifellos das pädagogische Grund(Basis)konzept in Petersens Werk. Es ist wie das Alpha und das Omega, der Beginn und auch die Vollendung seiner Pädagogik. Ein Mangel auf dieser Ebene würde alles Übrige zu einer pädagogischen Illusion machen, die in den tiefsten Mythen der menschlichen Natur, der Kindheit und der denkenden Vernunft wurzelt. [„Ich bin mit dieser Aussage einverstanden!“ (P.P.)]

6.2.4

Lebensgemeinschaft und Gesellschaft

«Inhalt» Die Begriffe „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ sind voneinander sehr verschieden. Zahlreiche Unterschiede und sogar Gegensätze zwischen den beiden Wirklichkeiten lassen sich leicht erkennen, und zwar in Bezug auf ihre äußere Gestalt, ihr inneres Wesen und die angesteuerten Ziele. Zwänge «Erklärung» Wir wissen, dass jede soziale Einrichtung manchmal äußerst starken äußeren Zwängen ausgesetzt ist.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Diese Zwänge finden ihren Ursprung in der kollektiven Verwirrung der Menschen, im Überlebenskampf, im täglichen solidarischen Miteinander. Um diese Bewegungen unter Kontrolle zu halten (und die Anarchie zu vermeiden), entstehen Sozialstrukturen (gesellschaftliche Strukturen). Diese Strukturen sind starr, fest und streng, denn die Gesellschaft hat grundsätzlich den Auftrag, Interessenkonflikte zu verwalten und zu schlichten. Ziel einer Gesellschaft «Erklärung» Das erste Ziel einer Gesellschaft liegt darin, die Grundbedürfnisse ihrer Mitglieder zufrieden zu stellen. Das ist ihre Daseinsberechtigung. Sie kennt keine höheren Ziele; sie verfolgt keinen Selbstzweck; sie verschwindet als solche und wird ersetzt, sobald sie die Bedürfnisse nicht mehr befriedigt, für die sie geschaffen worden ist. [„Das scheint mit aber nun ein wenig zu einfach. Mein Freund P.P. würde wahrscheinlich sagen zu platt!“ (C.F.)] [„Von welcher Gesellschaft ist hier die Rede? Können bitte die TutorInnen hier weiter helfen?!“ (H.P.)] Nützlichkeitscharakter «Erklärung» Die Gesellschaft hat einen äußerst zweckgebundenen Nützlichkeitscharakter: Sie ist ohne eigenes Ziel und dementsprechend auswechselbar je nach den unmittelbaren Interessen und Bedürfnissen. [„Bitte erklären!“ (P.P.)] Sie baut sich hierarchisch auf. [„Das ist nicht zwingend logisch und widerspricht vehement meinen gesellschaftspolitischen Idealen und meinen Erziehungsidealen!“ (C.F.)] Gemeinschaft «Inhalt» Die Gemeinschaft hingegen entspricht einer völlig anderen internen Dynamik. Die zu ihr gehörenden Individuen sind in absoluter Freiheit miteinander verbunden durch eine Art Einverständnis mit einem gemeinsamen Ideal. Dieses wird getragen durch BeraterInnen, um die sich die Mitglieder in Freiheit (ver)sammeln.

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6 Wir studieren online

Das Gespräch «Erklärung» Das Gespräch an sich lebt vom Hören, Aufnehmen, Verstehen, Sich-Einbringen in der Gesprächsituation und Aufeinander-Eingehen. Die Sprache fordert die SchülerInnen zur Aktivität auf. Gemeint sind neben dem Dialog und dem natürlichen Gruppengespräch alle „unterrichtlichen“ Gesprächsformen: • • • • • •

Klassengespräche, Gruppengespräche, Berichte, Lehrgang, Aussprache, „Frühstück“ als besonderes Gruppengespräch zu Beginn (usw.).

Gruppengespräch – Kreis «Erklärung» Im Gruppengespräch, das vom Austausch zur Diskussion werden kann, ist der „Kreis“ eine der obersten Organisationsformen in einer reformierten Pädagogik. Der Kreis bildet eine geschlossene Einheit, zu der jede/r SchülerIn gehört und in der keine/r einen besseren oder schlechteren Platz hat. Dazu bietet der Kreis noch den Vorteil, dass alle einander sehen können und somit immer ein augenscheinlicher, direkter Bezug aufeinander möglich ist. Alle schulischen Inhalte, die am besten über das Gespräch und über das Zuhören vermittelt werden können, haben ihren pädagogischen Ort in der Organisationsform Kreis. Je nach den zu vermittelnden Inhalten und dem, was im Kreis passiert, wird dieser benannt, wie z.B. Buch-, Vorlese-, Erlebnis- Instruktions-, Evaluations-, Planungs- oder Rückmeldungskreis.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Aussprache «Erklärung» Die Aussprache setzt voraus, dass die Beziehungen ernsthaft sind, dass gegenseitiges Vertrauen herrscht und jegliche Zensur überflüssig ist. Sie nimmt folgende Formen an: • Kreise am Anfang und am Ende der Woche; • das Gespräch während des gemeinsamen Frühstücks oder vor den Pausen im Schulgebäude; • das LehrerInnen-Gespräch (gestaltende, bildende Gespräch) nach einem Bildungsspaziergang, um einen Vortrag, eine Beobachtung, eine Erzählung, einen Bericht, ein Exposee vorzubereiten; • das Unterrichtsgespräch zwischen Lehrperson und Kindern oder unter den Kindern während der Gruppenarbeit usw.

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6 Wir studieren online

Zuhören «Inhalt» Jedes Kind hat das Recht, gehört zu werden, frei das Wort zu ergreifen und seine Meinung zu äußern. Dieses Recht gilt für alle gleich(ermaßen) und wird lediglich durch das Recht der Anderen eingeschränkt. Dies ist ein Prinzip von aller höchster Bedeutung („eine Bindung von stärkster Wirkung“), und dieses Recht umschließt auf jeden Fall das Hören auf die Anderen, das Zuhören. Die „Räte“ «Beispiel» Die Behandlung von Problemfällen findet in und mit der Gruppe statt. Der Kreis ist die gebräuchlichste Beratungsform, um Konflikte und Probleme zu erörtern und zu lösen, die in der Gruppe entstanden sind. Diese Art von „Räten“ verlangt von der führenden Lehrperson ein ungewöhnlich hohes Feingefühl und eine Menge Takt. [„Ich möchte bei aller Zurückhaltung darauf hinweisen, dass „Paulus“, wie wir ihn nannten, Geheeb ein Rätesystem in seiner Odenwaldschule eingeführt hatte.“ (M.W.)] Andererseits bietet sich hier eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Erziehung und zur Entwicklung menschlicher Beziehungen.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Die Arbeit «Inhalt» Durch die Arbeit werden die spontane Schaffens- und Erfindungskraft, wie auch die allgemeine Lebenskraft und Lebensfreude der SchülerInnen gefördert. [„Hier hätte nun Georg Kerschensteiner sicher ausführlich Stellung nehmen können. Warum ist er eigentlich nicht eingeladen worden? Ohne den Begriff der „bildenden“ Arbeit sind doch unsere Modell kaum vorstellbar, oder?“ (E.K.)] Unter Arbeit wird vor allem selbsttätige und bildende Arbeit der Heranwachsenden verstanden, die in Formen der Einzelarbeit, der Partnerarbeit, der Gruppenarbeit oder auch in einem Kurs getan werden kann. [„In der Reformpädagogik sind zwei kongeniale Richtungen zu differenzieren: die „Pädagogik vom Kinde aus“ und die so genannte „Arbeitsschule“. Dem Jenaplan liegen als einziger reformpädagogischer Richtung beide Prinzipien zugrunde. Er gibt dem Kind Freiheit dort, wo es aus eigenen Kräften heraus seinen Weg findet, und er führt das Kind aus pädagogischer Verantwort dort heraus, wo die Kräfte des Kindes versagen oder das Kind verkehrte Wege einschlägt oder abirrt.“ P.P. (Zitat aus Dietrich, Theo: Die Vorgeschichte des Jenaplans – nationale und internationale Einflüsse. In: Salzmann, Christian (Hrsg.): Die Sprache der Reformpädagogik als Problem ihrer Reaktualisierung. Dargestellt am Beispiel von Peter Petersen und Adolf Reichwein. Heinsberg, 1987, S.150.)]

Bewegung «Erklärung» Während dieser Arbeit sitzen die Kinder bzw. Jugendlichen in ihren Stammgruppen in Tischgruppen. Sie dürfen sich während dieser Arbeiten „sinnvoll“ frei bewegen. Die wirkli-

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6 Wir studieren online

che Bewegungsfreiheit besteht darin, dass sich SchülerInnen in den Räumlichkeiten im Respekt des „Gruppengesetzes“ frei bewegen können. Diese freie Bewegung wirkt positiv auf das physiologische Gleichgewicht und die Gesundheit der SchülerInnen, begünstigt bessere Konzentration und Aufnahmefähigkeit. Sie bündelt soziale Verhaltensweisen während der Arbeit wie Solidarität, Brüderlichkeit, Hilfsbereitschaft und bringt sie zur Entfaltung. Kurse «Motivation» Die Kurse (Einführungs-, Übungs-, Niveau-, Wahlkurse) gewährleisten vor allem durch die innere Differenzierung die Vermittlung allgemein verbindlicher Inhalte. Der Unterricht findet in Gruppierungen statt, die nach Können, Lernfortschritten und Entwicklungsstand im jeweiligen Lerngebiet zusammengesetzt sind. Der Lernprozess frontaler und kollektiver Art wird also in den vom Jenaplan inspirierten Schulen absolut verdrängt.

Lernaktivität «Handlungsanweisung» • Aber wodurch wird der Lernprozess ersetzt? • Wie wird der Stoff den Kindern vermittelt, wenn ihn die Lehrperson nicht hersagt, sozusagen ausspuckt und sei es auch mithilfe von noch so verfeinerten Methoden? • Wie wohl lernen die Kinder die Lerninhalte, ohne die es keinen Unterricht gibt?

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

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Wirksamkeit der Unterrichtsmethoden «Inhalt» Wie sieht die Beziehung bzw. Verbindung zwischen diesen drei unausweichlichen Polen aus: Kinder, Lehrperson, Lerninhalte? Die zahlreichen Untersuchungen im Bereich Unterricht in Primarschulen, die der Universität Jena angegliedert waren, [„…vor allem die Übungsschule!“ (P.P.)] hatten die Wirksamkeit der Unterrichtsmethoden zum Ziel. Je mehr sich die Arbeit der Kinder innerhalb einer Gruppe entwickelte, desto schneller wurde deutlich, dass es nicht nur darum ging nach wirksamen Lernmethoden zu suchen, sondern auch und vielmehr nach Arbeitsmethoden, die sich die Kinder aneignen.

Forschungsinteresse «Information» Das Forschungsinteresse (-objekt, -ziel) hat sich also von den Lehrenden, den LehrerInnen zu den Lernenden, den SchülerInnen verlagert. Das Problem bestand nicht mehr in der Suche nach wirksamer Methodik der LehrerInnen, sondern in der Suche nach Lernverhalten, d.h. Arbeitsmethoden, -gewohnheiten und- verhalten für die Lernenden von frühestem Alter an. [„Es ist vor allem die Suche nach den optimalen Aneignungsstrategien entweder mit den Entwicklungsmaterialien der MontessoriPädagogik oder mit den Pensen bzw. assignments meiner Daltonplan-Pädagogik.“ (H.P.)]

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6 Wir studieren online

Jenaplan-Schulen «Fallbeispiel» Die Jenaplan-Schulen verfolgen dieses Ziel vom Augenblick der Einschulung an. Langjährige aufmerksame Beobachtung in den vom Jenaplan inspirierten Schulen hat zur Festlegung einer Reihe von grundlegenden Verhaltensweisen geführt. Die Feier «Erklärung» Die Feier ist das wesentliche gemeinschaftsbildende Element. Sie wird von der Lehrperson dargeboten oder geleitet, von den SchülerInnen selbstständig gestaltet und in der Stammgruppe, Schulstufe oder Schulgemeinschaft abgehalten. Man unterscheidet mehrere „Feierformen“: • • • • • •

Wochenanfangs- Feier, „Lernfeier“, Abschlussfeier, Geburtstagsfeier, Stationsbetrieb, Adventfeier u.a.m.

Gefeiert werden beispielsweise der Wochenbeginn mit einer Schulversammlung, das Ende eines Projektes mit einer Ausstellung oder ganz einfach ein Geburtstag.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

59

Das Spiel «Erklärung» Als Lern- und Übungsform hat das Spiel vorwiegend in den ersten Schuljahren seinen festen Platz neben Gespräch, Arbeit und Feier. Spiel ist auch mit Bewegung und Musik kombiniert, also auch mit Feier und Gespräch eng verbunden. Funktionsspiele, Fiktionsspiele, Rezeptionsspiele, Konstruktionsspiele, Regelspiele und Rollenspiele sind Spielarten, die in der Schule durchgeführt werden.

Zugehörigkeitsgefühl «Inhalt» Die Gemeinschaft hingegen beruht auf einem Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder. Sie „vereinen“ sich um ein gemeinsames Ideal. Jedes Mitglied findet den ihm entsprechenden Platz. Schulgebäude als Werkzeug «Interaktion» Die Schularchitektur wird diesen Merkmalen der Grundformen des Unterrichts und des Lernens Rechnung tragen müssen. Die Schule ist nicht nur ein Gebäude. Sie ist das Haus der SchülerInnen und der LehrerInnen. Sie ist ein Werkzeug in ihren Händen. [„Jede pädagogische Theorie will das pädagogische Handeln der jeweiligen Gegenwart mitbestimmen und zugleich Anweisungen für die Zukunft geben.“ (P.P.)]

60

6 Wir studieren online

Wie sollte dieses Werkzeug gestaltet werden, um den verschiedenen Gesprächsformen, der Vielfalt der Arbeits- und Feierformen, den Spiel- und Bewegungsbedürfnissen der SchülerInnen entgegenzukommen? Inwieweit werden die ArchitektInnen die innere Beziehung, die eine schulische Lebensgemeinschaft bestimmen, erfassen und folglich die Schularchitektur dementsprechend gestalten? Im Allgemeinen können die in der Folge genannten architektonische Schwerpunkte festgehalten werden. Räume für Stammgruppen «Erklärung» Offene oder halboffene Räume für Stammgruppen in Verbindung mit speziell ausgestatteten Lokalen für Bibliothek- und Dokumentationszentrum, dem Forum oder Agora, der Werkstätte und Gruppenräumen. Diese Stammgruppenräume sollen wohnlich ausgestaltet sein, geschmackvolle, zeitgemäße Wohnkultur anbahnen, die zur Pflege anreizt.

Einrichtung «Beispiel» Die Sorge um Ästhetik, um gutes Zusammenleben und um das ruhige Arbeitsklima bestimmt die Einrichtung. Sie sollte folgende Notwendigkeiten für den Unterricht berücksichtigen: • die Möglichkeit zur Bildung eines Plenums (Kreisgespräche, Konferenzecke, Klassentisch) • die Möglichkeit zur Einzel-, PartnerInnen- und Gruppenarbeit, d.h. pro SchülerIn ein fester Arbeitsplatz an Gruppentischen

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

61

• die Einrichtung von Einzelplätzen (z.B. Leseecken, Hörecken) • frei zugängliche Regalsysteme für Lexika, Sachbücher, Handbücher, Arbeitsmaterial für die Fachgebiete, die nicht im „Fachzentrum“ (Labor, Atelier, Bibliothek ,...) sondern im Stammgruppenraum erteilt werden • die Einrichtung von offenen „Boxen“ für jede/n SchülerIn zur Aufbewahrung des eigenen Lernmaterials (Bücher, Hefte, Disketten, Geräte etc.). Wohnliche Atmosphäre «Inhalt» Diese Stammgruppenräume zeichnen sich durch wohnliche Atmosphäre (Klima) aus. Der Klassenzimmer soll also den Charakter der „Schulwohnstube“ (Petersen) annehmen, d.h. es soll soviel wie möglich vom Charakter eines Wohnraumes haben, aber auch zugleich ein Arbeitsraum sein. Grundvoraussetzung dafür, dass Lernen gelingt, ist eine Atmosphäre des Wohlfühlens. Schulwohnstube «Zitat» „Das Lokal der Stammgruppe muss eine Art Schulwohnstube werden.“ (Petersen, Der Kleine Jenaplan, 60. Auflage, Weinheim 1980, S.32) Das Haus wird gewissermaßen zum Modell. Die Lokale der Stammgruppe entsprechen mehreren Bedürfnissen praktischer und erzieherischer Art. Drei davon möchte ich besonders hervorheben. Ästhetische Sorge «Inhalt» Zuerst eine ästhetische Sorge. Sie macht sich besonders bemerkbar durch: • die Qualität der Raumausstattung, • den Erhalt der Ordnung, • das im Lokal der Stammgruppe zugelassene Mobiliar (dementsprechend befindet sich der Sandkasten nicht im Lokal der Stammgruppe, sondern im Atelier. Tatsächlich handelt es sich hier um ein Werkzeug und Werkzeuge haben ihren Platz im Atelier, nicht in der Wohnstube).

62

6 Wir studieren online

Gutes Zusammenleben «Beispiel» Danach die Sorge nach gutem Zusammenleben. Sie kommt zum Vorschein durch: • die Anordnung der Bänke in Tischgruppen, • das Vorhandensein verschiedener Ecken, die besonderen Aktivitäten vorbehalten sind (Leseecken, Bauecken, Malecken, Kreisecken, Kochecken usw.). Ein Klima von gutem Zusammenleben wird beispielsweise auch durch die Anwesenheit eines Vogels, das regelmäßige Geräusch einer Wanduhr, den durch die Kinder besorgten Pflanzenschmuck, usw. gefördert. Dinge, die den Kindern gehören, große und kleine Schätze, die sie zur Schau stellen können, sind starke affektive Bindungen, die in hohem Maße zum verbesserten Zusammenleben beitragen. Einladende, intime Atmosphäre «Erklärung» Peter Petersen betont die Wichtigkeit einer intimen Atmosphäre, die innerhalb der Gruppe herrschen muss. Dies ist eng mit der Existenz eines eigenen Raumes für jede Stammgruppe verbunden und die Kinder müssen sich wohl fühlen in ihrem Raum. [„Wie heißt es doch heute so schön? Der Raum ist die dritte Pädagogin! (M.M.)] Diese einladende, intime Atmosphäre ist von größter Bedeutung für das spirituelle Wachstum der Kinder. Tatsächlich gewährleistet sie ruhige Austausche, den freien Ausdruck und den Wunsch zu lernen.

6.2 Reformpädagogische Schulentwicklung in Belgien

63

Grundlage im Jenaplan «Inhalt» Es ist nichts Neues: Der Wunsch ist tiefer verwurzelt und stärker als die bloße Notwendigkeit, da er das gesamte Wesen umfasst. Soll alles, was der Unverträglichkeit anzugehören scheint, dem Irrationalen verbunden ist, soll all dies die PädagogInnen dazu verleitet haben, den Wunsch auf die Ebene einer Notwendigkeit zu reduzieren? Der Jenaplan möchte dem Wesen mit seinen tief gehenden Wünschen begegnen und aus diesem Grund ist eine einladende Atmosphäre guten Zusammenlebens von größter Bedeutung. Zweifellos trägt die schulische Raumordnung hierzu in hohem Maße bei. Arbeitsklima «Inhalt» Schließlich ist da die Sorge um das Arbeitsklima. Dieser Sorge wird mit der Klassifizierung und Ordnung in den (offenen) Schränken und auf den Regalen begegnet. Dort findet man • Basislehrmaterial, • Arbeitsunterlagen, • didaktische Spiele, [„Sind damit auch die Entwicklungsmaterialien der MontessoriPädagogik gemeint? Angeblich gibt es ja einige Jenaplan-Schulen, die erfolgreich Montessori-Entwicklungsmaterialien einsetzen.“ (M.M.)] • Werkzeuge (Pinsel, Bleistifte, Hefte, Bücher), • Klassenbibliothek, • Geografiekarten usw.

64

6 Wir studieren online

Schulatmosphäre «Inhalt» In Realität bewegt man sich weg von einer Schulatmosphäre im Geist des Kasernenhofs zu einer Haus- oder besser noch Heimatmosphäre. Ovid Decroly, Zeitgenosse von Peter Petersen, empfand das Haus ebenfalls als eine wesentliche pädagogische Realität: Es weckte und es unterhielt ein starkes Interesse. Lernaktivität «Handlungsanweisung» Innerhalb des Hauses entstehen die ersten Erforschungsreisen, alle Abenteuer gehen von dort aus: im Haus befinden sich die Wurzeln des Imaginären. In diesem familiären und geliebten Umfeld, das existenziellen Bedürfnissen, insbesondere der Suche nach der schätzenden Umwelt, gerecht wird, entstehen und entwickeln sich tiefe und subtile affektive Wurzeln. Das Kind – wie alle Menschen gleich welchen Alters – hat ein Bedürfnis nach Vertrautheit und dem Schutz seines Hauses: Es ist dies das „Schneckenhaus“ des Menschen. Aber bestehen noch viele Häuser dieser Art? •

Leben unsere Kinder der Städte noch in Häusern, die ihnen den nötigen Raum, die Lichtseiten, die Entdeckungsmöglichkeiten bieten? • Ist es noch das Haus mit seinen Kellern, seinen Treppen und seinen Schattenbereichen, denn auch der Schatten ist Teil des Wohnraums? • Bieten die Wohnungen der großen Wohnsilos am Rande der Städte oder gar die der neuen Städte noch das gleiche Potenzial an Entdeckungen, an Erfahrungen, an Träumen?

6.3

Forum

Wir bringen hier einen Auszug aus dem Forum. Die ReformpädagogInnen haben uns autorisiert, diesen Ausschnitt als Beispiel anzuführen. Wir haben nur die Form leicht geändert und diese für die Darstellung in einem Buch adaptiert. Es folgt der Beginn der Diskussion.

6.3 Forum Beiträge (online-Phase Schularchitektur)

65 Datum der Erstellung

ErstellerIn

Gelesen

10.07.07

P. Petersen

4x

10.07.07

M. Montessori

4x

12.07.07

P. Petersen

3x

13.07.07

C. Freinet

4x

Architektur und Schule •

Persönliche Stellungnahme zum Thema Schularchitektur und Jenaplan-Pädagogik: – Hier wird anscheinend den LehrerInnen ein Instrument zur Verfügung gestellt, auf dem sie dann noch spielen lernen müssen. Es ist dies ein eigenartiger Weg der Schulentwicklung. Kann das wirklich funktionieren? – Positiv hervorzuheben ist sicherlich, dass versucht wurde, die Pädagogik als Leitprinzip für die Schularchitektur voran zu stellen! – Wir dürfen trotzdem nicht vergessen, dass nicht die Architektur, sondern die pädagogischen Prinzipien ausschlaggebend sein werden, ob diese Schule auch zu einer Lebensstätte werden kann! Vorbereitete Umgebung



Nicht kritisieren möchte ich die Bemühungen um eine pädagogisch ausgerichtete Schularchitektur, sondern erweitern – notwendig erweitern möchte ich diese Ideen. – Kinder lernen und arbeiten in einer vorbereiteten Umgebung. Diese Umgebung ist nach den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder gestaltet, gut strukturiert und enthält auch Entwicklungsmaterialien. – Schulentwicklung alleine ist notwendig, aber nicht ausreichend. Wir müssen uns um den inneren Bereich der Schule kümmern, um die Erziehung, um die Entwicklung des Menschen, um den Unterricht. – Ich möchte gerne die Schularchitektur mit der MontessoriPädagogik vereinen. Was meinen Sie dazu, Herr Petersen? RE: Vorbereitete Umgebung



Sehr geehrte Frau Montessori, ich gebe Ihnen hier ganz Recht. Wäre es nicht an der Zeit, einen Unterricht zu entwickeln, der die Ideen der Reformpädagogik in einem neuen und modernen pädagogischen Denken vereint? Ich würde jetzt gerne mit dieser Diskussion beginnen. Scholion scheint mir dazu ja eine gut geeignete Plattform zu sein. Wer macht mit? Verlasst die Schule!





Meiner Meinung nach wird der Aspekt der Schularchitektur einfach überschätzt. Der Idee, das Leben in die Schule hinein zu nehmen – wie P. Petersen vorschlägt – stand ich schon immer skeptisch gegenüber. Eine schöne Schule – schön und gut. Ich plädiere aber weiterhin dafür, dass wir die Schule verlassen und im Leben lernen. Für das Leben durch das Leben!

66

6 Wir studieren online RE: RE: Vorbereitete Umgebung:



Ich mache natürlich bei eurer Diskussion über eine neue reformpädagogische Schule mit! Bis bald!!!

13.07.07

C. Freinet

4x

15.07.07

H. Parkhurst

4x

17.07.07

M. Wagenschein

4x

21.07.07

E. Key

5x

„A way of life“: •

• •

Der Daltonplan ist per se kein methodisches Konzept, sondern „a way of life“. Daher gefällt mir die Idee einer pädagogisch orientierten Schularchitektur sehr, stellt aber für die Realisierung des Daltonplans keine Notwendigkeit dar. Lernen in Freiheit, Kooperation und nach dem Grundsatz der Zeiteinteilung, können wir in den meisten Schulen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Selbstständigkeit der SchülerInnen und die Professionalität der LehrerInnen. Ich möchte eine Frage an Herrn Wagenschein stellen: Sehr geehrter Herr Wagenschein, ist es für Sie vorstellbar, dass wir beide an der Konstruktion von assignments arbeiten und Sie dazu ihre Erfahrung der Stoffauswahl nach dem Prinzip des exemplarischen Lernens einbringen? Ich, für meinen Teil, möchte Sie gerne zu einer solchen Kooperation einladen! RE: „a way of life“





Sehr geehrte Frau Parkhurst, es wird mir eine Ehre und ein Vergnügen sein, mit Ihnen assignments zu konstruieren. Es wäre doch auch konstruktiv, wenn wir dadurch ebenso einen Beitrag zur Diskussion einer reformpädagogischen Schule leisten könnten. Ich bin mit anderen KollegInnen noch immer der Meinung, dass der Daltonplan ein Konzept zur Reform der Sekundarstufe I und II ist, wenn nicht eigentlich „das“ Reformkonzept für die genannten Schulbereiche. Ich stelle Ihnen gerne meine bescheidene Erfahrung zur Verfügung! Rückmeldung!

• • •

Ich schätze alle Beiträge im Forum sehr! Schön, dass bereits eine gemeinsame Initiative entstanden ist! Im muss euch alle trotzdem daran erinnern, dass unsere Aufgaben in der Bearbeitung des Moduls „Schularchitektur“ gefunden werden sollen! Danke! …

6.4 Chat

6.4

67

Chat

Der Chat war im Rahmen der gemeinsamen Arbeit die Kommunikationsform, die für unsere ReformpädagogInnen doch sehr gewöhnungsbedürftig war. Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sollten bedenken, dass die ProbandInnen das erste Mal in einem Chat miteinander kommunizierten. Wenn Sie schon einmal diese Kommunikationsform probiert haben, werden Sie die Schwierigkeiten kennen und verstehen. Ich, Ellen Key, habe den Chat vorbereitet und versuche, das Gespräch so zu moderieren, dass die Kommunikation einigermaßen geordnet und verständlich bleiben wird und unsere Zusammenkunft in diesem Chatraum anschließend von allen TeilnehmerInnen als konstruktiv erlebt werden kann. Liebe ChatterInnen, hier einige wenige, aber wichtige Regeln, damit unsere Kommunikation mit diesem Medium auch funktionieren kann: • Bitte seid 5 Minuten vor dem vereinbarten Termin eingeloggt. • Ich erlaube mir für den ersten Teil, die Moderation zu übernehmen: – Wir posten unsere Themen, die wir im Chat besprechen möchten. – Wir lesen und geben keine Antwort. – Die Moderatorin ordnet und bittet dann um Stellungnahmen zu ausgewählten und geordneten Themen. – Ergänzende Stellungnahmen – Wir posten unsere Fragen. – Wir lesen unsere Fragen. – Wir versuchen Antworten auf die ausgewählten Fragen zu geben. – Wir achten auf Ergänzungen im freien Chat – Bitte eindeutig zu erkennen geben, ob jede/r noch anwesend ist. – Bitte um eindeutige Abmeldungen • Danke! Chat-Protokoll Wir bringen hier einen Auszug aus dem Forum. Die ReformpädagogInnen haben uns autorisiert, diesen Ausschnitt als Beispiel anzuführen. Wir haben nur die Form leicht geändert und diese für die Darstellung in einem Buch adaptiert. Folgend der Beginn der Diskussion.

68

6 Wir studieren online

E. Key

Allen, die noch kommen, wünsche ich einen schönen guten Abend.

P. Petersen

Guten Abend, Ellen! Haben wir schon begonnen?

C. Freinet

Hallo Peter! Hallo Ellen! Comment ca va?

M. Montessori

Guten Abend!

H. Parkhurst

Hallo, ist das spannend!

M. Wagenschein

Geschafft, guten Abend an alle.

E. Key

Freue mich, dass alle so pünktlich sind. Ich möchte gerne beginnen und bitte euch eure Themen für unseren Chat zu posten?

M. Montessori

…posten?

P. Petersen

Na ja, einfach hier schreiben.

H. Parkhurst

Ich finde, wir sollten die Idee von Peter nochmals aufgreifen und das Projekt für ein gemeinsames reformpädagogisches Modell planen.

E. Key

Bitte um weitere Themen!

P. Petersen

Sind alle einverstanden, dass wir für unser gemeinsames Projekt den Jenaplan als „Ausgangsform“ nehmen können!?☺

M. Montessori

Ich habe nichts gegen ein gemeinsames Projekt, aber ich möchte, dass in dieser Entwicklung die Montessori-Pädagogik eine eigenständige Methode bleiben kann.

C. Freinet

No problem! Aber wir lernen im Leben, nicht nur mit Materialien!☺

M. Wagenschein

Liebe Frau Montessori, ich würde mich gerne einmal über ihre großen Geschichten mit Ihnen austauschen. Das ist doch etwas ganz Ähnliches, wie der genetische Aspekt im exemplarischen Unterricht, oder?

E. Key

Themen posten nicht vergessen – nicht gleich in die Diskussion einsteigen!

M. Montessori

Lieber Herr Wagenschein, ich bin einverstanden. Das ist sicher eine Möglichkeit Gemeinsamkeiten zu finden …

C. Freinet

Mich interessiert eine Frage zu Scholion: Wie kann die gemeinsame Planung und der Gruppenrat in diesem Medium abgehalten werden? Ich bin begeistert vom e-learning. Gibt es von unseren TutorInnen noch eine vertiefende Information darüber?

P. Petersen

Das würde mich auch interessieren!

E. Key

Ich versuche einmal zusammen zu fassen, welche Themen im Vordergrund eurer Interessen stehen: usf.

6.5 Reflexion der online-Lernphase

6.5

69

Reflexion der online-Lernphase

Ellen Key fasst für uns aus den einzelnen Reflexionsberichten zusammen: Als noch nicht ausgereift wurde die Aufbereitung des Inhalts angeführt. Die ReformpädagogInnen haben zugesagt, sich in ihren Essays auf dieses Problem zu beziehen. Wir erwarten hier von ihnen Ideen, wie nach Ihren Vorschlägen der Inhalt ausgewählt und strukturiert werden sollte, und vor allem, wie diese Aufbereitung den Grundsätzen der Selbsttätigkeit, des Selbstständigen und Selbstbestimmten entsprechen kann. Die ReformpädagogInnen haben häufig auf die Bedeutung der TutorInnen für den Prozess des e-learning hingewiesen. Ihre Aufgabe entspricht Maria Montessoris Kernaussage: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ TutorInnen sollten als LernbegleiterInnen in einer Lernumgebung mit Material, das Aufforderungscharakter zum selbsttätigen Erschließen von Inhalt hat, fungieren. Für die Strukturierung des Inhalts hat Elen Parkhurst aus der Daltonplan-Pädagogik viele Anregungen eingebracht. Es wird interessant werden, wie ein oder mehrere gut funktionierende assignments in Module integriert werden können. Positiv wurde vermerkt, dass aus dem vorgegebenen Text in einem Modul ein eigener Text konstruiert werden kann und damit der zu lernende Text zu eigenem Text wird und in individuelles Wissen integriert werden kann. Das Erstellen eigener Beiträge und die Diskussion im Forum erforderte sehr viel Disziplin. Hier müssen sich alles Studierenden, wie Helen Parkhurst anmerkt, die Zeit sehr gut einteilen können. Und wenn niemand einen Beitrag ins Forum stellt, kann auch nicht diskutiert werden … Eine interessante Frage ist jene nach der Zusammensetzung der Gruppen. Wir ersuchen Peter Petersen dieses Thema in seinem Essay zu erörtern. Die ersten gemeinsamen Erfahrungen mit Scholion erlauben den eingeladenen ReformpädagogInnen, ihre Essays zu unserem Hauptthema „Würde ich … Scholion nutzen?“ zu verfassen. Sie erlauben aber auch unseren e-learning-ExpertInnen und Scholion-EntwicklerInnen in einen fokussierten Dialog mit den ReformpädogigInnen bei der Beantwortung obiger Frage zu treten. Die Essays versuchen somit einen diskursiven konzeptionellen wie praktischen Brückenschlag der Reformpädagogik und e-learning-Konzepten und -Entwicklungen. Betrachten wir die Entwicklung des Gebiets e-learning aus der Perspektive der bislang genannten Grundsätze reformpädagogischer Ansätze, so können wir vorab erkennen, dass dort mit großer Wahrscheinlichkeit die didaktischen Ansprüche, die heute an e-learning gestellt werden, schon ‚vorgeordnet’ sind (wie Peter Petersen sagen würde). Denken wir nur an die Prinzipien des eigenverantwortlichen Lernens, das Konzept der Lernumgebungen, das aktive Lernen, aber auch die Elemente der Kommunikation und Kooperation bis hin zur Erziehung zur Demokratie. Für Lernende im Netz, die besondere Unterstützung brauchen, bietet sich vor allem das Modell der Daltonplan-Pädagogik von Helen Parkhurst an. Aber auch die Aspekte der Kommu-

70

6 Wir studieren online

nikation und Kooperation, die nicht nur mir, sondern auch besonders Célestin Freinet am Herzen lagen, stellen wesentliche Säulen von e-learning dar. Selbst die Idee Maria Montessoris „Hilf mir, es selbst zu tun“ ist meines Erachtens nach ein wichtiger Aspekt, der beim Tutoring im e-learning besonders zum Tragen kommt. Im Sinn Martin Wagenscheins stellen wir die vergleichende Arbeit mit der e-learning-Plattform Scholion im exemplarischen Sinn für das e-learning und dessen didaktischen Rahmen dar. Aber lassen wir die ReformpädagogInnen selbst zu Wort kommen...

7

Der Daltonplan

Meinen, Helen Parkhursts, Grundsätzen selbst treu bleibend, beginne ich meine Ausführungen mit jener Struktur, die den Einstieg in zu vermittelnde Inhalte darstellen sollte, dem Advanced organizer: • • • • •

Wie mein Ansatz, der Daltonplan, entstanden ist – „a way of life“. Principles und assignments – die wesentlichen Elemente des Daltonplans. e-learning am Beispiel Scholion mit Daltonplan. Der Daltonplan als Impetus zur Weiterentwicklung von Scholion. Ich denke nach und ich fasse zusammen.

7.1

Entwicklungslinien der strukturgeleiteten Selbsttätigkeit

Der von mir (Helen Parkhurst) mit Unterstützung von John Dewey erarbeitete und umgesetzte Daltonplan ist per definitionem kein didaktisches Konzept. Er ist auch kein pädagogisches Modell per se. Er ist – wie ich immer wieder betone – „a way of life“. Ich selbst wurde durch die Mentalität der „face-to-face-community“ erzieherisch stark geprägt, in der die Geisteshaltungen der „Pioniergemeinde“ zumindest ideologisch noch lebendig waren. Ich erinnere mich noch, dass interessanterweise W. H. Kilpatrik 1928 in einem Vortrag die charakteristischen Merkmale der Progressive-Education-Bewegung auf eben diese Mentalität der so genannten „frontier“ zurückführte: „‚Stärkste persönliche Selbstbestimmung’ und ‚Unwilligkeit gegen Zwang’ verbanden sich mit einer demokratischen Grundeinstellung, mit weltanschaulicher und religiöser Toleranz und einer gewissen Skepsis gegen die ‚letzten Wahrheiten’. ‚Kein Prinzip ist absolut, (...) ein jedes kann nur angewandt werden im Lichte aller anderen Prinzipien, die durch die in Frage kommende Situation veranlasst werden’.“ (Zit. nach: Popp, 1995, S.19) In meinem Hauptwerk „Education on the Dalton Plan“ beschrieb ich später meine eigene Schulsituation recht kritisch, wenn ich die Meinung vertrat, dass der durchschnittliche Lehrer wohl die strenge Disziplinierung der Schüler mit der erfolgreichen Wissensvermittlung gleichsetzt. Die motorische, affektive und geistige Aktivität des Kindes wurde vor allem als Faktor der Erziehungsbedürftigkeit, nicht aber als Grundlage der Erziehungsmöglichkeit

72

7 Der Daltonplan

betrachtet. (Parkhurst, 1922, S.27ff) In Anbetracht meiner negativen Schulerfahrungen fällt es mir heute nicht schwer, in meinem späteren pädagogischen Konzept ein Gegenkonzept zu meinen Erfahrungen mit und in der Schule zu sehen; ein Konzept, das ich ähnlich wie Maria Montessori in enger Verbindung mit der Schulpraxis entwickelt habe. Am Beginn der Entwicklung des späteren so genannten Daltonplans stand das Schulexperiment in Waterville/Wisconsin – es muss 1904/05 gewesen sein – der „Laboratory-Plan“. In „Education on the Dalton Plan“ schrieb ich über dieses Experiment: „Gleich zu Beginn des Schuljahres wurde offenbar das traditionelle Klassenzimmer in ‚daltonspezifischer’ Weise verändert. Die auf Tafel und Pult ausgerichteten und im Fußboden verschraubten Bänke wurden gegen bewegliche Tischgruppen ausgetauscht, die nun ‚Fachwinkel’ (‚subject corners’) bildeten, in denen die Schüler selbsttätig arbeiteten. Sie folgten dabei schriftlichen ‚Arbeitsanleitungen’ (‚assignments’), wobei die jüngeren Schüler Wochen-, die älteren Monatspläne mit 20 ‚Arbeitseinheiten’ (‚units’) pro Fach und Monat erhielten; diese hatten jene bei der Gestaltung und Ausführung ihrer Wochenarbeit zu unterstützen. Außerdem waren sie als ‚Monitoren’ in den ‚subject corners’ eingesetzt, wo sie darauf achten sollten, dass Aufgaben aus dem entsprechenden Fach-‚assignment’ ausgewählt und ausgeführt würden. Wenngleich es in Waterville wohl noch einen Stundenplan gab, der die Schüler teilweise band, so durften sie sich anscheinend doch im Klassenzimmer frei bewegen und nach Belieben mit Partnern oder Gruppen kooperieren.“ (Popp, 1995, S.25) Während ich in einem eigenen Büro nahe dem SchülerInnen-Arbeitsraum die assignments vorbereitete, Lerngruppen unterrichtete und Einzelgespräche führte, waren die Lernenden für Ordnung und Disziplin im Klassenraum ebenso selbst verantwortlich wie auch für die Ausführung ihres individuellen Arbeitspensums. Diese Freiheit der SchülerInnen gepaart mit Verantwortung ist im Laboratory-Plan wie auch später im Daltonplan als pädagogisches Kernstück zu finden. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang, dass die SchülerInnen auch in die Planung und Gestaltung der Lehr- und Lernorganisation immer wieder einbezogen wurden. Die Möglichkeit an der Gestaltung ihrer Schule mitzuwirken, ist schließlich der Lernhaltung der Lernenden zugute gekommen: „They could hardly believe what they are hearing: a teacher who asked them what they thought and listened to them with respect.“ (Luke, Dorothy: Champion of Children. o. J. In: Popp, 1995, S.25) Ab Herbst 1919 entwickelte ich das Konzept der auf dem „Laboratory-Plan“ basierenden „Children’s University School“ auch an anderen Schulstandorten erfolgreich. 1919/1920 begann ich dann mit der „Daltonisierung“ der „Dalton Public High School“, einer öffentlichen Sekundarschule. Das Interesse des Schulleiters galt vor allem der inneren Differenzierung. Der Daltonplan wurde an dieser Schule bis 1928 durchgeführt, wobei folgende Vorteile des Verfahrens verzeichnet werden konnten: • individuelles Lerntempo, • erhöhte Leistungen der schwächeren SchülerInnen, • größere Verantwortung hinsichtlich der Lernzeit,

7.2 Das dem Daltonplan zugrunde liegende Menschenbild • • • •

73

wachsendes Selbstvertrauen, Eigeninitiative, ein verbessertes LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis, gesteigertes Interesse an weiterführender Schulbildung.

Die ersten Berichte über das fortan „Dalton (Laboratory) Plan“ genannte Konzept erschienen bereits 1920 und erregten großes Aufsehen. Eine interessante Entwicklung nahm die „Children’s University School“, ab 1924 „Dalton School(s) New York“, an der ich dann bis zum Jahre 1942 tätig war: „In der ‚Primary School’ wurde eine modifizierte Form der Montessori-Methode angewandt und der Daltonplan erst mit dem Beginn der ‚Elementary School’ (dem vierten Grundschuljahr vergleichbar) eingeführt. Für die so genannten ‚akademischen’ Fächer waren auf allen drei Schulstufen eigene Laboratorien eingerichtet, in denen die Schüler mit dreifach niveauabgestuften Monats-‚assignments’ arbeiteten. Daneben verfügte jede Schule über eigene Fachräume für Kunst-, Werk-, Musik- und Körpererziehung. Lehrerteams arbeiteten stufenbezogen in enger Kooperation.“ (Popp, 1995, S.42)

7.2

Das dem Daltonplan zugrunde liegende Menschenbild

Der Daltonplan sieht den Menschen als freies Wesen, das verantwortlich für seine Entscheidungen ist. Er sieht ihn darüber hinaus als kreatives Wesen in seinem Denken. Als anthropologische Voraussetzungen für ein Erziehungskonzept erachten die meisten DaltonLehrerInnen die Elemente Freiheit, Verantwortung und Sozialität. In diesem Kontext möchte ich immer wieder die Integrationsnotwendigkeit von Lernenden in die bestehende Gesellschaft betonen. Die Pädagogik des Daltonplans soll zur Entfaltung von Persönlichkeitswerten führen, wie industrious, sincere, open-minded und independent. Ich beziehe die schulische Bewältigung der Lebensaufgaben stets auf die gegenwärtigen Erfahrungen der Studierenden. Ähnlich zu Maria Montessori sehe ich die Bewältigung der gegenwärtigen Aufgaben als die beste Vorbereitung auf das künftige Leben an. Damit ergibt sich eine gänzlich neue Sicht auf die Frage, ob die Schule überhaupt – und wenn ja, wie – die Aufgabe habe auf das künftige Leben vorzubereiten oder ob sie nicht vielmehr die Aufgabe hätte, sich der optimalen Entwicklung der personellen und sozialen Fähigkeiten des Individuums im „Hier und Jetzt“ zu widmen. Dies könnte die beste Vorbereitung auf die Zukunft jedes Menschen sein: „To become masters not only of our time and work, but of ourselves, is a real preparation for life.” (Parkhurst, 1922, S.100)

74

7 Der Daltonplan

Maria Montessori formulierte ganz ähnlich: „ ... Meister seiner selbst zu sein, “ (Montessori, 1968 (original München 1934), S.23 und Standing, 1959) als ein wesentliches Erziehungsziel einer Pädagogik der Selbstbestimmung. So ist der Daltonplan auch nicht als ein System im Sinn eines zweckmäßig geordneten Ganzen aufzufassen. Ein System ist nach meinem Verständnis konsistent, eine imponierend gebaute Gedankenkonstruktion. Sobald ein derartiges Unterrichts- und Erziehungsgebäude fertig gestellt ist, gibt es die Gefahr der Erstarrung. Mein Daltonplan ist jedoch vielmehr „an influence“. Wir könnten dieses Wort auch mit „Arbeitsidee“ übersetzen – eine mittels der Prinzipien und des Pensums (auf diese beiden Punkte komme ich bald zu sprechen) selbst gestaltete Lernsituation. Ein System kann vollendet enden, die Daltonschule niemals. Dazu schrieb ich bereits 1922 sinngemäß: Da Freiheit ein integrales Teil jenes Ideals ist, habe ich sorgfältig dafür Sorge getragen, aus meinem Plan keine stereotype, gusseiserne Sache zu machen, die in allen Schulen angewandt werden könnte. Solange das Prinzip, das ihn (den Daltonplan – Anm. d. Verf.) beseelt, aufrecht erhalten bleibt, kann er in Übereinstimmung mit den Schulumständen und dem Lehrerschaftsurteil modifiziert werden. Dazu muss ich den Daltonplan präziser erklären.

7.3

Die Daltonprinzipien und das Pensum

In „Education on the Dalton Plan“ (1922) nenne ich zunächst zwei Grundprinzipien meiner Pädagogik: „Freedom is ... the first principle .... The second principle ... is cooporation or ... the interaction of group life. “ (Parkhurst, 1922 (London 1924), S.84) Ich definierte damals die „pädagogische Freiheit“ nicht als absolute Selbstbestimmung der Lernenden, sondern vielmehr als selbst gesetzte Bestimmtheit im Verhältnis zu einer Aufgabe. Bedenken wir den Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen von „Freiheit“ – „Freiheit für“ und „Freiheit von“ – so ist im Daltonunterricht in der Regel die Rede von ersterer: „Freiheit für“. Ich wurde vor allem von den vier „atlantischen Freiheiten“ (freedom of speech, freedom of religious worship, freedom from want und freedom from fear) in meinem Freiheitsbegriff beeinflusst. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die beiden Bedeutungen des Freiheitsbegriffes komplementär sind: Freiheit zur Äußerung der eigenen Meinung bedeutet ebenso Freiheit von Unterdrückung. Freiheit bedeutet aber auch, die Freiheit anderer Menschen zu respektieren, wodurch die eigene Freiheit wieder eine Einschränkung erfährt und Grenzen bekommt. Freiheit ist Wahlfreiheit, unlösbar verbunden mit der Verantwortung für die Entscheidungen, die jede/r von uns trifft. Ich versuchte mit dem Daltonplan den Schwerpunkt auf das Lernen zu verlegen und nicht auf das Lehren zu legen. Im herkömmlichen Unterricht ist es die Aufgabe der Lehrperson, darauf zu achten, dass die SchülerInnen lernen. Ein wesentliches Prinzip des Dalton-

7.3 Die Daltonprinzipien und das Pensum

75

Unterrichts ist es aber, dass die Lernenden selbst verantwortlich für ihre Arbeit und ihren Fortschritt sind. Der Unterricht wird so abgehalten (Pensen, Wahlmöglichkeiten, assignments,...), dass die SchülerInnen verstehen, dass das Lernen ihre Sache ist und nicht die der Lehrperson. Den Lernenden Verantwortung für ihr Tun und Leben in einem institutionalisierten Rahmen wie der Schule zu geben, prägt ebenso deren Selbstvertrauen und Fähigkeit, initiativ für sich selber zu werden. Indem wir die Aufgaben in der Form eines Pensums geben, für dessen Erfüllung sich die Lernenden verantwortlich wissen, geben wir der Arbeit Würde und den Lernenden das Bewusstsein eines bestimmten Zieles. Dieses Bewusstsein wächst, wenn wir ihnen bewusst machen, dass wir ihnen und auch ihrem Vermögen trauen, das Pensum zu leisten. In der Zusammenarbeit manifestiert sich die Daltonplan-Pädagogik als Pädagogik, als mehr als nur eine Methode. In der Zusammenarbeit werden drei Elemente verwirklicht, die die erzieherische Bedeutung meiner Pädagogik verdeutlichen: • Freiheit zu erlernen • Kreativität zu erlernen • in einer Gemeinschaft als Mitglied leben zu können In der Zuwendung zum Stoff (Pensum) ist vom Lernenden eine konzentrierte Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, das Klarwerden einer Problemstellung und die Kreativität möglicher Lösungen gefordert. In der Zuwendung zur Gruppe wird das Kind lernen, die anderen zu respektieren und zu verstehen, seine eigene Meinung zu formulieren und in der Diskussion zu vertreten und eine entsprechende Kultur des Gesprächs und des demokratischen Zusammenlebens zu entwickeln. Von entscheidender Bedeutung im Daltonplan ist das Recht der Lernenden, im Rahmen der Monats- oder Wochenpensen über die Verwendung der verfügbaren Lernzeit frei zu entscheiden und während der Daltonphasen ungestört zu arbeiten. Wenn wir als Lehrende den Lernenden die Kompetenz zuerkennen, planvoll und verantwortungsbewusst mit der verfügbaren Zeit umgehen zu können, so unterstreichen wir ihre Selbstständigkeit. „Freedom is taking one’s own time. To take someone else’s time is slavery“. (Parkhurst, 1922, S.16) Die Verpflichtung der Lernenden auf die Einhaltung eines vorgegebenen Wochen- oder Monatspensums soll keinesfalls eine Gleichschaltung der Lernzeiten bedeuten, viel eher eine Orientierungshilfe für die Arbeitsplanung der Lernenden. Jene, die das „Fundamentum“ in der vorgegebenen Zeit nicht abschließen können, sollen die Arbeit so lange fortsetzen, bis sie zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis kommen. Lernende, die aus bestimmten Gründen später einsteigen, wird die volle Anzahl der Arbeitstage zugestanden, die dem „job“ zugrunde liegt. 1925 fügte ich den dritten pädagogischen Grundsatz bei: „The Proportion of Effort to Attainment or Budgeting Time“. Der niederländische Daltonverein nennt hingegen Selbsttätigkeit als drittes Prinzip. Dieses dritte Lernprinzip des Daltonplans umschreibt auch die angestrebte Erziehung zu Selbstständigkeit durch die Forderung nach kontrollierter Arbeitsplanung und Arbeitsdurchführung. Das ist die Forderung nach Selbsttätigkeit der Lernenden.

76

7.3.1

7 Der Daltonplan

Lernpensen im Daltonplan

Das Pensum ist ein klar sichtbares Zeichen und auch das didaktisch-methodische Kernstück meiner Daltonplan-Pädagogik. Die Lernenden übernehmen eine Aufgabe, die der/die Lehrende für sie (individuell) konstruiert hat. Diese wiederum versprechen, Hilfe bei der Erfüllung der Aufgabe zu leisten. An den „contract“ – auch „job“ genannt – sind Lehrende und Lernende gleichermaßen gebunden. Das Geben eines Pensums ist in der DaltonplanPädagogik Recht und Pflicht der Lehrenden bzw. Erziehenden, die selbstständige Ausführung des Pensums ist Recht und Pflicht der Lernenden. Ich fand es in diesem Zusammenhang wichtig, dass die Studierenden einen Überblick über den Lernstoff einer längeren Periode (z.B. Semester) erhalten, denn nur so kann den Lernenden das Endziel des Jahres klar werden, das sie dann erreicht haben sollen. Noch immer stelle ich an die Gestaltung von Pensen strenge Anforderungen. Von dieser Gestaltung hängt die Qualität des Lernprozesses ab. Ein Pensum soll • völlig ausgeschrieben werden, mündliche Weitergabe genügt nicht, • ein „interest pocket“ vorangestellt haben, das Lernende neugierig macht und ihre Motivation anregt, • deutlich sagen, was es erfordern wird und welchen Schwierigkeiten Lernende begegnen können (Es kann auch die Bemerkung „Mit dem/der Lehrerenden sprechen!“ noch dazukommen.), • drei Ebenen von Differenzierung beinhalten, und zwar – Niveaudifferenzierung, – Interessendifferenzierung, – Differenzierung nach Umfang und Zeit der Aufgabe und • aus neun Teilen bestehen (siehe unten).

7.3.2

Die Gestalt(ung) von Pensen

Ich verlange nicht nur fächerübergreifende Fragestellungen, sondern auch eingehende Absprachen aller beteiligten TutorInnen in eigenen Planungskonferenzen. Zur Gestaltung der Studierleitfäden rege ich an, dass jedem/r Studierenden die gesamte Studieranleitung für einen „job“ in einer schriftlich und einheitlich gestalteten Fassung zu übergeben sei. Aufgaben und Anweisungen sind für die Studierenden von der Lehrperson her zu begründen. Ein Pensum besteht aus neun Teilen: • Preface: Strukturierung der Aufgabe; Unterstützung der Arbeitsplanung und Motivierung der Lernenden, vergleichbar mit den so genannten „advanced organizers“ (inhaltsbezogene Organisationshilfen); Anknüpfung an die Alltagserfahrungen und Interessenlagen der Lernenden • Topic: dient der thematischen Orientierung der Lernenden

7.3 Die Daltonprinzipien und das Pensum

77

• Problems: Verzeichnis der Aufgaben, die Lernende im gegebenen assignment zu bewältigen haben, gegebenenfalls unterteilt in – written work und – memory work • Conferences: Hier wird den Lernenden mitgeteilt, wann Fachunterrichtsstunden zu bestimmten Themen stattfinden. • References: In dieser Rubrik finden die Lernenden die entsprechenden Literaturangaben bzw. Nachschlagewerke oder Fachliteratur. • Equivalents: Hier soll angegeben werden, wie die Lernenden den Fortschritt während der Arbeit am Pensum vermerken können. • Bulletin Studium: Mitteilungen auf dem Organisationsbrett, die während der Arbeit gemacht werden können und die hilfreich für die Erledigung des Pensums sind • Departmental cuts: Mitteilungen, welche Leistungen auch von einem anderen Fach anerkannt werden Diese genannten Organisationsprinzipien sind jedoch eindeutig den pädagogischen Prinzipien nachzuordnen. Danach sollen Pensen jedenfalls • • • • •

ein partnerschaftlich-kooperatives Lehrenden-Lernenden-Verhältnis signalisieren, die Freiarbeit gezielt mit der Klassen- oder Gruppenarbeit verbinden, die Möglichkeiten fächerübergreifender Verbindungen wahrnehmen, die Aufgaben auf die Lernumgebung beziehen und die Aufgaben so konzipieren, dass ein selbstständiges Studium und eine selbstständige Bewältigung der Lernaufgaben durch die SchülerInnen möglich sind. „Das „typische“ Daltonplan-Pensum konfrontiert den Schüler mit Aufgaben, die er selbstständig bearbeiten soll und deren Vielfalt vom Auswendiglernen von Fakten über die bedeutungsbezogene Aneignung von Wissen oder fachspezifischen Methoden bis zum Problem lösenden Denken und zur Arbeit an den Lern- und Problemlösungsstrategien selbst reicht. Auch der kommunikative (gemeinsame Arbeit, Diskussion), kreative oder projekt- bzw. produktorientierte Aspekt muss keinesfalls aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert werden, und dies gilt für alle Themengebiete und Fächer.“ (Popp, 1995, S.134)

Ich möchte mich nun vergewissern, ob ich einen neuen „way of life“ des modernen Lernens, e-learning am Beispiel Scholion, verstanden habe. In der Folge werde ich diskutieren, ob elearning am Beispiel Scholion auch den Prinzipen und den Methoden des Daltonplans entspricht. Vielleicht finden wir dann gemeinsam einige Vergleichspunkte oder solche der Kooperation, um e-learning am Beispiel Scholion nach dem Daltonplan auszurichten.

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7.4

7 Der Daltonplan

Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion

Soweit ich Scholion verstanden habe, stellt Scholion eine Lehr- und Lernplattform dar, die nach didaktischen Kriterien entwickelt worden ist. Das Studium auf dieser Lehr- und Lernplattform setzt eine didaktische Vorbereitung der Inhalte und auch eine klare Struktur der Methoden des Studierens voraus. Wie ich von unseren e-learning-ExpertInnen und Scholion-EntwicklerInnen erfahren habe, wurden wir mit Scholion vor allem deshalb vertraut gemacht, da es exemplarisch für elearning ist. Scholion wurde zwar von Lehrenden konzipiert, aber für das Lernen gestaltet. Mit Scholion sollen nicht nur SchülerInnen, Studierende oder Menschen im Arbeitsleben lernen können, sondern auch die Lehrenden selbst. Scholion gibt die Freiheit der (individuellen) Gestaltung von Inhalt und Kommunikation, fordert aber damit die Verantwortung aller Beteiligten, also auch der Lehrenden ein, sich über die Ziele des Einsatzes von Inhalten und die Struktur der Vermittlung vorab Gedanken zu machen. Die in Scholion vorgegebenen Strukturen dienen folglich der Orientierung zur Gestaltung der Vermittlung und des Lernprozesses. Es wird diesbezüglich sogar weniger vorgegeben, als ich in meinem Pensum als erforderlich erachte. Freilich wird in Scholion festgelegt, wer welchen Inhalt wann sehen und wie diesen annotieren darf, ebenso mit wem wer wann in Foren oder im Chat kommunizieren kann, die Nutzung bleibt allerdings in der Verantwortung der jeweilig am Lern- bzw. Vermittlungsprozess aller Beteiligten. Die virtuelle Gemeinschaft ist durch die (in der Verantwortung der Lehrenden befindliche) Strukturierung von Inhalt, die individuelle Markierbarkeit und die direkte Verknüpfbarkeit mit Kommunikationsinstrumenten wie chat und weiterem Inhalt gekennzeichnet. Somit wird der Kreativität der Gestaltung von Inhalt, Kommunikation und Kooperation Freiraum gegeben. Im Rahmen der Vorbereitung eines Kurses oder einer Lerneinheit in Scholion wird Inhalt, als Text, Bilder oder in anderer Form vorliegend, strukturiert bzw. in seine kleinsten Sinneinheiten zerlegt. Diese werden mit Anschauungsmaterial unterlegt und mit Lernaufgaben zum aktiven Lernen ergänzt. Ich (Helen Parkhurst) würde diese Lernaufgaben in Form von assignments gestalten, nach all den dafür von mir entwickelten Kriterien, die sich nun bereits seit Jahrzehnten für das selbstständige und kooperative Lernen bewährt haben. Für die Studierenden müssen bei dieser Strukturierung von Material die inhaltlichen und logischen Beziehungen zwischen den Sinneinheiten erkennbar bleiben. Es stellt sich allerdings die Frage „Was soll denn nun aufbereitet werden bzw. was ist es wert aufbereitet zu werden? Was ist denn das Wesentliche, dass so wichtig ist, dass es studiert werden soll?“ Wesentlich ist nicht nur das „Interessante“. Um das Wesentliche zu finden, müssen wir schon tiefer graben. Was macht denn beispielsweise die Mathematik aus? Was ist das „Mathematische“ an der Mathematik? Oder, was ist das „Reformpädagogische“ an der Reformpädagogik? Ich werde Martin Wagenschein bitten, aus seiner Sicht Antworten auf diese Fragen zu versuchen.

7.4 Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion

79

Bei der Diskussion um didaktische Kriterien zur Aufbereitung von Inhalt rege ich nun an, dass wir daran denken müssen, die herkömmlichen Lehrstrategien in Aneignungsstrategien zu übersetzen. Dies bedeutet wir müssen immer daran denken, Material so aufzubereiten, dass die Studierenden, diesen Inhalt in der dargebotenen Struktur möglichst optimal lernen und studieren können! Weiters muss der Inhalt einer Lerneinheit so aufbereitet werden, dass das Selbststudium der Studierenden als aktive Wissenskonstruktion immer möglich ist. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass Lernen im Sinn der Eigenkonstruktion immer mühevolles Arbeiten ist, das durch unterschiedliche Strategien erleichtert werden kann. Es kommt auf eine Verbindung zum eigenen Wissensstand an, basierend auf den Kenntnissen und Fertigkeiten des/der Einzelnen, soll ein Lernprozess in Gang kommen. „Die jeweils nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten vom Lernenden werden auf der Basis des angebotenen Erfahrungsfeldes erarbeitet. Dieses Arbeiten ist ohne begleitende Denkprozesse beim Lernenden unmöglich. Insofern kann man sagen, dass alles Wissen auf Konstruktionen des Lernenden beruht, der sich dieses Wissen einmal selbst erdacht hat.“ (Federl, 2001, S.18) Bei der Aufbereitung von Material wird auch eine inhaltliche Differenzierung vorgenommen. Der Inhalt wird auf drei verschiedenen Ebenen für die Studierenden aufbereitet – Levels Of Details. Mit diesem Feature von Scholion bietet sich nach dem Daltonplan vor allem das Lernen auf verschiedenen Ebenen der Differenzierung an, auf den Ebenen der Leistungsdifferenzierung, der Niveau- und der Interessendifferenzierung. Nachdem die Studierenden nun ihren Kurs gewählt haben, beginnen sie mit dem aktiven und individuellen Studium und mit dem Anlegen von Sichten durch Annotationen, links, Markierungen und Referenzen. Es hat mir einige Nachdenkzeit gekostet, bis ich verstanden habe, was mit „Sichten“ gemeint ist. Ein Bild hat mir in meiner Vorstellung geholfen, die Sichten in Scholion zu verstehen. Sie müssen sich vorstellen, dass Sie die Möglichkeit zur Verfügung haben, eine leere Folie über den Inhalt Ihrer Lerneinheiten zu legen. Auf diese Folie können Sie nun schreiben, Bemerkungen notieren, Fragen stellen, links anbringen, auf Literatur verweisen, Textstellen miteinander verbinden usw. So ist die Sicht einerseits ein technisches Hilfsmittel des Studierens und zeigt gleichzeitig Ihre individuelle Sicht des studierten Inhaltes. Sie können nun diese Sicht Ihren KollegInnen zugänglich machen und alle Sichten im Forum oder im Chat studieren. Nun bin ich mehr und mehr der Meinung, dass insbesondere mit der Möglichkeit des Anlegens von Sichten in Scholion ein Quantensprung hin zum individuellen Lernen auf Lehr- und Lernplattformen erreicht wurde – durch diese Sichten können meine Neukonstruktion von Denken, meine Meinung und mein Text für andere sichtbar und diskutierbar gemacht werden. Nachdem meine Beiträge kommuniziert, ergänzt, publiziert und reflektiert worden sind, kann diese Arbeit in die individuell diskutierten und dann vereinbarten learning outcomes einfließen. So können die effektiven Lernfortschritte dann von der Lerngruppe besprochen und reflektiert werden. Wichtig ist schließlich das Erreichen des individuell festgelegten Leistungsnachweises und dessen Evaluation.

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7 Der Daltonplan

Ich vertrete jedoch mit großer Überzeugung die These, und wahrscheinlich wiederhole ich mich hier bereits, dass jeglicher Lernfortschritt aus der Eigenaktivität der Lernenden entspringen muss. Dieser Punkt steht bei der Aufbereitung von Inhalten für das e-learning in einer hoffentlich fruchtbaren Dialektik mit der traditionellen Didaktik. Nochmals möchte ich betonen, dass es wichtig ist, die pädagogische Steuerung nicht außer Acht zu lassen, wenn die Eigenaktivität der Lernenden zum Prinzip erhoben werden soll. Hier ergeben sich vor allem für die LehrerInnen ein konstruktives Spannungsfeld und eine Herausforderung an ihr Berufsethos. Bei meinen Studien in Scholion hatte ich wieder einmal die Möglichkeit in die Rolle der Studierenden zu schlüpfen und wichtige Erfahrungen zu machen. So ein Rollenwechsel ist immer wieder anregend für meine Überlegungen als Pädagogin.

7.4.1

Ich lerne mit Scholion

Meiner (kurzfristigen) Erfahrung nach braucht es zum selbstständigen und selbst bestimmten Lernen für das e-learning am Beispiel Scholion folgende Kompetenzen: • Konsequente Haltungen im eigenen Lernprozess, • Bereitschaft vorstrukturierte Lernwege zu beschreiten und die Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrenden zu akzeptieren, • Übung im Umgang mit Diskussionsforen, • Übung im Umgang mit synchronen Kommunikationswerkzeugen, wie z.B. Chat, • rasches Einstellen auf technische Probleme (die leider nicht abnehmen), • Bereitschaft mit jemandem in einer gewissen „Anonymität“ zu kommunizieren (wobei von der technischen Seite her häufig schon Möglichkeiten zur Überwindung derselben vorhanden sind, z.B. durch einen Videochat). Diese Kompetenzen können Studierende aber erst nach einigen Erfahrungen mit der Arbeit in Scholion ausbilden. Hier besteht eindeutig eine Schwelle, die es zu überschreiten gilt, bis die Arbeit in Scholion immer lustbetonter wird.

7.4.2

Konsequente Haltungen im und für den eigenen Lernprozess

Ich erfuhr meinen ersten Schock zu Beginn meines Lernprozesses, als ich merkte, wie konsequent Vereinbarungen unter den Gruppenmitgliedern sein müssen, damit die Kommunikation und Kooperation bei der Arbeit auf einer Lehr- und Lernplattform auch funktionieren kann. So erhielt mein Grundsatz „The Proportion of Effort to Attainment or Budgeting Time“ (Parkhurst, 1922, S.84) eine ganz neue Bedeutung: Zeiteinteilung bedeutet ebenso Mitverantwortung für die StudienkollegInnen zu übernehmen, indem wir uns an die klaren zeitlichen Vereinbarungen halten. Wer einmal versucht hat in einem leeren Chatraum zu chatten, weiß, was ich beschreibe. Wir können im Forum auch nur kommunizieren, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein

7.4 Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion

81

Beitrag geleistet worden ist. Worauf sollten wir sonst antworten? So braucht Studieren beim Lernen nach dem Daltonplan und in Scholion sehr viel Selbstdisziplin – unerlässlich für Lernen in Freiheit. Wie wir an unserem eigenen Einstieg in das Diskussionsforum von Scholion gesehen haben, braucht es auch Vereinbarungen. Erst die klaren Vereinbarungen ermöglichen das Studieren in Kooperation!

7.4.3

Bereitschaft vorstrukturierte Lernwege zu beschreiten und die Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrenden zu akzeptieren

Die Gefahr, die ich bei e-learning und damit auch beim Einsatz von Scholion sehe, ist, dass durch die Nutzung der unterschiedlichen Medien und durch die oft unüberschaubaren Gestaltungsmöglichkeien die individuelle Bereitschaft, vorstrukturierte Lernwege zu beschreiten, didaktisch, d.h. für den Umgang mit Inhalten und Medien, nicht berücksichtigt wird. Die „Lernfreiheit“ des Daltonplans erfordert als didaktisches Äquivalent eine sorgfältige methodische Sicherung der Arbeitsbedingungen und -anregungen. Diese Leistungen werden im Wesentlichen durch schriftliche Studieranleitungen, den „assignments“, erbracht. Ich bezeichnete diese auch als „assistant teachers“, deren Aufgabe auch im Motivieren, Instruieren und „Lernen Lehren“ liegt. Die dem Wesen des Daltonplans nach zentrale erzieherische Leistung verweist auf ein auch in unserem Gesellschaftssystem noch bestehendes Defizit, und zwar, dass sich die Heranwachsenden in konstruktiven Problemlösungen noch nicht ausreichend als lernfähig erfahren können. Eben diese Erfahrbarkeit als zentrales Entwicklungsziel bildet aber die Grundlage für die lebensbedeutenden Lernbereiche „Daseinsbewältigung“ und „Lebenstüchtigkeit“, wie ich in meiner Pädagogik immer wieder betont habe. Damit sich Heranwachsende in konstruktiven Problemlösungen als lernfähig erweisen können, benötigen sie eine methodische Struktur, einen Lernweg, die pädagogische Unterstützung, die ihnen hilft, es selbst zu tun, um meine Kollegin Maria Montessori zu zitieren. Dies enthebt Lehrende nicht ihrer Verantwortlichkeit für den Bildungs- und Vermittlungsprozess. Es stellt sie vielmehr vor die Aufgabe, in Kenntnis eines institutionell oder gesellschaftlich normierten Bildungsziels individuelle Wege zur Erreichung dieses Ziels zu unterstützen und konstruktiv zu begleiten.

7.4.4

Assignments in Scholion

Zur Unterstützung des selbst gesteuerten Lernens und Studierens bekommen die Studierenden ein assignment, wie ich es bei der Vorstellung meiner Daltonplan-Pädagogik bereits beschrieben habe. Es handelt sich um ein schriftliches Dokument, dass ganz klar die Ausgangslage formuliert, die Ziele definiert und festschreibt, was einerseits als schriftliches Produkt (written work) herauskommen soll, aber auch, was als neue Information zu Wissen

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7 Der Daltonplan

(memory work) führt. So kann die tatsächliche Qualität von e-learning zum Tragen kommen und Lehrende werden auch den Lernenden gerecht. Das Pensum oder assignment, wie ich es vorgeschlagen habe, ist meiner Meinung nach eine ideale methodische Struktur für Lernaufgaben im e-learning am Beispiel von Scholion. Ich habe hier ein Beispiel aus einem elearning-Seminar gefunden. In diesem Seminar haben die Studierenden mit und in Scholion gearbeitet.

Pensum /assignment für e-learning – Fachgebiete: Schulentwicklung – Unterrichtsentwicklung – Reformpädagogik Studium auf der Lehr- und Lernplattform Scholion Lehrgang – EISWEB Geschrieben für: Name des/der Studierenden: _______________________ Datum: ____________________________________ Code: _____________________________________ Preface: Vorwort, Einstimmung, Einleitung, Hinführung, …

Du hast in der ersten online Phase unseres Lehrgangs 2 Modelle der Reformpädagogik studiert, die Grundlagen der Neurophysiologie studiert und Perspektiven für einen individuellen Studienschwerpunkt bezogen auf Unterrichtsentwicklung angedacht. Nun ersuchen wir dich in der zweiten online-Phase eine Verbindung zwischen deinen Studienergebnissen und Studienerkenntnissen und deiner Schulpraxis herzustellen.

Topic: Thema

Selbstständiges Studium mit den Kursen in Scholion – Arbeit mit den Sichten in der 2. online Phase des Lehrganges als Grundlage für die Kooperation und Kommunikation in der Kleingruppe

Problems: Aufgaben, Problemstellungen, Schwierigkeiten

Bitte gehe nochmals in die schon von dir studierten Modelle der Reformpädagogik und der Neurophysiologie.

Written work:

Setze links (Referenzen) zwischen den Modulen, z.B. zwischen „FreinetPädagogik“ und Neurophysiologie, und für dich wichtigen Webseiten.

Lasse dich bei deinem (vertiefenden) Studium von deinen Studieninteressen leiten und benütze folgende Einrichtungen zur Intensivierung deines Studiums:

Füge Beispiele aus der Praxis als Annotationen ein, z.B. bei für dich wichtigen Aussagen, Textpassagen oder Begriffen im Kursmaterial. Stelle links zu Beiträgen deiner Lerngruppe in Scholion und von den Beiträgen zu deinen Lernmaterialien her.

7.4 Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion

83

Achte auch auf die vorbereitete Zusatzinformationen in LOD3 (Levelof-Detail 3). Beginn der Kommunikation und Kooperation Achtung: Termin! Ab der dritten Studienwoche beginnen die Diskussionen! Schalte bitte deine Sicht für einzelne TeilnehmerInnen und/oder deine Lerngruppe frei. Vergleicht nun eure Sicht und die aus dem Studium entstandenen Positionen im Forum und an einem Termin pro Woche in einem Chat. (Achtung: Terminvereinbarung ist notwendig!) Memory work:

Du wirst die Lernmaterialien durch dein aktives Studium neu konstruieren und durch diese Neukonstruktion ein eigenständiges, individuelles Wissen von den studierten Inhalten erhalten. Du wirst deine Positionen zu Unterricht, Schule und Erziehung auf der Grundlage deines Studium darstellen und theoretisch begründen können.

Conferences: Besprechungen, Unterrichtseinheiten

Regelmäßige Rückmeldungen der GruppenbetreuerInnen und Lehrende sowie der Gruppenmitglieder im Forum (mind. zweimal pro Studienwoche);

References: Verweise und fachliche Bezüge

Für dein erweiterndes Studium empfehlen wir: Röhrs, Hermann, (Hrsg.), Die Schulen der Reformpädagogik heute, Schwann Handbuch, Düsseldorf 1986 Röhrs, Hermann, Die Reformpädagogik, Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt, Deutscher Studienverlag, Weinheim 1991 Skiear, Ehrenhard, Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart, Oldenbourg 2003 und http://paed.com www.schule.suedtirol.it/blikk/angebote/reformpaedagogik/infothek.htm

Bulletin Studium: Verlautbarungen und Mitteilungen

Wie immer am Infoboard in Scholion

Departmental cuts: Abschnitte und Anerkennung der einzelnen Abteilungen

Für die Arbeit an diesem assignment sind 20 Arbeitsstunden vorgesehen. In den weiteren 20 Arbeitsstunden (Auf diese bezieht sich das hier formulierte assignment nicht ausdrücklich!) kann die Arbeit an den Schwerpunkten, die die verschiedenen Gruppen bereits in der ersten online Phase vereinbart haben, erfolgen; kann in den reformpädagogischen Modellen gearbeitet werden, die du noch nicht studiert hast, oder können die eigenen Studienschwerpunkte aus der Sicht der neu studierten reformpädagogischen Modelle diskutiert werden.

84

7 Der Daltonplan

Das Pensum selbst befindet sich im Infoboard von Scholion, einem virtuellen „Schwarzen Brett“, welches allen Lernenden zugänglich ist. Sobald nun die Studierenden die Information erhalten haben, werden sie angeleitet, das jeweilige Lernziel mit Mitteln der Individualisierung und Annotation von Inhalten bzw. der angebotenen Kommunikation zu erreichen. Die Sichten erlauben schrittweises Explorieren von Inhalt sowie die Entwicklung unterschiedlicher Positionen zu dem dargebotenen bzw. selbst dazu mittels Hyperlinks verknüpftem Inhalt. Die Leistungsfeststellung erfolgt beim Studium in Scholion durch die Überprüfung und Besprechung des Leistungsnachweises. Dieser wird in der Lernvereinbarung von den Studierenden klar festgeschrieben bzw. im Pensum von den BetreuerInnen formuliert. Diese Lernvereinbarung, die sich an den learning outcomes orientiert, dient als Orientierungspunkt im individuellen Studium. Am Ende einer Studienperiode muss dann besprochen werden, ob die oder der Studierende die im individuellen Leistungsnachweis bzw. die im Pensum formulierten Ziele auch erreicht hat. Der Umgang mit Diskussionsforen erfordert Übung. Er sollte allerdings erlernt werden, denn es entspricht den Intentionen der Daltonplan-Pädagogik wie auch den didaktischen Absichten der Lehrenden in Scholion, die Gruppe und das damit verbundene kooperative Lernen zunehmend ins Spiel zu bringen, um so vom Einzelstudium zu kooperativem Lernen im Web zu gelangen. Der wesentliche Vorteil der verschiedenen methodischen Möglichkeiten in Scholion liegt einerseits darin sie so zu kombinieren, dass die Lernenden gemäß ihren Vorlieben beim Erwerb Freude empfinden und ihren eigenen Lernweg finden können, und anderseits im kooperativen Lernen zu teamfähigen Studierenden werden. Ich habe verstanden, dass „Lerngruppe“ in Scholion anders definiert werden muss als Lerngruppe in der Schule oder in einem Präsenzseminar. Zunächst ist der sicherlich sinnvolle Weg für ein e-learning-Seminar das Bilden von Gruppen, die jedoch nicht mehr als vier bis sechs Lernende umfassen sollten. In diesem Rahmen lassen sich sinnvolle Kommunikationen über das Netz durchführen, da Kommunikation ja auf einem technischen Weg abläuft. Wesentliche Komponenten der Kommunikation, an die wir so gewohnt sind, sind im Netz nicht mehr vorhanden. Daher ist in der Kommunikation in Scholion immer eine „bewusste“ Verwendung der Worte notwendig. Gesagtes bzw. Geschriebenes kann sehr schnell zu Missverständnissen führen. Ebenso fehlen in dieser Kommunikation para-verbale und non-verbale Komponenten der Kommunikation, was auch zu emotionalen Schwierigkeiten führen kann. Allerdings lässt sich über die diversen Kommunikationswerkzeuge (Foren, Chats usw.) rasch eine Community herstellen, besonders wenn die Gruppe sich auch in Präsenzphasen kennen gelernt hat. Vorteil der virtuellen Kommunikation ist, dass alle gleichberechtigte GesprächspartnerInnen sind. Dies bedeutet, dass auch jene, die sich in Präsenzseminaren unter Umständen nicht so äußern können, sich hier sehr wohl einbringen, besonders in den Diskussionsforen oder bei entsprechend geschicktem Umgang mit der Tastatur, außer die Beteiligten verwenden akustische Features auch in den Chats.

7.4 Meine – Helen Parkhursts – Zugänge zu Scholion

85

In der Abbildung wird ein Forum gezeigt, welches auf Ziele und persönliche Fragestellungen fokussiert. Die Themengestaltung wird von den Studierenden mitgetragen und zeigt neben dem Kommunikationsbedarf die Struktur der Explorierung von assignments.

Abb. 7.1: Forum

Damit jedoch Gruppenaktivitäten auf hohem Niveau stattfinden können, müssen die TeilnehmerInnen die Basiskompetenzen technischer Natur erworben haben und fähig sein, selbst gesteuert zu lernen. Gruppenaktivitäten bedeutet aber auch, dass wir uns auf klare Gruppenregeln einlassen, die hier von besonderer Bedeutung sind, da mit ihnen die Gruppe zum Erfolg kommt oder scheitert. Dazu zählen: • Gewissenhaftes Erledigen der „Hausarbeiten“, die sich die Gruppe selbst gestellt hat oder die ihr gegeben wurden; • Anwesenheit bei vereinbarten Terminen für eine synchrone Kommunikation; • Einhalten der „Netiquette“; • Konzentration auf die Inhalte – Smalltalk kann und sollte auch außerhalb der vereinbarten Zeiten stattfinden; • Moderation durch eine/n TutorIn oder durch ein Gruppenmitglied, falls bereits einige Erfahrungen gesammelt wurden. Entscheidend ist, dass hier eigentlich die Gruppenaktivität als großes Lernpotenzial ins Spiel kommt. Nicht der Lehrvortrag ist das Um und Auf, vielmehr zeigt es sich, dass einerseits bei entsprechend aufbereiteten Inhalten sich die einzelnen Lernenden das holen, was sie für den eigenen Lernprozess brauchen, andererseits in der Diskussion dieses „Wissen“ jeder/jedes Einzelnen zu einem „Gruppenwissen“ werden kann. Durch den Austausch wird das eigene

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7 Der Daltonplan

„Wissen“ erweitert, wird in neue Zusammenhänge gebracht und schließlich zu einem weiteren Lernen führen. Damit dürfte klar geworden sein, dass e-learning am Beispiel von Scholion in diesem Verständnis vor allem den Aspekt in den Vordergrund stellt, der auch das Lernen in der Gemeinschaft, in der Community, als didaktisches Element betont. Eigenverantwortlichkeit und selbst gesteuertes Lernen im Kontext Gruppe sind die zentralen Elemente, wie im Daltonplan die „co-operation“ ein wesentlicher Grundsatz ist. Wie aus dem zweiten Prinzip der Daltonplan-Pädagogik „co-operation“ hervorgeht, dient dieses pädagogische Konzept des Daltonplans nicht nur der Individualisierung und Differenzierung des Unterrichts, sondern in gleicher Weise auch der Gemeinschaftserziehung durch die „community“. In den Laboratorien können einander SchülerInnen aus verschiedenen Jahrgängen und verschiedenen Gruppen begegnen. Entscheidend für die Entfaltung sozialer Erfahrungen und Kompetenzen ist meiner Meinung nach der Umstand, dass die sozialen Beziehungen wesentlich durch das Interesse an der Sache bzw. der Arbeit strukturiert werden und die einzelnen Lernenden im „Fachraum“ in verschiedenen Rollen agieren, meist notwendigerweise in einem „Handeln zu zweien“ (vgl. Popp, 1995, S.105). Nicht nur „Handeln zu zweien“, sondern vielmehr „Handeln zu mehreren“ ist ein wichtiges Prinzip in Scholion. Mein Lernprozess wird immer mit anderen im Forum diskutiert, von TutorInnen betreut und ist Gegenstand einer lebendigen Auseinandersetzung. Das Pensum gibt diesem sozialen Handeln Struktur und Führung.

7.4.5

Vom Facharbeitsraum zur interaktiven Benutzungsschnittstelle

In der Pädagogik des Daltonplans werden die traditionellen Klassenzimmer in „Fachräume“ umgestaltet. Diese Fachräume oder „Laboratorien“ werden von den SchülerInnen aus verschiedenen Lerngruppen (bzw. „Klassen“) und Jahrgangsstufen gemeinsam benützt. Diese Laboratorien werden mit vielfältigem Material ausgestattet, welches den Lernenden frei zugänglich sein soll: Nachschlagewerke, Zeitschriften, didaktische Materialien, Karten, Modelle, Apparate, usw. Der Lernort in Scholion ist die Benutzungsschnittstelle, von der aus die Beteiligten in die verschiedenen Lernräume gehen können. NutzerInnen können ein Modul studieren, dieses Modul verlassen und Lernräume, wie beispielsweise wikipedia, aufsuchen oder auch in anderen Einrichtungen lernen, entdecken und forschen. Sie können auch in den Gemeinschaftraum gehen und sich mit anderen Studierenden austauschen bzw. individuelle Sichten diskutieren. Studierende haben die Möglichkeit auch Hilfe in Anspruch zu nehmen und vieles mehr. In den Laboratorien werden die Freiarbeitsphasen in den Schulen, die ich nach dem Daltonplan entwickelt habe, – die „Daltonphasen“ – abgehalten. Während der „Daltonphase“ besteht die Hauptaufgabe des Lernortes darin, jene selbstständige Arbeitsweise anzubahnen,

7.5 Fazit

87

die im traditionellen Klassenzimmer weitgehend verwehrt bleibt. Jede/r Lernende soll angeregt werden, die fachspezifische Arbeit als „eigene Sache“ zu betreiben. Dies bringt gleichzeitig auch einen Wechsel der LehrerInnen-Rolle mit sich: Die LehrerInnen sind vielmehr „methodische und strukturierende HelferInnen“. Sie haben die Aufgabe, die Studierenden vor allem in deren Methoden des Selbststudiums zu begleiten. Das Lernen dieser Methoden ist mindestens so bedeutend für das individuelle Lernen wie das Studium der Inhalte. In dieser Art des Lernens ist auch die permanente Reflexion des Lernwegs der SchülerInnen von immenser Bedeutung. Diese intensive Studierarbeit geschieht in Scholion durch Anlegen und Bearbeiten bzw. Austauschen von Sichten.

7.5

Fazit

Für den Einsatz der neuen Lerntechnologien spricht vor allem die Möglichkeit sich die Information für das Lernen selbst zu organisieren, unabhängig von Zeit und Raum, somit selbst zu entscheiden, wann was gelernt wird, wobei auch mit anderen Mitlernenden der Austausch über verschiedene Kommunikationskanäle möglich ist. E-learning muss insgesamt als ein sehr komplexes mehrdimensionales Konstrukt mit den drei Bereichen Technologie, Inhalt und Methode angesehen werden (vgl. Popp, 1995, S.23). Die folgende Skizze hat mir beim Verstehen des lerntheoretischen Hintergrunds von e-learning am Beispiel Scholion geholfen.

Abb. 7.2: Benutzungsschnittstelle

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7 Der Daltonplan

Ziel jedes Lernvorgangs ist der Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die schließlich zu lebensbedeutendem Wissen werden. Die Lernenden erwerben in der Phase eines e-learning-Prozesses nicht nur die Inhalte, die sie für die Erreichung der beabsichtigten Lernziele brauchen. Vielmehr werden auch Grundlagen im Umgang mit den Technologien vermittelt. Diese sind notwendig, damit nach einer Phase der Unsicherheit im Umgang mit den Medien, die gegeben ist, Vertrautheit entstehen kann. Erst dann ist ein wirklich konzentriertes Arbeiten auf der Ebene der Inhalte möglich. Dieser Lernprozess – das Lernen des Umgangs mit den Medien und die Hinwendung zu den Inhalten und deren Bearbeitung – erfordert von den Lernenden ein hohes Maß an Disziplin und gleichzeitig Flexibilität. Zusammenfassend betrachtet ist diese Art des Studierens eine entscheidende Kompetenz für das Leben in unserer so genannten Bildungsgesellschaft. Ich, Helen Parkhurst, würde nun Scholion in der eben gezeigten Form verwenden. Es ist jenes Szenario, welches ich zu Erschließung von Scholion aufbaute. Assignments, die den Erwerb von Wissen im sozialen Verbund ermöglichen, stellen den Zugang zu Inhalt dar. Sichten und Annotationen sind jene Features, die den Studierenden die individuelle Explorierung und Erschließung in ihrem sozialen Kontext ermöglichen. Ich als Lehrende trete in den Hintergrund und vermittle auf Wunsch der Lernenden.

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Montessori-Pädagogik

Die Bewegung der Reformpädagogik ist geprägt von ordnenden Elementen, die nach den Gesichtspunkten der selbst gesteuerten Erschließung und erkenntnisgeleiteten Begleitung von Lernenden durch Erziehende oder Lehrende ausgewählt wurden. Aktives Lernen sowie die handlungsfokussierte Kommunikation zählen dabei zu Grundstützen der Wissensgewinnung. Dies sind auch bestimmende Elemente moderner Ansätze im e-learning. „Hilf mir, es selbst zu tun“ bedeutet in entscheidenden Momenten zur Erkenntnis angeleitet zu werden, die in einer den aktiven Erwerb von Wissen unterstützenden, vorbereiteten Umgebung stattfindet. Mögen sich Nebel der Verschleierung zugunsten reflektierter Handlungsbefähigung auch in virtuellen Umgebungen lichten. Advanced Organizer • • • • • • •

Zur Organisation der Arbeit und Freiheit Selbstaktivierung bzw. Aktivierung zur Selbsttätigkeit Vorbereitete Umgebung Polarisation der Aufmerksamkeit In casa di nebule – Präzisierung der Wahrnehmung und Gestalten in den Nebulen Würde ich nun Scholion nutzen? Meine persönliche Schlussfolgerung

8.1

Zur Organisation der Arbeit und Freiheit

In meinem Handbuch argumentiere ich mit den Grundsätzen und der Anwendung meiner Methode der Selbsterziehung der Kinder (Montessori 1922, S.77f), dass der Eingriff von Personen in die Entfaltung der Kinder mittelbar ist. „Wir haben diesem Leben, das von selbst in die Welt kam, die zu seiner Entwicklung erforderlichen Mittel zu bieten, und haben wir dies getan, so müssen wir achtungsvoll seine Entwicklung abwarten.“ (Montessori 1922, S.77) Ich betone hier die Mittelbarkeit des Eingriffs in doppelter Hinsicht: Es steht etwas als Mittel zwischen Lehrenden und Lernende. Die Wirkung dieses „Etwas“ ist mittelbar und nicht unmittelbar – erst an der Reaktion und den Fähigkeiten von Lernenden kann die Wirkung von Mitteln nachvollzogen werden.

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8 Montessori-Pädagogik

Interpretieren wir diese Aussagen weiter im Kontext des nicht kindspezifischen Wissenserwerbs, dann ist der Eingriff in die persönliche Entwicklung eben durch Mittel zu erzielen, die in Form von Anleitungen, Materialien oder Kommunikationsmitteln zur Verfügung stehen bzw. zwischen Lernenden und Lehrenden existieren. Wesentlich erscheint mir in diesem Zusammenhang die wertschätzende Haltung des Lehrenden, wie auch schon eingangs erwähnt: „Achtungsvoll“ Entwicklungen abzuwarten bedeutet Wertschätzung individuellen Verhaltens bis sich die Lernenden wieder der Welt zuwenden und Wertschätzung dessen, was durch den Wissenserwerb bewirkt werden kann bzw. wurde. Und dies bedeutet seitens der Umwelt auch gegebenenfalls Erwartungen zu revidieren bzw. weitere Möglichkeiten gemeinsam mit den bzw. für die Lernenden zu entdecken. Beide Haltungen zur Wertschätzung lassen Ansätze zur Standardisierung von Lernangeboten sowie leistung(en) zur Problemlösung in neuem Licht erscheinen, und zwar unabhängig von Digitalisierung und Virtualisierung. Ich möchte nun weiter argumentieren, dass meine erfahrungsgeleitete Arbeit neue Mittel hervorgebracht hat, die Kindern „einen höheren Zustand der Ruhe und Güte“ (Montessori, 1922, S.117), erreichen lässt. Sollte dies nicht auch die Zielsetzung von Wissenserwerb sein? Sollten nicht Lernende durch Wissenserwerb einen „höheren Zustand der Ruhe und Güte“ erreichen, der es ihnen ermöglicht, abgeklärt mit Problem umzugehen und auch andere, vielleicht schon existente Problemlösungsansätze oder Konzepte intensiv zu studieren? Ich möchte diesen höheren Zustand der Ruhe und Güte nun dahin gehend interpretieren, dass Individuen durch Wissenserwerb geistiges oder körperliches Potenzial persönlichkeitsförderlich nutzen und sie so Vertrauen gewinnen. Dieses Vertrauen ermöglicht ihnen, in Ruhe auf eine Situation zuzugehen, deren Eigenschaften zu erheben und in Veränderungsprozesse zu integrieren, die sie dann bewirken oder durchführen. Die von mir gefundenen Mittel beziehen sich auf die Organisation der Arbeit und Freiheit. „Eben die vollständige Organisation der Arbeit, welche die Möglichkeiten der Selbstentwicklung gewährt und dem Tätigkeitsdrang Raum gibt, verschafft jedem Kinde eine wohltuende und beruhigende Befriedigung. Und unter diesen Arbeitsverhältnissen führt die Freiheit zu einer Vervollkommnung der Fähigkeiten und zur Gewinnung einer schönen Disziplin, die selbst das Ergebnis jener im Kinde entwickelten neuen Eigenschaft, der Ruhe, ist.“ (Montessori, 1922, S.117) Wird dieser Auffassung von Wissenserwerb gefolgt, bedeutet dies, dass die innere Ruhe als das höchst entwickelte Bildungsgut angesehen werden kann, um individuelle Zufriedenheit zu erreichen, die ich als wohltuende und beruhigende Befriedigung ansehe. Wissenserwerb stellt wie die Erziehung eine Freiwerdung, und zwar durch die Organisation der Arbeit, dar. Zu bemerken ist, dass die Bezeichnung von Wissenserwerb bzw. -transfer mit „Organisation der Arbeit“ den wertschöpfenden Charakter von Wissenserwerb unter Aufwendung von individueller Energie anspricht und vom Wesen her festlegt. Die Aufgabe, die es nun meiner Einschätzung nach seitens der BildungsträgerInnen und EntwicklerInnen von e-learning-Umgebungen zu erfüllen gilt, ist folglich die „Organisation der Arbeit“, d.h. des Wissenserwerbs durch Beteiligung der Lehrenden derart zu gestalten,

8.2 Selbstaktivität bzw. Aktivierung zur Selbsttätigkeit

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dass Lernende „frei“ werden. Diese Freiheit wollen wir als Freiheit des Zugangs zu Situationen, der Suche nach und Auswahl von Handlungsmöglichkeiten sowie den unspezifischen (d.h. nicht etwa durch zwingende Leistungsfeststellungen festgelegten) Umgang mit den Ergebnissen von Handlungen verstehen. E-learning-Systeme können gegebenenfalls als Mittel für den Wissenserwerb anzusehen sein, die diese Freiheiten zulassen und deren Erschließung lernendengerecht fördern. Für die Gestaltung von e-learning-Umgebungen bedeutet dies, dass der Organisation des Wissenserwerbs wesentliche Bedeutung zukommt. Als ich die Chance hatte, mich mit den Scholion-Entwicklern dahin gehend auseinanderzusetzen, übersetzten sie dies auf ihre Entwicklungsaufgabe, fachliche Inhalte, die Navigation in Feature- und Informationsräumen sowie die Präsentation von Information lernendengerecht aufzubereiten und zugänglich zu machen. Im Rahmen der Standardisierungsbemühungen von e-learning wurde für die Organisation der Arbeit bereits der Begriff des Lernmanagements geprägt. Ich werde prüfen müssen, in welcher Form Scholion die Organisation der Arbeit zur Gewinnung von Freiheit unterstützt.

8.2

Selbstaktivität bzw. Aktivierung zur Selbsttätigkeit

Die Unterrichtspraxis der Regio Scuola Tecnica Michelangelo Buonarotti und des Regio Istitutio Tecnico Leonardo da Vinci, die ich besuchte, war lehrbuchorientiert (Kramer, 1977, S.30ff). Ein selbstständiges Erkunden und Erforschen von fachlichen Zusammenhängen durch Lernende mithilfe der Lehrperson gab es nicht. Dies war ein Anstoß über Selbsttätigkeit nachzudenken (Heiland, 2003, S.16). Die Aktivierung, die auf Selbsttätigkeit der Kinder gerichtet ist, wurde zum Lehrenden-Grundsatz, vor allem durch die „freie Wahl“ des Materials und damit der Lernaufgaben und durch die „freie Zirkulation“ im Klassenraum und zwischen den Klassen (Montessori, 1968, S.38). Jede Lernumgebung, und damit auch eine elektronische, sollte Eigenaktivitäten fördern oder noch besser das Setzen von Aktivierungen, die auf Selbsttätigkeit zielen, unterstützen. Lernende sollen durch eigene Erfahrungen und Möglichkeiten eigener Aktivitäten genaue Antworten erfahren: Die Rolle der Erziehung besteht darin, zuerst das Kind und dann die Studierenden an einer äußeren Aktivität tief zu interessieren, an die sie sich mit all ihren Fähigkeiten hingeben. Es handelt sich darum, ihnen Freiheit und Unabhängigkeit zu geben, indem die für ihre Entwicklung Verantwortlichen sie für eine Wirklichkeit interessieren, die sie dann durch ihre Aktivitäten entdecken und erschließen. Das ist für das Kind das geeignete Mittel, sich vom Erwachsenen zu befreien. Die selbst entdeckten Antworten machen Lernende frei von vorgegebenen Inhalten und Kontaktaufnahme. Darüber hinaus kann dieser Prozess auch Fragen auslösen, mit denen Lernende sich an PartnerInnen oder Lehrende wenden. Die auf diese Weise entstehende Kommunikation ist nicht nur inneres Anliegen, sondern wird zu weiteren Erkenntnissen führen, da sie auf Erfahrenem

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8 Montessori-Pädagogik

aufbaut, zumeist fokussiert ist und keiner künstlichen methodischen Intervention seitens der Lehrenden bedarf, also natürlich abläuft. Sobald nun eine vorbereitete Umgebung geschaffen wird, liegt Material vor. Dieses kann und soll zur Aktivierung von Eigenaktivität bzw. handlungsorientierter Bearbeitung genutzt werden. In e-learning-Umgebungen wird Material in Hypermedien, das sind miteinander vernetzte Texte, Videos, Bilder und Tondokumente, dargestellt. Aufgrund der digitalen Form von Information bzw. Virtualisierung von Gegenständen ist in hypermedialen Lehr- bzw. Lernumgebungen eine integrierte Auseinandersetzung mit dem Material mit Händen und Sinnen nur bedingt möglich. Bewegungsabläufe können nur eingeschränkt gefördert werden, da direkt manipulative Elemente in visualisierten virtuellen Umgebungen bewegt werden können. Somit verbindet sich vornehmlich das geistige Aktivsein der Lernenden mit ihrem Inneren, aber nicht das körperliche (vgl. Heiland, 2003, S.27f). Die Einheit von Intellekt und Sinnestätigkeit geschieht ohne direkten physikalischen Sinneszusammenhang in e-learningSzenarien, selbst wenn touch screen, stylo oder tablets eingesetzt werden – die betroffenen Gegenstände bleiben in elektronischen Umgebungen zumeist virtuell. Eine Ausnahme bilden elektronische Manipulatives, die Aufforderungs- und Polarisationscharakter besitzen (vgl. Zuckerman et al., 2005). Erfüllt werden sollte in virtuellen Umgebungen allerdings die Konzentration (normalisierende Umgebung) und zwar durch Fokussierung und beliebig häufige Übung sowie reichhaltiges Feedback. Letzteres hängt eng mit der didaktischen, lernendenorientierten Aufbereitung des Materials zusammen. Eine diesbezügliche Bearbeitung von Material sollte sensible Perioden und absorbierenden Geist fördern (siehe unten). Aus der Zielsetzung der „Kosmischen Erziehung“, dem eigentlichen „Überbau“ oder die „Klammer“ meiner Pädagogik – wie auch Harald Eichelberger meint (Eichelberger, 1994, S.154) – wird deutlich, dass „Kinder schon sehr früh zum Entwickeln eigener Vorstellungen, Denkmodelle und Theorien über ihr eigenes Sein in dieser Welt anzuregen“ sind, um eine eigene Imaginationskraft zu entwickeln (Eichelberger, 1994, S.151). Derartige Anregungen legen die Grundlage zur möglichen Beteiligung der Lernenden an der Supra-Natur des Menschen. Ich bezeichne damit die Beteiligungsmöglichkeit an der Weiterentwicklung der menschlichen Kultur. Meine Forderung nach der kosmischen Erziehung jedes Menschen stellt für mich eine Voraussetzung zur Schaffung neuer Strukturen einer Supra-Natur dar (Heiland, 2003, S.28).

8.3

Vorbereitete Umgebung

Das Konzept zur vorbereiteten Umgebung entstammt aus meinen Beobachtungen von Schuleinrichtungen 1914: „Wir stehen hier vor einer ganz einfachen Tatsache: Man muss dem Kind eine Umgebung bieten, in der alle Dinge seinen Proportionen entsprechend gebaut sind; und dort soll man es leben lassen. Dann entwickelt sich in ihm jenes „aktive Leben“, das

8.3 Vorbereitete Umgebung

93

zu solcher Verwunderung geführt hat; denn man sah darin nicht nur eine einfache, mit Vergnügen durchgeführte Übung, sondern die Offenbarung eines geistigen Lebens. In dieser harmonischen Umgebung haben wir beobachtet, wie sich das Kind in die intellektuelle Arbeit vertieft, wie ein Samen, der seine Wurzeln in die Erde schlägt und sich dann entwickelt und wächst durch ein einziges Mittel: die lange Ausdauer bei jeder Übung.“ (Montessori, 1987, S.28) „Die Verantwortung des Erwachsenen ist so groß, dass ihm daraus die Pflicht erwächst, mit aller wissenschaftlichen Gründlichkeit die seelischen Bedürfnisse des Kindes zu erforschen und ihm eine entsprechende Umwelt zu bereiten.“ (Montessori, 1987, S.28) Die Vorbereitung der Umgebung erschöpft sich jedoch keinesfalls im Anbieten von „irgendwelchen Arbeitsmitteln und toten Materialien, so wichtig diese auch sind, sondern es ist damit ein menschlich durchwaltetes, reiches und „lebensvolles“ Kulturmilieu im umfassendsten Sinn gemeint“ (ebenda). Zur Vorbereitung der Umgebung gehört auch, dass Lernen und Leben in einer entspannten Umgebung stattfinden kann. So sind auch die Lehrenden in ihrer akzeptierenden Einstellung und Haltung zu den Lernenden, in ihrem umfassenden didaktischen Wissen und Können in der Materialarbeit und in der gemeinsamen hilfreichen Arbeit ein wesentlicher Teil einer vorbereiteten und entspannten Umgebung, in der sich Individuen optimal entwickeln können. Obwohl oder eben weil die Zielsetzung im Umgang mit dem Material individuell und selbst gesteuert verläuft, ist eine Ziel erreichende Arbeit unumgänglich, wie Harald Eichelberger im Sinne meiner Pädagogik bemerkt: „Um selbstständige, Ziel erreichende Arbeit zu ermöglichen, sind bestimmte Rahmenbedingungen unerlässlich: –

– – – –

eine bis ins Detail gut vorbereitete Umgebung, die übersichtlich gestaltet ist, ausreichende Lernanregungen bietet und jede Möglichkeit zur Selbstkontrolle der Lernprozesse beinhaltet; eine umfangreiche Sachbücherei; eine flexible Sitzordnung, die kooperative Arbeitsweisen erleichtert; ein Klima gegenseitigen Vertrauens; eine Lehrkraft, die die nötigen Hilfestellungen gibt und sensibel auf spezielle Interessen reagiert.“ (Eichelberger, 1994, S.150)

Im Rahmen der späteren Entwicklungen kam ich zu einer über konkrete Gegenstände abstrahierenden Sicht auf Material, wie Helmut Heiland erkannte: Für die Schulpädagogik bedeutet die Vermittlung kultureller Zusammenhänge durch pädagogische Zuwendung aber, dass der Materialbegriff beliebig wird. „Jeder didaktisch strukturierte Zusammenhang – eine Arbeitskarte mit der Lösung auf der Rückseite wie ein Schülerlexikon mit leicht lesbaren und anschaulichen Zeichnungen, Graphiken und Vokabular – kann als Material gelten. Letztlich löst sich Unterricht in einen Prozess der Selbsterarbeitung von fachlichen Sachzusammenhängen durch den Schüler auf. ... Unterricht vollzieht sich als konzentrierte Auseinander-

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8 Montessori-Pädagogik setzung mit einer Thematik an Hand von Materialien durch den Schüler.“ (Heiland, 2003, S.103)

Zum einen realisieren die Lernanregungen die Begleitung der Lernenden im Umgang mit dem Material und zeigen den Umgang, zum anderen stellen sie weniger die vorbereitete Umgebung in den Mittelpunkt des Wissenserwerbs, sondern vielmehr das „geistige Interesse, das gezielt sich bestimmter Materialien bemächtigt, um sich durch sie anregen und auf ein bestimmtes Thema hin vertiefen bzw. weiterführen zu lassen.“ wie Helmut Heiland bemerkt (Heiland 2003, S.104). Dieses geistige Interesse stellt die Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Supra-Natur (Kultur) des Menschen dar, ist aber nur auf Basis der sensiblen Perioden (das ist die biologisch gedachte „Natur“ des Menschen) möglich.

8.4

Polarisation der Aufmerksamkeit

Wie ist jedem Kind, ausgehend von heilpädagogischer Tätigkeit zu seinem wahren Leben zu verhelfen? Dieses wahre Wesen äußert sich vorderhand in der Konzentration, die ich zunächst Polarisation der Aufmerksamkeit und später Normalisation genannt hatte (vgl. auch Heiland, 2003, S.27). Die Polarisation der Aufmerksamkeit bewirkt beim/bei der Lernenden, dass er/sie sich vollends auf sachliche Zusammenhänge einlässt, um insbesondere Ordnungsgefüge oder Strukturen zu erfassen. Im ganzheitlichen Sinne werden im Umgang mit Dingen oder Materialien Hände, also Tastsinn, und alle weiteren Sinne sowie Bewegung gefordert. Das körperliche Einlassen bildet mit dem Material in der intellektuellen Auseinandersetzung eine Einheit. Lernumgebungen sollten die Fokussierung auf die intensive Auseinandersetzung mit Materialien, die Vermittlung von Anregungen und das Zulassen spontaner Erkenntnisse ermöglichen. Letztere geschehen in so genannten sensiblen Perioden. Unter sensibler Periode verstehe ich eine Empfänglichkeitsperiode gleich einem Kompass oder einem Scheinwerfer, der einen bestimmten Bereich des Inneren taghell erleuchtet, ähnlich einem Zustand elektrischer Aufladung (Montessori, 1971, S.64). Dieser Zustand ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Kinder bestimmten Wirklichkeitsbereichen widmen und von individuellen Welten in objektive Welten eintreten, so etwa beim Sprechen. Dabei werden eigene Fähigkeiten entwickelt, um in den objektiven Wirklichkeiten agieren zu können. Ich habe nicht nur beobachtet, dass diese sensiblen Perioden zeitlich begrenzt sind, sondern auch, dass diese nicht behindert werden sollten. Geschieht Letzteres, dann bedarf es später ungleich höheren Aufwands, um diese Fähigkeiten zu erlernen, so dies noch möglich ist. Daher sollten e-learningUmgebungen die fokussierte Auseinandersetzung mit relevanten Materialien fördern. Sie sollten Anregungen vermitteln ohne spontane Erkenntnisse in den sensiblen Phasen zu behindern.

8.5 In casa di nebule

8.5

95

In casa di nebule

Die Verinnerlichung von Zusammenhängen geschieht beim Kind durch den so genannten absorbierenden Geist. Damit ist die Formung und Inkorporierung vom Umgang mit Dingen seiner Umgebung gemeint. Dieser Vorgang ist nicht gleich zu setzen mit der Aufnahme von Eindrücken und Information in unser Gedächtnis. Es bedeutet das „Einswerden“ mit den aufgenommenen Eindrücken und grenzt sich von anderen „Geistesformen“ ab (vgl. Montessori, 1972, S.23). Der absorbierende Geist ist es auch, der dem Kind „Organe“ wachsen lässt, um Fähigkeiten zu erlangen. Er lässt das Kind seine eigenen Fähigkeiten erschaffen. Dabei vergleiche ich „die schöpferische Energie, die das Kind veranlasse, sich die Umwelt zu absorbieren, mit einem Sternennebel: Bei den Sternennebeln ist die Materie so weit gestreut, dass sie keine abgrenzbare Form annehmen, aber doch so etwas bildet, das auf große Distanz wie ein Himmelskörper wirkt. Wir können uns also ein Erwachen der erblichen Instinkte vorstellen, genauso, wie wir uns ein Erwachen der erblichen Instinkte vorstellen können. Zum Beispiel empfängt das Kind von der ‚Nebula’ der Sprache die Anregung und die Anleitung, um die Muttersprache in sich selbst zu schaffen, die in seiner Umgebung gesprochen wird und die es nach bestimmten Gesetzen absorbiert. Durch die Energie der Sprach-‚Nebula’ ist das Kind in der Lage, die gesprochene Sprache von anderen Lauten und Geräuschen, die aus seiner Umgebung zu ihm dringen, zu unterscheiden und sich die Sprache als ein Charakteristikum seiner Rasse anzueignen ... Die Sprach-‚Nebula’ enthält nicht die besonderen Formen der Sprache, die sich im Kind entwickeln werden, sondern aus der ‚Nebula’ kann sich in der gleichen Zeit und durch den gleichen Vorgang bei allen Kindern der Welt jede Sprache aufbauen und entwickeln, die sie bei der Geburt in ihrer Umgebung vorfinden.“ (Montessori, 1972, S.73) Das Potenzial zur Erlangung bestimmter Fähigkeit stellt neben der eigentlichen Fähigkeit Teil der „Nebula“ dar. Helmut Heiland vergleicht etwa die „Sprach-Nebula“ mit Jean Piagets „operativem Vermögen“ und Noam Chomskys „generativen Grammatik“ (Heiland, 2003, S.115). Diesem Vergleich folgend könnte eine Anforderung an die vorbereitete Umgebung bzw. das didaktisierte Material sein, die Voraussetzungen für den Erwerb bestimmter Fähigkeiten auf Basis individueller Potenziale zu schaffen. Ich skizziere an meinem Modell der Sprachentwicklung (1972) auch das „explosionsartige“ Ereignis, welches sich bei der Sprachentwicklung durch das Aussprechen von Sätzen im zeitlichen Kontext manifestiert, nachdem das Kind Hören, Sehen und das Aussprechen von Silben und Worten beherrscht. Der Erwerb von Fähigkeiten stellt in seiner Entwicklung eine Präzisierung orientiert an der wahrgenommenen Außenwirklichkeit (vgl. Heiland, 2003, S.117) bei der Schilderung der Sprachentwicklung dar: „Die Phase vom sechsten bis zwölften Monat besteht darin, die Nebule auf eine bestimmte Wortgestalt hin an Hand der Orientierung an der äußeren Sprachwirklichkeit zu präzisieren.“ (Heiland, 2003, S.117)

96

8 Montessori-Pädagogik

Es ist die Aufgabe der Lehrenden einerseits die äußere Wirklichkeit eines Faches als Referenzrahmen „korrekt“ abzubilden, andererseits bei der Erschließung die Handlungen und Äußerungen der Lernenden möglichst permanent mit diesem Referenzrahmen abzugleichen. Wesentlich dabei ist es auch Umwege zuzulassen: „Ich erinnere mich eines Kindes, das die Karte eines Flusses zeichnen wollte, und zwar des Rheins. Es hatte sich zur Aufgabe gestellt, auch alle Nebenflüsse dabei aufzunehmen und musste also lange in geographischen Abhandlungen studieren, die mit Schulbüchern nichts zu tun hatten. Es wählte für seine Arbeit Millimeterpapier, wie es die Ingenieure für ihre Zeichnungen gebrauchen; und mithilfe des Kompasses und verschiedener anderer Instrumente führte es sein Vorhaben mit großer Ausdauer aus. Niemand würde ihm eine solche Arbeit aufgetragen haben.“ (Montessori, 1966, S.58ff) Die Berücksichtigung der Individualität steht bei sämtlichen Vorgängen des Wissenserwerbs im Mittelpunkt: „Daher vertrete ich die Meinung, dass jede Erziehungsreform auf der Entwicklung der menschlichen Personalität basieren muss. Der Mensch selbst sollte Mittelpunkt der Erziehung werden. Man muss sich stets vor Augen halten, dass der Mensch sich nicht an der Universität entwickelt, sondern, dass seine geistige Entwicklung bei der Geburt beginnt und in den ersten drei Jahren am stärksten ist. Diesen ersten drei Jahren gebührt mehr als allen anderen die wachsamste Sorge. Hält man sich streng an die Regel, so wird das Kind keine Mühe mehr machen, sondern es wird sich als das größte und trostreichste Wunder der Natur offenbaren. Wir werden somit nicht mehr ein Kind vor uns haben, dass als kraftloses Wesen betrachtet wird, so etwas wie ein leeres Gefäß, das mit unserem Wissen vollgestopft werden muss, sondern es zeigt sich vor uns in seiner Würde, indem wir in ihm den Schöpfer unser Intelligenz erblicken, ein Wesen, das geleitet von einem inneren Lehrmeister, voll Freude und Glück nach einem festen Programm unermüdlich an dem Aufbau dieses Wunders der Natur, dem Menschen arbeitet.“ (Montessori, 1972, S.6) Nach dieser Auffassung sollte jede Art von Bildungsarbeit, also auch e-learning, die Unterstützung der Bildung der Personalität begünstigen. Personalität wird als kindliche Produktivität in sensiblen Phasen aufgefasst (vgl. Heiland, 2003, S.120ff). Die Bildung der Menschen erfordert meiner Auffassung nach besonders „die verborgenen Kräfte des Kindes zu erkennen, zu bewundern und ihnen zu dienen und demütig zur Seite zu treten, mit der Intention der Mitarbeit, so dass die Personalität des Kindes mit seiner inneren Gegenwart immer vor uns steht.“ (Montessori, 1979, S.124) Die Rolle der Lehrenden wird damit festgeschrieben als BegleiterInnen, die mit den Lernenden auf Basis didaktischer Materialien mitarbeiten und Anleitungen geben bzw. die Nebule lichten.

8.6 Würde ich – Maria Montessori – nun Scholion nutzen?

8.6

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Würde ich – Maria Montessori – nun Scholion nutzen?

Meine Antwort ist Ja. Dies, obwohl ich auch argumentieren könnte, dass die Interaktion in virtuellen Räumen es verunmöglicht, gleichwertig zu persönlicher Kommunikation Erkenntnisvorgänge begleiten und wahrnehmen zu können. Ich könnte des Weiteren argumentieren, dass derzeitig eingesetzte e-learning-Technologien nach meiner Erst-Einschätzung explizites Heraustreten aus einer Situation der Konzentration erfordern und somit die innere Ruhe und Polarisation der Aufmerksamkeit der Lernenden nicht gewährleistet ist. Folgen wir den reformpädagogischen Wissens- oder Bildungsidealen, wie sie Paschen (2002) vorschlägt, dann müssen auch e-learning-Umgebungen „einem Bildungsschema folgen, in dem die individuelle Gestalt • zunächst physisch, psychisch, mental Grundkräfte und ‚Organe’ ausbilden kann (Gesundheit, Vermögen wie Willen, Gedächtnis, Phantasie, Sozialbezüge, Wahrnehmung, Vertrauen in die Welt, in die eigenen Kräfte etc.), • dann mit ganzheitlichen Erfahrungen Sinne für die Vielfalt und Offenheit der Welt entwickelt (sinnvolle Handlungsvollzüge in den verschiedenen ‚Kulturen’) und • schließlich diejenigen Bildungen suchen, die als eigene für die Aufgaben bedeutsam sind. Im weitesten Sinn handelt es sich um ‚Sinnen’-Bildung.“ (Paschen, 2002 S.149) Dies bedeutet, es lohnt sich die Entwicklung von e-learning im Sinn einer Kulturentwicklung zu reflektieren und zu beeinflussen. Wenn im Zeitalter der Digitalisierung von Inhalt und elektronischen Medien aufgrund der Grenzen bestehender Ansätze zur „Sinnen“-Bildung erforderlich, muss eine wesentliche Kulturtechnik sogar radikal neu entwickelt werden. Nach meiner (und nicht nur nach meiner) Einschätzung verschreiben sich die EntwicklerInnen von e-learning-Umgebungen zunächst der Virtualisierung bzw. Digitalisierung von Gegenständen und jeglicher (Art von) Information. Sie heben damit Grenzen von Gegenstand, Raum und Zeit auf und entkoppeln Prozesse nicht nur von physischen Bezugsgegenständen (etwa durch Informationsverarbeitung über Gegenstände), sondern auch voneinander durch den asynchronen Zugriff auf Information. Die von mir mehrfach geforderte Berücksichtigung physischer, physiologischer und psychischer Bedürfnisse kann bestenfalls nur in blended-learning-Szenarien erfolgen. Dies inkludiert auch die im Sinn der entwicklungsorientierten Pädagogiken geforderten ganzheitlichen Erfahrungen. Allerdings lassen sich sämtliche Situationen, Vorgänge sowie Veränderungen mit Ausnahme individueller Erfahrungen mithilfe digitaler Technik aufzeichnen, speichern und rekonstruieren. Damit muss ich die Frage stellen, ob die von mir als fruchtbar erfahrene Polarisation der Aufmerksamkeit in virtualisierten Umgebungen herstellbar ist. Ich muss fragen, ob die vollständige Zuwendung zu Gegenständen, und damit meine ich Konzentration, Eintritt in sensible Phasen, absorbierender Geist, explosionsartige Erschließung, Verinnerlichung und Ähnliches, in meinem Sinn überhaupt in virtuellen Umgebungen möglich ist. Denn all dies erfordert miteinander verbundene körperliche, soziale und intellektuelle Auseinandersetzung

98

8 Montessori-Pädagogik

mit Dingen in einer normalisierten, d.h. konzentrationsförderlichen Umgebung bis hin zur Weiterentwicklung der Kultur. Wie sieht also eine durch e-learning-Systeme entstehende bzw. mögliche Lernkultur und Lernpraxis aus? Was können so genannte gebrauchstaugliche, wie ich von den SoftwareErgonomen oder Usability-Engineering-ExpertInnen lernen durfte, Features von e-learningSystemen aussehen? Wie wir sehen konnten, sprechen wir von demselben Gegenstand, sobald selbstgesteuerter Wissenstransfer und ebensolcher Wissenserwerb durch e-learning unterstützt werden: Lernkultur und -praxis. Diese waren und sind neben dem Erschließen von Inhalten Gegenstand reformpädagogischer Bemühungen. Muss nun auch ein Wandel der Lernpraxis der Selbststeuerung unterliegt? In einer neueren Arbeit von Rima Ashour und KoautorInnen habe ich dazu gelesen: „Für eine Veränderung der Lernpraxis in Richtung Etablierung selbst gesteuerten, web-basierten Lernens ist folglich die Anschlussfähigkeit der bestehenden Lernkultur an die in technischen Systemen umgesetzten (‚verkörperten’) Lernvorstellungen zu untersuchen. Um Anschlussfähigkeit zu erreichen, müssen Veränderungen entweder partizipativ gestaltet oder an die bestehende Kultur angepasst werden, d.h. die Strategie (= das Design) sollte der bestehenden Struktur folgen bzw. darauf aufsetzen und nicht umgekehrt (McElroy, 2000). Die Anschlussfähigkeit an die Lernkultur ist eine Grundvoraussetzung, um Selbststeuerung im Sinne 1. Ordnung (das ist Selbststeuerung beim Erschließen von Inhalten) bestmöglich zu gestalten, z.B. in dem sie die Motivation, sich mit einer neuen Lernform überhaupt auseinander zu setzen, beeinflusst.“ (Ashour, 2005, S.123) Die Lernkultur wird folglich durch sämtliche Systeme, welche am Wissenserwerb beteiligt sind, geprägt. In der Diskussion um interaktive technische Systeme – e-learning-Systeme sind derartige Systeme – wird bezüglich der Berücksichtigung menschlicher Erfordernisse im Umgang mit Technik das Phänomen der Immersion genannt. Es bezeichnet den möglichst umfassenden Verzicht expliziter Schnittstellen zwischen technischen und sozialen Systemen, und involviert BenutzerInnen technischer Systeme oder technisierter Umgebungen in nichttraditioneller Form wie etwa durch Tragen eines Datenhandschuhs. Durch Immersion treten die Inhalte in den Vordergrund und die Schnittstellen als Werkzeuge in den Hintergrund. Die derzeit verfügbaren e-learning-Umgebungen bieten überwiegend traditionelle Benutzungsschnittstellen, beispielsweise web browser. Mithilfe dieser Schnittstellen ist Immersion, das sich Vertiefen, nur im Rahmen direkt manipulativer Inhalte realisierbar. Die Manipulation von Menueinträgen oder Fensterelementen ohne Bezug zu Inhalt zählen zwar nicht dazu, sind aber zurzeit für BenutzerInnen von e-learning-Systemen noch alltägliche Notwendigkeiten. Neuere Entwicklungen in Richtung immersiver Umgebungen, so wie von Zuckerman et al. (2005) vorgeschlagen MiMs zeigen, lassen allerdings massive Änderungen in Richtung handlungsorientiertere Einbettung von Interaktionsmechanismen in e-learning-Umgebungen erwarten. Aus inhaltlicher Sicht möchte ich feststellen, dass durch die Verwissenschaftlichung des menschlichen Lebens die Modellbildung und damit die stellvertretende Abbildung von Ge-

8.7 Meine persönliche Schlussfolgerung

99

genständen und Zusammenhängen durch diagrammatische oder/und abstrakte Elemente bzw. formale Sprachen vermehrt zum Gegenstand des Wissenserwerbs werden. Somit ist der an Gegenstände des täglichen Lebens gebundene Wissenszugang und -erwerb nur über entsprechende Metaphernbildung erreichbar. Dieser Umstand stellt doch einen erheblichen Unterschied zur Bildungspraxis der Zeit meines unmittelbaren Wirkens dar, der an die „Veranschaulichung, vor allem durch Sinnesnähe“ (Kratochwil 1994, S.23) neue Herausforderungen stellt. An dieser Stelle möchte ich allerdings anmerken, dass dies eines von vielen Umsetzungsproblemen meiner Pädagogik darzustellen scheint, beispielsweise beim Vergleichen mit bei meinem Kollegen Nico van Ewijk (2002).

8.7

Meine persönliche Schlussfolgerung

Meine Nutzung erlaubt eine aus Sicht der Pädagogik geleitete Betrachtung von technischen Möglichkeiten und somit eine differenzierte Auseinandersetzung mit grundlegenden Eigenschaften meines entwicklungspädagogischen Ansatzes und der von mir gelebten lernendenzentrierten Umsetzung, wenn auch erst durch Reflexion reformpädagogischen Tuns in derartigen Umgebungen. Es scheint, dass reformpädagogische Zugänge zum Wissenserwerb im Sinn der Bildung von Menschen vornehmlich durch didaktisch entwickelte und kommunikationsorientierte e-learning-Plattformelemente unterstützt werden kann. Ich möchte e-learning-Systeme zu e-education Systemen weiterentwickeln, damit sie die Bildung von Menschen unterstützen. Bildendes Unterweisen bedarf bestimmter Initialzündungen, die spontan durch die Lernenden erfolgen. Sie stellen sich selbst eine teilweise recht schwierige Aufgabe, um sie konzentriert zu bearbeiten. Im Prozess der Lösung einer sich selbst gestellten Aufgabe erfolgt die Freisetzung der Kräfte, die Polarisation der Aufmerksamkeit, die Normalisation. In der Ruhe der forschenden Arbeit gelangen die Lernenden zur Sache und zugleich zu sich selbst (Heiland, 2003, S.126). So tritt die Methode in den Hintergrund und die menschliche Personalität in den Vordergrund. Das Material, die vorbereitete Umgebung und die Organisation der Arbeit ermöglichen Freiheit und den Eintritt in die Supranatur des Menschen. E-learning wird so zur Hilfswissenschaft, um wissenschaftliches Erkunden durch Wissenssuchende zu ermöglichen: „Wir nennen einen Wissenschaftler den Menschen, der empfindet, dass der Versuch die Möglichkeit bietet, die tiefgründigen Wahrheiten des Lebens zu erforschen. ... Es existiert also ein „Geist“ des Wissenschaftlers über einem „Mechanismus“ des Wissenschaftlers. ... Nun bin ich der Auffassung, dass wir bei den Lehrern stärker den Geist als den Mechanismus des Wissenschaftlers schulen müssen.“ (Montessori 1969, S.7) Dann können wir auch bei den Wissenssuchenden diesen Geist schulen und wecken, in Zeiten, in denen Veränderung und Innovation zu Konstanten menschlichen Wirkens werden.

9

Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Mein Essay wird sich gemäß meiner Ausführungen zum exemplarischen Unterricht und zum exemplarischen Lernen auf die Auswahl und Gliederung von Inhalt beziehen: • • • • •

Was ist so wichtig, so wesentlich, dass es die Studierenden lernen sollen? Wie finden wir ein Exemplum? Wie wird der Inhalt ausgesucht? Nach welchen Kriterien wird der Inhalt strukturiert? Sind die Elemente des exemplarischen Lernens in Scholion anwendbar?

Im Sinn des exemplarischen Lernens werde ich auch versuchen, ein Exemplum für ein Exemplum zu konstruieren. Ich hoffe auf die Kooperation mit Peter Petersen, denn es wäre doch beispielgebend ein Modell aus der Reformpädagogik – den Jenaplan – als Exemplum für reformpädagogisches Denken, als Beispiel für das Reformpädagogische in der Reformpädagogik darzustellen. Damit bleiben wir auch unserem Grundsatz treu: „Was man sich selbst erfinden muss, lässt im Verstand die Bahn zurück, die auch bei anderer Gelegenheit gebraucht werden kann.“ (Wagenschein, 1956, S.59) Was sollen wir lernen? Eine der grundsätzlichen didaktischen Überlegungen wird lauten müssen: „Was ist in meinen (unseren) Augen wert, gelehrt und gelernt zu werden?“ Und in einem zweiten Schritt werden wir darüber nachdenken, wie wir das, was gelernt werden soll, ordnen können. In einer dritten Phase wird die Überlegung relevant, wie diese Inhalte gelernt werden sollen. Für jede Schule, die ihr eigenes Curriculum entwickeln wird, werden diese Überlegungen konstituierend für die Beschreibung eines eigenen Schulprofils, der eigenen schulischen Arbeit und deren Präsentation nach außen sein. Machen wir einmal einen Blick in die Schriften des Urvaters der Didaktik, des Autors der „Didactica magna“, Johann Amos Comenius. Welche Bedeutung J. Comenius einer guten Didaktik beigemessen hat, zeigen uns folgende Zitate: „In jüngster Zeit aber ließ Gott das Morgenrot eines neuen Zeitalters heraufziehen und berief in Deutschland einige ausgezeichnete Männer, welche, der Verwirrungen

102

9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

in den bisherigen Schulmethoden überdrüssig, auf einen leichteren und kürzeren Weg sannen, die Sprachen und Künste zu lehren.“ (Comenius, 1992, S.4) „Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler aber dennoch mehr lernen; und bei der in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe zugunsten von mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhaftem Fortschritt herrscht.“ (Comenius, 1992, S.1) Damit hat J. A. Comenius lange vor der Zeit der Reformpädagogik ein didaktisches Prinzip formuliert, das durch die reformpädagogischen Ansätze in den Schulen angewandt wurde: die Freiheit zu lernen und dadurch auch „mehr“ zu lernen. Bevor wir versuchen, „diese Unterrichtsweisen“ aufzuspüren, gilt es, noch einige Überlegungen zur Auswahl des Unterrichtsstoffes und zu dessen Anordnung anzustellen. Auswahl und Anordnungen eines Unterrichtsstoffes erfolgen in den meisten Fällen nach linearen Denkmustern. In der Geschichte beginnen wir mit dem Studium des Altertums, lernen von den Griechen und Römern, dem Mittelalter, der Aufklärung und der Neuzeit. Wir folgen beim Studium der Geschichte dem Lauf der Dinge, den ich zugegebenermaßen sehr verkürzt dargestellt habe. Im Geographieunterricht sind wir durch unser eigenes Land gereist und haben schön nacheinander andere Länder unseres und in der Folge auch anderer Kontinente kennengelernt. Auch im Sprach- oder Mathematikunterricht reiht sich ein Lernkapitel an das nächste, wobei deren Zusammenhänge nur in seltenen Fällen von den Lernenden auch eingesehen und verstanden werden können.

9.1

Denken in Exempeln

Ich (Martin Wagenschein) forderte in meinen Schriften und Ideen von einem „Exemplarischen Unterricht“ zum Umdenken auf. Ich war bestrebt von dem linearen Denken wegzuführen zu einem Denken in Exempeln – eine Aufgabe, der ich mein ganzes pädagogisches Leben gewidmet hatte. Ich stellte die Frage, was in der Geschichte so bedeutend und so wesentlich sei, dass es aus der Vielfalt der Ereignisse herausgenommen werden und als Beispiel in anderen Epochen wieder gefunden und angewendet werden kann? So können wir beispielhaft und vertiefend die Bedingungen studieren, unter denen es im Laufe der Geschichte zur Ausbildung von Hochkulturen gekommen ist. Wir können Fragen stellen, vergleichen, übertragen, Zusammenhänge erkennen und Vernetzungen herstellen. Ich war vorwiegend Physiker und Mathematiker mit pädagogischen Ambitionen. Die Pädagogik entdeckte ich erst nach meinen Studien so richtig, als ich in den zwanziger Jahren entscheidende Anregungen in Paul Geheebs Freier Schulgemeinde Odenwaldschule erhielt. „Die Schule Paul Geheebs, diese einmalige pädagogische Republik, hat ja wohl im Gefolge der Lietzschen Schulgründungen, als einzige den Unterricht wirklich ernst genommen. Er war dort in die alles Leben und Treiben durchdringende erzieherische Atmosphäre ganz einbezogen. Die Art wie wir miteinander umgingen, war nicht ‚anti-

9.2 Entdeckendes und erforschendes Lernen

103

autoritär’ aber unautoritär, machtfrei und angstfrei, beiderseits gerichtet auf Achtung. Diese Haltung bestimmte auch die Form des Unterrichts: das Gespräch in der Gruppe, das eine problematische Sache bis zur letzten Klärung umkreiste und durchdrang. Später habe ich versucht, die Regeln einer solchen Gesprächsdisziplin zu fassen: ‚Tugend des einzelnen Schülers: alles den andren zu sagen, was er zur Sache denkt. Tugend des Lehrers: zu führen durch die möglichste Zurückhaltung seiner selbst (wozu gehört, umfassend zuzuhören und, wenn nötig, das Gespräch bei der Sache zu halten). Tugend eines jeden Teilnehmers: sich dafür mitverantwortlich zu fühlen, dass alle verstehen.“ (Wagenschein, 1983, S.38) Den exemplarischen Unterricht entwickelte ich zunächst nur für die beiden Fächer Mathematik und Physik. Mein pädagogisches Denken kann allerdings für alle Fächer erfolgreich eingesetzt werden. Bei mir hat das Lernen von Methoden, das Lernen des Lernens und des Lehrens eindeutig Priorität vor dem Erlernen von Inhalten. Ohne Inhalte können zwar keine Methoden gelernt werden, aber in vielen Fällen sind die Methoden für die Lernenden der Inhalt. Wir behalten oft viel eher, wie wir etwas gelernt haben oder wie uns etwas beigebracht worden ist, auch wenn wir das, was wir gelernt haben, schon längst wieder vergessen haben. Das zeigt uns die Bedeutung des „Wie“ des Lernens und in welcher Ordnung uns etwas angeboten wird. Manfred Spitzer erklärt sehr ähnlich was wir eigentlich lernen. Wir lernen an Beispielen, die wir immer wieder erhalten, die Regel, nach denen diese Beispiele funktionieren. In einem seiner spannenden Vorträge brachte er ein mehr als beredtes Beispiel: „Wussten Sie, dass das Partizip Perfekt der Verba auf ‚-ieren’ ohne ‚ge-’ gebildet wird?“ Staunen im Saal. „Wir haben uns frisiert aber nicht gefrisiert; oder: Gestern bin ich den Bach entlang spaziert. Verben auf „-ieren“ bilden das Partizip Perfekt ohne ‚ge-’.“ Würden wir die Regel lernen und diese immer anwenden, so wäre das ein sehr mühevoller Weg. Kinder bekommen beim Sprechenlernen immer wieder die richtigen Beispiele und lernen damit die Regel die hinter den Beispielen steht, oft ohne diese bewusst zu kennen. Der Lernerfolg dieses Beispiellernens ist abhängig von zwei wesentlichen Parametern des Lernens: Häufigkeit und Dauer! (Zitiert nach: Spitzer, Manfred: Lernen. Die Entdeckung des Selbstverständlichen. Vortragsmitschrift.)

9.2

Entdeckendes und erforschendes Lernen

Am Anfang steht die entdeckende und erforschende Tätigkeit der Lernenden selbst. Ich plädiere für die Einbeziehung von Personen in den Unterricht, die in den gefragten Bereichen mehr wissen als die LehrerInnen. Die Hilfe der LehrerInnen ist entscheidend für das Finden des Allgemeingültigen, des Beispielhaften und des Übertragbaren. Sie haben dafür zu sorgen, dass im Studium gleichsam „Plattformen“ errichtet werden, von denen weiter zur Errichtung neuer Plattformen ausgegangen werden kann. Dabei ist es gar nicht so wichtig, dass

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

ein Stoff vollständig durchgenommen wird, denn meiner Meinung nach hat „die Schule nicht mit dem Stoff ‚fertig’ zu werden, sondern sie hat die Kinder so zu lehren, dass sie mit dem Gelernten etwas ‚anfangen’ können.“ (Wagenschein, in: Roth, 1965, S.22) Versuchen wir uns dem exemplarischen Lehren und Lernen mit einer notwendigen Begriffsklärung anzunähern: Der Begriff „exemplarisch“ ist von dem Verbum „eximere“ abgeleitet, was so viel wie „herausnehmen“ heißt. Das Neutrum „Exemplum“ bedeutet also das „Herausgenommene“. Um etwas aus einer Menge herauszunehmen, bedarf es gewisser Orientierungen, soll das Handeln nicht willkürlich sein. Wir werden daher über folgende Fragen nachdenken: • Was kann aus dem Grundkanon (Kerncurriculum) eines in der Schule zu unterrichtenden Stoffes „herausgenommen“ werden und dem Charakter des Exemplarischen entsprechen? • Wie muss das „Herausgenommene“ beschaffen sein? • Wie soll – dem eigenen didaktischen Ansatz entsprechend – das, was wir als Lehrende herausnehmen, unterrichtet werden? (Büthe, in: Roth, 1965, S.80)

9.3

Was ist ein Exemplum?

Das „Exemplum“ erschöpft sich nicht in seinem Selbstwert als Einzelnes; es weist aus sich heraus. Wenn etwas „Exemplum“ sein soll, dann muss es aus einer Vielheit, aus einer Menge „herausgenommen“ worden sein, deren Teile untereinander im Verhältnis des Gleichartigen, Ähnlichen, Übereinstimmenden oder Identischen stehen. Folglich gilt es damit auch, den finalen Charakter eines Exemplum zu verdeutlichen, auf den es abzielt. Ein Schreibzeug ist etwas um zu schreiben, ein Werkzeug ist etwas um zu werken usw. Ebenso ist das Exemplum etwas, um Gleichheit, Übereinstimmung, Ähnlichkeit oder Identität aufzuzeigen. Gelernt wird das Gleiche, das Allgemeingültige oder – gemäß Spitzer – die Regel, die dahinter steht. Zwei didaktische Elemente kennzeichnen weiters das Prinzip des exemplarischen Unterrichts bzw. Lernens: • das Element des Sokratischen, • das Element des Genetischen.

9.3.1

Das sokratische Element im exemplarischen Verfahren

Der griechische Philosoph Sokrates prägte im Altertum einen ganz bestimmten Stil des philosophischen Gesprächs: das sokratische Fragen. Sokrates (bzw. Platon) vertrat die Ansicht, dass das Wissen in jedem Menschen schlummere und nur durch geeignetes Fragen geweckt werden könne. Menschen sind folglich nicht mit Wissen zu „beliefern“, das Wissen ist mittels geeigneter Methoden aus ihnen „herauszuholen“. Dieses „Herausholen des Wissens“ verglich Sokrates mit der Hebammenkunst und nannte diese Kunst „Maieutik“.

9.3 Was ist ein Exemplum?

105

Dies ist mit Sicherheit nicht der einzige institutionalisierte Weg, um zu „Wissen“ zu gelangen, aber ein Hinweis, wie Ausgangspunkte zu finden sind, um Wissen in uns aufnehmen zu können: • • • • •

Das Staunen des Menschen, das Erkennen eines Phänomens, die eigene Betroffenheit, etwas lernen wollen, ein anregendes Thema.

Letzteres muss so gestellt sein, dass sich den Lernenden Fragen aufwerfen, und nach deren Lösung es sie drängt. Es gibt dieses Phänomen, etwas wissen zu wollen bzw. etwas studieren zu wollen: „Es ergreift einen, und deshalb ergreift man es. Man kniet nieder und hebt es auf. Man hat es selbst gesucht und gefunden. Deshalb vergisst man es nicht mehr.“ (Roth, Heinrich, Exemplarisches Lehren, S.14) „Das eigentliche Wesen der Schule (und damit des entdeckenden Lernens – Anm. d. Verf.) scheint mir aber in dem Bericht über den kleinen Claudio eingeschlossen zu sein“, schrieb ich schon 1956: „Von sich aus aber will das Kind lernen, nichts als lernen! – Ich sah vor kurzem ein knapp zweijähriges Kind – es war ein kleiner Italiener, Claudio, blond mit dunklen Augen – [...] Ein paar Tage später war er schon zur Physik übergegangen und stand bei der Gravitation. Er hatte die Schwerkraft entdeckt. Und zwar war er weiter darin als wir. Sie erstaunte ihn noch, während wir das erst wieder lernen müssen. Er stand, völlig in sein Tun versunken, auf einer mit Kies belegten Terrasse. Er hockte sich nieder, nahm in beide Hände soviel Kiesel, wie sie fassen konnten, stand dann langsam auf, die Hände vor sich, die Handflächen nach oben, den Blick darauf gerichtet. Dann der Blick auf uns: Jetzt kommt es! Und es kam: Er brauchte nur die Hände zu öffnen, und die Steine fielen wie selbst zur Erde, ganz von selbst. Er wurde nicht müde, es zu wiederholen; und jedes Mal das kaum merkliche Lächeln zu uns: das Zeichen des Geistes. Siehst du es: es geht immer. Er hatte die Regel entdeckt, das Naturgesetz.“ (Wagenschein, 1956, S.54) Die Erhaltung des Lernwillens der Kinder ist ein wesentliches Kriterium einer so genannten „Pädagogik vom Kinde aus“, einer kindorientierten Pädagogik. Dem herkömmlichen Unterricht wird somit eine Idee der Reformpädagogik gegenübergestellt, die statt der Vernunft die Einbildungskraft (oder in einer Sprachwendung Hermann Nohls die spontanen schöpferischen Kräfte im Kind), statt des abstrakten Lernens das Gefühl für Körperlichkeit, statt der intellektuellen „Halbbildung“ eine ganzheitliche Bildung propagiert (vgl. Heiner, 1990, S.893ff). Exemplarischer Unterricht strebt nicht nach Erleichterung, sondern nach dem Ergriffenwerden der Lernenden und der Lehrenden von einer Frage, einer Aufgabe, die die geistigen Kräfte anruft, fordert, gliedert und steigert. Exemplarischer Unterricht ist vergleichbar damit,

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

dass Lehrende an einigen günstigen Stellen des Lehrgangs Lichter errichten, und Leuchttürme von den Lernenden errichten lässt, so gewählt, dass sie den ganzen Weg erhellen (Wagenschein, in: Roth, 1965, S.22). Frau Montessori gibt uns in ihrer „Kosmischen Erziehung“ wunderbare Beispiele, wie sie von den Interessen, vom Staunen, von den Fragen der Kinder ausgeht und ihnen – wir staunen – keine fertigen Antworten gibt. Aber anstatt sokratisch zu fragen, erzählt sie den Kindern Geschichten, damit diese ihre eigenen Geschichten zu ihren Fragen als Antworten finden können – auch eine Hebammenkunst. Wichtig ist ihr die Förderung der Imaginationsfähigkeit der Kinder, der Vorstellungskraft zum Entdecken der Welt und der eigenen Welt. Sie meint, dass Kinder mit 6 oder 7 Jahren zu fragen beginnen, woher denn die Welt käme und wer denn diese gemacht hätte und wie wir selbst auf die Welt gekommen sind usw.. Dann erzählt sie ihnen die Geschichte von der Entstehung des Universums – ihre Schöpfungsgeschichte. Wir werden auf diese Geschichte noch näher eingehen. „Kinder dieser Altersstufe sind fasziniert, weil diese Geschichte sie persönlich betrifft. Sie beginnen, sich ihrer eigenen Situation als sich entwickelnde menschliche Wesen bewusst zu werden und sie werden auf natürliche Weise des Unterschieds zwischen dem Menschen und anderen Lebewesen gewahr. Zwischen beiden und der Umwelt besteht eine Wechselbeziehung. Diese Wechselbeziehung wird deutlich in dem, was Maria Montessori als kosmische Aufgabe bezeichnet – den Dienst, den die Individuen jeder Spezies ihrer Umwelt leisten müssen, von der ihre Existenz abhängt, um sie in der Weise zu erhalten, dass sie auch ihren Nachkommen, Generation nach Generation, Unterhalt bietet.“ (Montessori, Mario, 1977) In einer Konzeption der Kosmischen Erziehung kann es nun nicht darum gehen, den Kindern abgeschlossene und ihr Denken und Fragen abschließende Antworten zu geben. Vielmehr geht es darum, die Imaginationsfähigkeit der Kinder anzuregen, so dass sie ihre eigenen Vorstellungen ihre Fragen betreffend entwickeln können. Wir erzählen ihnen unsere Vorstellung als Geschichte und sagen auch dazu, dass dies unsere Vorstellung ist und auch wir nicht ganz genau wissen, ob es wirklich so war ... und geben den Kindern auch hier Material für ihre Entwicklung. Wie sollen diese Geschichten beschaffen sein, welche Materialien sollen wir den Kindern in die Hände geben? Maria Montessori gibt uns einen wesentlichen Hinweis, wie wir dem Interesse der Kinder am Universum und am Universellen, ihrem Interesse am Großen und Umfassenden begegnen können: Den Kindern die Details geben, aus denen sie das Ganze erschließen können – ein wichtiger Hinweis zur Auswahl eines Exemplum, diesmal von Maria Montessori. Sie gibt uns auch ein Beispiel, nicht nur für das Detail, auch für sokratisches Fragen: In ihrer Entwicklungspsychologie des Schulalters (vgl. Montessori, 1966) gibt Maria Montessori eine Fülle von Gedanken zur kosmischen Erziehung. Unter anderem auch das Beispiel „Studium des Wassers“, das ich hier als ein Exemplum für ein Exemplum für andere Studien in der kosmischen Erziehung wiedergeben möchte:

9.3 Was ist ein Exemplum?

107

„Beginnen wir das Studium des flüssigen Wassers mit dem Problem der Flüsse, die in ihren Wassern die festen Stoffe in schwebendem Zustand zum Meer mit sich führen. Das Flusswasser ist reichlich mit Salzen durchsetzt. Sogar da noch leiht die Mathematik der Vorstellungskraft ihre Hilfe: Es ist schon gut zu sagen, dass die Flüsse eine enorme Menge von Salzen mit sich führen. Aber zu erwähnen, dass der Mississippi allein täglich 70 Millionen kg Kalkstein ins Meer trägt und dass alle unsere Flüsse gemäß ihrer Größe dasselbe tun, das lässt eine Menge von Fragen auftauchen: „Wo bleibt dieser Kalkstein? – Und seit wann geschieht das so? – Und wie kommt es, dass das Wasser des Meeres von all den Salzen nicht gesättigt ist?“ (...) Die Idee ist entworfen. Alles hängt zusammen, und wenn man von einem Detail ausgeht, kommt man durch den Zusammenhang zum Ganzen. (...) Das Wasser ist unter anderem ein auflösendes Element. Bestimmte Stoffe lösen sich im Wasser auf und sind in dem aufgelösten Zustand nicht mehr sichtbar (wie z.B. der Zucker). (...) Dieser Teil des Studiums ist der geheimnisvollste, weil das, was sich dem Auge entzieht, gerade das größte Interesse hervorruft. (...) Betrachten wir jetzt den Vorgang: Das Wasser bemächtigt sich des Kalksteins, absorbiert ihn und nimmt ihn mit sich. Wenn wir diesen Vorgang nicht sehen, so liegt es daran, dass das Wasser eine lange Zeit braucht, um diese Arbeit zu verrichten (...) Bringen wir dann die Kinder zu der Beobachtung, dass alle großen Flüsse der Erde ihre Wasser und ihr Salz einem einzigen Ozean zuführen: dem Atlantischen Ozean; sei es direkt oder mittels anderer Meere (Eismeer, Mittelmeer, usw.), die immer mit dem Atlantik in Verbindung stehen. (...) Ein großer Teil des Kalksteines bleibt als Ablagerung auf dem Meeresboden zurück. Und da der Atlantik bis heute noch nicht zugeschüttet ist, so liegt es wohl daran, dass diese Substanzen sich auf alle anderen Meere verteilt haben. (...) Es ist nun wirklich eindrucksvoll, dass all dieser Kalkstein, der dem Meere seit Hunderttausenden von Jahren zugeführt worden ist, nichts an der Zusammensetzung des Wassers geändert hat. Und das Leben aller Lebewesen im Meer hängt davon ab. Das kosmische Problem besteht dann darin, diesen kohlensauren Kalk auszuräumen, damit das Wasser unverändert bleibt. Aber wie kann man das, was aufgelöst ist wegschaffen? Es ist unmöglich das Meerwasser zum Kochen zu bringen! Aber da mischt sich jetzt im Innern des Meeres eine andere aktive Kraft ein: es ist eine Energie, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die ganze aufgelöste Substanz zu binden, und diese Energie ist das Leben. Es gibt tatsächlich lebende Tiere, die das Kalziumkarbonat binden. (...) Das sind die Tiere, die sich mit Muscheln umgeben und die eine wahre Kraft darstellen, damit beauftragt, sich des überschüssigen Kaliumkarbonats zu bemächtigen und es zu binden. Das Studium der Wassermuscheln ist für die Kinder von großem Interesse: (...)

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Die Tiere, die in diesem Bereich die bedeutendste Funktion einnehmen, sind die Korallen. Die Korallen haben die Eigentümlichkeit, unbeweglich zu sein. (...) Weiter kommen wir auf die Mineralogie, auf bestimmte physikalische Grundsätze in Bezug auf die Eigentümlichkeit des Wassers und ebenfalls auf Grundzüge der Chemie zu sprechen, um zu erklären, wie das Wasser die Felsen zerstören kann. Alle diese Elemente bilden Teile eines Ganzen, das aufregend wie eine Geschichte ist: Sie erzählen uns die Geschichte der Erde.“ (Montessori, 1966, S.55ff) Soweit ich nun informiert bin, hat Frau Montessori drei „große Geschichten“ vorgeschlagen, die alle exemplarischen Charakter haben und Elemente des Sokratischen und des Genetischen enthalten und gute methodische Beispiele sind, das exemplarische Lernen anzuregen und dem Staunen der Kinder entgegenzukommen: • Die Geschichte von der Entstehung des Universums – die Schöpfungsgeschichte • Die Geschichte, wie die Menschen das Zählen und die Zahlen erfunden haben • Die Geschichte, wie die Menschen die Sprache und die Schrift erfunden haben Sie geht dabei immer von der Ganzheit aus, von dem Umfassenden, von den Zusammenhängen und gibt immer wieder Details – Beispiele – die wesentlich sind für das Verständnis des Ganzen.

9.3.2

Das genetische Element im exemplarischen Verfahren

Ausgangspunkte sind oft die Fragen der Lernenden, wie beispielsweise: • Wäre es denn nicht interessant zu wissen, warum Menschen beispielsweise so lange glaubten, die Erde würde sich nicht drehen, und wie es dann mit recht einfachen Hilfsmitteln gelang zu beweisen, dass sie sich doch dreht? • Wäre es nicht auch sehr interessant zu erfahren, woher die Geschichte all ihr Wissen über das Altertum hat? • Wäre es nicht interessant zu erfahren, welche Entwicklung das Wissen durchlaufen hat, das sich unsere Kinder üblicherweise aneignen sollen? Es wäre nicht nur interessant, sondern würde viel zum Verständnis beitragen. Wie könnten wir beispielsweise doch der Mathematik näher kommen, wenn wir uns auf die Spur des Forschungsganges eines Gelehrten heften? Ein Beispiel aus der Montessori-Pädagogik, das mir (Martin Wagenschein) besonders gut gefallen hat, eine der drei „großen Geschichten“: Mathematik und Sprache lernt jedes Kind in der Schule, doch der genetische Aspekt wird oft vernachlässigt. Die folgenden Ausführungen sind „meine“ (durchaus möglichen und begründeten) Vorstellungen von der Entstehung der Zahlen und des Zählens und von der Entstehung der Sprache und der Schrift. Doch es sind dies Geschichten, die die Imaginationskraft der Kinder anregen mögen, dass sie ihre eigenen Geschichten finden können, eine Vorstellung davon, wie etwas gewesen sein könnte – in ihrer eigenen Vorstellung.

9.3 Was ist ein Exemplum?

9.3.3

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Die Geschichte der Zahlen und des Zählens

Die Erfindung der Zahlen stürzte die Menschheit in eines ihrer größten geistigen Abenteuer. Es dauert bis heute an. Geschichte des Zählens Die Geschichte des Zählens ist eng verbunden mit der Geschichte der Sprache und der Geschichte der Schrift. Die Geschichte des Zählens und der Zahlen ist ein ganz bedeutendes und spannendes Kapitel der Menschheitsgeschichte überhaupt. Zählen ist eine der großen Schöpfungen der Menschheit. Jahrtausende hat die Menschheit für diese schöpferische Entwicklung gebraucht. Diese phylogenetische Entwicklung wiederholt jedes Kind in den Entwicklungsstadien seiner Ontogenese, in seinem Werden, in seiner individuellen Entwicklung. Ich erzähle Kindern die Geschichte des Zählens und der Zahlen, damit diese ein Bewusstsein entwickeln können von der Entwicklung der Menschheit und ihrer Entwicklung, von ihrem Werden und Gewordensein. Ich erzähle ihnen eine Geschichte, wie Menschen ihre (äußere) Welt geordnet haben, indem sie eine innere Ordnung (geistig) gefunden haben. Denken ist Ordnen des Tuns. In diesem Sinn müssen wir Kindern die Gelegenheit geben, dass sie in ihrer individuellen Vorstellungskraft diese Entwicklung der Menschheit in ihnen selbst und auch ihre eigene Entwicklung vollziehen können. Wir können dies, indem wir ihr imaginäres Denken anregen und fördern, und zwar im Sinne der bereits erwähnten Anregungen: „Wie Maria Montessori selbst darlegte, ist die imaginative Sicht von der bloßen Wahrnehmung eines Gegenstandes gänzlich verschieden, denn sie hat keine Grenzen. Die Imagination kann nicht nur unendliche Räume durchmessen, sondern auch unendliche Zeitspannen; wir können die Epochen nach rückwärts verfolgen und eine Vision der Erde haben, wie sie damals war, mitsamt den Geschöpfen, die sie damals bewohnten. Um zu erfahren, ob ein Kind etwas verstanden hat oder nicht, sollten wir zu ermitteln versuchen, ob es sich eine geistige Vorstellung davon bilden kann, ob es über die Ebene des bloßen Verstehens hinausgehen kann ... Das Geheimnis eines guten Unterrichts ist es, die Intelligenz des Kindes als fruchtbares Feld anzusehen, auf dem Saat ausgestreut werden kann, um in der Wärme der feurigen Imagination zu keimen. Deshalb ist es nicht nur unser Ziel, das Kind etwas verstehen zu lassen und, weniger noch, es zu zwingen, etwas im Gedächtnis zu behalten, sondern seine Imagination so zu berühren, dass sein innerster Kern begeistert wird.“ (Montessori, 1948, S.14f) Wie das Zählen und wie die Zahlen entstanden sein könnten Jede Lehrperson muss ihre eigene Geschichte erzählen. Ich beginne meine Geschichte des Zählens und der Zahlen mit einer Vorstellung:

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Es gibt die Welt und alle Dinge in ihr, aber niemand hat sie je gezählt! Warum auch? (Es gibt auch heute noch Menschen mit einem hohen geistigen Niveau, die nicht in unserem Sinn zählen können, aber zu für uns unvorstellbaren geistigen Leistungen imstande sind. Ich verweise hier auf die australischen Aborigines. Sie zählen eins, zwei, viele ...). Es musste wohl einen oder mehrere bedeutende Anlässe in der Geschichte der Menschheit gegeben haben, die die Menschen zur Erfindung des Zählens veranlasst haben: Manche Forscher meinen, dass der noch als Nomade lebende Mensch, in lebenswichtiger Abhängigkeit von seinen Tieren existierend, wissen wollte, ob er noch alle Tiere hatte. Er konnte aber nicht zählen und so begann er zuzuordnen und Verbindungen herzustellen. Aus dem Ende der Altsteinzeit, vor 10 000 Jahren, stammen Tierknochen mit eingeritzten Kerben, die als primitive Zählinstrumente dienten. Die Kerben entsprachen noch dem einfachsten denkbaren Zeichensystem – die Finger hoch strecken und für jede Zahl ein Zeichen setzen: I, II, III, eine Zählweise, die unseren Kindern heute noch vertraut ist. Doch dazu mussten das Zählen und die Zahlen wohl schon abstrakt erfunden worden sein. Also gibt es noch eine Vorstufe: Der Vergleich einer Konstanten mit einer Variablen. Der Hirte konnte vergleichen, ob die Anzahl der Tiere der Anzahl der Kerben, der Finger oder der gelegten Stöckchen entsprach. Wie viele es waren konnte er aber mit Sicherheit nicht benennen. Der Vergleich oder das „Zählen“ mit den Fingern hatte leider einen entscheidenden Nachteil: mehr als 10 (oder 20 mit Beiziehen der Zehen) konnten nicht verglichen oder gezählt werden. Andere Körperteile dienten in der Folge ebenso zum Vergleich oder zum Zählen. Kinder sagen auch einfach: „So viele!“ und vergleichen mit den Fingern. Eine weitere Möglichkeit besteht in einer Zuordnung zu festen Mengen. Kinder beginnen das Zählen in der Montessori-Pädagogik mit festen Mengen. Zuordnungen und Vergleiche zu Körperteilen, wie z.B. zu den Fingern und den Zehen, waren nahe liegend. Beispiele körperbezogenen „Zählverhaltens“ gibt es aber nicht nur vergleichend mit Fingern und Zehen. Wenn ich nun nach diesem System des Herstellens von Zuordnungen und Verbindungen eine größere Menge von Dingen erfassen möchte, kann es sein, dass ich mit den Zuordnungs- und Vergleichsmöglichkeiten nicht mehr das Auslangen finde. Neue Lösungen des auftretenden Problems mussten erfunden werden: Wahrscheinlich wurde so ein wichtiger Entwicklungsschritt von den Zusammenfassungen zu einem System vollzogen. Die Sumerer (Erfinder der ältesten Schrift) und die Babylonier benutzten 60 als Grundlage ihres Zahlensystems – der Grund dafür ist nach dem Forscher Georges Ifrah nicht bekannt. Sie haben damit ein System entwickelt, das heute noch bei den Winkelmaßen und bei der Uhrzeit erhalten ist. Die Weiterentwicklung verschiedener voneinander unabhängiger Kulturen brachte verschiedene Schritte in der Entwicklung des Zählens und der Zahlen mit sich.

9.3 Was ist ein Exemplum?

111

Wer das Zählen erfunden hat, wissen wir mit endgültiger Sicherheit nicht. Wir wissen aber, dass bei den frühen Hochkulturen der Sumerer und der Ägypter Zählsysteme mit wenigen Keilschriftzeichen oder Hieroglyphen auftauchten. Mengenerfassung Durch die Einführung eines Verwaltungssystems und die Notwendigkeit einer Steuern- und Abgabenerfassung entwickelten die Sumerer ein System der Aufzeichnung der Steuern und Abgaben. Die Leiter der Verwaltung von Susa verfügten über ein ziemlich ausgearbeitetes System der Buchführung, wobei eine gegebene Zahl, die beispielsweise der Abschluss-Summe bei einem Handelsgeschäft entspricht, durch eine bestimmte Anzahl von Calculi – Gegenstände aus ungebranntem Ton unterschiedlicher Größe und Form – dargestellt wird; die Calculi stehen für die Einheiten eines Zahlensystems. Sie werden daraufhin in eine hohle, aus Lehm geknetete Bulle von der Form einer Kugel oder eines Eies eingeschlossen, die versiegelt wird, um die Echtheit und Unverletzlichkeit zu garantieren. Später wurde auch die Anzahl der Calculi darauf notiert. Die Bulle wird in den Archiven aufbewahrt und zur Überprüfung oder bei Streitfällen zwischen den Parteien zerschlagen, um die Calculi nachzählen zu können. Dieses System der Buchführung bringt den Nachteil mit sich, dass bei jeder Überprüfung des festgehaltenen Geschäftes die Bulle zerstört werden musste. Zur Überwindung dieser Schwierigkeit wandten die Buchhalter von Susa ein Verfahren an, das dem Gebrauch der Kerbhölzer entsprach. Auf der Außenseite der Bulle wurde die Anzahl und die Form der eingeschlossenen Calculi mit verschiedenen eingekerbten Zeichen festgehalten. Es handelte sich sozusagen um ein Inhaltsverzeichnis. Mit der Zeit wurde aber auf diese doppelte Buchführung verzichtet. Die Bullen wurden durch roh abgerundete oder längliche Lehmbrocken ersetzt, die auf der Vorderseite dieselben Informationen enthielten, die früher auf der Bulle vermerkt worden waren. Die Tontäfelchen wurden mit der Zeit immer gleichmäßiger, die Zahlzeichen nahmen immer regelmäßigere Formen an. Die Sumerer gelten ebenso als Entdecker der Zahl 0 – das Zeichen für eine leere Bulle. An Stelle der Bullen wurden später Aufzeichnungen auf Tontafeln benutzt. Stellenwerte Unter allen alten Systemen stach das sumerische bereits um 1800 v.Chr. durch eine Neuerung heraus: Die Ziffernsymbole wurden nach ihrem Stellenwert nebeneinander gesetzt. Das additive Prinzip der Ägypter und der Römer stellte hier wieder einen Rückschritt dar. In unserem Zehnersystem bedeutet dies:

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Die „1“ hat nur den Wert eins, wenn sie rechts außen steht. Mit jeder Stelle, die sie nach links rückt, verzehnfacht sich ihr Wert wie in 10, 100, 1000 usw. – übrigens ein Relikt der im Osten üblichen Schreibweise von rechts nach links. Dieses Positionssystem erforderte jedoch ein neues Zeichen, das nur die Stelle markierte, aber ansonsten „nichts“ darstellte – die Null. Somit können die Sumerer als die Erfinder • der ersten Zifferndarstellung, • des ersten Systems der Stellenwerte und • der Null gelten. Es sollte aber noch lange dauern, bis sich diese Erfindungen endgültig durchsetzen werden. Innerhalb der exemplarischen Themen sollen die Lernenden also sokratisch fragend mehr oder weniger lange Strecken der Wissensgenese gehen, die die ForscherInnen schon vor ihnen gegangen sind. Nur so werden Lernenden befähigt, später einmal über die schon begangenen Wege hinaus zu schreiten – nur wer Vorstellungen entwickeln durfte, kann einen Weg sinnvoll fortsetzen! Ich kritisiere in diesem Zusammenhang am traditionellen Lehrplan vor allem, dass dort der Stoff jedes Faches einmal oder zweimal „durchlaufen“ wird. Das Wort „durchlaufen“ weist meiner Ansicht nach auf zweierlei hin: Wir gehen von der unsicheren Annahme aus, dass es für jeden Lehrstoff einen eindeutigen Anfang und ein eindeutiges Ende gibt. Ich mache mit Nachdruck darauf aufmerksam, dass diese Annahme dazu verführt, den Stoff zu durcheilen, und ich weise auf das Tempo hin, mit dem meist vorgegangen wird. Wie ich schon erwähnt habe, wird die Geschichte der Menschheit meist von der Urgeschichte bis zur Neuzeit durchlaufen. Doch wir sollen unsere Geschichte nicht durchlaufen, sondern an den bedeutenden Plätzen verweilen und unser Wissen an den Beispielen, am Allgemeingültigen, am Regelhaften vertiefen. Ich bin der Überzeugung, dass bei diesen systematischen Lehrgängen die Systematik des Stoffes mit der Systematik des Denkens verwechselt wird (Wagenschein, 1989, S.8f) und der Stoff dem eher eindimensionalen und linearen Denken angeglichen wird. Vielleicht sollten wir bei der Betrachtung des „Exemplarischen“ auch einmal innehalten und alles verweilend betrachten.

9.4

Der eindimensionale Lehrgang

Das Tempo, mit dem in unseren Schulen vorgegangen wird, ist eine Folge des aufbauenden, linearen (eindimensionalen) Lehrganges. Lehrende orientieren sich bei ihrer Zeiteinteilung mehr am Lehrplan oder an einer vorliegenden Lehrstoffverteilung und nicht am Erkenntnisstand oder am Entwicklungsstand der Lernenden. Die den Stoff durcheilende Lehrenden sind also eine unausbleibliche Folge des linearen Lehrganges.

9.5 Der exemplarische Lehrgang

113

Der aufbauende, lineare Lehrgang verlangt also einerseits Vollständigkeit: Er will die Eindimensionalität des jeweiligen Unterrichtsgegenstandes möglichst von Anfang bis zum Ende durchlaufen haben. Anderseits geht diese Forderung stark auf Kosten der Intensität, mit der wir uns den einzelnen Stufen widmen können: Wenn wir den ganzen Stoff, weil dieser einfach zu umfangreich geworden ist, nicht mehr durchlaufen können, lernen wir eben jeweils nur das scheinbar Wichtige der einzelnen Teilgebiete eines Unterrichtsgegenstands oder vielmehr noch das angeblich Wichtigste vom Wichtigen. Eben darin sehe ich eine große Gefahr: „Ein solcher systematischer Lehrgang verführt zur Vollständigkeit, (denn er will bereitstellen) damit zur Hast und also zur Ungründlichkeit. So baut er einen imposanten Schotterhaufen. Gerade, indem er sich an die Systematik klammert, begräbt er sie und verstopft den Durchblick.“ (Wagenschein, 1989, S.9) Wenn wir in flüchtiger Berührung von Stoff zu Stoff eilen, doch so, dass in der Prüfung „abfragbares Wissen“ herauskommt, so entsteht ein Wissen, das dann in kurzer Zeit vergessen ist, denn mit gleich bleibender Intensität wird die Systematik des jeweiligen Gegenstandes in ihren allerwichtigsten Grundzügen durchlaufen, … ach wie meist so langweilig …

9.5

Der exemplarische Lehrgang

Aus den oben genannten Gründen entwickelte ich das Prinzip des exemplarischen Unterrichts, der „herausnimmt“. Wenn wir an Stelle dieses flüchtigen Vielerlei an einer Stelle bleiben und uns eingraben, so entsteht eine Art des Lernens, die wir alle kennen und unseren Kindern doch nicht gönnen: das Sich-in-eine-Sache-Versenken.

Abb. 9.1: Exemplarischer Lehrgang

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Hier verweilen wir bei „herausgenommenen“ Themen lange und behandeln sie gründlich. Es gibt dabei keine Richtung des Lehrgangs, sondern jedes dieser tiefgehend behandelten Gebiete verweist auf das Ganze des jeweiligen Gegenstands. Dazu nochmals ein Beispiel von Frau Montessori: Maria Montessoris Schöpfungsgeschichte, die sie selbst den Kindern erzählt hat, ist wunderschön und sicher auch hoch interessant, aber für Kinder in der heutigen Zeit nicht immer ganz so geeignet, vielleicht ein wenig zu religiös gestaltet. Außerdem ist es in jedem Fall besser den Kindern die eigene Schöpfungsgeschichte zu erzählen. Es kann Tage oder Wochen dauern ihnen immer wieder ein Stück davon zu erzählen und auch einige Experimente zu machen, die das Geschehen während der Schöpfung des Universums für Kinder auch im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar machen. Die Geschichte enthält prägnante Beispiele: Frau Montessori baut ihre Geschichte entlang der Aggregatzustände „fest“, „flüssig“ und „gasförmig“ auf. Sie erzählt und zeigt den Kindern, wie sich Stoffe verändern, wenn sie heißer werden bzw. abkühlen und welche Effekte dieser Prozess auf die Entwicklung unseres Planeten hatte. In diesem Zusammenhang erzählt sie auch die Entstehung der Erdkruste durch Abkühlung des Planeten und die damit verbundene rege Vulkantätigkeit sowie die Entstehung unserer Atmosphäre. Ganz besonderes Interesse erregt in diesem Zusammenhang sicher der Vulkan, den die Lehrenden mit den Kindern zusammenstellen und der dann auch ausbrechen wird. So bietet Frau Montessori die Details, aus der die Ganzheit erschlossen werden kann, in der Ganzheit ihrer Geschichte und bringt damit meine Behauptung auf den Punkt: „Das einzelne, in das man sich versenkt, ist nicht Stufe, es ist Spiegel des Ganzen.“ (Wagenschein, 1989, S.12)

Abb. 9.2: Vulkan

9.6 Die Auswahl eines Exemplum

115

Die pädagogische Bedeutung des Prinzips des Exemplarischen charakterisiere ich mit den folgenden Zitaten: „Wenn man die Themen, mit denen man sich gründlich beschäftigt, richtig auswählt, dann bleibt das, was man an ihnen lernt, nicht ein „Teil“, der zu anderen Teilen zu summieren wäre, sondern er wird stellvertretend und damit ausstrahlend aufs Ganze.“ (Wagenschein, in: Roth, 1965, S.17) „Versucht man von hier aus eine erste Definition des exemplarischen Lehrens, so könnte man sagen: Es ist die Art der Gründlichkeit, die von einem einzelnen aufs Ganze geht – und zwar, indem es durch eindringliches Verweilen den ganzen Menschen anfordert und auch das Ganze des Faches (ja unter Umständen der geistigen Welt) erhellt, insofern es als Beispiel repräsentativ ist.“ (Wagenschein, in: Roth, 1965, S.9)

9.6

Die Auswahl eines Exemplum

Was soll und was kann exemplifiziert werden? Damit eng verbunden ist die Frage nach dem „Wozu?“ des Exemplum. Nach der bisherigen Diskussion kann es sich bei einem Exemplum bloß um einen oder mehrere Teile jener Vielheit handeln, der etwas als Exemplum entnommen werden kann, zu dem Zweck mit diesem „Etwas“ ein anderes geistig zu bewältigen. Von diesem Ziel her ist infolgedessen auch die Auswahl eines „Etwas“ als Exemplum zu bestimmen. Dieses Vorgehen entspricht auch ganz augenscheinlich dem alltäglichen phänomenalen Sachverhalt. Der phänomenale Sachverhalt ist folgender: Jemand hat es mit einem Begriff zu tun, einem Verhalten, einem Sachverhalt, einem Gesetz, einer Regel oder einem Abstraktum. Er durchschaut dies alles nicht (ganz); es ist ihm unklar, undeutlich, nicht einleuchtend, unverständlich. Durch ein richtiges Exemplum wird es ihm klar, verständlich, sinnhaltig und erlangt Bedeutung. Das Exemplum dient zur geistigen Bewältigung all dessen, was sich zu ihm selbst (dem Exemplum) im Verhältnis des Einklangs, der Gleichheit, Übereinstimmung oder Identität befindet: Die geistige Bewältigung besteht darin, die Gleichheit, die Ähnlichkeit, die Übereinstimmung und die Identität auf- und nachzuweisen, sowie gleichzeitig in einer veranschaulichenden, verdeutlichenden und verdichtenden Wirkung für die Lernenden darzustellen. Schwierig ist die konkrete Arbeit, ein Exemplum zu finden, das den Ansprüchen des didaktischen Ansatzes des exemplarischen Lernens weitgehend entspricht. Diese Arbeit setzt bereits den Überblick und auch die Vertiefung in das Thema voraus. Es ist Aufgabe der Lehrenden (und nicht der Lernenden), das Exemplum bereitzustellen und anzubieten. Gefordert ist hier vor allem die didaktische Kompetenz der Lehrenden. Aber exemplarisches Lehren und Lernen ist ohne die Berücksichtigung der Individuallage der Lernenden nicht denkbar. Verordnet kann das Exemplum nicht „ankommen“, es wird selten verstanden und der zu erhellende

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Sachverhalt bleibt verschwommen. Wenn die Zeit nicht reif ist, führen alle Anstrengungen über ein leeres „Wortbrauchen“, dem alles innere Verstehen und Begreifen fehlt, nicht hinaus. Es geht darum, eine Auswahl zu treffen, um das geistige Leben nicht durch die Fülle des Stoffes zu ersticken. Daher stellt sich für die Lehrenden die Frage, nach welchen Maßstäben und unter welchen Gesichtspunkten die Auswahl der Bildungsinhalte, beispielsweise im Fach Geographie, erfolgen muss. Wo finden wir das Gemeinsame, das Fundamentale, das Exemplarische einer durch Vielfalt gekennzeichneten Erdoberfläche? Das entscheidende Ergebnis erdkundlicher Bildungsarbeit ist nach Schultze die Abhängigkeit des Menschen von realen Gegebenheiten. (Schultze, A., o. J) Der Mensch muss sich mit der Natur und den in ihr wirkenden Kräften auseinandersetzen, wo auch immer sein Lebensraum liegen mag. Entscheidendes Kriterium für die Auswahl des Exemplarischen ist somit der Lebensbezug, in unserem Fall die Abhängigkeit des Menschen von dem ihn umgebenden Lebensraum. In diesem Sinne kann bei der Auswahl des Stoffs beispielsweise von folgenden Fragen ausgegangen werden: • Wo können wir am besten zu der Einsicht gelangen, dass ein Industriegebiet auf Rohstoffe und Energieträger angewiesen ist? • In welchem Raum lässt sich am besten einsehen, dass der Anbau von Feldfrüchten von ganz bestimmten Klimabedingungen abhängig ist? • Woran lässt sich erkennen, unter welchen Bedingungen es zu einer Verdichtung der Bevölkerung kommt? • An welchem Land lässt sich erkennen, dass die Überbevölkerung zu einer Auswanderung oder zu einer Industrialisierung zwingt? Die Fragen dienen der Orientierung und lassen sich fortsetzen. Für die Auswahl der Fragen gibt es nur ein Kriterium: Was ist das Geographische an der Geographie? Oder: Was ist eigentlich das Mathematische an der Mathematik? Nun habe ich das Prinzip des Exemplarischen ausreichend erklärt. Ich möchte mich in der Folge meinen Erfahrungen mit dem Studium auf der Lehr- und Lernplattform Scholion zuwenden und eine Antwort auf folgende Fragen versuchen: • Ist der Inhalt in den Modulen von Scholion so ausgewählt worden, dass er die Lernenden ins Staunen versetzt? • Haben sich die ModulschreiberInnen die Frage gestellt, warum denn jemand eben die Inhalte studieren sollte, die sie hier mit viel Mühe und Arbeitsaufwand via e-learning in Scholion anbieten und welche Lebensbedeutung wird dieser Inhalt für die Lernenden haben? • Haben sie, die AutorInnen, das Wesentliche, das Übertragbare, das Beispielhafte gefunden und als Exemplum für die Lernenden herausgenommen? • Sind die beiden Prinzipien des „Sokratischen“ und des „Genetischen“ vorhanden? • Und was mich besonders interessiert: Ist Scholion selbst ein Exemplum für e-learning? Also habe ich mich auf die Suche nach Beispielen begeben, die eine Antwort auf meine Fragen darstellen könnten.

9.7 Die Geschichte vom Mond

9.7

117

Die Geschichte vom Mond

„Es ist kein Geheimnis, dass fast niemand über die Dinge des Himmels etwas Rechtes weiß; es sei denn Gelerntes, aber nicht Erfahrenes und Erlebtes. Die Wahrheit über die Sterne und ihre Bewegung liegt nicht offen zutage. Sie ist wie verschlossen hinter vielen Türen. Wenn wir sie von Grund auf und auf natürliche Art einsehen wollen, müssen wir diese Türen, eine nach der anderen, öffnen.“ (Wagenschein, 1952, S.7f) Was wissen wir über den Mond? Wir könnten unser Studium mit dem Mond beginnen. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum der Mond, jeden Tag zu einer anderen Zeit „aufgeht“? Warum wir ihn in verschiedenen Gestalten sehen können? Ob und wie er unsere Erde umkreist? Wie lange er für eine Erdumkreisung braucht? Warum wir ihn in der Nacht, aber meist nicht am Tag sehen können? Warum es manchmal eine Sonnenfinsternis gibt? Fragen über Fragen, die den Mond betreffen. Das Studium kann beginnen. So habe ich gestaunt, als ich die Geschichte vom Mond in Scholion gefunden habe …

Abb. 9.3: Skizze und Beispiel aus Scholion

Ich möchte hier beispielsweise „eine Frage an den Mond“ zu Ihrer Anregung diskutieren und damit die Skizze erklären. Die Frage lautet: „Umkreist der Mond die Erde?“ Sie, liebe Leserin, lieber Leser, werden sofort antworten: „Ja selbstverständlich! Welchen Zweifel soll es denn an dieser Tatsache geben?“ Und Sie haben Recht. Für Sie, die Sie hier auf diesem Planeten leben, sieht es tatsächlich so aus, als umkreise der Mond die Erde – ungefähr einmal in einem Monat. Ich bitte Sie aber nun in ihrer Vorstellung die Perspektive bzw. ihren Standpunkt zu wechseln. Bitte stellen Sie sich vor, Sie könnten weit über der Erde im Weltall mit Erde und Mond mitfliegen. Sie wären dann so schnell wie die Erde und würden im selben Tempo wie die Erde die Sonne umkreisen. Aus dieser Sicht beschreiben Sie dann bitte die Mondbahn. Die Beispiele in der obigen Skizze sind Vorschläge, wie die Mondbahn aussehen könnte. Ich verrate Ihnen gleich, diese Beispiele auf der Skizze sind alle falsch – und unsere Vorstellungen entsprechen oft einfach nicht der Realität. Jetzt sind Sie an der Reihe. Bitte zeichnen Sie eine Skizze und versuchen Sie diese anschließend zu verifizieren. Bitte beginnen Sie zu forschen, werden Sie neugierig und staunen Sie!!!

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9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

Die Geschichte vom Mond ist für Sie hoffentlich ein schönes Bespiel, wie Sie zu einer anderen Erkenntnis kommen können, sobald Sie die Perspektive wechseln und auch dafür, dass unser so gesichertes Wissen oft gar nicht so sicher ist!

9.8

Die Realisierbarkeit von exemplarischem Lehren und Lernen in Scholion

„Je tiefer man sich eindringlich und inständig in die Klärung eines geeigneten Einzelproblems eines Faches versenkt, desto mehr gewinnt man von selbst das Ganze des Faches.“ (Wagenschein, in: Roth, 1965, S.16) Ein bisschen hatte ich ja schon Gelegenheit, Scholion kennen zu lernen. Positiv ist mir gleich aufgefallen, dass die fokussierte Diskussion unmittelbar zu inhaltlichen Fragen führte, die unserem Diskurs nicht nur Lebendigkeit, sondern auch die für exemplarisches Vorgehen auch wesentliche Ordnung gab. Somit scheint mir eine Annäherung an ein Phänomen mit der erforderlichen Ergriffenheit bei der Nutzung von Scholion möglich, insbesondere, da Lehrende wie Lernende jederzeit aus dem Diskussionsforum heraussteigen können und ohne lästiges Suchen die in der Diskussion angesprochenen Inhaltselemente in ihrem Arbeitsbereich zur Verfügung haben. Mit den verfügbaren Sichten können sie den Inhalt beliebig individualisieren, ohne dass dieser Zugang für uns verloren geht. Dies bedeutet für mich, dass ich in den Sichten auch mitnotieren kann, welche Eigenschaften, die in einem Exemplum vermittelt wurden, bereits von anderen erkannt wurden und welche in die weitere Diskussion einzubringen sind. Ich kann auf diese Weise das Prozessgeschehen verfolgen (keine Vielzahl an Zettel mehr am Tisch sowie langwieriges Suchen) und wenn ich den Zeitpunkt für richtig halte, Information über meine Sicht freischalten bzw. ein neues Thema in die Diskussion einbringen. Und falls jemand anderer dies macht, dann sehe ich es rechtzeitig und steige gleich in den Diskurs oder die Diskussion ein. Damit möchte ich nicht sagen, dass alle in die virtuelle Plattform Eingebundenen auf diese Weise ihr bisheriges „Zettelwerk“ ersetzen müssen. Ich möchte vielmehr den variantenreichen Umgang mit den Möglichkeiten von Scholion ansprechen. Eine Lernplattform, die einen derart variantenreichen Zugang zu Inhalt und Kommunikation zur Verfügung stellt, möchte ich als exemplarisch bezeichnen. Ich sage dies nicht, ohne vorher das sokratische und genetische Element gesucht zu haben. Das sokratische Element lässt sich in Scholion dahingehend realisieren, als Inhalte gekennzeichnet werden, die von Details zu Ganzem führen. Die Inhaltselemente können auch Handlungsanweisungen sein bzw. enthalten, die Lernenden zum Erschließen des Ganzen auffordern bzw. sie zur ganzheitlichen Erfassung anleiten. Darüber hinaus können die Kommunikationsmöglichkeiten genutzt werden, um dieses Heranführen zu begleiten. Initiiert werden kann die Interaktion seitens der Lehrenden oder seitens der Lernenden. Das genetische Element ist meiner Einschätzung nach aber das Entscheidende für den erfolgreichen Wissenserwerb via exemplarisches e-learning in Scholion. Nicht nur kann auf unter-

9.8 Die Realisierbarkeit von exemplarischem Lehren und Lernen in Scholion

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schiedlichen Ebenen Inhalt vorbereitet werden, sondern es kann Kontext zu Inhaltselementen mehrfach aufbereitet werden und geht nicht verloren. Die Levels of Detail erlauben Verdichtung und Vertiefung, unabhängig von den Sichten, die ja Lehrende wie Lernende nutzen können. Das Sichtenkonzept ist wohl einzigartig in Scholion: Sichten können für jede Lerneinheit beliebig oft erzeugt werden und somit alle für Individuen wichtige Perspektiven, Ergänzungen, Assoziationen und Verknüpfungen aufnehmen. Noch haben wir damit nicht alle Möglichkeiten kontextsensitiven Arbeitens ausgereizt. Sichten erlauben ja auch die Abstimmung unterschiedlicher Perspektiven (historisch, gruppenspezifisch, handlungsorientiert etc) – ein Fundus, aus dem für alle Lernenden individueller Bezug zu Inhalt geschaffen werden kann, ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren! Wenden wir uns dem uns konkret angebotenen Inhalt zu, den die ExpertInnen für uns als Einstieg in e-learning ganz nach den Grundsätzen von Maria Montessori vorbereitet hatten. Mich hat dabei in Staunen versetzt, wie wenig eigentlich von diesen vielschichtigen Aktivitäten in Belgien bekannt war. In den uns zugänglichen Modulen von Scholion waren die Themen so gewählt worden, dass in abwechslungsreicher Form und mit wenig Text (eine Forderung, der nur wenig Lehrende nachkommen können) das Wesentliche von mir erfasst werden konnte. Was mich besonders gefreut hat, war, dass sich die ModulschreiberInnen die Frage gestellt, warum wir eben die Inhalte studieren sollten. Es wäre gar nicht notwendig gewesen, uns explizit mitzuteilen, welche Lebensbedeutung dieser Inhalt für uns Lernenden hat, wir hätten auch aus der Struktur bzw. den Inhalten selbst ableiten können, dass es die Entwicklung von Schulen und Schularchitekturen, die uns allen ein Anliegen in unserer Arbeit ist. Durch die Handlungsanweisungen konnte das Regelhafte von uns entdeckt werden, sodass ich für meinen Wirkungskreis unmittelbar Maßnahmenbündel identifizieren konnte. Ich kann unseren elearning-Fachkräften nur gratulieren, sie haben das Wesentliche, das Übertragbare, das Beispielhafte gefunden und als Exemplum für die Lernenden herausgenommen. • Auch das „Sokratische“ und das „Genetische“ ist inhaltlich vorhanden. Das Phänomen wurde umfassend dargestellt, allerdings mit speziellen Strukturen – da helfen offensichtlich didaktische Elemente wie Blocktypen (Information, Handlungsanweisung etc.). Diese Strukturen motivieren gleichzeitig die Lernenden, bestimmte Sichten beim Erfassen einzunehmen und im Sinne des Ganzen zu positionieren. Sie prägen den Zugang in für Lernende fassbarer Form und durchbrechen die Linearität, die die den unmittelbaren Bezug zu Inhalte eher schwächt als verstärkt. Das genetische Element wurde somit durch die Nachvollziehbarkeit der Inhalte aus kausaler Sicht realisiert. Die zeitliche Dimension der Bearbeitung rückt dabei in den Hintergrund – eine Freiheit, die Lernende in ihrer Lernorganisation zu schätzen lernen. • Vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen kann ich nun die Frage ‚Ist Scholion nun ein Exemplum für e-learning?’ wie folgt beantworten: Von seiner Eignung als Plattform, die bestimmte Elemente zur Gestaltung des Inhalts und der Interaktion inklusive Kommunikation und Zusammenarbeit bietet, ja. Es braucht aber die exemplarische Ausgestaltung durch ExpertInnen auf inhaltlicher Ebene sowie einer nachgelagerten Moderation, um individuelle Bezüge zu schaffen. Ich möchte daher den EntwicklerInnen

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• • • •

9 Exemplarisches Lehren und Lernen nach Martin Wagenschein

mehrere Gestaltungsempfehlungen aussprechen und methodische Hinweise geben, damit Lehrgänge in Scholion exemplarisch entwickelt werden können: Exempla sollen sich auszeichnen durch Bildhaftigkeit, Anschaulichkeit, Vorstellbarkeit, Eindeutigkeit, Geprägtheit und durch auffallende Nähe zum Konkreten. Exempla sind mehr als Nur-Singularität. Sie weisen über sich hinaus; mit und an ihnen sollen Allgemeingültigkeiten ausgesagt werden, die auch für andere Objekte zutreffen. Jede Nur-Einmaligkeit und Nur-Individualität kann nicht Exemplum sein. Allen Beispielen liegt ganz augenscheinlich folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Beispiel oder an mehreren Beispielen kann eine allgemeine, abstrakte (im Sinne noch nicht praktisch erfahrener) Wahrheit aufgezeigt werden. Die Anwendung eines Exemplum sollte einen Drei-Schritt darstellen – Schritt 1: Auswahl und Beschreibung des Exemplum; – Schritt 2: Aufzeigen der allgemeinen, abstrakten Wahrheit; – Schritt 3: Bewältigung neu auftretender Fälle aufgrund der gewonnenen, allgemeinen, abstrakten Erkenntnis.

Ich denke, nun haben wir umfangreiches Erfahrungswissen aufgebaut, sodass exemplarische Lehrgänge auch mit kontextsensitiven Lehr- und Lernplattformen wie Scholion realisiert werden können. Lehrende und Lernende sollte ausreichend mit Orientierungswissen versorgt sein, um weitere Exempla zu entwickeln.

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Peter Petersen – Mein Jenaplan

Martin Wagenschein hat mir (Peter Petersen) vorgeschlagen, von der Frage auszugehen, warum der Jenaplan ein Exemplum für reformpädagogisches Denken sei und ob es möglich ist, mein Konzept des Jenaplans als Exemplum für das reformerische Denken dieser Periode darzustellen. Ich werde dies nun versuchen. Der Wagenscheinschen Diskussion folgend stelle ich hier erläuternd und erklärend die Frage: Was ist das Reformpädagogische an der Reformpädagogik? Fundamental und wesentlich ist in den meisten reformpädagogischen Modellen die didaktische Orientierung an der kindlichen Entwicklung. In den reformpädagogischen Modulen in Scholion wird die Reformpädagogik allgemeingültig und durchgängig als kindorientierte Pädagogik ausgewiesen, als eine Pädagogik, die „vom Kinde aus geht“. „Vom Kinde aus“ bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht nur die Berücksichtigung kindlicher Interessen, Bedürfnisse und Entwicklungsphasen. Die Reformpädagogik stellt auch den Versuch dar, „gegen die überlieferte, Angst generierende ‚alte’ Erziehung einer demgegenüber ‚neuen’ zum Durchbruch zu verhelfen, die das Glück des Kindes im Auge hat und die Zustimmung des Kindes sucht.“ (Skiera, 2003, S.1) Das Umdenken der ReformpädagogInnen bezüglich der Aufgabe der Erziehung bestand und besteht nach wie vor in der Gestaltung und Verwirklichung eines kindorientierten, und damit auf Lernende ausgerichteten didaktischen Konzeptes, das in seiner Grundintention auf eine bessere Zukunft hin ausgelegt ist, die durch Erziehung zu erreichen sei. Eine solche Didaktik orientiert sich an der kindlichen bzw. Lernenden-Entwicklung, stellt für diese entsprechende Entwicklungsaufgaben bereit und gibt die Anregungen sowie Richtlinien für eine schulische Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung, damit die individuelle Entwicklung zur Erreichung von Bildungszielen führen kann. Bildung wird in den reformpädagogischen Erziehungskonzeptionen nicht durch die Forderungen der Erwachsenen bestimmt, sondern hat zum primären Ziel die Individualität der zu Bildenden zu stärken. Charakteristisch für alle reformpädagogischen Richtungen und für einzelne VertreterInnen sind die folgenden drei Prinzipien: • Orientierung am Kind • Das Prinzip der Selbsttätigkeit, Kreativität und Produktivität • Der „pädagogische Bezug“ im Sinn einer persönlichen Zuwendung des Erwachsenen (LehrerIn, Erziehern) zum Kind.

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10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

Als Exemplum versuche ich den Jenaplan als eine Pädagogik vom Kinde aus darzustellen, als eine Pädagogik • • • • •

die das Glück des Kindes im Auge hat, die Zustimmung des Kindes sucht, die sich an der Entwicklung des Kindes orientiert, die Anregungen und Richtlinien für die entsprechende schulische Organisation gibt und die die Individualität des Kindes stärkt.

10.1

Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik

Im Sinn Martin Wagenscheins fragen wir uns also, was am pädagogischen Konzept des Jenaplans allgemeingültig ist, d.h. damit auch vergleichbar für die Konzepte der Reformpädagogik? Ich nehme diese Fragestellung gerne auf.

10.1.1

Beschreibung des Jenaplans als Exemplum

Ich (Peter Petersen) wurde im Jahr 1923 nach Jena berufen. 1924 begann ich dort die bestehende Universitätsübungsschule nach meinen Erkenntnissen und schulpädagogischen Auffassungen umzuwandeln. Nach einer äußerst dynamischen Entwicklung des Jenaer Schulkonzepts, einschließlich vielfältiger Formen parallel laufender Schulentwicklungsforschung an der Universitätsübungsschule, stellte ich dann mein „Konzept – das schon weitgehend bekannt geworden war – 1927 auf dem Weltkongress des New Education Fellowship (des Weltbundes zur Erneuerung der Erziehung) in Locarno der pädagogischen Weltöffentlichkeit vor (siehe dazu: Klaßen, Theodor F., Stichwort: Jenaplan, in: Schmutzer (Hrsg.), 1991, S.68ff, hier bes. S.71ff). Auf diesem Weltkongress wurde dann in Locarno der Begriff „Jenaplan“ gefunden (nach Einordnung wie „Winetkaplan“ oder „Daltonplan“). Wie andere Reformkonzepte reüssierte die Jenaplan-Pädagogik in einer weltweiten Rezeption. „Der kleine Jenaplan“ wurde in zahlreichen Ländern rezipiert und ist nach der Auflagestärke bis heute der pädagogische Bestseller geblieben.“ (vgl. Seyfarth-Stubenrauch, Michael: Jenaplan-Pädagogik. Historischer Hintergrund – Aktuelle Konzepte, in: Eichelberger, 1997, S.131f) Die Umgestaltung der Universitätsübungsschule nach dem Konzept des Jenaplans bedeutete einen radikalen Bruch mit der dort zuvor praktizierten Methode der so genannten Herbartianer um Wilhelm Rein. Ich brachte vielfältige Reformerfahrungen mit, hatte die Landerziehungsheimbewegung kennen gelernt, hatte aus nächster Nähe die Entwicklung der Hamburger Lebensgemeinschaftsschulen verfolgt und war Schulleiter an der reformorientierten Lichtwarkschule gewesen. Ich möchte hier noch hinzufügen, dass ich meine Vorstellungen in einen breiten Strom reformpädagogischer Anregungen stellte und meine pädagogische Arbeit immer im Kontext

10.1 Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik

123

der Reformpädagogik und der Neueuropäischen Erziehungsbewegung gesehen habe. Auch deshalb hat Hermann Röhrs die Jenaplan-Pädagogik als eine „schöpferische Synthese“ der maßgeblichen Einzelansätze der Reformpädagogik bezeichnet (Röhrs, 1983).

10.1.2

Das dem Jenaplan zugrunde liegende Menschenbild

Mein Menschenbild beruht, wie ich immer wieder betonte, auf einem realistischen Menschenbild, nicht auf einem Menschenbild von „guten“ oder „schlechten“ Menschen. Meiner Auffassung nach besitzt der Mensch „existentielles Sein“; er ist herausgetreten aus der Natur und ist dadurch der „erste Freigelassene der Schöpfung“. Mit dieser unfestgelegten Existenzweise muss der Mensch von der Geburt bis zum Tod Situationen bewältigen, also Stellung nehmen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Mensch des anderen bedarf, um Mensch zu werden. Der Mensch ist von seiner anthropologischen Bestimmung her Mit-Mensch; er braucht den anderen, um ein Selbst zu entwickeln. In diesem Sinne schrieb ich bereits 1924: „Wir werden erst am anderen unser selbst inne, leben nicht mit ihm, sondern leben an ihm erst auf ... Wir müssen es voll und ganz begreifen, dass fremdes Seelenleben vom Ursprung her unsere Seele nährt, dass wir auf Gemeinsamkeiten und aus Gemeinsamkeiten leben, und dass wir erst schöpferisch werden in dem Augenblick, wo das fremde Seelenleben auf uns einwirkt. Und da dies vom ersten Atemzuge an geschieht, so steht demnach jeder Mensch vom Ursprung her auf Gemeinschaft.“ (Petersen, 1927, S.27) Innerhalb der Gemeinschaft geschieht und wirkt Erziehung als „kosmische Funktion“. Sie zielt auf Vergeistigung und Humanisierung des Menschen (vgl. Petersen, (1927) 1951 S.9). „ ... einzig und allein bei tätiger Bewährung in den vielschichtigen und natürlichen zwischenmenschlichen Beziehungen reift ein Mensch zu einem sittlichen Wesen, reift seine sittliche Kraft.“ (Petersen, 1954, S.41) Mit dieser Aussage möchte ich zeigen, dass die Gemeinschaft auf einer humanen Ethik beruht, dass in ihr eine humane Ethik entsteht und gelebt wird. Andernfalls existiert für mich eben gar keine Gemeinschaft. „Eine Folge des recht „vorgeordneten“ Schullebens ist es, dass es inmitten dieses Wohnstubenlebens zu echten Tätigkeitsformen kommt.“ (Petersen, (1937) 1951, S.80) Erziehung geschieht hier „funktional“, sie ist in diesem Sinne „Tathandlung“ (Pestalozzi) am anderen Menschen; sie vollzieht sich nicht im Reden über wünschenswertes Tun oder im „Maulbrauchen“ (Pestalozzi). Gemeinschaftliche Beziehungen zeichnen aber nicht nur das Zusammenleben und –arbeiten der Lernenden untereinander aus, sondern auch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden und dieser zu den Eltern. Das Prinzip, dass Tätigkeitsformen in der Schulwohnstube auch Erziehungsformen sind, ist originär nicht von mir formuliert worden. Als erster hat Friedrich Fröbel dieses Prinzip ausgedrückt. Er forderte die innige Verbindung, die „Einigung“ der Schule mit dem Leben. Die

124

10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

Schule soll dem Leben dienen und dieses geschieht vornehmlich durch „Einigung des Familien- und Unterrichtslebens“. Familie, Unterricht und Schule sollen eine Einheit bilden (vgl. Fröbel, 1826, § 86, neu herausgegeben von Zimmermann, 1913).

10.1.3

Die Erziehungsidee

Mein Jenaplan betrifft die Erziehung des ganzen Menschen und nicht die Ausbildung von Teilfunktionen. Daher stellt sich vor den Beginn einer Erziehungskonzeption die Grundfrage nach der Erziehungsidee. Diese Erziehungsidee ist in direktem Zusammenhang mit der folgenden Kernfrage zu sehen: „Wie muss diejenige Erziehungsgemeinschaft gestaltet werden, in welcher sich ein Menschenkind die beste Bildung erwerben kann, d.h. eine Bildung, die seinem, in ihm angelegten und treibenden Bildungsdrange angemessen ist, die ihm innerhalb dieser Gemeinschaft vermittelt wird und die es reicher, wertvoller zur größeren Gemeinschaft zurückführt und dieser als tätiges Glied wiederum übergibt? Oder kürzer, wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität zur Persönlichkeit vollenden kann.“ (Petersen, (1927) 1970, S.7) In der Diskussion der Erziehungsidee ist es wichtig zu wissen, dass die kleine Schule (in Jena) den Kindern half, „Denken und Wollen anderer Weltanschauungsgruppen“ zu achten und zu verstehen „und dass man die Kunst der Kooperation mit Andersdenkenden“ (ebenda) ernsthaft lernte. Erziehung vollzieht sich nach der von mir diskutierten Erziehungsidee in und durch die Gemeinschaft. Das Individuum bringt sich mit all seinen Fähigkeiten und Kenntnissen absichtslos in die echte Gemeinschaft ein und erfährt so seine Sinnerfüllung: Das Individuum wird zur Persönlichkeit durch Leben in der Gemeinschaft. So gesehen ist die Frage nach der optimalen Unterrichtsmethodik zweitrangig gegenüber der alles entscheidenden Frage, wie der Unterricht „den beiden Ideen der Ehrfurcht vor dem Leben und der Erziehung, d.h. der Freimachung des Menschentums in jedem Kinde“, ohne Einschränkung dienen kann (Klaßen, in: Röhrs (Hrsg.), 1986, S.209ff). Im gemeinschaftlichen Leben erfährt und erlebt der Mensch, dass er fähig und es für ihn notwendig ist, in sich das zu entwickeln und zu kultivieren, wozu nur Menschen fähig sind: zur Güte, zum Mitleid, zum Verstehen, zur Ehrfurcht, zur Treue, zur Rücksicht, zum Verzeihen, zur Freude (usw.). Jedes Individuum erfährt aber ebenso deutlich, dass Gemeinschaft gar nicht erst zustande kommt oder auch zerstört werden kann, wenn die angesprochenen Handlungen nicht vollzogen und Gefühle nicht ausgedrückt werden können. „Wollen wir also hinaus über die Klasse, wollen wir mehr als eine soziale Gruppe, dann müssen wir unsere Gruppen so gestalten und nun auch so leben lassen, dass in ihnen Raum ist für das zwischenmenschliche Geschehen und damit für eine wirkliche Gemeinschaftsbildung.“ (Petersen, (1927) 1970, S.11f) In einem nach diesen Erziehungsideen gestalteten Gemeinschaftsleben ist Bildung Entwicklung, Entfaltung und Formung des einzelnen Menschen nach seinen individuellen Möglich-

10.1 Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik

125

keiten. Jedes Individuum entwickelt sich nach einem ihm eigenen Bildungsgesetz - vgl. Maria Montessoris „Entdeckung des Kindes“. Sie verwendet den Begriff des „inneren Bauplanes des Kindes“.

10.1.4

Bedürfnisse der Kinder

Die Individualisierung des Unterrichts durch das Bereitstellen pädagogischer Situationen ist ein wesentliches Element des Schullebens nach dem Jenaplan. Ich beschrieb die pädagogische Situation als einen problematischen „Lebenskreis von Kindern“ oder Jugendlichen um eine Führungsperson und von dieser in „pädagogischer Absicht derart geordnet“, dass jedes Mitglied des Lebenskreises genötigt (gereizt, aus sich heraus getrieben) wird, als „ganze Person“ zu handeln, tätig zu sein (vgl. Petersen, (1937) 1971, S.20). In jeder Jenaplan-Schule wird der individuelle Prozess des Sinn entdeckenden Lernens im Vordergrund der pädagogischen Arbeit stehen. Wie beispielsweise jemand nach einem Gespräch über bestimmte Themen denkt, ist seine/ihre Sache. Das Besprechen der Probleme und die Übertragung von Fachkenntnissen sind darum zwei verschiedene Sachen. Diese Kenntnisse liefern die notwendige Basis für einen sinnvollen Dialog. Wird nichts mit den Kenntnissen gemacht, dann bleiben sie isoliert. Werden diese nicht erlebt, physisch, rational und emotional, dann bleibt die Integration aus, dann füttern wir im Unterricht nur das Gedächtnis. Ein Schulkonzept nach dem Jenaplan bietet die Möglichkeit der Gestaltung einer sehr flexiblen und kindgerechten Schulorganisation und Schuleingangsphase durch die Lehrenden. Die Organisation der Schule erfolgt nicht mehr nach Jahrgangsklassen. Stammgruppen mit den pädagogischen Vorteilen der Altersheterogenität, das voneinander und miteinander Lernen, ein hoch differenzierter und individualisierter Unterricht, Mitplanung und -gestaltung durch SchülerInnen bei der Schulorganisation, die Betonung des Gesprächs und der Feier sowie die Freiheit der Schulgestaltung nach einer Ausgangsform charakterisieren ein Schulkonzept nach dem Jenaplan. Die Stammgruppe umfasst in der Regel drei Altersjahrgänge, welche ich als Lehrlinge, Gesellen und Meister begrifflich fasste.

10.1.5

Die Gestaltung der Schule

Als ich auf dieser Menschenbildung aufbauend die Schule gründete, war es mir wichtig, das „volle Leben“ in diese Schule hinein zu nehmen, Lernräume außerhalb der Schule zu finden, die Fächertrennungen zu überwinden und einen Arbeitsunterricht zu kultivieren, der es jungen Menschen ermöglicht, selbstständig und interessengeleitet zu lernen. Ganz selbstverständlich war es an dieser Schule, an der Überwindung der Klassen- und Konventionsgrenzen zu arbeiten und eine „Schulgemeinde“ zu sein, in der Eltern, Lehrende und Lernende gemeinsam versuchen konnten die angestrebte neue demokratische Gesellschaft schulisch zu verwirklichen. In der Reformpädagogik sind zwei kongeniale Richtungen zu differenzieren: die „Pädagogik vom Kinde aus“ und die so genannte „Arbeitsschule“. Dem Jenaplan liegen als einziger reformpädagogischer Richtung beide Prinzipien zugrunde. Diese Schule war auf der Grundlage der Schulreformbewegung gegründet worden, um junge Menschen auf die selbst bestimmte und verantwortliche Partizipation an der Demokratisie-

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10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

rung des gesellschaftlichen Lebens vorzubereiten. Wohl auch, um den immer stärker werdenden faschistischen Strömungen den geistigen Boden zu entziehen. Eine Jenaplan-Schule war und soll auch heute noch eine „freie allgemeine Volksschule“ sein – auf meiner Hoffnung begründet, dass diejenigen Lehrenden, welche der Schuljugend nicht als ParteipolitikerInnen und nicht als Werkzeuge politisierender Konfessionen dienen wollen, welche also die Idee des pädagogischen Tuns zum Leitgedanken ihrer alltäglichen Berufsarbeit erheben, immer noch die große Mehrheit der Lehrerschaft bilden. Was in Jena absichtlich und bewusst unter den anerkannten Bedingungen der öffentlichen Schule erprobt wurde, sollte keineswegs ein Vorbild für eine bestimmte Schulart sein. Ich ging davon aus, dass der Jenaplan „in jeder Schule verwirklicht werden kann, nur vorausgesetzt, dass die Erziehungsidee alles pädagogische Tun leiten und frei um ihren reinsten Ausdruck ringen kann.“ (Petersen, in: Röhrs (Hrsg.), 1986, S.209ff) „Es war aber der Zweck dieses ersten Versuches: Die Arbeit in einer Grundschulklasse nach den Grundsätzen einer Arbeits- und Gemeinschaftsschule so durchzuführen, dass er an keinem Orte an den finanziellen Mitteln scheitern kann, mit anderen Worten, an nichts außerhalb des Erziehungswillens. Daran ist auch noch in anderer Beziehung festgehalten worden: Es sind keine besonderen Lehrmittel, Bücher, Hefte, Schreibgeräte, Anschauungsmittel verwendet worden ...“ (Petersen et al., in: Röhrs, 1986, S.216ff) Schulen, die sich nach dem Jenaplan entwickeln wollen, verstehen diesen Plan heute als Ausgangsform für die Bearbeitung der besonderen schulischen und sozialen Schwierigkeiten, die in den jeweils spezifischen Situationen vorhanden sind. Es gilt dabei das Prinzip der Freiheit der Gestaltungsmöglichkeit des Jenaplans. Diese Konstellation führt zu situativen Schwerpunktbildungen und zu situativen Entwicklungsverläufen. Es stehen, so gesehen, nirgends auf der Welt fertige Jenaplan-Schulen. Wo Jenaplan-Schulen zu finden sind, dort finden wir immer Schulen auf dem Weg zu ihrer pädagogischen Form als Antwort auf die spezifischen Probleme der Lernenden, Eltern und LehrerInnen.

10.1.6

Pädagogische Situation

Es ist die absichtsvolle Vorordnung einer Schulsituation, die ich „Führung des Unterrichts“ nenne. Diese Vorordnungen sind wesentliche Bedingungen für die Möglichkeiten Heranwachsende in einem „problemhaltigen Lebenskreis“ dazu zu führen, „als ganze Person(en) tätig“ zu sein. Diese wesentlichen Bedingungen enthalten „Aufgaben in Fülle“, die das volle „Selbst“ herausfordern. Obwohl mit Absicht geplant, bleibt die Situation offen und fordert selbstverantwortliches Handeln von den Studierenden. Mit „Führung im Unterricht“ hat die Lehrperson die Aufgabe, auf die „Übernahme“ der situativen Spannung hin zu wirken. Ich unterscheide die „Grundformen der Selbsterziehung“ (Überlegung, Wahrnehmung, Anschauung, Philosophie, Versenkung, etc.) als Formen „innerer Übernahme“ von den Bildungsgrundformen (Gespräch, Spiel, Arbeit, Feier). Der Wert der Bildungsgrundformen liegt eben darin, dass sie eine für die Bildung im Dienste der Er-

10.1 Der Jenaplan als ein Exemplum aus der Reformpädagogik

127

ziehung entscheidende, aber nicht planbare „innere Übernahme“ ermöglichen (Petersen, (1937) 1984, S.32ff). Hierher gehören in einem Verständnis heutiger, moderner Pädagogik die Formen des selbst bestimmten Lernens, der Projektunterricht, forschendes Lernen und ebenso entdeckendes Lernen.

10.1.7

Vorordnungen und Bildungsgrundformen

Ich betone die „Führung des Unterrichts“ und die „Führung im Unterricht“ und weise immer wieder mit Nachdruck auf die Bedeutung und die Notwendigkeit der „Vorordnungen des Unterrichts“ hin (Petersen, (1937) 1951; 43ff und 66ff). Das Jenaplan-Konzept ist nicht jener Richtung der Reformpädagogik zuzurechnen, die vom „Wachsenlassen“ und von der unumschränkten Selbststeuerung des Kindes ausgeht (vgl. Dietrich, in: Salzmann, 1987, S.131). Die Lehrperson hat den Unterricht und das Schulleben so vorzuordnen (durch eine Pädagogik des Unterrichts) und im Unterricht solche Hilfen zu geben (durch eine Pädagogik im Unterricht), dass es Kindern gelingen kann selbstständig Probleme zu finden, zu bearbeiten und zu lösen, eine Aufgabe zu vollenden oder in Ruhe und Gelassenheit etwas zu Ende zu denken. So gesehen ist jede Jenaplan-Schule eine Schule der intensiven Arbeit und eine Schule des Schweigens und der Stille. Diese Grundhaltung wird noch verstärkt durch die bewusste Kultur der Bildungsgrundformen Gespräch, Spiel, Arbeit und Feier. Ich bin der Überzeugung, dass das Miteinander-Sprechen von den vier Aktivitäten der Bildungsgrundformen entwicklungspsychologisch betrachtet auch die wichtigste Kommunikationsform ist. Die Sprache eines Menschen fordert das Kind zur Aktivität auf. Gemeint sind alle „unterrichtlichen“ Gesprächsformen, die auch wir kennen: Kreisgespräch, Klassengespräch, Gruppengespräch, Berichte, Aussprache, Lehrgang, belehrende Unterhaltung, „Frühstück“ als Anfangsgespräch etc.. Die Nennung des Spiels als Bildungsgrundform bedeutet, dass in einer Jenaplan-Schule für die Kinder genügend Gelegenheit zum „freien“ Spiel vorhanden sein muss, wobei die Lehrenden beobachten. Das Spiel wird als gänzlich anderer Bereich der menschlichen Entwicklung gesehen als z.B. die Arbeit – vgl. dazu vor allem die Ausführungen Maria Montessoris, in deren Pädagogik die Arbeit (an sich) im Vordergrund der kindlichen Entwicklung steht. Ihre Beispiele sind: Freies Spiel, Lernspiel, Zweckspiel im Sport und in der Pause, Schauspiel etc.. Wir unterscheiden in der Arbeitssituation die „Gruppenarbeit“, die „Kurse“ und die „individuelle“ Arbeit. Während der Gruppenarbeit sitzen die Kinder in ihrer Stammgruppe in Tischgruppen. Die Kinder dürfen sich ihren Platz und ihre ArbeitspartnerInnen aussuchen. Oft wird die Arbeit in Form eines „Arbeitskontraktes“ festgelegt, wobei das Kind für die Einhaltung des Kontraktes verantwortlich ist, bei Bedarf unterstützt durch die Lehrpersonen. Unter Arbeit wird vor allem die selbsttätige und bildende Arbeit des Kindes verstanden, die in den bekannten Formen der Einzelarbeit, der PartnerInnenarbeit, der Gruppenarbeit oder auch in einem Kurs getan werden kann. Ein für selbstständige Arbeit vorhandenes Arbeits-

128

10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

mittel (vgl. dazu die „Entwicklungsmaterialien“ nach Maria Montessori) „ ... ist ein Gegenstand, der mit eindeutiger didaktischer Absicht geladen ist, hergestellt, damit sich das Kind frei und selbstständig dadurch bilden kann.“ (Petersen, (1937) 1981, S.182) Die Feier ist meiner Meinung nach eine Aktivität, die zu einer Schule, die sich als eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft versteht, unbedingt dazu gehört. Sie ist das wesentliche, gemeinschaftsbildende Element. Sie wird von den Lehrenden dargeboten oder geleitet, von den Lernenden selbstständig gestaltet und in der Stammgruppe oder in der Schulgemeinde abgehalten. Gefeiert werden beispielsweise der Wochenbeginn mit einer Schulversammlung oder auch der Beginn eines Projektes mit einem Theaterstück oder ganz einfach ein individueller Geburtstag.

10.1.8

Rhythmischer Wochenarbeitsplan

Ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, dass der „Fetzenstundenplan“, wie ich den Stundenplan der herkömmlichen Schule nenne, mit seinen permanent expandierenden Fächerkombinationen kein geeigneter Zugang zur Welt für Kinder sein kann. Daher bleibe ich bei meiner Idee des „rhythmischen Wochenarbeitsplans“, der die Woche für ein Kind sinnvoll gliedert indem er angibt, welche Aktivitäten wann an der Reihe sind und damit Offenheiten und Verbindlichkeiten zugleich schafft sowie der Bedeutung der Lehrperson im Unterricht ihre schulpädagogisch sinnvolle Position lässt, aber die Dominanz im Schulalltag nimmt. Die Unterrichtsabfolge in einer Jenaplan-Schule ergibt sich aus einer rhythmischen Abfolge der Bildungsgrundformen und der pädagogischen Situationen. Der Wochenarbeitsplan zeigt, wie Lehrende und Lernende durch Gesprächs-, Spiel-, Arbeitsund Feiersituationen nach einer rhythmischen Ordnung leben bzw. lernen. Schulleben und Unterricht und damit auch die Abfolge der Bildungsgrundformen sollen in einem natürlichen Wochenrhythmus schwingen. Dieser Wochenarbeitsplan ist nicht primär Grundlage für die Wochenarbeitsstunden, sondern soll Lernen in fächerübergreifenden Zusammenhängen auf der Basis der „Bildungsgrundformen“ ermöglichen. Für mich ist auch der rhythmische Wochenarbeitsplan ein wesentlicher Teil des Verständnisses von Schule als „Lebensstätte“ und nicht als Unterrichtsanstalt, weil letztere nur an den SchülerInnen interessiert sein kann, der Jenaplan aber an der Entwicklung der „ganzen Person“ des Kindes interessiert ist. Der Klassenraum darf nicht länger „Belehrungszelle“ sein, der Stundenplan nicht länger die Sicht auf (Lebens-)Zusammenhänge verbauen. Das gemeinschaftliche Leben in der Schule und durch die Schule muss in all seinen Teilen echtes Leben sein, damit ein Kind in der Schule nun wirklich lernen kann, verständnisvoll und gütig zu handeln. Wie im wirklichen Leben – das muss die „Führung des Unterrichts“ leisten – muss ein Kind Güte oder deren Vorenthaltung direkt erleben und erfahren können und auch was dies für es selbst und natürlich auch für andere Kinder bedeutet.

10.2 Exemplarisches, Vergleichbares in der Reformpädagogik

10.1.9

129

Die wesentliche Rolle von Gruppen

Eines der deutlichsten äußeren Kennzeichen des Jenaplan-Unterrichts ist die Gruppierung der Kinder. Die Fiktion einer homogenen Lerngruppe existiert im Jenaplan nicht. Die Möglichkeit der Einzelarbeit eines Kindes korrespondiert mit der Möglichkeit in der Gruppe zu arbeiten, wobei die Bezugsgruppe für jedes Kind seine Stammgruppe ist, in der die Jahrgangsklassen aufgelöst sind, auf deren Bankrott ich nicht müde wurde hinzuweisen. Die Stammgruppe wiederum ist eingelagert in die Schulgemeinde. Für differenziertes und leistungsbezogenes Arbeiten können die Kinder auch in so genannte „Niveaugruppen“ eingeteilt werden. Für die Individualisierung des Lernens können auch „freie Wahlgruppen“ eingerichtet werden. In diesem Fall wählt das Kind für eine bestimmte Periode eine Aktivität aus, für die es sich speziell interessiert. Durch seine eigene Wahl verpflichtet sich das Kind diesem Kurs zu folgen, bis eine andere Auswahl möglich ist.

10.1.10

Leistungsnachweis

Dass dort, wo ein Lernen konsequent gepflegt wird, das seinen Anfang beim kindlichen Interesse nimmt, Noten und Zeugnisse ihre hypertrophe Bedeutung einbüßen und das Sitzenbleiberelend abgeschafft ist, verdient kaum erwähnt zu werden, wohl aber, dass nach Formen gesucht wird, Leistungen der Kinder in pädagogisch verantwortlicher Weise anzuerkennen und individuell zu bewerten. Gleichförmigkeit und Uniformität können in keiner JenaplanSchule zu rechtfertigen sein. Als Leistungsnachweis werden ein objektiver und ein subjektiver Bericht erstellt. Der objektive Bericht ist Grundlage für die Verständigung mit den Eltern über die gemeinsame Erziehungsarbeit. Der subjektive Bericht ist Grundlage für ein abschließendes Gespräch mit dem Kind und zugleich das „Zeugnis“, das mit nach Hause genommen wird. Was ich mit meinem Jenaplan vorhatte, gilt für jede Schule, die sich nach dem Jenaplan zu orientieren sucht: „Aus der Schule als Ganzem etwas Neues zu machen, d.h. das ganze Schulleben von Grund auf radikal zu ändern. Und dann gelte es, dort hinein den Unterricht zu setzen und sorgfältig zu prüfen und zu erproben, wie sich dieser ändern werde, wenn man gezwungen ist, immer jenes neue Schulleben zu erhalten, die neue Schulgesinnung zu bewahren, also kurz gesagt: den Unterricht der Erziehung zu unterwerfen, zuerst Erzieher, dann Lehrer zu sein“. (Petersen, 1952, S.449f)

10.2

Exemplarisches, Vergleichbares in der Reformpädagogik

Nun habe ich nach der Darstellung des Konzepts des Jenaplans auch die Konzepte meiner KollegInnen in Scholion studiert, auf der Suche nach dem Beispielhaften an und in der Reformpädagogik. Ich werde nun versuchen das Reformpädagogische an der Reformpädagogik

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10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

darzustellen. In einem nächsten Schritt möchte ich mich dann der Darstellung der pädagogischen Grundsätze aus dem Jenaplan zuwenden, die auch in der Arbeit mit Scholion gelten, denn das hat ja Martin Wagenschein noch nicht diskutiert. Es ist ein wirklich interessantes Phänomen, dass „die Erziehungsbewegung“, die ich hier diskutiere, „nicht das Werk dieses oder jenes Menschen“ allein ist, „sondern sie wurde eines Tages zur Überraschung aller derjenigen festgestellt, welche in ihr gestanden hatten, ohne dass der eine von des anderen Wirken gehört hatte. Es war damals für diese Menschen eine Entdeckung, dass fast in allen europäischen Staaten in gleicher Linie gearbeitet und gedacht wurde.“ (Klassen et al. (Hrsg.), 1990, S.5) Ich schließe mich Ehrenhard Skiera an, wenn er das Grundsätzliche, das Wesentliche der Erziehungsbewegung „New Education Fellowship“ und damit auch der Reformpädagogik zusammenfasst: • Die Orientierung am Kind: „Der Erzieher muss sich ehrfürchtig in die Eigenart des Kindes einleben und eingedenk sein, dass seine besonderen Kräfte sich nur entfalten können unter einer von innen nach außen wirkenden Disziplin, die den geistig-seelischen Fähigkeiten des Kindes vollen Spielraum gibt.“ • Die ganzheitliche und vielfältige Erziehung: „Alle Erziehung … sollte den in der Kinderseele erwachenden Interessen gerecht werden. Dies gilt für die Bildung von Charakter und Gefühlsleben so gut wie von der Übermittlung von Kenntnissen.“ • Der Gedanke der Selbstverwaltung: „Die Selbstverwaltung und die Selbstzucht, in der jedes Kind gestärkt werde, müssen das klare Ziel haben, durch freie Einordnung in das Lebensganze eine auf äußere Mittel gestützte Autorität überflüssig zu machen.“ • Gemeinschaftserziehung durch Kooperation: „Der neue Geist der Erziehung wirkt sich vor allem darin aus, dass er selbstsüchtigem Wettbewerb keinen Raum gibt und dass beim Kind an seiner Stelle der Sinn für gemeinsames Schaffen tritt, aus dem heraus es lernt, sich freiwillig einzuordnen im Dienste der Gemeinschaft.“ (Klassen et al. (Hrsg.), 1990, S.10) Doch nicht nur die Geisteshaltung der ReformpädagogInnen weist Gemeinsamkeiten, Vergleichbares und Allgemeingültiges aus, sondern auch die pädagogische Praxis. Gehen wir von der Beobachtung reformpädagogischer Praxis aus, so wird ein in allen Richtungen vorhandenes pädagogisches Prinzip beobachtbar, und zwar die selbst bestimmte Arbeit des Kindes. In Montessori-Schulen findet diese selbst bestimmte Arbeit des Kindes in der so genannten „Freiarbeit“ statt und ist gleichzeitig der Kernbereich des Lernens. In der Freinet-Pädagogik wird diese Phase des selbst bestimmten Lernens „individuelles Arbeiten“ genannt, wird aber auch in allen Formen des Gesprächs und der demokratischen Diskussion, wie auch in den Phasen der Dokumentation auftauchen. In den Daltonplan-Schulen wird den Kindern in den

10.2 Exemplarisches, Vergleichbares in der Reformpädagogik

131

so genannten „Dalton-Stunden“ die Freiheit für ihr Lernen gegeben, die Freiheit für die Kooperation und die Freiheit des Umgangs mit der Zeit. In Jenaplan-Schulen finden wir heute das selbst bestimmte Arbeiten der Kinder als durchgängiges Element aller Bildungsgrundformen – Gespräch, Arbeit, Spiel und Feier – vertreten. Das selbst bestimmte Lernen des Kindes in der reformpädagogischen Praxis ist unabdingbar mit einem weiteren Prinzip des organisierten Lernens verbunden. Selbst bestimmtes Lernen funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Eine der wesentlichen Bedingungen finden wir in einer „vorbereiteten Umgebung“. Diese ist trotz ihrer möglichen Unterschiedlichkeit ein exemplarisches Element, eine Grundlage, eine conditio sine qua non. In MontessoriSchulen werden wir in der vorbereiteten Umgebung die Entwicklungsmaterialien in didaktischer Ordnung finden und Kinder werden in der Freiarbeit mit diesen Materialien in einer entspannten Atmosphäre (an sich) arbeiten. Die Entwicklungsmaterialien selbst und deren didaktisch-methodische Ordnung sind die Struktur, die Kinder unbedingt benötigen, um sich zugleich in der Freiheit und im Rahmen dieser Struktur bewegen und entwickeln zu können. In Daltonplan-Schulen wird diese Struktur ebenso durch die Lehrpersonen vorgegeben und hierfür eine bestimmte Periode in so genannten „assignments“ formuliert. Diese haben die Aufgabe, das Kind in seinem selbstständigen Lernen zu führen. Es findet in einem guten assignment die Aufgabenstellungen, die es zum selbstständigen Lernen und Problemlösen wie auch zur Kooperation und Teamfähigkeit anregen, und es findet ebenso die Klarheit des Ziels seiner Anstrengungen formuliert. Für die Lösung der Probleme stehen den Kindern eigene Fachräume – „laboratories“ – zur Verfügung. Die Arbeiten sind innerhalb einer bestimmten Periode abzuschließen und zu bewerten. In den Schulen, die nach der Freinet-Pädagogik arbeiteten, finden die Kinder im Morgenkreis Klarheit über ihre selbst gesuchte und selbst bestimmte Arbeit, sei es eine individuelle Arbeit oder eine Gemeinschaftsarbeit. Die Strukturierung der „vorbereiteten Umgebung“ sorgt in der Montessori-Schule und der Daltonplan-Schule für die Klarheit, die in der Freinet-Schule im Gespräch zwischen Lehrperson und Kindern gefunden werden muss. Manche BeobachterInnen wünschen sich in Freinet-Schulen eine klarere didaktisch-methodische Struktur für die individuellen Arbeiten. Auf den ersten Blick scheinen Jenaplan-Schulen die berühmte Ausnahme von der Regel zu sein. Doch nur auf den ersten Blick. Auch hier ordnet die Lehrperson vor und strukturiert die pädagogischen Situationen in den Bildungsgrundformen. Die Bildungsgrundform der Arbeit kann in einer Jenaplan-Schule ebenso als freie Arbeit, als Projekt oder als Gemeinschaftsarbeit gestaltet sein. Wichtige Lernorte sind die Bibliothek und das Dokumentationszentrum, in dem die Arbeiten der Heranwachsenden ausgestellt sind und allen Lernenden für weitere Lernprozesse zur Verfügung stehen. Ganz ähnliche Einrichtungen werden Sie ebenso bei meinem Brieffreund Célestin Freinet finden. Zu dieser vorbereiteten Umgebung gehört auch eine Lehrperson, deren Kompetenz sich nicht im Unterrichten erschöpft, sondern die die eigenständigen Lernprozesse des Kindes begleiten und unterstützen kann. Die Jenaplan-Pädagogik, als eine Pädagogik der „Schulentwicklung“, zeigt in der Rhythmisierung des Schultags und in der Einteilung in Gruppierungsformen pädagogisch orientierte Organisationsformen für eine aktuelle Reform der Schule auf. In einem modernen Verständ-

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10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

nis ist der Jenaplan in seiner Aktualität eine „Ausgangsform“ zur Gestaltung der Schule durch die von dieser Institution direkt Betroffenen: Eltern, Kindern und LehrerInnen. Er ist ein Konzept zur Gestaltung der Schule, zur deren Erneuerung und Aktualisierung. Ein Konzept, das die Integration von Elementen anderer reformpädagogischer Richtungen ermöglicht, und damit ein integratives Grundkonzept zur jeweils notwendigen Aktualisierung jeder Schule. Dieses Konzept lässt sich auch in Scholion studieren.

10.3

Wie ich – Peter Petersen – Scholion nutzen würde

Die Konzeption der Erziehung nach reformpädagogischen Gesichtspunkten umfasst den ganzen Menschen mit seinen intellektuellen, physischen, sozialen und emotionalen Fähigkeiten (Skiera, 2003, S.Vf). Diesem Postulat gemäß ist Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart der Versuch, eine „neue Erziehung“ durchzusetzen, die Anschluss sucht an die im Lernenden selbst angelegten Entwicklungskräfte, an seine Interessen oder Bedürfnisse. Die Orientierung an der kindlichen Entwicklung ist verbunden mit der Annahme, dass eben in dieser kindorientierten Erziehungskonzeption der Schlüssel zu einer besseren Welt läge. Wenn also ein wesentlicher „Schwerpunkt der Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart im Bereich der Unterrichts- und Schulreform“ (Skiera, 2003, S.22) liegt, so ist dieser auch in dem Kontext zu sehen, dass Unterrichts- und Schulreform nach den Modellen der Reformpädagogik einen Beitrag zur Weltverbesserung leisten können. „Ohne die reformpädagogische Auffassung von den Persönlichkeitsrechten der Kinder, von ihrer Kreativität, der Ganzheitlichkeit der Lernbedürfnisse, der Vielfältigkeit der Entwicklungspotentiale und dem Bedürfnis nach sozialem Austausch von Geburt an kann es kein modernes Bildungsverständnis geben.“ (Preuss-Lausitz, 1993, S.20) Die Frage, die sich nun konsequenterweise stellt, ist nicht die, ob ich jemals mit e-learning am Beispiel Scholion arbeiten würde. Ich kann mit gutem pädagogischen Gewissen antworten, dass ich dies tun und auch gerne tun würde. Die Frage, die sich – von meinem pädagogischen Konzept ausgehend – stellt, ist die, ob e-learning am Beispiel Scholion nach den Grundsätzen der Jenaplan-Pädagogik gestaltet und weiter entwickelt werden kann. Oder: Kann e-learning am Beispiel Scholion eine „Ausgangsform“ für mein individuelles und gemeinschaftsbezogenes Studium sein?

10.3.1

Selbst bestimmte Arbeit

Es ist vor allem das Verständnis der pädagogischen Situation, das uns zur Beantwortung der Frage führen kann, ob selbst bestimmtes Studieren im Sinn der Jenaplan-Pädagogik beim elearning am Beispiel Scholion möglich ist. Sind die Vorordnungen dergestalt, dass es zu einer „situativen Spannung“ und damit zu einer „inneren Übernahme“ durch die Studieren-

10.3 Wie ich – Peter Petersen – Scholion nutzen würde

133

den kommt? Diese Fragestellung betrifft die Strukturierung des Inhalt, wie auch die Aufgabenstellungen und den „Lebenskreis“ der Studierenden, die hier in einer Lerngruppe zusammenkommen. Auswahl des Themas, Methoden des Selbststudiums, Sichtweisen in Scholion, Diskussionen im Forum, Suchbewegungen des Entdeckens und Forschens und auch die mit den Lehrenden individuell vereinbarten Aufgabenstellungen entsprechen in einem kaum zu überbietendem Ausmaß dem individuellen Lernen in einer Gruppe.

10.3.2

Vorordnungen und Bildungsgrundformen

Ich schlage vor den Inhalt so aufzubereiten, dass dieser in pädagogischer Absicht derart geordnet wird, dass jedes Gruppenmitglied angehalten wird, als ganze Person zu handeln und tätig zu werden – ein wesentliches Kriterium der Vorordnungen und der pädagogischen Situation. Wie leicht einsichtig, sind nicht alle Bildungsgrundformen beim e-learning am Beispiel Scholion anwendbar. Wir können arbeiten und kommunizieren. Ich kann zwar am Computer spielen, aber wir können nur schwer gemeinsam feiern. Mithilfe der modernen Technik sollte auch beim e-learning am Beispiel Scholion das Gespräch eine zentrale Funktion einnehmen. Das Gespräch lebt insbesondere vom Vernehmen, Aufnehmen, vom ganzheitlichen Sich-Einbringen des Menschen in die Gesprächsituation und vom Sich-Ergreifenlassen durch die GesprächspartnerInnen. Im Gespräch sollen vor allem Einsichten, Erkenntnisse, Verständnis für einander und Verständnis für sich selbst gewonnen werden (Skiera, 1982, S.67f). An die Lehrenden in Scholion ergeht die Aufforderung die Arbeit in Scholion so vorzuordnen, dass die „schaffende Aktivität“ der Studierenden ergriffen wird und sie damit all ihre Fähigkeiten, Kräfte und persönlichen Werte entwickeln können.

10.3.3

Arbeit im Dokumentationszentrum und in der Bibliothek

Was den Lernort und die vorbereitete Umgebung betrifft, so bietet der virtuelle Raum eine quantitative und auch qualitative Erweiterung an, deren Ausmaß von mir kaum abzuschätzen ist. Es stehen so viele „Bibliotheken“ zur Verfügung, Studierende können ihre eigenen „Dokumentationszentren“ anlegen und auf viele andere zugreifen. Ein Beispiel für die Synergie, die zwischen Produkten, die bereits verfügbar sind und solchen, die als Arbeiten in das Dokumentationszentrum einfließen, kann der didaktische Bildungsserver blikk (www.blikk.it) betrachtet werden. Dieser Bildungsserver steht in engem Zusammenhang mit Scholion und wird auch als Dokumentationszentrum mit Kommunikations- und Kooperationswerkzeugen gezielt eingebunden. Ich habe mich einmal auf diesem Bildungsserver während meines Studiums auf Scholion umgesehen – wirklich interessant!

134

10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

Die Lernenden haben die Möglichkeiten, im geschützten Raum von Scholion zu arbeiten, sie können aber jederzeit auf den Bildungsserver zugreifen, wobei selbstverständlich auch andere Quellen zulässig sind. Der entscheidende Punkt ist, dass die Lernenden allein oder mit einer Gruppe in der sogenannten Galerie des Bildungsservers blikk eigene Webseiten erstellen können und somit auch wiederum – ähnlich einem Wiki, nur enger strukturiert und an bestimmte grafische Vorlagen gebunden – die inhaltlichen Seiten erweitern. Wichtig erscheint mir die Tatsache, dass qualitativ hochwertige Produkte in die Infothek (entspricht der Bibliothek) übernommen werden und somit nicht mehr verloren gehen. Die Lernenden werden zu Autorinnen und zu Autoren.

10.3.4

Planung mit den Studierenden – Führung durch die Lehrperson

Heranwachsende brauchen Herausforderung und damit Wachstumsimpulse, indem sie Probleme als solche erkennen und nach Problemlösungen suchen können. Das schließt auch den Umgang mit dem Scheitern mit ein. Dieser Besinnungswandel betrifft auch die LehrerInnen, und zwar mehr als es im ersten Augenblick den Anschein hat. Die für den skizzierten Bildungsanspruch notwendige Verbundenheit der Lehrenden mit den Lernenden verpflichtet zu Folgendem: • dem Schutz, der Entfaltung und der Entwicklung des Lebens, • dem gegenseitigen und immer reversiblen Vertrauensprinzip und • dem beiderseitigen Bündnis, nämlich dass die Lehrerenden immer auf die Mitwirkung der Lernenden angewiesen sind und umgekehrt. • Die Lehrenden dürfen grundsätzlich nur dem Nutzen der Lernenden dienen. Das Ausgeliefertsein des zu Bildenden darf niemals ausgenützt werden. • Die Lehrerenden sind der Selbstbegrenzung von Macht verpflichtet. Ich betone in diesem Zusammenhang ein notwendiges neues Selbstbewusstsein der Profession der Lehrenden: Bedeutend für das Selbstbewusstsein der Lehrenden ist die Betonung des Eigensinns und der Eigenlogik von Bildung! Lehrenden-Sein ist nicht bloß eine Dienstleistung. Diese bestünde nur auf der Basis eines Vertrags. Die Verpflichtung der Lehrenden basiert hingegen auf ethischen Prinzipien: Jede Erziehung muss grundsätzlich darauf angelegt sein, dass die ErzieherInnen nicht über die zu Erziehenden verfügen. Die Erfahrung von Kindern bzw. der Lernenden muss sein: Jede Erziehung muss grundsätzlich darauf angelegt sein, dass es auf sie selbst in ihrem Tun ankommt.

10.3.5

Gruppierung und Altersheterogenität

Wie ich in meinen eigenen Studien in Scholion feststellen konnte, ist die Arbeit in einer Gruppe und mit einer Gruppe ein wesentliches Element. Die Arbeit im Forum ist zwar gewöhnungsbedürftig und ein echter Lernprozess, aber aus der Reflexion mancher Studierenden konnte ich ersehen, dass dieser Lernprozess zu einem lustvollen, kommunikativen Lernen geführt hat. Die Frage nach der Gruppe der Erziehungsgemeinschaft lässt sich in Scholi-

10.4 Meine Zusammenfassung und Schlussfolgerung

135

on bis dato nur durch die Zufälligkeit der Gruppierung beantworten. Doch bin ich sicher, dass sich die Mitglieder der Gruppe durch die entstehende Gruppendynamik und die sicherlich gegebene Heterogenität der Gruppe, in immer wieder verschiedenen Rollen erleben werden.

10.3.6

Rückmeldungen

Die Stärke oder besser die große Herausforderung des eLearning ist nicht unbedingt die Einzelarbeit, sie bildet vielmehr die Grundlage für einen viel wichtigeren Schritt, nämlich die Arbeit in der Gruppe. Die Frage nach der Zusammensetzung der Gruppe ist ja nach wie vor einer der Grundfragen meines Jenaplans. Ich nehme an, dass diese Frage für das Studium auf Scholion nur schwer lösbar sein wird. Da die Gruppe beim Studium auf Scholion durch eine gewisse Anonymität gekennzeichnet ist, sind begleitende Maßnahmen notwendig, zu denen sicherlich die menschliche Ebene des Tutors – ich sage hier absichtlich nicht „des Führers“ – gehört, der eine ganz wesentliche Rolle spielt: er unterstützt, ist Anlaufstelle bei Problemen und kann die nicht immer sicheren Verbindungen zwischen den Lernenden aufrechterhalten. Zusätzlich ist es von großer Bedeutung, wenn die Lernenden erleben, dass sie auch Rückmeldungen für ihre Aktivitäten erhalten. Leistungsnachweise können im Rahmen von eLearning auf verschiedene Weisen erfolgen. Im konkreten Fall dieser beschriebenen Lernplattform erscheinen mir die Sichten als eine gute Möglichkeit einer Rückmeldung bzw. eines subjektiven Berichtes. Die Ergebnisse, die dort entstehen, können allen TeilnehmerInnen mit DozentInnen freigeschalten werden. Zusätzlich stellt ein weiterer Leistungsnachweis sicher die Gruppensicht dar, wo das Ergebnis der gesamten Gruppe sichtbar wird. Es ist eine große und nicht einfache Herausforderung, ein gemeinsames Ergebnis als objektiven Bericht bzw. Leistungsnachweis zu entwickeln. Die Inhalte des Studiums müssen aber so aufbereitet sein, dass eine klare Rückmeldung möglich ist, wie wir schon bei der Einführung in Scholion gelernt haben!

10.4

Meine Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Ich denke, an meinem Schulkonzept gibt es einige, für die Reformpädagogik allgemeingültige Erkenntnis, und damit auch Exemplarisches: • Die Frage, ob Pädagogik gesellschaftlichen Veränderungen entgegenwirken kann bzw. ob Pädagogik Gesellschaft verändert. • Die gesellschaftlichen und schulpolitischen Bedingungen, die zum Entstehen reformpädagogischer Ideen und reformpädagogischer Institutionen führen, sind vergleichbar. • Die Erkenntnis der Notwendigkeit der Trennung von Parteipolitik, deren Einfluss auf die Schule und auf die Pädagogik – in der Erkenntnis einer Ausgangsform und deren individueller Gestaltung durch die Beteiligten.

136

10 Peter Petersen – Mein Jenaplan

• Die Betroffenheit: Wir können nicht an der Frage vorbeigehen, ob eine derartige Schulentwicklung (Ausgangsform) aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen zurzeit überhaupt möglich wäre. • Die neu gewonnenen Erkenntnisse zur Gestaltung meines Lebens, meines Lehrens, meines Lernens. • Die Vorstellung meiner Schule, in der Selbstständigkeit und Solidarität im Mittelpunkt stehen. Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse und Arbeitsmethoden auf weitere Modelle und Konzepte der Reformpädagogik kann und soll nun versucht werden. Erst jetzt wird sich auch die Erkenntnis des Wesentlichen als ausreichend oder noch unzureichend herausstellen und das Exemplum als solches auch eine Korrektur erfahren können. Die Phase der Übertragbarkeit muss auch eine Phase der Verifizierung oder der Falsifizierung sein können. Wir haben versucht, das Wesentliche zu finden, zu verweilen und werden das Wesentliche nun versuchen anzuwenden. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Bedeutung und der Stellenwert von Scholion bewerten. Ich hatte ja eingangs schon zur gestellten Frage gemeint, dass ich mit Scholion gerne arbeiten würde. Nach meinen obigen Ausführungen denke ich auch, dass e-learning am Beispiel Scholion nach den Grundsätzen der Jenaplan-Pädagogik gestaltet und weiter entwickelt werden kann. Scholion stellt allerdings die Grundlage oder „Ausgangsform“ für mein individuelles und gemeinschaftsbezogenes Studium dar. Noch sind die Rahmenbedingungen für substanzielle Änderungen im Zugang zu Bildung und den damit neuartigen Vermittlungsleistungen der Lehrenden zu schaffen. Wahrscheinlich stellt die Offenheit von Scholion die Grundvoraussetzung dar, um die Grundstrukturen Jenaplan-orientierter Ansätze in einer verteilten Bildungsgesellschaft zu schaffen.

11

Freinet-Pädagogik

Zunächst möchte ich mich für die Einladung bedanken, an diesem spannenden Meeting teilnehmen zu können, noch dazu mit alten FreundInnen und MitstreiterInnen für gemeinsame Ideen, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen. Die Diskussion untereinander freut mich besonders, weil für mich Kommunikation und Kooperation Hauptbestandteile sind. Inzwischen haben sich so viele Dinge auf dieser Welt verändert. Ob unsere Ideale, für die wir uns eingesetzt haben, weiterhin den aktuellen Ansprüchen entsprechen, kann ich zurzeit noch nicht beantworten. Nun möchte ich einige meiner grundlegenden Gedanken widergeben, damit auch meine Position in der Verwendung dieses sehr interessanten Werkzeuges, der Lehr- und Lernplattform Scholion, die uns hier vorgestellt wurde, verständlich wird. Es ist nicht unbedingt das Werkzeug selbst, das für mich von großer Bedeutung ist. Vielmehr muss darüber nachgedacht werden, ob dieses Werkzeug unseren Ansprüchen bezüglich Nützlichkeit, aber auch all den anderen Kriterien wie Selbstständigkeit, Eigenverantwortung usw. gerecht wird. Ich habe bereits mit programmierten Lernsystemen Erfahrungen sammeln können und war davon sehr enttäuscht, da die vorhandenen Möglichkeiten nicht ausgenutzt wurden und die Menschen in ihrer Persönlichkeit nicht wahrgenommen werden konnten. „Die amerikanischen Lerntheorien beruhen auf der Theorie des operativen ReizReaktion-Systems. Die natürliche Methode ist die normale Methode des tastenden Versuchs … Die Programmierung muss der Persönlichkeit des Kindes Rechnung tragen und ihr eine aktive Rolle vorbehalten.“ (Freinet, E., 1981, S.144) Daher war ich nun auf die Möglichkeiten dieses Werkzeuges, und als solches betrachte ich diese Lehr- und Lernplattform, gespannt, die wir gemeinsam ausloten sollten. Die kritischen Aspekte habe ich bereits in den Lebensweisheiten des Schäfers Mathieu niedergeschrieben: „Seid vorsichtig mit den Neuheiten. Bemüht euch niemals nur wegen ihrer Neuheit um sie, sondern wegen der Verbesserung, die sie für eure Arbeit und euer Leben bringen können. Diese Verbesserung hängt aber ebensoviel von euch selbst wie von der Neuheit ab.“ (Freinet, 1998, S.109) Ich bin sehr offen für die neuen Entwicklungen, da wir den Fortschritt nicht aufhalten dürfen. Dennoch müssen wir sehr aufmerksam sein und genau hinschauen. Insbesondere die Entmystifizierung all der technischen Dinge, die von Menschen entwickelt werden, aber eine unglaubliche Wirkung auf Menschen haben, ist für mich von großer Bedeutung, egal ob es

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11 Freinet-Pädagogik

sich um den Buchdruck handelt oder nun diese neuen Möglichkeiten, die ganz gewiss ihren großen Reiz haben, aber auch mit einer gewissen Skepsis gesehen werden müssen. „Beachtet, dass es so sein könnte: Die Ausbildung, wie auch die konstante Verbesserung der Kommunikationswege, dürften dauernde Elemente auf dem triumphalen Marsch des Menschen zur Eroberung des Ideals sein. Es ist aber traurig, dass dies nicht so ist oder so selten. Weil die treibende Kraft für die Ausbildung und für die Technik gar nicht die Verbesserung des Menschen ist. Die Ausbildung, wie die Kommunikationswege, wie das Telefon und das Radio, wie die neuen Maschinen, die unsere Fabriken bewegen, ist nur ein Mittel, ein Werkzeug. Alles hängt vom Gast ab, der ihre Anwendungen lenkt, vom Zweck, zu dem sie angewendet wird.“ (Freinet,1998, S.234) Ich erachte es als eine interessante Diskussion, die wir hier führen, da wir uns mit einer technischen Entwicklung auseinandersetzen und dabei gemeinsam reflektieren, wie sie zur Verbesserung des Menschen beitragen kann.

11.1

Pädagogische Grundgedanken

Ich war immer mit Leib und Seele der Arbeit mit den Kindern verschrieben, aber auch der großen Bewegung, die wir zustande bringen konnten. Dabei haben sicherlich viele Momente meines Lebens meine Pädagogik beeinflusst. Besonders prägend waren die eigenen Schulerfahrungen und auch die Schussverletzung, die ich erlitten hatte und die mich gewissermaßen dazu zwang nach Wegen zu suchen, die mir die Arbeit erleichterten, spielte eine Rolle ebenso wie die Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Behörden. Ausgangspunkt für meine Arbeit mit den Menschen, besonders mit den Kindern, war folgender Punkt: „… mein einziges Talent als Pädagoge ist es vielleicht, eine so ganzheitliche Prägung aus meinen Jugendjahren bewahrt zu haben, dass ich wie ein Kind empfinde und die Kinder verstehe, die ich erziehe. Die Probleme, die sie beschäftigen und die ein so schweres Rätsel für die Erwachsenen sind, ich befasse mich selbst damit in der klaren Erinnerung an die Zeit, als ich acht Jahre alt war. Als erwachsenes Kind gehe ich auf Entdeckung der Systeme und Methoden unter denen ich so viel gelitten habe, auf die Entdeckung der Irrtümer einer Wissenschaft, die ihre Ursprünge vergessen und missachtet hat.“ (Freinet, 1998, S.41f) Wollen wir dem Kind, und ich denke, da sollten wir auch mit den Erwachsenen ähnlich verfahren, gerecht werden, kann es nicht sein, dass wir dem Kind seine eigenen Erfahrungen wegnehmen, es in ein Korsett zwängen und die fertigen Lösungen bereits in der Hand haben. Vielmehr will das Kind erforschen, sich einbringen, seinen Gedanken freien Lauf lassen und dies auch kommunizieren. Es liegt in seinem innersten Wesen, sich in mehreren Phasen immer weiter zu entwickeln, wobei diese Eigenerfahrungen grundlegend sind.

11.1 Pädagogische Grundgedanken

139

„Wir sind mit allen zeitgenössischen Pädagogen einer Meinung, dass das Kind keineswegs ein unvollkommenes Wesen ist, bei dem man ohne Dressur und Herrschaft nichts erreichen kann. Es ist ein vollständiges und ursprüngliches Individuum, mit seiner eigenen Logik, sicherlich, und mit seinen Normen der Entwicklung, aber auch mit seiner noch intakten Lebenskraft.“ (Kock, 2006, S.57) Wissen entwickelt sich nicht, indem ich von anderen Menschen alles vorbereitet bekomme, sondern indem ich selbst die Erfahrungen machen darf. Im Laufe der Zeit lernt das Kind verschiedenste Strategien, um diese Erfahrungen zu ordnen und zu systematisieren. Dazu bedarf es sicherlich unserer Unterstützung, unserer Begleitung, jedoch erst ab dem Zeitpunkt, wo das Kind den Bedarf danach hat. „Hütet euch vor der Treibhausschule und gebt acht, dass die zu schnell gereiften Fertigkeiten, auf die ihr euch etwas einbildet, nicht ebenso durch den zu scharfen und zu kräftigen Hauch des Lebens verwelken und eingehen.“ (Freinet, 1998, S.41f) Die Erwachsenen müssen die Schule als einen Ort betrachten, der ein Abbild der Gesellschaft darstellt, in dem die Kinder die Möglichkeit haben, die Spielregeln der Demokratie zu erlernen. Dies bedeutet auch, dass sich die Erwachsenen zurücknehmen und lernen müssen, Entscheidungen der Kinder anzunehmen. Wie soll ein Kind später seine Meinung äußern können, ohne Furcht, wenn es diese Erfahrungen nie machen konnte? Hier beginnt die Freiheit, die gelebt werden kann, die für alle – Kinder und Erwachsene – erfahrbar wird. „Die Ausrichtung der Schule selbst muss geändert werden: wir wollen als Ziel der Erziehung nicht nur den Wissenserwerb, die Anhäufung von Wissen … sondern die menschliche und soziale Bildung des Arbeiters und die Entwicklung des Willens.“ (Freinet, in: Kock,1996, S.47) Dazu sind verschiedene Verfahren im Unterricht oder in der Arbeit einzuführen, die solche Entwicklungen unterstützen und möglich machen. Dies beginnt bei der Gestaltung der Schulräume über das Verlassen des Schulhauses, um in das wirkliche Leben einzutreten bis hin zu zukünftigen Möglichkeiten der virtuellen Welt, deren Ausmaß wir vermutlich noch gar nicht erahnen können. Aber, wie bereits eingangs erwähnt, immer unter dem Aspekt, dass es unser Leben und die Arbeit verbessert und nicht um ihrer selbst Willen. Dabei ist eine Anpassung der diversen Arbeiten in der Schule an das jeweilige Niveau der verschiedenen Altersstufen unbedingt zu beachten. Für mich endet dieser Prozess auch nicht mit 13, 15 oder 18 Jahren. Vielmehr muss gewährleistet werden, dass dieser Prozess auch in das Erwachsenenalter hineinreicht. Mir wird aber auch bewusst, dass wir hier ein gemeinsames Ziel verfolgen, jedoch unterschiedliche Herangehensweisen haben, „… weshalb ich auch euch anregen will, mir nur nicht zu glauben, ohne lange darüber nachzudenken, was ich euch sage, ohne meine Ideen zu kritisieren und euch vor allem damit zu befassen, dass ihr selbst den Königsweg findet, auf dem ihr vorgehen könnt.“ (Freinet, 1998, S.231)

140

11 Freinet-Pädagogik

Erst in der gemeinsamen Diskussion, die wir hier führen, kann es uns gelingen, die verschiedenen Gedanken vielleicht soweit zu verbinden, dass wir ein tragfähiges Modell haben werden.

11.2

Die Bedeutung von Arbeit in der Erziehung

Wie hinlänglich bekannt, ist für mich die Arbeit ein wesentliches Element des menschlichen Seins. Dabei ist Arbeit nicht als rein manuelle Tätigkeit zu sehen, vielmehr ist sie ein Ganzes, das neben der handwerklichen Tätigkeit auch den ‚gesunden’ Menschenverstand, Intelligenz, Nützlichkeit und philosophische Spekulation umfasst (gemäß Freinet, 1998, S.398) und sie bildet die Grundlage für die Erziehung. Sobald wir Arbeit genauer bestimmen, so ist sie immer dann gegeben, „…wenn die physische oder intellektuelle Aktivität, die diese Arbeit voraussetzt, einem natürlichen Bedürfnis des Menschen entspricht und durch diese Tatsache eine Befriedigung hervorruft, die für sich alleine schon ein Grund des Daseins ist.“ (Freinet, 1998, S.399) Jede andere Form von Tätigkeit, die verrichtet wird, weil wir dazu verpflichtet sind, wie es sehr häufig in Bildungsbereichen, aber auch in Arbeitsfeldern geschieht, haben nichts mit Arbeit in diesem Sinne zu tun, sondern sind Zwänge oder notwendiges Tun. Kinder wie Erwachsene erschließen durch Tun die neuen Erfahrungen und gehen dabei tastend vor, um in einem nächsten Schritt wissenschaftlich, forschend sich der Werkzeuge und der Sprache zu bedienen, die vom Konkreten zum Abstrakten führen. Wesentlich ist, dass sie selbst arbeiten und nicht fertige Produkte und Lösungen vorgesetzt bekommen. Nur auf diese Weise gelingt auch eine Entmystifizierung einer immer technischer werdenden Welt, die eine Realität darstellt und zu großem Staunen führt. Beobachten wir doch die Erwachsenen im Umgang mit digitalen Medien: NutzerInnen, die den Computer mit den entsprechenden Programmen einigermaßen beherrschen, lösen immer wieder bei nicht so versierten NutzerInnen Staunen aus, was alles machbar ist. Damit steigt das Bedürfnis, es selbst zu können, gleichzeitig aber auch der Zweifel bei jeder/jedem, ob sie/er so etwas überhaupt kann. Es wird nur das Produkt wahrgenommen, nicht der Prozess, der dahinter steht. Diesen Lernprozess kann niemand umgehen, vielmehr ist es so, dass eben durch die Eigenaktivität der Mensch erst die Scheu und auch das Staunen verliert, das nur aufgrund der nicht vorhandenen Kompetenzen entsteht. Insbesondere der Umgang mit den digitalen Medien kann den Lehrenden im Lernprozess sehr stark erlebbar machen, wie Prozesse auch bei den Kindern ablaufen. Der Vorteil der Erwachsenen ist häufig, nicht immer, dass sie Situationen leichter aushalten, wo nicht sofort Ergebnisse sichtbar werden. Bei Kindern mit ihrem enormen Bewegungsdrang ist das anders. Dort ist es auch angebracht, die Arbeit als Arbeits-Spiel in der ersten Phase zu betrachten. Es geht vorrangig nicht um das Produkt, sondern um die Erfahrungen, die vor allem mit den Händen gemacht werden sollen.

11.3 Ateliers als Ausdruck von Lebenswirklichkeit

141

„Stellen wir das Kind in den Mittelpunkt unserer pädagogischen Sorgen! Machen wir das Arbeits-Spiel (die Arbeit mit Spielcharakter) zum Hauptanliegen der kindlichen Aktivität! Geben wir dem fruchtbaren Tun den Vortritt vor dem rein forschenden Denken! So sieht die kopernikanische Revolution aus, die in der Erziehung unbedingt verwirklicht werden muss!“ (Freinet, 1998, S.375) Die Arbeits-Spiele sind Spiele, die eine den Möglichkeiten der Kinder funktionale soziale Aktivität umfassen. Diese Tätigkeiten ermöglichen den Kindern die unmittelbare Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben, das zusätzlich eigenverantwortlich geschieht (vgl. Kock, 2006, S.91). Damit verbunden sind auch die Würde des Menschen, der sich in der Tätigkeit, in der Arbeit selbst einbringt, seine Kraft und sein Herz. Welcher Stolz wird bei allen Menschen sichtbar, wenn eine Arbeit gelungen ist und das Produkt anderen vorgestellt werden kann. Hier stellt sich für die Lehr- und Lernplattform eine wichtige Frage: Wie kann Lernen unter diesen Aspekten gelingen, damit auch Erwachsene, und ich vermute, dass diese Lehr- und Lernplattform vor allem für Jugendliche und Erwachsene gedacht ist, sich selbst einbringen können, ihre natürlichen Interessen sichtbar werden und sie eine große Befriedigung und nicht nur Frustrationen erleben?

11.3

Ateliers als Ausdruck von Lebenswirklichkeit

Die Gestaltung einer Lern- und Arbeitslandschaft kann nicht im herkömmlichen Sinn der Kasernen gedacht werden, vielmehr besteht die Notwendigkeit darüber nachzudenken, wie diese gestaltet sein müssen, damit die Ideen von Schule, die wir verfolgen, auch umgesetzt werden können. Sie, Frau Parkhurst, sprechen von Fachräumen oder Laboratorien, die Sie auch an Ihrer Schule eingerichtet haben und die meinem Modell sehr nahe kommen. Sie, Frau Montessori, haben die nach Ihren Ideen gebauten „case dei bambini“ und bei dir, lieber Peter, fällt mir immer wieder die sehr offene Struktur mit den Dokumentationszentren an den Jenaplan-Schulen auf. Mein Konzept beinhaltet die Arbeitsateliers, die ich nach bestimmten Kriterien entwickelt habe. Dabei geht es vor allem um den Aspekt der Arbeit, den ich bereits vorher ausgeführt habe. Es gibt bei mir: • vier Ateliers für die manuelle Elementararbeiten: – Feld- und Tierarbeit; – Schmiede und Schreinerei; – Spinnen, Weben, Schneidern, Kochen und Hauswirtschaft; – Konstruktion, Mechanik und Handel; • vier Ateliers für gemeinsam zu verrichtende und sich allmählich entwickelnde geistige Arbeitsvorhaben: – Nachschlagekiste für Unterrichtsvorhaben, Wissenserwerb, Dokumentensammlung – dies entspricht wohl Petersens Dokumentationszentrum;

142 – – –

11 Freinet-Pädagogik Experimentieren; Schöpferische Betätigung, grafische Gestaltung und Korrespondenz; Künstlerisches Schaffen, Ausdruck und Mitteilung;

Die vier Ateliers für die manuellen Elementararbeiten sind für unseren Gesprächsanlass hier sicher nicht von Bedeutung, sehr wohl aber die vier Ateliers für gemeinsam zu verrichtende und sich allmählich entwickelnde geistige Arbeitsvorhaben. ExpertInnen haben mich auf den Gedanken gebracht, zu versuchen, die verschiedenen Lern- und Arbeitsumgebungen in die Lehr- und Lernplattform Scholion abzubilden. Dafür müssten wir uns untereinander verständigen, was wir alle gemeinsam als wichtig erachten und dann darüber nachdenken, wie wir dies umsetzen könnten. Die Ateliers sind Orte, wo sich die Kinder nach der gemeinsamen Absprache zu den verschiedenen Aktivitäten treffen und mit ihren Arbeiten beginnen. Da die räumlichen Strukturen zu meiner Zeit noch sehr eng waren, konnten auch bei der großen Anzahl an Kindern nicht alle gleichzeitig in einem Atelier sein. Es bedurfte diesbezüglich klarer Absprachen. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass dieses Problem in einem virtuellen Raum nicht existiert und dass es keine Begrenzungen geben dürfte. So wie ich bereits bei der realen Umsetzung meiner Schule von der praktischen Seite aus die Sache anging, wäre es mir ein großes Bedürfnis, dies auch hier zu machen. Es geht mir auch darum, dass die lernenden Erwachsenen die Situationen erleben können, um damit erste Erfahrungen zu sammeln, die sie dann in ihrem Unterricht umsetzen. Nur so können wir den Ängsten all der Lehrenden begegnen, die unvermeidbar auftreten – denken wir nur an all die Fragen, die auftauchen und die Argumente, warum ‚man’ nichts ändern kann. Es gibt bereits den Vorschlag von Frau Parkhurst zum Einsatz der assignments, die ich in ihrer Grundausrichtung als einen interessanten Ansatz betrachte (vgl. Kock, 1996, S.59). Wenn wir dies weiterdenken und davon ausgehen, dass mit der Übung, d.h. mit dem Experimentieren die Sicherheit im Umgang mit den Werkzeugen auf der Lehr- und Lernplattform bei den Lernenden zunimmt, wäre es meines Erachtens wichtig, die assignments immer mehr zu öffnen und vermehrt dann einzusetzen, wenn es um Absprachen geht und weniger um inhaltliche Aspekte. Es erscheint mir wichtig, dass sich Lerngemeinschaften bilden, Seufert Sabine nennt sie Learning-Communities und verweist darauf, dass diese kollektive Lernformen verwenden. Solche Lerngemeinschaften sind durch gemeinsame Interessen, Zielvorstellungen und Werte definiert und vor allem auch emotional stärker untereinander gebunden (vgl. Seufert et al., 2001, S.6). Also muss auch die Lehr- und Lernplattform entsprechend gestaltet sein, damit diese Lerngemeinschaften möglich sind. Auch die Idee meines Freundes Peter Petersen mit dem Dokumentationszentrum spricht mich sehr an, die neben den hoffentlich nicht zu umfangreichen Inhalten, die bereits verfügbar sind, virtuell realisiert sind, seien es nun Inhalte, die von den Lernenden entwickelt und verfügbar gemacht wurden oder seien es Inhalte im Internet oder jeder anderen Art. Hier sollten wir am wenigsten Probleme haben.

11.3 Ateliers als Ausdruck von Lebenswirklichkeit

143

Spannender dürfte es sein, wie die Ateliers eingerichtet werden. Die Werkzeuge zur Kommunikation sind bereits vielfältig vorhanden, es geht mehr darum, dass alle sich mit dieser Art vertraut machen müssen. Wie aber sieht es konkret mit den Ateliers aus, die dem Experimentieren und der Gestaltung entsprechen? Ich könnte mir folgende Analogie vorstellen:

Ateliers

Lehr- und Lernplattform

Nachschlagekiste für Unterrichtsvorhaben, Wissenserwerb, Dokumentensammlung

Dokumentationszentrum: Internet (z.B. blikk, wikipedia, etc.), eigene Materialien, die verfügbar gemacht werden (z.B. Präsentationen)

Experimentieren

Anleitungen für diverse Arbeitsaufgaben im Kontext der Inhalte, die in der Lerngemeinschaft erarbeitet werden (z.B. Statistiken). Hierzu gehören aber auch die Erfahrungen, die sukzessive mit der Lehr- und Lernplattform gemacht werden und die auch kommuniziert werden sollen.

Schöpferische Betätigung, grafische Gestaltung und Korrespondenz

Dieses Atelier stellt die Lehr- und Lernplattform selbst dar, da es darum geht, die eigenen Gedanken festzuhalten, zu verschriftlichen und mit anderen Personen in Verbindung zu treten. Warum sollen die Werkzeuge nicht auch die Möglichkeit beinhalten, dass diese Produkte gestaltet werden können, auch mit den Techniken, die uns die Programme heute bieten.

Künstlerisches Schaffen, Ausdruck und Mitteilung

Hier könnte ich mir Werkzeuge vorstellen, die verschiedene Möglichkeiten bieten: Einbinden von Tonaufnahmen, Rollenspiele, Videosequenzen.

Im Bereich des Experimentierens müssen Inhalte so konzipiert sein, dass sie echtes Experimentieren ermöglichen. Ich denke hier an die Taxonomie der Interaktivität von Multimedia, die Rolf Schulmeister entwickelt hat. Interaktion meint dabei die Manipulation bzw. den aktiven Umgang mit den Lernobjekten, wenn auch zunächst aus technischer Perspektive: Stufe I: Objekte betrachten und rezipieren Stufe II: Multiple Darstellungen betrachten und rezipieren Stufe III: Die Repräsentationsform variieren Stufe IV: Den Inhalt der Komponente modifizieren

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11 Freinet-Pädagogik

Stufe V: Das Objekt bzw. den Inhalt der Repräsentation konstruieren Stufe VI: Den Gegenstand bzw. Inhalt der Repräsentation konstruieren und durch manipulierende Handlungen intelligente Rückmeldungen vom System erhalten (Schulmeister, 2007, S.194ff) Die Stufe V und VI wären Ziele, die ich mir wünschen würde, obwohl es mir bewusst ist, dass die Realisierung sehr schwierig ist. Diese Art der Auseinandersetzung mit Inhalten, die auf einer virtuellen Lehr- und Lernplattform zunächst nur abstrakt sein wird, also eine geistige Auseinandersetzung erfordert, führt zu spannenden und produktiven Diskussionen in der Lerngemeinschaft. Sie kann auch in einer gewissen Weise Abbild der Realität sein, wenn immer darauf geachtet wird, dass die Interessen der Lernenden im Zentrum stehen, und nicht die Interessen von außen, jene der Lehrenden. Dies werde ich noch bei den Interessenkomplexen ausführen. Nur so erachte ich die Arbeit als sinnvoll. Vorstellbar erscheinen hier solche Szenarien z.B. für die Mathematik, aber auch für die Videoanalyse, die mit entsprechendem Fortschritt der Technik umsetzbar werden. Aber auch auf der textlichen Ebene, die wir sehr stark in der Lehr- und Lernplattform wieder finden, sind mit Scholion die Ebenen V und VI umsetzbar, immer vorausgesetzt, die Texte sind nicht einfach kopierte Manuskripte und sie sind in der Art und Weise aufbereitet, wie sie seitens der ExpertInnen dargelegt wurden. Das Konzept der kleinsten gedanklichen Einheit gefällt mir, da auf diese Weise wirklich die Lernenden entscheiden, was sie mit dem Knoten machen und wie sie ihn gedanklich verarbeiten.

11.4

Die Bedeutung von Text

Bekannt ist sicherlich mein Ausspruch „den Kindern das Wort geben“. Damit verbunden sind der freie Ausdruck als kreativer Prozess sowie ein Prozess der Meinungsbildung und der Aneignung demokratischer Spielregeln. Wie aber soll dies über ein Schulbuch gelingen? „Denn das Schulbuch – besonders wenn es bereits seit der Kindheit eingesetzt wird – trägt dazu bei, die Vergötzung der gedruckten Schrift zu fördern. Das Buch ist eine Welt für sich, etwas geradezu Göttliches und man zögert immer, seine Behauptungen zu bestreiten.“ (Freinet, in: Kock, 1996, S.56) Erleben wir nicht etwas Ähnliches mit Information, die im Internet verfügbar ist und leider allzu häufig für bare Münze genommen wird. Ist es damit nicht auch so, dass es sich um Gedanken von Menschen handelt, die wir kritisch betrachten sollten, die auch falsch sein und der damit auch widersprochen werden kann? (vgl. Freinet, in: Kock, 1996, S.56) Es besteht ein enger Zusammenhang zu den Interessenkomplexen, die die Welt der Kinder (und Erwachsenen?) darstellen und Ausgangspunkt für die Arbeit mit den Kindern ist. Das Problem der Schulbücher liegt darin begründet, dass sie von Erwachsenen für Kinder geschrieben wurden und eine bestimmte Struktur, eine Linearität aufweisen, die nicht den Kin-

11.4 Die Bedeutung von Text

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dern entgegenkommt. Ihre Gedanken, ihre Welt werden vollkommen ausgeblendet und durch andere Gedanken ersetzt, die sie aufnehmen müssen und nicht einfach ersetzen können. „Wir führen das Kind, während es uns führen sollte“, sagt Dr. Decroly… In unseren Klassen glaubt man, den Unterricht angepasst zu haben, wenn das Kind dahin kommt, wohl oder übel zu schlucken, was man ihm vorsetzt, und man offenbar den logischen Weg gefunden hat, der das Denken des Kindes mit dem Denken des Erwachsenen verbindet.“ (Freinet, E., 1981, S.51) Muss es nicht Ziel sein, den Kindern und warum nicht auch den Erwachsenen die Möglichkeit zu bieten, schöpferisch tätig zu sein und sich auszudrücken? Wie wichtig sind heute diese Kompetenzen mit all den Möglichkeiten, die uns die technischen Entwicklungen bieten. Die eigenen Gedanken, Gefühle und Anregungen in Worte zu fassen, einzubetten in einen Text mit den Möglichkeiten, dies auch noch einem breiten Publikum sichtbar zu machen setzt voraus, dass dies intensiv erprobt wird. Wir können damit gar nicht früh genug anfangen. Wenn ein Kind sich für eine Sache interessiert, dann möchte es diese nicht nur kurz erleben. Vielmehr müssen wir dem Kind auch bei der Fokussierung helfen, einzelne Fragestellungen herausarbeiten, die Ausgangspunkt für weitere Forschungen sind. Das Kind hat dann aber auch das Bedürfnis, diese Erfahrungen und Stimmungen festzuhalten und niederzuschreiben. Dies gelingt aber sicher nicht mit den Schulbüchern, dort ist bereits alles vorgedacht. Was spricht ein Kind mehr an – ein Text von MitschülerInnen oder ein Text von Erwachsenen, was ist authentischer? Was ist lebendiger und interessanter für Kinder als ihr eigenes Leben, ihre eigenen Fragen, die, soweit ich das inzwischen mitbekommen habe, einiges an Herausforderungen auch für Lehrkräfte bieten, da die Kinder heute aus meiner Sicht unglaublich viel wissen, es aber häufig noch nicht in Zusammenhänge bringen können. Dies kann Ausgangspunkt für intensiven Austausch unter den Kindern, aber auch unter Klassen sein. Seien wir mal ehrlich, wie geht es uns Erwachsenen – zugegebenermaßen doch nicht viel anders. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in unserem Netzwerk eine große Anzahl an Lehrkräften mitgewirkt hat und durch gemeinsames Nachdenken und Mitteilen allen Wege aufgezeigt haben, die zu einer Weiterentwicklung unseres Konzepts führten. Als Beispiel möchte ich hier nur meinen Mitstreiter Paul Le Bohec (1997) erwähnen, der sich besonders intensiv mit der Mathematik beschäftigt und dazu die „natürliche Methode“ entwickelt hatte. Durch die Arbeit mit der Druckerei erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Texten, es ist echte Arbeit, die dem Tätigkeitsdrang der Kinder sehr entgegenkommt. Ich betone nochmals, dass diese Arbeit in den ersten Schuljahren nie durch einen Computer ersetzt werden kann, da grundlegende motorische Tätigkeiten und Übungen für die Wahrnehmung ausgeblendet werden. Später kann, vor allem in Verbindung mit den kommunikativen und kooperativen Aspekten der Computer bzw. das Internet von großer Bedeutung sein und wenn ich mir die Möglichkeiten vorstelle, die hier vorgeschlagen werden, so sehe ich einige, was alles bereits machbar ist. Wesentlich ist aber in diesem Kontext, dass es neben der handlungsorientierten Tätigkeit um die bereits erwähnte Entmystifizierung auch der technischen Werkzeuge geht. Erst durch die Arbeit selbst erfahre ich, wie bestimmte Dinge entstehen, kann dahinter schauen. Einerseits wird die Technik auf das reduziert, was sie ist, andererseits wird auch sichtbar, welchen Wert diese Arbeit hat. Wenn Kinder, aber auch

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11 Freinet-Pädagogik

Erwachsene, ihre Ergebnisse präsentieren, dann tun sie dies auch mit einem gewissen Stolz für ihre geleistete Arbeit. In die Arbeit der Texte sind die grundlegenden Fertigkeiten wie Rechtschreibung, Grammatik, Aufsatzerziehung, Lesen etc. eingebunden. Sie haben keinen Wert an sich, sondern zählen zum Handwerkszeug und dienen dazu Texte fehlerfrei zu schreiben bzw. die Sprache der Texte zu verfeinern, indem wir mit grammatikalischen Aspekten daran feilen. Diese Texte haben einen sehr hohen Wert für das Kind, da es seine Konstruktion ist. Der Wert steigt aber noch mehr, wenn sie Texte nicht für das Schulheft produzieren, sondern für die Öffentlichkeit, für andere Kinder, Erwachsene oder Partnerklassen. Insbesondere der Austausch bringt große Vorteile, die diese Notwendigkeit auch sichtbar machen: • Die Teilnahme am Leben einer anderen Klasse, anderer Kinder. • Eine andere, vielleicht sogar neue Welt kennen lernen, besonders wenn die Kinder (Erwachsenen) in anderen Kulturkreisen leben. • Die Texte müssen korrekt sein, präzise und sauber, da wir uns nach außen darstellen und mit dem Urteil der anderen rechnen müssen. • Durch den Austausch wird sehr viel gelesen, vermutlich mehr als in Schulbüchern, was wiederum die Lesekompetenz erheblich steigert (vgl. Freinet, in: Kock, 1996, S.77). Es ist für uns Erwachsene immer einfach, ‚von oben herab’ zu entscheiden, was für die Kinder gut ist, dabei auch Dinge von ihnen zu verlangen, die wir eigentlich selbst kaum noch machen oder sogar uns weigern würden zu machen. Besonders die intensive Korrespondenz als Resultat der entstandenen Texte, die wir für uns selbst, aber auch für andere geschrieben haben, wäre ein spannendes Beispiel, wie auch Erwachsene sich daran erfreuen können. Die Schule muss das äußere Leben der Straße, die Erfahrungswelt der Kinder in die Klassen reinlassen, damit die Schule lebendig wird und die Kinder ein wirkliches, tiefes Interesse wecken und bewahren können und es nicht bloß kurzfristig künstlich motiviert wird. Dabei gewinnen auch die Lehrpersonen für die eigene Arbeit viel, da der Unterricht lebendig und spannend wird (vgl. Freinet, in: Kock, 1996, S.77). Schreiben und Lesen selbst gehören zu den Werkzeugen, die nicht mechanischer sondern geistiger Natur sind: Sie ermöglichen es Lernenden, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, die eigenen Bedürfnisse und Stimmungen kundzutun und die eigenen Gedanken zu entwickeln und zu vertiefen, also auch ein fortschreitendes Abstrahieren. Dazu gehören neben der Technik des Schreiben und Lesens an erster Stelle die Sprache, das Zeichen und die Druckerei (vgl. Freinet, 1998, S.510). Da die Entwicklung der Technik, wie ich jetzt mitbekommen habe, rasante Schritte macht, möchte ich auch die Möglichkeiten dazu nehmen, die die Lehr- und Lernplattform bietet, da sie besonders für den Bereich der Kommunikation und Kooperation geeignet ist. Nochmals möchte ich meinen Eindruck festhalten, dass diese Lehr- und Lernplattform vor allem für Jugendliche und Erwachsene geeignet erscheint, nicht für Kinder. Das soll jedoch die Qualität nicht schmälern, vielmehr kann es ein wertvolles Werkzeug sein, um auch den Entwicklungen dieser Altersgruppen gerecht zu werden.

11.5 Die Interessenkomplexe

11.5

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Die Interessenkomplexe

Wie ich bereits mehrfach ausgeführt habe, ist ein wichtiges Ziel von den Bedürfnissen und Anforderungen der Kinder auszugehen. Dabei sind nicht wir Erwachsene diejenigen, die bestimmen, was diese Themen sein können, vielmehr müssen wir gemeinsam mit den Kindern herausfiltern, was für die/den Einzelne/n oder für die Gruppe von Bedeutung ist. Hier knüpft die Thematik des Schreibens an, da Interessenkomplexe und das Verfassen von Texten in einem engen Zusammenhang stehen. Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung bestätigen das, was wir so genannte ReformpädagogInnen immer versucht haben, umzusetzen. Eine Schule, die sich nicht an den Interessen der Kinder orientiert und diese nicht wahrnimmt, schafft es in kürzester Zeit die Begeisterung, mit der Kinder am Anfang in die Schule kommen, im Keim zu ersticken. Schulstoff, ich erinnere hier auch an die Schulbücher, sind bedeutungslos für die Kinder oder Jugendlichen. Sind die Inhalte hingegen frei gewählt, ist die Motivationslage eine ganz andere und „die individuellen neuronalen Netze können später über diese Zugänge vielfältig auf die Informationen zugreifen“ (Herrmann, 2006, S.111). Gelingt es, die Themen der Kinder ins Zentrum zu rücken, bekommen wir eine Fülle von Fragen, die Ausgangspunkt für verschiedenste Aktivitäten sind, vom Forschungsauftrag bis zum Text, der dazu dann entstehen kann. Es können Aktivitäten für das einzelne Kind wie auch für eine Kleingruppe oder die ganze Großgruppe sein. Dabei sollten wir uns bewusst sein, dass dieses Lernen immer auch ein neues Wissen produziert, das wir vom Begriff der Information unterscheiden müssen. Besonders gut gefällt mir in diesem Zusammenhang der Begriff Wissensmanagement, da er eine Gesamtheit sichtbar macht, die bei der Information fehlt, die immer nur isoliert ist und erst im Kopf des einzelnen Menschen zu Wissen werden kann. „Gerade im pädagogischen Kontext kann der Begriff des Wissensmanagements jedoch zunächst für viel Verwirrung sorgen. Wissen lässt sich leicht mit Daten und Informationen verwechseln. Im Wissensmanagement ist Wissen an die Person, ihre Erfahrungen und Konstruktionen gebunden: ‚Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden.’ “ (Wilbers, 2001, S.8) Diese Konstruktion von Wissen, sei es für das einzelne Individuum, sei es für die Gruppe, führt zu neuen Wissensnetzen, die wiederum Fragen aufwerfen. Wenn es gelingt, das Wissen der Einzelnen sichtbar zu machen, wird auch das Ergebnis der Gruppe sichtbar. Dazu gibt es heute, wie ich gesehen habe, interessante Verfahren wie z.B. Mindmaps, Concept Maps u.a. (vgl. Brüning et al., 2007). Wenn wir solche grafischen Strukturen für das Lernen über das Internet bzw. die Lehr- und Lernplattform umsetzen, ist zu überlegen, welche Aspekte hier verändert werden sollen bzw. welche Komponenten dazukommen müssen. Im Grunde aber ist das Anliegen vermutlich

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11 Freinet-Pädagogik

dasselbe: Suchen wir gemeinsam Themen, die für uns relevant sind, so wie wir das hier gemacht haben, stellen wir dazu Fragen und entwickeln wir gemeinsam eine Dokumentation zu den Themenkomplexen. Warum soll das, was für Kinder gültig ist, nicht auch für Erwachsene gelten? Warum sollen Erwachsene nicht auch gezielt ihren Themen nachgehen können, sich damit auseinandersetzen dürfen und dadurch sich selbst weiterentwickeln? Dazu scheint mir die Lehr- und Lernplattform eine geeignete Möglichkeit, wenn nicht die Inhalte bereits alle definiert sind, sondern mehr eine Anregung, eine Unterstützung darstellen. Haben alle die technischen Fertigkeiten entwickelt, lässt sich sicherlich auf sehr hohem Niveau gemeinsam an den Themenkomplexen arbeiten – beginnend bei der individuellen Auseinandersetzung, die ein erstes Wissensnetz entstehen lässt bis hin zum Gruppenprozess, der zu einem gemeinsamen Wissensnetz führt. „Ich kann mich nicht entschließen – wie das gewisse Intellektuelle tun –, die Kultur oder das Denken oder den moralischen Fortschritt abzutrennen von all der großartigen materiellen und technischen Entwicklung. Die Schule kann sich vor diesem offenbar unwiderstehlichen Strom nicht schützen, der unsere Lebensweisen und sogar den Rhythmus unserer menschlichen Reaktionen umkehrt“. (Freinet,1998, S.226)

11.6

Kooperation

Kooperation ist ein wichtiger Begriff für meine Arbeit, den ich selbst mit dem Begriff „èquipe“ umschrieb. Bereits 1927 gelang es, ein Netzwerk zwischen mehreren Klassen herzustellen, die gemeinsam arbeiteten und über Korrespondenz miteinander verbunden waren. Wir müssen uns vorstellen wie die Vorgehensweise war: Alles lief über den traditionellen Postweg, die Zeit dazwischen war nicht unerheblich, bis die Sender wieder Antworten oder Beiträge erhielten. Auch die Produktion der Materialien war mit den damaligen Möglichkeiten sehr aufwändig, wobei ich gleich klarstellen möchte, dass dies keine Kritik an der Druckerei bedeutet. „Es ist viel notwendiger, dem Kind eine einfache, wenn Sie so wollen etwas primitive Technik in die Hand zu geben – eine Technik, bei der es selbst die Buchstaben setzt und die richtig angeordneten Wörter, die den erwarteten Text bilden sollen, genau vor Augen hat. Die Fähigkeiten der intellektuellen und manuellen Präzision und Aufmerksamkeit, die die Druckerei verlangt, sind für die Erziehung von viel fundamentalerer Bedeutung als die Geschicklichkeit im Maschinenschreiben.“ (Freinet, in: Kock, 1996, S.73) Aber selbstverständlich können wir dieses Arbeitsmittel mit den heutigen Möglichkeiten erweitern und auch entsprechende Produkte generieren. Wenn ich mir vorstelle, welche Möglichkeiten uns heute geboten werden, so kann ich nur begeistert sein. Dennoch warne ich davor, aufgrund der leichten Handhabung der neuen Möglichkeiten über Internet und mit dem Computer in Massen zu produzieren. Hier möchte ich mich nun auf Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation, besonders in Hinblick auf die Lehr- und Lernplattform konzentrieren. All das muss im Kontext der für mich wesentlichen Punkte „Kreativität, freier

11.7 Wie ich Scholion einsetzen würde

149

Ausdruck, experimentelles Herantasten und Ausprobieren sowie der ‚natürlichen’ Lernmethode“ betrachtet werden (vgl. Dietrich, S.87). Durch die Kommunikation und Kooperation der Lernenden miteinander entsteht neues Wissen, das an die Erfahrungen und Konstruktionen der/des Einzelnen geknüpft ist und nicht mit Information verwechselt werden darf. Aber auch hier geht es um die grundlegenden Erfahrungen, die die Einzelnen machen müssen. In der Kommunikation dieser Erfahrungen, im Austausch durch Kooperation werden die eigenen Wissensmuster aber aufgebrochen und neu strukturiert. Ich denke, dass dies dann nicht mehr nur ein Phänomen bezogen auf Kinder ist, sondern dass auch wir als erfahrene PädagogInnen immer wieder diese Erfahrungen machen dürfen. Als Beispiel führe ich nur die intensiven Diskussionen über traditionellen Schriftverkehr zwischen Peter Petersen und mir an oder auch die indirekten Impulse, die ich von Frau Parkhurst mit dem Daltonplan bekam (vgl. Freinet, in: Kock, 1996, S.59). Wenn ich auch nicht mit allem einverstanden war, was sie oder Frau Montessori (vgl. Freinet, 1998, S.84f) gedacht und geschrieben haben, so war die Auseinandersetzung damit auch Antrieb, sich intensiv mit diesen Gedanken zu beschäftigen und sie neu zu interpretieren. Von diesen Ideen ausgehend dürfte ein besonderes Merkmal der Lehr- und Lernplattform vor allem auch darin liegen, dass sie nicht auf die Reproduktion von bereits vorbereiteten Inhalten ausgerichtet ist, sondern vielmehr die – hoffentlich – kurzen Inhalte Ausgangspunkt für intensive Momente der Kooperation sein können. Das kognitive Wissen der einzelnen Lernenden führt durch diese kommunikativen Prozesse für jede/n zu neuen Konstruktionen, und damit zu einer Erweiterung der eigenen Wissenshintergründe. Sie spüren schon alle, dass mir sehr an diesen kooperativen und kommunikativen Prozessen liegt. Dabei spielt für mich Folgendes eine entscheidende Rolle: Alle Lernenden sollten in diesem Gruppenprozess den gleichen Stellenwert haben oder von der „Schule der Tat“ her betrachtet sollte es möglich sein, dass eine Art Klassenrat mit wechselndem Vorsitz gemeinsam das Programm entwickelt, das in der gemeinsamen Arbeit zu leisten ist und schlussendlich auch zu einerseits individuellen Produkten führt, andererseits aber auch Gruppenergebnisse aufweisen kann.

11.7

Wie ich Scholion einsetzen würde

Sehr anfreunden kann ich mich mit dem Gedanken von Rolf Schulmeister, der Entwicklungsschritte aufzeigt, die ich bisher noch nicht erlebt hatte. Ich denke wieder an meine Erfahrungen mit dem programmierten Unterricht, der den Menschen als eine Maschine betrachtete und nicht als eigenständiges, sich entwickelndes Wesen. Daher ist für mich diese Aussage von großer Bedeutung und gibt mir viel Hoffnung. „Das Paradigma für die Gestaltung von hypermedialen Lernumgebungen hat sich gewandelt. Statt eine Anpassung des Systems an den Lerner anzustreben, bevorzugen Lernprogramm-Autoren offene Umgebungen, in denen der Lernende die nötigen An-

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11 Freinet-Pädagogik

passungsprozesse selbst vornehmen kann, indem er das Niveau der kognitiven Auseinandersetzung mit dem Lernobjekt je nach seinen Lernvoraussetzungen selbst bestimmt, dort beginnt, wo es seiner Motivation entspricht, die Art und Strategien der kognitiven Auseinandersetzung mit dem Lernobjekt eigenständig variiert etc. Optimal wären Lernumgebungen, die es gestatten, dass Lernende im Bewusstsein ihrer individuellen Eigenarten sich an die Umgebung anpassen oder umgekehrt die Umgebung an sich und ihre Bedürfnisse anpassen können.“ (Schulmeister, 2007, S.4) Die Lernenden werden zu AkteurInnen des Geschehens und bestimmen in welche Richtung sie arbeiten möchten. Dies setzt offene Lernsituationen voraus, die ich immer gefordert habe und die sich an der Realität und nicht in abstrakten Welten abspielen. Nur so kann auch die virtuelle Welt in das reale Leben mit eingebunden werden und führt keine eigene (Schein)Realität herbei. Die Lehr- und Lernplattform Scholion wird diesem Anspruch gerecht, sobald sie eine Lernwelt ermöglicht, die die Lernenden nicht gängelt und die einzelnen Schritte vorgibt, sondern vor allem eigene Wege und selbsttätiges Forschen unterstützt. „Mit dem Begriff ‚offene Lernsituation’ oder ‚offenes Lernen’ ist dabei nicht der ‚Offene Unterricht’ oder das ‚Offene Lernen’ (Zimmer 1995) im Sinne des ‚Open Distance Learning’ (ODL) gemeint, das eine Öffnung nach Raum und Zeit bedeutet, sondern die innere Offenheit der Lernsituation für den Lerner als Gegenbild zu einem lernzielorientierten und strukturierten instruktionalistischen Lernangebot, in dem der Lernende Schritt für Schritt geführt wird: ‚Offenes Lernen ist vielmehr dann gegeben, wenn die Organisation des Lernens durch die Lernenden selbst erfolgt’.“ (Schulmeister, 2007, S.6) Selbstverständlich kann dies nicht in einem völlig offenen Raum geschehen, auch weil am Anfang des Lernprozesses die Lernenden vermutlich doch Einiges an neuen Fertigkeiten erwerben müssen. Es wäre zu überlegen, wie sich das Modell der Ateliers mittels der Lehrund Lernplattform darstellen lässt. Einige Gedanken dazu haben wir bereits von Ihnen, Frau Parkhurst, mit den Laboratorien und wie Sie sich vorstellen, diese auf der Lehr- und Lernplattform zu spiegeln. Ich denke auch, dass es sehr stark vom Lernarrangement der Lehrperson abhängt. Dies wird wiederum von der Rolle beeinflusst, die sie einnimmt. Ist sie Lernbegleitung, die in einem Diskurs mit den Lernenden arbeitet – ich denke da an das Beispiel mit der Gruppe, die ein gemeinsames assignment entwickelt hat und die Lehrperson eigentlich Teil der Gruppe war, so muss sie auch aushalten können, dass die Gruppe Entscheidungen in demokratischer Form trifft, die nicht immer den eigenen Vorstellungen entsprechen. Ich habe den Eindruck, dass mit dieser Lehr- und Lernplattform vor allem eines sehr gut umsetzbar wird: Individualisierung und Gruppenarbeit nach demokratischen Grundregeln. Falls die Beschränkungen technischer Natur für die Lernenden nicht zu groß sind – für mich sind keine ersichtlich – dann ist es sogar ein ausgezeichnetes Instrument, in Gemeinschaft zu lernen, neue Wissensnetze zu konstruieren und auch noch zusätzlich durch die Arbeit mit dieser Lehr- und Lernplattform handlungsorientiert zu arbeiten. Für mich zählt nämlich der Umgang mit den Möglichkeiten des Internet und besonders dieser Lehr- und Lernplattform in ihren ganzen Facetten zum handlungsorientierten Lernen. Ich muss aktiv sein, verschiedenste Werkzeuge bedienen und Zusammenhänge herstellen können. Auch der Umgang mit der Druckerei ist am Anfang nicht ganz einfach, es braucht einige Versuche um damit

11.7 Wie ich Scholion einsetzen würde

151

schnell und effizient arbeiten zu können. Sobald die Technik beherrscht wird, lässt sich zügig arbeiten. Ähnliches sehe ich auch im Umgang mit der Lehr- und Lernplattform. Ich gebe den EntwicklerInnen Recht, dass es utopisch ist, davon auszugehen alles so konzipieren zu können, dass es gleich bedienbar ist und keine Probleme entstehen. Damit komme ich nochmals auf einen wesentlichen Gedanken zurück: auch Scholion selbst muss ein Werkzeug sein, es darf nicht nur genutzt werden, weil es vielleicht mit viel Aufwand an Zeit und Geld entwickelt wurde. Bleibt noch die Frage, wie das Leben in Scholion hereingebracht wird. Ich denke da auch an reale Beispiele mit den Möglichkeiten, Videos als Anschauungsmaterial zu nutzen und es den Lernenden zu überlassen, ob sie nicht selbst Beispiele verfügbar machen können, die als Grundlage für die Gruppe dienen können. Sehr gut gefällt mir die Idee mit den Gruppensichten. Diese Idee kommt dem sehr nahe, was wir mit unserer Korrespondenz zwischen den Klassen durchgeführt haben. Das Ergebnis ist ein Produkt, an dem viele mitarbeiten und das erst durch den intensiven Austausch in Gesprächen, seien sie nun real oder über Diskussionsforen, Chats oder all die anderen Möglichkeiten, zu dem wird, was schließlich entsteht. Es braucht dazu einen sehr regen und konstruktiven Beitrag aller Lernenden und ebenso der Lehrenden, die immer auch ein wenig in der Rolle der Lernenden sein werden, wenn sie bereit sind, die Prozesse der Gruppe zuzulassen. Gleichzeitig ist es ein Lernen der demokratischen Grundregeln, wollen wir meiner Forderung danach gerecht werden. Ich denke, dass in dieser Art des Lernens ein großes Potential für solche (Bildungs-)Prozesse liegt. Soll diese Art des Lernens unter den Erwachsenen Verbreitung finden, werden wir nicht umhin kommen, nach dem Verfahren des experimentellen Tastens zu arbeiten. Dies hat den Vorteil, dass LehrerInnen oder auch andere Erwachsene selbst die Erfahrungen machen können, die für viele Kinder und Jugendliche heute bereits von der Handhabung her selbstverständlich sind. Der Vorsprung der Erwachsenen besteht in den Fähigkeiten, Lernstrategien, Techniken und Methoden zu kennen und diese auch auf neue Situationen umsetzen zu können. „Didaktisches Design offener e-learning-Umgebungen hat es vor allem mit zwei Qualitäten virtueller Lernobjekte zu tun, der Interaktivität und der Rückmeldung. Eine hochgradige Interaktivität der Lernobjekte und ein hohes Maß an Rückmeldung sind für offene Lernumgebungen insofern wichtig, als sie den Prozessen der Wissenskonstruktion den benötigten Raum für aktive und manipulierende Operationen eröffnen. Offene Lernumgebungen bürden dem lernenden Individuum die Last auf, selbst für die geeignete Passung zwischen sich, seinen Lernvoraussetzungen und Lernstilen, seiner Motivation und dem Lernangebot zu sorgen.“ (Schulmeister, 2007, S.27f) Ich wünsche mir, dass es gelingen möge, eine gemeinsame Ausrichtung für die Lehr- und Lernplattform zu finden, die zur Entwicklung des Individuums und zur Verbesserung der Gesellschaft führt. Auch wünsche ich allen, die damit arbeiten – seien es die Lernenden wie die Lehrenden, denn beide sind angesprochen, diesen Paradigmenwechsel vorzunehmen –, dass sie das in dieser Lehr- und Lernplattform enthaltene Potenzial entdecken und auch nutzen. Ich danke für die interessante Auseinandersetzung.

12

Mathetik – die Lehre vom Lernen

Die objektive Didaktik, die wir zu Beginn unserer Ausführungen vorstellen durften, hilft nur bedingt, die diskutierten pädagogischen Programme umzusetzen. Daher ist abzusehen, dass in einer Gegenbewegung sich die Lehre des Lernens, die Mathetik, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse anderer Wissenschaften auf transdisziplinärer Ebene etablieren wird. In diesem Kapitel werden wir daher die Formung der Mathetik im Licht der an ihrer Etablierung beteiligten Disziplinen erläutern, ehe ihre Abgrenzung zu von objektiver Didaktik geleiteten Ansätzen erfolgen kann. Mathetische Grundsätze erlauben die gezielte Erreichung von Bildungszielen. Voraussetzung für lern(enden)orientierte Wissensvermittlung stellt allerdings die Selbstorganisation der Lernenden dar. Diese wird aus unterschiedlichen pädagogischen Aspekten erläutert. Anhand von Lehr- und Lernprinzipien werden die wichtigsten Grundsätze der Mathetik zusammengefasst, um die praktische Umsetzung reformpädagogischer Bemühungen mit e-learningEntwicklungen abgleichen zu können.

12.1

Zur Entstehung

Die Mathetik entspricht einem „subjektiven Didaktik-Modell“ (vgl. Kösel, 1993) und kann in Anlehnung an Comenius als Lehre vom Lernen verstanden werden. Mathetik geht auf das griechische Verb „mathein“ bzw. „manthanein“ zurück. Beide Verbformen stehen im Infinitiv und bedeuten „lernen“. „Manthanein“ steht im Infinitiv Präsens und „mathein“ im Infinitiv Aorist. Der zuerst genannte meint eine lineare, abfolgende Tätigkeit, während der zweite ein punktuelles, plötzliches Tun bezeichnet. „Manthanein“ weist also auf einen Prozess hin, während „mathein“ auf ein plötzliches Erkennen deutet. Beide Verben bedeuten Lernen um der Bildung willen. Mathetik ist demnach die Klärung des im Unterricht stattfindenden Lerngeschehens – und zwar aus der Sicht der jeweilig Lernenden (vgl. Chott, 1998, S.392). Die Entwicklung einer Mathetik erfolgt nicht inter- oder pluridisziplinär, sondern transdisziplinär. Neue übergreifende Forschungsbereiche können nicht einfach nur als eine Gruppe oder simple Kombination mehrerer verwandter wissenschaftlicher Disziplinen angesehen werden, da diese Konzepte der Inter- und Pluridisziplinarität nur auf einer zweidimensionalen Ebene angesiedelt sind.

154

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

Abb. 12.1: Pluridisziplinarität – vgl. Koizumi (2003, S.113)

In derart entstehenden Forschungsbereichen werden die Erkenntnisse zahlreicher Disziplinen berücksichtigt, um eine eigene konzeptionelle Struktur aufzubauen, die die Grenzen von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften überschreiten kann.

Abb. 12.2: Mathetik – vgl. Koizumi (2003, S.113)

12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

155

Das Konzept der Transdisziplinarität füllt einen dreidimensionalen Raum aus. Es erlaubt die Entstehung (Emergenz) von Elementen auf einer übergeordneten Ebene, die auf Verknüpfungen von mehreren Disziplinen auf der untergeordneten Ebene aufbaut. Die Transdisziplinarität beinhaltet gleichzeitig das Konzept des Brückenbauens zwischen (auch vollkommen) unterschiedlichen Disziplinen und deren Verschmelzung zu einem neuen Fachgebiet.

12.2

Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

Im folgenden Schaubild werden die kritischen Absetzungen von der objektiven Didaktik und die unterschiedlichen Begründungszusammenhänge der Mathetik, der Neurodidaktik und der reformpädagogischen Didaktik im Überblick dargestellt. Wir gehen in der Folge auf jene Aspekte ein, welche wesentliche Beziehungszusammenhänge verdeutlichen. Wir vertiefen damit die eingangs geführte Diskussion objektive Didaktik versus einer reformpädagogischen Didaktik mit dem Ziel, Transformations- bzw. Veränderungspotenzial aufzuzeigen.

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12 Mathetik – die Lehre vom Lernen Objektive Didaktik

Mathetik

Neurodidaktik PNI-Didaktik

Reformpäd. Didaktik

Erkenntnis als Abbildung

Erkenntnis als Konstruktion

Erkenntnis als subsymbolische neuronale Vernetzung

Experimentelles Testen

Technologischer Machbarkeitsoptimismus

Unterstützung von Selbstorganisation

Selbstorganisation von Neuronengruppen

Selbsttätiges Lernen in anregenden Lernumgebungen

Informationsgesellschaft

Lern- und Kommunikationsgesellschaft

Strukturelle Kopplung

Lernen In der Gemeinschaft

Wissensvermittlung Steuerung

Selbstgesteuertes Lernen

Autopoietisches Lernsystem

Individuelle Lernwege

Verbindliche Wahrheiten

Pluralität der Wirklichkeitskonstruktionen

Differierende Verknüpfungsqualität Neuronaler Netze

Individuelle Lernergebnisse

Reduktionistisches Weltbild

Holistisches Weltbild

Multisensorische Integration

Ganzheitlichkeit von Lernsubjekt und -objekt

Vermittlung von Antworten

Anregung von Fragen

Perturbation des autopoietischen Systems

Sokratischer Dialog

Konsens Einheit

Differenz Vielfalt

Umwelteinflüsse als Zufallsgeneratoren unterschiedlicher neuronaler Vernetzung

Individuelle LernMethoden, LernRhythmen und Lernprodukte

Perfekte Lösungen

Irrtumswahrscheinlichkeit

Hypothesenverifikation oder -falsifikation durch Interaktion von niederen und höheren Gehirnarealien

Entdeckendes und erforschendes Lernen Projektlernen

Kognition

Kognition und Emotion

Emotionen als Operatoren neuronaler Vernetzung

Lernen im positiven Lernklima Schule als Lebensraum

Abb. 12.3: Begründungszusammenhänge der Mathetik – vgl. Siebert (1999, S.15)

12.2.1

Erkenntnis (Lernen) als Konstruktion

„Die Kernthese des Konstruktivismus lautet: Menschen sind autopoietische, selbst referenzielle, operational geschlossene Systeme. Die äußere Realität ist uns sensorisch und kognitiv unzugänglich. Wir sind mit der Umwelt lediglich strukturell gekoppelt, das heißt, wir wandeln Impulse von außen in unserem Nervensystem ‚strukturdeterminiert’, das heißt auf der Grundlage biographisch geprägter psycho-physischer kognitiver und emotionaler Strukturen, um. Die so erzeugte Wirklichkeit ist keine Repräsentation, keine Abbildung der Außenwelt, sondern eine funktionale, viable Konstruktion, die von anderen Menschen geteilt wird und die sich biografisch und gattungsgeschichtlich als lebensdienlich erwiesen hat.“ (Siebert, 1999, S.5-6). Der Begriff des autopoietischen Systems geht auf die chilenischen Neurobiologen Maturana und Varela zurück. Autopoietische Systeme sind strukturdeterminiert, von außen nicht direkt beeinflussbar und erzeugen sich selbst (vgl. Maturana et al., 1987). Nach konstruktivistischer

12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

157

Auffassung entwickeln Menschen im Lernprozess viable (d.s. für sie passende) Modelle, die es ihnen ermöglichen, sich in einer ihnen im Prinzip unzugänglichen Welt zu orientieren (vgl. Glasersfeld, 1995), oder um es im Sinn des verwandten Pragmatismus zu formulieren, Probleme zu lösen (vgl. Projektunterricht von Dewey). Während die objektive Didaktik Erkenntnis als Abbildung versteht, sieht die Neurodidaktik Erkenntnis (Lernen) als subsymbolische, neuronale Vernetzung. Neuronale Netze haben keine Regeln (Zuordnungsregeln), z.B. zur Mustererkennung, „gespeichert“, sondern das „Regelwissen“ wird durch die Konstruktion neuronaler Vernetzungen bzw. durch die Verstärkung neuronaler Verbindungen repräsentiert (lernende Netzwerke). „... dann erscheinen geistige Prozesse in einem ganz neuen Licht. Solche Prozesse sind nicht regelhaftes Hantieren mit Symbolen, sondern ein nur schwer mit Regeln beschreibbarer subsymbolischer Prozess, in dessen Verlauf interne Repräsentationen sich beständig verändern. Regeln sind nicht im Kopf, sie sind lediglich brauchbar, um bestimmte geistige Leistungen im Nachhinein zu beschreiben.“ (Spitzer, 2000, S.29) Dieses Bild weist in Richtung reformpädagogischer Ansätze, da es dem Prinzip der aktiven Konstruktion von Wissen folgt. Somit helfen Konzepte der Neurodidaktik, Lernen als Prozess besser zu verstehen. Die Gestaltung der Wissensvermittlung kann diese berücksichtigen, sowohl beim Design lernorientierten Materials als auch beim Zugang zu diesem im Rahmen des Wissenserwerbs.

12.2.2

Unterstützung von Selbstorganisation

Sowohl kognitive als auch soziale Systeme sind durch Nicht-Linearität und Selbststeuerung gekennzeichnet. Didaktisches Handeln kann daher Lernprozesse nur anregen, aber nicht determinieren. Diese Sichtweise hat weit reichende Auswirkungen auf didaktische Modelle. Der/Die einzelne Lernende oder eine Gruppe Lernender kann somit nicht direkt durch Lehrende zu einem Verhalten bzw. zu einer Verhaltensänderung – als weiteste Umschreibung von Lernen – veranlasst werden. Komplexe Systeme (Lernende/Gruppen von Lernenden) können aus dieser Perspektive nur zu eigenen – durch ihre interne Struktur vorgegebenen – Operationen angeregt, aber nicht bestimmt werden. Hieraus leitet sich eine prinzipielle Unsicherheit didaktischen Handelns ab. Folgen wir dieser Orientierung, müssen Lehrende akzeptieren, dass Lernende sich die angebotenen Inhalte nach ihren Regeln und Vorerfahrungen, nach ihren eigenen Verständniszugängen und im Kontext ihrer individuellen Lebenswelt aneignen. Grundlage jeder didaktischen Handlungsmöglichkeit ist somit die prinzipielle Fähigkeit komplexer Systeme mit der Umwelt zu interagieren und eigene Modelle von Wirklichkeit zu konstruieren. Lehren und Lernmanagement ist der Versuch, komplexe Systeme, die nach ihrer eigenen Logik operieren, anzuregen. Dies bedeutet, es ist prinzipiell unmöglich, direkt zu lehren. Es ist nur möglich, Lernprozesse zu aktivieren. Selbst organisiertes Lernen stellt keinen technokratisch zu planenden und zu steuernden Prozess dar, sondern beginnt mit der verantwortlichen Konstruktion von förderlichen Lern-

158

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

welten durch die Lehrenden. Dabei stehen Fähigkeiten der Lernenden im Mittelpunkt. Selbst organisiertes Lernen erfordert somit die Überwindung einer Defizit- zugunsten einer Fähigkeitsorientierung. Die didaktische Herausforderung liegt in der Vermeidung einer überheblichen „Besserwisserdidaktik“ zugunsten einer konstruktiven Grundhaltung der Lehrenden. Selbst organisiertes Lernen überwindet lehrzentriertes Lernen im Gleichschritt, das sich an der Illusion von homogenen Lerngruppen orientiert. Stattdessen wird die Entwicklung einer didaktischen Kultur der Lernförderung und -begleitung sowie die damit verbundene Gestaltung von motivierenden Lernlandschaften für die Lernenden in ihrer Unterschiedlichkeit betont (vgl. Werning, 1996). Diese Grundsätze entsprechen kaum jenen der objektiven Didaktik, da sie sich durch die Vorab-Planung auszeichnet, während die Fähigkeitsorientierung in der Selbstorganisation Vorausplanungen erschwert. Als Transformator auf konzeptioneller Ebene von der objektiven Didaktik zu einer reformpädagogischen Didaktik können die Überlegungen der Neurodidaktik dienen. Aus ihrer Sicht bezieht sich die Selbstorganisation auf Neuronengruppen. Spezielle systemische Funktionen des neuronalen Netzwerkes gepaart mit sich wiederholendem, gleich bleibendem Input führen zu selbst organisiertem Lernen. Jedes Neuron ist in säulenartigen Schichten mit jedem anderen Neuron dieser Schicht verbunden, erregt damit diese in der näheren Umgebung und hemmt entferntere. Bedingt durch diese Struktur kommt es zu einer Verstärkung der Systemverbindungen, „dass bestimmte Merkmale des Input in gesetzmäßiger Weise auf einem bestimmten Ort des Netzwerkes abgebildet werden.“ (Spitzer, 2000, S.104). Diese Sicht lässt Selbsttätigkeit der Lernenden in einer anregenden Umgebung, wie es die Reformpädagogik vorsieht, zu. Sie beschreibt Konstruktionsvorgänge und die damit verbundene individuelle Erschließung von Lern- bzw. Lebenswelten.

12.2.3

Lernendengesteuerter Zugang zu Vermittlungsprozess

Nach konstruktivistischer Auffassung lernen wir rekursiv. Dies bedeutet, zu Lernendes wird von bereits Gelerntem überformt, und zwar strukturdeterminiert. Im Kommunikationsprozess, im Lernprozess wird also nicht Sinn transportiert, sondern dem eingehenden codierten Energiestrom wird von Lernenden erst Sinn zugeordnet. Damit entspricht die Mathetik nicht dem Sender-Empfängermodell der objektiven Didaktik. Sie ist kompatibel zum Konzept der Neurodidaktik, die von struktureller Kopplung spricht: Eigene neuronale Netzwerke sind mit anderen neuronalen Netzwerken der Umwelt strukturell gekoppelt. Dies bedeutet, interne Modelle werden mit anderen externen Modellen abgeglichen, es kommt zu einer ko-evolutiven Modellkonstruktion. Dies entspricht reformpädagogischen Ansätzen, da Lernen in der Gemeinschaft eine koevolutive Modellkonstruktion darstellt.

12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

159

„Selbstgesteuertes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation selbst bestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen (kognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst (metakognitiv) überwacht, reguliert und bewertet.“ (Konrad et al., 1999, S.13) Damit geht die Mathetik von der Steuerung der Vermittlung durch die Lehrenden (vgl. objektive Didaktik) ab in Richtung Lernendensteuerung. Diesem Bild schließt sich die Neurodidaktik an, da autopoietische Systeme strukturdeterminiert sind und daher nicht von außen direkt beeinflusst werden können. Sie können lediglich perturbiert, also gestört werden. Damit werden individuelle Lernwege, wie in der Reformpädagogik postuliert, möglich.

12.2.4

Pluralität der Wirklichkeitskonstruktion

Menschen können als Systeme betrachtet werden, die durch Rückkopplung mit ihrer Außenwelt verbunden sind, und deren Interaktionen sich damit aus Rückkoppelungen mitbegründen. Personen konstruieren somit ihre eigenen, internen Modelle der Wirklichkeit. „Das Subjekt-Objekt-Verhältnis ist relational interdependent und dynamisch. Der Konstruktivismus bestätigt die grundsätzliche Anthropozentrik und auch Egozentrik menschlicher Existenz.“ (Siebert, 1999, S.7) Die angesprochenen Rückkoppelungen spielen in der objektiven Didaktik durch die Annahme verbindlicher Wahrheiten keine Rolle, während die Neurodidaktik von der differierenden Verknüpfungsqualität neuronaler Netzwerke spricht: Werden bestimmte Input-Signale aus der individuellen Stimulus-Welt des lernenden Individuums regelmäßig angeboten, kommt es zu einer Stabilisierung der Output-Struktur. „Die Hebbsche Lernregel besagt somit, dass immer dann, wenn zwei miteinander verbundene Neuronen gleichzeitig aktiv sind, die Verbindung zwischen ihnen stärker wird.“ (Spitzer, 2000, S.44) Damit sind Lernende im Sinn der Reformpädagogik in der Lage, ihre Umgebung zu erfassen und zu einem individuellen Lernergebnis zu kommen. Die differenzierende Verknüpfungsqualität kann zwar zu unterschiedlicher Verstärkung von neuronalen Strukturen und damit von individuell als wichtig erachteten Zusammenhängen führen, dennoch kann ihr Effekt im Sinne stabiler Output-Strukturen an den Handlungen der Lernenden beobachtet werden.

12.2.5

Konstruktion holistischer Weltbilder

Die Konstruktion bzw. erweiternde Konstruktion von inneren Modellen erfolgt auf der Grundlage unterschiedlicher und vielfältiger externer Stimuli und trifft dabei auf komplexe innere Vernetzungsstrukturen, die in keiner Weise einer einschränkenden fachstrukturellen Außenwelt entsprechen. Dem steht das reduktionistische Weltbild der objektiven Didaktik entgegen und folgt der multisensorischen Integration der Neurodidaktik: Lernen mit allen Sinnen heißt nicht, dass es aufgrund eines vielfältigen Reizimpulses zu einer automatischen Verstärkung einer subsymbolischen Verbindung, einer Repräsentation kommt, sondern dass unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten geschaffen werden.

160

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

„Die aus verschiedensten Sinneskanälen einströmenden Informationen werden miteinander verglichen, d.h. beispielsweise auf Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten oder Widersprüche hin „durchgecheckt“. Da wir über eine ganze Anzahl von Sinnen verfügen, über die wir Informationen aus der Umwelt und das eigene Selbst „hereinholen“, gestaltet sich dieser Prozess der Feststellung von Konkordanzen und Diskonkordanzen mitunter aufwändig. Praktisch gleichzeitig werden alle diese Sinnesinformationen – je einzeln, aber auch das Ergebnis des eben genannten „Durchcheckens“ auf Passung untereinander – mit dem gesamten Bestand an früheren Erfahrungen abgeglichen, die in den diversen Speichersystemen vorgehalten werden. Je nach Passung zu diesen früheren Erfahrungen werden die neuen Informationen abgewertet oder aufgewertet, umgruppiert, in die Zeitschiene als dringlich oder weniger dringlich eingeordnet, an frühere Erfahrungen ‚angedockt’ oder von diesen abgegrenzt abgespeichert.“ (vgl. Schusser, 2002) In dieser Form kann die ganzheitliche Sicht von Lernenden und des zu Lernenden im Sinn der Reformpädagogik Bestand finden. Die Passung erlaubt den Aufbau von Wissen und ermöglicht begründete Handlungen durch Individuen. Jede Aktivität kann somit seitens der Lernenden in einen selbst erschlossenen Begründungszusammenhang gebracht werden. Die Lehrenden haben dabei die Funktion, das Herstellen der wesentlichen Zusammenhänge zum Zweck der umfassenden und ganzheitlich ausgerichteten Erfassung zu fördern und zu unterstützen.

12.2.6

(In-)Frage-Stellen als Wissenskonstruktion

Die Präsentation bzw. Existenz von Phänomenen, die bestehende, zunächst viable Modelle in Frage stellen, führen zu deren Umbau bzw. Erweiterung. Dies steht im Gegensatz zur objektiven Didaktik, die Antworten vermittelt und rezipiert. Fragen können aber im Sinn der Neurodidaktik eine Perturbation des autopoietischen Systems darstellen, die Wissenskonstruktion ermöglicht: „Neue Situationen und Umgebungen können zu Perturbationen, das heißt zu Störungen führen. Dabei determiniert oder instruiert die Umwelt nicht das autopoietische System, sondern löst Veränderungen aus.“ (Siebert, 1999, S.200) Somit kann die Frage am Beginn jeder Vermittlung zu stehen. Durch Fragen bedingte Veränderungen können zu einem konstruktiven Sokratischen Dialog mit Lehrenden führen. Dieser ermöglicht die Vermittlung von Kontext, um alle bestehenden individuellen Anknüpfungspunkte zu aktivieren, die für den auf das Ganze gerichteten Erwerb von Wissen wesentlich sind.

12.2.7

Differenzvielfalt

„Der Konstruktivismus betont Differenzen, Heterogenität, Unterschiede, Vielfalt und weniger Konsens, Homogenität, Identität. Lernen setzt die Wahrnehmung von Differenzen, Fremdheit, anderen Perspektiven voraus.“ (Siebert, 1999, S.198)

12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

161

Eine derartige Differenzierung sieht die objektive Didaktik nicht vor (vgl. Konsens-Einheit), die Neurodidaktik jedoch schon. Sie sieht Umwelteinflüsse als Zufallsgeneratoren unterschiedlicher neuronaler Vernetzung: „Während die Entwicklung der grundlegenden Struktur des Gehirns genetisch vorbestimmt ist, ist es verblüffend festzustellen, dass ein Großteil der elektrischen Aktivität, das Wachstum von Dendritenbäumen, die synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen, die Bildung einer Myelinscheide, die das Axon schützend umgibt und die für eine schnelle Reizweiterleitung verantwortlich ist, durch Erfahrung beeinflusst werden. Die lebenslange Veränderungsbereitschaft und –fähigkeit des Gehirns bei Erfahrungen mit der Umwelt, nennt man Plastizität (‚plasticity’). Lehrende sollten daher wissen, dass mit Lernen kein ‚Füttern’ mit Informationen gemeint ist, sondern: Lehrer unterstützen Schüler darin, Neuronengruppen, die gleichzeitig feuern, zu entwickeln. Das Ergebnis davon ist die Entstehung von immer größeren und komplexeren neuronalen Netzwerken, die der Aneignung von Fertigkeiten und Ideen, die an Ziele und Sinnhaftigkeit gebunden sind, entsprechen.“ (Arnold, 2002, S.122) Vor allem die Darstellung der Beziehung zur Umwelt stützt den reformpädagogischen Ansatz, dahingehend, dass das Vorsetzen von Inhalten ohne Anregung zur aktiven Erschließung nicht zwingend mit aktivem Wissenserwerb verknüpft ist. Im Sinne aktiver Wissenskonstruktion sollten Fragen als Ausgangspunkt der Vermittlung bzw. Erschließung von Inhalten gewählt werden, und zwar solche, die die jeweilige Situation der Lernenden widerspiegeln. Da Individuen auch individuelle Erfahrungswelten mitbringen, wird eine Vielfalt an Fragen zu bearbeiten sein und eine ebensolche Vielfalt an Erschließungsoptionen im Rahmen der Vermittlung angewandt werden.

12.2.8

Irrtum als konstruktives Wissenskonstrukt

Wenn wir konstruktive, rekonstruktive und dekonstruktive Lernprozesse durchlaufen (vgl. Reich, 2000), indem wir in der Lerngemeinschaft Hypothesen bzw. Modelle zur Lösung von Problemen konstruieren, die viabel oder nicht viabel sind, die verifiziert oder falsifiziert werden, dann haben Lernende – auch im Falle der Modellfalsifikation – vermutlich mehr gelernt als bei der Anwendung der Prinzipien objektiver Didaktik. Letztere zielt auf die ausschließliche Rezeption von Antworten ab, während das In-Frage-Stellen und Fragen sowie die selbsttätige Konstruktion von Antworten im Zentrum reformpädagogischer Bemühungen stehen. Die Neurodidaktik stützt auch in diesem Kontext die Mathetik, da die Hypothesenverifikation oder –falsifikation durch Interaktion von niederen und höheren Gehirnarealen Teil der Erkenntnisbildung darstellen. Nach Spitzer werden in so genannten höheren Arealen des Zentralnervensystems (ZNS) konstruierte Modelle mit dem sensorischen Input niederer Areale verglichen.

162

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

„Dieser Vergleich ergibt entweder, dass der Input der von ‚oben’ kommenden „Interpretation“ vollständig entspricht oder dass noch ein Rest bleibt, der durch die vorgeschlagene Interpretation nicht ‚erklärt’ wird. Im ersten Fall hat das System einen stabilen Zustand erreicht; im zweiten Fall wird der noch nicht erklärte Rest von der tieferen Schicht zur höheren Schicht als neuer Input zur weiteren Bearbeitung (d.h. zum ‚Errechnen’ neuer ‚Interpretationsvorschläge’) zurückgemeldet. Diese Vorschläge werden in Form neuer Muster an die tiefere Schicht gemeldet, bis entweder der gesamte Input eine hinreichende ‚Interpretation’ gefunden hat oder die ursprüngliche Hypothese verworfen und eine neue Hypothese ‚probiert’ wird.“ (Spitzer, 2000, S.140) Dies bedeutet, dass Lernende den Umgang mit Irrtümern konstruktiv verarbeiten können, und daher das Verfolgen von Fragen auch auf nicht lösungsrelevanten Wegen ein wesentliches Element von Lernprozessen darstellt. Erfolgt dies in einer adäquat vorbereiteten Umgebung, dann entspricht dies dem reformpädagogischen Ansatz von Wissensvermittlung.

12.2.9

Kopplung von Kognition mit Emotion

Der Konstruktivismus hat in seiner ersten Ausprägung die Interaktion zwischen Systemen primär auf der kognitiven Ebene zu erklären versucht. Es gilt inzwischen jedoch als gesichert, dass jede kognitive Leistung von Emotionen begleitet oder von diesen beeinflusst wird. Die Mathetik erfordert daher eine Abkehr von ausschließlich kognitiven Dimensionen, wie auch schon in der objektiven Didaktik angemerkt. Nach neurodidaktischen Grundsätzen stellen Emotionen Operatoren neuronaler Vernetzung dar: „Es setzt sich immer stärker die Tendenz durch, Emotionen von ihrem neuronalen Ursprung her zu beschreiben. Emotionen sind, in diesem Licht gesehen, dann psychoneurale Prozesse, die besonders wirksam darin sind, die Intensität und Strukturierung von Handlungen im dynamischen Strom intensiver Interaktionen mit anderen Lebewesen oder Objekten zu regeln. Dabei besitzt jede Emotion ihren ganz speziellen Gefühlsunterton, der direkt erlebbar und der besonders wichtig bei der Speicherung des intrinsischen, lebenserhaltenden Werts dieser Interaktion ist. Im Rahmen der hier vertretenen Argumentation ist es notwendig hervorzuheben, dass gerade diese emotionalen Wertzuschreibungen bewirken, dass neue Informationen besser gespeichert und bei späteren Gelegenheiten auch besser rekapituliert werden!“ (Arnold, 2002, S.43) Ciompi hat in seiner so genannten Affektlogik Emotionen sogar als Motoren und entscheidende Einflussfaktoren von kognitiven Prozessen betrachtet. „Affekte sind entscheidende Energielieferanten oder Motoren und Motivatoren einer kognitiven Dynamik. Affekte bestimmen andauernd den Fokus der Aufmerksamkeit. Affekte wirken wie Schleusen oder Pforten, die den Zugang zu unterschiedlichen Gedächtnisspeichern öffnen oder schließen. Affekte schaffen Kontinuität; sie wirken auf kognitive Elemente wie ein Leim oder Bindegewebe. Affekte bestimmen die Hierarchie

12.2 Begründungszusammenhänge im Kontext von Didaktik-Ansätzen

163

unserer Denkinhalte. Affekte sind eminent wichtige Komplexitätsreduktoren.“ (Ciompi, 1997, S.95ff) Emotion und Kognition stellen somit zwei wesentliche Faktoren eines positiven Lernklimas mit Auswirkungen auf den Lernerfolg dar. Eine über die neurophysiologische Argumentation hinausgehende Begründung der Mathetik ist schließlich durch die so genannte Psychoneuroimmunologie (PNI) entwickelt worden. Die PNI-Forschung hat den Nachweis der engen Verbindung zwischen Psyche, ZNS, Hormonsystem und Immunsystem erbracht. Das ZNS steht mit dem Immunsystem durch Nervenfasern und mit dem Hormonsystem durch Hormonausschüttung in engem Kontakt. Mit dem Hintergrund des neuen Organismuskonzepts versteht die PNI den Menschen als bio-psycho-soziales Wesen und beleuchtet das „Netzwerk Mensch“ auf molekularer Ebene. Krankheit ist demnach eine Kommunikationsstörung zwischen biologischen, psychischen und sozialen Vorgängen. Positiv formuliert bedeutet dies: Der menschliche Organismus lernt optimal, wenn er sich im Zustand der Homöostase befindet.

Umwelt

Verhalten

Nervensystem

Homöostase: Dynamisches Gleichgewicht durch Selbstregulation Hormonsystem

Immunsystem

Abb. 12.4: Homöostase – vgl. Miketta (1997, S.24)

So kann die PNI zum Beispiel ein Erklärungsmodell für so genannte Denkblockaden liefern. Werden Lernende in eine angstbesetzte Leistungssituation durch Lehrende versetzt, so wird vom Hypothamalus über den Sympathikusnerv die Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Fluchthormonen angeregt. Diese Fluchthormone gelangen über die Blutbahn in das ZNS und blockieren genau diejenigen Synapsen, die die Lernenden eigentlich für die geforderte Denkleistung benötigen. Nur die Steuerung der Motorik funktioniert noch (Fluchtsyndrom). Die Lernenden können die erwartete Leistung nicht erbringen – sie könnten lediglich den Klas-

164

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

senraum fluchtartig verlassen (vgl. Hüholdt, 1990, S.158). Diese Erkenntnisse sollten helfen, Handlungsmaxime für Lehrende zur Gestaltung einer erfolgsversprechenden Vermittlungssituation für den individuellen Wissenserwerb abzuleiten.

12.2.10

Fazit

Anhand der erläuterten Begründungszusammenhänge kann die eigentliche Bedeutung der Mathetik gezeigt werden. In dem sie die Organisation von Lernprozessen in der Verantwortung des Lehrenden in gleichem Ausmaß wie die Situation der Lernenden als Individuen berücksichtigt, eröffnen ihre Konzepte einen wesentlich kontextsensitiveren Zugang zu Wissenserwerb und –vermittlung als die Anwendung einschlägiger Didaktiken. Die Prinzipien der Mathetik werden somit die Prinzipien der objektiven Didaktik im Sinne reformpädagogischer Bemühungen ablösen.

12.3

Die Mathetik im Kontext von Bildungszielen

Der Zusammenhang von Didaktik als vertikalem Lerntransfer und Mathetik als horizontalem Lerntransfer wird von Weinert wie folgt dargestellt: Er argumentiert, dass eine hohe Qualität von Lehr- und Lernprozessen unter den Bedingungen von lebenslangem Lernen oder ähnlichen Faktoren in unmittelbarem Zusammenhang mit verschiedenen Bildungszielen steht. Um daher die gesellschaftliche Bedeutung lernendenzentrierte Vermittlung zu betonen, wollen wir uns die vier Bildungsziele Weinerts näher ansehen (Weinert, 2000, S.5f). Es sind dies der Erwerb ‚intelligenten’ Wissens, der Erwerb anwendungsfähigen Wissens, der Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen sowie der Erwerb von Lernkompetenz.

12.3.1

Erwerb sinnhaften Wissens

Der Erwerb intelligenten Wissens erfordert vertikalen Lerntransfer und enthält die Anschlussfähigkeit für lebenslanges Lernen. Dies wird begünstigt durch von Lehrenden gesteuerten, aber an den Lernenden orientierten Unterricht. Priorität misst der Verfasser allerdings dem Erwerb intelligenten Wissens bei. Dazu führt Weinert aus, dass intelligentes Wissen sich dadurch auszeichnet, dass es nicht nur materiales Wissen, sondern darüber hinaus auch flexibel nutzbare Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie metakognitive Kompetenzen umfasst: „Intelligentes Wissen zu besitzen heißt also, ein Wissen besitzen, das bedeutungshaltig und sinnhaft ist. Gut verstandenes Wissen ist ein Wissen, dass nicht ´eingekapselt` ist, nicht tot im Gedächtnis liegt, nicht ‚verlötet’ ist, mit der Situation in der es erworben wurde, sondern das lebendig, flexibel nutzbar, eben intelligent ist.“ (Weinert, 2000, S.5) Weinert führt dazu weiter aus, dass anschlussfähiges, intelligentes Wissen in systematischer Weise erworben werden muss. Dies bedarf einer Unterrichtsmethode, die sowohl durch die

12.3 Die Mathetik im Kontext von Bildungszielen

165

Lehrerenden gesteuert wird, als auch die Lernenden ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Weinert argumentiert an dieser Stelle, dass es nicht in die Beliebigkeit der einzelnen Lernenden gestellt sein kann, dieses Wissen zu erwerben. Es bedarf daher der Verantwortlichkeit der Lehrenden.

12.3.2

Erwerb anwendungsfähigen Wissens

Der Erwerb anwendungsfähigen Wissens durch situationsspezifische Erfahrungen erfordert horizontalen Lerntransfer und wird durch situationsspezifisches Lernen begünstigt. Dies wird durch Projektunterricht erleichtert. Der Anspruch auf Erwerb von anwendungsfähigem Wissen impliziert allerdings den Widerspruch zwischen der Ausbildung von systematischem Wissen einerseits und situationsbezogenem, anwendungszentriertem Wissen andererseits. Der Verfasser unterstreicht dabei die Bedeutung beider Aspekte und spricht sich für eine Ergänzung von durch Lehrende gesteuerten Unterricht durch projektiertes Arbeiten an sinnvollen, komplexen und transdisziplinären Problemen aus. (Weinert, 2000, S.7)

12.3.3

Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen

Der Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen erlaubt die vielfältige und flexible Nutzung wichtiger Kompetenzen, und zwar konkreter wie abstrakter Kompetenzen. Dies erfordert vertikalen und horizontalen Lerntransfer und wird durch Kombination von durch Lehrende gesteuerten als auch durch Lernende gesteuerte Vermittlung begünstigt. Damit stellt Weinert die Frage nach methodischem Wissen, Kenntnissen und Fertigkeiten, die in unterschiedlichen Tätigkeiten anwendbar sein können. Diese Schlüsselqualifikationen unterteilt er in konkrete und abstrakte Schlüsselqualifikationen: Konkrete Schlüsselqualifikationen bezieht er auf die sprachlichen Möglichkeiten der Lernenden wie Ausdruck oder Fremdsprachen sowie auf Medienkompetenz. Als abstrakte Schlüsselqualifikationen kategorisiert Weinert in Anlehnung an die OECD persönliche Merkmale, wie beispielsweise Autonomie und Selbstmanagement. (Weinert, 2000, S.8)

12.3.4

Erwerb von Lernkompetenz

Der Erwerb von Lernkompetenz, d.h. Lernen lernen, erfordert Expertise über das eigene Lernen und wird begünstigt durch lateralen Lerntransfer. Dieser wird gefördert durch angeleitetes und selbstständiges Lernen sowie die Reflexion über erfolgreiche Lernprozesse. Mit Blick auf die Anforderungen des lebenslangen Lernens unterstreicht Weinert somit die Bedeutung der Lernkompetenz von Lernenden. Lernende müssten dabei zu ExpertInnen ihrer eigenen Lernprozesse werden und eigenes Lernen planen, Lerngegenstände strukturieren und den eigenen Lernprozess überwachen und evaluieren lernen (Weinert, 2000, S.9).

166

12.3.5

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

Komplementarität von vertikalem und horizontalem Lerntransfer

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Weinert mit seinen Bildungszielen sowohl eine didaktische Dimension aufzeigt (vertikaler Lerntransfer) als auch eine Sichtweise andeutet, die mathetisch orientiert ist (horizontaler Lerntransfer). Dabei flankieren die genannten Bildungsziele hinsichtlich Schlüsselqualifikationen und Lernkompetenz den vertikalen und horizontalen Lerntransfer auf der Ebene formaler Bildung. Deutlich wird dabei, dass sich vertikaler und horizontaler Lerntransfer ergänzen müssen, da diese beiden Bildungsziele nur in ihrer Summe sowohl für systematisch strukturiertes als auch anwendungsfähiges Wissen stehen. Darüber hinaus sind die Bildungsziele betreffend Schlüsselqualifikationen und Lernkompetenz in direkter Weise auf eine Verschränkung von vertikalem und horizontalem Lerntransfer bezogen: Schlüsselqualifikationen werden unter dieser Perspektive als konkrete und abstrakte Qualifikationen betrachtet, die bei Lernprozessen als Nebenprodukte entstehen. Metakognitive Kompetenzen der Lernenden über eigenes Lernen rückt Weinert ebenso als lateralen Lerntransfer in den Fokus.

12.4

Mathetikgeleitetes Handeln

Wie bereits erwähnt, stellt die Mathetik die Organisation von Lernprozessen in der Verantwortung des Lehrenden in gleichem Ausmaß wie die Situation der Lernenden als Individuen in den Mittelpunkt von Wissenskonstruktion. Dieser integrativen Sicht müssen Prinzipien der Mathetik im Sinne reformpädagogischer Bemühungen genügen. Daher widmen wir uns in diesem Abschnitt der Entwicklung von mathetischen Prinzipien, die Wissensvermittlungsund –erwerbshandlungen leiten sollten. Ausgehend von der Praxis selbst organisierten Lernens stellen wir den situierten Lernansatz vor, da sich die Lernenden im Zentrum der Mathetik befinden. Ihr Handlungsrepertoire und ihre Verhaltensformen müssen integraler Bestandteil des Handlungsspielraums von Lehrenden werden – ein Thema, das im Mittelpunkt von brain-based learning and teaching steht, und daher die oben angesprochene integrative Sicht operationalisieren lässt.

12.4.1

Die Praxis von selbst organisiertem Lernen

Die Selbstorganisation stellt ein zentrales Element der Mathetik dar. Sie basiert auf unterschiedlichen Strategien: kognitive Strategien, Wiederholungs- und metakognitive Strategien sowie ressourcenbezogene Strategien.

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln

167

Organisieren

Elaborieren

Wiederholen

Kritisches Denken

Abb. 12.5: Kognitive Lernstrategien

Unter die Kategorie „Organisationsstrategien“ fallen alle Lernaktivitäten, die geeignet sind, die vorliegende Information in eine leicht zu verarbeitende Form zu transformieren. Typische Formen der Stofforganisation sind: • • • • •

Identifizieren wichtiger Fakten und Argumentationslinien, Kennzeichnen wichtiger Textstellen, Zusammenstellen von Fachausdrücken und Definitionen in eigenen „Merklisten“, Erstellen von Zusammenfassungen und Gliederungen, Anfertigen von Tabellen, Diagrammen und Skizzen, um den Stoff in einer geeignet strukturierten Form vorliegen zu haben.

Mit dem Begriff der Elaborationsstrategien werden solche Lerntätigkeiten bezeichnet, die dazu geeignet sind, das neu aufgenommene Wissen in die bestehende Wissensstruktur zu integrieren. Elaborationsstrategien umfassen u.a: • Bildung von Analogien zu bereits bekannten Zusammenhängen und vorhandenen Wissensstrukturen, • Verknüpfung des neu gelernten Materials mit Alltagsbeispielen sowie persönlichen Erlebnissen, • Herstellen von Beziehungen zwischen neuem Wissen und den Inhalten verwandter Fächer bzw. Lehrveranstaltungen, • Ausdenken von konkreten Beispielen, • Überlegungen zu praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Eng verwandt mit den oben aufgeführten Elaborationsstrategien sind solche Lerntätigkeiten, die das Verständnis für den Stoff durch ein kritisches Prüfen von Aussagen und Begründungszusammenhängen vertiefen. Dies geschieht etwa durch: • Prüfung der Schlüssigkeit textimmanenter Argumentationsketten,

168

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

• Prüfen, ob die in einem Text, z.B. einer Mitschrift, dargestellten Theorien, Interpretationen oder Schlussfolgerungen ausreichend belegt und begründet sind, • Nachdenken über Alternativen zu den vorgestellten Behauptungen oder Schlussfolgerungen, • Vergleich verschiedener theoretischer Konzeptionen oder Ansätze. Den Wiederholungsstrategien sind solche Lerntätigkeiten zugeordnet, bei denen die Lernenden versuchen durch das einfache Wiederholen einzelner Fakten eine feste Verankerung im Langzeitgedächtnis zu erreichen. Memorierungstätigkeiten beziehen sich nicht nur auf das Einprägen isolierter Fakten, sondern können – je nach Fachgebiet – auch das Einprägen von Zusammenhängen und Regeln zum Gegenstand haben. Zu den Wiederholungsstrategien zählen beispielsweise: • wiederholte Durcharbeitung von Wortlisten, • eigene Aufzeichnungen mehrmals nacheinander durchlesen, • Schlüsselbegriffe auswendig lernen, um sich in einer Prüfung besser an wichtige Inhaltsbereiche erinnern zu können, • einen Text durchlesen und sich anschließend auswendig vorsagen. Metakognitive Strategien Metakognitive Lernstrategien können unterschiedlich ausgerichtet sein, und zwar auf: • Planung von Lernschritten durch Lernende, • Prüfung des erreichten Lernfortschritts anhand der formulierten Lernziele durch aktive Selbstüberwachungstätigkeiten („self-monitoring“), • flexible Ausrichtung des eigenen Lernverhaltens am Ergebnis dieser Vergleiche.

Lernschritte planen

Lernschritte regulieren

Lernschritte überwachen

Abb. 12.6: Metakognitive Lernstrategien

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln

169

Die Planungskomponente metakognitiver Strategien umfasst Aktivitäten zur Planung und inhaltlichen Vorbereitung konkreter Lernphasen. Lernende mit einer intensiven Lernplanung überlegen sich vor dem Lernen eines Stoffgebiets, • welche Teile eines bestimmten Themengebiets relevant sind und welche nicht, • wie weit sie in einem bestimmten Zeitabschnitt mit der Durcharbeitung des Stoffs kommen möchten, • in welcher Reihenfolge sie den Stoff durcharbeiten sollten, • wie sie am effektivsten vorgehen können, um sich mit dem Lernstoff vertraut zu machen und auseinander zu setzen. Die Überwachungskomponente der metakognitiven Lernstrategien umfasst Aktivitäten zur Kontrolle des eigenen Lernprozesses anhand eines gezielten Soll-Ist-Vergleichs, d.h. eines Vergleichs von gesteckten Zielen und erreichtem Lernfortschritt. Lernende mit einer intensiven Selbstüberwachung ihres Lernerfolges • stellen sich Fragen zum Stoff, um sicherzugehen, dass sie auch alles verstanden haben, • bearbeiten zusätzliche Aufgaben, um festzustellen, ob sie den Stoff wirklich verstanden haben, • rekapitulieren die wichtigsten Inhalte ohne ihre Unterlagen zu Hilfe zu nehmen, • erklären bestimmte Teile des Lernstoffs StudienkollegInnen um ihr eigenes Verständnis zu überprüfen. Die Regulierungskomponente der metakognitiven Lernstrategien bezieht sich auf Verhaltensänderungen, die sich aus der Selbstdiagnose von Lernschwierigkeiten ergeben. Hierzu gehören etwa • das wiederholte, langsamere Durcharbeiten von Inhalten, die den Lernenden beim ersten Lerndurchgang unklar geblieben sind sowie • die Anpassung der Lerntechnik an die höheren Anforderungen. Ressourcenbezogene Strategien Die ressourcenbezogene Lernstrategien beziehen sich auf die Lernenden zur Verfügung stehenden Mittel: Das „eigentliche“ Lernen kann nur dann optimal stattfinden, wenn Lernende die für das Lernen notwendigen inneren und äußeren Ressourcen hinreichend aktivieren können. Der Bereich der als ressourcenbezogene Strategien (bzw. Sekundärstrategien) bezeichneten Aktivitäten kann prinzipiell sehr weit gefasst werden, beinhaltet aber vor allem Maßnahmen, die sich auf die eigene Anstrengung, Aufmerksamkeit und investierte Zeit sowie auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Zusammenarbeit mit anderen Lernenden und die Nutzung von Informationsmaterialien beziehen.

170

12 Mathetik – die Lehre vom Lernen Externe Ressourcen

Anstrengung Lernumgebung & Arbeitsplatz Aufmerksamkeit Lernen mit LernkollegInnen Zeitmanagement Nutzen zusätzlicher Literatur Interne Ressourcen

Abb. 12.7: Strategien zur Nutzung interner und externer Ressourcen

Zu den internen Ressourcen sind die Anstrengung, die Aufmerksamkeit sowie das Zeitmanagement zu rechnen, während sich externe Ressourcen aus der Lernumgebung, dem Arbeitsplatz sowie dem Lernen mit LernkollegInnen und dem Nutzen zusätzlicher Literatur zusammensetzen. Die Anstrengung, die Individuen zur Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe aufbringen, ist keine feste Größe, sondern kann durch veränderte innere oder äußere motivationale Bedingungen erheblich schwanken. Lernende müssen jedoch in der Lage sein, die eigene Anstrengungsbereitschaft „von innen heraus“ auch und eben dann zu beeinflussen, wenn sie sich mit schwierigen Themen oder ihnen wenig interessant erscheinenden Inhalten auseinandersetzen sollen. Lernende, die vermehrte Anstrengungen in Kauf nehmen, um selbst oder fremd gesetzte Studien- und Lernziele zu erreichen, zeichnen sich etwa dadurch aus, dass sie sich auch dann anstrengen, wenn ihnen der Stoff überhaupt nicht liegt und nicht aufgeben, auch wenn der Stoff sehr schwierig oder komplex ist. Sie sind darüber hinaus bereit bei Bedarf auch spätabends und am Wochenende lernen und so lange zu arbeiten, bis sie sicher sind, die Prüfung gut zu bestehen oder den Stoff verstanden zu haben. Mangelnde Aufmerksamkeit und Konzentration stellen ein erhebliches Problem für Lernen und Denken dar. Auch hier können Lernende bis zu einem gewissen Ausmaß Einfluss nehmen. Eine hohe Aufmerksamkeit zeigt sich daran, dass die Lernenden selten mit den Gedanken abschweifen und daher beim Lernen über lange Phasen hinweg konzentriert bleiben. Zeit ist auch bei größter Anstrengungsbereitschaft nicht unbegrenzt verfügbar, kann aber durch eine gute Zeitplanung und -kontrolle effektiver für das eigene Lernen eingeteilt werden. Lernende mit einem bewussten Zeitmanagement legen bestimmte Zeiten fest, zu denen sie dann lernen. Sie beginnen so frühzeitig mit dem Lernen, dass sie vor Prüfungen nicht in Zeitnot geraten.

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln

171

Studierende können ihr Lernen unterstützen, indem sie sich eine für sie geeignete äußere Lernumgebung schaffen oder suchen. In der Regel ist es von Vorteil, wenn sie sich einen Platz suchen, an dem sie sich gut auf den Stoff konzentrieren können und möglichst wenig vom Lernen abgelenkt werden. Sie sollten ihren Arbeitsplatz so gestalten, dass sie alles Notwendige schnell finden können. Insbesondere während des Lernens besteht für alle Lernenden eine wichtige Aufgabe darin, sich notwendige oder hilfreiche Informationsquellen zu erschließen und zugänglich zu machen. Beispiele sind etwa grundlegende oder weiterführende Literatur (u.a. Bücher, Fachzeitschriften), Wörterbücher, Lexika und andere Nachschlagewerke sowie elektronische Informationsmedien (z.B. Datenbanken, CD-ROM- oder online Recherchen).

12.4.2

Situiertes Lernen

Das Situierte Lernen ist eine Lernform, die die Umsetzung reformpädagogischer Ansätze erleichtert. Sie muss neben dem selbst organisierten Lernen als Kernelement der Mathetik betrachtet werden. Merkmale Diese Lernform zeichnet sich aus durch: • Komplexe Ausgangsprobleme: Das zu bearbeitende Eingangsproblem sollte so komplex sein, dass es die Lernenden motiviert, sich intensiver mit ihm auseinander zu setzen und sich relevantes Wissen zu erarbeiten. Von komplexen Ausgangsproblemen, aber nicht von einfach und gut strukturierten (!) wird erwartet, dass sie als interessant empfunden werden und eine intrinsische Lernmotivation fördern. • Authentizität: Die Problemstellung soll von den Lernenden als realistisch, authentisch und lebensnah wahrgenommen werden. • Multiple Perspektiven: Eine wichtige Grundlage für situiertes Lernen bietet die Verfügbarkeit multipler Kontexte und Perspektiven. Indem Lernende ermuntert werden, etwa ein neu erkanntes physikalisches Prinzip auf mehrere, leicht variierende Fragestellungen oder unter unterschiedliche Zielsetzungen hin anzuwenden, lernen sie ihr Wissen flexibel anzuwenden und Beziehungsstrukturen zu elaborieren. • Artikulation und Reflexion: Damit neues Wissen nicht an den Anwendungskontext gebunden bleibt, in dem es erworben wurde, sollen Lernende wie Lehrende die eigenen Denkprozesse verbalisieren und mit den von ihren InteraktionspartnerInnen artikulierten Ideen und Vorstellungen vergleichen. Kooperationen zwischen Lehrenden und Lernenden geben letzteren vor allem die Gelegenheit, Denkmuster, Expertenkniffe und Konventionen kennen zu lernen, die in einer ExpertInnenenkultur vorherrschen. Insgesamt soll durch Artikulation und Reflexion die Abstrahierung des Wissens von konkreten Situationsbezügen gefördert werden. Sozialen Interaktionen zwischen Lernenden sowie zwischen Lehrenden und Lernenden wird aus zwei Gründen eine hohe Bedeutung zugemessen. Zum einen soll das gemeinsame Arbei-

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12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

ten Studierende anregen, ein Problem aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zum anderen, damit die flexible Anwendung des Wissens fördern (vgl. Berendt et al., 2002). Effektive Selbstorganisation Wir können somit folgende Arbeitsdefinition von Selbstorganisation im Kontext von Wissenserwerb geben: Selbst organisiertes Lernen ist eine Idealvorstellung, die verstärkte Selbstbestimmung der Lernziele, der Zeit, des Ortes, der Lerninhalte, der Lernmethoden und Lernpartner sowie vermehrter Selbstbewertung des Lernerfolgs beinhaltet. Die Determinanten des Lernprozesses werden von den Lernenden selbst bestimmt. Sie regeln ihre inneren und äußeren Lernaktivitäten eigenständig im Sinn eines bewussten, planmäßigen, intendierten Lernens. Vier Komponenten sind zur Selbstorganisation des Lernens erforderlich: 1. 2. 3. 4.

Lernziele, Operationen und Strategien der Informationsverarbeitung, Zielorientierte Kontrollprozesse (Vergleich, Bewertung, Auswertung und Rückmeldung), Offenheitsgrad der Lernumwelt.

Das Ausmaß, in dem diese Komponenten durch die Lernenden beeinflussbar sind, bedingt ihre Möglichkeiten zum selbst organisierten Lernen. Der Selbstorganisierungsgrad ist abhängig von den individuellen Organisierungsfähigkeiten, den Lernkompetenzen und der Bereitschaft zum selbst organisierten Lernen, der Lernmotivation. Offene Lern(um)welten Effektives selbst organisiertes Lernen erfordert eine „offene“ Lernumwelt, die in die drei Aspekte Lernorganisation, materielle Lernumwelt und personale Lernumwelt gegliedert werden kann. Die Lernorganisation betrifft den flexiblen Zeitplan, die flexible Raumnutzung, ein Minimum an Frontalunterricht, flexible Lerngruppenbildung, flexible Schwerpunktsetzung bei Lerninhalten, individuelle Planung der Vorgehensweise und die Nutzung von externen Lernquellen. Die materiale Lernumwelt sollte anregende Lernmaterialien enthalten, die zum Experimentieren und zu einem aktiven Umgehen mit der Lernumwelt einladen. Ein Teil dieser Umwelt kann der Lernquellenpool – ein hoch strukturiertes System von Lernressourcen wie Bücher, Artikel, Materialien, Lernprogramme etc. – sein. In der personalen Lernumwelt machen fördernd Lehrende das Lernen. Sie teilen mit den Lernenden die Verantwortung für den Lernprozess. Dabei sind sie beratend, helfend und organisationsunterstützend tätig, regen Lernprozesse an und bieten Hilfsmittel – einschließlich der eigenen Person – an. Dazu zählen: • verständnisvolles und akzeptierendes Verhalten, • angstfreies, sanktionsfreies Klima, • emotional echte Grundhaltung,

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln • • • • • • •

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modellhaftes Vorleben der Grundwerte des selbst organisierten Lernens, Anregung von Initiative, Engagement und Partizipation, Förderung eigenverantwortlichen Handelns, methodisch-didaktische Aspekte zum Lerninhalt machen, kein „laissez-faire-Stil“, sondern situatives Führen, offene Kommunikation, Förderung der Kreativität.

Lernende gleichen einander kaum. Dies bedeutet Lernende besitzen unterschiedliche Lerngewohnheiten, -techniken und -strategien. Ebenso variieren Lerngeschwindigkeit und Aufnahmefähigkeit. Eine Individualisierung kann beispielsweise durch Variation der Lernziele, der Lehrmethoden, der Lernhilfen, des Lernmaterials und der Lernzeit erreicht werden. Die Aufgaben der Lehrenden sind vielfältig: • Diagnostische Aufgabe: Die Lernkompetenz und den Lernstand der Lernenden einschätzen. • Prognostische Aufgabe: Programme für die weitere Entwicklung der Lernenden anbieten. • Arrangierende Aufgabe: über individuelle Lernkontrakte und -arrangements verhandeln. • Kontaktvermittelnde Aufgabe: Kontakte im Lernfeld herstellen. • Beratende Aufgabe: LernberaterIn in allen lernrelevanten Fragen sein. Lern-Spielräume Die Lernenden übernehmen immer mehr Aufgaben der Lehrenden in klassischen LehrLernkonzepten. Sie sollen befähigt werden, ihre Lernbedürfnisse, Ansichten und Vorstellungen wahrzunehmen, zu reflektieren, gegenüber den Lehrenden zu vertreten und im Gespräch mit ihnen einzubringen. Der Lerntätigkeitsspielraum bezeichnet die Möglichkeit zur Ausführung unterschiedlicher Tätigkeitsvollzüge im Lernbereich. Seine Vergrößerung kann bewirken, dass eine größere Anzahl von Lernfähigkeiten und -techniken beansprucht und in ihrer Entwicklung gefördert werden. Der Lernentscheidungs- und -kontrollspielraum wird als die Möglichkeit definiert, an Lernplanungs- und -prüfprozessen teilzunehmen bzw. diese selbstverantwortlich zu vollziehen. Der Lernkooperationsspielraum bezeichnet die Möglichkeiten zur sozialen Interaktion in Verbindung mit der Bewältigung der Lernaufgabe. Dies betrifft vor allem die Kommunikationsmöglichkeiten in der Lernsituation. Es ist davon auszugehen, dass durch Synergieeffekte im Lernspielraum eine höhere Lernzufriedenheit und ebensolche Lernmotivation erreicht werden. Arbeitsgestaltung Eine Arbeitsplanung stellt einen ideellen Entwurf dar, den ersten Schritt in einem Arbeitsprozess zu setzen, mit dessen Hilfe Arbeitsabläufe geistig antizipiert und beschrieben wer-

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12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

den, um ein bestimmtes Handlungsziel zu erreichen. Diese Planung muss in ihrer Ausführung jedoch offen und flexibel gehandhabt werden. Dabei orientieren sich die handelnden Personen an den Erfordernissen der konkreten Situation und verändern gegebenenfalls den Planungsentwurf. Die situativ und personell variierenden Voraussetzungen führen zu jeweils spezifischen Ausgangssituationen bei der Planung und Bewältigung von Arbeitsaufgaben. Dabei lassen sich im Bereich der Planung zwei Extreme beschreiben: der sich wiederholende bekannte Routineweg und der unbekannte offene Weg zum Ziel, zum Handlungsergebnis. Jede Person/jede Gruppe bringt unterschiedliche Voraussetzungen in ein Arbeitsvorhaben ein und entwickelt ihren eigenen Weg eine Aufgabenstellung zu lösen, d.h. eigene Prioritäten, Gewohnheiten, Lern- und Arbeitserfahrungen. Dabei gibt es unterschiedliche Wege der Planung wie auch der Bearbeitung einer Aufgabe, die dennoch zu dem(selben) erwünschten Ergebnis führen. Ausgangspunkt für das Herangehen an eine Arbeitsplanung ist ein selbst- bzw. fremdbestimmtes Handlungsziel. Dieses Handlungsziel muss eindeutig eingegrenzt und klar formuliert sein. Es ist unbedingt erforderlich, vor der Entwicklung eines Planungsvorhabens im Rahmen eines „contracting“ mit den Lehrenden die Inhalte eines Handlungsziels sowie insbesondere Mittel und Ressourcen detailliert abzuklären, um damit im Vorfeld Missverständnisse und Fehlorientierungen zu vermeiden. Im Anschluss an die Klärung und Bestimmung des Handlungsziels erfolgt eine „Bestandsaufnahme“. Diese umfasst und klärt die Bereitschaft (das Wollen) der Person bzw. der Gruppe sich auf die neue Aufgabe einzulassen und diese als Herausforderung anzunehmen. Darüber hinaus bezieht sie sich auf die Entscheidungskompetenzen (das Dürfen) der Person bzw. der Gruppe sowie auf die für das Herangehen und die Lösung der Aufgabenstellung erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten (das Können). Folgende Fragen stellen sich hierzu für Lernende: • Was will ich? Wie ist meine innere Einstellung gegenüber dieser Aufgabe? Bereitet sie mir Unmut oder Interesse und die Bereitschaft, Neues zu entdecken und zu lernen? • Wo vermute ich Schwierigkeiten und Probleme? Sind diese wirkliche oder konstruierte? Welche Möglichkeiten habe ich, sie aus meinem eigenen Vermögen heraus zu lösen? Wo erlebe ich Begrenzungen durch äußere Bedingungen? • Welche Entscheidungs- und Handlungsspielräume stehen mir bei der Lösung der Aufgabe zur Verfügung? • Wie viel Zeit habe ich, wie teile ich sie mir und meiner Arbeitsweise entsprechend am günstigsten ein? • Welche Änderungen meiner Arbeitsumgebung muss oder darf ich vornehmen, um günstige Voraussetzungen für die effektive Lösung der Aufgabe zu schaffen? • Auf welche Erfahrungen, Kenntnisse kann ich bei der Bewältigung dieser konkreten Aufgabe zurückgreifen? • Welche Kenntnisse, Fähigkeiten, Kompetenzen und Fertigkeiten muss ich mir zusätzlich aneignen? Wie kann ich das tun? • Wo kann ich mir erforderliche Informationen einholen?

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln

175

• An welche Person(en) kann ich mich wenden um mein Vorgehen und meine Erfahrungen auszutauschen? • Welche Hilfsmittel stehen mir zur Lösung der Aufgabe zur Verfügung? Woher bekomme ich die, die mir fehlen? • Was weiß ich nicht, kann mir aber selbst aneignen? • Wie gehe ich methodisch vor? • Welche weitere Frage ist für mich ungeklärt? Systematisierung Entscheidend ist nun die Systematisierung des Vorgehens. Die Information, die sich aus der Bestandsaufnahme ergibt, lässt sich gedanklich systematisieren, und zwar zunächst für den/die Lernende/n selbst, und dann für die Gruppe. Für die eigene Planung bezogen sind folgende Frage zielführend: • • • • • • •

In welchen Arbeitsschritten will ich vorgehen? Auf welche Art und Weise gehe ich vor? Welche Hilfsmittel brauche ich dazu? Wie viel Zeit brauche ich? Für die Planung der Gruppe sind wichtig: In welchen Arbeitsschritten wollen wir vorgehen? Wer stellt welche Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen zur Verfügung? • Wie verteilen wir die Arbeit gleichwertig? • Welche Arbeitsteilung nehmen wir vor? • Wie gehen wir methodisch vor? Durch Anwendung dieser Struktur werden die einzelnen Arbeits- und Lernschritte für die Bewältigung der konkreten Arbeitsaufgabe geistig vorweggenommen, logisch geordnet und schriftlich fixiert. Inhaltlich werden Prioritäten formuliert und gesetzt sowie der Arbeitsablauf unter Einbeziehung von Vorbereitungs-, Arbeits- und Pufferzeiten ergebnisbezogen strukturiert. Darüber hinaus werden die für einen reibungslosen Arbeitsablauf erforderlichen Werkzeuge und Hilfsmittel aufgelistet, der Arbeitsplatz und die -umgebung erkundet (vgl. Greif et al., 1993).

12.4.3

Brain-based learning and teaching

Die bisherigen Überlegungen zur Mathetik (Didaktik) können mittels der 12 Prinzipien des „brain-based learning and teaching“ von Arnold (2002) systemisch zusammengefasst werden. „Es geht darum, herauszufinden, wie das, was gelernt wird, mit dem verknüpft werden kann, was der Lernende schon weiß, und die Erfahrungen und Informationen verbunden werden können. Die wichtigste Aufgabe des Gehirns ist es, durch das Finden von gemeinsamen Strukturen und Beziehungen, sinnvolle Verbindungen zwischen vorherigen Erfahrungen und neuen Informationen herzustellen. Die Aufgabe eines

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12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

Lehrers ist es folglich, dabei Hilfestellung zu geben. Die wesentlichen Kriterien für ‚brain-based learning and teaching’ sind damit: – –

Sinnvolles Lernen (‚meaningful learning’), Einbeziehung der Erfahrung des Schülers (‚capitalising on experience’).

Da ein Schüler ständig damit beschäftigt ist, Verbindungen auf vielerlei Ebenen zu suchen und herzustellen, ist es die primäre Aufgabe des Lehrers, die Erfahrungen, die der Schüler als Verständnishilfen benutzt, zu modellieren, zu orchestrieren (‚ochestrate the experiences’).“ (Arnold, 2002, S.108) 1. Prinzip: Der Mensch als wachsender, lernender Organismus interagiert mit der Umwelt auf kognitiver, emotionaler und physiologischer Ebene. Dieser Wachstumsprozess (Lernprozess) kann nicht von außen gesteuert, sondern nur durch Perturbation beeinflusst werden. Lernen und Handeln basieren auf der individuellen Konstruktion von Sinnhaftigkeit (vgl. Arnold, 2002, S.109ff). 2. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus ist auf soziale Interaktion angewiesen. Interaktion (Kommunikation) kann als ein biologisch bedingter Prozess betrachtet werden, der sich im Spannungsfeld von internem (viablem, nichtviablem) Modell und Außenwelt vollzieht. Unterrichtswissenschaftliche Kompetenz von Lehrenden ist demnach durch didaktisch begründete Forderung und mathetisch begründete Förderung gekennzeichnet (vgl. Arnold, 2002, S.111ff). 3. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus ist ständig auf der Suche nach Sinn, nach sinnhaften Konstrukten, die das Überleben in einem umfassenden Sinn sichern sollen. Die Konstruktion von Sinn erfolgt individuell. Aufgabe der Lehrenden ist es daher ein didaktisch/mathetisch anspruchsvolles Umfeld zu schaffen, in dem die Lernenden ihrem angeborenen Drang nach Sinnsuche nachgehen können (vgl. Arnold, 2002, S.112ff). 4. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus bildet (besitzt) neuronale Muster als sinnstiftende kategoriale Konstruktionen. „Meaningful Learning“ bedeutet, den multisensorischen Input einer vielseitigen Lernumwelt auf grundlegende Muster zurückzuführen. Es gilt: Reduktion von Komplexität durch Produktion metakognitiver Kompetenzen, intelligenten Wissens (vgl. Arnold, 2002, S.113ff). 5. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus konstruiert übergeordnete Muster im kognitiv-emotionalen Interferenzprozess. Erfolgreiches Verstehen und nachhaltiges Lernen beinhalten daher den Aufbau einer emotionalen Beziehung zum Lerngegenstand („felt meaning“) (vgl. Arnold, 2002, S.115f). 6. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus ist in seiner strukturellen Kopplung mit der Umwelt konstruktiv tätig. Dieser Konstruktionsprozess ist durch die Parallelität von Ganzheit und Detailanalyse im Wahrnehmungs- und Verarbeitungsbereich geprägt. „Brain-based learning and teaching“ führt daher zu der Forderung nach einem vernetzten Lehr- und Lernangebot (vgl. Arnold, 2002, S.116f). 7. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus konstruiert den primären Lerninhalt eingebettet in ein sekundäres Sensorfeld. Dieses Sekundärfeld darf in seiner Einflussnahme

12.4 Mathetikgeleitetes Handeln

177

auf kognitive (primäre) Prozesse nicht unterschätzt werden. Hier gilt die Forderung nach Schaffung eines positiven Lernklimas (vgl. Arnold, 2002, S.117f). 8. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus konstruiert Sinn emergent innerhalb kognitiver Netzwerke. Emergenzprozesse wie zum Beispiel „Aha-Erlebnisse“ verlaufen auf der Zeitschiene und teilweise unbewusst, d.h. sie können in Lehr- und Lernsituationen häufig nur angestoßen werden (vgl. Arnold, 2002, S.118ff). 9. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus verfügt über zwei unterschiedliche Speichersysteme: • •

Das „taxon memory system“ ist auf Fakten – und nicht auf Strukturspeicherung ausgelegt und durch Übung und Rekapitulation gekennzeichnet. Das „local memory system“ ist auf vernetzte Speicherung ausgerichtet – Speicherung und Verarbeitung erfolgen in Erlebenskontexten. Lehr- und Lernsituationen sollten so angelegt werden, dass beide System synergetisch zusammengeführt werden (vgl. Arnold, 2002, S.120ff).

10. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus entwickelt aufgrund der Plastizität des Gehirns permanent neue, größere und leistungsfähigere neuronale Netzwerke. Neben einer anregenden Lernumgebung (horizontaler Lerntransfer) spielt die Eigenerfahrung der Lehrperson (vertikaler Lerntransfer) eine ebenso wichtige Rolle im Entwicklungsprozess von neuronalen Netzwerken (vgl. Arnold, 2002, S.122f). 11. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus kann durch hohe Herausforderungen („high challenge“) in einem positiven Lernklima zu optimalen Lernleistungen gelangen. Wichtig für die Lernenden ist hierbei die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und damit wächst das Selbstvertrauen. Negativ emotional besetzte Lehr- und Lernsituationen führen hingegen zur Reduktion von Selbstvertrauen („downshifting“) (vgl. Arnold, 2002, S.123126). 12. Prinzip: Der Mensch als lernender Organismus ist aufgrund zufälliger Wechselwirkungen zwischen der genetisch bedingten Netzwerkvorstruktur und der Vielfältigkeit des sensorischen Inputs ein einmaliges Konstrukt. Durch Beobachtung zweiter Ordnung (Analyse metakognitiver Strukturen) / Dekonstruktion (Herauslösen aus dem Ursprungszusammenhang) können Lehrende individuelle Lernwege der Lernenden ermöglichen (vgl. Arnold, 2002, S.126f). Auch Friedrich und Preiß haben zehn „Lehren“ aus der Neurowissenschaft für die Didaktik/Mathetik entwickelt (vgl. Friedrich et al., 2003), die wir in der Folge zusammenfassen wollen. Der hohe Grad der neuronalen Vernetzung – jedes Neuron kann im Prinzip mit jedem anderen Neuron kommunizieren – kann als Argument für eine ganzheitliche Erziehung und Bildung herangezogen werden. Die Plastizität des Zentralnervensystems (ZNS) liefert eine direkte Argumentation für lebenslanges Lernen. Passivität des ZNS führt zu Abbau von Vernetzung, Aktivität führt zu Aufbau von Vernetzung.

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12 Mathetik – die Lehre vom Lernen

Der mathetische Zugang zum Lernen fordert die Konzentration auf einen Lernkomplex, denn die Aktivität in einem neuronalen Netzwerk hemmt die Aktivität in anderen Netzwerken. Das emotionale Umfeld von Lernsituationen wird parallel zu den kognitiven Inhalten mitgespeichert und bei der Reproduktion des Gelernten wieder mitgeliefert. Das Wissen um diesen Sachverhalt sollte entsprechend große Berücksichtigung im Rahmen aller Lehr- und Lernsituationen bekommen. Somit liefert die Mathetik den konzeptionellen Rahmen, um zum einen reformpädagogische Ansätze strukturiert zu repräsentieren und zum anderen, den Übergang der objektiven Didaktik zu einer reformpädagogischen Didaktik zu erleichtern. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang die Verantwortung der Lehrenden für die Begleitung des Lernenden trotz individueller Zugänge zu Wissen. Das Tun der Lehrenden manifestiert sich in der Schaffung von Strukturen zu Klärung des in der Vermittlung stattfindenden Lerngeschehens. Damit wird die Sicht des Lernenden gewahrt und Bildung kann weiterhin institutionalisiert werden.

13

Die mathetische Gestaltung von e-learning

Ellen Key dankt nun den Essay-VerfasserInnen sowie den e-learning-ExpertInnen. Nach gründlichem Studium der konzeptionellen Ausführungen zu Didaktik und Mathetik sowie der Transformationsüberlegungen zum Übergang der objektiven Didaktik zu einer reformpädagogischen Didaktik fordert sie nun die e-learning-ExpertInnen auf, das Erfahrene bzw. Vermittelte in die Arbeit mit e-learning-Plattformen einzubringen und ihre Gestaltungsüberlegungen im Kontext einer reformpädagogischen Didaktik zu formulieren. Nur so kann das positive Feedback auf die ersten Erfahrungen mit Scholion konstruktiv zur lernendenzentrierten Weiterentwicklung im Sinne der Mathetik genutzt werden. Wir wollen uns an dieser Stelle bei Ellen für ihre umsichtige und wertschätzende Moderation bedanken. Martin Wagenschein bemerkt, dass sie exemplarisch gezeigt hat, wie unterschiedliche Herangehensweisen und Denkansätze abwechslungsreich und fokussiert in einen Diskussionsprozess eingebracht und bearbeitet werden können. Alle ReformpädagogInnen drücken ihre Hoffnung aus, dass die e-learning-ExpertInnen aus den Essays und Diskussionen ausreichend Anregungen zur reformpädagogischen Gestaltung von virtuellen Lehr- und Lernumgebungen erhalten haben. Die geschätzten LeserInnen mögen sich in der Folge überzeugen. Die weiteren Überlegungen betten die Erkenntnisse der Mathetik und Reformpädagogik in die Entwicklungslinien von e-learning-Systemen ein. Im ersten Abschnitt diskutieren wir jene Aktivitäten, die strukturell seitens e-learning-Entwicklungen zu erfüllen sind. Sie stellen die Basis für unterschiedliches Lehr- und Lernverhalten dar. Sollte Scholion ein Exemplum darstellen, müssen Sokratisches und Genetisches (siehe Martin Wagenschein) strukturell verankert sein. In diesem Kontext werden die reformpädagogischen Elemente • Kopplung von Inhalt mit Kommunikation – siehe v.a. Peter Petersen, • vorbereitete Umgebung – siehe v.a. Maria Montessori, • Strukturierung von Lernprozessen im Sinne von individualisiertem Lernmanagement – siehe v.a. Helen Parkhurst, betrachtet. Gemeinsam mit ihren Wechselbeziehungen ermöglicht eine derartige Organisation der Arbeit (Célestin Freinet) die für lernendenzentrierten Wissenserwerb erforderliche • Polarisation der Aufmerksamkeit und In-Sich-Versenken zum Lichten der Nebel (Maria Montessori, Martin Wagenschein), • entwicklungsgerechte, problemhaltige Lebenskreise (Peter Petersen),

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning



Ergriffenheit und damit einhergehende entdeckende Selbsttätigkeit (Martin Wagenschein, Maria Montessori), • wertschätzende Auseinandersetzung und Kooperation mit anderen, und damit Lerngemeinschaften (Peter Petersen, Cèlestin Freinet). Die im zweiten Abschnitt des Kapitels diskutierten Features der Lehr- und Lernumgebung Scholion sowie die sokratisch und genetisch reflektieren Inhalte aus dem online-Studierkapitel sollen exemplarisch zu einem Lernen in den genannten Freiheiten beitragen, indem sie Lernende zu kreativen Gesellschaftsmitgliedern im Sinne Elen Parkhursts formt. Den Abschluss dieses Kapitels bilden Überlegungen zu strukturgeleitetem Vorgehen in mathetisch fundierten e-learning-Projekten. Er soll Bildungsverantwortliche und EntwicklerInnen in die Lage versetzen, die wesentlichen Schritte bei der Umsetzung in strukturierter und pädagogisch begründbarer Form zu setzen. Darüber hinaus sollen die Inhalte zur Qualitätssicherung im Sinne reformpädagogischer Bemühungen beitragen.

13.1

Von der Organisation der Freiheit ...

Sobald der Vorgang des Lernens und damit die Lernenden in den Mittelpunkt der Vermittlung rücken, sind Lernprozesse gleichberechtigt zu Vermittlungsaktivitäten bei e-learningEntwicklungen zu betrachten. Die Lernprozesse im Sinne der Mathetik sind soziale Prozesse, die Kommunikations- und Kooperationsmittel erfordern. Wie bereits bei der Einführung in Scholion erwähnt, sind im e-learning synchrone und asynchrone Kommunikationsmittel als inhärente Bestandteile von Lehr- und Lernplattformen zu betrachten. Um kontextsensitive Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden sowie im Rahmen von Lerngemeinschaften zu ermöglichen, müssen die Kommunikations- und Kooperationsmittel mit Inhaltselementen verknüpft werden. Diese Verknüpfung von Inhalt und Kommunikation, wie beispielsweise von Peter Petersen formuliert, stellt einen wesentlichen Strukturbaustein von e-learningSystemen dar (vgl. Stary et al., 2006). Die weiteren Strukturen sind es, die als ‚enabler’ (ermöglichende Elemente) für lern- und lernendenzentrierte Vermittlung wesentlich sind: Es ist die Gestaltung des individuellen „Arbeitsplatzes“, wie z.B. die Möglichkeit individueller Anhänge an Kommunikationseinträge (Identitätsmanagement) sowie die Features des individuellen Lernmanagements. Gemeinsam mit didaktisch relevantem Inhalt erlauben sie eine vorbereite Umgebung im Sinne von Maria Montessori. Sie hat exemplarische Lehrgänge (siehe Martin Wagenschein) sowie Lernvereinbarungen (siehe Helen Parkhurst) zu ermöglichen. Eine erste Gestaltungsempfehlung für e-learning-EntwicklerInnen lässt sich somit ableiten. Der Zugang zu e-learning-Umgebungen sollte durch drei Bereiche strukturiert erfolgen: den eigentlichen Lern- bzw.Lehrbereich, den Kommunikationsbereich und den Arbeitsplatzbereich. Scholion, wie gezeigt, verfügt über eine derartige Trennung. Sie erleichtert die Organisation der Arbeit.

13.1 Von der Organisation der Freiheit ...

181

Abb. 13.1: Arbeitsplatz, Kommunikation, Lernen als zentrale e-learning-Plattformbereiche (Bsp. www.mobiLearn.at)

Der Lern- bzw. Lehrbereich sollte klar zwischen dem dargestellten Inhalt, den Möglichkeiten zur Navigation und Interaktion trennen. In Scholion wird beispielsweise der mittlere Bereich der Bildschirmdarstellung zur Präsentation von Inhalten und Ergebnissen von inhaltsspezifischen Manipulationen genutzt, während der linke Teil der Navigation im ausgewählten Inhaltsbereich mithilfe eines hierarchisch gegliederten Ordnersystems erlaubt. Alle anderen Navigationsfeatures (Filter, Auswahl der Detaillierungsstufe des angezeigten Inhalts o.ä.) befinden sich im oberen Bereich der Bildschirmdarstellung. In diesem Bereich befinden sich neben den generellen Navigationsmöglichkeiten, wie etwa Wechsel von Lernbereich in Arbeitsplatzbereich, die Features zur Manipulation von Inhalt via Sichten und aller Arten von Annotationen (im Rahmen der Individualisierung). Da die Kommunikation in reformpädagogisch gestalteten e-learning-Umgebungen gleichrangig zur Inhaltsperzeption und -bearbeitung behandelt wird, sollten diese Features ebenfalls gleichrangig, z.B. im oberen Bildschirmbereich wie in Scholion angeboten werden. Einmal selektiert, werden die Inhalte, wie etwa Einträge im Diskussionsforum, im mittleren Bereich platziert. Somit rücken Inhalt und Kommunikation auch räumlich nahe und die Kontextsensitivität kann auch visuell unterstrichen werden.

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning

Abb. 13.2: Verknüpfung von Inhaltselementen mit Kommunikation am Beispiel der mobiLearn-Plattform

Die Didaktisierung und mediale Aufbereitung von Inhalt stellt ein wesentliches Element mathetisch orientierter Vermittlung dar. Vor allem in institutionalisierten Umgebungen (Schule, Universität, berufsspezifische Weiterbildung etc.), kommt der Didaktisierung von Inhalt besondere Bedeutung zu. In Scholion beispielsweise stehen mehrere Inhaltstypen zur Verfügung: Erklärung, Hintergrundinformation, Definition, Handlungsanweisung etc. Die Didaktisierung muss nicht nur die fachlich innewohnenden Strukturen vermitteln, sondern auch unterschiedliche Herangehensweisen an Inhalte (Lernen an Beispielen, definitionsgeleitetes Lernen etc.) effektiv unterstützen (siehe auch Auinger et al., 2005). Ein Teil dieser Aufgabe kann durch Mehrfach-Codierung von Information bewältigt werden. Es können durch verschiedene Codalitäten (Text, Bild, Graphik, Video etc.) visuelle und akustische Wahrnehmungsvorlieben abgedeckt werden, deiktische oder haptische Vorlieben allerdings nur bei Vorliegen entsprechender Einrichtungen zur Interaktion an der Benutzungsschnittstelle. Viel wichtiger ist aber, dass bei kontextsensitiver Interaktion in Lernumgebungen die Struktur der Elemente aus inhaltlicher wie kommunikationsbezogener Sicht entscheidend ist. So ist es für den Lernprozess bedeutsam, welche Elemente mit Kommunikationseinträgen verknüpft sein können. Ist dies sehr spezifisch, z.B. chat zu einer Definition, dann wird beim Wechsel zwischen Kommunikation und Inhalt die fachliche Struktur durch den Kontext, in dem sich die InteraktionspartnerInnen befinden, mit vermittelt. Die Wirkung dieser didakti-

13.1 Von der Organisation der Freiheit ...

183

schen Strukturen prägt somit auch den fachlichen Zugang, den Lernende vor allem zu neuem Inhalt erhalten. Ist die didaktische Struktur unspezifisch ausgeprägt (z.B. durch vermehrtes Vorkommen von „Inhalt“-Blocktypen ohne weitere Angabe), wird die Kommunikation nach anderen Merkmalen, wie beispielsweise nach dem zeitlichen Erschließungsverlauf des Inhalts, strukturiert sein. Diese Merkmale widerspiegeln den sozial-dynamischen Charakter der Erschließung vor allem bei gruppenspezifischem Zugang. Kommunikationsbezogen bedeutsam ist jedoch sowohl der Zugang zu Inhalt via Kommunikationsfeatures wie auch der in die Struktur der Kommunikation codierte Zugang, da jeder Eintrag in irgendeiner Form eine Bezeichnung trägt, und damit die Lernwelt prägt. Die kritische Reflexion über Inhalte kann aus didaktischer Sicht mit entsprechenden Typen von Übungen gefördert werden. Sollte die Reflexion selbsttätig im Sinne der Reformpädagogik erfolgen, kann sie bestimmte Anstöße erfordern. Diese können sowohl durch das Material als auch die Kommunikation kommen. So kann etwa in Scholion die Vernetzung unterschiedlicher Denkparadigmen aus fachlicher Sicht (z.B. bei symbolischer und sybsymbolischer Künstlicher Intelligenz) die Anregung bedeuten, sich auch mit anderen Herangehensweisen oder Denkmustern bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben auseinander zu setzen. Auf Seiten der Kommunikation können diese Anregungen durch spezielle Strukturen, z.B. denkschulspezifische Foren (jeweils für symbolische und subsymbolische Künstliche Intelligenz), realisiert werden. Eine weitere Möglichkeit stellt der fachspezifische Diskurs im Rahmen einer gruppenweisen Problembewältigung, Erschließung oder einer Leistungsfeststellung dar. Die Didaktisierung von Material ist somit als ein Schlüsselfaktor von mathetisch begründeten e-learning-Umgebungen zu betrachten. Didaktisierte Hypermedien mit selektiver Navigierbarkeit von Inhaltselementen (z.B. Filtern von Blocktypen) inklusive ihrer direkten Verknüpfbarkeit mit Kommunikationsmedien bilden eine vorbereitete Umgebung, welche der Entwicklung einer eigenaktiven Lernkultur zuträglich ist. Die übersichtliche Gestaltung der Umgebung sollte eine transparente Didaktik-Codierung des Materials mit einschließen, etwa eine Visualisierung von Blocktypen durch Hinterlegung von Bildschirmbereichen.

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning

Abb. 13.3: Fokussierter Diskussionsbeitrag (UDDI) am Beispiel der mobiLearn-Plattform

Die Hinführung zu selbsttätigem Erschließen von Inhalt in e-learning-Umgebungen kann durch eine Struktur begünstigt werden, die aus Helen Parkhursts Pensen abgeleitet wurde: Intelligbility Catcher. Sie sollen zu fachlichem Verständnis führen. Dabei stützen sie sich auf unterschiedliche Strukturelemente, die für den verständnisgeleiteten Wissenserwerb als wesentlich erachtet werden (Stary, 2007). Die exemplarische Struktur versucht selbsttätigen Wissenserwerb durch inhaltlich motivierte Aktivitäten in einer Lerngemeinschaft anzuregen. Dazu ein Beispiel aus Scholion: Intelligibility Catcher ‘Entstehung von Bedeutung in Organisationen’ Fachgebiet: Organisational Semiotics E-learning-Support-System: Scholion Lehrgang: Angewandtes Wissensmanagement Geschrieben für die Lernpartner Tom und Claris Datum: 1.1.2007

13.1 Von der Organisation der Freiheit ...

1 – Hinführung

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Modellierung stellt eine Kernaktivität im Wissensmanagement dar. Es sind folglich sowohl das Wesen der Modellbildung sowie mögliche Ausprägungen von Modellen zu erschließen. Wie kommt es zu Bedeutung in Organisationen, d.h. zu Information, die in Organisationen zweckgerichtet erhoben und genutzt werden kann? An welchen Modellen manifestiert sich für Organisationen bedeutungsrelevante Information, die im Rahmen von organisationalen Veränderungen in das Zentrum rückt? Die Bearbeitung dieser Frage soll auf Basis bisheriger Erkenntnisse, individueller Arbeitspraxis und der eigenständigen Erschließung weiterer Informationsquellen erfolgen.

2 – Worum es geht

Exploratives Studium der Kursunterlagen ‚Organisational Semiotics’ und kollaborative Reflexion von Prozessmodellen

3 – Problemstellung und Aufgaben

Erschließen von Inhalten, insbes. der Beispiele und Erklärungen (Hinweis: Nutzung der Scholion-Filter-Funktion) Anwenden auf eigene Arbeitspraxis (Hinweis: Nutzung eigener Prozessmodelle oder direkte Verlinkung mit externen Inhalten unter Nutzung von Sichten in Scholion) Diskussion mit Lernpartner in Scholion (

3(a) Dokumentation

Forum)

Anlegen einer eigenen Sicht ‚s IC-Sicht’ im kursspezifischen Forum Annotation von Inhalten in dieser Sicht zur Beantwortung der Frage: Welche Modellierungskonstrukte (Klassifikation, Aggregation etc.) sind bei Prozessmodellierung von besonderer Relevanz und warum? Suche nach einem Beispiel (nicht aus bestehendem ScholionInhalt), wo diese Relevanz deutlich wird. Falls dieses Beispiel mit link versehen werden kann, Setzen eines externen link in der eigenen Sicht sowie einer Annotation mit Begründung. Falls dieses Beispiel als Beilage eingefügt werden kann, dann Beitrag ‚s Beispiel’ im kursspezifischen Forum anlegen. Beilegen des Beispiels und (für den Lernpartner und die spätere Reflexion) begründen, warum dieses Beispiel

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning für die Beantwortung der Frage signifikant ist. Beginn der Kommunikation und Kooperation Sobald beide Lernpartner ihre Sicht mit Inhalten zur Beantwortung obiger Frage ‚gefüllt’ haben bzw. entsprechende Foreneinträge im kursspezifischen Forum existieren, beginnt die Diskussion. Freischalten der eigenen Sicht für Lernpartner Individueller Vergleich der Sichten und Festhalten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Forum als Beitragsfolge im kursspezifischen Forum. Gemeinsame Beantwortung der Frage (in einem eigenen Forumsbeitrag): Welcher Typ von Modellierungselementen (Aktivitäten, Ressourcen o.ä.) von Prozessnotationen ist jedenfalls zu berücksichtigen, sobald unterschiedliche Wege zur Aufgabenerfüllung in einer Organisation beschritten werden können?

3(b) Verständnis

Die Lernmaterialien werden durch aktives Studium neu konstruiert. Es wird eine eigene Position zur Bedeutungsfindung im organisationalen Kontext auf der Grundlage des Studiums erarbeitet.

4 – Interaktion und Reflexion

Gegebenenfalls Anfragen an den Kursleiter bzw. Lernpartner sowie Rückmeldungen des Kursleiters bzw. Lernpartners im Forum

5 – Verweise und fachliche Bezüge

http://www.wfmc.org

6 – Aktuelle Information

Im Infoboard von Scholion

7 – Anerkennung der Leistungen

Für die Arbeit an diesem Pensum sind 4 Arbeitsstunden vorgesehen; in weiteren 4 Arbeitsstunden (die über dieses Pensum hinausgehen) kann an Modellen des Organisationalen Lernens (vgl. gleichnamiger Kurs) gearbeitet werden, indem Bezug zu Repräsentationsformen und individueller Arbeitorganisation hergestellt wird.

Heftberger, S.; Stary, Ch.: Partizipatives Organisationales Lernen. Ein prozessbasierter Ansatz, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 2004.

13.2 ... zum Lernen in Freiheit

187

Entsprechend der Intention von Pensen wird der Orientierung der Lernenden und der Motivation ausreichend Raum gegeben. Das Kernstück stellen die Problemstellung und Aufgaben dar, die zum Teil zu verschriftlichen sind. Schließlich werden die Prozessschritte genannt, die für die Dokumentation wesentlich sind. Weitere Strukturhilfen sind die Hilfestellungen, welche die LernpartnerInnen erwarten können sowie ein Abschnitt zur Anerkennung der Leistungen. Die Arbeit mit Intelligibility Catchers erfordert technisch sämtlich genannte Einrichtungen der vorbereiteten e-learning-Umgebung. Annotationen und Sichtenbildung sind wesentliche Elemente des individuellen Zugangs zu Inhalten. Die kontextsensitive Verknüpfung von Inhalt und Kommunikationsfeatures ist Voraussetzung für einen Einstieg in den Prozess der Wissenskonstruktion für LernpartnerInnen wie Lehrende. Gleichzeitig zählen die Diskussionsbeiträge und Annotationen zur erforderlichen Prozessdokumentation – Konzepte, die zur Zeit unter dem Begriff e-Portfolio mühsam neu erfunden werden.

13.2

... zum Lernen in Freiheit

Bei der Gestaltung von e-learning-Umgebungen sollte nicht nur der strukturieren Lernplanung im Sinne der Pensen von Elen Parkhurst Rechnung getragen werden (wie oben am Beispiel des Intelligibility Catcher gezeigt), sondern auch der Selbstkontrolle und -steuerung durch die Lernenden. Dazu sollten sämtliche Features zu jedem Zeitpunkt nutzbar sein. Einzig die vorbereitete Umgebung ist fix codiert, und zwar durch die Anordnung und Typisierung von Inhaltselementen und Kommunikationsfeatures, in Scholion sind dies didaktisch typisierte Blöcke und links zu chat und Diskussionsforen. Das Lernen in Freiheit, das neben der Organisation der Arbeit die zweite Säule des Wissenserwerbs darstellt, ergibt sich durch die wahlfreie und individuelle Nutzung der verschiedenen Möglichkeiten zur Navigation, Darstellung und Manipulation von Inhalt. Allerdings erst eine reflektierte Nutzung erlaubt die von Maria Montessori angesprochene wohltuende Befriedigung. Und dies erfordert die entsprechende Mündigkeit im Umgang mit digitalen Materialien in virtuellen Informationsräumen. Zur Aktivierung der Selbsttätigkeit sind innerhalb des Inhalts sowie im Rahmen des Angebots der Features von Lernumgebungen Anreize vorzusehen. In Scholion sind dies sämtliche Features zur Umordnung (Selektion durch Filterung didaktischer typisierter Elemente) und zur Individualisierung von Inhalt, und zwar durch Markieren, Ergänzen, Vernetzen etc.. Diese Features führen zu den bereits von den ReformpädagogInnen angelegten Sichten, die individuell bewahrt und wieder verwendet sowie auch weitergegeben werden können. Sichten reflektieren nicht nur den individuellen Zugang zu Material (im Fall Scholion Hypermedien), sondern sollen vielmehr zum aktiven Gebrauch des Inhalts, und damit zur Wissensgenerierung animieren. Lernen in Freiheit erlauben weiters die oben kurz erwähnten Features zur Auswahl mathetisch relevanter Inhaltselemente, wie beispielsweise Fallstudien. Die Auswahl erfolgt durch

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning

Filtern des Materials. Damit können Lernende entsprechend ihres Eigeninteresses bzw. Lerntyps gezielt didaktisch aufbereitete Inhaltselemente auswählen. Auch unterschiedliche Detaillierungsebenen (Levels of Detail) können dem entsprechend selektiert werden. Da diese miteinander vernetzt sind, bleibt der Zusammenhang von Inhaltselementen über unterschiedliche Abstraktionsebenen und Detaillierungsstufen hinweg transparent und nachvollziehbar. Die kontextsensitive Kommunikation kann ebenfalls als Anreiz gesehen werden, bezüglich bestimmter Themen oder Aufgabenstellungen aktiv zu werden. Die Selbststeuerung hat folglich mehrere Bezugspunkte: Annotationen, beliebige Auswahl didaktisch strukturierter Inhalte, und Kommunikation bzw. Interaktion in Gruppen. Unter letzterer sind nicht nur die Auswahl des Kommunikationsmediums, sondern auch der Zeitpunkt des Einsatzes inkl. Synchronizität sowie die Wahl der KommunikationspartnerInnen zu verstehen. Damit wird der mathetischen Konzeption umfassend Rechnung getragen: Jede/r Lernende kann sich frei verhalten und gemäß ihren/seinen Impulsen, d.h. sowohl auf inhaltlicher als auch kommunikativer Ebene, aktiv werden und dies auch ohne Kontextverlust bleiben. Die Betreuung respektiert die Hoheit der Lernenden über den Wissenserwerbsprozess. Sie lenkt nicht, sie vermittelt jedoch Anregungen. Hier zeigt sich der Vorteil von Sichten in elearning-Umgebungen, wie am Beispiel von Scholion gezeigt. Gemäß mathetischer Prinzipien sollen Lehrende in die Lage versetzt werden, im Rahmen der Interaktion die Sicht der Lernenden auf Inhalt und den damit verbundnen Erkenntnisprozess einzunehmen. Dies erfordert zwingend die vorgestellten Mittel zur Sichtenbildung (Annotationen) sowie den jederzeit möglichen, expliziten Austausch von Sichten zwischen Personen. Nur durch sie kann der individuelle Zugang zu Inhalt auch ohne unmittelbaren persönlichen Kontakt transparent gemacht werden. Die eigentliche Erkenntnis geschieht durch die Umgebung, die Materialien, die Tätigkeiten, wobei die Vorbereitung der Materialien der Verantwortung der Lehrenden unterliegen. In der freien Wahl der Gegenstände der vorbereiteten Umgebung vollzieht sich die Selbstaktivierung der Kräfte der Lernenden (die prinzipiell nicht gesteuert werden können). Im Sinne von Maria Montessori zielt das Material auf die Verbindung von Sinneswahrnehmung und der damit verbundenen Entwicklung intellektueller Fähigkeiten durch den Gebrauch desselben ab. „Die geistigen Kräfte können durch Angebote seiner Umgebung aktiviert werden. Sie äußern sich dann eruptiv, explosionsartig. Sie werden aber nicht im direkten Zugriff durch Erziehung aktiviert, sonder im freien Umgang des Kindes mit Materialien, die es seine Sinne, seine Motorik und dann eben auch seine ganze geistige Kraft auf den Gegenstand konzentrieren lassen. Das Sinnesmaterial ist also Kristallisationspunkt, der ‚Faden’ für die ‚Lösung’ der Kräfte, der auslösende Faktor oder Katalysator dafür, dass die geistigen Kräfte gebündelt werden und nach außen treten. Ich nenne dies Polarisation der Aufmerksamkeit.“ (Heiland, 2003, S.46) Eine Kontrolle durch Lehrende ist eigentlich nicht erforderlich, da mathetisch aufbereitete Materialien die Erfolgskontrolle durch die Lernenden selbst ermöglichen. Individuelle Erfolgskontrolle kann beispielsweise durch Selbsttests (als didaktisches Element seitens der Lehrenden ausgezeichnet) unterstützt werden. Die Abbildung zeigt dies am Beispiel des

13.3 Strukturgeleitetes Vorgehen

189

Scholion-basierten elektronischen Buchhaltungs- und Kostenrechnungs-Labors eBuKoLab der Johannes Kepler Universität Linz.

Abb. 13.4: Annotationen (in Sichten evident gehalten) und Erfolgskontrolle kennzeichnen Lernen in Freiheit – hier am Beispiel von eBuKoLab für Buchhaltung (www.jku.at/eBuKoLab)

Das Klima gegenseitigen Vertrauens sowie die Lehrkraft, welche die nötigen Hilfestellungen gibt und sensibel auf spezielle Interessen reagiert, sind Faktoren, die technisch nur bedingt beeinflusst werden können. Mit transparenten Lernvereinbarungen und der gezeigten mathetischen e-learning-(n)etiquette können allerdings Strukturen geschaffen und umgesetzt werden, die gegenseitige Wertschätzung ermöglichen sowie konstruktiven persönlichen Umgang in das Zentrum sozialer Beziehungen rücken.

13.3

Strukturgeleitetes Vorgehen

Wie ist nun vorzugehen, um mathetisch fundierte e-learning-Umgebungen zu entwickeln? In der Folge geben wir einen Überblick über die wesentlichen Schritte und durch Strukturen qualitätsgesicherten Entwicklungszyklus, der schließlich zur Weiterentwicklung mathetischer Grundsätze führen soll. Der Zyklus beginnt mit der Erstellung mathetisch relevanten Materials und erfordert die Anwendung fachdidaktischen Wissens. Danach ist die Umgebung

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning

zu konfigurieren, um den Kommunikation und inhaltliche Auseinandersetzung anzuregen. Die Auswertung der Interaktionsmuster und das Feedback der Lehrenden und Lernenden erlauben eine kontinuierliche Verbesserung.

BildungsManagement

Quellen Kollaboration

text

Vielgestaltiger Inhalt

Vernetzung

Begleitung & Vermittlung

Detaillierung

Kommunikation

Individualisierung (Annotationen)

Abb. 13.5: Der mathetik-begründete Entwicklungszyklus im institutionellen Kontext

Die Explizierung fachlich und didaktisch relevanter Elemente umfasst zunächst die Identifikation und Beschaffung von relevantem fachspezifischen Inhalt und einzusetzenden Kommunikationselementen, beispielsweise Skripten einer Präsenzlehrveranstaltung sowie Internet-basierte Diskussionsforen zur Buchhaltung. Dabei wird im institutionalisierten Kontext von einem bekannten Lehr- und Lernziel sowie einem bestimmten organisatorischen Rahmen, beispielsweise einem Kurs für Buchhaltung, ausgegangen. Nachdem die fachlich relevanten Inhaltselemente verfügbar gemacht wurden, können die Lehrenden die fachdidaktische Strukturierung und darauf aufbauende Kommunikationsmodellierung im Sinn der Vorbereitung der Vermittlung beginnen. Dabei ist auch die Form von Information (Text, Graphik, Video etc.) relevant. Gegebenfalls sind Inhaltselemente mehrfach zu kodieren, beispielsweise interaktive Elemente mit Feedback-Schleifen (unter Einbeziehung der Lehrenden) anzufertigen. Den ersten Schritt stellt somit die fachliche Didaktisierung von Inhalt auf Strukturebene sowie die Erfassung der Kommunikationsmittel und deren Einsatzmöglichkeiten zur Verknüpfung mit Inhalt dar. Das Ergebnis ist eine Menge von Strukturelementen, nach denen

13.3 Strukturgeleitetes Vorgehen

191

der Inhalt zerlegt werden kann und die direkt mit Kommunikationselementen, wie ForenEinträgen, verknüpft werden können. Nun folgt das Lernmanagement bzw. die Lernvereinbarung (siehe auch oben am Beispiel Intelligibility Catcher). Sie kann von institutionellen Rahmenbedingungen geprägt sein oder individuellen Interessenslagen entsprechen. In beiden Fällen sollte im Rahmen der Lernvereinbarung der Individualisierung aus inhaltlicher und kommunikativer Sicht ausreichend Raum gegeben sowie das Arbeiten in einer Lerngemeinschaft berücksichtigt werden. Die Individualisierung von Inhalt und Kommunikation kann nun sowohl lehrendenseitig als auch lernendenseitig erfolgen. Die lehrendenseitige Individualisierung bedeutet nicht nur die Beschreitung bzw. der Vorschlag eines bestimmten Lehrpfads (bei selbst bestimmtem elearning), sondern auch die Hinterlegung mit pädagogisch begründbaren Aktivitäten (z.B. Handlungsaufforderungen zur Filterung von Inhalten), und damit die Ausprägung eines bestimmten Kommunikations- und Lehrstils. Die lernendenseitige Individualisierung kann durch unterschiedliche Möglichkeiten mit Bezug zu kontextsensitiver Kommunikation unterstützt werden. Neben den klassischen Operationen mit inhaltlichem Bezug, wie beispielsweise das Filtern von Inhalten zur selektiven Anzeige von ausgewähltem Inhalt (z.B. Definitionen und der Auswahl unterschiedlicher Ebenen der Detaillierung), erlauben Markierungen die Entwicklung individueller Sichten auf Inhaltselemente. Bezug zur Kommunikation besitzen dabei folgende Möglichkeiten: • Offenes bzw. verdecktes Kommentieren oder Anmerken (im Rahmen von Annotationen) zur Weitergabe eigener Sichten auf Inhaltselemente • Vernetzen von Inhaltselementen mit internen und über ursprünglich angebotene Inhaltselemente hinausreichenden Kommunikationselementen, beispielsweise mit Foreneinträgen, die als Annotationen sichtbar sind • Entwickeln eigener Sichten durch Bündeln von Annotationen und Abspeichern derselben • Anfragen und Übernehmen von Sichten von anderen Lernenden oder Lehrenden • Fragen-Stellen und Antworten mit Bezug zu aktuellem Inhaltselement auswerten Die meisten Möglichkeiten der Individualisierung erfordern nicht nur den Zugang von mehreren Lehrenden oder Lernenden zu Inhalt, sondern auch die direkte Verfügbarkeit von Kommunikationsmöglichkeiten und damit die Verknüpfung von Inhalt und Kommunikationseinträgen. Dies sichert den kontextsensitiven Umgang mit Information im Rahmen der individualisierten Vermittlung und des individuellen Wissenserwerbs. Die kooperative Wissensentwicklung involviert sämtliche Kommunikationsmöglichkeiten und umfasst daher eine Reihe von Aktivitäten: • Bildung von Gruppen mit gruppenspezifischen Zugriffsrechten auf Inhalt und Kommunikationseinträge • Weitergabemöglichkeit von individuellen Sichten (Annotationen) auf Inhaltselemente inklusive der Verknüpfung von Inhalt und Kommunikation • Nutzung von Gruppensichten

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13 Die mathetische Gestaltung von e-learning

• gemeinsames Bearbeiten von Inhaltselementen (Authoring) auf allen Ebenen der Granularität (Web-Seiten, Kurse, Lerneinheiten, didaktisch relevante Inhaltstypen, Auszeichnungen etc.) Da bei mathetisch-fundiertem e-elearning die Verantwortung für die Wissensentwicklung im Sinne einer Orchestrierung den Lehrenden obliegt, empfiehlt sich eine kontinuierliche Qualitätssicherung, auch im Rahmen des institutionalisierten Zugangs. Die Auswertung von Interaktionen und Feedback aller Beteiligten können Ideen oder neue Problemstellungen offen legen, die sich durch individuelle Zugänge ergeben. Sie sollten in die Gestaltung einer (veränderten) Inhalts- bzw. Kommunikationsstruktur inkl. Individualisierung, d.h. in die Vorbereitung der Umgebung, einfließen, und schließlich ob ihrer Effektivität durch die Lehrenden und Lernenden bewertet werden. Somit schließt sich der Kreis der Aktivitäten: Die aus dem Umgang mit Inhaltselementen und Kommunikationsfeatures gewonnenen Erkenntnisse können sämtliche beschriebenen Aktivitäten beeinflussen: die fachdidaktische Aufbereitung von Inhalt, die Medialisierung (Codifizierung und Vernetzung durch links) von Information, die Vernetzung von Inhaltselementen, die Individualisierung mittels Sichten, die Kommunikation und Kooperation.

Inhalt

Kommunikation

Verknüpfung von Inhalt und Kommunikation

Aktivitätsbündel Ordnen der Freiheit (Strukturebene)

(Hyper-) Media- Bestimmen asynlisierung chroner und synchroner Medien Level-of-DetailAusführung Didaktisierung

Lernen in Freiheit (Handlungsebene)

Auswahl Filtern Navigation Browse Annotation

Erstellen integrativer Lernvereinbarungen (Pensen, Intelligibility Catchers) und damit verbundener Verknüpfungen

Einordnung von virtueller Vermittlung in Gesamtprozess Themen- bzw. aufgabenspezifische asynchrone und synchrone Kommunikation

Individuelle Erschließung von Inhalt mit Kommunikationsanteilen (Fragen zu ..., Verfolgen anderer Zugänge durch kommentierte Sichten etc.)

Gruppenbildung und gruppenspezifische asynchrone und synchrone Kommunikation

Kommunikationsgetriebener Zugang zu Inhalt durch Initiieren bzw. Verfolgen von Diskussionen

13.3 Strukturgeleitetes Vorgehen

193

Sichtenbildung

Kooperative Anlage und Wissensentwick- Bearbeitung von lung gruppenspezifischen Inhalt (z.B. in Sichten) Freigeben von Sichten

Ausführen integrativer Lernvereinbarungen Themen- bzw. aufgabenspezifische asynchrone und synchrone Kommunikation zwischen Mitgliedern einer Gruppe oder gruppenübergreifend

Einfügen von Kommunikationseinträgen in Gruppensichten Erweiterung von Kommunikationseinträgen mit (Verweisen auf) neuem Inhalt, und anschließende Diskussion der Erweiterung

Integration von Sichten Mathetisch begründetes e-learning

Bei der integrierten Betrachtung der bisherigen Erkenntnisse stellt sich zunächst heraus (siehe Tabelle), dass sowohl die Ordnung der Freiheit als auch das Lernen in Freiheit (individueller Wissenserwerb sowie die kooperative Wissensentwicklung) die Integration von inhaltsbezogenen Features mit Kommunikationsmöglichkeiten erfordert. Kommunikation bedeutet dabei nicht nur Information „teilen“, sondern bei der handlungszentrierten Hinterlegung einen Lehrenden- oder Lernendenagens mit kommunikativem Bezug im Verhältnis der beiden zueinander.

Epilog zur Zukunft Heutiges e-learning virtualisiert. Inhalte werden in Form von Hypermedien in digitaler Form codiert und verteilt zugänglich. Einer der wohl erfolgreichsten reformpädagogischen Zugänge zur Wissenskonstruktion ist jedoch die Angreifbarkeit von Material. Maria Montessori hat bereits bemerkt, dass dieses wesentliche Element zur Polarisation der Aufmerksamkeit in derzeitigen e-learning-Umgebungen fehlt, und Sorge geäußert, ob und in welcher Form die innere Zuwendung zu Inhalten, oder wie es Martin Wagenschein formuliert, das In-SichVersenken, in virtuellen Umgebungen sichergestellt werden kann. Daher liegt es nahe, angreifbare Repräsentationsmedien, so genannte tangibles, mit virtuellen Elementen in Einklang zu bringen, etwa im Sinne von ambient intelligence (vgl. Stary et al., 2007). Zuckerman et al. (2005) legten dazu den Grundstein mit ihren Montessori-Inspired Manipulatives. Marshall (2007) zeigte positive Effekte im Bereich e-learning. Angreifbare Repräsentationen können Erschließungs- und Reflexions-Prozesse effektiv unterstützen. Mit der Scholion-Anbindung von tangiblen Modellierungselementen in beliebigen Kontexten wird ein Werkzeug vorliegen, das individuelle Zugänge zu Strukturen und Inhalten aktiv unterstützt.

Abb.: Synchronisierte tangible Bausteine zur Modellierung von Inhalt und Zusammenhangswissen

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Epilog zur Zukunft

Die Lernenden legen nach ihrer Weltsicht Strukturelemente in Form von Rechtecken oder anderen geometrischen Formen, sowie Beziehungen zwischen diesen. Alle Elemente werden dynamisch mit Bedeutung belegt, die seitens der virtuellen Umgebung in Scholion direkt erfasst werden kann. Der Zeitpunkt der Erfassung liegt in der Hand des Lernenden (Selbststeuerung). Sobald diese Information nun in Scholion verfügbar wird, kann eine Lerngemeinschaft damit arbeiten und so Verständnisbildung im virtuellen Raum unterstützt werden. Der Prozess funktioniert aber auch in die andere Richtung. Modelle, die in Scholion verfügbar sind, etwa Concept Maps, können physisch nachgelegt werden. So kann durch Angreifen von zunächst nur virtuell verfügbarer Information die individuelle Verständnisbildung erleichtert werden. Durch einen einfachen Mechanismus und die flexible Belegung der tangiblen Objekte mit bestimmter Bedeutung kann auch Information verschachtelt werden. Die tangibles erlauben die Ablage von Code-Belegungen durch Auf- und Zuklappen von Legeobjekten. Hinter diesen Codes kann sich eine Modellierungssequenz verbergen, die gespeichert ist, da sie beispielsweise zu einem früheren Zeitpunkt gelegt wurde, und daher nicht mehr physisch verfügbar ist. Somit können tangibles zur Reduktion komplexer Zusammenhänge einen effektiven Beitrag leisten. Bei eigenen Darstellungen (eigentlich: Darlegungen) bestimmen die Lernenden die Tiefe der Verschachtelung sowie die Bezeichnung der in den tangibles eingeschlossenen Information. „Hilf mir es selbst zu tun“ bekommt in dieser hybriden e-learning-Umgebung wieder konkreten Handlungscharakter. Somit können auch Lehrende wieder in persönlichen Kontakten gegenständlich Lernende begleiten. Können wir Lehrenden noch mehr an Umsteigehilfen von objektiver Didaktik zu lebendiger Mathetik bieten?

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Stary, Ch.; Stary, E., Oppl, St. Inclusive Design of Ambient Knowledge Transfer, In: Proceedings 9th ERCIM Workshop ‘User Interfaces for All‘, Königswinter (Bonn), LNCS 4397, Lecture Notes in Computer Science, pp. 427-446, Springer, Berlin, 2007 Von Hentig, H., Die Schule neu denken. Eine Übung in praktischer Vernunft. München und Wien: Carl Hauser Verlag, 1993 Wagenschein, M.: Die Erde unter den Sternen, Ein Weg zu den Sternen für jeden von uns. München 1952 Wagenschein, M.: Die Pädagogische Dimension der Physik. Braunschweig 1962 Wagenschein, M.: Erinnerungen für morgen. Weinheim 1983 Wagenschein, M.: Verstehen lehren, Weinheim 1989 Wagenschein, M.: Wesen und Unwesen der Schule. In: Erziehung wozu? Eine Vortragsreihe, Stuttgart 1956 Weinert, F. E.: Lehren und Lernen für die Zukunft - Ansprüche an das Lernen in der Schule. Vortragsveranstaltungen mit Prof. Dr. Franz E. Weinert, Max-Planck-Institut für psychologische Forschung, gehalten am 29. März 2000 im Pädagogischen Zentrum in Bad Kreuznach Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur allgemeinen und beruflichen Bildung „Lehren und Lernen“ (KOM(95) 590 endg.; Ratsdok. 125488/95) Werning, R.: Anmerkungen zu einer Didaktik des Gemeinsamen Unterrichtens. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 11/96 Wilbers, K.: e-learning didaktisch gestalten. Handbuch e-learning. 12/2001 Zimmer, G.: Aufgabenorientierte Didaktik des e-learnings. In Handbuch e-learning. 4. Erg.Lfg. April 2003 Zuckerman, O.; Arida, S.; Resnick, M.: Extending Tangible Interfaces for Education: Digital Montessori-inspired Manipulatives, In. Proceedings Int. Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI), New York: ACM Press. S. 859–868, 2005

Abbildungsverzeichnis Abb. 3.1:

Didaktik und Mathetik im Kontext der Disziplinen ...........................................10

Abb. 3.2:

Systemische Mobilität ........................................................................................11

Abb. 5.1:

Infoboard, Kurse, Kommunikationswerkzeuge ..................................................28

Abb. 5.2:

Lernbereich.........................................................................................................30

Abb. 5.3:

Sichten und Annotationen ..................................................................................31

Abb. 5.4:

Verknüpfung von Inhalt und Kommunikation....................................................32

Abb. 5.5:

Diskussionsforum mit Links...............................................................................35

Abb. 7.1:

Forum .................................................................................................................85

Abb. 7.2:

Benutzungsschnittstelle ......................................................................................87

Abb. 9.1:

Exemplarischer Lehrgang.................................................................................113

Abb. 9.2:

Vulkan ..............................................................................................................114

Abb. 9.3:

Skizze und Beispiel aus Scholion .....................................................................117

Abb. 12.1: Pluridisziplinarität – vgl. Koizumi (2003, S.113).............................................154 Abb. 12.2: Mathetik – vgl. Koizumi (2003, S.113) ............................................................154 Abb. 12.3: Begründungszusammenhänge der Mathetik – vgl. Siebert (1999, S.15) .........156 Abb. 12.4: Homöostase – vgl. Miketta (1997, S.24) ..........................................................163 Abb. 12.5: Kognitive Lernstrategien ..................................................................................167 Abb. 12.6: Metakognitive Lernstrategien...........................................................................168 Abb. 12.7: Strategien zur Nutzung interner und externer Ressourcen................................170 Abb. 13.1: Arbeitsplatz, Kommunikation, Lernen als zentrale e-learning-Plattformbereiche (Bsp. www.mobiLearn.at) .................................................................................181 Abb. 13.2: Verknüpfung von Inhaltselementen mit Kommunikation am Beispiel der mobiLearn-Plattform ........................................................................................182 Abb. 13.3: Fokussierter Diskussionsbeitrag (UDDI) am Beispiel dermobiLearn-Plattform.184

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 13.4: Annotationen (in Sichten evident gehalten) und Erfolgskontrolle kennzeichnen Lernen in Freiheit – hier am Beispiel von eBuKoLab für Buchhaltung (www.jku.at/eBuKoLab) ....................................................................................189 Abb. 13.5: Der mathetik-begründete Entwicklungszyklus im institutionellen Kontext .......190

AutorInnen Eichelberger, Harald (Pädagogische Hochschule, Wien) Professor für Erziehungswissenschaften und Unterrichtswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule in Wien. Ausbildung zum Montessori-Pädagogen in Wien, Tätigkeit als Montessori-Ausbildner und Betreuer von Schulversuchen zur Aktualisierung der Reformpädagogik im Regelschulwesen; Initiator des Symposiums „Lebendige Reformpädagogik“ im Oktober 1996; einschlägige Publikationen zu den Themen: Didaktik der MontessoriPädagogik, Schulentwicklung auf der Grundlage der Reformpädagogik, DaltonplanPädagogik, Jenaplan-Pädagogik und Freinet-Pädagogik. Universitätslektor der University of Derby und der Universität Osnabrück. Fachliche und organisatorische Mitarbeit an EUProjekten und Leitung von EU-Projekten zur Curriculumentwicklung und zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung. Laner, Christian, (Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe - Bozen): Grundschullehrer aus Südtirol, zehn Jahre als Integrationslehrer tätig, seit 1996 Mitarbeiter am Pädagogischen Institut für die deutsche Sprachgruppe in Bozen, Ausbildung zum eLearning-Manager, Projektleiter des Bildungsservers blikk, Verantwortlicher für den Bereich Neue Medien in der Schule mit Schwerpunkt der Entwicklung von Modellen für die Arbeit mit Kindern mit und über Internet sowie eLearning in der Lehrerfortbildung. Organisator mehrerer zweijähriger Lehrgänge für Lehrpersonen zur „Schulentwicklung auf reformpädagogischer Basis“, unter anderem auch in Form von eLearning im europäischen Kontext, Teilnahme an verschiedenen europäischen Projekten zur Reformpädagogik und digitalen Medien, Unterrichtsentwickler nach reformpädagogischen Grundsätzen. Kohlberg, Wolf Dieter (Universität Osnabrück) Studium der Physik, Philosophie und Pädagogik. Tätigkeit als Gymnasiallehrer. Seit 1980 Erziehungswissenschaftler im Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück mit den Arbeitsschwerpunkten: Europäische Bildung und Erziehung – Systemvergleich und Systementwicklung, Europäische Reformpädagogik, Allgemeine Didaktik, Hochschuldidaktik, Neurobiologische Grundlagen des Lernens. Stary, Christian (Universität Linz) O. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Christian Stary ist Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik–Communications Engineering sowie des Kompetenzzentrums Wissensmanagement an

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AutorInnen

der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz. Er ist ausgebildeter Informatiker der TU Wien und war mehrere Jahre in der Privatwirtschaft tätig. Neben Informatik studierte er Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Wien. Er promovierte 1988 und habilitierte sich 1993 an der TU Wien auf dem Gebiet Usability Engineering. Darüber hinaus war er an unterschiedlichen Universitäten in den Vereinigten Staaten, Deutschland und Österreich als Assistant bzw. Associate Professor und Gastprofessor tätig, ehe er 1995 an die Universität Linz berufen wurde. Im Rahmen der Forschung betreut er die disziplinenübergreifenden Schwerpunkte Advanced Distributed Learning, Organisational Learning und Adaptive Systems. Stary, Edith Mag. Dr. Edith Stary wurde in Wien geboren und studierte Französisch, Pädagogik, Philosophie und Psychologie in Wien. Sie promovierte 1999 in Angewandte Sprachwissenschaften an der Universität Wien (Sprachlehrforschung und Gender) und ist seit vielen Jahren im Lehrberuf in Wien tätig. Als Absolventin der ESA (European Secretary Academy) ist sie darüber hinaus ausgebildete Organisationsfachkraft. Nach ihrem Studium hat sie das Studium für GrundschullehrerInnen an der Pädagogischen Akademie in Wien sowie die reformpädagogische Montessori-Ausbildung am Institut für ganzheitliches Lernen (D) erfolgreich absolviert. Zurzeit leitet und entwickelt sie den multikulturellen Schulstandort Pantzergasse in 1190 Wien. Ihre inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte sind lernendenzentrierte Wissensvermittlung, Einsatz pädagogisch begründbarer e-learning-Systeme sowie organisationales Lernen in Grundschulen.