Reformation und Bauernkrieg [1 ed.] 9783412516628, 9783412511678


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Reformation und Bauernkrieg [1 ed.]
 9783412516628, 9783412511678

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REFORMATION UND BAUERNKRIEG

Werner Greiling, Thomas T. Müller, Uwe Schirmer (Hg.)

Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation Im Auftrag der »Historischen Kommission für Thüringen« herausgegeben von Werner Greiling und Uwe Schirmer in Verbindung mit Joachim Bauer, Enno Bünz, Ernst Koch, Armin Kohnle, Josef Pilvousek und Ulman Weiß Band 12

Werner Greiling, Thomas T. Müller, Uwe Schirmer (Hg.)

Reformation und Bauernkrieg

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Werner Tübke, Bauernkriegspanorama (Detail) © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Wissenschaftliche Redaktion: Dr. Alexander Krünes, Jena Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51662-8

Inhalt Vorwort ............................................................................................................................. 7 Thomas T. Müller Bauernkrieg in Thüringen. Eine kurze rezeptionsgeschichtliche Einführung ....................................................................................................................... 9 GESELLSCHAFT, KIRCHE UND KONFLIKT Uwe Schirmer Die Ursachen des Bauernkrieges in Thüringen. Eine sozial-, verfassungsund reformationsgeschichtliche Spurensuche ..........................................................21 Ulrich Hahnemann Die Einwohner von Frankenhausen vor, im und nach dem Bauernkrieg 1525 ...........................................................................................................71 Thomas T. Müller Geköpfte Heilige – Ikonoklasmus im Kontext des Bauernkrieges. Eine quellenkritische Betrachtung der Mühlhäuser Ereignisse .............................91 Johannes Mötsch Die aufständische Führungselite in Henneberg und ihre Bestrafung nach dem Bauernkrieg ............................................................................................... 115 Julia Mandry Die Reflexionen der thüringischen, sächsischen und hessischen Fürsten über die Aufständischen im Bauernkrieg ............................................................... 149 AKTEURE Andreas Dietmann Die Prediger Jakob Strauß und Wolfgang Stein im Bauernkrieg ....................... 175 Volkmar Joestel Karlstadt und der Bauernkrieg in Ostthüringen.................................................... 199 Martin Sladeczek Mächtige Aufrührer – machtloser Graf? Der Bauernkrieg in der schwarzburgischen Oberherrschaft ......................................................................... 225

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INHALT

Michael Beyer Die drei Bauernkriegsschriften Martin Luthers von 1525 ................................... 241 Antje Schloms Nach dem Ende Thomas Müntzers – Abrechnung (mit) einer Stadt ............... 259 ERINNERUNG UND REZEPTION Jürgen von Ahn Schubladendenken in der Kunstgeschichte? Der Bauernkrieg in der zeitgenössischen Kunst ............................................................................................. 277 Werner Greiling Vorbild oder Schreckgespenst? Zur Rezeption des Bauernkrieges in der Volksaufklärung ................................................................................................... 301 Jan Scheunemann Der Bauernkrieg und Thomas Müntzer. Aspekte der politischen, wissenschaftlichen und populären Rezeption im Kontext der deutschen Teilung ...................................................................................................... 331 Friedrich Staemmler Die künstlerische Rezeption des deutschen Bauernkrieges in der DDR am Beispiel der Müntzer-Gemälde von Wilhelm Otto Pitthan (1896–1967) ......................................................................... 359 Ulrike Eydinger Motive historischer Flugblätter und Druckgraphiken im Bauernkriegspanorama von Werner Tübke. Zur Genese des Kunstwerkes ......................................................................................................... 377 Günter Vogler Bauernkrieg und bäuerlicher Widerstand. Eine persönliche Sicht auf Forschung und Erinnerungskultur ................................................................... 397 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 435 Abbildungsnachweis .................................................................................................. 437 Farbabbildungsteil ...................................................................................................... 441 Ortsregister .................................................................................................................. 457 Personenregister ......................................................................................................... 464 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 473

Vorwort

VORWORT

Der Bauernkrieg ist untrennbar mit der Reformation verbunden. Der vom Südwesten des Reiches ausgehende Aufstand breitete sich wie ein Flächenbrand aus und erreichte in Thüringen mit der Schlacht bei Frankenhausen im Mai 1525 seinen Höhepunkt. Die Ursachen der Revolte sind regional und ständespezifisch sehr unterschiedlich. Unzweifelhaft ist jedoch, dass die mittels Flugschriften kursierenden Vorstellungen von einer „besseren Welt“ immer stärkeren Anklang in den ländlichen und städtischen Milieus fanden. Vielfältig waren die öffentlich geführten Kontroversen zu Fragen von sozialer Gerechtigkeit, religiöser Erneuerung und autonomer Selbstbestimmung. Begierig wurden diese Themen von einem Großteil der Gesellschaft adaptiert, so dass schließlich aus lokalen Unruhen eine gewaltsame Bewegung erwuchs, die das Alte Reich und die angrenzenden Regionen tief erschütterte. Diese Fragen werden im vorliegenden Band thematisiert. Er umfasst die ausgearbeiteten und im Umfang beträchtlich erweiterten Referate, die auf der wissenschaftlichen Konferenz „Reformation und Bauernkrieg“ vom 28. bis 30. Juni 2017 im Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche zu Mühlhausen/ Thüringen vorgetragen und diskutiert worden sind. Die produktive Zusammenkunft von Profan-, Kirchen- und Kunsthistorikern, Theologen, Archivaren und Museumswissenschaftlern war gemeinsam vom Forschungsprojekt „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ und den Mühlhäuser Museen vorbereitet, organisiert und durchgeführt worden. Der Tagungsband problematisiert auch die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse im thüringischmitteldeutschen Raum zur Zeit des Bauernkrieges, nimmt die handelnden Akteure und die Folgen des Aufstandes in den Blick und hinterfragt zahlreiche Aspekte der publizistischen, politischen und künstlerischen Rezeption der Ereignisse des Jahres 1525. Die Mühlhäuser Tagung stand nicht nur im Zeichen der vielfältigen Initiativen zur Reformationsdekade, sondern war zugleich als Brückenschlag vom Jubiläumsjahr 2017 hin zum Jahrestag des Bauernkriegs 2025 in Thüringen angelegt. Dass Mühlhausen – neben Bad Frankenhausen und einer Vielzahl anderer Orte – diesbezüglich ein herausragender Erinnerungsort ist, wird nicht nur durch die publizierten Tagungsbeiträge nachdrücklich unterstrichen. Von den Mühlhäuser Museen gingen und gehen in enger Kooperation mit der „Historischen Kommission für Thüringen“ und der Friedrich-Schiller-Universität Jena vielfältige Aktivitäten aus, die eine große Landesausstellung in Mühlhausen anlässlich der 500. Wiederkehr des Bauernkriegs fest im Blick haben.

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VORWORT

Die Herausgeber und Organisatoren danken all jenen sehr herzlich, die zum Gelingen der Konferenz und des Tagungsbandes beigetragen haben. Zuerst gilt dieser Dank den Autorinnen und Autoren für ihre professionelle Mitwirkung; den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Mühlhäuser Museen, der „Historischen Kommission für Thüringen“, des Forschungsprojekts „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ sowie der Professur für Thüringische Landesgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena für die gelungene Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Ein besonderer Dank gilt sowohl dem Geschäftsführer der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Herrn Dr. Thomas Wurzel, als auch Herrn Dr. Thomas A. Seidel, dem Beauftragten der Thüringer Landesregierung zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums. Beide waren uns wichtige und verlässliche Partner. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Konferenz und des vorliegenden Bandes ist abermals der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und der HELABA Landesbank Hessen-Thüringen zu danken. Bei den Korrektur- und Satzarbeiten waren uns Herr Dr. Alexander Krünes und Herr Dr. Philipp Walter behilflich. Zu danken ist ferner dem Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar und hier insbesondere Herrn Johannes van Ooyen (Wien) für die professionelle Betreuung der Drucklegung. Der Band ist dem Andenken des am 19. März 2018 in Berlin verstorbenen Theologen und Kirchenhistorikers Prof. Dr. Dr. hc Siegfried Bräuer gewidmet, der sich Zeit seines Lebens wissenschaftlich und persönlich eng mit Mühlhausen, Thüringen und dem Wirken Thomas Müntzers verbunden gefühlt hat. Jena und Mühlhausen, im Sommer 2018

Werner Greiling Thomas T. Müller Uwe Schirmer

T H O M A S T. M Ü L L E R BAUERNKRIEG IN THÜRINGEN

Bauernkrieg in Thüringen Eine kurze rezeptionsgeschichtliche Einführung

Jahrhunderte lang waren die Aufständischen von 1525 in der offiziellen Geschichtsschreibung nichts anderes als „barbarische Rotten“, die „rauben und toben und thun wie die rasenden hunde“. Nur „eyttel teuffels werck“ hätten sie getrieben, angeführt von Thomas Müntzer, „der ertzteuffel, der zu Mölhusen regirt, und nichts denn raub, mord, blutvergissen anricht“.1 Martin Luther, von dem diese Einschätzung stammt, fällte sein Urteil deutlich und nachhaltig: „Drumb sol hie zuschmeyssen, wurgen und stechen heymlich odder offentlich, wer da kan, und gedencken, das nicht gifftigers, schedlichers, teuffelischers seyn kan, denn eyn auffrurischer mensch, gleich als wenn man eynen tollen hund todschlahen mus, schlegstu nicht, so schlegt er dich und eyn gantz land mit dyr.“2 Und der Reformator ging sogar noch einen Schritt weiter und versprach all jenen, die auf Seiten der Fürsten gegen die Aufständischen kämpften, einen sicheren Platz als Märtyrer im Himmel. Den Bauern und allen anderen, die sich erhoben hatten, prophezeite er hingegen den ewigen Höllenbrand.3 Wenngleich heute unumstritten ist, dass Martin Luther vor allem durch die Berichte über die sogenannte „Weinsberger Bluttat“ vom Ostersonntag 15254 1 2 3

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D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Schriften/Werke, Bd. 18, Weimar 1908, S. 357. Ebd., S. 358. „Also kans denn geschehen, das, wer auff der oberkeyt seyten erschlagen wird, eyn rechter merterer fur Gott sey, so er mit solchem gewissen streyt, wie gesagt ist. Denn er geht ynn Göttlichem wort und gehorsam. Widderumb was auff der bawren seytten umbkompt, eyn ewiger hellebrand ist. Denn er fůret das schwerd widder Gotts wort und gehorsam und ist eyn teuffels glied.“ Ebd., S. 360. An jenem 16. April 1525 und dem Tag zuvor hatten Aufständische in der Stadt und auf der Burg Weinsberg ein Gemetzel angerichtet und schließlich den österreichischen Amtmann von Weinsberg und Schwiegersohn Kaiser Maximilians, Graf Ludwig von Helfenstein, gemeinsam mit rund einem Dutzend weiterer Adlige durch die Spieße laufen lassen. Vgl. zuletzt hierzu Peter BLICKLE, Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488–1531, München 2015, S. 210–224; Joachim HAMM, Geschichte und Geschichtsdeutung. Zur sogenannten „Bluttat von Weinsberg“ (16. April 1525) in der zeitgenössischen Literatur des 16. Jahrhunderts, in: Dorothea KLEIN (Hg.), Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner, Wiesbaden 2000, S. 513–540;

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THOMAS T. MÜLLER

zu seinen heftigen Worten animiert worden war, so verband er sie dennoch vor allem auch mit den Mühlhäuser Aufständischen, die angeblich vom dort regierenden „Erzteufel“ Thomas Müntzers „befehligt“ würden. Zwar hatte die Wittenberger Polemik gegen die Aufständischen mit dieser Schrift nicht begonnen. Doch Luthers Worte gaben den Weg vor, auf welchem ihm die frühneuzeitlichen Geschichtsschreiber über Jahrhunderte bereitwillig folgten. So wirkt beispielsweise die Beschreibung der Erstürmung der Eichsfelder Burg Scharfenstein durch die Aufständischen in der Johann Agricola zugeschriebenen, 1525 in Wittenberg anonym publizierten Flugschrift „Ein nutzlicher Dialogus odder gesprechbuchlein zwischen einem Müntzerischem Schwermer und einem Evangelischen frumen Bawern“ bis heute nach. Noch im 21. Jahrhundert werden Abwandlungen dieser durch keinerlei Fakten belegbaren antimüntzerischen Legende bei Gästeführungen auf der Burg, aber auch im Schulunterricht in den umliegenden Dörfern als „reine Wahrheit“ erzählt. Dieses möglicherweise für Germanisten und Volkskundler interessante, für Historiker jedoch fatale und auch an anderen Beispielen belegbare Phänomen hat sich aber auch in der wissenschaftlichen Literatur lange gehalten.5 Folglich tut es zur Dekonstruktion der Mythen Not, Überlieferungsstränge aufzuzeigen und herauszuarbeiten, welche der zahlreichen Historiker, Kirchengeschichtler und Heimatkundler bei ihren Recherchen tatsächlich neue Informationen ermittelt oder wirklich neue Thesen aufgestellt haben. Diese aufwendige Arbeit ist wichtig, um zu erkennen, welche Informationen, die über die Züge der Aufständischen im Laufe der Jahrhunderte verbreitet wurden, quellenfundiert sind und um welche Quellen, die womöglich sogar bereits verloren gegangen sind, es sich hierbei exakt handelt. In Mühlhausen war Adolph Friedrich Stephan (1792–1849) rund 200 Jahre nach dem Verfasser der ältesten Stadtchronik, dem „Chronicon Mulhusinum“,6 vermutlich der Zweite, der sich intensiv und vor allem anhand der Quellen mit der Geschichte der Reichsstadt im Bauernkrieg befasste. Wäre sein Vorhaben, eine „Reformationsgeschichte der Reichsstadt Mühlhausen“ zu verfassen, nicht durch seine schwere Krankheit und seinen Tod verhindert worden, wäre sein Name – zumindest in Historikerkreisen – vermutlich heute weit bekannter. Der

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Ulrich MAIER, Die Bluttat von Weinsberg in zeitgenössischen Liedern aus dem Bauernkrieg, in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Geschichte 34 (2001), S. 147–159. Vgl. hierzu Thomas T. MÜLLER, Ein lutherischer Mönch und die Geschichte vom vergifteten Wein. Die Burg Scharfenstein im Bauernkrieg, in: Josef REINHOLD/Günther HENKEL (Hg.), 800 Jahre Burg Scharfenstein. 1209–2009. Beiträge zur Geschichte von Burg und Amt Scharfenstein im Eichsfeld, Duderstadt 2009, S. 33–44. DERS., Thomas Müntzer in der Mühlhäuser Chronistik. Untersuchung und Neuedition der den Bauernkrieg betreffenden Abschnitte des „Chronicon Mulhusinum“ (Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, 6), Mühlhausen 2004.

BAUERNKRIEG IN THÜRINGEN

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Sohn des Mühlhäuser Bürgermeisters Christian Gottfried Stephan arbeitete in seiner Heimatstadt als Stadtarchivar und gehörte dem Stadtrat an.7 Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, durchforstete er die Akten, um sein Publikationsprojekt voranzutreiben. Zahlreiche handschriftliche Manuskriptseiten zeugen im Mühlhäuser Stadtarchiv noch heute von jenem Fleiß, mit dem er sein Ziel verfolgte. Mit viel Augenmaß und dem Spürsinn eines begabten Historikers schrieb er an einem Buch, das, wäre es veröffentlicht worden, schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Wissensstand entsprochen hätte, den die Forschung erst 50 bis 70 Jahre später erreichen sollte. Im Druck erschienen ist von Stephan jedoch zum Thema nur eine immerhin rund 30 Seiten umfassende Voranzeige seines Buches.8 Darin machte er auf die Desiderate der Forschung aufmerksam: „Nach meiner Ueberzeugung gibt es besonders in Beziehung auf die hiesigen Ereignisse noch keine nur einigermaßen wahrhafte Geschichte des Thüringischen Bauernkrieges. Irrthum und absichtliche Fälschung haben auf diese Geschichte großen Schatten geworfen. […] Alles, was bis jetzt darüber bekannt geworden, ist lückenhaft und des innern Zusammenhanges ermangelnd.“ Und auch die Begründung hierfür hatte er parat: „Folianten zu lesen, um Zeilen zu erndten, nimmt Zeit weg.“9 Etwa zur selben Zeit, als Friedrich Stephan in Mühlhausen die Akten las, arbeitete Johann Karl Seidemann (1807–1879) im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden. Der evangelische Theologe, der 37 Jahre als Pfarrer in einer kleinen Gemeinde bei Dresden wirkte, veröffentlichte bereits 1842 eine Biografie Thomas Müntzers, für die erstmals ausführlich die Dresdener Akten ausgewertet worden waren.10

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F[riedrich] Wilh[elm] LUCKS, Adolph Friedrich Stephan, der erste Mühlhäuser Archivar, in: Thüringer Tageblatt / Ausgabe Mühlhausen vom 5. Juli 1956; [Reinhard] JORDAN, Zur Erinnerung an Friedrich Stephan, in: Zur Geschichte der Stadt Mühlhausen, Heft 1, Mühlhausen 11901, 31925, S. 3–5. 8 F[riedrich] STEPHAN, Zum vierzehnten September. Anzeige betreffend die Reformationsgeschichte der Reichsstadt Mühlhausen von der mit dem Bauernkriege zusammenhängenden Mühlhäusischen Empörung bis zum endlichen, gänzlichen Untergange des Papstthums in unserer Stadt, in: Karl-Friedrich AMEIS (Hg.), Das dritte ReformationsJubelfest der Stadt Mühlhausen in Thüringen am 14. September 1842. Festbeschreibung nebst Beilagen, Mühlhausen 1843, S. 119–148. 9 Ebd., S. 120 f. 10 Johann Karl SEIDEMANN, Thomas Müntzer. Eine Biographie nach den im Königlich Sächsischen Hauptstaatsarchive zu Dresden vorhandenen Quellen bearbeitet, Dresden/Leipzig 1842. Nachdruck in: Johann Karl SEIDEMANN, Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1842–1880), Bd. 1: Thomas Müntzer und der Bauernkrieg (1842– 1878). Mit einer Vorbemerkung und unter Ergänzung zahlreicher Quellenangaben hg. von Ernst KOCH, Leipzig 1990, S. 1–171.

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THOMAS T. MÜLLER

Als Wilhelm Zimmermann (1807–1878) seine berühmte „Geschichte des großen Bauernkrieges“ 1841–1843 veröffentlichte, sorgte der Theologe und spätere Abgeordnete der Deutschen Nationalversammlung von 1848/1849 nicht zuletzt auch aufgrund seiner Quellenkenntnis für viel Aufsehen.11 In einigen Ländern wurde das Buch wegen der radikalen Schlussfolgerungen des Autors sogar verboten.12 Doch erst in der überarbeiteten Auflage aus dem Jahr 1856 legte er seinen Lesern wirklich neue Informationen zum Geschehen in Thüringen vor. Erhalten hatte er diese vom Neffen Friedrich Stephans, Eduard Stephan.13 Jener hatte „die überaus wichtigen Forschungen“ seines Onkels über den Bauernkrieg „in eigenhändiger Abschrift mitgeteilt: Ein schönes, aufopferndes Entgegenkommen, wie es der Gelehrte in Deutschland selten findet“, lobte Wilhelm Zimmermann.14 Mit dem Ende des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann nicht nur in Thüringen ein vor allem von Lehrern und Pfarrern getragener und bis heute einmaliger Aufbruch in die Heimatgeschichte. Überall entstanden historische Vereine und Zeitschriften, in denen die Heimathistoriker ihre Thesen und Forschungen publizierten. Wenngleich aus fachwissenschaftlicher Sicht viele jener veröffentlichen Beiträge kleinere oder größere Mängel aufweisen, so überrascht am Ende doch die große Akribie mit der die meisten Autoren jener Zeit auf die Suche nach neuen Quellen gingen, Editionen vornahmen und die lokale und regionale Forschung vorantrieben. Für die Bauernkriegsforschung leistete in jener Zeit neben dem katholischen Eichsfelder Theologen Philipp Knieb vor allem der Mühlhäuser Gymnasialprofessor Dr. Reinhard Jordan wichtige Grundlagenarbeit. Beiden gelangen bis heute wichtige Funde in den einschlägi11 Zu Zimmermanns Müntzerbild aus marxistischer Sicht vgl. Max STEINMETZ, Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, Berlin 1971, S. 401–428. Zur Vita siehe Friedrich WINTERHAGER, Zimmermann, Wilhelm, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XXVI, Nordhausen 2006, Sp. 1588–1598. Einen umfassenden Überblick über Zimmermanns Leben und Werk gibt ein Sammelband mit den Beiträgen eines Symposiums anlässlich des 200. Geburtstages von Wilhelm Zimmermann: Roland MÜLLER/Anton SCHINDLING (Hg.), Bauernkrieg und Revolution – Wilhelm Zimmermann. Ein Radikaler aus Stuttgart (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart, 100) Stuttgart 2008 – darin u. a. Günter VOGLER, „Noch geht sein Geist um in Europas Gauen“. Wilhelm Zimmermanns Thomas-Müntzer-Bild und die Rezeptionsgeschichte, S. 83–131. Vgl. außerdem Friedrich WINTERHAGER, Wilhelm Zimmermann (1807–1878). Pfarrer, Politiker, Schriftsteller zwischen Romantik und Gründerzeit, in: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen 2/3 (2006/2007), S. 231–246. 12 Wilhelm ZIMMERMANN, Der große deutsche Bauernkrieg. Volksausgabe, Berlin (Ost) 111989, S. 814 f. 13 DERS., Geschichte des großen Bauernkrieges. Neue, ganz umgearbeitete Aufl., Stuttgart 1856 (ND Essen 1997), S. 12. 14 Ebd., S. 535, Anm. 19.

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gen Archiven, und ihre Schriften müssen bei der ernsthaften Behandlung der Thematik noch immer berücksichtigt werden. Günther Franz (1902–1992), der durch seinen 1933 erschienenen und bis zum Jahr 1984 zwölfmal fast unverändert gedruckten Gesamtüberblick zum deutschen Bauernkrieg lange Zeit als der neben Zimmermann am häufigsten zu diesem Thema rezipierte Historiker gelten kann, verankerte die Aufstände der Jahre 1524–1526 fest in der nationalsozialistischen „Blut-und-Boden-Theorie“. Selbst seit Frühjahr 1933 Mitglied von NSDAP und seit November 1933 der SA, später der SS,15 sah Franz als Folge der Niederschlagung der Erhebungen, dass „der Bauer für fast drei Jahrhunderte aus dem Leben unseres Volkes“ ausschied. „Er spielte fortan keine politische Rolle mehr. Aus seinen Reihen gingen auch keine geistigen Führer […] mehr hervor.“ Stattdessen sei er zum „Arbeitstier“ herabgesunken. „Er wurde zum Untertan, der seine Tage in Dumpfheit verbrachte und nicht mehr auf Änderung hoffte“, bilanzierte Franz am Ende seines Buches. Doch mit Enthusiasmus stellte er gleichsam fest: „Allerorten ist der Bauer im Aufbruch und stellt sich einmütig hinter den Führer unseres Volkes, der die ewigen Werte von Blut und Boden erkannt und dem Leben unseres Volkes dienstbar gemacht hat.“16 Dennoch war – von diesen politisch motivierten Deutungen abgesehen – sein im Großen und Ganzen gut recherchiertes Buch bis zu dessen Ablösung durch die Arbeit Peter Blickles (1938–2017) jahrzehntelang die modernste Gesamtdarstellung zur Thematik.17 Im Gegensatz zu seinem zeitweiligen Lehrer, Freund und politischen Weggefährten Günther Franz, der erst viele Jahre später in den Lehrbetrieb zurückkehren konnte, gelang es Walther Peter Fuchs (1905–1997)18 nach dem Krieg recht schnell wieder in der universitären Wissenschaft Fuß fassen.19 Sein größter Verdienst für die Bauernkriegsforschung war die auf Veranlassung von Günther 15 Hierzu ausführlich Laurenz MÜLLER, Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des „Dritten Reiches“ und der DDR, Stuttgart 2004, S. 288–320. Vgl. auch DERS., Revolutionary moment: Interpreting the Peasants’ War in the Third Reich and in the German Democratic Republic, in: Central European History 40 (2007), S. 193–218; Günter VOGLER, Müntzerbilder im 20. Jahrhundert. Tendenzen und Perspektiven der Forschung (Veröffentlichungen der Thomas-MüntzerGesellschaft, 2), Mühlhausen 2001. 16 Günther FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, München/Berlin 1933, S. 480 f. 17 Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, München 1975. 18 Zu Walther Peter Fuchs siehe MÜLLER, Diktatur und Revolution (wie Anm. 15), S. 127– 131. 19 Nach Kriegsende wandte sich Fuchs vorwiegend der badischen Geschichte zu. Sein berühmtester Schüler war im Übrigen der spätere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Dieser wurde 1958 in Heidelberg bei Fuchs mit einer 161-seitigen Dissertationsarbeit über „Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945“ promoviert.

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Franz übernommene Herausgeberschaft des zweiten Bandes der Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland. Nach mehrjähriger Arbeit schloss er die Edition im Jahr 1941 ab. Die Korrekturen hatte er im Kriegseinsatz gelesen. Der politische Wille, den mehr als 1.000-seitigen Band in den Druck zu bringen, war so stark, dass das Buch allen kriegsbedingten Problemen zum Trotz 1942 in Jena ausgeliefert wurde. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Fuchs der wohl beste Kenner des mitteldeutschen Bauernkrieges gewesen sein. Nahezu alle, der von ihm in dem Band publizierten fast 1.100 Quellen hatte er selbst durchgesehen und ediert. In seiner Einleitung gibt er auf 21 Seiten einen guten Überblick zur Thematik. Dabei zeigte er erstmals überaus kundig einige Zusammenhänge auf, die für ein schlüssiges Erklärungsmuster der Aufstände in Mitteldeutschland von entscheidender Bedeutung sind. Insbesondere verwies er auf die bis heute unterschätzte Bedeutung der Städte und ihrer eigenen Ziele im mitteldeutschen Bauernkrieg sowie auf die Problematik der kaum auf legalem Wege zu realisierende Verpflegung der Haufen.20 Doch nicht nur für die nationalsozialistische „Blut-und-Boden-Theorie“ auch für die kommunistischen Revolutionsthesen ließ sich der vermeintliche „Aufstand der Unterschichten“ vereinnahmen.21 1947 erschien in der UdSSR Moisei Mendeljewitsch Smirins (1895–1975) Buch „Die Volksreformation des Thomas Münzer und der grosse Bauernkrieg“ auf Russisch.22 Diesen Beitrag der neueren kommunistischen Geschichtsschreibung zum Thema sah der angesehene Moskauer Geschichtsprofessor durchaus auch als eine Art Antwort auf das 1933 veröffentlichte Buch des „faschistischen Historikers“ Günther Franz.23 Und nachdem Smirin auf Beschluss des Ministerrats der UdSSR vom 29. Mai 1948 für die Publikation den Stalinpreis zweiter Klasse erhalten hatte, war das Erscheinen einer ins Deutsche übersetzten Fassung des Buches in der DDR nur noch eine Zeitfrage. 1952 erschien es in erster Auflage, 1956 in einer zweiten im 20 Walther Peter FUCHS, Der Bauernkrieg in Mitteldeutschland, in: Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, Bd. 2, hg. von DEMS. unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. XV–XXXVI, hier vor allem S. XXVIII u. XXXII. 21 Vgl. hierzu u. a. Hans-Jürgen GOERTZ, Das Bild Thomas Müntzers in Ost und West, Hannover 1988. 22 Zu Smirins Vita (inkl. einer Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen) vgl. Manfred BENSING, Zum 70. Geburtstag von M. M. Smirin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig / Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 14 (1965), S. 829–833; M[ax] ST[EINMETZ], M. M. Smirin 70 Jahre, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 14 (1966), Heft 1, S. 124 f. 23 M[oisei] M[endeljewitsch] SMIRIN, Die Volksreformation des Thomas Münzer und der grosse Bauernkrieg. Deutsche Ausgabe übersetzt von Hans Nichtweiss, Berlin (Ost) 21956, S. 55–62.

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Berliner Dietz Verlag.24 Es zeigte zugleich den weiteren Weg für die marxistische Bauernkriegsforschung auf. Neben der deutschen Ausgabe der Schriften Smirins und natürlich der Neuauflagen der Arbeiten von Engels, Zimmermann, Kautsky und Weill prägte vor allem Alfred Meusel (1896–1960) die Sicht der Historiker in der frühen DDR. Erst Manfred Bensing (1927–1996) setze mit seiner Dissertation aus dem Jahr 1962 neue Impulse. Die von Max Steinmetz betreute und 1966 unter dem Titel „Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525“ gedruckte Arbeit blieb – obgleich stark vom marxistischen Geschichtsbild der frühen 1960er Jahre geprägt – für die folgenden fünf Jahrzehnte die umfangreichste Kompilation zum Thema. Zahlreiche neue Sammelbände und Einzelaufsätze zur Thematik wurden natürlich im Umfeld des 450. Jahrestages des Aufstandes veröffentlicht. So erschienen in der DDR zum Beispiel zwischen 1965 und 1987 fünf, teilweise überarbeitete Auflagen einer bewusst populär gehaltenen und von Manfred Bensing und Siegfried Hoyer (* 1928) verantworteten „Geschichte des Deutschen Bauernkrieges“. Der Band, der u. a. auch ins Japanische übersetzt wurde, kam ohne Nachweise aus und basierte – zumindest Thüringen betreffend – grundlegend auf den Arbeiten der beiden Historiker.25 Ähnlich populär wurde nur die von Max Steinmetz (1912–1990), Adolf Laube (* 1934) und Günter Vogler (* 1933) verfasste voluminöse „Illustrierten Geschichte der Frühbürgerlichen Revolution“ aus dem Jahr 1974.26 Fast zeitgleich erschien in München Peter Blickles wegweisende Monografie über „Die Revolution von 1525“. Ausdrücklich plädierte er in seiner thesenreichen Arbeit für eine neue Sicht auf jene „Revolution des gemeinen Mannes“, mit welcher er nicht nur einen anderen Terminus für den „Bauernkrieg“ einzuführen versuchte. Sein Buch wurde schnell kontrovers diskutiert und legte den Grundstein für Blickles große Popularität. Während sich Günther Franz noch um eine grundlegende und ausführliche Darstellung des lokalen Aufstandsgeschehens bemüht hatte, widmete sich Blickle vor allem dem Vergleich der Vorgänge, deren thesenhafter Durchdringung und der Suche nach entsprechenden Deutungsmustern. Für die Betrachtung von Einzelaktionen blieb bei diesem Ansatz kaum Raum.27

24 Ebd., S. 603–605. 25 Manfred BENSING/Siegfried HOYER, Der Deutsche Bauernkrieg 1524–1526, Berlin (Ost) 51987. 26 Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin (Ost) 1974. 27 Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, München 42004.

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Anders verhielt sich dies bei dem 1984 von Blickle gemeinsam mit Horst Buszello (* 1940) und Rudolf Endres (1936–2016) als Studienausgabe konzipierten Sammelband „Der deutsche Bauernkrieg“. Hier wurde nach drei Einleitungskapiteln sogar dezidiert in einem regional-chronologischen Teil der Verlauf der Unruhen nachvollzogen. Rudolf Endres verantwortete den Überblick zum Geschehen in Thüringen. Seine knappe Schilderung basierte nahezu ausschließlich auf der Darstellung von Günther Franz und ignorierte die neuere Forschung fast vollständig.28 Schließlich brachte erst die Verwirklichung eines lange geplanten Projektes von Günter Vogler im Jahr 2008 wichtige neue Impulse für die Beschäftigung mit dem Bauernkrieg in Thüringen.29 Der mit mehr als 500 Seiten stattliche Sammelband besorgt seither einen gründlichen Überblick zum Geschehen zwischen Harz und Thüringer Wald. Hinzu kommen natürlich noch diverse Monografien über Einzelthemen und verschiedene Protagonisten des Aufstandes. Nicht zuletzt über Thomas Müntzer, dessen Leben zuletzt von Hans-Jürgen Goertz30 sowie Günter Vogler und Siegfried Bräuer31 ausführlich beschrieben worden ist. Und dennoch bleibt noch immer eine ganze Vielfalt an Themen, deren Betrachtung oder auch Wiederbetrachtung überaus lohnenswert ist.32 Der vorliegende Band nimmt sich einiger dieser Themen an und will damit einen Beitrag leisten, die Bauernkriegsforschung unter neuen Akzentuierungen voranzutreiben. Mit Blick auf das im Jahr 2025 anstehende 500-jährige Jubiläum des Bauernkrieges in Thüringen sollen auf diese Weise die Perspektiven auf das Bauernkriegsgeschehen erweitert und neue Forschungen angeregt werden. Unser Bild vom Bauernkrieg ist nach wie vor unvollständig. Es gilt, neue Quellen zu erschließen und das bereits vorhandene Quellenmaterial mit neuen, aktuellen Fragestellungen zu konfrontieren. Zugleich müssen alte Interpretationen, Sichtweisen und Bewertungen stets hinterfragt und im Kontext ihrer Entstehung betrachtet werden. Gerade in der Beschäftigung mit den Auswirkungen der 28 Rudolf ENDRES, Thüringen, in: Horst BUSZELLO/Peter BLICKLE/DERS. (Hg.), Der Deutsche Bauernkrieg, Paderborn u. a. 31995, S. 167 f. 29 Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft. Beiheft, 69), Stuttgart 2008. 30 Hans-Jürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie, München 2015. 31 Siegfried BRÄUER/Günter VOGLER, Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie, Gütersloh 2016. Zu einem Einzelaspekt vgl. auch Thomas T. MÜLLER, Thomas Müntzer im Bauernkrieg. Fiktionen – Fakten – Desiderate (Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, 23), Mühlhausen 2016. 32 Vgl. z. B. Sarah LÖSEL/Thomas T. MÜLLER, Luthers ungeliebte Brüder. Luthers unloved brothers (Mühlhäuser Museen – Kleine Schriften, 3), Mühlhausen 2018.

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frühen Reformationsprozesse auf die Bauernkriegsereignisse wird deutlich, dass einige Themenfelder – vor allem im Bereich der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte – noch unzureichend erforscht sind. Dass die Reformation und der Bauernkrieg untrennbar miteinander verbunden sind, ist keine neue Erkenntnis. Doch in welcher Form sich beide Ereignisse in ihren unterschiedlichen Facetten und Ausprägungen bedingt haben und in gegenseitigen Wechselwirkungen standen, ist nach wie vor nicht in Gänze geklärt. Der vorliegende Band versucht deshalb, sich dem Phänomen Bauernkrieg aus mehreren Perspektiven zu widmen. Er untersucht zum einen die konkreten zeitgenösssichen Verhältnisse in Gesellschaft, Wirtschaft und Kirche und nimmt zum anderen das Handeln einzelner Akteure in den Blick. Und nicht zuletzt fragt der Band nach der Rezeption und Erinnerungskultur des Bauernkrieges – vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Wenn es dem Band gelingt, mit dem breiten inhaltliche Spektrum seiner Beiträge, Anregungen zu neuen Diskussionen und Forschungen zu setzen, dann hat er sein Ziel erreicht.

GESELLSCHAFT, KIRCHE UND KONFLIKT

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Die Ursachen des Bauernkrieges in Thüringen Eine sozial-, verfassungs- und reformationsgeschichtliche Spurensuche

I. Diskussion der Ursachen – konventionelle Interpretationen Die Frage nach den Ursachen des Bauernkrieges reicht bis in die Zeit des Aufstands selbst zurück. So schrieb der sächsische Kurfürst Friedrich III., genannt der Weise, am 16. April 1525 an seinen Bruder, den Herzog und späteren Kurfürsten Johann, dass man den armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursache gegeben habe, besonders durch „verbittung (sc. Verbot) des word gotes“.1 Das war auch Georg Spalatins Meinung: Der Privatsekretär des Kurfürsten teilte am 1. Mai 1525 seinem Herrn mit: „Dann ich besorge, das die meiste ursach aller dieser aufrur eben dohere kumen, das man gotts wort verhindert und das wir pfaffen, munchen und nunnen der abgotischen und gottslesterlichen gottsdienst nicht abstellen wollen“.2 Als Friedrich der Weise zwei Wochen später auf dem Sterbebett lag, habe er – so Spalatin – alle um Vergebung gebeten. Und schließlich soll er gesagt haben: „Denn wir Fürsten tun den armen Leuten allerlei Beschwerung auf, was nichts taugt“.3 Steuern, Frondienste und grundherrliche Belastungen sowie Verbote, das reine Wort Gottes im Sinne Luthers zu predigen, erscheinen folglich – zumindest aus der Perspektive Friedrichs des Weisen und Georg Spalatins – als nicht unwesentliche Motive für die Empörung des gemeinen Mannes. Dass des Kurfürsten Meinung hinsichtlich der sozialen und rechtlichen Missstände kein Einzelfall war, zeigen die Diskussionen auf dem Reichstag zu Speyer im Sommer 1526. Ausdrücklich schlug der große Ausschuss des Reichstages Maßnahmen vor, die auf die Beseitigung von Unbilligkeiten abzielten. Im Ratschlag des Ausschusses werden Zins und Zehnt, erhöhte Frondienste, eingeschränkte Freizügigkeit der Untertanen, Wildschäden, herrschaftliche Zugriffe auf die Allmenden, Leibeigenschaft und Besthaupt 1

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Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. 91, Nr. 1183. Ebd., S. 162, Nr. 1260. Ingetraut LUDOLPHY, Friedrich der Weise Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984, S. 483.

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genannt.4 In den Reichstagsabschied fanden die angeführten Mahnungen letztlich keine Aufnahme; ebenso gilt es für die Ansichten des sächsischen Kurfürsten Johann, der – wie Monate zuvor bereits sein Bruder Friedrich – fest davon überzeugt war, dass der Aufruhr nicht zuletzt aufgrund der Unterdrückung der freien Verkündigung des Evangeliums ausgebrochen sei. Freilich war Johann gleichermaßen der Meinung, dass nicht wenige Prediger – so in seinem Schreiben an die Stadt Erfurt im Juni 1525 – das Wort Gottes und das heilige Evangelium „verkerlich und zu aufrur predigen teten“.5 Kurfürst Johann, seine Hofräte und die Wittenberger Reformatoren gehörten folglich zu jenen, die von Anbeginn die Ursachen bei den sogenannten Schwärmern – allen voran bei Thomas Müntzer – gesucht haben. Einen inhärenten Zusammenhang zwischen der Reformation und dem Bauernkrieg negierten sie – was angesichts der völlig offenen religions- und machtpolitischen Situation als verständlich erscheint. Immerhin formierten sich mit dem Dessauer Bund (1525) sowie dem Torgauer Bund (1526) die ersten protokonfessionellen Allianzen. Dass die katholische Seite den führenden Reformatoren die Schuld am Bauernkrieg zuwies,6 liegt auf der Hand, obgleich sich Luther seit 1520 beständig und wiederholt gegen Aufruhr und Empörung gewandt hatte. In der Revolte sowie selbst im legitimen Widerstandsrecht sah er grundsätzlich den Teufel am Werk.7 Völlig gegensätzlich war die Ansicht des Herzogs Georg von Sachsen. Er stellte grundsätzlich eine enge Beziehung zwischen der gewalttätigen Empörung und der reformatorischen Bewegung her – fast gebetsmühlenartig hat er seine Ansichten im April und Mai 1525 bekundet.8 Im Wirken Luthers und der evangelischen Prediger sah Georg den wichtigsten Grund für den Bauernkrieg. Sie – so der albertinische Herzog – hätten das gemeine Volk zum Aufstand angestachelt, obgleich es im Herrschaftsgebiet der Wettiner keinen Grund für ein Aufbegehren gegeben habe. Ausdrücklich betonte Herzog Georg in einem Schreiben an die Bauernschaft und das Landvolk in der Pflege Sangerhausen (5. Mai 1525), dass die Zwölf Artikel der Schwäbischen Bauernschaft „der Thüringer 4 5 6

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Günther FRANZ (Hg.), Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges (Freiherr vom SteinGedächtnisausgabe, 2), München 1963, S. 593–598, Nr. 209. AGBM, Bd. II, S. 505, Nr. 1699. Günter VOGLER, Der Bauernkrieg in Thüringen und im Reich. Eine Einführung, in: DERS., (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen, Beiheft 69), Stuttgart 2008, S. 11–29, hier S. 28. Ulrich BUBENHEIMER, Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520–1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 71,1 (1985), S. 147–214. Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (im Folgenden: ABKG), Zweiter Band: 1525–1527, hg. von Felician GESS, Leipzig/Berlin 1917.

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Landart ganz undienstlich [sind] und [dass sie] sich auf die Flecken und Dörfer […] gar nicht reimen, noch schicken“ lassen.9 Der Landesfürst hatte zutreffend erkannt, dass die sozialen und rechtlichen Forderungen der südwestdeutschen Bauern mit den mitteldeutschen Agrarverfassungsverhältnissen nicht kongruent waren. In weiten Teilen Thüringens sowie Alt- und Obersachsens herrschten fast völlig andere grund- und gerichtsherrliche Bedingungen für das Landvolk vor als am Oberrhein, in Schwaben oder in Mainfranken. Auf diese Tatsache hat die ostdeutsche Bauernkriegsforschung seit der Mitte der 1970er Jahre wiederholt verwiesen.10 Die grundherrlichen Verhältnisse in Thüringen sowie in den sich nördlich, nordöstlich und östlich anschließenden Regionen waren für die Bauern am Vorabend des Bauernkrieges günstig. Die Grundherren konnten weder Grundzins, Lehngeld noch Frondienste oder anderes willkürlich erhöhen. Der Kirchenzehnt war ebenfalls fest fixiert. Vor bzw. nach dem Bauernkrieg begannen die bäuerlichen Gemeinden ihren sowie den Besitz der einzelnen Bauern in katasterähnliche Grundbücher zu verzeichnen, was fraglos ihre Rechtssicherheit erhöht hat.11 Bei Konflikten zwischen Herren und Bauern stand es letzteren frei, sich juristisch zu widersetzen. Appellation war jederzeit möglich, nicht zuletzt weil es spätestens seit dem 13. Jahrhundert ein mehrgliedriges Gerichtssystem gab.12 Obendrein waren der regionalen Freizügigkeit der ländlichen Gesellschaft

9 Ebd., S. 171 f., Nr. 919. 10 Manfred STRAUBE, Die politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse des Amtes Allstedt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Allstedt – Wirkungsstätte Thomas Müntzers. Ein Beitrag zum 450. Jahrestag des deutschen Bauernkrieges, Allstedt 1975, S. 28–44; Hartmut HARNISCH, Landgemeinde, feudalherrlich-bäuerliche Klassenkämpfe und Agrarverfassung im Spätfeudalismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im Folgenden: ZfG) 26 (1978), S. 887–897; Günter VOGLER, Thüringens Wirtschaft und Sozialstruktur zur Bauernkriegszeit, in: DERS., Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 43–64; Wieland HELD, Thüringen im 16. Jahrhundert, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16.–20. Jahrhundert, Weimar 1994, S. 9–13; mit einer zum Teil anderen Akzentuierung: Siegfried HOYER, Wirtschaftliche und soziale Ursachen des deutschen Bauernkrieges. Das Beispiel Thüringen, in: ZfG 29 (1981), S. 1106–1120. 11 Gottfried RICHTER, Die Grundstücksübereignung im ostfälischen Sachsen. Die Entwicklung ihrer Form nach Landrecht, unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Mitwirkung und der Eintragung in Bücher, Leipzig 1934, S. 23–31. 12 Gerhard BUCHDA, Die Dorfgemeinde im Sachsenspiegel, in: Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, Bd. 2 (Vorträge und Forschungen, 8/II), Sigmaringen 21986, S. 7–24; Heiner LÜCK, Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423–1550 (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte, 17), Köln 1997.

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faktisch kaum Grenzen gesetzt.13 Dies war geradezu konstituierend für weite Teile des mitteldeutschen Raumes, denn ohne sie hätten die großen Gewerbereviere (Mansfelder Land, Westerzgebirge) nach 1460/70 nicht so rasant anwachsen können. Die ländlichen Gewerberegionen waren beständig auf den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Umland angewiesen.14 Zwar erhoben und forderten die mächtigen Territorialherren – allen voran die ernestinischen und albertinischen Wettiner – seit 1470/1513 regelmäßig Trank- und Landsteuern,15 doch konnten diese in Anbetracht der gesamten sozialökonomischen Situation von der steuerpflichtigen Bevölkerung mühelos aufgebracht werden. Eine fiskalische Belastung waren die Steuern noch nicht; das wurden sie erst im 17. und 18. Jahrhundert, ohne dass es jedoch zu Steuerrevolten gekommen wäre. Am Vorabend des Bauernkrieges lassen sich auch in Thüringen vielschichtige Konflikte zwischen Landesherrschaft und Grundherren einerseits sowie Bauern und bäuerlichen Gemeinden andererseits nachweisen, die letztlich im Frühjahr 1525 gewaltsam ausgetragen worden sind. Es ist jedoch zu betonen, dass nicht materielle Unzufriedenheit, Armut oder gar Verelendung die Revolte verursacht haben. Arbeit schafft und mehrt Eigentum, vor allem wenn es rechtlich gesichert ist – und das war in Thüringen sowie insgesamt in Mitteldeutschland grundsätzlich der Fall. Die Besitz- und Sozialstrukturen der ländlichen Gesellschaft werden durch die erhaltenen Land- und Türkensteuerregister von 1481, 1495, 1501, 1529/31, 1542 und 1546 bestens dokumentiert.16 Sie illustrieren die

13 Uwe SCHIRMER, Agrarverfassung, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im spätmittelalterlichen Thüringen und Sachsen (1378–1525), in: Enno BÜNZ (Hg.), Dorf und Landwirtschaft um 1500 (Vorträge und Forschungen), Sigmaringen 2019 (im Druck). 14 Wolfgang von STROMER, Gewerbereviere und Protoindustrien in Spätmittelalter und Frühneuzeit, in: Hans POHL (Hg.), Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 78), Stuttgart 1986, S. 39–111; Gerhard HEITZ, Ländliche Leinenproduktion in Sachsen (1470–1555), Berlin 1961; Uwe SCHIRMER, Das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Erzgebirge als Wirtschafts- und Sozialregion (1470–1550), in: Martina SCHATTKOWSKY (Hg.), Das Erzgebirge im 16. Jahrhundert. Gestaltwandel einer Kulturlandschaft im Reformationszeitalter (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 33), Leipzig 2013, S. 45–76. 15 Zur Steuerverfassung und zur Höhe der Land- und Tranksteuern vgl. Uwe SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 28), Stuttgart 2006, S. 113, 162– 171 u. 298 f. 16 Hans EBERHARDT, Die Land- und Türkensteuerregister des 16. Jahrhunderts und die Möglichkeiten ihrer Auswertung, in: Elisabeth SCHWARZE, Soziale Struktur und Besitzverhältnisse der ländlichen Bevölkerung Ostthüringens im 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Weimar, 9), Weimar 1975, S. 7–43; Wieland HELD, Zwischen

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soziale Gliederung in der ländlichen Gesellschaft des ernestinischen Kursachsens sowie den Wohlstand nicht weniger Bauern. Diesbezüglich sei an eine von Franz formulierte These erinnert: „Wichtiger als die Frage, ob es den Bauern gut oder schlecht ging, ist es zu wissen, ob der Bauer selbst seinen Zustand als erträglich empfand oder nicht.“17 Mit Bezug auf den mitteldeutschen Raum muss die Frage nach der „sozialen und mentalen Erträglichkeit“ ausnahmslos bejaht werden, was besonders mit der ökonomischen Potenz vieler Bauern zu erklären ist. Allerorts sind gut situierte Bauern nachweisbar – Mehr- und Vollhüfner, Bauern als Fuhrunternehmer, aber auch erfolgreiche Waid- und Weinbauern, die sogar nur über eine halbe Hufe Landes verfügt haben. Die quellengesättigten Arbeiten von Elisabeth Schwarze, Wieland Held, Manfred Straube u. a. belegen die tiefe Strukturierung der ländlichen Gesellschaft. Natürlich schließt die sozialökonomische Segmentierung nicht aus, dass es nicht wenige Bauern gab, die keine großen und einkommensstarken Höfe besaßen. Jedoch besagt das nicht, dass sie ihre Lage als bedrückend empfanden. Bekanntheit hat ein von Manfred Straube gefundener Quellenbeleg erlangt: In dem Dorf Lehesten, in der Nähe der Saigerhütte Gräfenthal (Amt Saalfeld) wohnten nach Ausweis des Türkensteuerregisters von 1542 acht Bauernfamilien. Die Bauern besaßen insgesamt 58 Pferde. Als 1542 die Steuer erhoben wurde, waren alle Pferde „auf der Straße“ und die Bauern nicht vor Ort. Der Saalfeder Schösser, der die Steuer eintrieb, notierte in sein Register: „Die Weiber sagen, ihre Männer sind zu Breslau, Posen, Krakau und Lublin“ unterwegs.18 Als Frachtgut hatten sie Schiefer und Waid geladen, auf dem Rückweg brachten sie ungarisches Schwarzkupfer mit, das für die Saigerhütten Thüringens bestimmt war. In diesem Zusammenhang ist nicht allein der Aktionsradius der Bauern bzw. Fuhrleute imponierend, sondern vor allem das unternehmerische Engagement. Von Dumpfheit und Bedrückung ist nichts zu spüren. – Insofern erscheint es als unredlich, ungeprüft manche bäuerliche Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ als Argument hinsichtlich der Ursachenermittlung in die Diskussion einzuführen. Welche „mitwirkenden Umstände“ haben nun – selbstverständlich neben der reformatorischen Bewegung – zum Ausbruch des Bauernkrieges in Thüringen beigetragen? Vier Punkte sollten diskutiert werden.

Marktplatz und Anger. Stadt-Land-Beziehungen im 16. Jahrhundert in Thüringen, Weimar 1988. 17 Günther FRANZ, Der Deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 121984, S. X (Aus dem Vorwort zur 1. Auflage [1933]). 18 Manfred STRAUBE, Geleitswesen und Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum zu Beginn der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 42), Köln/Weimar/Wien 2015, S. 73 u. 259.

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1. Zum ersten betrifft dies die extensive Schafhaltung der Grundherren. Infolge des leistungsfähigen mitteldeutschen Textilgewerbes bestand eine ungebrochene Nachfrage nach Schafwolle. Bereits im Entwurf der Landesordnung von 1446 sollte die Schafhaltung der Schäferknechte zugunsten der des Adels eingeschränkt werden.19 Wie ein roter Faden ziehen sich sodann die Auseinandersetzungen zwischen den bäuerlichen Gemeinden und dem Adel bzw. der Landesherrschaft bezüglich der sich immer weiter ausdehnenden Schafhaltung Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts durch die Quellen. Der Streit setzte sich auch nach dem Bauernkrieg unvermindert fort. Er betraf Bestimmungen, die Schafzucht und Schafhaltung der Bauern zu begrenzen. Gleichzeitig beanspruchten die Landesherrschaft und der Adel mit ihren Herden die Allmenden sowie noch viel stärker die triftoffenen Stoppelbrachen im System der Dreifelderwirtschaft.20 Namentlich die Beschwerden der Bauern über das Hüten der großen Herden des Adels und der Landesherren auf den Brachen sind wiederholt in den Quellen zu fassen. Das entsprechende Material hat Rudolf Quietzsch für Thüringen und das heutige Westsachsen zusammengestellt.21 Allerdings muss auch betont werden, dass die Schäfereigerechtigkeit ein altes verbrieftes Recht war, das der Sachsenspiegel festschrieb. Die Bestimmungen für die Trift- und Hutgerechtigkeit sowie letztlich für den Flurzwang werden im zweiten Landrechtsbuch des Sachsenspiegels im 54. Kapitel erläutert. Im ersten Absatz wird ausdrücklich festgelegt, dass alle ihr Vieh dem Hirten anvertrauen müssen (Hutzwang). Weiter heißt es jedoch auch: „Niemand darf auch einen besonderen Hirten haben, so daß er dem allgemeinen Hirten seinen Lohn dadurch mindere, es sei denn, er habe drei Hufen oder mehr, die sein Eigen oder sein Lehn sind, der kann einen besonderen Schafhirten haben.“ Insofern erscheinen die bäuerlichen Klagen nicht kompatibel mit geltendem Sachsenspiegelrecht. Natürlich impliziert dies auch die Frage nach der regionalen Reichweite des sächsischen Rechts.22 19 Karla JAGEN, Die Thüringische Landesordnung von 1446, Diss. masch., Leipzig 1951, Anhang, Blatt I–XXV; Gerhard MÜLLER, Die thüringische Landesordnung vom 9. Januar 1446, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 50 (1996), S. 9–35, hier S. 25. 20 Antje BAUER, Schafhaltung und Wollproduktion in Thüringen im 16. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, 666), Frankfurt/Main u. a. 1995; Rudolf QUIETZSCH, Der Kampf der Bauern um Triftgerechtigkeit in Thüringen und Sachsen um 1525, in: Hermann STROBACH (Hg.), Der arm man. Volkskundliche Studien, Berlin 1975, S. 52–78; Bernd SCHILDT, Bauer – Gemeinde – Nachbarschaft. Verfassung und Recht der Landgemeinde Thüringens in der frühen Neuzeit, Weimar 1996, S. 168–170. 21 QUIETZSCH, Kampf der Bauern um Triftgerechtigkeit (wie Anm. 20), S. 57–59. 22 Paul KALLER, Der Sachsenspiegel. In hochdeutscher Übersetzung, München 2002, S. 87 f. (Ldr. II, Kap. 54), Zitat S. 87 (Ldr. II, Kap. 54, § 2).

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Dass diese Ausnahmeregelung nur für Schafe galt, ist nicht ausdrücklich zu betonen. Allerdings sind bezüglich der thüringischen Agrarverfassung einige Probleme zu erörtern, die mit den Schlagworten Reichweite bzw. Rezeption des Sachsenspiegelrechts sowie mit der sozialen Schichtung der ländlichen Bevölkerung (Dreihufengüter, Eigen- oder Lehngut) umschrieben seien. Die Wirkmächtigkeit und weite Verbreitung des Sachsenspiegels um 1500 ist unbestritten. Kein anderes volkssprachiges Rechtsbuch war im nördlichen und östlichen Reich weiter verbreitet als das Werk von Eike von Repgow.23 Allerdings bleiben die Abgrenzung und folglich die damit verbundene Rezeption zwischen dem altsächsischen und dem fränkischen Recht problematisch. Stark verallgemeinernd sei festgehalten, dass der Grenzsaum zwischen diesen beiden dominierenden Rechtstraditionen quer durch Thüringen verlief. Vor allem das Thüringer Becken und das Eichsfeld – die regionale Zentren des Bauernkrieges waren – erscheinen als Übergangs- und Mischzonen der beiden Rechte. Das ist nicht zuletzt deshalb von herausragender Bedeutung, weil der Konflikt zwischen Herrschaft und Genossenschaft im Geltungsbereich des fränkischen Rechts ausgebrochen war und in jenen Regionen, in denen Sachsenspiegelrecht dominierte, merklich an Schwung verloren hat.24 An der zitierten Sachsenspiegelsentenz ist aber auch diffizil, dass derjenige, der mehr als drei Hufen Land – die zudem sein Eigen- oder Lehngut sind – besitzt, einen eigenen Schafhirten unterhalten darf. Hierbei sei angemerkt, dass die ständische Gliederung der ländlichen Gesellschaft zur Zeit der Niederschrift des Sachsenspiegels um 1231/35 noch nicht abgeschlossen war. Beispielsweise war für Eike von Repgow der Begriff „late“ ein übergreifender Terminus für die gesamte ländliche Bevölkerung, die er in Schöffenbarfreie, Pfleghafte, Bier- bzw. Bargelden, Zinsgelden, Landsassen, Hirten, Gäste und Tagelöhner untergliedert hat. Hinter den Schöffenbarfreien scheint sich eine Schicht verborgen zu haben, die bis ins 15. Jahrhundert hinein zwischen Adel und Nicht-Adel oszillierte. Es sind die Besitzer der Lehn- und Freigüter bzw. der Sattelgüter, die in weiten Teilen Mitteldeutschlands begütert und beheimatet waren.25 Darüber hinaus 23 Ulrich-Dieter OPPITZ, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, 3 Bde. (4 Teilbde.), Köln/Wien 1990–1992, hier Bd. 3/2, S. 1993. 24 Schon in der ersten Auflage seines Bauernkriegsbuches hat Franz auf die unterschiedlichen Rechtsbereiche hingewiesen. Untermauert wurde diese These durch die Bonner Dissertation von Huppertz. Vgl. FRANZ, Deutscher Bauernkrieg (wie Anm. 17), S. 290 f.; Barthel HUPPERTZ, Räume und Schichtungen bäuerlicher Kulturformen in Deutschland. Ein Beitrag zur Deutschen Bauerngeschichte, Bonn 1939, S. 210–228. 25 Heiner LÜCK, Art. „Pfleghafte“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (im Folgenden: HRG), Bd. IV, 27. Lfg., Berlin 22017, Sp. 579–581. Ferner: Joachim SCHNEIDER, Kleine Ehrbarmannen in Kursachsen. Adel zwischen Bauern, Bürgertum und landsässiger Ritterschaft, in: Kurt ANDERMANN/Peter JOHANEK (Hg.), Zwischen

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besaßen nicht wenige Bauern schlichte Zinsgüter (vor allem im Geltungsbereich des sächsischen Rechts), die über drei und mehr Hufen verfügt haben. Rechtlich besonders herausgestellte Bauern sind nicht zuletzt im Thüringer Becken nachweisbar. Beispielsweise richteten sich während des Aufruhrs 1525 bäuerliche Beschwerden gegen acht rechtlich besser gestellte Bauern aus Mühlberg (südwestlich von Erfurt), die in der Quelle als „die edeln“ bezeichnet werden.26 Die acht Bauern waren Inhaber von Freigütern. Solche Freigüter waren um Erfurt verbreitet. Ihre Inhaber genossen eine rechtliche Besserstellung. Dazu gehörte auch die erweiterte Schafhaltung, denn sie wurden seitens der Aufständischen beschuldigt, durch ihre Schaftrift andere Bauern zu schädigen. Historisch gehen die Freigüter vermutlich auf eine hochmittelalterliche Ansiedlung von Flamen und Friesen zurück.27 Bemerkenswert an dieser Quelle ist nicht allein die offensichtliche Rezeption des Sachsenspiegels,28 sondern die Tatsache, dass sich kleinbäuerlicher Protest auch gegen rechtlich besser gestellte Bauern gerichtet hat. Die Besitzer von größeren Höfen oder Freigütern standen mit ihren Schafherden auf der Brache in Konkurrenz zur Herde des Gemeindehirten, was selbstredend Widerspenstigkeit hervorrief. Die Masse der Schafe – das steht außer Frage – gehörte freilich dem Adel oder den Landesherren, wobei sich deren Schafhaltung auffällig in Westthüringen (Ämter Creuzburg, Eisenach, Gerstungen, Hausbreitenbach) konzentrierte – offensichtlich aufgrund des Naturraumes.29 Aus Westthüringen und Franken sind aber auch Klagen des Niederadels überliefert. In dem Falle beschwerte er sich bei dem Landesfürsten über die Beeinträchtigung der eigenen Trift durch Herden, die dem Landesherrn selbst gehört haben. Entsprechende Vorhaltungen sind von 1495 und 1531 überliefert.30 Die Hinweise auf die Freigüter bzw. die Klagen des Niederadels mögen illustrieren, dass eine starre Sicht auf vermeintlich abgeschlossene Stände, die sich zudem antagonistisch als ‚Bauern‘ und ‚Adlige‘ gegenüberstanden, als problematisch erscheint. Wie beim

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Nicht-Adel und Adel (Vorträge und Forschungen, 53), Sigmaringen 2001, S. 179–212, bes. S. 199 f.; Friedrich LÜTGE, Die mitteldeutsche Grundherrschaft und ihre Auflösung (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 4), Stuttgart 21957, S. 42 f., 90–94. AGBM, Bd. II, S. 578, Nr. 1764. LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 25), S. 93 f.; Wilhelm SCHUM, Über bäuerliche Verhältnisse und die Verfassung der Landgemeinden im Erfurter Gebiete zur Zeit der Reformation, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 9 (1878), S. 1–102, hier S. 43. QUIETZSCH, Kampf der Bauern um Triftgerechtigkeit (wie Anm. 20), S. 69. BAUER, Schafhaltung und Wollproduktion (wie Anm. 20), S. 112–114. Carl August Hugo BURKHARDT (Hg.), Ernestinische Landtagsakten. Die Landtage von 1487–1532 (Thüringische Geschichtsquellen, N. F. 5), Jena 1902, S. 19, Nr. 41 u. S. 252, Nr. 462.

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Wald oder den Gewässern, so wurden auch die Brachen von allen Ständen, so ihnen das freie Triftrecht zustand, beansprucht. 2. Ein weiteres Problem erwuchs aus dem erhöhten Energiebedarf durch die Städte und Gewerbereviere. Wie oben angedeutet wurde, erlebte der thüringisch-sächsische Raum einen starken wirtschaftlichen Aufschwung seit circa 1460/75. Mit Hinweisen auf die Saigerhütten und die Glasproduktion im Thüringer Wald, den Mansfelder Kupferschieferbergbau, die leistungsstarken Salinen oder die gewaltige Silbererzproduktion im Westerzgebirge sei Genüge getan, um auf den hohen Energiebedarf jenseits des täglichen Holz- und Holzkohleverbrauchs in Stadt und Land hinzuweisen.31 Die Schmelzhütten selbst verunreinigten aber auch die Gewässer und Viehtriften, so dass sie nur noch eingeschränkt nutzbar waren. Ausdrücklich wird dieser Umstand in den Arnstädter Artikeln vom 25. April 1525 benannt.32 Neben der in den Hütten benötigten Holzkohle wuchs ferner die Nachfrage nach Bauholz an. Empirisch nachweisbar ist die vermehrte Bautätigkeit in Stadt und Land – nicht zuletzt hinsichtlich des Bauholzhandels.33 Kurzum: Die natürlichen Ressourcen, allen voran die Wälder und Gehölze in Thüringen, sind seit Ausgang des 15. Jahrhunderts stetig beansprucht worden, was nicht folgenlos blieb. Immer hörbarer erschallte der Ruf nach einer geordneten Forstwirtschaft. Die ersten Ansätze sind im Kurfürstentum Sachsen (und damit in weiten Teilen Thüringens) seit dem Jahr 1513 in entsprechenden Ordnungen für die einzelnen Ämter nachzuweisen. Der sich immer stärker durchsetzende regulierte Holzverkauf sowie die seitens der Landesherrschaft erlassenen Vorschriften zur Nutzung der Wälder standen diametral gegenüber den Interessen der bäuerlichen Gemeinden. Letztere verwiesen darauf, dass ihnen der freie Zugang zu den Wäldern seit alters zustünde. Geregelt oder gar rechtlich festgeschrieben war das freilich nicht. Wie bei der Nutzung der Brachen so stießen auch hinsichtlich des Holzeinschlags die Interessen von Herrschaft und Gemeinde schroff aufeinander. Verstärkt wurde dieser Gegensatz durch das gemeinsame Agieren der Ritterschaft und der Städte auf den Landesversammlungen. Die Stände und der Landesfürst verwiesen auf das Gemeinwohl und den gemeinen Nutzen, wobei sie in erster Linie an das einheimische Handwerk und den regionalen Handel dachten. Letztlich gipfelte dieser Streit allerorts in der Frage, wem der Wald eigentlich

31 Günter VOGLER, Thüringens Wirtschaft und Sozialstruktur zur Bauernkriegszeit, in: DERS., Bauernkrieg (wie Anm. 6), S. 43–64, hier S. 51. 32 AGBM, Bd. II, S. 104, Artikel 21, Nr. 1202. 33 Christian HOPF, Waldnutzung und Waldwirtschaft im Spiegel thüringischer Rechtsquellen des 16.–18. Jahrhunderts, Diss. Masch, Jena 1951; STRAUBE, Geleitswesen und Warenverkehr (wie Anm. 18), passim.

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gehöre.34 Das Verlangen nach einer freien Nutzung der Wälder war auf alle Fälle eine generelle Forderung der bäuerlichen Gemeinden. 3. Drittens ist auf die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinde einzugehen. Herrschaft wurde im zunehmenden Maße nicht mehr „mit“ Bauern verwirklicht, sondern „über“ Bauern. Sukzessive ist die bäuerliche Gemeinde seit dem Spätmittelalter teilweise oder weitestgehend aus dem Prozess politischer Willensbildung ausgeschlossen worden. Diese Entwicklung setzte im 13./14. Jahrhundert ein und zog sich bis weit in die frühe Neuzeit hin.35 Beispielsweise wurden im Herrschaftsbereich der Kurfürsten von Sachsen bäuerliche Gemeinden letztmalig zum Landtag nach Jena bzw. zum Ausschusstag auf der Fahner Höhe bei Erfurt im Jahr 1511 geladen,36 ohne dass damit suggeriert wird, dass bäuerliche Gemeinden grundsätzlich an den Landtagsverhandlungen hätten teilnehmen dürfen. Wahrscheinlich stellt die Einladung von 1511 eine Ausnahme dar. Gleichwohl ist aber auch darauf hinzuweisen, dass Bauern auf den Landesversammlungen des 13. Jahrhunderts vertreten waren, so zum Beispiel auf dem markgräflich-meißnischen Landding zu Colm im Jahr 1233, wo einzelne Bauern sogar Aufnahme in die Zeugenliste gefunden hatten.37 Die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinde war mit Eingriffen in die genossenschaftliche Rechtsprechung verbunden. Eine Zäsur war die Herausbildung der niederadligen Patrimonialgerichtsbarkeit, infolgedessen die alten Dorfgerichte an Bedeutung verloren haben. Die Zentralisierung der Ober- und Niedergerichtsbarkeit in den Händen des nichtgefürsteten Adels hatte zur Folge, dass die Ortsobrigkeit jederzeit kontrollierend in die Belange der Gemeinde eingreifen konnte.38 Fürstliche Mandate (Landes- und Amtsordnungen) von 1446, 1459, 1466, 1482, 1498/1501 und 1513 belegen die Disziplinierungs- und Überwachungstendenzen seitens der Landesherrschaft eindrucksvoll. In den Ordnungen spiegeln sich ferner die Bemühungen der Fürsten wider, das spät34 Peter BLICKLE, Wem gehört der Wald? in: DERS., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 35), Stuttgart u. a. 1989, S. 37–38. 35 Heide WUNDER, Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland, Göttingen 1986, S. 143. 36 BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 30), S. 82, Nr. 142. 37 Walter SCHLESINGER, Zur Gerichtsverfassung des Markengebiets östlich der Saale im Zeitalter der deutschen Ostsiedlung, in: DERS., Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Göttingen 1961, S. 48–132, hier S. 85. 38 Uwe SCHIRMER, Die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinden als „negative Implikation“ der Reformation? Beobachtungen aus dem thüringisch-obersächsischen Raum (ca. 1400–1600), in: Werner GREILING/Armin KOHNLE/Uwe SCHIRMER (Hg.), Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620 (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 4), Köln/ Weimar/Wien 2015, S. 163–200.

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mittelalterliche landesherrliche Kirchenregiment auszubauen und zu festigen. Im Kern versuchten Landesherrschaft und Ortsobrigkeit – sicherlich in redlicher Absicht – eine archaische Volkskultur zu zivilisieren, denn wiederkehrend werden die angeblichen bzw. tatsächlichen Laster der ländlichen (aber auch städtischen) Bevölkerung benannt: übermäßiger Alkoholkonsum, Ehebruch, Glücksspiele, Abwesenheit im Gottesdienst usw. Die strafrechtliche Durch- und Umsetzung der landesfürstlichen Mandate ist empirisch gesichert.39 Als Reaktion ist bereits vor dem Bauernkrieg eine bemerkenswerte Renitenz vor allem bei der ländlichen Bevölkerung in den Quellen zu fassen. Die Widerspenstigkeit war sowohl antiklerikal als auch obrigkeitsfeindlich ausgerichtet. Die Entmündigung schlägt sich aber auch in der landesherrlichen Kontrolle über die öffentlichen Finanzen der Dorf- und Kirchgemeinden nieder. Entsprechende Archivbestände (Dorf- bzw. Kirchenrechnungen), die diese Aufsichtsmaßnahmen dokumentieren, sind für den Nordwestteil des ernestinischen Kurfürstentums für die Jahre von 1513 bis 1547 sowie generell seit der Mitte des 16. Jahrhunderts für weite Teile Mitteldeutschlands überliefert.40 Hinsichtlich der Gemeinderechnungen aus Kursachsen betrifft es ausschließlich Dörfer bzw. Kirchen, über die der Kurfürst die Obergerichtsbarkeit bzw. das Patronatsrecht besaß. Der Landesfürst beauftragte die Amtsschösser, die Rechnungslegung der Dorf- und Kirchgemeinden zu überprüfen. Die Überwachung der Gemeindevermögen war Bestandteil der landesherrlichen Kirchenpolitik, die in Kursachsen im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts intensiviert wurde. Faktisch versuchte die Landesherrschaft, das Budgetrecht der Gemeinden zu brechen. Vorrangiges Ziel war es, dass die Gemeinden ihre Einnahmen im Sinne des Gemeinen Nutzen ausgeben sollten (Erhaltung öffentlicher Gebäude [besonders der Kirchen, aber auch der Gemeinde-, Back- und Hirtenhäuser], Besserung der Wege und Brücken usw.). Hinsichtlich der Überwachung der Gemeindevermögen wurden Aufwendungen, die für die traditionellen Zusammenkünfte der ländlichen Bevölkerung bestimmt waren (beispielsweise das vierteljährliche Gemeindebier), als lasterhaft diskreditiert oder sogar kriminalisiert. Abermals rief dies die Renitenz des Landvolkes hervor, zumal im Sachsenspiegel (Ldr. III, Kap. 64, § 11) das Vertrinken der Gerichtsbußen durch die bäuerliche Gemeinde ausdrücklich festgeschrieben war.41 39 Ebd., S. 181–187. 40 Hartmut HARNISCH, Die Landgemeinde der frühen Neuzeit und die Gemeindebauten, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie (im Folgenden: ZAA) 40 (1992), H. 2, S. 168–185; Uwe SCHIRMER, Unerschlossene Quellen zur Reformationsgeschichte: Kirchenrechnungen aus dem ernestinischen Kursachsen (1514–1547), in: Winfried MÜLLER (Hg.), Perspektiven der Reformationsforschung in Sachsen. Ehrenkolloquium zum 80. Geburtstag von Karlheinz Blaschke, Dresden 2008, S. 107–123. 41 KALLER, Sachsenspiegel (wie Anm. 22), S. 130.

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4. Es wurde angedeutet, dass sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die patrimoniale Gerichtsbarkeit allmählich durchsetzte und dass die bäuerlichen Gerichte größtenteils zu bloßen Rügegerichten herabgesunken waren. Parallel zur Etablierung der patrimonialen Gerichtsbarkeit wurden die Verfahren schrittweise professionalisiert. Immer stärker dominierten Schriftlichkeit und Aktenversendung sowie die Appellationen gegen in erster Instanz gefundene Urteile. Offen bleibt, inwieweit gelehrtes Recht ins ländliche Rechtsleben um 1525 eingedrungen war. Die kursächsischen Konstitutionen, in denen römisches Recht partiell mit traditionellem Volksrecht verschmolzen worden ist und die für weite Teile Mitteldeutschlands Wirkmacht erlangten, hat die landesfürstliche Administration erst im Jahr 1572 publiziert.42 Weitere schwerwiegende Eingriffe hinsichtlich der Prozessführung folgten sodann zu Beginn des 17. Jahrhunderts.43 Die spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Patrimonialgerichte unterstanden größtenteils dem Niederadel. Ihm oblag die Hege und Pflege des Gerichts; er wohnte den Verhandlungen persönlich bei und ihm standen die Gerichtseinnahmen zu. Vor diesen Gerichten fanden aber auch die Grundstücksübertragungen statt. Das Patrimonialgericht war – modern gesprochen – für Zivil- und Strafrecht zuständig. Der Landesherr behielt sich jedoch in letzter Instanz Urteile über Mord, Totschlag, Raub, Überfall und Fehde vor.44 Auf den Schöffenbänken der Patrimonialgerichte saßen bis ins 19. Jahrhundert hinein rechtskundige Laien. Die Quellen über die sich ausbreitende Schriftlichkeit und die sich professionalisierende Rechtspraxis in den Patrimonialgerichten fließen bis circa 1525 nur spärlich. Entsprechende Akten waren und sind Teil der Rittergutsarchive, deren Überlieferung größtenteils erst im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts einsetzt.45 Allerdings unterrichten alternative Quellen über die modifizierte Prozesspraxis Ausgang des 15. Jahrhunderts. Beispielsweise gilt das für die geplante Landesordnung von 1498/99, die von den kursächsisch-ernestinischen 42 Gerhard BUCHDA/Heiner LÜCK, Art. „Kursächsische Konstitutionen“, in: HRG, Bd. III, 18. Lfg., Berlin 22016, Sp. 354–361; LÜCK, Kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 12), S. 281–283. 43 Dazu zählt beispielsweise die im Jahr 1622 erlassene kursächsische Prozess- und Gerichtsordnung. Infolgedessen mussten die Richter in allen Gerichten, die bis dahin vorrangig aus dem Kreis der Rechtserfahrenen bestimmt worden sind (Stichwort Honoratiorenrecht), ihren Platz räumen. Sie wurden durch graduierte Juristen ersetzt. Es ist also eine weitere Professionalisierung wahrnehmbar. Auf den Schöffenbänken saßen jedoch weiterhin erfahrene und rechtskundige Honoratioren, die bäuerlicher Herkunft waren. 44 Grundsätzlich: LÜCK, Kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 12), S. 79–82 et passim. 45 Vgl. Jörg BRÜCKNER/Andreas ERB/Christoph VOLKMAR (Bearb.), Adelsarchive im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt. Übersicht über die Bestände (Veröffentlichung der staatlichen Archivverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt. Reihe A: Quellen zur Geschichte Sachsen-Anhalts, 20), Magdeburg 2012.

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und herzoglich-albertinischen Räten ausgearbeitet worden ist.46 Die Fürsten haben den Entwurf jedoch nicht ratifiziert. Entscheidend ist, dass in ihm Aspekte, die das Gerichtswesen von Land und Leuten betreffen, erörtert werden. Insofern besitzt der Entwurf einen Quellenwert, da er über virulente Probleme der Gerichtsverfahren unterrichtet. Einen Eingriff in die gängige Rechtspraxis stellte die Absicht dar, die sogenannten „Fürsprecher“ oder „Vorsprecher“, die als Rechtsbeistände bzw. als Advokaten allen Parteien vor Gericht beistehen konnten, zu verbieten bzw. deren Wirken stark einzuschränken. Ausdrücklich werden das „Vorreden“ bzw. „Fürsprechen“ vor Gericht als überflüssige, schädliche und unnütze Übung verunglimpft, die zu untersagen sei. Anstatt eines Vorredners sollte ein Schöffe von der Bank sich der Klage annehmen. Nur bei peinlichen Sachen vor dem fürstlichen Hofgericht sollte es zukünftig statthaft sein, sich des juristischen Beistandes zu vergewissern.47 Dieses Ansinnen erscheint insofern bemerkenswert, weil die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Vorsprecher im Sachsenspiegel wiederkehrend erörtert und beschrieben werden. Insofern war das „Fürsprechen“ fester Bestandteil der alten Rechtspraxis. Die kurfürstliche Administration scheiterte jedoch mit diesem Verbot bzw. dieser Beschränkung, die unzweifelhaft die Chancen derjenigen gemindert hätte, welche vor den Schranken des Gerichts nicht oder nur teilweise in der Lage waren, ihr Anliegen rechtlich adäquat vorzutragen, kläglich. Das belegt die Revision des ersten Entwurfs, der im April 1499 vorlag. Nach dem Bauernkrieg hat die fränkische Ritterschaft in Verhandlung mit den kurfürstlichen Hofräten für die Pflege Coburg im Spätsommer 1531 durchgesetzt, dass „eine Ordnung der Vorsprecher bei Gericht“ erlassen werden soll.48 Inwieweit es der fränkische Adel verstanden hat, das „Fürsprechen“ in den Dorf- oder Patrimonialgerichten zu bewahren oder einzuschränken, bleibt unbekannt. In der Hofgerichtsordnung für die Pflege Coburg vom 3. März 1544 werden die Rechte und Pflichten der Advokaten allerdings umfassend erörtert; ebenso stand jedem Untertan das Recht der Appellation zu. Die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinde sowie Veränderungen in der Rechtspraxis haben, wie betont wurde, den gewaltsamen Protest des gemeinen Mannes befeuert. Neben der nicht ratifizierten Landesordnung von 1499 sind ferner manche Klagen des Niederadels überliefert, die ebenfalls Information über das Gerichtswesen – aber auch über Schaftriften, Waldnutzung oder adlige Jagdrechte – enthalten. Die Quellen fließen dazu reichlich. Obgleich sie sogar in edierter Form vorliegen,49 sind sie für die Erforschung von Konflikten im 46 47 48 49

BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 30), S. 35–40, Nr. 67. Ebd., S. 39, Nr. 67. Ebd., S. 252, Nr. 462. Vgl. generell: ebd., passim.

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ländlichen Raum bisher kaum berücksichtigt worden. Bemerkenswert an nicht wenigen adligen Beschwerdeschriften aus den Jahren vor 1525 ist die Tatsache, dass sich der Niederadel sowohl von der fürstlichen Landesherrschaft als auch von den bäuerlichen Gemeinden bedrängt, teilweise sogar bedroht sah. Eine 22 Punkte umfassende Klageschrift vom Juli 1498 illustriert diesen Sachverhalt. Das Schreiben ist im Auftrag von Ritter Hans Goldacker und seines leiblichen Bruders Friedrich Goldacker, fernerhin von Andreas und Heinz von Herda, von denen von Wangenheim, von denen von Uttenrode zu Scharfenberg, Hans von Erffa, Ernst von Harstall, Diethard von Farnrode zu Wenigenlupnitz, Balthasar von Nesselrode (Nesselryden), Hans Metzsch, Caspar von Boyneburg, Andreas von Teutleben und denen von Reckrod (Reckenrode, Reckenroth) zu Brandenburg und Mechterstedt aufgesetzt worden.50 Die Niederadligen waren alle in Westthüringen im Grenzbereich zwischen Hessen, Henneberg und Kursachsen begütert. Die Quelle dokumentiert die vermeintliche bzw. tatsächliche Bedrückung des Niederadels seitens des Territorialstaates sowie durch die genossenschaftlichen Organe der Dorfgemeinde. Dass dem Adel in dieser Hinsicht nur das „Treten nach unten“, also gegen Bauern und Gemeinde, möglich erschien, offenbaren einige der 22 Artikel. Zugleich belegen drei Beschwerdepunkte, dass die Dorfgerichte – zum Unwillen des Niederadels – noch teilweise funktionsfähig waren. So erbaten die Unterzeichner, dass man sie in „ihren Rechtssachen mit den Bauern“ aus Kostengründen nicht vor entlegene Hofgerichte laden möge. Ausdrücklich ersuchen sie die fürstlichen Hofräte um einen eigenen Richter (Punkt 1).51 Hinter diesem Ansinnen verbirgt sich die „Prozesssucht“ der Bauern, besonders das Appellieren gegen gefundene Urteile, die ihrer Meinung nach nicht Altem Recht entsprochen haben. Ähnliches wird in einem weiteren Punkt moniert. Hierbei werden die dem Landesherrn untertänigen Bauern beschuldigt, dass sie den Adel mit überflüssigen Klagen überziehen und dass adliger Widerspruch folgenlos bliebe (Punkt 10). Fernerhin klagten die Niederadligen (Punkt 4), dass sie „wegen Vornahme ihrer Ritterlehn und Erbgütergerechtigkeit“ vor (!) dem Bauerngericht zu erscheinen haben. Dieser Umstand ist ein Indiz für ein noch intaktes Dorfgericht, vor dem alle Schichten und Stände vorstellig werden müssen. Insofern kann dieser Befund – aus bäuerlicher Sicht – noch auf eine gewisse ständische Durchlässigkeit hinweisen. Aus adliger Perspektive sah das völlig anders aus, denn für den Adel erschien die ständische Gliederung als abgeschlossen. Ohne sich in den Details der thüringischen Niederadelsforschung zu verlieren, sei zumindest festgehalten, dass die Familien Uttenrode, Farnrode oder Nesselrode – die dieses Schreiben mit unterzeichnet haben – nicht zu den 50 Ebd., S. 40–42, Nr. 68. 51 Ebd., S. 41.

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adligen Führungsschichten im Lande gehört haben.52 Eher ist vom Gegenteil auszugehen. Sie saßen auf kleinen Lehn- oder Sattelgütern wie auch manche Bauern. Allein die adlige Herkunft unterschied sie vom gemeinen Mann. Ein halbes Jahr nach der Niederschlagung des Bauernkriegs in Thüringen forderte Kurfürst Johann von Sachsen am 21. Dezember 1525 seine Amtleute und Städte auf, Auskunft über Missstände in Städten und Dörfern, Grundherrschaften und Zünften oder in den Gerichten zu erstatten. Die angemahnten Berichte sollten Grundlage für eine neue Landesordnung sein. Insgesamt listete der Kurfürst 14 Fragen auf. Inhaltlich betraf es – grob vereinfacht und verkürzt – die inzwischen eingeführte lutherische Reformation, offene Fragen über Rats-, Markt- und Zunftordnungen, die Arbeitslöhne in Stadt und Land, das Bierbrauen und den Bierausschank, aber auch das Gerichtswesen („wie es in bürgerlichen und Gastgerichten, in Land- und peinlichen Gerichten gehalten wird“) sowie die gesamte ländliche Arbeits-, Alltags- und Festkultur. Letzteres betraf Hochzeiten, Kirmessen, Kindtaufen und das Gemeindebier, ferner den Straßenverlauf der überregionalen Trassen, die Funktion der Erbschenken, den Holzeinschlag und die Verwüstung der Wälder, Müßiggängerei, Abzugsbriefe des Gesindes, Rechungslegung von Kirch- und Dorfgemeinden, Besserung der Landstraßen und Dorfetter sowie die bäuerliche Feldwirtschaft (Aussaat auf den Feldern, „Beschickung der Fruchtfelder“).53 Unschwer ist zu sehen, dass die in dieser Miszelle diskutierten Aspekte, die den Bauernkrieg verursacht haben könnten, allesamt von kurfürstlicher Seite nachgefragt worden sind. Die Landesordnung, das sei angemerkt, wurde schließlich im Jahr 1531 erlassen.54 Es ist ein Gemeinplatz der Bauernkriegsforschung, dass als mögliche Gründe für den Ausbruch ein komplettes Ursachenbündel benannt wird.55 Da bekanntermaßen der Bauernkrieg in Thüringen regional abebbte und versandete (trotz des blutigen Höhepunktes in Frankenhausen), erscheint es geboten, sich auf objektive Beweggründe, die den Aufstand befeuert haben, zu konzentrieren. 52 Diese Bewertung gründet sich auf: Christian HESSE, Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350–1515 (Schriften der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 70), Göttingen 2005; Joachim SCHNEIDER, Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 52), Stuttgart 2003; SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 15). 53 BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 30), S. 40–42, Nr. 68. 54 Die Landesordnung von 1531 ist nicht ediert. Eine Paraphrase in: SCHIRMER, Entmündigung der bäuerlichen Gemeinden (wie Anm. 38), S. 178–181. 55 Souverän, zugleich aber auch stark verallgemeinernd, ist die Zusammenschau von: Rudolf ENDRES, Ursachen [des Bauernkrieges], in: Horst BUSZELLO u. a. (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn u. a. 21991, S. 217–253.

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Bevölkerungsanstieg, Leibeigenschaft und Hörigkeit, existenzbedrohende Abgaben und Steuern, übermäßige Erhöhung der Frondienste, Wetteranomalien und Ertragsausfälle, Preissteigerungen, die fast allerorts nachzuweisende territorial-politische Zersplitterung oder gar die vulgärmarxistische Mär von den sich „ständig verschärfenden Klassenwidersprüchen“ scheiden für Thüringen und die angrenzenden östlichen wie nördlichen Regionen als Ursachen weitestgehend bzw. komplett aus. Was für den deutschen Südwesten gilt, muss für Thüringen noch lange nicht gelten – wohl wissend, dass es Beschwerden gab, die eine stete fiskalisch-staatliche und grundherrliche Belastung suggeriert haben. Derartige Forderungen waren – modern gesprochen – populistisch. Als wichtigster Grund für den Bauernkrieg in Thüringen erscheint natürlich die lutherische Reformation – sei es, weil die Verkündigung des „reinen Evangeliums“ untersagt wurde (wie in den nordthüringischen Ämtern des albertinischen Sachsens oder in den Harzgrafschaften) oder wegen der Wirksamkeit einiger „Schwarmgeister“, die eine apokalyptisch-eschatologische Endzeitstimmung heraufziehen sahen und das Himmelreich auf Erden in Aussicht stellten. Typisch für Thüringen war das Ringen aller Stände um die natürlichen Ressourcen – vorrangig um die Schaftriften sowie die Nutzung der Wälder. Unbedingt anzuführen sind indes auch die landesherrlichen und adligen Bestrebungen, die Autonomie der bäuerlichen Gemeinde einzuschränken. Damit waren untrennbar Eingriffe in die genossenschaftliche Rechtsprechung der Dorfgemeinde verbunden.

II. Bauernkrieg an der Peripherie – oder: Wo und warum versandete die Revolte? Anmerkungen zu Erbrecht, Besitz- und Siedlungsstrukturen Die Bauernkriegsforschung hat seit dem Erscheinen von Günther Franzʼ „epochemachendem Werk“ (Peter Blickle) einige Konjunkturen in Ost und West erlebt. Unabhängig von der Protest- und Konfliktforschung der 1970er bis 1990er Jahre wurde das Bild über die sozialen, alltäglichen, wirtschaftlichen und vor allem rechtlichen Verhältnisse auf dem flachten Lande durch neue, empirisch gesättigte Studien geschärft. Nicht zuletzt gilt das für den thüringischobersächsischen Raum. Der Forschungsstand muss an dieser Stelle nicht bilanziert werden. Trotz einer Vielzahl neuer Einsichten und novellierter Arbeitsthesen gilt die Aussage von Franz, dass „der Bauernkrieg […] eine Auseinandersetzung zwischen dem genossenschaftlichen Volksrecht und dem obrigkeitlichen

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Herrschaftsrecht“ gewesen sei, scheinbar uneingeschränkt.56 Der Kampf um das ‚Alte Recht‘ nahm unstrittig in allen Regionen einen zentralen Platz ein. Das ist Gemeingut der Forschung. Gleiches gilt für den immediaten Zusammenhang zwischen Bauernkrieg und Reformation sowie der Transformation des Alten Rechts ins Göttliche Recht.57 Bezüglich des Alten Rechts ist es selbstredend nicht unwichtig zu wissen, welche Traditionen normwirkend waren und bis in welche sozialen Schichten das „genossenschaftliche Volksrecht“ Geltung besaß. Ferner: Auf welcher Grundlage basierte das „obrigkeitsrechtliche Herrschaftsrecht“? Erstaunlicherweise ist die Frage nach den „Volks- und Herrschaftsrechten“ in der Bauernkriegsforschung kaum gestellt worden.58 Die Goldene Bulle des Kaisers Karl IV. aus dem Jahr 1356 geht im 5. Kapitel wie selbstverständlich davon aus, dass es im Herrschaftsbereich des römisch-deutschen Königs zwei allgemeine Volksrechte gibt – das fränkische und das sächsische Recht.59 Warum das bajuwarische Recht nicht erwähnt und gewürdigt wurde, ist in diesem Zusammenhang nicht zu diskutieren. Auf alle Fälle, das wurde betont, überlagerten sich fränkische und sächsische Rechtsvorstellungen in Thüringen. Gleichzeitig war auf eine mögliche und partielle Rezeption des Sachsenspiegels im thüringischen Herrschaftsbereich der ernestinischen Kurfürsten verwiesen worden. Ebenso wurde beständig betont, dass bäuerlich-genossenschaftliche Elemente – trotz des Siegeszuges der patrimonialen Gerichtsbarkeit – aus dem ländlichen Rechtsleben noch nicht völlig verschwunden waren. Tiefe Einschnitte folgten erst 1572 (kursächsische Konstitutionen) und 1622 (kursächsische Prozess- und Gerichtsordnung); beide Ordnungen strahlten nachhaltig in die benachbarten Regionen aus. Und schließlich sei abermals herausgestrichen, dass das fränkische und sächsische Recht um und nach 1500 angewandt wurde. Die 56 FRANZ, Deutscher Bauernkrieg (wie Anm. 17), S. 291. 57 Heide WUNDER, „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im Deutschen Bauernkrieg, in: ZAA 24 (1976), S. 54–66, hier S. 61–63; Peter BIERBRAUER, Das Göttliche Recht und die naturrechtliche Tradition, in: Peter BLICKLE (Hg.), Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag am 23. Mai 1982, Stuttgart 1982, S. 210– 234; Volker GRAUPNER, Die Dorfgemeinden und ihre Artikel im Bauernkrieg, in: VOGLER, Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 347–361. 58 Für Thüringen bzw. Kursachsen grundlegend, indes ohne spezielle Bezüge zum Bauernkrieg: LÜCK, Kursächsische Gerichtsverfassung (wie Anm. 12); SCHILDT, Bauer – Gemeinde – Nachbarschaft (wie Anm. 20); Ulrike KAISER, Das Amt Leuchtenburg 1479– 1705. Ein regionales Zentrum wettinischer Landesherrschaft (Veröffentlichung der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 33), Köln 2012, S. 58–85. 59 Der Pfalzgraf bei Rhein ist in Stellvertretung (für den König) Reichsvikar „in den rheinischen und schwäbischen Gebieten und in denen mit fränkischem Recht“. Reichsvikar ist der Herzog von Sachsen „wo das sächsische Recht bewahrt wird“. Vgl. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von Jahr 1356, bearb. von Wolfgang D. FRITZ (MGH Fontes, XI), Weimar 1972, S. 59 f.

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Frage nach dem rezipierten Recht soll mit einem anderen Problem verknüpft werden: Es betrifft die bäuerlichen Aufstände des Spätmittelalters – die Voraufstände des Bauernkriegs. Eine Vielzahl von Revolten und Protesten lässt sich seit dem 14. Jahrhundert nachweisen. Fast ausnahmslos waren es Erhebungen in der Schweiz, im Allgäu sowie allgemein im deutschen Südwesten bzw. am Oberrhein.60 Der Blick ins Spätmittelalter sowie der regionale Vergleich innerhalb der Rebellion des Jahres 1525 offenbart eine bemerkenswerte überregionale Asymmetrie zwischen dem Südwesten und dem Nordosten und Osten. Mikrohistorisch ist dieser Tatbestand selbst in Mitteldeutschland fassbar, denn der subversive Elan der Aufständischen nimmt im April 1525 mit jedem Kilometer Richtung Norden, Nordosten und Osten ab.61 Sowohl hinsichtlich der spätmittelalterlichvorreformatorischen Bauernaufstände als auch mit Blick auf den Bauernkrieg stellt sich somit abermals die Frage nach den Ursachen. Die ältere Agrargeschichts- und Bauernkriegsforschung (Hermann Wopfner [1876–1963], Adolf Waas [1890–1973], Barthel Huppertz [1906–1945]) hat gelegentlich darauf verwiesen, dass fast alle bäuerlich-spätmittelalterlichen Revolten im Geltungsbereich des fränkischen Rechts ausgebrochen sind. In Mitteldeutschland können bis 1525 keine bäuerlichen Aufstände nachgewiesen werden – nicht zuletzt weil die vielfältigsten Widersprüche zwischen Herrschaft und Gemeinde ausnahmslos vor Gericht ausgetragen worden sind. Diesen Tatbestand dokumentieren die Landtagsakten, aber auch viele Gerichtsakten. Die überaus starke Landesherrschaft hat dabei deeskalierend gewirkt – auch in die angrenzenden Herrschaften der Grafen und Herren hinein. Die Wirkmacht der wettinischen Landesherrschaft muss ausdrücklich herausgestrichen werden; auch im Vergleich zur kraftvollen Landesherrschaft der Herzöge von Bayern. Zwischen 1470 und 1525 ist im wettinischen Herrschaftsbereich nur ein Konflikt in der ländlichen Gesellschaft teilweise mit Gewalt ausgetragen worden – und zwar nach 1482 in der Grund- und Gerichtsherrschaft des Klosters Schulpforte, wo der neue Abt anmaßend seine vermeintliche Macht mit der Errichtung eines Galgens zur Schau gestellt hat. Dies stieß auf den schroffen Widerstand der bäuerlichen Gemeinden.62 Letztlich ist aber auch dieser Konflikt vor dem fürstlichen Hofgericht beigelegt worden. Gewaltsame bäuerliche Proteste aus dem Bereich des nicht-fränkischen Rechtsraumes sind ansonsten nur aus 60 FRANZ, Deutscher Bauernkrieg (wie Anm. 17), S. 290–292, Karte 1 (Die Voraufstände). 61 Manfred KOBUCH u. a., Der deutsche Bauernkrieg im thüringisch-sächsischen Raum (Karte im Maßstab 1:750.000), in: DERS./Ernst MÜLLER, Der deutsche Bauernkrieg in Dokumenten. Aus staatlichen Archiven der Deutschen Demokratischen Republik, Weimar 1975 (Einbandkarten). 62 Gerlinde SCHLENKER, Bäuerliche Verhältnisse im mittleren Elbe- und Saalegebiet vom 12. bis 15. Jahrhundert, Halle/Saale 2000, S. 180–182.

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dem Amt Meppen (1440er Jahre) sowie dem Ermland (1474) überliefert; wenn man bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts zurückblickt, ist freilich auch der Stedinger-Aufstand anzuführen (1233/34).63 Bezüglich der Rechtsräume ist man somit geneigt anzunehmen, dass der Bauernkrieg tatsächlich eine Erscheinung war, die ausschließlich im Geltungsbereich des fränkischen Rechts stattfand. Diese vorsichtig formulierte und obendrein auch ältere These wurde jedoch – namentlich infolge der kräftigen Forschungskonjunktur anlässlich der 450. Wiederkehr des Bauernkrieges seit der Mitte der 1970er Jahre – weitgehend ignoriert; teilweise aber auch mit Hinweisen auf die Stellung freier Bauern im Niederweserraum verworfen.64 Zusammenfassend sei festgehalten: Bayern und der gesamte Norden und Nordosten des Reiches sind vom Bauernkrieg unberührt geblieben. In Thüringen und südlich vom Harz kam es hingegen zum Aufstand. In diesem Beitrag wurde mehrfach die Frage nach der Wirkmacht des Sachsenspiegels aufgeworfen. Stillschweigend liegt dem die Annahme zugrunde, dass selbstverständlich im Wirkungsbereich des Sachsenspiegels sächsisches Recht gegolten habe. Tatsächlich lassen sich seit spätestens 1518 Forderungen der „Landschaft, Prälaten und Ritterschaft der Lande Thüringen, Meißen und des Vogtlandes“ nachweisen, die eine „Erklärung des Sachsenspiegels“ verlangen.65 Das landständische Anliegen kann jedoch nicht als Beleg für eine landesweite – also auch im thüringischen Herrschaftsbereich der Wettiner – Rezeption des Sachsenspiegels und damit des sächsischen Rechts angeführt werden. Vielmehr scheint der auf dem Landtag zu Jena artikulierte Wunsch ein Beleg für einen vorherrschenden Rechtspluralismus zu sein. Sachsenspiegelrecht war aus lokaler und regionaler Perspektive betrachtet eben nicht überall verbindlich. Obligat wird es in AltSachsen, östlich der Saale sowie für jene Gerichte gewesen sein, die bei Appellation angerufen worden sind. Da sich wirkmächtige Landesherrschaft in erster Linie auf erfolgreich praktizierte Gerichtsherrschaft gründet, leuchtet es ein, dass der Landesfürst und seine Administration, aber auch die Landstände auf ein einheitliches Recht gedrungen haben. Dies korrespondiert mit der These, dass das „obrigkeitliche Herrschaftsrecht“ traditionelle Normen überlagert und verdrängt hat. Zudem sei darauf hingewiesen, dass Thüringen – trotz oder gerade wegen des Anfalls an die Wettiner in den Jahren 1247/64 – eine relativ autonome rechtliche Entwicklung genommen hat. Das Land Thüringen und damit auch die Stände blieben vereint und bewahrten ihre Tradition – namentlich auch 63 HUPPERTZ, Räume und Schichtungen bäuerlicher Kulturformen (wie Anm. 24), S. 219 f.; FRANZ, Deutscher Bauernkrieg (wie Anm. 17), S. 291. 64 ENDRES, Ursachen (wie Anm. 55), S. 218 f. u. 223; Bernd Ulrich HUCKER, Das Problem von Herrschaft und Freiheit in den Landgemeinden und Adelsherrschaften des Mittelalters im Niederweserraum, Münster 1978. 65 BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 30), S. 133, Nr. 238.

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nach den Teilungen und Örterungen von Chemnitz (1382), Naumburg (1410) und Altenburg (1445/51). Es ist kein Zufall, dass die Stände in den wettinischen Landen insgesamt im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts eine beinahe einmalige Vormachtstellung eingenommen haben.66 Erst infolge der Leipziger Teilung von 1485 konnten die wettinischen Landesherren die Wirkmacht der Stände zurückdrängen und sogar – zumindest aus territorialfürstlicher Sicht – die politische Geschlossenheit der in Thüringen beheimateten Grafen und Herren sowie der Ritterschaft brechen. Diese Tatsache dokumentiert die von den beiden wettinischen Fürsten festgelegte Grenze des Jahres 1485, die zwischen dem Kurfürstentum und dem Herzogtum schnurstracks durch das Thüringer Becken verlief. Die Landesherren beider Linien drängten außerdem seit Ausgang des 15. Jahrhunderts auf eine allgemeine Nivellierung althergebrachter Gewohnheiten und Traditionen. Als Beispiel seien ihre Bemühungen angeführt, landesweit einheitliche Hohl- und Gewichtsmaße durchzusetzen.67 Offenbar korrespondierten die Absichten nach Vereinheitlichung auch mit dem Versuch, Rechte und Normen anzugleichen, zumal in den höchsten Gerichten – natürlich neben römischem Recht – auf Grundlage des Sachsenspiegels Recht gefunden wurde. Insofern erscheint die landständische Forderung von 1518, den „Sachsenspiegel erklären“ zu lassen, nicht zuletzt als ein Indiz für die Vielfalt ländlicher Rechtsvorstellungen. Den wichtigsten Hinweis hinsichtlich der Dominanz des fränkischen Rechts in weiten Teilen Thüringens liefert fraglos das bäuerliche Erbrecht der Realteilung. In dem Fall sind die Liegenschaften gleichmäßig unter den Erbberechtigten aufgeteilt worden. Dem gegenüber steht das Anerbrecht, das im Geltungsbereich des sächsischen und bajuwarischen Rechts dominiert. Beim Anerbrecht werden Hof und Grundbesitz geschlossen an einen bevorzugten männlichen Erben vergeben, der jedoch potentielle Miterben materiell entschädigen muss („auszahlen“). Die umstrittene Frage, ob der spätmittelalterliche Grenzsaum zwischen fränkischem Realteilungsrecht und sächsischem Anerbrecht regional oder sogar lokal rekonstruierbar ist, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Wahrscheinlich bleibt es ein ungelöstes Rätsel der Agrarverfassungsgeschichte. Nach bisherigen Erkenntnissen war die Realteilung der bäuerlichen Güter bis an den Rennsteig und darüber hinaus im Thüringer Becken sowie teilweise im Eichsfeld und südlich vom Harz prägend.68 66 Brigitte STREICH, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der Wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen, 101), Köln/Wien 1989, S. 12–20. 67 Erstmals sind Forderungen nach einheitlichen Maßen auf gesamtwettinischen Zusammenkünften 1498 und 1499 zu Naumburg vorgetragen worden. Vgl. BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 30), S. 40, Nr. 67 u. S. 45, Nr. 70. 68 HUPPERTZ, Räume und Schichtungen bäuerlicher Kulturformen (wie Anm. 24), S. 39.

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Abb. 1: Politische Gliederung Thüringens und Sachsens nach der Leipziger Teilung von 1485

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Abb. 2 Die Vererbung des bäuerlichen Grundbesitzes in Mittel- und Nordeuropa (nach Huppertz)

Fraglos hat die Realteilung die Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes verstärkt. Ein Blick in die vorhandenen Steuerregister des 15. und 16. Jahrhunderts dokumentiert die kleinteiligeren Besitzstrukturen im Westen Thüringens im Vergleich zum Ostteil des Landes (Orlagau) bzw. im Unterschied zum Osterland

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oder der Mark Meißen.69 Auch in der Magdeburger Börde sowie östlich der Saale überwiegen größere Höfe – also Bauerngüter, zu denen mindestens eine, oft mehr als zwei oder drei Hufen gehört haben.70 Bevor der Gedankengang hinsichtlich des fränkischen bzw. sächsischen Rechts, der verschiedenartigen bäuerlichen Erbgewohnheiten sowie der Betriebsgrößen und der Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes fortgeführt wird, sei jedoch nachdrücklich betont: In allen mitteldeutschen Regionen lassen sich sowohl Mehrhüfner als auch kleine Teilhüfner nachweisen. Allerorts ist die ländliche Gesellschaft mehr oder weniger stark differenziert. Es wäre abwegig anzunehmen, in Thüringen habe es ausschließlich nur Halb- oder Viertelhüfner gegeben. Eine solche Annahme ist absurd – allein die oben angeführten Beispiele aus Mühlberg (bei Erfurt) oder Lehesten zeigen, dass es gleichwohl wohlbegüterte Bauern gab. Entscheidend ist jedoch, dass die kleineren und mittleren Gehöfte in Thüringen vorherrschten. Nichts untermauert diese Tatsache besser als die hohe Bevölkerungsdichte im Thüringer Becken, die um 1570 mindestens so hoch lag wie in Württemberg.71 Im Südwesten ermöglichte größtenteils der Weinanbau eine gesicherte Existenz, was sich in der Bevölkerungsdichte niederschlug. In Thüringen war es der Waidanbau, der weiten Landstrichen ein gutes Einkommen zusicherte. Verallgemeinernd sei zusammengefasst: In weiten Teilen Thüringens verfügten die Bauern über Höfe, zu denen sowohl eine ungeteilte als auch eine halbe oder gar nur ein Viertel einer Hufe Landes gehört haben. Diese Gehöfte konnten selbstredend von der bäuerlichen Familie in Eigenregie bewirtschaftet werden, was arbeitsorganisatorisch und sozialgeschichtlich nicht folgenlos blieb: Das „ganze Haus“ – um Otto Brunners Begriff aufzugreifen – rekrutierte sich größtenteils aus der bäuerlichen Familie selbst. Knechte und Mägde waren auf den Halb- oder Viertelstellen selbstverständlich kaum oder gar nicht anzutreffen. 69 Auch die Hausdichte pro Quadratkilometer (H/qkm) nimmt Richtung Westen zu. Im Osten Thüringens beträgt sie 5,9 H/qkm, im Westen 6,0 H/qkm, in der Coburger Pflege 6,3 H/qkm sowie in den angrenzenden fränkischen Regionen 6,5 H/qkm. Vgl. Fritz KÖRNER, Die Bevölkerungsverteilung in Thüringen am Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Länderkunde, N. F. 15/16, Leipzig 1958, S. 178–315, hier S. 200. Es sei aber auch darauf verwiesen, dass Realteilung nicht zwangsläufig zur Besitzzersplitterung führen muss. Zu berücksichtigen sind auch die Fertilität und individuelle Familienplanung. Vgl. Georg FERTIG, Familienrekonstitutionsmethode und Analyse sozialer Ungleichheit: Ein oberrheinisches Beispiel: in: Michael MATHEUS/Walter G. RÖDEL (Hg.), Landesgeschichte und historische Demographie (Geschichtliche Landeskunde, 50), Stuttgart 2000, S. 81–89, hier S. 86 f. 70 HUPPERTZ, Räume und Schichtungen bäuerlicher Kulturformen (wie Anm. 24), S. 64–80; SCHWARZE, Soziale Struktur und Besitzverhältnisse (wie Anm. 16), Tabellenwerk im Anhang. 71 KÖRNER, Bevölkerungsverteilung in Thüringen (wie Anm. 69), hier S. 203–209.

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Abweichend sind jedoch die sozialstrukturellen sowie teilweise die siedlungsgenetischen Verhältnisse östlich der Saale sowie nördlich der unteren Unstrut – also in Regionen, in denen die Bauern nicht, nur teilweise oder bloß sporadisch revoltiert haben.72 Für weite Teile der alten Markgrafschaft Meißen – die im Prinzip vom Bauernkrieg komplett verschont geblieben war – wurden auf Grundlage eines Landsteuerregisters des Jahres 1571 knapp 40.000 ländliche Haushalte (Mehrhüfner, Hüfner, Teilhüfner, Häusler) sozialstatistisch ausgewertet. Trotz einer tiefen sozialen Gliederung herrschte größerer und mittlerer bäuerlicher Besitz vor.73 Vollhüfner sowie Bauern, die über zwei oder drei Hufen verfügten, sind fast die Regel. Mancherorts besaß der eine oder andere Bauer sogar vier oder fünf Hufen. Besonders zwischen vereinigter Mulde und Elbe waren derartige Besitzstrukturen typisch. So gab es in Schwednitz (östlich von Mügeln) zwei Zweieinhalbhüfner sowie jeweils einen Drei-, Vier- und Sechshüfner.74 Diese fünf Bauern bildeten die Gemeinde. Sieht man einmal vom Altenburger Land sowie teilweise vom Orlagau ab,75 dann sind solche kleinen Weiler in Thüringen fast nirgends nachweisbar – von der bemerkenswerten Besitzstruktur einmal gänzlich abgesehen. Die Großbauern verfügten indes nicht nur über ansehnlichen Landbesitz, sondern sie unterhielten auch ausreichend Vieh. Nicht selten waren es zehn Kühe und mehr. Hinsichtlich der zu erledigenden Arbeit sei abermals auf Brunners Sozialkategorie des „ganzen Hauses“ – bei aller Kritik der neueren Forschung – verwiesen.76 Nachdrücklich stellt sich hierbei die Frage, wie und von wem die auf den großen Höfen angefallene Arbeit bewältigt wurde? Aus welchen sozialen Schichten rekrutierte sich die „familia“ auf solch großen Bauerngütern? Die Quellen des 15. Jahrhunderts geben mit den Gesindeordnungen, die überregional zuerst im thüringisch-sächsischen Raum erlassen worden sind,

72 Sämtliche Karten, die den Bauernkrieg thematisieren, sollten vor allem hinsichtlich des nördlichen unteren Unstrutgebietes sowie der östlichen Saaleregion überprüft werden. Das Problem ist, dass leergefischte Weiher, gemolkene Ziegen oder ausgetrunkene Biervorräte als „revolutionäre bäuerliche Aktionen“ erscheinen. 73 Otto HOETZSCH, Die wirtschaftliche und soziale Gliederung vornehmlich der ländlichen Bevölkerung im meißnisch-erzgebirgischen Kreise Kursachsens. Auf Grund eines Landsteuerregisters aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1900. 74 Ebd., S. 105. 75 SCHWARZE, Soziale Struktur und Besitzverhältnisse (wie Anm. 16), Tabellenwerk im Anhang; Hans SCHOBERT, Das kursächsische Amt Altenburg nach einem Erbbuch von 1548 und den Amtsrechnungen von 1537–1546, Diss. masch., Leipzig 1925, S. 74–79. 76 Vgl. Werner TROßBACH, Das „Ganze Haus“ – Basiskategorie für das Verständnis der ländlichen Gesellschaft in der frühen Neuzeit? in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 277–314.

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erste Anhaltspunkte.77 Ferner dokumentieren die Steuerregister des späten 15. und aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie vor allem die Türkensteuerregister des Jahres 1542 einen hohen Hausgenossen- und Gesindeanteil. Detaillierte mikrohistorische Untersuchungen zeigen, dass auf den größeren Höfen vorrangig Hausgenossen, Knechte und Mägde die Arbeiten verrichtet haben.78 Die Hausgenossen lebten unter dem Dach eines Mittel- oder Großbauern bzw. bei einem Herrn im Gesindehaus. Sie besaßen einen eigenen Herd, und es wurde ihnen nicht verwehrt, sich zu vermählen. Außer ihrer kümmerlichen Habe um ihren Herd besaßen sie nichts. Vom Frühjahr bis in den Herbst arbeiteten die Hausgenossen in der Hof- oder Gutswirtschaft des Herrn. Im Winter droschen sie Getreide oder spannen Garn. Letzterem gingen vor allem die Frauen und Kinder nach. Das Dienstverhältnis der Hausgenossen war unbefristet. Es kam einem sozialen Aufstieg gleich, wenn ein Hausgenosse ein kleines Häuschen erwarb. Sozialgeschichtlich gehörte er dann zu den Häuslern. Knechte und Mägde wurden zum Gesinde gezählt. Es ist davon auszugehen, dass die Masse von ihnen seit dem zwölften Lebensjahr „in Stellung ging“ (um einen Quellenbegriff zu verwenden). Sie stammten fast ausnahmslos aus den Familien der Häusler oder Hausgenossen. Knechte und Mägde entkamen ihrem sozialen Status, indem sie sich verheirateten und einen eigenen Hausstand begründeten. Die Masse von ihnen arbeitete nach dem Eheschluss als Tagelöhner, Drescher, Dienstbote oder Landhandwerker. Sie wohnten in ihrer eigenen Kate und wurden demzufolge als Kätner oder Häusler bezeichnet. Manchen Knechten und Mägden gelang es freilich nicht, ihrer niedrigen Stellung zu entfliehen. Sie blieben der unverheiratete Altknecht bzw. die Altmagd. In den Quellen werden sie oft als Schirrmeister oder Käsemutter bezeichnet. Bestenfalls wurde der eine oder andere von ihnen im fortgeschrittenen Alter als Hausgenosse angenommen. Gesinde und Hausgenossen verfügten grundsätzlich nicht über Ackerland in der verhuften Flur. Folglich gehörten sie nicht zur bäuerlichen Gemeinde und waren ohne politische Mitsprache.79

77 Günther FRANZ (Hg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, XXXI), Darmstadt 1967, S. 560–563, Nr. 222. 78 Uwe SCHIRMER, Das Amt Grimma 1485–1548. Demographische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in einem kursächsischen Amt am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 2), Beucha 1996, S. 385–387. 79 Karlheinz BLASCHKE, Bevölkerungsgeschichte von Sachsen bis zur Industriellen Revolution, Weimar 1967, S. 182–188; Volkmar WEISS, Bevölkerung und soziale Mobilität. Sachsen 1550–1880, Berlin 1993, S. 50–55, 80 f. et passim; Uwe SCHIRMER, Art. „Häusler“, in: HRG, Bd. II, 12. Lfg., Berlin 22012, Sp. 813–815.

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Der Anteil des Gesindes in Bezug auf die gesamte ländliche Bevölkerung war – das belegen die Forschungen von Elisabeth Schwarze zu Ostthüringen glänzend – abhängig von den Erbgewohnheiten und der Betriebsgröße.80 Die empirisch recht zuverlässigen Daten sind insofern bemerkenswert, da Ostthüringen eine Übergangsregion war. In Herrschaften wie in der Grafschaft Orlamünde dominierte Realteilung; anderenorts wie um Pößneck und Arnshaugk oder in der am Rennsteig gelegenen Herrschaft Gräfenthal war das Anerbrecht vorherrschend.81 Und so sei bezüglich des mitteldeutschen Raumes festgehalten, dass die relative und absolute Zahl von Hausgenossen und Gesinde im Verhältnis zum bäuerlichen Groß- bzw. Mittelbesitz gestanden hat. Dieses Phänomen korrespondiert mit dem Anerbrecht, der Vorherrschaft des sächsischen Rechts sowie mit bäuerlichen Besitzstrukturen.82 Im altsächsischen Rechtsraum Mitteldeutschlands (Magdeburger Börde, Querfurter Platte, Leipziger Tieflandbucht mit dem Merseburger Land, Lommatzscher Pflege usw.) sind mehrheitlich mittlere und größere Bauernhöfe nachzuweisen. Auf ihnen waren nicht wenige Hausgenossen, Knechte und Mägde beschäftigt. Wie erwähnt, standen sie auf der niedrigsten sozialen Stufe. Politische Mitsprache blieb ihnen grundsätzlich verwehrt. Sozial und politisch haben sie sich nicht organisiert. Das unterschied sie grundlegend von den genossenschaftlich agierenden Bauern. Mögliche Versuche seitens des Gesindes, sich politisch zusammenzuraufen, wären sowohl von den Bauern als auch von den Grundherren drakonisch unterdrückt worden. Die bäuerliche Gemeinde wirkte in diesem Zusammenhang herrschaftsstabilisierend. Folglich konnte das Gesinde „die versteinerten Verhältnisse nicht zum Tanzen zwingen“ – um Marxens Zitat aus seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie etwas verändert anzuführen. Kurz: Im Norden und Nordosten des Reiches – und der mitteldeutsche Raum bildet diesbezüglich eine Übergangszone – standen nicht Bauern flächendeckend auf der untersten sozialen Stufe, sondern Knechte, Mägde und Hausgenossen. Aus der abstrakten agrarverfassungsrechtlichen Perspektive betrachtet existierte selbstverständlich ein Antagonismus zwischen Bauern und Grundherren. Das Nutzungsrecht an Grund und Boden besaßen die in der Gemeinde organisierten Bauern. Die Diskussion, ob das agrarwirtschaftliche Nutzungsrecht des Ackerlands seitens der Bauern uneingeschränkt 80 SCHWARZE, Soziale Struktur und Besitzverhältnisse (wie Anm. 16), S. 151–154. 81 Ebd., S. 152 f. 82 Ausdrücklich ist zu betonen, dass es selbstverständlich in allen Regionen des Reiches eine besitzlose Klasse (Gesinde) gab; auch und besonders im deutschen Südwesten. Allerdings ist dort eine abgestufte soziale Struktur nachweisbar. Im Osten und Norden klafften die Besitz- und Vermögensstrukturen jedoch viel weiter auseinander als im Südwesten oder Westen. Günther FRANZ, Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Deutsche Agrargeschichte, 4), Stuttgart 1976, S. 228.

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oder nur eingeschränkt galt (Hut- und Triftgerechtigkeit; grundherrliche Abgaben; Pflichten, die aus der vertraglichen Nutzung abgeleitet werden konnten usw.), ist teilweise oben erörtert und diskutiert worden. Diese Thematik ist Gegenstand einer umfassenden Sozial- und Agrarverfassungsgeschichte.83 In der ländlichen Gesellschaft Mitteldeutschlands, vor allem in jenen Regionen, in denen die großen Höfe vorherrschend waren, gab es noch einen zweiten und ausschlaggebenden sozialen Gegensatz, der Arbeit, Alltag und Zusammenleben determiniert hat: Es ist der Antagonismus zwischen Bauern und Hausgenossen bzw. Gesinde. Die beiden Sozialformationen unterschieden sich nicht nur bezüglich des Besitzes und der politischen Mitsprache, sondern auch rechtlich und mental. Nur der Bauer war bevollmächtigt, über die Verlängerung der Gesindelaufzeit des im allgemeinen ein Jahr umfassenden Arbeitsvertrages zu entscheiden. Der Bauer bestimmte in letzter Instanz den Jahreslohn sowie über die Umstände von Kost und Logis. Allein er entschied, in welchen alltäglichen Verhältnissen Knechte und Mägde leben und arbeiten mussten. Nur dem Bauern war es vergönnt zu entscheiden, ob ein Knecht möglicherweise als Hausgenosse Aufnahme fand. Selbstredend unterschieden sich Gesinde einerseits und die Groß- und Mittelbauern andererseits in jeder Hinsicht. Nicht zuletzt illustrieren es ihre Heiratskreise.84 Der ungehinderte Zugriff der Bauern auf Gesinde und Hausgenossen wurde ihnen jedoch Ausgang des 16. und vor allem im 17. Jahrhundert durch Staat und adlige Grundherren verwehrt – mit weitreichenden politischen Folgen. Doch das ist ein anderes Thema; es führte bis zum sächsischen Bauernaufstand von 1790 hin. Selbstverständlich wird nicht in Abrede gestellt, dass die größeren und mittleren Bauern vom Grundherrn abhängig waren. Der Widerspruch zwischen Herrschaft und Gemeinde war und blieb allezeit virulent. Allerdings verfügten nicht wenige dieser Bauern über Besitz, der von einer Vielzahl von Knechten und Mägden bewirtschaftet werden musste. Somit haben wir es im Norden, teilweise in der Mitte sowie im Osten Deutschlands nicht nur mit anderen Rechtsverhältnissen (Erbrecht, Sachsenspiegelrecht), sondern auch mit einer im Vergleich zum Südwesten abweichenden Besitz- und Agrarverfassungsstruktur zu tun. Wie missverständlich es sein kann, allein mit einem traditionellen Bauernbild zu argumentieren, belegt der inzwischen klassische Holzschnitt vom Ständebaum, so wie ihn der Petrarca-Meister um 1520 geschaffen hat.

83 LÜTGE, Mitteldeutsche Grundherrschaft (wie Anm. 25); SCHUM, Verhältnisse und Verfassung der Landgemeinden (wie Anm. 27); FRANZ, Geschichte des deutschen Bauernstandes (wie Anm. 82). 84 WEISS, Bevölkerung und soziale Mobilität (wie Anm. 79), S. 124–139.

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Abb. 3: Ständebaum nach dem Petrarca-Meister

Abb. 4: Grabdenkmal des Bauern Paul Wagner

An der Spitze stehen mit Gepränge die weltlichen und geistlichen Fürsten, unter ihnen sitzen wohlfeist Adel und Bürger. Sie alle werden vom untersten Stand genährt. Die Kunstgeschichte meint, in ihm Abel und Kain, einen Hirten und Bauern zu erkennen.85 Die Bauern erscheinen somit – um es mit den Worten des Humanisten Joannes Boemus zu sagen – als „ein bedauernswertes, demütig lebendes, indes arbeitsames, aber auch unsauberes, letztlich jedoch sklavisches und elendes Volk“.86 Der Blick von der Peripherie des Bauernkrieges, aus jenen Regionen, wo er merklich erlahmte, offenbart jedoch, dass es unterhalb dieses Standes eine weitere soziale Schicht gab, die tatsächlich bedauernswert war und die ihre „Tage in Dumpfheit“ (Günther Franz) mit fortwährender Arbeit verbringen musste. Sie – Knechte, Mägde, Hausgenossen, teilweise aber auch die Häusler – halfen, eine nicht unbedingt kleine soziale Schicht mit zu ernähren, 85 FRANZ, Geschichte des deutschen Bauernstandes (wie Anm. 82), S. 128. 86 Günther FRANZ (Hg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, XI), Darmstadt 1963, S. 1 f., Nr. 1.

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und sie trugen nicht unwesentlich zum Wohlstand der Voll- und vor allem Mehrhüfner bei. Manch einer von ihnen – wie der im Jahr 1536 verstorbene Bauer Paul Wagner aus Altmügeln – hat sich über den Tod hinaus selbst ein Denkmal setzen lassen, in dem er auf einem Epitaph mit wohlgefüllter Geldbörse konterfeit worden ist.87 Insofern erscheint der spätmittelalterliche Ständebaum aus der Sicht des Nordens und Ostens als unvollständig – er bildet nicht die gesamte ländliche Gesellschaft ab; es fehlen vor allem jene, die maßgeblich zur Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums beigetragen haben. Dieser Umstand sollte erklären, warum die bäuerliche Revolte dort versandete, wo große Teile des Bauernstandes selbst als Herren auftreten konnten. Dieser Stand hätte sich – so man einseitig nur die agrarverfassungsgeschichtlichen Beziehungen in den Blick nimmt – objektiv dem Aufstand anschließen können. Allerdings verweigerten die begüterten Bauern die Solidarität mit jenen, die tagtäglich für sie die Arbeiten verrichtet haben. Die rechts-, sozial- und strukturgeschichtlichen Befunde verdeutlichen, warum sich der Bauernkrieg überwiegend im Bereich des fränkischen Rechts zum Flächenbrand ausgewachsen hat. In der ländlichen Ständehierarchie sind die sozial-strukturellen Unterschiede zwischen einem Halb-, Viertel- oder Achtelhüfner einerseits und den Knechten, Dreschern und Tagelöhnern anderseits weitaus geringer als im sächsischen Rechtsraum, wo der bäuerliche Groß- und Mittelbesitz dominierte. Einer Nivellierung der sozialen Milieus waren im Norden und Osten sozialstrukturelle Grenzen gesetzt. Signifikant belegen es die Heiratskreise. Das vornehme Konnubium ist somit nicht allein ein Phänomen des Hoch- und Niederadels; es war ebenso bei den Groß- und Mittelbauern bestimmend. Letztlich ist aber noch ein weiterer Befund zu erörtern. Die Bauern rebellierten vorrangig in Regionen, die sich auch siedlungsgenetisch vom Nordwesten, Norden und Osten unterschieden haben. Wiederum ist eine bemerkenswerte Asymmetrie zu konstatieren – es betrifft das Siedlungsbild. Der Bauernkrieg wurde überwiegend in Landschaften ausgefochten, in denen die großen unregelmäßigen Haufen- und Gassendörfer vorherrschten. Die ältere Forschung, die ebenfalls schon auf diesen Umstand hingewiesen hatte, sprach – verfassungs- und siedlungsgeschichtlich vielleicht etwas unglücklich formuliert – von „stadtähnlichen Dörfern“.88 Typisch für diese großen Dörfer sind die hohe Zahl der Hofstellen (bis zu 100 und mehr), ausgeprägter Gemeindebesitz (Back- und Badehäuser, Schmieden oder Gasthäuser, die sogar als „Rathaus“ fungierten), Schriftlichkeit einschließlich eigener Dorfsiegel, 87 Karlheinz BLASCHKE, Das Altmügelner Bauerndenkmal, in: Der Rundblick. Kulturspiegel der Kreise Wurzen, Oschatz, Grimma 29 (1982), 1, S. 72–74. 88 HUPPERTZ, Räume und Schichtungen bäuerlicher Kulturformen (wie Anm. 24), S. 129– 132.

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Hospitäler und Siechenhäuser, gelegentlich mehrere Dorfkirchen sowie Bruderschaften.89 Anhand Thüringens kann erneut auf eine regionale Asymmetrie verwiesen werden. Je kleiner die Dörfer werden – beispielsweise im Altenburger Land –, umso widerstandsschwächer erscheinen die Gemeinden. Es fehlte die „kritische Masse“, um die Empörung auch quantitativ anzufachen. Fernerhin muss die geringe Widerspenstigkeit sozialstrukturell erklärt werden – also auf den schroffen Gegensatz zwischen Herr und Knecht im „ganzen Haus“ des Mittel- oder Großbauern. In den großen Dörfern hingegen – in denen es selbstverständlich auch Großbesitz gab – erscheint jedoch die soziale Schichtung als ausgewogener; vor allem dominieren hier Teilhüfner. Entscheidend scheint indes, dass die zahlenmäßige Stärke der Genossenschaft offensichtlich im Zusammenhang mit dem bäuerlich-ländlichen Selbstbewusstsein der Gesamtgemeinde sowie ihrer politischen Mobilisierungskraft steht. Insofern bestehen durchaus Parallelen zwischen diesen „stadtähnlichen Dörfern“ und den vielen Mittel-, Klein- und Ackerbürgerstädten, die sich ebenfalls dem Aufstand angeschlossen haben. Die unterschiedliche Mobilisierungskraft hängt letztlich nicht zuletzt mit dem „Doppelcharakter“ der bäuerlichen Gemeinde zusammen.90 Einerseits waren die Gemeinden immer genossenschaftliche Verbände, in denen die Bauern ihre Entscheidungen im Konsens herbeigeführt haben. Mehrheitsbeschlüsse gab es nicht – wohl aber die Richtlinienkompetenz der Schöffen oder Kirchenältesten. Andererseits war die politische Gemeinde selbstverständlich auch herrschaftsstabilisierend, hat sie es doch verstanden, interne Konflikte zu moderieren bzw. diejenigen unterworfen, die nicht Teil der Gemeinde waren. Dass es hinsichtlich des Doppelcharakters der Gemeinde zwischen Ost und West tiefgreifende Unterschiede geben konnte, ist erörtert worden. Die Frage nach der Funktionsweise der bäuerlichen Gemeinden führt abermals dazu, den Raum östlich der Saale auszuleuchten. 89 Zu den Haus- und Hofstellen: Manfred STRAUBE, Über Folgen der Niederlage bei Frankenhausen – Strafgeldzahlungen in albertinischen und ernestinischen Ämtern, in: VOGLER, Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 433–453, hier S. 434–445; zu den Dorfkirchen und Bruderschaften: Martin SLADECZEK, Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 9), Köln/Weimar/Wien 2018, S. 608–619; zu Hospitälern und Siechenhäusern: Julia MANDRY, Armenfürsorge, Hospitäler und Bettel in Thüringen in Spätmittelalter und Reformation (1300–1600) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 10), Wien/Köln/Weimar 2018, S. 627–646 u. 878–882. 90 SCHILDT, Bauer – Gemeinde – Nachbarschaft (wie Anm. 20), S. 181; sowie zur Bedeutung der Landgemeinden generell: BLICKLE, Studien zur Bedeutung des Bauernstandes (wie Anm. 34), S. 51–82.

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Abb. 5: Dorfformen im mitteleuropäischen Raum um 1500 (nach Huppertz)

Die Bauern, die östlich der Saale überwiegend in kleinen Weilern beheimatet waren, haben sich im Prinzip dem Aufstand nicht angeschlossen. In diesen Siedlungen überwog fast ausnahmslos eine Sozialstruktur, wie sie oben beschrieben wurde: größerer und mittlerer bäuerlicher Besitz, der zu guten Teilen von den Hausgenossen und vom Gesinde bewirtschaftet wurde. Die weilerartigen Siedlungen liegen im alten slawischen Siedlungsgebiet. Es zieht sich vom Altenburger Land über die alte Burggrafschaft Leisnig und die Lommatzscher Pflege bis an die Elbe und darüber hinaus hin. In diesen kleinen Siedlungen befanden sich im Durchschnitt nur vier bis zehn oder zwölf Höfe; gelegentlich gab es Dörfer mit allein zwei oder drei Gehöften, die hinsichtlich des bewirtschafteten Ackerlandes an kleine Rittergüter heranreichten. Nicht nur vom sozialen Status her waren die Inhaber dieser Güter wenig oder gar nicht empfänglich für die Ideen des Aufstandes. Ferner hat es den Anschein, dass sich die zahlenmäßig so kleinen Gemeinden bei weitem nicht so schnell mobilisiert und radikalisiert haben, wie dies im Thüringer Becken oder im westlichen Bauernkriegsgebiet der Fall war. Gruppendynamische Prozesse konnten mangels „kritischer Masse“ gar nicht in Gang gesetzt werden. Die Kleinheit der Gemeinden wirkte insofern im doppelten Sinne herrschaftsstabilisierend. Die Ursachen dafür sind mit Hin-

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weisen auf die Sozialstruktur angeführt worden – mit „bäuerlicher Borniertheit“ oder „fehlendem Klassenbewusstsein“ hat das natürlich nichts zu tun. Als Beleg der nachlassenden Radikalisierung mag ein Beispiel aus Ostthüringen bzw. südlich von Leipzig im April 1525 angeführt sein.91 Der Funkenflug des Bauernaufstandes fiel um Ronneburg, Altenburg und Borna durchaus auf einen gewissen Nährboden; letztlich konnte er aber kein revolutionäres Feuer entfachen. Es ist einzig eine gewisse bäuerliche Widerspenstigkeit fassbar. Eine tatsächliche politische Mobilisierung und Radikalisierung setzte in der Mark Meißen erst im 17. und 18. Jahrhundert ein, als der frühmoderne Staat gemeinsam mit der Ritterschaft den Bauern den direkten Zugriff auf die Knechte und Mägde erschwert und verweigert hat sowie ihnen auferlegte, die eigenen Kinder – so sie das zwölfte Lebensjahr erreicht hatten – dem Adel zum Gesindezwangsdienst anzubieten.

III. Thüringische Städte und Marktflecken im Bauernkrieg Eine Vielzahl von Einwohnern thüringischer Städte und Marktflecken hat sich der gewaltsamen Revolte angeschlossen. Es wird vermutet, dass es in Thüringen circa 50.000 Aufständische gab.92 Rückblickend ist es kaum möglich, die soziale Zusammensetzung der Empörer zu ermitteln. Trotzdem erscheint es als notwendig, Überlegungen zur Sozialstruktur der Aufrührer anzustellen. Entsprechende Beobachtungen können verhelfen, die Frage nach den Ursachen aufzuhellen. Es liegen Quellen vor, welche die Teilnahme der städtischen Bevölkerung belegt und ansatzweise sogar quantifizieren lässt. Es sind Berichte und Listen über Hingerichtete, Rädelsführer und Flüchtige – stets mit Vor- und Zunamen sowie dem Ort der Herkunft. Mit diesem Material sind hypothetische Aussagen möglich. Beispielsweise waren infolge des Aufruhrs in der Schwarzburgischen Oberherrschaft 53 Personen in Arnstadt inhaftiert worden. Neun der Gefangenen ließ Kurfürst Johann am 17. Juni 1525 durch den Jenaer Scharfrichter hinrichten, wovon vier nachweislich aus einer Stadt, nämlich aus Ilmenau stammten.93 Ferner führt ein Verzeichnis vom Ende Juni 1525 91 Max STEINMETZ/Karl CZOK, Leipziger Land im Bauernkrieg, Leipzig 1975, S. 18–41; Manfred STRAUBE, Über Getreidehandel und bäuerliche Strafgelder in den kursächsischen Ämtern Altenburg und Borna, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte (im Folgenden: JbRegG) 5 (1975), S. 92–109, hier S. 101–103. 92 Ludwig ROMMEL, Zur sozialen Zusammensetzung der aufständischen Landbevölkerung in Thüringen, in: VOGLER, Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 261–274, hier S. 261. 93 G[uido] EINICKE, Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541. Nach urkundlichen Quellen, 2 Bde., Nordhausen 1904/1909, hier Bd. 1, S. 316 f.

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circa 150 Rädelsführer namentlich auf (jedoch ohne die Mühlhäuser), die den Feldzug ins Eichsfeld mit organisiert haben. 21 von ihnen sind eindeutig als Einwohner von Städten zu identifizieren.94 Eine simple Hochrechnung – so man die Angaben als repräsentativ ansähe – ergäbe, dass gegebenenfalls ein Fünftel aller Insurgenten aus dem städtischen Bereich gekommen sein könnte. Ferner sind unter dem am Aufstand beteiligtem Landvolk viele mit Berufen nachweisbar, so dass Auskünfte über das soziale Gefüge der Aufrührer als möglich erscheinen. In gewisser Weise stimmen diese flüchtigen Skizzierungen mit den Befunden aus den Steuerregistern überein, die für Thüringen vorliegen. Alternativ formuliert: Die sozialökonomische Struktur der gesamten Gesellschaft spiegelt sich in etwa in der sozialen und sozialökonomischen Zusammensetzung der Bauernkriegsteilnehmer wider. Vermutlich entstammte ein knappes Viertel bis ein Fünftel aller Aufständischen dem städtischen Milieu. Fast überproportional waren die Inhaber der ländlichen Gemeindeämter (Schultheißen, Heimbürgen) vertreten; hinzu kamen einige wenige Niederadlige und Geistliche.95 Neben vielen Bauern, Hirten und Schäfern finden sich nicht wenige Personen, die Beschäftigungen nachgingen, welche typisch für die großen Dörfer sowie für die Marktflecken und Ackerbürgerstädte waren (Bader, Schmiede, Gastwirte, Leineweber, Schuster, Bäcker, Fleischer, Stellmacher, Zimmerleute, aber auch Tagelöhner oder Hausgenossen). In Ausnahmefällen werden auch Pulvermacher, Förster, Amtleute, Buchhändler, Steinmetze oder gar ein Goldschmied erwähnt.96 Neben diesen Befunden ist unbedingt darauf zu verweisen, dass sich – wie bekannt – große Teile Mühlhausens, Frankenhausens sowie von Langensalza der Empörung angeschlossen hatten. Bezüglich dieser Städte ist freilich zu unterscheiden, ob man selbst Motor der Revolte war (wie der „Ewige Rat“ von Mühlhausen) oder ob sich städtisch-oppositionelle Gruppen bzw. vorstädtisch-plebejische Schichten mehr recht als schlecht zu den Rebellierenden gesellt haben.97

94 Drei kamen aus Nordhausen, jeweils zwei aus Creuzburg, Eisenach und Gotha sowie schließlich je einer aus Duderstadt, Göttingen, Arnstadt, Langensalza, „von der Neustadt“, Buttstädt, Zwickau, Schlotheim, Allstedt, Mansfeld, Sondershausen und Stadtworbis. Vgl. AGBM, Bd. II, S. 533 f., Nr. 1714. 95 ROMMEL, Zusammensetzung der aufständischen Landbevölkerung (wie Anm. 92), S. 263–265. 96 Ebd., S. 262. – Bei dem Goldschmied wird es sich um Martin Rüdiger aus Nordhausen gehandelt haben. Vgl. Ernst KOCH, Geschichte der Reformation in der Reichsstadt Nordhausen am Harz, Nordhausen 2010, S. 77. 97 Sven TODE, Stadt im Bauernkrieg. Strukturanalytische Untersuchungen zur Stadt im Raum anhand der Beispiele Erfurt, Mühlhausen/Thür., Langensalza und Thamsbrück, Frankfurt am Main 1994.

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Analog zur ländlichen Gesellschaft ist zwingend zu fragen, ob weite Teile der städtischen Bevölkerung – Gesellen, Tagelöhner und Vermögensarme – ihre soziale und wirtschaftliche Situation als erträglich empfunden haben. Die Frage ist schwer zu beantworten. Es hat jedoch den Anschein, dass es in den spätmittelalterlichen Städten Mitteldeutschlands keine Revolten gab, die aus „sozialrevolutionären“ Gründen ausgebrochen sind. Bei den vielen innerstädtischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts in Mitteldeutschland ging es größtenteils um die kommunale Mitbestimmung. Nicht selten haben sich dabei die Zünfte gegen die Ratsoligarchie aufgelehnt. Die Masse der städtischen Revolten von ca. 1520 bis 1525 war demgegenüber antiklerikal und stand im engen Zusammenhang mit der frühen evangelischen Bewegung,98 was abermals den immediaten Zusammenhang zwischen Reformation und Bauernkrieg offenbart. Gleichwohl sind für das 15. und frühe 16. Jahrhundert Gesellenstreiks oder Arbeitskämpfe in den Bergbaurevieren überliefert, die jedoch ohne politisch motivierte Gewalt ausgefochten worden sind. Im Kern forderten die Gesellen oder Bergknappen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.99 Und so sind wie in der ländlichen Gesellschaft auch in den Städten kaum gewalttätige Konflikte vor 1525 fassbar, in denen die Empörer die politischen Machtverhältnisse zur Disposition gestellt haben. Letztlich ist auch zu betonen, dass es in vielen der größeren mitteldeutschen Städte gelegentlich zur Entfesselung blanker Gewalt gekommen ist. Bei derartigen Exzessen – oft von einzelnen Personen oder Gruppen (Handwerker, Studenten) ausgetragen – ging es jedoch nie um die politische Macht in der Stadt. Es blieben gruppeninterne Auseinandersetzungen, bei denen zu keiner Zeit die Gefahr des Übergriffs auf eine andere Stadt bestand. Insofern war die Lage im Jahr 1525 völlig anders – die Zeichen standen allerorts auf Sturm. Am 22. April 1525, also rund drei Wochen vor dem blutigen Höhepunkt des Bauernkrieges in Thüringen, schrieb Sittich von Berlepsch in seiner Funktion als Amtmann von Langensalza an Herzog Georg von Sachsen, dass eine „vor98 Karl CZOK, Revolutionäre Volksbewegungen in mitteldeutschen Städten zur Zeit von Reformation und Bauernkrieg, in: Max STEINMETZ (Hg.), Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 5), Berlin 1985, S. 88– 111, hier S. 91–94; Otthein RAMMSTEDT, Stadtunruhen 1525, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg 1524–1526 (Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 1), Göttingen 1975, S. 239–276. 99 Helmut BRÄUER, Gesellenstreiks in Sachsen im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution, in: JbRegG 14 (1987), S. 183–199; Uwe SCHIRMER, Das Erzgebirge im Ausstand. Die Streiks in den Revieren zu Freiberg (1444–1469), Altenberg (1469), Schneeberg und Annaberg (1496–1498) sowie in Joachimsthal (1517–1525) im regionalen Vergleich, in: Angelika WESTERMANN/Ekkehard WESTERMANN (Hg.), Streik im Revier. Unruhe, Protest und Ausstand vom 8. bis 20. Jahrhundert, St. Katharinen 2007, S. 65–93.

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sammlunge uf 10 meyle alhy bey Euer Fürstlicher Gnaden stadt Saltza lygt“. Und es sei darauf zu achten, dass „dye von Molhausen und andere anhenge verstentnis mit inen haben“. Deshalb sei zu befürchten, dass der Alstetter [sc. Thomas Müntzer] mit seynem fenlein, das er aufgerycht, und sye zusammenzyhen. Wen das geschehe, worde der gemeine man in dyeser umblygenden landart samtlich mit inen aufstehen und wyrde dan demselben haufen sunder gotliche hilfe swerlichen wyderstand zu tun sein, aldeweyl mit dem eynsehen so lange vorzogen, daß sichs in vylen furstentumpmen, landen und den stetten ingelassen. Dan es muß ye ursache haben, das sych das gemeyne volk nicht mehr, wye zuvor geschehn, will weysen lassen, sundern stehen ganz uf der meynunge, nach irem selbst wyllen zu leben.100

Für den Amtmann von Langensalza war es selbstverständlich, dass es eine allgemeine Erhebung des „gemeinen Mannes“ bzw. des „gemeinen Volkes“ in „vielen Fürstentümern, Landen und Städten“ war. Seine Einschätzung stimmt mit einer Vielzahl anderer zeitgenössischer Zuweisungen überein. So nennt beispielsweise der Schwarzwälder Artikelbrief den „armen und gemeinen Man in stetten und auf dem Land“ als den Träger der Empörung.101 Unstrittig verdeutlicht die Chiffre „gemeiner Mann“, dass es ein Aufbegehren des Stadt- und Landvolkes insgesamt war. Darauf wurde in der Forschung wiederholt und mehrfach hingewiesen.102 Im Gegensatz zum strukturanalytischen Zugriff von Sven Tode oder dem Ansatz von Ludwig Rommel, der nicht zuletzt Prozessakten des Reichskammergerichts zu Wetzlar oder das Verzeichnis über Frankenhausen vom 15. Mai 1525 ausgewertet hatte, gründen sich nachfolgende Überlegungen hinsichtlich der Teilnahme von städtischen Einwohnern auf das Strafgeldverzeichnis für das albertinische Herzogtum Sachsen, mithin auf die vom Aufstand besonders heimgesuchten Ämter Langensalza, Thamsbrück, Weißensee und Sangerhausen. Die Schadensregister und Strafgeldverzeichnisse aus dem Jahr 1525 sind herausragende Quellen.103 Ihre systematische Auswertung steht noch aus. Eine umfassende Quellenkritik hat an dieser Stelle nicht zu erfolgen. Es ist allerdings 100 ABKG, Bd. 2, S. 115, Nr. 861. 101 Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, München/Wien 1975, S. 177 f. 102 TODE, Stadt im Bauernkrieg (wie Anm. 97), S. 12–24; Robert H. LUTZ, Wer war der gemeine Mann?, in: Peter BLICKLE (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg von 1525 (Wege der Forschung, 460), Darmstadt 1985, S. 452–467; BLICKLE, Revolution von 1525 (wie Anm. 101), S. 279–287. 103 Johann Karl SEIDEMANN, Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1842–1880). Mit einer Vorbemerkung und unter Ergänzung zahlreicher Quellenangaben, hg. von Ernst KOCH, Band I: Thomas Müntzer und der Bauernkrieg (1842–1878), Leipzig 1990, S. 312–463; vgl. auch STRAUBE, Folgen der Niederlage (wie Anm. 89); Ludwig ROMMEL, Die Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen in der Schlacht vom 15. Mai 1525, in: JbRegG 10 (1983), S. 93–107.

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darauf zu verweisen, dass vieler- bzw. mancherorts die Strafgelder als Steuer erhoben worden sind, um die landesherrlichen Lasten zu kompensieren, welche die Fürsten zur Finanzierung ihrer Söldner ausgegeben haben. Insofern spiegeln die Strafgeldregister die Ausdehnung und Intensität des Bauernkrieges nicht im Detail wider.104 Beispielsweise sagte die Gemeinde zu Flemmingen (bei Naumburg) aus, dass sie „mit Steuer und Folge zum Kurfürsten gehören“. Dem Abt von Schulpforte seien sie „allein mit den Gerichten, Zinsen und Fronen unterworfen. Entschuldigen sich. Haben dem Kurfürsten 70 Gulden geben müssen zu Unterhaltung seines Kriegsvolkes zu einer Steuer und nicht zu einer Strafe, wie es anderen des Kurfürsten Leuten auch aufgelegt sei“.105 Charakteristisch für das albertinische Register, aber auch für das Verzeichnis der Einwohnerschaft Frankenhausens vom Tage der Schlacht (15. Mai 1525) ist, dass bei sämtlichen Personen die verfassungsrechtliche Stellung als bedeutungslos erachtet wurde. Entscheidend waren der Wohnort sowie gegebenenfalls der Besitz.106 Der Begriff „gemeiner Mann“ findet auch in diesen Quellen Verwendung und semantisch spiegelt er ebenfalls die Indifferenz zwischen Stadt und Land, Bürger und Bauer wider. Besonders deutlich erscheint die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schichten im Frankenhäuser Verzeichnis vom Mai 1525, denn viele Pfänner besaßen Ackerland, Wiesen und Weingärten. Besonderen Wert besitzen die Zeugenaussagen. Natürlich könnte eingewandt werden, dass der gemeine Mann, der die gewaltsame Empörung und das Schlachten am 15. Mai überlebt hat, verängstigt vor einer willkürlichen Klassenjustiz gestanden habe – dass sein Bericht sozusagen nur einen minderen, wenn sogar keinen Quellenwert besäße. Eine solche Vermutung ist haltlos, denn in den Akten sind nicht wenige Darlegungen des Adels überliefert, welche die Angaben der gemeinen Leute ausdrücklich bestätigen. Die Durchsicht des albertinischen Strafgeldverzeichnisses ergibt hinsichtlich der Aussagen seitens der Untertanen vier mehr oder minder charakteristische Muster. 1. Zum Ersten bitten sie um Entschuldigung und zählen die Rädelsführer („Anfänger“) namentlich auf. Fast anstandslos bezahlen sie die ihnen auferlegten Strafgelder. 2. Zum Zweiten werden gleichfalls Hauptleute, Anstifter und Befehlshaber benannt, ebenso wird um Verzeihung gebeten – es wird aber ausdrücklich betont, dass man nichts genommen, noch beschädigt habe. Diese Gemeinden (Kleinstädte 104 Am wichtigsten ist immer noch die Arbeit von Gebhard FALK, Die Folgen des Bauernkrieges nach den Strafgeldregistern im südöstlichen Thüringen (Maschinenschriftliche Abschlussarbeit), Potsdam 1951; ferner: STRAUBE, Getreidehandel und Strafgelder (wie Anm. 91), S. 104–107. Der rekonstruierte Zusammenhang zwischen vermehrtem bäuerlichen Getreidehandel und den Strafgeldzahlungen der Bauern erscheint als nicht mehr tragfähig. 105 SEIDEMANN, Kleine Schriften (wie Anm. 103), S. 435. 106 Ebd., S. 297–305.

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wie Dörfer) erscheinen somit als passive Mitläufer. 3. Zum Dritten verweisen einige wenige Gemeinden – es ist ca. ein halbes Dutzend – darauf, dass sie der bewaffnete Haufen der Aufständischen genötigt habe mitzuziehen. So zeigte die Gemeinde Grumbach aus dem Amt Langensalza an, sie sei gezwungen worden, vier Männer zum Haufen zu schicken. Ansonsten habe man „still gesessen“.107 Die Kleinheit des Dorfes (20 Höfe) und die Randlage abseits der großen Straßen könnten die Passivität erklären, zumal das benachbarte Henningsleben im albertinischen Strafgeldverzeichnis nicht auftaucht. Wie oben angedeutet, spiegeln die Strafgeldregister allerdings nur einen Teil der sogenannten „historischen Realität“ wider. Denn nach anderen Quellen hat sich die Gemeinde Henningsleben am Feldzug auf das Eichsfeld, bei der Plünderung des Klosters Homburg (bei Langensalza) sowie bei der Belagerung und Ausplünderung der Burg Gräfentonna beteiligt.108 Ähnliches lässt sich zur Gemeinde Körner, die aus 120 „besessenen Männern“ bestand, feststellen. Das Dorf hat den Kanzleischreiber wissen lassen: „Sie haben nichts anderes getan, denn was sie aus Zwang haben tun müssen. Bei ihnen sind 24 Mann erschlagen und vier Witwen ganz arm, denen der Herzog die Strafe erlassen hat“ – insgesamt zahlte die Gemeinde 460 Gulden Strafgeld.109 4. Und zum Vierten sind knapp 30 Gemeinden (von über 200) anzuführen, die behaupteten, sie „haben stille gesessen“ bzw. „sie seien ganz unschuldig“. Gleichwohl wurden sie seitens der albertinischen Administration mit Strafgeld bzw. mit einer Steuer belastet. In dem albertinischen Strafgeldregister wurde immer die Anzahl der Hofstellen in den jeweiligen Dörfern und Kleinstädten angegeben. Die bloße Menge der Gehöfte bzw. Häuser verdeutlicht, dass es aus quantitativer Perspektive betrachtet nur geringe Unterschiede zwischen Stadt und Land gegeben hat – ausgenommen natürlich solche Städte wie Langensalza oder Mühlhausen. Die Angaben über die Hofstellen untermauern die oben vertretene siedlungsgenetische These, wonach der Bauernkrieg vor allem die großen Haufen-, unregelmäßigen Gassen- sowie die stadtähnlichen Großdörfer erfasst hat. Beispielsweise gab es laut dem Strafgeldregister in Körner 120 Hofstellen, 105 waren es in Schönstedt; es folgen in Auswahl: Günstedt (140), Kirchheilingen (92), Riestedt (100), Bilzingsleben (80) oder Kannawurf mit 86. Solche Dörfer haben sich von den Klein- und Ackerbürgerstädten sowie Marktflecken quantitativ kaum unterschieden: Im Flecken Herbsleben (Amt Sachsenburg) gingen 148 Hausbesitzer ihrer Arbeit nach, in Kindelbrück waren es 200, in Kölleda 192, Tennstedt besaß 225 Häuser, in Thamsbrück waren es 135 und in Wiehe hinter den Stadtmauern 66, im Dorf vor der Stadt Wiehe lebten „45 besessene Mann“ 107 Ebd., S. 397. 108 AGBM, Bd. II, S. 531, Nr. 1713, S. 536, Nr. 1716 u. S. 543, Nr. 1725. 109 SEIDEMANN, Kleine Schriften (wie Anm. 103), S. 397.

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und vor dem Obertor in der Vorstadt wurden 18 Höfe bewirtschaftet.110 Auch die Aussagen der Ackerbürger glichen denen der Bauern. In Kindelbrück wurden zwei Einwohner beschuldigt, die Gemeinde zusammengeläutet zu haben. Die Stadt Tennstedt stimmte widerspruchslos der Strafzahlung zu. Die Thamsbrücker erklärten, „stille gesessen zu haben“. Die von Kölleda betonten, man habe nichts an sich gebracht, niemanden geschädigt und keinen VerschwörerEid geleistet. Was sie aus dem in ihrer Stadt gelegenen ZisterzienserinnenKloster genommen haben, sei inventarisiert worden und der Zisterze „zu gute geschehen“.111 Auch die Einwohner von Herbsleben beteuerten, nichts geraubt und keine Schäden angerichtet zu haben. Komplizierter war es in Wiehe (Stadt, Vorstadt, Dorf): Manche hatten sich der Revolte angeschlossen – einige waren flüchtig, andere inhaftiert, viele vor Frankenhausen erschlagen worden. Bemerkenswert erscheint, dass ihr Stadt- und Gerichtsherr, der promovierte Dietrich von Werthern, bei Herzog Georg Einspruch hat einlegen lassen und um Milde bat.112 Kurzum: Allerorts hat sich das Stadtvolk teilweise oder fast ausnahmslos am Aufruhr beteiligt. Die Binnendifferenzierung hinsichtlich der städtischen Insurgenten ist selbstredend kompliziert und nur in Ausnahmen möglich – so wie in Frankenhausen. Dort arbeitete die albertinische Administration unmittelbar nach der Schlacht das Geschehen auf. Wie oben angedeutet, wurde zu diesem Zweck das Verzeichnis vom 15. Mai 1525 angelegt. Ihm zufolge waren 62 Prozent der Hintersiedler (das waren einfache Hausbesitzer) und 45 Prozent der vermögenden Pfänner dem Aufruf zur Revolte gefolgt. Von den insgesamt 349 namentlich erfassten haus- und hofbesitzenden Bürgern Frankenhausens (einschließlich der Pfänner) sind 201 als Aufständische gekennzeichnet worden.113 Natürlich gab es Ausnahmen. In den Ämtern Langensalza, Thamsbrück, Weißensee und Sangerhausen war es die Stadt Weißensee. Hinsichtlich der unweit von Erfurt entfernt liegenden Stadt sollte nachdrücklich betont werden, dass sich in Weißensee auch keine reformatorischen Regungen nachweisen lassen. Frömmigkeitsgeschichtlich wurde – nicht zuletzt mit Blick auf das mangelnde Engagement des Stadtrates bezüglich der Erhebung des „guten Conrads von Weißensee“ – vermutet, dass in der Stadtgemeinde eine „gewisse geistliche Genügsamkeit vorgeherrscht“ habe.114 Die schlichte Zurückhaltung korrespon110 Alle Angaben nach: SEIDEMANN, Kleine Schriften (wie Anm. 103). 111 Vgl. auch die Berichte der Stadträte von Tennstedt, Kindelbrück und Thamsbrück an Herzog Georg aus dem Mai 1525: AGBM, Bd. II, S. 286–288, Nr. 1445 u. S. 294, Nrn. 1456 u. 1457. 112 SEIDEMANN, Kleine Schriften (wie Anm. 103), S. 472–475, 484 u. 506 f. 113 ROMMEL, Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen (wie Anm. 103), S. 99. 114 Ulman WEIß, Die albertinische Amtsstadt Weißensee am Ende des Mittelalters, in: Joachim EMIG/Volker LEPPIN/Uwe SCHIRMER (Hg.), Vor- und Frühreformation in

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diert mit einer erstaunlichen politischen Lethargie im Jahr 1525, obgleich die Gemeinde Jahre zuvor ihren Unmut über den Stadtrat hörbar geäußert hatte. Ihr Klagen war 1517 sogar bis zu Herzog Georg gedrungen, denn mit Schreiben vom 2. September 1517 ermahnte er die Bürgerschaft, „keine Empörung zu erwecken“.115 In Weißensee blieb es nicht nur in der stürmischen Frühzeit der Reformation ruhig, sondern auch im Frühjahr 1525. Annahmen, dass dies mit der befestigten Burg – die zudem Teil der Stadt war – zu erklären sei, erscheinen wenig einleuchtend, denn die Burg Weißensee war am Ausgang des Mittelalters, wie auch die anderen wettinischen Amtssitze, zu einem bloßen Verwaltungszentrum herabgesunken. Bewaffnetes Personal gab es nicht. Allerdings – doch das scheint nicht die merkliche Passivität der Einwohnerschaft von Weißensee zu erklären – stieg die Burg mit Beginn des Bauernkriegs zu einem wichtigen Rückzugsort des Niederadels auf, denn 15 Adlige verschanzten sich mit 31 Pferden Ende April und Anfang Mai in der Burg.116 Wenn davon ausgegangen wird, dass die Empörung vom Frühjahr 1525 sowohl von der städtischen als auch von der ländlichen Bevölkerung entfacht und getragen wurde, dann darf sich die Ursachensuche selbstverständlich nicht nur auf die Dörfer und Bauern konzentrieren. Es müssen also noch andere Gründe als der Streit um Triftgerechtigkeit, Nutzungsrechte der Gewässer und Wälder, Entmündigung der Gemeinden oder die Beeinträchtigung der bäuerlichen Gerichtsbarkeit benannt werden. Eine mögliche Antwort scheinen auf den ersten Blick die reichlich überlieferten Forderungen bzw. die Artikel der Städte aus der Zeit des Bauernkriegs zu geben. Aus den Tagen zwischen Ende April und Mitte Mai wurden mit Blick auf den Untersuchungsraum Beschwerdeartikel von 15 Städten untersucht.117 Eine vergleichende, detaillierte und endgültige Auswertung steht bisher noch aus, nicht zuletzt im Vergleich mit den Artikeln

thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 1), Köln/Weimar/Wien 2013, S. 251–271, hier S. 268 f.; zum „guten Conrad“ vgl. Hartmut KÜHNE/Johannes MÖTSCH (Hg.), Der „gute Conrad“ von Weißensee. Judenmord und Heiligenverehrung zwischen Spätmittelalter und Reformation, Berlin 2017. 115 WEIß, Weißensee am Ende des Mittelalters (wie Anm. 114), S. 268. 116 AGBM, Bd. II, S. 157, Anm. 2 zu Nr. 1250. 117 Ebd., passim. Es sind die Artikel von Arnstadt, Rudolstadt, Stadtilm, Blankenburg, Plaue, Königsee, Neustadt/Orla, Frankenhausen, Apolda, Stolberg/Harz, Merseburg, Halle/Saale, Erfurt, Sangerhausen und Eger im Egerland. – Der fränkische Teil Thüringens wurde nicht berücksichtigt. Vgl. dazu Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, Bd. 1, Abt. 1, hg. von Otto MERX sowie Bd. 1, Abt. 2, hg. von Günther FRANZ, Otto MERX und Walther Peter FUCHS, Leipzig 1923/1934.

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der Dörfer, Ämter und Landschaften. Dazu borden die Quellen über.118 Eine vereinfachte Betrachtung der städtischen Artikel ergibt in etwa folgendes Bild: 1. An erster Stelle standen Forderungen, die enge Bezüge zur lutherischen Reformation besaßen. Hierbei ging es um die freie Wahl des Pfarrers, der Prediger, Kirchner, Schulmeister usw. sowie nicht zuletzt um die Möglichkeit, sie auch abzusetzen; teilweise spielte deren materielle Versorgung eine Rolle. Übergreifend wurde angemahnt, dass das Evangelium ungehindert und verständlich zu verkünden sei.119 Diese Verlangen erscheinen – wie oben mehrfach angedeutet – vor allem für jene Gebiete als gerechtfertigt, wo tatsächlich die freie Predigt des Evangeliums – was auch immer weite Teile des nur leidlich gebildeten Volkes im Frühjahr 1525 darunter verstanden haben – verhindert und unterbunden wurde. Immerhin war dies im größten Teil Thüringens der Fall, denn nur im ernestinischen Kurfürstentum sowie im Bereich von Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen (Land- und Stadtgebiete) wurden fast allerorts evangelische Gottesdienste gefeiert. Natürlich haben bei weitem nicht alle Geistlichen, die vorgegeben haben, evangelisch zu verkünden, im Sinn der Wittenberger Reformatoren gepredigt. Nicht zuletzt aus diesem Grund erfolgte bekanntlich Luthers Visitationsreise nach Ostthüringen im Spätsommer 1524.120 2. Als teilweise berechtigt wird man jene Appelle ansehen müssen, die auf die Restitution alter Rechtsgewohnheiten pochten. Es berührte die Wald- und Holznutzung, den freien Gewässerzugang, aber auch die niedere Jagd. Eine rückblickend pauschale Bewertung, ob die artikulierten Wünsche rechtens waren, sollte mit Bezug auf die äußerst komplizierten verfassungsrechtlichen Bestimmungen unterbleiben. Wiederholend sei betont, dass nicht wenige bäuerliche Gemeinden rücksichtslos und übergebührlich Wälder sowie teilweise auch Gewässer beansprucht haben. Eine diesbezüglich auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Nutzung ist seitens der Bauern (aber auch des Adels) nicht immer feststellbar – zum Leidwesen der Städte, so dass sie diesen Sachverhalt in ihren Artikeln moniert haben. 3. Typisch städtisch waren nicht wenige Forderungen, die Handwerk und 118 GRAUPNER, Dorfgemeinden und ihre Artikel (wie Anm. 57), S. 353 f. 119 Zur gesamten Problematik vgl. nunmehr: Enno BÜNZ, Der Pfarrer, seine Köchin und weitere Teufel, die ihn quälen. Vom Alltag der Geistlichen in Thüringen vor der Reformation (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 14), Jena 2018. 120 Hans-Peter HASSE, Luthers Visitationsreise in Thüringen im August 1524: Jena – Kahla – Neustadt an der Orla – Orlamünde, in: Werner GREILING/Uwe SCHIRMER/Ronny SCHWALBE (Hg.), Der Altar von Lucas Cranach d. Ä. in Neustadt an der Orla und die Kirchenverhältnisse im Zeitalter der Reformation (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 3), Köln/Weimar/Wien 2014, S. 169–202; Joachim BAUER, Landesherrschaft und Reformation. Die ersten Visitationen im SaaleOrla-Raum, in: ebd., S. 219–232; DERS., Die Reformation in Jena und im Saaletal (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 7), Jena 2016.

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Gewerbe, teilweise aber auch die „Störer und Pfuscher“ auf dem Lande betrafen. 4. Breiten Raum nahmen letztlich Verlangen ein, die eine materielle und finanzielle Entlastung begehrten. Es betraf Steuern, aber auch grundherrliche Abgaben – Letzteres vor allem in den Minderstädten und Marktflecken, in denen selbstverständlich Ackerbau betrieben wurde. Derartige städtische Anliegen lassen sich auch in den Landtagsakten vor und nach 1525 wiederfinden. Vor allem waren es die schriftsässigen Städte, die das wiederholt auf den Ständetagen der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen vorgetragen haben. Manches erscheint als berechtigt, vieles als kleinlich und provinziell. Insofern wirken nicht wenige Aspekte als „populistische Gravamina in der Endlosschleife“. Die Forderung, Steuern zu erlassen oder zu mindern, ist so alt wie die Steuererhebung selbst. Ähnlich verhält es sich mit Ansinnen, vor allem das eigene Handwerk und Gewerbe zu schützen. Es sind die typisch egoistischen Appelle; formuliert wurden sie zur eigenen städtischen Vorteilnahme, zum Eigennutz der unmittelbaren Einwohnerschaft. Begründet waren die angedeuteten Ersuchen nach freier Predigt usw. sowie das Begehren, altes Recht wieder zur Geltung zu verhelfen. Allerdings werden in den städtischen Artikeln nicht zuletzt Dinge benannt und verlangt, die einzig und allein im Interesse der eigenen Stadt standen.121 Mit dem Gemeinen Nutzen und dem Gemeinwohl aller hatte das wenig zu tun. Es war purer Populismus, um gegebenenfalls den letzten zaghaften Zweifler aufzuwecken. Die populistische Rhetorik, die religiöse Grundstimmung sowie tatsächliche Missstände – die jedoch weit von einem Verfassungsnotstand entfernt waren – ließen eine plebejische Begeisterung emporwachsen, die zum Landfriedensbruch sowie zur Katastrophe vor Frankenhausen führen sollte. Fernerhin erscheinen die Programme und Beschwerdeschriften einzelner Städte (und ebenso der Dörfer) als bloße Kopien benachbarter Kommunen und Gemeinden. Es war – modern gesprochen – die „Kommunikation von Filterblasen in Echoräumen“. Über den Stellenwert, die Auflagenhöhe und die Verbreitung von Druck- und Flugschriften zwischen 1521 und 1525 sind in diesem Zusammenhang keine Worte zu verlieren. Es herrschte unzweifelhaft eine trübe revolutionäre Stimmung vor, die von wortgewaltigen und charismatischen Multiplikatoren entfacht und angeheizt wurde.122 Dass es dazu einer „kritischen Masse“ – die für eine nicht mehr zu regulierende Kettenreaktion erforderlich ist – bedurfte, leuchtet ein. Abermals wird auf die Siedlungs- und Bevölkerungsdichte Thüringens bzw. auf die größeren 121 Auf diesen Umstand wurde gleichfalls schon hingewiesen. Vgl. Paul BURGHARD, Tagebuch einer Revolte. Ein städtischer Aufstand während des Bauernkrieges 1525 (Historische Studien, 20), Frankfurt am Main 1998, S. 230 f. 122 Sarah LÖSEL/Thomas T. MÜLLER, Luthers ungeliebte Brüder. Alternative Reformationsideen in Thüringen (Mühlhäuser Museen, Kleine Schriften, 3), Mühlhausen 2018.

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Städte verwiesen. Eine verbreitete soziale Unzufriedenheit – die nicht zu leugnen ist – amalgamierte sich mit religiösem Eifer und chiliastischem Fanatismus. Das Beispiel der Stadt Weißensee, ungezählter bäuerlicher Gemeinden, die allesamt „still saßen“, sowie jene nordöstlichen und östlichen Regionen, in denen die Empörung versandete, scheinen exemplarisch zu offenbaren, wo die auslösenden Momente der Empörung sowie der Katalysator des Bauernkriegs in Thüringen zu suchen sind. Besonders das Beispiel der Stadt Weißensee lässt es als geboten erscheinen, den Blick nach Mühlhausen, Langensalza und Frankenhausen zu richten. Bezüglich dieser drei Städte soll an dieser Stelle keine detaillierte Rekonstruktion der Reformations- und Bauernkriegsereignisse erfolgen. Das hat die ältere und jüngere Forschung geleistet.123 Soweit zu sehen ist, hat allein Sven Tode versucht, den Status der einzelnen Städte ins Zentrum zu rücken. Zutreffend betont er, dass Motor und Grundlage des Handelns der jeweiligen Stadt – in dem Falle waren es Erfurt, Mühlhausen, Langensalza und Thamsbrück – ihr Status gewesen sei.124 Die Frage nach der Stadtherrschaft erscheint folglich von herausragender Bedeutung. Erfurt besaß zu dieser Zeit faktisch den Status einer Reichsstadt, Mühlhausen war es, die anderen beiden Städte unterstanden dem Herzog Georg. Hinzugefügt sei ferner, dass Frankenhausen den Grafen von Schwarzburg-Sondershausen gehörte. Ihre Oberherrschaft beanspruchte ebenfalls der sächsische Herzog. Auffällig ist, dass sich keine kurfürstlich-ernestinische Stadt offen dem Bauernkrieg angeschlossen hat. Natürlich gab es auch in ihnen Krawalle. Exemplarisch seien Neustadt an der Orla, Altenburg oder Gotha benannt, in denen es 1524/25 antiklerikale Übergriffe gab – auch der Hinweis auf den Erfurter Pfaffensturm vom Juni 1521 erscheint in diesem Zusammenhang als angebracht.125 Was war allen diesen antiklerikalen Ausschreitungen gemein? Die städtischen Obrigkeiten vertreten durch die Stadträte hielten sich merklich zurück. Der Unwille des „gemeinen Pofels“ – so nannte der Altenburger Schösser

123 In Auswahl: Gerhard GÜNTHER, Die innerstädtische Bewegung in der Reichsstadt Mühlhausen und die Aktionen im Bauernkrieg 1523 bis 1525, in: VOGLER, Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 91–111; ROMMEL, Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen (wie Anm. 103); TODE, Stadt im Bauernkrieg (wie Anm. 97); Günter VOGLER, Thomas Müntzer und die Aufstandsbewegung in Thüringen, in: DERS., Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 225– 242; Thomas T. MÜLLER, Müntzers Werkzeug oder charismatischer Anführer. Heinrich Pfeiffers Rolle im Thüringer Aufstand von 1525, in: ebd., S. 243–259. 124 TODE, Stadt im Bauernkrieg (wie Anm. 97), S. 319. 125 Ulman WEIß, Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit (Regionalgeschichtliche Forschungen), Weimar 1988, S. 124–132.

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in seiner Amtsrechnung die Akteure,126 die in Altenburg „mit Pfeifen, Trommeln, großem Geschrei (und) in großer Menge“ die Häuser der Stiftsherren und Vikare des Georgenstifts geplündert hatten – richtete sich nicht in erster Linie und vordergründig gegen den Stadtrat und gegen die weltliche Obrigkeit. Insofern muss bei der Analyse des gewalttätig ausgetragenen Protestes sorgsam unterschieden werden, ob sich die Empörung „nur“ gegen die Geistlichkeit gerichtet hat (Antiklerikalismus) oder ob die Revoltierenden mit ihrer ungestümen und rasenden Gewalt – so wie vor allem in Mühlhausen und Frankenhausen – die „von gottgewollte politische Ordnung“ generell infrage gestellt haben. Hinsichtlich der Städte gelangen folglich die Stadträte in den Blick. Für weite Teile des mitteldeutschen Raumes haben die Wittenberger Unruhen von 1521/22 sowie ihre weitestgehende friedliche Beilegung Ende Januar/Anfang Februar 1522 Modellcharakter besessen. Mit der neuen Wittenberger Stadtordnung stellten der Stadtrat als Obrigkeit einerseits sowie Gemeinde und Bürgerschaft andererseits den inneren städtischen Frieden wieder her. Die Stadtordnung erneuerte und garantierte das Fortbestehen kommunaler Grundwerte: Frieden und Eintracht, Gerechtigkeit und Solidarität. Nicht Friedrich der Weise oder Martin Luther, der ohnehin erst am 6. März 1522 endgültig von der Wartburg nach Wittenberg zurückgekehrt war, beruhigten die Wittenberger Szenerie, sondern Rat und Gemeinde selbst. Grundlage des Konsenses war nicht zuletzt der Bruch mit der radikalen Fraktion um Karlstadt.127 Zugleich sei wiederholend betont, dass sich Luther seit 1520 mehrfach und beständig gegen Aufruhr gewandt hatte. In Gewalt und Revolte sah er den Teufel am Werk.128 Mit anderen Worten: Es entfaltete sich von Wittenberg aus eine ratsherrliche Reformation. Das Heft des Handelns lag in den Händen der städtischen Obrigkeit, die – und dies lehren eben die Wittenberger Unruhen – auf die Bewahrung von Recht und Ordnung bedacht war. Die ratsherrlichen Reformationen – unbestritten äußerst facettenreich und theologisch-religiös sehr heterodox – setzten sich in den kurfürstlichernestinischen Städten im Laufe der Jahre 1522/23 durch. Die von den städtischen Obrigkeiten gesteuerte evangelische Bewegung strahlte auch in die Grundherrschaften des schriftsässigen Adels aus – zumindest in jene, die im

126 Rosemarie JÄPEL, Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg (Veröffentlichung des Landesarchivs Thüringen – Staatsarchiv Altenburg), Altenburg 2016, S. 45. 127 Stefan OEHMIG, Die Wittenberger Bewegung 1521/22 und ihre Folgen im Lichte alter und neuer Fragestellungen. Ein Beitrag zum Thema (Territorial-)Stadt und Reformation, in: DERS. (Hg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, S. 97–130, hier S. 100 f. 128 BUBENHEIMER, Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg (wie Anm. 7), S. 148–150.

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Kurfürstentum lagen.129 Da es bei der von Stadträten und Niederadel vorangetriebenen „landständischen Reformation“ vor allem hinsichtlich der Patronatsherrschaft zu kontroversen Diskussionen kam, die nicht zuletzt das rechte Verhältnis zwischen Gottesglaube und Obrigkeit berührten, reagierten die ernestinischen Landesfürsten.130 Aus diesem Grund bat Herzog Johann im Oktober 1522 Martin Luther, nach Weimar zu kommen, um sich aus berufenem Munde unterweisen zu lassen. Hintergrund des Zusammentreffens war die heterodoxe evangelische Bewegung, die Franz Lau als den „Wildwuchs der Reformation“ bezeichnet hat.131 Dass Luther geraume Zeit später seine Weimarer Predigten zusammengefasst und im März 1523 unter dem Titel „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ veröffentlicht hat, ist bekannt. Diese Luther-Schrift spielte auf dem kursächsischen Landtag zu Altenburg vom Mai 1523 eine nicht unwichtige, vielleicht sogar eine zentrale Rolle, denn infolge dieses Landtags setzte sich in Kursachsen die Reformation endgültig durch und fest. Ihre Träger und Motoren waren die lokalen Obrigkeiten: der schriftsässige Niederadel und die Stadträte, größtenteils also die Landstände.132 Kurfürst Friedrich der Weise und Herzog Johann hielten sich tolerierend zurück; dass die beiden diese von den Obrigkeiten vorangetrieben evangelische Bewegung gebilligt haben, ist ebenso bekannt. Nicht zuletzt waren es die landständischen Obrigkeiten im ernestinischen Kurfürstentum Sachsen, die sich nach dem Altenburger Landtag bemüht haben, den „Wildwuchs“ im Zaume zu halten. Dass dies nicht überall gelang, dokumentiert die oben erwähnte Visitationsreise von Luther nach Ostthüringen im Spätsommer 1524.133 Auffällig ist und bleibt, dass es während der Empörung 129 SLADECZEK, Vorreformation und Reformation auf dem Land (wie Anm. 89), S. 297– 306. 130 Doreen von OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513–1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 7), Köln/Weimar/Wien 2017; Uwe SCHIRMER, Landstände und Reformation: das Beispiel Kursachsen (1523–1543), in: Enno BÜNZ/Heinz-Dieter HEIMANN/Klaus NEITMANN (Hg.), Reformationen vor Ort. Christlicher Glaube und konfessionelle Kultur in Brandenburg und Sachsen im 16. Jahrhundert (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, 20), Berlin 2017, S. 55–77. 131 Helmar JUNGHANS, Plädoyer für „Wildwuchs der Reformation“ als Metapher, in: Luther-Jahrbuch 65 (1998), S. 101–108. 132 Uwe SCHIRMER, Landstände und frühe evangelische Bewegung. Die kursächsischernestinische Ständeversammlung zu Altenburg im Mai 1523, in: Armin KOHNLE/ Manfred RUDERSDORF (Hg.), Die Reformation. Fürsten – Höfe – Räume (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 42), Stuttgart 2017, S. 356–378. 133 Vgl. Volkmar JOESTEL, Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegung und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges (1522–1524), Berlin 1996;

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von 1525 nur eine kursächsische Stadt gab, die so etwas Ähnliches wie ein Programm formuliert hat – Neustadt an der Orla. Die Neustädter Erklärung war dem Wesen nach eine Eingabe an Kurfürst Friedrich und Herzog Johann, in der Rat und Gemeinde – das gemeinsame Agieren erscheint als bemerkenswert (siehe Wittenberg im Januar 1522) – ihre uneingeschränkte Loyalität gegenüber ihren Landesherren bekundet haben.134 Revolutionärer Elan ist in dem Schreiben nirgends zu fassen. Es gleicht prinzipiell jenen Gravamina, wie sie auf den Ständeversammlungen vorgelegt worden sind. Einzig im ersten Artikel forderten Rat und Gemeinde, dass ihnen „das Gotteswort lauter und vollständig verkündet“ werde. Ihr Wunsch hing mit den örtlichen Pfarreiverhältnissen zusammen, denn ihre Stadtkirche war nur eine Filiale der Großpfarrei von Neunhofen, von wo aus ein Vikar („Mietling“) mehr recht als schlecht seinen Dienst versah. Ansonsten agierten Rat und Gemeinde – von kleineren Konflikten einmal abgesehen – gemeinsam. In gewisser Weise stand auch in Neustadt eine ratsherrliche Reformation, die den innerstädtischen Frieden wahrte, auf der Agenda.135 Jenseits der kursächsischen Städte Thüringens muss diesbezüglich auch auf Nordhausen und Erfurt verwiesen werden. In beiden Städten haben zwar oppositionelle Kräfte die Herrschaft des Rates angefochten, letztlich konnte sich jedoch die städtische Obrigkeit behaupten. Die Räte beider Städte beförderten die Reformation und wachten sorgsam über ihre kommunalen Grundwerte: innerer Frieden, Eintracht und Solidarität. Zusammen mit Goslar beobachteten Nordhausen und Erfurt zudem äußerst sorgenvoll die Entwicklung in Mühlhausen.136 In Mühlhausen gelang es dem Stadtrat nur bedingt, die berechtigten reformatorischen Forderungen vom sozialen Protest zu trennen. Ihren Anfang nahm die sozialreligiöse und radikal antiklerikale Bewegung zum Jahreswechsel 1522/23, als Mattheus Hisolidus und Heinrich Pfeiffer aktiv wurden. Zu ersten Unruhen kam es im Februar 1523, als Pfeiffer öffentlich predigte und die Obrigkeit attackierte. Der Rat lud ihn zwar vor, konnte jedoch die aufgeheizte Stimmung vorerst nicht besänftigen. Der Sommer 1523 brachte weitere Unruhen. Es folgten Eingriffe in die Stadtverfassung: Einsetzung der Achtmänner und Annahme des Mühlhäuser Rezesses.137 Beides war ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen und dem Stadtrat. Auffällig ist,

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Christian TSCHESCH, Die Einführung der Reformation in Saalfeld, in: Thüringer kirchliche Studien II (Aus zwölf Jahrhunderten. Einundzwanzig Beiträge zur thüringischen Kirchengeschichte), Berlin 1971, S. 85–99. AGBM, Bd. II, S. 139–143, Nr. 1228. Grundsätzlich zu den Vorgängen in Neustadt/Orla: GREILING/SCHIRMER/SCHWALBE (Hg.), Neustadt an der Orla und die Kirchenverhältnisse (wie Anm. 120), passim; BURGHARD, Tagebuch einer Revolte (wie Anm. 121), passim. KOCH, Reformation in der Reichsstadt Nordhausen (wie Anm. 96), S. 76–82. Der Mühlhäuser Rezess vom Juli 1523: AGBM, Bd. II, S. 10–15, Nr. 1093.

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dass im Rezess reformatorische Forderungen eher beiläufig und nicht zentral formuliert worden sind (§§ 45, 49, 54). Trotz der Unruhe in der Stadt hat es den Anschein – doch das müssten detaillierte Forschungen erst belegen –, dass sich auch Mühlhausen im Sommer 1523 auf dem Weg zu einer „ratsherrlichen Reformation“ befand, zumal der Rat die als Aufrührer stigmatisierten Pfeiffer und Hisolidus Ende August 1523 aus der Stadt ausgewiesen hat.138 Doch bereits im Dezember 1523 waren beide wieder vor Ort. Dass sich Pfeiffer zum Jahreswechsel 1523/24 vermutlich noch nicht vollends radikalisiert hatte, scheint nach Thomas T. Müller glaubhaft zu sein.139 Die Tumulte im Frühjahr und Sommer 1524, die es in der Reichsstadt und im Umland (Ammern) gab, waren antiklerikal. Die Herrschaft des Stadtrates und der Achtmänner stand vorerst nicht zur Disposition. Infolge Müntzers Ankunft im August 1524 veränderte sich die Situation. Es wurde abermals Stimmung gegen die Obrigkeit erzeugt. Zwischen dem 22. und 24. September sind die Elf Artikel von Müntzer und Pfeiffer verfasst worden.140 Sie waren ein religiös verbrämtes, letztlich aber radikales Programm, das gegen die Obrigkeit gerichtet war. Es verfehlte seine Wirkung nicht, obgleich die beiden Aufrührer ihre Elf Artikel nicht zum Druck gebracht haben. Die Resonanz, welche die Artikel ausgelöst haben, wird durch den Auflauf der Bauern aus dem Landgebiet bei der Mühlhäuser Steinbrückenmühle dokumentiert. Dort haben sich am 24. September „100 bis 200 Dorfbewohner […], vorwiegend reiche Bauern“ versammelt,141 um die Ausweisung von Müntzer und Pfeiffer zu verlangen. Nichts symbolisiert die inzwischen auch sozial gespaltene Gesellschaft besser als der Bauernprotest vor der Steinbrückenmühle. Die von den Bauern geforderte Verbannung erscheint als Reaktion auf die Elf Artikel. Unmittelbar danach (um den 26./27. September) sind Müntzer und Pfeiffer tatsächlich aus der Reichsstadt ausgewiesen worden. Abermals – indes letztmalig – hat sich der Stadtrat durchzusetzen vermocht; ohne dass es ihm freilich gelungen wäre, Eintracht und Frieden innerhalb der städtischen Gesellschaft insgesamt wiederherzustellen.

138 MÜLLER, Werkzeug oder charismatischer Anführer (wie Anm. 123), S. 250. – Nachfolgendes nach: ebd. sowie GÜNTHER, Innerstädtische Bewegung in Mühlhausen (wie Anm. 123), S. 92 f.; LÖSEL/MÜLLER, Ungeliebte Brüder (wie Anm. 122), S. 74 f. u. 78– 80. 139 MÜLLER, Werkzeug oder charismatischer Anführer (wie Anm. 123), S. 251. 140 Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2: Briefwechsel, hg. von Helmar JUNGHANS u. Armin KOHNLE, bearb. u. kommentiert von Siegfried BRÄUER u. Manfred KOBUCH, Leipzig 2010, S. 371–382, Nr. 105, 1–2. 141 GÜNTHER, Innerstädtische Bewegung in Mühlhausen (wie Anm. 123), S. 96; Martin SÜNDER, Zum Aufruhr Thomas Müntzers 1524 in Mühlhausen, in: Mühlhäuser Beiträge zur Geschichte, Kulturgeschichte, Natur und Umwelt 12 (1989), S. 35–39.

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Pfeiffer war spätestens am 13. Dezember 1524 wieder in Mühlhausen; Müntzer kehrte Mitte des Monats Februar 1525 zurück. Fraglos besaßen beide nicht wenige Anhänger unter der reichsstädtischen Bevölkerung, zumal es auch Pfeiffers Geburtsstadt war. Bei den antiklerikalen Ausschreitungen des Jahreswechsels 1524/25 sowie in den folgenden Wochen verhielt sich der Stadtrat inzwischen nicht mehr zurückhaltend. Er agierte als Herrschaftsorgan, das auf die Einhaltung der öffentlichen Ordnung pochte. Die aufgewühlte Stimmung brachte es schließlich mit sich, dass der Rat am 16. März 1525 in der Marienkirche abgewählt wurde.142 Ob die Abwahl ein „basisdemokratischer Akt“ oder ein „Putsch“ war, sei dahingestellt. Der Rezess vom 3. Juli 1523 legitimierte die Abwahl nicht – die Elf Artikel jedoch schon. Es folgte die Installation des Ewigen Rates. Auf alle Fälle hatte sich in der Reichsstadt im März 1525 eine Allianz herausgebildet, die aus Schwarmgeistern, Kleinhandwerkern und mittelosen Tagelöhnern bestand. Antiklerikalismus, soziale Unzufriedenheit, die politische Ausgrenzung weiter Bevölkerungsteile bis zur Billigung des Rezesses und der Einsetzung der Achtmänner, aber auch radikal-reformatorische Vorstellungen befeuerten den Umsturz. Die Stunde der Schreier, die stets am Beginn einer jeden Insurrektion stehen, war gekommen. Sie hatten die Herrschaft des alten Rates gebrochen. Während es in Wittenberg zu Beginn des Jahres 1522 gelungen war, den inneren Frieden wiederherzustellen, so brachten in Mühlhausen nunmehr die Unzufriedenen, Erniedrigten und Beleidigten, aber auch der „Pofel“ „die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen“. Die verstörenden Impulse, die von der Reichsstadt ausgingen, stießen nicht zuletzt in Langensalza und Frankenhausen auf Resonanz. In Langensalza kam es zwar zu personellen Veränderungen im Stadtrat, gestürzt wurde er jedoch im Zuge des Aufstandes vom 25. April nicht. Er blieb mehr recht als schlecht handlungsfähig. Zwar konnte er den militärischen Zug der Aufrührer aus Langensalza zur Burg der Grafen von Gleichen nach Gräfentonna sowie später Richtung Weißensee nicht abwenden, jedoch verhinderte der Rat mit Unterstützung der gemäßigten Bürgerschaft die Vereinigung mit dem radikalen Mühlhäuser Haufen, der – angeführt von Heinrich Pfeiffer – am 26. April vor Langensalza erschienen war. Ebenso hielt der Stadtrat schützend die Hände über die Mühlhäuser Bürgermeister Rodemann und Wettich, die aus der Reichsstadt am 20. September 1524 geflohen waren, in Langensalza Schutz gefunden hatten und deren Auslieferung Pfeiffers Haufen verlangt hatte. Allerdings konnte der Stadtrat die Tumulte und das Chaos, die vor allem zwischen dem 30. April und 7. Mai in der Stadt herrschten, nicht verhindern.143 Insofern erscheint Langensalza tatsächlich eine Sonderrolle während des Bauernkrieges eingenommen zu 142 MÜLLER, Werkzeug oder charismatischer Anführer (wie Anm. 123), S. 255. 143 Zusammenfassend: TODE, Stadt im Bauernkrieg (wie Anm. 97), S. 247–266.

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haben. – Frankenhausen stieg im Laufe des Monats April zum „Sammelpunkt unzufriedener Elemente“ auf, und „die Revolutionäre gewannen die Oberhand über die friedlichen Kräfte“.144 Nachdem Beamte der Grafen von Schwarzburg und wohl auch einige Ratsherren die Stadt klammheimlich verlassen hatten, brachen Aufruhr und Anarchie am 29. April 1525 offen aus; das gräfliche Schloss und das Rathaus wurden gestürmt. Die öffentliche Ordnung war vollends zusammengebrochen, denn in den nächsten Tagen erhielten die Empörer beträchtlichen Zulauf.145 Im Gegensatz zur Einwohnerschaft von Langensalza, die sich – wie erwähnt – auf keine „christliche Vereinigung“ mit den Mühlhäusern einließ, suchten die Insurgenten von Frankenhausen ausdrücklich den Kontakt zu Müntzer und Pfeiffer. Die weitere Entwicklung ist bekannt. Abschließend sei, wenn es um die Erklärung des Bauernkriegs in Thüringen geht, ausdrücklich auf Thomas Müntzer und Heinrich Pfeiffer verwiesen. Die beiden haben in weiten Teilen des Mühlhäuser Umlandes das Feuer der Empörung entfacht und zu Gewalt aufgerufen. Diesbezüglich scheint es nahezu als irrelevant, ob man sie als theologisch kundige Prediger, als charismatische Revolutionäre oder als nichts anderes als gewöhnliche Aufrührer wahrzunehmen versucht.

IV. Zusammenfassung Der Bauernkrieg ist maßgeblich durch die frühe reformatorische Bewegung verursacht, ausgelöst und verstärkt worden. Dem Wesen nach war er eine Empörung, ein Aufruhr, ein Aufstand des gemeinen Mannes. Zwar ist der Begriff „Bauernkrieg“ zeitgenössisch, es haben sich jedoch allerorts auch Einwohner der Städte und Marktflecken an der Revolte beteiligt. Den immediaten Zusammenhang zwischen der Empörung des gemeinen Mannes in Stadt und Land sowie der Reformation dokumentieren fast alle Beschwerdeschriften. In ihnen wird stets im ersten Artikel die freie und verständliche Verkündigung des Evangeliums angemahnt. Regional unterschiedlich scheint die Beteiligung der städtischen Bevölkerung an der Revolte gewesen zu sein. In Thüringen wird ihr Anteil vielleicht bei 20 bis 25 Prozent gelegen haben. Das Mitwirken des städtischen Milieus deutet außerdem an, dass es unzulässig ist, die Ursachen des Aufruhrs allein in der ländlichen Gesellschaft suchen zu wollen. In den Städten wird man, neben den reformatorischen Forderungen, die ungenügende Teilhabe breiter Bevölkerungskreise an der Ratsherrschaft sowie eine allgemeine soziale 144 EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 93), S. 337 u. 339. 145 Ebd., S. 339–345; Siegfried HOYER, Die „Schlacht“ bei Frankenhausen, in: VOGLER, Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (wie Anm. 6), S. 211–224.

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Unzufriedenheit als Grund benennen müssen. Das Unbehagen und sicherlich auch eine gewisse Verdrießlichkeit gründeten sich jedoch nicht auf gravierende sozialökonomische Missstände – so wie sie drei Jahrhunderte später zur Zeit des Pauperismus vielerorts fassbar sind. Die allgemeinen sozialen, wirtschaftlichen und alltäglichen Lebensumstände des gemeinen Mannes in Stadt und Land erscheinen in Thüringen sowie insgesamt in Mitteldeutschland am Vorabend des Bauernkrieges als durchaus gut. Die Ursachensuche bezüglich der ländlichen Gesellschaft hat unbedingt die verschiedenartigen Agrarverfassungstypen, die es im nordalpinen Reich um 1500 gegeben hat, zu berücksichtigen. Dass der Bauernkrieg im deutschen Südwesten ausbrach – wo bekanntlich noch Überreste der „versteinerten Villikationsverfassung“ existierten –, überrascht kaum, zumal sich in diesen Regionen Traditionen ländlicher Widerspenstigkeit und bäuerlichen Widerstands seit dem Spätmittelalter nachweisen lassen. Die Ausbreitung der Revolte Richtung Norden und Nordosten kann mit der Metapher des Flächenbrandes erklärt werden, zumal – wie erwähnt – die Forderungen der Aufständischen stets mit reformatorischem Verlangen verbunden worden sind. Bemerkenswert ist ferner, dass der Bauernkrieg besonders jene Regionen erfasst hatte, in denen altes fränkisches Recht galt. Hinsichtlich der unterschiedlichen Agrarverfassungstypen erscheint Thüringen, also der Raum zwischen Werra und Saale sowie Harz und Thüringer Wald, als eine Übergangsregion. Wie in den nördlichen und östlich angrenzenden Gebieten waren die Bauern in das System der mitteldeutschen Grundherrschaft integriert. Sie garantierte persönliche Freizügigkeit und sehr gute Besitzrechte; die Abgaben und Dienste waren erträglich. Trotzdem beklagten nicht zuletzt in Thüringen die Bauern Ein- und Übergriffe der Grundherren und der spätmittelalterlichen Landesherrschaft bzw. des frühmodernen Staates. Vorrangig betraf es die Hut- und Triftgerechtigkeit sowie die Nutzung der Wälder, teilweise auch der Gewässer. Als schleichender Prozess müssen die Entmündigung der bäuerlichen Gemeinde sowie die Etablierung der patrimonialen Gerichtsbarkeit bewertet werden. Dies korrespondiert mit dem Vordringen obrigkeitlicher Herrschaftsrechte zuungunsten der genossenschaftlichen Volksrechte. Damit sind untrennbar Einschränkungen bäuerlicher Gemeindeautonomie verbunden. Die bleierne Allmacht staatlicher Strukturen legte sich allmählich über die genossenschaftlich organisierten Gemeinschaften. Für die Ausbreitung des Bauernkriegs in Thüringen sind die völlig anders gelagerten siedlungsgenetischen, agrarwirtschaftlichen und sozialstrukturellen Gegebenheiten als östlich der Saale – also in jenen Gebieten, in denen der Bauernkrieg merklich an Elan verlor – nicht unwichtig. Besonders im Thüringer Becken sind bäuerliche Großgemeinden mit einer teilweise nivellierten Sozialstruktur (infolge der Realteilung) zu fassen. Die Masse der bäuerlichen Anwesen (oft mehr als einhundert Höfe) bildete eine „kritische Masse“, um eine dynamische

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Protestbewegung befeuern zu können. Die Existenz dieser „stadtähnlichen Dörfer“ hatte das Thüringer Becken mit den Bauernkriegsgebieten im Südwesten und in Franken gemein. Hinsichtlich der Entfachung des Aufstandes agierten sehr oft radikale Prediger, die sich bewusst von der obrigkeitlichen Reformation Wittenberger Prägung abgegrenzt haben. Insofern sind bei der Erklärung des Bauernkriegs in Thüringen stets Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer, gegebenenfalls Johannes Teigfuß, mit Abstrichen vielleicht auch Andreas Bodenstein (Karlstadt), Jacob Strauß, Mattheus Hisolidus sowie andere „von Luthers ungeliebten Brüdern“ anzuführen. Dass deren radikal-theologischen Ansichten auch nach dem Bauernkrieg virulent waren, zeigt letztendlich das Wirksamwerden der Täufer in Thüringen und darüber hinaus.146 Die Täufer wiederum dokumentieren, dass es durchaus eine zivilisatorische Renitenz jenseits des gewaltsamen Protests, der blinden Zerstörungswut und gottloser Niedertracht geben konnte.

146 LÖSEL/MÜLLER, Ungeliebte Brüder (wie Anm. 122), S. 94–98; Astrid VON SCHLACHTA, Die Täufer in Thüringen. Von wehrhaften Anfängen zur wehrlosen Gelassenheit (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 10), Jena 2017; Paul WAPPLER (Hg.), Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526–1584 (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens, 2), Jena 1913.

ULRICH HAHNEMANN DIE EINWOHNER VON FRANKENHAUSEN

Die Einwohner von Frankenhausen vor, im und nach dem Bauernkrieg 1525 Ende April 1525 erfasste der Bauernkrieg auch die im Norden Thüringens gelegene Stadt Frankenhausen.1 Die Mehrzahl der Einwohner der Stadt beteiligte sich an der Erhebung. Diese richtete sich zunächst gegen den regierenden Rat und das sichtbare Zentrum der Landes- und Stadtherren, die Unterburg im Südosten des Stadtgebietes. Herren der Stadt als auch des Umlandes waren seit dem 14. Jahrhundert die Grafen von Schwarzburg.2 Zunächst pfandweise 1339, dann käuflich 1340 erwarben sie die Stadt und das darin befindliche Salzwerk von den Grafen von Beichlingen. Spätestens seit einem Vergleich 1358 mit den Schwarzburgern beanspruchte das Haus Wettin die Lehnshoheit über die Stadt und schließlich auch das Salzwerk.3 In der Leipziger Teilung 1485 zwischen den wettinischen Brüdern Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht wurden Frankenhausen und die umliegenden Dörfer im Besitz der Schwarzburger der albertinischen Linie der Wettiner zugeschlagen.4 Mithin war 1525 Herzog Georg der Bärtige von Sachsen (1471–1539) Oberlehnsherr der Grafen von Schwarzburg für diese Gebiete. Seinen oberlehnsherrlichen Anspruch machte Herzog Georg nicht erst seit den Ereignissen und dem Verhalten der Schwarzburger im Bauernkrieg gegenüber diesen deutlich. Sein selbstbewusster Umgang mit der Stadt und ihren Bürgern wird nach der militärischen Auseinandersetzung vom 15. Mai 1525 abermals und in besonderer Weise deutlich.

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Horst MÜLLER, Über die Bauernschlachten am 14. und 15. Mai 1525 bei Frankenhausen, in: Historische Beiträge zur Kyffhäuserlandschaft – Veröffentlichungen des Kreisheimatmuseums Bad Frankenhausen (im Folgenden: Historische Beiträge) 5 (1975), S. 5–48. Der Beitrag von Horst Müller, einem geborenen Frankenhäuser, ehemaligen Geschichtslehrer in Bad Frankenhausen und Artern, zeitweiligem Direktor des Panoramamuseums Bad Frankenhausen und Stadthistoriker, ist unter Hinweglassung politisch akzentuierter Textbausteine noch immer eine fundierte Kurzübersicht über die regionalen Ereignisse im Bauernkrieg 1525. Ulrich HAHNEMANN, Das Haus Schwarzburg – 1249 Jahre Familiengeschichte eines thüringischen Adelsgeschlechtes, Werl 22014, S. 6 u. 18. Herbert HELBIG, Der Wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (Mitteldeutsche Forschungen, 4), Münster/Köln 1955, S. 105. Woldemar GOERLITZ, Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485– 1539 (Sächsische Landtagsakten, 1), Leipzig/Berlin 1928, S. 228.

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Die Stadt Frankenhausen setzte sich 1525 aus zwei eigenständig entstandenen Stadtteilen zusammen.5 Dies waren die 1354 gemeinsam urkundlich genannten Teile „vera civitas“ (die eigentliche Stadt) und „nova civitas“ (die neue Stadt). Mit der „vera civitas“ verbindet sich die eigentliche Stadtgründung. Ihre planmäßige Anlegung mit Burg, Kloster, Markt und Stadtmauer im 13. Jahrhundert erfolgte durch die Grafen von Beichlingen. Im Jahre 1219 wurde Frankenhausen als „oppidum“ (stadtähnliche Siedlung) bezeichnet. Ab 1266 wurde der Begriff „civitas“ (Synonym für Stadt) gebräuchlich und 1286 wurden erstmals Ratsmeister und Ratsmannen urkundlich erwähnt. Beides deutet darauf hin, dass Frankenhausen im Verlauf des 13. Jahrhunderts auch Stadt im Rechtssinn geworden war. Die „nova civitas“ oder Neustadt fand 1354 ihre erste Erwähnung. Sie umfasste im Wesentlichen die Solequellen, die Oberburg (Hausmannsturm), die Oberkirche und den Anger. Hier lag das wirtschaftliche Zentrum von Frankenhausen. Zu ihrem Schutz erhielt die Neustadt eine eigene Stadtmauer. Das Stadtrecht besaß sie jedoch nicht. Das städtische Verwaltungszentrum war das 1444 erstmals erwähnte Rathaus an seinem heutigen Standort am Markt. In der weiteren Entwicklung von Frankenhausen verblassten langsam die Bezeichnungen als „vera“ und „nova civitas“ und die Benennung als Unter- und Oberstadt wurde gebräuchlich. Hieraus leiten sich die auch heute noch üblichen Bezeichnungen Unter- und Oberkirche ab. Die Wirtschaftskraft und damit ein zeitweilig enormer Wohlstand ihrer Bürger beruhten auf den Solequellen und der damit verbundenen Gewinnung von Salz aus dem Sieden der Sole. Diese trat und tritt in mehreren Quellen ans Tageslicht.6 Die Solequellen finden sich im Norden der Stadt, unterhalb der Oberburg. Die Oberburg, seit dem späten 16. Jahrhundert mehr und mehr nur als Hausmannsturm benannt, befand sich im Besitz der Schwarzburger. Bis ins 16. Jahrhundert residierte hier zeitweilig in ihrem Auftrag der Stadtvogt. Das gesamte wirtschaftliche Areal unterhalb der einst als Schutzburg fungierenden Oberburg wurde als Saline bzw. Salzwerk bezeichnet. Die Saline umfasste 117 Siedehütten bzw. Sölden. Die Besitzer der Sölden hießen Pfänner. Ihr Name leitete sich von der Pfanne ab, in der aus Sole Salz gesiedet wurde. Ihre Gemeinschaft bzw. Zusammenschluss nannte sich die Pfännerschaft. Zur Handhabung aller mit dem Salzwerk verbundenen Handlungen beriefen sie den 5 6

Vgl. Hans EBERHARDT, Die Anfänge der Stadt Frankenhausen und ihre Entwicklung bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Karl-Heinz OTTO/Joachim HERRMANN (Hg.), Siedlung, Burg und Stadt – Studien zu ihren Anfängen, Berlin 1969, S. 438–463. Vgl. Gerdt von KETELHODT, Geschichte des Salzwerkes zu Frankenhausen, Frankenhausen o. J.; Hans-Henning WALTER, 2000 Jahre Salzproduktion am Kyffhäuser – Geschichte der Salinen Frankenhausen, Auleben und Artern, in: Historische Beiträge 10 (1986), S. 8–24.

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Pfännerausschuss in Stärke von zwölf Mitgliedern. Die Schwarzburger selbst verfügten nur zeitweilig über eine eigene Sölde.7 Ihre Rechte am Salzwerk, ihren Einfluss auf die Salzherstellung, die Pfänner und die Salzarbeiter regelten sie mittels einer Salzordnung. Die älteste bekannte Salzordnung für Frankenhausen stammt aus dem Jahr 1493.8 Um die einzelnen Bestimmungen der Salzordnung umzusetzen bzw. zu kontrollieren, setzten die Schwarzburger einen „Salzzollbeamten“ bzw. „Zöllner“ ein. In ihrem Auftrag hatte er die wöchentlich durch die Pfänner zu siedende Höchstmenge an Salz festzulegen und den darauf erhobenen Zoll einzunehmen. Der „Salzzoll“ war eine bedeutsame Einnahmequelle der Schwarzburger und betrug je nach wirtschaftlicher Lage in ihren Territorien zwischen 10 und 20 Prozent der jährlichen Einnahmen. Auch bei Landesteilungen im Hause Schwarzburg blieb der „große Salzzoll zu Frankenhausen“ jeweils gemeinsamer Besitz aller Linien. So auch in der Teilung von 1496, in der Graf Heinrich XXXI. (reg. 1493–1526) den „sondershäusischen Teil“ mit den Städten Frankenhausen und Sondershausen erhielt.9 Seine Residenz nahm er in Sondershausen. Doch das eigentliche wirtschaftliche Zentrum und die nach Arnstadt zweitgrößte Stadt in allen schwarzburgischen Territorien war Frankenhausen. Im Jahr 1525 zählte die Stadt 347 Häuser, in die sich 346 Hauseigentümer teilten.10 Von den Hauseigentümern gehörten 90 zur Pfännerschaft, 256 waren Hintersiedler. Unter Einschluss der bei den Häusern nicht berücksichtigten Ritter- und Freihöfe, der beiden Burgen, des Klosters, der Propstei, der Vogtei und der Mühlen und einer Bewohnerzahl von etwa fünf Menschen pro Haus lag die Zahl der Einwohner wohl zwischen 1.700 und 1.900. Das Vorhandensein der Saline bedingte nicht unwesentlich die Ausprägung eines differenzierten Handwerks und einen regen, überregionalen Handel. Darüber hinaus boten die Böden der Diamantenen Aue gute landwirtschaftliche Voraussetzungen und die warmen Südhänge des Kyffhäusergebirges ließen den Weinbau zu. Im Vergleich der thüringischen Städte versteuerte in Frankenhausen eine höhere Zahl der

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Stadtarchiv Bad Frankenhausen (im Folgenden: StadtA Bad Frankenhausen), 1/II A–452: Chronica des Blasii Müldener 1511–1603. Graf Heinrich XXXI. verkaufte 1511 seine Sölde an den Zöllner Hartung Schleißer. Die Chronik von Bürgermeister B. Müldener wurde 1857 aufgefunden und in Teilen im gleichen Jahr im „Frankenhäuser IntelligenzBlatt“ veröffentlicht. Das Original gilt seit der Amtszeit von Bürgermeister Paul Lemcke in den 1880er Jahren als verschollen. 8 Otto DOBENECKER, Die älteste Frankenhäuser Salzordnung, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde, N. F. 6 (1889), S. 503–519. 9 Kurt HERRMANN, Die Erbteilungen im Hause Schwarzburg, Halle/Saale 1919, S. 57–64. Zu den im Beitrag genannten Biografien von Angehörigen des Hauses Schwarzburg vgl. HAHNEMANN, Haus Schwarzburg (wie Anm. 2). 10 Liselotte PFLAUMBAUM/Franz HEINEMANN, Die Besitzverhältnisse in Frankenhausen um 1525, in: Historische Beiträge 5 (1975), S. 61–67.

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Einwohner ein Vermögen von mehr als 500 fl.11 Lediglich die Reichsstadt Mühlhausen verzeichnete hier eine größere Anzahl vermögender Einwohner. Unter den wohlhabenden Einwohnern finden sich vor allem Angehörige der Pfännerschaft. Aus ihren Reihen stammte die Mehrzahl der Ratsmitglieder, der Kämmerer und der Bürgermeister.12 Ämter und Funktionen wurden teilweise in den Familien über Generationen hinweg weitergegeben. Innerhalb der Pfännerschafts- und Ratsherrenfamilien dürfte sich ein entsprechendes Selbst- und Standesbewusstsein ausgeprägt haben. Greifbar wird dieses jedoch erst in den Auseinandersetzungen mit den Grafen von Schwarzburg nach den Bauernkriegsereignissen. Erstmals lässt sich das Stadtregiment in den von den Schwarzburgern erlassenen Stadtstatuten von 1454 fassen. Dass die Festschreibung der Stadtrechte ausgerechnet nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen Erzbischof Günthers von Magdeburg (1382–1445, Erzbischof 1403–1445) mit den Städten Magdeburg und Halle/Saale erfolgte, mag Zufall sein.13 Günther entstammte dem Haus Schwarzburg. In seinem Kampf gegen die um mehr Freiheiten ringenden Bürger von Magdeburg und Halle wurde er tatkräftig, jedoch weitgehend erfolglos von seinen schwarzburgischen Verwandten unterstützt. Dem Rat von Halle musste er sogar das Recht einräumen, die „Solgüter“ nach eigenem Ermessen mit einer Steuer zu belegen und auch nur einen, vom Rat vorgeschlagenen Mann zum Salzgrafen zu ernennen. Von solchen Vergünstigungen waren die Frankenhäuser Pfänner weit entfernt. Über die Verhältnisse in der Saalestadt waren sie sowohl durch Handelsbeziehungen als auch Streitfälle bezüglich der Salinen gut unterrichtet. Im Bestand „Pfännerschaft“ im Stadtarchiv Bad Frankenhausen findet sich auch eine Hallesche Salzordnung aus dem Jahre 1471.14 Die Stadtstatuten von 1454 und die Salzordnung von 1493 scheinen von den Pfännern als Eingriffe in ihre wirklichen und vermeintlichen Rechte am Stadtregiment und am Salzwerk angesehen worden zu sein.15 Eine nach der Landesteilung von 1496 um 1500 entworfene Salzordnung hat die Gemüter eher erhitzt 11 Vgl. Ludwig ROMMEL, Die Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen in der Schlacht vom 15. Mai 1525, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 10 (1983), S. 93–107. 12 StadtA Bad Frankenhausen, II/E 1–8, Stadtrechnungen, 8. Band, 1413–1573; 1/II A– 136, Akte das Bürgerecht betreffend 1531–1571; 1/II A–137, Akte die Ratsbestätigungen betreffend 1537–1712; 6/I–33 bis 6/1–47a, Pfännerschaft Salzgewinnung und -vertrieb, Rechnungswesen 1518–1622. 13 Friedrich LUNDGREEN, Kirchenfürsten aus dem Hause Schwarzburg, Berlin 1923, S. 432–459; vgl. hierzu auch HAHNEMANN, Haus Schwarzburg (wie Anm. 2), S. 20 f. 14 StadtA Bad Frankenhausen., 1/II A–132a, Hallische Statuten und Salzordnung betreffend 1471. 15 Vgl. Ulrich HAHNEMANN, Von Berg- und Salzordnungen – Zum schwarzburgischen Bergrecht vor dem Einsetzen des Kalibergbaus im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen 1892, Sondershausen 2005, S. 9–11.

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als besänftigt.16 Schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des Salzwerkes und den Salzzollbeamten. Leibes- und Geldstrafen waren die Folge, auch für die eingesessenen Pfänner.17 Dabei hatten die wenigen Salzzollbeamten eine mehrere hundert Personen starke Gruppe des Salzwerkes zu überwachen. In 114 Sölden teilten sich mit gehörig differenzierten Anteilen 90 Pfänner.18 Drei Sölden werden dem Vogt, dem Kloster und dem Rat zugeordnet. G. von Ketelhodt hat nachgewiesen, dass in jeder Sölde drei Salzarbeiter gearbeitet haben.19 Dies waren der Meister, der Pfleger und der Unterstecker (Holzbinder). Hinzu kam eine unbekannte Zahl von Lehrjungen, die „Waldteufel“ genannt wurden. Das bedeutet, dass 350 bis 400 Personen im Salzwerk beschäftigt wurden. Dieser Sachverhalt ist mit Bezug zum Bauernkrieg für Frankenhausen bislang nicht thematisiert worden. Die Pfänner, die nur 0,5 bis 1,5 Sölden besessen haben, waren vielfach noch selbst im Salzwerk tätig. Diese Gruppe machte etwa zwei Drittel der Pfänner aus. Ein weiteres Drittel besaß 2 bis 3,5 Sölden. Sie hoben sich durchaus aus der Masse der Salzarbeiter und der anderen Pfänner heraus. Es kann resümiert werden, dass das Potential der bei Ausbruch der Unruhen zur Verfügung stehenden Gruppe und an der Salzgewinnung Beteiligten größer war, als es bislang angenommen wurde. Wann die ersten Frankenhäuser Bürger mit der lutherischen Reformation in Berührung kamen, ist ungewiss. Als erster Verkünder der Lehre Martin Luthers im Amt Frankenhausen gilt Pfarrer Cyriacus Taubenthal im schwarzburgischen Dorf Ringleben unweit östlich von Frankenhausen.20 Seine Predigten im Sinne Martin Luthers wurden Graf Heinrich XXXI. von Schwarzburg-Sondershausen zur Kenntnis gebracht. Dieser ließ ihn 1524 in Frankenhausen verhören und streng ermahnen, dies zu unterlassen. Graf Heinrich XXXI., Zeit seines Lebens ein treuer Anhänger der römisch-katholischen Kirche, unterband jegliche Versuche, der Reformation in seinem Herrschaftsgebiet Raum zu geben. Taubenthals Wirken war im regionalen kirchlichen Bewusstsein so tief verwurzelt, dass 16 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Rudolstadt (im Folgenden: LATh-StA Rudolstadt), Kanzlei Frankenhausen, Nr. 138. Eine alte Salzordnung ohne Anzeige des Jahres, circa 1500. – Zahlreiche Artikel in der Ordnung, die entweder neu sind oder überarbeitete der Salzordnung von 1493, sind durchgestrichen. Ob der Entwurf wirklich umgesetzt werden konnte, muss nach jetziger Kenntnis des Verfassers offenbleiben. 17 PFLAUMBAUM/HEINEMANN, Besitzverhältnisse (wie Anm. 10), S. 64. 18 Vgl. ebd., S. 63 ff. Die Autoren geben für die Salzarbeiter eine Zahl von 150 bis 200 an. Angesichts der von Ketelhodt vorgelegten Erkenntnisse darf diese Zahl als zu niedrig angesehen werden. 19 KETELHODT, Salzwerk (wie Anm. 6), S. 33 f. 20 G[uido] EINICKE, Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541, Erster Teil, Nordhausen 1904, S. 204–207.

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seine Biografie in die Schriftenreihe „Aus vergangenen Tagen – Berühmte Frankenhäuser“ aufgenommen wurde.21 Die Predigten Taubenthals waren von vielen Bewohnern der schwarzburgischen Unterherrschaft besucht worden. Im März 1525 bat der Rat zu Frankenhausen Graf Heinrich XXXI. darum, einen evangelischen Prediger annehmen zu dürfen.22 Der Prediger – dieser hatte bereits gepredigt – war mit großer Wahrscheinlichkeit für die Oberkirche „Unser Lieben Frauen am Berge“ bestimmt. Diese Kirche spielte im religiösen Leben der Pfänner und Salzarbeiter eine herausgehobene Rolle.23 Anlässlich des alljährlichen Bornfestes führte eine Prozession alle Angehörigen des Salzwerkes zur Messe in die Oberkirche. Sie galt gemeinhin als Kirche der Pfännerschaft und der Salzarbeiter. Die verstorbenen Angehörigen der Pfännerschaftsfamilien wurden fast ausschließlich hier bestattet.24 Über eine Erlaubnis zur Annahme des namentlich nicht genannten Predigers ist nichts bekannt.25 Wenige Wochen darauf stand die Forderung nach der freien Pfarrerwahl an erster Stelle der „Frankenhäuser Artikel“.26 Der Aufstand brach spätestens am Samstag (29. April)/Sonntag (30. April) in der Stadt offen aus. Darauf schließen lässt ein Bericht von Hans Zeiß, Schosser zu Allstedt, an Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen (reg. 1486–1525), der auf den 1. Mai 1525 datiert und die Aussage enthält, dass „die von Frankenhaußn und Sondershaußen sein gestern alle auf wider iren hern, haben die closter gesturmbt, die zol und beschwerung selber abgelegt“.27 Jacob Scharffenbergk, einer der beiden amtierenden Bürgermeister, benannte den Samstag als Anfang der Empörung in der Stadt Frankenhausen.28 Er und der andere Bürgermeister Hans von Breitenbach büßten an diesem Tag ihren Einfluss als 21 SCHRÖDER (Gebrüder), Aus vergangenen Tagen, Heft 2: Alt-Frankenhausen. Berühmte Frankenhäuser, Frankenhausen o. J., S. 13 ff. Die Schriftenreihe „Aus vergangenen Tagen“ wurde von Felix Schröder, Buchdrucker in Frankenhausen, herausgegeben. Die Texte dienten der Beschreibung der Bilder, die sein Bruder in der 1895 eröffneten Wirtschaft „Frankenburg“ (heute Hotel „Residenz“) in Frankenhausen ausgestellt hatte. Das Bild gilt als verschollen. 22 Vgl. EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 20), S. 280 f. 23 Vgl. KETELHODT, Salzwerk (wie Anm. 6), S. 13–15. 24 Der Friedhof wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgegeben. Zwei bedeutende Grabmonumente der Pfännerschaftsfamilie Fischer haben sich erhalten und befinden sich heute in der Unterkirche. 25 StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–107, Die Diaconen und Prediger der Oberkirche 1521–1884. 26 Horst MÜLLER, Die Frankenhäuser Artikel aus dem Jahre 1525 – Teil von Handlungen antifeudaler Kräfte während des Bauernkrieges, in: Historische Beiträge 12 (1989), S. 83. 27 Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. 162 f., Nr. 1261. 28 Ebd., S. 844, Nr. 2047. Die Aussagen von Jacob Scharffenbergk entstammen dem durch Graf Ernst von Mansfeld durchgeführten Verhör desselben im Juli 1526.

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Stadtoberhäupter ein. Nachdem sich Scharffenbergk zunächst in einem Haus in der Stadt verborgen hatte, wurde er am darauffolgenden Sonnabend (6. Mai) in den Ring „geheischen und gelassen“. Dort wurde er Zeuge der Verlesung von „artigkel“, der Annahme von Predigern und Hauptleuten und denen aus der „gemeine“ heraus gewählten zwölf Mann. Dass er persönlich unbehelligt blieb, dürfte mit seiner Zugehörigkeit zu den eingesessenen Rats- und Pfännerschaftsfamilien zu erklären sein. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, wurden diese keineswegs mit Gewalt beantwortet und wirkten ebenso kaum in die Zeit nach dem Bauernkrieg nach. Sowohl er als auch seine Nachfahren und die Angehörigen der am Aufstand beteiligten Pfänner besetzten auch nach dem Bauernkrieg den Rat und waren gemeinsam Kämmerer oder Bürgermeister.29 Ebenso blieb Bürgermeister Hans von Breitenbach unbehelligt und befand sich entsprechend eines Schreibens des Rats zu Frankenhausen an Graf Günther XL. von Schwarzburg (reg. 1525/1526–1552) vom Oktober 1529 bei Ausbruch der Kampfhandlungen in der Stadt.30 Aus eben diesem Schreiben erfahren wir, dass der seit 1525 flüchtige Frankenhäuser Bürger Peter Wilde den Aufruhr in Sondershausen angefacht und dem regierenden Grafen Heinrich XXXI. von Schwarzburg mit körperlicher Gewaltanwendung gedroht hatte. Der bereits vom Schosser Hans Zeiß angesprochene gleichzeitige Ausbruch der Empörung in Sondershausen und Frankenhausen und das Handeln von Peter Wilde deuten auf einen eventuell vorbereiteten Aufruhr hin, dessen Wucht sich gegen Heinrich XXXI. persönlich richtete und dessen Flucht in die Reichsstadt Nordhausen bewirkte. Frankenhausens Rat warf Wilde die Entwendung des Siegels und dessen unerlaubten Gebrauch bei der Siegelung von Briefen der Empörer an Fürsten und Adel vor. Er gehörte zu den nach der Schlacht vom 15. Mai flüchtigen Frankenhäuser und mittels Ausschreiben von Herzog Georg von Sachsen gesuchten Bürgern.31 Vom 29. April 1525 datiert ein Brief von Thomas Müntzer an die Frankenhäuser, den er in Görmar bei Mühlhausen verfasst hatte.32 Dieser dürfte eine Antwort auf ein von den Frankenhäusern an ihn gerichtetes Schreiben sein, denn er spricht in seinem Brief von „eure sach wol besteen“. Zum einen mag er über das Empörungsvorhaben informiert worden sein, zum anderen verspricht er ihnen Hilfe. Die von ihm als „kleinen haufen“ Angesprochenen begannen

29 StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–137 und 137a, Ratsbestätigungen 1537–1712; 1/II A–735, Acta Diurna 1589–1590 unter den Bürgermeistern Adolinari Scharffenbergk und Teuthorn. 30 AGBM, Bd. II, S. 918 f., Nr. 2128, Der Rat zu Frankenhausen an Graf Günther von Schwarzburg, 6. Oktober 1529. 31 AGBM, Bd. II, S. 311, Nr. 1478, Ausschreiben Herzog Georgs, 17. Mai 1525. 32 Vgl. EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 20), S. 325.

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jedoch ihre Empörung am Tag des Aufsetzens von Müntzers Brief und verließen sich vorerst auf ihre eigene Stärke. In Frankenhausen richtete sich die Empörung zuerst gegen das reich begüterte Zisterzienserinnenkloster im Südwesten der Unterstadt.33 Die Nonnen hatten rechtzeitig die Flucht ergreifen können, doch hausten die Aufständischen wie „die wildesten Barbaren“. Darauf wurde das Schloss, also die Unterburg der Grafen von Schwarzburg, angegriffen und „nach einigem Widerstand“ eingenommen. Offen bleibt, wer innerhalb der Unterburg sich zu widersetzen getraute. Etwa zur gleichen Zeit stürmten die Übrigen „das Rathaus, zerschmissen das Raths- und Stadt-Siegel, zerrissen die vorhandenen Bücher, Schuld-Verschreibungen und Urkunden“. Zugleich wurden die Häuser derjenigen gestürmt und geplündert, die sich nicht an ihrem Aufruhr beteiligen wollten. Johann Friedrich Müldener (1715–1766) betonte in seinen recht zahlreichen Publikationen immer wieder, dass ihm zusätzliche Schriftstücke und Urkunden zur Verfügung stehen.34 Leider sind uns diese heute nicht bekannt. Doch darf aus der äußerst dünnen Akten- und Urkundenlage aus der Zeit um 1525 geschlossen werden, dass im Bauernkrieg vielfältiges Schriftgut verloren ging. Die verheerenden Brände von Schloss und schwarzburgischer Kanzlei 1689 und dem Rathaus 1833 haben darüber hinaus zu einem weiteren erheblichen Verlust an Schriftgut geführt. Daher lässt sich der Zwiespalt zwischen der Entwendung und aus Sicht des Rates missbräuchlichen Verwendung des Siegels und seiner angeblichen Zerstörung nicht aufklären. Die Bedeutung des Siegels liegt in seiner Gestalt.35 Unter den Grafen von Beichlingen soll ein Siegel in Gebrauch gewesen sein, das einen Salzknecht, zwei Eimer mit Sole tragend, zeigt. Noch im 14. Jahrhundert und nach dem Erwerb von Stadt und Salzwerk durch die Schwarzburger kam ein Siegel in Gebrauch, das sich noch gegenwärtig im Stadtwappen wiederfindet. In einem Torturm mit halbhochgezogenem Gitter erscheint eines der Wappentiere des Hauses Schwarzburg, der goldene Löwe. Zwar siegelten die Aufständischen ihre Schreiben mit dem Stadtsiegel, mithin jedoch mit einem Attribut des schwarzburgischen Herrschaftsanspruches über die Stadt. Hieraus erklärt sich die Rechtfertigung des Rates und des beschuldigten Frankenhäuser Bürgers Wilde gegenüber dem Landes- und Stadtherren Graf Günther XL. Wie Ludwig Rommel in seiner 1983 publizierten Untersuchung nachzuweisen versuchte, beteiligten sich 45,6 Prozent der Pfänner und 61,8 Prozent der 33 Johann Friedrich MÜLDENER, Merckwürdige Historische Nachrichten von dem ehemahls berühmten Cistercienser-Nonnen-Kloster St. Georgii zu Franckenhausen in Thüringen, [Frankenhausen] 1747 (VD18 10229000), S. 186–188. 34 Nachricht von dem Leben und Schriften weyl. Herrn Johann Friedrich Müldeners, Rechts-Consulenten, Regierungs-Advocaten und Raths-Syndici zu Frankenhausen, wie auch Justitiarii der Hochadl. Beulwitzischen Gerichte zu Rottleben, Frankenhausen 1766. 35 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 14.

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Hintersiedler am Aufstand.36 Der vor allem aus diesen Kreisen zunächst gewählte Rat der Aufständischen von zwölf Personen ist den Pfännern aus ihrem in gleicher Stärke erwählten Pfännerschaftsausschuss vertraut. Allerdings wurde der Rat von den Hintersiedlern dominiert, die weder den alten Rat der Stadt entscheidend mitbestimmt hatten und schon gar nicht im Pfännerausschuss vertreten sein konnten. Auffallend ist, dass die Pfänner weder entsprechend ihrer in den „Frankenhäuser Artikeln“ aufgestellten Forderungen repräsentiert waren, noch die maßgeblichen Mitglieder aus den bedeutendsten Pfännerschaftsfamilien im Rat wirkten. Hierzu gehörten unter Berücksichtigung der Mitgliedschaft im Pfännerausschuss vor und nach dem Bauernkrieg und der Angehörigkeit des Rates die Familien Schiegke, Tutthorn (Teuthorn), Fuscher/Fischer, Lieboldt, Sieboldt, Scharffenbergk oder von Breitenbach.37 Lediglich mit „Berltt vonn Muchel“ ist ein Pfänner mittleren Besitzes im Rat vertreten, der nach der Schlacht als flüchtig galt. Bereits in den ersten Maitagen ist die Zahl der Aufständischen auf rund 5.000 angewachsen.38 Im Frankenhäuser Haufen überwiegen nun Bauern und andere Dorfbewohner. Doch nannte Schosser Zeiß die „purgers sone“ (Bürgersöhne) ausdrücklich als Mitglieder des Haufens. Schenken wir Jacob Scharffenbergk Glauben, so wurden die „Artikel von Frankenhausen“ am 6. Mai im Ring verlesen.39 Zu diesem Zeitpunkt war der Haufen schon auf die oben genannte Stärke angewachsen. Inhaltlich spiegeln die insgesamt 14 Artikel sowohl gemeinsame als auch eigenständige Forderungen der im Haufen vertretenen Stadtund Dorfbewohner wider. Als eigenständige Ziele der Frankenhäuser Einwohner können die Forderungen über die Halsgerichtsbarkeit (Artikel 10), die Handhabung der Salzgewinnung und des Salzhandels (Artikel 11), die Unterwerfung der vor der Stadt wohnenden Bevölkerung unter den Rat (Artikel 12), die freie Wahl- und Entsetzungsmöglichkeit des Rates (Artikel 13) und die Handhabung des Geldverleihens wie auch die Wiederinstandsetzung der verwüsteten Teiche (Artikel 14) angesehen werden. Mithin beziehen sich die letzten fünf 36 Vgl. ROMMEL, Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen (wie Anm. 11), S. 99 f. 37 Vgl. Johann Karl SEIDEMANN, Frankenhausens Einwohnerschaft am Schlachttage 15. Mai 1525, in: Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit. Organ des Germanischen Museums, N. F. 23 (1876), Sp. 170–178. Für vergleichende Studien seien nachstehende, ausgewählte Akten aus dem Stadtarchiv Bad Frankenhausen benannt: 1/II F–109, Das Salzwerk zu Frankenhausen 1511–1706; 1/II A–749, Ratsakten 1573 und 1580, 2 Bände (Ratsherren, Salzherren, Stadtschreiber); 1/II A–300, Die Bestellung Johann Heinrich Siebolds zum Stadt-Syndikus 1690 mit familiengeschichtlichen Angaben; 6/I–33 bis 6/I– 47a, Pfännerschaft Salzgewinnung und -vertrieb, Rechnungswesen 1518–1622. 38 AGBM, Bd. II, S. 202–204, Nr. 1323, Der Schosser zu Allstedt an Christoph Meinhart, 5. Mai 1525. 39 Ebd., S. 168 f., Nr. 1269, Artikel von Frankenhausen, Mai (Anfang). Vgl. MÜLLER, Frankenhäuser Artikel (wie Anm. 26), S. 74–90.

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Artikel fast ausschließlich auf städtische Belange. In ihrer Summe kamen allein diese Artikel einer weitgehenden Ausschaltung der Grafen von Schwarzburg als Stadtherren gleich. Die in Artikel 12 aufgestellte Forderung zielte auf die Einverleibung der südlich vor den Mauern der Unterstadt gelegenen Altstadt, die einen dörflichen Charakter ohne Mauerring aufwies. Dass dies teils gegen die Interessen der dort lebenden Einwohner geschah, zeigt sich an deren Widerstreben in den Jahrzehnten nach dem Bauernkrieg. Letztlich gelang den Altstädtern die Abwehr der Frankenhäuser Wünsche mittels Anlehnung an die Grafen von Schwarzburg und der Verleihung eines Stadtstatuts 1583.40 Artikel 11 nahm inhaltlich allein auf den bedeutendsten Wirtschaftszweig der Stadt, das Salzwerk, Bezug: „Es sollen auch die pfenner macht haben, den kauf des salzs zu erhohen ader zu ernidern am gelde noch gelegenheit der zeit und des feuerwerks, kunftig mit einem salzmaß zu geben, und darneben keiner aufgeschlossen bau und borngelt gefreiet sein und gleiche burde tragen“.41 Dieser Artikel wurde in der älteren Forschung gern als alleiniger Wunsch der Pfänner angesehen. Es wurde übersehen, dass eine kontinuierliche Salzherstellung im Interesse aller am Salzwerk partizipierenden Menschen und ihrer Familien lag. Die Anzahl der am Aufstand beteiligten Pfänner innerhalb der Gesamtzahl im Haufen und im Rat dürfte kaum ausgereicht haben, eine völlig auf die Eigeninteressen zugeschnittene Artikelforderung einzubringen. Nur rund die Hälfte aller Pfänner beteiligte sich schließlich an den entscheidenden Kampfhandlungen und damit am Versuch der Durchsetzung der gemeinsamen Zielstellungen in Form der Artikel. Offen muss momentan noch bleiben, ob sich hinter den Zielstellungen der Frankenhäuser Aufständischen der Wunsch verbarg, Rechte und Freiheiten einer Reichstadt ähnlich Mühlhausen und Nordhausen zu erreichen. Führende Positionen im Haufen besetzten neben Auswärtigen ebenso Einwohner Frankenhausens.42 Sie entstammten vorrangig der Schicht der Hintersiedler oder waren Priester wie der Siechenprediger Gangolff. Interessant erscheint der Umstand, dass die Gemeinde bei der Berufung eines der Hauptleute, Jost Winter, ihn zugleich als Bürger annahm.43 Aus der nach der Schlacht gemachten Aussage von Jost Winter könnte entnommen werden, dass er selbst die Annahme als einer der Hauptleute mit der Aufnahme zum Bürger der Stadt verbunden hatte. Der Aufruhr blieb nach der Übernahme des Stadtregiments durch die innerstädtischen Aufständischen nicht auf Frankenhausen beschränkt. Zumindest 40 StadtA Bad Frankenhausen, O/1–1, Altstadt Frankenhausen, Ordnung und Statuten 1583. 41 Vgl. AGBM, Bd. II, S. 169 und MÜLLER, Frankenhäuser Artikel (wie Anm. 26), S. 84. 42 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 19 u. 24 f. 43 AGBM, Bd. II, S. 843–845, Nr. 2047, Bekenntnis Jost Winters zu Frankenhausen, 16. Juli 1526.

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Teile des anwachsenden Haufens unternahmen bewaffnete Züge in die nähere als auch weitere Umgebung der Stadt. Frankenhäuser Einwohnern wurde eine direkte Beteiligung an den Zügen gegen die Orte Edersleben, Riethnordhausen, Martinsrieth, Wallhausen und weitere Dorfschaften im Umfeld der albertinischen Stadt Sangerhausen, die den Herren von Werthern gehörenden Schlösser Beichlingen und Brücken, die dem katholischen Grafen Ernst II. von Mansfeld (1479–1531) gehörende Stadt Artern und ihr Umfeld, die Heinrich und Ulrich Knauth gehörenden Güter in Voigtstedt und Kachstedt bei Artern, das den Herren von Bendeleben gehörende Dorf und Gut Bendeleben und die Hans von Vippach gehörende Burg Arnsburg im Wipperdurchbruchstal oberhalb des Dorfs Seega vorgeworfen.44 Hinsichtlich der Plünderung und Zerstörung der Propstei Göllingen und des Klosters Capelle nahe dem schwarzburgischen Dorf Seega bleibt eine direkte Beteiligung der Frankenhäuser offen und wurde in den älteren Forschungen lediglich gemutmaßt.45 Von maßgeblicher Bedeutung wurde der Zug gegen die mansfeldische Stadt Artern am 5. Mai.46 Dieser stellte eine Reaktion auf den bewaffneten Überfall vom 4. Mai von in Diensten Graf Ernsts II. von Mansfeld stehenden Leuten auf das schwarzburgische Dorf Ringleben dar. Dabei wurden mehrere Gefolgsleute des Mansfelders, Mattern von Gehofen, George Buchnerer, der Arterner Priester Steffan Harttenstein und zwei weitere gefangen genommen und in das Frankenhäuser Lager des Haufens verbracht.47 Wahrscheinlich am 13. Mai, jedoch bereits in Anwesenheit von Thomas Müntzer (um 1489–1525) in Frankenhausen, wurde über die ersten drei im Ring der Aufständischen das Urteil gefällt und mit dem Schwert vollstreckt. 44 Ebd., S. 843; StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, Akten betreffend den Bauernkrieg 1525, 1. Band 1525–1543, fol. 69 f., Schied zwischen einigen Dörfern in den Ämtern Sangerhausen, Röblingen und Grillenberg und dem Rat zu Frankenhausen, 4. September 1526; Acta Singularia den mit Hrn. Hanß von Werther zu Wiehe und der Stadt Franckenhausen Ao. 1529 wegen des dem ersteren an den Schlössern Beichlingen und Wiehe von den Aufrühreren zugefügten Schadens, getroffenen Vergleich und Recess bet.; AGBM, Bd. II, S. 738–740, Nr. 1954, Schied zwischen Graf Ernst von Mansfeld und der Stadt Frankenhausen, 12. Dezember 1525; StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 1. Band 1525–1543, fol. 107–108, Vertrag zwischen Heinrich Knauth und der Stadt Frankenhausen, 1. November 1553; 2. Band 1525–1541, fol. 35, Vergleich mit Beringer von Bendeleben auf 1000 fl., der zugefügten Schäden halber; AGBM, Bd. II, S. 283 f., Nr. 1440, Hans von Vippach an Kurfürst Johann, 14. Mai 1525. 45 Vgl. EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 20), S. 345 f. 46 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 24 u. 27. 47 AGBM, Bd. II, S. 887–889, Nr. 2094, Der Rat zu Frankenhausen an Dr. Dietrich von Werthern, Melchior von Kutzleben und Fritz Steiger, Amtleute zu Sangerhausen und Sachsenburg (Anteil von Artern an der Ermordung von Matern von Gehofen), 5. September 1527; ebd., S. 893–896, Nr. 2101, Die armen Leute zu Artern und in den Pflegen Heldrungen und Voigtstedt an Graf Ernst von Mansfeld (Verteidigung gegen die Anschuldigungen der Frankenhäuser), 21. November 1527.

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Die drei Genannten scheinen die einzigen zu sein, die durch die Aufständischen des Frankenhäuser Haufens gerichtet oder auch getötet wurden.48 Einen Hilferuf nach Mühlhausen, der schließlich zum Erscheinen von Thomas Müntzer in Frankenhausen führte, sendeten die Frankenhäuser am 7. Mai in die Reichsstadt.49 Vier Tage später traf Thomas Müntzer gemeinsam mit rund 300 Anhängern und 8 Karrenbüchsen zur Unterstützung des Frankenhäuser Haufens ein. Ihren Hilferuf hatten die Frankenhäuser mit der zunehmenden Bedrängnis durch Ernst von Mansfeld begründet. Bereits vor dem Eintreffen von Thomas Müntzer hatten sie im Schriftverkehr mit dem katholischen Mansfelder gestanden, ihm ungebührliches Verhalten gegen Gott und das Evangelium vorgeworfen und auch sein Begehr um Herausgabe der in Artern gefangen genommenen Gefolgsleute abgewiesen.50 Graf Ernst hatte sich mit einigen Getreuen auf seinem festen Schloss Heldrungen verschanzt und leistete als einer der wenigen adligen Lehnsmänner Herzog Georgs von Sachsen hinhaltenden Widerstand. Teile des Frankenhäuser Haufens waren Heldrungen bedrohlich nahegekommen, u. a. auf ihrem Zug nach Beichlingen. Von Frankenhausen aus forderte Müntzer Graf Ernst am 12. Mai auf, vor der Gemeinde zu erscheinen und Rechenschaft über seinen Glauben abzulegen, ansonsten würde er „verfolgt und ausgerottet werden“.51 Mit Graf Ernst war Müntzer schon in seiner Zeit in Allstedt 1523 aneinandergeraten, da dieser seine Untertanen durch ein Mandat am Besuch seiner „ketzerischen Messe oder Predigt“ zu hindern suchte.52 In ihrer ablehnenden Haltung und ihrer Beurteilung gegenüber Graf Ernst dürften die Mehrheit der Frankenhäuser und der Angehörigen des Haufens und Thomas Müntzer übereingestimmt haben. Darauf deutet die gemeinsame drohende Haltung gegenüber dem katholischen Mansfelder hin. Der Frankenhäuser Haufen hatte gleichfalls mit dem lutherischen Grafen Albrecht VII. von Mansfeld (1480–1560) in brieflichem Kontakt gestanden.53 Dieser hatte die bei Frankenhausen Versammelten am 10. Mai aufgefordert, sich gütlich zu unterwerfen. Die „christliche versammlung zu Frankenhausen“ bot ihm am darauffolgenden Tag eine Unterhandlung an der Helmebrücke bei Martinsrieth an. Doch Müntzers Brief vom 12. Mai dürfte dem evangelischen Mansfelder kaum als weitere Einladung gegolten haben, denn sie ist nicht weniger mit dreisten Anspielungen auf seine Religion und die damit verbundene 48 Vgl. EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 20), S. 347, Anm. 1. 49 Ebd., S. 342. 50 Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (im Folgenden: ABKG), Zweiter Band: 1525–1527, hg. von Felician GESS, Leipzig/Berlin 1917, S. 189, Anm. 1; AGBM, Bd. II, S. 201 f., Nr. 1322, Graf Ernst von Mansfeld an die von Frankenhausen, 5. Mai 1525. 51 Thomas MÜNTZER, Schriften und Briefe, hg. von Gerhard WEHR, Zürich 1989, S. 162 f. 52 Ebd., S. 129 f. 53 Vgl. EINICKE, Schwarzburgische Reformationsgeschichte (wie Anm. 20), S. 347 f.

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Anhängerschaft an Martin Luther gespickt, als der an den katholischen Ernst von Mansfeld verfasste Brief.54 Die Bereitschaft, für die in den „Frankenhäuser Artikeln“ aufgeführten Forderungen auch mittels Kampf einzustehen, hatten sowohl der Frankenhäuser Haufen als auch die darin befindlichen Einwohner der Stadt schon vor der Ankunft von Müntzer hinlänglich bewiesen. Thomas Müntzer dürfen wir zugestehen, sie in dieser Haltung bestärkt zu haben, wenn auch nicht alle, einschließlich des einen oder anderen der Hauptleute, so z. B. Jost Winter, damit einverstanden waren. Dass sie ihre Lage dennoch als weiterhin hilfsbedürftig ansahen, zeigen ihre Briefe an die „gemeine zu Erffort“ (Erfurt), die vor dem 13. Mai datieren.55 Umgekehrt erwarteten auch umliegende Ortschaften wie das schwarzburgische Dorf Ringleben Hilfe von den Frankenhäusern.56 Die Bedrohung des Umlandes, insbesondere schwarzburgischer Dörfer, nahmen die Frankenhäuser wahr und reagierten darauf, z. B. mit ihrem Zug nach Artern. Ansonsten wäre mancher Artikel, der die Frankenhäuser gemeinsam mit den Dörfern berücksichtigt, Makulatur gewesen. Ihren Kampfeswillen konnten die Aufständischen schon am 14. Mai gegenüber den angerückten verbündeten Fürsten, Landgraf Philipp von Hessen (reg. 1509/1518–1567) und Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig (reg. 1514–1568), unter Beweis stellen. Es gelang ihnen, den Angriff der beiden Fürsten, gestützt auf die befestigte Stadt, abzuwehren und diese zum Abrücken zu bewegen.57 Der Landgraf ersuchte nun seinen Schwiegervater, Herzog Georg von Sachsen, um baldiges Erscheinen und formierte seine Kräfte neu.58 Entsprechend den Ausführungen Landgraf Philipps hatten die Aufständischen bereits an diesem Tag mit der Errichtung einer Wagenburg begonnen. Am darauffolgenden Tag, Montag, den 15. Mai 1525, fiel dann die Entscheidung. Durch das Eintreffen Herzog Georgs verstärkte sich die Zahl der Bewaffneten auf fürstlicher Seite auf ungefähr 6.000–6.500.59 Bei den Aufständischen wird gemeinhin von einer Zahl von etwa 6.000 bis 8.000 ausgegangen. Zwischen den Aufständischen und den Fürsten gepflogene Verhandlungen, die sich um die Auslieferung von Thomas Müntzer und die Kapitulation der Aufständischen auf 54 Vgl. MÜNTZER, Schriften und Briefe (wie Anm. 51), S. 164. 55 AGBM, Bd. II, S. 282, Nr. 1437, Johann Lorentz und Hans Hesse, Bürger zu Frankenhausen, an die Versammlung zu Frankenhausen, 13. Mai 1525. 56 Ebd., S. 284, Nr. 1441, Die ganze Gemeinde zu Ringleben an die Hauptleute der ganzen Versammlung zu Frankenhausen, 14. Mai 1525. 57 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 27–31. 58 AGBM, Bd. II, S. 324–326, Nr. 1495, Landgraf Philipp an den Schwäbischen Bund, 18. Mai 1525. 59 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 32–38. Die Angaben von Müller orientieren sich an der Schätzung der im Auftrag von Kurfürst Joachim I. von Brandenburg bei Frankenhausen kämpfenden Brandenburger.

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„gnad und ungnad“ drehten, blieben ohne Ergebnis.60 Noch vor Ablauf einer vereinbarten Waffenruhe wurden die Aufständischen von den vereinigten Truppen der Fürsten angegriffen. Größeren Widerstand hat die Mehrzahl der auf dem „Weißen Berg“ oder auch „Kahlen Berg“ genannten Höhengipfel nördlich der Stadt am Südrand des Kyffhäusergebirges in der errichteten Wagenburg versammelten Aufständischen kaum geleistet. Die Schlacht ist vielmehr als ein Gemetzel der fürstlichen Truppen an den Aufständischen anzusehen. Glauben wir den Schilderungen der am Kampf beteiligten Kontingente des Kurfürsten von Brandenburg, befanden sich innerhalb der Wagenburg rund 4.000 Aufständische, die vor allem durch den Einsatz der fürstlichen Geschütze und anschließend der Reiterei bedrängt und zur Flucht hinter die vermeintlich schützenden Mauern der Stadt genötigt wurden.61 Übereinstimmend berichteten sowohl die Brandenburger als auch Landgraf Philipp von der Einnahme und Plünderung der Stadt sowie dem Töten zahlreicher darin befindlicher Geflüchteter. Ebenso übereinstimmend berichteten Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Georg von etwa 600 Gefangenen, die nach Einnahme der Stadt gemacht wurden.62 Unter den Gefangenen wie den Gefallenen befanden sich Einwohner Frankenhausens.63 Über die Zahl der Toten gehen die Angaben auseinander. Die Angabe von Herzog Georg über rund 6.500 Getötete und 600 Gefangene bei etwa 7.000 aufständischen Bauern und Bürgern ist bereits zu hinterfragen. In seinem Schreiben vom 17. Mai 1525 an Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg (1490–1545) sprach Wolf von Schönburg (1482– 1529) von rund 5.000 Toten, zu denen jedoch immer wieder weitere gefunden wurden.64 Angesichts der maximalen Gesamtzahl der Aufständischen von 8.000 Mann zuzüglich der nicht am Kampf beteiligten Einwohner dürfte die Zahl der Toten und Gefangenen die Zahl 7.000 keinesfalls überschritten haben.65 Schönburg berichtet davon, dass bereits kurz nach der Schlacht mit der Bestattung der Toten begonnen wurde. Bezüglich der Bestattungsorte gibt es auf Grund fehlender Untersuchungen nur zwei haltbare Angaben. Zum einen die Fläche des 60 AGBM, Bd. II, S. 305, Nr. 1469, Landgraf Philipp an den Erzbischof von Trier, 16. Mai 1525. 61 Ebd., S. 292 f., Nr. 1454, Ritter Gevert von Jagow und Marschalk Philipp Meissenbach an Markgraf Joachim den Jüngeren von Brandenburg, 15. Mai 1525. 62 ABKG, Bd. II, S. 233, Nr. 986, An Herzog Johann den Jüngeren, Frankenhausen 18. Mai 1525 (Eroberung Frankenhausen). 63 Vgl. SEIDEMANN, Frankenhausens Einwohnerschaft (wie Anm. 37). 64 AGBM, Bd. II, S. 318 f., Nr. 1487, Wolf von Schönburg, Herr von Glauchau und Waldenburg, an Kardinal Albrecht, 17. Mai 1525. 65 Ebd., S. 396 f., Nr. 1601, Bleichenrod, Stolbergischer Diener, an seinen Bruder Jacob von Bleichenrod, Herzog Ulrichs von Württemberg „verwalter einnehmens und ausgebens zu Mömpelgart, Hessen und andern orten“, nach 29. Mai 1525. – In diesem Brief wurde von „bi 8000 todt bliben“ gesprochen.

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ehemaligen Schlossgartens östlich von Schloss Frankenhausen (ehemals Standort der Unterburg) und die Ostseite des heutigen Stadtparks nordwestlich des Stadtgebietes an der Straße Richtung Kyffhäuser-Denkmal.66 Der Lokalhistoriker Horst Müller vermutete, dass angesichts der großen Opferzahl die Bewohner aus den umliegenden Ortschaften aufgefordert worden sein konnten, ihre Angehörigen zu bergen und in die Heimatorte zu verbringen.67 Ums Leben gekommen sind Einwohner der Stadt am Tag der Schlacht sowohl außerhalb der Stadtmauern als auch hinter diesen.68 In seinem Schreiben an Martin Luther (1483–1546) vom 21. Mai 1525 schilderte der mansfeldische Rat Johann Rühl die Situation folgendermaßen: „Und nachdem der meiste teil der bürger zu Franckenhausen umkommen und ein teil, der noch überblieben, gefangen, hat man die, so vielen deren übrig gewesen, den frauen der stadt auf ihre bitte wiedergegeben, doch also, daß sie die zweene priester, so sie auch noch alda gehabt, sollten straffen.“69 Von Johann Rühl erfuhr Luther auch Ausführlicheres über die Gefangenschaft von Thomas Müntzer, dessen Schicksal mit der Niederlage der Aufständischen bei Frankenhausen besiegelt war.70 Trotz der Verluste unter den (meist) männlichen Einwohnern ging das Leben in der Stadt weiter. Am 19. Mai stellte Herzog Georg von Sachsen den Frankenhäuser Einwohnern einen Schutzbrief aus, der sie vor weiterer Willkür bewahren und ihr Eigentum schützen sollte.71 Herzog Georg, der „stadt und schlos Franckenhausen als eyn offentlich raubhaus und zuflucht aller untugent und beschedigung seynes furstentums“ ansah, entzog den Grafen von Schwarzburg die Stadt.72 Als Grund nannte er ihr Verhalten im Bauernkrieg, in dem sie 66 Vgl. MÜLLER, Über die Bauernschlachten (wie Anm. 1), S. 38; GRUBE-EINWALD, Die Spaziergänge in der näheren und weiteren Umgebung Frankenhausens, Frankenhausen 1897, S. 56. Der östliche Teil des heutigen Stadtparks hieß im 19. Jahrhundert „RennausErdfall“. Die Skelettteile wurden bei Anlegung des damals darin befindlichen Springbrunnens gefunden. 67 Horst Müllers Manuskript zu seinen Forschungen zum Bauernkrieg ist lediglich der von 1953 bis 1980 wirkenden Museumsleiterin Liselotte Pflaumbaum mündlich zur Kenntnis gebracht worden und heute wahrscheinlich noch im Familienbesitz der Nachfahren. 68 AGBM, Bd. II, S. 432, Nr. 1622, Rudolf von der Planitz und Hans von Weissenbach, Ritter, an die verordneten Räte von Altenburg, 2. Juni 1525. – In diesem Schreiben wurde davon gesprochen, dass „fur und ihn Franckenhausen bis in die 7000 burger und pauren erschlagen“ wurden. 69 Ebd., S. 343 f., Nr. 1527, Johann Rühl, mansfeldischer Rat, an Dr. Martin Luther, 21. Mai 1525. 70 Ebd., S. 378 f., Nr. 1574, Johann Rühl, mansfeldischer Rat, an Dr. Martin Luther, 26. Mai 1525. 71 Ebd., S. 333, Nr. 1507, Sicherheitsbrief Herzog Georgs für Frankenhäuser Bürger, 19. Mai 1525. 72 ABKG, Bd. II, S. 334–340, Nr. 1075, Vergleichsverhandlungen zwischen Herzog Georg auf der einen und den Grafen Boto von Stolberg, Heinrich von Schwarzburg und Ernst von Hohnstein auf der anderen Seite wegen des Verhaltens der Grafen im Aufruhr,

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sich dem Aufruhr nicht energisch entgegengestellt hatten. Es lässt sich gegenwärtig nicht sicher feststellen, wie lange Herzog Georg Frankenhausen den Schwarzburgern vorenthalten hat. Im Dezember 1525 verwies er Graf Ernst II. von Mansfeld betreffs seiner Schadensersatzforderungen an die Schwarzburger, da er ihnen Frankenhausen wieder eingeräumt habe.73 Andererseits wirken in den Jahren danach noch immer überwiegend altgläubige Adlige aus der Region, wie Apel von Ebeleben (um 1460–nach 1526), als herzogliche Statthalter in der Stadt.74 Nach Johann Friedrich Müldener erhielten die Schwarzburger Frankenhausen 1530 unter der Bedingung zurück, „daß der göttliche Dienst nach der Römischen Kirchen-Ordnung und Satzung in der Stadt Frankenhausen wieder angestellet und gehalten, auch die Kirchen und Clöster refiiciret und in vorigen Stand gebracht würden“.75 Festgehalten werden kann, dass Herzog Georg die Stadt keinesfalls sofort an die Grafen von Schwarzburg zurückgegeben hat und sich auch nach 1530 Eingriffsrechte vorbehielt. So wurde die Landesteilung von 1532/1533 zwischen den Brüdern Günther XL. von Schwarzburg und Heinrich XXXIV. von Schwarzburg (reg. 1533–1537) in Anwesenheit von Herzog Georg und seinen Räten in Dresden vollzogen, nachdem die Erwartungshaltung der Sachsen deutlich gemacht worden war.76 Graf Heinrich als dem jüngeren der Brüder stand nach sächsischem Recht die Wahl zu, während Graf Günther die zu wählenden Teile proportioniert hatte. Heinrichs Wahl fiel auf Frankenhausen. Noch 1533 begann er mit dem Bau eines Schlosses im Stil der Renaissance an etwa gleicher Stelle, an der die im Bauernkrieg in Mitleidenschaft gezogene Burg gestanden hatte, die zuvor abgetragen wurde. Zwei Jahre zuvor hatte sich Herzog Georg gegen das Widerstreben von Graf Günther dafür eingesetzt, dass Graf Heinrich die aus einem einflussreichen sächsischen Adelsgeschlecht stammende, jedoch nicht ebenbürtige katholische Hofdame Margareta von Schönberg (1507–um 1587) ehelichen konnte.77 Damit war der Versuch verbunden, den in Frankenhausen regierenden Schwarzburger fester an das albertinische Herzogtum zu binden. Im Gegensatz zu den Grafen von Schwarzburg hatte Herzog Georg den im April 1525 von den Aufständischen ausgeschalteten Bürgermeistern Jacob

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Leipzig, 7. Juli 1525; ebd., S. 346, Nr. 1084, An Graf Heinrich zu Schwarzburg, Leipzig, 13. Juli 1525. Ebd., S. 461, Nr. 1192, An Graf Ernst zu Mansfeld, Dresden, 21. Dezember 1525. Vgl. StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 1. und 2. Band (wie Anm. 43). Vgl. MÜLDENER, St. Georgii zu Franckenhausen (wie Anm. 33), S. 187. LATh-StA Rudolstadt, Kanzlei Frankenhausen, B VII 7a, Nr. 26, Franckenheusischteyl (Die Teilung der Grafschaft Schwarzburg unter den Brüdern Günther dem Reichen und Heinrich von Frankenhausen 1533). Albert FRAUSTADT, Geschichte des Geschlechtes von Schönberg Meissnischen Stammes, I. Band: Die urkundliche Geschichte bis zur Mitte des 17. Jh., Abtheilung A, Leipzig 21878, S. 639 f.

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Scharffenbergk und Hans von Breitenbach ihr Amt nicht vorenthalten. Hans von Breitenbach bekleidete das Amt des Bürgermeisters von 1521 bis 1531; in den Jahren 1529 und 1530 gemeinsam mit seinem Verwandten Caspar von Breitenbach.78 In den übrigen Jahren seiner Amtszeit war er oftmals zusammen mit Jacob Scharffenbergk gemeinsam Bürgermeister. Zu den ersten Amtshandlungen ab Mitte Mai 1525 gehörte es, sich – angefangen bei Herzog Georg über Graf Ernst von Mansfeld bis zum eigenen Mitbürger Bernhart Schütze – mit den Schadensersatzforderungen auseinanderzusetzen und diese zu befriedigen.79 Herzog Georg forderte von der Stadt die Summe von 5.000 fl. Unter Hinweis, dass der Wein (wahrscheinlich die Weinstöcke, d. Verf.) „gänzlich verdorben“ sei, bat der Rat am 13. Februar 1530 um Aufschub. Nachweislich der im Stadtarchiv vorhandenen Quittungen entrichteten die Frankenhäuser bis 1534 die Summe von 6.000 fl. an Georg den Bärtigen – ohne je Aufschub zu erhalten.80 Bezüglich des an Graf Ernst von Mansfeld zu zahlenden Betrages gehen die Angaben über die Forderungen auseinander und liegen zwischen 2.000 und 4.200 fl. Ohne dies im Detail klären zu können, ist jedoch überliefert, dass Graf Philipp I. von Mansfeld (1502–1546) noch 1541 dem Rat die Überbringung einer Schuldsumme von 1.000 fl. auf Schloss Heldrungen quittierte.81 Selbst von Jacob Scharffenbergk und Hans von Breitenbach wurden Entschädigungen gefordert, obwohl ihnen keine Beteiligung am Aufruhr unterstellt werden kann. Ersterer hatte an Apel von Ebeleben 100 fl. zu entrichten, Hans von Breitenbach gemeinsam mit dem Salzknecht Heinrich Trisch an den Rat von Fauerbach in Hessen 150 fl. Mehrheitlich waren die Frankenhäuser, bei denen Schadensersatzforderungen geltend gemacht wurden, Pfänner oder Adlige, letztere zugleich Inhaber von Sölden und damit selbst Angehörige der Pfännerschaft. Hier handelt es sich um Angehörige der Familien von Breitenbach, Fischer, Schiegke, Lieboldt und Scharffenbergk.82 Umgekehrt machte ein ehemaliger Einwohner, Bernhart Schütze, der Frankenhausen weit vor dem Aufruhr verlassen hatte, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Rat geltend.83 Auf Vermitt78 Johann Friedrich MÜLDENER, Kurtzgefaßte Merckwürdige historische Nachrichten von denen Patriciis und Adlichen Geschlechtern so ehemahls mit in dem Stadt-Rathe zu Franckenhausen gesessen und regieret haben […], Franckenhausen 1743 (VD18 90212827), unpaginiert. 79 Vgl. Johann Karl SEIDEMANN, Frankenhausens Einwohnerschaft am Schlachttage 15. Mai 1525 (Schluss), in: Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit, Organ des Germanischen Museums, N. F. 23 (1876), Sp. 195–200; StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 1. und 2. Band (wie Anm. 43). 80 StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 2. Band, fol. 13. 81 Ebd., fol. 31. 82 Vgl. SEIDEMANN, Frankenhausens Einwohnerschaft (wie Anm. 79), Sp. 195 f. 83 StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 1. Band, fol. 31–34. In der Akte wurde der Name (fol. 31) „Bernhart Schuthen“ geschrieben. Ich habe jedoch zum besseren Ver-

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lung von Apel von Ebeleben und Dietrich von Werthern konnte die Forderung 1526 auf 175 fl. reduziert werden. Zur Begründung der Ansprüche hatte Schütze u. a. vorgebracht, dass sich der „feltheubtman Jost Winter“ in seinem Haus aufgehalten und mit anderen Aufrührern Rat abgehalten habe. Im Dezember 1525 kam es mit Graf Ernst II. von Mansfeld darüber zu Verhandlungen, in welcher Form eine Aussöhnung mit den Verwandten des vor der Schlacht gerichteten Mattern von Gehofen sowie eine Sühneleistung für die beiden weiteren Hingerichteten geleistet werden kann.84 Zur Sühne sollten alljährlich Vigilien und Seelenmessen gehalten werden, die seitens des Frankenhäuser Rates mit 200 fl. ablösbar waren und auch abgelöst wurden. Die Verluste an der männlichen Bevölkerung wurden von Ludwig Rommel auf etwa 260 berechnet, unter ihnen 118 tote Pfänner und Hintersiedler.85 Unberücksichtigt blieben die Flüchtigen, für die eine Rückkehr anhand des Geschossbuches von 1530 nur vereinzelt belegt werden kann.86 Es ist nicht nachweisbar, wann die Bevölkerungsverluste durch Zuwanderung ausgeglichen wurden. Hans Eberhardt nahm für das Jahr 1552 eine Einwohnerzahl von mehr als 2.000 an, die damit leicht über der Zahl von 1525 lag.87 Diese Überlegung, die sich auf ein Türkensteuerregister von 1552 stützt, kann durch das mit namentlicher Nennung der Einwohner und Angabe ihrer Vermögenswerte vorliegende „Einwohnerbuch“ von 1552 einigermaßen bestätigt werden.88 Ab 1530 lässt sich die Zuwanderung teils durch die Erteilung des Bürgerrechtes in den Bürgerrechtsbriefen nachweisen.89 Jedenfalls ist der Rückgang in der Einwohnerzahl Mitte des 16. Jahrhundert ausgeglichen. Wenn wir auch davon ausgehen müssen, dass durch das unmittelbare Kampfgeschehen in und außerhalb der Stadt Weinberge, Häuser mit gewerblicher Nutzung, das Kloster und der Schloss- bzw. Burgbereich in Mitleidenschaft gezogen wurden, kann von einem wirtschaftlichen Ruin dennoch nicht gesprochen werden. Zwar war während des Bauernkrieges eine der besten Salzquellen vertrocknet und nicht wieder aufzufinden, allein das Salzwerk galt als nicht zerstört.90 Einen Ausgleich mit den Grafen von Schwarzburg erbrachten

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ständnis die im AGBM, Bd. II, S. 838 f., Nr. 2043 angeführte Schreibweise einschließlich der dortigen Fußnoten verwendet. AGBM, Bd. II, S. 738–740, Nr. 1954, Schied zwischen Graf Ernst von Mansfeld und der Stadt Frankenhausen, 12. Dezember 1525; StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–523, 1. Band, fol. 55 f. Vgl. ROMMEL, Einwohnerschaft der Stadt Frankenhausen (wie Anm. 11), S. 100 f. StadtA Bad Frankenhausen, 1/II E–276, Geschossbuch 1530. Vgl. EBERHARDT, Anfänge der Stadt Frankenhausen (wie Anm. 5), S. 458. StadtA Bad Frankenhausen, 1/II E–733, Einwohnerbuch 1552. StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–368, Anträge und Erteilung des Bürgerrechts 1530. Vgl. KETELHODT, Salzwerk (wie Anm. 6), S. 39.

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die 1544 und 1553 verfassten Salzordnungen.91 Sie waren den Pfännern nicht verordnet worden, sondern von ihnen selbst entworfen und verfasst und erhielten jeweils ihre unbeanstandete Bestätigung durch die regierenden Grafen von Schwarzburg. Vom Ausgleich des Konfliktes um den Salzzoll und die Salzherstellung profitierten beide Seiten. Die Salzherstellung verzeichnete einen spürbaren Anstieg und Frankenhausens Salzwerk zählte zu den bedeutendsten Salinen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.92 Allein von 1550 bis 1560 stiegen die jährlichen Zolleinnahmen von etwa 5.000 fl. auf 11.000 fl.93 Diese Gewinne noch weiter zu steigern, hoffte Graf Wilhelm von SchwarzburgFrankenhausen (reg. 1560/1571–1598), der ab 1560 seine Residenz in der wieder aufgeblühten, reichen Salzstadt nahm. Im Jahre 1560 erließ er eine neue Salzordnung, die auf Grund ihrer Bestimmungen in den kommenden Jahren für Unmut unter den Pfännern und den Salzarbeitern führte.94 Zu diesem Zeitpunkt waren Graf Wilhelm Stadt und Schloss Frankenhausen lediglich als Wohnsitz zugedacht worden, jedoch nicht als eigenständiger Anteil an der gesamten Herrschaft Schwarzburg. Die Grafschaft wurde von den gräflichen Brüdern gemeinsam regiert. Wilhelms Handlungen stellten einen Eingriff in die gemeinsame Regierung und vor allem den gemeinschaftlichen Besitz am Salzwerk dar. Der in Sondershausen residierende ältere Bruder, Graf Johann Günther (reg. 1552–1586, Linie Schwarzburg-Sondershausen), unterstützte offen die 1576 gegen die Regierungsweise von Graf Wilhelm ausgebrochenen Unruhen der Bürger und Pfänner in Frankenhausen. Wilhelm ließ den offenen Aufruhr durch den Stadtvogt und zahlreiche Bewaffnete auf dem Markt niederschlagen.95 Die Bürgermeister, Kämmerer und einige Mitglieder des Rates kamen auf Schloss Straußberg bei Sondershausen in Gewahrsam. Getragen wurde der Aufruhr von den Familien Teuthorn, Fischer und Sieboldt, die allesamt Nachfahren der Rats- und Pfännerfamilien aus der Zeit um 1525 waren. Dieses Mal stützten sie sich auf den Oberlehnsherren der Schwarzburger, Kurfürst August von 91 StadtA Bad Frankenhausen, 1/II A–109, Acta das Saltzwerck zu Franckenhausen 1500 biß 1700 (enthält Salzordnung von 1544); LATh-StA Rudolstadt, Kanzlei Frankenhausen Nr. 139, Eine Saltz-Ordnung welche anno 1545 ist aufgerichtet und publiziret worden, dergleichen 1553. 92 Johann THÖLDE, Haliographia, Leipzig 1612 (VD17 39:117851B), neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Hans-Henning WALTER, Leipzig 1992, S. 122– 129. 93 Vgl. WALTER, 2000 Jahre Salzproduktion (wie Anm. 6), S. 10. 94 Vgl. HAHNEMANN, Berg- und Salzordnungen (wie Anm. 15), S. 9–11. 95 LATh-StA Rudolstadt, Kanzlei Frankenhausen Nr. 20, Akten in Sachen Graf Wilhelm von Schwarzburg wider den Bürgermeister zu Frankenhausen wegen verbotenen Salzsiedens u. a. 1577–1578, fol. 1–163; Kanzlei Frankenhausen Nr. 299, Rezeß zwischen dem Grafen Wilhelm von Franckenhausen und einigen Bürgern der Stadt Franckenhausen 1576–1583, Mandaten.

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Sachsen (reg. 1553–1586), und nutzten gleichsam die Uneinigkeit zwischen den schwarzburgischen Linien Frankenhausen und Sondershausen zu ihrem Vorteil aus. Der Erfolg blieb dieses Mal nicht aus. Unter Druck des Kurfürsten geraten, gab Graf Wilhelm in mehreren Schritten bis 1582 nach. Es kamen die Bestimmungen der Salzordnung von 1553 wieder zur Anwendung und der Salzzoll durfte nicht mehr ohne Zustimmung der Pfänner verpfändet werden. Größter Erfolg war allerdings die Übergabe der Oberburg, dem angestammten Sitz des Stadtvogtes, an den Frankenhäuser Rat. Nun war die Oberstadt fast ausnahmslos unter Kontrolle der Pfännerschaft und damit ihr eigener wirtschaftlicher Mittelpunkt. Der Beitrag versteht sich nicht als eine vollständige Darstellung der Ereignisse um das Jahr 1525 in der Stadt Frankenhausen, sondern soll zu neuen Perspektiven und Forschungen anregen. Dass sich die Mehrheit der führenden Schicht einer Stadt dem Aufruhr in Thüringen anschließt, ihn in den schwarzburgischen Städten Frankenhausen und Sondershausen gar erst auslöst, ist kein Sachverhalt, der sich aus dem unmittelbaren Aufstandsgeschehen ergab. Die Ursachen dafür lagen weit zurück und waren zu diesem Zeitpunkt festgefahren. Eine friedliche Lösung dieses zwischen der wirtschaftlich tonangebenden Stadtbevölkerung und den Stadtherren schwelenden Konfliktes schien nahezu unmöglich. Die Spannungen kulminierten schließlich in den Bauernkriegsunruhen. Jahrzehnte nach dem Aufruhr von 1525 führten einige der nach wie vor vorhandenen Konfliktpotentiale um das Salzwerk, den Salzzoll und das Stadtregiment der Grafen von Schwarzburg erneut zu Aufruhr, der gewaltsam beendet wurde. Unter Einbindung des albertinischen Oberlehnsherren vermochten die Aufrührer von 1576/77 einen Teil ihrer Forderungen nun allerdings umzusetzen. Sie hatten durchaus erkannt, dass allein der Oberlehnsherr, sollte er sich auf ihre Seite stellen, in der Lage war, ihren Wünschen und Vorstellungen gegenüber dem Haus Schwarzburg den erforderlichen Nachdruck zu verleihen.

T H O M A S T. M Ü L L E R GEKÖPFTE HEILIGE – IKONOKLASMUS IM KONTEXT DES BAUERNKRIEGES

Geköpfte Heilige – Ikonoklasmus im Kontext des Bauernkrieges Eine quellenkritische Betrachtung der Mühlhäuser Ereignisse

Vnnd hat der tempel ettwa prunnen so sind die pfaffen wol endtrunnen Mir aber habend müssen blyben Kainr hett sich kunden vmbhin schyben Mir sind da gstanden wie ain stock dahin verbrunnen wie ain block. […] Das man so wild mit vns vmbgat vnd zücht vns hin und här im kat [Kot] Vnd sind doch tusent götzen meer zu den man sagt: gnädiger heer. Darzu dann ouch die Puren ghörend die glych so vppig sin thörend Als ander lüt / das ist gewiß ir vyl die steckend voller bschiß.1

Es sind deutliche Worte, mit denen sich die Skulpturen selbst über ihre Bilderstürmer beschweren. In der „Klag vnd bekantnus der Armen Goetzen“ aus den 1530er Jahren schildern sie ihre Geschichte und den großen Wandel jener Zeit, in welcher sie in weiten Kreisen der reformatorisch gesinnten Bevölkerung von teils hochverehrten (Wallfahrts-)Objekten zu verachteten und geschändeten Götzenbildern geworden sind.2 Wenngleich bis heute nicht endgültig geklärt ist, ob nun der Konstanzer Reformator Thomas Blarer oder der Nürnberger Dichter Hans Sachs den Bildnissen eine Stimme gab oder ob vielleicht auch ein ganz anderer Autor für jenes 1 2

Klag vnd bekantnus der Armen Goetzen / wie es jnen gat mit trüwem rat / sich vor allem goetzen leben zuehueten, Konstanz 1538 (VD16 M 745). Zur Thematik vgl. Jan HRDINA/Hartmut KÜHNE/Thomas T. MÜLLER (Hg.), Wallfahrt und Reformation. Pout’ a reformace. Zur Veränderung religiöser Praxis in Deutschland und Böhmen in den Umbrüchen der Frühen Neuzeit (Europäische Wallfahrtsstudien, 3), Frankfurt am Main 2007.

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umfangreiche Gedicht verantwortlich zeichnete,3 so ist die Intention jener Zeilen doch recht eindeutig. Es ging dem Verfasser um den deutlichen Hinweis, dass die Zerstörung von Bildnissen allein keine Veränderung herbeiführen werde. Wie mancher ist / der unns yetz flücht vnd ist doch er so gar verzücht In allem leben / vnd sin hertz ist voller sünd / das ist kain schertz. Man zuckt gen vns vyl messer blos das soll dann sin der yfer gros. […] Dann wo man yetz uns götzen brent und das laster würt nit gewent Da kan man mercken das kain grund ins hertz ist kummen nye kain stund.4

Deutlich wird in jenem Gedicht eines gebildeten, aufgeklärten und unzweifelhaft reformatorisch gesinnten Autors aus dem Süden des Reiches die Kritik auch an den törichten Bauern. So führt er seinen Lesern und natürlich auch allen nicht lesekundigen Zuhörern durch die Aussagen der „Götzenbilder“ anschaulich vor Augen, dass ausschließlich der Wandel ihrer eigenen Grundhaltung zu Veränderungen führen werde und nicht die Zerstörung von Skulpturen, denen sie jene Sünden anlasteten, die sie selbst doch tagtäglich weiterhin begingen. Dieser Text, der in einer frühen Ausgabe zudem noch durch eine recht anschauliche Grafik illustriert worden ist, widmet sich mit dem Bildersturm und seinen Protagonisten einem Phänomen, welches heute gemeinhin zum Oberbegriff „Antiklerikalismus“ gezählt wird. Angewandt auf vormoderne Verhältnisse beschreibt der zwar treffende, aber eigentlich erst im Zuge der Aufklärung entstandene Terminus „Antiklerikalismus“ laut Hans-Jürgen Goertz sowohl die „Kritik am Klerus“ als auch den Versuch, „die Kirche vom klerikalen Stand zu befreien, um die Kluft, die im Mittelalter zwischen dem Priester und dem Laien aufgerissen war, zu überwinden und die Kirche von Grund auf zu erneuern“.5 Als radikalste Kennzeichen dieses 3

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Vgl. zuletzt Susanne WEGMANN, Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation, 93), Tübingen 2016, S. 37–47. Klag vnd bekantnus der Armen Goetzen (wie Anm. 1). Hans-Jürgen GOERTZ, Antiklerikalismus, in: Mennonitisches Lexikon (MennLex), Bd. 5: Revision und Ergänzung. Im Auftrag des Mennonitischen Geschichtsvereins hg. von Hans-Jürgen GOERTZ. Digitalversion 2010–2016 auf www.mennlex.de (letzter Zugriff:

GEKÖPFTE HEILIGE – IKONOKLASMUS IM KONTEXT DES BAUERNKRIEGES

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reformatorischen Antiklerikalismus nennt Goertz das Stören von Predigten, das Unterbrechen von Messgottesdiensten und den Bildersturm. In Mitteldeutschland sind in den Jahren 1523 bis 1525 alle drei Formen eines auf diese Weise definierten Antiklerikalismus zu beobachten. Die ersten in reformatorischem Kontext in Thüringen belegten konzertierten Übergriffe auf Kleriker und ihr Eigentum erfolgten Anfang Mai und vor allem in der ersten Junihälfte des Jahres 1521 während der so genannten „Erfurter Pfaffenstürme“ in den Kurien der Stiftsherren im Bereich der Domimmunität.6 Zerstört wurden vor allem „Statussymbole sozial Privilegierter“,7 wie es Ulman Weiß treffend zusammengefasst hat, nämlich Glasfenster, Kachelöfen, Schenkkisten, Bücher und Ähnliches. Aber auch physische Übergriffe auf Kleriker und Plünderungen von Wein- und Biervorräten blieben nicht aus. Erstmals kam es dabei zu gemeinsamen antiklerikalen Aktionen von Studenten, Handwerksknechten, Erfurter Bürgern und Bauern aus den umliegenden Dörfern.8 Bemerkenswert ist, dass sich diese Vorgänge zu Weihnachten 1523 in der Altstadtkommende des Deutschen Ordens in Mühlhausen exakt nach dem Erfurter Muster wiederholten – nur dass in der Reichsstadt mangels Universität keine Studenten beteiligt waren.9 Im Juni 1521 hatte der Erfurter Rat die aufgeheizte Situation genutzt, um gegenüber den bei ihm um Schutz ersuchenden Klerikern der beiden Stifte Forderungen nach der Abschaffung bestehender Privilegien wie z. B. Steuerbefreiungen (Mahlgeld, Schlachtgeld, Hauptgeld) oder eine Senkung des Zinsfußes

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5. Januar 2018). Vgl. hierzu auch DERS., Anticlericalism, in: Hans J. HILLERBRAND (Hg.), The Oxford Encyclopedia of the Reformation, Bd. 1: Abst–Doop, New York 1996, S. 46–51; DERS., Antiklerikalismus und Reformation. Sozialgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen 1995; DERS., Aufstand gegen den Priester. Antiklerikalismus und reformatorische Bewegungen, in: Peter BLICKLE (Hg.), Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag am 23. Mai 1982, Stuttgart 1982, S. 182– 209; Robert W. SCRIBNER, Anticlericalism and the German Reformation, in: DERS. (Hg.), Popular culture and popular movements in Reformation Germany, London/Ronceverte 1987, S. 243–256. Ulman WEIß, Das Pfaffenstürmen 1521: „Haec prima Lutheranorum adversus Clericos seditio…“, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 3 (1979), S. 233–279. DERS., Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, S. 126. Thomas KAUFMANN, Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation – Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation, 67), Tübingen 2012, S. 209–217 u. 260–265. Thomas T. MÜLLER, Frühreformation, Bauernkrieg und Deutscher Orden. Das Beispiel Mühlhausen in Thüringen, in: DERS. (Hg.), Der Deutsche Orden und Thüringen. Aspekte einer 800-jährigen Geschichte, Petersberg 2014, S. 91–102.

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durchzusetzen.10 Auch damit wurde in Erfurt ein Präzedenzfall geschaffen,11 der bald Nachahmung finden sollte, nicht nur im Jahr 1523 in Mühlhausen.12 Ebenso „wie der Antiklerikalismus war auch der Bildersturm kein Neben-, sondern ein Hauptgeräusch der Reformation.13 […] Er ging der Einführung der Reformation voraus, er begleitete die reformatorische Predigt und den Durchsetzungsprozess reformatorischer Neuerungen, und er folgte auf den offiziellen ‚Religionswechsel‘ in zahlreichen Städten und Territorien“, hat Hans-Jürgen Goertz postuliert.14 Auch für viele Thüringer Städte lässt sich dies belegen. Eine theologische Begründung für den reformatorischen Bildersturm lieferte als Erster Andreas Karlstadt mit seiner Schrift „Von Abtuung der Bilder“, die im Januar 1522 in Wittenberg gedruckt worden ist.15 Wenngleich eigentlich an den Wittenberger Rat gerichtet, um diesen aufzufordern, die von Karlstadt 10 KAUFMANN, Anfang der Reformation (wie Anm. 8), S. 263. Vgl. auch WEIß, Die frommen Bürger (wie Anm. 7), S. 128–132. 11 WEIß, Das Pfaffenstürmen (wie Anm. 6), S. 236 u. 264. 12 Gerhard GÜNTHER, Das Briefregister des Mühlhäuser Rates von 1521–1523. Quellenkundliche und historiographische Studien (IV), in: Mühlhäuser Beiträge 4 (1981), S. 3–17, hier S. 3 f. u. 17. In diesem Kontext lohnt unbedingt auch ein Blick auf den Zinswucherstreit in Eisenach. Vgl. Joachim BAUER/Michael HASPEL (Hg.), Jakob Strauß und der reformatorische Wucherstreit. Die soziale Dimension der Reformation und ihre Wirkungen, Leipzig 2017. 13 Bilderstürme waren kein neues Phänomen der Reformationszeit, sondern sind bereits Jahrhunderte zuvor schriftlich bezeugt. Eines von vielen Beispielen ist die Beseitigung heidnischer Symbolik nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion unter Kaiser Konstantin. Vgl. auch Helmut FELD, Der Ikonoklasmus des Westens (Studies in the history of christian thought, 41), Leiden 1990. Allgemein zum Thema: Norbert SCHNITZLER, Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996; Bob SCRIBNER (Hg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen, 46), Wiesbaden 1990; Martin WARNKE (Hg.), Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks, Frankfurt am Main 1988; Hans-Jürgen GOERTZ, Bildersturm im Täufertum. Von der Verehrung der Heiligen zur Heiligung der Laien, in: DERS., Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007, S. 310–322. Zum Thema siehe auch Ernst ULLMANN, Bauernkrieg – Bildersturm – bildende Kunst, in: Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer. In Verbindung mit Siegfried HOYER, Ernst ULLMANN und Hans WERMES hg. von Max STEINMETZ, Leipzig 1976, S. 199–207. 14 Hans-Jürgen GOERTZ, Bildersturm, in: Mennonitisches Lexikon (MennLex), Bd. 5: Revision und Ergänzung. Im Auftrag des Mennonitischen Geschichtsvereins hg. von HansJürgen GOERTZ. Digitalversion 2010–2016 auf www.mennlex.de (letzter Zugriff: 5. Januar 2018). 15 Andreas KARLSTADT, Von Abtuung der Bilder, Wittenberg 1522 (VD16 B 6214). Ediert in: Adolf LAUBE u. a. (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518– 1524), Bd. 1, Berlin 1983, S. 105–127 u. Bd. 2, Berlin 1983, S. 1024–1032.

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inspirierte neue Stadtordnung vom 24. Januar 1522 nun auch praktisch umzusetzen, fand die Schrift bald eine große Verbreitung, auch weit über die Grenzen Mitteldeutschlands hinaus.16 Nicht unwesentlich für die Verschriftlichung der aus Karlstadts spiritualistischen Denkansätzen hervorgegangenen Ideen – gerade zu diesem Zeitpunkt – dürfte wohl auch die Verbrennung der Bilder aus der Klosterkirche des Wittenberger Augustinerklosters durch reformorientierte Brüder am 10. Januar 1522 gewesen sein.17 Allerdings war Karlstadts Aufruf zur „Reinigung“ der Kirchen von den Bildern von ihm nicht als Freibrief zur unkontrollierten Randale gedacht, sondern als Handlungsauftrag an die Obrigkeiten gerichtet gewesen. Als es jedoch binnen kurzer Zeit immer häufiger anstatt zu obrigkeitlich koordinierten Aktionen zu unlegitimierten Übergriffen kam, beeilte sich Karlstadt, dies als Versagen der Obrigkeiten zu deklarieren. In jedem Fall wurde die bilderlose Ausgestaltung der Kirchenräume zu einem regelrechten Merkmal des Protestantismus.18 Peter Blickle meinte in diesem Zusammenhang, der reformatorische Bildersturm verleite in seiner Radikalität sogar dazu, ihn in der begrifflichen Nähe einer „Kulturrevolution“ anzusiedeln.19 Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die von Hans-Jürgen Goertz postulierten Parallelitäten von Reformation und Bildersturm im Hinblick auf die Abläufe während der Jahre 1523–25 in der thüringischen Reichsstadt Mühlhausen beispielhaft zu überprüfen. Besonders spannend ist dies im Hinblick auf die allgemein bekannte Entwicklung Mühlhausens zu einem Zentrum des mitteldeutschen Bauernkrieges. So ist gerade unter diesem Aspekt zu fragen, welche Rolle den theologischen Protagonisten des Aufstandes, Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer, im Kontext der ikonoklastischen 16 Im September 1523 veröffentlichte der spätere Täufer Ludwig Hätzer in Zürich wohl unter dem Einfluss von Karlstadts Flugschrift eine weitere Agitationsschrift gegen die Bilder, die ebenfalls viele Leser fand. Vgl. Ludwig HETZER, Ein Urteil Gottes […], wie man es mit allen Götzen und Bildnissen halten soll, Zürich 1523 (VD16 H 140). Ediert in: LAUBE u. a. (Hg.), Flugschriften, Bd. 1 (wie Anm. 15), S. 271–283. 17 Zu den ikonoklastischen Vorgängen in Wittenberg Anfang des Jahres 1522 vgl. Norbert SCHNITZLER, Wittenberg 1522 – Reformation am Scheideweg?, in: Cécile DEPEUX u. a. (Hg.), Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille?, Zürich 2000, S. 68–74. 18 Sergiusz MICHALSKI, Die Ausbreitung des reformatorischen Bildersturms 1521–1537, in: DEPEUX u. a. (Hg.), Bildersturm (wie Anm. 17), S. 46–51. Vgl. auch Ulrich BUBENHEIMER, Martin Luthers Invocavitpredigten und die Entstehung religiöser Devianz im Luthertum. Die Prediger der Wittenberger Bewegung 1521/1522 und Karlstadts Entwicklung zum Kryptoradikalen, in: Günter MÜHLPFORDT (Hg.), Kryptoradikalität in der Frühneuzeit (Friedenstein-Forschungen, 5), Stuttgart 2009, S. 17–37. 19 Peter BLICKLE, Bilder und ihr gesellschaftlicher Rahmen, in: DERS. u. a. (Hg.), Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte (Historische Zeitschrift. Beihefte, N. F. 33), München 2002, S. 1–10, hier S. 4.

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Ausschreitungen zugewiesen werden kann, und ob diese Aktionen als ein eindeutiges Präludium für den nahenden Bauernkrieg anzusehen sind. Der erste größere Übergriff auf monastisches und klerikales Eigentum in Mühlhausen ereignete sich im Zusammenhang mit der Belagerung des Rathauses durch aufgebrachte Bürger im Zuge der Verhandlungen über den Mühlhäuser Rezess am 3. Juli 1523.20 Zur Beruhigung der angespannten Lage rund ums Rathaus, vor dem sich eine bewaffnete Gruppe versammelt hatte, wurde die aufgebrachte Menge ins Franziskanerkloster am Kornmarkt geschickt, um dort zu essen und zu trinken, bis die Achtmänner als Vertreter der Gemeinde mit dem Rat eine Einigung erzielt hätten. Mit den unfreiwilligen Gastgebern abgestimmt war dies augenscheinlich nicht. Zudem gaben sich einige der Beteiligten mit dem Besuch bei den Franziskanern nicht zufrieden und zogen auch in die anderen Klöster der Stadt.21 Die Aussage eines Augenzeugen, dass jene „vill mutwillens darinne getrieben“ hätten,22 ist jedoch nicht zwingend als eindeutiger Hinweis auf ikonoklastische Ausschreitungen zu interpretieren. Auch Herzog Georg von Sachsen, der vermutlich bei einem Treffen mit Landgraf Philipp von Hessen Ende Juli 1523 im nahe gelegenen Eschwege von den Geschehnissen erfahren hatte, berichtete in einem Schreiben an den Statthalter und das Reichsregiment in Nürnberg lediglich, dass sich die Klosterstürmer über alles Essbare hergemacht hätten. Von Bilderstürmerei schreibt er nichts.23 Bei der ebenfalls in diesem Zusammenhang erfolgten Plünderung der beiden Pfarrkommenden des Deutschen Ordens scheint es ebenso eher um antiklerikale Unmutsbekundungen und persönliche Bereicherung als um religiöse Ziele gegangen zu sein. Auf jeden Fall bemühte sich der Mühlhäuser Rat im Nachgang darum, die entwendeten Gegenstände schnell wiederzubeschaffen und an den Orden zurückzugeben.24 Von einer größeren Strafaktion gegen die Täter ist allerdings nichts bekannt. Im nicht weit entfernten Gotha hingegen fielen die Strafen für ähnliche Vergehen rund ein Jahr später deutlich restriktiver aus. Nachdem am Pfingstdienstag (17. Mai) 1524 die Häuser der Kanoniker gestürmt und verwüstet worden 20 Hierzu demnächst ausführlich Thomas T. MÜLLER, Mörder ohne Opfer. Die Reichsstadt Mühlhausen und der Bauernkrieg in Thüringen. Studien zu Hintergründen, Verlauf und Rezeption der gescheiterten Revolution von 1525, Petersberg 2019. 21 Aussage des Hans Mörder (Stadtarchiv Mühlhausen [im Folgenden: StadtA Mühlhausen], 10/K 3, Nr. 20, Bl. 164r). 22 Aussage des Hans Gentzell (ebd., Bl. 292v). 23 Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (im Folgenden: ABKG), Erster Band: 1517–1524, hg. von Felician GESS, Leipzig 1905, S. 545 f., Nr. 540. 24 StadtA Mühlhausen, 10/W 1, Nr. 10, Bl. 47r. Gedruckt in: Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. 16, Nr. 1095.

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waren, hatten die Aufrührer die „Pfarrhuren“ aus den Stiftshäusern geworfen und eingesperrt.25 Als Herzog Johann von Sachsen von dem Vorgehen erfuhr, wurden mehr als 100 Gothaer Pfaffenstürmer festgesetzt, bevor die Angelegenheit schließlich durch einen finanziellen Vergleich mit den Kanonikern, die für alle erlittenen Schäden zusammen 300 Gulden erhielten, bereinigt wurde. Fortan allerdings, so vermerkte es später Gothas erster Superintendent, Friedrich Myconius, voller Freude, „ward das Predigtamt recht und stattlich hie bestellet, die Pfaffen durften nimmer Huren bei sich haben, es mussten auch andere, die an der Unehe saßen [im Konkubinat lebten, d. Verf.], solch öffentliche Laster abstellen“.26 Für Myconius waren die Folgen des Pfaffensturms von 1524 und das restriktive Vorgehen des Herzogs gegen die Beteiligten rückblickend auch ein wichtiger Grund dafür, dass es in Gotha während des Bauernkrieges verhältnismäßig ruhig blieb.27 In Mühlhausen hingegen entfaltete die Tätigkeit der dort seit 1523 agierenden evangelischen Prediger (u. a. Heinrich Pfeiffer und Matthäus Hisolidus) weitere Wirkung und zwischen dem 13. März und dem 13. Juni 1524,28 also in jedem Fall deutlich bevor Müntzer nach seiner Flucht aus Allstedt in Mühlhausen eintraf, ereignete sich in der Peter-und-Pauls-Kirche der erste sicher bezeugte ikonoklastische Akt: Die Klosterkirche der Dominikaner wurde nachts durch vier Mühlhäuser mit „gewalt aufgebrochen“. In dem Gotteshaus wandten sich jene „mit mortlicher wehr“,29 also mit Waffengewalt, dem als wundertätig verehrten romanischen Salvatorbild zu,30 das sie von der Wand „bei der orgel“ 25 Ernst KOCH, „Mit Gottes und der landesfürstlichen Hülf“. Die Reformation in der Residenzstadt Gotha und ihrer Umgebung (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 1), Jena 2015, S. 17–19. 26 Friedrich MYCONIUS, Geschichte der Reformation, hg. von Otto CLEMEN (Voigtländers Quellenbücher, 68), Leipzig 1914 (ND Gotha 1990), S. 94 f. 27 Ebd. 28 Laut Chronicon Mulhusinum (im Folgenden: CM), der ältesten Chronik der Stadt Mühlhausen (StadtA Mühlhausen, 61, Nr. 4, S. 196), geschah dies nach dem 13. März 1524, und da der Salzaer Bürger Heinrich Streckede in einem Brief an Herzog Georg von Sachsen am 13. Juni 1524 über das Geschehen berichtete (StadtA Mühlhausen, 10/G 11, Nr. 6, Bl. 11), muss sich der Übergriff in der dazwischenliegenden Zeitspanne ereignet haben. In jenem Zeitfenster (und zwar am 24. März 1524) fanden auch die mit Müntzers Wirken in Allstedt in Verbindung gebrachten Ausschreitungen in der Kapelle von Mallerbach statt. Hierzu: Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2: Briefwechsel, hg. von Helmar JUNGHANS u. Armin KOHNLE, bearb. u. kommentiert von Siegfried BRÄUER u. Manfred KOBUCH (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25/2), Leipzig 2010, S. 509–532 (Anhang zum Mallerbachkonflikt). 29 StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 48r. 30 Es sind zwei Mirakel aus den Jahren 1369 und 1370 überliefert, die mit dem 1524 zerstörten Bild im Zusammenhang standen. Siehe hierzu: Eduard HEYDENREICH, Beiträge zur

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rissen und zerstörten.31 Darüber hinaus hätten sie bei dieser anscheinend zuvor geplanten Aktion noch weitere nicht näher bezeichnete Skulpturen, Tafeln und Gemälde, die zu Ehren Gottes, Marias und der Heiligen in der Kirche aufgestellt oder aufgehangen worden waren, „zerhauen und verdorben“, wie der Salzaer Bürger Heinrich Streckede völlig entrüstet am 13. Juni 1524 in einem Brief an Herzog Georg von Sachsen berichtete.32 Den Heiligenskulpturen seien die Köpfe abgeschlagen und die zerstörten Bilder darüber hinaus auch mit Worten geschändet worden. Außerdem hätten die Täter hinterher angekündigt, sie wollten Ähnliches demnächst auch in den anderen Kirchen der Stadt vornehmen. Allem Anschein nach war der Aktion die Predigt eines von Heinrich Streckede allgemein als „apostata“ bezeichneten, bislang nicht namentlich bekannten Predigers in der Peter-und-Pauls-Kirche vorangegangen.33 Als die Tat am nächsten Morgen bekannt wurde, wandten sich die vier Bilderstürmer schriftlich an den Mühlhäuser Rat und die Achtmänner und erklärten, dass sie solches aus „christlichem eyfer gethan“ hätten und nicht, um Aufruhr zu erregen, denn „es wehre ein abgott gewesen“, der hätte zerstört werden müssen.34 Einem Eintrag ins Mühlhäuser Bruchbuch und damit wohl auch einer Strafe entgingen sie dennoch nicht.35 Dabei war zumindest einer der vier Bilderstürmer nicht zum ersten Mal durch einen Verstoß gegen die Vorschriften aufgefallen. Vielmehr gehörte der Schneider Hans Kula, der sein Haus hinter der Allerheiligenkirche und damit in der Nachbarschaft der Klosterkirche hatte, zu jenen Mühlhäusern, deren Namen in jenen Jahren recht häufig im Bruchbuch auftauchen. Im Zusammenhang mit diversen Körperverletzungen wird Hans Kula zwischen 1518 und 1524 allein neunmal genannt!36 Erwähnenswert ist dabei vor allem eine Schlägerei mit

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Geschichte der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen. Das wunderthätige Salvatorbild in der Kirche der Dominikaner in Mühlhausen, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 1 (1901), S. 53–55; Christian Wilhelm VOLLAND/Johann Martin Aken, De sacris Mvlhvsinis, Wittenberg 1704 (VD18 11251751), S. 4 f. Auch die Orgel muss einige Zeit später ein Opfer des Vandalismus geworden sein, denn Blasius Voyl (Vogel?) wurde später beschuldigt, er hätte gemeinsam mit anderen die Orgel in der Predigerkirche abgebrochen, was er jedoch bestritt. Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 34r. StadtA Mühlhausen, 10/G 11, Nr. 6, Bl. 11. Ebd. Zerstört wurde bei dieser Aktion auch eine Christopherusstatue, die der Heiligenstädter Rulinus Conradi einst gestiftet hatte. Vgl. [Reinhard] JORDAN, Die Züge des sog. Mühlhäuser Haufens nach Osten (1525), in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 12 (1911/1912), S. 47–91, hier S. 52. CM, S. 196 f. StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 48r. 1518 tobte er mit einer Waffe in der Hand vor Hans Werners Tor, wofür er eine Strafe von 1 Gulden zu zahlen hatte (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 15r). Kurz

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dem Achtmann Hermann Spon im Jahr 1524, bei der die beiden Kontrahenten sogar mit Spießen aufeinander losgegangen waren.37 Auch muss an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass Hans Kula später als Mitglied im „Ewigen Bund Gottes“ belegt ist38 und ihn Thomas Müntzer in seinem Bekenntnis vom 16. Mai 1525 als einen seiner Mühlhäuser Gönner und Unterstützer („prinzipal“) bezeichnete. Außerdem hatte Kula während des Eichsfeldzuges das einflussreiche Amt des Beutemeisters inne.39 Der zweite sicher belegte reformatorische Bildersturm ereignete sich in Mühlhausen bald nach der Ankunft Thomas Müntzers40 im Kontext der Septemberunruhen des Jahres 1524.41 So berichtete der Salzaer Amtmann Sittich

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darauf wurde er selbst von Caspar Vogt mit einem Messer angegriffen sowie von dem von ihm zuvor bedrohten Hans Werner mit Steinen beworfen (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 15v). Wenig später erhielt Kula wieder eine Strafe wegen seiner Beteiligung an einer Schlägerei in Ammern (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 16r); im darauffolgenden Jahr 1519 wurde er in Ammern mit einer Kanne beworfen (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 32v); 1520 lieferte er sich eine Schlägerei mit Hans Finke (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 36v) und überfiel Hans Koch mit einem Hammer (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 38r). 1521 griff Hans Kula einen anderen des Nachts auf der Straße an und verwundete ihn (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 26v). In den kommenden zwei Jahren ist sein Name nicht erwähnt, bevor er sich 1524 mit Hermann Spon geschlagen hat (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 46v). StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 46v. Eckhart LEISERING, Die Mitglieder des Ewigen Bundes Gottes in Mühlhausen, in: Mühlhäuser Beiträge 11 (1988), S. 5–18, hier S. 10, Nr. 87. Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3: Quellen zu Thomas Müntzer, hg. von Helmar JUNGHANS, bearb. von Wieland HELD u. Siegfried HOYER (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25,3), Leipzig 2004, Leipzig 2004, S. 270, Nr. 175. Ernst Wechmar hat bereits 1958 erklärt, dass Müntzer keinesfalls vor dem 14. August 1524 nach Mühlhausen gekommen sein könne. Da von Müntzer ein auf den 15. August 1524 in Mühlhausen datierter Brief vorliegt, nimmt er dessen Ankunft für den 14. oder 15. August an. Vgl. Ernst WECHMAR, Wann kam Thomas Müntzer nach Mühlhausen?, in: Die Mühlhäuser Warte 1 (1958), S. 3–5; Martin SÜNDER, Zum Aufenthalt Thomas Müntzers 1524 in Mühlhausen, in: Mühlhäuser Beiträge 12 (1989), S. 35–39. Müntzer wurde wegen des Transportes seines gesamten Hausrates von zwei Personen nach Mühlhausen begleitet. Die ersten zwei Wochen, bevor er ein eigenes Haus beziehen konnte, verbrachte er im Haus des Achtmanns Heinrich Ludwig. Vgl. Aussage des Heinrich Ludwig (Landesarchiv Sachsen-Anhalt (im Folgenden: LASA), Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 286v). Hierzu Günter VOGLER, Ein Aufstand in Mühlhausen im September 1524. Versuch einer Revision und Rekonstruktion in: DERS., Thomas Müntzer und die Gesellschaft seiner Zeit (Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, 4), Mühlhausen 2003, S. 89– 104.

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von Berlepsch am 26. September 1524 an Herzog Georg von Sachsen, dass die „gemeyne“ zu Mühlhausen „vor achtagen in allen kyrchen und cloestern die altaria ganz spoliert, alle tafeln und altartucher weggenommen und die reliquien, wue sye die darinne befunden, herausgenomen und schmelich gehandelt“ hätten.42 Die Übergriffe haben sich demzufolge am Sonntag, dem 18. September 1524, zugetragen. Auslöser derselben war – glaubt man der Aussage des Predigers Johann Laue – eine in der Peter-und-Pauls-Kirche des Dominikanerklosters gehaltene Predigt „wider die bilder“ eines nicht namentlich genannten Wittenberger Geistlichen.43 Über dessen Identität ist nichts bekannt, möglicherweise handelte es sich jedoch um den zu dieser Zeit von Luther nach Mühlhausen gesandten Magister Johann Behme. Der Vorfall war wenige Tage darauf der Anlass für die Demission Siegfrieds von Bültzingslöwen als Mühlhäuser Stadthauptmann. Um Michaelis (29. September) 1524 verließ er mit seinem Diener, Eberhart Rych, die Stadt.44 Explizit wurden später die Beschädigung der Familiengrablege und die Entfernung des Memorialschildes derer von Bültzingslöwen aus der Peter-und-Pauls-Kirche als Gründe für diesen Schritt genannt.45 Bereits in diesem Kontext hatte der Stadthauptmann seinem Diener gegenüber erklärt, dass die innerstädtische Entwicklung in einen Aufstand münden werde.46 Bemerkenswert ist allerdings, dass sowohl Sittich von Berlepsch als auch Siegfried von Bültzingslöwen lediglich davon berichteten, dass die sakralen Objekte – wenngleich wohl etwas ruppig und teils in ehrverletzender Weise – aus den Kirchen entfernt wurden, jedoch von keinem der beiden eine endgültige 42 Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden (im Folgenden: HStA Dresden), Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9135/2, Bl. 6r–6v. Gedruckt in: ABKG, Bd. 1, S. 748 f., Nr. 738. 43 AGBM, Bd. II, S. 903, Nr. 2110. 44 Sein Nachfolger wurde Eberhardt von Bodungen. 45 Aussagen des Heinrich von Bültzingslöwen (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 58r) und Eberhart Rychs (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 227v). Heinrich d. Ä. und Rudolf d. Ä. von Bültzingslöwen hatten dem Dominikanerkloster einst mehrere (Mess-)Stiftungen gemacht und auch ihr Wappen aufhängen lassen. Vgl. HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9135/5, Bl. 59r. 46 Aussage des Eberhart Rych (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 227v). Allerdings wurde Bültzingslöwen bald nach Einnahme der Stadt von den Fürsten erneut als Mühlhäuser Stadthauptmann und als Amtmann eingesetzt. Denn als solcher unterzeichnete Syffert von Bültzingslöwen in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre zahlreiche Schreiben an Herzog Georg von Sachsen. Vgl. HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10158/3. Dieses Amt hatte er neun Jahre inne. Erst am 27. Mai 1534 bat er, seinen Abschied nehmen zu dürfen, da er in Kurmainzer Dienste überwechseln wolle. Vgl. Hessisches Staatsarchiv Marburg (im Folgenden: StA Marburg), Politisches Archiv Philipp des Großmütigen 3, Nr. 2176, Bl. 84r–85v.

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Zerstörung derselben erwähnt wird. Dies kann meines Erachtens keinesfalls einer ungenauen Berichterstattung geschuldet sein, da beide ansonsten in der Sache sehr detaillierte Angaben lieferten. Vielmehr scheint dies auf eine einigermaßen geordnete Entfernung der entsprechenden Objekte hinzudeuten. Vermutlich auch, um weiteren eigenmächtigen Handlungen, wie jener im Frühjahr, vorzubeugen. Möglicherweise stammte der Vorschlag, die Bilder erst einmal sicherzustellen, von dem Prediger Johann Laue. Er hatte nach eigener Aussage den Bürgermeistern, die ihn um Hilfe ersucht hatten, weil „man die Bildniß in Unser Lieben Frawen kirchin vorm volk bewaren mochte“, geraten, diese schnellstmöglich selbst zu entfernen und an einem sicheren Ort zu verwahren.47 Zwar hat Laue später eigenhändig ein (wohl geschnitztes) Lesepult aus einem der Klöster verbrannt, nachdem einige andere dasselbe auf den Marktplatz getragen hatten, um damit Spott zu treiben,48 doch auch dabei scheint er eher moderate Ansichten vertreten zu haben. Es ging ihm augenscheinlich einzig um die aus der Bibel begründete Entfernung der Heiligenbilder, nicht unbedingt um deren Schändung und Zerstörung. Der Mühlhäuser Paul Pompe gab in einem seiner drei Verhöre nach dem Aufstand an, er habe mehrere „bilder“, deren ursprüngliche Herkunft er jedoch nicht nennt, in die Jakobikirche gebracht.49 Die wertvolleren Vasa Sacra wurden im Turm eingeschlossen.50 Erst nach geraumer Zeit, so berichtete er, „hat der pfarrer gesagt, sie sollen dye hailgen errausser werfen. Da ist Hartung Mertin zu yme khomen und gesagt, er solle mit yme gehe, sie wullen dye ‚gefangen[en]‘ losmachen. So ist ehr mit yme gegangen und dye hailgen erraußgewurfen.“51 Er 47 AGBM, Bd. II, S. 903, Nr. 2110. 48 Ebd. 49 Aussage des Paul Pompe (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 94v–95r). Gedruckt in: AGBM, Bd. II, S. 865, Nr. 2074. Allem Anschein nach war die Jakobikirche als eine Art Hauptdepot für die aus den anderen Gotteshäusern der Stadt entfernten Objekte genutzt worden, denn an anderer Stelle bekannte Paul Pompe, dass er auch am – zeitlich leider nicht einzuordnenden – Abtransport des Gestühls von der Johanniskirche zur Jakobikirche beteiligt gewesen sei. Geholfen hätten hierbei Hartung Ludolf (alias Mertin), Topfenstorer, Melchior Bicheling, Cuntze Stroberg jun., Hans Herting, Claus Fulda, Hans Hesse jun., Valtin Kalb, Bastian Molstorf und Kerstan Fulda. Vgl. Aussage des Paul Pompe (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 91r). Druck in: AGBM, Bd. II, S. 869 f., Nr. 2079 (die Edition der Quelle ist allerdings unvollständig!). In einer anderen Mühlhäuser Kirche wurden die Heiligenfiguren auf das Gewölbe verbracht. Vgl. Aussage des Matthes Gera (StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 13, Bl. 71v): „Item, bekent und sagt, ehr hab sampt dye heilgen ufs gewelwe hulfen trage.“ 50 StadtA Mühlhausen, 10/K 3 Nr. 13, Bl. 29v. 51 Aussage des Paul Pompe (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 94v–95r). Gedruckt in: AGBM, Bd. II, S. 865, Nr. 2074.

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selbst, gab Pompe zu, habe „Unse Liebe Fraue sampt ohren kynde erraußgeworfen“. Schließlich trennte er das Jesuskind mit einer Hellebarde von der Skulptur und übergab sie der Bademagd, um das Feuer damit anzuheizen.52 Als er kurz darauf auf eine Christusstatue einhieb, „do sei yme dye barte […] zerpruchen“.53 Ob er dies schon damals als ein göttliches Zeichen begriff, bleibt unbekannt, wichtig genug, es später im Verhör zu erzählen, schien es ihm allerdings doch. Beteiligt an der Zerstörung der Bilder vor der Jakobikirche war u. a. auch Valtin Scheffeler,54 der nach dem Aufstand aus Mühlhausen geflohen war. Er wurde wegen diverser Überfälle und einer weiteren Verschwörung gegen den Mühlhäuser Rat schließlich auf Betreiben des Eschweger Amtmanns von hessischen Knechten gefangen gesetzt und 1526 in Eschwege hingerichtet.55 Im Rahmen der Unruhen der Jahre 1524 und 1525 soll er mehrfach als besonders brutaler Bilderstürmer aufgefallen sein. So wurde ihm u. a. vorgeworfen, an Heiligenskulpturen regelrechte Enthauptungen vorgenommen zu haben.56 Nachdem der Rat nach dem „Septemberaufstand“, einem mehrtägigen Machtkampf zwischen den Ratstreuen und den Anhängern der Opposition, noch einmal die Macht zurückerlangen konnte, wurden Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer als Hauptverantwortliche für die Unruhen aus der Stadt verwiesen.57 Sowie fortan die Rede auf einen neuerlichen Klostersturm kam, 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Ebd. Fast identisch ist die Namensnennung in der Aussage des Hartung Ludolf (alias Mertin) (StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 13, Bl. 30r). Als weiterer Bilderstürmer gab sich Heynemann Helmolt (StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 13, Bl. 27r) zu erkennen: „Weiter bekent ehr und sagt, es sei sein rath gewest, das man dye bilde solle us der kirchen thu. Auch hat ehr die Thieffenharten ein bilgen zuhauen, Sant Margareten und Unse liebe fraue.“ Allerdings lässt sich seine Beteiligung an ikonoklastischen Aktionen weder zeitlich noch auf eine der Kirchen zuordnen. 55 CM, S. 300. Ediert in: Thomas T. MÜLLER, Thomas Müntzer in der Mühlhäuser Chronistik. Untersuchung und Neuedition der den Bauernkrieg betreffenden Abschnitte des „Chronicon Mulhusinum“ (Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, 6), Mühlhausen 2004, S. 73. Erwähnt wird er auch im „Neuen Lied“. Vgl. AGBM, Bd. II, S. 829, Nr. 2031, weitere Erwähnungen in ebd., S. 852, Nr. 2055 und S. 880, Nr. 2086. Ausführlich zu ihm auch Siegfried BRÄUER, Die zeitgenössischen Lieder über den Thüringer Aufstand von 1525 (Mühlhäuser Beiträge. Sonderheft, 2), Mühlhausen 1979, S. 13. 56 AGBM, Bd. II, S. 829, Anm. 2. Vgl. auch LEISERING, Mitglieder des Ewigen Bundes Gottes (wie Anm. 38), S. 13, Nr. 157. 57 Zuerst gingen beide nach Nürnberg, um verschiedene Schriften in Druck zu geben. Vgl. hierzu Günter VOGLER, Nürnberg 1524/25. Studien zur Geschichte der reformatorischen und sozialen Bewegung in der Reichsstadt, Berlin 1982, S. 201–232. Zu Pfeiffer siehe auch: Thomas T. MÜLLER, Müntzers Werkzeug oder charismatischer Anführer? Heinrich Pfeiffers Rolle im Thüringer Aufstand von 1525, in: Günter VOGLER (Hg.),

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bemühte sich der Rat nun – auch mit Unterstützung zumindest einiger der Achtmänner – konsequent durchzugreifen. Dies musste auch der Glöckner der Peter-und-Pauls-Kirche des Dominikanerklosters erleben, als er über die Achtmänner schimpfte und – wohl im November 1524 – angab, er wolle das Kloster mit Gewalt stürmen.58 Dies trug ihm einen Eintrag ins Bruchbuch ein. Heyneman Benger (Beyger?)59 und Hans Schnell (Snell)60 verspotteten wenig später die Brüder, indem sie ihnen rieten, sie sollten schon mal ein Feuer anheizen. Auch ihnen brachte dies einen Eintrag ins Bruchbuch ein.61 Doch bereits wenig später wurde die mehrfach angedrohte erneute Stürmung der Klöster Realität. Ein direkter Anlass hierfür ist nicht überliefert. Aber aufgrund des besonderen Termins – die Ausschreitungen begannen, wie bereits im Vorjahr, an den Weihnachtstagen! – darf wohl auch diesmal nicht von einem Zufall ausgegangen werden. Es wäre darüber hinaus sehr verwunderlich, wenn der erst wenige Tage zuvor wieder in die Stadt gelangte Heinrich Pfeiffer am Ausbruch der erneuten Unruhen keinen Anteil gehabt haben sollte. Jener vorläufig letzte Akt begann für die Klöster der Stadt am Johannestag (27. Dezember) 1524 im Franziskanerkloster. Obgleich hierüber nichts bekannt ist, darf wohl davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende Predigt den Auslöser dafür gab, dass vermutlich am späten Vormittag zuerst das Franziskanerkloster gestürmt und geplündert wurde. Verschlossene Räume wurden aufgebrochen und alles, was den Eindringlingen von Nutzen erschien, mitgenommen. Vom Franziskanerkloster zog die aufgebrachte Menge zum Kloster der Dominikaner.62 Hier wurden die Brüder, ungeachtet aller zuvor mit dem Rat

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Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen der RankeGesellschaft. Beiheft, 69), Stuttgart 2008, S. 252–255. „Der Schalleman zu Sanct Petter hat dem hern und achtman unnutz wort gegeben und das closter wollen aufstossen mit gewalt.“ StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 57v. Ein Mann namens „Heyneman Beyger“ wird als Mitglied des Ewigen Bundes Gottes genannt. Vgl. LEISERING, Mitglieder des Ewigen Bundes (wie Anm. 38), S. 7, Nr. 6. Vermutlich handelt es sich dabei um den ca. 1475 geborenen Wagner Hans Schnelle, der später zu den Wählern des Ewigen Rates zählte und am Eichsfeldzug beteiligt war. Schnelle musste nach dem Aufstand für seine Beteiligung 300 Gulden Strafe zahlen. Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 20, Bl. 127r–131v. „Heyneman Benger und Hans Schnell habn die monche gereyst, das sey soltn eyn fur machen; das hat Krigel gehort.“ StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 2, Nr. 1, Bl. 58r. Allerdings waren solche Äußerungen bei weitem nicht neu. Im Haus von Hans Setteler sen. fand vermutlich bereits 1523 mindestens eine konspirative Versammlung statt, bei der Daniel Strutman im Ärger über einen Dominikaner erklärt hatte, er selbst wolle die Fahne tragen, wenn die Mönche gestürmt würden. Vgl. Aussage des Daniel Strutman (StA Marburg, Politisches Archiv Philipp des Großmütigen 3, Nr. 2173, Bl. 97r). Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (im Folgenden: HHStA Wien), RK, Kleinere Reichsstände, Mühlhausen 361, Bl. 7r–8v.

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ausgehandelten Zusicherungen und Absprachen, völlig unvorbereitet beim Essen überrascht. Mit „morthlichen geweren“ und „thobender weise“ hätten die Eindringlinge alle Türen und Schlösser im Kloster aufgebrochen und selbst die Glasfenster, „so mit grosser koste ertzeuget“, herausgeschlagen und zertrümmert, klagten die Dominikaner.63 Außerdem wären alle Altäre des Klosters, „der dan nicht wenigk“ gewesen seien, zerschlagen und alle vergoldeten Tafeln, geschnitzten sowie gemalten Bilder abgebrochen und niedergerissen worden. Auffallend sind dabei die Berichte über die Verhöhnung der Heiligenskulpturen. So wurden diese u. a. gehängt, geköpft oder gestäupt. Diesmal geschah das Ganze sogar im Beisein und angeblich auch mit Billigung der Achtmänner. Jene hätten die Dominikaner schließlich noch verspottet und gefragt, wie ihnen denn ihre Gäste gefallen würden.64 Doch bei rein ikonoklastischen Ausschreitungen blieb es nicht. Vielmehr luden sich die ungebetenen „Besucher“ auch noch zum Essen ein und schlachteten ein Rind sowie zwei Schweine aus den Stallungen des Klosters. Die Tiere wurden in Kesseln und Töpfen auf einem mit den soeben geschändeten Bildern und Tafeln genährten Feuer zubereitet. Eine von den Dominikanern – wie von ihnen extra betont wurde – wohl erst kürzlich teuer erkaufte Marienstatue wurde zuvor noch enthauptet.65 Am Tag darauf, dem 28. Dezember 1524, trat der Rat zusammen und ging gemeinsam in das Franziskanerkloster, wo der Bürgermeister die Brüder aufforderte, sie sollten alle Geräte aus Silber, Messgewänder, jegliche andere Kleinodien, Gefäße, Küchengeräte und weiteren Hausrat übergeben. Schließlich verkündete der Rat die Aufhebung ihres Klosters und verwies sie aus den Gebäuden.66 63 Ebd., Bl. 3v. 64 Ebd. Gänzlich anders – allerdings auch als Zeuge in einem Verfahren gegen seine Heimatstadt vor dem Reichskammergericht – schilderte später der Weißgerber und Achtmann Heinrich Ludwig das Geschehen. Er sei, als die Plünderung des Predigerklosters erfolgte, vom Mühlhäuser Rat gemeinsam mit drei weiteren der Achtmänner beauftragt worden, dafür Sorge zu tragen, dass im Kloster nichts beschädigt werde. Doch die vier hätten gegen die Plünderer nichts ausrichten können. Vgl. Aussage des Heinrich Ludwig (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 286r–286v). Hierzu auch ABKG, Zweiter Band: 1525–1527, hg. von Felician GESS, Leipzig/Berlin 1917, S. 7, Nr. 779. 65 HHStA Wien, RK, Kleinere Reichsstände, Mühlhausen 361, Bl. 3v. 66 Ebd., Bl. 7r–8v. Zur weiteren Geschichte der Franziskanerniederlassung in Mühlhausen vgl. Thomas T. MÜLLER, Das doppelte Ende des Mühlhäuser Franziskanerklosters, in: DERS./Bernd SCHMIES/Christian LOEFKE (Hg.), Für Gott und die Welt – Franziskaner in Thüringen. Text- und Katalogband zur Ausstellung in den Mühlhäuser Museen vom 29. März – 31. Oktober 2008, unter Mitw. von Jürgen Werinhard EINHORN OFM, Paderborn 2008, S. 149–157.

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Deutlich turbulenter scheint es am selben Tag erneut im Dominikanerkloster zugegangen zu sein. Hier trieben die Eindringlinge die in den Stallungen noch verbliebenen Schweine fort, während der Rat beschlagnahmte, was ihm wichtig erschien, und dies auf mehreren Wagen abtransportieren ließ. Aber auch viele andere Mühlhäuser nahmen aus dem Kloster mit, was sie tragen konnten.67 Zuletzt vertrieb man am selben Tag auch die Dominikaner aus ihrem Kloster. Als jene versuchten, zuvor die Altarreliquien aus der Kirche zu holen und darum baten, sie weiterhin verwahren zu dürfen, wurden ihnen diese von den Mühlhäusern abgenommen, an eine „unziemliche Stätte“ geworfen und verbrannt.68 Nachdem nun alle Klöster zwangsweise säkularisiert waren, richtete sich der Blick der Reformatoren und ihrer Anhänger auf die letzten in der Stadt noch verbliebenen Vertreter der alten Kirche und die beiden von ihnen noch verwalteten Hauptpfarrkirchen. Pünktlich zum 1. Januar 1525, dem Festtag Circumcisio Domini, rissen sie nicht nur die Altäre in den Klosterkirchen, sondern auch in der Blasiuskirche nieder. Stattdessen stellten sie einen Altar vor die Chorschranke, die bislang die Gemeinde von den Zelebranten und den anderen Priesterbrüdern des Deutschen Ordens getrennt hatte.69 Als sich Caspar Rudolf, einer der Priesterbrüder des Deutschen Ordens, gegen die Eingriffe in der Kirche seines Ordens verwehrte und auf einen Tisch 67 Der Kurmainzer Schultheiß von Geisleden, Hans Meck, hatte bei einem Besuch in Mühlhausen gesehen, wie die Vertäfelungen und Verzierungen in den Kammern des Predigerklosters abgerissen worden seien und die Mühlhäuser alles, was tragbar oder abbaubar gewesen wäre, in ihre Häuser geschleppt hätten. Vgl. Aussage des Hans Meck aus Geisleden (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 II, Bl. 33v). 68 HHStA Wien, RK, Kleinere Reichsstände, Mühlhausen 361, Bl. 5r–5v. Ein sehr knappes Regest dazu bei AGBM, Bd. II, S. 63, Nr. 1150. Am 11. Januar 1525 beklagte sich der Provinzial der Sächsischen Provinz des Dominikanerordens, Dr. Hermann Rabe, von Leipzig aus schriftlich über die Vorgänge in Mühlhausen beim kaiserlichen Regiment zu Esslingen sowie bei Johann von Sachsen, Georg von Sachsen und Philipp von Hessen über den Kirchensturm im Predigerkloster in Mühlhausen. Er schilderte das Geschehen ausführlich und forderte die Angeschriebenen zum Handeln auf: So sei seinen Brüdern zuerst das Lesen von Gottesdiensten verboten worden. Schließlich hätten die Mühlhäuser im Kloster die Altartafeln und Bilder zerbrochen und verbrannt. Bewaffnet seien die Aufständischen ins Kloster eingefallen, hätten alle Vorräte geraubt und die Heiligenbilder zerschlagen. Mit dem dabei angefallenen Holz wurde das gekocht und gebraten, was sich in den Speisekammern finden ließ. Die Dominikaner, die nicht aus dem Orden austreten wollten, wurden der Stadt verwiesen, ihr Besitz wurde eingezogen. Vgl.: HHStA Wien, RK, Kleinere Reichsstände, Mühlhausen 361, Bl. 1r–1v. Vgl. auch Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: LATh-HStA Weimar), Ernestinisches Gesamtarchiv (im Folgenden: EGA), Reg N, Nr. 832, Bl. 2r–2v. Hierzu auch AGBM, Bd. II, S. 62, Nr. 1147; [Reinhard] JORDAN, Aus den Jahren 1524–1525, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 11 (1910/1911), S. 1–14, hier S. 5 f. 69 MÜLLER, Bauernkrieg und Deutscher Orden (wie Anm. 9).

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bestanden habe, um das Abendmahl getreu den biblischen Vorgaben bereiten zu können, wurde er der Kirche verwiesen und erhielt ebenfalls Predigtverbot.70 Nur fünf Tage später, am 6. Januar 1525, dem Fest der Stadtpatrone, der Heiligen drei Könige,71 die vor allem in der Marienkirche besonders verehrt wurden,72 wiederholte sich auch dort das bereits geschilderte Vorgehen – inklusive der Altarverlegung vor den Chor. Diesmal legte mit dem Prediger Johann Laue nachweislich sogar ein ehemaliger Priester des Deutschen Ordens persönlich Hand an und verbrannte das „schone vesperbilde“. Zuvor waren neben den Altären auch alle Marienbilder von den Sockeln geworfen und zerstört worden.73 Übergriffe scheint es in diesem Kontext auch auf die Steinplastiken an den Portalen der Marienkirche gegeben zu haben. Von den ohne größere Schwierigkeiten erreichbaren Figuren blieben lediglich zwei am Nordportal erhalten.74 Zwei Tage darauf „wurffen sie die schilde zum Barfüßer[-Kloster] nieder“,75 womit wohl ein Übergriff auf eine gängige Form der Memoria von Adels- bzw. besser gestellten Bürgerfamilien mit Hilfe von Totenschilden gemeint sein dürfte.76 Bereits im September 1524 war Ähnliches in der Dominikanerkirche geschehen.77 Mit der anscheinend ungehinderten Vertreibung eines altgläubigen Predigers von der Kanzel der Blasiuskirche am Sonntag, dem 9. Januar 1525, dem Sturz eines weiteren Marienbildes durch rund 60 den Gottesdienst unterbrechende Mitglieder der Nicolai-Gemeinde sowie weiteren Übergriffen auf die Altäre und Bilder in der Martinskirche und dem Brückenkloster dürfte sich die Refor70 CM, S. 220 f. Ediert in: MÜLLER, Mühlhäuser Chronistik (wie Anm. 55), S. 53. 71 Martin SÜNDER, Mühlhäuser Stadt- und Schutzheilige?, in: Mühlhäuser Beiträge 20 (2007), S. 113–120. 72 Christa RICHTER, Die Marienkirche zu Mühlhausen (Mühlhäuser Beiträge. Sonderheft, 7), Mühlhausen 21990, S. 42. Vgl. auch Martin SÜNDER, Zwischen irdischem Rat und himmlischer Sphäre – Die Königsdarstellungen in der Südquerhausfassade der Mühlhäuser Marienkirche, in: Helge WITTMANN (Hg.), Reichszeichen. Darstellungen und Symbole des Reichs in Reichsstädten. 2. Tagung des Arbeitskreises „Reichsstadtgeschichtsforschung“, Mühlhausen 3. bis 5. März 2014 (Studien zur Reichsstadtgeschichte, 2), Petersberg 2015, S. 87–104. 73 CM, S. 221 f. Ediert in: MÜLLER, Mühlhäuser Chronistik (wie Anm. 55), S. 53. 74 W[ilhelm] BADER, Geschichte der Marien-Kirche zu Mühlhausen in Thüringen, Mühlhausen 1887, S. 10. 75 CM, S. 222. Ediert in: MÜLLER, Mühlhäuser Chronistik (wie Anm. 55), S. 53. 76 Vergleichbar sind zwei erhaltene zeitgenössische Beispiele aus Arnstadt. Hartmut KÜHNE/Enno BÜNZ/Thomas T. MÜLLER (Hg.), Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland. Katalog zur Ausstellung „Umsonst ist der Tod“, Petersberg 2013, S. 108 f. 77 Aussagen des Heinrich von Bültzingslöwen (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 58r) und Eberhart Rychs (ebd., Bl. 227v).

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mation in Mühlhausen endgültig durchgesetzt haben.78 Hierfür spricht auch, dass der Rat mit Johann Behme bereits seit November 1524 ganz offiziell einen gemäßigten lutherischen Prediger besoldete.79 Dabei dürften sich für einen Großteil der Mühlhäuser Bevölkerung die ikonoklastischen Ausschreitungen spätestens mit den heftigen Übergriffen zwischen Weihnachten 1524 und Epiphanias 1525 zu einem öffentlichen Ereignis erster Klasse entwickelt haben. Neben durchaus rein religiös motivierten Aktionen, die einzig die Befolgung des Bilderverbots der Bibel im Blick hatten, kam es auch zu heftigen Formen der Materialverspottung. Wie bereits geschildert, wurden im Mühlhäuser Dominikanerkloster Heiligenskulpturen u. a. gehängt, geköpft oder gestäupt, bevor sie schließlich verbrannt wurden.80 Im Mühlhäuser Ratsdorf Großgrabe stürmten Anfang Januar 1525 Bauern eine benachbarte Kapelle und schleiften eine Skulptur des heiligen Gangolf, an einen Wagen gebunden, in ihr Dorf.81 Adam Kalnbergk aus dem nicht weit entfernten Merxleben holte gemeinsam mit anderen eine große Skulptur des heiligen Ambrosius aus der heimischen Dorfkirche und nagelte sie an das Gemeindebackhaus. Schließlich band man ihr auch noch ein Schwert um und setzte ihr einen Hut auf und spottete: Merxleben wäre eine Reichsstadt und das sollte ein Roland sein! Erst als Ritter Melchior von Schlotheim bald darauf durch Merxleben ritt und die Vormünder des Dorfes wegen der Figur ansprach, sei diese abgenommen und später von den Frauen des Bäckers und des Hirten verbrannt worden.82 In der weiteren Mühlhäuser Umgegend erfolgten die Plünderungen der Kirchen, die sehr häufig auch mit einem Bildersturm einhergingen, allerdings in der Regel erst im direkten Kontext des Bauernkrieges in den Monaten April und Mai 1525. So zum Beispiel am 24. April in Eisenach83 oder am 3. Mai 1525 in Heiligenstadt.84 Eine Ausnahme bildete Creuzburg, wo der 1523 aus Mühl78 CM, S. 222 f. Ediert in: MÜLLER, Mühlhäuser Chronistik (wie Anm. 55), S. 53. 79 Kämmereirechnung vom 11. November 1524–10. November 1525 (StadtA Mühlhausen, 2000/26, Bl. 30r–30v u. 95r). 80 HHStA Wien, RK, Kleinere Reichsstände, Mühlhausen 361, Bl. 3v. 81 ABKG, Bd. 2, S. 7 f., Nr. 779. 82 AGBM, Bd. II, S. 595, Nr. 1787 u. S. 650, Nr. 1850. 83 Bilderflut und Bildersturm. Katalog zur Ausstellung in der Predigerkirche zu Eisenach vom 20. April bis 29. September 1996. Hg. vom Kulturamt der Stadt Eisenach, Eisenach 1996. Weitergehend vgl. auch Ernst KOCH, Die Beseitigung der „abgöttischen Bilder“ und ihre Folgen im ernestinischen Thüringen, in: Hans-Jörg NIEDEN/Marcel NIEDEN (Hg.), Praxis Pietatis. Beiträge zur Theologie und Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit. Wolfgang Sommer zum 60. Geburtstag, Stuttgart u. a. 1999, S. 225–241. Zur Situation in Eisenach vgl. auch Thomas T. MÜLLER, Frühreformation in Westthüringen. Jakob Strauß in Eisenach und Matthäus Hisolidus in Creuzburg, Jena 2019. 84 Hierzu demnächst ausführlich MÜLLER, Mörder ohne Opfer (wie Anm. 20).

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hausen vertriebene Matthäus Hisolidus maßgeblich für die vermutlich bereits im Januar, spätestens jedoch Anfang Februar 1525 erfolgte geordnete Entfernung der Bilder aus der Stadtkirche St. Nikolaus verantwortlich gewesen war: Nachdem Hisolidus die vor den Heiligenskulpturen aufgestellten Kerzen gelöscht und herabgenommen hatte, wurden von einigen Gemeindemitgliedern auch die Figuren selbst entfernt. Eines der Bildnisse wurde im Schutz der Nacht und wohl unversehrt vor die Tore der Burg Creuzburg gebracht.85 Augenscheinlich muss es sich dabei um ein besonderes Stück, vielleicht sogar um das von den Wallfahrern in der Liboriuskapelle verehrte Gnadenbild gehandelt haben. Auch als die Mühlhäuser und die sich ihnen inzwischen angeschlossenen Aufständischen Anfang Mai 1525 vor Heiligenstadt lagerten, kam es außerhalb der Stadt zu mindestens einem Bildersturm. Der Rengelröder Glöckner Clauß Heintzen konnte beobachten, „das ettlich in der capell vor der statt ettlich bilder ins feuer gelegt, verbrenndt vnnd gesagt hetten, sihe wie weint der getz“.86 Auch hier kam also zur reinen Destruktion auch noch die Materialverspottung hinzu. Der Rengelröder Glöckner war von diesem Vorgehen so entsetzt, dass er „von inen wider heim gangen“ sei.87 Direkten Widerstand hingegen musste Fritz Schrotter erleben, als er in der Merxlebener Kirche die Heiligenfiguren vernichten wollte. Etliche Frauen und Mädchen aus dem Dorf nahmen ihm Skulpturen weg, „das si nit solten zurschlagen werden“.88 Relativ unbefangen zeigte sich hingegen der damals erst etwa 13-jährige Matthes Gera.89 Er fand in einer Mühlhäuser Kirche Gefallen an zwei kleinen Pferden, die er sich – wohl zum Spielen – mitnahm. Außerdem handelte er Gangolf Helmolt eine Heiligenskulptur für „ein[e] halbe rotwurst“ ab. Andererseits gab er aber auch zu, zwei andere „heilige“ selbst zerschlagen zu haben.90 Das Abschlagen der Köpfe, aber auch der Arme und Beine von Heiligenskulpturen war jedoch keine Mühlhäuser Besonderheit, sondern ist ebenso wie die geschilderten Verhöhnungsrituale auch andernorts im Reich vielfach belegt.91 85 LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 881, Bl. 2v. Vgl. AGBM, Bd. I, Erste Abteilung, hg. von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1923, S. 269 f., Nr. 351. 86 Aussage des Clauß Heintzen (LASA, Standort Magdeburg, Rep. A 53 M, Nr. 52 I, Bl. 167v–168r). 87 Ebd. Auch anderenorts ist überliefert, dass sich insbesondere auf dem Land die Gegner des Bildersturms artikulierten. Vgl. Peter KAMBER, Reformation als bäuerliche Revolution. Bildersturm, Klosterbesetzungen und Kampf gegen die Leibeigenschaft in Zürich zur Zeit der Reformation (1522–1525), Zürich 2010, S. 180–183. 88 AGBM, Bd. II, S. 650, Nr. 1850. 89 Zu ihm vgl. StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 20, Bl. 233r–239r. 90 Vgl. Aussage des Matthes Gera (StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 13, Bl. 71v–72r). 91 Zu den verschiedenen Arten des Bildersturms und dem Umgang mit den zerstörten Kunstwerken vgl. Sergiusz MICHALSKI, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Über-

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Ganz klar auf Karlstadt gingen die Verbrennungen der Bilder zurück. So muss der Mühlhäuser Paul Pompe wenn nicht die ganze Schrift, so doch wenigstens den Inhalt von Karlstadts „Abtuung der Bilder“ gekannt haben. Er nahm dessen auf Jesaja 44,15–17 zurückgehende Zeilen, „Ich hab die helffte des holtzß verbrand / dauon ich dießen got gemacht hab. Vnd hab mit der selben helfft / des baumeß / mein fleisch gekocht / vnd den offen eyngeheytzt. Von dem andern teyll hab ich dißen abtgot gemacht“,92 quasi wörtlich und zerhieb – wie oben bereits ausgeführt – vor der Jakobikirche eine Madonna mit Kind in zwei Teile. Während er das eine Teil, nämlich das Jesuskind, anscheinend vorerst unbehelligt ließ, übergab er die Muttergottes einer Bademagd und beauftragte diese, damit das Feuer anzuheizen.93 Ein ähnliches Vorgehen wie in Mühlhausen ist für das Jahr 1531 auch in Biberach bezeugt. Auch dort sollte mit Heiligenbildern ein Bad angeheizt werden.94 In Ulm und Basel hingegen wurden die Holzstatuen an Bedürftige als Brennholz verschenkt.95 In Thayngen am Oberrhein war es der von der Gemeinde neu gewählte Pfarrer, Adam Bärtz, der allem Anschein nach großen Anteil an den ikonoklastischen Ausschreitungen seiner Gemeinde in der eigenen Kirche hatte. Erst wurden die Bilder und Tafeln von den Wänden gerissen und schließlich in den Ofen geworfen und verbrannt.96 Bei den Vorgängen in Mühlhausen ist auffallend, dass die Termine der öffentlichen Auftritte der Prediger, aber auch der Übergriffe auf die altgläubigen Pfarrer nie zufällig, sondern gezielt ausgewählt und nicht selten auch detailliert vorbereitet waren.97 Ähnlich verhält es sich auch mit dem entscheidenden Mühlhäuser Bildersturm zwischen dem Weihnachtsfest 1524 und Epiphanias 1525. Folgte der erste Termin mit den Übergriffen auf die Männerklöster exakt ein Jahr auf die Stürmung der Blasiuspfarrei und die Altstadtkommende des

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sicht, in: SCRIBNER, Bilder und Bildersturm (wie Anm. 13), S. 69–124. Siehe auch Beat HODLER, Bildersturm auf dem Land. Der „Gemeine Mann“ und das Bild, in: DEPEUX u. a. (Hg.), Bildersturm (wie Anm. 17), S. 52–56. KARLSTADT, Abtuung der Bilder (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 105–127 u. Bd. 2, S. 114. Aussage des Paul Pompe (StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 94v–95r). Gedruckt in: AGBM, Bd. II, S. 865, Nr. 2074. Vgl. ausführlich Gudrun LITZ, Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 35), Tübingen 2007, S. 173–175. Vgl. MICHALSKI, Das Phänomen Bildersturm (wie Anm. 91), S. 104 f. Vgl. Peter BIERBRAUER, Die Reformation in den Schaffhauser Gemeinden Hallau und Thayngen, in: Peter BLICKLE (Hg.), Zugänge zur bäuerlichen Reformation (Bauer und Reformation, 1), Zürich 1987, S. 21–53, hier S. 38 f. Dies scheint allerdings keine Mühlhäuser Singularität zu sein. Generell fanden reformatorische Bilderstürme erstaunlich häufig auch in zeitlicher Nähe zu den Ostertagen statt. Vgl. MICHALSKI, Das Phänomen Bildersturm (wie Anm. 91), S. 91 f.

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Deutschen Ordens, so fiel der durch den Bildersturm in der Marienkirche markierte Abschluss der ikonoklastischen Aktionen fast genau auf jenen Tag, an dem drei Jahre zuvor die Bilder aus der Klosterkirche des Wittenberger Augustinerklosters verbrannt worden waren. Nicht unterschätzt werden sollte in diesem Kontext jedoch auch die besondere Hervorhebung der ikonoklastischen Tat des spätantiken Bischofs Epiphanius durch Karlstadt in seiner Schrift „Von abtuung der Bilder“.98 So könnte auch dessen Name im Kontext mit der Terminierung der Bilderstürme auf den Tag „Epiphanias“ eine wichtige Rolle gespielt haben. Vielleicht war gerade diese Namensverwandtschaft der entscheidende Anlass für eine entsprechend animierende Predigt gewesen. Zumindest war an diesem Tag von einer größeren Zuhörerschaft auszugehen, da am selben Tag traditionell der Mühlhäuser Stadtpatrone gedacht wurde. Insgesamt erinnern die Ereignisse um das Weihnachtsfest 1524 in Mühlhausen frappierend an jene Szenen, die sich zum Jahreswechsel 1521/1522 in Wittenberg abgespielt hatten. Dort waren am 3. Dezember 1521 vor allem Studenten, aber auch Bürger in der Stadtkirche und auch im Franziskanerkloster gegen die „altgläubigen“ Priester vorgegangen. Als die Priester am Morgen das Marienoffizium singen wollten, wurden sie mit Steinwürfen aus der Stadtkirche vertrieben und die Messbücher weggetragen, um auf diese Weise auch die Frühmesse zu verhindern. Am 4. Dezember waren es vor allem die Franziskaner, die im Fokus der Aufrührer standen. Sie wurden verspottet und das Lesen der Messen verhindert, nicht zuletzt durch die Zerstörung eines hölzernen Altars. Nachdem Andreas Karlstadt am 25. Dezember 1521 in Wittenberg seinen berühmt gewordenen Gottesdienst in neuer Gestalt gehalten hatte, galt die Reformation in der Stadt als faktisch durchgesetzt.99 Betrachtet man die Abfolge des Geschehens, das in Wittenberg wie in Mühlhausen jeweils im Dezember mit geplanten Übergriffen auf die Franziskaner begann, dann mag dies wohl mehr als Zufall sein. Wenngleich Matthäus Hisolidus 1524 inzwischen nach Creuzburg gewechselt war, so wird er seinen Mühlhäuser Mitstreitern mit einiger Sicherheit von jenen spektakulären Aktionen in 98 Vgl. KARLSTADT, Von Abtuung der Bilder (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 105–127 u. Bd. 2, S. 112. 99 Stefan OEHMIG, Die Wittenberger Bewegung 1521/22 und ihre Folgen im Lichte alter und neuer Fragestellungen. Ein Beitrag zum Thema (Territorial-)Stadt und Reformation, in: DERS. (Hg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt, Universität, Reformation, Weimar 1995, S. 97–130; Rudolf MAU, Evangelische Bewegung und frühe Reformation 1521 bis 1532 (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, II/5), Leipzig 2000, S. 58–64; Nikolaus MÜLLER, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, Leipzig 21911. Einen weiteren in diesem Zusammenhang wichtigen Aspekt zeigt Volkmar JOESTEL, Auswirkungen der Wittenberger Bewegung 1521/22: Das Beispiel Eilenburg, in: Stefan OEHMIG (Hg.), 700 Jahre Wittenberg: Stadt, Universität, Reformation, Weimar 1995, S. 131–142.

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seiner Universitätsstadt berichtet haben. Vielleicht war Hisolidus, der ja in Wittenberg studiert hatte und einst enge Kontakte zu Karlstadt pflegte, sogar Augenzeuge gewesen. Zumindest muss er von den Vorgängen gewusst haben. Fest steht jedoch, dass auch in Mühlhausen – wenngleich drei Jahre später als in Wittenberg – die Reformation mit dem Ende des Bildersturms im Januar 1525 als vollständig durchgesetzt angesehen werden kann. Dies war zweifelsohne mit Duldung einer Ratsmehrheit geschehen, die zwar nicht mit den teilweise verheerenden Ausmaßen der Übergriffe einverstanden gewesen sein mag, sich aber dennoch nicht gegen die für die Stadt positiven Auswirkungen, z. B. der Säkularisation des vermögenden Magdalenerinnenklosters, wehrte. Immerhin betrachtete der Rat ab der Vertreibung der Nonnen um Weihnachten 1524 das Eigentum des Monasteriums inklusive des enormen Grundbesitzes mit sofortiger Wirkung als städtisch.100 Welcher Anteil an diesem ikonoklastischen Prozess allerdings den einzelnen reformatorischen Hauptakteuren zukommt, konnte leider nur bedingt geklärt werden. Fest steht allerdings, dass der Beitrag Thomas Müntzers bis zum Januar 1525 eher gering gewesen sein dürfte. Schließlich traf er frühestens im Februar 1525 wieder in Mühlhausen ein.101 Zudem hat er sich kaum zur Bilderfrage geäußert. Zwar interpretiert er den Kollosserbrief (Kol 3,5-6) in der „Fürstenpredigt“ etwas frei: „er [Jesus Christus] wuerde on zcweyfel auch der goetzen vnd bilder nicht geschonet habenn, wo sie do weren gewesen.“102 Und auch aus dem fünften Buch Mose (Dt 7,2-6) zitiert er in seinem Sinne: „zur brecht yre altar, zur schmeisset yre bilde vnnd vorbrennet sie auff das ich mit euch nicht zoerne.“103 Doch weder in Allstedt noch in Mühlhausen trat er dezidiert eigenhändig als Bilderstürmer in Erscheinung. Dass dies jedoch daran lag, dass er „wenn in Mühlhausen gestürmt wurde […] [,] wie es scheint, nicht in der Stadt“ gewesen sei, wie Ernst Badstübner meint,104 taugt als Grund hierfür nicht, denn während der Septemberunruhen 1524 war er sehr wohl in Mühlhausen anwesend. Ich möchte mich deshalb in diesem Kontext Max Steinmetz anschließen, der im Zusammenhang mit der Zerstörung der Mallerbacher Kapelle angemerkt hat:

100 ABKG, Bd. 2, S. 7, Nr. 779. 101 Thomas T. MÜLLER, Thomas Müntzer im Bauernkrieg. Fakten – Fiktionen – Desiderate, Mühlhausen 2016, S. 24 f. 102 Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 1: Schriften, Manuskripte und Notizen, hg. von Armin KOHNLE und Eike WOLGAST unter Mitarbeit von Vasily ARSLANOV, Alexander BARTMUß und Christine HAUSTEIN (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25,1), Leipzig 2017, S. 318, Nr. 6. 103 Ebd. 104 Ernst BADSTÜBNER, Bilderstürme in Mühlhausen 1524 und 1525 – Ursachen und Folgen, in: Mühlhäuser Beiträge 15 (1992), S. 83–90, hier S. 86.

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THOMAS T. MÜLLER

„Für Müntzer jedoch stand die Bilderfrage nicht im Mittelpunkt seiner reformatorischen Bestrebungen, sie ist nur ein Problem unter anderen.“105 Im Laufe der Zeit hatten sich hingegen einige andere Mühlhäuser Prediger in dieser Hinsicht radikalisiert. Zu ihnen gehörte an erster Stelle der ehemalige Deutschordenspriester Johann Laue. Während er im September 1524 zunächst noch ein zurückhaltendes Vorgehen präferiert hatte, warf er später mindestens ein Bildnis eigenhändig ins Feuer.106 Angeblich zerschlug er gemeinsam mit anderen aber auch noch weitere Kruzifixe und Heiligenbilder, um sie schließlich vor seinem Haus zu verbrennen. Als Grund für seine Taten gab er in einem seiner Verhöre an: „Got hab solchs [gemeint ist die Bilderverehrung, d. Verf.] an vielen ortern in der schrift vorbotten. Das hab er aus der biblien, dweil ehr die gelesen, befunden, das man kein bilt haben sol.“107 Aus diesem Grund verlangte er auch, dass die Kruzifixe und Bilder nicht nur aus den Kirchen, sondern auch aus den Privathäusern entfernt werden müssten.108 Ikonoklastisches Gedankengut dürfte Laue durch Matthäus Hisolidus vermittelt worden sein. Letzterer war begeisterter Schüler Karlstadts, und es darf wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass er dessen Schrift „Von Abtuung der Bilder“ aus dem Jahr 1522 bereits vor seiner Mühlhäuser Zeit kannte. Auch die durch seine Urgicht bezeugte Begeisterung Heinrich Pfeiffers für Karlstadts Lehren („Carlstat hab er nit gesehen, aber seiner lehr sei er anhengig gewest.“109) wird durch die Vermittlung von Hisolidus zu Stande gekommen sein. Über Pfeiffers Haltung zum Bildersturm ist bislang kaum etwas bekannt. Da sich aber mit Claus Weidenmüller,110 Melchior Bicheling111 und Hans/Heintz Topfenstorer112 einige seiner engsten Vertrauten aktiv an den Aktionen beteiligten, darf wohl davon ausgegangen werden, dass Pfeiffer das Vorgehen zumindest nicht ablehnte. Dafür spricht auch das geordnete Vorgehen an seiner Pfarrkirche St. Nikolaus. Hier zerschlug Celiax Reyn auf Anweisung der „alterleute“ die Altartafeln und verkaufte einen Teil davon für einen Schneeberger Groschen an den Schinder.113 105 106 107 108 109 110 111

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Max STEINMETZ, Thomas Müntzers Weg nach Allstedt, Berlin 1988, S. 216. AGBM, Bd. II, S. 762, Nr. 1973. Ebd. Ebd., S. 763. Siehe auch: HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9136/2, Bl. 12r–13r. AGBM, Bd. II, S. 383, Nr. 1582. LEISERING, Mitglieder des Ewigen Bundes Gottes (wie Anm. 38), S. 16, Nr. 206. „Melchiar Bicheling bey Sant Jacuf hat vor deme Felchtten Thor gestanden und Heinrich Pfiffer gehanthabpt und hat mitsampt anderen das Felchtte Thor wullen aufthun und in dy stat brechin.“ StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 4, Bl. 23r. Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/Auf J 1, Nr. 1a, Bl. 94r. AGBM, Bd. II, S. 704, Nr. 1915.

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Zusammenfassend ist – auch im Vergleich mit ähnlichen Vorkommnissen in Süddeutschland – davon auszugehen, dass die Mühlhäuser Bilderstürme während der Jahre 1523 bis 1525 ebenso wenig als eindeutige Vorboten des Bauernkrieges gelten können, wie die ikonoklastischen Ausschreitungen während des Aufstandes im April und Mai 1525 eine dezidierte Singularität des Bauernkrieges gewesen wären. Vielmehr sind diese ebenso wie die zahlreichen antiklerikalen Aktionen mit Hans-Jürgen Goertz als nahezu klassisches Begleitprogramm der Reformation anzusehen, für welche nicht nur in Thüringen noch weitere Belege zu finden sein werden. Derzeit, und dies ist nur zum Teil ein Problem der sicher schwierigen Quellenlage, gibt es lediglich zu wenige Untersuchungen zur Thematik. Wie ergiebig diese Suche sein kann, hat Gudrun Litz für die schwäbischen Reichsstädte aufgezeigt.114 Für Thüringen ist die Thematik hingegen bislang einfach nicht ausreichend untersucht.

114 LITZ, Die reformatorische Bilderfrage (wie Anm. 94), Tübingen 2007.

JOHANNES MÖTSCH DIE AUFSTÄNDISCHE FÜHRUNGSELITE IN HENNEBERG

Die aufständische Führungselite in Henneberg und ihre Bestrafung nach dem Bauernkrieg 1. Die Region und die handelnden Akteure Der Südwesten des heutigen Freistaates Thüringen gehörte in der fraglichen Zeit zum Fränkischen Reichskreis, kirchlich zur Diözese Würzburg. Die Bischöfe von Würzburg, Herzöge zu Franken, und ihr Territorium, das Hochstift, waren über Jahrhunderte im Wechsel Verbündete oder Konkurrenten der Grafen von Henneberg, die zwischen Grabfeld, Rennsteig und Rhön seit dem Hochmittelalter ihre Besitzungen und Rechte zu einem größeren Territorium ausgebaut hatten.1 Im Jahr 1274 hatte es im Grafenhaus eine Erbteilung gegeben. Es entstanden die Linien Schleusingen (bis 1583), Aschach (später Römhild, bis 1549) und Hartenberg (bis 1378). Im Juli 1310 erhielt Graf Berthold VII. von HennebergSchleusingen von König Heinrich VII. bestimmte fürstliche Vorrechte.2 Unter Berthold, einer Figur auf reichspolitischer Bühne, erreichte das Haus einen Höhepunkt seines Ansehens. Teile seines Territoriums (u. a. Coburg und Hildburghausen) fielen 1353 auf dem Erbweg an die Markgrafen von Meißen, Landgrafen in Thüringen (seit 1423 Kurfürsten und Herzöge zu Sachsen); diese Gebiete wurden später als die wettinischen Ortlande in Franken bezeichnet.3 Die beiden Linien des Hauses Henneberg waren seitdem nur noch von regionaler Bedeutung. Zur Zeit des Bauernkrieges standen die beiden Grafschaften 1

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Eilhard ZICKGRAF, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen. Geschichte des Territoriums und seiner Organisation (Schriften des Instituts für geschichtliche Landeskunde von Hessen und Nassau, 22), Marburg 1944; Eckart HENNING, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen im Zeitalter der Reformation (Mitteldeutsche Forschungen, 88), Köln/Wien 1981; Günther WÖLFING, Geschichte des Henneberger Landes zwischen Grabfeld, Rennsteig und Rhön (Veröffentlichungen des Hennebergischen Museums Kloster Veßra, 1; Hennebergisch-Fränkischer Geschichtsverein, Sonderveröffentlichung, 1), Hildburghausen 1992, Neuausgabe Leipzig/Hildburghausen 2009. Wilhelm FÜßLEIN, Berthold VII. Graf von Henneberg. Um den bisher unveröffentlichten 2. Teil erweiterter Nachdruck der Ausgabe von 1905 (Mitteldeutsche Forschungen, Sonderreihe: Quellen und Forschungen in Nachdrucken, 3), Köln/Wien 1983. Reinhardt BUTZ/Gert MELVILLE (Hg.), Coburg 1353. Stadt und Land Coburg im Spätmittelalter (Schriftenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg, 17), Coburg 2003.

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unter der Regentschaft der Grafen Wilhelm IV./VI. (Linie Schleusingen, gest. 1559) und Hermann VIII. (Linie Römhild, gest. 1535), beide mit Töchtern des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg verheiratet und mit der fränkischen Linie des Hauses Hohenzollern eng verbunden.4 Wilhelms Sohn Johann war Koadjutor des Abtes von Fulda und in dieser Funktion den Forderungen der aufständischen Bauern ausgesetzt.5 Die Handlungen des Grafen waren vielfach von Rücksichten auf diesen Sohn beeinflusst. Zum Territorium des Grafen Wilhelm gehörten die Ämter Maßfeld, Sand, Themar und Wasungen im Werratal, Schleusingen (mit dem Flecken Suhl) und Ilmenau beiderseits des Thüringer Waldes, Kaltennordheim und Fischberg in der Rhön, eine Hälfte der Herrschaft Schmalkalden (die andere war hessisch) sowie das Amt Mainberg am Main oberhalb der Reichsstadt Schweinfurt, deren Reichsvogt der Graf war. Graf Hermann besaß die Ämter Römhild, Ostheim vor der Rhön (mit Burg Lichtenberg), Münnerstadt (halb, die andere Hälfte stand dem Bischof von Würzburg zu), Salzungen (halb, die andere Hälfte kursächsisch) und einen Anteil an der Zent Benshausen mit den Burgen Hallenberg, Kühndorf und Schwarza. Inmitten der Grafschaft Henneberg lag die zum Hochstift Würzburg gehörende Exklave Meiningen (mit Queienfeld, Vachdorf und Leutersdorf), die von 1434 bis 1495 als Pfand in Händen der Grafen von Henneberg-Schleusingen gewesen war und 1542 im Tausch gegen das Amt Mainberg auf Dauer an den Grafen Wilhelm und seine Erben kam.

2. Der Bauernkrieg in der Region Über den Ablauf des Bauernkrieges im hier interessierenden Raum sind wir hervorragend unterrichtet. Unter den Quellen an erster Stelle stehen die Akten des Gemeinschaftlichen Hennebergischen Archivs (GHA) im Staatsarchiv Meiningen, von denen einige bereits 1843 durch Ludwig Bechstein vorgestellt worden

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Heinrich WAGNER, Genealogie der Grafen von Henneberg (Hennebergisch-Fränkischer Geschichtsverein, Sonderveröffentlichung, 33), Kloster Veßra 2016, hier S. 152 (Hermann) u. S. 156 (Wilhelm). Die doppelte Zählung bei Graf Wilhelm ergibt sich daraus, dass in der Literatur zum Teil alle Namensträger, zum Teil nur die Regenten gezählt werden. Vgl. Wolfgang BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise und Reformation. Die Reichsabteien Fulda und Hersfeld ca. 1500–1525 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 71), Gütersloh 2000.

DIE AUFSTÄNDISCHE FÜHRUNGSELITE IN HENNEBERG

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sind.6 Maßgeblich ist jedoch die wesentlich umfangreichere Edition „Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland“, hier der erste Band, bearbeitet durch Otto Merx und Günther Franz, erschienen 1923 bzw. 1934.7 Das Quellenmaterial, das der auf Seiten des Bischofs von Würzburg am Bauernkrieg direkt beteiligte Sekretär und Archivar Lorenz Fries zusammengestellt hatte, wurde 1883 im Druck vorgelegt.8 Diese Veröffentlichungen – das ist ausdrücklich zu betonen – spiegeln natürlich nur die landesherrliche Sicht auf den Bauernkrieg.9 Die Editionen bieten eine sichere Basis, die durch weitere Einzelnachrichten zu ergänzen ist. In der Sekundärliteratur sind diese Quellen vielfach auch mit regionalem Bezug ausgewertet worden.10 Erste Nachrichten vom „aufrur“ (diesen Begriff verwenden die zeitgenössischen Quellen aus der Region) dürften beide Grafen Ende März 1525 erhalten haben.11 Nachdem Bauern aus dem Amt Münnerstadt mit der Besetzung des nahen Klosters Bildhausen gedroht hatten, flohen der gräfliche und der bischöfliche Amtmann aus der Stadt. Die Bauern besetzten die Stadthöfe des Deut-

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Ludwig BECHSTEIN, Stücke aus dem Bauernkriege, in: Deutsches Museum 2 (1843), S. 1– 98; DERS., Stücke aus dem Bauernkrieg. Das Strafgericht in Franken und Henneberg, in: Deutsches Museum N. F. 1 (1862), S. 59–92. 7 Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. I, Erste Abteilung, hg. von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1923; AGBM, Bd. I, Zweite Abteilung, hg. von Günther FRANZ auf Grund des Nachlasses von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1934; AGBM, Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942. 8 Lorenz FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges in Ostfranken, 2 Bde., hg. von August SCHÄFFLER und Theodor HENNER, Würzburg 1883. 9 Benjamin HEIDENREICH, Brisante Erinnerungen – Die zeitgenössische Geschichtsschreibung zum „Bauernkrieg“ in Franken, in: Franz FUCHS/Ulrich WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (Publikationen aus dem Kolleg „Mittelalter und frühe Neuzeit“, 2), Würzburg 2016, S. 355–373. Heidenreich, der Würzburg und Lorenz Fries (S. 368–372) behandelt, spricht von einer „gelenkte(n) Erinnerungskultur“. Ebd., S. 357. 10 Horst BUSZELLO/Peter BLICKLE/Rudolf ENDRES (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn u. a. 21991. Darin: Rudolf ENDRES, Franken, S. 134–153; DERS., Thüringen, S. 154–176. Der Südwesten des heutigen Freistaates Thüringen, der historisch zu Franken gehört, wird nur kurz im Kapitel zu Thüringen behandelt – und das fehlerhaft (S. 169 kommt „Der Graf von Meiningen“ vor – gemeint ist Graf Wilhelm von Henneberg). – Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen im Auftrag der Ranke-Gesellschaft, Beihefte, 69), Stuttgart 2008. Darin: Johannes MÖTSCH, Der Aufstand im südlichen Thüringen, S. 113–133. – FUCHS/ WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9) behandeln lediglich die heute zum Freistaat Bayern gehörenden Teile Frankens. 11 AGBM, Bd. I/1, S. 1 f., Nr. 2 (29. März 1525, Brief des Bischofs von Würzburg an die beiden Grafen, Druck).

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schen Ordens und des Klosters sowie das Kloster Bildhausen selbst (12. April).12 Diese Gruppe bezeichnete man fortan als „Bildhäuser Haufen“. Am 16. April berichtete aus Meiningen der würzburgische Amtmann seinem Herrn von ersten Unruhen in der Stadt.13 Die in diesem Raum gelegenen Städte des Hochstifts – Meiningen, Königshofen und Mellrichstadt – bemühten sich in diesen Tagen um Vermittlung zwischen den Bauern und ihrem Landesherrn.14 Am 20. April bat Graf Wilhelm den Herzog Johann von Sachsen um militärische Unterstützung.15 In seinem Amt Maßfeld gab es erste Zeichen von Unruhe; man vermutete die Urheber im Dorf Jüchsen.16 Die in Geisa lagernden Bauern hatten die Absicht, das unter dem Schutz des Grafen Wilhelm stehende Kloster Zella in der Rhön einzunehmen.17 In Schmalkalden richtete sich der Zorn der Einwohner gegen die Geistlichkeit.18 Am 24. April berichtete der Amtmann zu Kaltennordheim, der sogenannte „Werrahaufe“, von ihm geschätzt auf 1800 Mann (nach Gerüchten waren es 2500), habe sich nach Salzungen in Marsch gesetzt.19 Weil der Graf in diesen Tagen Nachrichten aus Ilmenau vom Aufstand in der angrenzenden Grafschaft Schwarzburg erhielt,20 sah er sich außerstande, der Bitte des Bischofs von Würzburg um Zuzug zu entsprechen.21 Am 25. April marschierte der Werrahaufe von Salzungen flussaufwärts.22 Ziele waren zunächst die Klöster Frauen- und Herrenbreitungen sowie die Stadt Wasungen. Aus Suhl, Heinrichs und Schwarza zogen 300 Mann mit einer Fahne den Aufständischen zu.23 Diese verhandelten mit der Stadt Wasungen und Einwohnern des Amtes Sand.24 Weiteren Zulauf erhielten sie aus dem Amt Maßfeld; eine größere Gruppe von Bauern lagerte auf dem Gelände der Wall12 13 14 15 16 17 18

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Ebd., S. 28, Nr. 46 (Druck). Ebd., S. 63 f., Nr. 90 (Reg.). Ebd., S. 51 f., Nr. 77 (15. April 1525, Druck). Ebd., S. 130 f., Nr. 179 (Druck). Ebd., S. 138, Nr. 186 (Druck). Ebd., S. 136–138, Nr. 185 (20. April 1525, Druck). Ebd., S. 165 f., Nr. 217 (21. April, Druck). Alfred WENDEHORST, Die Stifte in Schmalkalden und Römhild (Germania Sacra, N. F. 36; Das Bistum Würzburg, 5), Berlin/New York 1996, hier S. 33 f. (Bürger- und Bauernaufstand). AGBM, Bd. I/1, S. 226 f., Nr. 298 (Druck). Ebd., S. 277 f., Nr. 363 (Bericht des Amtmanns zu Ilmenau, 25. April 1525, Druck). Ebd., S. 320, Nr. 426 (27. April 1525, Druck). Am 25. April waren die Bauern noch in Salzungen: ebd., S. 266, Nr. 348 (Druck). Am 26. April waren sie in Breitungen: ebd., S. 298, Nr. 392 (Druck). Ebd., S. 257–259, Nr. 339 (Bericht des Gottschalk vom Stein, 25. April 1525, Druck, die Nachricht S. 258). Ebd., S. 234 f., Nr. 306 (Gericht im Sand, 24. April 1525, Druck) u. S. 266, Nr. 348 (Wasungen, 25. April 1525, Druck).

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fahrt Grimmenthal (27. April).25 Daher legte der Amtmann zu Maßfeld dem Grafen nahe, Wertgegenstände von dort in die für sicher gehaltene Residenz Schleusingen bringen zu lassen.26 Am 28. April berichtete der Graf dem Herzog Johann, die Mehrheit seiner Untertanen habe sich den Aufständischen angeschlossen.27 Am 3. Mai verpflichtete er sich in Meiningen auf die Zwölf Artikel;28 dem Bischof teilte er mit, das sei unter Zwang geschehen.29 Den militärischen Wert der im dortigen Lager befindlichen Leute schätzte er allerdings gering ein. Vor allem bemerkte er den Mangel an Geschützen. In den letzten Tagen seien zudem etliche Bauern nach Eisenach, gegen den heranmarschierenden Landgrafen von Hessen oder ins Eichsfeld abgezogen.30 Der Mangel an Geschützen, ohne die man Burgen und befestigte Orte kaum einnehmen konnte, war auch den Aufständischen bewusst. Vom Grafen Hermann, der sich ihnen am 2. Mai notgedrungen angeschlossen hatte,31 forderten sie daher am 6. Mai ein großes Geschütz.32 Graf Wilhelm wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Landgraf Philipp am 3. Mai bei Fulda über ein Bauernheer gesiegt hatte.33 Der Graf forderte seine Untertanen auf, ihm ihre Beschwerden vorzulegen. Die Stadt Schleusingen und einige Dörfer des dortigen Amtes kamen dem nach.34 Nach dem Sieg war Landgraf Philipp nach Schmalkalden gezogen, das ihn am 7. Mai schriftlich um Entschuldigung für den Anschluss an die Aufständischen gebeten hatte.35 Am 10. Mai schlossen Landgraf und Stadt einen Ver25 26 27 28

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Ebd., S. 324, Nr. 431 (Druck). Ebd., S. 296–298, Nr. 391 (26. April 1525, Druck). AGBM, Bd. I/2, S. 340 f., Nr. 451 (Druck). Ebd., S. 401, Nr. 579 (Druck). Am 29. April hatte er an die Grafen zu Mansfeld geschrieben: „… uns mitteler zeit befleissigen, irgent ein pauer zu werden“ (ebd., S. 362, Nr. 489, Druck). Bereits am 10. Mai unterstellten die Bauern dem Grafen, er treibe ein „affenspil“ (ebd., S. 459 f., Nr. 681, Druck). – Zwölf Artikel, in: www.stadtarchiv.memmingen.de/ 918.html (letzter Zugriff: 19.8.2018). Zu den in Erfurt entstandenen Drucken der Zwölf Artikel vgl. Vivien STAWITZKE, Reformation und Buchdruck. Erfurt als frühes Medienzentrum (1499–1547) (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 9), Jena 2017, hier S. 116, Anm. 392. AGBM, Bd. I/2, S. 413, Nr. 602 (5. Mai 1525, Reg.). Ebd., S. 426 f., Nr. 623 (6. Mai 1525, Druck): „Es ist ein arms nackents volk, wenig ernstlicher wehre noch geschutzes bei inen“. Ebd., S. 393, Nr. 556 (Druck; „aus getrungner nott“). Ebd., S. 425, Nr. 620 (Druck). Ebd., S. 415, Nr. 607 (5. Mai 1525, Bericht des Amtmanns zu Kaltennordheim, der diese Nachricht enthält, Druck). Ebd., S. 427, Nr. 624 (Aufforderung, 6. Mai 1525, Druck) und S. 427–435, Nr. 625 (Beschwerden, nach dem 6. Mai 1525, Druck). Ebd., S. 445, Nr. 647 (Druck).

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gleich.36 Von dort zog Philipp über Eisenach nach Frankenhausen. Am 8. Mai wurden Leute aus Dörfern des Amtes Themar wegen Plünderung der Klöster Veßra und Trostadt verhört.37 Gruppen, die aus Bildhausen nach Mellrichstadt gezogen waren, brannten am 14. Mai das gräfliche Schloss Hutsberg (bei Helmershausen) aus, anschließend auch die Burg Henneberg und die nahe gelegene Wallfahrt St. Wolfgang (dem Grafen berichtet am 21./22. Mai).38 In dieser Situation verließ Graf Wilhelm sein Territorium. Am 16. Mai war er in Langensalza.39 Dort wird er die Nachricht von der Niederlage der Bauern bei Frankenhausen am Vortag erhalten haben. Am 20. Mai erstatteten ihm seine Räte einen ausführlichen Bericht zur Lage in der Grafschaft.40 Der Graf, der zwischenzeitlich kurz in Schmalkalden (29. Mai) und Schleusingen gewesen war, begab sich nach Breitungen, um den Kurfürsten zu treffen und die Belagerung von Meiningen vorzubereiten.41 Zahlreiche Aufständische zogen aus Mellrichstadt nach Meiningen, das bereits vom Grafen Wilhelm belagert wurde. Am 4. Juni wurden Bauern zusammengeschossen, die bei Dreißigacker (oberhalb Meiningen) eine Wagenburg gebildet hatten.42 Da die Belagerer von Meiningen weiteren Zuzug erhielten, kapitulierten die Stadt und 3000 in ihren Mauern befindliche Aufständische am 5. Juni gegenüber Kurfürst Johann.43 Dabei wurde dem Grafen die Erstattung seiner Kosten und Schäden zugesagt.44 Das sich anschließende Vorgehen gegen die Aufständischen entsprach der damaligen Rechtslage.45 Zuständig waren in der Regel die Inhaber der Hoch36 37 38 39 40 41

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Ebd., S. 461, Nr. 685 (Druck). Ebd., S. 446 f., Nr. 652 (Druck). Ebd., S. 505, Nr. 773 (21. Mai 1525) u. S. 507, Nr. 778 (22. Mai 1525, Drucke). Ebd., S. 491, Nr. 743 (Druck). Ebd., S. 499, Nr. 761 (Druck). Ebd., S. 529, Nr. 826 (Reg.) u. S. 531 f., Nr. 834 (Schmalkalden, 29./30. Mai 1525, Druck), S. 536, Nr. 846 (Schleusingen, 1. Juni 1525, Absicht, nach Breitungen zu reiten, Reg.) u. S. 541, Nr. 860 (Walldorf, 4. Juni 1525, Reg.). – Frank KLEINEHAGENBROCK, Adel und Bauernkrieg in Franken, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 393–412, betont, der Graf habe durch sein Verhalten (Anschluss an den Kurfürsten, Vorgehen gegen Teile des Bildhäuser Haufens) den Schwäbischen Bund aus seiner Interessenssphäre herausgehalten und gegenüber dem Bischof von Würzburg seine Macht demonstriert (S. 404). FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 422–424. Zu Kapitulationen und den sich oft anschließenden erneuten Huldigungen vgl. Malte HOHN, Die rechtlichen Folgen des Bauernkrieges von 1525 (Schriften zur Rechtsgeschichte, 112), Berlin 2004, hier S. 118 f. u. 264–274. AGBM, Bd. I/2, S. 542, Nr. 864 (Reg.). HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 92–153 (Die Ausgestaltung des Strafverfahrens), besonders S. 93–110 (Zuständigkeit) sowie S. 133–145 (Schnellverfahren).

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gerichtsbarkeit46 – in den hier interessierenden Fällen Graf Wilhelm von Henneberg als Landesherr bzw. als Reichsvogt von Schweinfurt sowie der Bischof von Würzburg als Landesherr von Meiningen. Der Graf agierte zudem während des Aufstandes und danach außerhalb seines Territoriums als Hauptmann des Bischofs von Würzburg.47 Für das Delikt des Landfriedensbruchs war das Reichskammergericht zuständig. Die Klage wurde häufig nicht von den Betroffenen, sondern vom Reichsfiskal erhoben.48 Unter den Beteiligten trennte man zwischen Haupttätern und „Mitläufern“. Neben Ersteren galt das besondere Augenmerk den Geistlichen.49 Von zahlreichen Verhören und den dabei gemachten Schuldbekenntnissen (Urgichten) haben sich Aufzeichnungen erhalten.50 Aus der Schwere der Vorwürfe leiteten sich die Strafen her: Hinrichtung, in den hier interessierenden Fällen stets mit dem Schwert;51 Verbannung, auch gegen Haupttäter verhängt, teilweise räumlich beschränkt oder mit Erlaubnis zur Veräußerung des Vermögens;52 Verlust der Lehen;53 Geldstrafen in unterschiedlicher Höhe – orientiert sowohl am Vermögen als auch an der Schwere des Vergehens;54 schließlich die Verknechtung der Betroffenen.55 Dabei blieb

46 In Franken mit seinen komplizierten Territorialverhältnissen war diese Zuständigkeit nicht immer eindeutig. 47 Als solcher vom Bischof bezeichnet AGBM, Bd. I/1, S. 215, Nr. 280 (24. April 1525, Reg.). 48 Anja AMEND-TRAUT, Judikative Folgen des Bauernkriegs nach Quellen der höchsten Gerichte im alten Reich, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 223–265, hier S. 234–243 (Landfriedensbruch), zur Rolle des Fiskals S. 242. Einschlägig ist hier das unten behandelte Vorgehen gegen Stephan Sigle (Schweinfurt). 49 HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 83 f. (Hauptleute), S. 88 (Pfarrer) u. S. 312 (Klage des Reichsfiskals gegen Stephan Sigle aus Schweinfurt). Zur Gruppe der Geistlichen gehören die unten behandelten Kellermann (Meiningen) und Velberger (Wasungen). 50 Ebd., S. 121–126, dort S. 124, Anm. 747 der Bezug auf das unten behandelte Verhör des Hauptmanns Hans Schnabel. 51 Ebd., S. 36, Anm. 149. – Einschlägig hier die Hauptleute Schnabel und Sippel sowie der Geistliche Velberger (Wasungen). 52 Räumliche Beschränkung: Pleistein (Ilmenau, 10 Meilen). Zwang zur Veräußerung der Güter mit Fristsetzung: Weiß (Mainberg) und Schenck (Schleusingen). Die Verbannung ist nach den Feststellungen von Hohn vor allem gegen Haupttäter verhängt worden. Ebd., S. 44. 53 Dazu gibt es aus der hier interessierenden Region kein Beispiel. Betroffen war aber Götz von Berlichingen: ebd., S. 75. 54 Die Angaben dazu jeweils bei den (zahlreichen) Einzelfällen. 55 Beispiele: Moritz Heselbach, Schreiner aus Sennfeld, Verpflichtung zur Arbeit für Graf Wilhelm allein „umb die kost“ (Juli/August 1525, AGBM, Bd. I/2, S. 607, Nr. 980 mit Anm. 1, Reg.); Hans Seber, Büchsenschmied aus Schweinfurt, Dienstverpflichtung für

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stets Raum für eine spätere Begnadigung in Form von Reduzierung oder Aufhebung der Strafe.56

3. Die aufständische Führungselite und ihre Bestrafung Vor diesem Hintergrund ist nun in den Quellen nach Informationen zu den führenden Männern und ihrer Bestrafung zu suchen.57 Zuvor ist darauf hinzuweisen, dass für die Hauptleute der Bauernhaufen Schriftlichkeit eine Selbstverständlichkeit gewesen ist – was wohl nur für Angehörige der städtischen und dörflichen Oberschicht vorausgesetzt werden kann.58 Für die damit einhergehenden Aufgaben stand einschlägig erfahrenes Personal zur Verfügung, unter anderem der ehemalige Stadtschreiber von Schweinfurt,59 die Stadtschreiber von Mellrichstadt60 und Königshofen61 sowie mindestens ein Geistlicher.62 Diese Männer wiederum dürften dafür gesorgt haben, dass für die Bauerhaufen Siegel angefertigt worden sind.63 Der Graf von Henneberg hatte mit den folgenden Hauptleuten zu tun:

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Graf Wilhelm (Februar 1526, ebd., S. 654, Nr. 1050, Reg.). Vgl. dazu HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 77. HOHN, Rechtliche Folgen, S. 145–153 (Gnadenbitten). Einen Überblick bietet: Günther WÖLFING, Ziele und Politik der hennebergischen Städte im Bauernkrieg, in: Museum Schloß Wilhelmsburg Schmalkalden / Arbeitskreis Mediävistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Schmalkalden und Thüringen in der deutschen Geschichte. Beiträge zur mittelalterlichen und neueren Geschichte und Kulturgeschichte, Schmalkalden 1989, S. 36–50. Demnach waren die städtischen Mittelschichten das tragende Element; die Bewegung der Unterschichten sei kaum fassbar. Ebd., S. 41. Der Bildhäuser Haufe verschickte nicht nur Briefe, sondern ließ sich z. B. auch Urfehden ausstellen (AGBM, Bd. I/2, S. 371, Nr. 506, 30. April 1525, Druck: Urfehde Franz Fischer aus Themar) und stellte Geleitbriefe aus (ebd., S. 488, Nr. 735, 16. Mai 1525, Druck). – Helmut FLACHENECKER, Religiöse Grundlagen des Bauernkrieges, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 49–74, betont die Rolle der in zahlreichen Auflagen und in hoher Auflage gedruckten 12 Artikel – was wenigstens bei einem Teil der Rezipienten ebenfalls Lesefähigkeit voraussetzt. Ebd., S. 49. S. unten (Schweinfurt). AGBM, Bd. I/2, S. 552–554, Nr. 890, hier S. 552 (Aussage H. Schnabel, Druck). Johann Martel, Stadtschreiber zu Königshofen, war seit 1. Juni Schultheiß des Bildhäuser Haufens: FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 419. AGBM, Bd. I/2, S. 553 (Michael Schrimpf, Pfarrer zu Wermerichshausen); er gehörte zu den Personen, die in Meiningen mit Kurfürst Johann verhandelten: FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 428. Landesarchiv Thüringen - Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: LATh-StA Meiningen), Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv (im Folgenden: GHA) Sektion II, Nr. 624, Bl. 1: Hauptleute und Räte der Bauern vor Meiningen (2. Mai 1525, AGBM, Bd. I/2,

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Hans Schnabel aus Münnerstadt64 war gemeinsam mit Hans Schar einer der Anführer des Bildhäuser Haufens65 (belegt erstmals am 17. April 1525).66 Schnabel führte ein persönliches Siegel, das wegen des darin gezeigten Bundschuhs wohl erst nach Beginn des Aufstandes angefertigt worden ist.67 Bei der Kapitulation von Meiningen am 5. Juni wurde er an den Grafen von Henneberg ausgeliefert,68 verhört69 und am 3. Juli vor dem Tor oberhalb der Ziegelhütte zu Mellrichstadt mit dem Schwert hingerichtet und danach „gespiest“ (d. h. sein Kopf wurde auf einen Spieß gesteckt und öffentlich ausgestellt).70 Hans Schar stammte aus dem bei Münnerstadt gelegenen Burglauer und war gemeinsam mit Hans Schnabel Hauptmann des Bildhäuser Haufens.71 In dieser Funktion ist er erstmals am 17. April belegt.72 Er besaß kein eigenes Siegel; daher benutzte er das Siegel Schnabels mit. Schar geriet bei der Kapitulation von Meiningen in Gefangenschaft.73 Er wurde gemeinsam mit Schnabel am 3. Juli in Mellrichstadt hingerichtet. Schultheiß des Bildhäuser Haufens war bis zum 1. Juni Heinrich Crumpfues, Goldschmied aus Römhild, gewesen, der ebenfalls am 3. Juli in Mellrichstadt enthauptet wurde.74 An seine Stelle trat Johann Martel, Stadtschreiber von

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S. 395, Nr. 561, Reg.); GHA II, Nr. 627, Bl. 1: Bauern zu Eisenach (6. Mai 1525, AGBM, Bd. I/2, S. 436, Nr. 628, Druck), jeweils Wappenschild, darin eine Pflugschar. Abbildungen: MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 10), S. 116. AGBM, Bd. I/2, S. 554–562, Nr. 891, hier S. 560 (Aussage Hans Wolf, Druck). Münnerstadt gehörte je zur Hälfte dem Bischof von Würzburg und dem Grafen von Henneberg-Römhild. Ebd., S. 349, Nr. 465 f. (28. April 1525, Reg.) und spätere Belege. AGBM, Bd. I/1, S. 86, Nr. 120 (Druck). Zu seiner Bestätigung „im Ring“ am 10. Mai 1525: FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 376. LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 593, Bl. 2 (27. Mai 1525, AGBM, Bd. I/2, S. 524, Nr. 813, Reg.) Bundschuh über Wappenschild (gekreuzigter Christus). Abbildung: MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 10) S. 117. Am 17. April 1525 (AGBM, Bd. I/1, S. 86, Nr. 120, Druck) führte er ein „Daumensekret“ (einen am Daumen getragenen Siegelring), den auch Hans Schar mitbenutzte. AGBM, Bd. I/2, S. 550, Nr. 885 u. S. 550 f., Nr. 887 (Reg.). Aussage vom 10. Juni: ebd., S. 552–554, Nr. 890 (Druck). FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 2 (wie Anm. 8), S. 220. AGBM, Bd. I/2, S. 384 f., Nr. 535 (Druck) nennt als Datum den 24. Juni 1525. AGBM, Bd. I/2, S. 554–562, Nr. 891, hier S. 555 und ebd., S. 567, Nr. 906 (Drucke). Burglauer gehörte zum Amt Münnerstadt. AGBM, Bd. I/1, S. 86, Nr. 120 (Druck); vgl. auch die Belege zu Schnabel. AGBM, Bd. I/2, S. 545, Nr. 871 (6. Juni 1525, Reg.). Seine Aussage ebd., S. 554–562, Nr. 891, hier S. 557 f. (Druck). FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 2 (wie Anm. 8), S. 220. Zu ihm hat sich nichts ermitteln lassen. Sein Beruf lässt aber vermuten, dass er zur örtlichen Oberschicht gehörte.

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Königshofen, der an den Verhandlungen mit Kurfürst Johann in Meiningen beteiligt war.75 Hans Schippel/Sippel war in Hildburghausen geboren und wohnte in Vacha.76 Er ist am 24. April als einer der Hauptleute des Werrahaufens belegt.77 Am 7. Mai verhandelte er in Meiningen mit dem Grafen Wilhelm von Henneberg.78 Sippel geriet in Eisenach in Gefangenschaft,79 wurde peinlich befragt und mit anderen Aufständischen am 11. Mai 1525 durch das Schwert hingerichtet.80 Aus der Sicht von Außenstehenden haben vielfach auch Adlige führende Rollen unter den Aufständischen gespielt.81 Daher ist zu prüfen, inwieweit sich für diese Vermutungen Belege in den Quellen finden. Noch wichtiger für die Betroffenen aber dürfte gewesen sein, wie der Graf von Henneberg ihre Anwesenheit im Lager der Bauern wertete. Am 21. Dezember 1525 legten Kaspar Marschalk, Heinz Rußwurm, Wolf Buttlar, Philipp Rußwurm, Bastian von Kranlucken und Philipp vom Stein, die „im haufen gewest und sein mosten“, beim Grafen Wilhelm Fürbitte für einen Wasunger Bürger ein, der sich gegen die beim Bauernhaufen befindlichen Adligen jederzeit korrekt verhalten habe.82 Eine solche Bitte konnten die Aussteller nur dann für aussichtsreich halten, wenn sie in der Tat gezwungen im Lager gewesen waren und daher weiter in der Gnade des Grafen standen. Beispielhaft sollen hier die Belege zu Philipp Rußwurm und Philipp vom Stein zu Barchfeld untersucht werden, von deren Einfluss unter den Bauern der Amtmann zu Kaltennordheim am 28. April dem Grafen berichtet hatte: „Lipts Rusworm und Lipts vom Stein seint auch im lager, soln auch gewaldig seig.“83 75 DERS., Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 419. 76 AGBM, Bd. I/2, S. 463–467, Nr. 693 (10. Mai 1525, Druck), seine Aussage S. 463 f. Vacha gehörte zum Stift Fulda, war aber in Teilen an den Landgrafen von Hessen verpfändet. 77 AGBM, Bd. I/1, S. 234, Nr. 305 (Druck). 78 AGBM, Bd. I/2, S. 442 f., Nr. 639 (Druck). 79 Ebd., S. 460, Nr. 682 (Druck, dort auch Angabe zur Herkunft aus Hildburghausen, das dem Kurfürsten von Sachsen gehörte). 80 Ebd., S. 384 f., Nr. 535 (Druck), hier S. 385 oben. 81 Das bekannteste Beispiel ist Götz von Berlichingen. Dazu KLEINEHAGENBROCK, Adel und Bauernkrieg (wie Anm. 41), S. 407–409. – Die Beteiligung des Götz und des Florian Geyer war im Mai 1525 auch dem Amtmann zu Maßfeld bekannt: AGBM, Bd. I/2, S. 505, Nr. 773 (Druck). Im August 1525 rechtfertigte sich Götz beim Grafen von Henneberg wegen seiner Beteiligung am Bauernkrieg: LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 689, Bl. 1 f., nicht in AGBM. 82 AGBM, Bd. I/2, S. 645, Nr. 1037 (Reg.). 83 Ebd., S. 350–353, Nr. 469 (Druck), Zitat S. 352. Der Amtmann nannte auch weitere, bei den Bauern befindliche Adlige.

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Philipp Rußwurm zu Grumbach84 war am 10. April mit anderen vom Grafen zur Stellung von Reitern aufgefordert worden.85 Am 24. April und erneut am 26. April berichtete er dem Amtmann zu Maßfeld von der Stärke der Bauern und deren Handlungen; er befand sich offenbar im Lager der Aufständischen und war dort im Sinne des Grafen tätig.86 Am gleichen Tag erhielt er für einen Auftrag Geleit der Bauern.87 Am 27. April nahm er mit dem Rentmeister zu Schmalkalden eine Zusicherung der Bauern gegenüber dem Grafen entgegen.88 Am 28. April riet er dem Grafen zu gütlicher Unterhandlung mit den Bauern; dabei berief er sich auf eine mit diesem getroffene Absprache, nach der er sich zum Bauernhaufen begeben sollte.89 Deshalb verwundert es nicht, dass er sich am 30. Juli und, wie oben berichtet, am 21. Dezember erneut für Aufständische beim Grafen verwenden konnte.90 Gleiches galt wohl auch für Philipp vom Stein zu Barchfeld,91 der am 3. April 1525 vom Grafen um Stellung von Reitern ersucht worden war92 und der sich am 25. April mit anderen Adligen zum gegenseitigen Schutz verbündet hatte.93 Am 28. April berichtete die Stadt Münnerstadt dem Bildhäuser Haufen, Philipp vom Stein habe sich eine Zeitlang bei ihnen aufgehalten („nit gefangen“) und befinde sich jetzt bei den Bauern zu Rottershausen.94 Auch er gehörte am 21. Dezember 1525 zu den Ausstellern der erwähnten, an den Grafen gerichteten Fürbitte für einen Mann aus Wasungen.

84 Philipp, der auf dem Hof Grumbach unmittelbar nördlich von Breitungen saß, war im Dezember 1490 mit seinen Brüdern vom Grafen belehnt worden (LATh-StA Meiningen, Urk.-Nachträge, Nr. 1352); er lebte noch im September 1539 (LATh-StA Meiningen, GHA VII, Nr. 476, Bl. 30 f.). 85 AGBM, Bd. I/1, S. 20 f., Nr. 33 (Reg.). 86 Ebd., S. 228, Nr. 299; S. 228 f., Nr. 301 (24. April 1525) u. S. 296–298, Nr. 391 (26. April 1525, Drucke). 87 Ebd., S. 298, Nr. 392 (Druck). 88 Ebd., S. 326 f., Nr. 434 (Druck). 89 AGBM, Bd. I/2, S. 349, Nr. 467 (Druck): „uf di aberede, so ich mit E. F. G. gehabet, daß ich ein armer betretter man bin und mich zu diesem haffen der vorsamelung habe mißen tun, …“. 90 Ebd., S. 610, Nr. 987 (Reg.). 91 Die Brüder und Vettern Hans, Heinrich und Philipp vom Stein hatten im Mai 1517 von Graf Wilhelm umfangreiche Lehen erhalten, darunter auch ein Viertel der Burg zu Barchfeld: LATh-StA Meiningen, Hennebergica aus Gotha, Urk., Nr. 754. 92 AGBM, Bd. I/1, S. 6, Nr. 9 (Reg.). 93 Ebd., S. 268, Nr. 350 (Druck). 94 AGBM, Bd. I/2, S. 339, Nr. 449 (Druck).

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Anders war die Haltung des Grafen gegenüber Wilhelm Marschalk,95 mit dem es am 6. Juni 1525 (also nach der Kapitulation) in Meiningen zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen war. Möglicherweise ging es um die Gespräche, die Marschalk im April 1525 in Bildhausen mit den Aufständischen geführt hatte.96 Der Zorn des Grafen, der den Anschluss Marschalks an die Bauern für freiwillig hielt, war auch im August 1530 noch nicht verraucht.97 Die folgenden Männer bürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft, die ebenfalls führende Rollen unter den Aufständischen innehatten, waren in der Grafschaft Henneberg oder im Werratal ansässig: Im Dorf Bibra im Grabfeld, das der gleichnamigen Niederadelsfamilie gehörte, lebte als Kirchner Hans Hut, der aus dem nahe gelegenen Haina (bei Römhild) stammte.98 Tätig war er an der Pfarrkirche St. Leo, deren Grundstein im Jahr 1492 von den Angehörigen derer von Bibra, darunter dem späteren Würzburger Bischof Lorenz (im Amt 1495–1519) gelegt worden war.99 Hut, der auch als Buchträger (reisender Buchhändler) tätig war, lernte dabei 1522 Thomas Müntzer kennen, den er 1524 nach dessen Flucht aus Mühlhausen aufnahm. Da Hut die Taufe eines Kindes verweigerte, musste er Bibra verlassen. Er begab sich zu Müntzer, in dessen Umgebung er am 15. Mai 1525 an der Schlacht bei Frankenhausen teilnahm.100 Später floh Hut nach Augsburg, wo er verhaftet wurde und 1527 beim Brand des Gefängnisses umkam. 95

Aus der in Marisfeld ansässigen Linie der Marschalk von Ostheim lebten zu diesem Zeitpunkt zwei Träger des Namens Wilhelm. Graf Hermann von Henneberg-Römhild hatte Wilhelm den Jüngeren im Januar 1517 mit einem Hof zu Marisfeld belehnt; diesen hat er im Januar 1526 an die Witwe seines Vetters verkauft: Johannes MÖTSCH, Regesten der Grafen von Henneberg-Römhild, 2 Bde. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, 13), Köln/Weimar/Wien 2006, hier Nr. 2470 f. (1517) und 2520 (1520). Im Februar 1544 wird ein W. Marschalk der Ältere als verstorben erwähnt: ebd., Nr. 2978. 96 AGBM, Bd. I/1, S. 154 f., Nr. 206 (21. April 1525, Druck; Bericht des Georg von Bibra an den Grafen). 97 AGBM, Bd. I/2, S. 669 f., Nr. 1078 (Druck). 98 Gottfried SEEBAß, Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 73), Gütersloh 2002; Grete MECENSEFFY, Hut, Hans, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 10, Berlin 1974, S. 91. 99 Werner WAGENHÖFER, Die Bibra. Studien und Materialien zur Genealogie und zur Besitzgeschichte einer fränkischen Niederadelsfamilie im Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, IX, 45), Neustadt a. d. Aisch 1998, zur Grundsteinlegung S. 155 f. 100 Seine am 26. November 1527 in Augsburg erfolgte Aussage zur Schlacht: AGBM, Bd. II, S. 897 f., Nr. 2102 (Druck). – Zu Huts „Missionsbüchlein“, das als Beweisstück zu den Akten genommen worden war, vgl. Ritter, Bauern, Lutheraner. Katalog zur

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Hut gehörte nicht zu den Führungspersönlichkeiten des Aufstandes. Als Begründer eines Zweiges der Täuferbewegung hatte er jedoch von allen Beteiligten aus der Region die stärkste und längste Wirkungsgeschichte.101 Am 25. April berichtete der hennebergische Amtmann von der Erregung in Ilmenau, die durch Abgesandte des Bauernhaufens aus Königsee (Grafschaft Schwarzburg) ausgelöst worden war.102 Am nächsten Tag sammelten sich Einwohner in Harnisch und Wehr auf dem Markt. Der Richter Hans Buchs, den sie zum Mitziehen auffordern, floh in das Rathaus.103 Am 20. Mai berichtete Buchs den gräflichen Räten in Schleusingen, der Graf von Schwarzburg habe den Aufstand niedergeschlagen. Die Stadt Ilmenau bitte den Grafen, wieder ein gnädiger Herr zu sein. Vorwürfe wurden erhoben gegen Jorg Volrott, Schmidt genannt, Mattes Fluck, Heintz Schuster gen. Gerngroß und Walmar Glaßer. Diese seien aus Ilmenau geflohen, möglicherweise in Hildburghausen bei Hans Bader, und wollten zum Bildhäuser Haufen ziehen.104 Nach Ausweis einer Urfehde vom 12. Mai 1526 waren einige dieser Leute hingerichtet worden, andere konnten an ihre Wohnorte zurückkehren.105 Zu folgenden Aufständischen haben sich Einzelheiten zur Person und zu ihrer Rolle im Aufstand ermitteln lassen:106 Jörg Folrath/Volhart, von Beruf Schmied, war ein „Anheber“ des Aufruhrs in der Stadt und „ist auch einer der gewaltigen gewest“. Er war später in Meiningen gegen die Herrschaft aktiv und hatte in Dietzhausen (bei Suhl) einen Totschlag begangen. Nach eigener Aussage hatte er sich, nachdem er durch Leute aus Langewiesen in der Grafschaft Schwarzburg von den dortigen Unruhen erfahren hatte, zunächst mit dem Pfarrer, Heinz Schuster, Fluck und Walmer beraten.107 Vier Tage später war er nach Haßfurt, dann mit den Bauern nach Mellrichstadt und auf Anregung des Hauptmann Schnabel von dort nach

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Bayerischen Landesausstellung 2017 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 66), Augsburg 2017, S. 282, Nr. 5.34. Zu Anhängern aus Meiningen: AGBM, Bd. I/2, S. 668, Anm. 1 zu Nr. 1074. – Klaus Bader aus Themar, der wegen Ermordung eines Adligen im Bauernkrieg 1529 hingerichtet wurde, wurde im Verhör auch zu seinen Beziehungen zu Hans Hut befragt: LATh-StA Meiningen, GHA VI, Nr. 671, Bl. 91 f. u. 123–131. AGBM, Bd. I/1, S. 277 f., Nr. 363 (Druck). Ebd., S. 291 f., Nr. 382 (Druck). AGBM, Bd. I/2, S. 499 f., Nr. 762 (Druck). Ebd., S. 659 f., Nr. 1060 (Druck). Die Aufstellung orientiert sich in der Reihenfolge an der Liste der ausgetretenen Männer, die auch Angaben zu den Personen enthält: ebd., S. 610–612, Nr. 989 (Druck); die Mehrzahl der Namen findet sich bereits im Brief des Richters Hans Buchs vom 20. Mai 1525: ebd., S. 499 f., Nr. 762 (Druck). Ebd., S. 612 f., Nr. 990 (wohl Juli 1525, Druck).

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Meiningen gezogen. Bei Dreißigacker hatte man sich in eine Wagenburg zurückgezogen und war beschossen worden. Am Abend war man in die Stadt (Meiningen) ausgewichen. Am 26. September 1525 bat Folrath/Volhart den Grafen um Erlaubnis zur Rückkehr.108 Walmar/Wolmar Glaßer, ein Hausgenosse (also kein Bürger), der aus Gehren nach Ilmenau gekommen war, zählte ebenfalls zu den „Anhebern“. Nach Angabe des Richters war er „ein feist man und ein kremer“, seine Frau war aus Schleusingen gebürtig.109 Er hatte im Aufruhr das Amt des Profoss inne, war also für die Sicherheit im Lager zuständig. Am 24. Mai sagten Bürger aus Stadtilm aus, die von Ilmenau hätten den größten Schaden und Raub zu Griesheim im Hof des Kurt von Griesheim angerichtet;110 dies sei auf Befehl des Profoss geschehen.111 Bei der Verteilung der erbeuteten Pferde des Abtes von Paulinzella hatte er zu den Begünstigten gehört.112 Für ihn verwendete sich im Juli 1525 Fürst Wolfgang von Anhalt beim Grafen von Henneberg.113 Jakob Pleistein, ein Schuster, hat „auch gewaltig sein wollen“. Er versuchte gemeinsam mit seinem Schwiegersohn, den Richter Hans Buchs aus dem Rathaus zu werfen. Seiner Urfehde vom 12. Mai ist Folgendes zu entnehmen: der Graf hatte denen, die auszogen, die Ausweisung und den Verlust der Güter angedroht. Mit dem Richter Hans Buchs war es zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen, weil dieser Briefe der Aufrührer, die zur Teilnahme aufforderten, unterschlagen hatte. Der hingerichtete Jakob Schenck mit Anhang wollte den Richter vom Rathaus herabwerfen; Pleistein hatte dieses zusammen mit Hans Bauer aber verhindert. Die Leute aus (dem zum Amt gehörigen Dorf) Pörlitz hatten geschrien „Auf, auf auf“. Daraufhin seien alle nach Stadtilm und von dort nach Arnstadt gezogen. Dann sei man nach Ilmenau zurückgekehrt und habe „unser regiment“ aufgerichtet. Als er hörte, was in Franken und in Mühlhausen geschehen war, sei er mit Frau und Kind ausgetreten. Später habe er um Geleit gebeten und dieses auch erhalten. Er sollte sein Gut verkaufen und wie andere Bürger drei Gulden Strafe zahlen. Pleistein versprach, sich der Herr108 Ebd., S. 613, Anm. zu Nr. 990. 109 Ebd., S. 499 f., Nr. 762 (Druck). 110 Am 3. Juli 1520 hatten die Brüder Konrad (Curt) und Georg (Jorg) von Griesheim vom Grafen Wilhelm ihre hennebergischen Lehen empfangen, darunter die Kirchenpatronate in Großliebringen, Heilsberg, Oberilm, Griesheim und Neuroda mit zugehörigen Kapellen (LATh-StA Meiningen, Hennebergica aus Gotha, Urk., Nr. 239). Die Pfarrerwahl gehörte zu den wichtigsten Forderungen der Aufständischen in der Grafschaft Schwarzburg. Die von Griesheim könnten sich deren Zorn durchaus (auch) als „Verantwortliche“ für die Auswahl der 1525 tätigen Geistlichen zugezogen haben. 111 AGBM, Bd. II, S. 368–371, Nr. 1564 (Druck), hier S. 371. 112 Ebd., S. 356–358, Nr. 1550 (Druck), hier S. 357 (Aussage Hans Helle, 22. Mai 1525). 113 LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 640, Bl. 8 f., nicht in AGBM.

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schaft nicht auf 10 Meilen zu nähern.114 Am 19. November 1526 wurde er wieder nach Ilmenau gelassen, weil er mit seinem Handwerk dem Flecken dienlich sei.115 Hans Bauer/Pauer gehörte ebenfalls zu den Männern, die Ilmenau verließen und nach Stadtilm zogen. Dort hatte er sich zum Hauptmann wählen lassen. Er war mit dem Haufen nach Arnstadt gegangen, hatte dann aber dahin gewirkt, dass man wieder abgezogen war und dem Herrn von Griesheim einen Teil seiner Habe zurückerstattet hatte. Danach war er nach Ilmenau zurückgekommen und hatte sich „der hern und des adels arme leute forder zu regiren unterstanden“. Mit einem in Paulinzella geraubten Pferd hatte er sich außer Landes begeben, wo er sich noch befand.116 Anfang Mai hatte er als Hauptmann des Arnstädter Haufens Briefe an andere Aufständische gerichtet.117 Die Feststellung, dass er bei der Verteilung der Pferde des Abtes eines erhalten hatte, geht auf eine Aussage des Hans Helle zum Aufstand in Stadtilm zurück.118 Jakob Scherff,119 den man am 22. Mai wegen seiner Rolle beim Aufstand in Stadtilm verhörte, gab an, er sei neben Hans Bauer zum Obersten verordnet worden. Graf Wilhelm habe denen von Ilmenau nicht halten wollen, was verschrieben war, daher hätten sie um Hilfe gebeten. Dafür, dass etliche Männer aus Ilmenau sich zu den fränkischen Bauern begeben hätten, sei Hans Bauer verantwortlich gewesen.120 Andere Bürger aus Stadtilm bestätigten dessen führende Rolle.121 Dem dortigen Rat war bekannt, dass Bauer Misstrauen gegen die urkundlichen Zusagen des Grafen von Henneberg gesät hatte.122 Dem Rat zu Nürnberg wurde im Juli bekannt, dass Bauer, „der der paurn zu Ylmenaw haupman gewest“, sich in der Stadt befand. Er wurde aufgefordert, Nürnberg zu verlassen, sonst werde man „recht gegen im“ gestatten (also wohl eine Klage des Grafen von Henneberg verhandeln) müssen.123 Am 18. Januar 1526 bat er den Grafen Wilhelm um Erlaubnis zum Verkauf der Güter. Die erhielt er am 27. März 1526.124 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124

AGBM, Bd. I/2, S. 659 f., Nr. 1060 (Druck). Ebd., S. 660, Anm. 1 zu Nr. 1060. Ebd., S. 610–612, Nr. 989, hier S. 611 f. (Druck). AGBM, Bd. II, S. 179 f., Nr. 1286 u. 1287 (2. Mai 1525) sowie S. 188, Nr. 1300 (3. Mai 1525, Bitte um Schonung der Hütte vor Arnstadt, Drucke). Ebd., S. 356–358, Nr. 1550 (Druck), hier S. 357 (22. Mai 1525). Scherff wurde am 17. Juni 1525 durch den Scharfrichter aus Jena enthauptet: ebd., S. 688, Nr. 1895 (Rechnung Arnstadt, Auszug). Ebd., S. 358–362, Nr. 1551 (Druck), hier Punkte 3, 24, 25 u. 27. Ebd., S. 368–371, Nr. 1564 (24. Mai 1525, Druck), hier S. 370. Ebd., S. 465–469, Nr. 1651 (Druck), hier S. 467 (Bericht des Rates zu Stadtilm an Graf Günther von Schwarzburg). AGBM, Bd. I/2, S. 611, Anm. 1 zu Nr. 989. Ebd.

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Mattes Fluck gehörte neben dem Pfarrer sowie Schuster und Walmer zu den Leuten, mit denen sich Jörg Folrath beraten hatte. Weil er deswegen seine Erbgüter verloren hatte, wandte sich Fluck am 11. März 1526 an den Grafen. Zu seiner eigenen Rolle sagte er nichts. Seine Frau habe man zur Teilnahme am Fischen nötigen wollen („sind auch der zeit die weiber mit mistgabeln […] zu meinem weib kommen“). Er habe daher Strafgeld zahlen und seine Güter herausgeben müssen. Unter Verweis auf seine kranke Frau und zwei kranke Kinder bat er um Rückgabe seines Besitzes. Der Graf wies ihn an, sich gemäß seiner (nicht überlieferten) Urfehde zu verhalten.125 In der erwähnten Liste aus Ilmenau werden weitere Männer genannt, zu denen keine weiteren Nachrichten vorliegen: Heintz Schuster genannt Gerngroß, ein „Anheber“, Hausgenosse (also kein Bürger); Jakob Genß, Hammerschreiber, kein Bürger; Kuntz Buchenröder, Schlosser, einer der „vornemsten“; Andreas Fleyschhauer, wollte mit Schuster den Richter die Stiege herabwerfen, hat den verstorbenen Pfarrer dazu bringen wollen, mit dem Haufen zu ziehen; Nickel Fleyschhack, kein Bürger, war in Meiningen gegen die Herrschaft; Hans Seydenfaden, Schmied; Hans Kunigk genannt Reuther, hat Mutter und Geschwister in Ilmenau, war mit den Anhebern in Meiningen gegen die Herrschaft. Der Graf legte der Stadt Ilmenau schließlich eine Geldstrafe von 110 Gulden auf.126 Das große Dorf Jüchsen gehörte zum hennebergischen Amt Maßfeld.127 Am 20. April 1525 informierte der Rentmeister Johann Jeger seinen Herrn von den ersten Unruhen im Amt, die in Jüchsen ihren Ursprung hätten.128 Der Graf forderte daraufhin seine Untertanen in Jüchsen und weiteren Dörfern des Amtes auf, „todt und lebendig bei uns zu bleiben“, da der „itzige pauerisch ufrur […] on zweifel ein traurich ende nemen wirdet“.129 Am 24. April legte die Gemeinde dem Grafen eine Bittschrift vor, die sich nicht erhalten hat. Am 24. Mai musste der Amtmann zu Maßfeld dem Grafen berichten, dass sich unter den bei Sülzfeld (nahe Meiningen) lagernden Bauern auch Leute aus Jüchsen befänden.130 Diese dürften von der Kapitulation in Meiningen am 5. Juni mit betroffen gewesen sein.

125 Ebd., S. 656, Nr. 1055 (Druck) mit Anm. 1. 126 LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230, Bl. 11. 127 Johannes MÖTSCH, Jüchsen im Bauernkrieg, in: Jahrbuch des HennebergischFränkischen Geschichtsvereins 23 (2008), S. 169–180. 128 AGBM, Bd. I/1, S. 138, Nr. 186, bestätigt durch ebd., S. 161–163, Nr. 214 (21. April 1525, Drucke). 129 Ebd., S. 167 f., Nr. 220 (um 21. April 1525, Druck). 130 AGBM, Bd. I/2, S. 513, Nr. 793 (Druck).

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Am 13. September 1525 ersuchten Schultheiß und Gemeinde zu Jüchsen den Grafen, ihre aus Unverstand geschehenen Handlungen zu verzeihen.131 Sie baten auch, den geflohenen und umherirrenden Hans Scholtes (einen Überbringer der erwähnten Bittschrift) wieder zu Weib und Kind zu lassen. Der hatte sich gegenüber seinen Nachbarn beklagt, dass ihm die Kleider vom Hals gefault seien und er aus Pfützen habe trinken müssen. Am 12. November 1526 schwor Scholtes dem Grafen Urfehde. Er erhielt bis Kathedra Petri (22. Febr. 1527) Geleit, um seine Güter in der Herrschaft zu verkaufen und daraus seine Schulden gegenüber dem Grafen zu bezahlen. Danach sollte er mit Frau und Kindern wegziehen. Dafür stellte er mehrere Verwandte aus Jüchsen als Bürgen.132 Am 23. Dezember 1525 baten Schultheiß und Gemeinde den Grafen, die vom Amtmann von jedem Einwohner, arm oder reich, geforderte Strafsumme von neun Gulden zu reduzieren.133 Am 24. Dezember berichtete der Amtmann zu Maßfeld seinem Herrn von einer Warnung des würzburgischen Amtmanns zu Meiningen, im nahen Queienfeld seien Verdächtige aufgetaucht, „di im land umbzihen und gern neue aufrur machen wulten“. Er habe daher befohlen, diese Leute in Jüchsen zu verhaften.134 Der Amtmann vermutete demnach, dass es vor allem in diesem Dorf Sympathisanten gab, bei denen die Leute Unterschlupf finden konnten. Das Amt Mainberg mit dem zwischen 1480 und 1500 von der Mutter des Grafen Wilhelm neu erbauten Schloss lag wenige Kilometer oberhalb von Schweinfurt am Main.135 Es wurde seit Juli 1518 von Johann Scheffer verwaltet,136 der – anders als die Mehrzahl der hennebergischen Amtleute – bürgerlicher Herkunft war. Graf Wilhelm hatte Scheffer am 3. April 1525 auf Bitten des Bischofs nach Würzburg geschickt.137 Am 12. Mai informierte der Graf den Bildhäuser Haufen, dass er seinen Amtmann zu Mainberg zu den Bauern nach Heidingsfeld entsandt habe.138 Scheffer hat in der Folgezeit wohl versucht, zwischen den Parteien zu verhandeln, um Schlimmeres zu verhindern. Nach der späteren Aussage 131 132 133 134 135

Ebd., S. 634, Nr. 1013 (Reg.). LATh-StA Meiningen, GHA Urkunden-Nachträge, Nr. 1917, nicht in AGBM. AGBM, Bd. I/2, S. 645, Nr. 1038 (Druck). Ebd., S. 646, Nr. 1040 (Reg.). Irmgard WENNER, Gräfin Margarete von Henneberg (1450–1509) und ihr Witwensitz Mainberg, in: Thomas HORLING/Uwe MÜLLER, Fürsten & Industrielle. Schloss Mainberg in acht Jahrhunderten (Veröffentlichungen des Historischen Vereins Schweinfurt, N. F. 8), Schweinfurt 2011, S. 33–43. 136 LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 411, Bl. 104 f. (Bestallung). 137 AGBM, Bd. I/1, S. 5, Nr. 7 (Reg.). 138 AGBM, Bd. I/2, S. 474 f., Nr. 707 (Druck).

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des Hauptmanns Hans Schnabel hat er den Bauern mit Rat und Tat zur Verfügung gestanden, die Interessen des Grafen aber stets zu wahren versucht.139 Männer aus den bei Schweinfurt gelegenen Dörfern Gochsheim und Sennfeld behaupteten später, die negative Haltung des Amtmanns habe sie den Aufständischen in die Arme getrieben.140 Nach Aussage eines Mannes aus Schweinfurt gelang es Scheffer, die Einnahme des Schlosses Mainberg zunächst zu verhindern. Dann aber hätten Aufständische unter Schnabel das Schloss geplündert und ausgebrannt141 (17. Mai).142 Zu den Zielen der Aufständischen gehörten auch die Urkunden im Gewölbe. Hans Eyssen aus Schonungen gestand im Mai 1526, etliche aus dem Gewölbe herausgeworfene Urkunden mit dem Handbeil zerhauen zu haben.143 Andererseits hatte Eyssen verhindert, dass Urkunden verschleppt wurden; die Bauern hatten sich diese durch einen Mann aus Schweinfurt vorlesen lassen.144 Ein Mann aus Sennfeld sagte später aus, Martin Rigler habe das Gewölbe aufgebrochen und die Bauern zur Suche aufgefordert, die hätten die Urkunden aus der Truhe ins Gewölbe geworfen. Danach habe Rigler die Bauern hinausgejagt.145 Zumindest eine Urkunde wurde aber nach Gochsheim verschleppt.146 Schultheiß, Bauermeister und Gemeinden der beiden Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld, die dem Grafen als Reichsvogt unterstanden, entschuldigten sich im Juni 1525 in aller Form für ihre Handlungen während des Bauernkriegs.147

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Ebd., S. 552–554, Nr. 890 (Druck), hier S. 553 unten. Ebd., S. 598, Nr. 959 (Druck). Ebd., S. 596, Nr. 956 (Reg.). Thomas HORLING/Uwe MÜLLER/Erich SCHNEIDER, Schweinfurt. Kleine Stadtgeschichte, Regensburg 2014, S. 25. – AGBM, Bd. I/2, S. 486, Nr. 727 (14. Mai 1525) u. S. 499, Nr. 761 (20. Mai 1525, Drucke): Berichte von der Einnahme des Schlosses. Ebd., S. 519, Nr. 807 (26. Mai 1525, Nachricht von der Zerstörung, Reg.). Im Bericht an den Herzog von Preußen vom 2. Februar 1526 bezeichnete Graf Wilhelm Mainberg als „unser bestes haus“. Ebd., S. 651–654, Nr. 1049, Druck, hier S. 652. LATh-StA Meiningen, GHA Urkunden-Nachträge, Nr. 1910. Nicht in AGBM. AGBM, Bd. I/2, S. 663, Nr. 1066 (Aussage mit falschem Datum 1526, richtig ist der 27. Dezember 1525, Druck). Ebd., S. 597, Nr. 957 (Druck) mit der Aussage des Landknechts von Gochsheim, er habe geredet „hett ich den graffen, wolt ich im den kopf selber abschlagen“. Das gleiche Zitat LATh-StA Meiningen, Hennebergica aus Magdeburg, Akte Nr. 55, Bl. 1v. Notiz auf LATh-StA Meiningen, GHA Urkunde, Nr. 113 (Zusage des Herzogs Ludwig von Bayern für den Fall der Wahl zum König, 20. September 1314), Druck: Hennebergisches Urkundenbuch, Bd. 1, bearb. von Karl SCHÖPPACH, Meiningen 1842, S. 57, Anm. zu Nr. CV: „Von diesem brieve haben die baurrn im baurnkriegk das siegel geriessenn, ist der brief hernach in der spinnstuben zu Jochsheim fünden worden.“ AGBM, Bd. I/2, S. 598, Nr. 959 (Druck).

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Der Graf hat das Verhalten seines Amtmanns offenbar als Verrat angesehen. Am 24. Juli 1525 bat Scheffers Ehefrau den Grafen, den sie an die Dienste ihres Mannes erinnerte, um Geleit für ihren Ehemann nach Schweinfurt, wo er sich verantworten wollte.148 Jörg Weiß aus Sennfeld war führend an der Plünderung und dem Brand des Schlosses Mainberg beteiligt gewesen. Zu seinen Gunsten wandten sich im August 1525 nahe Verwandte, die unter anderem in Mansfeld, Klostermansfeld und Großörner (bei Mansfeld) ansässig waren, an den Grafen Albrecht von Mansfeld, der in ihrem Sinne bei Graf Wilhelm tätig wurde. Der Graf von Henneberg antwortete mit der Bitte um Verhaftung des Weiß. Graf Gebhard von Mansfeld erreichte schließlich, dass sich der österreichische Adlige Simon Geyer von Osterburg, Rat des Erzherzogs Ferdinand (April 1526), und Herzog Johann Friedrich von Sachsen (Januar 1527) bei Graf Wilhelm für Weiß verwendeten. Der Graf bestand auf einem rechtlichen Austrag.149 Obwohl ihm Fahrhabe und Vieh durch die Aufständischen genommen worden waren, besaß Jörg Weiß im Oktober 1526 noch Güter im Wert von 400 Gulden.150 Dass er ein wohlhabender, gut vernetzter Mann war, zeigen nicht zuletzt die Bittschriften, die zu seinen Gunsten eingereicht wurden. Am 23. Februar 1527 schwor er dem Grafen von Henneberg Urfehde und übereignete anstelle von 100 Gulden Strafgeld zwei Weinberge in der Sennfelder Mark. Die übrige Habe dürfte er verkaufen, die Grafschaft hatte er zu verlassen.151 Während des Aufstandes war in Unsleben (bei Neustadt an der Saale) der Adlige Dietz Forstmeister ermordet worden,152 der von 1509 bis 1517 Amt148 Ebd., S. 607, Nr. 979 (Reg.). 149 Ebd., S. 605, Anm. 1 zu Nr. 1071, der Ortsname Großörner dort falsch gelesen. Einschlägig LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 686 (Suppliken der Adligen) u. Nr. 727 (Suppliken der Ehefrau und der Verwandten). In der Antwort an Simon Geyer bezeichnete Graf Wilhelm den Jörg Weiß als „brennmeister“ in Mainberg (LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 686, Bl. 3). 150 AGBM, Bd. I/2, S. 605, Anm. 1, mit falschem Datum Januar 1527. Festgestellt hatte das Mathes Götz, hennebergischer Vogt zu Schweinfurt. 151 Ebd., S. 665, Nr. 1071 (Reg.). Unter den Hausgenossen zu Sennfeld (LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 757, Bl. 4 f.) findet sich sein Name nicht, wohl der seines Bruders Hans Weiß. In der Rechnung des Rentmeisters zu den gezahlten Brandschatzungen findet sich der Vermerk, die von Sennfeld hätten 295 Gulden gezahlt, der Rest von fünf Gulden sollte aus dem Gut des Jörg Weiß bestritten werden, das der Graf zu seinen Händen genommen habe (LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230, Bl. 7v). 152 In einem Bericht an den Bischof von Würzburg vom 17. April wird er noch als lebend erwähnt: AGBM, Bd. I/1, S. 77–79, Nr. 108 (Druck). Am 13. Juni wurde Hans Schnabel nach den Umständen seiner Ermordung befragt: AGBM, Bd. I/2, S. 567, Nr. 906 (Druck). Am 6. Juli benannten zwei Männer aus Unsleben die Täter (ebd., S. 599 f., Nr. 962, Druck), darunter den „bader“. Klaus Bader aus Themar wurde deswegen 1529

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mann zu Mainberg gewesen war.153 Dazu könnte seine Amtsführung Anlass gegeben haben; konkrete Hinweise dafür finden sich allerdings nicht. Da die Untertanen seiner Amtsdörfer sich an der Plünderung und Zerstörung des Schlosses beteiligt hatten, legte ihnen der Graf später Geldstrafen auf: jede Herdstatt in diesen Dörfern hatte einen Gulden zu zahlen; den Dörfern, die „die furnemsten der ufrur am ampt gewest“ (Schonungen, Forst, Greßhausen, Waldsachsen, Abersfeld, Rednershof, Marktsteinach, Löffelsterz, Reichmannshausen, Ebertshausen, Ballingshausen und Stündingshausen), wurden zusätzliche Zahlungen auferlegt.154 Auch die Stadt Schweinfurt hatte zum Wiederaufbau des Schlosses beizutragen.155 Von der Kapitulation der Stadt Meiningen am 5. Juni ist bereits die Rede gewesen. Die 3000 Bauern erfuhren die Gnade des Kurfürsten und zogen ab. Der Hauptmann Hans Schnabel wurde an den Grafen von Henneberg ausgeliefert, Geschütze und Pferde waren zurückzulassen.156 Verhandelt hatten der Schultheiß und ein Geistlicher,157 der „Kanzler“ der Aufständischen war (wohl Michael Schrimpf, Pfarrer zu Wermerichshausen).158 Am 30. Juni kam Konrad II. von Thüngen, Bischof von Würzburg, nach Meiningen. Die Stadt verpflichtete sich am 1. Juli zur Zahlung von 3000 Gulden (jeder Bürger ein Drittel des Vermögens).159 Nach der erneuten Huldigung am 1. Juli wurden auf dem Markt folgende Aufständische hingerichtet: Hanns Sess, Claus Fleming, Michel Kellerman, Philips Pfennfer, Petter Marolt, Hans Rothemel, Georg Munck, Petter Brachvogel,

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hingerichtet; im Verhör wurde er auch wegen seiner Beziehungen zu Hans Hut befragt: LATh-StA Meiningen, GHA VI, Nr. 671, Bl. 91 f. u. 123–131. Erstbeleg April 1509: LATh-StA Meiningen, GHA Urkunden-Nachträge, Nr. 1678; Endquittung November 1517: LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 411, Bl. 80. AGBM, Bd. I/2, S. 658 f., Nr. 1059 (März 1526, Reg.). Ebd., S. 569, Anm. 1 zu Nr. 911 (April 1527: 1566 Gulden waren bezahlt, 3000 standen noch aus). Daneben waren 5000 Gulden an das Reich fällig: Wolfgang WÜST, Bauernkrieg und fränkische Reichsstädte – Krisenmanagement in Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber und Schweinfurt, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 181–200, zu Schweinfurt S. 193–195. AGBM, Bd. I/2, S. 550 f., Nr. 887 (9. Juni 1525, Reg.; Kurfürst Johann an Herzog Georg von Sachsen). – Vgl. dazu HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 268. Schultheiß des Bildhäuser Haufens war damals Johann Martel, Stadtschreiber zu Königshofen (s. oben Anm. 61). Johann Sebastian GÜTH, Poligraphia Meiningensis, Gotha 1676 (VD17 39:122563P), S. 215 (Unterhändler). – Zu Schrimpf und seiner Rolle vgl. ABGM, Bd. I.2, S. 552–554, Nr. 890 (10. Juni 1525, Aussage Hans Schnabel). AGBM, Bd. I/2, S. 576 f., Nr. 932 (Strafverschreibung der würzburgischen Ämter und Städte, Reg.) mit Anm. 3 auf S. 577.

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Ditz Eckstain, Mychel Diemar, Hans Wirt, Georg Schnartz, N. Pfannenschmidt von Nürnberg, Georg Fritz von Vachdorf.160 Der Stadtchronist Güth, der nicht immer zuverlässig ist, bietet zu einigen Namen zusätzliche Erläuterungen und erwähnt, dass folgende Männer aufgefordert wurden, sich zu stellen: Hans Knauff und Wolff Beier wurden losgebeten und nicht eingelegt. Hanß Strohschneider, Hans Dett, Linhard Schnartz, Hanß Vach und Wilhelm Berth kamen gebunden ins Gefängnis, dazu Michel Diemer und Peter Brachvogel, Bürger, sowie drei Fremde. Hans Wirth und Jörg Schnartz, die man im Burghof fand, wurden vom Henker auf den Markt geführt und enthauptet. Aus dem Turm der Burg wurden herausgenommen: Hans Sehest, Claus Flemming, Hans Rothhemmel, Peter Marolt, Hans Kellermann, Philipp Pfeiffer und Jörg Munck, alle Bürger, dazu Jörg Fritz aus Vachdorf. Sie wurden auf den Markt geführt und geköpft. Fünf weitere Hinrichtungen wurden befohlen: Der Pfaffe hiesigen Orts, Michel Kellermann der Alte und Ditz Eckstein lagen in einem Türmlein und wurden hingerichtet, der alte Kellermann flehte den Grafen Wilhelm flehentlich an. Die übrigen zwei wurden vergessen.161 Auf den Geistlichen Michael Kellermann dürfte eine Vereinbarung zwischen Rat und Gemeinde zurückgehen, die der bischöfliche Sekretär Lorenz Fries beim Einzug in Meiningen vorgefunden hatte. Darin wurde unter anderem vereinbart, gemeinsam einen Pfarrer einzusetzen, der das „ewangelium rain, lautter und clar predigen“ solle.162 Vorwürfe waren unter anderem gegen den Bürgermeister Klaus Schilling und dessen Schwager Philipp Reinhart erhoben worden. Schilling war zeitweise Hauptmann der im Lager bei Mellrichstadt befindlichen Bauern gewesen.163 Seinen Namen hatte auch Hans Schnabel im Verhör genannt.164 Reinhart wandte sich am 18. September 1525 an Kurfürst Johann mit der Bitte um sicheres Geleit oder die Erlaubnis, seine Güter zu verkaufen.165 Der Kurfürst bat seinerseits den Grafen Wilhelm, beim Bischof von Würzburg für Schilling einzutreten, der sich an ihn gewandt hatte. Der Graf antwortete, dass frühere Versuche dieser Art vom Bischof sämtlich abgeschlagen worden seien.166 160 FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 2 (wie Anm. 8), S. 199–202, die Namen S. 208. 161 GÜTH, Poligraphia Meiningensis (wie Anm. 158), S. 218–222. Zu diesen Personen hat sich in den Akten nichts ermitteln lassen. 162 FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 2 (wie Anm. 8), S. 199 (Zitat). 163 AGBM, Bd. I/2, S. 485, Nr. 724 (14. Mai 1525, Reg.); FRIES, Geschichte des BauernKrieges, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 382 f. u. 410. 164 AGBM, Bd. I/2, S. 552–554, Nr. 890, hier S. 552 (10. Juni 1525, Druck). 165 Ebd., S. 635 f., Nr. 1016 (Druck). 166 Ebd., S. 636, Anm. 1 zu Nr. 1016.

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Mehrere Meininger Bürger lebten nach dem Ende des Aufruhrs in Vacha und bemühten sich von dort um Rückgabe ihrer Meininger Güter. Der Amtmann zu Meiningen fertigte daher 1527 ein Gutachten zu ihrer Beteiligung an.167 Der Bischof verlangte jedoch von den vormaligen Bürgern, sich in Meiningen auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die von den Betroffenen betriebenen Klagen zogen sich bis in die 1530er Jahre hin.168 Zu diesen Männern gehörten auch Heinz und Andreas Cordes, möglicherweise Verwandte der unten noch zu behandelnden Brüder Cordes aus Themar. Andreas wurde bezichtigt, Anhänger des Hans Hut, also Wiedertäufer, gewesen zu sein.169 Der aus Vacha herangezogene Werrahaufen zog am 24. April vor die Stadt Salzungen, die sich den Bauern ergab.170 Je ein Mann aus dem Rat (Peter Volckart) und der Gemeinde (Jakob Schwartz) hatten mit den Aufständischen verhandelt. Schwartz, ein Handwerker, war 1509 vom Grafen Hermann von Henneberg, dem die Stadt gemeinsam mit dem Kurfürsten von Sachsen gehörte, zum Schultheißen ernannt, dann aber auf Ersuchen des Rates wieder abgesetzt worden, weil er elf Jahre zuvor eine Dirne aus einem öffentlichen Haus geheiratet hatte.171 Graf Hermann hatte demnach zu diesem Zeitpunkt Vertrauen in Schwartz und seine Fähigkeiten. Er dürfte ein gewisses Ansehen gehabt haben, auch wenn er nicht den führenden Familien angehörte, aus deren Angehörigen sich der Rat zusammensetzte. Gemäß Aussage der beiden Männer vom 28. August war die Entsendung im Frühjahr 1525 gegen ihren Willen erfolgt. Nach wenigen Tagen seien sie heimgezogen. Allerdings habe man sie verhaftet, weil sie den Aufständischen Getreide abgekauft hatten.172 Laut Aussagen von Gefangenen aus Salzungen, die am 11. Mai in Eisenach gemacht wurden, hatte der Bürgermeister Peter Volckart sie unter Berufung auf ihren dem Rat geleisteten Eid gezwungen, den Bauern zuzuziehen.173 Graf Wilhelm forderte im Juni von Schwartz die Rückgabe von Sachen, die aus den Klöstern in Breitungen weggeführt worden waren.174 Graf Hermann warf den beiden Männern im Juli vor, sie seien Hauptleute gewesen, hätten das Kloster Rohr und die Kirche in Christes geplündert, Priester und

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Ebd., S. 667 f., Nr. 1074 (Druck). Ebd., S. 668, Anm. 1 zu Nr. 1074. Ebd. AGBM, Bd. II, S. 99, Nr. 1198 (24. April 1525, Druck; Bericht des Amtmanns auf der Wartburg an Herzog Johann). AGBM, Bd. I/2, S. 626, Anm. 1. Ebd., S. 626, Nr. 1006 (Druck). Ebd., S. 463–467, Nr. 693 (Druck), hier S. 465 oben. Ebd., S. 626, Anm. 2.

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Juden in Schwarza, Rohr, Christes und andernorts geschätzt.175 Beide wehrten sich gegen diese Vorwürfe und baten den Kurfürsten um Freilassung. Der lehnte Anfang September – wohl in Kenntnis der Aussagen des Grafen Hermann – ab.176 Die Sache zog sich über Jahre hin. Im Juli 1526 zitierte Graf Hermann Volckart und Schwartz vergeblich vor seine Räte in Römhild. Beide – inzwischen offenbar in Freiheit – wiesen die erhobenen Beschuldigungen zurück. Der hennebergische Amtmann berichtete am 4. September dem Grafen, seine Ermittlungen hätten zu keinem Ergebnis geführt.177 Im Juni 1527 warf der Graf dem Kurfürsten vor, durch seine Untätigkeit entgingen Volckart und Schwartz der Bestrafung.178 Graf Wilhelm, der sich im Herbst 1525 für die Männer eingesetzt hatte,179 informierte den Kurfürsten im Oktober 1529, Volckart und Schwartz hätten, als der oberste Hauptmann der Bauern nach Eisenach gezogen sei, die Klöster in Breitungen sowie die geistlichen Güter in Schmalkalden geplündert und die Beute verkauft. Volckart habe mit anderen in Meiningen Rat gehalten, als man den Grafen zwingen wollte, ihnen 4000 Gulden sowie Geschütz und Pulver zu geben. Er sei dafür mit seinen Mithauptleuten gestraft worden.180 Noch im Herbst 1531 setzte der Kurfürst den beiden Männern Termine, da Christoph Fuchs zu Wallenburg ihnen vorwarf, Urheber der Verbrennung des Schlosses Wallenburg (Auwallenburg bei Schmalkalden) gewesen zu sein.181 Vom Fortgang der Sache ist nichts bekannt. Man wird aber feststellen können, dass Volckart und Schwartz nicht – wie andere Hauptleute – hingerichtet worden sind. Graf Hermann legte dem Rat und den Amtsverwandten zu Salzungen eine Geldstrafe auf, die sie nach Ansicht des kursächsischen Amtmanns nicht bezahlen konnten.182 Kurfürst Johann hatte jedoch schon am 13. Juli gegenüber dem Grafen klargestellt, dass er ohne dessen Hilfe den Aufstand niedergeschlagen habe und daher auch ihm allein die Bestrafung zustehe. Rat und Gemeinde, die zunächst den Grafen um Erlass oder Aufschub der Zahlungen gebeten hatten 175 Ebd., S. 626, Anm. 3. 176 Ebd. 177 Landesarchiv Sachsen-Anhalt (im Folgenden: LASA), Standort Wernigerode, Rep. H. Stolberg-Stolberg B III, Nr. 7, Bl. 21 (Ladung, 14. Juli 1525), Bl. 22 f. (Antwort Schwartz, 15. Juli 1525), Bl. 20 (Antwort Volckart, 1. August 1525) u. Bl. 25 (Bericht des Amtmanns, 4. September 1525). 178 Archiv Stolberg-Schwarza (früher als Depositum im Staatsarchiv Meiningen, inzwischen wieder beim Eigentümer), Nr. 164, Bl. 62r, 105r–v u. 115v. 179 AGBM, Bd. I/2, S. 626, Anm. 3. 180 Ebd. 181 Ebd., S. 627, Anm. 3 von S. 626. 182 Ebd., S. 588, Nr. 942 (26. Juni 1525, Reg.; Bericht an den Kurfürsten).

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(17. Juli), verwiesen am 28. Juli auf die ihnen bekannt gewordene Haltung des Kurfürsten.183 Der kursächsische Amtmann hatte die Aussagen mehrerer Gefangener den Schöppen zu Leipzig zugesandt und diese um Rechtsbelehrung gebeten. Nach deren Einschätzung war es zulässig, die vier Männer (davon zwei, die als „Meister“ tituliert wurden) hinzurichten, sofern man nicht Gnade walten lassen wollte. Ein weiterer Mann, der sich an der Plünderung von Geistlichen in Schmalkalden beteiligt hatte, sollte nochmals verhört werden.184 Werner Bergk aus Salzungen hatte auf dem dortigen Markt zwei Zentner Metall angekauft, das für den Guss von Glocken bestimmt war („glockenspeise“, wohl Bronze). Die Bauern hatten dieses in Breitungen vorgefunden und in die Stadt gebracht. Im Herbst 1526 schilderte Bergk die Umstände des Ankaufs gegenüber Kurfürst Johann, der die Erklärung an Graf Wilhelm weiterleitete. Bergk wandte sich im Oktober auch direkt an den Grafen, der die Rückgabe und den Rücktransport nach Breitungen forderte. Im März 1527 verwandte sich auch Graf Hermann, der zweite Stadtherr von Salzungen, bei seinem Vetter Wilhelm für Bergk.185 Schleusingen, die Residenz des Grafen Wilhelm, war vom Aufstand nicht betroffen. Der Graf hielt Stadt und Schloss als Aufenthaltsort für seine Ehefrau Anastasia und wohl auch die Kinder geeignet.186 Dorthin wurden auch Wertgegenstände aus anderen Orten gebracht.187 Im April erließ der Rat eine 183 LASA, Standort Wernigerode, Rep. H. Stolberg-Stolberg B III, Nr. 7, Bl. 16 (13. Juli 1525) u. Bl. 18 (17. Juli 1525); demnach hatte der Kurfürst die Brandschatzung erlassen. Ebd., Nr. 3 II, Bl. 36 (28. Juli 1525). 184 LASA, Standort Wernigerode, Rep. H. Stolberg-Stolberg B III, Nr. 3 II, Bl. 1 (Gutachten, undatiert) und Bl. 33 (11. Juli 1525, Anschreiben des kursächsischen Amtmanns an den Grafen). 185 LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 706, nicht in AGBM. Ein Träger des Namens ist 1553 als hennebergischer Schultheiß zu Salzungen belegt; 1569 war er tot (Reg. Henneberg-Römhild – wie Anm. 95 – Nr. 3100 u. 3221). Aus welchem Kloster (Frauen- oder Herrenbreitungen) das Metall stammte, wird aus den Texten nicht deutlich. 186 AGBM, Bd. I/2, S. 402, Nr. 581 (3. Mai 1525, Ankündigung des Grafen an die Ehefrau, zu ihr nach Schleusingen zu kommen, Reg.) u. S. 503, Nr. 769 (21. Mai 1525, Druck; Brief der Gräfin an Kurfürst Johann, ausgestellt in Schleusingen). Belege für den Aufenthalt von Kindern bei der Mutter fehlen. Die jüngsten Töchter Walburga (geb. 1516) und Elisabeth (geb. 1517) dürften sich aber in der Umgebung der Mutter aufgehalten haben; zu ihnen vgl. WAGNER, Genealogie (wie Anm. 4), S. 171 f. 187 AGBM, Bd. I/1, S. 118, Nr. 167 (19. April 1525, Druck; Liste der aus den Klöstern Frauen- und Herrenbreitungen nach Schleusingen gebrachten Wertgegenstände) und ebd., S. 296–298, Nr. 391 (Bericht des Amtmanns zu Maßfeld, 26. April 1525, Druck, mit der Anregung, Wertgegenstände nach Schleusingen zu bringen).

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Wachordnung.188 Der Bürgermeister Georg Schenck, ein vermögender Mann,189 hat offensichtlich großen Wert darauf gelegt, aus eigener Kenntnis über die Entwicklungen in der Nachbarschaft informiert zu sein. Nach Niederschlagung des Aufstandes warf der Graf ihm vor, heimlich mit denen von Themar, Suhl und Heinrichs verhandelt zu haben.190 Wegen dieses Vertrauensbruchs erhielt Schenck am 20. Juli 1525 die Auflage, bis Bartholomei (24. August) die Stadt zu verlassen sowie Hab und Gut zu verkaufen. Ehefrau und Kinder durften bis Michaelis (29. September) bleiben.191 Schenck ersuchte am 30. Juli die Gräfin Katharina von Schwarzburg, geborene Gräfin von Henneberg, unter Hinweis auf seine treuen Dienste um Verwendung bei ihrem Vater Graf Wilhelm.192 Am 1. August richteten mehrere Adlige Fürbitten an den Grafen – offenbar vergeblich.193 Am 5. August wandte sich Schenck an den Kurfürsten Johann.194 Das Vertrauensverhältnis zum Grafen war aber, wie es scheint, auf Dauer zerstört. Graf Wilhelm befürchtete bereits am 21. April Ausschreitungen gegen die Geistlichen und das Stift St. Ägidii und St. Erhard in Schmalkalden.195 In der Tat plünderten die Aufständischen, die wohl am 27. April in die Stadt gekommen waren,196 Gebäude des Stifts, die Wohnhäuser der Kanoniker, das Augustiner-

188 AGBM, Bd. II, S. 90 f., Nr. 1182 (April 1525, Druck). 189 Zu seinen Vermögensverhältnissen vgl. Johannes MÖTSCH, Die Wallfahrt zu Grimmenthal. Urkunden, Rechnungen, Mirakelbuch (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, 10), Köln/Weimar/Wien 2004, hier S. 147, U 160 (1518, Besitzer des Hofes Sachsengrund vor der Stadt Schleusingen), S. 159, U 197 (1520, Bürge für einen Kredit) u. S. 180, U 253 (1524, Besitzer eines Hofes zwischen Schleusingen und Hinternah). 190 Vgl. AGBM, Bd. I/2, S. 605 f., Nr. 977 (Druck; Frageartikel gegen Bastian Cordis aus Themar, mit dem sich Schenck beraten hatte). 191 Ebd., S. 604 f., Nr. 976 (Druck). 192 Ebd., Anm. 1. Katharina hatte im Oktober 1524 den Grafen Heinrich von Schwarzburg geheiratet: WAGNER, Genealogie (wie Anm. 4), S. 164. 193 AGBM, Bd. I/2, S. 604, Anm. 4: Anarg Herr zu Wildenfels (1. August 1525), die Grafen Günther und Heinrich (1. August 1525) sowie Gräfin Katharina von Schwarzburg (30. Juli 1525). 194 Ebd., S. 604 f., Anm. 4 von S. 604. 195 AGBM, Bd. I/1, S. 165 f., Nr. 217 (Druck). – Vgl. WENDEHORST, Stifte (wie Anm. 18), S. 33 f.; WÖLFING, Ziele und Politik (wie Anm. 57), S. 36–50; Kai LEHMANN, Die Einführung der Reformation in Südthüringen (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 8), Jena 2016, S. 27 f. 196 Das schließt WENDEHORST, Stifte (wie Anm. 18), S. 34 aus dem Bericht des Rentmeisters von diesem Tag (AGBM, Bd. I/1, S. 326 f., Nr. 434, Druck). Später wurde Klaus Heimbrecht vorgeworfen, die Bauern in die Stadt gelassen zu haben: AGBM, Bd. I/2, S. 546–548, Nr. 875 (um 7. Juni 1525, Druck).

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kloster und die Pfarrkirche.197 Am 30. April verpflichtete sich die Stadt auf die Zwölf Artikel.198 Am 10. Mai schloss sie mit dem herangezogenen Landgrafen Philipp von Hessen einen Vergleich.199 Graf Wilhelm von Henneberg forderte 1.000 Gulden Entschädigung (wie der Landgraf) wegen Plünderung der Stiftsgebäude.200 Unter den Bürgern von Schmalkalden, denen im Juni eine Geldstrafe auferlegt wurde, befand sich auch Hans Hammerschmidt.201 Sein Zorn gegen den Grafen, die Pfaffen und die Juden hatte sich auch Monate später noch nicht gelegt: Im Gemeindebad ließ er seiner Zunge freien Lauf. Für seine Beschimpfungen („graf Wilhelm, der arm elende man“) fanden sich mehrere Zeugen.202 Zwischen August 1525 und März 1526 baten Hammerschmidt und seine Ehefrau den Grafen mehrfach um Freilassung. Am 25. Mai schwor er dem Landgrafen und dem Grafen Urfehde. 1528 bat er den Landgrafen um Verwendung bei Graf Wilhelm: Er habe dafür, dass er im Auftrag von Rat und Gemeinde mit Christoph Müller zu den Aufständischen gegangen sei, 600 Gulden Strafe gezahlt und auf Eigentum seiner Ehefrau verzichten müssen. Weitere Suppliken des Hans Hammerschmidt gen. Dobereiner datieren aus den Jahren 1529 und 1530.203 Hammerschmidt war nach Ausweis dieser Dokumente ein wohlhabender Mann. Dafür spricht auch, dass er im Oktober 1523 dem Grafen 200 Gulden „aus der Hand“ hatte leihen können.204 Stephan Mann gen. Sichelschmied von Schmalkalden war „Beutemeister“ der Aufständischen gewesen und hatte sich durch Äußerungen gegenüber dem Grafen dessen besonderen Zorn zugezogen. Am 23. Mai hatte der Graf befohlen, ihn und Bastian Steinmetz zu verhaften. Am 26. Mai meldete man ihm, Sichelschmied halte sich in Erfurt auf.205 Er verteidigte sich am 23. Juli gegen die Vorwürfe und bat um Geleit. Der Graf ließ sich allerdings nicht um-

197 WENDEHORST, Stifte (wie Anm. 18), S. 33 f. – Im April berichtete der Rentmeister dem Grafen, der Rat zu Schmalkalden wolle Häuser des Stifts übernehmen und die (Augustiner-)Mönche verjagen: AGBM, Bd. I/1, S. 189, Nr. 245 (Druck). 198 AGBM, Bd. I/2, S. 376 f., Nr. 518 (Druck). 199 Ebd., S. 461, Nr. 685 (Druck). 200 Ebd., S. 636 f., Nr. 1019 (Reg.). 201 Ebd., S. 591 f., Nr. 950 (Druck). Genannt werden acht Männer. Die Strafe für Hammerschmidt (200 Malter Hafer oder 60 Gulden) war die höchste. 202 Ebd., S. 633, Nr. 1012 (9. September 1525, Druck). 203 Ebd., S. 633, Anm. 2 zu Nr. 1012. Die einschlägige Akte: LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 672. 204 LATh-StA Meiningen, GHA Urkunden-Nachträge, Nr. 1879. 205 AGBM, Bd. I/2, S. 521 f., Nr. 811 (Druck) mit Anm. 1 auf S. 521, darin Nachricht, dass Bastian Steinmetz verhaftet worden sei. Er richtete später ein Gnadengesuch an den Grafen: LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 571, nicht in AGBM.

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stimmen. Landgraf Philipp, der sich zunächst für ihn eingesetzt hatte, zog nach Information durch den Grafen später seine Unterstützung zurück.206 Ein „heuptursacher“ der Unruhen in Schmalkalden war offenbar der Plattnermeister Michael Hetter. Er übte, wie die Mehrzahl der Einwohner von Schmalkalden, ein Metallhandwerk aus, allerdings war er als Plattner Spezialist für die Anfertigung von Rüstungen oder Rüstungsteilen für eine betuchte Klientel, die sich solche Stücke leisten konnte. Dennoch waren seine Vermögensverhältnisse wohl eher schlecht.207 Hetter hatte mit Hans Klingenschmied und Michael Brettmacher ein Fähnlein machen lassen, das heimlich aus der Stadt gebracht und später in Breitungen von Hetter wieder übernommen wurde.208 Möglicherweise hat er auch die Aufständischen in die Stadt gelassen.209 Nach Feststellung der Amtsverweser vom 31. August 1525 war er beim Überfall auf den Dekan des Stifts beteiligt gewesen und hatte einen Anteil der Beute erhalten. Nach Anfertigung einer Fahne sei er mit seinen Knechten den Aufständischen zugezogen. Als die Bauern in Meiningen mit dem Grafen verhandelten, stand er als Fähnrich dabei. Den Vorwurf, dabei gerufen zu haben „schlahet den graffen zu tot, last ine nicht hinkomen“, bestritt er allerdings.210 Michael Hetter flüchtete aus der Stadt, wurde aber am 12. Oktober 1525 in Nürnberg hingerichtet; die Stadt hatte sich für das Verfahren Informationen vom Grafen Wilhelm besorgt.211 Stefan Sigle, kaiserlicher Notar, war von 1499 bis 1520 (also auch während des Bürgeraufstandes von 1513 und danach) Stadtschreiber der Reichsstadt Schweinfurt gewesen.212 1520 wurde er abgesetzt; in diesem Zusammenhang kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Ratsherrn und dessen Sohn.213 Sigle, der Schweinfurt verlassen musste, kämpfte in den Folgejahren um seinen in der Stadt gelegenen Besitz bzw. das Recht, ihn verkaufen zu dürfen. 1522 erhob er zu diesem Zweck Klage vor dem Reichsregiment und dem Reichs-

206 207 208 209 210 211 212 213

AGBM, Bd. I/2, S. 608 f., Nr. 985 (Druck) mit Anm. 1, S. 608 f. Ebd., S. 627, Anm. 1 (Bitte der Ehefrau um Unterstützung, 4. Oktober 1525). Ebd., S. 627 f., Nr. 1007 (31. August 1525, Druck). Diese Vermutung äußert WENDEHORST, Stifte (wie Anm. 18), S. 34 mit Verweis auf den im Folgenden angeführten Bericht. AGBM, Bd. I/2, S. 627 f., Nr. 1007 (31. August 1525, Druck). Ebd., S. 628, Anm. 2. – Vgl. auch HOHN, Rechtliche Folgen (Anm. 43), S. 128. HORLING/MÜLLER/SCHNEIDER, Schweinfurt (wie Anm. 142), S. 15 f. (Bürgeraufstände und Ratsverfassung). Udo KÜNZEL, Die Schweinfurter Stadtschreiber und Ratsadvokaten, Diss. Würzburg 1974, hier S. 174 f.; DERS., Die frühen kaiserlichen Notare in der Reichsstadt Schweinfurt, Schweinfurter Mainleite, Sonderheft 2007, hier S. 35–38.

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kammergericht.214 Beide Seiten informierten den Grafen Wilhelm von Henneberg, der Reichsvogt von Schweinfurt war, laufend über den Fortgang der Sache.215 Sigle klagte auch vor dem Hofgericht des Grafen, die Stadt erhob dort Gegenklage wegen Verleumdung.216 Noch zwischen Januar und März 1525 hat Sigle mit dem Grafen korrespondiert.217 Im Frühjahr 1525 unterstützte die Stadt die Aufständischen durch Lebensmittellieferungen und Stellung von Mannschaften.218 Als Gesandte der Stadt mit den in Heidenfeld bei Schweinfurt lagernden Aufständischen verhandelten, erkannten sie Sigle, der dort als Schreiber der Bauern tätig war.219 Am 14. Juli 1525 berichtete die Stadt dem Grafen, Briefe aus seiner Feder hätten bewirkt, dass sie sich mit den Bauern hätte schlagen müssen. Abschriften dieser Briefe fügte man bei. Stil und Handschrift des vormaligen Stadtschreibers dürften in Schweinfurt bestens bekannt gewesen sein. Am 12. April war ein Reichskammergerichtsmandat ergangen, das Sigle Geleit für den Verkauf seiner Güter einräumte. Die Stadt bat den Grafen, beim Kammergericht gegen dieses Mandat vorzugehen.220 Im September 1525 erhob der Reichsfiskal gegen ihn Klage

214 LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 661 (Prozesse Sigle/Schweinfurt, 1522–1528). 215 AGBM, Bd. I/2, S. 602, Nr. 970 (14. Juli 1525, Druck) u. S. 602, Anm. 2. Im April 1525 hatte die Stadt den Grafen über die Ausweisung Sigles informiert: AGBM, Bd. I/1, S. 172 f., Nr. 227 (Druck). 216 LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 661, Bl. 56–58 u. 102–105 (Klage Sigle, 1524) u. Bl. 3–18, 87 u. 92–94 (Klage der Stadt, 1524). Die Stadt stellte in einer Prozessschrift ausdrücklich fest, Sigle sei Schreiber und Ratgeber der aufständischen Bauern gewesen, als diese beschlossen, Mainberg und andere Schlösser zu plündern und zu brennen (ebd., Bl. 214); Sigle bestritt das (ebd., Bl. 228v). 217 LATh-StA Meiningen, GHA I, Nr. 4275, Bl. 24–41. 218 HORLING/MÜLLER/SCHNEIDER, Schweinfurt (wie Anm. 142) S. 25 f. 219 Sigle war einer der beiden Gesandten aus der belagerten Stadt Würzburg, die am 7. Juni 1525 dem Bischof die Annahme der von den Belagerern gestellten Bedingungen mitteilten: Ulrich WAGNER, Die Stadt Würzburg im Bauernkrieg, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 113–140, hier S. 131 („Stefan Siglin von Schweinfurt“). Quelle: Martin CRONTHAL, Die Stadt Würzburg im Bauernkriege, hg. von Michael WIELAND, Würzburg 1887, S. 88 (Cronthal war 1525 Stadtschreiber in Würzburg). 220 AGBM, Bd. I/2, S. 602, Nr. 970 (14. Juli 1525, Druck).

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wegen Verletzung des Landfriedens.221 Die Prozesse zogen sich noch über Jahre hin.222 Sigle war demnach weiter aktionsfähig.223 Am 30. April 1525 forderten die Aufständischen in Schmalkalden Rat und Gemeinde zu Themar zum Anschluss auf.224 Am 4. Mai baten Rat und Gemeindevormünder zu Themar ihren „Bruder“ Georg Delhut, er solle den Hauptleuten der Aufständischen mitteilen, dass sie die Klöster Veßra und Trostadt besetzt und dort etwa 20 Malter Getreide gefunden hätten.225 Am 8. Mai sagten die deswegen befragten Schultheißen und Verordnete mehrerer Dörfer aus dem Amt Themar aus, Cristen Wernherr, Clausen Schmides Knecht von Themar, sei im Auftrag derer von Themar von Dorf zu Dorf geritten und habe zur Plünderung der beiden Klöster aufgerufen.226 Veßra war am Ostertag (17. April) von etwa 100 Männern eingenommen worden. In der Folge kam es zu zahlreichen Verhaftungen. Die festgenommenen Männer, darunter 13 aus Themar, wurden später gegen Urfehde freigelassen.227 Der Stadt Themar wurde später eine von 168 Personen zu leistende Brandschatzung von je zwei Gulden 11 Schilling pro Person228 sowie eine Strafzahlung von 400 Gulden auferlegt.229 Zwei Bürger von Themar wurden aus der Grafschaft ausgewiesen: Bastian Cordis/Cordes, der ursprünglich zu den Vertrauensleuten des Grafen gehört und auf Anweisung von dessen Rentmeister Nachschub in das gräfliche Lager

221 LATh-StA Meiningen, GHA II, Nr. 650, Bl. 19 f., nicht in AGBM. Wenige Tage später informierte die Stadt den Grafen davon: ebd., Bl. 6–8. In der Akte auch die Rechtfertigung der Stadt Schweinfurt gegenüber dem Schwäbischen Bund (AGBM, Bd. I/2, S. 641 f., Nr. 1031, Reg.). Vgl. auch HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 312 mit Nennung weiterer auf Klagen des Reichsfiskals zurückgehender Prozesse und der Feststellung: „Regelmäßig verliefen diese Klagen aber im Sande.“ 222 Laufzeit der Akte Bayrisches Hauptstaatsarchiv München, RKG 11666: 1524–1529 (freundl. Auskunft Dr. Sarah Hadry vom 8. Juni 2017). 223 Sein Wohnort lässt sich nicht feststellen, da die von ihm oder in seinem Namen ausgestellten Schriftstücke keinen Ausstellungsort nennen. 224 AGBM, Bd. I/2, S. 372, Nr. 509 (Druck). 225 Ebd., S. 407 f., Nr. 590 (Druck). 226 Ebd., S. 446 f., Nr. 652 (Druck). 227 Ebd., S. 447, Anm. 1 zu Nr. 652. 228 LATh-StA Meiningen, Hennebergica aus Magdeburg, Akte Nr. 56, Bl. 1r. Es folgen Bl. 2–10 die Zahlen für die Dörfer im Amt. Insgesamt hatte das „Landvolk“ 383 Gulden und anderthalb Gnacken aufzubringen. 229 LATh-StA Meiningen, GHA I, Nr. 230, Bl. 6r. Nach LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230 (Einnahmen des J. Jeger aus Brandschatzung), Bl. 6r sollten ursprünglich 600 Gulden gezahlt werden.

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vor Meiningen und nach Maßfeld geschickt hatte,230 geriet wohl anschließend in schweren Verdacht und wurde am 20. Juli verurteilt, sich bis Michaelis aus der Grafschaft zu entfernen, Urfehde zu schwören und 400 Gulden Strafe zu zahlen.231 Aus der Höhe dieser Zahlung ergibt sich, dass Cordes zur Führungsschicht der Stadt gehörte. Wie gut er vernetzt war, geht auch aus den Bittschriften hervor, die in der Folge zu seinen Gunsten beim Grafen eingingen: sein Bruder Wendel Cordes, kursächsischer Schosser zu Heldburg, schrieb am 10. Juli. Georg von Schaumberg, Hans von Sternberg (1530 Gastgeber Martin Luthers bei dessen Aufenthalt auf der Veste Coburg), Hans Schott, Klaus und Wilhelm von Heßberg, Arnold von Falkenstein, Schosser zu Coburg, sowie Hans und Wilhelm von Schaumberg verwandten sich am 11. Juli für Cordes; Hans von Laineck, Hauptmann auf dem Gebirg und Mathes von Giech zu Buchau taten das am 18. Juli. Margarete und Brigitte von Heßberg hatten am 11. Juli im gleichen Sinn an die Gräfin Anastasia geschrieben, die antwortete, sie wolle sich wegen des Aufruhrs jeder Fürbitte enthalten.232 Georg Delhut, den die Stadt am 4. Mai als ihren Beauftragten bei den Aufständischen angeschrieben hatte, wurde am 20. Juli auferlegt, sich bis Michaelis mit Weib und Kind aus der Grafschaft zu entfernen, 20 Gulden zu zahlen und bis Sonntag Bürgschaft zu stellen.233 Später bat Delhut den Grafen darum, als alter Mann seine Tage in Themar verbringen zu dürfen. Er lebte in Suhl und bestritt „Ursächer“ der Unruhen gewesen zu sein.234 Der Rat zu Wasungen235 war am 25. April 1525 vom zu Salzungen lagernden Werrahaufen zum Anschluss aufgefordert worden.236 Rat und Gemeinde entsandten daraufhin Hans Scholl/Schall und Christoph Österreicher zu den Auf230 LATh-StA Meiningen, Hennebergica aus Magdeburg, Akte Nr. 55, Bl. 61–66: Verzeichnis, was Bastian Cordis auf Anweisung dem Johann Jeger geschickt hat, angefangen 8. Juni 1525. 231 AGBM, Bd. I/2, S. 605 f., Nr. 977 (Druck). LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230 (Einnahmen des J. Jeger aus Brandschatzung) notiert Bl. 6r: Cordis sollte 400 Gulden geben, hat 150 bezahlt, will weitere 50 bald zahlen und die übrigen verzinsen. 232 AGBM, Bd. I/2, S. 605 f., Anm. 2 zu Nr. 977. 233 Ebd., S. 606, Nr. 978 (Reg.). LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230 (Einnahmen des J. Jeger aus Brandschatzung) notiert Bl. 6v die Zahlung der 20 Gulden durch Delhut. 234 AGBM, Bd. I/2, S. 606, Anm. 1 zu Nr. 978 (Bittschrift ohne Datum). 235 Günther WÖLFING, Geschichte des Wilhelmiter-Klosters zu Wasungen an der Werra (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, 16), Leipzig 1975; DERS., Wasungen. Eine Kleinstadt im Feudalismus vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 1980, hier S. 92–99 (Die Teilnahme der Stadt am Bauernkrieg 1525); W[ilhelm] GERMANN, Aus Wasungens vergangenen Tagen. Urkunden des Wilhelmiter-Klosters Wasungen, Meiningen 1890. 236 AGBM, Bd. I/1, S. 266, Nr. 348 (Druck).

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ständischen und schlossen sich zwischen 27. April und 1. Mai den Bauern an.237 Es folgte der Zugriff auf das Gut des Wilhelmiterklosters und die Enteignung eines am Ort lebenden Juden.238 Ein Mönch namens Hans Heinrich wurde vom Rat als Stadtpfarrer angenommen. Der Amtmann im Sand (Umgebung von Wasungen) hatte am 25. April dem Grafen berichtet, aus Wasungen befinde sich Heinz Schneider bei den Bauern.239 Am 28. April meldete der Amtmann zu Kaltennordheim, Heinz Schneider, ein Wirt zu Wasungen, und andere „seint auch under dem haufen gewaldig und zu heitluten worden“.240 Am 18. Mai informierte der Amtmann zu Wasungen den Grafen, die Hauptleute Heinz Schneider und Hans Scholl seien aus Furcht vor der Bestrafung durch den Grafen aus der Stadt geflüchtet.241 Wasungen wurde vom Grafen eine Geldstrafe von 400 Gulden auferlegt. Mehrere Bürger erhielten zusätzliche Strafen: Jakob Beck 200, Heinz Kurßner 100, Peter Pfaff 40, Christoph Österreicher 20 Gulden.242 Christoph Österreicher, der in Wasungen geblieben war, rechtfertigte am 26. Juni sein Verhalten. Er sei durch Schneider und Scholl gezwungen und zu Unrecht angeschwärzt worden.243 Offenbar war er damit erfolgreich, denn 1530 ist er als Bürgermeister von Wasungen belegt.244 Für den in Gefangenschaft geratenen Pfarrer verwandte sich dessen Vater Hermann Velberger, Bürger zu Hildburghausen, beim Kurfürsten, seinem Landesherrn. Der wurde am 12. Juni durch Graf Wilhelm informiert, der Sohn Velberger sei mit den Aufständischen vor Meiningen gekommen, nach deren Abzug in Wasungen geblieben und als Prediger angenommen worden. Der Graf zitierte aus einer Predigt („man sol ime got helfen bitten fur die wuttende tobende fursten, so dieser zeit in dem christlichen plut also grausamlich wutten und toben“) und stellte fest, Velberger sei „ein discipel Heinrich Pfeiffers gewest“, habe mithin Gedankengut Thomas Müntzers vertreten.245 Velberger, der nicht Insasse des Wasunger Klosters gewesen, sondern wohl mit dem Bauern237 Zum Datum WÖLFING, Wasungen (wie Anm. 235), S. 96. 238 GERMANN, Wasungen (wie Anm. 235), S. 69 (Stadtrechnung, Kosten für den Transport des Gutes nach Schmalkalden). Dem Juden Jakob sollten 1526 100 Gulden gezahlt werden, wohl als Schadensersatz. 239 AGBM, Bd. I/1, S. 257–259, Nr. 339 (Druck), hier S. 258. 240 AGBM, Bd. I/2, S. 350–353, Nr. 469 (Druck), hier S. 352 oben. 241 Ebd., S. 494 f., Nr. 750 (Druck). 242 LATh-StA Meiningen, GHA III, Nr. 230, Bl. 4r (Kurßner, Österreicher; K. war demnach noch 80 Gulden schuldig) u. Bl. 5r (Beck, Pfaff). 243 AGBM, Bd. I/2, S. 587, Nr. 941 (Reg.); Druck: GERMANN, Wasungen (wie Anm. 235), S. 72. 244 WÖLFING, Wasungen (wie Anm. 235), S. 98. 245 AGBM, Bd. I/2, S. 566, Nr. 903 (Druck).

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haufen aus Vacha gekommen war,246 wurde am 3. Juli mit zwei Aufständischen aus Brotterode in Schmalkalden mit dem Schwert hingerichtet.247 Dem erwähnten Heinz Hübner, genannt Schneider, stellten am 21. Dezember 1525 sechs adlige Lehnsleute des Grafen ein Leumundszeugnis aus. Er habe sich im Lager ihnen gegenüber stets „guttig und dinstlich“ verhalten.248

4. Versuch einer Auswertung Derartige Einzelheiten sind uns ohne Zweifel nur von einem sehr kleinen Teil der Aufständischen bekannt, die zudem in der großen Mehrzahl aus Städten, nicht aus Dörfern stammten.249 Es ist anzunehmen, dass der Graf von Henneberg und die anderen Fürsten gezielt nach Personen gesucht haben, die ihnen als Führungspersonen oder in bestimmten Rollen namentlich bekannt geworden waren. Dieser Eifer richtete sich in besonderem Maß gegen die eigenen Untertanen, die ja gegen den bei der Huldigung geleisteten Treueid verstoßen hatten.250 Nur so ist z. B. zu erklären, dass Michael Hetter aus Schmalkalden in Nürnberg verhaftet und hingerichtet wurde. Ähnlich intensiv ist wohl die Suche nach dem Wiedertäufer Hans Hut und seinen Anhängern verlaufen. Die Masse der Aufständischen dürfte den Herren gleichgültig gewesen sein, insbesondere dann, wenn sie zu arm war, um sie zu Schadensersatz heranzuziehen. Diese Leute haben in der Überlieferung, wenn überhaupt, nur sehr wenige Spuren hinterlassen. Daher ist festzustellen, dass die Quellenbasis für eine fundierte Berechnung zur sozialen Zusammensetzung der Aufständischen wohl nicht ausreicht. Es bleibt aber der subjektive Eindruck, dass am Aufstand Leute aus allen Bevölkerungsgruppen teilgenommen haben. Da der Sieg der Fürsten vollständig war, sahen sich die Aufständischen diesen – oder deren Gnade – ausgeliefert. Sie hatten gegen die ihren Landesherren geleisteten Huldigungen verstoßen und die entsprechenden Strafen zu gewärtigen. Daneben musste den Siegern daran gelegen sein, wenigstens für einen Teil

246 GERMANN, Wasungen (wie Anm. 235), S. 71, Anm. 1. Da Velberger als „discipel“ des Heinrich Pfeiffer bezeichnet wurde, könnte er (wie dieser) Zisterzienser gewesen sein (freundl. Mitteilung Dr. Thomas T. Müller, Mühlhausen). 247 GERMANN, Wasungen (wie Anm. 235), S. 71 f., Nr. 5. 248 AGBM, Bd. I/2, S. 645, Nr. 1037 (Reg.). 249 Tom SCOTT, Ungelöste Probleme des deutschen Bauernkriegs, in: FUCHS/WAGNER (Hg.), Bauernkrieg in Franken (wie Anm. 9), S. 37–48, hier S. 46, Anm. 42 mit Literatur zu den „Bündnissen zwischen Opportunismus und Solidarität“, die Städte in Südwestdeutschland und anderswo eingegangen sind. 250 HOHN, Rechtliche Folgen (wie Anm. 43), S. 270.

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der erlittenen Schäden Ersatz zu erhalten.251 Solche Ansprüche wurden dem Grafen durch die Stadt Meiningen (5. Juni)252 und durch den Bischof von Würzburg (1. Juli)253 zugestanden. Diese Ansprüche hat Graf Wilhelm offenbar mit Härte – und begleitet von Hinrichtungen – durchgesetzt. Gegenüber den eigenen Untertanen war er offenbar milder gestimmt. Davon ausgenommen waren Männer, die er persönlich kannte und deren Vertrauensbruch ihn offenbar stärker getroffen hatte (Johann Scheffer, Amtmann zu Mainberg, Georg Schenck aus Schleusingen, Bastian Cordis aus Themar). Im Hintergrund könnte hier stehen, dass vielen Adligen (und wohl auch dem Grafen) durchaus bewusst war, dass die Belastbarkeit der Untertanen ihre Grenzen hatte und zu hohe Forderungen zu einem Wiederaufflammen des Aufstandes führen konnten.254 Einen vollständigen Ersatz der erlittenen Schäden wird der Graf von Henneberg daher nicht erlangt haben.

251 Zu dieser Fragestellung für andere Teile Thüringens: Manfred STRAUBE, Über Folgen der Niederlage bei Frankenhausen – Strafgeldzahlungen in Albertinischen und Ernestinischen Ämtern, in: VOGLER, Bauernkrieg (wie Anm. 10), S. 433–453. 252 AGBM, Bd. I/2, S. 542, Nr. 864 (Reg.). 253 FRIES, Geschichte des Bauern-Krieges, Bd. 2, (wie Anm. 8), S. 461 f.; GÜTH, Poligraphia Meiningensis (wie Anm. 158), S. 223. 254 AGBM, Bd. I/2, S. 616, Nr. 992 (Juli 1525, Reg.; Stellungnahme des Grafen Wilhelm und der Ritterschaft gegenüber Bischof Konrad); ebd., S. 629–631, Nr. 1008 (Druck; Gutachten eines Adligen für den Landtag, hier S. 630: wie künftiger Aufruhr zu verhüten sei); AGBM, Bd. II, S. 879 f., Nr. 2085 (31. März 1527, Druck; Ausschreiben des Kurfürsten Johann).

JULIA MANDRY DIE REFLEXIONEN DER FÜRSTEN ÜBER DIE AUFSTÄNDISCHEN

Die Reflexionen der thüringischen, sächsischen und hessischen Fürsten über die Aufständischen im Bauernkrieg „Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke.“1 Der Textausschnitt des Römerbriefes steht stellvertretend für den Konflikt über die Herrschaftsgewalt und die Uneinigkeit bezüglich eines guten oder schlechten Dienstes an Gott und der Gesellschaft. Die Auseinandersetzungen des Bauernkrieges hinterfragten vor dem Hintergrund von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemfeldern in enger theologischer Verknüpfung die Machtverhältnisse und Herrschaftsberechtigungen in den betroffenen Territorien.2 Durch die Neuerungsforderungen in ihren Rechten bedroht, von den Unruhen persönlich angegriffen und durch die theologischen Ausführungen eines Thomas Müntzer auch religiös in Frage gestellt,3 waren die weltlichen Fürsten zur Stellungnahme und Reaktion aufgefordert. 1 2

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Röm 13,3. Vgl. Rudolf ENDRES, Die Ursachen des Bauernkrieges, in: Mühlhausen, der Bauernkrieg und Thomas Müntzer. Realitäten – Visionen – Illusionen. Protokollband zum wissenschaftlichen Kolloquium am 27. Mai 2000 im Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche in Mühlhausen/Thüringen, Mühlhausen 2000, S. 66–78; DERS., Ursachen, in: Horst BUSZELLO/Peter BLICKLE/Rudolf ENDRES (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn u. a. 21991, S. 217–253. Müntzers Theologie und Bibelauslegung, die im Übrigen von den Fürsten nicht näher analysiert und thematisiert werden, sollen und können nicht Thema dieses Beitrages sein. Verwiesen sei diesbezüglich exemplarisch auf die Aufsatzsammlung zum Theologen Thomas Müntzer, die Aufsätze zu verschiedenen Themenkomplexen wie zur Christologie, dem Menschenbild, Schöpfungs-, Geist-, Kirchen-, Sakraments- und Glaubensverständnis, der Obrigkeits- und Widerstandslehre, dem Gemein- und Eigennutz, der Mystik und auch des Humanismus bündelt: Siegfried BRÄUER/Helmar JUNGHANS (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre, Berlin 1989. Zudem vgl. Jan CATTEPOEL, Thomas Müntzer. Ein Mystiker als Terrorist (Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte, 19), Frankfurt am Main 2007; Tobias QUILISCH, Das Widerstandsrecht und die Idee des religiösen Bundes bei Thomas Müntzer. Ein Beitrag zur Politischen Theologie (Beiträge zur Politischen Wissenschaft, 113), Berlin 1999. Zur Verortung Müntzers zwischen Revolution und Theologie vgl. Hans-Jürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie, München 2015, S. 219–236.

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Anhand der persönlichen Äußerungen soll im Folgenden analysiert werden, inwieweit und auf welche Weise die Fürsten über die Aufständischen sprachen, deren Motivationen wie die Geschehnisse einschätzten und wie sie damit umzugehen gedachten. In den Fokus werden dabei der ernestinische Kurfürst Friedrich III., genannt der Weise, (1463–1525), sein Bruder und Nachfolger Johann der Beständige (1468–1532), Landgraf Philipp I. von Hessen (1504–1567), der albertinische Herzog Georg der Bärtige (1471–1539) sowie Graf Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen (1478–1559) gerückt. Der Zugriff erfolgt vornehmlich über die überlieferten Fürstenkorrespondenzen – überwiegend Hofkorrespondenz –, da offizielle Anschreiben oder Bekundungen etwa an die betroffenen Gemeinden und teilweise auch Amtmänner politische Ziele und Wirkungen verfolgten. Zunächst werden die Positionen der einzelnen Akteure nebeneinandergestellt, ehe sich ihre deutlich zunehmende Interaktion im Zusammenhang mit der Schlacht von Frankenhausen und den Aufruhrnachwirkungen in einer stärker verwobenen Auswertung niederschlägt. Neben die Überlegungen zur Ursachenund Berechtigungsfrage treten Situationsbeurteilungen, Absprachen, Beschlüsse, Berichte, Resümees oder auch Meinungen zur Verquickung mit dem Luthertum. Der Vergleich der fürstlichen Betrachtungs- und Herangehensweisen lässt ein sehr differenziertes Bild entstehen. So gingen einerseits die Ansichten bereits bezüglich der Einschätzung der Aufstandsmotivation auseinander und wurden andererseits die weltlichen Herrschaftsträger in ihrem tief sitzenden Schrecken geeint.

1. Die ernestinischen Brüder Friedrich und Johann von Sachsen Die besonnenste und dadurch beeindruckendste Position gegenüber den Aufständischen vertrat der durch Krankheit geschwächte Kurfürst Friedrich. Am 14. April äußerte er gegenüber seinem Bruder: „Filleicht had man den armen leuten zu solchem aufrure orsache geben“. Der Kurfürst hatte die Situation seiner Untertanen deutlich vor Augen und so bekannte er freimütig: „So werden die armen in fil wege von uns wertlichen und gaistlichen oberkaiten beschwerd.“ Nach eigenen Fehlern sinnend und von tiefer Gottesfurcht geprägt, räumte er bereits jetzt die Möglichkeit einer Niederlage ein und teilte Johann mit: „Wil es got also haben, so wird es also hinaus gehen, das der gemein man regiren sal.“

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Einem gewaltsamen Vorgehen stand er ablehnend gegenüber und empfahl, „der sachen so fil müglich mußig [zu] sthen“.4 Die Bauernaufstände trafen das ernestinische Herrschaftsverständnis unvorbereitet. Friedrich versuchte seiner Auffassung entsprechend in Verhandlung mit seinen Untertanen zu treten und erwartete, auf diese Weise Unzufriedenheiten stillen und den Frieden wahren zu können.5 Noch am 28. April riet er seinem Bruder Johann, die Bauern anzuhören: „Es sol nit ungut sein, das man zu inen schikete und an inen horte, was sie furgeben und wes sie sich E.L. und unser halbn beschweren tetten, ob man villeicht weg und mitl find, die entborung dordurch zu stillen.“6 Erneut brachte er sein Gottvertrauen zum Ausdruck und betonte nachdrücklich, dass er Blutvergießen gänzlich zu vermeiden hoffe.7 Der Misserfolg dieser Versuche führte zu einer Ohnmacht Friedrichs und er fand die Berichte „erschreklich zu horen“.8 Aufgrund seiner Krankheit sah er sich allerdings ohnehin außer Stande, aktiv in das Geschehen einzugreifen, und vertraute die nötigen Schritte seinem Bruder an. Herzog und hernach Kurfürst Johann oblag die aktive Politik, wobei er stark durch die Persönlichkeit und Verhandlungseinstellung seines Bruders geprägt war. Er scheint sich gleichwohl stärker der möglichen Bedrohung bewusst gewesen zu sein, so versagte er Anfang April dem Henneberger Grafen Wilhelm die angefragte Unterstützung mit Hinweis auf die eigene Aufruhrerwartung.9 Während Friedrich angesichts der Ereignisse ohnmächtig erstarrt erscheint, war Johann, der bereits im Sommer 1524 einen Aufruhr durch die Predigten zu Allstedt befürchtete,10 zunehmend empört. Am 24. April bezeichnete er das Vorgehen des Bauernvolks als „gantz freich und ubel“.11 Nach und nach rückte bei Johann die Notwendigkeit eines militärischen Vorgehens in den Fokus, wobei

4

Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. 91, Nr. 1183. 5 Vgl. Volker GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten im Thüringer Bauernkrieg, in: Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald (Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, 69), Stuttgart 2008, S. 283–298, hier S. 285–288. 6 AGBM, Bd. II, S. 135, Nr. 1221. 7 Ebd. 8 Ebd., S. 148 f., Nr. 1240 (Zitat S. 148). Vgl. auch GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 293. 9 AGBM, Bd. I, Erste Abteilung, hg. von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1923, S. 31 f., Nr. 51. 10 So schrieb er am 6. August über Thomas Müntzer, dass dieser, „wo er zu Alstet plieb, den armen leuten ein aufrur vnd vnlust zurichten wurde“. Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: LATh-HStA Weimar), Ernestinisches Gesamtarchiv (im Folgenden: EGA), Reg. N, Nr. 821, fol. 11v. 11 AGBM, Bd. II, S. 98, Nr. 1195.

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ein endgültiger Entschluss mit konkreten Maßnahmen erst spät fallen sollte.12 Zunächst hielt er sich an die Ratschläge seines Bruders, wenngleich er ihm am 26. April die mutwilligen und gewalttätigen Auswüchse des Aufstandes schilderte und zum frühzeitigen Einschreiten mahnte.13 Von Brief zu Brief verstärkte sich die Dringlichkeit, so schrieb er seinem Bruder bereits am folgenden Tag, „wo dem volk nit gesteuert wirdet, das die ding uberhand nehmen mochten“ und erwog zum ersten Mal Gewaltmaßnahmen.14 Ähnliches berichtete er zeitgleich Herzog Georg: „Darumb, wo wir die ding in der gute, wie wir doch zu versuchen gneigt, nicht stillen muchten, will unser notturft erfordern, unvorzuglich dogegen zu gedenken.“15 In einem weiteren Schreiben vom 27. April an den Saalfelder Rat beurteilte er die Aufständischen und vor allem ihre Führungskräfte als „etzliche leichtfertige leut, die do gemeniglich nichts zu vorliren“ hätten.16 Es wird deutlich, dass er ihr allgemeines Vorgehen gegen die Obrigkeiten als unbegründeten Angriff auf die göttliche Ordnung betrachtete. Johann musste einsehen, dass die Verhandlungen vergeblich waren und bekannte dies auch gegenüber Landgraf Philipp von Hessen. So sei „nichts guts bei inen [den Bauern] zu vorsehen“ und da „wir die dinge nit in gute, wie wir doch zu vorsuchen gneigt, nit stillen mochten, will unsere notturft erfordern, unvorzuglich dargegen zu gedenken“.17 Diese Einsicht steigerte sich in den nächsten Tagen zur persönlichen Betroffenheit und Fassungslosigkeit. Gegenüber Graf Wilhelm von Henneberg gestand er am 29. April ein, dass ihm das Anschließen von Wilhelms Untertanen an die Aufständischen „fast beschwerlich zu herzen“ gehe.18 An seinen Bruder formulierte er ganz offen, dass in ihren Landen ein derart „wust wesen ist, das ich es nit geglaubet hette“.19 Er berichtete von seinen Verhandlungsversuchen, resignierte aber angesichts entsprechender Verweigerungen und mangelnder Mitwirkungsbereitschaft. In Anbetracht dessen und des nunmehrigen Flächenbrandes sorgte er sich um die

12 Vgl. GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 290. 13 AGBM, Bd. II, S. 128 f., Nr. 1210. 14 Ebd., S. 130, Nr. 1213. Vgl. auch GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 290 f. 15 Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (im Folgenden: ABKG), Zweiter Band: 1525–1527, hg. von Felician GESS, Leipzig/Berlin 1917, S. 133, Nr. 874. 16 AGBM, Bd. II, S. 130 f., Nr. 1214, hier S. 130. 17 AGBM, Bd. I, Zweite Abteilung, hg. von Günther FRANZ auf Grund des Nachlasses von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1934, S. 333, Nr. 438. 18 AGBM, Bd. I/2, S. 361, Nr. 487. 19 AGBM, Bd. II, S. 149 f., Nr. 1242, hier S. 149.

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Zukunft. Er gestand seinem Bruder: „Ich habe sorge, E.L. und ich seint nue vorterbet fursten.“20 Weiterhin hielt Johann jedoch an den Verhandlungsversuchen fest und konnte zwischenzeitlich und bei Verhandlungsbereitschaft der Aufständischen mit Zugeständnissen wie dem Zehntverzicht Erfolge vermelden. Die Gesamtdynamik konnte damit gleichwohl nicht gebrochen werden.21 Am 3. Mai schrieb er selbst an den Rat von Allstedt, dass man „muntzers wuterei nit vermugt zu halten“.22 Nach Friedrichs Tod nahm der Tatendrang Johanns zu, wenngleich er Probleme hatte, in entsprechend kurzer Zeit ein ausreichendes militärisches Aufgebot zu stellen. Es scheint, die Starre der Fassungslosigkeit ist abgefallen und durch aktives Bemühen ersetzt worden, obwohl Johann auch nachfolgend politische Verhandlungen blutigen Auseinandersetzungen vorzog.23

2. Landgraf Philipp von Hessen Philipp von Hessen stand den Friedens- und Verhandlungsbemühungen der Ernestiner diametral gegenüber. Von durchaus kriegerischem Tatendrang geprägt, erkannte er für sich selbst schnell die Notwendigkeit, in das Aufruhrgeschehen einzugreifen. Anfang April 1525 stellte er fest, dass sich „in stattlich gegenwere gestelt und begeben werden musse“ sowie dem Aufruhr bereits frühzeitig „furzukommen“ und etwaige Ausbrüche zu unterdrücken seien. Die Aufrührer handelten seiner Meinung nach „nit allein wider das heilig evangelium und warheit, sonder zu hochster zerstrauunge aller oberkeiten und erbarkeiten“ – sie seien vom Frevel und Mutwillen geprägt.24 Auch damit unterschied er sich merklich von Kurfürst Friedrich. In der Folge forderte er entsprechende Amtsträger vor Ort auf, auf das Gerede in der Bevölkerung Acht zu haben, und rüstete sich bzw. versuchte bei angrenzenden Herrschaften Unterstützung zu finden.25 Am 12. April schrieb er Herzog Johann, dass die „vast geschwinde entporungen“ von außen in die Herrschaften und Gemeinden hereingetragen

20 Ebd., S. 149 f. Vgl. auch GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 292. 21 AGBM, Bd. II, S. 160, Nr. 1258; AGBM, Bd. I/2, S. 441, Nr. 637; GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 291 f. 22 LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 836, fol. 6r. 23 GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 294. 24 AGBM, Bd. I/1, S. 15, Nr. 24. Zu seiner Handlungsbereitschaft vgl. auch ebd., S. 16, Nr. 27. 25 Vgl. ebd., S. 26, Nr. 41; ebd., S. 236, Nr. 308; ABKG, Bd. II, S. 99, Nr. 853; Siegfried HOYER, Herzog Georg und der Bauernkrieg in Thüringen, in: VOGLER (Hg.), Bauernkrieg (wie Anm. 5), S. 275–282, hier S. 276.

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werden und sich so immer weiter ausbreiten.26 Dem Abt von Hersfeld berichtete er am 17. April, sich zum Gegenschlag entschlossen zu haben, da die Aufständischen gewillt seien „sich aller ding frei zu machen, selbs hern zu sein und niemants nichts zu geben oder zu thun“27 – für Philipp schienen Verhandlungsversuche also von vornherein vergeblich. Erweckt Philipps Vorgehen den Eindruck eines kühlen, kalkulierenden Kopfes, so offenbart ein Schreiben an Herzog Erich I. von Braunschweig vom 20. April, dass auch er über die Vorgänge in Südwestdeutschland erschrak. Er schrieb, dass „so tyrannisch unchristlich und ubel umbgangen, das es zu erbarmen und zu horen schwer ist“. Der Landgraf ging nunmehr von einem Ausrottungsplan gegen alle Obrigkeiten aus und mahnte dringend einen entsprechenden Widerstand an.28 Sowohl an Herzog Georg als auch an Ebert von Rodenhausen gewandt, brachte er am 23. April zum Ausdruck, dass das Vordringen der Aufrührer bzw. Zusammenrotten der Untertanen im eigenen Land überraschend und unvorhergesehen war. Erneut rief er zu einem Gegenschlag auf: „Dan wo wir nit hie mit ernst und tapferkeit solichen mutwilligen leuten begegnen, werden E.L. und alle oberkait, wie zu besorgen steth und gewis ist, alle den nechsten des backenschlags gewarten mussen.“29 Dass die Bauern eine ernste Gefahr darstellen – auch und gerade durch ihre große Anzahl –, erläuterte er ebenfalls dem Braunschweiger Herzog Erich. Die Aufruhrvorgänge bezeichnete er am 24. April als „beschwerlich, besorglich und erschrocklich“.30 Je länger der Aufruhr andauerte und Vorkommnisse zu verzeichnen waren, umso ungehaltener bzw. emotionaler reagierte Philipp. In einem Schreiben an die Stadt Eschwege vom 26. April tituliert er einen Brief der Aufständischen als „giftig schreiben“, welches die Bewohner „in vermeintem ungegrundtem angegeben schein evangelischer tugent, da doch nicht ein funklein eins christlichen gemuts bei ist, euch gleich inen zu unchristlichem mutwillen, abfallenden treuen und allem widersetzlichem gehorsam zu bewegen“ suche. Insgesamt hätte das Schreiben nur bösen Grund und Inhalt.31 Dem Schwäbischen Bund eröffnete er am 30. April, die Aufständischen hätten das Ziel, „uns umb unser furstlich oberkait, ehr, lant und leute zu bringen“32 und am 1. Mai beschrieb er sie als auf Hohn, Spott und Verachtung ausgerichtet, unbrüderlich und gänzlich unchristlich.33 26 AGBM, Bd. I/1, S. 30 f., Nr. 50, Zitat S. 30. 27 Ebd., S. 92 f., Nr. 127, hier S. 92. 28 Ebd., S. 142 f., Nr. 192, Zitat S. 142. Vgl. auch LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 821, fol. 44r–v; ABKG, Bd. II, S. 112 f., Nr. 858. 29 ABKG, Bd. II, S. 115 f., Nr. 863, Zitat S. 116; AGBM, Bd. I/1, S. 205 f., Nr. 270. 30 AGBM, Bd. I/1, S. 236, Nr. 308. 31 Ebd., S. 314 f., Nr. 415, Zitate S. 314. 32 AGBM, Bd. I/2, S. 377 f., Nr. 520, hier S. 377. 33 Ebd., S. 391, Nr. 550.

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3. Herzog Georg von Sachsen Eine ähnliche Position wie Landgraf Philipp nahm auch der albertinische Herzog Georg ein, wenngleich er zeitlich verzögert zur persönlichen militärischen Einsatzbereitschaft fand.34 Bei ihm standen der Religionskonflikt und das eigene Machtstreben stärker im Handlungsfokus. Nach den ersten Anzeichen der bäuerlichen Unruhen ordnete er im März 1525 eine besondere Aufmerksamkeit seiner Amtleute an, die gegen Zusammenrottungen und Haufenbildungen vorgehen sollten.35 Eine eingehende Beschäftigung mit der aufkeimenden Problematik erfolgte jedoch erst Ende April.36 Am 27. April setzte er sich in einem Schreiben an Landgraf Philipp von Hessen intensiv mit dem Zusammenhang zwischen den lutherischen Predigten und den Bauernunruhen auseinander. So betrachtete er „die prediger, die das Lutterisch ewangelium so lauter und clar gepredigt, das man es hett greyfen mugen“, als die Saat für „die frucht, so itzt vor augen sein“. Er wäre bereits früher gegen die Entwicklung eingeschritten, „[d]ieweil wir aber […] vormarkt, das E.L. in dasselbig ewangelium so fast vorflyssen, das E.L. auch nicht wol hat leyden mogen, das wir mit worten ader werken darwider tete, so haben wirs im besten unterlassen“. Er machte deutlich, dass er der neuen Lehre ablehnend gegenübersteht und es Gottes Strafe sei, dass sie nunmehr „von ausgeloufen monchen und irrigen baurn regirt werden“. Auf der anderen Seite befürchtete Georg jedoch aufgrund seiner religiösen Distanzierung von Luther größeren Schaden in seinen Landen: „Und sunderlich, weyl wir (gotlob) diser sachen allewegen entkegen gewest, ist zu besorgen, das uns und den unsern mehr, denn andern, mocht nachgetracht werden.“37 In einem Aufruf vom 28. April drang er auf Widerstand mit „ernst und gewalt“.38 Sittich von Berlepsch, der Amtmann von Langensalza, sollte „das feuer, dyweil es noch kleyn und nicht weitgrifig, ehr sich die haufen samlen, dempfen helfen“.39 Bereits am folgenden Tag, dem 29. April, rügte Georg seinen Amtmann, da dieser die Besitzer der Schwäbischen Artikel nicht gestraft habe. Er gab ihm zu bedenken, „was kunheit dy pauern fassen, so sie merken dein vorhengen und sunderlich, das du dich forchst und vor ihn fare tregest“.40 Zeitgleich richtete er Hilfegesuche an Landgraf Philipp von Hessen, um „diese 34 35 36 37 38

Vgl. HOYER, Herzog Georg (wie Anm. 25), S. 276 u. 281. AGBM, Bd. II, S. 77, Nr. 1166a. Vgl. HOYER, Herzog Georg (wie Anm. 25), S. 275. ABKG, Bd. II, S. 132 f., Nr. 873, Zitate S. 132. AGBM, Bd. II, S. 136, Nr. 1223. Vgl. auch GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 293; HOYER, Herzog Georg (wie Anm. 25), S. 277. 39 ABKG, Bd. II, S. 134 f., Nr. 877, hier S. 134. 40 Ebd., S. 138–140, Nr. 881, hier S. 139.

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gegen uns aufrurische leut schlahen ader zum wenigsten ir ungepurlich handlung abstricken helfen“,41 sowie an die ernestinischen Brüder Friedrich und Johann, um „der unsern vorgessenheit und ungehorsam dempfen, strafen und kunftig beschwerde […] vorkommen helfen“.42 Am 5. Mai richtete der Herzog ein Schreiben an die Bevölkerung der Pflege Sangerhausen. Er bekundete darin sein Befremden über die ungewöhnliche Beschwerdepolitik und betonte die Zusammenhanglosigkeit der Schwäbischen Artikel mit den thüringischen Verhältnissen: Euer schreyben […] haben wyr alles inhalzs horen lesen und tragen nicht winzig befromdung, das wyr dieser zeit und ort landes von euch und sulcher gestalt ersucht werden, so ir doch euch selbst wol zu erinnern wisset, das wyr uftmals in unserm amt und stadt Sangerhausen gewesen, daselbst eczliche tage vorharret, und dergleichen clag an uns nicht habet gelangen lassen. So sint wyr auch der Schwewischen artikel […] genuksam nicht bericht, wywol wyr bey uns abnhemen und achten kunnen, das dyselbigen euch und der Doringschen landart ganz undinstlich und sich auf dy flecken und dorfer euer gelegenheit garnicht reumen, nach schicken werden.

Abschließend eröffnete er erneut die Möglichkeit, Bittsteller mit den Anliegen zu ihm zu schicken, und warnte zugleich vor den Konsequenzen eines Aufstandes.43 Gegenüber seinem Amtmann von Sangerhausen, Melchior von Kutzleben, fand er am gleichen Tag drastische Worte über die bevorstehende Bestrafung der Aufständischen. Die etwa 100 Reiter sollten durch die „landen zu Doringen streufen, alle aufrurischen pauer in grund vorbranne, ir weyb und kind ihn nachjagen und, so vil sy derselbigen beweldigen kunnen, erwurgen“.44 Gleichermaßen stellte er auch den Grafen von Mansfeld Gewalt als adäquates Mittel gegen den Aufruhr vor. Es wäre seiner Ansicht nach gut, wenn die Grafen verlauten ließen, dass sie bedacht [wären], die dorfschaften, welche sich nit widerumb vom haufen anhaim zu haus begeben, mit dem brand anzegreifen. Das man auch alsdenn gegen denen, die sich nit widerumb vom haufen teten, furnemen und sonderlich an den enden, da die Entporung erstlich entstanden […] etlich dorfer ausbrannte, auch alle pauren, die man aufm feld mit ihren wehren ankeme, erstech. Damit wurde man unsers erachtens den aufrurischen, ungehorsamen leuten forcht und erschrecken, sye auch, sich von einander zurtrennen, bewegig machen.45

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Ebd., S. 140 f., Nr. 883, hier S. 141. Ebd., S. 141 f., Nr. 884, hier S. 142. Ebd., S. 171 f., Nr. 919, Zitat S. 172. Ebd., S. 172 f., Nr. 920. Ebd., S. 174 f., Nr. 923.

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Die Worte Herzog Georgs an die Amtleute wie Grafen wirken kühl berechnend und emotionslos angesichts des geforderten Blutzolls. Für die Umsetzung dieses gewaltsamen Vorgehens bedurften der Herzog und seine Verbündeten entsprechenden Personals. Im Briefaustausch mit Johann von Sachsen zeigte er sich am 6. Mai bestürzt, dass der Ernestiner „in allen unsern stetten garkeyn knecht habt aufbringen lassen“. Dass die mangelnde Truppenstärke nicht allein in der Untätigkeit Johanns zu suchen ist, belegt zugleich Georgs Feststellung, dass er nie vermutet hätte, dass „unsere undertan ire getane zusage so korz sulten in vorgessen gestelt haben, das sy uns nicht mit iren leyben helfen und folgen wollen“.46 Die mangelnde Einsatzbereitschaft in der Bevölkerung gegen die Aufständischen erwuchs sich zu einem beträchtlichen Problem für die Fürsten. Am 7. Mai offenbarte Herzog Georg gegenüber Landgraf Philipp sein geschwundenes Vertrauen gegenüber seinen Untertanen.47 Aus einem Anschreiben vom 8. Mai an die Stadt Quedlinburg geht die Ablehnung Georgs gegenüber den Aufständischen deutlich hervor. So sah er sie im Widerspruch zum Glauben, rekapitulierte ihre Übergriffe gegen Geistliche, Adlige und materielle Güter, setzte die Gewalttaten neben die Nächstenliebe und kritisierte das Zuwiderhandeln gegen die göttliche Obrigkeitslehre. Letztlich schrieb er die Unruhen der „eingebung und vorleitung des bösen feinds menschlichs geslechts“ und somit dem Treiben des Teufels zu. Dennoch äußerte er deutlich den Wunsch, unnötiges Blutvergießen – zumal von Unschuldigen – zu vermeiden.48 Der Blick Georgs auf die ländliche Bevölkerung war also mitnichten vorgefasst oder unbesonnen. Letztlich reifte in Georg das Bewusstsein, dass das Konfliktfass bereits bis zum Rand gefüllt war und schon eine Kleinigkeit zum Überlaufen führen konnte. Angesichts dessen und aus taktischen Gründen wies er am 10. Mai Graf Ernst von Mansfeld an, „die bauern, welche die profant zu Beichlingen haben holen sollen und nicht geholt, nicht [zu] brennen, auf das die andern zu weyterem aufruhr nicht vorursacht“ werden würden.49

46 Ebd., S. 182 f., Nr. 931, Zitate S. 183. 47 Ebd., S. 195 f., Nr. 947. 48 AGBM, Bd. II, S. 237–239, Nr. 1369, Zitat S. 238. Ein ähnliches Durchdenken der bäuerlichen Beweggründe zeichnet sich auch in einem weiteren gedruckten Ausschreiben Georgs vom 9. Mai nach. Erneut bezog er neben „böser vorfurischen menschen anleytung“ und schlechten Vorbildern aus dem Schwabenland die Mitwirkung teuflischer Eingebungen mit ein und spricht den Vorgängen redliche Ursachen generell ab. Ein Vorgehen gegen die gottlosen Aufständischen und ihre Taten betrachtete er als seine göttliche Pflicht. ABKG, Bd. II, S. 210 f., Nr. 963, Zitat S. 210. 49 ABKG, Bd. II, S. 215, Nr. 968.

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4. Graf Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen Graf Wilhelm von Henneberg-Schleusingen verurteilte die Unruhen ebenfalls früh und betrachtete sie als unbillig und dem alten Herkommen widerstrebend.50 Bereits Anfang April plädierte er für ein handfestes Einschreiten, um einen größeren Schaden zu vermeiden, und gegen Mitte April hatte seine Dringlichkeit deutlich zugenommen.51 Auch er wurde von den eingehenden Berichten persönlich getroffen, so habe er denjenigen von Georg von Schaumberg aus Kronach „erschrecklich vernomen“.52 Herzog Johann berichtete er am 14. April, dass „sich die versamelung der pauern ane unterlaß“ vergrößere und „derhalb von notten sein wil, in sachen lenger nicht zu verzihen“.53 Trotz allem wurde er von den Ereignissen unvorbereitet eingeholt und so schrieb er am 16. April der Gemeinde Herbstadt von unerwarteten, unbegründeten Plünderungen, „des wir uns […] euch mit nichten versehen hettent“.54 An Herzog Johann gewandt bekannte er am 20. April, dass sich der „aufrure so eilents und snelle begeben, das ichs mich nit versehen hette“. Seinen Untertanen könne er auch angesichts des Zusammenhalts in der Bauernschaft nicht trauen, wenngleich er noch hoffe, dass nicht alle sich anschließen würden.55 Gegenüber den Dorfschaften gab er sich indessen selbstbewusst und siegessicher, so ließ er am 21. April an die Dörfer Jüchsen, Neubrunn, Wölfershausen, Herpf, Stepfershausen und Bettenhausen verlauten, dass der „pauerisch ufrur […] on zweifel ein traurich ende nemen wirdet“.56 Allgemein scheint er die Aufständischen militärisch nicht allzu bedrohlich eingeschätzt zu haben. Am 23. April äußerte er sich sowohl gegenüber Amtmann Bernhardt von Hutten als auch dem Schmalkalder Rentmeister Wilhelm Adolf kriegerisch zuversichtlich. An Hutten gewandt ließ er verlauten: „Nun sint wir willens, mit der that bemelte ufrurische pauerschaft anzugreifen, von unsern herschaft zu nottigen und zu dringen oder ob wir mit unserm vorteil dein und anderer rath und hilf sie konten schlahen.“57 Dem Schmalkalder teilte er über die mangelnde militärische Ausstattung und Kampfmoral der Bauern mit, dass „inen ganz liederlich zu widdersteen ist, und sint sehr ubel bewehret; ist vast ein untuglich ungluckhaftig gesinde. Alsbald man nur ein wenig gegen inen helt, lassen sie abe und ziehen

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AGBM, Bd. I/1, S. 18 f., Nr. 30. Ebd., S. 22 f., Nr. 36. Ebd., S. 42 f., Nr. 66, hier S. 42. Ebd., S. 48, Nr. 73. Ebd., S. 65 f., Nr. 94, hier S. 65. Ebd., S. 131 f., Nr. 179, Zitat S. 131. Ebd., S. 167 f., Nr. 220, hier S. 167. Ebd., S. 198, Nr. 260.

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furt“. So wolle er ihnen denn auch „mit gottes hilf […] einen abbruch thuen“.58 Herzog Johann informierte er zudem nach einem Erfahrungsbericht seines Sohnes, dass zwar die Zahl der Aufständischen groß sei, man jedoch von militärisch ungeschicktem Personal ausgehen könne.59 Am 25. April gestand er sich schließlich die Gefahr und sein Erschrecken ob des Vorankommens und des Personalzuwachses ein. Mit „bekomerlichen herzen“ zog er den göttlichen Widerwillen gegen die Obrigkeiten in Betracht und gab sein Misstrauen gegen seine Untertanen kund, die ihn auf dem Schlachtfeld und in größter Not verlassen könnten.60 Angesichts der desolaten Ausstattung der Bauern, die „on alle were und on alles geschutz sint“, konnte er sich noch immer nicht vorstellen, dass sie flächendeckend erfolgreich sein könnten.61 Gegenüber den Bauernschaften sah er sich keiner Schuld bewusst und fragte Ende April nach deren Ursachen und Gründen, da er ihnen „unsers wissens nie ursach [ge]geben“ habe.62 Selbstkritik und selbstständige Verständnisbemühungen wie beim Kurfürsten sind hier nicht zu fassen, gleichwohl forderte er seine Untertanen zur Aufklärung auf und gab ihnen so die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Analog verfolgte Wilhelm die Taktik, innerhalb der Bauernschar bei Grimmenthal Unfrieden zu stiften und so die Schlagkraft seiner Gegner zu verringern. Zu diesem Zwecke forderte der Graf den Amtmann Tham von Herda auf, zu versuchen, „ob du ein meuterei in grossen haufen mogest zurichten, also das die pauern zwispaltig gemacht wurden“.63 Die Situation wandte sich letztlich jedoch nicht zu seinen Gunsten und bereits am 27. April begann Graf Wilhelm von Henneberg-Schleusingen, vor der Bauernmasse zu kapitulieren. An die Mansfelder gerichtet, gestand er, „so ist die versamelunge so gros, das wir der nicht zu widerstehen wissen, mussens dem allmechtigen gott walten lassen“.64 In den nachfolgenden Tagen stand er vollends in den Trümmern seiner Siegesgewissheit. Am 28. April erbat er bei Herzog Johann Hilfe, da die Mehrheit seiner Untertanen abgefallen sei und er andernfalls nur auf ein Ausgehen der Vorräte mit nachfolgendem Abzug der Aufständischen hoffen könne. Die Masse, die er zuvor angesichts der desolaten militärischen Ausbildung und Ausstattung heruntergespielt hatte, erkannte er nunmehr als großes Problem und befürchtete zusätzlich, dass sich alle einzelnen Haufen zusammenschließen und schwere Waffen beschafft werden könnten.65 58 59 60 61 62 63 64 65

Ebd., S. 204 f., Nr. 269, Zitate S. 205. Ebd., S. 167 f., Nr. 288. Ebd., S. 270, Nr. 352; ebd., S. 271, Nr. 353, Zitat. Ebd., S. 295 f., Nr. 390, Zitat S. 296. Ebd., S. 299 f., Nr. 396, Zitat S. 300. Ebd., S. 324, Nr. 431. Ebd., S. 321, Nr. 428. AGBM, Bd. I/2, S. 340 f., Nr. 451; ebd., S. 383, Nr. 533.

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Wilhelm befürchtete ohne Unterstützung, die Bauernartikel annehmen66 und „irgent ein pauer“ werden zu müssen.67 Am 3. Mai kam es denn auch tatsächlich zur Verpflichtung auf die Zwölf Artikel.68 Letztendlich schilderte Wilhelm dies noch am selben Tag gegenüber seiner Ehefrau Anastasia als „ein ganz gutte […] vertrag“ und somit als Erfolg. Aus dem Schreiben tritt auch die private Anspannung und Angst im gräflichen Haushalt deutlich zu Tage – für Wilhelm wirkte der Vertragsabschluss entsprechend erleichternd.69 Trotz seiner Übereinkunft mit den Aufständischen beriet Wilhelm Herzog Johann bei dem weiteren Vorgehen und lieferte einen Bericht von der Lage im Bauernlager bei Meiningen. Wiederholt hob Wilhelm den erbärmlichen militärischen Zustand der Aufständischen hervor, es sei ein „arms nackents volk“ und nur „wenig ernstlicher wehre noch geschutzes bi inen“.70 Er riet Johann, mögliche strategische Plünderungsziele zu räumen, „dan soviel mere provianden sie finden und ankommen, je mer sie in irem mutwillen gesterkt werden“.71 An Landgraf Philipp gewandt, lässt sich Wilhelms differenzierter Blick auf seine Untertanen erkennen. Selbst „in betrachtung des merklichen schimpfs und schadens, so sie uns und unser herschaft zugefugt haben“, bekundet er am 11. Mai, „bewegen uns doch die unschuldigen, welche durch mutwillige bose puben zu diesem hand genotiget und gedrungen“.72

5. Die Schlacht von Frankenhausen und die Folgezeit Die Lage in den thüringischen Landen spitzte sich schließlich bis auf die Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai zu. Noch am 10. Mai hatte Graf Albrecht von Mansfeld ein Schreiben an die Viertelmeister, Gemeinde und versammelte Bauernschaft zu Frankenhausen gerichtet und dabei nachdrücklich darauf verwiesen, „wer der obrigkeytt widerstrebt, der widerstrebt Gottes ordenunge“. Er appellierte daran, des drohenden „erschrockennlichen blutvorgiessens“ zu gedenken und den bevorstehenden Schaden für ihre Seelen, Leben,

66 Ebd., S. 362, Nr. 488. 67 Ebd., S. 362, Nr. 489. Vgl. auch Johannes MÖTSCH, Der Aufstand im südlichen Thüringen, in: VOGLER (Hg.), Bauernkrieg (wie Anm. 5), S. 113–133, hier S. 120. 68 AGBM, Bd. I/2, S. 401, Nr. 579. 69 Ebd., S. 402, Nr. 581. Vgl. auch MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 67), S. 121. 70 AGBM, Bd. I/2, S. 426 f., Nr. 623, hier S. 426. 71 Ebd., S. 426 f., Nr. 623, hier S. 427. 72 Ebd., S. 472 f., Nr. 704, hier S. 473.

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Frauen und Kinder sowie Güter abzuwenden.73 Da die Fronten verhärtet waren, konnte ein gewaltsames Aufeinandertreffen jedoch nicht mehr umgangen werden. Die briefliche Anklage der Fürsten vom 15. Mai konzentrierte sich auf die religiösen Frevel und Lästerungen der Aufständischen. Da sie diejenigen seien, „denen vo[n] Got das schwert beuolhen“ worden sei, müssten sie diese Vorgänge nunmehr strafen. Ein letztes Gnadenangebot erging – da die Fürsten davon ausgingen, dass „manich arm man boßlich dartzu verfurt“ worden sei – unter der Bedingung, dass die Aufständischen den „falschen propheten Thomas Montzer“ ausliefern.74 Die Konfrontation des Bauernheeres und der fürstlichen Streitkräfte aus Hessen, Braunschweig und dem albertinischen Sachsen am 14. und 15. Mai 1525 auf dem Hausberg (später Schlachtberg) bei Frankenhausen endete mit einer überaus blutigen Niederlage der letztlich militärisch chancenlosen Aufständischen.75 Von Herzog Georg von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen sind kurze Schlachtenberichte an Briefpartner erhalten, die ungeachtet der frischen Schlachteindrücke vom Vortag von Emotionslosigkeit angesichts der Opfermasse geprägt sind. Georg schilderte, dass „die pauern, so sich zu Franckenhausen zusammen vergadert, der bis in funfhalb tausend gewest, des mehrern teils erslagen, auch etlich gefangen und sonderlich den rechten fogel und herfurer Thomas Muntzer uberkommen“ worden sind.76 Philipp von Hessen berichtete an den Trierer Erzbischof etwas detaillierter. Aus der Rückschau am Tag nach der Schlacht belächelte er die Schlachtbereitschaft und Siegeshoffnung der Bauern als halsstarriges Vorhaben. Den Blutrausch der Truppen beschreibt er folgendermaßen: „Als aber die pauwern das gesehen und befunden, sein sie alle den berg hinab nach der statt und wo sie hin kunten flüchtig werden, wir darauf mit den unsern nachgeilet und wes antroffen, erstochen worden, haben auch alsbald mit den unsern die statt mit dem sturme angangen, die auch erobert und 73 Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2: Briefwechsel, hg. von Helmar JUNGHANS u. Armin KOHNLE, bearb. u. kommentiert von Siegfried BRÄUER u. Manfred KOBUCH (Quellen und Forschungen zur Sächsischen Geschichte, 25/II), Leipzig 2010, S. 456–458, Brief 142, Beilage 1, Zitate S. 457. 74 Ebd., S. 488–490, Brief 151, Zitate S. 490. 75 Vgl. Siegfried HOYER, Die „Schlacht“ bei Frankenhausen, in: VOGLER (Hg.), Bauernkrieg (wie Anm. 5), S. 211–224; Günter VOGLER, Thomas Müntzer, Berlin 1989, S. 248–263. Zu den militärischen Vorereignissen in Thüringen ab April 1525 sowie der Gefangenschaft und Hinrichtung Müntzers im Mai vgl. ebd., S. 237–247 u. 263–270. 76 AGBM, Bd. II, S. 302, Nr. 1464. Am 18. Mai schrieb Herzog Georg an seinen ältesten Sohn Johann, dass sie „ane sunderliche große fahr“ gesiegt hätten und die „eroberung geringlich und ane sunderlichen schaden der unsern geschehn“ sei. Seiner Gemahlin Barbara lässt er angesichts der Todesgerüchte über ihn ausrichten, dass er sich „in frischer gesuntheit“ befinde. ABKG, Bd. II, S. 233, Nr. 986.

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was darin von manspersonen befunden, alles erstoichen, die statt geplündert“. Statt Reue über die Bluttat gab er kund, er hoffe, „damit ein gut werk ausgericht und vollbracht zu haben, das solichs allen frommen landen ein sterkung irer fromkeit und den boßen ufrürischen bauwern ein abstrecken und ebenbild pringen und gebaaren, auch manchen dahin bewegen sollen, daß ein iglich bei seinem weib und kindern hinfürter sollen heim bleiben, der sunß wol aus muttwillen zu haufen und aufruren versamlt lief“.77 Das Resümee des Henneberger Grafen Wilhelm, der in Langensalza von den Vorgängen unterrichtet wurde, fiel ähnlich gefühllos aus, so habe man die große Zahl Aufständischer „belegert und gestern montags umb drei horen nach mittage dieselbigen bei 5000 gewießlich, uf das wir auch nit zu viel schreiben, erstochen und umbbracht“. Ähnlich wie Herzog Georg, erwartete Wilhelm, dass dieser Sieg langfristig Frieden einkehren lassen würde.78 Nach der Schlacht war der Aufstand jedoch nicht vorüber und weitere Militärhandlungen, so in Mühlhausen oder auch in Südthüringen waren vonnöten. Gegen die Mühlhäuser wurde erneut das unchristliche Verhalten, „ane alle redliche ursachen wider das heilig ewangelium und gottlich wort und gebot gestrebt“ zu haben, neben dem Landfriedensbruch ins Anklagezentrum gerückt79 – Landgraf Philipp bezeichnete die Reichsstadt gar als „erzketzernest“.80 Nach der großen Bluttat in und um Frankenhausen, setzte Kurfürst Johann erneut auf friedliche Verhandlungen und als angemessen empfundene Bestrafungen zur Wiedergutmachung, Machtdemonstration und Aufruhrprävention. An Herzog Georg und Landgraf Philipp gewandt, gab er am 19. Mai zu bedenken: „Dan wo bei den von Mulhausen durch schleunige und unweitleuftige handelung das erlangt mocht werden, dohin sie sunst mit dem schwert und costen zu dringen, achten wir, es sult nit unbequem sein.“81 Der Kurfürst musste sich allerdings, da er die Schlacht verpasst hatte, nunmehr zur Herrschaftswahrung auch wieder aktiv in die Politik der Handlungsträger einbringen. So stellte beispielsweise Philipp von Hessen in einem Schreiben an den Schwäbischen Bund vom 18. Mai heraus, dass „wo wir nit zugezogen, ganz Dhoringen bis uf Erffurt und Nordthausen, die gehalten haben, verloren gewesen were“.82 Johann versuchte entsprechend, militärische Stärke zu demonstrieren, und gab sich am 21. Mai in einem Schreiben an Wilhelm von Henneberg-Schleusingen kämpferisch. Er 77 AGBM, Bd. II, S. 305, Nr. 1469. Einen weiteren Bericht lieferte Philipp am 18. Mai an den Schwäbischen Bund und beziffert die Zahl der erstochenen Bauern auf 5.500 sowie der gefangenen Beteiligten auf 600, vgl. ebd., S. 324–326, Nr. 1495. 78 AGBM, Bd. I/2, S. 491, Nr. 743. 79 AGBM, Bd. II, S. 332 f., Nr. 1504, hier S. 332. 80 Ebd., S. 407, Nr. 1608. 81 Ebd., S. 333, Nr. 1506. 82 Ebd., S. 324–326, Nr. 1495, hier S. 324.

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kündigte an, bei seiner Anreise den widerstrebenden Dörfern „eine Schlacht zu liefern“.83 Die Stimmung unter den Fürsten war zunächst durch Aggressivität und Kompromisslosigkeit geprägt. Gegenüber den Frauen auf den Dörfern um Mühlhausen ließen Johann, Georg und Philipp am 22. Mai verlauten, dass sie ihre Männer zurückrufen sollten, andernfalls seien sie genötigt „dieselben weiber mit iren kindern aus denselben dorfschaften zu vortreiben, ire heuser abzuprennen“.84 Graf Wilhelm berichtete zusätzlich an die Räte in Schleusingen vom Bitten und Flehen der Frauen um Gnade für ihre Männer, welches mit kühler Antwort abgewiesen wurde, sodass sie „mit Weinen wieder weggezogen“ seien.85 Ein gemäßigteres Verhalten legte er selbst an den Tag, wobei der Konflikt trotz der gestärkten obrigkeitlichen Position nach der siegreichen Schlacht in seinen Landen noch nicht überstanden war. Er schätzte die Unruhen als teuflisches Unternehmen ein und forderte seine Untertanen Ende Mai/Anfang Juni auf, die Folgen ihrer Handlungen angesichts seiner Gnaden- und Verhandlungsangebote zu bedenken. Des Weiteren teilte er ihnen mit, dass Sanktionen in Form von Plünderung und Brandschatzung von Seiten Landgraf Philipps und der anderen Fürsten drohen, wenn sie sich weiterhin am Aufruhr beteiligten.86 Durch Gesprächsangebot und Signalisierung weiterhin vorhandener Fürsorglichkeit suchte er die Situation weiter zu beschwichtigen. In einem JuliSchreiben an Graf Georg II. von Wertheim tritt jedoch seine weniger liebevolle und vom Verdruss geprägte Betrachtung der aufrührerischen Untertanen zu Tage. Tatsächlich schmähte Wilhelm sie als unsinnige und tobende Bauern.87 Seine geschilderte, anfängliche Siegessicherheit war trotz der Frankenhäuser und Mühlhäuser Erfolge der Vorsicht bezüglich der Krafteinschätzung der Bauern gewichen. Zwar zeigten sich die Aufständischen momentan unentschlossen und zusammengeschrumpft, „aber doch konnen sie sich sterken, wan sie wollen“.88 In der Folgezeit ging es um die weitere Zurückdrängung der Unruhen, die vorbeugende Entwaffnung der Bauernschaft, eine angemessene Bestrafung der Rädelsführer, Wiedergutmachungsleistungen sowie die Prävention neuer Aufstände. Besonders in Südthüringen hielt sich der Aufruhr hartnäckig bis in den Juli und forderte weiterhin militärischen Einsatz.89 Am 5. Juni äußerte Graf 83 AGBM, Bd. I/2, S. 504, Nr. 772. Zu seinem politischen Zugzwang vgl. GRAUPNER, Die ernestinischen Fürsten (wie Anm. 5), S. 283 u. 295–298. 84 AGBM, Bd. II, S. 347, Nr. 1534. 85 AGBM, Bd. I/2, S. 511, Nr. 791. 86 Ebd., S. 508, Nr. 782; ebd., S. 515, Nr. 799. 87 Ebd., S. 603, Nr. 972. 88 Ebd., S. 531 f., Nr. 834, hier S. 532. 89 Zu den Vorgängen in der hennebergischen Herrschaft vgl. MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 67), S. 123 f.

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Wilhelm von Henneberg-Schleusingen gegenüber der Bildhäuser Versammlung sein Unverständnis darüber, dass sie sich nach dem bereits zugefügten Schaden „weiter gewalts […] understehen“ und ließ verlauten, dass er ihnen „zu solchem furnemen nit ursach gegeben“ habe. Der Graf zeigte sich geneigt „zu verhutung blutvergiessens“ und „domit die ding zu friden geraichen“, im Falle der Unterwerfung der Bildhäuser unter den kurfürstlichen Willen, bei Johann ein vermittelndes Wort einzulegen.90 Dieses Vorgehen sollte letztlich auch einen wirtschaftlichen Zusammenbruch der betroffenen Landstriche vermeiden.91 Erst am 16. Juli erreichte der Graf ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen mit seinen Untertanen. Am Vortag berichtete er in einem die persönliche Erschöpfung illustrierenden Schreiben an Graf Georg II. von Wertheim noch, dass er „nun in die zehende wochen umbgerieten“ und in dieser Zeit „nit mehr, dan zwue nacht anheims“ gewesen sei. Es sei jetzt an der Zeit in der eigenen Herrschaft, nachdem er durch seinen auswärtigen Einsatz „darinnen noch gar nichts gehandelt noch ausgericht“ hatte, zur Ordnung zurückzufinden und er wolle nunmehr „kein[en] verzug […] lenger dulden noch leiden“.92 Wenngleich die übrigen Fürsten nicht mehr derart essenziell gefordert waren, so musste doch das weitere Vorgehen geklärt werden. Noch in Mühlhausen verabredeten sich Kurfürst Johann, Herzog Georg und Landgraf Philipp auf den Fortbestand militärischer Präsenz im Westen Thüringens, wobei „auch die fursten in rustung plieben, domit sie eylend zusamenkomen mogen“. Des Weiteren beschlossen die Fürsten ein Versammlungsverbot für die Bauern sowie eine Entwaffnung derselben, sodass „keynen pauer anderst, denn ein brotmesser und holzaxt“ gelassen werden sollte.93 Besonders sticht in der Folgezeit die Angst hervor, dass es bei neuerlichen Unruhen schlimmer als zuvor werden könnte. Landgraf Philipp berichtete Kurfürst Johann etwa von etlichen Bauern im Hainich, die sich „in den gehegen und streuchen neben, umb und bei den strassen underschleufen und enthalten, das wie wir besorgen, allen dahinuber wabenden menschen groesse geverlichait darauf stehen und, wo das nit verkomen, vieler unrat daraus erwachsen wirdet“. Er riet, den „Heynich durchsuchen und dieselben widerwillische bauern vervolgen [zu] lassen, damit die stras deren ends wider moge geoffent und weiter schade und der leute umbkomung verhut werden“ möge.94 Von Herzog Georg wurde Johann unterrichtet, dass die hartnäckige Anhängerschaft Müntzers in Allstedt, die dafür „leib und leben lassen wollen“, ein neues Aufflammen provozieren könnten. Es sei ihm beschwerlich, 90 91 92 93 94

AGBM, Bd. I/2, S. 543, Nr. 866. Vgl. MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 67), S. 127–129. AGBM, Bd. I/2, S. 603, Nr. 972. ABKG, Bd. II, S. 254 f., Nr. 1006, Zitate S. 255. AGBM, Bd. I/2, S. 534, Nr. 839.

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überhaupt von der „verstockter leut verplendt und halstarrig gemuet“ hören zu müssen und „dabey nit schwer zu ermessen, wa sye ane widerstand darinnen verharlich bleiben, das [sie] bey andern umbligenden nachpaurn, die sye an zweifel dahin auch laiten und zu dergleichen uncristenlicher haldung raizen und bewegen, schedlich und bos exempel geben“.95 Der gemeinschaftlich beschlossene Entwaffnungsplan wurde zeitnah von den Fürsten zur Umsetzung angeordnet, sodass Herzog Georg am 6. Juni befahl, in allen beteiligten oder auch nur des Aufruhrs verdächtigten Dorfschaften die Bewaffnung einzuziehen.96 Kurfürst Johann teilte diesem am 9. Juni mit, „allen Bauern – und nicht nur den aufständischen – und auch etlichen Städten die Waffen“ abzunehmen.97 Trotz der beigefügten Schäden, der als Anmaßung empfundenen Erhebung sowie des tief sitzenden Schreckens waren die Fürsten, so Landgraf Philipp und Kurfürst Johann, bestrebt, das rechte Strafmaß nicht zu überschreiten und Unschuldigen nicht zu schaden. Philipp von Hessen schritt beispielsweise Ende Mai mit einigem Befremden gegen den Schultheißen zu Eisenach ein, der einige bereits gemaßregelte Bauern „doppel und mit zweien ruten“ strafen würde.98 Schließlich sah sich jedoch auch Johann von Sachsen genötigt, den hessischen Landgrafen im Juni zur Mäßigung zu mahnen, da er geplante Brandschatzungen wie bereits in Mühlhausen abgesprochen als unangebracht erachtete.99 Noch im Mai 1526 erinnerte Johann in Bezug auf die Behandlung von Flüchtigen des Bauernaufstandes daran, dass Unschuldige darunter sein konnten, „die als arme leute forcht halben entwichen und sonderlich nichts verschuldet, der aufrur auch keine anfenger noch erreger gewest“ und wünschte sich das rechte Maß an Besonnenheit.100 Neben humanitären Überlegungen spielte dabei der Blick in die Zukunft eine wichtige Rolle, so durften die Bevölkerung und das Land wirtschaftlich und in den essenziellen Ressourcen nicht ruiniert werden. Die Fürsten mussten sich zudem als beherrschte Verteidiger von Gerechtigkeit und göttlicher Ordnung zeigen, um nicht das Vertrauen der Bevölkerung mit einem allzu tyrannisch-drakonischen Vorgehen zu verspielen. Dass auf der anderen Seite aber auch ein zu milder Eindruck zu vermeiden war, belegt eine geheime Absprache Kurfürst Johanns mit den Witwen bzw. Waisen von neun enthaupteten Bauernanführern im Amt Leuchtenburg aus dem Dezember 1526. Auf das Ansuchen der Frauen um Erlass der Strafgelder,101 erging eine positive Anweisung des Kurfürsten, welche jedoch „von den 95 96 97 98 99 100 101

ABKG, Bd. II, S. 278 f., Nr. 1028. Ebd., S. 277 f., Nr. 1026. AGBM, Bd. I/2, S. 550 f., Nr. 887, hier S. 550. Ebd., S. 535, Nr. 842. Ebd., S. 578, Nr. 933. AGBM, Bd. II, S. 831, Nr. 2034. LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 922, fol. 2r–v.

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andernn nit vermarkt“ und „in gehaim“ zur Umsetzung gelangen sollte.102 In der Öffentlichkeit sollte weiterhin der Eindruck des harten Durchgreifens gewahrt bleiben. Zu guter Letzt ging es bei den Auseinandersetzungen um das Strafmaß auch um eigene Abgeltungsansprüche. So konkurrierten Landgraf Philipp von Hessen und Graf Wilhelm von Henneberg-Schleusingen um die Bestrafung in der Herrschaft Schmalkalden. Am 27. September 1525 ließ Philipp an Wilhelm verlauten, dass er angesichts doppelter Strafvermeidung hoffe, es werde allein bei seiner Bestrafung bleiben. Graf Wilhelm beharrte jedoch am 30. September auf einer Begleichung seines entstandenen Schadens und verwies auf die diesbezügliche Schadensfreiheit Philipps. Letztlich einigten sich beide Fürsten auf eine gleichmäßige Aufteilung der Strafgelder.103

6. Das Resümee des Henneberger Grafen Wilhelm Graf Wilhelm fasste im Februar 1526 die vergangenen Aufruhrgeschehen in einem Schreiben an Herzog Albrecht von Preußen zusammen. Inwieweit er dabei in allen Punkten aus ehrlichem Herzen sprach oder auch die Erwartungen des Empfängers einkalkulierte, kann nicht gänzlich geklärt werden. Reflektierend und resümierend führte er zunächst den Druck und den Zwang der Aufständischen gegenüber den obrigkeitlichen Handlungsträgern an und rechtfertigte somit zuallererst seine eigene Einwilligung in die Zwölf Artikel. Im Zusammenhang mit der Reformation offenbarte er zudem, dass zunächst falsch eingeschätzt wurde, gegen wen das Aufbäumen im weiteren Verlauf noch gehen werde. Er bekannte: „und wir sahen in der erst alle zu, gefiel uns auch wol, das es uber pfaffen und monch gienge, wusten aber nit, das uns das ungluck auch als nahend was“. Kritisch verwies er auf die mangelnde, obrigkeitliche Zusammenarbeit zugunsten der eigenen Habseligkeiten sowie den Umstand, dass es den Bauern gelang, Verbündete bei den Edelleuten zu finden. Für sich selbst schilderte er: „Und gieng uns sonderlich ubel, wurden auch gar ubereilt, dan wir niemants bei uns hetten, konten auch niemant zu uns bringen.“ Dieses Überranntwerden hatte Wilhelm gänzlich überrascht, so gestand er: „Dan wir versahen uns zu der zeit nit, das unsere bauern solten aufgestanden und treulos worden sein, das wir also gar von unserm gesinde entplosset waren.“ Des Weiteren beschrieb er die Ehrlosigkeit der Bauern, die ihn trotz Zusicherung freien Geleits mit dem Tode bedrohten. Vermutlich auch vor dem Hintergrund der per102 Ebd., fol. 1r; AGBM, Bd. II, S. 755 f., Nr. 1965. 103 AGBM, Bd. I/2, S. 636 f., Nr. 1019; MÖTSCH, Aufstand im südlichen Thüringen (wie Anm. 67), S. 129.

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sönlichen Verteidigung erläuterte er dem Herzog sein Lavieren zwischen guten und bösen Worten sowie das Bedrohungsszenario. Zu guter Letzt unterstrich Wilhelm seinen eigenen Einsatz, die aufgenommenen Beschwerungen sowie die außergewöhnliche psychische Belastung der Auseinandersetzungen: „Aber E.L. sollen uns in aller warheit glauben, das wir uns all unser leben lang nie keiner sachen noch handlung dan solcher beurischen ufrur […] heftiger angenommen haben, welchs unsere gelben hare, so uns E.L sehen, bezeugen und anzeigen solten.“104

7. Herzog Georg und die Verantwortung des Luthertums Wie bereits geschildert, hatte Georg von Sachsen schon im April einen deutlichen Zusammenhang zwischen der neuen Lehre und den Aufständen gesehen.105 Im Nachgang der militärischen Niederschlagung führte er diese Argumentation weiter fort und letztendlich stand er mit dieser Position auch nicht allein. So formulierte Kurfürst Joachim I. von Brandenburg in einem Schreiben an Herzog Albrecht von Preußen vom 18. Juni: „Wo es bei der alten warhaftigen auslegung des heiligen evangeliums […] geblieben und die vorfurer zeitlich von den obrigkeiten gestraft, were on zweifel solch ufrurig, gewaltig, irrig und muttwillig furnehmen, das zu zerstorung, vorwustung und vordilgung land und leut dinstlich, woll verhutt worden.“106 Herzog Georg nahm in seinen Ausführungen vom Oktober 1525 auch Martin Luther persönlich in die Verantwortung. Luther sei „nicht der wenigisten orsachen aller dyser vbeln that gwessen“.107 In Georgs Kritik geriet er auch durch sein wankelmütiges Verhalten zwischen Obrigkeit und Bauernschaft. So habe er die Bauern zunächst gegen die Obrigkeiten aufgestachelt und sei hernach „vom poffel gefaln, den selben helffen vor orteilln vnd vordamen“. Die Bevölkerung habe dieses Wechselspiel ebenfalls bemerkt, „dor durch her och in abgunst des armen gmenen folks gfaln, dy durch in vnd sein anhang vorfurt seint“.108 In einem Schreiben an Kurfürst Johann vom 15. Oktober gab er den ernestinischen Fürsten durch ihre mangelnde Eindämmung der lutherischen

104 105 106 107

AGBM, Bd. I/2, S. 651–654, Nr. 1049, Zitate S. 652 u. 654. ABKG, Bd. II, S. 132 f., Nr. 873. AGBM, Bd. I/2, S. 573 f., Nr. 922, hier S. 573. ABKG, Bd. II, S. 405–407, Nr. 1147, hier S. 405 f. Vgl. auch ebd., S. 407 f., Nr. 1148; ebd., S. 410 f., Nr. 1151 u. ebd., S. 410 f., Nr. 1151. Diese Schuldzuweisung führte Georg von Sachsen auch langfristig immer wieder an, vgl. ebd., S. 493, Nr. 1209. 108 Ebd., S. 405–407, Nr. 1147 (Zitate S. 406).

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Predigten eine Mitschuld am Blutvergießen. Er zeigte sich missgelaunt über das mangelnde Engagement Johanns sowie die Widersprüchlichkeit Luthers: Und er schreibet und treybets teglich, wie offenbar, dadurch alle oberkeit, guet regiment und policey zurstort mog werden durch die undertanen. Solt ye E.L. auch pillich angehen. Dann wo ein armer pauer saget, er welle sein jungkern nicht vor gut halten, er sey freye, den straft man; Lutter spricht, man sol ihne toden als ein torichten hund. Er selber schreibet, es sey auf der bane, es mussen alle fursten, alle bischof zu boden gehen und keiner mehr sein, reizt und hetzt, vorfurt also die armen […] Das ye auch nicht unpillich zu bedenken und zu besorgen, so mans aber lest uberhandnehmen, und es E.L. geren wehren wolt, das es mocht E.L. und uns allen zu vil werden. Denn wenn E.L. und wir uns auch dergleichen hetten in der ufrur der sachen nicht angenomen, so stunde es ytzt darauf, das wir samt allem adel vertilget und undergedruckt weren. Alsdan hette Lutter gesaget, es were des schuld, das man sein ewangelium nicht hett wollen horen; damit het er den kopf aus der schlingen gebrocht.

Auf dieser Erkenntnis aufbauend wollte Georg verhindern, dass Luther „wider ein neu spil ansynnen sollte, dadurch E.L. und unser land in weiter verterb komen sollten.109 Die Schuldfrage wurde noch 1526 heiß diskutiert und so äußerte sich Herzog Georg von Sachsen am 19. November außerordentlich erbost über Luther und dessen Schuldzuweisung in den katholischen Raum: „Itzt spricht er und will sagen, die ufrur sey uf unserm boedem zu Molhausen entstanden, do das ewangelium ufs hochst vorworfen sey[.] […] Dieweyl denn derselbe [Pfeiffer] vor eyn ewangelischen prediger do geduldet, wie mag den Lutter sagen, das die ufrur do entstanden, do das ewangelium am hochsten verfolget.“ Für Georg gab es keinerlei Zweifel oder Diskussionsbedarf – die Verantwortung für das Geschehene tragen Luther und seine Prediger. Polemisch formuliert er über das Selbstverständnis Luthers: „Wol glauben wir, wens nach seynem [Luthers] willen hette gehen sollen, so er gern vor eyn propheten gehalten wer, so hette es also gehen mussen; denn von solchem plitzen und donnern, do er saget und schreybt, es wer am tag und uf der ban, das keyn furst noch bischof mehr sein solt, haben wir uns der platzregen bey ime wol zu versehen.“ Zusammenfassend für sein Verhältnis zum neuen Glauben und dessen Akteuren formuliert Georg scharf: „Lutters ewangelium wollen wir fahren lassen an die ort, do es hingehort.“110

109 Ebd., S. 410 f., Nr. 1151, Zitat S. 411. 110 Ebd., S. 654–657, Nr. 1354, Zitate S. 656 f.

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8. Der Aufstand geht – der Schrecken bleibt Abschließend sei darauf verwiesen, dass der Schrecken des Bauernkrieges noch über Jahre die Albträume und Vorahnungen der Fürsten nährte. Regelmäßig kamen seit November 1525 Aufstandsgerüchte oder -meldungen zwischen den Obrigkeiten zur Sprache. So berichtete Ende November der Amtmann Sittich von Berlepsch an Herzog Georg von dem Gerücht, dass in der Christnacht zu den Messen allerorten die Geistlichkeit und der Adel totgeschlagen werden sollten.111 Der Herzog nahm die Warnung ernst, zumal er sich im Anschluss an die Bauernunruhen eingestehen musste, dass der Adel „gar ein klein haufen ist gegen dem gemeinen pofel“.112 Entsprechend suchte er den Austausch mit Kursachsen und forderte die Amtleute zur Vorsicht und Aufsicht auf.113 Sittich von Berlepsch vermeldete dem nachkommend, dass eine bewaffnete Bereitschaft und gegenseitige Hilfeleistungen unter anderem durch „eylende botschaft ader feurezeychen“ vorbereitet seien. Dabei wurde durchaus taktisch und möglichst unauffällig vorgegangen, damit „dem gemeynen man durch dyse vorsamlunge nicht ursache gegeben, als ab man in inen myßtrauen hette, ader das man sich förchtete“.114 Letztlich suchte man also zu vertuschen, was doch aus den Handlungen offensichtlich wurde. Inwieweit der angestrebte Schein im öffentlichen Wahrnehmen gewahrt blieb, lässt sich nicht feststellen. Philipp von Hessen wurde im Dezember 1525 durch aufwieglerische Prediger und Zusammenrottungen in der Creuzburger Gegend beunruhigt. Erneut zog der Landgraf am stärksten Gewaltanwendungen gegen die Untertanen in Betracht, denn „so ist unser ansehens besser […], das man itzo ein haut oder zwoe vol fleisch straf, dan dasselbig kunftiglich mit herescraft, verterbung armer leut und einem mirglichen blutvergiessen zu gescheen“. Es müsse „alle boese pflanzung“ ausgerottet werden.115 Zusätzlich rückte von Dezember 1525 bis ins Frühjahr 1526 Mühlhausen mit der sogenannten Federwisch-Verschwörung erneut in den Unruhefokus.116 Im Februar 1527 sprachen sich Kurfürst Johann und Herzog Georg wegen aufkommender Bauernunruhen um Straßburg ab und 111 112 113 114 115 116

Ebd., S. 439–441, Nr. 1174. Ebd., S. 411, Nr. 1151. Ebd., S. 448 f., Nr. 1180, hier S. 448; AGBM, Bd. II, S. 738, Nr. 1953. ABKG, Bd. II, S. 456–459, Nr. 1190, hier S. 456 f., Zitate S. 456. AGBM, Bd. I/2, S. 643 f., Nr. 1034, Zitate S. 644. AGBM, Bd. II, S. 791–793, Nr. 1997; ebd., S. 793, Nr. 1998; ebd., S. 801–804, Nr. 2004, hier S. 803; ebd., S. 850–853, Nr. 2055, hier S. 851–853; ebd., S. 866, Nr. 2075; ebd., S. 868 f., Nr. 2078; ebd., S. 869 f., Nr. 2079; ebd., S. 871–874, Nr. 2081, hier S. 873 f.; ebd., S. 883 f., Nr. 2090, hier S. 883; ebd., S. 934–937, Nr. 2141, hier S. 937; Gerhard GÜNTHER, Flucht, Vertreibung, Verfolgung und Gegenreaktionen, in: VOGLER (Hg.), Bauernkrieg (wie Anm. 5), S. 397–415, hier S. 408–410.

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JULIA MANDRY

Johann ordnete eine besondere Aufsicht bei seinen Amtleuten an. Verdächtige Personen sollten augenblicklich arretiert werden, denn „ob woll zu zeiten ein unschuldiger mag getroffen werden, so sei doch nach gelegenhait und umbstenden des handels dieser zeit der sorgfeltigen leufte, domit durch forcht und ernst solche beschwerungen werden, dasselb nicht zu unterlassen“.117 Ein Befragter warnte in diesem Zusammenhang, es werden „mehr Bawrn zusamen komen dann vormals“.118 Am 31. März ließ der Kurfürst ein Ausschreiben an seine Amtleute ausgehen, indem er Vorsichtsmaßregeln gegen einen erneuten Aufruhr bestimmte, zur Achtsamkeit aufrief und das Einhalten der Waffenverbote einforderte. Aus seinen Worten geht deutlich das empfundene Bedrohungsszenario hervor, wenn er berichtet, wie sich aufrührerische Bauern in abgelegenen Mühlen, Häusern und Höfen sammeln, predigen und der Obrigkeit den Gehorsam aufkündigen würden.119 Eine entsprechende Aufsichtsanordnung aufgrund neuer Aufruhrgerüchte erließ Herzog Georg am 18. August an den Mühlhäuser Rat.120 Mit erneuten Gerüchten aus Bierhäusern und Versammlungen über bevorstehende Bauernaufstände wandte sich Georg von Sachsen auch im Mai 1528 an Kurfürst Johann und forderte sogleich zu einem ernsten und zielgerichteten Vorgehen gegen etwaige Vorkommnisse auf.121 Wie langwierig sich die Anspannung und das Misstrauen gegenüber der Bevölkerung hielt, belegt ein Briefwechsel im März 1535, in dem sich Herzog Georg mit Kardinal Albrecht von Brandenburg, dem thüringischen Hauptmann Christoph von Taubenheim sowie dem Amtmann Philipp von Reibisch zu Sangerhausen über einen neuen Aufruhr im Harz austauschte.122 Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die fürstlichen Reflexionen über die Bauern – sowohl zu Beginn der Aufstände als auch während der militärischen Auseinandersetzungen und aus der Rückschau heraus – je nach Persönlichkeit unterschiedlich ausfallen konnten und entsprechende Reaktionen heraufbeschworen bzw. begleiteten. Von Relevanz waren etwa auch die Einstellung 117 AGBM, Bd. II, S. 868, Nr. 2077; LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 826, fol. 4r– 5v. 118 LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 826, fol. 7r. 119 AGBM, Bd. II, S. 879 f., Nr. 2085. 120 Ebd., S. 887, Nr. 2093. 121 LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N, Nr. 827, fol. 1v; AGBM, Bd. II, S. 906 f., Nr. 2113; Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Dritter Band: 1528–1534, hg. von Heiko JADATZ/Christian WINTER, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 114, Nr. 1603. 122 ABKG, Vierter Band: 1535–1539, hg. von Heiko JADATZ u. Christian WINTER, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 89 f., Nr. 2692; AGBM, Bd. II, S. 933, Nr. 2140. Vgl. auch ABKG, Bd. IV, S. 101, Nr. 2714 u. ebd., S. 121 f., Nr. 2752, hier S. 122.

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zur Gewaltanwendung, Einsicht in bzw. Verständnis für die bäuerlichen Probleme sowie die vorsichtige oder herablassende Einschätzung ihrer Durchsetzungskraft. Allen Fürsten gemein war jedoch der Schock über das bäuerliche Aufbegehren sowie die Kraft, die durch die Masse der Aufständischen entwickelt werden konnte. Ohne unvoreingenommene Ursachenüberlegungen nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde die Sachlage subjektiv und kaum selbstkritisch von den siegreichen Fürsten bewertet. Die jahrelange Aufstandsangst belegt jedoch auch, wie tiefgreifend die Aufständischen das Sicherheitsund Hoheitsgefühl der Obrigkeiten in ihren eigenen Landen erschüttert hatten.

AKTEURE

ANDREAS DIETMANN DIE PREDIGER JAKOB STRAUß UND WOLFGANG STEIN IM BAUERNKRIEG

Die Prediger Jakob Strauß und Wolfgang Stein im Bauernkrieg Die Bedeutung der Prediger für die Verbreitung der lutherischen Lehre und letztlich die Durchsetzung der Reformation im frühen 16. Jahrhundert ist weitgehend bekannt und kaum bestritten.1 Auf keinem zweiten Wege kam die evangelische Botschaft so schnell, so flächendeckend und so unmittelbar unter die Bevölkerung wie durch das gesprochene Wort jener Prediger, die sich mit den frühen Lehren Luthers identifizierten. Die Glaubensgrundsätze des Reformators wurden von ihnen aufgriffen, vertieft, weitergedacht und den Menschen ausgelegt, gleichzeitig aber auch um weitere kirchliche und gesellschaftliche Aspekte anhand der Bibel erweitert. Nicht selten kam es dabei zur Herausbildung eigenständiger Lehren in vermeintlich lutherischem Sinne, die dessen theologischen Grundgedanken ergänzten, mitunter aber auch ersetzten. Da in der Zeit der frühen Reformation jedoch jede neue theologische Auslegung der Heiligen Schrift an dem Maßstab der lutherischen Lehren gemessen wurde, barg die Tätigkeit der Prediger in der Herausbildung einer eigenen Lehrmeinung die Gefahr einer – aus der lutherischen Perspektive gesprochen – ‚falschen‘ Auslegung des Evangeliums in sich. Welche Folgen eine solche eigenständige Auslegung und interpretative Fortführung der lutherischen Ideen zeitigen konnte, lehren die frühen 1520er Jahre, in denen ein Konglomerat ‚falscher‘, das heißt von der lutherischen Lehre abweichender Lehrmeinungen zum Aufruhr führte und im Bauernkrieg blutig eskalierte. Die beiden Prediger Jakob Strauß und Wolfgang Stein liefern in ihrer theologischen Auffassung eindrückliche Beispiele für jene frühen evangelischen Geistlichen, deren Lehren an der Erhebung des Gemeinen Mannes möglicherweise nicht unbeteiligt gewesen waren. Zugleich verdeutlichen sie jedoch auch die große Ambivalenz, die das Verhältnis zwischen der tatsächlichen, in gutem Gewissen vertretenen Lehrmeinung und der Interpretation beziehungsweise der Umsetzung in der Bevölkerung mitsamt den entsprechenden Folgen prägte. Die folgenden Ausführungen sind diesem Verhältnis gewidmet und sollen die theo1

Nach wie vor maßgeblich dazu Rudolf HERRMANN, Die Prediger im ausgehenden Mittelalter und ihre Bedeutung für die Einführung der Reformation im Ernestinischen Thüringen, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1 (1929–1931), S. 21–68. Ausführlich am süddeutschen Beispiel vgl. Justus MAURER, Prediger im Bauernkrieg (Calwer Theologische Monographien. Reihe B, 5), Stuttgart 1979.

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logischen Lehren beider Prediger, deren Wirkung auf die Bevölkerung sowie die entsprechenden Folgen für das frühe evangelische Kirchenwesen, aber auch das eigene Handeln in der kritischen Situation des Bauernkrieges skizzieren.

1. Herkunft und Bekanntschaft Jakob Strauß, der ältere von beiden, wurde um 1480 in Basel geboren.2 Er studierte Theologie und trat in Berchtesgaden in den Dominikanerorden ein. Im Jahr 1516 promovierte er an der Universität Freiburg zum Doktor der Theologie und trat anschließend die Professur für Theologie und Kirchenrecht an. Seit 1521 wirkte er als Prediger in Schwaz und Hall in Tirol. Hier kam er erstmals, wie er in späteren Schriften selbst berichtete, mit der evangelischen Lehre in Kontakt und ließ sich in seiner eigenen Predigttätigkeit von ihr leiten.3 Die Folge war das Misstrauen und die Ablehnung der dortigen katholischen Geistlichkeit, was Strauß letztlich dazu bewog, aus Tirol nach Wittenberg in das direkte Umfeld Luthers zu ziehen. Im Frühjahr 1522 immatrikulierte er sich an der Leucorea und wirkte zugleich als Prediger im nahegelegenen Kemberg. Schnell schloss er die Bekanntschaft zu Luther selbst, der ihn noch im selben Jahr als Prediger an den Grafen von Wertheim empfahl. Die Fürsprache Luthers lässt auf ein gutes Einvernehmen zwischen beiden schließen, obgleich Strauß nur wenige Monate in der Grafschaft blieb. Um den Jahreswechsel 1522/23 kam er als Prediger nach Eisenach, wo sich sein reformatorisches Wirken und eine damit verbundene reiche publizistische Tätigkeit endgültig voll entfalteten. 2

3

Zur Biographie Jakob Strauß’ vgl. Reinhold JAUERNIG, D. Jakob Strauß, Eisenachs erster evangelischer Geistlicher, und der Zinswucherstreit in Eisenach, in: Mitteilungen des Eisenacher Geschichtsvereins 4 (1928), S. 30–48; Hermann BARGE, Jakob Strauß. Ein Kämpfer für das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutschland (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 162), Leipzig 1937; Joachim ROGGE, Dr. Jakob Strauß – Wegbereiter des Evangeliums in Luthers lieber Stadt, in: Des Herren Name steht uns bei. Luthers Freunde und Schüler in Thüringen, Bd. 1, hg. vom Landeskirchenrat d. Evang.-luth. Kirche in Thüringen, Berlin 1961, S. 10–24; MAURER, Prediger (wie Anm. 1), S. 434–441; Thomas T. MÜLLER, Wucherstreit im Pfaffennest. Anmerkungen zur Vor- und Frühreformation in Eisenach, in: Joachim BAUER/Michael HASPEL (Hg.), Jakob Strauß und der reformatorische Wucherstreit. Die soziale Dimension der Reformation und ihre Wirkungen, Leipzig 2018, S. 17–30, hier S. 20–22. Die erste unter seinem Namen gedruckte Schrift (1522) enthält eine Predigt über das Abendmahl, die er nach Ausweis des Titels in Hall gehalten habe. Darin sprach er sich deutlich für das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus, vgl. Jakob STRAUß, Ain trostliche verstendige leer über das wort sancti Pauli. Der mensch soll sich selbs probieren / vn[d] also von dem brot essen / vn[d] von dem kelch trincken. Gepredigt zu Hall im Intal / durch Doctor Jacob Strauß, Erfurt 1522 (VD16 S 9504), fol. Aiiir.

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Wolfgang Stein stammte seinerseits aus Zwickau und war vermutlich der Sohn eines dortigen Bäckers.4 Ab dem Wintersemester 1504/05 studierte er in Erfurt und erwarb nach zwei Jahren das Baccalaureat. Bereits zum Jahr 1508 ist er als Propst des Zisterzienserinnenklosters von Eisenberg nachweisbar, bevor er sich 1513/14 abermals in Erfurt immatrikulierte und schließlich zum Magister promovierte. 1516 wurde er Vikar an der Erfurter Michaeliskirche, bevor er im Oktober 1517 den Ruf auf eine Prädikatur in seiner Heimatstadt Zwickau erhielt. Erst 1522 ist er in Wittenberg nachweisbar, wohin ihn möglicherweise die Anziehungskraft der lutherischen Lehre geführt hatte. In diesem Jahr verstarb der Pfarrer der Erfurter Michaelisgemeinde Georg Petz, nach seiner Herkunft Forchheim genannt, woraufhin die Gemeinde ihren einstigen Vikar Wolfgang Stein zum Nachfolger berief. Martin Luther selbst setzte sich dafür ein, dass Stein die Stelle zumindest vertretungshalber annehmen sollte, ohne dabei Residenz in Erfurt nehmen zu müssen. Er möge, so schrieb Luther, „daneben sein und schaffen […], wo er will“.5 Seine Worte richtete Luther am 29. Juli 1522 an den herzoglichen Kämmerer Johann Riedesel, um diesen zu einer Intervention bei Herzog Johann zu bewegen, da Stein bereits das Amt des herzoglichen Hofpredigers in Weimar innehatte. Jakob Strauß und Wolfgang Stein hielten sich 1522 zeitgleich in Wittenberg auf, wo sie einander kennenlernten. Die folgenden Jahre waren von einem regen privaten und theologischen Austausch geprägt. So soll der Hofprediger sich für die Einsetzung von Jakob Strauß in das Eisenacher Predigeramt starkgemacht haben.6 Nur wenig später nahm Strauß seinerseits an einer theologischen Disputation zwischen Wolfgang Stein und den Weimarer Franziskanern teil, in der über die Frage nach dem Opfercharakter der Messe und des Abendmahls disputiert wurde. Obgleich die Disputation ergebnislos verlief und Herzog Johann ein 4

5 6

Zur Biographie Wolfgang Steins vgl. Julius LÖBE, Beiträge zur Geschichte dreier Domherren am Georgenstift zu Altenburg, welche sich im 16. Jahrhundert einen Namen in der Literatur- und Reformationsgeschichte gemacht haben, in: Mittheilungen der Geschichts- und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 8 (1882), S. 402–421; Otto CLEMEN, Wolfgang Stein aus Zwickau, Hofprediger in Weimar und Superintendent in Weißenfels, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 45, N. F. 8 (1927), S. 555–562. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Briefwechsel (im Folgenden: WA Br), Bd. 2, Weimar 1931, S. 583, Nr. 525. Vgl. BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 40; Franziska LUTHER, Die Klöster und Kirchen Eisenachs (1500–1530). Prologe zur Reformation und wie die Geistlichkeit vermeynen die Zinse aus etzlichenn armenn zu kelternn, in: Joachim EMIG/Volker LEPPIN/Uwe SCHIRMER (Hg.), Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 1), Köln/Weimar/Wien 2013, S. 403–435, hier S. 423; Joachim BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß in der frühen ernestinischen reformatorischen Bewegung, in: DERS./HASPEL (Hg.), Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 64–107, hier S. 90 f.

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Publikationsverbot ausgesprochen hatte, stellten sich die Franziskaner, so Strauß’ Schilderung, als Stein überlegen dar. Um darauf zu reagieren, dabei aber das Publikationsverbot zu umgehen, wurden die Ergebnisse der Disputation, welche die Franziskaner Lügen strafen sollten, im Januar 1523 von Jakob Strauß – angeblich ohne das Wissen des Hofpredigers – in den Druck gegeben.7 Die maßgebliche Gemeinsamkeit zwischen Strauß und Stein, welche für die vorliegende Fragestellung ausschlaggebend ist, fand jedoch erst in einem Briefwechsel zwischen Martin Luther und dem jungen Kurprinzen Johann Friedrich vom 18. und 24. Juni 1524 ihren Niederschlag.8 Die Briefe thematisieren die religiöse Lehrmeinung beider Prediger, die in der oben skizzierten Weise vom Maßstab der lutherischen Theologie abwich und die – obgleich vielleicht ungewollt – Aufruhr stiftendes Potential in sich barg.

2. Wolfgang Stein und das mosaische Gesetz Die Frage, mit welchen Lehren die Prediger die Aufmerksamkeit des Kurprinzen erregten, ist für Wolfgang Stein nicht in befriedigendem Maße zu beantworten. Anders als Jakob Strauß war er nicht selbst publizistisch aktiv, sodass sich seine religiöse Überzeugung lediglich in dem Briefwechsel mit ihm oder über ihn widerspiegelt. Dabei hatte es zunächst den Anschein, dass Wolfgang Stein von Martin Luther gerade aufgrund seiner rechten theologischen Standhaftigkeit geschätzt wurde. In dem bereits erwähnten Brief Luthers an Johann Riedesel betonte er, dass Stein nach Erfurt berufen worden sei, um einem Aufruhr entgegenzuwirken. Die Erfurter hätten ihn gewählt, um „Aufruhr und Verlust zu vorkommen und das Evangelium zu fodern [!], daß nicht ein Wolf nach dem verfallen Hirten eindringen würde“.9 In einem späteren Brief an Stein selbst sprach Luther ihn am 17. Mai 1523 schließlich als „Evangelista Ducali Vinariae“ 7

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Vgl. Jakob STRAUß, Ob / dz aller hochwirdigeste Sacrament / des leibs vnnd blutes / vnsers heilmachers Christi / anders benenhet moge werden dan eyn getrew Testament / besthettet / mit dem bluet vergiessen / vnd sterben Christi. Eine newe Disputacion / geschrifftlich gehalten Zwiesschen den Barfuessern Zw Weimmar / vn[d] Magister Wolffgang Steyn / deß hochgebornen Furstenn hertzogenn Hanszenn Zw Sachsszenn [etc] Prediger, Erfurt 1523 (VD16 O 33). Vgl. auch CLEMEN, Wolfgang Stein (wie Anm. 4), S. 557 f.; JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 33; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 36 f.; Doreen von OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513–1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 7), Köln/Weimar/Wien 2017, S. 202. Vgl. WA Br, Bd. 3, Weimar 1933, S. 305–308, Nr. 753; ebd., S. 309–311, Nr. 754. WA Br, Bd. 2, S. 583, Nr. 525.

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an – eine Bezeichnung, die zwar in Luthers Briefen nicht einmalig ist, doch nur den glaubenstreuen Anhängern der evangelischen Lehre gewidmet wurde.10 Demnach war Luthers Verhältnis zu Stein zunächst von tiefem Vertrauen in die Haltung seines Anhängers geprägt. Zu einer Abweichung wird es somit erst im weiteren Verlauf der Jahre 1523/24 gekommen sein, bis sie in den erwähnten Briefen Luthers und Johann Friedrichs berührt wurde. Sie betraf die Frage nach der Gültigkeit des kaiserlichen oder grundsätzlich eines weltlichen Gesetzes im Verhältnis zum mosaischen Gesetz des Alten Testaments.11 In der typisch evangelischen Orientierung auf die Heilige Schrift als alleinige Handlungsmaxime vertrat Stein offenbar vehement die Konsequenz, jegliches weltliches Recht als von Heiden geschaffenes Gesetz und das kirchliche Recht als katholisches, also aus evangelischer Perspektive antichristliches Gesetz für die Christenheit zu negieren. Beides solle durch das allein gültige mosaische Recht ersetzt werden. Sein Vorbild hatte Stein dabei möglicherweise in den Lehren Karlstadts gefunden. Dieser orientierte sich in seiner Orlamünder Tätigkeit, aber auch in seinen gedruckten Schriften so stark am Alten Testament, dass Luther Gregor Brück gegenüber am 13. Januar 1524 die Befürchtung äußerte, die dortige Gemeinde werde in Kürze beginnen, sich beschneiden zu lassen.12 Gleichzeitig waren jedoch auch die Schriften des Jakob Strauß, mit dem Stein vertrauteren Umgang pflegte, von einer ähnlichen Theologie beeinflusst, worauf noch zurückzukommen sein wird. Der Kurprinz Johann Friedrich und der Kanzler Gregor Brück lehnten die von Stein vertretene Konsequenz ab und ersuchten im Juni 1524 bei Martin Luther um ein autoritäres Gutachten in dieser Frage. Letzterer fand dazu in dem erwähnten Antwortschreiben vom 18. Juni deutliche Worte. Demnach stellte auch er das göttliche Recht ausdrücklich über das weltliche: „Wo kaiserliche Rechten etwas setzen, das wider Gott wäre (davon ich nichts weiß), soll man sich freilich nicht darnach halten.“13 Diese nicht minder konsequente Aussage schränkte er allerdings sogleich ein, indem er dem weltlichen Gesetz eine Gültigkeit in der irdischen Welt zuerkannte. Es sei ein irdisches und rein äußerliches Konstrukt, gleich wie auch Essen und Trinken. Für den Christen, der nach dem geistigen Reich Gottes trachtete, sei das kaiserliche Gesetz zwar bedeutungslos, 10 WA Br, Bd. 3, S. 69, Nr. 613. 11 Vgl. auch LÖBE, Domherren (wie Anm. 4), S. 416 f.; CLEMEN, Wolfgang Stein (wie Anm. 4), S. 559; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 94; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 204; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 74. 12 Vgl. WA Br, Bd. 3, S. 231, Nr. 702; Hermann BARGE, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Teil 2: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus, Leipzig 1905, S. 60 u. 84 f. 13 WA Br, Bd. 3, S. 306, Nr. 753.

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doch sei der irdische Körper des Menschen von den irdischen Verhältnissen abhängig, weshalb er nicht nur essen und trinken, sondern sich auch dem weltlichen Gesetz unterwerfen müsse. Sich nun über die Frage nach der Gültigkeit des Gesetzes zu entzweien, käme einem Streit über die Notwendigkeit des Essens und Trinkens gleich. Seine – angesichts des Empfängers deutlich betonte – Einschränkung, dass er kein kaiserliches Gesetz wider Gott kenne, verdeutlicht jedoch bereits, wie obsolet die Frage Luthers Ansicht nach eigentlich war. Es kann nicht beurteilt werden, wie stark Wolfgang Steins Lehre in die Weimarer Bevölkerung hineinwirkte und an dem Aufkommen sozialer Unruhen beteiligt war. Aus der Antwort des Kurprinzen an Luther vom 24. Juni wird jedoch deutlich, dass Stein seine Ansichten nachdrücklich in seinem Wirken als Prediger thematisiert hat. Er stehe „fast hart, und will sich von den Menschengerichten schwerlich führen lassen“. Anders als Johann Friedrich und Gregor Brück zeigte sich hingegen Herzog Johann von diesen Lehren tief beeindruckt. In der Auseinandersetzung miteinander habe er selbst seinen Sohn und seinen Kanzler in ihrer gegensätzlichen Meinung als „Widersteher göttlichs Worts“ beschimpft. Der Kurprinz hoffte nun, seinen Vater mit dem Gutachten Luthers auf die richtige – das heißt die lutherische – Spur zurückzubringen. Stein selbst wolle er hingegen nach Wittenberg schicken, „auf daß er die Hörner des Mosaischen Gerichts halben weidlich bei Euch ablaufe. Wiewohl mir zu richten nicht gebuhrt, hab ich doch Sorge, es sei mehr Fleisch denn Geist fürhanden; wenn Ihr ihn aber werdt anstechen, werdet Ihr’s wohl befinden.“14 Auf welche Weise Wolfgang Stein von seiner theologischen Meinung abgebracht werden konnte, bleibt unbekannt, doch kam sie nicht wieder zur Sprache. Martin Luther stand mit dem Hofprediger weiterhin in freundschaftlichem Einvernehmen. Als Luther nur zwei Monate später seine Visitationsreise durch das Saaletal unternahm, wurde er von Stein begleitet.15 Ein Jahr darauf, am 17. August 1525, führte der Hofprediger zusammen mit dem Stadtprediger Johann Grau offiziell die Reformation in Weimar ein. Obgleich er danach in den Hintergrund trat, gilt er der heutigen Forschung als maßgeblicher Reformator der Stadt.16 Seine theologische ‚Entgleisung‘ scheint nur von kurzer Dauer gewesen zu sein. Sie hatte für ihn keine Konsequenzen. 14 Für alle Zitate ebd., S. 309, Nr. 754. 15 Vgl. zuletzt Hans-Peter HASSE, Luthers Visitationsreise in Thüringen im August 1524: Jena – Kahla – Neustadt an der Orla – Orlamünde, in: Werner GREILING/Uwe SCHIRMER/Ronny SCHWALBE (Hg.), Der Altar von Lucas Cranach d. Ä. in Neustadt an der Orla und die Kirchenverhältnisse im Zeitalter der Reformation (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 3), Köln/Weimar/Wien 2014, S. 169–202, hier S. 175. 16 Zur Einführung der Reformation in Weimar vgl. zuletzt Volker GRAUPNER, Städtisches und kirchliches Leben in Weimar kurz vor und während der Frühreformation, in:

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3. Jakob Strauß und der Eisenacher Zinsstreit Anders erging es Jakob Strauß in Eisenach, obgleich er selbst stets der Meinung war, im streng evangelischen Sinne zu handeln. Schon bald nach seiner Einsetzung als Prediger erregte er das Missfallen Luthers, der zunächst insbesondere Strauß’ eigensinnige und selbstherrliche Art ohne jeden Kontakt zu den Wittenberger Theologen kritisierte. An den Grafen von Wertheim schrieb Luther am 17. Juni 1523: „Doktor straus hatt seynen kopff, vnd macht itzt zu Eysenach auch, wie er kann, und lesst vns sagen und schreyben.“17 Strauß publizierte zahlreiche seiner Predigten, in denen er stets zentrale Fragen des Kirchenwesens, der Gesellschaft sowie des kirchlich-weltlichen Verhältnisses thematisierte. Im typisch evangelischen Stil wurden sie von ihm anhand der Bibel auseinandergenommen, spezifiziert, zurechtgerückt oder verworfen. Auf diese Weise widmete er sich dem Heiligen- und Reliquienkult, dem Taufritus, dem Abendmahl, der Beichte, der Priesterehe oder der Vergebung der Sünden im Tod. Die Adressaten seiner Schriften suchte er dabei ausdrücklich in der laikalen Bevölkerung, was nicht allein durch die Wahl seiner gesellschaftsspezifischen Themen, sondern auch durch eine volkstümliche Ausdrucksweise in deutscher Sprache und die direkte Anrede des Lesers bereits auf den Titelseiten etlicher seiner Schriften deutlich wird.18 Selbst lateinische Zitate, die in frühreformatorischen Predigten nie fehlten, werden sogleich in deutscher Sprache wiederholt. Dabei idealisierte Strauß sich bereits in seiner ersten Schrift von 1522 über das Abendmahlssakrament in beiderlei Gestalt als gleichrangig mit seinen Zuhörern und Lesern. Er stellte sich mit ihnen auf eine Stufe und gemahnte an das Konzept des allgemeinen Priestertums, wenn er sich – natürlich in einer deutlich zur Schau getragenen Bescheidenheit angesichts seiner theologischen Ausbildung – als unwürdig der theologischen Lehrtätigkeit, doch vom Gebot Christi zum Predigen gezwungen darstellte.19

EMIG/LEPPIN/SCHIRMER (Hg.), Vor- und Frühreformation (wie Anm. 6), S. 377–401, hier S. 399 f.; Dagmar BLAHA, „Das man das lauter rein Euangelion on menschliche zusatzunge predigen sol …“. Reformation in Weimar (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 13), Jena 2018. 17 WA Br, Bd. 3, S. 88, Nr. 623. 18 Die Anrede des Lesers auf den Titelseiten der Straußschen Schriften soll die Aufmerksamkeit eines potentiellen Interessenten wecken und ihn zum Kauf und zur Lektüre des Buches auffordern. So bereits in seinem ersten Druck: „Kauff vnd liß / es wirt dir gefallen“, STRAUß, Ain trostliche leer (wie Anm. 3), fol. Ar. 19 Vgl. ebd., fol. Aiir–v.

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Für die späteren Auseinandersetzungen um seine Theologie sollte insbesondere seine Schrift über den Zinswucher von 1523 von Bedeutung sein.20 Jakob Strauß lehnte darin jeden Kauf und Verkauf, das Einziehen, aber auch das Zahlen von Zinsen rigoros und konsequent ab. Dabei ging er selbst so weit, die Schuldner in gleicher Weise der Sünde zu beschuldigen wie die Gläubiger. Er rief Erstere dazu auf, die Zahlung aller ausstehender Zinsen, die über die verliehene Hauptsumme hinausging, zu verweigern: „Ein pfennig vber die haubtsuem außgelichenn / ein genomen / ist wuecher. […] Wuecher ist Inn seyner natur / als wider die lieb des nechsten vnd das verpot gottes / eyn schwer wichtig vnd offenbar todt sundt.“21 In der Eisenacher Bevölkerung stieß er damit selbstverständlich auf großen Widerhall, doch führte die Umsetzung der Forderung zu einer finanziellen Notlage und starken Zerrüttung des dortigen Kirchenwesens. Obwohl Herzog Johann – das muss betont werden – auch in diesem Fall mit Jakob Strauß’ Haltung sympathisierte,22 erregten die Zinsverweigerung und die daraus resultierende Entwicklung die Gemüter in Weimar. Um ein Gutachten ersucht, schrieb Martin Luther in dieser Angelegenheit am 18. Oktober 1523 zum ersten Mal an den Kanzler Gregor Brück, wobei er eine ähnliche Haltung offenbarte, wie in seiner Beurteilung des mosaischen Gesetzes. Das Zinswuchergeschäft, so stimmte er mit Strauß überein, sei in jedem Fall unchristlich und die Regenten hätten gut an dessen Abschaffung getan. Die Welt sei jedoch 20 Jakob STRAUß, Haüptstück. vnd artickel christenlicher leer wider den / vnchrystenlyche[n] wuecher / darumb etlych pfaffen tzue Eyssenach so gar vnrywig vnd bemyet sint, Erfurt 1523 (VD16 S 9483). Noch im selben Jahr wurde die Predigt mehrfach in verschiedenen Städten nachgedruckt. Zum daraus resultierenden Zinswucherstreit vgl. im Folgenden auch JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 38–46; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 61–79; ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 19 f.; MAURER, Prediger (wie Anm. 1), S. 73 f.; LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 422–427. Schließlich ist der Thematik in ihren näheren historischen, wirtschaftlichen und theologischen Zusammenhängen erst kürzlich eingehendere Aufmerksamkeit geschenkt worden, vgl. BAUER/HASPEL (Hg.), Jakob Strauß (wie Anm. 2), mit Faksimile, Edition und Kommentar der beiden Wucherschriften aus Strauß’ Feder (S. 190–311). Um die Einheitlichkeit zu wahren, werden sämtliche verwendeten Schriften Strauß’ im Folgenden allerdings nach den Originaldrucken zitiert. 21 Beide Zitate STRAUß, Wider den vnchrystenlychen wuecher (wie Anm. 20), fol. Av. 22 Zur engen Beziehung des Herzogs zu Jakob Strauß vgl. ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 15; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 176; Dagmar BLAHA, Die Beziehungen Eisenachs zum Weimarer Hof unter Johann dem Beständigen, in: BAUER/HASPEL (Hg.), Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 31–49, hier S. 44 f.; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 93 f. Insbesondere anhand der Amtsrechnungen von Weimar und Eisenach lassen sich, so Dagmar Blahas und Joachim Bauers Ausführungen, enge Kontakte und mehrfache Besuche des Predigers in Weimar nachweisen. Er nahm somit die Funktion eines theologischen Beraters Johanns ein, wie Luther sie für den Kurfürsten Friedrich ausübte.

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unterdessen in ihrem geizigen und habsüchtigen Wesen alternativlos darauf angewiesen, sodass eine Abschaffung die weltliche Ordnung zerstören würde. Strauß gefährde diese durch seine Lehren, ohne über dieses Risiko nachzudenken. Das Zahlen von Zinsgeld sei demnach keine Sünde, wenn der Schuldner sich nur des damit begangenen Unrechts bewusst sei: „Aber dennoch soll er sich selbst nicht rächen, sundern verwilligen, zu geben dem Ungerechten, gleichwie ich soll verwilligen, dem Mörder zu geben Leib, Gut und Ehre.“23 Auf Luthers Empfehlung folgte daraufhin eine Intervention unter der Führung Johann Friedrichs in Eisenach, die eine Fortsetzung der verweigerten Zinszahlungen bewirken sollte. Ruhe kehrte dadurch in Eisenach jedoch nicht ein. Zu Beginn des Jahres 1524 erschien eine Delegation des Eisenacher Stadtrates am Weimarer Hof, um gegen Strauß’ Predigttätigkeit Klage einzureichen. Er habe, so ihr Vorwurf, nach der Beilegung des Zinswucherstreites die Bevölkerung öffentlich zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit aufgefordert. Den wegen der Zinsverweigerung bestraften Schuldnern habe er Mut zum Kampf zugesprochen und die Ratsherren der Gotteslästerei und des Verrates am Evangelium bezichtigt. Einer Vorladung vor den Rat sei er nicht nachgekommen.24 Die Folgen dieses Aufbegehrens waren zum einen ein Mahnschreiben Luthers an Jakob Strauß vom 25. April 1524 und zum anderen eine weitere Untersuchung durch den Weimarer Hof.25 In den Zusammenhang dieser Verhandlungen gehört schließlich der zweite Teil des oben bereits zitierten Gutachtens Luthers vom 18. Juni 1524 über die theologischen Abweichungen Wolfgang Steins und Jakob Strauß’. Seine grundsätzliche Meinung zeigt sich darin unverändert. Der Kirchenzehnt sei zwar der „allergöttlichste Zins“ und dürfe auf keinen Fall abgeschafft werden, doch sei es wünschenswert, alle weiteren Zinsen wie unter Joseph in Ägypten auf maximal fünf oder sechs Prozent zu senken. Da die Welt jedoch in einer solchen idealen Ordnung nicht existieren könne, sei das Zinsgeschäft um alles in der Welt zu legitimieren. Die Abschaffung stehe nicht in der Gewalt der Fürsten, da es kein fürstliches Gesetz sei, sondern „eine gemeine Plag, von allen angenommen“.26 Tatsächlich wurden Luthers Empfehlungen, den Zinssatz auf fünf Prozent zu beschränken, in Eisenach im Zuge der Verhandlungen umgesetzt,27 doch beton23 WA Br, Bd. 3, S. 176, Nr. 673. Zu Luthers Haltung in der gesamten Wucherproblematik vgl. Stefan MICHEL, Die Diskussion um den Wucher in ihrer Bedeutung für die von Wittenberg ausgehende Reformation, in: BAUER/HASPEL (Hg.), Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 108–124, hier S. 112–120. 24 Vgl. JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 42; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 86. 25 WA Br, Bd. 3, S. 278, Nr. 733; übersetzt bei JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 43. 26 Beide Zitate WA Br, Bd. 3, S. 307, Nr. 753. 27 Vgl. LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 427.

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te Johann Friedrich in seiner Antwort an Luther vom 24. Juni, welche Mühe diese Durchsetzung gekostet habe. Selbst gegen diesen geringen Zinssatz habe die Bevölkerung mit dem Verweis auf die Predigten Einspruch erhoben: „Da schreiet Straus, daß der es gibet, als wohl sündiget, als der es nimmet; da muß die Oberkeit sündigen, wenn sie es zu Erhaltung des Friedens und Rechtens gebieten, und das Geschrei uberall.“28 Nur zwei Monate später kam Herzog Johann persönlich nach Eisenach zu einer Unterredung mit Jakob Strauß. Die Sprache kam dabei unter anderem auf das unheilvolle Treiben schwärmerischer Prediger. Die Ergebnisse, zu denen Strauß und der Herzog kamen, machen deutlich, wie sehr sich Johanns Einschätzung des Predigers von der seines Sohnes unterschied. Der Herzog zählte Strauß nach wie vor nicht zu den aufrührerischen Schwärmern, sondern schenkte ihm viel mehr das vollste Vertrauen in seine theologische Urteilskraft. Aus diesem Grund wurde Strauß von Johann beauftragt, den sozialen Unruhen, die sich bereits deutlich abzeichneten, mit einem organisatorischen Eingriff in das Kirchenwesen zuvorzukommen. Im Dezember 1524 wurde Jakob Strauß von Herzog Johann mit einer Kirchenvisitation betraut – eine Idee, die sein Sohn in dem Brief vom 24. Juni noch Martin Luther selbst ans Herz gelegt hatte. Das im Januar 1525 begonnene Werk – die erste evangelische Kirchenvisitation überhaupt – musste jedoch nach nur wenigen Tagen abgebrochen werden und wurde letztlich nicht fortgesetzt. Die Eskalation des Bauernkrieges verhinderte es.29

4. Aufrührerische Predigten vs. Deeskalationsbemühungen? – Strauß’ Verhalten vor und während des Bauernkrieges Trotz der zahlreichen gedruckten Schriften des Eisenacher Predigers kann die Frage, inwieweit Strauß für die Erhebung des Bauernkrieges mit verantwortlich gemacht werden kann, kaum beantwortet werden. Er selbst glaubte, im Sinne des Evangeliums gehandelt zu haben, doch enthalten seine Predigten nicht wenige sehr deutliche Aussagen, die von dem Gemeinen Mann als Aufruf zum Aufruhr wahrgenommen werden konnten. Dabei legte Strauß eine scharfe 28 Vgl. WA Br, Bd. 3, S. 310, Nr. 754. 29 Vgl. Rudolf HERRMANN, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur thüringischen Kirchengeschichte 1 (1929–1931), S. 167–230, hier S. 167– 179; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 95–99; Joachim BAUER, Reformation und ernestinischer Territorialstaat in Thüringen, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994, S. 37–73, hier S. 48 f.; LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 427–429; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 178 f.; MÜLLER, Wucherstreit (wie Anm. 2), S. 28 f.; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 97–100.

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Polemik in seine Worte, von der bereits seine erste, 1522 gedruckte, aber noch in Hall gehaltene Predigt zum Abendmahl deutlich geprägt ist. Selbstverständlich schmähte er den katholischen Klerus und erhob den Vorwurf der Unchristlichkeit über alle katholischen Zeremonien. So bezeichnete er die Geistlichkeit als „die verfurten ellenden schreyer“ und die vor der Ausspendung des Sakraments geforderte Beichte als „tyrannisch flaischbanck“.30 Die persönliche Beichte vor einem privaten Beichtvater interpretierte er sogar als Knechtschaft des Laien unter dem Geistlichen: „Dann so du es recht besichst / so must du der pfaffen aigen dienstlich knecht sein / sy sollen dir auch weder tag noch nacht kain ruw lassen / biß sy dein seel / leib / vnd gut vnder iren tyrannischen gewalt bringen.“31 Zweifellos muss Strauß’ Theologie unter diesen Vorzeichen auch während seiner Eisenacher Zeit als Theologie der Konfrontation verstanden werden, doch unterschied er sich nicht wesentlich von vielen seiner frühreformatorischen Zeitgenossen – Luther inbegriffen – , wenn er dazu aufrief, sich von einer vermeintlichen Unterdrückung durch die katholische Geistlichkeit zu lösen: „Nun lieben bruder wollen wir vnsere oren vnd hertz mit gutem vertrawen zu got auffheben vnd mit Dauid trostlich sprechen. Wir wollen von vns reissen ire band / vn[d] von vns werffen ir joch.“32 Doch während diese Worte noch eindeutig gegen die Kirche gerichtet waren, konnte ihre Fortsetzung bezüglich des menschlichen Gesetzes leicht gegen die weltliche Obrigkeit ausgelegt werden: „[W]ir wollen der forchtsame[n] verfurten leer kain auffmercken haben / vnd all erdicht tyrannisch menschen gesetz verachten / vns zu dem waren lebendigen wort vnsers herren Jesu Christi halten, der niemandt schrecket / vnd in ängsten verlaßt / sonnder trostlich in aller sussigkait zu im berufft.“33 Es kann vermutet werden, dass es diese und ähnliche Worte waren, von denen sich Wolfgang Stein in seinem späteren Umgang mit Strauß beeinflusst sah. Noch im selben Jahr ergänzte Strauß diese Gedanken in einer Predigt über das Wesen der Bruderschaften um die Gleichheit aller Christen vor Gott und den damit einhergehenden Anteil aller Menschen am geistigen, aber auch am irdischen Gut: „[D]an[n] die haylig kirch ist nichts anders / dan[n] die bruderschafft der waren geschwisterget / vnd kinder gottes / da ist nichts aigens / aber alle dinng gemain.“34 Zwei Jahre später sollte Strauß diesen Gemeinschaftsgedanken in seiner zweiten Wucherschrift selbst um die Pflicht eines Christen ergänzen, für den Glaubensbruder das eigene Leben zu geben. Ange30 31 32 33 34

Beide Zitate STRAUß, Ain trostliche leer (wie Anm. 3), fol. Bv. Ebd. Ebd., fol. Biiir. Ebd. Jakob STRAUß, Vnderricht D. Jacob Straussen / wartzu die Brüderschafften nütz seyen / wie man sy bißher gehalte[n] hat / vn[d] nu fürohin halten sol, Augsburg 1522 (VD16 S 9489), fol. iir.

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lehnt an den christlichen Glaubensgrundsatz vom Opfertod Christi zog er aus dessen Aufforderung, sich gegenseitig zu lieben, wie Gott die Menschen geliebt habe, den Schluss, dass es den Christen anbefohlen sei, notfalls für einander im gemeinsamen Glauben an das Evangelium zu sterben, denn „wollen wir vnser sel vn[d] leben ewigklichen behalten / so müssen wir sy vmb seinet willen verlyeren“.35 Diese bereits früh ausgebildeten und bis 1524 präzisierten Thesen von einer christlichen Gleichheit und Gerechtigkeit wurden bereits 1523 allmählich zu einem Appell gegen die weltliche Obrigkeit zugespitzt. In einer Predigt gegen die Heiligenverehrung und den finanzaufwändigen Reliquienkult prangerte er die Fürsten mit den folgenden Worten regelrecht an: Sieh nur an du fromer christ / die großmechtigen fursten vnd lantßherren / das ir einer zwei / drey / tausent gulde[n] ja viel ein merers / auß heilgthum zu eren verschwenten sal / vnd solte er die armen / seine vnderthane[n] in eim ierlichen tzins / geschoß / ader steur / begnade[n] / so kundt er nit meer ein konig / ader ein furst sein. Der arm ma[n] muß betzalen / vnd solt er / vnd sein weib / vn[d] kind hunger vn[d] not leide[n]. Ja das menig arm swanger weib der frucht vnit irem hertze[n] entsetzt wirt / so der arm arbaiter durch vngewechß / vn[d] andern vnfall nit betzalung thun mag / dar vmb gestockt / gepflockt / vn[d] geangstiget wirt / das ohn zweifel inn hymel vmb rach schreyet.36

Strauß scheute sich dabei nicht, die von ihm angesprochenen Fürsten beim Namen zu nennen. Bei den von ihm so genannten „grossen hansenn“ wird es sich – trotz aller Vertrautheit mit Ersterem – um den Herzog Johann und den Kurprinzen Johann Friedrich gehandelt haben.37 Sie würden sich, so setzte er seinen Vorwurf fort, nicht um Gottes Gebot kümmern und die Hölle zu Gunsten des erpressten Reichtums riskieren. Entsprechend dieser konfrontativen Botschaft und seiner Erwartung vom Widerstandswillen der Bevölkerung kleidete Strauß seinen Aufruf zusätzlich in kriegerische Metaphern, so vom Schwert des Glaubens oder der Gewalt des Evangeliums gegen die Verächter des göttlichen Wortes. In Anlehnung an diese zum Teil bereits biblisch vorgezeichnete Terminologie rief er die Menschen in seiner zweiten Wucherschrift von 1524 letztlich in aller Deutlichkeit zum Kampf gegen das menschliche Gesetz auf:

35 DERS., Das wucher zu nemen vnd geben / vnserm Christlichem glauben […] entgegen ist / vnüberwintlich leer / vnd geschrifft. Jn dem auch die gemolten Euangelisten erkennet werden, Straßburg 1524 (VD16 S 9479), fol. Bv. 36 DERS., Ein kurtz Christenlich vnterricht des grossen jrrthumbs / so im heiligthüm zu eren gehalten / das dan nach gemainem gebrauch der abgoetterey gantz gleich ist. D. Jacobus Strauß zu Eysenach in Doringen Ecclesiastes.M.D.XXiij, Erfurt 1523 (VD16 S 9488), fol. Bir. 37 Ebd.

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Es ist gut wissen / das Christus vnser getrewer Gott / von im selbs beschlußlich sagt […] Ir solt nit wene[n] das ich kom[m]en sey frid zu senden / sonder das schwert / dann ich bin kommen den menschen zu erregen wider seinen vatter […] Und also zaigt vnser herr Christus von im selbs an / daß das ende seyner menschwerdung / vnd vnser erlösung mag nicht erreycht werden durch friden. Es muß vorgehe[n] eyn erschröckenliche auffrur.38

Der Missverständlichkeit seiner Predigten und Schriften war Strauß sich dabei zu jeder Zeit bewusst. Dies sprach er selbst in der genannten Schrift deutlich aus, in der er die weltliche Obrigkeit bis hinauf zum Kaiser durch ihre Teilnahme am Zinsgeschäft der Sünde und des Unrechts bezichtigte und dem die folgenden Worte hinzufügte: Will der from[me] Christen man / wie not ist / Gottes wort vnnd sein gebott nit übertretten / so muß er in diesem fall der menschlichen oberkeyt kein folge thun […] Wer dan solchen gestrengen gebotten nicht gehörig will sein / der wirt vngehorsam vnd auffrürig gescholten / vnd dan sagen sie die feynd der warheit / ich vnnd meins gleichen schaffen nichts anders mit vnserm predigen / dann das wir den gemeinen man zu auffrur erwecken.39

Dem damit prophezeiten Vorwurf trat er sogleich selbstbewusst entgegen. Er wolle gern als aufrührerisch bezeichnet werden, wenn er dadurch das Evangelium vertrete: Wo ich anderst leeret vn[d] prediget / so wer ich nicht ein diener des eua[n]geliums Jhesu Christi. Aber ein lügener / vnnd ein feindt des Creutzes Christi / derwegen mag ich wol leyden / vnnd danck meynem Gott / das ich als auffrürig gescholten wird vnnd täglich vermaledeyet vnnd verdampt. Dann ich wirde in keynen weg solche auffrur zu fordern nachlassen so lang mir der geyst im hertzen bleybt.40

Dem entsprechend stehen in diesem Zusammenhang die wohl drastischsten Worte seines gesamten gedruckten Predigtwerkes, in denen Strauß seine Zuhörer und Leser im Interesse des göttlichen Wortes regelrecht gegen dessen Verächter aufhetzte: „[I]ch wolt das kein mensch desandern freund blieb / vnd alle gassen vnd strassen / vnd ire eynwoner on auffhören in solchem hader vnd zangk bleyben / vnd das nyemants dem andern kein gleychs oder folge thette in allen dem das gott vnser herr durch sein heyliges wort abschaffet / vnd verbotten hatt.“41 Doch trotz dieser scheinbaren Unmissverständlichkeit stand neben seinen radikalen Anklängen stets der Aufruf zum Frieden und zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung. Letztlich war Jakob Strauß zu jeder Zeit darum bemüht, seine 38 39 40 41

STRAUß, Das wucher zu nemen vnd geben (wie Anm. 35), fol. Er. Ebd., fol. Diiiiv–Er. Ebd., fol. Eiir. Ebd., fol. Eiir.

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im Interesse der Zuhörer reißerisch formulierten Worte als Metaphorik verstanden und nicht im wörtlichen Sinne umgesetzt zu sehen. So sei jeder Aufruhr des Menschen lediglich „in seyner selen / auch in seynem fleisch vnd blut“ und nicht gegen die Mitmenschen,42 sondern gegen den Teufel und die Sünde gerichtet. Trotz des Bewusstseins des sozialen Unrechts und der eschatologischen Erwartung der baldigen Erlösung untersagte Strauß seinen Zuhörern viel eher das eigenmächtige Eingreifen in die irdischen Verhältnisse. Die Heilige Schrift selbst verbiete es, so führte Strauß es ihnen in seiner Predigt gegen die Heiligenverehrung 1523 vor Augen, im Namen des Glaubens Blut zu vergießen, was sogar die Rückeroberung Jerusalems mit einschließe: „Daru[m]b die schlechte freundt gotis seint / die vermeinent das grab Christi zu erstreitenn mit dem plut / d[a]z got so menigfaltig in der geschrifft verpote[n] hat.“43 Ganz im Gegensatz zu seiner drohenden aufrührerischen Metaphorik sah Jakob Strauß bereits 1522 selbst die Gefahr, dass der oben zitierte Aufruf zur Verbrüderung der evangelischen Christen missverstanden werden und böse Folgen tragen könnte. Seine Predigt über die Bruderschaften schloss er daher mit einer dringenden Mahnung gegen den offenen Aufruhr ab: Ist auch mein allerhöchst beger an ewer libe vn[d] andacht / das kainer in schelten oder zorn sich laß mercken gegen vnsern feinden vn[d] tyrannen / aber got fleissigklich bitten /das der ellenden mensche[n] freuden nit lang weren als sy maine[n] / das hailig Euangeliu[m] gar zuerleschen / da mit das die vnmilten / gottlosen / verlognen zutitler nit weiter erfrewt werden / vnd vns achten für auffrürig vn[d] vngehorsam / vn[d] seyet vngezweyfelt / vnser fürneme[n] in gedult sol in Christo mer vermögen / dan[n] der närrisch affen pund / den Annas Cayphas vn[d] die Phariseer mit Herodes vnd Pylato haben beschlossen / es wirdt die warhait ir verfechtung nitt lang enthalten.44

Obgleich auch diese Zeilen von einer überdeutlichen Ablehnung der katholischen Kirche geprägt sind, enthalten sie doch die Warnung, die Ablehnung nicht in die Tat umzusetzen. Die noch junge evangelische Gemeinde solle gerade nicht, so sein Anliegen, als aufrührerisch wahrgenommen werden. Im folgenden Jahr 1523 erweiterte er diese Mahnung gar um den Aufruf zu einem Leben in christlicher Nächstenliebe und bürgerlicher Lebensgestaltung. In einer Predigt gegen den vermeintlichen Sakramentscharakter der Beichte forderte Strauß die Menschen zur ernsthaften Bereuung der Sünden und zum Streben nach einem gerechten Leben auf. Seiner Skizzierung einer evangelischen Beichtpraxis fügte er sodann den folgenden Entwurf eines christlichen Lebens hinzu, der trotz der Ablehnung menschlicher Lehren in keiner Weise aufrührerische Gedanken enthält: 42 Ebd., fol. Ev. 43 STRAUß, Vnterricht des grossen jrrthumbs (wie Anm. 36), fol. Biir. 44 DERS., Vnderricht wartzu die Brüderschafften nütz seyen (wie Anm. 34), fol. iiir.

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Nach dieser beycht volgt kein vffgesetzte buß / dan[n] das du vff nemest dein kreutz / vnd dringest Jhesu dem herren nach / in leer / vnd inhalt seiner göttlichen worten / vnd hütest dich gar vor menschen leer vnd gesätzen / arbeyt dein handtwerck oder handel getreuwlich / vn[d] hab den aller höchsten fleiß in allen eusserlichen dingen / das du deinem nechsten menschen getreuw / freuntlich vnd dienstlich dich beweisest / als dir selbst / so hastu das ga[n]tz gesätz Gottes erfüllet / wie Paulus sagt zum Römeren am xiii. Vnnd also hastu nun erreycht […] das war recht Christenlich lebe[n] / das dich allein der glaub in Christo / durch sein heyliges wort leret.45

Was Strauß dazu bewog, nach diesen beschwichtigenden Worten innerhalb nur eines Jahres in seiner zweiten Wucherschrift seine Stimme zu den oben zitierten Worten des Aufruhrs zu erheben, muss dahingestellt bleiben. Wahrscheinlich resultierten sie aus den eigenen Erfahrungen, die er in der Auseinandersetzung um seine Lehren und mit den Eisenacher Bürgern erleben musste, und sind als energische Antwort auf den bereits erhobenen Vorwurf des Aufruhrs zu verstehen. Doch gingen auch sie sogleich mit der Relativierung der missverständlichmetaphorischen Aufforderung zum Widerstand einher. Jeder tätliche Aufruhr, so erklärte Strauß, sei unnötig, solange die göttliche Ordnung des Evangeliums aufrechterhalten werde und jeder Christ seine Mitmenschen – und im Falle der Fürsten ihre Untertanen – zu seinem von Christus zugebilligten Recht kommen ließe. Der tatsächliche gewalttätige Aufruhr unter einem evangelischen Deckmantel sei freilich zu bestrafen, doch sei er in einer solchen evangelischen Gesellschaft „in der warheit nit zu besorgen“.46 Bezüglich des thematisierten Wucherstreits forderte Strauß daher jeden evangelischen Christen auf, den Wucherer „mit aller senfftmütigkeyt“ vom unchristlichen Charakter seines Handelns zu überzeugen.47 Wenn dies nicht möglich sei, solle jedoch kein Aufruhr folgen, sondern die christliche Bereitschaft zu leiden und den geforderten Zins im Bewusstsein der eigenen evangelischen Gesinnung zu zahlen. Damit entsprach Strauß im Grunde dem von Luther am 18. Oktober 1523 an Gregor Brück formulierten oben erwähnten Gutachten, was letztlich auch Luther selbst dazu bewog, Strauß’ zweite Wucherschrift wohlwollender zu betrachten.48 Die evangelische Predigt – worin Strauß seine eigenen Lehren inbegriff – sei nach

45 DERS., Ein neüw wu[n]derbarlich Beychtbüchlin / in dem die warhafft gerecht beycht vnd bußfertigkeit Christenlichen gelert vnd angetzeygt wirt / v[n]d kürtzlichen alle tyranney erdychter menschlicher beycht vffgehaben / zu seliger reüwe / frid vnd freüd der armen gefangen gewissenn. D. Jacobus Strauß Ecclesiastes zu Eysennach in Düringen, Straßburg 1523 (VD16 S 9496), fol. cr. 46 DERS., Das wucher zu nemen vnd geben (wie Anm. 35), fol. Eiiv. 47 Ebd., fol. Eiiiv. 48 Zu Luthers neuerlicher Einschätzung vgl. JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 46; LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 427.

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seinem Empfinden „die rechte botschafft des frides“.49 Abermals findet sich daher auch in dieser nur scheinbar radikalsten Schrift der abschließende, wortreich ausgeführte Aufruf zur Friedfertigkeit: Vnser Herr Christus hat vns nicht gelert / die sünder zu versprechen / zu schelten / vermaledeyen / stürmen oder todtschlahen. Aber so wir mit Christlicher leer vnnd vermanung nichts an inen schaffen künnen / so sollen wir irer müssig gehen / vnd kein gemeinschafft mit inen habe[n] […]. Keyn frucht oder fürderung des Euangeliums / mag mit gewalt oder fräuel auffgehen oder zunemen. Es würt auch nit besser in der wellt / wen gleych Bapst / bischoff / Pfaffen / Münnich / vnd Nonnen / mit allem irem anhang / erschlagen vnnd vertilget würden.50

In einer neuerlichen Predigt über das Abendmahlssakrament, die noch im selben Jahr 1524 gedruckt wurde, ist von seiner früheren kriegerischen und zum Aufruhr empörten Polemik schließlich keine Spur mehr zu finden. Sie zeigt Strauß’ Theologie in deutlich sanfterem und versöhnlicherem Ton erneut als eine Theologie der Gerechtigkeit im Glauben und im Werk sowie des Bekenntnisses gegen die Sünden und für die Erlösung und Vergebung der Sünden durch Christus.51 Dieser Haltung entsprach letztlich auch sein eigenes Vorgehen in der Krisensituation des Frühjahres 1525. Obwohl der Eisenacher Stadtrat Jakob Strauß dem Weimarer Hof gegenüber aufrührerische Predigten vorgeworfen hatte, offenbart sein Verhalten kurz vor und während des Bauernkrieges viel eher ein konstantes Bemühen um Beschwichtigung und Deeskalation. Hatte bereits der Visitationsversuch vom Januar gezeigt, dass Strauß der Katastrophe mit organisatorischen Mitteln begegnen wollte, zeugt sein Handeln von dem Versuch, die Aufständischen zu beruhigen oder zum wenigsten die Stadt Eisenach vor einer Erstürmung zu bewahren. Am 20. April rotteten sich die aufständischen Bauern und Bürger vor Vacha zusammen und bedrohten drei Tage später Salzungen. Um den Frieden zu bewahren oder wiederherzustellen, reagierte Strauß, indem er dem Haufen entgegenzog. Den Eisenacher Schultheißen Johann Oswaldt beauftragte er hingegen, die Bauern im Amt Eisenach durch die Versicherung, der Kurfürst werde sich ihrer Anliegen annehmen, zu beruhigen. Beides blieb vergeblich. Unter der Eisenacher Bürgerschaft blieb die Empörung nicht ohne Resonanz. Etwa 500 Männer sollen sich aus der Stadt und dem näheren Umland dem Werrahaufen angeschlossen haben. Um die Erstürmung der Stadt und innerstädtische anti49 STRAUß, Das wucher zu nemen vnd geben (wie Anm. 35), fol. Eiiir. 50 Ebd., fol. Fiiv. 51 DERS., Ain schöne liepliche Vnnderricht / zu bedencken vnnd enpfahenn / den kostbarlichen hayligesten leib Christi / vnd sein roßenfarbesplut zu nyessenn Durch Doctor Jacob Strausse[n], Augsburg 1524 (VD16 S 9510).

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geistliche Ausschreitungen zu verhindern, verbot der Stadtrat am 23. April auf die Empfehlung des Predigers die katholischen Messen in sämtlichen Klöstern. Als Strauß zurückkehrte, ging man sogar so weit, die katholische Ordens- und Weltgeistlichkeit, in der man den Hauptanziehungspunkt des Aufruhrs sah, aus der Stadt auszuweisen. Der Stadtrat nahm die Kirchenkleinodien in seinen Gewahrsam. Die Bürgerschaft wurde hingegen, so schrieb der Amtmann am 24. April an Herzog Johann, „irer eide, ehr und pflichte ufs hochste erinnert und ermant“.52 Eisenach entging tatsächlich der Erstürmung, obwohl am 6. Mai ein Haufen von 2.000 Aufständischen vor der Stadt eintraf. Die Entschlossenheit dieser Menge hatte inzwischen durch die begonnene Gegenoffensive des hessischen Landgrafen deutliche Einbußen erlitten. Dadurch gelang es, die Anführer des Haufens unter dem Vorwand angestrebter Verhandlungen in die Stadt zu locken und festzunehmen. Sie wurden auf Befehl Johanns, der inzwischen die Nachfolge seines Bruders als Kurfürst angetreten hatte, hingerichtet. Seiner Führung beraubt, löste sich der Haufen vor Eisenach auf. Nur wenige Tage später endete die gesamte Erhebung bei Frankenhausen.53 Angesichts seiner Predigten verwundert es nicht, dass der Stadtrat die Schuld für den Bauernkrieg nachträglich bei Jakob Strauß suchte. Als Johann am 1. Juni 1525 als Kurfürst auf seinem Feldzug durch Thüringen in Eisenach eintraf, überreichte der Stadtrat ihm ein Verteidigungsschreiben, in dem er dem Prediger die alleinige Schuld am Geschehen zuwies. Es war die Rede von seinen „vihelfeldigen aufrurischen ungestumen predigen […] widder die geistlikeit und uberkeit“,54 die im Volk viel Ungehorsam erzeugt habe. Sein Zug gegen die Bauern bei Salzungen wurde zwar erwähnt, doch mit misstrauischem Unterton hervorgehoben, dass es dem Stadtrat verborgen geblieben sei, in welcher Weise Strauß mit ihnen verhandelt habe. Die eigene Folgsamkeit gegenüber dem Prediger erklärte der Stadtrat nun mit seiner Rat- und Hilflosigkeit in der unerwarteten Krisensituation.55 52 Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942, S. 99, Nr. 1198. Vgl. auch BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 101–106; ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 21; MAURER, Prediger (wie Anm. 1), S. 438 f.; LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 429–435; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 179 f.; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 100– 103. 53 Vgl. BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 106; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 181. 54 AGBM, Bd. I, Erste Abteilung, hg. von Otto MERX, Leipzig/Berlin 1923, S. 537, Nr. 848. 55 Vgl. BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 107; ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 21; LUTHER, Klöster und Kirchen Eisenachs (wie Anm. 6), S. 431 f.; OERTZEN BECKER,

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Anders als bei Wolfgang Stein kann in diesem Fall jedoch auch – zumindest an einem singulären Beispiel – der Einfluss des Predigers auf die Aufständischen beurteilt werden. Diese individuelle Perspektive tritt aus dem Verhör eines Eisenacher Bürgers namens Setler hervor, wobei es sich allerdings um die Formulierung der Fragenden, nicht des Befragten handelt. Setler habe sich aus freien Stücken dem Bauernhaufen in Vacha angeschlossen, sei jedoch bei der Schlacht von Frankenhausen nicht mehr dabei gewesen. Nach dem Einfluss des Predigers befragt, gab er zur Antwort, „derselb hab gelert, das es ime und sein armen kindern zu schwer sei“. Erst auf die nochmalige Nachfrage spezifizierte er den Grund der Belastung: „Befragt, worinnen, bericht er, das er gelert, man solle widde zinse noch rente geben.“56 Somit scheint lediglich Strauß’ Wucherlehre eine tiefere Kenntnisnahme in der Bevölkerung gefunden zu haben, obgleich dem Verhörten die Worte bei der Befragung fast in den Mund gelegt wurden. Setlers Aussage vermittelt somit den Eindruck, Strauß habe gegen eine Last gepredigt, die der Bürger selbst zuvor gar nicht empfunden hatte. Seine Lehre vom Wucher fand ihren Niederschlag in der geschilderten Auseinandersetzung, die zweifellos die Eisenacher Öffentlichkeit bewegte. Von einem Aufruf zum Aufruhr, den der Befragte mit vermeintlichem Recht ebenfalls als Strauß’ Lehre hätte anführen können und der in dieser Situation nach der Niederschlagung der Erhebung deutlich augenfälliger gewesen wäre, verlor er hingegen kein Wort. Vernichtend war schließlich das Urteil Martin Luthers, auf dem die spätere Wahrnehmung weitestgehend aufbaute. Er wandte sich vollständig von Jakob Strauß ab und legte seinem Nachfolger im Eisenacher Predigeramt, Thomas Neuenhagen, ans Herz, im Sinne Gottes zu handeln, nicht im Sinne Satans wie sein Vorgänger: „Tu servito Christo, ille Satanae serviit.“57

5. Die Folgen Den Urteilen über Jakob Strauß und Wolfgang Stein entsprach schließlich der weitere Lebensweg der Prediger. Wolfgang Stein blieb in seinem Weimarer Amt, bis er 1539 in das albertinische Herzogtum abgeordnet wurde. Mit zahlreichen anderen lutherischen Geistlichen aus dem ernestinischen Kurfürstentum sollte er der dortigen Reformation eine personelle Grundlage bieten. Er trat das Amt Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 181; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 102 f. 56 Beide Zitate AGBM, Bd. II, S. 383, Nr. 1583. 57 WA Br, Bd. 4, Weimar 1933, S. 116, Nr. 1036. Vgl. auch BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 113; ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 22; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 105.

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des Superintendenten in Weißenfels an.58 Dort blieb er, bis es 1544 zwischen dem albertinischen Herzog und dem ernestinischen Kurfürsten zu einem Streit um die Patronatsrechte einer Pfarrstelle kam. Stein kehrte zurück nach Weimar, wo er vor 1553 starb.59 Jakob Strauß wurde nach einer neuerlichen Untersuchung am kurfürstlichen Hof abermals freigesprochen und kehrte nach Eisenach zurück. Dort traf er nun jedoch auf die Ablehnung des Stadtrates und der Bürger. Noch 1525 wandte er sich daher von Eisenach ab und zog über Nürnberg nach Baden.60 Im selben Jahr verfasste er eine Verteidigungsschrift, in der er selbst über sich urteilte, er habe einen Glauben gepredigt, „der allein durch die liebe würckt“. Hingegen habe er „d[as] scharff schneydende / wort Gottes“ nur jenen gegenüber angewandt,61 die der christlichen Lehre widersprachen. Es sei ungerechtfertigt, dass die eigentlichen Verursacher des Aufruhrs ihm die Schuld aufbürden wollten, was ihn letztlich dazu bewogen habe, das Land zu verlassen. Nachträglich legte er nun seinen Glauben dar, in jener Form, wie er ihn, so seine Worte, in Eisenach gepredigt habe. Seine Darlegung sollte von seiner Rechtgläubigkeit und seiner Unschuld am Aufruhr überzeugen. Sie thematisierte das christliche Handeln in Nächstenliebe, Verständigkeit und die Nachfolge Christi sowie die Bewahrung der von Gott eingesetzten Ordnung in der Hierarchie der Gesellschaft unter einer christlichen Obrigkeit. Obwohl Luther sich gänzlich von ihm abgewandt hatte, tat Jakob Strauß es dem Reformator auch nach seinem Fortgang nicht gleich, wie seine Haltung in einer schriftlichen Auseinandersetzung mit dem schärfsten Kritiker Luthers, Johannes Cochläus, verdeutlicht. Cochläus hatte noch 1525 einen polemischen Kommentar zu Luthers Schrift „Wider die Reubischen vnnd Mördischen rotten der Bawren“ verfasst und drucken lassen. Darin formulierte er schon in seiner Widmungsvorrede an den Stadtrat von Köln seine Position: Luther habe „das 58 Vgl. Günther WARTENBERG, Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 55), Weimar 1988, S. 261–263. 59 Vgl. CLEMEN, Wolfgang Stein (wie Anm. 4), S. 560–562; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 208. 60 Vgl. JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 33; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 117; OERTZEN BECKER, Kurfürst Johann (wie Anm. 7), S. 181 f. 61 Beide Zitate Jakob STRAUß, Auffrur Zwitracht vn[d] Uneinigkeyt / zwische[n] woren Euangelischen Christen für zukomen / kurtz auch vnüberwintlich leer / Einem yeden erkenner Gottes / besünder / Allen fromen Christenlichen Fürsten vnd Landsherren notturfftig / vor ergangner auffrhur / Etlichen großmechtigen Herren geprediget / vn[d] auß ansinnen fromer Christen (wie nach folgt) in truck bracht, Nürnberg 1525 (VD 16 S 9473), fol. Aiv. Zu seiner Verteidigung gegen den Vorwurf des Aufruhrs vgl. auch MAURER, Prediger (wie Anm. 1), S. 440 f.

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gut volck lang vorher mit worten, zu auffrur, Stifft vn[d] klöster sturmen, geraytzt“62 und sei nun nach der Katastrophe entgegen seiner vormaligen Lehren vor der eigenen Verantwortung in den Schutz der Fürsten geflohen. Direkt an Luther gewandt schrieb Cochläus neben weiteren Vorwürfen folgendermaßen: Das aber der gemeyn man allenthalben in hohen Teutschlandt […] also tobt vnd auffrurig ist, das kumpt eygentlich auß deinem falschen vnd auffrurischen Euangelio, da[nn] ehe du geschreben hast, seind die Bawrn still gehorsam vnd gots fortig gewest. Aber deine vill auffrurische Bucher, mit hylff deiner gesellen, die in teglichenn predighen widder Munch vnd pfaffen das gut eynfeltig volck gereyzet haben, bringen vns Teutsche in solche schand, schaden, iamer, vnd ewigs verderbe[n].63

Ob Jakob Strauß sich bereits von diesem, auch im Folgenden weiter ausgeführten Generalvorwurf gegen alle lutherischen Prediger angegriffen gefühlt haben mag, kann vermutet werden, doch ging Cochläus noch darüber hinaus. In einer anschließenden Zusammenfassung der reichsweiten Aufstandsereignisse hob er Strauß aus der Reihe der von ihm angezeigten Prediger besonders hervor, indem er ihn – nicht allein für seine thüringische Schilderung – als einzigen neben Thomas Müntzer als maßgeblichen Prediger des Aufruhrs namentlich nannte: „Die fursten sein darnach [nach der Schlacht von Frankenhausen] aff ysennach gezogen, haben da doctor Jacob scrausz gefangen, welcher nicht allein da selbst sond[ern] auch darvor zu hal im yntal vn[d] zu werdthey[m] am Meyn luterische vnd rumorische lere hat außgeprayt.“64 Strauß sah sich durch diesen Angriff veranlasst, seinerseits eine Gegenschrift gegen den Katholiken zu verfassen, die er 1526 drucken ließ und in der er Cochläus Unverstand, Unwissenheit, Verblendung, Unchristlichkeit, kindisches Betragen und nicht zuletzt die Verleumdung seines eigenen Namens vorwarf: „Vnd den selben [den aufrührerischen Predigern] hastu mich mit sunder schmach außgedruckts namens zugeeygnet.“65 Dennoch zeigen seine Ausfüh-

62 Johannes COCHLÄUS, Wider die Reubische[n] vnd Mordischen rotten der Bawren, die vnter dem schey[n] des heiligen Euangelions felschlichen wider alle Oberkeit sich setzen vnd empören Martinus Luther. Antwort Joha[n]nis Coclej Von Wendelstein. Eyn kurtzer begriff von auffruren vnd rotten der Bawrn in hohem Teutschland diß Jar begangen. Anno M CCCCC XXV. Martinus Luther wider Thomas Muntzer. Eyn vßtzug Mar. Luther widder den geistlichen standt in. C.xxxij. artikeln, Köln 1525, fol. Av. 63 Ebd., fol. Aiiir. 64 Ebd., fol. Dviv. 65 Jakob STRAUß, Christenlich vnd wolgegrundet antwurt vnd hertzlich vermanu[n]g D. Jacobi Strauß / Auff das vngüttig schmachbüchlin D. Johannis Coclei von Wenndelsteyn / Betreffen die auffrur, Worms 1526 (VD16 S 9475), fol. Aivv. Die Verleumdung seiner Person griff er am Ende erneut auf, indem er Cochläus’ Aussage, er habe Aufruhr gepredigt und sei von den Fürsten gefangen genommen worden, aus seiner Sicht wider-

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rungen ihn, wie Strauß in einigen einleitenden Worten selbst ankündigte, nicht in jenem vormaligen auffahrenden Gemüt. In bewusst zur Schau getragener, versöhnlicher Sanftheit und Mitleidigkeit versuchte er hingegen, Cochläus von seinem Irrtum zu überzeugen. Hatte „diser mein newer feind“,66 wie Strauß ihn nannte, die katholische Kirche mit ihren frommen Werken und Zeremonien verteidigt, hielt Strauß ihm nun die lutherische Rechtfertigungslehre entgegen und nutzte die folgenden Seiten der umfangreichen Gegenschrift zu einer weitschweifigen Verteidigung des evangelischen Glaubens.67 Dabei legte er die These von der Freiheit eines Christenmenschen im Sinne des Gehorsams und der Treue gegen die Obrigkeit aus,68 während er die Schuld am Bauernkrieg letztlich nicht in den evangelischen, sondern in den katholischen Lehren suchte: Dan[n] hetten die pawern wollen vnder dem creutz bleibe[n]69 / vnd Gott ihr elend vnd not befolhen / vnd nit gewalt mit gewalt wollen vertreiben / wie sie aus ewern büchern gelert sind / so were auch auffrur / mort vnnd todschlag leichtlich verkommen / vnd Gottes erlösung in[n] gedult erwartet. Aber lieber bruder / als wenig du vnd deins gleichen dz wort Gottes ie habt wollen zu warem christlichen wesen leren oder annemen / sunder mit falschen glosen vnd fremdem verstand auff allen mutwillen / eygen nutz vnd zeitliche eer / ewern geystlichen stand damit zuuertedigen habt gedrungen. Also haben auch ietzt die fleyschlichen zuhörer des heyligen Euangelion / die innerliche freiheyt des geysts auff ihr fleyschlich elend befreiung gezogen / vnd das schwerdt des geysts verkeret in dz blutuergiessend schwerdt Cayns vnd ist eyn teyl so gut wie das ander / die sich mit blutuergiessen gerochen haben / vnd die sich mit todschlagen habe[n] wollen befreien.70

Der Frieden auf der Welt, so griff Strauß den Gedanken an späterer Stelle erneut auf, könne in einem solchen Widerspruch des menschlich-unchristlichen Verhaltens zu der von Gott angestrebten Ordnung nicht aufrechterhalten werden. Der göttliche und der zeitliche Frieden, zwischen denen Strauß ausdrücklich unterschied, müssten im gegenseitigen Einklang erhalten werden, doch laufe die ‚von Menschen erdachte‘ katholische Religion diesem Ziel zuwider:

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legte, vgl. ebd. fol. Hiiir–Hivr. Vgl. auch BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 103 f. STRAUß, Christenlich vnd wolgegrundet antwurt (wie Anm. 65), fol. Aivv. „Ach lieber bruder / sich doch deinen Got mit anderen augen an / vnnd glaube nitt das er den schein für die warheyt anneme / Er bedarff vnser gutten wercken gar niendert zu vnnd am allerwenigsten zu vergebung der sunden / vnnd gerechtmachung / dann nit nachden wercken der gerechtigkeyt / die wir gethan haben /sunder nach syner freyen barmhertzigkeyt hat er vns von sünden gelediget.“ Ebd., fol. Br–v. „Zum fünfften wirckt eyn solicher glaub durch die liebe / das auch eyn ieglicher sich gegen allen mensche[n] dienstlich vnnd vnderthänig erkennet / vnd vorabe aller geordneten oberkeyt / nit aus zwang vnd forchte / sonder Gotte zu gefallen mit lust vnd freiem hertzen / willig vnnd gehorsam zu sein.“ Ebd., fol. Biiiv. Gemeint ist das Bekenntnis zur evangelischen Lehre in der leidvollen Nachfolge Christi. STRAUß, Christenlich vnd wolgegrundet antwurt (wie Anm. 65), fol. Bivv–Cr.

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Dan[n] Gottes frid vnnd zeitlicher frid ordenlich gehalten / mögen on eynander nitt bleibe[n] bei den einwonern in disem iamertal. Es wirt auch aus der welt fride Gottes fride gemacht / so die rechte[n] mittel / frid vnd eynigkeyt zuhalten geübt werde[n] […]. So aber der zeitlich frid alleyn weltlich / vnd nit nach rechter maß / gestalt vnd weise fürgenom[m]en / also / das erlich vn[d] nützlich in der gemeyn gelebt werde / sunder mer auff eynes ieden eygen nutz / lust / pracht vn[d] eygen wolgefallen gezoge[n] / so wirt auch eyn vnchristlicher / schmelicher vnd verderblicher frid darauß / der meher eyn zerstörung vnd vnfride genant sol werden.71

In diesem Sinne stellte er das vom Bauernkrieg erschütterte Römisch-Deutsche Reich in die Nachfolge jener Reiche, die durch inneren Widerstand für die Vergehen ihrer Könige gestraft wurden, seit der biblische König Rehabeam sich geweigert habe, die gute Ordnung seines Vaters Salomon wiederherzustellen. In der evangelischen Lehre, die Cochläus für den Aufruhr verantwortlich gemacht hatte, sah Strauß daher die einzige Möglichkeit, die göttliche Ordnung samt einer christlichen Obrigkeit wieder aufzurichten und zu erhalten. Über etliche Seiten schilderte Strauß sein Verständnis von einer christlichen Gesellschaft und resümierte, dass der Bauernkrieg unter solchen Umständen sogar hätte verhindert werden können: Auff solche weiß wil der gemeyn groß hauffen auch nichtes annemen in Gottes wort / das zu gru[n]tlicher gehorsamer vnderthänigkeyt / der oberkeyt mit gedult zu beweise[n] / gelert wirt. […] Darum sie auch den v[er]gangen sum[m]er eyn ander euangelion aus dem teuffel vn[d] nit aus Gottes geyst / vonn ettlichen falschen Propheten ihnen geprediget / vnnd zum teyle beschriben mitt mordt vnnd todtschlag haben wollen verthedingen / das rechte ewige wort / hat ihnen eben als wol geschmeckt als den pfaffen vnd münchen / dann das creutz ligt im waren Euangelion an allen orthen / vor dem selben haben sich die armen verfürten leuth mit dem schwert wollen verhütte[n].72

Strauß ließ seine Schrift zwar in einer langen Klage über die Ablehnung der evangelischen Botschaft und die Fehldeutung seiner eigenen Lehre ausklingen, doch geht aus ihr letztlich nicht mit Bestimmtheit hervor, ob er über Luthers Verhalten ihm gegenüber verstimmt war. Auf der einen Seite verteidigte er zwar – wie er selbst meinte unnötigerweise – Luthers Schriften vor Cochläus’ Angriffen, distanzierte sich auf der anderen Seite allerdings deutlich von der Bezeichnung eines lutherischen Predigers: „Erstlich wil ich mich frei bedingen / das ich mich keyns wegs Lutherisch genent wil habe[n] / dan[n] Luther mich das Euangelion nit gelernt hat.“ Diese Äußerung basierte jedoch nicht auf einer Ablehnung gegenüber Luther, sondern auf seinem Verständnis des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen sowie auf einer grundsätzlichen und in seinen Worten deutlich nachvollziehbaren Haltung zum göttlichen statt menschlichen 71 Ebd., fol. Civv. 72 Ebd., fol. Eivr–v.

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Ursprung des Evangeliums. Demnach sei es „eyn außgetruckte enderung vnd schmach / Christo gott vnserm erlöser […] / eyne[m] todlichen gebrechliche[n] menschen zu[zu]eygnen / das Christo alleyn zugehört“.73 Wann Jakob Strauß starb, ist unbekannt, doch war er 1534 bereits tot. Eine Aussage Georg Witzels, eines vormals von Strauß eingesetzten evangelischen, doch später zum Katholizismus rückkonvertierten Geistlichen, besagt im Jahr 1541, dass auch Strauß am Ende seines Lebens in die katholische Kirche zurückgekehrt sei.74 Obwohl dies angesichts seiner vehementen Verteidigung des evangelischen Glaubens unwahrscheinlich ist, kann es letztlich nicht widerlegt werden.

73 Beide Zitate ebd., fol. Ciir. 74 Vgl. JAUERNIG, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 33; BARGE, Jakob Strauß (wie Anm. 2), S. 164 f.; ROGGE, Wegbereiter (wie Anm. 2), S. 22 f.; MAURER, Prediger (wie Anm. 1), S. 440; BAUER, Die Bedeutung von Jakob Strauß (wie Anm. 6), S. 107.

VOLKMAR JOESTEL KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

Karlstadt und der Bauernkrieg in Ostthüringen Einleitung Eigentlich ist das Thema ein Widerspruch in sich. In Orlamünde wirkte Karlstadt 1523/24, während der Bauernkrieg hier erst Ende April 1525 ausbrach. Da war Karlstadt aber längst ausgewiesen. Wenn man über seine Einflüsse auf den Bauernkrieg in Ostthüringen Gültiges aussagen will, kann man nur einige quellenmäßig fassbare Aspekte beleuchten. Das betrifft zum Ersten die soziale Frage vor dem Bauernkrieg, sodann Karlstadts Haltung zu den Obrigkeiten und zur Gewalt, weiterhin einige Aspekte des Verlaufs des Bauernkriegs selbst. Schließlich soll Karlstadts Rückschau nach dem Bauernkrieg beleuchtet werden. Wenn hier von „Ostthüringen“ gesprochen wird, dann ist im engeren Sinne das Gebiet gemeint, das das unmittelbare Umfeld des Wirkens Andreas Bodensteins in Orlamünde 1523/24 umfasst und dem im August 1524 Luthers Visitationsreise galt, also das mittlere Saaletal mit den Ämtern Leuchtenburg und Jena sowie das südliche Osterland um den Oberlauf der Orla, konkret das Amt Arnshaugk.

1. Die soziale Frage – Karlstadts „Sabbatschrift“ von 1524 Ende 1523/Anfang 1524 veröffentlichte Karlstadt im benachbarten Jena mehrere Schriften, in denen er seine „Orlamünder Theologie“ entwickelte.1 Unter ihnen gibt es nur eine, die sich auf sozioökonomische Fragen bezog, das ist die Anfang Januar 1524 erschienene Schrift „Von dem Sabbat und gebotenen Feiertagen“.2 Es gilt also, sie im Spiegel der sozialen Bewegung in Ostthüringen 1522–1524 zu betrachten.3 1 2

3

Vgl. Ronald J. SIDER, Andreas Bodenstein von Karlstadt: the Development of his Thought 1517–1525, Leiden 1974, S. 202–303. Vgl. Andreas KARLSTADT, Von dem Sabbat und gebotten feyertagen, Augsburg 1525 (VD16 B 6228). Abgedruckt in: Erich HERTZSCH (Hg.), Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–1525, Bd. 1, Halle/S. 1956, S. 21–47. Vgl. Volkmar JOESTEL, Andreas Bodensteins von Karlstadt Schrift Von dem Sabbat und gebotenen Feiertagen im Spiegel der sozialen Bewegung in Ostthüringen (1522–1524), in:

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Welche Rolle spielte Karlstadts Orlamünder Theologie für das Alltagsleben der Adressaten seiner Predigten und Schriften? Da wäre zunächst die von Karlstadt grundsätzlich postulierte Mündigkeit der Laien in Glaubensfragen zu nennen, die in Orlamünde auch praktiziert wurde. Der Gottesdienst wurde zum Diskussionspodium für das rechte Verständnis der Bibel.4 Jeder Gläubige habe ein Widerspruchsrecht, auch gegenüber dem Pfarrer. Karlstadts Anhänger Martin Reinhart im benachbarten Jena bezog das ausdrücklich auch auf die Frauen.5 Sicher ist auch eine für das soziale Leben der Gemeinde so praktische Frage wie der Sabbat intensiv diskutiert worden. Um Missverständnisse auszuschließen: 1523/24 bei Karlstadt konkrete wirtschaftliche und soziale Forderungen zu erwarten, hieße, seine Orlamünder Theologie gründlich misszuverstehen. Ihm ging es ja gerade darum, sich von allen kreatürlichen Bestrebungen zu befreien. Das Gieren nach Wohlleben sei geradezu ein Zeichen des Unglaubens.6 Jedoch sah Karlstadt in ungerechten sozialen Verhältnissen Ursachen dafür, dass Menschen an der „Gelassenheit“ und damit an der Erkenntnis des Willens Gottes gehindert werden. Seit 1522 nahm die Zahl bäuerlicher Beschwerden und ländlicher Konflikte auch im Amt Leuchtenburg sprunghaft zu. 1522 wurden 20, 1523 48 und 1524 schließlich 55 Auseinandersetzungen registriert.7 Sie betrafen hauptsächlich Geld- und Naturalleistungen an kirchliche oder weltliche Grundherren, die Triftgerechtigkeit und Frondienste. Es bestand ein enger Zusammenhang zwischen Zinszahlungen und Frondiensten, zumal der Trend der Zeit, Dienste durch Geldleistungen zu ersetzen, auch für das Amt Leuchtenburg nachzuweisen ist.8 Dieser enge Zusammenhang widerspiegelt sich auch in Karlstadts Sabbatschrift. Karlstadt wandte sich aus innerstem religiösen Bedürfnis dem „gemeinen Mann“ zu. Er registrierte die alltäglichen Nöte seiner Predigthörer sehr genau. Das wird deutlich, wenn Karlstadt über die geistliche Deutung des Sabbats hinaus, die hier zu vernachlässigen ist, eine zweite Begründung gibt: Das Sabbatgebot verpflichte die Hausherren zur Nächstenliebe gegenüber ihren Untertanen.

4 5 6 7 8

Ulrich BUBENHEIMER/Stefan OEHMIG (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 211–227. Vgl. DERS., Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegung und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges (1522 bis 1524), Berlin 1996, S. 87–89. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. ebd., S. 97. Vgl. ebd., S. 136. Am 18. Oktober 1519 gestattete Herzog Johann den Amtsdörfern Heilingen, Röbschütz, Geunitz, Dorndorf, Engerda, Zeutsch, Freienorla und Beutelsdorf, traditionelle Fronen auf sechs Jahre durch eine jährliche Gesamtsumme von 19 Schock Gr. und 12 Gr. abzulösen. Ebd., S. 16 u. 40.

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Gott hat es auch zur Stärkung der Gesundheit seines Volkes eingesetzt. Hausherren müssen also ihrem Gesinde den regelmäßigen Sabbat zugestehen, do mit sie yre krefften erholen vnd erfrischen mögen […] Vnnd diese vrsach sol geystmessigk sein, das ist, zu geystlicher ruhe gewent werden, vnd der ersten vrsachen wilfaren vnd dienen. Also, das man, verstehn sol, das zu vile vnd geschwinde arbeyt, den geist zu sere mühet, yn trege oder faul vnd verdrossen macht, sich auß zu breyten vnd zu begern gottis werck in der ruge zu leyden vnd zu schmecken.“9 Es sei aber häufig zu beobachten, „das wir vnßere knechte oder kinder, des feyertags zu der arbeit dringen, vnd tzihen sie von irer ruhe […] Aber wenn ein knecht oder maygt, yre müde glyder erquicken oder erfrischen wil, oder in got ruhen, so ist der haußherr, vor got, schuldig, das er sie lasset ruhen.10

Häufig aber müssten Knechte und Mägde, ja sogar ihre Kinder, am Sabbattag arbeiten, damit die Hausherren schlemmen können. „Drumb ist das vmbtreiben der haußherren vff yre knechte, wider Got, wider yhren glauben, vnnd wider ire christliche pflichte, vnd ist ein greulich mißbrauch.“11 Sofort schließen sich Klagen über ein Übermaß an Frondiensten an: Viel mehr seind die arme leute frey von den frondiensten. Und ir obersten soldten sie nicht treyben, das sie am Sabbattag etwas thun, oder dienen solten, es sey mit furhe, gehen, oder wasserley werck es sey. Nötigen sie aber yhre unthersassen tzur arbeit, oder diensten, so thun sie wider Got, und uben gewalt, und thyranney kegen yrem nehsten, und geben gnugsame ursachen den untersassen zu widersprechen yrer oberkeyt.12

Welche Rolle also spielten Frondienste im Forderungskatalog der Bauern? Im Mai 1522 forderten acht benachbarte Dörfer eines geschlossenen Gebiets etwa 10 km nordöstlich von Orlamünde in Erneuerung einer schon 1520 vorgebrachten Beschwerde die Reduzierung landesherrlicher Frondienste.13 Ein herzoglicher Rezess zwischen dem Leuchtenburger Amtmann und den acht Dörfern vom 1. August 1522 sollte die Streitigkeiten beenden. Die Bauern sollen auf den herzoglichen Vorwerken jährlich in der Erntezeit drei Tage zur Ernte und zum Einbringen des Getreides fronen. Darüber hinaus könne der Amtmann weitere Erntedienste anordnen, die in jedem Fall Priorität vor Diensten gegenüber anderen Grundherren hätten. Wer dem zuwiderhandele, indem er seine Frondienste gegenüber Adligen zuerst erfülle, soll den landesherrlichen Frondiensten gewaltsam zugeführt werden. Zur Schnittfron sollen nur fronpflichtige Bauern, keine Kinder und andere zur Fron unfähige Personen eingesetzt werden. Weiterhin sei die vorgeschriebene Zeit, nämlich vom Sonnenauf- bis zum Sonnen9 10 11 12 13

KARLSTADT, Von dem Sabbat (wie Anm. 2), S. 25, Z. 3–24. Ebd., S. 30, Z. 33–S. 31, Z. 11–13. Ebd., S. 30, Z. 33–S. 32, Z. 13. Ebd., S. 29, Z. 30–39. Vgl. JOESTEL, Ostthüringen und Karlstadt (wie Anm. 4), S. 50–52.

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untergang, einzuhalten. Bezüglich der Holzfron wurde festgelegt, dass jeder Fuhrwerksbesitzer jährlich drei Klafter Holz auf den Amtssitz zu transportieren habe. Verboten sei auch, wie sich etliche angemaßt hätten, dass zwei oder mehr zusammenarbeiten und gemeinsam lediglich drei Klafter transportieren. Die Bauern hatten sich also beschwert, dass sie mehreren Herren gleichzeitig fronund zinspflichtig seien, worauf der Schied die Priorität der landesherrlichen Fronen betonte. Offensichtlich waren es auch verbreitete Formen bäuerlichen Widerstands geworden, zu den Frondiensten Kinder oder wenig arbeitsfähige Familienmitglieder zu schicken, die vorgeschriebene Arbeitszeit nicht einzuhalten oder die Dienste gemeinschaftlich mit den Nachbarn zu leisten, die Leistung jedoch entsprechend der Zahl der Beteiligten mehrfach abzurechnen. 1524, also nach dem Erscheinen von Karlstadts Sabbatschrift, ist eine deutliche Zunahme von Beschwerden auch gegen Frondienste zu konstatieren, besonders im unmittelbaren Umfeld von Orlamünde. Am 15. April 1524 verhandelte Amtmann Johann Reinboth einmal mehr Gebrechen zwischen den Bauern des auf halber Strecke zwischen Orlamünde und Jena gelegenen Dorfes Zöllnitz und dem Adligen Adam Puster.14 Schon am 6. Mai musste er wieder eingreifen, da sich auch Puster darüber beschwert hatte, dass die Zöllnitzer Bauern ihre Frauen zu den Frondiensten geschickt hätten. Reinboth entschied, dass das nicht statthaft sei. Am 1. August schlichtete der Leuchtenburger Amtmann den Streit zwischen Dietrich von Scheidig und der zwischen Orlamünde und Jena gelegenen Gemeinde Schorba betreffs Viehtrift, Zinsen und Fronen: Scheidig solle den Bauern die Fron vier Tage vorher ankündigen. Die Bauern hätten ihre traditionellen zwei Tage Frondienste zu leisten. Darüber hinausgehende Forderungen des Adligen werden zurückgewiesen.15 Eine der bedeutendsten adligen Grundherrschaften in Ostthüringen war die seit 1515 dem Geschlecht der von Weißenbach gehörende Herrschaft Altenberga, ein geschlossenes Gebiet etwa 5–10 km nördlich von Orlamünde. Zu ihr gehörten sieben Dörfer sowie Hintersassen in fünf weiteren. An dieser vergleichsweise umfangreichen und arrondierten Grundherrschaft sollte sich die Verflechtung unterschiedlicher, ja gegensätzlicher wirtschaftlicher Interessen einerseits besonders zugespitzt, andererseits aber gerade dadurch paradigmatisch äußern.16 Die Bauern der Grundherrschaft mussten 1548 die weitaus höchsten Frondienste im gesamten Amt Leuchtenburg leisten.17 In zwei Dörfern zum Beispiel mussten jährlich je fünf Ackerleute 15 Tage fronen, von elf Handfrönern muss14 15 16 17

Vgl. ebd., S. 127. Vgl. ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 129–133. Rudolf TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg im Mittelalter, Zeulenroda 1941, S. 68.

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te jeder 20 Tage fronen. Daneben gab es noch fünf Handfröner, die je sechs Tage zu fronen hatten. Dies war im Durchschnitt etwa das Doppelte der in Ostthüringen üblichen feudalen Leistungen.18 Nachdem es schon 1523 im Konflikt zwischen Hermann von Weißenbach und seinen Untertanen Vermittlungsversuche seitens des Amtes und des Weimarer Hofs gegeben hatte, teilte Herzog Johann der Beständige in einem Bericht an seinen Bruder Kurfürst Friedrich den Weisen vom 1. Januar 1524 mit, dass viele Städte und Adlige die fälligen Zins- und Zehntzahlungen an die kurfürstliche Kasse nicht leisteten. Auch Wolf und Hans von Weißenbach hätten nichts gezahlt und mit einer dem Schreiben beigelegten Klage der Bauern auf deren Zahlungsunwilligkeit verwiesen. Eine erneute Klage richteten die Weißenbachschen Untertanen am 17. Februar 1524 an Herzog Johann. Sie würden durch die Grundherren mit übermäßigen Abgaben, Folge, Fronen und Zinsen belastet. Die von Weißenbach hätten auch den „alten Zehnt“ gepfändet und beanspruchten die zukünftige Weinernte, die die Bauern sonst in die ernestinischen Städte geliefert hätten. In der Angelegenheit seien die Ältesten der Gemeinde jüngst in Weimar verhört worden. Sie hätten dort dargelegt, und das sei von den herzoglichen Räten nicht bestritten worden, dass die Dörfer in der Vergangenheit niemals mehr Abgaben und Fronen geleistet hätten, als in der Grafschaft Blankenhain und in anderen Grafschaften üblich sei. Trotzdem habe der Grundherr Frondienste und Abgaben erhöht. Abschließend wird der Herzog gebeten, diesen Zehnt und die Folge auf das allgemein übliche Maß zu reduzieren. Sollten Zehnt und Frondienst nicht reduziert werden, würde das die Existenz der Bauern bedrohen. Wolf von Weißenbach rechtfertigte am 17. März gegenüber Herzog Johann seine Forderungen an die Untertanen mit dem Verweis auf den als Kopie mitgesandten Lehnsbrief. Am 18. März bat Herzog Johann seinen Bruder, das Dilemma zwischen den kurfürstlichen Forderungen an die von Weißenbach einerseits und den Klagen von deren Untertanen andererseits zu entscheiden, da er, der Herzog, sich angesichts der hohen Lasten der „armen Leute“ zu einer Entscheidung außerstande sähe. Friedrichs Antwort vom 20. März ist das letzte in dieser Sache bekannte Dokument. Er überließ seinem Bruder die Entscheidung, wobei er jedoch andeutete, dass die kurfürstliche Zinsforderung an die Grundherren rechtens sei, wie das alte Herkommen und die fixierte Rechtslage bewiesen. Karlstadt lieferte potentiellen Verweigerern von Frondiensten das Argumentationsmuster ihren Herren gegenüber gleich mit:

18 Vgl. ebd. Ferner auch: Elisabeth SCHWARZE, Soziale Struktur und Besitzverhältnisse der ländlichen Bevölkerung Ostthüringens im 16. Jahrhundert, Weimar 1975, S. 145 f.

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In Summa, ich wolt das man den ungütigen haußherren, und tobenden oder ungleubigen Christen, einredet und saget: Sihe du wilt mich heute, am sabbat, an meiner ruhe, hindern, und umbtreyben. Ich bin dir, von gottis wegen heute nichts schuldig zu dienen […] Sihe heut solt ich in Gott ruhen, und du wilt, wider götliche erleubte ruhe und freiheit, mich belestigen. Derhalben wil ich dir heut nit antworten.19

In der Tat ist zu beobachten, dass sich seit dem Frühsommer 1524 Bauern bzw. ganze Dörfer in der Umgebung von Orlamünde wesentlich selbstbewusster gegen Frondienste wendeten als vorher. Am 16. Juni 1524 verlas Amtmann Reinboth den fürstlichen Befehl betreffs der Auseinandersetzungen zwischen drei etwa 6 km südwestlich von Orlamünde gelegenen Dörfern einerseits und der adligen Familie von Kochberg andererseits.20 Die Kochbergs hatten schon seit 1494 ihre Untertanen rücksichtslos ausgebeutet. Nun klagten die Adligen, dass die Bauern sich wehrten, indem sie erst vor dem Mittag zur Fronarbeit erschienen und nur den halben Tag arbeiteten.21 Der Herzog entschied, dass die Bauern bis zu einer gründlichen Prüfung der Angelegenheit ihre Frondienste zu leisten hätten, „wie sie bis zu dieser zeit ires itzigen aufstehens getan, hinforder zu tun“.22 Dieser Befehl wurde in demonstrativer Weise nicht befolgt, was den Bauern sofort den Vorwurf des Aufruhrs einbrachte. Am 20. Oktober jedenfalls begründete der Amtmann damit die Pfändung ihres Viehs und befahl erneut, „das sie den von Kochberg die frone, wie sie in vor dieser emporunge und aufstehen getan, hinfurt tun sollen und wollen und das sie umb die nicht getane frone, auch ires gebeuten ungehorsams und vorgessunge orer [ihrer] treue und pflichte“ den von Kochberg Schadenersatz zu leisten hätten.23 Ähnlich zugespitzt hatte sich das Verhältnis zwischen den Bauern der 5 km nördlich von Orlamünde gelegenen Gemeinde Reinstädt und Joachim von der Pfordten,24 so dass Herzog Johann die Angelegenheit am 22. Juli 1524 in Weimar durch den Kurprinzen Johann Friedrich persönlich regeln ließ. Der wies die bäuerlichen Forderungen nach lediglich vier Frontagen im Jahr, die die Bauern unter Hinweis auf das alte Herkommen eingeklagt hatten, zurück. Die Forderung Joachims von der Pfordten nach sieben Frontagen, drei in den Weinbergen sowie zwei zur Heu- und Haferernte und weitere zwei zum Holzschlagen sei berechtigt, zumindest solange die Bauern keine gegenteiligen Rechtstitel vorlegen könnten. Sollten die Bauern dem Adligen weiterhin die Dienste verweigern, „so sollen sie ime seine schaden wes er der itzo durch iren ungehorsam und tetliche widersetzung erliten […] sambt den kunftigen erstaten und darneben mit 19 20 21 22 23 24

KARLSTADT, Von dem Sabbat (wie Anm. 2), S. 33, Z. 10–18. Vgl. JOESTEL, Ostthüringen und Karlstadt (wie Anm. 4), S. 128. Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 172 f. Zitat in: JOESTEL, Ostthüringen und Karlstadt (wie Anm. 4), S. 128. Zitat in: ebd. Vgl. ebd., S. 128 f.

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ernst gestraft werden. Und in gleichnus sollen sie die wolhe abnehmen auch zu besserung des backofens helfen und fronen, wie herkommen.“25 Karlstadt hat jedoch auch das Eintreiben von Schulden als Störung der Sabbatruhe gegeißelt: In sonderheit ist das ein mißbrauch, das man des heyligen tags, die schuldiger vmb schult manet, vnnd es ist wider die natur des Sabbats […] Nu wie kan ich in Got ruhen, wen ich meinen bruder vnruhig mach, vnd yhnen, mit einem vnruhigem werck entruste? Wer in got ruhen wil, der muß seinen schuldigern vergeben, nit allein ire sundige thäten, sondern auch gelt schulde, so sie nit betzalen kunden […] Derhalben ists ein vnchristlich laster vnnd schand, das die Christen vnnd wucherpfaffen yhre schultiger am Sabbat auff der kantzel manen, vnd darnach vmbtreiben, vnd machen andere leut vnruhig.26

Viele Dörfer klagten über hohe Zehnt- und Zinsforderungen. Alle Formen von Obrigkeiten traten dabei als Gläubiger auf, vom Landesherrn über adlige und kirchliche Grundherren, bis zu Altaristen, bei denen viele Bürger in Form des wiederkäuflichen Zinskaufes verschuldet waren. Bezeichnend für die landesherrlichen Forderungen sind die Klagen des Jenaer Amtsschossers Sebastian Wolner.27 In seiner Amtsrechnung von Walpurgis 1522 bis Walpurgis 1523 vermerkte er unter „Einnahme Erbzinsen“: Solche zinse gefallen, kein jar rechter zins noch ungenotiget und So man dyselbigen zinsleut und Sunderlichen in der Stadt, drengt So bitten sie einsteils ire guthere, mit den zinsen ligen zulassen […] So seindt etzliche und vast den merentheil also hoch mit erbzinsen und widerkeuflichen zinsen beswert, das sy mit nodt den Erbzins ertragen konnen und vast [sehr] vil derselben Sind […] mit widerkeuflichen zinsen ubersatzt das inbesorg stet wo nicht Bessere fruchtbare wein Jhar komen, werden vil weyngarthen an zinsen Ligende bleiben […].28

Auch die fälligen Geschosszahlungen würden von den Bauern auf die Zeit der Weinlese verschoben. Unter „Einnahme Wasserzins“ für die Nutzung von Fischgewässern und die Flößerei notierte Wolner: 9 Schock Gr., 59 Gr., 6 Pf. Sollen dy uff Mihaelis halpt und dy ander helfte uff walpurgis geben Sie thuns ader [sic!] nicht geben erst dy helft, mit getzwange uff Martini ungenedichen und dy ander helfte, mus man oft ein gantz virtel jars an yn manen[,] wo man aber wochenlich fische dofur von yn Neme als bey leben hertzog wilhelms seligen bescheen, geben sie lieber dann gelt.29

Unter „Einnahme Geld des Amtes Burgau“ klagte Wolner gar: „uff michaelis vorfallen soliche zcinse, mussen den merenteil mit zwange und pfandungen, 25 26 27 28 29

Zitat in: ebd. KARLSTADT, Von dem Sabbat (wie Anm. 2), S. 32, Z. 13–36. Vgl. JOESTEL, Ostthüringen und Karlstadt (wie Anm. 4), S. 68 f. Zitat in: ebd., S. 68. Ebd.

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inbracht werden wie im ampt jhen angezeigt, fallen nicht zu rechter tagkzeit und vil derselben zinsleut sind dem ampt endsessen und an entzeln Gr. und pfennigen zu manen.“30 Gravierend war weiterhin die Tatsache, dass die ohnehin schon beträchtlichen Ausgaben und Dienste, die Städte und Dörfer Ostthüringens für die herzoglichen Jagden aufzubringen hatten, im Jahre 1524 gegenüber 1523 noch einmal stark anstiegen.31 Direkte Forderungen nach Reduzierung landesherrlicher Steuern und Zinsen werden zwar kaum bekannt, aber dass sich die Situation, vor allem infolge der durch den Altenburger Landtag im Mai 1523 erhobenen neuen Steuern, weiter zuspitzte und Steuern und Zinse einfach nicht mehr gezahlt wurden, wie ja auch der Jenaer Amtsschosser so treffend beschrieben hatte, wird daran deutlich, dass Bauern zu Zins- und Zehntzahlungen oder zur Veranschlagung ihrer Güter durch den Amtmann gar nicht mehr erschienen.32 Die rapide Zunahme von Messstiftungen und damit auch von Messpriestern vor der Reformation bedeutete auch in der Umgebung von Orlamünde eine beträchtliche finanzielle Belastung sowohl der Städte als auch vieler einzelner Bürger. Rudolf Herrmann hat das bezüglich Neustadt/Orla belegt.33 Der letzte der Neustädter Bauernkriegsartikel von 1525 forderte bezeichnenderweise die Einstellung aller Zinszahlungen in Bezug auf den wiederkäuflichen Rentkauf, wenn die Gesamthöhe der Zinsen den Betrag der „Hauptsumme“ erreicht habe. Bei einem durchschnittlichen Zinsfuß von 5 % hätte das alle Stiftungen betroffen, die älter als 20 Jahre sind. Für die Stadt wäre das einer jährlichen Einsparung von ca. 100 fl. und damit der faktischen Beschlagnahmung des Kirchenguts zugunsten der Stadt gleichgekommen. Ähnliches galt sicher auch für die anderen Städte. Karlstadt geht es in seiner Sabbatschrift um Lebensumstände in ihrer Totalität und um die darauf basierende Frage, ob und wie diese Lebensumstände den Menschen befähigen oder behindern, sich der ernsthaften Suche nach der Erfüllung des göttlichen Gesetzes zu widmen. Am deutlichsten wird das, wenn Karlstadt alle Spekulationen über einen festen Sabbattag, selbst für den äußerlichen Sabbat, zurückweist und deutlich macht, dass grundsätzlich jeder Tag als Sabbattag in Frage kommen kann, dass die Entscheidung darüber ausschließlich menschlichen Nützlichkeitserwägungen unterliegt.34 Grundsätzlich stehe es 30 31 32 33

Ebd., S. 68 f. Vgl. ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 134 f. Vgl. Rudolf HERRMANN, Die Messpriester in einer Thüringer Kleinstadt vor der Reformation und ihr Verhältnis zum Bauernkrieg, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde 34, N. F. 26 (1925), S. 1–64. 34 Vgl. KARLSTADT, Von dem Sabbat (wie Anm. 2), S. 41, Z. 24–28.

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daher jedem Hausherren frei, den Sabbattag für sein Gesinde festzulegen.35 Auf jeden Fall aber müsse der äußere Sabbat es ermöglichen, dass die Menschen in ihrem alltäglichen Lebensvollzug genug Freiräume haben, um sich in den inneren Sabbat einzuüben.36 Dazu aber muss das Herz „beschnitten“ und frei sein, auch von Sorgen über Verpflichtungen und Aufgaben gegenüber Herren und Obrigkeiten. Wenn die Menschen zunehmend weniger wissen, wie sie Frondienste und Zins- und Zehntzahlungen erfüllen und leisten können, dann hilft ihnen auch keine formelle Einhaltung des Sabbats, da die Sorgen natürlich auch bei Unterbrechung von der äußerlichen Arbeit im Herzen bleiben und der Erkenntnis von Gottes Gesetz keinen Raum lassen. Karlstadt erfuhr als Seelsorger, dass seine Gemeindemitglieder aufgrund ihrer finanziellen und Dienstpflichten gegenüber kirchlichen und weltlichen Herren derart von Sorgen um das tägliche Brot gequält wurden, dass ihnen diese Sorgen kaum die „Gelassenheit“ ließen, den Willen Gottes zu erfahren. Daher waren gerade Karlstadts theologische Sabbatauffassungen mitverantwortlich für die Stärkung des Selbstbewusstseins des „gemeinen Mannes“ und damit des Kampfes gegen soziale Missstände. In diesem Sinne haben sie auch den Bauernkrieg im Folgejahr mit vorbereitet.

2. Die Obrigkeits- und Gewaltfrage – das Verhältnis zwischen Karlstadt und Müntzer Karlstadt äußerte, er habe die im folgenden zitierte Schrift auch deswegen geschrieben, „das sich die Obrigkayten entsynnen, und ire hende an sich halten, so lang biß sy sich bestendiger warhayt erkundt haben“.37 Entschieden kritisierte er die im kurfürstlichen politischen Interesse liegende, mit der Rücksicht auf die „Schwachen“ begründete Mahnung Luthers zur Mäßigung. Christus habe das Schwert gebracht, um die Christen von den Ungläubigen zu scheiden. Man solle Christus mehr lieben als Vater und Mutter. Paulus habe die Gemeinschaft mit all denen verboten, die öffentlich wider Gott leben.38 In der Konsequenz formulierte Karlstadt, im Text sogar hervorgehoben, radikale Kritik am landesherrlichen Anspruch auf das Kirchenregiment: „Ein jeglich gemein, sie sey klein oder groß, sol für sich sehen, das sie recht und wol thu, und auf niemants

35 Vgl. ebd., S. 42, Z. 1–9. 36 Vgl. ebd., Z. 15–18. 37 Andreas KARLSTADT, Ain frage ob auch yemant möge selig werden on die fürbit Marie, Augsburg 1524 (VD16 B 6164), Bl. B3v. 38 Vgl. DERS., Vorstandt des worts Pauli. Ich begeret ein vorbannter seyn von Christo, vor meyne brüder. Rhoma: 9. was bann vnd achte, Jena 1524 (VD16 B 6212), Bl. A2r–B1r.

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warten.“39 Karlstadt wird noch schärfer: „Demnach ist das der schluß, wo christen herschen, da sollen sie keyn oberkeit ansehen, sonder frey von sich umbhauen und niederwerfen das wider got ist, auch on predigen.“40 Nur wenn man Gott mehr liebt als alle Menschen, könne man auch diesen wahre Liebe zuwenden.41 Ein von Gottes Geist ergriffener Mensch weiß, „das gott stercker ist, dann alle creaturn, und das alle kraft macht und sterck von gott kumpt, und das sich wider gott kein gewald, oder oberkeit, und herligkeit kan uffleyne“.42 Es gibt in Karlstadts Orlamünder Schriften eine singuläre Passage, die zumindest als Legitimierung von Gewalt, zumindest gegen widergöttliche Pfaffen, aufgefasst werden konnte. Unter Bezug auf 3 Mose 13,10–11 äußerte er, dass Prediger und Propheten fremder Götter vom Volke erwürgt und gesteinigt werden sollten.43 Gleichsam zum Test für Karlstadts persönliche Haltung zu Aufruhr und Gewalt sollte seine Beziehung zu Müntzer werden. Sie kannten sich seit 1517 und waren sich über gemeinsame Taulerstudien im Wittenberger Reformatorenkreis nahegekommen. Auch in den Jahren 1522/23 standen sie in brieflichem Kontakt und haben sich wohl auch gelegentlich getroffen; in Wörlitz, wo Karlstadt schon zeitweilig als Landwirt arbeitete, oder am 22. Dezember 1522 in Wittenberg.44

39 DERS., Ob man gemach faren, vnd des ergernüssen der schwachen verschonen soll, in sachen so gottis willen angehen, Basel 1524 (VD16 B 6177). Abgedruckt in: HERTZSCH (Hg.), Karlstadts Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 73–97, hier S. 80, Z. 28–30. 40 Ebd., S. 96, Z. 12–15. 41 Vgl. DERS., Dyalogus oder eyn Gesprech Büchlein. Von dem grewlichen vnnd abgöttischen mißprauch, des hochwirdigsten sacraments Jesu Christi, [Basel] 1524. Abgedruckt in: Erich HERTZSCH (Hg.), Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–1525, Bd. 2, Halle/S. 1957, S. 5–49. 42 Andreas KARLSTADT, Von Engelen vnd Teüffelen ein Sermon, Straßburg 1524 (VD16 B 6242), Bl. C1v. 43 DERS., Ain frage (wie Anm. 37), Bl. B3. Überzubewerten ist dieser biblische Topos jedoch nicht. Er findet sich zuweilen auch bei ausgesprochen lutherischen Autoren, z. B. bei Kaspar GÜTTEL, Dialogus odder gesprechbuchlein wye Christlich vnd Euangelisch zcu leben, Erfurt 1522 (VD16 G 3980), Bl. A3: Wer falschen Göttern anhängt, soll gesteinigt werden. Erinnert sei auch an Luthers Frage von 1520, ob man seine Hände nicht im Blut der Papstanhänger waschen solle. Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Schriften/Werke (im Folgenden: WA), Bd. 6, Weimar 1888, S. 347. Diese im Kontext eindeutig rhetorische Frage konnte zumindest in der Rezeption als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden. 44 Vgl. Volkmar JOESTEL, Wo wohnte Andreas Bodenstein in Wittenberg? Zu seinem 500. Geburtstag 1986, in: Schriftenreihe der Staatlichen Lutherhalle Wittenberg, H. 3, 1987, S. 48–51.

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Der Kulminationspunkt in den Beziehungen zwischen beiden kristallisierte sich im Juli 1524 heraus. Am 13. Juli hielt Müntzer in der Allstedter Schlosskapelle vor Herzog Johann und dessen Sohn seine „Fürstenpredigt“.45 Die Obrigkeiten hätten nicht nur für die weltliche Ordnung zu sorgen, sondern, wenn es sein muss, auch mit dem Schwert die Hindernisse für das Evangelium zu beseitigen. Tun sie das nicht, wird ihnen von Gott das Schwert genommen und dem gemeinen Volk gegeben werden. Das Ende der Geschichte stehe bevor, und Gott habe seine Entscheidung über die Ausrottung der Gottlosen gefällt. Dieses Urteil zu vollstrecken, stehe ihm allein zu, aber in dieser Entscheidungsschlacht müssen sich auch „die ernsten Knechte Gottes“ erweisen, „die den Eifer gottlicher Weisheit vollführen“. Noch war Karlstadt in Müntzers Augen ein solcher. Wahrscheinlich noch vor dem 1. Juli haben sich die Allstedter an die Orlamünder und Müntzer persönlich an Karlstadt mit der Aufforderung gewandt, sich dem Allstedter Bund anzuschließen. Beide Briefe sind nicht erhalten, jedoch die Antworten. Das undatierte Schreiben der Orlamünder war eine klare Absage an die Aufforderung zu „weltlicher were“ und wurde deshalb schon kurz vor dem 19. Juli bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckt.46 Christus habe Petrus geboten, sein Schwert einzustecken, da die Zeit seines Leidens nahe wäre. Daher habe der Christ nicht „zu messern und spiessen“ zu laufen. Der Feind sei nur mit dem „unüberwindlichen harnisch des glaubens“ zu überwinden. Die Allstedter hätten sich auf 2 Kön 23,3 berufen, wo über einen Bund zwischen Josias, dem Volk und Gott berichtet wird. Dadurch wäre Josias’ Herz gespalten worden, nämlich zwei Herren zu dienen, was Christus verboten habe. „Darumb, lieben bruder, so wyr vns mit euch verpuntten, weren wyr nicht mehr freye christen, sondern an menschen gepunden, das wurde denn erst dem euangelio eyn recht cetergeschrey bringen. Da solten die tyrannen frolocken vnd sprechen: Dise rhumen sich des eynigen Gottis, nu verbint sich eyner mit dem andern, yhr Gott ist nicht starck genug, sie zu verfechten.“47 Es gelte jedoch, sich nicht auf eigene Sekten, Empörung und Aufruhr zu stützen, sondern allein auf Gott zu vertrauen. Karlstadt berichtete nach dem Bauernkrieg über seine unmittelbare Reaktion beim Erhalt des Müntzerbriefs, dass sein Geblüt beim Lesen erkaltet sei und er ihn in viele Stücke zerrissen habe. Danach jedoch sei er mit den Schnipseln zu 45 Vgl. Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe (im Folgenden: ThMA), Bd. 1: Schriften, Manuskripte und Notizen, hg. von Armin KOHNLE und Eike WOLGAST unter Mitarbeit von Vasily ARSLANOV, Alexander BARTMUß und Christine HAUSTEIN, Leipzig 2017, S. 300–321. 46 Vgl. ThMA, Bd. 2: Briefwechsel, hg. von Helmar Junghans u. Armin KOHNLE, bearb. u. kommentiert von Siegfried BRÄUER u. Manfred KOBUCH, Leipzig 2010, S. 292–296, Nr. 87. 47 Ebd., S. 295, Z. 6–S. 296, Z. 1.

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dem Heilingener Pleban und ehemaligen Wittenberger Mathematikprofessor Magister Bonifatius von Roda geritten, um mit diesem den Brief zu beraten.48 Er war also zunächst aufgewühlt und verunsichert. Karlstadts lateinische Antwort an den „liebsten Bruder in Christo Thomas Müntzer“ vom 19. Juli jedoch war klar und eindeutig.49 Er sei Müntzers Freund. Da durch einen Freund zugefügte Wunden besser seien als trügerische Küsse eines Feindes, könne er nicht wunschgemäß antworten. Die Schafe Christi werden nicht durch menschliche Bündnisse, sondern allein durch den Ruf der Wahrheit versammelt. Daher könne er auch Müntzers Bitte, sich an die Schneeberger und 15 andere Gemeinden mit einer Mahnung zu wenden, nicht für gut halten. Ihm schienen nämlich solche Bündnisse sehr gegen Gottes Willen zu sein und den Herzen Schaden zuzufügen, da sie die Zuversicht nicht auf Gott, sondern auf Menschen richten. Wie gottlos dies sei, wisse Müntzer, und wie unfähig es mache, die Stimme Gottes zu hören, werde in der Schrift gezeigt. Karlstadt verwundere Müntzers Kühnheit und diese schrecke ihn ab, und er gestehe offen, „nihil mihi uobiscum in tali conatu confederationeque commune futurum“ (dass ich mit Euch an einer derartigen Unternehmung und Vereinigung nichts gemein haben will).50 Daher rate er, die Hoffnung allein auf Gott zu setzen. Die klare Absage an Müntzer bedeutete den endgültigen Bruch. Ab sofort ging jeder seiner eigenen Wege. Das half Karlstadt aber nicht mehr. Die zunehmende Überwachung und Reglementierung durch Luther und den Hof lief weiter. Luthers Visitation in Ostthüringen vom 21. bis 25. August 1524 wurde auf der Grundlage von Martin Reinharts Bericht oft beschrieben.51 Jedenfalls traten die Orlamünder Bürger Luther selbstbewusst entgegen, worauf der erzürnte Visitator wutentbrannt davonfuhr, von Flüchen der Orlamünder begleitet. Damit war Karlstadts Schicksal besiegelt: Am 18. September haben ihm die kurfürstlichen Räte den Ausweisungsbefehl ausgestellt. Am 22. September warf Luther in einem Brief an Kurprinz Johann Friedrich Karlstadt noch einmal wider besseres Wissen vor, dieser habe „sich des Mördergeists [Müntzers] nicht entäußert, noch wider sie [die

48 Vgl. Andreas KARLSTADT, Endschuldigung D. Andres Carlstads des falschen Namens der auffrür, so yhm ist mit vnrecht auffgelegt, Wittenberg 1525 (VD16 B 6152). Abgedruckt in: HERTZSCH (Hg.), Karlstadts Schriften, Bd. 2 (wie Anm. 41), S. 105–118, hier S. 111, Z. 1–32. Vgl. ebenso Volkmar JOESTEL, Magister Bonifatius von Rode. Ein Wittenberger Mathematiker und Bekannter Karlstadts, in: Erich DONNERT (Hg.), Europa in der frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormoderne, Weimar/Köln/Wien 1997, S. 197–209. 49 Vgl. ThMA, Bd. 2, S. 287–292, Nr. 86. 50 Ebd., S. 290, Z. 13 f. 51 Vgl. WA, Bd. 15, Weimar 1899, S. 323–347.

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Müntzerschen] gehandelt.“52 Wahrscheinlich am 26. September hat Karlstadt Orlamünde verlassen.53 Das reichte dem Kurfürsten aber noch nicht, weshalb auch die Jenaer Martin Reinhart und Gerhard Westerburg den Ausweisungsbefehl erhielten und der Kahlaer Pfarrvikar Johann Wolfram abgesetzt wurde. Neuer Pfarrer in Orlamünde wurde der Wittenberger Theologieprofessor Kaspar Glatz. Er klagte am 18. Januar 1525 über die Resonanz von Karlstadts Wirken bei den Orlamündern: „Die armen, elenden Leut! Wenn ich dawider [gegen die Lehren Karlstadts] predige, heißen sie mich ein Fürstenheuchler, Martinischen Verführer. Alle Dinge nehmen sie auf, allein vom Sakrament und Tauf mögen sie nicht hören und von weltlicher Obrigkeit, derselbigen gehorsam zu sein.“54 Allerdings vermeinte Glatz auch, unter „vielen Bürgern“ eine Ablehnung Karlstadts auszumachen.55

3. Der Bauernkrieg in Ostthüringen, vor allem im Spiegel der Strafgeldregister Der Verlauf des Bauernkriegs in Ostthüringen kann hier kursorisch geschildert werden, in Ergänzung einer neueren Arbeit,56 vor allem unter dem Aspekt möglicher Einflüsse von Karlstadts Auffassungen. Größere Zentren der Erhebung waren Jena und Neustadt/Orla Ende April/ Anfang Mai 1525, beide je ca. 3.000 Mann stark. Zum Einzugsgebiet des JenaLobedaer Haufens gehörte auch Kahla, das in unmittelbarer Nähe von Orlamünde liegt. Trotz Ratsverbots zogen Kahlaer Bürger unter Führung des Steinmetzen und des Baders nach Lobeda. Allein aus dem der Stadt Kahla benachbarten Seitenroda mit seinen 22 Häusern nahmen 21 Bauern am Aufstand teil.57 Am 6. Mai 1525 wandten sich die Bauern des zwischen Jena und Kahla gelegenen großen Dorfes Rothenstein unter Führung ihres Dorfrichters Jacob Eylinger an die Bauern von Klein- und Großkröbitz und anderer Dörfer um Beistand und forderten, bei Akzeptanz der alten Abgaben, die Abschaffung des Zehnten. 52 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Briefwechsel (im Folgenden: WA Br), Bd. 3, Weimar 1933, S. 353, Nr. 778, Z. 14. 53 Vgl. Hermann BARGE, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Bd. 2, Leipzig 1905 (Reprint: Nieuwkoop 1968), S. 140 Anm. 121. 54 WA Br, Bd. 3, S. 424 f., Nr. 818, hier S. 424, Z. 6–10. 55 Vgl. ebd., S. 424, Z. 12–14. 56 Vgl. Volkmar JOESTEL, Der Aufstand des „Gemeinen Mannes“ 1525 in Ostthüringen und seine Vorgeschichte, in: Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 193–209. 57 Vgl. Kurt HAUFSCHILD, Leuchtenburg, Seitenroda 1983, S. 31.

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Nach dem Bauernkrieg wurde Eylinger folglich hingerichtet.58 An diesem Dorf zeigt sich die Kontinuität sozialer Forderungen vor und im Bauernkrieg besonders deutlich. Bereits am 8. Juli 1524 hatte der Jenaer Schosser Sebastian Wolner auf ausdrückliche Bitte der Gemeinde die Dorfordnung bestätigt.59 Der Initiator war mit Sicherheit Dorfrichter Eylinger. Die Wahl des Richters oder Schultheißen durch die Gemeinde sei alter Brauch. Dieser habe die Polizeigewalt, „und nicht der landknecht“. Das alte Recht wird auch bezüglich der jährlichen Wahl der zwei Ortsvorsteher betont. Ebenfalls kriminelle Rügesachen „sind pueßwirdig dem dorf und gemein von alters gewest“. „Item was hirten und kirchen betriefft hat die gemein, daruber zu helfen […] und nicht der richter und schultes.“ Gleiches gelte für die Braugerechtigkeit. Beiden Insurrektionen, denen in Jena und Neustadt/Orla, war gemeinsam, dass sie bereits nach wenigen Tagen zusammenbrachen. Das konnte aber nicht verhindern, dass das fürstliche Strafgericht auch die Städte und Dörfer Ostthüringens heimsuchte.60 Am 22. Juni wurden auf dem Jenaer Marktplatz 20 „Rädelsführer“ geköpft. In Kahla hielt Johann am 24. Juni Gericht, ebenfalls mit mehreren Hinrichtungen. In Städten und Dörfern der drei Ämter mussten insgesamt 15.739 Gulden Strafgelder gezahlt werden.61 Aufschlussreich sind aber weniger die absoluten Zahlen als die daraus ermittelten Durchschnittszahlungen pro besessenem Bauern bzw. Steuerzahler. So zahlten die Stadtbewohner in der Regel teilweise wesentlich mehr als die Bauern. An der Spitze standen Neustadt/Orla und Kahla mit je 6 fl. Strafgeld pro Hausbesitzer, ein Beleg, dass zumindest die strafenden Obrigkeiten hier die Hauptzentren des Aufstandes sahen. Dann folgten Lobeda mit 3,5 fl., Jena erstaunlicherweise nur mit 3 fl., die Ackerbürgerstädte Orlamünde und Bürgel sogar nur mit je 2 fl. Die besessenen Bauern der 155 erfassten Dörfer62 aller drei Ämter zahlten im Durchschnitt 2,6 fl, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Ämter bzw. Pflegen: Amt Arnshaugk: 2,0 fl., Amt Jena: 2,2 fl., Pflege Leuchtenburg des Amtes Orlamünde: 2,9 fl., Pflege Orlamünde: 3,2 fl. und die Pflege Roda: 3,0 fl. 58 Vgl. JOESTEL, Der Aufstand (wie Anm. 56), S. 201 u. 206 f. 59 Vgl. Oskar STICKEL, Dorfgewohnheit Rothensteins vom Jahre 1480, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde 7 (1870), S. 467–478. 60 Vgl. JOESTEL, Der Aufstand (wie Anm. 56), S. 206–209. 61 Grundlegend für das Gebiet immer noch: Gebhard FALK, Die Folgen des Bauernkrieges nach den Strafgeldregistern im südöstlichen Thüringen. Dipl.-Arbeit Friedrich-SchillerUniversität Jena, Jena 1951 (MS), v. a. die Tabellen S. 66–74 u. 78 f., aus denen die folgenden Erkenntnisse abgeleitet wurden. 62 In ebd. fehlen die Adelsdörfer einiger Grundherrschaften, so der von Brandenstein (Zentrum im nordwestlichen Teil des Amts Arnshaugk) und von Weißenbach (im westlichen Teil der Pflege Leuchtenburg).

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Im Einzelnen zahlten die Bauern von 37 Dörfern je 2 fl. (vor allem im Amt Arnshaugk), von 85 Dörfern 3 fl. (vor allem in den drei Pflegen des Amts Leuchtenburg). Über 3 fl., und damit die höchsten Summen, zahlten die Bauern von 14 Dörfern: im Amt Jena-Burgau Jenaprießnitz mit 5 fl., Burgau mit 4 fl., Maua mit 5 fl., das erwähnte Rothenstein mit 4 fl., Winzerla mit 3,5 fl., in der Pflege Leuchtenburg Hummelshain mit 4 fl., Untergneus mit 3,5 fl., Großbockedra mit 4,5 fl., in der Pflege Orlamünde Beutelsdorf mit 3,5 fl., Drössnitz, Gumperda und Kesslar mit je 4 fl., in der Pflege Roda Möckern mit 4,5 fl. und Zöttnitz mit 4 fl. Weniger als 2 fl. zahlten die Bauern von 19 Dörfern, vor allem in den Ämtern Arnshaugk und Jena-Burgau. Bezüglich des unmittelbaren Umfelds des Wirkens Karlstadts lässt sich also eine gewisse Diskrepanz beobachten: Während die Bauern der Pflege Orlamünde im Durchschnitt die höchsten Strafen im untersuchten Gebiet zahlen mussten (3,2 fl. pro Hausbesitzer), zahlten die Bürger von Orlamünde nur 2 fl. Das ist wohl als Beleg dafür zu werten, dass sich die Orlamünder infolge des vorherigen Wirkens Karlstadts nicht oder kaum, die unmittelbar benachbarten Kahlaer und die Dörfer der Umgebung aber intensiv am Aufstand beteiligt haben. Bleibt die Frage zu klären, warum die Orlamünder überhaupt Strafe zahlen mussten. Denn als sich die Bauern bereits erhoben hatten, sagten Amt und Stadt Orlamünde dem Amtmann zu, stillzusitzen, der Bürgermeister versprach sogar, „wo sich einer in dise bose vornemen begebe, solchen selbst todt zuschlagen“.63 Nach dem Bauernkrieg, am 8. November 1525 haben auch die Einwohner der gesamten Pflege Orlamünde ihre Bitte an Kurfürst Johann um Erlass von zwei Dritteln des Strafgeldes damit begründet, sich nicht am Aufstand beteiligt zu haben: Nachdem wie Gott weis, in was wege wir E. Chrf. G. vngenade, beschener entporung halb so wir doch stille gesessen, vnd gegen Allermenniglich zu friede gewest, vber vns bewegt dorauß der lantschafft, etlich anlage auffgelegtt […] derhalb vnd dorumb E. Churf. G. wir arme leute […] vndertheniglichen Bittenn E. Churf. G. wollen […] den dritten teil der anlage ausgericht, in genaden erkennenn, vnd vns armen vnderthanen, die wir, wie angetzeigt, mit leib vnd gut E. Churf. G vnderworffen, der vberigenn hinderstelligen anlage, in genaden erlassen […].64

Dies ist zunächst erstaunlich, hatte doch die Pflege Orlamünde die höchsten bäuerlichen Strafgelder im untersuchten Gebiet zu zahlen. Manfred Straube aber hat analog dazu nachgewiesen, dass viele bäuerliche Gemeinden um Erlass oder Minderung der Strafzahlungen baten mit der nachvollziehbaren, aber dennoch zweifelhaften Schutzbehauptung, sie hätten „still gesessen“ und sich nicht am 63 Zitat in: ebd., S. 38. 64 Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. N 933, Bl. 1.

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Aufruhr beteiligt.65 Das bewahrheitet sich auch hinsichtlich der Dörfer der Pflege Orlamünde. Gerade hier sind, bezogen auf alle drei Ämter, besonders viele Nachweise über tatsächliche Verwicklungen in den Aufruhr überliefert: Die Bibraer hatten den Pfarrer und den Grundherrn zu Gumperda gestürmt.66 In Dorndorf wurden nach dem Aufruhr 18 Bauern entwaffnet,67 in Engerda 36,68 in Großeutersdorf 40,69 in Heilingen und Röbschütz zusammen 36,70 in Kleineutersdorf 33,71 in Neusitz und Oberhasel je 15,72 in Zeutsch 25,73 schließlich in Zweifelbach 10.74 Diesem Befund entspricht auch, dass die in der Pflege Orlamünde zu zahlende durchschnittliche Strafe pro besessenem Bauern von 3,2 fl. die höchste aller drei Ämter war. Neben der Aussage des Orlamünder Bürgermeisters deuten zwei weitere Sachverhalte darauf hin, dass sich die Orlamünder tatsächlich nicht am Aufruhr beteiligt haben. Zum ersten sind keine Quellen bekannt, nach denen die Orlamünder Waffen abzuliefern hätten. Zum zweiten bekannten sich viele Orlamünder auch nach dem Bauernkrieg demonstrativ zu Karlstadt.75 Das wäre bei einer Beteiligung am Bauernkrieg kaum zu erwarten gewesen. Da sie dennoch Strafgeld zahlen mussten, mag es nicht ungerechtfertigt erscheinen, dahinter den Zorn Luthers und der kurfürstlichen Beamten auf die Stadt zu vermuten, die sich so demonstrativ Karlstadt angeschlossen und sich gegen Luther gewandt hatte. Interessante Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit anderen Quellen zum Verlauf des Bauernkriegs um Jena und Neustadt/Orla decken, ergeben sich, wenn man die Strafzahlungen dieser Städte ins Verhältnis zum ländlichen Umland setzt: Die Jenaer Bürger zahlten im Durchschnitt nur 3 fl., die Lobedaer hingegen 3,5 fl., die Dörfer im Amtsbereich aber nur 2,2 fl. Das bestätigt die sich aus anderen Quellen schon andeutende Tatsache, dass sich der „JenaLobedaer Haufen“ weniger aus Bürgern von Stadt und Amt Jena zusammensetzte, sondern eher aus Bauern der südlich davon gelegenen Dörfer der Pflege 65 Vgl. Manfred STRAUBE, Über Folgen der Niederlage bei Frankenhausen – Strafgeldzahlungen in albertinischen und ernestinischen Ämtern, in: VOGLER (Hg.), Bauernkrieg (wie Anm. 56), S. 447 f. 66 Vgl. FALK, Die Folgen (wie Anm. 61), S. 38. 67 Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 138. 68 Vgl. ebd., S. 139. 69 Vgl. ebd., S. 143. 70 Vgl. ebd., S. 151. 71 Vgl. ebd., S. 146. 72 Vgl. ebd., S. 148. 73 Vgl. ebd., S. 153. 74 Vgl. ebd., S. 156. 75 Vgl. BARGE, Andreas Bodenstein (wie Anm. 53), S. 142 f.

KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

215

Orlamünde sowie aus Bürgern der gleichfalls zu dieser Pflege gehörenden Stadt Kahla, die sich dann mit Aufständischen des nördlich davon benachbarten Lobeda und einiger weniger benachbarter Dörfer des Amts Jena zusammenschlossen. Genau umgekehrt war es bezüglich von Neustadt/Orla und dem umliegenden Amt Arnshaugk: Die durchschnittlichen Strafzahlungen in der Stadt (6 fl.) und im ländlichen Umland (2 fl.) unterstreichen, dass hier der Aufstand von der Stadt ausging und weitgehend auf sie begrenzt blieb. Auch das deckt sich mit anderen Quellen über den Ablauf der Insurrektion.76 Es seien noch einige überregionale Vergleiche mit anderen kursächsischen Ämtern gezogen. Gegenüber den westlichen Zentren des thüringischen Bauernkriegs ist die Strafgeldhöhe vergleichsweise niedrig. Im Amt Eisfeld zahlten 16 Personen zwischen 4 und 18 fl, im Durchschnitt also 9 fl.77 Nachweisliche Teilnehmer am Aufruhr in den Ämtern Wachsenburg, Tenneberg, Gotha, Eisenach, Creuzburg, dreier Klöster und der Stadt Waltershausen zahlten 10 fl.78 Gemäß der Gothaer Amtsrechnung von 1525/26 betrug die Höchststrafe ebenfalls 10 fl.79 Manfred Straube schlussfolgerte, dass „die Veranlagung im politischen Zentrum des Bauernkrieges allgemein 10 fl. Strafgeld betrug“.80 Nur halb so hoch, aber immer noch weit über dem Durchschnitt Ostthüringens, lag die Strafgeldzahlung im Amt Allstedt. Fast alle Bewohner waren am Aufruhr beteiligt. Jeder hatte 5 fl. Strafgeld zu zahlen.81 Hier kann man wohl analog zu Orlamünde und Karlstadt davon ausgehen, dass Müntzers erfolgreiches Wirken in Allstedt vor dem Bauernkrieg einen gewissen „Aufschlag“ bewirkt hat. Hingegen lag die Höhe der Strafgelder in peripheren Bereichen wie dem Amt Altenburg noch unter der Ostthüringens, in 73 der insgesamt 86 Dörfer im Durchschnitt bei 2 fl. pro besessenem Bauer.82 Lediglich in fünf Dörfern waren je 4 Gulden, in acht Dörfern je 2,5 fl. fällig.

76 Vgl. JOESTEL, Der Aufstand (wie Anm. 56), S. 202–206. 77 Vgl. Manfred STRAUBE, Strafgeldregister, Türkensteuerregister und Amtserbbücher als Quellen über Teilnehmer und Folgen des Bauernkrieges in Thüringen, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 2 (1978), S. 269–284, hier S. 271. 78 Vgl. ebd., S. 272. 79 Vgl. ebd., S. 272 f. 80 Ebd., S. 273. 81 Vgl. ebd., S. 277. 82 Vgl. DERS., Über Teilnehmer und Folgen bäuerlicher Unruhen im kursächsischen Amt Altenburg während des Bauernkrieges, in: Gerhard HEITZ u. a. (Hg.), Der Bauer im Klassenkampf. Studien zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges und der bäuerlichen Klassenkämpfe im Spätfeudalismus, Berlin 1975, S. 549–572.

216

VOLKMAR JOESTEL

4. Retrospektive – Karlstadts Erklärung seiner eigenen Rolle nach dem Bauernkrieg Nach seiner Ausweisung aus Orlamünde wandte sich Karlstadt nach Süden, ging über Straßburg und Zürich nach Basel. Anfang November erreichte er Heidelberg und im Dezember Rothenburg o. d. T. Dort hielt er sich lange versteckt, auch während des beginnenden Bauernkriegs. Am 27. März wurde er aufs Rathaus geführt, aber nicht in eine Verhandlungsdelegation gewählt. Er predigte zwar erfolgreich, seine Mahnungen zu Gewaltlosigkeit aber bewirkten seine totale Isolation. In den Wirren des Endkampfes des fränkischen Aufstands hatte Karlstadt Anfang Juli für etwa eine Woche Zuflucht bei seiner Mutter in Karlstadt gefunden. Dann zog er weiter nach Frankfurt am Main, wo er am 11. oder 12. Juni eintraf. Er war nun am Ende seiner Widerstandskraft und sehnte sich nur noch nach Ruhe und einem bescheidenen Auskommen. In dieser ausweglosen Situation, ringsum nur Chaos, Mord und Totschlag, schrieb Andreas Bodenstein am 12. Juni in völliger Hilflosigkeit einen inständigen Brief an seinen alten Gefährten und Gegner Martin Luther mit der Bitte, sich beim Kurfürsten für die Erlaubnis der Rückkehr nach Sachsen zu verwenden. Er versprach, sich jedem Urteil über seine Lehre zu fügen und selbst nicht mehr predigen und publizieren zu wollen. Zum Boten hatte er seine Frau erkoren, die sich mit den Kindern nach Wittenberg aufmachte. Luthers Antwort klang versöhnlich, nur forderte er von Karlstadt, sich vorher schriftlich von seinen „Irrtümern“ und von seiner Verwicklung in den Bauernaufruhr zu distanzieren. Dem Gedemütigten fiel solches Ansinnen in seiner Situation nicht schwer: Bereits am 24. Juni hatte er seine „Entschuldigung D. Andreas Karstadts des falschen Namens des Aufruhrs“ fertig.83 Sie erschien mit einer Vorrede Luthers, in der dieser den Vorwurf des Aufruhrs zurücknahm. Luther erklärte sich bereit, Karlstadts Entschuldigungsschrift drucken zu lassen, obwohl er nicht glaube, zu einem Übereinkommen zu gelangen.84 Er hege aber die Hoffnung, dass Karlstadt sich von seinen falschen Lehren distanziere, schränkt aber ein, „so lange D. Carlstad sich zu recht erbeut, vnd leyden wil was er leyden soll, wo er auffrürisch erfunden vnd vberwunden wird“.85 In Anknüpfung an seine frühen Bauernschriften gibt Luther auch den „tollen fürsten vnd törichten bisschoffen“ Schuld am Aufruhr, da sie die evangelischen Prediger verjagt und „grobe eselsköpffe, die nichts kundten“ eingesetzt hätten. Erst dadurch hatten aufrührerische Prediger Erfolg.86 83 84 85 86

Vgl. HERTZSCH (Hg.), Karlstadts Schriften, Bd. 2 (wie Anm. 41), S. 105–118. Vgl. ebd., S. 106, Z. 20–23. Ebd., S. 107, Z. 36–39. Vgl. ebd., S. 108, Z. 6–16.

KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

217

Karlstadt widmet sich in seiner Schrift zunächst der Unterstellung, er sei mitverantwortlich „des Alstettischen auffruers“ und er sei „der auffrürischen pawren hewbdman vnd herfürer gewest“.87 Zuerst sei er in diesen Ruf geraten, weil er Leute bei sich aufgenommen habe, bei denen er nicht bemerkt habe, „das sie willens weren, auffrur zu erwecken“.88 Wahrscheinlich bezog sich diese Bemerkung vor allem auf Müntzer. Zum zweiten sei Luther selbst schuld: „Der mich fur eynen rotten geyst vnd auffrürer ynn die welt offentlich geschrieben, vnd mich des Müntzers gesellen schild“.89 Die dritte Ursache sei darin zu suchen, dass er mundtot gemacht worden sei, so dass er sich nicht verteidigen konnte. Als Zeugen für seine Zurückweisung des Müntzerischen Aufruhrs ruft Karlstadt alle auf, die sein entschiedenes Auftreten gegen das Ansinnen des Allstedters kennen würden.90 Sie können auch bezeugen, dass er vor den schlimmen Folgen des Aufruhrs gewarnt habe. „Das aber ich den Müntzerischen auffrur hab helffen weren vnd verhyndern, das kan ich mit den zu Orlamünde bezeugen“, wie ja auch das gedruckte Schreiben der Orlamünder an Müntzer vor dem Bauernkrieg belege.91 Nachdem er aus Heilingen, wo er Müntzers Brief mit dem Pleban beraten habe, nach Orlamünde zurückgekehrt war, habe er die Gemeinde sofort vor Müntzer gewarnt, das Schreiben der Gemeinde an Müntzer veranlasst und ihm selbst lateinisch geantwortet. „Summa, ich weis mich des Muntzerschen auffrurß vnschuldig vnd vnteilhafftig, beruff mich auff soliche obberürte briffe […] Beruff mich auff die zu Orlamünde, vnd auff alle die iene, den mein wandel die selbe zeit vnd auch darvor bekant ist gewest.“92 Karlstadt konnte und wollte den wachsenden fundamentalen Gegensatz zwischen seiner letztlich den Kommunalismus untermauernden Theologie und den kurfürstlichen kirchenpolitischen Interessen zum Ausbau des landesherrlichen Kirchenregiments nicht sehen. Im Bauernkrieg wurde das evident, auch wenn er selbst Aufruhr entschieden abgelehnt hat. In seinem Scheitern widerspiegelt sich auch die weitere Festigung des frühmodernen Territorialstaats.

87 88 89 90 91 92

Ebd., S. 109, Z. 9 f. Ebd., S. 109, Z. 24 f. Ebd., S. 109, Z. 29 f. Vgl. ebd., S. 110, Z. 17–19. Vgl. ebd., S. 110, Z. 32–39. Ebd., S. 112, Z. 3–8.

VOLKMAR JOESTEL

218

Anhang: Strafgeldzahlungen in Ostthüringen93 Tab. 1: Amt Arnshaugk Ort

Neustadt/Orla Alsmannsdorf Börthen Breitenhain Burgwitz Daumitzsch Döbritz Dreba Dreitzsch Hungersdorf Kleina Köthnitz Kopitzsch Kospoda u. Meilitz Lichtenau Linda Miesitz Moderwitz Molbitz Neudeck Neunhofen Oberoppurg Pillingsdorf Quaschwitz Rehmen Schmieritz Solkwitz Stanau Steinbrücken Strößwitz Traun

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 340

Strafgeld gesamt in fl.

10 13 19 11 22 14 44 33 12 14 21 11

9,5 36 34 22 54 30 123 99 24 24 40 20

1 2 2 2 3 2 3 3 2 2 2 2

-

25

48

2

-

15 22 15 18 19 14 39 32 20 13 33 26 12 7 19 11 17

10 36 30 32 32 11 74 84 40 26 60 42 24 10 32 13 30

0,7 1,7 2 2 2 1 2 3 2 2 2 1,6 2 1,5 1,7 1 2

-

2000

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 6 -

93 Auf der Basis von FALK, Die Folgen (wie Anm. 61), v. a. S. 65–74 u. 78 f. Da die Arbeit nur schwer einsehbar ist, werden hier ihre Zahlen vollständig übernommen.

KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

Weira Weltwitz Gesamt (Dörfer)

57 21 659

156 40 1345,5

219 3 2

-

Tab. 2: Amt Jena-Burgau Ort

Jena Bürgel Lobeda Beutnitz (mit Naura) Camsdorf Golmsdorf Isserstedt Jenaprießnitz Kötschau Löberschütz Lützeroda Rodigast Rutha und Sulza Wenigenjena

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 664 106 88

Strafgeld gesamt in fl.

38

76

2

-

11 38 39 20 12 22 6 10

10 72 70 100 36 34 18 20

1 2 2 5 3 3 3 2

-

ca. 20

28

1,5

-

29

24

1

-

2000 200 308

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 3 2 3,5 -

Tab. 3: Klosterdörfer Amt Jena-Burgau (Jena und Bürgel) Ort

Closewitz Cospeda Gerega Gniebsdorf Hainichen Kleinlöbichau Löbstedt Nausnitz

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 15 25 8 10 14 13 20 13

Strafgeld gesamt in fl. 46 50 18 18 11 24 38 30

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 3 2 2 2 0,7 2 2 2 -

VOLKMAR JOESTEL

220 Taupadel Thalbürgel Waldeck

19 23 10

18 26 18

1 2 2

-

Tab. 4: Adelsdörfer Amt Jena-Burgau Ort

Ammerbach Beulbar (mit Ilmsdorf) Bucha Burgau Drackendorf (mit Ilmnitz) Göschwitz Kleinkröbitz Laasan Leutra Maua Nennsdorf Rothenstein Schorba Winzerla Gesamt (Dörfer) Tab. 2–4

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 37

Strafgeld gesamt in fl.

22

36

2

-

20 24

50 97

3 4

-

14

42

3

-

18 8 12 26 24 10 57 11 26

55 8 10 24 120 8 204 8 90

3 1 1 1 5 1 4 0,6 3,5

-

724

1619

2,2

-

82

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 2 -

Tab. 5: Amt Leuchtenburg, Pflege Leuchtenburg Ort

Kahla Greuda Großpürschütz Hummelshain Jägersdorf

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 176

Strafgeld gesamt in fl.

4 14 12 12

9 45 45 30

1000

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 6 2 3 4 3

-

KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

221

Kleinpürschütz Laasdorf Lindig Löbschütz Magersdorf Oberbodnitz Obergneus Oelknitz Schmölln Seitenbrück Seitenroda

7 27 22 16 9 16 10 26 9 11 21

15 81 60 42 30 45 20 81 2794 17 6395

3 3 3 3 3 3 2 3 3 1,5 3

Trockenborn

24

6997

3

Unterbodnitz Untergneus

15 10

45 36

3 3,5

Wöllnitz

33

96

3

21 Beteiligte96 23 mussten Waffen abliefern98 33 Entwaffnete99

Tab. 6: Adelsdörfer Pflege Leuchtenburg Ort

Großbockedra Kleinbockedra Lichtenhain Rabis Zöllnitz Gesamt (Dörfer) Tab. 5–6

94 95 96 97 98 99

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 10 9 16 15 32

Strafgeld gesamt in fl.

380

1117

45 30 54 42 90

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am Bauernkrieg in fl. (gerundet) 4,5 3 3 3 3 -

Im Anlageregister von ursprünglich 17 auf 27 fl. erhöht. Im Anlageregister von ursprünglich 20 auf 63 fl. erhöht. Vgl. S. 211. Im Anlageregister von ursprünglich 30 auf 69 fl. erhöht. Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 64. Vgl. ebd., S 76.

2,9

-

VOLKMAR JOESTEL

222 Tab. 7: Amt Leuchtenburg, Pflege Orlamünde Ort

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen 103100 14

Strafgeld gesamt in fl.

Bibra

18

51

3

Dorndorf Engerda Freienorla Friedebach Geunitz Großeutersdorf

19 36 24 5 19 39

57 111 81 18 66 120

3 3 3 3 3 3

Heilingen

34

99

3

31 14 14 7 6 21 12 keine Angaben

99 45 45 21 15 69 39

3 3 3 3 3 3 3

Orlamünde Beutelsdorf

Kleineutersdorf Neusitz Oberhasel Röbschütz Schmieden Zeutsch Zimmritz Zweifelbach

100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112

210 48101

Strafgeld pro Steuerzahler in fl. (gerundet) 2 3,5

Vgl. Stadtarchiv Orlamünde, 22/3: Geschossliste 1522. Im Anlageregister von ursprünglich 30 auf 48 fl. erhöht. Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 137. Vgl. FALK, Die Folgen (wie Anm. 61), S. 38. Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 138. Vgl. ebd., S. 139. Vgl. ebd., S. 143. Vgl. ebd., S. 151. Vgl. ebd., S. 146. Vgl. ebd., S. 148. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 153. Vgl. ebd., S. 156.

Belegte Teilnahme am Bauernkrieg 20 Entwaffnete102 Stürmten Pfarrer und Edelmann zu Gumperda103 18 Entwaffnete104 36 Entwaffnete105 40 Entwaffnete106 36 Entwaffnete, zusammen mit Röbschütz107 33 Entwaffnete108 15 Entwaffnete109 15 Entwaffnete110 25 Entwaffnete111 10 Entwaffnete112

KARLSTADT UND DER BAUERNKRIEG IN OSTTHÜRINGEN

223

Tab. 8: Adelsdörfer Pflege Orlamünde Ort

Drößnitz, Gumperda und Keßlar Eichenberg Kleinbucha Kleinkochberg, Oberkrossen, Partschefeld, Rückersdorf, Uhlstädt Meckfeld Niederkrossen Reinstädt Röttelmisch Gesamt (Dörfer) Tab. 7–8

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen

Strafgeld gesamt in fl.

Strafgeld pro Steuerzahler in fl. (gerundet)

Belegte Teilnahme am Bauernkrieg

ca. 30

123

4

-

20 12

60 36

3 3

-

67

215

3

-

11 27 55 20

33 78 168 54

3 3 3 3

-

555

1751

3,2

-

Tab. 9: Amt Leuchtenburg, Pflege Roda (1542) Ort

Zahl der Häuser bzw. Steuerpflichtigen Roda 153 Albersdorf 18 Bremsnitz 22 Geisenhain 13 Gröben 22 (Groß)Löbichau 26 Hellborn 20 Kleinebersdorf 18 Lippersdorf 19 Lotschen 5 Möckern 8 Podelsatz 7

Strafgeld gesamt in fl. 500 56 63 42 66 99 60 51 57 18 36 18

Strafgeld pro Belegte Steuerzahler Teilnahme am in fl. Bauernkrieg (gerundet) 3 3 3 3 3 3 30 Entwaffnete113 3 3 3 3 4,5 17 Entwaffnete114 3 -

113 Vgl. ebd., S. 91. 114 Vgl. FALK, Die Folgen (wie Anm. 61), S. 79, Anm. 2.

VOLKMAR JOESTEL

224 Rattelsdorf Ruttersdorf Scheiditz Tissa Tröbnitz Trockhausen Ulrichswalde Waltersdorf Weißbach Zöttnitz

13 12 10 10 10 9 6 10 14 6

39 36 30 20 30 25 18 30 42 23

3 3 3 2 3 3 3 3 3 4

14 Entwaffnete115 7 Entwaffnete116

Tab. 10: Adelsdörfer Amt Leuchtenburg, Pflege Roda Ort Schleifreisen Schöngleina

Zahl der Häuser Strafgeld Strafgeld pro bzw. Steuergesamt Steuerzahler in pflichtigen in fl. fl. (gerundet) 25117 47 2 ca. 17 51 3

Belegte Teilnahme am Bauernkrieg -

Tab. 11: Klosterdörfer Stift Roda Ort Bollberg Dorna Eineborn Erdmannsdorf Gernewitz Hainbücht Karlsdorf Mennewitz Mörsdorf Tautendorf

Zahl der Häuser Strafgeld Strafgeld pro bzw. Steuergesamt Steuerzahler in pflichtigen in fl. fl. (gerundet) 13 36 3 4 12 3 24 72 3 17 54 3 18 54 3 6 18 3 19 62 3 12 36 3 17 48 3 15 45 3

Belegte Teilnahme am Bauernkrieg -

Gesamt (Dörfer) Tab. 9–11

465

1394

3

-

Gesamt Dörfer alle 3 Ämter

2783

7226,5

2,6

-

115 Vgl. TRÄGER, Das Amt Leuchtenburg (wie Anm. 17), S. 100. 116 Vgl. ebd., S. 105. 117 Vgl. SCHWARZE, Soziale Struktur (wie Anm. 18), Tab. 17.

MARTIN SLADECZEK MÄCHTIGE AUFRÜHRER – MACHTLOSER GRAF?

Mächtige Aufrührer – machtloser Graf? Der Bauernkrieg in der schwarzburgischen Oberherrschaft

Eine oberflächliche Betrachtung des Aufstandes in den kleineren Herrschaften führt allzu leicht zu der Auffassung, dass das militärische Eingreifen der Fürsten auch zum Ende des Aufstandes in den Gebieten der Grafen und Herren sowie des Niederadels geführt habe. Anhand einer dichten Quellenlage (Verhörprotokolle, Artikel, Briefe, Rechnungen etc.) lassen sich diese und andere Fragen der Verknüpfung einzelner Aufstandsherde für das Gebiet der schwarzburgischen Oberherrschaft sehr gut betrachten. Dieses schwarzburgische Territorium bietet sich vor allem wegen des auf die Herrschaft beschränkten Verlaufs an. Im Vergleich der Herrschaften fiel der Aufruhr hier weiterhin viel konzentrierter aus als in der Unterherrschaft mit dem Schwerpunkt Frankenhausen und hatte ein geringeres Nachspiel. Die vorliegende umfangreiche Quellenedition ist längst nicht erschöpfend ausgewertet.1 Nach einer kurzen Einführung zu dem Herrschaftsgebiet und dem regierenden Grafen sollen der Verlauf des Bauernkrieges und die Beschwerdeartikel geschildert werden. Der Fokus liegt dabei auch auf dem Vorgehen der Aufständischen, vor allem aber auf jenem des Schwarzburgers,2 um dessen Handlungsspielraum einschätzen zu können.

1

2

Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland (im Folgenden: AGBM), Bd. II, hg. von Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942. – Dabei ist besonders zu beachten, dass die Registereinträge an verschiedenen Stellen fehlerhaft sind. Beispielsweise sind Graf Günther XXXIX. und sein Vetter Graf Günther XL., der nach 1538 die schwarzburgischen Herrschaften vereinigte, zu einer Person zusammengefasst. Grundlegend noch immer: G[uido] EINICKE, Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541, Bd. 1: 1521–1531, Nordhausen 1904. – Daneben ist zu nennen: Paulus JOVIUS, Chronicon Schwarzburgicum germanicum, hg. von Georg Christoph KREYSIG, in: Diplomataria et scriptores historiae germanicae medii aevi cum sigillis aeri incisis, Teil I, Altenburg 1753; Walther MACHERAUCH, Die Grafschaft SchwarzburgBlankenburg-Arnstadt im deutschen Bauernkrieg 1524/25, in: Rudolstädter Heimathefte 21 (1975), S. 181–194; Alexander KRÜNES, Die Reformation in den schwarzburgischen Landen (Beiträge zur Reformationsgeschichte in Thüringen, 16), in Vorbereitung.

226

MARTIN SLADECZEK

1. Der Herrscher Graf Günther XXXIX. von Schwarzburg (1455–1531) herrschte zur Zeit des Bauernkrieges über die sogenannte Oberherrschaft der Schwarzburger. Dabei handelte es sich um die Herrschaftsgebiete im Vorland des Thüringer Waldes (siehe Farbabb. 1). Der Name entstand zur Unterscheidung von der Unterherrschaft um Sondershausen und Frankenhausen. Größte Städte waren die Hauptresidenz Arnstadt, die Nebenresidenz Rudolstadt sowie Königsee und Stadtilm. Das Herrschaftsgebiet entstand durch die letzte Teilung innerhalb des Grafenhauses im Jahr 1496. Heinrich XXXI. regierte in der Folge über die Herrschaft Schwarzburg-Sondershausen, Günther XXXIX. übernahm die Oberherrschaft, zu der auch einige Ämter um Greußen im Thüringer Becken und einzelne Dörfer nördlich und westlich von Erfurt gehörten. Graf Günther hatte eine geistliche Ausbildung erfahren und weilte lange Zeit am Hof seines Bruders, Heinrichs II., des Erzbischofs von Bremen. Dort wirkte er zudem als Statthalter, als sein Bruder auch Bischof von Münster wurde. Günther kehrte 1493 nach Arnstadt zurück, um die Herrschaft zu übernehmen, da sein regierender älterer Bruder zurückgetreten war. Er war ein sehr frommer Mensch, der vielen Bruderschaften angehörte, Wallfahrten unternahm und vor allem die Annenverehrung im Schwarzburgischen beförderte.3 Besonders bildhaft berichtet davon eine von ihm mit eigener Hand geschriebene Gebetstafel aus dem Jahr 1517. Er rief die Heilige darin um Schutz vor verschiedenen Krankheiten und um Hilfe gegen Feinde an.4 Günther starb 1531 (Abb. 1). Er verhinderte bis zuletzt eine offizielle Hinwendung der Herrschaft zur Reformation, die sein Sohn, der ihm im Jahr 1531 nachfolgte, sofort obrigkeitlich durchsetzte.5 3

4

5

Zur Annenbruderschaft an der Schlosskapelle in der Burg Schwarzburg vgl. Martin SLADECZEK, Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 9), Köln/Weimar/Wien 2018, S. 151–153; FrankJoachim STEWING, Ein Mainzer Missale von 1517 als Quelle zur Geschichte der Kapelle auf Schloss Schwarzburg, in: Rudolstädter Heimathefte 50 (2004), S. 97–103. Martin SLADECZEK, Kat.-Nr. 1.3: Gebetstafel Graf Günthers XXXIX., in: DERS. (Hg.), Wandel & Beständigkeit. Die Reformation in Arnstadt und Umgebung, Ausstellungskatalog Arnstadt 2017, Petersberg 2017, S. 40 f. G[uido] EINICKE, Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521–1541, Bd. 2: 1531–1541, Nordhausen 1909; für Arnstadt vgl.: Martin SLADECZEK, Die frühe Reformation in Arnstadt im Spiegel der Kirchenrechnungen, in: Joachim EMIG/Volker LEPPIN/Uwe SCHIRMER (Hg.), Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 1), Köln/Weimar/Wien 2013, S. 203–232, hier v. a. S. 227 f.

MÄCHTIGE AUFRÜHRER – MACHTLOSER GRAF?

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Abb. 1: Epitaph des Grafen Günther XXXIX. und seiner Frau in der Arnstädter Liebfrauenkirche

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2. Die frühe Reformation als Ausgangslage Die Jahre der frühen Reformation waren in der Schwarzburger Oberherrschaft wie in anderen Gebieten ab 1521 von Zinsverweigerungen geprägt. Die reformatorische Lehre wurde durchaus als Argumentation gegen gesellschaftliche Missstände verstanden. Insbesondere geistliche Institutionen waren davon betroffen – auswärtige wie bedeutende einheimische.6 Die Hinwendung der Masse der Bevölkerung zur Reformation fand unter einem streng katholischen Grafen statt. Dabei war es in erster Linie eine kirchliche Bewegung. Durch Radikale kam es aber bereits seit 1523 zu Pfaffenstürmen und Vergehen gegen Mönche. Die späteren Rädelsführer des Aufstandes um Stadtilm, insbesondere Jacob Scherff, erscheinen bereits in diesen Jahren wegen Tumult, Schlägereien, Auflehnung gegen die kirchliche Ordnung und Aufruhr in den Strafenverzeichnissen.7 Durch die wirtschaftlich schlechten Jahre nahmen solche Auffälligkeiten in der ländlichen Gesellschaft deutlich zu. Dennoch blieben Pfaffenstürme und ähnliche gewaltsame Aktionen auf kleine Gruppen beschränkt. Die Bereitschaft dazu stieg aber allerorten. Eine bedeutende Rolle in dieser Gemengelage spielte die zunehmende Belastung der Bevölkerung mit Abgaben, dabei vor allem die hohen Erbzinsen und die Nutzungsabgaben. Die Haltung zu den ebenfalls hohen Zehntabgaben war ohnehin stark durch die Zinsverweigerungen der frühen Reformation gekennzeichnet. Dennoch wünschte man auch in dieser Frage ein offizielles obrigkeitliches Eingreifen. Sämtliche Abgaben, die sich in jüngerer Zeit verändert hatten, wurden als widerrechtlich gegen das in der bäuerlichen Gesellschaft hoch geschätzte „Alte Herkommen“ betrachtet. Des Weiteren sollten alle Besitztümer gleich mit Abgaben belastet sein. In der Folge kam es in Teilen der Bevölkerung zur charakteristischen Verbindung der religiösen mit der sozialen Bewegung.

3. Der Verlauf des Aufstandes Jacob Scherff, der Stadtilmer Hauptanführer, hatte bereits in der Fastenzeit des Jahres 1525 auf den Aufstand vorbereitet und stand mit auswärtigen Anführern, insbesondere im hennebergischen Gebiet, in Verbindung.8 Für Stadtilm lässt sich zeigen, dass sich in dieser Phase eine Gruppe formierte, die zum Aufstand bereit war. Scherff schrieb Aufforderungen zum Anschluss an die Anführer in

6 7 8

So v. a. das Kloster Paulinzella, bspw.: AGBM, Bd. II, Nr. 1094, S. 15. EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 283 f., Anm. 1. AGBM, Bd. II, Nr. 1564, S. 368–371, hier S. 369.

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Königsee und Rudolstadt.9 Der Anstoß zum Ausbruch erfolgte aus dem fränkisch-hennebergischen Raum durch Briefe und Absprachen mit den Ilmenauern. In der Folge läuft der Aufstand aber recht abgegrenzt ab. Der 23. April wurde von den Stadtilmern als Beginn vereinbart. Die Stadt war wegen Straßen aus Süden und Osten in Richtung Arnstadt die logische Wahl, außerdem bot sich das Zisterzienserinnenkloster als möglicher Versorger an. An diesem Tag kam Graf Günther nach Stadtilm, um die Reliquien und die Wertgegenstände des Klosters nach Arnstadt in Sicherheit zu bringen. Günther war also bestens informiert, konnte gegen den noch nicht formierten Haufen aber nicht vorgehen. Als die Stadtilmer Anführer von Günthers Anwesenheit erfuhren, entstand sofort der Plan, den Grafen in der Stadt einzusperren, ihm die Klosterkleinodien abzunehmen und ihn ggf. zu töten.10 Der Graf entkam: „Aber m.g.h. were innen zu balde zum tore hinaus entworden.“11 Darüber sind die Aufrührer „ergrimpt, zu zorn bewegt und [haben] also in der gemein wasser zu fischen angefangen.“12 Die Stadtilmer Gruppe ist für die weitere Entwicklung wesentlich. Sie stand bereits in Verbindung mit den anderen Zentralorten der Herrschaft; zu den wichtigen Personen gehörten dabei auch Leute aus öffentlichen und kirchlichen Ämtern: ein alter Schosser von Rudolstadt, ein Vogt und ein Wachmeister aus Langewiesen, der alte herrschaftliche Profoss Hans Bauer, also ein Militärbeamter, der Schulmeister Hieronymus des Klosters Paulinzella und der Dörnfelder Pfarrer, aber auch einige Niederadlige: vor allem Haldeck zu Lichstedt, Fabian von der Grüne und Hans von Entzenberg.13 Der Ausbruch des Aufruhrs am 24./25. April ging von einem evangelischen Bunde von zehn Dörfern im Wald um Langewiesen und Gehren aus. Der spätere Anführer Hans Heile, gen. Behem, aus Marlishausen berichtet, dass er bei Langewiesen auf eine Versammlung von Männern traf, die ihm mitteilten, dass im Wald ein Aufruhr begann. Was dies bedeutet: „sie westens selbst nicht“.14 Aus diesen und anderen Orten sollten sich die Bauern nach einem Brief dieser zehn Gemeinden vom 24. April in Stadtilm sammeln, während Forderungen an den Grafen formuliert wurden. Gewalttätige Ausbrüche gab es wohl nur in Rudolstadt; hier wurde ein Pfarrer, ein Vertreter der Familie von Witzleben, misshandelt und Zinsregister wurden verbrannt, bevor man nach Stadtilm zog. 9 10 11 12 13 14

EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 289. AGBM, Bd. II, Nr. 1564, S. 368. Ebd., Nr. 1551, S. 358–362, hier S. 358. Ebd. Ebd., S. 361. Ebd., Nr. 1550, S. 356–358, hier S. 356.

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Der Beginn des Aufstandes und die „geschwinde leufte“ wurden aus diesem Amt nach Arnstadt an den Grafen gemeldet.15 In Stadtilm übernahmen die Anführer die Stadttorschlüssel und setzten am 24. April einen neuen Rat ein.16 Wahrscheinlich stand nicht die Mehrheit der Stadtbevölkerung hinter dem Aufstand, viele wurden gezwungen.17 In Stadtilm handelte es sich eher um eine kleine radikale Gruppe, die aber immer mehr Auswärtige in die Stadt ließ.18 Verschiedene kleine Versammlungen aus anderen Städten und Dörfern verbrüderten sich hier.19 Nun wurden die Zwölf Artikel an den Grafen übersandt. Die Anwesenden mussten von den Anführern um Jacob Scherff mit dem Versprechen bei der Stange gehalten werden, dass Graf Günther die Artikel bewilligen würde.20 Die Moral scheint bereits in den ersten Tagen nicht besonders gut gewesen zu sein. Freilich darf der Einfluss der Zwölf Artikel nie außer Acht gelassen werden. Es zeigen sich dabei aber viele regionale Besonderheiten. Der Stadtilmer Ratsherr Franz Langestat, der als Vermittler eingesetzt wurde, stellte fest: „es sei ein swerer handel, hie im lande Swartzwaldische sachen zu rechtfertigen“.21 Die rechtlichen und praktischen Unterschiede zwischen den süddeutschen und den mitteldeutschen Gebieten wurden durchaus auch von den Zeitgenossen wahrgenommen; dies ist keine Beobachtung der jüngeren Geschichtswissenschaft. Außerdem zeigen die Artikel der Gemeinden der schwarzburgischen Oberherrschaft die bedeutenden Abweichungen zwischen den einzelnen Dörfern. Die Artikel wurden wie geistliche Texte und Predigten rezipiert und auf die eigenen Lebensbedingungen angewendet. Stärker als die Zwölf Artikel wogen eigene Erfahrungen. So waren zum Beispiel die sechs Dörfer, die zum Besitz des Klosters Paulinzella gehörten, durch die Artikel des Bundes „geirret“. Da Mönche und Nonnen weder Land noch Leute besitzen dürften, wüssten sie nicht, wer ihr Herr sei. Sie fragten daher Graf Günther XXXIX., ob dieser sie „ufnem“ wolle.22

15 EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 292. 16 Nach dem Ende des Aufstandes wurde wohl der alte Rat wieder eingesetzt, was aus dessen Rechtfertigung gegenüber dem Grafen hervorgeht; AGBM, Bd. II, Nr. 1651, S. 465– 469, hier S. 465. 17 Ebd., Nr. 1564, S. 369. 18 Ebd., Nr. 1651, S. 465. Den größten Anteil dürfte dabei wohl der Rudolstädter Haufen gehabt haben. Unterschiede in den Vorstellungen innerhalb des Haufens gehen auch aus dem Bericht des Stadtilmer Rates hervor; ebd., S. 466. 19 Ebd., Nr. 1564, S. 368. 20 Ebd., Nr. 1551, S. 359. 21 Ebd., Nr. 1651, S. 466. 22 Ebd., Nr. 1208, S. 110–128, hier S. 126.

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Nach einer verzögernden Antwort des Grafen auf die Überstellung der Artikel beruhigte sich die Lage scheinbar. Währenddessen rückten aber Haufen aus Rudolstadt, Königsee und Blankenburg an. Deutlich wird dabei die kurzfristige und gute Organisation am Anfang des Aufstandes. Die Aufständischen aus den Dörfern des angesprochenen evangelischen Bundes der Waldorte zogen über Königsee und Paulinzella nach Stadtilm. Relevant für die Entwicklung an diesen Tagen ist die Plünderung des Klosters Paulinzella. Anführer waren wohl der alte Vogt von Gehren, Georg Knüttel, und Paul Folcker aus Langewiesen, die mit 300 Knechten Geld, Kleinodien, hunderte Schafe, Pferde und die Vorräte des Klosters einsammelten sowie die Fischteiche leerfischten. Die Pferde wurden in der Folge unter den Anführern des Aufstandes aufgeteilt und es wurde eine Beutekasse angelegt.23 Es gab jedoch keine wesentlichen Zerstörungen oder Misshandlungen. Diese Plünderung des Klosters Paulinzella blieb der gewalttätige Höhepunkt des Aufstandes. Nach der Vereinigung in Stadtilm bestand deutlich eine gewisse Unsicherheit über das weitere Vorgehen. Im Lager befanden sich wohl ca. 8.000 Mann. Ein eigentlich geplanter Klostersturm in der Stadt kam nicht zustande bzw. konnte verhindert werden, es gab aber Diebstähle. Zur Beruhigung der Lage trug sicher bei, dass der Propst Nahrung ins Lager vor der Stadt schickte.24 In dieser Zeit wurden von den einzelnen Gruppen vor der Stadt Beschwerdeartikel verfasst und nach Arnstadt geschickt. Diese haben sich zum großen Teil erhalten.

4. Exkurs: Beschwerdeartikel In diesen wird die weitreichende Verbindung reformatorischer und sozialer Forderungen deutlich, die eben für die Mentalität dieser Jahre so charakteristisch ist. Die Bauern des schwarzburgischen Amtes Käfernburg sahen ihre Forderung nach völlig freier Nutzung der Wälder und Gewässer ihrer Fluren „in der heilgen schrift gegrundt“.25 Die Bauern von Espenfeld begehrten diese Freiheit ebenso wie die „andern christenmensche“.26 Der erste Artikel der Beschwerden des Arnstädter Rates fordert die freie Wahl eines „pfarherrn“ durch Rat und Gemeinde,27 „das nicht das volk dadurch 23 24 25 26 27

Ebd., Nr. 1550, S. 357. EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 303 f. AGBM, Bd. II, Nr. 1208, S. 122. Ebd., S. 118. Ebd., Nr. 1202, S. 101–105. Freilich stellen diese Artikel keine große Besonderheit dar, die Grundlinien sind sehr typisch. Grundlage waren, wie im gesamten thüringischen

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vorfurt addir irre gemacht werde; wie dan bisher geschehen, was einer vormittag prediget, durch einen andern nomittage widderruffen“.28 Es zeigt sich, dass der Rat, der die Artikel überreichte, die reformatorische Entwicklung und die Aufstände sehr wohl als Chance begriff. Es folgen Artikel, die Abgabengleichheit fordern, also vor allem eine Verschossung inner- und außerstädtischer Klöster. Konkret betrifft dies die Erfurter Stifte und den Propst von Ichtershausen (Artikel 5) sowie den Propst des Walpurgisklosters. Besonders dieses an der Liebfrauenkirche gelegene Kloster sorgte für viel Unmut in der städtischen Bevölkerung. Der Propst nutzte mit seinem Vieh städtische „gutter und gemeine“ ohne Abgaben zu bezahlen, gewährte aber der Bevölkerung nicht die Nutzung des Walpurgisholzes.29 Weiterhin hatte das Vieh des Propstes den Zwinger „schir ellen tief untir dem fulmundt ausgetrett“, der Schaden sollte vom Kloster erstattet werden.30 Auch die Schäferei des Propstes vor der Stadt muss erheblichen Schaden in der Stadtflur angerichtet haben, jedenfalls forderte der Rat deren Schließung.31 Weitere Artikel betreffen mit einzelnen Häusern und Zinsen sehr konkrete örtliche Umstände. So zog auch die Saigerhütte mit ihrem hohen Wasserverbrauch und der Umweltverschmutzung Unmut auf sich. Die Artikel richten sich an keiner Stelle gegen Günther. In einem Artikel schließt der Rat alle Lehensverhältnisse, außer zu dem Grafen, aus.32 Die Stadtilmer Artikel vom 25. April zeigen eine deutlich größere Nähe zu den Zwölf Artikeln.33 Wahrscheinlich standen dahinter die radikaleren Aufständischen um Jacob Scherff, die die Zwölf Artikel als Erste im Land erhalten hatten. Aus den Artikeln der Dörfer lassen sich keine ungewöhnlichen Gründe für den Aufruhr in der Oberherrschaft feststellen, lediglich einige Amtleute riefen besonderen Hass hervor.34 Der Unwillen richtete sich in erster Linie gegen

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Raum, die Zwölf Artikel. Zu den Artikeln der Gemeinden im Bauernkrieg in Thüringen vgl. Günter VOGLER, Bäuerliche und städtische Aufstände zwischen Harz und Thüringer Wald. Ein Überblick, in: DERS. (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 65–90, hier besonders S. 73–76. AGBM, Bd. II, Nr. 1202, S. 102. Ebd. Ebd., S. 102 f. Ebd., S. 104. Ebd., S. 103, „Und gedenken zu unsern gutern keinen andern lehenherrn zu haben, wider monchen nach pfaffen, dan alleine u. g. h.“ Ebd., Nr. 1207, S. 108–110, hier S. 108 f. Oftmals war es ein einzelner Amtmann, der den Bauern das Leben schwermachte, wie die spezielle Kritik der Dörfer des Amtes Käfernburg an ihrem Amtmann Jorge von Witzleben zeigt; ebd., Nr. 1208, S. 121. Zu den Gründen für die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ausführlich EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 208–285, insbesondere S. 214–217 zu den Zinshöhen.

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Zinsen der reicheren Klöster und auswärtiger geistlicher Einrichtungen, besonders der Erfurter Stifte. Viele der schwarzburgischen Dörfer wollten prinzipiell keine Abgaben an geistliche Institutionen mehr reichen. Die Bauern von Dörnfeld an der Ilm wollten „pfaffen, monchen, nonnen nichten geben“.35 In vielen Fällen werden in den Forderungen auch seit Jahren schwelende Konflikte mit Klöstern deutlich. Die Bauern von Seebergen hofften, in diesem Zuge Urkunden über ihre Flur, die sich unbilligerweise im Kloster Stadtilm befanden, ausgehändigt zu bekommen.36 Die Bauern des ernestinischen Dorfes Ichtershausen – und sicher nicht nur diese – wussten, dass sich die Herrscher einige ihrer Forderungen leisten können, da sie „gros zugang“, also viel Einkommen von den Gütern erwarten dürften, die der „entcrist dem furstentumb abgezwungen hat“.37 Damit gemeint waren die Klöster. Die zentrale geistliche Forderung war freilich auch in den Dörfern die nach der freien Pfarrerwahl. In stärkerem Maße als auf aktuellen Entwicklungen beruhte dies auf der langjährigen eigenen Erfahrung der Bauern.38 Folgerichtig formulierten die Haßlebener, dass die Gemeinde ihren Pfarrer selbst wählen dürfe sowie – und das war noch wichtiger – „auch macht haben [sollte], denselbichen zu entsechen wan her sich ungeborlichen helt“.39 Die Bauern von Wüllersleben wollten diese Wahl ohne „alle inrede eines lehenherren“ abhalten. Die Beschwerde der Dörfer des Amtes Käfernburg zeigt dabei, dass die Bauern dies als ohnehin laufende Entwicklung begriffen: „pfarrer und priesterschaft wollten sie setzen und entsetzen, lehen, Altäre und Stiftungen verwenden, wies in der schrift gegrundet ist und wie es allenthalben gehalten wurt“.40 Sie erhofften sich eine fürstliche Absolution, eine Bestätigung des Status quo, der aus ihrer Sicht nur rechtens war. Dass der Pfarrer ein lutherischer sein solle, war schon beinahe überflüssig zu erwähnen. Selbstverständlich solle er „das wort gottes clar, unvormischet menschlicher lere vorkunden“.41 In allen Artikeln sind Fragen der Fron, Jagd, Trift, Mahlrechte, Gattergelder und richterlichen Zuständigkeiten quantitativ bestimmend. Wichtig sind etwa die hohen Erbzinsen und der in diesen Jahren zunehmende Wucher. Auch in den kleineren Städten gesellten sich zünftige Fragen dazu.42 Ohne weiter auf Zinse, Wucher, Grundrechte und andere Probleme einzugehen, kann festgehal35 36 37 38 39 40 41 42

AGBM, Bd. II, Nr. 1208, S. 115. Ebd., S. 115, 124 f. Ebd., Nr. 1232, S. 144 f., hier S. 145. SLADECZEK, Land (wie Anm. 3), S. 39–53. Zur Konstanz der Forderungen vgl. Peter BLICKLE, Die Reformation im Reich, Stuttgart ³2000, S. 137–140. AGBM, Bd. II, Nr. 1208, S. 120. Ebd., S. 121. Ebd., Nr. 1232, S. 144. Ebd., Nr. 1208, S. 110–114.

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ten werden, dass die Forderungskataloge insgesamt als Betonung der gemeindlichen Freiheiten zu sehen sind. In jedem Artikel wird die Selbstverwaltung propagiert. Dabei bezogen sich die Bürger und Bauern auf ihr „Altes Herkommen“ und alte Gewohnheiten. Privilegien sollten gegen die zunehmende herrschaftliche Engführung geschützt werden.

5. Zurück ins Lager vor Stadtilm Am 1. Mai bestätigte Günther alle vorher zugestellten Artikel.43 Er verweist darauf, dass er um Änderung der Artikel gebeten habe, die aber abgelehnt wurde. Um Schaden abzuwenden, stimmte er daher zu, allerdings mit dem nun eingefügten Hinweis auf eine endgültige Verschreibung in vier Wochen nach Absprache mit dem Lehensherrn, dem Kurfürsten. Ausnahmsweise wird der Kurfürst hier von einem Schwarzburger als Argument nach innen eingesetzt. Neben Günther und seinem Sohn Heinrich XXXII. sollten auch verschiedene Adlige siegeln. Günther verstand diese Verschreibung als vorläufige Befriedung und betonte, dass „die unsern […] fridelich sein mochten“. Aus dieser Zeit gibt es Hinweise, dass viele der Bauern nicht weiter Städte und Schlösser stürmen wollten, sondern gern wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt wären. Das erfährt natürlich auch der Graf, und so sind seine lavierenden Briefe und sein vermeintliches Entgegenkommen vor allem als Verzögerungstaktik zu sehen. In diesen Tagen nahm auch im Kurfürstentum die Auseinandersetzung mit dem Aufstand in den anderen thüringischen Herrschaften deutlich zu.44 Graf Günther informierte seinerseits Graf Wilhelm von Henneberg darüber, dass er Artikel angenommen hätte, denn „sie haben in einer eil uns beschickt und begert, ja oder nein“.45 Die Versorgung im Haufen verschlechterte sich; außer den Klöstern in Paulinzella und Stadtilm gab es keine weiteren potentiellen „Opfer“ in der Herrschaft. Die Anführer beschlossen nun, nach Arnstadt zu marschieren und sich mit dem dortigen Haufen zu verbinden (30. April). Im Haufen gab es durchaus radikale Vorhaben, die aber sicherlich nicht mehrheitsfähig waren, so etwa den Grafen „mit alle seinem adel und gesinde […] todt zu schlahen“.46 Graf Günther berichtet in einem Brief vom 2. Mai, dass ca. 5.000 Mann vor Arnstadt ankamen, es waren also bereits deutlich weniger als vor Stadtilm, was

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Ebd., Nr. 1259, S. 160 f. Ebd., Nr. 1242, S. 149 f., hier S. 149. Ebd., Nr. 1244, S. 151–153, hier S. 151. Ebd., Nr. 1564, S. 368.

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dafür spricht, dass tatsächlich viele Bauern bereits in ihre Dörfer zurückgekehrt waren. Während dieser Zeit gab es einzelne Übergriffe auf adlige Güter. Namentlich bekannt sind die Adelssitze in Griesheim und Behringen, wobei auch die Familie von Witzleben Schaden genommen haben muss.47 Die Plünderungen erfolgten erneut durch kleine Gruppen, dabei wurden in Griesheim durch den Küster eines Nachbardorfes zuerst die Zinsbücher und Urkunden zerstört.48 Bei Graf Günther ist, wie erwähnt, ein Lavieren zu erkennen, in dem Wissen, dass in vier Wochen die Welt wohl eine andere wäre. Günthers wichtigstes Ziel war, weitere Gewaltausbrüche zu verhindern und Zeit zu gewinnen. Der Anführer Jacob Scherff verwies später in seiner Vernehmung darauf, dass sie die Bauern nur durch die Aussicht auf die Annahme der Artikel durch Graf Günther bei der Stange halten konnten. In dem Moment, in dem dieses Ziel erreicht war, bestand seitens der Herrschaft wohl die berechtigte Hoffnung, dass die ohnehin angeschlagene Moral sinken und der Haufen auseinanderbrechen würde. In der Tat führte es dazu, dass die Anführer Anweisungen an die Bauern gaben, nichts mehr zu zerstören, da beide Grafen die christlichen Artikel angenommen hätten. Weiterhin ging auch an den Ichtershäuser Haufen die Bitte, wegen der Einigung mit Günther weiteren Schaden zu verhindern, „wie christlichen brudern eigent und gepurt“.49 An den Ilmenauer Haufen erging selbige Bitte.50 Einige Radikale wollten Arnstadt stürmen, doch war dies zu diesem Zeitpunkt wohl nicht realistisch, wie auch der Anführer Scherff bemerkte. Er stellte fest: „so ein geratener schoß unters volk aus dem schlosse gescheen, die paurn wurden alle oder ye der merer teil geflogen sei.“51 Es lässt sich noch eine Abstimmung mit den Aufständischen im Gebiet der Grafen von Gleichen bemerken, doch erfolgt der Rückzug eines Großteils nach Stadtilm, dort wird noch Beute aus Paulinzella verteilt bzw. verkauft. In diesen Tagen warnte die Mutter eines Anführers vor den Henkern. Die zwei Radikalsten, Jacob Scherff und Hans Heile, genannt Behem, aus Marlishausen, versuchten eine neuerliche Rüstung des Haufens herbeizuführen, doch waren zu dieser Zeit wohl nur noch wenige übrig. Beide Anführer zeigten sich 47 EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 310 f. 48 AGBM, Bd. II, Nr. 1564, S. 371. Die Herren von Griesheim verfügten in den Dörfern der Oberherrschaft über eine Vielzahl an Pfarrpatronaten mit den dazugehörigen Filialkapellen, die sie zum großen Teil von den Grafen von Henneberg als Lehen empfingen; Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen, Hennebergica aus Gotha, Urkunden, Nr. 239. Ich danke Johannes Mötsch, Meiningen, für diesen Hinweis. 49 AGBM, Bd. II, Nr. 1286, S. 179. 50 Ebd., Nr. 1300, S. 188. 51 Ebd., Nr. 1551, S. 361.

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daraufhin weitgehend desillusioniert: „ir gmut were dermassen gericht gewest“.52 Sie versuchten eine neue Versammlung herbeizuführen, was aber nicht zustande kam. Daraufhin nahmen sie Kontakt zum Erfurter Rat auf und wollten danach mit ihren Haufen nach Franken ziehen, was aber ebenfalls nicht gelang.53 Aus Günthers Sicht hatte die Befriedung funktioniert. Sie geschah rechtzeitig, da sich der Graf in den folgenden Tagen um einen weiteren Aufstandsherd mit etwa 6.000 Bauern im Thüringer Becken um Greußen kümmern musste. Von dort wurde ihm gedroht, er solle selbst zu Verhandlungen erscheinen, da anderenfalls das „lantvolk“ nicht aufzuhalten sei.54 Günther lehnte dies ab, verwies auf die vielen aktuellen Aufgaben und gab zu bedenken, dass es für ihn gefährlich sein könnte, nach Greußen zu reisen, „halten auch dovor, daß ir selbern uns das nicht raten werdet“.55 Auf die gestellte Frist ging er nicht ein. Der Aufforderung, Artikel zu schreiben, kamen wiederum die Bauern nicht nach. Noch über eine Woche später, am 10. Mai, meldete der Greußener Schosser, dass die Bauern bei Greußen auf die Mühlhäuser warteten, um mit ihnen nach Heldrungen zu ziehen.56 Wahrscheinlich von gemäßigteren Kräften im Haufen erging eine Entschuldigung an Günther, dass die Artikel bisher nicht eingegangen seien. Dies wurde mit der sehr bescheidenen Ankündigung verbunden, dass nach dem Aufstand die Untertänigkeit gegenüber dem „naturlichen erbhern“ und der „christlichen ordenunge“ nicht leiden würde.57

6. Die Situation in Arnstadt und das Vorgehen des Grafen Allgemein herrschte ein gutes Verhältnis zwischen der Stadt und dem Grafen, doch behielt jener auch im Laufe des 15. Jh. immer die eindeutige Stadtherrschaft und verursachte große finanzielle Belastungen des Rates. In den Jahren nach 1520 herrschte hier wie überall eine sehr angespannte Stimmung, wie u. a. die Abwandlung eines bekannten Zitates auf dem Titel der Arnstädter Stadtrechnung 1522 zeigt (Abb. 2):

52 Ebd. 53 Ebd., Nr. 1550, S. 357; Nr. 1551, S. 360. Anscheinend zogen fünf Bauern nach Schweinfurt; ebd., S. 361. 54 Ebd., Nr. 1299, S. 187 f. 55 Ebd., Nr. 1301, S. 188 f. 56 Ebd., Nr. 1408, S. 263. 57 Ebd., Nr. 1409, S. 263 f.; vgl. auch ebd. die Anm. 1 auf S. 723.

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Abb. 2: Aufschrift auf der Arnstädter Stadtrechnung 1522

„Wer Im xxii Jar nicht sterbt und Im xxiii nicht erschlagen werd und Im xxiiii Jar nicht Im wasser verterbt dem ist sehr groß gluck beschert“ Die Auswirkungen der Veränderungen durch die reformatorische Bewegung waren nicht abzusehen und Stadt und Graf waren sich in der religiösen Frage nicht einig. Verglichen mit anderen Städten wurde Arnstadt aber wohl als recht sicher wahrgenommen. Wahrscheinlich trug dazu auch Günthers strikte Haltung gegenüber reformatorischen Regungen bei. Die Stadt bildete jedenfalls eine Zuflucht für verschiedene Bedrohte: Die Äbtissin des Ichtershäuser Zisterzienserinnenklosters, Katharina Frenck, bat Graf Günther in einem Brief darum, mit ihren Jungfrauen in Arnstadt wohnen zu dürfen. Dort wollten sie sich mit Heimarbeit einen Lebensunterhalt verdienen.58 Weiterhin flüchteten zwei Stiftsherren des Erfurter Severistifts in die nahe gelegene Stadt.59 Während die Haufen sich in Stadtilm sammelten, saßen Günther und sein Sohn Heinrich in Arnstadt im Schloss in scheinbar relativer Hilflosigkeit. Sie schrieben Briefe und standen im Austausch mit verschiedenen Haufen und 58 Ebd., Nr. 1395, S. 255. 59 Ulman WEISS, Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, S. 196 f.

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anderen Herrschaftsträgern.60 Am 25. April gingen Günther und Heinrich auf das Arnstädter Rathaus – ein interessanter Akt symbolischer Kommunikation – und „verhandelten“ die Artikel des Rates. Günther verwies in seiner sofort erteilten Bewilligung auf „gemeine Einwohner“ in Arnstadt, die Aufruhr anzettelten. Der erpresste Graf bewilligte die Forderungen des Rates sofort, woraufhin dieser dem Grafen die Treue schwor.61 In seiner Erklärung verwies Günther aber offen auf seine Vorladung und die Bedrohung: „wenn wir die vorgesatzen artikel nit willigen wurden, wusten sie den gemeinen haufen nit aufzuhalten […]“.62 Der Schwarzburger gestand hiermit natürlich auch seine Ohnmacht ein. Ob es wirklich im Interesse des Rates gewesen wäre, die Stadttore zu öffnen, darf bezweifelt werden. Nach einem Hinweis aus der Vernehmung des Jacob Scherff gab es einen etwas unentschlossenen Austausch zwischen dem Haufen vor den Mauern und einigen Bewohnern der Stadt. Demnach kam ein Hans Emmerling aus der Stadt zu den Anführern, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Es wurde ein Stürmen der Stadt oder ein Anschluss der Stadtbewohner an den Haufen erwogen. Unter den Anführern herrschte wohl keine Sicherheit über die Situation in der Stadt, da man dem Hans Emmerling keine Antwort gab, sondern ihn zurück in die Stadt schickte.63 Ob es in Arnstadt größere radikale Gruppen gab, die sich tatsächlich dem Haufen anschließen wollten, muss offenbleiben. Eine bisher unbekannte Quelle gibt weitere Einblicke in die Erwartungen, die im Grafenhaus herrschten. Ein am 26. April erstelltes Inventar des Arnstädter Franziskanerklosters zeigt, dass ein Gesandter des Grafen, wie zuvor in Stadtilm, die Kleinodien des Klosters einsammelte. Im Kloster verblieben nur Kelche, die zur Ausübung der Messe nötig waren. Ein Sturm auf die Stadt wurde nicht als unrealistisch abgetan.64 Günthers Ziel war in dieser Zeit schlicht, die Situation in Arnstadt zu beruhigen und Zeit zu gewinnen: Am 27. April ritt er selbst nach Weimar, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Darauf erging am 28. April die Aufforderung des Kurfürsten, alle militärischen Kräfte sofort nach Weimar zu schicken. Dies tat Günther natürlich nicht. Die bereits angesprochene Bewilligung der Artikel am 1. Mai führte zum Rückzug vieler Gruppen nach Stadtilm. Der dortige, loyale alte Rat begann sofort, Anführer gefangen zu setzen. Es ist zu vermuten, dass dies in Absprache mit Günther geschah, wenn es nicht gar durch ihn initiiert wurde. In einigen 60 61 62 63 64

Vgl. etwa AGBM, Bd. II, Nr. 1895, S. 688. Ebd., Nr. 1205, S. 107. Ebd., Nr. 1203, S. 105 f., hier S. 105. Ebd., Nr. 1551, S. 360 f. Martin SLADECZEK, Ein Fragment eines Inventars des Arnstädter Franziskanerklosters von 1525, in: DERS. (Hg.), Die Arnstädter Oberkirche. Klosterkirche – Stadtkirche – Residenzkirche, Petersberg 2018, S. 122–125.

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Orten zog Günther bereits am 5. Mai Auskunft über die Entstehung des Aufruhrs ein und ließ Beteiligte verhören. Die Lage war also längst beruhigt, als an anderen Orten noch Schlachten geschlagen wurden. Am 7. und 15. des Monats zog Günther mit Truppen nach Weimar.65 Als er dies tat, hatte er längst mit anfänglichem Lavieren, Verzögern und dann gezieltem Zugriff mit Verbündeten die Kontrolle zurückerlangt. Allerdings kam ihm dabei die fehlende Organisation und Moral in den einzelnen Gruppen des Aufruhrs entgegen. In den Gemeinden wuchs nun wohl die Unsicherheit, wie die fürstliche Strafe ausfallen würde. So nahmen die Gnadengesuche wie in allen Gebieten zu.66 Am 23. Mai schrieb der Arnstädter Stadtrat eine Rechtfertigung: „Und obwoll der zeit mancher frommer redlicher burger derselben versamlung aus zwang erhorter drau und erfolgter forcht hat mussen anhangen, haben doch wir, der rate und der merer teil E. G. redliche burgere furgenommens handels gar keinen gefallen gehabt, sundern ist uns alwege treulich leid gewest und noch.“67 Frei nach Lichtwer: Wer sich entschuldigt, eh man klaget, der gibt sich selbst zum Täter an. Neben der Wiedereinsetzung aller Privilegien und der Änderung der Schlüsselordnung für die Stadttore wurden der Stadt später 3.000 Gulden Strafe auferlegt.68 Das Strafgericht: Der Kurfürst kam am 16. Juni nach Arnstadt und am folgenden Tag, dem Sonnabend nach Fronleichnam, wurden auf dem Markt neun Gefangene hingerichtet, zuerst die Radikalsten: Jacob Scherff und der Hans Heile von Marlishausen.69 Einige Verantwortliche waren bereits nach Franken geflüchtet, 44 saßen im Kerker. Finanzielle Strafen mussten an den Kurfürsten entrichtet werden, Entschädigungen mussten an den Adel (u. a. die Herren von Griesheim) und die Klöster gezahlt werden. Öffentliche Huldigungen nahm Graf Günther im Juni entgegen.70 In Stadtilm war es eine radikale Gruppe, die den Rat übermannte. In Arnstadt gab es wohl ebenfalls einige Radikale, die aber keine Kontrolle über den Rat gewannen. Selbst für die Zeit des Bauernkriegs lässt sich die enge Bindung der Stadt an den Rat feststellen, wie es für die Jahre typisch war.71 Die Ziele waren in allen Haufen etwas unklar. Beispielsweise wollten einige den Grafen 65 AGBM, Bd. II, Nr. 1895, S. 688. 66 Der alte Stadtilmer Rat betonte ebenso, dass er seine Loyalität dem Grafen gegenüber nie aufgegeben habe; ebd., Nr. 1651, S. 465. 67 Ebd., Nr. 1556, S. 364. 68 Ebd., Nr. 1679, S. 492 f. 69 Ebd., Nr. 1895, S. 688. In Rudolstadt gab es am 21. Juni Hinrichtungen auf dem Markt; ebd., Nr. 1896, S. 688 f., hier S. 689. 70 EINICKE, Reformationsgeschichte (wie Anm. 2), S. 319. 71 SLADECZEK, Arnstadt (wie Anm. 5), S. 229.

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töten, Hans Heile wollte Edelleute vertreiben aber seinen gnädigen Herrn belassen.72 Die Anführer des Aufstandes kamen z. T. tatsächlich aus der Bauernschaft. Daneben waren es aber gräfliche Bedienstete, Einwohner Stadtilms und Geistliche. Es gab durchaus Versuche der Anführer, persönlichen Gewinn zu erzielen. So bestand das Gerücht, dass Jacob Scherff ein neues Haus am Stadtilmer Klostergelände begehrt habe. Außerdem hatte er eine neue Hose und ein Wams aus Tuch und Barchent auf Kosten des Rates bezogen.73 In den Befragungen spielten solche Kleinigkeiten eine wichtige Rolle. Am wichtigsten waren aber die Zuständigkeiten für die gewalttätigen Ausfälle in Paulinzella und Griesheim. Die handelnden Personen lassen sich über die Vernehmungen auffallend gut zuordnen. So geschah der Überfall auf das Gut in Griesheim wohl auf Befehl des Profoss.74 Ein Schlusswort: Eine Herrschaft gehörte selbstverständlich zum bäuerlichen Weltbild. Es wird eine Herausforderung der kommenden Bauernkriegsforschung sein, das vorhandene Obrigkeitsdenken mit dem aufziehenden Ausbruch gegen die Obrigkeit zu vereinen.75 Alles unterstand aber der Allmächtigkeit Gottes. Dieser wurde auch der gnädige Herr „frolich bevolen“.76 Auch er sollte dafür sorgen, dass die Herrschaft mit ihren Amtleuten und Richtern die Bauern nicht beschwere oder mit Gewalt überfalle – alles „umb gotes willen und seines heiligen leidens willen und seiner heiligen gerechtikeit willen“.77

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AGBM, Bd. II, Nr. 1550, S. 357 f. Ebd., Nr. 1551, S. 359. Ebd., S. 360. Franziska CONRAD, Reformation in der bäuerlichen Gesellschaft. Zur Rezeption reformatorischer Theologie im Elsass (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, 116), Stuttgart 1984, S. 114. Conrad resümiert, dass sich gemeinsam mit der Rezeption der reformatorischen Lehre eine Aufstandsmentalität herausbildete. Dies ist aber nicht vollständig überzeugend, da dies vorrangig dort geschah, wo es bereits in vorreformatorischer Zeit ähnliche Aufstände gab. 76 So die Bauern von Dosdorf; AGBM, Bd. II, Nr. 1208, S. 124. 77 Ebd., S. 127.

MICHAEL BEYER DIE DREI BAUERNKRIEGSSCHRIFTEN MARTIN LUTHERS VON 1525

Die drei Bauernkriegsschriften Martin Luthers von 1525 1. Ausgaben Die heutige Rede von den „drei Bauernkriegsschriften“ Luthers geht zurück auf ein sich allmählich entwickelndes bibliographie-historisches Konstrukt, das zudem seit dem 19. Jahrhundert ideologisch aufgeladen und beeinflusst wurde,1 1

Dieser komplizierte Zusammenhang kann hier nur angedeutet werden. Verwiesen sei zumindest auf die bereits scharf konturierte Geschichtsdeutung aus dem Geist der bürgerlichen Revolution, die anhand der Bauernkriegsschriften Luthers spätere Beurteilung als „Fürstenknecht“ präludierte, bei dem breit, u. a. von Friedrich Engels rezipierten Wilhelm ZIMMERMANN, Der grosse deutsche Bauernkrieg. Volksausgabe. [ND der Ausgabe Stuttgart 1891] Lizenzausgabe von 1952, Berlin 81978, S. 630–634 (Kapitel 13: „Luther und die Bauern“). Zimmermann beschrieb den Umschwung von der „Ermahnung zum Frieden“ zu „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ so: „er [Luther] schlug auf die äußerste Rechte um“ (S. 631) und fasste zusammen: „Man hat gesagt, Luther habe so handeln müssen, um sein Werk nicht aufs Spiel zu setzen, nicht mit in den Untergang zu flechten; er habe dadurch die Reformation gerettet. Dieser Ansicht lässt sich eine andere entgegenstellen, wohl mit größerer Kraft. Wenn Luther die Konsequenzen seiner Grundsätze annahm, wenn er die Reformation nicht einseitig, nicht halb, sondern ganz durchführte, wenn er der Mann des Volkes blieb und die Bewegung des Volkes, die er jedenfalls nicht ungern sah, leitete, die Tausende von Unentschiedenen, die zwischen den Herren und dem Volk standen, mit sich fortriß, so wären die Deutschen eine Nation geworden, eins im Glauben und freier bürgerlicher Verfassung, die religiöse und politische Zerrissenheit und Unmacht, alle Not und Schmach des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, aller Jammer des Tausendherrenländchenwesens wäre nicht gekommen. Der Sieg der Volkssache, der Sieg der Reformation nach ihrer anderen, nach ihrer politischen Seite, hätte nicht in dem Sinne, wie Luther fürchtete, sondern in ganz anderem den Jüngsten Tag gebracht, der deutschen Nation einen neuen Himmel und eine neue Erde, ein großes deutsches Volksleben.“ (S. 634). Siehe auch Günter VOGLER, Martin Luther und die Reformation im Frühwerk von Karl Marx, in: Bernd MOELLER (Hg.), Luther in der Neuzeit (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 192), Gütersloh 1983; DERS., Das Konzept „deutsche frühbürgerliche Revolution“. Genese – Aspekte – kritische Bilanz, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 48 (2001), S. 87–117. Die von den Engführungen vieler ihrer Epigonen zu unterscheidenden Bewertungen Luthers bei Karl Marx und Friedrich Engels stellt sehr differenziert dar: Horst BARTEL, Das Lutherbild der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, in: DERS./Gerhard BRENDLER/Hans HÜBNER/Adolf LAUBE (Hg.), Martin Luther. Leistung und Erbe, Berlin 1986, S. 28–40, der freilich ebd. S. 29 die Ideologisierung der frühneu-

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und meint in der Reihenfolge ihrer Entstehung folgende Lutherschriften: zuerst die „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben. 1525“, sodann „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern. 1525“ und schließlich „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern. 1525“.2 Die Begriffsbildung „Bauernkriegsschriften“ samt ihrer Festlegung auf drei3 geht nicht unmittelbar auf zeitgenössische Quellen zurück und ist teilweise auch das Ergebnis von chronologischen bzw. thematischen Zuordnungen von Luthers Schriften innerhalb späterer Gesamt- oder Einzelausgaben oder deren eher unkritischen Nutzung quer durch alle Arten der Beschäftigung mit dem Thema. Luther selbst wollte seine Schriften zwar lieber nach systematischen als chronologischen Gesichtspunkten gegliedert wissen, um thematische Übersichtlichkeit zu wahren, hatte aber keine spezifische Einordnung in Bezug auf die Bauern oder den Bauernkrieg vorgenommen. In dem von ihm bevorworteten, also autorisierten „Catalogus oder Register aller Bücher und Schriften“ von 1533, der zwischen lateinischen und deutschen Publikationen unterscheidet, ist die „Ermanung zum fride An die Bawerschafft“ unter der Unterüberschrift „Vermanung“ innerhalb der „Lere bucher und vermane bucher“ eingeordnet. Den „Sendebrieff von dem harten büchlin wider die Baurn“ findet man unter der Rubrik „Streitbucher“.4 Die mittlere der sog. „drei Bauernkriegs-

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zeitlichen Geschichte durch die Gründerväter des Marxismus unumwunden zugibt: „Das Verhältnis zur Reformation und zu Luther und – so können wir gleich hinzufügen – ebenso zu Müntzer und dem Bauernkrieg ist für Marx und Engels eine historische Thematisierung ihres Verständnisses der eigenen Epoche.“ – Siegfried BRÄUER, Martin Luther in marxistischer Sicht von 1945 bis zum Beginn der achtziger Jahre (1983), in: Joachim HEISE/Christa STACHE (Hg.), Dialog über Luther und Müntzer. Zwanzig Expertengespräche zwischen kirchlichen und marxistischen Reformationshistorikern in der DDR (1981–1990). Eine Dokumentation (Veröffentlichungen des Evang. Zentralarchivs in Berlin, 10), Berlin 2011, S. 307–357. Titelgebung übernommen aus Kurt ALAND (Hg.), Hilfsbuch zum Lutherstudium, Bielefeld 41996, S. 34 f. Zu Luthers „Bauernkriegsschriften“ im engeren Sinn müssen hinzugerechnet werden: die Ausgabe des „Vertrag[s] zwischen dem löblichen Bund zu Schwaben und den zwei Haufen der Bauern vom Bodensee und Allgäu. 1525“ dem Luther eine „Vorrhede“ und eine „Vermanunge“ beigab. Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Schriften/Werke (im Folgenden: WA), Bd. 18, Weimar 1908, S. 336– 343, bes. S. 342 f. sowie „Eine schreckliche Geschichte und ein Gericht Gottes über Thomas Münzer. 1525“. Vgl. ebd., S. 367–374. WA, Bd. 60, Graz 1980, S. 8, Z. 150; S. 9, Z. 200; S. 10, Z. 227; S. 12, Z. 308; S. 13, Z. 345 f. – Exakt die gleiche Anordnung findet sich bereits in der wahrscheinlich auf Stephan Roth zurückgehenden Katalogfassung von 1528, die wohl nicht von Luther eigens autorisiert wurde: Verzeychung vnd Register / aller Buecher vnd[d] schrifften / D. Mart. Luth. durch yhn ausgelassen Vom Jar M.D.xviij. bis yns acht vnd zwenzigst, Wittenberg 1528 (VD16 L 3447). Auch hier steht unter der Hauptüberschrift „Lere buecher vnd

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schriften“, das „harte büchlin“, das kurz nach der ersten und zweiten als Anhang zur dritten Wittenberger Ausgabe der „Ermahnung zum Frieden“ erschien und dann unter dem Namen „Wider die stürmenden Bauern“ mehrere Separatdrucke erlebte, ist im „Catalogus“ nicht auffindbar, was nicht weiter verwundert, wenn die Druckgeschichte der drei „Bauernkriegsschriften“ näher in den Blick genommen wird (s. u.). Die erste Gesamtausgabe von Luthers Schriften, die sog. „Wittenberger Ausgabe“ mit ihrer deutschen und lateinischen Reihe – zu Luthers Lebzeiten erschien jeweils der erste Band beider Reihen – bietet eine Mischung von thematischer und chronologischer Ordnung. Die „Bauernkriegsschriften“ im zweiten Band der deutschen Reihe von 1548 sind nicht eigens unter einer gemeinsamen Überschrift als solche ausgewiesen,5 sondern lediglich in seinem Haupttitel summarisch mit angedeutet: „Der ander Teil der Bücher D. Mart: Luth: Darin alle Streitschrifften / sampt etlichen Sendbrieuen / an Fürsten vnd Stedte etc. zusamen gebracht sind / Wider allerley Secten / so zu seiner zeit / reine christliche Lehre angefochten haben“. Im Inhaltsverzeichnis („Register“) nach der Vorrede des Bandherausgebers Georg Rörer sind die aufgenommenen Schriften chronologisch angeordnet, was jedoch nicht ihrer Reihenfolge im Druck entspricht. Begründet wird das mit der Verfügbarkeit der Drucke in Vorbereitung auf den Satz des Bandes.6 Die „Ermahnung zum Frieden“ beginnt unter einer Leiste mit drei Medaillons, die Porträts von Luther, Kurfürst Johann Friedrich und Philipp Melanchthon zeigen.7 Diesem Titel ist der Zusatz „Auch

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vermane buecher“ [A iiijv], unter der Rubrik „Vermanung [A 5v]: die „Ermanung zum fride / An die Bawerschafft“ direkt vor „Schrecklich geschicht vnd gericht / vber Thomas Muentzer“ [A 6r]. Unter „Streitbücher“ steht der „Sendebrieff von dem harten Buechlein widder die bawrn“ [A 7v]. Dem Hinweis in WA, Bd. 60, S. 478, wonach der Band „in fünf Gruppen“, darunter „Aufruhr und Bauernkrieg“ eingeteilt wäre, entspricht keine besondere typographische Hervorhebung der einzelnen Gruppen. Vgl. Der ander Teil der Bücher D. Mart: Luth: Darin alle Streitschrifften / sampt etlichen Sendbrieuen / an Fürsten vnd Stedte etc. zusamen gebracht sind / Wider allerley Secten / so zu seiner zeit / reine christliche Lehre angefochten haben. Welche von stück zu stück verzeichnet sind, Wittenberg 1548 (VD16 L 3311) (im Folgenden: Widt 2), Vorrede, unpag. Widt 2, Bl. LXXIIr. – Während Luther- und auch Melanchthonschriften in dieser ersten losen Gruppe von Schriften zur Aufruhrthematik abgedruckt sind, was die Porträtdarstellungen als zur Sache gehörig ausweist, dürfte auch das Kurfürstenporträt mehr als nur eine Hommage an den 1548 regierenden Kurfürsten sein: Johann Friedrich war bereits als junger Kurprinz an der Verwaltung im Kurfürstentum Sachsen beteiligt und hatte sich intensiv in die Erneuerung des sächsischen Kirchenwesens gerade im Gegensatz zu den von Luther abweichenden Strömungen eingeschaltet; vgl. dazu jetzt Hans Peter HASSE, Luthers Visitationsreisen in Thüringen im August 1524: Jena – Kahla – Neustadt an der

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wider die mörderischen Rotten der Bauern“ beigefügt, was der Titelgestaltung des schon erwähnten zweiten Wittenberger Drucks der „Ermahnung zum Frieden“ aus dem Jahr 1525 entspricht. Diese Differenzierung ging jedoch im Laufe der Zeit verloren. Johann Georg Walch hat dann Mitte des 18. Jahrhunderts in seiner einflussreichen (und an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Nordamerika neu herausgegebenen) Lutherausgabe (W1; W2) die „drei Bauernkriegsschriften“ einzeln nacheinander inmitten vieler zugehöriger Quellen geboten und ausführlich eingeleitet.8 Schließlich war es die kritische, chronologisch die Texte abdruckende „Weimarer Ausgabe“, durch die die beiden ersten der „drei Bauernkriegsschriften“ als voneinander unabhängige Schriften angesehen werden konnten.9

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Orla – Orlamünde, in: Werner GREILING/Uwe SCHIRMER/Ronny SCHWALBE (Hg.), Der Altar von Lucas Cranach d. Ä. in Neustadt an der Orla und die Kirchenverhältnisse im Zeitalter der Reformation (Quellen und Forschungen in Thüringen im Zeitalter der Reformation, 3), Köln/Weimar/Wien 2014, S. 169–202, bes. S. 174 f.; Christopher SPEHR, Martin Luther und die Entstehung des evangelischen Kirchenwesens, in: DERS. (Hg.), Reformation vor Ort. Zum Quellenwert von Visitationsprotokollen (Veröffentlichungen der staatlichen Archivverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt, 21; Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg, 29; Schriften des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, 7), Leipzig 2016, S. 9–30, bes. S. 23 f. D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Sechzehnter Theil, Welcher die zur Reformationshistorie gehörige Documenten von 1525. bis 1537. enthält, nebst einem Ursprung und Fortgang der Reformation herausgegeben von Johann Georg Walch, Halle 1745. – Ebd., Einleitung, bes. 15 f.; ausführliches, mit bibliographischen Hinweisen versehenes Inhaltsverzeichnis, bes. S. 33–36. Die Einteilung des Gesamtkomplexes ist insofern interessant, als sie trotz ihrer bereits in der Einleitung deutlichen Fixierung auf den Gegensatz zwischen Müntzer und Luther ein breites Panorama an flankierenden Quellen bietet (Die Überschriften fallen an ihrem Ort noch ausführlicher aus als hier nach dem Inhaltsverzeichnis wiedergegeben): „Von dem 1525 entstandenen Bauren-Aufstand und dem Tod des Churfürsten Friedrichs zu Sachsen“, Sp. 4–229 [ab hier neubeginnende Spaltenzählung]: 1. Abschnitt: „Von Müntzers zu Allstädt angerichtete Unruhe und Lutheri Warnung vor derselben“, Sp. 4–23; 2. Abschnitt: „Von der 1525 ausgebrochenen Empörung der Bauren in Schwaben. A. Von der Forderungen der Bauren. […] B. Von Melanchthonis und Lutheri dawieder herausgegebenen Schriften“, Sp. 24–141. – In diesem Abschnitt finden sich nacheinander auch die „drei Bauernkriegsschriften“ („Ermahnung zum Frieden“, Sp. 58–91; „Lutheri Schrift wieder die räuberischen und mörderischen Bauren“, Sp. 90–99; „Lutheri von dem harten Büchlein wieder die Bauren“, Sp. 99–127) – „C. Wie man diese Empörung durch gütlichen Vergleich zu dämpfen gesucht [Allgäuer Vertrag mit Luthers Vor- und Nachwort], Sp. 131–141; 3. Abschnitt: „Von dem Aufstand der Bauren in Thüringen“: Sp. 140–171; 4. Abschnitt: „… einige andere, die Historie Thomä Müntzers und des Bauren-Aufstands erläuternde Schriften“, Sp. 171– 217; 5. Abschnitt (zu Kurfürst Friedrichs Tod und Begräbnis), Sp. 217–229. Siehe unten Anm. 3 zu WA, Bd. 18.

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Sie folgte auf die „Erlanger Ausgabe“ (E1; E2), die sachlich chronologisch aufgebaut war und ebenfalls drei voneinander unabhängige Schriften abdruckte.10 Insbesondere die Auswahlausgaben aus späterer Zeit haben bei Reduktion der flankierenden Quellenstücke diese Einteilung in drei Schriften übernommen. Soweit ich sehe hat in jüngerer Zeit zuerst Kurt Aland in der umfangreichen Auswahlausgabe „Luther deutsch“ die Problematik erkannt und auch durch die Anordnung der Schriften verdeutlicht.11 Ihm folgten darin mit mehr oder weniger Kommentierung, jedoch ohne den unten im Abschnitt 2 erörterten Zusammenhang mit der albertinisch-sächsischen altgläubigen Propaganda besonders hervorzuheben, die neueren Auswahlausgaben. So wollte die bereits von Franz Lau mit angeregte kritische Martin-LutherStudienausgabe, die seit 1979 erschien, dem Mangel an einer modernen Lutherschriften-Edition in der DDR abhelfen und mit einer Neu-Kollationierung verbinden, die eine gegenüber der Weimarer Ausgabe verbesserte, diplomatisch getreue Wiedergabe der ersten Drucke und ihrer Varianten bieten sollte. Die „drei Bauernkriegsschriften“ sind in der chronologisch aufgebauten Ausgabe im dritten Band zu finden, allerdings nicht allein, sondern zusammen mit weiteren zugehörigen Lutherschriften. Der ursprüngliche Zusammenhang von „Ermahnung zum Frieden“ und „Wider die räuberischen […] Horden der Bauern“ wurde durch die Wahl derjenigen Wittenberger Druckausgabe und ihrer Beschreibung gewahrt, in der beide Teile zusammenstehen, wobei der Textfluss durch Luthers Vor- und Nachwort zum „Weingartener Vertrag“ unterbrochen wird. Der Druck enthielt auf dem Titelblatt den oben genannten Titel des Anhangs. Der Anhang selbst beginnt jedoch mit dem von der Emserpresse in Dresden von hier übernommenen Titel „Wider die stürmenden Bauern“ (siehe den nächsten Abschnitt). Der hier also auch in zwei Teilen gebotene Text ist

10 Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. Vier und zwanzigster Band. Zweite Abtheilung. Reformations-historische und polemische deutsche Schriften, nach den ältesten Ausgaben kritisch und historisch bearbeitet von Konrad IRMSCHER, Erster Band, Erlangen 1830, S. 257–286 (Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauerschaft in Schwaben), S. 287–294 (Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern), S. 294–319 (Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern). 11 Kurt ALAND (Hg.), Luther deutsch, Bd. 7: Der Christ in der Welt, Göttingen 31983 [ND Göttingen 1991], S. 162–225: „Ermahnung zum Frieden“, „[Auch] wider die räuberischen und mörderischen Rotten der [andern] Bauern“, „Verantwortung D. Martin Luthers auf das Büchlein wider die räuberischen […] Bauern, getan am Pfingsttage im Jahre 1525“, „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“, S. 388–402: ausführliche Einleitung und Anmerkungen. Vgl. auch die ältere Arbeit von DEMS., „Auch widder die reubischen vnd mördisschen rotten der andern bawren“. Eine Anmerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg, in: Theologische Literaturzeitung 74 (1949), S. 299–303.

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dem der Weimarer Ausgabe vorzuziehen.12 Der wissenschaftlich ungenügende WA-Text wurde allerdings in einer der neuesten Auswahlausgaben von neuem reproduziert, jedoch mit einer insgesamt ausgezeichneten Kommentierung versehen.13

2. Zur Druckgeschichte Eingangs sind die „drei Bauernkriegsschriften“ Luthers als „bibliographiehistorisches Konstrukt“ bezeichnet worden. Dieser Begriff soll die interessengeleitete Fixierung auf diese Schriften innerhalb der vielgestaltigen Lutherschriftenrezeption herausstellen und fragt damit gleichzeitig nach ihren Ursprüngen. Hier kann allerdings nicht die gesamte Rezeption dieser Schriften betrachtet, sondern nur ein kurzer Blick auf ihre frühe Druckgeschichte geworfen werden. Die Grundlage hierfür sind die Aufnahmen der Titeldrucke im 18. Band der Weimarer Lutherausgabe,14 ihre Überarbeitung und Erweiterung in der „Lutherbibliographie“ durch Josef Benzing und schließlich in deren zweibändiger Neubearbeitung durch Helmut Claus.15 Der Gothaer Bibliothekar war durch 12 Hans-Ulrich DELIUS (Hg.), Martin Luther. Studienausgabe (im Folgenden: LutherStudienausg.), Bd. 3, Berlin 21996, S. 105–169 finden sich die von Hubert Kirchner bearbeiteten Bauernkriegsschriften: „Ermahnung zum Frieden“, Vor und Nachwort zum „Weingartener Vertrag“, Anhang „Wider die stürmenden Bauern“ zur „Ermahnung zum Frieden“, „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“. Zu beachten ist hier der Hinweis aus der dritten Auflage, dass versehentlich wie in der ersten Auflage Luthers Bemerkungen zum Weingartener Vertrag vor den Nachtrag „Wider die stürmenden Bauern“ gesetzt wurde, obwohl der zeitliche Ablauf inzwischen anders interpretiert worden war (S. 135). 13 Martin LUTHER, Schriften IV: Christ und Welt, hg. von Albrecht BEUTEL, Berlin 2016. 14 WA, Bd. 18 (wie Anm. 3), S. 279–401; zwischen die „Ermahnung zum Frieden“ und „Wieder die räuberischen und mörderischen Rotten“ ist nach neueren Erkenntnissen – chronologisch nicht exakt (siehe Anm. 12) – Luthers Edition des Allgäuer Vertrages platziert (S. 335–343). Zwischen „Wider die […] Rotten“ und „Ein Sendbrief“ ist „Eine schreckliche Geschichte […] über Thomas Müntzer“ eingeschoben (S. 362–374). Die bibliographischen Angaben zu den einzelnen Drucken zeigen zwar, dass „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten“ ursprünglich ein Bestandteil der dritten Wittenberger Ausgabe der „Ermahnung zum Frieden“ gewesen ist (S. 344–361), aber die Einleitung geht kaum darauf ein bzw. mutmaßt, Luther habe mit der gemeinsamen Ausgabe deutlich machen wollen, dass er sich bemüht habe, „den Bauern gerecht zu werden; es gab gewiß unter der Menge manchen Gutgesinnten, der noch auf ihn hören würde“ (S. 344 f.). 15 Josef BENZING/Helmut CLAUS (Bearb.), Lutherbibliographie. Verzeichnis der gedruckten Schriften Martin Luthers bis zu dessen Tod, bearbeitet in Verbindung mit der Weimarer Ausgabe, Bd. 1 (Bibliotheca bibliographica Aureliana, 10), Baden-Baden 21989; Bd. 2: Mit

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seine Forschungen zur Druckgeschichte von Schriften aus der Zeit des Bauernkrieges und zum Leipziger Druckschaffen in der Lage, die Angaben in der Bibliographie der Weimarer Ausgabe grundlegend zu verbessern.16 Die „Vermahnung zum Frieden“ brachte es auf 20 deutsche Druckausgaben in Wittenberg, Augsburg, Nürnberg, Straßburg, Tübingen, Erfurt, Zwickau, Mainz, Speyer, Leipzig und Regensburg, wozu noch zwei niederdeutsche in Wittenberg kamen. Drei Ausgaben erschienen zunächst in Wittenberg, wobei die dritte auf dem Titelblatt eine wichtige inhaltliche Erweiterung durch folgenden Zusatz aufweist: „Auch wider die räubischen und mördischen Rotten der andern Bauern“. Auch die zweite niederdeutsche Ausgabe erschien in dieser veränderten Form.17 Der Zusatz jedoch entfaltete in der Folgezeit ein editorisches Eigenleben, das bereits bei Zeitgenossen negativ wirksam wurde und bis ins Jubiläumsjahr 2017 die Darstellungen zu Luthers „drei Bauernkriegsschriften“ und ihrem Umfeld weithin prägte.18 Die Separatdrucke des Anhangs zur ausgleichenden und zum Dialog aufrufenden „Ermahnung zum Frieden“ erlangten durch nur geringfügige Titelveränderungen ein ganz anderes Gewicht als es die Schrift mit Anhang entfalten konnte. Aus „Auch wider“ wurde einfach „Wider“, und aus „Rotten der andern Bauern“ wurden schlicht „Rotten der Bauern“. Merkwürdiger- aber nicht überraschenderweise trugen fast alle diese Sonderdrucke die Anhang: Bibel und Bibelteile in Luthers Übersetzung 1522–1546 (Bibliotheca bibliographica Aureliana, 143), Baden-Baden 1994. 16 Vgl. die in Benzing/Claus verarbeitete Bibliographie: Helmut CLAUS (Bearb.), Der deutsche Bauernkrieg im Druckschaffen der Jahre 1524–1526. Verzeichnis der Flugschriften und Dichtungen (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha, 16), Gotha 1975, S. 45–49 (Nr. 94–112 – „Ermahnung zum Frieden“), S. 49–55 (Nr. 113–137 – Sonderdrucke von „Auch wider die räuberischen […] Rotten“ in deutscher, lateinischer und anderen Sprache). Vgl. außerdem DERS. (Bearb.), Das Leipziger Druckschaffen der Jahre 1518–1539. Kurztitelverzeichnis (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha, 26), Gotha 1987, S. 10 f. zum Leipziger Drucker Valentin Schumann und seinen Diensten für die Emserpresse. Die ungedruckt gebliebene Dissertation von Claus verwies bereits früh auf das Phänomen der bewusst eingesetzten antievangelischen Propaganda durch Herzog Georg im Zusammenhang mit seiner Religionspolitik: Helmut CLAUS, Untersuchungen zur Geschichte des Leipziger Buchdrucks von Luthers Thesenanschlag bis zur Einführung der Reformation im Herzogtum Sachsen (1517–1539), [Teil 1], Hauptbd.; [Teil 2], Anhang 1: Verzeichnis der Typen, Titeleinfassungen und Drucke; [Teil 3] Anhang 2: Titeleinfassungen (Bildteil), Masch. Diss. Berlin 1973. 17 Siehe BENZING/CLAUS, Lutherbibliographie, Bd. 1 (wie Anm. 15), S. 247–249, Nr. 2117– 2135; Bd. 2 (wie Anm. 15), S. 167 f., Nr. 2117–2135, mit den betr. VD16-Angaben. 18 Vgl. Heinz SCHILLING, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München 2012, S. 308 f.; Thomas KAUFMANN, Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation, München 22017, S. 164 f.

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Ortsangabe Wittenberg auf dem Titelblatt. Da sie aber an ganz anderen, und zwar altgläubig dominierten Orten hergestellt wurden, muss man sie als spezifisch interessengeleitete Raubdrucke mit deutlicher Zweckbestimmung über den Aufruf an die Obrigkeit hinaus ansehen.19 Der erste separate Nachdruck mit dem Titel „Wider die stürmenden Bauern“ war ein Exponat der sog. „Emserpresse“ in Dresden20 und gehört unmittelbar in das antireformatorische publizistische Programm Herzog Georgs von Sachsen, das er weitgehend durch seinen Hofkaplan Hieronymus Emser realisieren ließ. Frank Aurich dürfte mit seiner Vermutung zu Emsers bzw. Herzog Georgs Beweggründen Recht haben: „Mit Luthers Schrift konnte Emser dessen Abkehr von den aufständischen Bauern zeigen. Diesen Schritt Luthers, zuerst die Bauern aufzuwiegeln und angesichts der drohenden Niederlage sich von ihnen abzuwenden, hatte Emser in seinen Schriften oft angegriffen.“21 In seiner großangelegten Studie zur Religionspolitik Herzog Georgs von Sachsen hat Christoph Volkmar die Forderungen der Georgschen antievangelischen Propaganda in vier Punkten zusammengestellt: die direkte Widerlegung Luthers; die Übersetzung von antilutherischer Literatur lateinisch schreibender Autoren; die Dokumentation von aktuellen Vorgängen in Politik und Kirche sowie die altgläubige Katechese und die Rekatholisierung von Luthers Neuem Testament Deutsch durch die Eingriffe Emsers in Übersetzung und Gestal19 So auch Volker LEPPIN, Martin Luther, Darmstadt 2006, S. 234; vgl. bereits Martin BRECHT, Martin Luther, Bd. 2: Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521–1532, Stuttgart 1986, S. 179: „Berühmt und berüchtigt wurde dieser Abschnitt durch die zahlreichen außerhalb Wittenbergs […] erschienenen Sonderausgaben.“ 20 Frank AURICH, Die Anfänge des Buchdrucks in Dresden. Die Emserpresse 1524–1526 (Schriftenreihe der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden [SLUB], 3), Dresden 2000, S. 80 f. (Nr. 37), mit Abbildung des Titelblattes. Dazu ebd., S. 104: „Luther versuchte zunächst die Bauern zu beschwichtigen, ließ aber dann in Wittenberg noch einmal die Ermahnung zum Frieden […] drucken, zusammen mit dem Anhang Wider die sturmenden Bauern. Emser hat für den Dresdner Druck den Anhang, in dem sich Luther völlig von der Bewegung der Bauern abgegrenzt hat, aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst.“ Ebenso auf Claus verweisend zuvor bereits Heribert SMOLINSKY, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 122), Münster 1983, S. 46 f.; ebd. S. 308 versucht Smolinsky Emsers Raubdruck dahingehend zu klären, dass Emser auf diese Weise „[…] einerseits damit das Vorgehen der Fürsten rechtfertigen konnte, andererseits eine Handhabe fand, um Luthers Verrat an den Bauern zu belegen“. 21 AURICH, Die Anfänge des Buchdrucks (wie Anm. 20), S. 106. Siehe dazu auch DERS., Die Emserpresse im Dienst der Regionalpolitik Herzog Georgs, in: Hans-Peter LÜHR (Red.), Das albertinische Sachsen und die Reformation (Dresdner Hefte, 21), Dresden 2003, S. 51–59.

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tung.22 Der Coup, der der Emserpresse mit der Verbreitung des Separatdrucks gelang, reiht sich nahtlos, ja sogar an sehr prominenter Stelle in die kontroverstheologischen und kirchenpolitischen Erwartungen des Herzogs ein. Man könnte sie entsprechend der Systematik von Volkmar dem ersten Punkt, der direkten Widerlegung Luthers zuordnen, widerlegte sich Luther in altgläubiger Perspektive damit ohnehin selbst. Das Spielen mit literarischen Formen unter Inanspruchnahme von originalen oder fiktiven gegnerischen Schriften gehörte spätestens seit den „Dunkelmännerbriefen“ zum humanistischen Handwerkszeug im Wortkampf und war auch zu einer Wittenberger Spezialität geworden,23 die Luther relativ häufig bediente.24 Die altgläubigen Gegner bekamen in dieser Auseinandersetzung selten Gelegenheit zum Triumph. Aber mit diesem Dresdner Sonderdruck, der eilig und wie in einer konzertierten Aktion einen Nachdruck um den anderen erfuhr, gelang es ihnen, Luthers Reputation durch seine eigenen Ausführungen schwer zu beschädigen. Die moderate „Ermahnung zum Frieden“ erlebte, wie bereits gesagt, auch eine große Anzahl von Nachdrucken, die bis auf den hochdeutschen bzw. niederdeutschen Wittenberger Druck alle ohne den Nachtrag erschienen. Parallel dazu erschien der kompromisslos auf hartes Eingreifen der Obrigkeit gestimmte Sonderdruck. Der Kontrast, der sich aus zwei getrennten Veröffentlichungen ergab, spielte der altgläubigen Propaganda in die Hände. Insgesamt erschienen vom Separatdruck 22 Druckausgaben in Dresden, Erfurt, Leipzig, Hagenau, Mainz, Würzburg, Augsburg, Nürnberg, Bamberg, Regensburg und Straßburg, wozu später noch fünf weitere, nunmehr mit offen altgläubiger Kommentierung durch Johannes Cochlaeus aus Köln kamen. Außerdem erschienen zwei niederdeutsche (als Anhang zur „Ermahnung“ in Wittenberg und separat in Köln) sowie je eine tschechische und eine lateinische Ausgabe (Köln).25

22 Siehe Christoph VOLKMAR, Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525 (Spätmittelalter und Reformation, N.R. 41), Tübingen 2008, S. 570 f. 23 Siehe Johannes SCHILLING (Bearb.), Determinatio secunda Almae Facultatis Theologiae Parisiensis super Apologiam Philippi Melanchthonis pro Luthero scriptam, in: Gerhard HAMMER/Karl-Heinz ZUR MÜHLEN (Hg.), Lutheriana. Zum 500. Geburtstag Martin Luthers von den Mitarbeitern der Weimarer Ausgabe, im Auftrag der Kommission zur Herausgabe der Werke Martin Luthers (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers, 5), Köln/Wien 1984, S. 351–375, bes. S. 354–357. 24 Vgl. Michael BEYER, Luther übersetzt Melanchthon, in: DERS./Günther WARTENBERG (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anlässlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1996, S. 145–154. 25 Siehe BENZING/CLAUS, Lutherbibliographie, Bd. 1 (wie Anm. 15), S. 249–252, Nr. 2137– 2167; Bd. 2 (wie Anm. 15), S. 168–170, Nr. 2137–2167, mit den betr. VD16-Angaben.

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Ein sehr viel späterer Nachdruck wurde übrigens im Schmalkaldischen Krieg von altgläubiger Seite als Mittel der Polemik gegen den Schmalkaldischen Bund eingesetzt, wobei Luther gar zum guten Beispiel eines aufrechten Kämpfers gegen jedweden Aufruhr avancierte.26 Der fortlaufend dem originalen Text beigegebene Kommentar ergeht sich in drastischen Beschimpfungen, insbesondere gegen die beiden Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen.27 Die letzte der „drei Bauernkriegsschriften“ („Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“) erschien in sieben hochdeutschen Druckausgaben 1525 in Wittenberg, Erfurt, Nürnberg, Augsburg, Hagenau und Speyer. Ein niederdeutscher Druck wurde in Wittenberg verlegt.28

3. Die Bauernkriegsschriften im Zusammenhang ihrer Rolle als Ermahnungs- bzw. Streitschriften und im Rahmen der Ereignisse von April bis Juni 1525 Von ihrem Inhalt und ihrem unmittelbaren Zeitbezug her lässt sich die traditionelle Bezeichnung „Bauernkriegsschriften“ in Editionen sowie wissenschaftlichen und anderen Rezeptionsvorgängen unzweifelhaft rechtfertigen. Dass dies nicht mit Luthers eigener Einteilung übereinstimmt, wurde bereits herausge26 Martin LUTHER, Wider die mordischen und reübischen rotten der pawren, [Ingolstadt] 1546 (VD16 L 7504). Bereits auf dem Titelblatt wird unter Absehung vom alten Aufruhrvorwurf gegen Luther selbst die Absicht dieser Publikation benannt: „Diß büchle ist durch aynen guthertzigen Teutschen zu lob vnnd eer Gottes / auch wolfart Teutscher nation / in disem gefarlichen krieg widerumb seines waren inhalts in druck gegeben / vnd mit ainer Vorrede / vnnd Christlichen ermanung dermassen erkläret / das alle dieser zeit auffrürische hierauff selbst müssen bekennen / das sie auch durch vrthail D. Martini Luthers selbs in angemasten jhrem vnchristlichen vorhaben vor langst als die trew lose vnd mainaydige mit jren natürlichen farben fürgemalet / vnd als die jhenen so leyb / eer vnd gut lasterlich verwürckt gescholten vnd verdammet sein etc.“ 27 Bereits die Eingangspassage, in der Luther den gewalttätigen Bauern vorwirft, sie „rauben vnd toben / vnd thund wie die rasenden hund“, ist mit folgendem Kommentar versehen: „(Jch main der vnsinnig wietherich Lanndtgraff von Hessen / raube vnnd tobe / mitt seiner wiettigen abtrinnigen Rott / also das man wol sicht / Was er inn seinem falschen Sinn lanng gehapt hat / Er ist der recht Knopperthelle von Münster)“. Und wenig später, vor der Aufzählung Luthers von dreierlei Sünden, die die Bauern auf sich laden, lautet der Kommentar: „(Diese Sündt kann kain Weichwasser dem Knoppertelle von Hessen abweschen / Er leg dann in der Thonaw / vnnd het den Suppenwust von Sachsen / mit ainem strick am halß.)“ ebd., [Aivr/v]. 28 Siehe BENZING/CLAUS, Lutherbibliographie, Bd. 1 (wie Anm. 15), S. 252 f., Nr. 2178– 2185; Bd. 2 (wie Anm. 15), S. 171, Nr. 2178–2185, mit den betr. VD16-Angaben.

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stellt. Aber gerade aufgrund dieser Einteilung muss gefragt werden, ob und in welcher Weise die schwierigen und letztlich einseitig die Obrigkeit bevorzugenden Aussagen der Bauernkriegsschriften mit anderen Äußerungen Luthers zusammenstimmen oder zu ihnen im Widerspruch stehen. Geht man davon aus, dass die konsequente Ablehnung von Aufruhr gegen weltliche Strukturen ein bestimmendes Element in Luthers Denken gewesen ist, eröffnet sich die breite Perspektive des eng miteinander verzahnten und zugleich auf klare Unterscheidungen ausgerichteten Nachdenkens des Reformators im Feld des Theologischen und Politischen und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Grenzen von kirchlichen und weltlichen Akteuren beim Durchführen von Reformen bzw. der Reformation in beiden Bereichen. Luthers reformatorisches Denken und Handeln in seiner Entwicklung und ganzen Breite fußt m. E. auf der einen, grundlegenden Unterscheidung zwischen Geistlichem und Weltlichem. Diese erfolgte unter dem Einfluss der altkirchlich-augustinischen Tradition und deren spätmittelalterlicher, antipapalistischer Rezeption,29 die Luther anhand der biblischen Überlieferung prüfte und in eine Gesamtschau von Gott, Schöpfung und Erlösung, Welt, Mensch, Kirche und Gesellschaft einbrachte. Die von ihm hierfür uneinheitlich benutzte Terminologie – er sprach etwa wahlweise vom Reich Gottes und der Welt, vom geistlichen und weltlichen Regiment und verband das mit der von ihm selbst weiterentwickelten Dreiständevorstellung und ekklesiologischen Überlegungen30 – wurde vor allem seit dem 20. Jahrhundert mit den Begriffen „Zweireiche- bzw. Zweiregimentenlehre“ zusammengefasst und kontrovers diskutiert.31 Luthers grundsätzliche Unterscheidung zwischen Weltlichem und Geistlichem ist eine theologische Grundentscheidung mit einer Vielzahl von Aspekten, die sich in allen Themenbereichen seines reformatorischen Denkens und Handeln nachzeichnen lassen. Sie betreffen z. B. die Vorstellung von der Kirche und deren Beziehung zu weltlichem Besitz, der nach Luther nicht zum „geistlichen Gut“ hochstilisiert werden durfte, weil er als irdischer Gegenstand über keinerlei geistliche Qualität verfügt. Hier hatte Luthers Unterscheidung weitreichende Folgen für den Umgang mit altem und neuerworbenem Kirchengut, aber auch 29 Helmar JUNGHANS, Das mittelalterliche Vorbild für Luthers Lehre von beiden Reichen, in: DERS./Michael BEYER/Günther WARTENBERG (Hg.), Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. Ausgewählte Aufsätze (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 8), Leipzig 2001, S. 11–30. 30 Siehe Michael BEYER, Luthers Ekklesiologie, in: Helmar JUNGHANS (Hg.), Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, Berlin/Göttingen 1983, S. 93–117; 21985, S. 755–765. 31 Zu den einzelnen Aspekten dieser Lehren vgl. Volker MANTEY, Zwei-Reiche-Lehre, in: Volker LEPPIN/Gury SCHNEIDER-LUDORFF (Hg.), Das Luther-Lexikon, Regensburg 22015, S. 788–792; Luise SCHORN-SCHÜTTE, Drei-Stände-Lehre, in: ebd., S. 174–176.

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für überkommene Gottesdienstformen wie die Messe, bei der der persönliche Heilserwerb mit der Übergabe irdischer Güter an die Kirche verknüpft worden war.32 Es nimmt nicht wunder, dass die Altgläubigen, die die gewohnte Stellung der Kirche in der Welt als Gottesordnung ansahen, Luther selbst als Aufrührer hinstellten und die Bauernkriegsereignisse direkt mit ihm verbanden. Denn auf der Ebene des persönlichen Christseins innerhalb der Welt wurde Luthers Unterscheidung des einen, unteilbaren ganzen Christenmenschen in den vor Gott freien, niemandem untertänigen Herrn und den an die weltlichen Ordnungen als dienstbarer Knecht gebundenen Menschen gerade in der frühen Reformation in Verbindung mit einer allgemeinen innerweltlichen Freiheitsvorstellung verknüpft und rezipiert, die Luther nicht beabsichtigt hatte.33 Verbanden sie sich schließlich mit latenten spiritualistischen Überlieferungen des späten Mittelalters wie z. B. bei den Zwickauer Propheten oder Thomas Müntzer, dann waren die Konflikte gewissermaßen vorprogrammiert. Luther war sich schon frühzeitig darüber klar geworden, missverstanden werden zu können, und verfasste deshalb seit 1521 Ermahnungsschriften, die sich mit dem Verhältnis der Christen innerhalb der weltlichen Ordnungen befassten und dabei regelmäßig auch das Thema „Aufruhr“ ansprachen.34 Unmittelbar vor dem Bauernkrieg war es die Schrift „Ein Sendbrief an die Fürsten zu Sachsen wider den aufrührischen Geist“ (1524), mit der Luther die Vermittlungsversuche der Wittenberger mit Thomas Müntzer im Anschluss an dessen Fürstenpredigt beendete. Der „aufrührerische Geist“ wird nicht namentlich identifiziert. Aber es wird deutlich, dass er u. a. in Müntzer wirkt. Dieser „Geist“, der vom Teufel geleitet ist, will den Geist des Evangeliums – der auf Liebe und Leiden in der Welt ausgerichtet ist – in politisch offensive Weltgestaltung verkehren, was nicht der biblischen Offenbarung entspricht. Solange es selbst in dieser entscheidenden Frage bei theologischen Auseinandersetzungen bleibe, „lasse [man] die geyster auff eynander platzen und treffen“.35 Komme es aber zu gewaltsamen Aktionen, ist die weltliche Obrigkeit nach Röm 13 in der 32 Siehe Michael BEYER, Martin Luther und das Kirchengut. Ekklesiologische und sozialethische Aspekte der Reformation, Diss. Leipzig 1984. 33 Vgl. Berndt HAMM, Freiheitsschrift (Von der Freiheit eines Christenmenschen), in: LEPPIN/SCHNEIDER-LUDORFF (Hg.), Luther-Lexikon (wie Anm. 31), S. 227 f. sowie Peter BLICKLE, Bauernkrieg, in: ebd., S. 100–104. Siehe insbesondere die instruktive Einleitung zur Edition der „Ermahnung zum Frieden“ von Hubert Kirchner in LutherStudienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 105–109. 34 Siehe Hans-Peter HASSE, „Eine treue Vermahnung sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“, in: LEPPIN/SCHNEIDER-LUDORFF (Hg.), Luther-Lexikon (wie Anm. 31), S. 183; Susanne SCHENK, Obrigkeitsschrift („Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“), in: ebd., S. 518 f. 35 Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 101, Z. 16 f.

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Pflicht, den öffentlichen Frieden zu wahren. Deren Sanktionen sollten nach Luther im Landesverweis bestehen.36 Nachdem der Bauernkrieg im Sommer 1524 in Süddeutschland begonnen und sich nach Norddeutschland ausgeweitet hatte, überschlugen sich seit dem Frühjahr 1525 die Ereignisse, in die nun auch Luther publizistisch und teilweise vor Ort involviert wurde.37 Im März waren die „Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ erschienen,38 die Luther vor Mitte April erreichten und auf die er mit der „Vermahnung zum Frieden“ reagierte, die Anfang Mai im Druck erschien. In diesen Zeitraum fielen auch die persönliche Konfrontation Luthers mit Aufständischen im Umkreis der Thüringer Unruhen (ab Mitte April in Mittel- und Nordthüringen) auf seiner Reise vom 16. April bis 6. Mai und die Nachrichten vom Tod des Grafen Ludwig Helf von Helfenstein nach der Einnahme von Weinsberg am 16. April sowie die Wahrnehmung der Unschlüssigkeit Kurfürst Friedrichs und seines Bruders Johann, mit Gewalt gegen die Aufständischen vorzugehen.39 Vom 4./5. Mai datiert ein Brief Luthers an den Mansfelder Kanzler Johann Rühel, der als Konzept zum Nachtrag der „Ermahnung zum Frieden“ und „Auch wider die räubischen und mördischen Rotten der anderen Bauern“ angesehen werden kann,40 den Luther wahrscheinlich nach seiner Rückkehr nach Wittenberg am Abend des 6. Mai verfasste und der nunmehr dritten Auflage der „Ermahnung zum Frieden“ beigab, die vor dem 10. Mai im Druck erschien. Trotz der hier zur Entfaltung gebrachten Anti36 Vgl. Michael BEYER, Brief an die Fürsten zu Sachsen wider den aufrührischen Geist, in: LEPPIN/SCHNEIDER-LUDORFF (Hg.), Luther-Lexikon (wie Anm. 31), S. 120. 37 Siehe BLICKLE, Bauernkrieg (wie Anm. 33); eine Karte mit der Visualisierung der Daten bei SCHILLING, Martin Luther (wie Anm. 18), S. 306; Armin KOHNLE, Luther und die Bauern, in: Albrecht BEUTEL (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 32017, S. 165–169. – Die Abfolge der ermahnenden Schriften Luthers und seiner Publikationen zum Bauernkrieg sowie von Schriften Andreas Bodensteins aus Karlstadt und Philipp Melanchthons wird besonders deutlich in der bei CLAUS, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 16) wiedergegebenen Reihenfolge: Luthers Brief an die Fürsten zu Sachsen; Luthers Sendbrief an die Mühlhäuser; Luthers Ermahnung zum Frieden und Sonderdrucke Wider die räuberischen […] Rotten; Luthers Schreckliche Geschichte von Thomas Müntzer; Luthers Sendbrief von dem harten Büchlein; Andreas Bodenstein aus Karlstadt: Entschuldigung Dr. Andres Carlstads des falschen namens; Melanchthons Schrift Wider die Artikel der Bauernschaft; Melanchthons Histori Thomae Mützers. 38 Siehe Martin BRECHT, Der theologische Hintergrund der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525. Christoph Schappelers und Sebastian Lotzers Beitrag zum Bauernkrieg. (1974), in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, Bd. 1: Reformation, Stuttgart 1995, S. 311–347. 39 Vgl. BRECHT, Martin Luther (wie Anm. 19), S. 174, 178 f. 40 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Briefwechsel (im Folgenden: WA Br), Bd. 3, Weimar 1933, S. 479–482, Nr. 860.

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Bauern-Rhetorik, hielt Luther an seiner fortdauernden Bereitschaft zur Einigung zwischen den Konfliktparteien fest, was sein Nachdruck des Weingartener Vertrages vom 22. April 1525 mit Vorrede und anschließender Vermahnung nahelegt, der wohl auch Anfang Mai erschien.41 Die zeitliche Abfolge zeigt, dass Luthers publizistische Tätigkeit keinen Einfluss auf den Verlauf des Bauernkrieges insgesamt und auch kaum auf den Thüringer Aufstand gehabt haben kann. Denn die Schlacht bei Frankenhausen und Müntzers Gefangennahme fanden am 15. Mai 1525 statt. Luther wurde sofort wieder publizistisch tätig und veröffentlichte noch vor der Hinrichtung Müntzers am 27. Mai im fürstlichen Feldlager vor dem besetzten Mühlhausen „Eine schreckliche Geschichte und ein Gericht Gottes über Thomas Müntzer“, wovon elf Druckausgaben erschienen.42 Die Schrift ist eigentlich eine Quellensammlung von Briefen Müntzers an die Grafen von Mansfeld, die Luther als authentische Quellen abdruckte und mit Vor- und Nachwort versah. Mit ihr und Melanchthons „Histori Thomae Müntzers“ ist seitens der marxistischen Forschung die historische Verzeichnung Müntzers verbunden worden,43 die ihrerseits an einem positiven Müntzerbild interessiert war. Für Luther dürfte das mit Müntzers Ende verbundene Blutvergießen durch die legitime Obrigkeit eine Bestätigung des Aufruhrverbots und seiner fortgesetzten Ermahnungen gewesen sein, wobei er es gleichzeitig nicht unterließ, die Versäumnisse der Obrigkeit zu thematisieren.44 In einer Predigt am 2. Pfingsttag, dem 4. Juni 1525, erfolgte Luthers erste öffentliche Rechtfertigung seiner Anti-Bauern-Publizistik, die auf erschrockene Reaktionen selbst von engen Freunden – wahrscheinlich auf die Sonderdrucke des Nachtrags der „Ermahnung zum Frieden“ – zurückgehen dürfte, im April und Mai 1525.45 In der zweiten Hälfte des Juni verfasste er schließlich „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“, der im Juli 1525 in Wittenberg erschien und sechsmal nachgedruckt wurde.46 41 Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 134–139 (siehe oben Anm. 12 und 13); WA, Bd. 18 (wie Anm. 3), S. 336–343; Vorrede S. 336; Vermahnung S. 342 f. 42 BENZING/CLAUS, Lutherbibliographie, Bd. 1 (wie Anm. 15), S. 252 f., Nr. 2168–2177; Bd. 2 (wie Anm. 15), S. 170 f., Nr. 2168–2177a; alle Drucke 1525. 43 Siehe Max STEINMETZ, Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, Berlin 1971. 44 Vgl. dazu die sorgsam abwägenden Überlegungen bei BRECHT, Martin Luther (wie Anm. 19), S. 183 f. 45 Nachschrift durch Stephan Roth, in: WA, Bd. 17/I, Weimar 1907, S. 264–268. Siehe dazu die ausführliche Einleitung Hubert Kirchners zu „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“ in: Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 149 (vgl. die nachfolgende Anm. 46). 46 Siehe oben Anm. 28; Text: Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 148–169.

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4. Bemerkungen zu rhetorischer Struktur und theologischem Inhalt der „Vermahnung zum Frieden“ und ihres Zusatzes „Auch wider die räubischen und mördischen Rotten der andern Bauern“ Die Einleitung will deutlich machen, dass sich Luther in der Pflicht zur Belehrung der Bauern aus der Heiligen Schrift sieht, weil eine solche im zwölften ihrer Artikel in Aussicht gestellt werde. Auch sei er in der Memminger Bundesordnung als Gutachter benannt worden. Als Status seiner Belehrung benennt Luther eine „große sache“, die „beyde Gottes reich vnd der Welt Reich“ betrifft. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich das Hauptproblem, dem sich Luther gegenübersieht: die Vermischung eines innerweltlich gültigen göttlichen Rechts mit dem Evangelium der Freiheit des Christen. Ginge nämlich der Aufruhr weiter, stünden beide Reiche auf dem Spiel, und die Folge wäre „eine ewige verstoerung ganzts Deutschen landes“. Luthers Bemerkung, dass es „vonnoeten“ sei, frei von dieser Materie zu sprechen und beide Parteien ohne Ansehen der Person zu beraten, was mit dem Anspruch einhergeht, der Beratung zu folgen,47 leitet sich aus dem Anspruch des Predigers ab, im Notfall für das Gemeinwesen eine allgemeine Politikberatung zu geben. Dem entspricht dann auch die zunächst überraschende Gliederung der Schrift. Zuerst erfolgt nämlich eine hochpolemische Auseinandersetzung mit den Fürsten und Herren. Bei ihnen und insbesondere den geistlichen Herren, den Bischöfen und Ordensleuten, liege die Ursache für den Aufruhr. Denn die Predigt des Evangeliums wurde von ihnen solange behindert und damit das weltliche Regiment missbraucht, bis es der „gemeine Mann“ nicht mehr ertragen konnte. Nicht die Bauern seien es, die sich der Obrigkeit widersetzten, Gott selbst widersetzt sich ihnen durch die Bauern. Das Argument, Luther selbst habe das alles verschuldet, trifft die Sache nicht. Luther habe nie Aufruhr gepredigt. Der Teufel selbst bediene sich der Mordpropheten. Mit den Bauern sei seitens der Obrigkeit vernünftig umzugehen, auch wenn diese mit theologisch falschen Begründungen agieren. Denn die Obrigkeit sei für die Untertanen da.48 Der folgenden Ermahnung „An die Bawrschafft“ ist ein Rechtsunterricht vorausgeschickt: „Niemand soll sein eigener Richter sein.“49 Von hier aus kritisiert Luther die Selbstbezeichnung der Bauern als „christliche Vereinigung“ und 47 Vgl. ebd., S. 110, Z. 1–S. 111, Z. 27. 48 Vgl. ebd., S. 111, Z. 28–S. 115, Z. 17. 49 Dazu grundlegend Gottfried MARON, „Niemand soll sein eigener Richter sein“. Eine Bemerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg. (1975), in: DERS./Gerhard MÜLLER/ Gottfried SEEBAß (Hg.), Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung, Göttingen 1993, S. 66–80.

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ihre Voranstellung des Eigennutzes vor die christliche Liebe als Verstoß gegen das Zweite Gebot des Dekalogs. Dem entspricht der folgende Rechtsunterricht für Christen mit dem Tenor, dem Übel nicht zu widerstehen und Beispielen aus dem Leben Christi, und schließlich der Vorwurf, die Bauern stritten für sich selbst, Christen würden das nicht tun. Auch wenn alle Bauernartikel mit dem natürlichen Recht konform gingen, würde das christliche Recht, auf das sie sich berufen, dabei vergessen. Im Einzelnen werden die ersten drei Artikel besprochen und die folgenden neun in einem Abschnitt zusammengefasst. Dass Luther z. B. die Forderung der freien Pfarrerwahl anerkennt, leitet sich aus dem geistlichen Recht jedes Christen ab. Allerdings ergäbe sich daraus nicht die Inanspruchnahme des alten Kirchengutes als weltliches Gut, sondern die Verpflichtung, für die materielle Unterstützung der gewählten Pfarrer aus eigener Kraft zu sorgen.50 Am Ende von Luthers Schrift steht eine gemeinsame Ermahnung von Obrigkeit und Bauernschaft. Man müsse sich darüber klar sein, dass auf beiden Seiten nichts Christliches zu finden sei, sondern lediglich weltliche Ansprüche und weltliche Vorteile gesucht würden. Aber auf beiden Seiten wäre auch Kenntnis der Heiligen Schrift und Erfahrung, die es beide gelte einzusetzen und eine Einigung herbeizuführen. Ansonsten drohe – Luther nimmt hier den Anfangsgedanken auf – die Verelendung ganz Deutschlands.51 Der Zusatz „Auch wider die räubischen und mördischen Rotten der anderen Bauern“ beginnt mit der Bemerkung, dass sich gegenüber der „Ermahnung zum Frieden“ eine veränderte Lage ergeben habe, also eine Verschiebung des Status eingetreten sei. Eine Beratung zu den beiden Bereichen sei nicht mehr möglich, weil man es inzwischen mit einer „Erzteufelei“ zu tun habe, insbesondere mit dem „Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert“. Also müsse Luther nun auch auf andere Weise schreiben. Die folgende Argumentation bezieht sich zunächst auf drei Sünden der Bauern gegen Gott und Menschen. Erstens sei das der Bruch des Treueeides gegenüber der Obrigkeit. Zweitens sei Aufruhr an sich verwerflich. Und drittens würden diese Sünden mit dem Evangelium begründet. Die Gegenargumentation bezieht sich darauf, dass die Taufe nicht Leib und Gut frei mache, sondern die Seele. Durch das Evangelium würde die weltliche Ordnung nicht als beliebig deklariert. Hierauf folgt ein zweiter Argumentationsteil, wiederum ein Rechtsunterricht, der sich mit der Verpflichtung der Christen zu obrigkeitlichem Handeln als weltlichem Handeln beschäftigt. Ein vordergründig christliches Handeln kann es hier nicht geben. Eine Obrigkeit jedoch, die christlich gebunden ist, rückt in die Stelle eines Amtmannes Gottes. Nach dem nochmaligen Ersuchen, den Konflikt doch noch friedlich zu lösen, muss bei 50 Vgl. Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 115, Z. 19–S. 130, Z. 24. 51 Vgl. ebd., S. 130, Z. 25–S. 133, Z. 16.

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Misslingen der Bemühungen schnell zum Schwert gegriffen werden.52 Am Ende des Zusatzes wirbt Luther für Billigkeit gegenüber jenen Bauern, die durch andere zum Mitkämpfen gezwungen wurden. Diese Differenzierung ist für Luther so wichtig, dass er gegen die Verursacher des Zwangs seine schärfsten Worte findet. Man kann hier von einer Rhetorik der Dringlichkeit sprechen: Drumb lieben herren loset hie / rettet hie / helfft hie / Erbarmet euch der armen leute / Steche / schlahe / wurge / hie wer da kann / bleybstu druober tod / wol dyr / seliglichern tod kanstu nymer mehr vberkomen / Denn du stirbst ynn gehorsam goettlichs worts vnd befelhs Ro. Am 13. Vnd ym dienst der liebe deynen nehisten zurretten aus der hellen vnd teuffels banden. So bitte ich nu / flihe von den bawren wer da kann / alls vom teuffel selbs.53

5. Ungewollte Rechtfertigung – der „von dem harten Büchlein wider die Bauern“ Luther wurde nach der massenhaften Verbreitung von „Wider die reubischen und mördischen Rotten“ damit konfrontiert, dass enge Freunde wie etwa Nikolaus Hausmann in Zwickau Probleme mit seinen heftigen Worten und wohl auch mit seinen nicht unkomplizierten Begründungen hatten. Bereits in der Pfingstpredigt Anfang Juni argumentierte er u. a. gegen die Kritiker deutlich gereizt und entsprechend ausführlich mit dem Vergleich zwischen einem ganz normalen Mörder oder Räuber und öffentlichem Aufruhr, der die gesamte öffentliche Ordnung ins Chaos stürzt. Im „Sendbrief“ kehrt diese Argumentation wieder.54 Nur einige Beispiele aus dem Sendbrief seien hier noch genannt: Insbesondere dürfte Luther die Kritik empört haben, die seine TeufelsGeist-Argumentation gegen die Bauern, die Luther von Müntzers Vorstellung von der Vernichtung der Gottlosen beeinflusst sah, jetzt gegen ihn selbst kehrte: „Sie rufen und rühmen: Da, da sieht man des Luthers Geist, dass er Blutvergießen ohne alle Barmherzigkeit lehrt; der Teufel muss aus ihm reden.“55 Oder: „Lieber, die ihr nun so trefflich rühmt die Barmherzigkeit, weil [jetzt wo] die Bauern geschlagen werden, warum rühmtet ihr dieselbige auch nicht, da die Bauern tobten, schlugen, raubten, brannten und plünderten, dass schrecklich zu sehen und zu hören war? Warum waren sie nicht auch barmherzig [gegenüber] den Fürsten und Herren, die sie ganz vertilgen wollten?“56 Auch die eigene 52 53 54 55 56

Vgl. ebd., S. 145, Z. 32–S. 146, Z. 17. Ebd., S. 147, Z. 9–14. Siehe Anm. 45. Vgl. Luther-Studienausg., Bd. 3 (wie Anm. 12), S. 151, Z. 16 f. Vgl. ebd., S. 155, Z. 2–7.

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Erfahrung im thüringischen Aufstandsgebiet spielen in der Argumentation eine Rolle: „Die Thüringischen Bauern habe ich selbst erfahren, dass, je mehr man sie vermahnte und lehrte, je störriger, stolzer, toller wurden sie.“57 Die Kritiker sagen: Die Herren missbrauchen ihr Schwert und würgen ja zu grauenhaft usw. Ich antworte: Was geht das mein Büchlein an? Was legst du fremde Schuld auf mich? Missbrauchen sie die Gewalt, so haben sie das nicht von mir gelernt, sie werden ihren Teil wohl finden. Denn der oberste Richter, der die mutwilligen Bauern durch sie straft, hat ihrer nicht vergessen, sie werden ihm auch nicht entlaufen.58

Luthers Frage, was der Missbrauch der ordentlichen Gewalt sein Büchlein anginge, ist wie seine gesamte Diktion, die geradezu den Widerwillen atmet, dass er sich überhaupt rechtfertigen muss, auf das erste Hören gerade heute schwer zu ertragen. Denn er hatte überdeutlich zu unmittelbarer, gnadenloser Gewalt gegen die Aufständischen aufgerufen. Aber eben nicht zu deren Missbrauch. Was er mit der ihm eigenen rhetorischen Kunst intendierte, betraf die Dringlichkeit der Wiederherstellung der Ordnung. Aber man kann ihm sehr wohl gerade den Einsatz solcher Rhetorik anlasten, weil sie unangemessen war in Bezug auf die Adressaten. Diese waren keine Teilnehmer an einem universitären Wortkampf, sondern in der Mehrzahl nicht gerade hochgebildete Menschen auf der Seite der öffentlichen Ordnung. Das mögen Luthers Freunde gespürt haben. Den ihm feindlich gesinnten Kritikern spielte er argumentativ in die Hände. Ihnen war es ohnehin um die Bloßstellung des in ihren Augen ursprünglichen Aufrührers und Erzketzers gegangen. Luthers Bauernkriegsschriften sind im Zusammenhang seiner Bemühungen um das richtige Verstehen seiner reformatorischen Ansätze und der Einhegung der sich frühzeitig abzeichnenden Differenzierungen im reformatorischen Lager zu verstehen. Dass sie in den kontroverstheologischen Auseinandersetzungen jener Jahre eine bedeutende Rolle spielten, kann man aus altgläubiger Perspektive ebenfalls nachvollziehen. In den alten Ausgaben seiner Werke wurde dem großenteils Rechnung getragen. Ihre Rezeption seit dem 19. Jahrhundert war stark ideologisch geprägt und hat sich davon mehr oder weniger belastet bis in das Reformationsjubiläum von 2017 fortgesetzt.

57 Vgl. ebd., S. 159, Z. 5–7. 58 Vgl. ebd., S. 161, Z. 8–13.

ANTJE SCHLOMS NACH DEM ENDE THOMAS MÜNTZERS – ABRECHNUNG (MIT) EINER STADT

Nach dem Ende Thomas Müntzers – Abrechnung (mit) einer Stadt Nach der niederschmetternden Schlacht bei Frankenhausen hatte sich die Reichsstadt Mühlhausen am 25. Mai 1525 kampflos den Truppen des Landgrafen von Hessen, des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg sowie des Kurfürsten und des Herzogs von Sachsen ergeben müssen. Damit begannen zugleich die politischen Aufräumarbeiten und die Abrechnung mit und in einer Stadt. Zunächst entledigte man sich der Haupträdelsführer. Schon zwei Tage nach der Besetzung, am 27. Mai 1525, wurden sowohl Thomas Müntzer als auch Heinrich Pfeiffer zum Tode verurteilt und vor den Toren Mühlhausens hingerichtet. Zur Abschreckung und Warnung wurden ihre Körper aufgespießt und zur Schau gestellt. Neben Müntzer und Pfeiffer ließen weitere 50 Anhänger ihr Leben. Andere wiederum büßten ihr Vermögen ein oder wurden zu Strafzahlungen veranlasst. Sämtliche Einwohner der Stadt wurden mit einem Bußgeld von zehn Gulden belegt und die gesamte Stadt hatte ein Strafgeld von 40.000 Gulden aufzubringen. Soweit die bekannte Geschichte, wie sie auch Hans-Jürgen Goertz in seiner Müntzer-Biographie zusammenfasst.1

1. Das „Liber confiscationum“ In dieser Phase der Wiederherstellung der Ordnung entstand in der Stadtverwaltung Mühlhausen einiges diesbezügliches Schriftgut. Manches davon befindet sich in dem Bestand der Religionsangelegenheiten, einiges in Korrespondenzen und Missiven, in Urfehdebüchern und Protokollbänden, das meiste allerdings wurde gebündelt in dem Bestand „10/K 3 – Bauernkrieg“. Von diesem soll im vorliegenden Text eine Akte näher vorgestellt werden. Der ausführliche Titel lautet: „Acta betreffend die Güter der im Aufruhr verwickelten und deren Verkauf 1526 fortfolgende (Liber confiscationum).“ Die Akte ist die erste Nummer des Bestandes „10/K 3 – Bauernkrieg“, beginnt tatsächlich bereits ein Jahr zuvor im Jahr 1525 und enthält Einträge bis wenigstens

1

Vgl. Hans-Jürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten, München 2015, S. 214–216.

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1546. Seit 2016 ist der gesamte Bestand „Bauernkrieg“ vollständig neu verzeichnet, sicherungsverfilmt und digitalisiert.

Abb. 1: Erstes Blatt des „Liber confiscationum“

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Der hier zu besprechende Folioband wurde vermutlich im 19. Jahrhundert mit einem stabilen Einband versehen und enthält nach neuer Zählung 207 Blatt. Es gibt keine einheitliche Handschrift, vielmehr sind anscheinend einzelne Listen vor der Verzeichnung der Güter einzelner Personen vorbereitet worden, die im Verlauf der Inventarisierung von unterschiedlichen Bearbeitern ausgefüllt worden sind. Auffallend ist eine Verschmutzung der Anfangs- und Endblätter der jeweiligen Liste. Dies lässt vermuten, dass jemand mit einer Lage Papier längere Zeit unterwegs war, bevor sie dann zu einem späteren Zeitpunkt in der Akte zusammengebunden wurden. Insbesondere die erste Hälfte der Akte folgt einer Systematik. Dabei befindet sich jeweils unter einem Titel eine Personenliste der dann im Folgenden vermerkten Güterauflistungen. Es gibt insgesamt fünf solcher systematischen, vorbereiteten Listen mit vorstehendem Namensverzeichnis zwischen fol. 1 und 105 sowie fol. 132 und 173. Dazwischen und vor allem danach bis zum Ende der Akte folgen die Einträge keiner systematischen Aufnahme mehr, sondern bündeln durch verschiedene Schreiber fortlaufend die Auflistung der Güterinventare und Konfiskationen einzelner Personen. Zum Teil sind auch kleinformatigere Zettel dazwischen gelegt. Nur auf diesen unsortierten Seiten finden sich auch Ergänzungen und Durchstreichungen. Ansonsten scheint es sich im vorderen Teil um Reinschriften zu handeln.

Abb. 2: Wasserzeichen im „Liber confiscationum“ (grafisch bearbeitet durch A. Schloms)

Die bei der Papierherstellung verwendeten Wasserzeichen verteilen sich gleichmäßig auf das gesamte Aktenstück. Es lassen sich insgesamt vier Symbole unterscheiden: Am häufigsten findet sich ein Ochsenkopf unter einem Äskulapstab, gefolgt von einer schlanken Krone und zwei weniger häufigen Zeichen in den zeitlich späteren Papieren: eine breite Krone und das Mühlhäuser Stadt-

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wappen. Ein Vergleich mit dem sicher zwischen 1501 bis 15372 entstandenen Notulbuch und den zeitgleich entstandenen Copialbüchern der Jahre 1525 bis 15313 weist exakt identische Wasserzeichen auf und bestätigt somit den zeitgenössischen Entstehungszeitpunkt der hier zu besprechenden Akte in den Jahren 1525 bis 1537. Allein diese äußere Beschreibung hat deutlich gemacht, dass es einige Entstehungsumstände genauer zu analysieren gilt. Warum verzeichnete man die Güter genau dieser Personen? Wer waren sie und in welchem Zusammenhang standen sie zu den Aufständen während des Bauernkrieges? Wie sind die Inventare in diesem Konfiskationsbuch zu deuten? Wurden die Güter am Ende tatsächlich konfisziert, wenn ja, von wem und warum? Wie ging die Stadt demnach mit Anhängern Müntzers und Pfeiffers sowie Aufrührern um? Welche Informationen kann uns das „Liber confiscationum“ in diesem Zusammenhang liefern?

2. Die Abrechnung mit einer Stadt Für die Mühlhäuser Bürger und für Mühlhausen selbst war das Ende Thomas Müntzers zugleich das vorläufige Ende der Reichsfreiheit und der Beginn einer langjährigen finanziellen Belastung sowie einer politischen Umbruchphase, in der die Stadtoberen mit der Wiederherstellung ihres guten Rufes als kaisertreue Stadt und der Wiedererlangung des Reichsstadtstatus’ rangen.4 Durch gleich nach 1525 getroffene finanzielle Vergleiche zwischen der Stadt Mühlhausen und den sächsischen Fürsten, dem Landgrafen von Hessen und dem Eichsfelder Adel hatte Mühlhausen zudem in den Augen weiterer Bauernkriegsgeschädigter indirekt seine Schuld an den Zerstörungen wie etwa auf dem Eichsfeld eingestanden.5 Das veranlasste nun weitere Geschädigte, Geld- und Ersatzforderungen an die Stadt Mühlhausen zu richten. So forderte beispielsweise auch der Mainzer Kurfürst gemeinsam mit den Klöstern Reifenstein, Worbis, Beuren und Teistungenburg in einem Prozess gegen die Stadt Mühlhausen vor dem Reichsgericht in Wetzlar die Zahlung von Schadenersatz für die während des Bauernkrieges an den Burgen Scharfenstein und Harburg und den genannten Klöstern angerichteten Schäden.6 2 3 4

5 6

Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/X 1–8, Nr. 8, etwa fol. 236 oder 351. Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/W 1–8, Nr. 11 und 12. Vgl. etwa die Kernaussage bei Ludwig ROMMEL, Die Mainzer Prozessakten von 1543 und ihr Aussagewert für die Forschung zum Bauernkrieg auf dem Eichsfeld, in: Eichsfelder Heimathefte 20 (1980), H. 4, S. 301–320, hier S. 301–305. Vgl. ebd., S. 305. Vgl. ebd., S. 302.

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Neben diesen äußeren Verbindlichkeiten galt es auch innerhalb der Stadt und innerhalb der Müntzeranhängerschaft aufzuräumen und abzurechnen. Wie bereits erwähnt, hatte Mühlhausen an den Folgen des Aufstandes schwer zu tragen. Faktisch blieb sie zwar Reichsstadt, wurde aber unter die Aufsicht der drei siegreichen Fürsten gestellt, welche abwechselnd je ein Jahr das Regiment innehatten. Dies bedeutete zunächst die Neu- bzw. Wiedereinsetzung des alten Rates und vor allem die Rückkehr zur katholischen Glaubenslehre.7 Am 25. Mai 1525 hatten Gesandte des zuvor tätigen Ewigen Rates den Fürsten die Stadtschlüssel übergeben und am 29. Mai wurde derjenige Sühnebrief besiegelt, mit dem sich Rat und Gemeinde schuldig bekannten, den Landfrieden gebrochen zu haben. Darin war festgelegt worden, wie die verursachten Schäden ausgeglichen und die Stadt künftig verwaltet werden sollte. „Die Stadtmauern sollten geschleift, die Waffen abgeliefert und 40.000 Gulden Strafgeld (davon 10.000 Gulden sofort) gezahlt werden.“8 Man setzte den alten Rat und auch die beiden zuvor entwichenen alten Bürgermeister Sebastian Rodemann und Johann Wettich wieder ein, entzog diesem Gremium aber zugleich alle Freiheiten und Privilegien. Den Bürgern der Stadt wurde in der Marienkirche der Sühnebrief öffentlich vorgelesen und ein Eid vor den Fürsten geschworen. Fünfzig Aufständische wurden sofort und weitere vier Wochen später hingerichtet, andere mit Frau und Kindern aus der Stadt gewiesen.9

3. Die Abrechnung einer Stadt Generell kann man festhalten, dass im Nachgang des verlorenen Bauernkrieges die ehemaligen Mitstreiter Thomas Müntzers einer harten Verfolgung ausgesetzt waren. Mit dem Tod bestrafte man neben den führenden Kräften des Aufstandes besonders diejenigen, die versuchten, den Kampf nach der Niederlage bei Frankenhausen fortzuführen. Zahlreiche Personen mussten aus Mühlhausen fliehen bzw. wurden inhaftiert. Von den entflohenen Anhängern Müntzers gelang es nur wenigen, später wieder nach Mühlhausen zurückzukehren.10 Malte Hohn konnte in seiner Dissertation über die rechtlichen Folgen des Bauernkrieges nachweisen, welche Bestrafungsmethoden auch andernorts für 7

Vgl. Heinrich NEBELSIECK, Mühlhausen, in: Emil SEHLING (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Leipzig 1904, S. 381–394, hier S. 383. 8 Siegfried BRÄUER/Günter VOGLER, Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt: eine Biographie, Gütersloh 2016, S. 379. 9 Vgl. ebd. 10 Eckhart LEISERING, Die Anhänger Thomas Müntzers in Mühlhausen: soziale Zusammensetzung und politische Aktivitäten, in: Mühlhäuser Beiträge 13 (1990), S. 44–53, hier S. 50.

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Beteiligte der reichsweiten Bauernaufstände üblich waren. So wurde die Todesstrafe am häufigsten in Form von Enthauptungen – einer milderen Todesart ohne Ehrverlust für das Opfer – vollstreckt. Nur „in Fällen von besonders großer Schuld konnten die Todesstrafen noch verschärft werden, etwa indem die Köpfe der Hingerichteten nach dem Enthaupten […] auf Stangen gespießt wurden. Dies sollte neben einer Strafschärfung auch die Abschreckung erhöhen.“11 Auch Müntzers und Pfeiffers Überreste wurden vor den Toren der Stadt zur Abschreckung auf Pfählen aufgespießt aufgestellt.12 Neben der Todesstrafe waren es vor allem die Ehrenstrafen, Verbannungsstrafen und die fiskalischen Strafen, die nach dem Bauernkrieg zur Ausführung kamen. Die Verbannung zielte dabei auf die Eingrenzung der Freizügigkeit der Betroffenen. Sie war dabei flexibel lange und in Kombination mit weiteren Strafen anwendbar. Sie führte durch Schutzverlust und Versorgungsmangel nicht selten ebenfalls zum Tod des Verbannten. Sie war eine der häufig verhängten Strafen nach dem Bauernkrieg. Unter ökonomischen Gesichtspunkten war es für die verbannende Gemeinde gleichgültig, ob man die Täter hinrichtete oder lebenslang verstieß. Die Verbannung als Zwangsmittel konnte außerdem selbst dann angewendet werden, wenn der Betreffende bereits geflohen war. Sie wurden aufgefordert, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzukehren, sonst würde man ihre Familien ebenfalls verbannen oder ihre Güter konfiszieren.13 Weshalb die vorzustellende Akte im Stadtarchiv Mühlhausen wohl auch Güter verzeichnete, deren Besitzer zum Erfassungszeitraum noch auf der Flucht waren, wie etwa im Fall des noch näher vorzustellenden Ludwig Koler. Die Verbannung stellte also auch für Nichtanwesende ein mögliches Straf- und Zwangsmittel mit sofortiger Wirkung dar. Dies gilt auch für die Vermögenskonfiskation.14 Sie steht gleichsam neben anderen Formen von Geldstrafen, wie etwa der Auferlegung einer Zahlung von 10 Gulden durch jeden Mühlhäuser Einwohner.15 Die Sicherstellung des Vermögens hat man vor allem bei Entflohenen vorgenommen. So gibt es beispielsweise eine vergleichbare Akte in Stuttgart vom 27. Juni 1525, in der sämtliche Güter aller Ausgetretenen inventarisiert und konfisziert wurden. Ähnlich wie bei der Verbannung galt es auch bei der Vermögenskonfiskation die Finanzinteressen Dritter zu berücksichtigen. Dies gilt nicht nur für Schadensersatzleistungen, sondern auch für die Güter der eventuell unschuldigen Ehefrau des

11 Malte HOHN, Die rechtlichen Folgen des Bauernkrieges von 1525: Sanktionen, Ersatzleistungen und Normsetzungen nach dem Aufstand, Berlin 2004, S. 40. 12 Vgl. BRÄUER/VOGLER, Thomas Müntzer (wie Anm. 8), S. 380. 13 Vgl. HOHN, Die rechtlichen Folgen (wie Anm. 11), S. 42–44. 14 Vgl. ebd., S. 44. 15 Vgl. GOERTZ, Thomas Müntzer (wie Anm. 1), S. 214.

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jeweiligen Delinquenten. Gerade deshalb sei der Gewinn für die Stadt nicht zu überschätzen, so Malte Hohn.16 Diese Umstände führen nun zurück zu der vorgestellten Quelle. Dieses Verzeichnis über Güterkonfiskationen ist in genau jenen Strafkanon für die Aufständischen einzuordnen. Das „Liber confiscationum“ macht durch seine Entstehungszeit, unmittelbar nach dem Ende der Aufstandsbewegung, und seinen Ursprung innerhalb der städtischen Verwaltung deutlich, wen die Ratsoligarchie als Aufständischen empfand. Betrachtet man Verhörbücher oder Zeugenlisten, erfasst man damit lediglich Augenzeugen. Abstimmungslisten oder Mitgliederlisten des Ewigen Rates bedeuten nicht zugleich, es mit Gegnern der Ratsoligarchie oder radikalen Reformanhängern zu tun zu haben, schließlich waren einige Mitglieder des Alten Rates auch Teil des Ewigen Rates. Das „Liber confiscationum“ rückt jedoch genau diejenigen Personen ins Zentrum, denen eine Schuld an den zwischen 1523 und 1525 stattgefundenen Ereignissen auferlegt wird. Personen, die nicht nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren, oder aus Angst einer Bewegung gefolgt waren. Das „Liber confiscationum“ verzeichnet diejenigen, denen der wiedereingesetzte Rat bewusst die Existenzgrundlage durch Besitzwegnahme zu entziehen gedachte oder deren bereits erfolgte Flucht man durch die Androhung der Konfiskation zu beenden hoffte, wenngleich nicht ganz klar ist, ob das Vermögen am Ende tatsächlich eingezogen oder lediglich verzeichnet wurde.17 Dennoch ist es lohnenswert, dieses Aktenstück aus seinem Dasein als Ergänzungsquelle herauszuheben und für sich genommen zu betrachten. Im Folgenden werden zwei Herangehensweisen vorgestellt, die mit der Akte an sich verfahren und sie in den Mittelpunkt statt nur an den Rand möglicher Forschungsfragen stellt.

4. Fallbeispiel 1 Die in der Akte aufgeführten Namenslisten zeugen von einer zügigen und systematischen Vorgehensweise bei der Bestrafung der Anhänger Müntzers und Pfeiffers sowie der am Aufruhr beteiligten Personen. Es wird zunächst nur ein intensiverer Blick auf die erste Liste von fol. 2 bis fol. 26 geworfen. Diese beginnt laut Überschrift „Im Jahre nach Christi unsers Seligmechers Geburt thausendfunffhundert unnd funffunzwentzigk uff dinstags nach viti martiris 16 Vgl. HOHN, Die rechtlichen Folgen (wie Anm. 11), S. 62–66. 17 Malte Hohn weist im Falle des Amtes Ebern darauf hin, dass letztendlich kaum ein Vermögen tatsächlich eingezogen wurde, entweder weil die Güter der Frau gehörten, man strafmildernde Umstände erfasste oder der Besitzer so arm war, dass man sogar Schulden konfisziert hätte. Ebd., S. 64 f.

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[20. Juni 1525] zcu mulhausen inkegenwertigkeyt der ersamen Burger und Ratsfreunde Er. Heinrich Froß und Er. Heinrich Selman sint disser hernachfolgen Burger gutter beschreben und inventirt wy hirnachfolget“.18 Beide Ratsherren, der Bäcker Heinrich Froß und Heinrich Sellmann, waren nach dem Misserfolg des Ewigen Rates als Teil des neuen Rates alter Ordnung durch die Fürsten am 29. Mai 1525 bestätigt worden.19 Die Namen der von diesen beiden Ratsmitgliedern erstellten ersten Liste (siehe Abb. 1) konnten aufgrund bisheriger vor allem sozio-ökonomischer Forschungen etwa von Dietrich Lösche, Gerhard Günther, Eckhard Leisering, Thomas T. Müller und weiterer Quellen des Stadtarchivs Mühlhausen folgenden Personengruppen zugeordnet werden:

Abb. 3: Zugehörigkeit zu bauernkriegsrelevanten Personengruppen innerhalb der ersten Konfiskationsliste (Grafik: A. Schloms)

18 StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 2. 19 Vgl. Ernst BRINKMANN, Mühlhausens Bürgermeister und Ratsherren von 1525–1802: ein Beitrag zur Mühlhäuser Verfassungs-, Verwaltungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Personengeschichte, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 28 (1927/28), S. 252–279, hier S. 262 u. 275.

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Tab.: Übersicht der am Aufruhr beteiligten Personen Name laut Liste 1. Hentze lynweber alias Schuchart 2. Barthel Ollutther 3.

Curdt Kystemecher

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Hermann Gera Peter Funcke Claus Hoyger Daniel Beyer Hans Spoen Claus Fulstich Volkmar Moeller Hans Kula Jacoff Naglschmedt alias Konig Hans Koenigk Hans Reynhardt Hans Schalbe Hans Topffer Rittze Roellandt Hans Becke Hans Rentzel

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

20. Ludewygk Koeler 21. Heynrich Ludewigk 22. Claus Krutther 23. Hans Hoeffeman 24. Heinrich Harthleyb 25. Andreas Thoffenhardt 26. Cristoffel Peter 27. Hans Reger 28. Vitt Blumenrodt 29. Hans Schrotter 30. Hans Rothwordt 31. Hans Sander 32. Hans Lynse

Reinform des Namens Schuster = Schuchart, Heinrich (hingerichtet) Olutter, Bartel (hingerichtet) Kistenmecher, Cuntz (hingerichet) Gera, Hermann (hingerichtet) Fungke, Peter Hoyger, Claus (hingerichtet) Beyer, Daniel (hingerichtet) Spon, Hans (hingerichtet) Fulstich, Claus (hingerichtet) Müller, Volckmar Kula, Hans Nagelschmidt, Jacob = König, Jacob Konigk, Hans Reinhart, Hans Schalbe, Hans Töpfer, Hans (Treffurt) Roelandt, Ritze Becke, Hans (entflohen) Rentzel, Hans Koler, Ludwig (entflohen, Treffurt) Ludewig, Heinrich (entflohen, Treffurt) Kreutter, Claus (entflohen, Treffurt) Hofemann, Hans Hartleb, Heinrich (entflohen)

Zugehörigkeit EBG Geschosszahler AM Geschosszahler Geschosszahler AM, ER ER AM, Anhänger EBG EBG EBG Geschosszahler Geschosszahler EBG AM, EBG EBG Geschosszahler EBG AM, ER AM Geschosszahler AM

Thoffenhardt, Andreas Peter, Christoffel Reger, Hans Blumrodt, Veit Schrotter, Hans Rotwart, Hans Sander d. Ä., Hans Linse, Hans

EBG EBG EBG Geschosszahler EBG

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268 33. und 35. Georg Schmit20/Gorge Schmedt 34. und 36. Hermann Tattenrodt21

Schmit, Georg (entflohen) Tatenrot, Hermann

Geschosszahler

Von insgesamt 34 Personen gehörten zwölf zu der von Syndikus Dr. Johann von Otthera nach dem Ende des Bauernaufstandes verzeichneten Namensliste des Ewigen Bund Gottes.22 Sieben Personen waren ehemals Achtmänner nach dem Rezess von 1523, zwei davon außerdem 1524 bis 1525 Mitglieder des Ewigen Rates.23 Mit einer weiteren Person sind insgesamt drei Mitglieder des Ewigen Rates verzeichnet. Bei 14 Personen können keine genauen Angaben gemacht werden, jedoch sind neun davon durch ihre Steuerzahlungen als Bürger der Stadt identifizierbar.24 Dass zumindest einige dieser Personen tatsächlich als schuldig erachtet wurden, zeigt deren weiterer Lebensweg bzw. deren Abwesenheit in der Stadt zum Zeitpunkt der Güterverzeichnung. Der vorhin genannte Ludwig Koler etwa findet sich als Mitglied des Ewigen Bund Gottes und war gleich nach der Niederlage in Frankenhausen nach Erfurt geflohen.25 Er war Teil der im Winter 1525/1526 angezettelten Federwischverschwörung, bei der man unter Leitung von Caspar Federwisch Mühlhausen zu stürmen und den Rat zu überfallen gedachte. Der geplante Aufstand konnte jedoch frühzeitig vereitelt werden. Dessen Teilnehmer wurden verhört und festgesetzt.26 Ludwig Koler musste mit sieben weiteren Aufständischen 1528 im Treffurter Sühnevertrag auf sein gesamtes Vermögen verzichten, sein Haus verkaufen und samt seiner Familie das

20 Ist in der Namenliste doppelt, nicht aber in der Inventarliste. 21 Ist in der Namenliste doppelt, nicht aber in der Inventarliste. 22 Auswertung nach Eckhart LEISERING, Die Mitglieder des Ewigen Bundes Gottes in Mühlhausen, in: Mühlhäuser Beiträge 11 (1988), S. 5–18. 23 Auswertung nach Dietrich LÖSCHE, Achtmänner, Ewiger Bund Gottes und Ewiger Rat. Zur Geschichte der revolutionären Bewegung in Mühlhausen i. Th. 1523 bis 1525, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1 (1960), S. 135–162. 24 Auswertung nach Ernst BRINKMANN, Die Liste der Mühlhäuser Stadt- und Dorfbewohner von 1524, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 38/39 (1940), S. 320–342, hier S. 331. 25 Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 17. 26 Vgl. Caspar Federwisch und die entwichenen Bürger 1526, in: Reinhard JORDAN, Zur Geschichte der Stadt Mühlhausen, Heft 2, Mühlhausen 1902, S. 42–48; außerdem Gerhard GÜNTHER, Flucht, Vertreibung, Verfolgung und Gegenreaktionen, in: Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 397– 415, hier S. 408–410.

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Mühlhäuser Territorium auf ewige Zeit verlassen.27 Deutlich zeigt sich hier die Funktion der Vermögenskonfiskation zunächst als Druckmittel gegen den Flüchtigen und anschließend in Kombination mit der Strafe der Verbannung als Befriedung und Schadenersatz für Mühlhausen.

Abb. 4: Abschrift des Treffurter Vergleichs im „Liber confiscationum“ 27 Vgl. Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, Bd. II, unter Mitarbeit von Günther FRANZ hg. von Walther Peter FUCHS, Jena 1942, S. 862, Nr. 2071 u. S. 900, Nr. 2107; vgl. auch LEISERING, Die Mitglieder (wie Anm. 22), S. 17.

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Neben dem in der Konfiskationsakte genannten Ludwig Koler waren außerdem fünf weitere Personen flüchtig, acht wurden im Verlauf des Jahres 1525 hingerichtet und drei weitere verglichen sich ähnlich wie Ludwig Koler im Treffurter Sühnevertrag mit der Stadt Mühlhausen. Auf fol. 84 bis 85 findet sich dann auch tatsächlich der Rezess zu Treffurt aus dem Jahr 1528 in Abschrift. Dieser jetzt schon mehrfach genannte Treffurter Vergleich wurde unter Führung der drei regierenden Fürsten zwischen dem Mühlhäuser Rat und den seit 1525 flüchtigen Mühlhäuser Bürgern in Treffurt geschlossen, da diese zuvor immer wieder in Einzelsuppliken um die Rückkehr nach Mühlhausen gebeten hatten. In diesem Vergleich büßten viele von ihnen wenigstens die Hälfte ihres Besitzes ein, manche auch mehr. Viele mussten außerdem auf ewig mit ihren Familien das Mühlhäuser Territorium verlassen.28 Nach dieser Abschrift des Treffurter Vertrages finden sich in der Akte weniger reine Inventarlisten, stattdessen im Nachgang des Vergleichs entstandene Ergebnislisten. Wendungen, wie „Hans Gutwassers Frau hat sich mit meinem Herrn um misshandlung ihres mannes nach Laut und Inhalt des aufgerichteten recesses zu Dreffurt entschuldigt und vertraglich wie folget [geeinigt]“, finden sich häufig.29 Diesen Äußerungen beigestellt ist oft eine Datumsangabe, so dass man den Weg der Konfiszierung und damit der finalen Aufräumarbeiten zumindest zeitlich verfolgen könnte: „Sanct Pauli Anno 31 [29. Juni 1531], Reminiscere Anno 33 [9. März 1533], Auff Freitag nach Misericordias Anno 35 [16. April 1535] oder Am Tage Nicolai Anno 46 [6. Dezember 1546].“ Deutlich wird dabei, dass sich die einzelnen Vermögensauflösungen, Besitzübertragungen und Schuldenbegleichungen teilweise bis weit in die 1540er Jahre hinziehen. Nicht umsonst wurde die Laufzeit der Akte bis 1546 angesetzt, was bei genauerer Durchsicht wohl noch weiter nach oben korrigiert werden muss. Die lange Laufzeit dieser Akte verdeutlicht außerdem, was bereits Siegfried Bräuer und Günter Vogler feststellen konnten, dass nämlich die Verfolgung und Bestrafung von Teilnehmern an den Aufständen eine sehr lange Zeit anhielt. Man erhoffte sich dabei eine kontinuierliche Befriedung des Landes. Denn Fürsten und Herren waren noch über Jahre besorgt, dass die Aufstände erneut aufleben könnten.30 So wie dies 1525 durch Claus Fulstich und 1526 durch Caspar Federwisch geplant gewesen war. 28 Vgl. LEISERING, Die Mitglieder (wie Anm. 22), S. 7. Die Vorarbeit für diesen Vergleich findet sich ebenfalls in dem Bestand 10/K 3, Nr. 4 unter dem Namen „Cantica Canticorum“ und listet durch die Zusammenarbeit des aktiven Rates mit den beiden ruhenden Räten die vorgeworfenen Verbrechen zu 52 Personen auf, die man auch zu Rate zog, als einige der Ausgewiesenen 1543 nochmals um Rückkehr in die Stadt baten. Vgl. GÜNTHER, Flucht (wie Anm. 26), S. 411 f. 29 StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 148. 30 Vgl. BRÄUER/VOGLER, Thomas Müntzer (wie Anm. 8), S. 384.

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5. Fallbeispiel 2 Jenseits von Geschossbüchern und Katastern, die lediglich summarisch die mobilen und immobilen Güter und die entsprechende Steuersumme von besitzenden Bürgern der Stadt erfassen,31 gibt das „Liber confiscationum“ einen detaillierten Einblick in darüber hinausgehende Besitzverhältnisse der Jahre 1525 bis 1546. Verbindet doch die darin aufgelisteten Menschen nicht ihr Besitz und damit die Pflicht zur Geschoss- respektive Steuerzahlung, sondern ihre Beteiligung an den städtischen Aufständen, den kriegerischen Auseinandersetzungen, den Bilderstürmen in Klöstern und Kirchen und ihre Anhängerschaft an die Lehren Müntzers und Pfeiffers. Eine Gemeinsamkeit, die über einen etwaigen Besitz und damit einen Vermerk im Kataster hinausgeht. Im Folgenden soll deshalb einer der ersten Einträge genauer vorgestellt werden, zumal Manfred Bensing von besagter Person behauptet, sie hätte Müntzers Bücherei besessen.32 Es handelt sich um Hans Schalbe, laut Geschossregister von 1524 wohnhaft in der unteren Wahlstraße,33 heutige Jüdenstraße, vermutlich Barbier, der 1 Geschossmark Steuern zu entrichten hatte.34 Das „Liber confiscationum“ verzeichnet seinen Besitz wie folgt: In domo Hans Schalben unnd Apel Sthoels ii bellyge, i geschrott, i waschstutz, i thun, i / [wertz]trogk aber i geschrott, iii molden ii gelten / I kessel i wasser eymer, i ziy karen, i winkaste / ii koln stebe, i hol[ringe], i span segen i drebes / […] i block kaste, schlyff stheyn / Item eyne wage mit ix stucken angewichte / Item v newe buchssen [koer ] iii zerbrochen schaffen / i zerbrochen topffen i dree banck i gros [zin] / topff, i [reusche] hawe i win kaste ane sthel /i alt schangk Item obenoffe i schangk / ii tegel unnd ii schaffen i gros topffen, i schussel / korb mit holzern schusseln ii [gessern] brotspysse / Item oben in der [dornzirn] i zweifarbig tisch ii bencke / i fedder betthe iii pfol iii hauptkussen, i dreyfertels / kan, ii fertels [rind]kan iii noessel kan […] stobeckens / kan i spuntpflasche, i missunges luchter mit iiii / koern, iiii cleyn myssings luchter i handtzweln / i tischtuch i […] blaw sthubenrogk ii sthule unnd / i kissen, i newe testament deutzsch ingebunden, / deutzsch kirchen Ampt, das leben Jesu christi / und die xxiiii alden zu eynem buche, Aureum / opus de veritate contricionis ingebunden i alt / geschreben buch35 Item uff der schlaff lowen i sponden bette dorinne / ii fedder betthe ii kolther i kindes betthe dorinne / i […]decke, i schleyer lauben, Rationale / divinorum i fedder betthe Item aber i schleyer / laden Item i beschlossen kaste, ii fedder / pfunste un i sthulkussen 31 Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/Auf N Geschoßbücher und 10/EE Kataster. 32 Vgl. Manfred BENSING, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525, Berlin 1966, S. 258. 33 Vgl. StadtA Mühlhausen, 10/Auf N, Nr. 10, fol. 12v. 34 Vgl. ebd.; LEISERING, Die Mitglieder (wie Anm. 22), S. 13. 35 Hervorhebungen durch die Autorin.

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i cleyn fedder betthe / Item i block kiste wol werg gezeug als hoebel / [bieror] schnittmesser lotthe kulben segen Ed / i bolzen laden i schnitte bangk i hobel bang i fuge / hoebel, i alt [bu]rspel // Item oben in der kamern i alt spondenbette un i alde kisten / Item in der Schloff kamer i kisten dorinne / i par lillachen i tischtuch i hantzweln, i frowen ketthel / i schleyer i sthulkussen i lybpeltz unnd i schortze fel / Item vii buchsen boerer Item i win fas36

Abb. 5: Eintrag zu Hans Schalbe im „Liber confiscationum“ Fasst man diese Angaben zusammen, lässt sich feststellen, dass zunächst Hans Schalbe und Apel Stoels gemeinsam ein Haus bewohnten und wenigstens einer von beiden verheiratet und Vater von wenigsten einem Kind war. Das mag entweder bedeuten, dass er noch jung verehelicht war, die hohe Kindersterblichkeit schuld war oder andere Kinder schon aus dem Haus waren. Über Schalbes Alter ließ sich indes nichts ermitteln. Bei den vorgefundenen Werkzeugen wie Hobel, Sägen, Bohrer einerseits und andererseits einem Schleifstein, einer Drehbank, Töpfen und Tiegeln kann die Einordnung als Barbier, die Eckhart 36 StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 13v–14r.

NACH DEM ENDE THOMAS MÜNTZERS – ABRECHNUNG (MIT) EINER STADT

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Leisering anhand des Kopialbuchs von 1525 vorgenommen hat, angezweifelt werden. Stattdessen kann man beide eher dem Töpfer- oder Holzhandwerk zuordnen. Auffällig ist, dass die Einrichtung sehr schlicht war, wenn sich in der Auflistung nur zwei Tischtücher und überhaupt keine Leinentücher finden lassen, jeweils nur ein Topf, und wenige Schüsseln vorhanden sind. Im Vergleich dazu sei nur ein kurzer Blick auf den ebenfalls zu dieser ersten Liste gehörigen Hans Hofemann geworfen, der mit 79 Geschossmark zu den fünf reichsten Personen dieser Liste gehörte und am Steinweg wohnte.37 In seinem Inventar finden sich mehrere Tische, Stühle, Bänke, Pfannen, Schüsseln, Töpfe – vor allem unzerbrochene – und zahlreiche Stoffe, Kleidungsstücke, Kästen und Kisten mit Getreide und Lebensmitteln wie Butter, Speck, Milch aber auch Bargeld in Form von Schneeberger Groschen.38 Allerdings sticht der wohl wesentlich ärmere Hans Schalbe durch die im Inventar genannten Bücher hervor: ein neues Testament (deutsch eingebunden), deutsches Kirchenamt, das Leben Jesu Christi, 24 alte Bücher zu einem Buch, Aureum opus de veritate contricionis, eingebunden und ein altes geschriebenes Buch, später auch das Rationale divinorum. Im Gegensatz zu Manfred Bensings Theorie, es könnte sich um Müntzers Bücher handeln, ist bereits durch Walther Peter Fuchs, aber auch Siegfried Bräuer und Günter Vogler nachgewiesen worden, dass das „Liber confiscationum“ in mehreren Haushalten sowohl Schriften Luthers als auch deutsche Ausgaben der Bibel und des neuen Testaments verzeichnet.39 So befinden sich im Inventar des hingerichteten Cuntz Kistenmecher mindestens sieben eingebundene Bücher, darunter eines als Türkische Chronik bezeichnet, sowie zwei ungebundene Bücher. Im Haus von Hans Reinhart gab es „mancherley alde Bücher“, bei Christoffel Peter eine deutsche Bibel. Ganz oben im Inventar ist bei Heinrich Pfeiffer eine Kiste voller Bücher zu finden, darunter Lutherschriften und etliche aus Klösterbeständen; insgesamt neunzehn Bücher. Allein dieses Beispiel mag zeigen, dass sich eine systematische Auswertung dieser Inventare lohnt.

37 Vgl. BRINKMANN, Mühlhäuser Bewohner (wie Anm. 24), S. 327. 38 Zu Recht machte Thomas T. Müller während der Diskussion deutlich, dass sich in den im „Liber confiscationum“ aufgelisteten Inventaren zu einem nicht unbedeutenden Teil auch Raubgut befände, das durch zuvor begangene Klosterstürme und andere Züge der Müntzeranhänger aufs Eichsfeld oder die umliegenden Gebiete erbeutet wurde. 39 Vgl. dazu BRÄUER/VOGLER, Thomas Müntzer (wie Anm. 8), S. 322 und Anm. 22 mit Verweis auf StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 13, 20v, 21v, 24v, 46v, 87r, 91r u. 92.

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ANTJE SCHLOMS

Abb. 6: Details der Inventarlisten mit Nennung reformatorischer Schriften und weiterer Bücher

Eine detailgenaue Auswertung kann und soll an dieser Stelle nicht stattfinden. Die beiden unterschiedlichen Ansätze zeigen sehr deutlich, dass sich das „Liber confiscationum“ nicht mit einem Dasein als Ergänzungsquelle zufriedengeben muss, sondern für weiterführende historische, sprachwissenschaftliche, volkskundliche, biographische, ökonomische und soziale Forschungen herangezogen werden kann. Vor allem aber verspricht eine systematische Auswertung dieser Akte einen noch besseren Einblick in die Zeit nach dem Ende Thomas Müntzers und damit mitten hinein in die Zeit der Reformation.

ERINNERUNG UND REZEPTION

JÜRGEN

VON

AHN

SCHUBLADENDENKEN IN DER KUNSTGESCHICHTE?

Schubladendenken in der Kunstgeschichte? Der Bauernkrieg in der zeitgenössischen Kunst

Damals lebte in Deutschland ein Mann, dem meine ganze Sympathie gehört, Tilmann Riemenschneider, ein frommer Kunstmeister, ein Bildhauer und Holzschnitzer […]. Ein hohes menschliches und bürgerliches Ansehen hatte der Meister sich in seinem engeren Lebenskreise, der Stadt Würzburg, auch erworben und gehörte dem Rate an. Aber sein Herz, das für die Armen und Unterdrückten schlug, zwang ihn, für die Sache der Bauern, die er für die gerechte und gottgefällige erkannte, Partei zu nehmen gegen die Herren, die Bischöfe und Fürsten […]. Er hatte furchtbar dafür zu büßen. Gefängnis und Folter taten sie ihm an, […] unfähig hinfort, aus Holz und Stein das Schöne zu erwecken […]!1

Die Frage nach einem unterschwelligem „Motiv des Bauernkrieges“ in der zeitgenössischen Kunst zu stellen und dieses darüber hinaus als Produkt eines parteiischen Künstlers als „Kämpfer für die Sache der Bauern“ zu interpretieren, gestaltet sich wesentlich komplexer, als man zunächst annehmen mag. Es scheint nötig, jene Werke voneinander zu scheiden, die sich inhaltlich und offensichtlich in irgendeiner Art mit der Thematik der Bauernaufstände befassten und jene, welche man in der Kunstwissenschaft nachträglich aufgrund von Zuschreibungen und Interpretationen mit einem Subtext versah, welcher ihnen eine inhaltliche Nähe zur Sache der Bauern unterstellte. Letztere werden bis heute selbstverständlich im kunsthistorischen Diskurs über das Thema des Bauernkrieges miteinbezogen. Hierdurch haben sie sogar Einzug in die Belletristik und das moderne Kunstschaffen gehalten, wie sich noch im Folgenden zeigen lassen wird. Eine umfassende Anzahl von Grafiken haben sich erhalten, welche je nach Auftraggeber das Thema der Bauernaufstände unterschiedlich aufgreifen. Seit Erfindung des Druckes und der damit einhergehenden Möglichkeit einer günstigeren und massenhaften Verbreitung wurde diese Technik vornehmlich zu Propagandazwecken genutzt und von diversen Druckern als Auftragsarbeit ausgeführt. Jene Drucke – sei es nun als einzelnes Flugblatt oder illustrierender Teil einer Flugschrift – konnten singuläre, zum Teil historische Begebenheiten darstellen. So wurden diese illustrativ eingesetzt, wie exemplarisch ein Druck aus 1

Thomas MANN, Rede „Deutschland und die Deutschen“ (29. Mai 1945), in: Thomas Mann Essays, Bd. 5: Deutschland und die Deutschen 1938–1945, hg. von Hermann KURZKE u. Stephan STACHORSKI, Frankfurt am Main 1996, S. 268.

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dem Jahr 1513, welcher den Luzerner Bauernführer Peter Amstalden gemeinsam mit aufständischen Bauern unter einer Dorflinde zeigt, vor Augen führt (siehe Farbabb. 2).2 Auch als Titelholzschnitt fanden sie Verwendung, wie beim Büchlein vom Bundschuh, auf dem der „Schwur auf den Bundschuh“ (Abb. 1) abgebildet wird.3 Vereinzelt werden auch konkrete Begebenheiten illustriert, wie am Beispiel der Niederschlagung der Bauern bei der Stadt Zabern zu sehen ist (Abb. 2).4 Manchmal setzte man die Druckgrafik auch gezielt als Propagandamittel ein, um Personen nach ihrem Ableben zu verunglimpfen und damit der Idealisierung oder Heroisierung eben jener entgegenzuwirken. Hierzu sei kurz das Beispiel des Pfeifers zu Niklashausen, Hans Böhm, angeführt, welcher mit Hilfe von Schriften und Darstellungen vom einst „verehrten Propheten“ hin zum „Pfeiferhänslein“ diskreditiert wurde.5 Derlei Beispiele sind vielfältig. Sie spiegeln somit vielmehr – wenn denn noch nachvollziehbar – die Absichten der jeweiligen Auftraggeber wider. Im Folgenden sollen jedoch jene Kunstwerke im Fokus stehen, bei denen man um die Urheberschaft weiß und man im wissenschaftlichen Diskurs zugleich eine innere Anteilhabe des Künstlers an der Sache der Bauern annimmt. Es stellte sich seit jeher die Frage, ob und inwiefern das Ereignis des Bauernkrieges in die Werke bekannter zeitgenössischer Künstler ihren Weg gefunden hat. Hierbei stand stets die Vorstellung des humanistisch gebildeten und sozialkritischen Künstlers im Fokus, welcher, so wie Mann es im eingangs ange2

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Das Blatt ist eine Illustration aus der Diebold-Schilling-Chronik, aus Luzern im Jahre 1513. Es zeigt den Luzerner Anführer der aufständischen Bauern. Dargestellt ist sein Verfahren im Jahre 1478 in Schüpfheim. Vgl. hierzu Siegfried EPPERLEIN, Bäuerliches Leben im Mittelalter: Schriftquellen und Bildzeugnisse, Köln/Weimar 2003, S. 96. Zur Bundschuhfahne allgemein und speziell zur hier gezeigten Baseler Illustration in Pamphilus Gengenbachs Flugschrift vgl. Gustav RADBRUCH, Gesamtausgabe, Bd. 5: Literatur- und kunsthistorische Schriften, bearb. von Hermann KLENNER, Heidelberg 1997, S. 90 f. Zum Geschehen bei Zabern vgl. Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, Berlin 42004, S. 176. Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig es oft ist, das Dargestellte zu interpretieren. So wird der Stich in der Forschung oft betitelt mit „Der Herzog von Lothringen besiegt die Elsässer Bauern bei Zabern“, vgl. ebd. S. 177. In Anbetracht des Geschehens, bei dem die unbewaffneten Bauern niedergemacht wurden, ist es fraglich, ob man von einem Sieg sprechen kann. Zeigt die Grafik – welche sehr wahrscheinlich eine Auftragsarbeit war – nun den Ruhm der Sieger oder eben ihr unehrenhaftes Verhalten? Was war Intention des Auftraggebers oder des Künstlers und was ist moderne Interpretation? Diese Frage lässt sich nicht mehr hinlänglich klären. Vgl. Klaus ARNOLD, Niklashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes, Baden-Baden 1980, S. 14 ff.

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führten Zitat pathetisch ausdrückt „aus seiner Sphäre rein geistiger und ästhetischer Kunstbürgerlichkeit“ herausgetreten ist, um zum Kämpfer „für Freiheit und Recht“ zu werden.6 Im Idealfall hätte diese Geisteshaltung offen Ausdruck finden müssen in ihrem Kunstschaffen und war dies aufgrund äußerer Zwänge nicht möglich, sollte sie dem Werk für den Rezipienten lesbar als Subtext eingeschrieben sein. Die Forschungen zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg im 16. Jahrhundert müssen bis 1989 stets vor dem Hintergrund der deutsch-deutschen Geschichte betrachtet werden. Künstler, ihre Vita und ihr Werk vereinnahmte man, um die eigene politische Überzeugung zu untermauern.

Abb. 1: Bauern schwören auf die Bundschuhfahne, Titelholzschnitt aus Pamphilus Gengenbachs Schrift „Der Bundtschu“, Basel 1514

Abb. 2: Schlacht bei Zabern, Holzschnitt von Gabriel Salmon, 1526

So bildete sich über die Zeit in der Forschung und auch dem modernen Kunstschaffen die Vorstellung einer inneren Anteilnahme des zeitgenössischen Künstlers an den Geschehnissen der Bauernaufstände und der mit ihnen einhergehenden sozialen Revolution. Beispielhaft für diese Form der Künstlerverklärung ist das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke (Abb. 3 und Farbabb. 18). Unter der Gestalt Thomas Müntzers, welcher im Mittelpunkt der Szenerie steht und der als Verbindung zwischen dem Ruf nach religiöser Erneuerung und dem sozialrevolutionären Element der Bauernbewegung auch als ideologisches 6

MANN, Rede (wie Anm. 1), S. 268.

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Zentrum fungiert, befindet sich der Lebensbrunnen. Hier bilden wiederum Dürer, Luther und Cranach das Zentrum. Um sie herum eine Gruppe von weiteren Größen der Zeit, unter denen sich auch mehr oder weniger namhafte Künstler wie die Bildhauer Peter Vischer und Tilmann Riemenschneider sowie der Maler Jörg Ratgeb befinden.

Abb. 3: Künstler am Lebensbrunnen, Detail aus dem Bauernkriegspanorama von Werner Tübke, Bad Frankenhausen 1983–1987

Es ist insofern bemerkenswert, dass sich über die Zeit so etwas wie ein Kanon bekannter Künstler gebildet zu haben scheint, welcher mit dem Bauernkrieg und der dahinterstehenden Weltanschauung aufs Engste verbunden ist. Verschiedentlich hat die Forschung sich in den letzten Jahren kritisch mit der

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Diskursgeschichte einzelner jener Künstler auseinandergesetzt.7 Eine Gesamtbetrachtung dieser durch politische Motivation bewussten oder unbewussten „Geschichtsverdrehung“ oder im schlimmsten Fall „Geschichtsfälschung“ steht aber immer noch aus. Das Werk und der Künstler müssen wieder vermehrt in ihre Zeit verortet und sein Handeln kontextualisiert werden. Wenn möglich, muss eine Interpretation frei von individueller Einstellung des Autors sein. Den Forschungen der beiden vergangenen Jahrhunderte ist diesbezüglich eigen, dass sie oft mehr verraten über die politische Einstellung des Autors als über jene der Künstler oder des Auftraggebers sowie des Rezipienten. Die Letztgenannten wurden in dieser Forschung oft gänzlich ausgeklammert. Zum Einstieg in diese Problematik lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die kunsthistorische Forschung zur Reformation. So bleibt es bis heute oft fraglich, inwieweit Künstler persönlich den Ideen der Reformation zugetan waren oder nicht. War die größtenteils offen in den Werken zur Schau gestellte Parteinahme für oder gegen die reformatorische Sache Teil der persönlichen Einstellung oder nur die Erfüllung der Wünsche des Auftraggebers und dessen Überzeugung? Inwieweit konnte eine persönliche Überzeugung überhaupt in das Werk, bei dem es sich meistens um ein Auftragswerk handelte, einfließen? Im wissenschaftlichen Diskurs wurden für die Kunst der Reformation erst vor nicht allzu langer Zeit über Jahrhunderte hinweg tradierte Thesen auf den Prüfstand gestellt, welche versuchten, verschiedene Künstler in die Nähe der neuen oder auch alten Lehre zu rücken. So ist es unter anderem Andreas Tackes „katholischem Cranach“ zu verdanken, dass ein neues Licht auf festgefahrene Idealbilder vermeintlich protestantischer Künstler geworfen wurde. Das bewusst tradierte Idealbild des reformierten Künstlers, der seine Schaffenskraft ganz in den Dienst der Sache der Reformation stellt und es

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Aber selbst wenn das Werk eines Künstlers differenziert betrachtet wird, gelingt es manchem Autor nicht, diesen kritischen Blick auf andere Künstler zu übertragen. Als Beispiel sei hier nur Thomas H. von der Dunk genannt, welcher in seinen Betrachtungen zu Dürers Bauernsäule sehr differenziert und kritisch vorgeht, jedoch, als er den Vergleich mit anderen Künstlern eingeht, genau jene Aussagen zu diesen unkritisch übernimmt, welche über Generationen hinweg tradiert wurden: „Der Bildhauer Veit Stoß wurde vom Henker gebrandmarkt, der Maler Jörg Rathgeb auf dem Pforzheimer Marktplatz gevierteilt, dem Bildschnitzer Tilman Riemenschneider sollen die Hände gebrochen worden sein, um ihm die Ausübung seines Berufes auf Lebenszeit zu vereiteln.“ Thomas H. VON DER DUNK, Das Deutsche Denkmal. Eine Geschichte in Bronze und Stein vom Hochmittelalter bis zum Barock, Köln 1999, S. 155. Er sieht diese Schicksale sozusagen als Gegenpol zu Dürers. Dies waren die Künstler, welche ihre Kritik – aus Überzeugung – öffentlich und mit ihrer Kunst äußerten und dafür bestraft wurden. Dürer hingegen „schwieg – und entwarf allein sein Denkmal für den Sieg“.

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fortan ablehnt altgläubige Themen für „papistische Pfaffen“ zu malen, geriet stark ins Wanken.8 Das Wissen über die Künstler, welches auch heute noch in der Forschung rezipiert und weiterentwickelt wird, ist immer noch geformt von Künstlerviten voheriger Jahrhunderte. Aber nicht nur diese hatten auf wissenschaftliche Werke Einfluss, sondern ebenfalls deren künstlerische Darstellung durch Malerei, Skulptur und Grafik. Nicht zu unterschätzen ist jedoch auch die Bedeutung der Belletristik. Der Einfluss letzterer auf unser heutiges Künstlerbild ist noch weitgehend ein Desiderat.9 Die Künstler wurden nicht nur von kirchlicher Seite in Beschlag genommen. Die Zeit des Humanismus, der Reformation und die versuchte Selbstbefreiung der niederen Stände wurde durch die Geschichtsschreibung der DDR gar als Geburtsstunde des Sozialismus vereinnahmt. Allen voran die gottlosen Maler von Nürnberg. Denn die Brüder Barthel und Hans Sebald Beham schlossen sich nach einem Besuch Thomas Müntzers in Nürnberg dem religiös und politisch radikalen Flügel der Reformation an, wodurch sie auch mit den gemäßigten Kräften in Konflikt gerieten. Wie sie zur Sache der Bauern standen, ist nicht hinlänglich geklärt.10 Nicht zu bestreiten ist, dass das Darstellungsthema „Landbevölkerung“ einen großen Platz in ihrem Œuvre einnimmt. Die Werke bleiben jedoch so kryptisch, dass eine Vielzahl von Interpretationen existiert. Eines der bekanntesten Werke ist Sebald Behams großformatiger Holzschnitt „Großes Kirchweihfest“. In der Forschung gingen die Meinungen hierzu stets auseinander. So wurden bisher anti-katholische, anti-lutherische sowie bauernverachtende, aber auch bauernfreundliche Lesarten vorgeschlagen.11 Alison Stewart fasst diese widersprüchlichen Interpretationsvorschläge treffend zusammen, indem sie dem Bild seine Ambivalenz als ihm eigenen Zustand zuschreibt. Die Intention des Künstlers liegt in einem möglichst breiten Interpretationsspiel8

Vgl. Andreas TACKE, Der katholische Cranach. Zu zwei Großaufträgen von Lucas Cranach d. Ä., Simon Franck und der Cranach-Werkstatt, Mainz 1992. 9 So konnte unlängst Anja Ottilie Ilg die Rolle Cranachs als vermeintlicher „Herzensfreund Luthers“ infrage stellen, vgl. hierzu Anja ILG, Zur Vorstellung Lucas Cranachs des Älteren als Lutheri Herzensfreund, in: Andreas HOLZEM/Volker LEPPIN (Hg.), Martin Luther: Monument, Ketzer, Mensch. Lutherbilder, Lutherprojektionen und ein ökumenischer Luther, Freiburg im Breisgau 2017, S. 161–198, hier S. 166 ff. Speziell zur Rolle der Belletristik im 19. Jahrhundert, vgl. ebd. S. 192 ff. 10 Gert SCHWERHOFF, Wie gottlos waren die „gottlosen Maler“? Zur Rekonstruktion des Nürnberger Verfahrens von 1525 und seiner Hintergründe, in: Jürgen MÜLLER/Thomas SCHAUERTE (Hg.), Die gottlosen Maler von Nürnberg. Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder, Berlin 2011, S. 33–45. 11 Wolf SEITER, Bauernfest und Bauernkrieg. Überlegungen zur Ikonografie von Sebald Behams „Großer Kirchweih“ von 1535, in: MÜLLER/SCHAUERTE (Hg.), Die gottlosen Maler von Nürnberg (wie Anm. 10), S. 115–125, hier S. 115.

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raum, welcher den unterschiedlichsten Betrachtern die Möglichkeit eröffnet, die gewünschte Position herauslesen zu können: „By offering so much for so many, Beham assured broad interest and wide audience appeal, thus higher sales for his prints.“12 Es existieren keine bis kaum biografische Quellen über das Leben und Handeln der meisten Künstler. Man neigte in der Kunstwissenschaft seit jeher dazu, diese Lücken zu füllen, indem man vom Kunstwerk her über den Künstler urteilte. Die Interpretation von stilistischen und ikonografischen Eigenheiten sollte Ansichten, Gesinnungen und Glaubenswahrheiten des Schaffenden in religiösen, politischen sowie soziologischen Bereichen offenbaren. Dies mag im Einzelfall nicht immer falsch sein, dennoch besteht schon die größte Fehlerquelle schlichtweg in dem Fakt, dass hinter diesen Interpretationen oft ein modernes Verständnis eines Künstlers steht. Dieses hat viel zu häufig nichts mit dem Handwerker vergangener Jahrhunderte zu tun. Abgesehen hiervon neigt jede Zeit dazu, ihre eigenen Vorstellungen, Wünsche und Thesen in ihre Ausführungen mit einzuflechten. Zwei prägnante Fälle dieser „Geschichtsverdrehung“ sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Bei Ersterem handelt es sich um den im Anfangszitat erwähnten Tilman Riemenschneider.13 Dieser Bildschnitzer, dessen Schaffen seit 1490 nachweisbar ist, war, nachdem er sich als Künstler etabliert und es zu Wohlstand gebracht hatte, 1504 in den Würzburger Rat gewählt worden. In der Folge bekleidete er eine Vielzahl von Ratsämtern, was ihn auch zeitweise in die Position des Bürgermeisters brachte. Verschiedene politische Einzelaktionen des Künstlers, wie der erfolgreiche Einspruch beim Bischof gegen die Steuerfreiheit des Adels und der Domherren oder das Bewahren eines städtischen Geißhirten vor einer Geldstrafe, legte man ihm in der historischen Betrachtung oft als soziales Engagement aus. Nicht nur der am Anfang zitierte Thomas Mann, sondern auch die Historiker der DDR attestierten ihm eine starke ideelle Beteiligung am Aufstand der Armen.14 Die Quellen jedoch sagen diesbezüglich nichts aus, sondern repräsentieren viel eher Riemenschneiders Amtsverständnis. Auch eine Sympathie für die neuen Lehren lässt sich für ihn nicht aus den Quellen lesen, zumal er schließlich auch von der altgläubigen Geistlichkeit als Auftraggeber in hohem 12 Alison G. STEWART, Before Bruegel. Sebald Beham and the Origins of Peasant Festival Imagery, Aldershot 2008, S. 121. 13 Zur Biografie vgl. zusammenfassend Lucas DEMBINSKY, Tilman Riemenschneider im Bauernkrieg. Langer Aufstieg und schneller Fall in Würzburg. Legende und Wirklichkeit, in: Andreas TACKE/Franz IRSIGLER (Hg.), Der Künstler in der Gesellschaft, Darmstadt 2011, S. 303–321, hier S. 303–309. 14 „Tilman Riemenschneider zählen wir heute zu den Künstlern der frühbürgerlichen Revolution.“ Wolfgang TRAPPE, Tilman Riemenschneider. Zwischen Krummstab und Morgenstern, Jena 1983, S. 63.

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Maße abhängig war. Letztendlich ist er in seiner Position innerhalb des Stadtrates in den, wie Dembinsky es nennt, „Sog der Ereignisse“ geraten.15 Im März 1525 erhob sich im Territorium der fränkischen Reichsstadt die Rothenburger Landwehr. Nachdem Vermittlungsversuche durch den Würzburger Rat zwischen Fürstbischof Konrad II. von Thüngen und den Aufständischen fehlschlugen, kam es zu mehreren Klosterplünderungen im Umland. Aus Angst, dass die Truppen des Schwäbischen Bundes zu spät eintreffen würden, floh Bischof Konrad nach Heidelberg. Hierdurch wurde dem Rat der Stadt die Legitimation zu verhandeln genommen, sodass es keine Möglichkeit einer friedlichen Lösung mehr gab. Die Aufständischen zwangen den Würzburger Rat – bei Androhung der Vernichtung der für Würzburg so wichtigen Weinberge – zum Übertritt. Dieser wurde am 9. Mai durch einen offenen Brief der Ratsherren besiegelt, in welchem dem Bischof die Gefolgschaft aufgekündigt wurde. In der Folge eroberten jedoch die Truppen des Schwäbischen Bundes die Festung Marienberg, welche zwischenzeitlich in der Hand der Bauern war, und einen Monat später die Stadt Würzburg selbst zurück. Auch Riemenschneider wurde, als vermeintlicher Paktierer mit den Bauern, festgenommen und gefoltert. Entscheidend hierfür waren jedoch nicht seine persönlichen Überzeugungen, sondern seine Position innerhalb des Stadtrats. Die Gründe, warum gerade Riemenschneider und nur ein weiteres Ratsmitglied auf die Marienfestung geführt, gequält und gefoltert wurden, finden sich in einer anderen Quelle. Sie besagt, sie hätten ein Gerücht gestreut, welches die Bevölkerung innerhalb der Stadt noch mehr aufgewiegelt und kampfbereit gemacht hätte. Riemenschneider konnte sowohl unter der Folter als auch danach an der Aussage festhalten, er habe das Gerücht nur weitergetragen und nicht selbst in die Welt gesetzt. Diese Standhaftigkeit hat ihm letztendlich das Leben gerettet. Viele andere wurden hingegen ohne viel Aufhebens hingerichtet. Hätte er aus tiefer Überzeugung für die Sache der Bauern gehandelt, hätte er diese sicherlich im Rahmen der Folter auch bekundet. Nach neunwöchiger Haft musste er die Urfehde schwören und verlor einen beträchtlichen Teil seiner Güter.16 Aus den überlieferten Quellen selbst geht nichts über die Gesinnung Riemenschneiders hervor.17 So wurde aus einem Opfer der politischen und gesellschaftlichen Umstände der Zeit über die Jahrhunderte hinweg, wie Thomas Mann es ausdrückte, ein „Kämpfer […] für Freiheit und Recht“.18 Dass der Bildschnitzer aus dieser Episode als seelisch und körperlich gebrochener Mann hervorging, erscheint evident. Vorherrschend blieb jedoch das Bild Riemenschneiders, wie 15 16 17 18

Vgl. DEMBINSKY, Tilman Riemenschneider (wie Anm. 13), S. 316. Ebd., S. 318 ff. Ebd., S. 316. MANN, Rede (wie Anm. 1), S. 268.

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es auf einer Zeichnung der Künstlerin Lea Grundig-Langer zu sehen ist (Abb. 4): Das tragische Abbild des ehemaligen Kunstschaffenden, welcher seine Kreativität und körperliche Unversehrtheit hingegeben hat zum Wohl der aufständischen Bauern. Ein Auftrag aus dem Jahr 1527 für eine umfassende Restaurierung der Altäre in der Benediktinerkirche in Kitzingen zeugt jedoch davon, dass er durchaus noch arbeiten konnte.19 Dass die Aufträge deutlich zurückgingen, wird vielmehr der wirtschaftlichen Lage der Region, seinem beschädigten Ansehen und dem hohen Alter zuzuschreiben sein. Letztendlich muss diese Frage offenbleiben, wie so manches in Riemenschneiders Biografie.

Abb. 4: Lea Grundig-Langer, „Zum Deutschen Bauernkrieg: Tilman Riemenschneider“, 1954 19 Vgl. DEMBINSKY, Tilman Riemenschneider (wie Anm. 13), S. 318.

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Jene Wissenschaftler, die ihn als Verbündeten der Bauern zu stilisieren versuchten, vereinnahmten hierfür ebenfalls seine Kunst. Hier sei nur das Beispiel des Maidbronner Retabels genannt (Abb. 5). Die steinerne Altartafel gehört zu Riemenschneiders qualitativ herausragendsten Werken. Es handelt sich um die außerbiblische Szene der Beweinung Christi. Im Hintergrund sind die leeren Kreuze zu sehen. Die Gruppe aus Maria, Maria Magdalena und weiteren Personen ist um Jesus angeordnet. Joseph von Arimathäa stützt dessen toten Körper von hinten und präsentiert ihm somit dem Betrachter als den „Fronleichnam“. Dahinter befindet sich mit einem Salbgefäß in der Hand Nikodemus. Diese Figur wird in der Forschung weitgehend als eines von zwei Selbstbildnissen Riemenschneiders angesehen.20 In ihrem tragisch mitfühlenden Blick meinte man noch bis Ende des 20. Jahrhunderts den gebrochenen Künstler zu sehen, welcher nach den geschilderten Ereignissen des Bauernkrieges sein Schicksal erträgt. Genährt wurde diese These durch eine Inschrift, die sich unter dem Retabel befindet. Sie berichtet über die Aufstellung des Altares im Jahr 1526 als Dank und zur Erinnerung an den Sieg über die – vom wahren Glauben abgefallenen – Bauern. Laut Bier stempelt diese Inschrift Riemenschneiders „1526 aufgestelltes Beweinungsrelief zu einem Denkmal des Sieges über den bäurischen Aufruhr“ ab und interpretiert seine Aufstellung als „bitteres Schicksal für den Meister, den seine Überzeugung auf die Seite der Bauern getrieben hatte“.21 Noch 1999 interpretiert Julien Chapuis benannte Inschrift als Teil von Riemenschneiders Bestrafung, obwohl schon 1990 Iris Kalden auf die Tatsache hingewiesen hatte, dass das Retabel selbst ursprünglich für einen anderen Ort und wesentlich früher geschaffen wurde.22 Schon allein die im Text genannten Patrozinien der Gottesmutter und des heiligen Kilian passen nicht zum Thema 20 Vgl. Hanswernfried MUTH, Tilman Riemenschneider – Seine Glaubenswelt. Versuch einer Annäherung, in: Jürgen LENSSEN (Hg.), Tilman Riemenschneider – Werke seiner Glaubenswelt (Katalog zur Ausstellung), Regensburg 2004, S. 17–30, hier S. 28. 21 Justus BIER, Tilmann Riemenschneider. Die späten Werke in Stein, Wien 1973, S. 132. 22 „According to an inscription later added to the relief, the Lamentation was erected in 1526 in the church in Maidbronn as a monument to the victory over the Peasants’ Revolt of 1525. This has a particularly ironic resonance, since it was precisely Riemenschneider’s stance during the Peasants’ Revolt that abruptly ended his career.“ Julien CHAPUIS, Recognizing Riemenschneider, in: DERS. (Hg.), Tilman Riemenschneider. Master Sculptor of the Late Middle Age, Washington 1999, S. 19–44, hier S. 35. Iris Kalden verortet das Retabel in die 1487 errichtete Ritterkapelle in Rimpar, die eine Grablege der Familie Grumbach war. Hierhin würde auch das Motiv der Beweinung ikonografisch passen. Auch die Inschriftentafel war ursprünglich nicht für den jetzigen Aufstellungsort gedacht. Sie ist nachträglich umgearbeitet worden. Vgl. ausführlich hierzu Iris KALDEN, Tilman Riemenschneider – Werkstattleiter in Würzburg. Beiträge zur Organisation einer Bildschnitzer- und Steinbildhauerwerkstatt im ausgehenden Mittelalter, Hamburg 1990, S. 138 f.

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der Beweinung. Das Retabel ist mit großer Sicherheit nachträglich an die Stelle eines anderen Kunstwerkes, für welches ein marianisches Thema anzunehmen ist, getreten. Durch den stilistischen Vergleich ordnet Holger Simon das Beweinungsretabel in die Zeit um 1515–1519 ein und folgt darin Iris Kalden, wodurch dem Kunstwerk jede inhaltliche Verbindung zum Bauernkrieg genommen wird.23

Abb. 5: Maidbronner Altarretabel von Tilman Riemenschneider, 1518–1521 23 Holger SIMON, Die frühneuzeitlichen Beweinungsgruppen von Tilman Riemenschneider, in: LENSSEN (Hg.), Tilman Riemenschneider (wie Anm. 20), S. 85–104, hier S. 86.

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Diese Tatsache würde der Theorie vom „trauernden mitfühlenden Künstler“ nun per se nicht widersprechen. Zum Thema passend, konnte sich Riemenschneider hier durchaus als Nikodemus inszenieren, der um den toten Christus trauert. Die Fehlinterpretation hatte durch die nicht zugehörige Inschrift in der Forschung auch eine Missdeutung der künstlerischen Intention eines solch prominent platzierten Selbstbildnisses zur Folge. Es versteht sich von selbst, dass der Künstler nicht ohne Grund sein Antlitz einer der Heilsgeschichte nahestehenden Person verliehen hatte. Dieser Grund ist jedoch viel eher in seinem Selbstverständnis als Rat der Stadt Würzburg zu suchen, galt Nikodemus doch allgemein als Mitglied des Synedriums in Jerusalem. An seinem Lebensabend konnte sich der Künstler – vorausgesetzt es handelt sich wirklich um sein Selbstbildnis – gerade mit dieser Person gut identifizieren: in Anbetracht Christis Kreuzestod seinen Glauben (nochmals) zu bekennen. Der hoffnungslose und verzweifelte Blick der Figur erklärt sich viel eher ikonografisch aus der dargestellten Situation heraus, als dass er sich biografisch aus dem Leben des Künstlers herleiten ließe: Christus, an dem alle Hoffnung gehangen hatte, ist nun tot. Es bestand noch keine Ahnung von dem, was kommen würde: der Auferstehung. Die Legende vom gebrochenen Künstler, der für die Freiheit der Bauern seinen Besitz und sein Schaffen hergab, kann hier hingegen nicht herausgelesen werden. Noch härter als den Bildhauer Tilman Riemenschneider traf es den Maler Jörg Ratgeb in den Wirren der Bauernkriegsjahre. Dieser Künstler, über dessen Leben kaum etwas bekannt ist, zeichnet sich zudem durch ein kaum überliefertes Œuvre aus. Sein tragisches Schicksal lässt sich ideologisch problemlos so deuten, dass Ratgeb in die Riege jener Künstler gestellt werden kann, die der Sache der Bauern nahestanden. Am 8. Juni 1526 wurde er in Pforzheim auf dem Marktplatz zur Höchststrafe – Vierteilung durch Pferde bei lebendigem Leibe – verurteilt und auch hingerichtet. Aus den wenigen schriftlich überlieferten Eckpunkten aus Ratgebs Leben kreierte der Kunsthistoriker und ehemaliges KPD-Mitglied Wilhelm Fraenger das Bild des „Rebellen Ratgeb“, welcher mit seiner Kunst ein politisches Manifest geschaffen habe.24 Die komplexen Verwicklungen Ratgebs in den Bauernkrieg wurden unlängst von Tobias Lander in einem Aufsatz ausführlich bearbeitet.25 Im Gegensatz zu Fraenger stellt er glaubhaft das Bild eines Mannes dar, der aufgrund seiner Position als einer der Verhandlungsführer des Stuttgarter 24 Vgl. Wilhelm FRAENGER, Joerg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauernkrieg, München 21981. 25 Vgl. hierzu Tobias LANDER, Der ,Herrenberger Altar‘ als Künstlerklage? Jerg Ratgeb und der Bauernkrieg, in: Birgit Ulrike MÜNCH u. a. (Hg.), Die Klage des Künstlers. Krise und Umbruch von der Reformation bis um 1800, Petersberg 2015, S. 106–124.

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Rates zwischen die kämpfenden Parteien geriet. Ratgeb blieb zwar letztendlich auf der Seite der Bauern, welche ihm später sogar ihre Kanzlei anvertrauten, jedoch handelte er stets im Interesse seiner Heimatstadt. Er war ein auf Ausgleich und Mäßigung drängender Vermittler. Hierin zeigt sein Handeln durchaus Parallelen zu dem Riemenschneiders. Tobias Lander verweist jedoch auf den großen Unterschied zum Würzburger Künstler, dessen Glück es war, dass er als „persona publica“ handelte und so auch gerichtet wurde. Obwohl auch Ratgeb in ähnlicher Funktion gehandelt hatte, richtete man ihn als „persona privata“, welche „hinterrücks, […] one wyssen und willen der von Stutgarten“ gehandelt habe. Ratgeb fiel der Absicht zum Opfer, die Stadt Stuttgart und einen Großteil ihres Rates freizusprechen und so den Druck auf die Stadt zu nehmen.26 Entgegen diesen Tatsachen nahm Fraenger den sogenannten „Herrenberger Altar“ (siehe Farbabb. 3) als Werk Ratgebs in die Pflicht, um seine Thesen zu untermauern. Hierbei übernimmt er jene Aussagen, welche der Kunsthistoriker Wilhelm Hausenstein schon 1930 nutzte, um den Altar zu charakterisieren: „Der Stil des Altars ist auf das innigste mit dem Persönlichen verbunden – das Persönliche des Malers wiederum aufs innigste mit dem Eigentümlichen der Zeit. […] [D]ies Werk ist in außerordentlicher Weise ein politisches Phänomen. […] Das Biografische müsste kaum erst gewusst sein. Es ist nur die Bestätigung der Anschauung.“27 Fraengers Beobachtungen in Bezug auf Stil und Ikonografie sind nicht immer falsch, aber er neigt eindeutig zur Überinterpretation. Seine einzige Kritik an Hausensteins Ausführungen ist, dass dieser sich bei seinen Überlegungen nur auf „das Herrenberger Altarwerk als einzige Grundlage so tiefgreifender Diagnosen“ bezieht. Fraenger hingegen weitet seine Betrachtungen auf das Gesamtwerk des Künstlers aus. Auch die ungewöhnliche Komposition an Formen und Farben in Ratgebs Werk wurde auf die vermeintliche Einstellung des Künstlers zum Bauernaufstand hin interpretiert. Hausenstein hatte auch schon in Bezug auf die eigentümliche Darstellungsart Christis und den Jüngern des Herrenberger Altares dementsprechende Thesen formuliert: In den „Figuren liegt der Aufstand ihrer leidenschaftlichen Gewöhnlichkeit […]. Sie sind eine Revolution. Dies ist das Wort. Sie sind: der arme Konrad. Sie sind der Bundschuh.“28 Die neuere Forschung hingegen interpretiert den eigenwilligen Stil des Herrenberger Altares als Inbegriff des Manierismus, welcher als durchaus kritisierbarer Epochenbegriff die Auflösungserscheinungen des Renaissancestils beschreiben soll. Alle Elemente, wie die „Verunklärung des Raumes“, die „elaborierte Farbzusammenstellung“ und die äußerst „komplizierten Bewegungsmotive“ eines typischen 26 Ebd., S. 113. 27 FRAENGER, Ratgeb (wie Anm. 24), S. 126. 28 Hausenstein zitiert nach: LANDER, Künstlerklage (wie Anm. 25), S. 115.

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manieristischen Gemäldes, fallen bei diesem Kunstwerk zusammen. Lander fasst es treffend zusammen, indem er schreibt: „Der sich im Herrenberger Altar manifestierende ‚Zwiespalt einer Epoche‘ ist ein künstlerischer, und Ratgeb nutzt die Möglichkeit einer zwischen tradierten Darstellungsweisen und modernen Bildkonzepten experimentierenden Malerei.“29 Dennoch werden Fraengers Ausführungen bis heute in der kunsthistorischen Forschung oft unkritisch rezipiert. Dies schlug sich auch in der Belletristik nieder. Im Jahr 1999 erschien Anton Monzers biografischer Roman zu Ratgeb, welcher interessanterweise auch noch mit „Die Spur der Bilder“ betitelt ist.30 Im Juni 2004 stellte der Maler Hans Kloss in der Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd ein neues Monumentalwerk in Form eines Triptychons der Öffentlichkeit vor, welches gar den Namen „Ratgeb-Altar“ trägt (siehe Farbabb. 4). Der Künstler, der auf seiner Homepage auch auf den eben erwähnten Roman verweist, schöpft eindeutig noch aus Fraengers Theorien.31 Ratgebs Vierteilung tritt hier auf der Mitteltafel zentral an die Stelle des christlichen Hauptthemas, der Kreuzigungsszene und dies nochmals unterstrichen durch ein Kreuz, das sich im Hintergrund als eine Art Schatten unter Ratgeb befindet. Der geschundene Leichnam des Künstlers in der Predella zitiert „Christus im Grabe“-Darstellungen von Holbein und Grünewald. Ratgeb wird hier zum Heiligen, ja sogar – in seiner vermeintlichen „imitatio christi“ – zum Märtyrer stilisiert. Ähnliches zeigt sich auch bei einem Skulpturenpfad, welcher zu Ehren Ratgebs in der Stadt Herrenberg angelegt wurde. Dort finden sich einige Werke zeitgenössischer Künstler, welche auf den vermeintlichen Märtyrertod Ratgebs anspielen.32 Kontrovers zu diskutieren, als künstlerisches Statement zum Bauernaufstand, bleibt jedoch bis heute ein zeitgenössisches Kunstwerk in Form eines Druckes, das in der vorliegenden Form ein mögliches Monument skizziert. Dieses wurde jedoch nie realisiert, sodass es nur als ein „Pseudoentwurf“ bezeich29 Ebd., S. 121. 30 Anton MONZER, Die Spur der Bilder. Ein biographischer Roman um den Maler Jörg Ratgeb, Bietigheim 1999. 31 Zu sehen auf der Homepage des Künstlers unter http://www.hans-kloss.de/texts/ ratgebaltar.htm (letzter Zugriff: 5.10.2017). 32 „Der Jerg Ratgeb Skulpturenpfad“ in Herrenberg. Als Beispiel sei hier nur die Skulptur „Blutspur“ des Künstlers Frederick D. Bunsen aus den Jahren 2013/15 genannt. In einem kurzen Begleittext, welcher das Werk erläutert, heißt es: „Die Kreuzform bezeichnet hier ebenso den Opfertod Christi wie auch die Vierteilung Ratgebs. Die Lichtquelle mit roter Spur entspricht den Blutopfern. Der Künstler interpretiert Ratgeb als Märtyrer.“ Vgl. Prospekt zum Skulpturenpfad, abrufbar unter: https://herrenberg.de/fileadmin/ Internet/User/GaesteTourismus/Sehenswuerdigkeiten/Skulpturenpfad/1011–14_ Herrenberg_Skulpturenpfad_Flyer_RZ_WEB.pdf (letzter Zugriff: 6.10.2017)

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net werden kann. In seinem kunsttheoretischen Werk „Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt […]“ – einem „Lehrbuch“ der Geometrie für Künstler – präsentiert Albrecht Dürer unter anderem eine Skizze für seine sogenannte Bauernsäule (Abb. 6).33

Abb. 6: Gedächtnissäule für den Bauernkrieg, Holzschnitt von Albrecht Dürer aus der Schrift „Vnderweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt“, Nürnberg 1525 33 Albrecht DÜRER, Vnderweysung der messung / mit dem zirckel vnd richtscheyt / in Linien ebnen vnnd gantzen corporen / durch Albrecht Duerer zuosamen getzogen / vnd zuo nutz allen kunstlieb habenden mit zuo gehoerigen figuren / in truck gebracht / im jar. M. D. X X v., Nürnberg 1525 (VD16 D 2857).

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Dieses manchmal in der Literatur auch als Bauerndenkmal bezeichnete Monument wird neben zwei anderen Skizzen für Sieges- bzw. Gedenksäulen gezeigt. Bei Ersterer handelt es sich um eine Gedächtnissäule für den Sieg über mächtige Feinde. Die Gedenksäule ist ein Grabmal für einen Trunkenbold. Die Forschung interpretierte die Bauernsäule auf ganz verschiedene Weise. Problematisch ist, dass Bild und Text im Werk Dürers different zu sein scheinen, worauf schon Hans-Ernst Mittig hinwies.34 Die von hinten in den Rücken erstochene, kauernde und mitleiderregende Gestalt des Bauern steht im spürbaren Gegensatz zum dazugehörigen Text des Künstlers, der wie folgt lautet: „Welicher ein victoria [eine Siegessäule] auf richten wolt darumb das er die aufrürischen bauern vberwunden het der möchte sich eins solichen gezeugs darzu gebrauchen wie ich hernach leren will.“35 Sein Aufruf zum Errichten dieses Denkmals richtet sich somit an die Sieger und eben nicht an die Bauern und ihre Hinterbliebenen. Die Bauernsäule ist höchst wahrscheinlich nicht auf die Trauer ausgelegt, sondern auf den Triumph. Dieser Widerspruch macht sie so schwer zu deuten. So sah beispielsweise Erwin Panofsky hier in Dürer einen Konservativen, der sich über die aufständischen Bauern lächerlich machen wollte.36 Und wiederum Fraenger prägte das Bild der Säule als Anklage an die Sieger, worin er eine Parteinahme Dürers für die Sache der Bauern erkennen wollte.37 Bereits Mittig verwies 1984 auf die Tatsache, dass sich aus dem Inhalt des Werkes keine eindeutige Parteinahme Dürers herleiten lässt, sondern viel eher ein politischer und emotionaler Konflikt innerhalb der Nürnberger Bürgerschaft. Das Verhältnis zwischen der Stadt Nürnberg und der ländlichen Bevölkerung war äußerst komplex. Einerseits sah sich die freie Reichsstadt von den 34 Vgl. Hans-Ernst MITTIG, Dürers Bauernsäule. Ein Monument des Widerspruchs, Frankfurt am Main 1984, S. 7. 35 Ebd., S. 110. 36 „He went out of his way to ridicule the revolting peasants in his Treatise on Geometry of 1525, and, he was stanchly opposed to the demagogic dialectics of the Nuremberg radicals.“ Erwin PANOFSKY, The Life and Art of Albrecht Dürer, Princeton 1971, S. 233. 37 Wilhelm Fraenger interpretierte in seinem Aufsatz zur Bauernsäule Dürers, ähnlich wie in seiner Monografie zu Ratgeb, die Grafik als Ausdruck des Künstlers zu seiner Position bezüglich des Bauernaufstandes. Er kritisiert dabei die Interpretation vorheriger Kunsthistoriker, welche in Dürers Entwurf den Humor des Künstlers herauslesen wollten. Er konstatiert, dass all jene, welche behaupten „Albrecht Dürer habe an der ungeheuren Katastrophe des Bauernkrieges seinen harmlosen Humor geübt“ selbst zu harmlos ist den Bauernkrieg und Albrecht Dürer zu verstehen. Ironischerweise verweist er auf die „sechzigjährige Verkennung“ jener Tatsachen innerhalb der Dürerforschung und bewirkte in der Folge letztendlich Ähnliches für die nächsten sechzig Jahre. Vgl. Wilhelm FRAENGER, Dürers Gedächtnis-Säule für den Bauernkrieg, in: Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung. Adolf Spamer zum 70. Geburtstag, Berlin 1953, S. 126–140. Zum eben genannten Sachverhalt besonders S. 134 f.

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Bauern und ihren Produkten abhängig. Andererseits förderte die Blütezeit um 1500 ein adelsähnliches Standesbewusstsein der Bürger und durch höhere Bildung erwuchs ein Überlegenheitsgefühl gegenüber der Landbevölkerung. Deren andersartige Arbeits- und Lebensweise blieben in Literatur, Musik und Kunst, vor allem in der Druckgrafik, stets Anlass zu Hohn und Spott. Dürers Haltung zu den Bauern müsste hierdurch eigentlich klar definiert worden sein. Nürnberg sah sich zwar gezwungen, seine Bauern vor übergriffigem Adel in der Umgebung zu schützen, daraus aber eine Sympathie der Stadtbevölkerung für diese herzuleiten, wäre jedoch überzogen. Man bemühte sich im Rat zur Zeit der Aufstände um Neutralität zwischen den Konfliktparteien. Einen möglicherweise geplanten Zug des Bauernheeres gegen Nürnberg im Jahre 1525 scheint man durch Zugeständnisse abgewendet zu haben. Auch die Strafen gegen aufständische nürnbergische Bauern waren verhältnismäßig gering; sie wurden „nur“ mit Ausweisung aus Stadt und Land geahndet. Dies lag nicht zuletzt daran, dass – trotz aller wirtschaftlicher Blüte – innerhalb der Stadtmauern viele verarmte und unzufriedene Bürger lebten, welche für die Ideen der Aufständischen durchaus empfänglich waren.38 Von außen richtete man den Vorwurf an den Rat der Stadt, durch die Förderung des Luthertums die Bauern zum Aufruhr ermutigt zu haben. Dies mag insofern zutreffend sein, als dass man in der reformatorischen Kritik und Ablehnung der etablierten kirchlichen Feudalgewalt formal mit den Aufständischen übereinstimmte. Hieraus aber eine Sympathie oder gar Unterstützung für die Landbevölkerung und ihre Belange herauszulesen, wäre jedoch verfehlt.39 Dürers Stellung zur Sache der Bauern muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Es war eine Haltung, welche weder für die eine, noch für die andere Seite eindeutig Partei ergreifen konnte. Auch lässt sich diese weder aus den Quellen, noch dem weiteren Werk des Künstlers eindeutig herleiten.40 So könnte man z. B. in Dürers Stich vom „Verlorenen Sohn“ von 1497 ein Mitgefühl für die Bauern und ihre Lage herauslesen, bedenkt man den schäbigen Zustand des Sohnes und auch des Bauernhauses. Doch lässt sich all dies mit Verweis auf das Sujet und die Ikonografie entkräften. Ähnliches gilt auch für Dürers bekannte Bauerndarstellungen, von denen hier nur die „Drei Bauern im Gespräch“ und „Bauer und Bäuerin“ genannt werden sollen. Sie wurden in der Forschung auf ganz unterschiedliche Weise gedeutet. Zum einen neigte man dazu, das vom Künstler offensichtlich gezeigte Tragen von Waffen, was den Bauern nicht zustand, entweder als Hinweis auf eine Anmaßung oder als Unterstreichung der Rechtmäßigkeit des Waffentragens 38 Vgl. MITTIG, Dürers Bauernsäule (wie Anm. 34), S. 10–15. 39 Vgl. ebd., S. 14. 40 Vgl. VON DER DUNK, Denkmal (wie Anm. 7), S. 153 f.

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auszulegen. Einige dargestellte Elemente verschließen sich bis heute einer eindeutigen Interpretation, so z. B. der Turban bei einem der beiden Bauern. Allgemein bleibt nur zu sagen, dass Dürer in seinen Grafiken anders als seine Zeitgenossen fast schon so etwas wie ein bäuerliches Selbstwertgefühl vermittelt – auch wenn die Darstellung zum Teil lächerlich anmutet.41 Von der Dunk verwies schon auf die Tatsache, dass sich diese Ausführungen Mittigs zu Dürers Bauerndarstellungen aber nicht auf die Bauernsäule übertragen lassen.42 So bleibt die Bauernsäule Dürers einziges künstlerisches Vermächtnis, was über eine mögliche Position bezüglich des Bauernaufstandes zeugen könnte. Die Frage ist nur welche. Der Plan für diese wird zusätzlich von den beiden anderen Entwürfen eingerahmt.43 Dabei handelt es sich um die große Gedächtnissäule für den Sieg über mächtige Feinde und ein Grabmal für einen Trunkenbold (siehe Abb. 6 links und rechts). Die Siegessäule und die Bauernsäule sind im Text durch eine gemeinsame Einleitung zusammengefasst, die einen Hinweis auf das Entstehungsmotiv und die Ausführung einer Triumphsäule gibt. Dürer greift dabei die antike Tradition auf, aus den Waffen und Rüstungen der Besiegten ein Denkmal zu errichten. Je hochwertiger die Beute, umso höher war der Triumph des Sieges zu bewerten. Gegen eine hoch entwickelte Kultur zu gewinnen, war ehrenhafter als ein primitives Volk zu schlagen. Diese Aspekte finden sich auch im Entwurf und der Beschreibung des Siegesmals. Waffen und Ausrüstungen bilden die Teile einer bekrönten Säule. Ganz im Gegensatz hierzu stehen die „Trophäen“ der Bauernsäule: Auf einem flachen Podest lagern gebundene Kühe, Schweine und Schafe. Auf einem zweiten Podest stehen an den Ecken Körbe mit Produkten der Landwirtschaft. Darüber zu einer Säule aufgestapelt folgen ein Haferkasten, ein Kessel, ein Käsenapf, ein Teller, ein Butterfass, ein Milchkrug, bäuerliches Arbeitsgerät mit Getreidegaben, ein Hühnerkorb: Auf diesem steht ein umgedrehter sogenannter Schmalzhafen. Als Bekrönung des ganzen soll man, so Dürer, einen traurigen Bauern daraufsetzen, „der mit einem schwert durch stochen sey“.44 Bereits bei der Auflistung dieser von Dürer allgemein als „gezeugs“ betitelten Dinge wird klar, dass es sich bei diesem Bauauftrag nur um eine Persiflage handeln kann. Trotz genauer Angaben die Größe betreffend könnte eine Säule aus diesen Gegenständen keinerlei Stabilität

41 Vgl. ebd. S. 32 ff. 42 Vgl. ebd., S. 154. 43 Laut von der Dunk wurde die Skizze der Bauernsäule von Dürer nachträglich eingefügt. Er schlussfolgert, dass das umfangreiche Buch über einen längeren Zeitraum entstanden sein muss, jedoch im Jahr der Bauernkriegsunruhen veröffentlicht wurde. Der Autor sieht hierin den inneren Zwang des Künstlers, öffentlich Stellung nehmen zu wollen. Vgl. ebd. S. 145 u. 151. 44 DÜRER, Vnderweysung (wie Anm. 33), S. 101.

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und Beständigkeit besitzen.45 Schnell wird klar, dass das erbeutete bäuerliche Arbeitsgerät und ihre Produkte, welche zwar die Grundlage für das städtische, monastische und höfische Leben bildeten, für den Sieger aber keinerlei Ruhm darstellen.46 Als krönender Abschluss soll ein getöteter Bauer selbst dienen. Der Künstler führt den adeligen bzw. klerikalen Kriegsherren die eigene Unehrenhaftigkeit, aber auch zugleich die Unsinnigkeit ihres Sieges vor. Das Erbeutete zeugt letztendlich nicht nur von der Einfachheit bäuerlichen Lebens, sondern auch zugleich von ihrer Wehrlosigkeit gegenüber den gut ausgerüsteten Kämpfern der überlegenen Seite. Hierin mag beißender Spott gegenüber den Siegreichen liegen, dennoch gibt es keine Auskunft darüber, ob Dürer mit der Sache der Bauern sympathisierte. Die offensichtliche Einfachheit der erbeuteten Trophäen könnte nicht nur den Adel lächerlich machen, sondern durchaus auch die Bauern dem Hohn – angesichts ihres als wertlos dargestellten Besitzes – aussetzen. Der Vorwurf liegt vielmehr darin, dass sich die Obrigkeiten durch ihren Sieg über die Bauern die Lebensgrundlage genommen haben. Dafür spricht auch, so Mittig, die Präsentation der landwirtschaftlichen Produkte am Fuße der Säule in jener Form, wie sie die Herren auch vom Markt her kannten.47 Das Denkmal eines Trunkenbolds, welches Dürer als letztes in der Reihe kreierte und von dem er auch gleichzeitig sagt, er habe es „von abenteuer wegen“ zusammen mit „den anderen seulen“ gezeichnet, scheint gleich mehrere Zwecke zu erfüllen.48 In der Tatsache, dass das Grabmal gerade mit jenen Genussmitteln geschmückt ist, die den Trunkenbold letztendlich das Leben gekostet haben, könnte wiederum ein Verweis auf die Bauernsäule liegen. Diese Erkenntnis macht sie gleichsam zu einem Grabmonument für den Adel – der Sieg wird ein bitterer. Der Verweis auf die scherzhafte Intention bei der Gestaltung dieses Kunstwerkes hätte Dürer womöglich ein plausibles Argument liefern können, um einem direkten Angriff der Obrigkeit wegen seiner Kritik zu begegnen.

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Eine Tatsache, welche Fraenger bei seinen Überlegungen ganz außen vor lässt. Vgl. MITTIG, Dürers Bauernsäule (wie Anm. 34), S. 19. Ebd., S. 20. Hierzu ausführlich von der Dunk, welcher unter anderem eine Verbindung zur Trinklust der Bauern und hierin wiederum eine mögliche Ursache des Scheiterns der Bauernaufstände sieht. „Vielleicht sollte daher die dritte Säule Dürers besagen, dass auch der in der Bauernsäule dargestellte Untergang der Bauern, jener Unbesiegbarkeit im Trinken zu verdanken war, der zufolge sie von Wein und irrealen Freiheitsideen benebelt, ihre eigene Existenz zerstört hatten.“ VON DER DUNK, Denkmal (wie Anm. 7), S. 152. Demnach hätte Dürer auch eine Kritik an die Bauern gerichtet.

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Abb. 7: Darstellungen von Albrecht Dürer zum trauernden Bauern, zum rastenden Christus, zu Hiob sowie zur Melencolia

Ein Element der Bauernsäule widerspricht jedoch ihrem reinen Zweck als Spott an der Selbstzerstörung des Adels. Dies ist die Gestalt des trauernden Bauers. Dürer greift hier die damals allgemein bekannte Gestalt des „Christus in der Rast“ auf (Abb. 7 oben links/oben rechts). Eine ikonografische Verbindung zwischen dem durchbohrten Bauern und Christus auf der Rast würde auf eine

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direkte Parteinahme Dürers für die Bauern sprechen. Dies gerade deshalb, da der Streit um die Rechte der Bauern während der Reformationszeit auch mit theologischen Argumenten geführt wurde. Ob jedoch eine Verbindung des leidenden Christus mit dem leidenden Bauern direktes Ziel Dürers war, bleibt reine Spekulation. Christus selbst tritt in dieser Szene als der leidende Gottesknecht auf, was wiederum ein Zitat aus dem Alten Testament ist und sich ikonografisch auf Hiob bezieht (Abb. 7 unten links). Dürer verwendete diesen Darstellungstypus jedoch auch in anderen, profaneren Werken, wie das Beispiel der Melancholia zeigt (Abb. 7 unten rechts). Die Gestalt des Bauern ist somit nicht primär als Christuszitat zu lesen, „sondern allgemeiner Ausdruck von Elend und Hilflosigkeit“.49 Alles darüber hinaus bleibt Interpretation.50 Sicherlich fand eine Gesellschaftskritik innerhalb mancher Werke statt, aber daraus eine kongruente persönliche soziale wie politische Gesinnung des jeweiligen Künstlers herauszulesen, wäre verfehlt. Auch hier muss man sich zunächst an die Quellen halten. Bei einer Vereinnahmung der Künstler zur Untermauerung eigener Thesen wird zu oft – gewollt oder ungewollt – ausgeblendet, dass es sich bei diesen um historische Persönlichkeiten handelte, welche sowohl in ihren ökonomischen als auch in ihren politischen Kontexten und Zwängen verhaftet waren. Die Werke bekannter Künstler spiegeln viel eher die inneren Konflikte wider, als bewusst anprangernd und kritisch zu sein. Religiöse Anschauung und ein eventuelles Mitgefühl kollidieren mit dem Bewusstsein um die eigene Lebensgrundlage und dem Verständnis von der eigenen gesellschaftlichen Stellung. Schon die Reformation stellte eine Vielzahl der Künstler vor schwere innere Konflikte. Sympathisierten sie mit den neuen Lehren, mussten sie sich ein neues Betätigungsfeld erschließen, was sicherlich nicht vielen gelang. Wirtschaftlicher und sozialer Abstieg waren die Folge. Die Alternative war, wieder für altgläubige 49 Vgl. MITTIG, Dürers Bauernsäule (wie Anm. 34), S. 29. 50 Viele weitere Aspekte wurden diskutiert. Hier sei nur das Schwert im Rücken der kauernden Bauerngestalt exemplarisch erwähnt: So sieht Fritz Duda das von Luther im Zusammenhang mit den Bauern benutzte Bibelzitat nach Matthäus 26, 52 „Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ als Warnung an die aufrührerischen Bauern. Vgl. Fritz DUDA, Dürers Gedächtnissäule für den Bauernkrieg. Polemische Gedanken zu einem Artikel von Wilhelm Fraenger in der „Bildenden Kunst“, H. 9/1970, in: Bildende Kunst, H. 1 (1972), 38–40, hier S. 39. Und von der Dunk sieht im Schwert, welches den Rücken des Bauern durchbohrt, die „Blindheit der Fürsten gegenüber der Unentbehrlichkeit der überwundenen Bauern“. VON DER DUNK, Denkmal (wie Anm. 7), S. 151. Mittig wiederum sagt: „Wenn überhaupt, so hat Dürer mit ihm auf Verrat angespielt; Verrat war eine der Ursachen für den Ausgang des Bauernkrieges.“ MITTIG, Dürers Bauernsäule (wie Anm. 34), S. 30. All diese Thesen haben etwas für sich, dennoch bleibt letztendlich alles Spekulation.

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Auftraggeber zu arbeiten und somit mit einem großen Teil der neu erworbenen Überzeugungen zu brechen. Existenzielle Nöte des Diesseits stehen der Frage des Seelenheils im Jenseits gegenüber. Nichts zeigt diesen Konflikt besser als Sebald Behams Holzschnitt „Luther im Disput mit Handwerkern“ (Abb. 8).

Abb. 8: Handwerker und Geistliche klagen vor Gott über ihre finanziellen Einbußen durch Luthers Lehre. Holzschnitt von Hans Sebald Beham zum Flugblatt „Ein neuwer Spruch / wie die Geystlichkeit vnd etlich Handtwercker vber den Luther clagen“ von Hans Sachs, Nürnberg, um 1524

Die Grafik einer Flugschrift von 1524 thematisiert genau dieses Dilemma. Auf der linken Seite stehen Vertreter der Handwerker, unter ihnen auch ein Maler. Eine Nonne symbolisiert als Vertreterin des altgläubigen geistigen Standes die Auftraggeber. Vertreten wird diese Seite von einem Advokaten. Die Gegenseite hingegen, welche Personen aus dem einfachen Volk darstellt – unter ihnen auch eine Bäuerin, wird von Luther vertreten, der aus der Heiligen Schrift argumentiert und damit auch die Oberhand gewinnt. Gott hat zwischen beiden Parteien zu richten. Aus dem dazugehörigen Text geht hervor, dass das Urteil positiv für Luthers Seite ausgeht.51 Dass hier Beham als ein Künstler gegen seine Standesinteressen argumentiert, wirkt mitunter wirklich revolutionär. Doch schon jener Stich seines Bruders ein Jahr später mit dem prägnanten Titel „Der Welt Lauf“ scheint alles wieder zu relativieren. Die Gerechtigkeit – hier in Gestalt von 51 Matthias DÄMMIG, Luther im Disput mit Handwerkern, in: MÜLLER/SCHAUERTE (Hg.), Die gottlosen Maler von Nürnberg (wie Anm. 10), S. 196 f., hier S. 197.

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Justitia – schläft (Abb. 9). Noch viel schlimmer, sie ist gefesselt. Vielleicht zeigt sich hier die Resignation des Künstlers, die ihn infolge der Geschehnisse von 1525 befallen hat. Der Fuchs, der im Hintergrund mit Justitias Schwert flieht und sie somit noch handlungsunfähiger macht, wird allgemein hin als Luther gedeutet.52 Eine Reaktion auf seine Schriften gegen die Bauern? Eine gänzliche Resignation der Behambrüder scheint die Folge zu sein. Die Tatsache, dass beide in der Folge auch wieder für altgläubige Auftraggeber arbeiten, kann diese These weiter untermauern. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sebald für Luthers „Lieblingsfeind“ Albrecht von Brandenburg tätig ist.53

Abb. 9: Barthel Beham, „Der Welt Lavf“, 1525

Es wird klar, wie schwierig es für die Künstler gewesen sein muss, sich eindeutig auf die Seite der Bauern zu stellen. Dass die – oft humanistisch gebildeten – Künstler das Leid der Landbevölkerung wahrnahmen und in ihren Werken 52 Herbert ZSCHELLETZSCHKY, Die „drei gottlosen Maler“ von Nürnberg. Sebald Beham, Barthel Beham und Georg Pencz. Historische Grundlagen und ikonologische Probleme ihrer Graphik zu Reformations- und Bauernkriegszeit, Leipzig 1975. 53 Vgl. Michael WIEMERS, Sebald Behams Beicht- und Meßgebetbuch für Albrecht von Brandenburg, in: Andreas TACKE (Hg.), Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, Göttingen 2005, S. 380–390.

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verarbeiteten, mag im Bereich des Möglichen liegen, sie jedoch offen oder versteckt zu unterstützen, schien unmöglich. Schließlich war der Adel neben dem Klerus das zweite Standbein vieler Künstler und der soziale Aufstieg Teil ihres Strebens. Eine „Verkehrung der Stände“ hätte ihnen schlicht die Lebensgrundlage genommen. Es bleibt daher zu behaupten, dass die viel beschworene Idee, dass der Bauernkrieg über die den Bildern vermeintlich eingeschriebenen Subtexte in die zeitgenössische Kunst Einzug gehalten hat – wie es über Jahrzehnte in der Forschung dargestellt wurde – bei vielen Werken letztendlich eine Frage der bloßen Interpretation bleibt. Darüber hinaus scheint die Vorstellung vom Künstler als „Kämpfer“ für Freiheit und Rechte der Bauern wohl eher eine fromme Illusion oder sollte man besser sagen „liebgewonnene Schublade“ zu sein, von der sich zu trennen manchem schmerzlich schwerfallen wird.

WERNER GREILING VORBILD ODER SCHRECKGESPENST?

Vorbild oder Schreckgespenst? Zur Rezeption des Bauernkrieges in der Volksaufklärung

1. Einleitung Die Bauern plünderten und verwüsteten alles, weßen sie nur habhaft werden konnten, auf eine entsetzliche Art, besonders die Klöster und Edelhöfe. Luther gab sich alle Mühe, diesem Unwesen Einhalt zu thun, er schrieb und sprach mit Sanftmuth dagegen, reißte nach Nordhausen, Erfurth, Weimar und Jena und hielt öffentliche Predigten und Ermahnungen. Auch der Churfürst verwarf die Strenge und suchte die Streitigkeiten und Unruhen in Güte beizulegen, allein diese unruhigen Köpfe wollten davon durchaus nichts wißen, und als sie täglich neue Plünderungen und Mordthaten verübten, zogen die Herzoge von Sachsen und Philipp von Heßen, nebst Heinrich von Braunschweig gegen sie zu Felde und schlugen die Aufwiegler bey Frankenhausen, daß 2000 Mann auf dem Schlachtfelde blieben. Münzer und Pfeiffer wurden gefangen und enthauptet. Bey Meinungen wurden kurz darauf wiederum 8000 Bauern erschlagen, so, daß diese Empörung endlich beygelegt ward.1

Dieses Zitat entstammt einem Text, mit dem Johann Ernst Daniel Bornschein im Jahre 1802 einem eher bildungsfernen Publikum das Leben und die Meinungen Martin Luthers nahezubringen suchte.2 Der Reformator Martin Luther wird von Bornschein als ein Vorkämpfer für die eigenen Ideen und Ziele wahrgenommen und mit ausgesprochen positiven Zügen versehen. Thomas Müntzer hingegen, der während der Reformation zum Widersacher Luthers avancierte, erscheint geradezu als Gegenentwurf zu diesem in einem deutlich schlechteren Licht. Bornschein schreibt über Müntzer: Dieser Schwärmer wiegelte die guten Thüringer besonders durch seine Predigten auf, lehrte eine Gemeinschaft der Güter (also, wie ungefehr heut zu Tage die Franzosen Freiheit und Gleichheit) und schrieb gegen Luther die ärgerlichsten Bücher. Er hatte

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Ernst BORNSCHEIN, Leben und Meinungen des seeligen Herrn D. Martin Luthers. Ein Lesebuch für den Bürger und Landmann vom Verfasser des Lebens und der Thaten des General Bonaparte, Gera und Leipzig: Hallersche Verlagshandlung 1802, S. 80. Vgl. Werner GREILING, Reformation, Volksaufklärung und protestantische Erinnerungskultur in Thüringen, in: DERS./Holger BÖNING/Uwe SCHIRMER (Hg.), Luther als Vorkämpfer? Reformation, Volksaufklärung und Erinnerungskultur um 1800, Köln/ Weimar/Wien 2016, S. 9–41.

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verschiedene Helfershelfer, worunter sich besonders ein entlaufener Mönch aus einem Prämonstratenser Kloster, mit Namen Heinrich Pfeiffer befand.3

„Unser großer Landsmann Luther“,4 so Bornschein, „hellerleuchteter Kopf seines Zeitalters“,5 wurde dem „bekannten Thomas Münzer“ gegenübergestellt, dem „unruhigen Kopf“ und „Schwärmer“.6 Der Wittenberger Reformator, „dessen muthvoller Geist alle Gefahren überwand, die man der Ausbreitung seiner bessern Lehre entgegenstellte,“ und der es verdiene, „daß sein Andenken immer aufs neue in unser Herz gebracht werde“,7 wird kontrastiert mit dem Anführer eines Schwarms aufständischer Bauern. „Diese unruhigen Köpfe“ hätten jegliche gütliche Beilegung des Konflikts abgelehnt und „täglich neue Plünderungen und Mordthaten“ verübt.8 Dies ist die zunächst eindeutige Konnotation der beiden Protagonisten von Reformation und Bauernkrieg in der Sicht eines populären Volksaufklärers um 1800. Luther gilt als Vorbild, Müntzer hingegen als Schreckgespenst. Im Folgenden soll allerdings nicht allein die Bewertung Thomas Müntzers im Schrifttum der Volksaufklärer hinterfragt, sondern auch das Bild beleuchtet werden, welches vom Bauernkrieg insgesamt gezeichnet wird. Bornscheins LutherBiographie aus dem Jahre 1802 bietet hierzu auch einige etwas differenziertere Passagen, in denen der Verfasser ein gewisses Verständnis für die Empörungen und Proteste der Bauern im Jahr 1525 aufbringt. Denn der Bauernkrieg habe eine durchaus nachvollziehbare Ursache gehabt: Sie lag in den, ohne Beispiel drückenden, Frohnlasten der geistlichen und weltlichen Herren und um sich derselben zu entledigen, fingen nun die Bauern in Schwaben, Franken und Elsaß zu erst eine Meuterei an, dann zog sich aber auch der Schwarm nach Thüringen und erwählte einen unruhigen Kopf, einen ehemaligen Pfarrer in Allstädt, den bekannten Thomas Münzer, zu seinem Anführer.9

Eine eigene biographische Würdigung – dies sei der Vollständigkeit halber noch angemerkt – erhielt Müntzer aus der Feder Ernst Bornscheins nicht. Auch andere Volksaufklärer, die sich um und nach 1800 mit der Reformation beschäftigten und biographische Porträts berühmter Reformatoren publizierten, widmeten dem Führer des thüringischen Bauernaufstandes kein eigenes Lebensbild. Dies mag mit der ausgesprochen schwierigen Quellenlage zu tun gehabt haben, aber 3 4 5 6 7 8 9

BORNSCHEIN, Leben und Meinungen (wie Anm. 1), S. 79 f. (Hervorhebungen durch d. Verf.). Ebd., S. 151. Ebd., S. 3. Ebd., S. 79. Ebd., S. 3. Ebd., S. 80. Ebd., S. 79.

VORBILD ODER SCHRECKGESPENST?

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auch mit Müntzers mangelnder Eignung zum historischen Vorbild. So erschienen in der zehnbändigen Reihe „Lebensbeschreibungen berühmter Reformatoren“, die um 1800 im Verlag von Georg Voß zu Leipzig herauskam und gemeinsam von Johann Wilhelm Friedrich Tischer und Gottlob Heinrich Adolph Wagner koordiniert wurde, biographische Skizzen von Männern wie Wyclif,10 Melanchthon,11 Calvin,12 Luther,13 Zwingli,14 Hutten15 und sogar Jan Hus.16 Dabei sind die Arbeitsanteile zwischen Verfasser und Reihenherausgeber nicht immer ganz klar, und auch die Überlieferung der einzelnen Bände ist lückenhaft. Einen Text über Thomas Müntzer jedoch gibt es in diesem publizistischen Unternehmen nicht.

2. Reformation, Bauernkrieg und Volksaufklärung Unter „Volksaufklärung“ fasst die Forschung eine Vielzahl von Aktivitäten zur Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts zusammen, die von der Mitte des 18. bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinweg zutage traten und von praktisch-gemeinnützigen Bestrebungen begleitet bzw. ergänzt wurden.17 Getragen 10 Gottlob Heinrich Adolph WAGNER, Johann Wiclef’s Leben. Ein Seitenstück zu dem Leben Luther’s, Huß’s, Melanchthon’s, Calvin’s und Zwingli’s, Leipzig: Voß und Compagnie 1801. 11 DERS., Philipp Melanchthons Leben, Zweyte verbesserte Auflage, Leipzig: Voß und Compagnie 1801. 12 DERS., Calvins Leben, Meinungen und Thaten. Ein Lesebuch für seine Glaubensgenossen, Leipzig: Voß und Compagnie 1794; 2. verbesserte Auflage, Leipzig: Voß und Compagnie 1818. 13 DERS., Luther’s Leben und Thaten, 4. verbesserte Auflage, Leipzig: Voß und Compagnie 1802; Johann Wilhelm Friedrich TISCHER, Luthers Leben und Thaten für den Bürger und Landmann beschrieben, 5. rechtmäßige verb. Auflage, Leipzig: Leopold Voß 1818. 14 Gottlob Heinrich Adolph WAGNER, Ulrich Zwingli’s Leben. Ein Seitenstück zu dem Leben Luthers, Huß und Melanchthons, Leipzig: Voß und Compagnie 1800 (VD18 1195163X). 15 DERS., Ulrichs von Huttens Leben. Fortsetzung der Reformatoren, Leipzig: Voß und Compagnie 1803. 16 DERS., Johann Hussens Leben. Ein Lesebuch für den Bürger, Zweyte verbesserte Auflage, Leipzig: Voß und Compagnie 1804. 17 Vgl. Holger BÖNING/Reinhart SIEGERT, Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 1: Holger BÖNING, Die Genese der Volksaufklärung und ihre Entwicklung bis 1780, Stuttgart/Bad Cannstatt 1990; Bd. 2: Reinhart SIEGERT/Holger BÖNING, Der Höhepunkt der Volksaufklärung 1781–1800 und die Zäsur durch die Französische Revolution, Teilbde. 2.1. und 2.2., Stuttgart/Bad Cannstatt 2001; Bd. 3: Reinhart SIEGERT, Aufklärung im 19. Jahrhundert – „Überwindung“ oder Diffusion?, Teilbde.

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von mehr als tausend Gebildeten überall im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bestand das Ziel der Volksaufklärung in der Popularisierung neuer Erkenntnisse aus allen Wissensgebieten zum alltäglichen Gebrauch und in der Vermittlung religiöser, moralischer, kultureller und politischer Vorstellungen. Dabei richtete man sich vor allem an die bildungsfernen Bevölkerungsschichten. Angestrebt wurde eine vernünftige Wirtschafts- und Lebensweise in einem Gemeinwesen, das man zunehmend als reformbedürftig erachtete. Die Volksaufklärung hat wohl nirgendwo sonst eine derart beeindruckende quantitative Dimension angenommen wie in Deutschland. Sie ist aber auch in anderen europäischen Ländern nachweisbar, so etwa in Skandinavien, im Baltikum und in den Ländern der Habsburger Monarchie.18 An Darstellungen zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Reformation herrscht kein Mangel.19 Man kann sich die Position zu eigen machen, dass „Luther und die Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem integralen Bestandteil“ der Volksaufklärung avancierten und dass zahlreiche Protagonisten „die Volksaufklärung als direkte Fortsetzung und Vollendung jener Reformation“ begriffen haben,20 die sie wiederum „zur Legitimation ihres eige-

3.1.–3.4., Stuttgart/Bad Cannstatt 2016 (im Folgenden: BÖNING/SIEGERT, Volksaufklärung, Bd.); GREILING, Reformation, Volksaufklärung und protestantische Erinnerungskultur (wie Anm. 2), S. 10. 18 Vgl. die Einleitung, in: Holger BÖNING u. a. (Hg.), Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie im europäischen Netzwerk der Aufklärung, Bremen 2011, S. 13–18. 19 Zum Folgenden vgl. GREILING, Reformation, Volksaufklärung und protestantische Erinnerungskultur (wie Anm. 2), S. 24–33; Werner CONZE, Zum Verhältnis des Luthertums zu den mitteleuropäischen Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert, in: Bernd MOELLER (Hg.), Luther in der Neuzeit. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983, S. 178–193; Walther KILLY, Luther in der trivialen Erzählung, in: ebd., S. 284–298; Joachim KRUSE, Luther-Illustrationen im frühen 19. Jahrhundert, in: ebd., S. 194–226; Jörg ECHTERNKAMP, „Religiöses Nationalgefühl“ oder „Frömmelei der Deutschtümler“? Religion, Nation und Politik im Frühnationalismus, in: Heinz-Gerhard HAUPT/Dieter LANGEWIESCHE (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt am Main 2001, S. 142–169; Manfred JACOBS, Die Entwicklung des deutschen Nationalgedankens von der Reformation bis zum deutschen Idealismus, in: Horst ZILLEßEN (Hg.), Volk – Nation – Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus, Gütersloh 1970, S. 51–110; Thomas K. KUHN, Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung, Tübingen 2003; Johann Baptist MÜLLER (Hg.), Luther und die Deutschen. Texte zur Geschichte und Wirkung, Stuttgart 1983. 20 Alexander KRÜNES, Luther als Vorkämpfer der Aufklärung? Die Reformation als Bestandteil volksaufklärerischer Publizistik in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 65 (2011), S. 157–180, hier S. 180; vgl. DERS., Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815–1848), Köln/Weimar/Wien 2013.

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nen reformerischen Wirkens zu nutzen“ suchten.21 Dennoch findet sich bislang keine größere Studie, die deren Verhältnis zur Reformation, welche Karl Victor von Bonstetten 1799 einen Vorboten der Volksaufklärung nannte,22 systematisch untersucht. Einige kleinere Arbeiten lassen bereits erkennen, dass sich eine eingehende Betrachtung der Art und Weise, wie sich die Volksaufklärer zur Reformation in Beziehung setzten und diese rezipierten, für ihr Erziehungs- und Bildungsprogramm aber auch instrumentalisierten, dennoch lohnt23 und zu interessanten Ergebnissen führen kann.24 Zwischen Reformation und Volksaufklärung lassen sich Parallelen in struktureller und in inhaltlicher Hinsicht erkennen.25 Strukturell standen die volksaufklärerischen Bemühungen in einer publizistischen Traditionslinie, die bis zur Reformation zurückreicht. Während die Reformatoren ihren Glauben und ihre Überzeugungen durch Flugblätter und Flugschriften öffentlichkeitswirksam kommunizierten, nutzten die Volksaufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts Bücher und Flugschriften als effiziente Medien der Ideenzirkulation. An die Stelle der Flugblätter, die in der Volksaufklärung anders als während der Reformation kaum eine Rolle spielten, traten zahlreiche Periodika. Hinzu kamen bei den Volksaufklärern ähnlich wie bei den Reformatoren Predigten und Kanzelreden, das Vorlesen und gleichzeitig intensive Räsonnement in geselliger Runde – im 16. Jahrhundert hätte man von Disputationen gesprochen – sowie Aktivitäten im Vereins- und Sozietätswesen. Es ist von einem publizistischen Gesamtaufkommen von mehr als 10.000 Titeln auszugehen, mit einer Vielfalt der Gattungen, mit schmalen Broschüren, 21 Holger BÖNING, Reformation und Volksaufklärung – einige Gedanken zu Zusammenhängen und Unterschieden, in: GREILING/BÖNING/SCHIRMER (Hg.), Luther als Vorkämpfer? (wie Anm. 2), S. 43–59, hier S. 46. 22 Karl Victor von BONSTETTEN, Ueber Volkserziehung, in: DERS., Neue Schriften, Th. 1– 4, Kopenhagen: Friedrich Brummer 1799–1801, hier Th. 1, S. 138–246, bes. S. 144 (VD18 10729380). 23 Vgl. KRÜNES, Luther als Vorkämpfer der Aufklärung? (wie Anm. 20); DERS., Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (wie Anm. 20); Werner GREILING, Volksaufklärung und Reformation. Die Luther-Biographie des Johann Ernst Daniel Bornschein, in: Jens BEGER (Hg.), Hessen und Thüringen. Festschrift für Jochen Lengemann zum 75. Geburtstag, Jena 2013, S. 191–206. 24 Vgl. GREILING/BÖNING/SCHIRMER (Hg.), Luther als Vorkämpfer? (wie Anm. 2). Der Band präsentiert die Ergebnisse einer Konferenz, die das Forschungsprojekt „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ vom 2.–4.7.2015 in Gera ausgerichtet hat. Versammelt sind 15 Beiträge zur Rezeption der Reformation insbesondere in der Volksaufklärung, aber auch in anderen Sphären der Gesellschaft, sowie zur Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik um 1800. 25 Vgl. GREILING, Reformation, Volksaufklärung und protestantische Erinnerungskultur (wie Anm. 2), S. 24–33.

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aber auch zahlreichen voluminösen Werken und mit einer Gesamtauflage im zweistelligen Millionenbereich. Verfasst wurde dieses Schrifttum von mehr als tausend Autoren, unter denen sich zahlreiche Geistliche und darunter wiederum viele Landpfarrer befanden.26 Angesichts einer klaren evangelischen Mehrheit unter den Volksaufklärern verwundert es nicht, dass im Schrifttum der Volksaufklärung auch die Reformation und ihr führender Protagonist Martin Luther thematisiert wurden. Viele Volksaufklärer, deren theologische „Fraktion“ mehrheitlich dem theologischen Rationalismus zuzurechnen ist, waren der Meinung, dass bereits mit der Reformation eine allgemeine Verbesserung der Lebenssituation des gemeinen Mannes eingetreten sei. Man zeigte sich davon überzeugt, dass Luther und seine Mitstreiter, ähnlich wie seit dem frühen 18. Jahrhundert die Aufklärer, den Prinzipien der Vernunft gefolgt seien. Die Reformation habe die Grundlagen für die Aufklärung gelegt. Der entstehende Protestantismus hätte neue Denkprozesse eingeleitet und damit die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Modernisierung geschaffen. Es kann also auch eine inhaltliche Parallelität zwischen Reformation und Aufklärung festgestellt werden, die den Volksaufklärern wiederum Legitimation für eine intensive Beschäftigung mit dem Geschehen im frühen 16. Jahrhundert und mit der „Lichtgestalt“ Martin Luther bot.27 Allerdings stimmen die Ernsthaftigkeit der Reformationsrezeption und die Wertschätzung, welche die Volksaufklärer dem Reformator Luther entgegenbrachten, mit der Anzahl entsprechender Publikationen nicht überein. Der Anteil historischer Darstellungen am volksaufklärerischen Gesamtschrifttum war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ohnehin recht begrenzt, er schwankte zwischen einem und

26 Vgl. Luise SCHORN-SCHÜTTE, Zwischen ‚Amt‘ und ‚Beruf‘: Der Prediger als Wächter, ‚Seelenhirt‘ oder Volkslehrer. Evangelische Geistlichkeit im Alten Reich und in der schweizerischen Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert, in: DIES./Walter SPARN (Hg.), Evangelische Pfarrer. Zur sozialen und politischen Rolle einer bürgerlichen Gruppe in der deutschen Gesellschaft des 18. bis 20. Jahrhunderts, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, S. 1–35; Reinhart SIEGERT, Pfarrer und Literatur im 19. Jahrhundert, in: ebd., S. 169–184; DERS., Die „Volkslehrer“. Zur Trägerschicht aufklärerischer Privatinitiative und ihren Medien, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 1 (1999), S. 62–86; DERS., Theologie und Religion als Hintergrund für die „Leserevolution“ des 18. Jahrhunderts, in: HansEdwin FRIEDRICH/Wilhelm HAEFS/Christian SOBOTH (Hg.), Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert. Konfrontation – Kontroversen – Konkurrenzen, Berlin/New York 2011, S. 14–31. 27 Vgl. Axel LANGE, Reformation und Revolution. Eine theologisch-politische Diskussion im Umkreis des Wartburgfestes und des Reformationsjubiläums von 1817, in: Burghard DEDNER (Hg.), Das Wartburgfest und die oppositionelle Bewegung in Hessen, Marburg 1994, S. 215–230.

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etwas mehr als drei Prozent.28 In den sechs Jahrzehnten zwischen 1801 und 1860 kann man 85 der insgesamt 4.428 bibliographierten Titel dem Bereich der Geschichte zuordnen, das sind im Durchschnitt etwa zwei Prozent. Vor 1800 lag der Anteil historischer Darstellungen sogar noch unter diesem Wert. Relativ gering ist zudem die Menge jener Schriften, die sich expressis verbis mit der Reformation oder zumindest mit Kirchengeschichte befassen. Es handelt sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um kaum mehr als ein Dutzend selbständig erschienener Schriften.29 Zählt man die Beiträge in den volksaufklärerischen Periodika hinzu, kommt man auf etwas höhere Werte. Dessen ungeachtet erscheint eine genauere Betrachtung des Verhältnisses der Volksaufklärer zum deutschen Bauernkrieg als ein lohnendes Unterfangen. Der Bremer Pressehistoriker Holger Böning meinte kürzlich, „dass die Rückbesinnung auf die Bauernkriege und in diesem Kontext auf Luther und dessen Verhältnis zu Thomas Müntzer eine eigene Studie“ verdiene.30 Dabei bleibt der Eindruck von einer deutlichen Distanz der Volksaufklärer zum Bauernkrieg und zu Müntzer, wie er sich aus der Luther-Biographie Bornscheins ergibt, auch bei Lektüre weiterer volksaufklärerischer Texte vorherrschend. Vier von ihnen sollen im Folgenden nach einem einheitlichen Schema knapp vorgestellt, paraphrasiert und im Kontext weiterer Stellungnahmen zum Bauernkrieg ausgewertet werden.

28 Vgl. Werner GREILING, Wissenspopularisierung und Volksaufklärung im 19. Jahrhundert: Naturwissenschaften und Geschichte als Politikersatz?, in: Holger BÖNING (Hg.), Volksaufklärung ohne Ende? Vom Fortwirken der Aufklärung im 19. Jahrhundert, Bremen 2018, S. 77–92. Zwischen 1801 und 1820 können 18 der 1.758 bibliographierten Titel dem Bereich Geschichte zugeordnet werden (ca. 1 %), zwischen 1821 und 1840 sind es 24 von 1.340 (ca. 1,8 %) und zwischen 1841 und 1860 kommt man auf 43 der 1.330 Titel (ca. 3,2 %). Vgl. BÖNING/SIEGERT, Volksaufklärung, Bde. 3.1.–3.3. (wie Anm. 17). 29 Vgl. ebd. Festzuhalten ist aber, dass die zweifellos vorzügliche und sehr umfangreiche Bibliographie dennoch keine Vollständigkeit beanspruchen kann und wichtige Titel wie die „Geschichte der Lutherschen Kirchenreformation“ von Ernst Bornschein nicht aufgenommen sind. Es handelt sich hier also lediglich um Tendenzaussagen. 30 BÖNING, Reformation und Volksaufklärung (wie Anm. 21), S. 44. Zur Rezeptionsgeschichte des Bauernkrieges und Müntzers gibt es für die Zeit des Vormärz immerhin einige Annäherungen, wenn auch mit anderen Schwerpunktsetzungen. Vgl. u. a. HansJoachim KERTSCHER, „Gewalt hat die Throne gebaut, Gewalt wird sie erschüttern.“ Die Gestalt Müntzers in der deutschen Prosaliteratur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Hans-Jürgen GOERTZ/Thomas T. MÜLLER (Hg.), Thomas Müntzer in Roman und Erzählung. Günter Vogler zum 80. Geburtstag, Mühlhausen 2013, S. 92–115; Reinhard JONSCHER, Zwischen Erinnerung, Verdrängung und Instrumentalisierung – Zur Bauernkriegserinnerung in Thüringen, in: Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 467–483.

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3. Thomas Müntzer und der Bauernkrieg: Fallbeispiele 3.1. Liebner: D. Martin Luthers Reformationsgeschichte für die Jugend (1785) A. Verfasser Johann Adolph Liebner wurde 1750 in Gleina bei Zeitz geboren, studierte Theologie und wirkte zeitweise als Pfarrer zu Haynsburg unweit der Stadt Zeitz. Zu den wenigen Informationen über sein Leben zählen die Tätigkeitszuschreibungen als Hauslehrer, Privatgelehrter und Schriftsteller. Als solcher wirkte er offensichtlich längere Zeit in Kölleda. Neben der in Rede stehenden Reformationsgeschichte publizierte er ein Buch gegen den Aberglauben unter Christen31 – ein geradezu klassisches Thema der Volksaufklärung – sowie die schmale Schrift „Ueber D. Martin Luthers Dichtkunst und Lieder“.32 Verstorben ist er 1808 in Kölleda. B. Verlag / Erscheinungskontext Der komplette Titel von Liebners Schrift lautet: „D. Martin Luthers Reformationsgeschichte für die Jugend“.33 Erschienen ist sie bei Christoph Friedrich Bekmann in Gera, zu jener Zeit Residenzstadt von Reuß jüngerer Linie. Neben einer Widmung an die Gräfin Louise Henriette von Hoym, datiert auf den 23. März 1785 und mit der Ortsangabe Kölleda versehen, enthält das Buch auch eine Vorrede. C. Absicht der Publikation In der Vorrede berichtet der Verfasser vom Unterricht mit seinen Zöglingen in Kölleda, die er frühzeitig mit Ursprung, Ausbreitung und Gründung der Lutherschen Lehre vertraut gemacht habe. Aus diesen Erfahrungen heraus habe er das Buch verfasst und veröffentlicht. „Da man nun seit etlichen Jahren für den Unterricht der Jugend besonders gesorgt, und ihr fast in allen Arten der Wissenschaften angenehme, deutliche und faßliche Bücher in die Hände geliefert hat, so fiel mir ein: ‚solltest du der Jugend nicht auch gemeinnützig werden, und ihre Kenntnisse bereichern helfen, wenn Du ihr Luthers Reformationsgeschichte 31 Johann Adolph LIEBNER, Nöthiger Unterricht über den noch herrschenden schädlichen Aberglauben unter Christen. Ein Lesebuch besonders für die Jugend, Erfurt: Keyser 1789 (VD18 11769165). 32 DERS., Ueber D. Martin Luthers Dichtkunst und Lieder, Wittenberg: Kühne; Oschatz: Megelin 1791 (VD18 11451548). 33 DERS., D. Martin Luthers Reformationsgeschichte für die Jugend, Gera: Christoph Friedrich Bekmann 1785 (VD18 10155333).

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öffentlich in einem Buche so bekannt machtest, wie du sie deinen Zöglingen vorgetragen?‘ “ Liebners Ziel besteht darin, „durch diese Geschichte etwas zur nützlichen Erkenntniß der Jugend“ beizutragen.34 D. Adressaten Die Adressaten von Liebners Schrift sind Schüler und Jugendliche. In einer Sammelrezension der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ wird sie als „mit Fleiß und zweckmäßig bearbeitet“ gelobt und „auch Erwachsenen zur kurzen Uebersicht und Wiederholung“ sowie „Studierenden und Candidaten“ empfohlen.35 E. Struktur der Darstellung Die eigentliche Darstellung mit einem Umfang von 414 Seiten ist in insgesamt 218 kleine Abschnitte gegliedert, die durchgehend nummeriert und auch paginiert sind. Widmung und Vorrede sind unpaginiert. Der Hauptteil beginnt mit einer Einleitung, die aus 17 dieser kurzen Texte besteht und in der grundlegende Fragen erörtert, zentrale Ereignisse der Kirchengeschichte vor 1517 skizziert und einige Lebensstationen Luthers, die zum Verständnis der Reformation nötig sind, abgehandelt werden. Im Abschnitt über „Wichtigkeit und Nutzen der Reformationsgeschichte“ wird die von Luther unternommene Kirchenverbesserung als „wichtigste Begebenheit und Veränderung, die seit der Apostel Zeit in der christlichen Kirche vorgegangen“ ist,36 charakterisiert. Auf die Einleitung folgt eine streng chronologische Darstellung, die 1517 einsetzt und dann in Jahresschritten fortgeführt wird. Den einzelnen Jahren ist eine unterschiedlich große Anzahl von Abschnitten zugeordnet. Die Darstellung endet mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555. F. Historischer und erinnerungskultureller Zusammenhang mit der Reformation Ein vordergründiger historischer bzw. erinnerungskultureller Zusammenhang ist für die erste Ausgabe der Schrift 1785 nicht erkennbar. Gleiches gilt für eine zweite Auflage, die sich 1805 in einem anderen Verlag – nämlich in der Buchhandlung von Georg Adam Keyser in Erfurt – und mit leicht verändertem Titel ausdrücklich auch an erwachsene Leser richtete.37 Eine „dritte unveränderte Ausgabe mit einem Bildnisse Luthers“ wurde im Februar 1817 in einer Anzeige für das laufende Jahr angekündigt und in einen Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum gerückt. „Es ist wohl jetzt der schickliche Zeitpunkt“, wird 34 35 36 37

Ebd., unpag. Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 281 vom 22.11.1788, Sp. 529–532, hier Sp. 531. LIEBNER, D. Martin Luthers Reformationsgeschichte für die Jugend (wie Anm. 33), S. 1. DERS., Reformationsgeschichte D. Martin Luthers für die Jugend, auch für Erwachsene. Ein nützliches und unterhaltendes Lesebuch, Erfurt: Keyser 1805.

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vom Erfurter Verlag Keyser mitgeteilt, „wo sich die dritte Jubelfeier des großen und so folgenreichen Reformationswerkes naht, folgendes schätzbare Geschichtswerk auf’s Neue in Erinnerung zu bringen: Reformationsgeschichte Dr. Martin Luthers.“ Der beigelegte Kupferstich sei eine der „getreuesten Nachbildungen eines Original-Gemäldes von Lucas Cranach“.38 G. Bewertung des Bauernkriegs „In diesem Jahr entstund in Deutschland der große Bauernaufruhr, welcher Luthers Reformation hätte gefährlich werden können“, beginnt Liebner seine Ausführungen zum Jahr 1525. Der zeitgenössische Vorwurf, Martin Luthers „Lehre von der christlichen Freyheit“ habe „zu dieser Rebellion Gelegenheit gegeben“, wird von ihm mit dem Argument zu entkräften versucht, „daß die Bauern schon vor der Reformation einigemal rebelliret“ hätten. Zudem äußert der Verfasser ein gewisses Verständnis für den Aufstand der Bauern, dessen eigentliche Ursachen „der unerträgliche Frohndienst und andere Bedrückungen von geist- und weltlichen Herren“ gewesen seien.39 Trotz dieser Zugeständnisse zeichnet Liebner aber ein negatives Bild vom Aufstand der Bauern und von ihrem Wesen. „Die Bauernschaft […] raubte, plünderte, mordete und verwüstete alles auf eine entsetzliche Art, wo sie hinkam, sonderlich in Klöstern und auf den Edelhöfen.“ Es seien „Rebellen“, die trotz der Versuche, die Konflikte friedlich beizulegen, immer fortfuhren, „auf das ärgste zu hausen“.40 Nur deshalb habe die Obrigkeit am Ende Gewalt gebrauchen müssen. Nach Erwähnung der Schlacht bei Frankenhausen, bei der Liebner zufolge „7000. Mann auf dem Platze blieben“, beendet er den Abschnitt zum Bauernkrieg mit dem emotionslos formulierten Satz: „Bey Meinungen (sic!) wurden hernach wieder 8000. Bauern erschlagen, und bey Gotha, Eisenach und Weimar wurden sie ebenfalls zerstreuet, so, daß endlich dieser Bauernkrieg ganz beygelegt wurde.“41 H. Das vermittelte Müntzer-Bild Diesem Tenor folgt auch die Art und Weise, in der Liebner über Thomas Müntzer urteilt. Müntzer gilt dem Verfasser als „der bekannte Schwärmer“, der „die Bauern besonders durch Predigten“ aufwiegelte, „eine Gemeinschaft der

38 Oppositions-Blatt oder Weimarische Zeitung, Beilage zum Oppositions-Blatte, Nr. II vom 8.2.1817. 39 LIEBNER, Reformationsgeschichte D. Martin Luthers für die Jugend (wie Anm. 33), S. 116. 40 Ebd., S. 117. 41 Ebd., S. 118.

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Güter“ lehrte und gegen Luther schrieb, „auf welchen er greulich schimpfte“.42 Die knappen und durchgängig negativ konnotierten Bemerkungen zu Müntzer finden dann ihren Schluss in einer ähnlich emotionslosen Formulierung wie die Bemerkungen des Verfassers zum Ausgang des Bauernkriegs und dessen hohem Blutzoll. Liebner hält lapidar fest: „Münzer und Pfeifer wurden gefangen, enthauptet, und die Köpfe auf einen Pfahl gesteckt.“43

3.2. Bornschein: Geschichte der Lutherschen Kirchenreformation (1805) A. Der Verfasser Johann Ernst Daniel Bornschein wurde 1774 in Prettin in der Nähe von Merseburg als Sohn des Bürgermeisterehepaares Daniel und Johanna Eleonora Bornschein geboren.44 Von 1793 bis 1797 studierte er in Leipzig und Wittenberg und verfasste bereits während dieser Zeit Romane und Dramen. Nach dem Studium war er als Korrektor für verschiedene Druckereien tätig,45 verließ 1802 Leipzig und zog nach Gera. In der reußischen Residenzstadt wirkte er als Schriftsteller und Publizist im Umfeld des Volksaufklärers Christoph Gottlieb Steinbeck,46 mit dem er diverse Zeitschriftenprojekte verwirklichte.47 Bereits 1802 übernahm er die Herausgabe der „Neuen privilegirten Geraischen Zeitung“, die er bis 1836 leitete. Als besonderes Charakteristikum kann Bornscheins Bemühen gelten, mit populärhistorischen Darstellungen Themen der deutschen, polnischen und französischen Geschichte in den Blick zu nehmen und damit einen volksaufklärerischen Beitrag zur historischen Bildung zu leisten.48 42 43 44 45 46

Ebd., S. 116 f. Ebd., S. 118. Vgl. Stadtarchiv Gera (im Folgenden: StadtA Gera), III F4/89. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 16, H. 1, Weimar 1840, S. 1102. Vgl. Julia BEEZ, Christoph Gottlieb Steinbeck. Dimensionen volksaufklärerischer Publizistik um 1800, Bremen 2016; Felicitas MARWINSKI, Aufgeklärte Kleinstadtpublizistik im thüringischen Raum – Christoph Gottlieb Steinbeck aus Langenberg bei Gera, die Genese eines Journalisten, in: Hans-Wolf JÄGER (Hg.), Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 187–202. 47 Vgl. Der teutsche Patriot, Eisenberg 1802–1805; Magazin für Freunde des deutschen Vaterlandes. Monatsschrift für den Bürger und Landmann, Camburg 1803. 48 Vgl. Ernst BORNSCHEIN, Geschichte unsers Teutschen Vaterlandes von seinem Entstehen an bis auf unsere Zeiten: Ein Lesebuch zunächst für den Bürger und Landmann, dann auch für Schulen brauchbar (Teil 1–3), Lobenstein 1803; DERS., Geschichte des Kriegs der Drey Kaiser und ihrer Verbündeten im Jahr 1805. Ein Lesebuch, zunächst für den Bürger und Landmann, dann auch für Schulen brauchbar (Geschichte unsers

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In Gera gründete Bornschein eine Kunsthandlung,49 war durch die Tätigkeit an der „Neuen privilegirten Geraischen Zeitung“ in den Kreis der Redakteure und Mitarbeiter eingebunden und lernte hier wahrscheinlich auch die Schwester des Verlegers Gottlieb Heinrich Illgen kennen. Die 1785 geborene Johanna Friederike Illgen, Tochter eines Kantors aus Roßwein, wurde 1807 Bornscheins Frau.50 Damit verfestigten sich die Beziehungen zum Verleger Illgen, bei dem auch die in Rede stehende Reformationsgeschichte erschienen war. 1807 wurde er zum „Fürstl. Reuß-Greizischen Hof-Commissär“ ernannt,51 während fast zeitgleich sein bisher enormer Schreibeifer deutlich nachließ. Im Jahre 1838 ist Johann Ernst Daniel Bornschein in Gera an „Wassersucht“ gestorben. B. Verlag / Erscheinungskontext Der komplette Titel der Schrift lautet: „Ernst Bornschein’s Geschichte der Lutherschen Kirchenreformation mit einer Einleitung über die Geschichte der christl. Kirche und ihres allmähligen Verfalls durch die Päpste. Zunächst für den Bürger und Landmann besonders aber als Lehr- und Lesebuch für Stadt- und Landschulen zu gebrauchen“.52 Erschienen ist das Buch 1805 im Verlag seines späteren Schwagers Gottlieb Heinrich Illgen in Lobenstein, einer kleinen Residenzstadt im Fürstentum Reuß jüngerer Linie. C. Absicht der Publikation In einer Zeit der napoleonischen Herausforderung – ein Jahr nach Erscheinen des Buchs wurde der Rheinbund gegründet, dem Reuß jüngerer Linie im April 1807 dann auch beitrat – könnte man bei Bornschein gegebenenfalls die absichtsvolle Besinnung auf eine wichtige Epoche der eigenen deutschen Geschichte unterstellen. Formuliert ist dies jedoch nicht. Dem Verfasser geht es aber erklärtermaßen um eine verständliche Reformationsdarstellung, die auch

49 50 51 52

Teutschen Vaterlandes, Teil 4), Lobenstein 1806; DERS., Geschichte der merkwürdigsten Ereignisse in den Jahren 1806, 7, 8, 9 und 1810 oder: Kaiser Napoleon an der Weichsel, dem Tajo und Inn. Ein Lesebuch für den Bürger und Landmann (Geschichte unsers Teutschen Vaterlandes, Teil 5), Eisenberg 1810; DERS., Geschichte von Polen: vom Ursprung dieses Reichs an bis auf die neuesten Zeiten: Für nicht gelehrte, aber gebildete Liebhaber der Geschichte, Leipzig 1808. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen (wie Anm. 45), S. 1102. Vgl. StadtA Gera, III F4/89. Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Greiz: Regierung Gera, JJ, Nr. 72. Ernst BORNSCHEIN, Geschichte der Lutherschen Kirchenreformation mit einer Einleitung über die Geschichte der christl. Kirche und ihres allmähligen Verfalls durch die Päpste. Zunächst für den Bürger und Landmann besonders aber als Lehr- und Lesebuch für Stadt- und Landschulen zu gebrauchen, Lobenstein: Illgensche Hofbuchhandlung 1805.

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die Vorgeschichte einbezieht. Alle Reformationsgeschichten, die Bornschein bekannt sind, würden „durchgängig einen großen, tadelnswerthen Fehler“ aufweisen. Sie begännen nämlich „alle mit dem Jahre 1517, oder, wenn sie ja etwas von dem alten Schlendrian abweichen, höchstens mit Luthers Geburt“.53 Er aber wolle auch „eine kurze Uebersicht der christlichen Kirchengeschichte“ liefern, um „alle von Luther zur Zeit der Reformation angegriffenen Irrthümer chronologisch zu entwickeln.“54 Zugleich wandte er sich gegen die zu große Weitschweifigkeit anderer Reformationsdarstellungen und insbesondere gegen deren „Menge unwichtiger Daten“, und zwar sowohl bei Jahreszahlen als auch bei „historischen Nebenfacten“.55 In dieser Hinsicht wollte sich Bornschein ausdrücklich auch von „Liebners Reformationsgeschichte für die Jugend“ abheben, die zwar „mehrere Vorzüge“ habe, aber „mit ermüdenden Weitschweifigkeiten abgefaßt“ sei.56 Er hingegen wolle eine verständliche Reformationsgeschichte ans Publikum bringen und mit dieser „recht vielen Nutzen stiften“,57 weshalb er sich auch „einer reinen, deutlichen Sprache“ bedient habe.58 D. Adressaten Ähnlich wie in den meisten anderen Publikationen Bornscheins sind die Adressaten bereits im Untertitel der Schrift genannt. Die Reformationsgeschichte sei „zunächst für den Bürger und Landmann besonders aber als Lehr- und Lesebuch für Stadt- und Landschulen zu gebrauchen“. Dabei wählte der Verfasser einen Mittelweg, um „keiner Classe von Lesern zu viel Vorschub zu thun und keine zu vernachlässigen“.59 Im Vorwort erörtert Bornschein noch die für sein Publikum gebotene Darstellungsweise, wobei insbesondere der beabsichtigte Charakter „eines instructiven Schulbuchs“ große Herausforderungen stelle.60 So gelte es etwa zu vermeiden, „den Kopf des jungen Zöglings mit einer Menge unwichtiger Daten zu überladen, die ihn von dem Studium der Geschichte weit eher ab- als anziehen“.61 Jedenfalls richtet sich Bornschein nicht an Historiker, Theologen oder andere Gebildete, sondern an bildungsferne Schichten und an Schüler. Er müsse „gedrängt, leicht und anschaulich“ schreiben, um vor allem bei den Schülern zunächst „Lust und Liebe zu den Wissenschaften“ zu wecken.

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Ebd., S. V. Ebd., S. VII. Ebd., S. IX. Ebd., S. VIII. Ebd., S. XII. Ebd., S. X. Ebd., S. IV. Ebd., S. III. Ebd., S. IX.

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E. Struktur der Darstellung Bornscheins Reformationsbuch umfasst 226 Seiten und ist in 13 Kapitel gegliedert. Vorangestellt sind ein zwölfseitiges, römisch paginiertes Vorwort und ein Pränumerantenverzeichnis ohne Paginierung. Ein Inhaltsverzeichnis ist nicht vorhanden. Den 13 Kapiteln ist noch eine umfangreiche Einleitung von 66 Seiten vorangestellt, die eine „Kurze Geschichte der christlichen Kirche“ von Christi Geburt bis 1517 bietet. Die Kapitel mit einem durchschnittlichen Umfang von ca. neun Seiten sind chronologisch aufgebaut. In einer Unterschrift werden der jeweilige Zeitraum und die inhaltlichen Fragestellungen genannt. Dem letzten Kapitel schließt sich ein 15-seitiger Aufsatz mit der Überschrift „Luthers Denkmahl“ an, in dem die Frage eines öffentlichen Lutherdenkmals erörtert und nachdrücklich für „die Errichtung des Lutherischen Denkmahls“ plädiert wird.62 „Erläuternde Zusätze und nöthige Verbesserungen“ im Umfang von rund 30 Seiten schließen das Buch ab. Hier werden diverse Sachverhalte noch ausführlicher dargestellt und erklärt, aber auch zahlreiche Druckfehler korrigiert. F. Historischer und erinnerungskultureller Zusammenhang mit der Reformation Das Erscheinungsjahr 1805 lässt keinen Zusammenhang zum Inhalt der Schrift erkennen, bis zum großen Reformationsjubiläum 1817 dauerte es zu diesem Zeitpunkt immerhin noch zwölf Jahre. Im Vorwort schreibt der Verfasser, dass es ihm darum gehe, eine verständliche Reformationsgeschichte vorzulegen, und dass diese nicht zu teuer und nützlich für die Leser sein solle.63 Ein spezifischer erinnerungskultureller Aspekt stellt sich durch die Ausführungen über „Luthers Denkmahl“ her, die eine separate Würdigung und Kritik erfahren müssten. Hier rekurriert der Verfasser auf die diversen Aktivitäten zur Errichtung eines Denkmals zu Ehren Luthers, erörtert die erinnerungskulturelle Konnotation wie die künstlerische Ausformung eines solchen Objekts und nimmt auch Bezug auf ähnliche Aktivitäten zur Würdigung des Reformators.64 Zum Reformationsjubiläum 1817 kam eine neu gesetzte zweite Auflage von Bornscheins Reformationsgeschichte heraus, welche die erhöhte Aufmerksam62 Ebd., S. 195. 63 Vgl. ebd., S. XI f. 64 Vgl. Werner GREILING, Reformationsgeschichte(n) um 1800. Populäre Historiographie zwischen Volksaufklärung und Schulbuchproduktion, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 71 (2017), S. 119–143; Otto KAMMER, Reformationsdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Bestandsaufnahme, Leipzig 2004, S. 12 f.; Reinhard DITHMAR, Lutherdenkmäler, Weimar 2014, S. 13–15 u. 34 f.; Joachim KRUSE, Luther-Illustrationen im frühen 19. Jahrhundert, in: Bernd MOELLER (Hg.), Luther in der Neuzeit. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983, S. 194–226, bes. S. 199–226.

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keit in der Gesellschaft zu nutzen suchte und diesen erinnerungspolitischen Zusammenhang auch expressis verbis betonte. „Was mich ganz besonders bestimmte, dieses Buch aufs neue drucken zu lassen,“ schreibt Bornschein im Vorwort, ist der erfreuliche Zeitpunkt, dem wir nahe stehen. Die luthersche Kirche feyert in diesem Jahre die, vor 300 Jahren durch den Mann aus Gott angefangene und glücklich durchgeführte Reformation – ein Zeitpunkt, der des schönsten Festes würdig ist, welcher verdient, daß er von uns hochgehalten und als Zeichen der Gnade Gottes und Jesu mit innigster Dankbarkeit gepriesen werde, denn wie viele unserer Nachkommen werden dieses Fest nicht wieder erleben!65

Verlegt wurde das Buch jetzt nicht mehr von seinem Schwager Illgen, sondern bei Schöne in Eisenberg. Der Anhang zum Lutherdenkmal blieb diesmal ausgespart, weil Luther – so Bornschein – keines Denkmals bedürfe. Er habe sich’s am schönsten selbst durch die Reformation und seine Schriften gestiftet; dieses wird nie untergehen! Also wozu ein Denkmal von Stein, Eisen oder Erz, welches doch endlich die Zeit zertrümmert? Das schönste und ehrendste Denkmal kann und wird man ihm setzen, wenn jeder, der sich zum Lutherthum bekennt, d. h. an die Bibel glaubt, nur das erfüllt, was die Bibel lehrt.66

G. Bewertung des Bauernkriegs In der Bewertung des Bauernkriegs folgt Bornschein der in seiner eigenen Luther-Biographie vorgegebenen Linie. Die rebellierenden Bauern bezeichnet er als „Horden von Leuten niedrigen Standes“ und „rasenden Haufen“. Er spricht von den „Uebelgesinnten“, die glaubten, „Gräuelthaten verüben zu können; deshalb stifteten sie überall, wo sie hinkamen, großes Unheil, plünderten Klöster und Edelhöfe aus.“ Der gleichsam entlastende Verweis auf die drückende Abgabenlast in der Zeit vor dem Ausbruch der Gewalt fehlt in dieser Reformationsgeschichte. Lediglich der Topos der Verführung wird zugunsten der aufständischen Bauern und zuungunsten Müntzers angeführt, nämlich die Sentenz vom „verführten Volk“, das der Reformator Luther vor der endgültigen Eskalation der Gewalt vergeblich „wieder auf den rechten Weg zu bringen“ versucht habe.67 Die Zahl der Toten nach der Schlacht bei Frankenhausen wird nicht wie in der Luther-Biographie mit 2.000, sondern mit 5.000 angegeben. 65 Ernst BORNSCHEIN, Geschichte der Luther’schen Kirchenreformation mit einer Einleitung über die Geschichte der christl. Kirche und ihres allmähligen Verfalls durch die Päpste. Ein Lesebuch für den lieben Bürger und Landmann auch als solches in Stadt- und Landschulen zu gebrauchen. Zweyte durchaus verbesserte und vermehrte Auflage. Mit Luthers Porträt, Eisenberg: Schöne’sche Buchhandlung 1817, S. XII. 66 Ebd. 67 Ebd., S. 91.

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H. Das vermittelte Müntzer-Bild Auch das vermittelte Bild von Thomas Müntzer ist mit jenem aus der LutherBiographie weitgehend identisch, wenn auch nicht ganz so scharf polemisch. Müntzer sei von der Schwärmerei Karlstadts infiziert worden und habe Meinungen entwickelt, die für das Luthertum gefährlich gewesen seien. Müntzer habe den Reformator Martin Luther als einen zweiten Papst und die Reformation als unnütz bezeichnet. Thomas Müntzer sei der „Anführer des rasenden Haufens“, weshalb auch eine Mitverantwortung für dessen Gräueltaten angedeutet wird, denn er sei „das Haupt der Übelgesinnten“. Die Passagen zu Müntzer fallen hier knapper aus, doch ganz eindeutig werden Müntzer und der Bauernkrieg auch in dieser historischen Darstellung Bornscheins nicht als Vorbild, sondern als Schreckgespenst interpretiert.

3.3. Dinter: Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen (1822) A. Verfasser Gustav Friedrich Dinter wurde am 29. Februar 1760 als Sohn eines Juristen und Gerichtshalters in Borna bei Leipzig geboren.68 Er brachte es vom Hauslehrer und Dorfpfarrer zum Schul- und Konsistorialrat sowie zum Professor an der Universität Königsberg. Nach dem Besuch der Fürstenschule Grimma studierte Dinter seit 1779 in Leipzig erst Jura und dann Theologie. 1787 wurde er Pfarrsubstitut und 1790 Pfarrer in Kitzscher bei Borna. Auf die Jahre im Pfarramt folgte 1797 Dinters Direktorat am Lehrerseminar in Friedrichstadt bei Dresden. Von 1807 an war er wieder Pfarrer, und zwar in Görnitz bei Borna. Im Jahre 1816 wurde er Konsistorial- und Schulrat im preußischen Königsberg. Seit 1822 war er zugleich außerordentlicher Professor der Theologie an der Königsberger Universität. In dieser späten Lebensphase erwarb er sich den Ruf als „Erneuerer der ostpreußischen Volksschule“.69 In Königsberg ist Dinter am 29. Mai 1831 auch verstorben. Dinters Auftreten und Wirken als Pädagoge, Schulreformer und Schriftsteller fällt vor allem in seine Zeit in Sachsen, setzte sich in den Grundintentionen aber auch in Preußen fort. Er war zu Lebzeiten ein berühmter Pädagoge und ein viel gelesener Autor. Dinters pädagogisches Konzept beinhaltete „ein ständeübergreifendes Bildungsideal“, das die Ständeordnung selbst allerdings nicht in 68 Vgl. Werner GREILING, Verlagsstrategien zur Schulverbesserung und Volksbildung im 19. Jahrhundert. Gustav Friedrich Dinter und Johann Karl Gottfried Wagner, Leipzig 2017. 69 Kurt WADEWITZ, G.F. Dinter der sächsische Pestalozzi, Borna-Leipzig 1936, S. 82.

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Frage stellte. „Menschenbildung und Christenbildung sollten niemandem verwehrt bleiben. […] Dinters Bildungsideal zielte auf Verbesserungen in Staat und Kirche, als deren wesentliches Hemmnis ihm der im Volk verwurzelte Unverstand galt.“70 Heute wird Dinter zu den „Leitfiguren der neuen Lehrerbildung und des sich formierenden Standes“ gezählt.71 Dinters große Ausstrahlung und Wirkung für das Schulwesen in Sachsen und seine Bedeutung als Lehrerbildner, aber auch seine beachtlichen Erfolge als Konsistorial- und Schulrat in Königsberg beruhten auf seiner guten Kenntnis der Schulpraxis und auf seiner Fähigkeit, weitreichende Verbesserungs- und Reformgedanken nicht nur verständlich und wirksam zu formulieren, sondern mit großer Energie auch in die Tat umzusetzen. Als Schulreformer konzentrierte er sich vor allem auf die drei Bereiche der Lehrerbesoldung, der Rechtsstellung des Lehrers und der Schulpflicht. Mit seinen zahlreichen Schriften griff Dinter in die pädagogischen und schulpolitischen Reformdebatten seiner Zeit ein, publizierte aber auch zahlreiche Schul- und Lehrbücher sowie Bände zur volksaufklärerischen Wissensvermittlung. Dinters publizistische Erfolge wurden nicht zuletzt durch seinen umtriebigen Verleger Johann Karl Gottfried Wagner möglich, bei dem fast alle Werke des theologischen und pädagogischen Autors herauskamen und der dessen Œuvre mustergültig betreute.72 B. Verlag / Erscheinungskontext Zu den zahlreichen Schulbüchern, die Dinter verfasste, zählen auch solche zur Religionsgeschichte.73 Für unsere Betrachtung sei die „Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen“ herausgegriffen, die zunächst als Teil einer größeren Ausgabe erschienen war,74 darin insgesamt vier Auflagen erlebte, 1823 und 70 Klaus FITSCHEN, Gustav Friedrich Dinters Schullehrer-Bibel, in: Albrecht BEUTEL u. a. (Hg.), Aufgeklärtes Christentum. Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts, Leipzig 2010, S. 93–99, hier S. 94. 71 Heinz-Elmar TENORTH, Lehrerberuf und Lehrerbildung, in: Karl-Ernst JEISMANN/Peter LUNDGREEN (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, S. 250–270, hier S. 253. 72 Vgl. GREILING, Verlagsstrategien zur Schulverbesserung und Volksbildung (wie Anm. 68), S. 171–249. 73 Vgl. [Gustav Friedrich DINTER], Religions-Geschichte für Volksschulen und ihre Lehrer; auch als Lesebuch für den gebildeten Bürger und Landmann zu gebrauchen, Neustadt und Ziegenrück 1823; Zweite verbesserte Auflage, Neustadt und Ziegenrück 1825. 74 [DERS.], Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen. Zugabe zu den Unterredungen über die Hauptstücke des lutherischen Katechismus (Unterredungen über die zwei ersten Hauptstücke des lutherischen Katechismus, Neunter Theil), Neustadt und Ziegenrück: Johann Karl Gottfried Wagner 1822.

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1825 auch separat noch zweimal herauskam und einen wirklich überdurchschnittlichen Verkaufserfolg erzielte.75 Verlegt wurden all diese Bücher von Johann Karl Gottfried Wagner, der sich 1799 in Neustadt an der Orla als Buchdrucker und Buchhändler niedergelassen hatte und alsbald eine überaus erfolgreiche Verlagstätigkeit entfaltete.76 Im Zentrum seines Verlagsprogramms standen die Schriften Gustav Friedrich Dinters. Zum Verlagsstandort Neustadt an der Orla kam im November 1816 eine Filialdruckerei im preußischen Ziegenrück hinzu. Diese Ausweitung steht ganz offensichtlich im Zusammenhang mit der Berufung Dinters nach Ostpreußen, die im gleichen Jahr erfolgt war.77 C. Absicht der Publikation Die religiösen Werke Dinters sollten der „Menschenbildung durch die Religion“ dienen.78 Dementsprechend groß war der Platz, den der Theologe und Pädagoge dem Religionsunterricht im Fächerkanon der Schulen einräumte. Diesem Zweck galt auch seine „Religions-Geschichte“, die im Religionsunterricht verwendet werden sollte, aber auch Leser im Erwachsenenalter zu erreichen hoffte. Der Publikation sind gleich zwei Vorworte vorangestellt. Im ersten wendet sich Dinter „An meine lieben Schullehrer“ und legt ihnen die Verwendung des Buchs im Unterricht nahe. Doch es folgt auch noch ein „Zweites Vorwort“, das „An meine lieben Bürger und Landleute“ gerichtet ist. Hier zeigt sich der Verfasser als typischer Volksaufklärer, der formuliert: Dies Buch ist zunächst für Schulen und ihre Lehrer bestimmt. Daher laßt euchs nicht wundern, daß in demselben zuweilen die Kinder angeredet werden. Aber als es fertig war, schien mirs doch als ob auch ihr, liebe Hausväter aus dem Bürger- und Bauernstande es brauchen könntet. Ihr leset bisweilen im Winter des Abends dieß oder das, welches euch nicht viel nützt. Aber eine Geschichte der Religion, sollte ich meinen, würde euch sehr nützlich werden.79

75 Neue verbesserte Auflage, Neustadt und Ziegenrück 1825; Neue unveränderte Auflage, Neustadt a. d. O. 1832; Neue unveränderte Auflage, Neustadt an der Orla 1833. 76 GREILING, Verlagsstrategien zur Schulverbesserung und Volksbildung (wie Anm. 68), S. 57–85. 77 Vgl. ebd., S. 43–49. 78 [Gustav Friedrich DINTER], Dinter’s Leben, von ihm selbst beschrieben; ein Lesebuch für Aeltern und Erzieher, für Pfarrer, Schul-Inspectoren und Schullehrer. Mit einem Fac Simile, Neustadt an der Orla 1829, S. 304. 79 [DERS.], Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen (wie Anm. 74), S. V–VIII, hier S. V.

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D. Adressaten Die Adressaten der Schrift sind Lehrer und Schüler der Volksschule, aber auch Bürger und Landleute, wobei der Verfasser hier insbesondere auch Personen aus einem eher bildungsfernen Milieu zu erreichen sucht. E. Struktur der Darstellung Mit den 35 Kapiteln seiner Religionsgeschichte schreitet Dinter den zeitlichen Rahmen zwischen Moses und dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs aus. Ein knappes Drittel ist der Geschichte der Reformation mit ihren diversen Implikationen gewidmet, den Auftakt bildet eine 20-seitige „Vorbereitung“ über „Religion, was sie ist und was sie soll?“. Die „Religionsgeschichte“ Gustav Friedrich Dinters gehört zu jenen Unterrichtsmaterialien, mit denen die Lehrer in Sachsen Kirchengeschichte unterrichteten, neben den Büchern von Johann Georg Rosenmüller,80 Johann Christian Dolz81 und Moritz Erdmann Engel.82 Sie wurde allerdings zu einem Zeitpunkt publiziert, an dem der Verfasser sein Wirkungsfeld bereits in Ostpreußen gefunden hatte. Das 23. Kapitel von Dinters „Religions-Geschichte“ steht unter dem Titel „Thomas Münzer und der Bauernkrieg“. F. Historischer und erinnerungskultureller Zusammenhang mit der Reformation Ein markanter historischer oder erinnerungskultureller Zusammenhang mit der Reformation lässt sich nicht erkennen. Die erste Auflage erschien fünf Jahre nach dem Jubiläum von 1817. Dinter publizierte die Schrift ohne äußeren Anlass im Zuge seiner mehr als 30-jährigen, von Intensität und Stetigkeit gekennzeichneten Publikationstätigkeit. G. Bewertung des Bauernkriegs In Dinters Buch wird ein negatives Bild vom Bauernkrieg gezeichnet, allerdings mit weniger scharfen Konturen als bei Bornschein und Liebner und mit einem gewissen Verständnis zwischen den Zeilen. Der Verfasser spricht von „unseligen Unruhen, die von einigen Verführern erregt, viele Tausende Theils ums Leben gebracht, Theils elend gemacht hatten“.83 Hinzu kommt mehrfach eine direkte Ansprache an die Leser, denen die „Moral von der Geschichte“ noch expressis verbis erläutert wird. Auffällig und abweichend von anderen volksauf80 Johann Georg ROSENMÜLLER, Religionsgeschichte für Kinder, Hildburghausen 1788 (VD18 11230347). 81 Johann Christian DOLZ, Grundriß einer allgemeinen Religionsgeschichte für Schulen, Leipzig 1804. 82 Moritz Erdmann ENGEL, Kurzgefaßte Geschichte der christlichen Religion und Kirche, Leipzig 1829. 83 [DINTER], Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen (wie Anm. 74), S. 300.

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klärerischen Darstellungen ist der breite Platz, den der Verfasser Thomas Müntzer einräumt. Denn Müntzer ist das eigentliche Thema dieses Kapitels, das insofern auch korrekt mit „Thomas Münzer und der Bauernkrieg“ überschrieben ist und den Fokus in erster Linie auf den radikalen Reformator legt. H. Das vermittelte Müntzer-Bild Thomas Müntzer wird als Theologe beschrieben, dem es „an Kopf und einer Menge von Kenntnissen“ nicht gefehlt und der „das Beste der Religion und des Volks“ gewollt habe.84 Weitaus stärker als Bornschein und Liebner hegt Dinter ein gewisses Verständnis für Müntzer. So verhängt er keineswegs ein pauschales Verdikt, sondern lässt bis zu einem gewissen Grad auch gute Absichten bei diesem gelten, wenngleich sich der Protagonist immer wieder selbst im Wege gestanden habe. „Aber von einem blinden Eifer hingerissen, wählte er nur immer verkehrte Mittel und konnte die Zeit nirgends abwarten. Unruhig in seinem eignen Geiste, brachte er auch den Geist der Unruhe überall hin, wohin er kam.“85 So wurde das Müntzer-Bild Gustav Friedrich Dinters trotz der Differenzierungsversuche letztlich doch von Zuschreibungen wie „Unruhestifter“, „Schwärmer“86 oder auch „Brausekopf“87 dominiert. Müntzers Wirken sei „desto gefährlicher, weil er Wahres und Verderbliches durcheinander mischte und dadurch machte, daß die Unverständigen vom Wahren ergriffen, das Verderbliche zugleich mit annahmen.“ Beispielsweise habe er die häufig falsch verstandenen zwei Worte „Freiheit und Gleichheit“ gepredigt, obwohl es keineswegs Gottes Wille sei, dass die Menschen „frei von Obrigkeit und Abgaben“ seien.88 Und schließlich habe er die Forderung verkündet, „man solle alle Fürsten todtschlagen und ihre Palläste verbrennen“.89 Thomas Müntzers Ende wird von Dinter in emotionsfreier Sachlichkeit geschildert, mit der zugleich angedeutet wird, dass es sich bei Müntzer keineswegs nur um einen verkommenen Charakter mit Lust zur Rebellion gehandelt und dass auch die Obrigkeit durchaus Anlass gehabt habe, über Konsequenzen aus dem Geschehen nachzudenken. „Er wurde enthauptet, nachdem man ihn vorher durch mancherlei Martern zum Geständnisse hatte bringen wollen, was eigentlich sein Plan gewesen wäre und ob er noch verborgne Theilnehmer gehabt habe. Er gestand wenig, bekannte jedoch, daß er Unrecht gethan habe; ermahnte zugleich auch die Fürsten und Edelleute, sie sollten das Volk gut behandeln, 84 85 86 87 88 89

Ebd., S. 295. Ebd. Ebd., S. 296. Ebd., S. 295. Ebd., S. 296. Ebd., S. 297.

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damit es nicht Lust bekäme zu rebelliren.“90 Eingestreut sind in die knapp zehnseitige Darstellung mehrere moralisierende Appelle mit der Botschaft, dass es „Volkstumulte und Rebellion […] in der Welt niemals besser sondern allemal schlimmer gemacht“ hätten.91

3.4. Oelckers: Populäre Geschichte des Deutschen Bauernkrieges im Jahre 1525 (1843) A. Verfasser Herrmann Theodor Oelckers wurde am 21. Juni 1816 in Leipzig geboren, besuchte dort die Schule und studierte danach an der Leipziger Universität Medizin.92 Nach dem Studium, das er ohne Abschluss beendete, schuf sich Oelckers seit 1839 eine Existenz als Schriftsteller, Publizist und Übersetzer. Er übertrug zahlreiche Werke französischer und englischer Schriftsteller ins Deutsche, verfasste mehrere historisch-politische Schriften, lieferte Gedichte und Prosatexte und war als Leiter bzw. Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften tätig. Politisch vertrat er einen liberalen Standpunkt. Dies zeigte sich auch bei seinem Engagement in der Revolution von 1848, während der er sich im Leipziger Vereinsleben engagierte. Als Teilnehmer am Dresdner Maiaufstand 1849 zur Verteidigung der Reichsverfassung wurde er nach dessen Niederschlagung in einem Hochverratsprozess zu lebenslänglicher Zuchtshausstrafe verurteilt, die er seit 1851 in Waldheim verbüßte. Im Frühjahr 1859 wurde der schwer kranke Oelckers entlassen, begab sich dann 1861 nach Porto Alegre in Brasilien und leitete dort zeitweise die „Deutsche Zeitung“. Im Jahr darauf kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zurückgezogen lebte und weitere literarische Texte verfasste. Am 20. Januar 1869 ist Oelckers in Leipzig gestorben. Die letzte größere Veröffentlichung von Theodor Oelckers war der Roman „Der Allerletzte“ (1865). Zu seinen historisch-politischen Schriften gehören neben der „Populäre[n] Geschichte des Deutschen Bauernkrieges im Jahre 1525“ auch Bücher über „Staat, Kirche und Gesellschaft“ (1845), über die „Geschichte der christlichen Religionskriege“ (1846) sowie eine „Humoristischsatyrische Geschichte Deutschlands vom Wiener Congreß bis zur Gegenwart“ (1848). Seine Zuchthauserfahrungen hielt Oelckers in dem Band „Aus dem Gefängnißleben“ (1860) fest. Erwähnenswert ist zudem ein schmales Bändchen

90 Ebd., S. 300. 91 Ebd., S. 294. 92 Vgl. Franz BRÜMMER, Oelckers, Herrmann Theodor, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 24, Leipzig 1887, S. 238 f.

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über „Die Bewegung des Socialismus und Communismus“ (1844), auf das wir noch zurückkommen werden. B. Verlag / Erscheinungskontext Theodor Oelckers arbeitete in seiner Vaterstadt Leipzig mit einer Vielzahl von Zeitschriftenredaktionen und meist kleineren Verlagen zusammen, wozu auch die Firma „Gebrüder Reichenbach“ zählte. Oelckers Buch befand sich damit in einem populären, volksaufklärerisch ausgerichteten Verlagsprogramm, zu dem zeitgleich vor allem Arbeiten zur Verbesserung der Landwirtschaft, aber auch ein Handbuch für Uhrmacher und eine Anleitung zum Stillen der Neugeborenen zählten. Als Drucker der Schrift ist C.P. Melzer in Leipzig genannt.93 Schon Oelckers nächste Veröffentlichung im Jahr darauf kam in einem anderen Leipziger Verlag heraus und hatte auch einen anderen Drucker (Fest’sche Verlagsbuchhandlung, gedruckt bei E. Polz). C. Absicht der Publikation Theodor Oelckers will die Geschichte auffrischen und dem Publikum vor Augen führen, weil es sowohl dem Individuum als auch den Völkern ersprießlich sei, „wenn sie ihre eigene Vergangenheit betrachten“. „Freilich will die Geschichte nicht schulmeisterlich moralisiren und ihre Bilder mit angehängter Nutzanwendung zeigen, um zur Nachahmung oder zur Vermeidung zu ermahnen; ihr Zweck ist edler: sie soll, gleich der ächten Tragödie, die Leidenschaften – Furcht und Mitleid – reinigen.“94 Dabei sei die „Zeit nach dem Ende des sogenannten Mittelalters […] deswegen besonders reich an herrlichen Erscheinungen, weil sich mit ihm Ideen Bahn zu brechen anfangen“, um die man nun sogar Kriege geführt habe. Die grundsätzliche Absicht, aus der Beschäftigung mit der Geschichte Erkenntnisse und Lehren für die Gegenwart zu ziehen, sucht der Verfasser an der „zeither nur wenig beachtete[n] Erscheinung“ des deutschen Bauernkriegs fruchtbar zu machen.95 Anders als bei Liebner, Bornschein und Dinter geht es Oelckers also nicht um eine Geschichte der Reformation, in deren Kontext auch dem Bauernkrieg ein Platz zugewiesen wird, sondern um ein singuläres Ereignis, das nach Überzeugung des Verfassers „auch nur Vorspiel größerer Kämpfe war.“96

93 Vgl. Theodor OELCKERS, Populäre Geschichte des Deutschen Bauernkrieges im Jahre 1525, Leipzig: Gebrüder Reichenbach 1843, S. 142 f. 94 Ebd., S. 1. 95 Ebd., S. 2. 96 Ebd., S. 142.

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D. Adressaten Die Adressaten des Buchs werden von Oelckers nicht näher benannt, sind aber in einem breiten, historisch interessierten Publikum zu suchen, dem für die Lektüre einige Bildungsvoraussetzungen sicherlich nicht von Schaden waren. Es handelt sich nicht um eine gelehrte Abhandlung für andere Gelehrte, sondern um eine Schrift in populärer Absicht. E. Struktur der Darstellung Die Abhandlung umfasst 142 Druckseiten und ist in vier Abschnitte gegliedert, denen eine Einleitung vorangestellt und knappe Schlussbetrachtungen angefügt sind. Die Darstellung folgt im Wesentlichen der Chronologie des Geschehens, wird aber mehrfach durch systematische Fragen und grundsätzliche Erwägungen ergänzt. Innerhalb der Abschnitte gibt es eine Binnengliederung, die allerdings nicht durch Zwischenüberschriften, sondern durch fortlaufende Ziffern unterteilt wird. F. Historischer und erinnerungskultureller Zusammenhang mit der Reformation Ein irgendwie gearteter erinnerungskultureller Zusammenhang lässt sich nicht erkennen und wird auch nicht hergestellt. Die Darstellung entspringt der grundsätzlichen Überzeugung des Verfassers vom Nutzen der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft der Völker. Das Thema mag aber in den 1840er Jahren angesichts zunehmender politischer und sozialer Spannungen als besonders ertragreich empfunden worden sein. G. Bewertung des Bauernkriegs Die „Populäre Geschichte des Deutschen Bauernkrieges im Jahre 1525“ ist die vielleicht anspruchsvollste und im Urteil am meisten ausgewogene Darstellung dieses Ereignisses innerhalb der Volksaufklärung. Oelckers zeichnet ein recht detailliertes und ausgewogenes Bild vom Geschehen des Jahres 1525 und von dessen Vorgeschichte. Der Verfasser betont, dass der Bauernkrieg lange eine „nur wenig beachtete Erscheinung jener Zeit des Erwachens“ gewesen sei. Er macht den engen Zusammenhang mit der Reformation deutlich, geht auf politische und soziale Ursachen der Bewegung und insbesondere auf die Lage der Bauern ein, welche „zeither in Deutschland kaum für Menschen gegolten hatten.“97 Die „Entartung der Geistlichkeit“ und der gedrückte Zustand des Volks waren auf das Höchste gediehen.98 Zudem betonte Oelckers auch kulturelle Phänomene wie die neuen Möglichkeiten für Bildung und Kommunikation 97 Ebd., S. 4. 98 Ebd., S. 7.

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durch den Buchdruck sowie die Tatsache,99 dass die Bewegung von 1525 Vorläufer hatte, zu denen er die Verschwörung des Bundschuh rechnet und einen Mann wie Joß Fritz besonders hervorhebt. Und er resümiert: „Die Aufregung des Volkes war allgemein, die Ursachen zu tief gegründet, als daß es damit am Ende nicht zu einem ernstlichen Ausbruche hätte kommen sollen.“ Dazu habe zunächst auch „die freiheitathmende Lehre“ Martin Luthers beigetragen.100 Es deutet sich mit diesen Ausführungen bereits an, dass in Oelckers Darstellung ein stärker ausgewogenes Bild vom Bauernkrieg als bei Liebner und Bornschein, aber auch als bei Dinter entworfen wird. Oelckers billigt den Bauern aus dem von ihm skizzierten Ursachengeflecht heraus das Recht auf ihre Empörung zu. Er ist in seiner Darstellung und Wortwahl ausgesprochen behutsam wie differenziert und vermeidet auch jedes eindimensionale Etikett: Daß der Bauernaufstand reich an Greueln aller Art war, daran trugen weniger die Rebellen als die Regierenden und besonders die geistlichen Obern die Schuld, welche das Volk absichtlich seit Jahrhunderten in roher Dummheit erhalten hatten: der Sklav konnte, sobald er die Ketten gebrochen, nur grausam sein – und überdies gaben die Gegner kein besseres Beispiel und vergalten immer eine rohe Handlung mit einer ungleich rohern.101

Die vorsichtige Parteinahme Oelckers für den Bauernkrieg zeigt sich auch in der Wahl der Metapher für dessen Ende, als die Ruhe hergestellt war. Denn dies sei „eine traurige, niederschlagende Ruhe, wie auf einem Kirchhof“ gewesen.102 Interessant ist Oelckers Ausblick, dass „die Früchte dieses Kampfes doch nicht verloren“ seien, sondern der Bauernkrieg „auch nur ein Vorspiel größerer Kämpfe war.“103 Die Reformation habe der Bauernkrieg „unstreitig befördern helfen“. Unter dem Eindruck der Kämpfe des Jahres 1525 hätten „[a]lle um so mehr ihre Aufmerksamkeit auf Befestigung und Förderung des Reformationswerks“ gerichtet. Und trotz der Niederlage, der vielen Leiden und Trübsale habe „das Volk damit doch die dumpfe geistige Befangenheit von sich geschüttelt“, worauf sich die Vernunft „immer siegender über den Trümmern“ erhob.104 H. Das vermittelte Müntzer-Bild Auch Thomas Müntzer versucht der Verfasser anders gerecht zu werden als etwa Dinter. Oelckers hebt Müntzer, den „Abgott des Volks“,105 eindeutig als 99 100 101 102 103 104 105

Ebd., S. 3 f. Ebd., S. 12. Ebd., S. 5. Ebd., S. 140. Ebd., S. 141 f. Ebd., S. 142. Ebd., S. 119.

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„Urheber und Führer“ der Bauern hervor und schildert in großer Ausführlichkeit dessen Agieren, diverse Aspekte seiner Vorstellungen und Ziele sowie auch seine theologische Argumentation.106 Ausführlich wird zudem die Situation und das Verhalten Müntzers im unmittelbaren Vorfeld der Entscheidungsschlacht dargestellt. Aber betont wird auch, dass es schwer sei, über Müntzer „ein richtiges Urtheil zu fällen“. So legt sich Oelckers nicht auf eine eindimensionale Zuschreibung fest, sondern versucht, die Ambivalenz Müntzers gleichsam diskursiv zu erfassen: „Sein Charakter erscheint in einem sehr zweideutigen Lichte, denn bald zeigte er sich nur als neuerungssüchtiger, revolutionärer Kopf, bald wieder als Religionsschwärmer, einmal als arglistiger Demagog, dann wieder als kühner Vertheidiger der Volksrechte, bald muthig unternehmend, bald feig und zaghaft und dann auch mit all diesen Eigenschaften auf einmal.“107 Und ohne negative Zuschreibungen zu bemühen, bilanziert der Verfasser nach Darstellung der Niederlage bei Frankenhausen, dass es den Aufständischen an einem Manne gefehlt habe, der als Führer alle mit Tatkraft „zu vereinigen, zu lenken und zu führen verstanden hätte“, um dann zu resümieren: „Münzer hätte vielleicht dieser Mann werden und eine hervorragende Stelle in den Annalen der Geschichte einnehmen können, wäre er nur etwas weniger Gelehrter und dafür mehr thatkräftiger Kriegsmann gewesen.“108

4. Die Zäsur des Reformationsjubiläums 1817 Mit den kirchen- bzw. religionsgeschichtlichen Schriften aus der Feder von Liebner, Bornschein, Dinter und Oelckers wurde zwischen 1785 und 1843 mehr als ein halbes Jahrhundert ausgeschritten. Erinnerungspolitisch markiert in diesem Zeitraum das Jahr 1817 eine Zäsur, als man überall im protestantischen Deutschland des Thesenanschlags Martin Luthers gedachte. Die Jubiläumsaktivitäten waren beträchtlich,109 und es verwundert nicht, dass auch der Buchmarkt 106 107 108 109

Ebd., S. 114. Ebd. Ebd., S. 141. Vgl. Allgemeine Chronik der dritten Jubel-Feier der deutschen evangelischen Kirche. Im Jahre 1817. Nebst einigen Nachrichten von dieser Feier in auswärtigen Ländern, hg. von Christian SCHREIBER, Valentin Carl VEILLODTER und Wilhelm HENNINGS, Bd. 1, Erfurt/Gotha 1819; Wolfgang FLÜGEL, Zeitkonstrukte im Reformationsjubiläum, in: Winfried MÜLLER (Hg.), Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S. 77–99, bes. S. 79–82; Johannes BURKHARDT, Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürgerlichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Dieter DÜDING/Peter FRIEDEMANN/Paul MÜNCH (Hg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutsch-

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darauf reagierte. So kamen von den Darstellungen Liebners und Bornscheins 1817 neue Auflagen heraus,110 bei denen expressis verbis auf „die dritte Jubelfeier des großen und so folgenreichen Reformationswerkes“ verwiesen wurde.111 In der Anzeige der Keyserschen Buchhandlung zu Erfurt für Liebners Reformationsgeschichte wurde zudem darauf hingewiesen, „daß der schon früher von uns angekündigte ‚Reformations-Almanach für Luthers Verehrer auf das Jubeljahr 1817‘ sich der ausgezeichnetsten Unterstützung von Seiten unserer ersten vaterländischen Gottesgelehrten und Geschichtsschreiber zu erfreuen hat“ und „in der Mitte dieses Jahres unfehlbar erscheinen“ werde. Dieses Jahrbuch 1817 kam tatsächlich auf den Markt und wurde 1819 und 1821 mit zwei weiteren Bänden fortgesetzt. Es handelt sich um eine „Jubiläumspublikation“ in populärer Absicht mit jeweils mehreren Beiträgen pro Band. Während im ersten Jahrgang der Bauernkrieg in einem Aufsatz knapp abgehandelt, dessen Anführer aber nicht erwähnt wird,112 sind Thomas Müntzer und der Bauernkrieg 1819 in zwei Beiträgen präsent. Bei J. F. Möller wird Müntzer lediglich kurz erwähnt,113 während er von dem Theologen Wilhelm Martin Leberecht de Wette sogar mit einem gewissen Verständnis dargestellt wird. So habe der Führer des Bauernkriegs mit seiner Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft zwar durchaus Recht gehabt, doch sei das 1525 gewählte Mittel des Aufruhrs keineswegs zu billigen.114 In der dritten Ausgabe des Reformationsalmanachs finden sich dann keine Bezüge zum Bauernkrieg oder zu Müntzer.115 Wenn man weitere populäre Darstellungen zur Reformationsgeschichte sucht, fällt das 1817 erstmals erschienene, später weit verbreitete und noch mehrfach aufgelegte „Reformationsbüchlein“ von Ludwig Nonne ins Auge.116

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land von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek 1988, S. 212–236, bes. S. 214. Vgl. die Abschnitte 3.1.F. und 3.2.F. Oppositions-Blatt oder Weimarische Zeitung, Beilage zum Oppositions-Blatte, Nr. II vom 8.2.1817. Vgl. Chr. NIEMEYER, Luthers Auftreten, vorbereitet durch das vergangene, und einwirkend auf das ihm gegenwärtige Zeitalter, in: Friedrich KEYSER (Hg.), Reformations Almanach für Luthers Verehrer. Auf das evangelische Jubeljahr 1817, Erfurt: Keyser [1817], S. 58–144, zum Bauernkrieg S. 129 f. Vgl. J. F. MÖLLER, Kurze Geschichte der Bildung der reformirten Kirche und ihres Lehrbegriffes, in: Friedrich KEYSER (Hg.), Reformations Almanach auf das Jahr 1819. Zweiter Jahrgang, Erfurt: Keyser [1819], S. 3–113, bes. S. 70–72. W[ilhelm] M[artin] L[eberecht] DE WETTE, Über den sittlichen Geist der Reformation in Beziehung auf unsere Zeit, in: ebd., S. 211–334, bes. S. 312–314. Vgl. Friedrich KEYSER/Joh. Fr. MÖLLER (Hg.), Reformations Almanach auf das Jahr 1821. Dritter Jahrgang, Erfurt: Keyser [1821]. Carl Ludwig NONNE, Das Reformationsbüchlein. Eine Erzählung für Kinder, Hildburghausen: Kesselringsche Buchhandlung 1817. Vgl. Johannes ROTH, Reformation –

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Hier findet der Begriff „Bauernkrieg“ zwar keine Erwähnung, doch wird – quasi aus der Perspektive Luthers und seiner Aktivitäten in jenen Jahren – auf das Phänomen rekurriert und sowohl der Aufstand der Bauern als auch ihr Anführer deutlich negativ apostrophiert. Nonne bezieht eine ähnliche Position wie Gustav Friedrich Dinter und schreibt: Die Bauern in Schwaben, Franken und Thüringen hatten Luthers Worte von Freiheit des Gewissens und Glaubens gehört, und wären gern auch von weltlicher Herrschaft frei geworden. Sie wollten von Obrigkeit und Eigentum nichts wissen, zertrümmerten Burgen, Klöster und Stifter, plünderten und mordeten. Luther warnte in Schriften, predigte in ganz Thüringen gegen Aufruhr und bat den Fürsten, die Unruhen zu stillen. Am schlimmsten wütete Thomas Münzer. Gegen diesen und seinen Haufen von etwa 3000 Mann zogen einige Fürsten, man bot den Bauern Frieden an, weil ihnen aber der betrügerische Münzer versprochen hatte, alle Kugeln in seinem Ärmel aufzufangen, so hielten sie, ohne sich zu wehren, einen Angriff aus und wurden teils getötet, teils zerstreut, Münzer selbst wurde enthauptet.117

5. Der Bauernkrieg und die Revolution von 1848/49 Abschließend soll der Blick noch auf zwei Gesamtdarstellungen geworfen werden, die den Eindruck eines weitgehend negativen Bildes vom Bauernkrieg und von Thomas Müntzer in der Volksaufklärung etwas relativieren. Der Theologe Christian Stein veröffentlichte 1849 in mehreren Fortsetzungen „Die Geschichte der Deutschen Bauernkriege für das Volk“ und stützte sich dabei auf die große Darstellung Wilhelm Zimmermanns, die er als „klar und anziehend […] für alle Bildungsklassen geschrieben“ lobt, die ihm jedoch als „für das Volk zu umfassend“ und deshalb ungeeignet erschien.118 Bei Stein wird im Gefolge von Zimmermann ein weitgehend verständnisvolles und positives Bild des Bauernkriegs gezeichnet und in einer Zeit publiziert,119 in der die Revolution von 1848/49 zwar noch nicht am Ende, aber doch bereits im Niedergang begriffen Tradition – Volksaufklärung. Zum Anteil thüringischer Volksaufklärer am Reformationsjubiläum in Thüringen 1817, in: GREILING/BÖNING/SCHIRMER (Hg.), Luther als Vorkämpfer? (wie Anm. 2), S. 90–112, bes. S. 104–109. 117 Ludwig NONNE, Das Reformationsbüchlein. Eine Erzählung für Kinder, Neuauflage, Hildburghausen 2008, S. 53 f. 118 Christian STEIN, Die Geschichte der Deutschen Bauernkriege für das Volk, 1. Heft, Zerbst 1849, S. VII. 119 Vgl. W[ilhelm] ZIMMERMANN, Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges. Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen, 3 Bde., Stuttgart 1841–1843. – Zu diesem Werk vgl. u. a. KERTSCHER, „Gewalt hat die Throne gebaut, Gewalt wird sie erschüttern“ (wie Anm. 30), S. 92 f.

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war. Das auf den 3. März 1849 datierte Vorwort stellt ausdrücklich den Zusammenhang mit der damaligen Gegenwart her und plädiert „für die Demokratie zunächst in dem deutschen Bauernstande“.120 Die Darstellung selbst bricht nach der sechsten Fortsetzung allerdings ab, chronologisch gesehen noch vor dem Höhepunkt in Thüringen. Sie blieb unvollendet. Der bereits zitierte Theodor Oelckers hat die Thematik ein Jahr nach Veröffentlichung seiner „Populäre[n] Geschichte des Deutschen Bauernkrieges im Jahr 1525“ erneut aufgegriffen, und zwar in einer Schrift unter dem Titel „Die Bewegung des Socialismus und Communismus“. Ihr Inhalt zerfällt in zwei Teile. Teil I ist mit „Die Vergangenheit“ überschrieben und enthält elf Kapitel. Teil II widmet sich in vier Kapiteln der „Gegenwart und Zukunft“. In dieser Schrift folgt auf die Einleitung eine differenzierte Betrachtung „Früherer Bewegungen“ unter ausdrücklicher Nennung des Bauernkriegs. Oelckers schreibt, dass in der Vergangenheit immer wieder Bestrebungen nach „Freiheit im weitesten Sinne“ hervorgetreten seien, „d. h. nicht nur kirchlichen, nicht nur politischen, sondern auch gesellschaftlichen – das Verlangen nach der einen, der ganzen Freiheit.“ Und weiter: „Die hervorragendsten Erscheinungen als Folgen jenes Strebens waren im sechzehnten Jahrhundert das Reich der Wiedertäufer in Münster (dieses freilich nur als ein niederschlagendes Spottbild des ersehnten Zustandes); vor Allem aber der große deutsche Bauernkrieg vom Jahre 1525.“121 Der Volksaufklärer Oelckers bietet quasi eine Fortschrittsgeschichte der Menschheit, in der er dem Bauernkrieg einen wichtigen Platz zuweist. Dies erfolgt immerhin ein halbes Jahrzehnt vor Friedrich Engels, der unter dem Eindruck der Revolution von 1848/49 und gestützt auf die große Darstellung von Wilhelm Zimmermann zwischen Ende Mai und August 1850 seine „Geschichte des Bauernkriegs“ verfasste, die mit dem legendären Satz beginnt: „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition.“122 Engels ging es um nichts anderes als um Traditionspflege bzw. „Erinnerungspolitik“, mit der er nach der Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne und der damit besiegelten Niederlage der Revolution in ihren beiden Hauptzielen – Einheit und Freiheit – an eine heroische Zeit deutscher Geschichte anknüpfen wollte. So schrieb er 1850:

120 STEIN, Die Geschichte der Deutschen Bauernkriege für das Volk (wie Anm. 118), S. VIII. 121 Theodor OELCKERS, Die Bewegung des Socialismus und Communismus, Leipzig: Fest’sche Verlagsbuchhandlung 1844, S. 5. 122 Friedrich ENGELS, Der deutsche Bauernkrieg, in: Karl MARX/Friedrich ENGELS, Werke, Bd. 7, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1982, S. 327–420, hier S. 329.

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Es ist an der Zeit, gegenüber der augenblicklichen Erschlaffung, die sich nach zwei Jahren des Kampfes fast überall zeigt, die ungefügen, aber kräftigen und zähen Gestalten des großen Bauernkriegs dem deutschen Volke wieder vorzuführen. Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und manches hat sich geändert; und doch steht der Bauernkrieg unsern heutigen Kämpfen so überaus fern nicht, und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben.123

6. Resümee In Fortführung der universalhistorischen Interpretation der Reformation in der Tradition der Aufklärer nahm man vielfach, wie es schon Karl Heinrich Ludwig Pölitz anlässlich der Säkularfeier mustergültig formulierte, „die Aehnlichkeit des Kampfes um bürgerliche und politische Freiheit in unserem Zeitalter, mit dem Kampfe um die religiöse und kirchliche Freiheit im Zeitalter der Reformation“ in den Blick.124 Dies tat Pölitz 1819 übrigens, ohne ein einziges Wort über den Bauernkrieg zu verlieren. Für den Kirchenhistoriker Albrecht Beutel waren es die volkspädagogischen Impulse sowohl der Neologie als auch des theologischen Rationalismus, die im 19. Jahrhundert für eine Erweiterung in den politischen Raum hinein sorgten und zu einem „kräftigen Bundesgenossen“ für den „vormärzlichen Frühliberalismus“ wurden. Dabei sollte „das reformatorischprotestantische Emanzipationspotential […] der frühliberalen Reformpolitik“ zugeführt werden.125 Und es lassen sich in der Tat zahlreiche Beispiele für ein gleichsam doppeltes Engagement zur Reform von Kirche und Staat finden.126 Martin Luther galt dabei als Lichtgestalt und Vorkämpfer, während Thomas Müntzer und der deutsche Bauernkrieg in dieser Perspektive geschichtspolitisch zunächst eher gestört haben. Erst unmittelbar vor der Revolution von 1848/49 setzten Autoren wie Oelckers und Stein positivere Akzente bei der Bewertung 123 Ebd. 124 Karl Heinrich Ludwig PÖLITZ, Die Aehnlichkeit des Kampfes um bürgerliche und politische Freiheit in unserem Zeitalter, mit dem Kampfe um die religiöse und kirchliche Freiheit im Zeitalter der Reformation, in: KEYSER (Hg.), Reformations Almanach auf das Jahr 1819 (wie Anm. 113), S. 123–156. 125 Albrecht BEUTEL, Aufklärung in Deutschland (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, 4), Göttingen 2006, S. 296. 126 Vgl. Werner GREILING, Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu. Die politischen Pastoren Wilhelm Friedrich Schubert und Friedrich Wilhelm Schubert in Oppurg, in: HansWerner HAHN/Werner GREILING/Klaus RIES (Hg.), Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt/Jena 2001, S. 135– 163, hier S. 145–157; Friedrich Wilhelm SCHUBERT, Die Zeichen der Zeit. Gedanken über die Nothwendigkeit einer Reform der Kirche. Mit Berücksichtigung der freien Gemeinden, Neustadt an der Orla 1848.

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des deutschen Bauernkriegs und ihres führenden Protagonisten Thomas Müntzer. Jetzt wurde er sogar in der Vorgeschichte auf dem Weg zu Kommunismus und Sozialismus verortet bzw. mit dem politischen Geschehen des revolutionären Doppeljahres verschränkt. Dies tat eben nicht nur ein Friedrich Engels, sondern auch ein Pfarrer wie Christian Stein. In dem auf den 3. März 1849 datierten Vorwort seiner Darstellung stellt er diesen Zusammenhang ausdrücklich her. Er spricht den Wunsch aus, dass die in Zerbst herausgegebene Publikation in die Gaue des deutschen Volks dahinfliegen „und Propaganda machen [möge] für die Demokratie zunächst in dem deutschen Bauernstande, der Jahrhunderte hindurch der alleinige Träger der deutschen Geschichte gewesen ist.“127 Während die einen also die historische Darstellung in erster Linie mit einer politischen Botschaft verknüpften, taten dies andere mit einem moralischen Appell. Denn den meisten Volksaufklärern, die sich zur Reformation in ihrer übergroßen Mehrzahl affirmativ verhielten, diente das Geschehen des Jahres 1525 und sein Finale in Frankenhausen doch vor allem als Schreckgespenst. Das historische Exempel wurde vorgeführt, um vor Nachahmung zu warnen. Diese Absicht schwingt entweder zwischen den Zeilen der historischen Darstellung mit oder wurde expressis verbis als moralischer Appell formuliert. Am deutlichsten tat dies Gustav Friedrich Dinter, dem deshalb auch das letzte Wort überlassen sei. Am Ende des Kapitels über den Bauernkrieg in der „ReligionsGeschichte“ von 1822 schreibt er: Merkt euch diese Geschichte, Kinder. An Volksbetrügern fehlts in keinem Zeitalter. Die Unwissenden und Leidenschaftlichen lassen sich hinreißen. Die wahrhaft Aufgeklärten hingegen durchschauen das Gewebe des Betrugs, wissen, daß durch Gewalt und Volksaufruhr das Bessere nie herbeigeführt, sondern nur durch allmähliges und besonnenes Vorwärtsschreiten errungen wird, und werden also nie die Beute solcher Aufwiegler. Sorgt dafür, daß auch ihr einmal zu diesen Aufgeklärten gehört.128

127 STEIN, Die Geschichte der Deutschen Bauernkriege (wie Anm. 118), S. VIII. 128 [DINTER], Religions-Geschichte, ein Lesebuch für Volksschulen (wie Anm. 74), S. 301.

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Der Bauernkrieg und Thomas Müntzer Aspekte der politischen, wissenschaftlichen und populären Rezeption im Kontext der deutschen Teilung1

1. Zur Einführung – Schlaglichter auf das Jahr 1956 Die Rückschau auf das Jahr 1956 eröffnet dem an der deutsch-deutschen Bauernkriegsrezeption interessierten Historiker erhellende Einsichten. Ich beginne meinen Reigen von Schlaglichtern mit dem 13. Mai 1956, einem Sonntag. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der DEFA wurde in der Berliner Volksbühne der nach einem Szenario des Dramatikers und Schriftstellers Friedrich Wolf entstandene Film „Thomas Müntzer“ uraufgeführt. Bei dieser Premiere waren nicht nur der Regisseur des Films Martin Hellberg, sondern auch hochrangige Politiker der DDR wie der Vorsitzende des Ministerrates Otto Grotewohl und der Minister für Kultur Johannes R. Becher anwesend. In den folgenden Wochen wurde der Film in allen Bezirkshauptstädten der DDR sowie in zahllosen Industriebetrieben und Maschinen-Traktoren-Stationen gezeigt.2 Zwei Monate später, im Juli 1956, informierte der Staatssicherheitsdienst der DDR die Mitglieder des ZK der SED über eine Jugendsendung des RIAS: „Die […] Sendung befasst sich mit dem Thomas-Müntzer-Film und prophezeit, dass dieser Film bald nicht mehr öffentlich zu sehen sein wird, weil ihn die Menschen ‚als Aufruf zur Solidarität aller Unterdrückten‘ […] sehen könnten, besonders nach den Ereignissen in Poznan.“3

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Vgl. Thomas KAUFMANN, Die deutsche Reformationsforschung seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Archiv für Reformationsgeschichte (im Folgenden: ARG) 100 (2009), S. 15–47; Volker LEPPIN, Reformationsgeschichtsschreibung in der DDR und der Bundesrepublik, in: Jan SCHEUNEMANN (Hg.), Reformation und Bauernkrieg. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im geteilten Deutschland (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 11), Leipzig 2010, S. 33–47 sowie Jan SCHEUNEMANN, Luther und Müntzer im Museum. Deutsch-deutsche Rezeptionsgeschichten (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 20), Leipzig 2015. Vgl. Berliner Zeitung vom 15.5.1956. Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: BStU), MfS, AS 81/59,

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Abb. 1: Thomas Müntzer spricht zu den Aufständischen in Frankenhausen. Ausschnitt aus dem DEFA-Film von 1956 mit Wolfgang Stumpf (Mitte) in der Rolle des Thomas Müntzer.

In Poznań (Posen) hatte es im Juni 1956 einen Arbeiteraufstand gegeben, der vom polnischen Militär blutig niedergeschlagen wurde. Auslöser für diesen und den gesamten Ostblock erfassende Proteste war der XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, auf dem Nikita Chruschtschow in einer fünfstündigen Geheimrede schonungslos die Verbrechen von Josef Stalin offenlegte. Bei den Zuhörern lösten die Enthüllungen vollkommenes Entsetzen aus. SED-Parteichef Walter Ulbricht distanzierte sich nach seiner Rückkehr aus Moskau im „Neuen Deutschland“ von Stalin und erklärte, dieser gehöre nicht mehr zu den Klassikern des Marxismus. Auch in der DDR kam es zu Streiks und Demonstrationen, die sich gegen die bestehenden politischen Verhältnisse richteten. Unter den Kumpels des „Thomas-Müntzer-Schachtes“ in Sangerhausen erhob sich beispielsweise im Oktober 1956 der Ruf: „Nieder mit Pankow, […] nieder mit der roten Diktatur“.4 In dem kleinen, unweit von Pirna gelegenen Ort Cotta hatten Bauern schon im Juni 1956 von SED-Funktionären verlangt, ihnen die

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Bl. 330, Information Nr. 93/56 vom 25.7.1956, betrifft: RIAS-Sendung „Jugend spricht zur Jugend“ vom 18. Juli 1956. BStU, MfS, AS 83/59, Bd. 1b, Bl. 252–258, Information Nr. 293/56 vom 31.10.1956, betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik.

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Produktionsrückstände aus dem vergangenen Jahr zu erlassen. Würde diese Forderung nicht erfüllt, so einer der Wortführer, „müssen wir es wie im Bauernkrieg machen. Jeder Bauer muss ein Gewehr in die Hand bekommen. Sobald es wieder zu einem 17. Juni kommt, müssen wir Bauern zusammenhalten.“5 Auch während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 selbst war es zu ähnlichen Losungen gekommen, so etwa in Mühlhausen. Dort hatte man Ende Mai 1953 eine „Thomas-Müntzer-Kampfwoche für den Frieden“ veranstaltet. Als zwei Wochen später auch die thüringische Stadt von dem republikweiten Aufstand erfasst wurde, berief sich ein Demonstrant mit folgenden Worten auf den Bauernkrieg: „Ihr habt uns in der Thomas-Müntzer-Woche gezeigt, wie man es macht, jetzt erlebt ihr die Wirklichkeit, jetzt werden sich die Bauern von ihren Unterdrückern befreien, wir wollen freie Bauern sein.“6 Diese eigensinnigen Bezüge auf den Bauernkrieg und Thomas Müntzer mögen auf den ersten Blick überraschen, sie belegen aber, dass die integrative Kraft, die historischen Ereignissen und Personen in der Geschichtspolitik der DDR zugedacht war, gerade in Krisensituationen verpuffte. Denn was nützte es, Thomas-Müntzer-Denkmale zu setzen,7 ihm Museen und Gedenkstätten zu widmen8 oder Straßen und Plätze, Schulen und Kindergärten, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und Bergbaubetriebe nach ihm zu benennen,9 wenn sich diese symbolische Erinnerungspraxis hinsichtlich der allseits beschworenen „historischen Bewusstseinsbildung“ von der eigenen Bevölkerung ins genaue Gegenteil wenden ließ? Wie groß der von Chruschtschow ausgelöste „Stalin-Schock“ tatsächlich war, zeigt auch ein internes Papier aus dem ZK der SED, das im März 1956 Schlussfolgerungen aus der Chruschtschow-Rede zog: „Der XX. Parteitag [der KPdSU] hat in entscheidender Weise Schluss gemacht mit dem Persönlichkeitskult, der sich in der Geschichtsschreibung ausdrückte in einer Überbewertung der Rolle einzelner Persönlichkeiten zu Ungunsten der schöpferischen Rolle der Volksmassen.“ Die Aussagen von Marx, Engels und Lenin dürften nicht „verabsolutiert“ werden. Künftig gelte es, bei der Beschreibung historischer 5 6 7 8

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BStU, MfS, AS 81/59, Bl. 160–164, Information Nr. 67/56 vom 13.7.1956, betrifft: Vorkommnisse in Cotta. BStU, MfS, BV Erfurt, AU 240/53, Bd. 2, Bl. 27, Vernehmungsprotokoll vom 7.7.1953. Vgl. Günter VOGLER, Das Thomas-Müntzer-Denkmal in Mühlhausen (Veröffentlichungen der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, 9), Mühlhausen 2007. Vgl. Jan SCHEUNEMANN, Reformation und Bauernkrieg im Museum. Die Musealisierung der „frühbürgerlichen Revolution“ in den 1950er Jahren, in: DERS. (Hg.), Reformation und Bauernkrieg (wie Anm. 1), S. 65–86. Vgl. Johanna SÄNGER, Geduldet und geehrt. Martin Luther und Thomas Müntzer in Straßen- und Ehrennamen der DDR, in: SCHEUNEMANN (Hg.), Reformation und Bauernkrieg (wie Anm. 1), S. 87–100.

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Erscheinungen konkrete Tatsachen zu untersuchen, anstatt Klassikerzitate als unumstößliche Wahrheiten zu präsentieren. Die Arbeiten der Klassiker zu historischen Problemen seien nicht „sakrosankt“, und: „so ist z. B. Engels Buch ‚Der deutsche Bauernkrieg‘ in vielen Einzelheiten und in einigen Schlussfolgerungen durch die Forschung der letzten hundert Jahre überholt.“10 Die ganze Tragweite dieser Feststellung erschließt sich erst, wenn man bedenkt, dass Engels’ Bauernkriegsdarstellung von 1850 den ersten Versuch darstellte, Geschichte aus einer historisch-materialistischen Perspektive zu betrachten. Ihr kam in der marxistischen Historiografie kanonische Gültigkeit zu. Auch von Theologen und nichtmarxistischen Kirchenhistorikern aus der DDR wurde das offizielle und auf Engels basierende Bild der Reformationsepoche, das Martin Luther als „Fürstenknecht“ und Thomas Müntzer als „revolutionären Bauernkriegsführer“ darstellte, in Frage gestellt. So hatte Franz Lau, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, im Februar 1956 vor der Luther-Gesellschaft in Hamburg einen Vortrag mit dem Titel „Bauernkrieg und Reformation. Das Ende der Reformation als Volksbewegung?“ gehalten.11 In dem später veröffentlichten Vortrag wies Lau die von der marxistischen Geschichtswissenschaft vorgetragene Behauptung, mit der Niederschlagung des Bauernkrieges habe sich die Reformation von einer volkstümlichen Bewegung zu einer Angelegenheit der Obrigkeit gewandelt, als „Geschichtsklitterung“ zurück.12 Lau hatte sich schon an anderer Stelle mit den Anfang der 1950er Jahre in der DDR erschienenen Arbeiten des sowjetischen Historikers Moisej M. Smirin und insbesondere mit der 1952 von Alfred Meusel vorgelegten Schrift „Thomas Müntzer und seine Zeit“ auseinandergesetzt und die von dort ausgehende „Politisierung“ von Luther und Müntzer abgelehnt.13 Im Gegensatz zur DDR blieben in der Bundesrepublik wissenschaftliche Beiträge zur Bauernkriegsforschung in jenen Jahren eine Randerscheinung. Zwar veröffentlichte Günther Franz 1956 sein Buch „Der deutsche Bauern-

10 Bundesarchiv, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), DY 30/IV 2/9.04/253, Bl. 48–53, Schlussfolgerungen für die wissenschaftliche Arbeit aus dem XX. Parteitag der KPdSU und der 3. Parteikonferenz der SED (handschriftlich datiert 1956). 11 Archiv Luther-Gesellschaft Wittenberg, Ordner Nr. 206, Schreiben von Franz Lau an die Luther-Gesellschaft in Hamburg vom 23.1.1956. 12 Franz LAU, Der Bauernkrieg und das angebliche Ende der lutherischen Reformation als spontaner Volksbewegung, in: Lutherjahrbuch 26 (1959), S. 109–134, hier S. 111. 13 Vgl. DERS., Die prophetische Apokalyptik Thomas Müntzers und Luthers Absage an die Bauernrevolte, in: Friedrich HÜBNER (Hg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin 1955, S. 163–170, hier S. 163.

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krieg“, doch lag diesem eine Erstauflage aus dem Jahr 1933 zugrunde,14 aus der Franz, wie er nun schrieb, „einige wenige zeitbedingte Sätze auf den Schlußseiten“ gestrichen hatte. Die Änderungen beschränkten sich freilich nicht nur auf den Schluss des Buches, denn was Franz 1956 geflissentlich verschwieg, war der Umstand, dass er seine große Bauernkriegsdarstellung von 1933 in den zeitlichen Kontext der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ eingepasst hatte. Im Vorwort von 1933 warf Franz Bauernkriegsforschern des 19. Jahrhunderts wie Wilhelm Zimmermann, Ferdinand Friedrich Oechsle und Heinrich Wilhelm Bensen vor, sie hätten den Bauernkrieg politischen Zwecken dienstbar gemacht, um dann selbst zu schreiben: „Heute, am Ende der ersten siegreichen deutschen Revolution, hat der Bauer im Dritten Reich endlich die Stellung im Leben der Nation gewonnen, die er schon 1525 erstrebte.“ Die Funktionen, die der 1957 auf den Lehrstuhl für Agrargeschichte an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Stuttgart-Hohenheim berufene Historiker Günther Franz als NSDAP- und SA-Mitglied sowie SS-Hauptsturmführer zwischen 1933 und 1945 bekleidete, sind erst am Ende der 1990er Jahre in vollem Umfang bekannt geworden.15

2. Martin Luther versus Thomas Müntzer und das Konzept der „frühbürgerlichen Revolution“ Richtet man den Blick vom Jahr 1956 zurück auf die unmittelbare Nachkriegszeit in der Sowjetischen Besatzungszone, wird deutlich, dass Geschichte für die dort an die Macht strebenden Kommunisten von Beginn an eine handlungsleitende Funktion besaß, denn mit ihr ließen sich die neuen politischen und sozialen Verhältnisse begründen. Von zentraler Bedeutung für das historische Selbstverständnis der KPD und später der SED war der Bauernkrieg, aus dem sie ihre klassenkämpferischen Traditionen ableiteten. Man denke nur an die Rede „Junkerland in Bauernhand“, die der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck am 2. September 1945 im brandenburgischen Kyritz zur Bodenreform hielt. Pieck erklärte die Bodenreform dort zu einer „Bauernbefreiung“ und sah mit

14 Vgl. Günther FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, München/Berlin 1933; DERS., Der deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 1956. 15 Vgl. Wolfgang BEHRINGER, Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (1902–1992), in: Winfried SCHULZE/Otto Gerhard OEXLE (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1999, S. 114–141.

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ihrer Durchführung eine Forderung eingelöst, die 1525 von den aufständischen Bauern erhoben worden war.16 Mit der Herausstellung des Bauernkrieges ging eine Verurteilung Martin Luthers einher, dem die Niederschlagung der Aufständischen 1525 zur Last gelegt wurde. Allerdings entsprach es der in der historischen Forschung diagnostizierten „Janusköpfigkeit des Anfangs“, wenn auch in der marxistischen Presse zunächst ganz unterschiedliche Lutherbilder zur Geltung kamen. So beschrieb beispielsweise die „Volkszeitung“, das Presseorgan der KPD in der Provinz Sachsen, Luther anlässlich seines 400. Todestages im Februar 1946 als einen „glaubensstarken Mann“ und als „Urbild von Kraft und Stärke“.17 In Eisleben, der Stadt, in der Luther 1483 geboren wurde und in der er 1546 starb, beging man im Herbst 1946 eine gemeinsam von kommunaler Verwaltung und Evangelischer Kirche veranstaltete „Luther-Festwoche“. Bei dieser Gelegenheit erhielt Eisleben auch den Ehrennamen „Lutherstadt“. Und dennoch: Im östlichen Teil Deutschlands dominierte fortan ein negatives Lutherbild. Dabei stand der vernichtenden Beurteilung Luthers der 1525 hingerichtete Thomas Müntzer gegenüber. Der Kontrast zwischen beiden hätte nicht deutlicher ausfallen können: Luther ist der Aufklärer und Reformist, Münzer der Gläubige und Revolutionär. Luther ist „helle“, Münzer ist erleuchtet. […] Der eine führt als staatstreuer Untertan und gefügiger Unteroffizier seines Fürsten ein behäbiges Leben und stirbt hochbetagt und hochbewürdet im weichen Bett, der andere hetzt hungrig und frierend als Meuterer von Ort zu Ort und fällt zerschunden und verhöhnt unterm Beil.18

Am nachhaltigsten wurde die negative Sicht auf Luther in der DDR wohl von Alexander Abusch geprägt, dessen im mexikanischen Exil entstandene und 1946 erschienene Schrift „Der Irrweg einer Nation“ eine kommunistische Variante der von amerikanischer und englischer Seite angestoßenen „Von Luther zu Hitler“-Debatte darstellte. Abuschs Buch fand eine breite Leserschaft und übte einen großen Einfluss auf das Geschichtsdenken in der jungen DDR aus. Abusch interpretierte die deutsche Geschichte als Abfolge gescheiterter Revolutionsversuche, ja mithin als eine Misere. Die nationale Katastrophe begann für ihn mit Luther, lief über den preußischen Militarismus, Bismarck und Kaiser Wilhelm II. auf Hitler zu und fand im Zusammenbruch des Dritten Reiches ihr Ende. Folgt man Abusch, so vollzog Luther eine fatale historische Weichen-

16 Vgl. Laurenz MÜLLER, Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des „Dritten Reiches“ und der DDR (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 50), Stuttgart 2004, S. 94 f. 17 Volks-Zeitung vom 18.2.1946. 18 Neues Deutschland vom 14.5.1946.

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stellung, die zu Reaktion und Stagnation führte: „Luther wurde zur größten geistigen Kraft der deutschen Gegenrevolution für Jahrhunderte.“19 Abuschs Lutherdeutung blieb zwar bis in die 1960er Jahre hinein maßgebend. Der von der SED ab Sommer 1952 verfolgte Plan, in der DDR planmäßig den Sozialismus aufzubauen, verlangte jedoch danach, das Verhältnis zur deutschen Geschichte neu zu bestimmen. Wollte man sich als sozialistische Staatsnation präsentieren, bedurfte es dazu positiver historischer Anknüpfungspunkte. Diese Neuorientierung bedeutete in letzter Konsequenz auch eine Absage an jene Stimmen, die die deutsche Geschichte als einzige Misere betrachteten. Ausdruck fand dieser geschichtspolitische Umschwung in einer im Oktober 1952 im Museum für deutsche Geschichte in Ost-Berlin hinter verschlossenen Türen, dafür aber umso heftiger geführten Diskussion um Martin Luther. Alfred Meusel, der im September 1946 auf den Lehrstuhl für politische und soziale Probleme der Gegenwart an der Humboldt-Universität berufen und im Dezember 1951 zum Direktor des Museums für deutsche Geschichte ernannt worden war,20 musste sich im Wissenschaftlichen Museumsbeirat den Vorwurf einer „arge[n] Fälschung“ gefallen lassen. In der Ausstellung war ein mit herausgerissenen Zitaten und entstellten Formulierungen kommentiertes Lutherporträt zwischen Bildern von Georg Truchseß von Waldburg, dem Feldherrn des Schwäbischen Bundes, und Leonhard von Eck, dem bayerischen Gesandten beim Schwäbischen Bund, gesetzt worden, also jenen Männern, die sich maßgeblich an der Niederschlagung des Bauernkrieges beteiligt hatten. Mit dieser Darstellung des Reformators entstehe ein „monströser Fall von Diskrepanz“ zwischen der Ausstellungsabteilung zum Bauernkrieg, in der dem Besucher „ein elender, charakterloser käuflicher ‚Klassenlakai‘ vorgeführt“ werde, während man wenige Schritte weiter Luthers sprachschöpferische Leistung preise. Auch Jürgen Kuczynski und Kurt Hager kritisierten Meusel. Während Kuczynski die fortschrittliche Rolle Luthers wichtiger erschien als dessen Position im Bauernkrieg und er es ablehnte, den Reformator „gewissermaßen als halb und halb“ darzustellen, befürchtete Hager, dass durch eine negative Beurteilung Luthers dessen nationale Bedeutung verloren gehen könne. Hagers Äußerungen bedeuteten kein Abweichen vom historischen Materialismus, doch wird anhand seiner von Beifall begleiteten Forderung nach einer Überprüfung der Ausstellung

19 Alexander ABUSCH, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1946, S. 23, 27. 20 Vgl. Mario KESSLER, Alfred Meusel. Soziologe und Historiker zwischen Bürgertum und Marxismus (1896–1960), Berlin 2016, S. 106

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sichtbar, wie elastisch sich das parteiliche Luther-Bild in jenen Jahren gestaltete.21 Als das „Neue Deutschland“ Ende Januar 1953 einen zusammenfassenden Artikel über die Diskussion veröffentlichte,22 sorgte dies für Irritationen. Friedrich Wolf jedenfalls, der zu dieser Zeit am Szenario für den eingangs erwähnten Thomas-Müntzer-Film arbeitete, las den Artikel mit „Befremden“. Gegenüber dem im ZK der SED für Presse und Agitation verantwortlichen Hermann Axen beklagte er sich, er könne „mit einer ungeklärten ‚Geschichtsauffassung‘ einiger führender Genossen im Rücken“ seine Arbeit unmöglich fortsetzen. Wolf wehrte sich gegen den namentlich von Kuczynski und Hager unternommenen Versuch, „Luther in ein besonders positives Licht zu rücken“. Im Februar 1953 erhielt Wolf von parteiamtlicher Stelle die Nachricht, man erwarte einen Thomas-Müntzer-Film und keinen Martin-Luther-Film. Die Entscheidung Wolfs, Müntzer im Film entgegen seiner ursprünglichen Planung keinen direkten Widersacher Luther gegenüberzustellen, dürfte also weniger künstlerische als vielmehr politische Gründe gehabt haben. Am 22. Juni 1953 notierte Wolf in seinen Kalender: „… Münzer-Filmmanuskript umarbeiten auf: ohne Luther!“ Die Parteispitze hat das mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Wie Äußerungen Kurt Hagers zeigen, erschien die von Wolf beabsichtigte Bloßstellung Luthers als Opportunist und Fürstenknecht gerade nach den Ereignissen im Juni 1953 alles andere als angebracht. Christel Berger hat in diesem Zusammenhang von einem „Dilemma der Mächtigen“ gesprochen.23 Einerseits sollte mit dem Bauernkrieg eine revolutionäre Tradition beschworen werden. Die Berufung auf den 1525 geführten Kampf um Rechte und Besitz konnte angesichts der von der SED massiv vorangetriebenen Kollektivierung der Landwirtschaft nun jedoch ins Gegenteil umschlagen und ein „revolutionäres“ Aufbegehren ganz eigener Art stimulieren. Andererseits gebot es der von Moskau schon Anfang Juni verordnete „neue Kurs“ und die mit dem Volksaufstand ausgelöste Krise, die Kirchenpolitik zu überdenken. Luther einen Verräter zu nennen, war in dieser Situation politisch ebenso unklug wie der propagandistische Rekurs auf Müntzers Zitat „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk“. Diese Erwägungen besaßen nicht nur eine innenpolitische, sondern auch eine deutschlandpolitische Dimension. In der Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik erschien es wenig hilfreich, sich von einer nationalgeschichtlich so bedeutenden 21 Archiv Deutsches Historisches Museum, Museum für deutsche Geschichte, Ordner Nr. 42, Bl. 206, 221, 232, Stenografisches Protokoll der 3. Tagung des Wissenschaftlichen Rates des Museums für deutsche Geschichte am 4. und 5. Oktober 1952. 22 Vgl. Georg KRAUSZ, Diskussion um Luther und die deutsche Reformation, in: Neues Deutschland vom 31.1.1953. 23 Vgl. Christel BERGER, Friedrich Wolf 1953. Eine unvollständige Biographie rückwärts, Berlin 2006, S. 68–71.

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Figur wie Martin Luther zu distanzieren. Der Anspruch der DDR, gesamtdeutsche Interessen zu vertreten, war nur mit einem Bekenntnis zur gesamten deutschen Geschichte glaubwürdig. Für Alfred Meusel hatte die Luther-Diskussion im Museum für deutsche Geschichte aufgrund seiner herausragenden Stellung im Gefüge der jungen marxistischen Geschichtswissenschaft keine direkten Folgen. Allerdings nahm seine Reputation als Wissenschaftler Schaden, als 1953 in der von ihm mitherausgegebenen „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ eine Besprechung seines Buches „Thomas Müntzer und seine Zeit“ erschien. Max Steinmetz, damals Mitarbeiter des Staatssekretariates für Hochschulwesen der DDR, lobte zwar die fesselnde, lebendige und sprachlich hervorragende Darstellung, listete dann aber eine große Anzahl von Fehlern auf, die nichts anderes als eine fachliche Bloßstellung Meusels bedeuteten.24 Hinzu kam, dass wenig später auch in der Bundesrepublik eine Rezension erschien, die Steinmetz’ Kritik nicht nur bestätigte, sondern noch verschärfte. Günther Franz schrieb in der „Historischen Zeitschrift“: „Dies Buch […] verstößt gegen die Grundsätze wissenschaftlicher Sauberkeit und Exaktheit, die über alle politischen Unterschiede hinweg Grundlage wissenschaftlicher Arbeit sein sollten […].“25 Steinmetz, der 1954 in Nachfolge Karl Griewanks auf den Lehrstuhl für neuere Geschichte an der Universität Jena berufen wurde, stieg bald zu einem der führenden marxistischen Historiker der DDR auf. Dies schloss für ihn jedoch nicht aus, Kontakt zur westlichen Forschung zu suchen, wie sein Besuch bei Günther Franz im September 1957 in Marburg belegt. Das Gespräch zwischen Steinmetz und Franz kreiste um eine Ausgabe der Briefe und Schriften Müntzers, die Franz seit einiger Zeit fertiggestellt hatte, ohne dafür jedoch einen Verlag gefunden zu haben. Franz hielt eine fachliche Zusammenarbeit mit Historikern aus der DDR für möglich. „Es zeigte sich, daß er [Franz] zur Diskussion bereit ist, daß er für manche Fragestellung durchaus aufgeschlossen ist, aber letztlich doch auf westlicher Seite steht […]“, so Steinmetz in seinem Reisebericht.26 Die Verhandlungen über ein deutsch-deutsches Kooperationsprojekt zur Veröffentlichung einer Thomas-Müntzer-Gesamtausgabe, an der von westlicher Seite der Bertelsmann-Verlag und von östlicher Seite der Akademie-Verlag sowie anfänglich auch die Evangelische Verlagsanstalt beteiligt waren, scheiterten

24 Vgl. Max STEINMETZ, Besprechung zu Alfred Meusel: Thomas Müntzer und seine Zeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im Folgenden: ZfG) 1 (1953), S. 968–978. 25 Günther FRANZ, Rezension zu: Alfred Meusel. Thomas Müntzer und seine Zeit, in: Historische Zeitschrift (im Folgenden: HZ) 177 (1954), S. 543–545. 26 Universitätsarchiv (im Folgenden: UA) Leipzig, Nachlass (im Folgenden: NL) Steinmetz, 2/231, Bl. 1–6, hier Bl. 2, Bericht über meine Reise in die Bundesrepublik vom 3. bis 8.9.1957.

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später,27 was angesichts des Eklats auf dem Historikertag in Trier im September 1958 kaum verwundert. In Trier hatte der Vorstand des westdeutschen Historikerverbandes die ostdeutschen Professoren Max Steinmetz, Ernst Engelberg und Leo Stern mit einem Redeverbot belegt, woraufhin die DDR-Delegation geschlossen abreiste. Pikanterweise ging die von westdeutscher Seite dazu abgegebene Erklärung u. a. auf Gerhard Ritter zurück, bei dem Steinmetz 1939 promoviert hatte.28 Wenn Steinmetz also 1959 daranging, eine eigene Deutungskonzeption von Reformation und Bauernkrieg zu entwickeln, so lag diesem Vorhaben die 1955 im „Geschichtsbeschluss“ der SED und erneut 1958 in der „nationalen Grundkonzeption“ erhobene Forderung zugrunde, der vorgeblich in der Bundesrepublik betriebenen „reaktionären Verfälschung der deutschen Vergangenheit“ ein eigenständiges nationales Geschichtsbild entgegenzusetzen.29 Unter dem von Meusel geprägten historiografischen Leitbegriff „frühbürgerliche Revolution“, der die gesamte marxistische Frühe-Neuzeit-Forschung der DDR fortan paradigmatisch überwölbte, fasste Steinmetz Reformation und Bauernkrieg als Teile einer einheitlichen revolutionären Bewegung zusammen.

3. Deutsch-deutsche Deutungskonkurrenz in den 1960er und frühen 1970er Jahren Mit der „frühbürgerlichen Revolution“ hatte Steinmetz ein innovatives Konzept entwickelt, mit dem es ihm gelang, sich deutlich von der „bürgerlichen“ Reformations- und Bauernkriegsforschung in der Bundesrepublik abzugrenzen. Dort wurde ein Konnex zwischen Reformation und Bauernkrieg abgelehnt und der Bauernkrieg unter Berufung auf Günther Franz in den europäischen Kontext der bäuerlichen Aufstandsbewegungen des Spätmittelalters eingeordnet und mit dem Kampf um bäuerliche Teilautonomie im entstehenden Territorialstaat begründet. Gleichwohl fand die „frühbürgerliche Revolution“ auch in der Bundesrepublik eine kritische Beachtung. Steinmetz hat das mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, schließlich galt ihm die Beschäftigung mit Reformation 27 Vgl. Max STEINMETZ/Christiane GRIESE, Die Müntzereditionen und -editoren im 20. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Müntzerforschung, in: ZfG 38 (1990), S. 608–619, hier S. 617 f. 28 Vgl. Winfried SCHULZE, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 (HZ, Beiheft 10), München 1989, S. 194–200. 29 Vgl. Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik (Beschluss des Politbüros vom 5. Juli 1955), in: Dokumente der SED, Bd. V, Berlin 1956, S. 337–368, hier S. 337.

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und Bauernkrieg als ein „Hauptkampffeld zwischen idealistischer und materialistischer Geschichtsauffassung“.30 Später behauptete er selbstbewusst, erst die Rezeption der marxistischen Bauernkriegsforschung in der DDR habe die „bürgerliche Seite aus ihrem selbstverschuldeten Dornröschenschlaf erwachen“ lassen.31 In dieser Polemik verbarg sich freilich ein durchaus wahrer Kern. „Die Erforschung des Bauernkrieges in der Bundesrepublik seit 1945 ist zweifellos quantitativ und zuletzt auch qualitativ hinter der in der DDR zurückgeblieben“, konstatierte 1975 der an der Universität Gießen lehrende Historiker Volker Press, und machte dafür hauptsächlich das Bauernkriegs-Buch von Günther Franz verantwortlich.32 Das Werk lastete offenbar wie ein Alp auf der westdeutschen Geschichtswissenschaft, die sich schwer damit tat, neue Ansätze und Fragestellungen zu entwickeln. In der Bundesrepublik wurde die reformationsgeschichtliche Forschung in der DDR zuerst auf dem 25. Historikertag im Oktober 1962 in Duisburg diskutiert. Dort hatte der Hamburger Historiker Gerhard Oestreich über „Thomas Müntzer und die Reformationsgeschichte in der neueren wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ referiert und dabei auf die unterschiedlichen Wertungen in beiden Teilen Deutschlands aufmerksam gemacht. In der anschließend von Gerhard Ritter geleiteten Diskussion standen dann vor allem Fragen nach Müntzers Verankerung in der spätmittelalterlichen Apokalyptik sowie sein Einfluss auf das Täufertum im Zentrum. Thomas Nipperdey hob die theologische Abhängigkeit Müntzers von Luther und dessen radikale Opposition gegen die lutherische Orthodoxie hervor.33 Gewiss nahm Nipperdey schon hier die Anregung auf, sich intensiver mit Thomas Müntzer zu beschäftigen.34 Und man darf annehmen, dass hier auch der Ausgangspunkt für seine kritischen Überlegungen zur „frühbürgerlichen Revolution“ lag, die erstmals 1966 erschienen.35 Nipperdey hielt die Hauptthese von der Reformation als erster Phase einer frühbürger30 Max STEINMETZ, Reformation und Bauernkrieg – Höhepunkte der Geschichte des deutschen Volkes, in: Sächsische Heimatblätter 19 (1973), H. 3, S. 97–102, hier S. 98. 31 DERS., Reformation, Bauernkrieg, Müntzer, in: Gerhard LOZEK u. a. (Hg.), Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, Berlin 31977, S. 224–237, hier S. 230. 32 Volker PRESS, Der Bauernkrieg als Problem der deutschen Geschichte, in: Jahrbuch für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 86 (1975), S. 158–177, hier S. 165. 33 Vgl. Bericht über die 25. Versammlung deutscher Historiker in Duisburg. 17. bis 20. Oktober 1962 (Geschichte in Wissenschaft und Unterricht [im Folgenden: GWU], Beiheft), Stuttgart 1962, S. 42–44. 34 Vgl. Thomas NIPPERDEY, Theologie und Revolution bei Thomas Müntzer, in: ARG 54 (1963), S. 145–181. 35 Vgl. DERS./Peter MELCHER, Bauernkrieg, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Bd. 1, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1966, Sp. 611–627.

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lichen Revolution zwar nicht für bewiesen, dennoch räumte er ein: „Im Ansatz, in der Fragestellung und auch im Ansatz der Geschichtstheorie halte ich die marxistische Geschichtswissenschaft für fruchtbar, für fruchtbarer jedenfalls, als man angesichts der scholastischen Konstruktion denken möchte.“ Steinmetz nahm die Stellungnahme Nipperdeys offenbar schon kurz nach ihrer Veröffentlichung zur Kenntnis, denn der Vortrag war Ende August 1967 als Radiobeitrag zum 450. Reformationsjubiläum im Sender Freies Berlin III zu hören gewesen.36 Während man die Reformation 1967 in der DDR offiziell und in Abgrenzung zur evangelischen Kirche als eine „der gewaltigsten Massenbewegungen unserer älteren Nationalgeschichte“ feierte,37 fielen die Festlichkeiten in der Bundesrepublik weitaus bescheidener aus. Bemerkenswert war indes die Rede, die der damalige Bundesminister der Justiz Gustav Heinemann am 31. Oktober 1967 in der Frankfurter Paulskirche hielt. Heinemann ging dort ausführlich auf die marxistische Geschichtswissenschaft ein – einschließlich der von ihr vertretenen Lesart von Reformation und Bauernkrieg und der damit verbundenen Heraushebung Thomas Müntzers.38 Heinemann verband damit die Frage, wem die deutsche Geschichte gehöre, und legte so einen Faden aus, den er im Februar 1970 nun im Amt des Bundespräsidenten bei seiner gleichermaßen programmatischen wie geschichtspolitisch bedeutenden Rede während der Schaffermahlzeit im Bremer Rathaus wieder aufnahm. Dabei war auch die marxistische Deutung der Reformationsgeschichte ein Thema. In der DDR, so Heinemann, sei man bemüht, den sozialistischen Staat als Ergebnis eines langen historischen Entwicklungsprozesses darzustellen, um so die Ausbildung eines Nationalbewusstseins zu fördern. In der Bundesrepublik sah er dagegen einen Mangel an Geschichtsbewusstsein und mahnte: Einer demokratischen Gesellschaft […] steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezäumt und in Schranken verwiesen wurden. So haben die Sieger die Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt. […] Wir mögen manchmal mit Lächeln, manchmal auch mit Schmerz zur Kenntnis nehmen, wie im 36 Eine vom Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR angefertigte Transkription des am 28.8.1967 gesendeten Vortrages „Reformation als Problem der marxistischen Geschichtswissenschaft“ von Thomas Nipperdey befindet sich im Nachlass von Max Steinmetz. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/51, Bl. 20–28, hier Bl. 28. 37 Max STEINMETZ, Die nationale Bedeutung der Reformation, in: DERS./Leo STERN (Hg.), 450 Jahre Reformation, Berlin 1967, S. 44–57, hier S. 48 38 Gustav HEINEMANN, Die gesellschaftliche Bedeutung der Reformation. 450. Wiederkehr des Reformationstages – Aufforderung zur Mitverantwortung für Staat und Kirche, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 8.11.1967, S. 1079–1082, hier S. 1080.

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anderen Teil Deutschlands allzu bedenkenlos alle freiheitlichen Regungen in unserer Geschichte den Kräften zugerechnet werden, die dort heute an der Macht sind. […] Aber nichts kann uns hindern, in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, damit das deutsche Volk politisch mündig und moralisch verantwortlich sein Leben und seine Ordnung selbst gestalten kann.39

Diese viel zitierten Sätze waren seinerzeit in der Bundesrepublik durchaus umstritten. Galten sie liberalen Historikern als intellektuelle Provokation,40 so hielt man von konservativer Seite entgegen, der Bundespräsident würde mit seinen „hilflos wirkende[n] Vorschläge[n]“ lediglich offene Türen einrennen.41 Heinemanns öffentlicher Ruf nach einer demokratischen Geschichtsschreibung wurde zwar weniger von Vertretern der historischen Zunft wahrgenommen und diskutiert, doch stimulierte er ganz unterschiedliche Initiativen, bis hin zu der von Heinemann selbst vorangetriebenen Gründung der „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ in Rastatt im Jahr 1974. Heinemanns Abkehr von den „Siegern der Geschichte“ bot auch eine Projektionsfläche für die Umsetzung historischer Provokationen, etwa auf der Theaterbühne. Im Dezember 1970 erlebte das Schauspiel „Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung“ von Dieter Forte in Basel seine Uraufführung. Dem 1971 im Druck erschienenen Stück hatte der Autor eben jene oben zitierten Sätze Heinemanns vorangestellt.42 Allein der Klappentext war eine Kampfansage: „Die historische Wahrheit erscheint uns neu, die Situation vertraut: Theologie als Rechtfertigung der Obrigkeit und die blutige Niederschlagung des Versuchs, demokratische Freiheiten konkret durchzusetzen.“ In einer kurzen Einleitung beschrieb Forte seine Methode, die darin bestand, die historische Situation der Jahre 1514–1525 „konkret zu erforschen“. Dazu benutzte er Originalquellen, die er in Form von Montagen aneinanderreihte, und die in einem umfangreichen Verzeichnis aufgeführte wissenschaftliche Literatur – auch solche marxistischer Autoren. Forte bot die Reformationsgeschichte als „kabarettistische Revue von lebendigen Karika39 DERS., Geschichtsbewußtsein und Tradition in Deutschland. Ansprache bei der Schaffermahlzeit im Bremer Rathaus, 13. Februar 1970, in: DERS., Allen Bürgern verpflichtet. Reden des Bundespräsidenten 1964–1974 (Reden und Schriften, I), Frankfurt am Main 1975, S. 30–35, hier S. 34 f. 40 Vgl. Imanuel GEISS, Geschichte bis in die Schulbücher, in: Heinrich BÖLL/Helmut GOLLWITZER/Carlo SCHMID (Hg.), Anstoß und Ermutigung. Gustav W. Heinemann. Bundespräsident 1969–1974, Frankfurt am Main 1974, S. 37–56, hier S. 39 41 Theodor SCHIEDER, Hat Heinemann recht? Zu einer Rede über unser mangelndes Geschichtsbewußtsein, in: Christ und Welt/Deutsche Zeitung vom 27.2.1970. 42 Vgl. Dieter FORTE, Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung, Berlin 1971.

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turen“.43 Das Stück brachte ihm den Vorwurf der „Luther-Schändung“ ein, wobei vor allem seine Darstellung des Reformators als korrupter Kapitalistenknecht und opportunistischer Obrigkeitsapostel, weniger jedoch seine Sichtweise auf einen von ökonomischen Faktoren bestimmten Geschichtsverlauf seitens der westdeutschen evangelischen Theologie in der Kritik stand.44 Als das Stück im November 1971 in Köln aufgeführt wurde, löste es einen Theaterskandal aus. Das lag jedoch weniger an Götz George, der in der Rolle Luthers auftrat, sondern an den radikalen Zuspitzungen der Inszenierung, die in einem Auftritt des nackten Thomas Müntzer gipfelten. Das Publikum reagierte mit Buh-Rufen und aus den Reihen der Kölner CDU wurden Stimmen laut, die die Absetzung des Regisseurs und des Generalintendanten forderten, während ein SPD-Stadtrat ironisch von einer „Klassenkampf-Premiere“ sprach, personelle Konsequenzen jedoch ablehnte.45 Seine Relevanz für das Thema dieses Aufsatzes erhält die Kölner Theater-Episode dadurch, dass Max Steinmetz nicht nur ausführlich in einem für die Inszenierung herausgegebenen Textheft zitiert wurde,46 sondern Anfang Dezember 1971 selbst nach Köln reiste, um dort auf Wunsch des Intendanten über das marxistische Müntzerbild zu referieren. Sein Vortrag im vollbesetzten Hörsaal der Kölner Volkshochschule war „ein überraschend großer Erfolg, sowohl was die Anzahl der Teilnehmer als auch was die Beteiligung an der Diskussion anging“, wie Steinmetz angesichts der knapp 400 Zuhörer berichtete: Vortragsreihe, Stück und Aufführung in Köln widerspiegeln einen Prozeß des Umdenkens, der in bestimmten Bereichen der Bundesrepublik im Gange ist, dessen weiterer Verlauf und Ausgang freilich noch offen bleibt. Bei diesem Prozeß des Umdenkens, ausgelöst durch die gewachsene Macht des Sozialismus und die dadurch bedingten Verschiebungen im internationalen Kräfteverhältnis, geht es um neuralgische Punkte des westdeutschen Geschichtsbewusstseins, wobei es interessant ist, daß nicht die Historiker, sondern die Dramatiker es sind, die eine Revision des Geschichtsbildes in die Wege leiten […].47

43 Norbert MECKLENBURG, Der Prophet der Deutschen. Martin Luther im Spiegel der Literatur, Stuttgart 2016, S. 253. 44 Vgl. Bernhard LOHSE, Eine feste Burg sind Geld und Zins…, in: Luther 42 (1971), H. 3, S. 135–138; Erwin MÜLHAUPT, Falsch-Müntzerei oder die Karikatur der Reformationsgeschichte in Dieter Fortes Stück „Martin Luther und Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung“, Karlsruhe 1971. 45 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger vom 30.11.1971 und 1.12.1971. 46 Vgl. Dieter FORTE, Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung. Inszenierung Hansgünther Heyme, hg. von den Bühnen der Stadt Köln, Köln 1971. 47 UA Leipzig, NL Steinmetz 2/239, Bl. 4–13, Bericht von Max Steinmetz über seine Vortragsreise nach Köln vom 28.12.1971.

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Abb. 2: Max Steinmetz hatte eine Aufführung des Theaterstücks „Martin Luther & Thomas Müntzer oder die Einführung der Buchhaltung“ von Dieter Forte in der DDR abgelehnt, da es „unwirksam oder verwirrend bleiben müsste“. Gleichwohl erfuhr das Stück am 14. Mai 1982 im Volkstheater Rostock seine DDR-Erstaufführung. Die Inszenierung stammte von Hanns Anselm Perten; Uwe-Detlev Jessen (l.) übernahm die Rolle des Luther.

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Dem Stück selbst konnte Steinmetz allerdings nur wenig abgewinnen, da Forte die tatsächlichen geschichtlichen Zusammenhänge nicht begriffen und die Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte nicht deutlich gemacht habe. Die Anhänger Müntzers und die revolutionären Bauern würden völlig verzeichnet und „als wirre, komische, skurrile, nicht ernst zu nehmende Gestalten“ auftreten. Auch bei dem überwiegend studentischen Publikum musste Steinmetz Defiziente und „linksradikale Tendenzen“ feststellen, die sich u. a. in einer „Überbewertung des subjektiven Faktors, der subjektiven Auffassungen und Bestrebungen Müntzers“ ausdrückten. Steinmetz’ Auftritt in Köln bestätigt, dass er im Westen einen, wenn auch nur begrenzten Bekanntheitsgrad genoss. Dabei waren Schriften marxistischer Historiker aus der DDR in den frühen 1970er Jahren in der Bundesrepublik kaum über den regulären Buchhandel erreichbar; sie konnten nur über den Literaturvertrieb der Deutschen Kommunistischen Partei oder sogenannte Rote Bücherstuben bezogen werden. Ähnliche Erfahrungen hatte auch Rainer Wohlfeil gemacht. Dem seit 1971 an der Universität Hamburg lehrenden Historiker war unter Studenten zudem eine unkritische, zum Teil auch politisch motivierte Rezeption der „frühbürgerlichen Revolution“ begegnet. In seinen Seminaren und Vorlesungen versuchte er, dem ostdeutschen Erklärungsmodell eine eigene Position entgegenzustellen.48 Sein Anliegen war es, die in der DDR etablierte marxistische Reformations- und Bauernkriegsforschung kritisch zu hinterfragen und in der Bundesrepublik zu diskutieren. Der Beginn von Wohlfeils Auseinandersetzung mit der „frühbürgerlichen Revolution“ fällt auf den 15. März 1971. Anlässlich des 450. Jahrestages des Reichstages von 1521 hielt er in Worms einen Vortrag zum Thema „Reformation oder Frühbürgerliche Revolution?“.49 Auch Steinmetz war im November 1971 vom Wormser Oberbürgermeister zu einem Vortrag eingeladen worden. Für ihn stellte es zweifellos eine reizvolle Herausforderung dar, vor einem westdeutschen Fachpublikum über Reformation und Bauernkrieg aus marxistischer Sicht zu sprechen. Er sah in der Bundesrepublik nicht zuletzt durch das Theaterstück Fortes ein „brennendes Interesse“

48 Vgl. Rainer WOHLFEIL, Entfremdung und Annäherung. Krise und Krisenbewältigung im Zeitalter von Reformation und Bauernkrieg, gespiegelt in Stationen deutsch-deutscher Diskussionen zur Deutung deutscher Geschichte des 16. Jahrhunderts, in: Monika HAGENMAIER/Sabine HOLTZT (Hg.), Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit. Crisis in Early Modern Europe. Festschrift für Hans-Christoph Rublack, Frankfurt am Main/Berlin/Bonn 1992, S. 331–350, hier S. 343. 49 Vgl. DERS., Reformation oder Frühbürgerliche Revolution?, in: Fritz REUTER (Hg.), Luther in Worms. Ansprachen, Vorträge, Predigten und Berichte zum 450-Jahrgedenken, Worms 1973, S. 44–59.

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an diesen Fragen.50 Angeregt wurde Steinmetz auch durch eine anlässlich des Wormser Reichstagsjubiläums erschienene Festschrift, in der Rainer Wohlfeil dazu aufforderte, angesichts der auf die „Luthersache“ und konfessionelle Belange reduzierten Deutung der Wormser Geschehnisse wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen mehr Beachtung zu schenken.51 Steinmetz’ Reise nach Worms kam indes nicht zustande. Auch einer Einladung Rainer Wohlfeils nach Hamburg konnte, wollte oder durfte Steinmetz nicht folgen. Mit dem Erscheinen eines von Wohlfeil herausgegebenen Sammelbandes, der die Überschrift seines Wormser Vortrages „Reformation oder Frühbürgerliche Revolution?“ zum Titel und die seit den 1960er Jahren in der DDR publizierten Schlüsseltexte marxistischer Historiker auch einem westdeutschen Publikum zugänglich machte, wurde nun der Weg zu einem intensiven grenzüberschreitenden Austausch über die Reformationsgeschichte geebnet. Wohlfeil schrieb in der Einleitung, es gehe nicht mehr an, „daß in der DDR Arbeiten nichtmarxistischer Historiker aufmerksam studiert und besprochen, in der Bundesrepublik aber Publikationen aus der DDR von der Fachwissenschaft kaum angezeigt, geschweige denn rezensiert werden“.52 Auf die ersten gegenseitigen Wahrnehmungen folgte ein zunehmend versachlichter Dialog, der nicht auf die „profane“ Geschichtsschreibung beschränkt blieb, sondern nun auch Kirchengeschichte, Theologie und Lutherforschung erfasste. So veröffentlichte Bernhard Lohse 1972 in „Luther“, der Zeitschrift der Luther-Gesellschaft, einen umfangreichen Aufsatz, der sich der marxistischen Müntzerforschung in der DDR widmete. Ihr bescheinigte er, eine erhebliche Wandlung vollzogen zu haben, die sich vor allem darin zeige, dass Müntzer nun auch als Theologe ernst genommen würde. An den vorgelegten Arbeiten, so Lohse, könne man nicht vorübergehen: „Beachtlich sind im Blick auf Müntzer einmal vielfältige Untersuchungsergebnisse im einzelnen, sodann aber auch die marxistische Reformationsdeutung insgesamt. Auch wenn hier von theologischer und profangeschichtlicher Seite Einwendungen erhoben werden müssen, lohnt sich der Dialog.“53

50 UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/159, Bl. 4 bzw. Bl. 7 f., Schreiben des Wormser Oberbürgermeisters an Max Steinmetz vom 26.11.1971 sowie Schreiben von Max Steinmetz an das Direktorat für Internationale Beziehungen der Universität Leipzig vom 28.12.1971. 51 Vgl. Rainer WOHLFEIL, Der Wormser Reichstag von 1521, in: Fritz REUTER (Hg.), Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971, S. 59–154, hier S. 63, 154. 52 DERS., Einleitung, in: DERS. (Hg.), Reformation oder frühbürgerliche Revolution? (Nymphenburger Texte zur Wissenschaft, 5), München 1972, S. 7–41, hier S. 19. 53 Bernhard LOHSE, Thomas Müntzer in marxistischer Sicht, in: Luther 43 (1972), H. 2, S. 60–73, hier S. 61.

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Auch im Lutherjahrbuch, das im Auftrag der in Hamburg ansässigen LutherGesellschaft von Franz Lau, ab 1972 von Helmar Junghans in Leipzig herausgegeben wurde und das in der DDR eine breite Leserschaft erreichte, erschienen zahlreiche Beiträge zur Müntzerforschung aus Ost und West.54

4. Bauernkriegsjubiläum 1975 Zählte der Bauernkrieg in der Bundesrepublik eher zu den randständigen Themen des öffentlichen Interesses, so löste das Jubiläum 1975 nun einen regelrechten Bauernkriegs-Boom aus. Schon im September 1971 hatte das ZDF eine zweiteilige, abendfüllende Dokumentation über den Bauernkrieg gezeigt; im Januar 1973 folgte in der ARD unter dem Titel „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Mann“ eine weitere Fernsehsendung zum Thema, für die Gustav Heinemann persönlich das Vorwort sprach. In Ost und West erschien eine unüberschaubare Zahl von populären Büchern, wissenschaftlichen Monografien sowie Sammel- und Tagungsbänden. Allein im Zeitraum zwischen 1974 und 1976 zählte man fast 400 einschlägige Titel.55 Heraus stachen dabei solche, die allein durch ihren Umfang Aufsehen erregten, wie die über 800 Seiten starke Müntzer-Biografie von Walter Elliger, oder solche, die aufgrund ihrer Ausstattung mit bildlichen Quellen Beachtung fanden, wie die von Max Steinmetz, Günter Vogler und Adolf Laube vorgelegte „Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“.56 Heiko A. Oberman legte 1974 einen dem Bauernkrieg gewidmeten Sonderband der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ vor.57 Das Buch zeigte, dass nun auch Kirchenhistoriker die von der marxistischen Geschichtswissenschaft ausgehende Kritik an einer zu stark theologisch geprägten Reformationsgeschichts-

54 Vgl. Siegfried BRÄUER, Helmar Junghans und die Müntzerforschung, in: Armin KOHNLE (Hg.), Helmar Junghans (1931–2010) als Kirchenhistoriker. 2. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation aus Anlass seines 80. Geburtstages (Herbergen der Christenheit, Sonderband 20), Leipzig 2012, S. 59–64. 55 Vgl. Hans Günter HOCKERTS, Der Bauernkrieg 1525 – frühbürgerliche Revolution, defensive Bauernerhebung oder Revolution des „gemeinen Mannes“?, in: GWU 20 (1979), H. 1, S. 1–20, hier S. 1. 56 Vgl. Walter ELLIGER, Thomas Müntzer. Leben und Werk, Göttingen 1975; Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974. 57 Vgl. Heiko A. OBERMAN (Hg.), Deutscher Bauernkrieg 1525, Stuttgart u. a. 1974 (= Zeitschrift für Kirchengeschichte 85 [1974], H. 2).

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forschung zur Kenntnis nahmen.58 Oberman hatte sich auch bei Steinmetz um einen Beitrag bemüht, der aber aufgrund von Arbeitsüberlastung absagen musste und deshalb vorschlug, Texte seines Ost-Berliner Kollegen Günter Vogler sowie der beiden ostdeutschen Theologen und Kirchenhistoriker Hubert Kirchner und Siegfried Bräuer aufzunehmen,59 – ein Verweis auf die sich innerhalb der DDR langsam vollziehende Annäherung zwischen marxistischen und nichtmarxistischen Historikern.60 Die mit dem 1972 geschlossenen Grundlagenvertrag einsetzende Entspannungsphase und nicht zuletzt die Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO 1973 bestärkten die DDR in ihren Bemühungen um die internationale Anerkennung. Dies ermöglichte auch im Wissenschaftsbereich bis dahin für nicht möglich gehaltene „Grenzüberschreitungen“; und das in zweifacher Hinsicht. Einerseits trat neben Historikern aus Frankreich, Belgien und den USA mit Rainer Wohlfeil nun auch ein westdeutscher Historiker auf der maßgeblich von Max Steinmetz verantworteten Tagung zum Bauernkrieg vom 3. bis 7. Februar 1975 in Leipzig auf. Andererseits öffnete sich die marxistische Geschichtswissenschaft verstärkt Themen und Fragestellungen, die von Theologen und Kirchenhistorikern aus der DDR, wie Helmar Junghans, Günther Wartenberg (beide Leipzig), Friedrich de Boor (Halle/Saale) und Siegfried Bräuer (Krummhennersdorf) bearbeitet wurden, die auf der Leipziger Konferenz vertreten waren.61 Kurz nach der Leipziger Konferenz veranstaltete der Verein für Reformationsgeschichte vom 6. bis 8. März 1975 in der Nähe von Göttingen ein Kolloquium zum Thema Bauernkrieg, auf dem Rainer Wohlfeil über die gerade in Leipzig abgehaltene Tagung berichtete.62 Ende März folgte das vom Saarbrücker Historiker Peter Blickle vorbereitete internationale Symposium „Revolte 58 Vgl. Martin BRECHT, Der theologische Hintergrund der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525. Christoph Schappelers und Sebastian Lotzers Beitrag zum Bauernkrieg, in: OBERMAN (Hg.), Deutscher Bauernkrieg (wie Anm. 57), S. 30–64, hier S. 31. 59 UA Leipzig, NL Steinmetz 4/075, Bl. 6 f., Schreiben von Max Steinmetz an Heiko A. Obermann vom 28.1.1974 und 14.3.1974. 60 Vgl. Siegfried BRÄUER, Informelle Kontakte zwischen marxistischen und nichtmarxistischen Reformationshistorikern. Die Frühphase zwischen 1969 und 1979, in: SCHEUNEMANN (Hg.), Reformation und Bauernkrieg (wie Anm. 1), S. 115–130, hier S. 122. 61 Vgl. Adolf LAUBE, Akademische Forschung und Kooperationsbeziehungen am Beispiel der Reformationsgeschichte, in: Joachim HEISE/Christa STACHE (Hg.), Dialog über Luther und Müntzer. Zwanzig Expertengespräche zwischen kirchlichen und marxistischen Reformationshistorikern der DDR (1981–1990). Eine Dokumentation (Veröffentlichungen des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, 10), Berlin 2011, S. 358–384, hier S. 363. 62 Vgl. Bernd MOELLER, Vorwort, in: DERS. (Hg.), Bauernkriegs-Studien (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 189), Gütersloh 1975, S. 7.

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oder Revolution in Europa“ im schwäbischen Memmingen, an dem mit Max Steinmetz, Günter Vogler und Adolf Laube gleich drei marxistische Historiker aus der DDR teilnahmen. Wissenschaftler aus sechs Ländern diskutierten hier, wie das aus bäuerlicher Unzufriedenheit geborene Aufbegehren und dessen Scheitern einzuordnen und zu bewerten seien. Rainer Wohlfeil und Max Steinmetz traten in vertauschten Rollen auf. Während Wohlfeil über die Reformationsgeschichtsforschung in der DDR berichtete, gab Steinmetz einen Überblick zur Forschung in der Bundesrepublik.63 Ein Bericht über das Symposium in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lässt die damalige Diskussionsatmosphäre erahnen: Die DDR präsentierte sich sozusagen gepanzert und in wohlausgerichteter Schlachtordnung, ausgerüstet mit einem geschlossenen Geschichtsbild, das Bauernkrieg und Reformation als ‚frühbürgerliche Revolution‘ […] begreift […]. Die westliche Forschung erschien demgegenüber als heller Haufen, dem der Mut zur zusammenfassenden Einordnung der geschichtlichen Phänomene abgeht. In der Diskussion jedoch erwies sich die Frontstellung im Grunde als Nebenschauplatz.

Das lag vor allem an den Teilnehmern aus der DDR, die sich als durchaus flexibel präsentierten. „Die Schlachtordnung blieb zwar gefügt, aber sie zeigte erstaunliche Elastizität.“ Gegensätze zu westlichen Positionen traten lediglich in der „Einordnung des geschichtlichen Stoffes“, in „Akzentverschiebungen“ und „unterschiedlichen Fragestellungen“ hervor, so die Beobachtung. Dafür gab es Gründe. Denn die ostdeutsche Sicht auf den Bauernkrieg ruhte wie ihr westdeutsches Gegenüber zu einem guten Teil auf der Darstellung von Günther Franz, die sich auf der Tagung als ein „sehr breiter, gleichwohl einigermaßen fassbarer Nenner“ zu erkennen gab.64 Zu dieser Feststellung war 1975 auch Hartmut Boockmann gekommen, als er bemerkte, dass die Historiker der DDR Günther Franz mehr verdanken würden, als sie zugeben mögen.65 Boockmann ging später noch einen Schritt weiter, indem er verdeutlichte, dass in der marxistischen Forschung zur Reformationsepoche – besonders in der negativen Einschätzung der spätmittelalterlichen Kirche – Elemente des Geschichtsbildes eines Leopold von Ranke fortwirkten. Solche Schnittmengen begründete er einerseits mit einem „mächtigen Traditionsstrom“, dessen Ursprung bis in die Reformationszeit zurückreiche, und in 63 Vgl. Peter BLICKLE (Hg.), Revolte und Revolution in Europa. Referate und Protokolle des internationalen Symposiums zur Erinnerung an den Bauernkrieg 1525 (Memmingen, 24.–27. März 1975) (HZ, Beiheft, N. F. 4), München 1975. 64 Hermann RUDOLPH, Bauernkrieg, zwiegesichtig. Ein internationales Symposium in Memmingen, in: Franfurter Allgemeine Zeitung vom 1.4.1975. 65 Vgl. Hartmut BOOCKMANN, Zu den geistigen und religiösen Voraussetzungen des Bauernkrieges, in: MOELLER (Hg.), Bauernkriegs-Studien (wie Anm. 62), S. 9–27, hier S. 10.

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den sich die „frühbürgerliche Revolution“ trotz ihres klassenkämpferischen Charakters einfüge; andererseits machte Boockmann auf ein gemeinsames Erbe der west- und der ostdeutschen Geschichtsschreibung aufmerksam, nämlich auf das Gewicht, das die Historiografie des 19. Jahrhunderts dem Bauernkrieg zugesprochen habe. 66 Peter Blickle, der 1975 mit seinem Buch „Die Revolution von 1525“ auch in der DDR Anerkennung fand und fortan in einem intensiven wissenschaftlichen wie persönlichen Austausch mit Steinmetz stand, hat die Übereinstimmungen für Teilbereiche der Bauernkriegsforschung in Ost und West als „west-östliche Konvergenz“ beschrieben.67 Max Steinmetz stimmte dem durchaus zu: „Die Zeiten haben sich seit 1970 doch geändert – das zeigten die Konferenzen von Leipzig und Memmingen […]. Insofern ist Ihre These von den Konvergenzen schon richtig: natürlich richtig verstanden.“ Was für Steinmetz hieß: „Anerkennung ‚empirischer Parallelitäten‘ und nicht zu leugnender Leistungen – auf beiden Seiten. Ohne diese Gemeinsamkeiten würde es sich ja nicht lohnen.“68

5. Müntzerjubiläum 1989 und Ausblick Es gehört zu den Kuriositäten der deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte, dass es gerade in dem Moment, als sich die DDR laut Verfassung von 1974 als ein „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ und nicht mehr, wie es in der Verfassung von 1968 hieß, als „sozialistischer Staat deutscher Nation“ verstand, trotz aller propagandistischen Verlautbarungen zwischen der ost- und westdeutschen Bauernkriegsforschung zu einer solchen Annäherung kam. Es sei in diesem Zusammenhang nur daran erinnert, dass der Thomas-Müntzer-Film von 1956 anlässlich des 450. Bauernkriegsjubiläums 1975 in der DDR in einer erheblich gekürzten Version gezeigt wurde, aus der man alle Szenen mit einem gesamtdeutschen Bezug herausgeschnitten hatte.69 Hinzu trat eine Einsicht, die insbesondere die marxistische Müntzerforschung in der DDR in den nachfolgenden Jahren beeinflussen sollte. Schon Anfang 1975 hatte Steinmetz einen Aufsatz in Druck gegeben, der mit der Vorstellung Müntzers als „Bauernführer“ brach und stattdessen die Theologie als wich66 Vgl. DERS., Das fünfzehnte Jahrhundert in der deutschen Geschichte, in: Michael BORGOLTE (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende (HZ, Beiheft, N. F. 20), München 1995, S. 485–511, hier S. 494. 67 Vgl. Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, München/Wien 1975, S. 12. 68 UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/261, Bl. 3, Schreiben von Max Steinmetz an Peter Blickle vom 22.7.1975. 69 Der Film erschien 2017 in einer von der DEFA-Stiftung restaurierten und ungeschnittenen Fassung auf DVD.

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tigste Triebfeder in Müntzers Denken und Handeln herausstellte.70 Die 1983 in der DDR groß angelegte Martin-Luther-Ehrung anlässlich des 500. Geburtstages des Reformators gab zusätzliche Impulse. So hob der Direktor des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Horst Bartel, 1981 hervor: „Wenn wir […] ein differenzierteres Luther-Bild erarbeiten und damit unsere Tradition ausweiten, so ist das nur möglich in Verbindung mit der Weiterentwicklung des Müntzer-Bildes […].“71 Durch die intensive Beschäftigung mit Luther und die Anerkennung von Forschungsergebnissen der nichtmarxistischen Kirchenhistoriker rückte nun auch für die marxistische Geschichtswissenschaft die Theologie und religiöse Motivation Müntzers ins Zentrum der Aufmerksamkeit: „Auch Müntzer war in erster Linie Theologe, seine politischen Äußerungen und Aktivitäten haben eine tiefe theologische Verwurzelung. Eine allein sozialpolitische Interpretation seines Wirkens stößt daher an Grenzen.“72 In den regionalen und lokalen Parteigliederungen der SED wurde das neue, die Theologie betonende MüntzerVerständnis mit Skepsis aufgenommen. Und auch bei der öffentlichkeitswirksamen Umsetzung ergaben sich Probleme, da man nun an den Grundfesten der marxistischen Müntzerinterpretation rührte und begann, bisher für unantastbar geglaubte Gewissheiten über Bord zu werfen. Das machte Adolf Laube deutlich, als er im Dezember 1987 in Vorbereitung des Müntzer-Jubiläums 1989 an der Akademie der Wissenschaften der DDR einen Vortrag hielt und darin das tradierte Müntzerbild, besonders die Darstellung von Müntzers Frühzeit, als fehlerhaft bezeichnete. Die geringe Zahl von Quellen zu Leben und Wirken habe dazu geführt, Müntzers biografische Entwicklung vom Ende her und sein Handeln von den sozialen Bedingungen und Auseinandersetzungen seiner Zeit zu interpretierten. Die Deutung Müntzers als revolutionärer Bauernführer und Verfechter der Gütergemeinschaft beruhe, so Laube, auf einer anachronistischen Überinterpretation seines Wirkens während des Thüringer Bauernaufstandes im Mai 1525. Müntzer habe sich während seines gesamten Lebens fast ausschließlich in städtischen Milieus bewegt und kaum Kontakt zu Bauern gepflegt. Über ein sozialpolitisches Programm habe Müntzer nicht verfügt; für das von ihm angestrebte Reich göttlicher Gerechtigkeit sei die Forderung nach einer irdischen Gütergemeinschaft irrelevant gewesen. Im Grunde, und das machte Laube abschließend deutlich, ging die Darstellung Müntzers als Aufrührer im Bauernkrieg auf die von Luther bzw. seinen Wittenberger Mitreformatoren aus70 Vgl. Max STEINMETZ, Thomas Müntzer in der Forschung der Gegenwart, in: ZfG 23 (1975), S. 666–685. 71 Horst BARTEL, Erbe und Tradition in Geschichtsbild und Geschichtsforschung der DDR, in: ZfG 29 (1981), S. 387–394, hier S. 393. 72 DERS./Walter SCHMIDT, Das historisch-materialistische Lutherbild in Geschichte und Gegenwart, in: ZfG 32 (1984), S. 291–301, hier S. 301.

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gehende Verunglimpfung zurück.73 Gerhard Brendler, einer der bekanntesten marxistischen Reformationshistoriker der DDR, der 1983 mit einer großen Luther-Biografie in Ost wie West für Aufsehen gesorgt hatte, schrieb 1989 in seinem biografischen Abriss zu Thomas Müntzer, dass „die Leitfigur des 16. Jahrhunderts Martin Luther hieß und nicht Thomas Müntzer“.74

Abb. 3: Der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, hatte 1988 auch den Vorsitz des Thomas-Müntzer-Komitees übernommen. Das Foto zeigt ihn auf der 2. Sitzung des Komitees am 19. Januar 1989 in Ost-Berlin, links neben ihm Lothar Kolditz, Präsident des Nationalrates der Nationalen Front der DDR; rechts Dietmar Keller, Staatssekretär im Ministerium für Kultur der DDR.

In der Bundesrepublik war Müntzer auch am Ende der 1980er Jahre eine eher unbekannte Größe und Hans-Jürgen Goertz hatte recht, wenn er 1988 schrieb: Mit Thomas Müntzer können nur wenige Bürger in der Bundesrepublik Deutschland etwas anfangen, den meisten ist er unbekannt. Einige wissen, daß Martin Luther vor ihm warnte und ihn vehement bekämpfte: den Schwärmer und Widersacher, den Mord-

73 Vgl. Adolf LAUBE, Probleme des Müntzerbildes, in: Heinz STILLER (Hg.), Probleme des Müntzerbildes (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, 6 G), Berlin 1988, S. 5–27. 74 Gerhard BRENDLER, Thomas Müntzer. Geist und Faust, Berlin 1989, S. 8.

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propheten und Erzteufel. […] Mehr ist kaum bekannt. Wenn überhaupt, mit Müntzer verbinden sich nur schlechte Erinnerungen.75

Dass die DDR 1989 im 40. Jahr ihres Bestehens auch den 500. Geburtstag Müntzers groß zu feiern gedachte, dürfte den meisten Menschen in der Bundesrepublik verborgen geblieben sein. Zumindest einmal sorgte die offizielle „Thomas-Müntzer-Ehrung der DDR“ im Westen aber für einiges Aufsehen. Gemeint ist die 2. Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees am 19. Januar 1989. Die Veranstaltung besitzt an sich kaum Erinnerungswert, wären da nicht die Schlussbemerkungen Erich Honeckers gewesen, die bis heute im kollektiven Gedächtnis der Deutschen nachhallen. Der SED-Chef nutzte die Veranstaltung, um den dauernden Fortbestand der DDR mit den bis heute viel zitierten Worten zu begründen: „Sie [die Mauer] wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind.“76 Die eigentlichen Jubiläumsveranstaltungen im Herbst 1989 gingen angesichts der politischen Krisensituation in der DDR fast vollständig unter. An der offiziellen Eröffnung des von Werner Tübke geschaffenen Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen als einem der zentralen Projekte nahm Honecker im September 1989 krankheitsbedingt schon nicht mehr teil. Auch der nach dem Mauerfall in der Berliner Staatsoper veranstaltete Festakt am 21. Dezember 1989 versprühte wenig Festlichkeit und erinnerte einen der Teilnehmer eher an ein Begräbnis.77 Mit dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 hörte die DDR auf zu existieren. Damit endete auch eine über 40 Jahre dauernde Phase der Müntzer-Rezeption. Müntzers Bedeutung für die ostdeutsche Gegenwartsgesellschaft verblasste und gerade die zeitliche Parallelität von staatlicher Thomas-Müntzer-Ehrung und Zusammenbruch der SED-Herrschaft enthüllt, wie wenig es der Parteiführung gelungen war, aus dem Müntzer-Kult Legitimität und Überzeugungskraft für die eigene Politik zu schöpfen. Die Verehrung Müntzers blieb Scheinwelt und nichts belegt diese Tatsache mehr als der Umstand, dass der über Jahrzehnte

75 Hans-Jürgen GOERTZ, Das Bild Thomas Müntzers in Ost und West, Hannover 1988, S. 9. 76 Schlussbemerkungen Erich Honeckers auf der Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees, in: 2. Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees der Deutschen Demokratischen Republik am 19. Januar 1989, Berlin 1989, S. 49–53, hier S. 50–52. 77 Vgl. Helmar JUNGHANS, Der Wandel des Müntzerbildes in der DDR von 1951/52 bis 1989, in: DERS., Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Michael BEYER und Günther WARTENBERG (Arbeiten zur Kirchenund Theologiegeschichte, 8), Leipzig 2001, S. 269–291, hier S. 291.

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hinweg gefeierte „Bauernkriegsführer“ recht bald nach dem Ende der DDR aus dem kollektiven Gedächtnis verschwand. In der Rückschau wird man Helmar Junghans beipflichten müssen, der schon im Oktober 1989 die These vertrat, die Beschäftigung mit Müntzer werde „nun auf ein Ausmaß zurückgehen, das seinem historischen Einfluß entspricht“.78 Im Auge zu behalten gilt es dabei freilich, dass die Wiedervereinigung auch den Systemkonflikt zwischen der Bundesrepublik und der DDR beendete, der während der deutschen Teilung als Stimulus vor allem für die Erforschung wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Aspekte von Reformation und Bauernkrieg gewirkt und zu einer methodischen Annäherung und wechselseitigen Befruchtungen geführt hatte. Das im November 1990 im Rahmen der Sonderausstellung „Thomas Müntzer. Prediger – Prophet – Bauernkriegsführer“ des Böblinger Bauernkriegsmuseums veranstaltete Symposium, auf dem Müntzerforscher aus Ost und West zusammentrafen und von dem man „Impulse und Weichenstellungen für die weitere Erforschung der Reformation und des Bauernkrieges“ erwartet hatte, fand kaum eine über die lokale Presseberichterstattung hinausgehende Resonanz.79 War man anfangs noch dazu bereit, auf die „produktive[n] Herausforderungen“ hinzuweisen, die die westdeutsche Geschichtswissenschaft aus dem marxistischen Interpretationsmodell von Reformation und Bauernkrieg gezogen hatte,80 so wurde es bald still um die „frühbürgerliche Revolution“. In dem Anfang der 1990er Jahre kontrovers und lautstark geführten Streit um die DDRGeschichtswissenschaft spielte sie erstaunlicherweise keine Rolle.81 Dennoch sind Thomas Müntzer und mit ihm der Bauernkrieg Gegenstand der historischen Forschung geblieben, wie sich unschwer an der Vielzahl von Publikationen ablesen lässt, die seit 1990 erschienen sind.82

78 Ebd. 79 Vgl. Kreiszeitung Böblinger Bote vom 16.11.1990, 17.11.1990 und 20.11.1990 sowie Dieter FAUTH, Das Thomas-Müntzer-Symposium in Böblingen vom 15.–17. November 1990, in: AHF-Information, Nr. 12, 4.3.1991. 80 Vgl. Jürgen KOCKA, Die Auswirkungen der deutschen Einigung auf die Geschichts- und Sozialwissenschaften. Vortrag vor dem Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-EbertStiftung in Bonn am 29. Januar 1992, Bonn 1992, S. 17. 81 Vgl. Konrad H. JARAUSCH (Hg.), Zwischen Parteilichkeit und Professionalität. Bilanz der Geschichtswissenschaft der DDR, Berlin 1991; Rainer ECKERT/Ilko-Sascha KOWALCZUK/Isolde STARK (Hg.), Hure oder Muse? Dokumente und Materialien des Unabhängigen Historiker-Verbandes, Berlin 1994. 82 Vgl. Hans-Jürgen GOERTZ, Müntzerforschung nach der Wende, in: Theologische Literaturzeitung 128 (2003), Sp. 972–987.

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Abb. 4: In dem 2004 wiedereröffneten Museum „Alte Münze“ in Stolberg/Harz wird das Leben und Wirken Thomas Müntzers einschließlich seiner Rezeptionsgeschichte ausführlich gewürdigt. Rechts im Bild das Bauernkriegs-Tryptichon des Malers Magnus Zeller (1888–1972) aus dem Jahr 1951, das in der DDR als „formalistisch“ galt.

Mit der 2001 in Mühlhausen gegründeten Thomas-Müntzer-Gesellschaft entstand ein Verein, der das Ziel verfolgt, Müntzers Leben und Werk und dessen Wirkung zu erforschen und durch Vorträge und Publikationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Bauernkriegs- und Müntzergedenkstätten in Thüringen und Sachsen-Anhalt haben in den letzten Jahren neue Ausstellungen erhalten, wobei auch die Lutherdekade 2008–2017 ein neues Interesse an den Reformatoren neben Martin Luther geweckt hat.83 Mit der 2013 veröffentlichten Thomas-Müntzer-Bibliografie, den Müntzer-Biografien von HansJürgen Goertz und Siegfried Bräuer/Günter Vogler sowie der inzwischen vollständig in drei Bänden vorliegenden Kritischen Thomas-Müntzer-Gesamtausgabe stehen nicht nur für den Historiker wichtige Werkzeuge für eine angemessene und an den historischen Quellen orientierte Bewertung bereit.84 Über 83 Vgl. die Ausstellung „Luthers ungeliebte Brüder“ im Bauernkriegsmuseum Mühlhausen vom 31.10.2016 bis 31.10.2017. 84 Vgl. Marion DAMMASCHKE/Günter VOGLER, Thomas-Müntzer-Bibliographie (1519– 2012) (Bibliotheca bibliographica Aureliana, 233), Baden-Baden/Bouxwiller 2013; HansJürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biografie,

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welche Erinnerungspotentiale der Bauernkrieg gegenwärtig verfügt, wird sich spätestens 2025 zeigen, wenn sich dieses Ereignis zum 500. Mal jährt. Thüringen hat in einer von der Erfurter Staatskanzlei herausgegebenen „Museumsperspektive 2025“ bereits offiziell eine Landesausstellung zu diesem Jubiläum angekündigt. Wenn man in dem Diskussionspapier allerdings von der „Reformation und ihr[em] Scheitern im Bauernkrieg“ liest,85 zeigt das an, welche historische Bildungs- und Vermittlungsarbeit es künftig noch zu leisten gilt.

München 2015; Siegfried BRÄUER/Günter VOGLER, Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biografie, Gütersloh 2016; Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe (im Folgenden: ThMA), Bd. 1: Schriften, Manuskripte und Notizen, hg. von Armin KOHNLE und Eike WOLGAST unter Mitarbeit von Vasily ARSLANOV, Alexander BARTMUß und Christine HAUSTEIN, Leipzig 2017; ThMA, Bd. 2: Briefwechsel, hg. von Helmar JUNGHANS u. Armin KOHNLE, bearb. u. kommentiert von Siegfried BRÄUER u. Manfred KOBUCH, Leipzig 2010; ThMA, Bd. 3: Quellen zu Thomas Müntzer, hg. von Helmar JUNGHANS, bearb. von Wieland HELD u. Siegfried HOYER, Leipzig 2004. 85 Museumsperspektive 2025, hg. von der Thüringer Staatskanzlei, Oktober 2017. Das Dokument ist abrufbar unter: https://thueringen.de/mam/th1/tsk/Museumsperspektive/ museumsperspektive_diskussionspapier.pdf (letzter Zugriff: 25. Mai 2018).

FRIEDRICH STAEMMLER DIE MÜNTZER-GEMÄLDE VON WILHELM OTTO PITTHAN

Die künstlerische Rezeption des deutschen Bauernkrieges in der DDR am Beispiel der Müntzer-Gemälde von Wilhelm Otto Pitthan (1896–1967)* Die folgenden Ausführungen zu Leben und Werk Wilhelm Otto Pitthans und seinen Bauernkriegsgemälden können allenfalls als Zwischenbericht gelten. Aus der wenigen bisherigen Literatur zum Künstler und seinem Œuvre ist auch in dieser Hinsicht kaum etwas Vollständiges zu erfahren.1 Hinzu kommt, dass sein künstlerischer Nachlass komplett verstreut ist und vieles erst noch zu Tage *

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Der vorliegende Beitrag wäre ohne die Zuarbeit und Recherche zahlreicher Freunde und Kollegen nicht möglich gewesen. Ich danke an dieser Stelle dafür ganz herzlich Frau Dr. Renate Rotsch (Bad Langensalza), Frau Dr. Susanne Fritzlar (Schlotheim), Frau Beate Kaiser (Bad Langensalza), Frau Johanna Jamrozinski (Mühlhausen), Herrn Bernd Mahr (Mühlhausen), Frau Dr. Antje Schloms (Stadtarchiv Mühlhausen) und Herrn Dr. Thomas T. Müller (Direktor der Mühlhäuser Museen). Vgl. dazu bisher vor allem Otto THOMAE, Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S. 348 u. 527 f. (A 663); Hans VOLLMER, Pitthahn, Wilhelm Otto, in: DERS. (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, Bd. 3, Leipzig 1979, S. 597; Mortimer G. DAVIDSON, Kunst in Deutschland 1933–1945 – Eine wissenschaftliche Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich, Bd. 2/2: Malerei, Tübingen 1992, S. 391; Jonathan PETROPOULOS, Bannerträger und Tiroler Bergjäger. Die von den USA beschlagnahmte NS-Kunst, in: Jan TABOR (Hg.), Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1946, Bd. 2, Baden 1994, S. 864–871; Dieter FECHNER, Mühlhausen-Maler. Bildende Künstler entdecken Mühlhausen/Thüringen – Ein Überblick, Bad Langensalza 2006, S. 168–172; Günter VOGLER, Die Darstellung Thomas Müntzers in der bildenden Kunst – Ein Beitrag zum Thema Erinnerungskultur, in: DERS. (Hg.), Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur. Das Beispiel bildende Kunst (Thomas-Müntzer-Gesellschaft e. V. – Veröffentlichungen, 10), Mühlhausen 2008, S. 5– 63, hier S. 46 f.; DERS., Verzeichnis der Darstellungen Thomas Müntzers in der bildenden Kunst seit 1795, in: ebd., S. 161–195, hier S. 180 f.; Jürgen WINTER, Zwischen Wald und Welt: Der Kunstraum Thüringen im 20. Jahrhundert. Malerei und Grafik – Exempel im Kontext (Mühlhäuser Museen, Forschungen und Studien, 2), Heiligenstadt 2010, S. 300. Nicht erfasst ist Wilhelm Otto Pitthan in Andreas BEYER/Bénédicte SAVOY/Wolf TEGETHOFF (Hg.), De Gruyter – Allgemeines Künstlerlexikon, Die bildenden Künstler aller Zeiten und aller Völker (begründet von Günter Meißner), Bd. 96 (Pintaldi – Pretro), Berlin/Boston 2017.

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gefördert werden muss. Dessen ungeachtet stellen seine zwischen 1953 und 1960 entstandenen, Thomas Müntzer und die Ereignisse um den deutschen Bauernkrieg in Mühlhausen/Thüringen aufgreifenden Monumentalgemälde ein überaus interessantes Zeugnis nicht nur für die Rezeption des Sujets in der frühen DDR-Zeit dar, sondern lassen mit Hilfe der Bildanalyse sowie einiger aufgefundener Archivalien, Presseartikel und Zeitzeugenberichte überaus interessante Rückschlüsse auf die Entstehungsumstände und die damit verbundene spezifische Ausprägung und Charakteristik dieser Werke zu. Nach einigen biographischen Notizen zu Pitthan sollen die Gemälde ausführlich beschrieben und analysiert werden, wobei die erwähnten Dokumente und Berichte mit einzubeziehen sind. Damit jeweils verbunden ist eine anschließende Einordnung dieser Arbeiten Pitthans in den gesellschaftspolitischen Kontext ihrer Entstehungszeit, um ihre Spezifik und Charakteristik genauer zu erfassen. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden abschließend noch einmal kurz zusammengefasst. Trotz zahlreicher Recherchen und vorhandener Zeitzeugenberichte, lässt sich bis heute nicht einmal annähernd ein Gesamtbild über Leben und Werk von Wilhelm Otto Pitthan gewinnen. Gerade Informationen über seine künstlerischen Anfänge sind mehr als rar und der Umstand, dass sich viele seiner insbesondere nach 1945 entstandenen Arbeiten in Privatbesitz befinden und kaum öffentlich bekannt sind, erschwert nach wie vor eine kunstgeschichtliche Einordnung seines Gesamtwerkes. Das Fehlen eines Werkverzeichnisses lässt angesichts der bislang bekannten Gemälde allerhöchstens eine schlaglichtartige Betrachtungsweise seines Œuvres zu. Der am 17. September 1896 im rheinländischen Wöllstein bei Alzey geborene Wilhelm Otto Pitthan begann nach den bisher bekannten Angaben seine künstlerische Laufbahn 1911 im Alter von 15 Jahren mit einem Studium an der Mainzer Kunst- und Gewerbeschule. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 unterbrach seine Ausbildung, die er 1918 in Frankfurt am Main wieder aufnahm und dort 1919 abschloss.2 Wer seine Lehrer gewesen sind, die ihn schon früh zu einer Malweise animierten, die ein spätimpressionistisches Erbe mit einer Vorliebe für eine dem Realismus des 19. Jahrhunderts entspringende Darstellungsweise in seinen Gemälden verbindet, liegt bis heute noch ebenso im Dunkeln wie der Verweis auf weitere Vorbilder, an denen der Künstler sich während seines Schaffensprozesses orientierte. Mehrere Auslandsaufenthalte Pitthans, bei denen er sich künstlerisch weiterbildete, führten ihn in die Schweiz, nach Ungarn, 1923/24 nach Italien und 1925 nach Paris, bevor er sich anschlie-

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DAVIDSON, Kunst in Deutschland 1933–1945 (wie Anm. 1), S. 391; VOLLMER, Pitthahn (wie Anm. 1), S. 597.

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ßend in Berlin niederließ.3 Immerhin ist aus dieser Zeit bekannt, dass Pitthan vor allem das Genre der Landschaftsmalerei bevorzugte und sich gleichermaßen auch als Porträtmaler spezialisierte.4 Da er während der Zeit der Weimarer Republik im Jahre 1927 den Auftrag für ein Bildnis des damaligen deutschen Außenministers Gustav Stresemann erhalten hat, scheint sein offensichtliches Talent in der Porträtmalerei bereits damals erkannt worden zu sein.5 Dieser Umstand und das Festhalten an einem dem Realismus verpflichteten Malstil, wie auch die weitgehende Abkehr von impressionistischen Stiltendenzen, ließen Pitthan während der Phase des NS-Regimes zwischen 1933 und 1945 zu einem der gefragtesten deutschen Porträtisten avancieren. 1938 schuf er ein Bildnis des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, welches, nachdem Hitler es im selben Jahr auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München bemerkt hatte, für eine Summe von 5000 Reichsmark von diesem erworben wurde.6 Die Folge waren weitere von Hitler initiierte Aufträge, wobei es sich um Porträts von anderen hoch gestellten Personen des NS-Regimes handelte wie jene von Martin Bormann und dessen Ehefrau, Reinhard Heydrich, Wilhelm Frick, Robert Ley, Alfred Rosenberg und Franz von Epp. Auch ein Porträt von Adolf Hitler war angedacht und wie die übrigen Gemälde für die Ausgestaltung des sog. „Führerbaus“ in München vorgesehen.7 Pitthan verwirklichte viele dieser Werke, die von den Alliierten 1945 schließlich entdeckt, konfisziert und abtransportiert, jedoch nicht vernichtet wurden. Heute befinden sie sich in Washington D. C. (Courtesy of the Army Art Collection, U.S. Army Center of Military History).8

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VOLLMER, Pitthahn, (wie Anm. 1), S. 597; E. WOLF, Unser Porträt der Woche: Kunstmaler W. O. Pitthan – Schlotheim, in: Das Volk, 20.9.1962. DAVIDSON, Kunst in Deutschland 1933–1945 (wie Anm. 1), S. 391. WOLF, Unser Porträt (wie Anm. 3); VOGLER, Die Darstellung Thomas Müntzers (wie Anm. 1), S. 46. THOMAE, Propaganda-Maschinerie (wie Anm. 1), S. 348 und 527 f.; DAVIDSON, Kunst in Deutschland 1933–1945 (wie Anm. 1), S. 391. Hans HAVEMANN, Wilhelm Otto Pitthan – Ein Maler deutscher Staatsmänner, in: Joseph WULF (Hg.), Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, S. 280 f., hier S. 281; THOMAE, Propaganda-Maschinerie (wie Anm. 1), S. 527 f.; DAVIDSON, Kunst in Deutschland 1933–1945 (wie Anm. 1), S. 391. Jörn SCHÜTRUMPF/Arnulf SIEBENEICKER, Johannes Friedrich Rogge. Lenindenkmal, in: Monika FLACKE (Hg.), Auftrag Kunst: 1949–1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 27. Januar bis 14. April 1995, Berlin 1995, S. 50–58, hier S. 58 (Anm. 12); HansUlrich THAMER/Simone ERPEL (Hg.), Hitler und die Deutschen – Volksgemeinschaft und Verbrechen. Katalog der Ausstellung der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, 15. Oktober 2010 bis 6. Februar 2011, Dresden 2010, S. 207 f. Dort sind einige

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Pitthan überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschadet, wenngleich sein Domizil in Berlin ausgebombt wurde.9 Nach Kriegsende ließ er sich 1945 mit seiner Ehefrau Magdalene bei deren Verwandtschaft in Schlotheim bei Mühlhausen nieder und versuchte sich hier in Nordwestthüringen als freischaffender Maler neu zu etablieren. Da seine umstrittene frühere Karriere als einer der führenden NS-Porträtisten hierzulande wohl größtenteils unbekannt war, gelang es Pitthan spätestens zu Beginn der 1950er Jahre, sich nach der Gründung der DDR in der Region Nordwestthüringens und darüber hinaus als Künstler im öffentlichen Bewusstsein erneut durchzusetzen.10 Parallel dazu beherrschte die sog. Formalismusdebatte die offizielle und von den kulturpolitischen Institutionen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) getragene Kunstpolitik und -propaganda der DDR. Diese Formalismusdebatte wirkte sich in den frühen 1950er Jahren zu Ungunsten jener Künstler aus, die an die Rezeption der Stilgepflogenheiten der Vorkriegsmoderne anknüpfen wollten und als formalistisch bezeichnet sowie von der offiziellen DDR-Kunstpolitik diffamiert und ausgeschlossen wurden.11 Pitthan hingegen entsprach mit seinem nach wie vor realistischen Malstil absolut dem Credo der SED-Kulturfunktionäre, welche im „Arbeiter- und Bauernstaat“ der DDR die einfache werktätige Bevölkerung im Einklang mit ihrem Arbeits- und Betriebsumfeld unkritisch im Sinne der Kunstform eines „Sozialistischen Realismus“ abgebildet sehen wollten und dies letztlich auch konsequent durchsetzten.12 Wie Jörn Schütrumpf überzeugend darlegte, wurden Pitthan oder auch andere ehemalige NS-Künstler wie beispielsweise der Bildhauer Johann Friedrich Rogge trotz ihrer Vergangenheit sogar bevorzugt durch die Verantwortlichen der DDR-Staatskunst als Schaffende eingesetzt, weil man ihnen die Erfüllung indoktrinierter Inhalte im Sinne der dieser Porträts (Bormann, Heydrich, Ley und Rosenberg) abgebildet und der aktuelle Besitznachweis angeführt. 9 Dies teilte der Künstler im Rahmen eines Besuchs der Regionalpresse in seinem Atelier in Schlotheim mit. Vgl. F[riedrich] W[ilhelm] L[UCHS], Ein Thomas-Müntzer-Gemälde entsteht. Wir besuchen den Kunstmaler Wilhelm Otto Pitthan in Schlotheim, in: Thüringer Neueste Nachrichten, 14.3.1956. 10 Jürgen WINTER, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die thematische Sammlung zur künstlerischen Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im Kontext der Sammlungsgeschichte der Mühlhäuser Museen, in: Rolf LUHN/Thomas T. MÜLLER/Jürgen WINTER (Hg.), Sichtungen & Einblicke. Zur künstlerischen Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im geteilten Deutschland (Mühlhäuser Museen, Forschungen und Studien, 3), Petersberg 2011, S. 54–63, hier S. 60; VOGLER, Die Darstellung Thomas Müntzers (wie Anm. 1), S. 46 f. 11 Vgl. zur Formalismusdebatte WINTER, Zwischen Wald und Welt (wie Anm. 1), S. 121– 123 sowie Jörn SCHÜTRUMPF, Auftragspolitik in der DDR, in: FLACKE, Auftrag Kunst (wie Anm. 8), S. 13–29. 12 WINTER, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit (wie Anm. 10), S. 60.

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DDR-Staatsräson eher zutraute, als den zwischen Opportunismus und künstlerischer Eigenständigkeit schwankenden sonstigen SED-treuen Künstlern.13 So erklärt sich auch das scheinbar widersprüchliche Phänomen, dass die NSKarriere von Künstlern wie Rogge oder Pitthan fortan keine Rolle mehr spielte und auch offiziell nunmehr kaum Erwähnung fand.14 Simultan erwachte in den ersten Jahren der DDR das Interesse an Thomas Müntzer und den Begebenheiten um den deutschen Bauernkrieg, welches etwa durch die Schriften von Friedrich Engels („Der Deutsche Bauernkrieg“ von 1850) legitimiert wurde. Engels’ Ausführungen stilisierten jenes historische Ereignis zum revolutionären Akt des unterdrückten Volkes gegenüber der feudalen Obrigkeit. Die Hervorhebung Müntzers als Leitfigur dieser Bewegung innerhalb der Ausrichtung der DDR-Staatsideologie wurde 1951 durch einen Parteibeschluss der SED weiter verstärkt, als der reformatorische Theologe offiziell zu den wichtigsten deutschen Persönlichkeiten gezählt wurde.15 Müntzers Wirkungsstätten wurde daraufhin in den folgenden Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. So erhielt 1975 das thüringische Mühlhausen als eine der wichtigsten Wirkungsstätten Müntzers die offizielle Bezeichnung „ThomasMüntzer-Stadt“. Parallel waren hier mit der Umnutzung der Marienkirche zur „Thomas-Müntzer-Gedenkstätte“ und mit der Wiederherstellung der Kornmarktkirche als Bauernkriegsmuseum zwei museale Institutionen geschaffen worden, die zum 450-jährigen Jubiläum der Ereignisse um Müntzer und den Bauernkrieg dauerhaft daran erinnern sollten.16 Die bereits in den 1950er Jahren erfolgte Umsetzung zweier kostspieliger monumentaler Leinwandgemälde, welche sich mit eben diesen Themen inhaltlich auseinandersetzen, zeigt u. a., dass schon damals in Mühlhausen wieder ein deutlich verstärktes Interesse an der Person Müntzers und seiner Rolle im Bauernkrieg zu verzeichnen war. Mit Wilhelm Otto Pitthan wurde dafür ein Künstler ausgewählt, der von offizieller Seite aus diesem Ansinnen ganz offensichtlich 13 SCHÜTRUMPF/SIEBENEICKER, Johannes Friedrich Rogge (wie Anm. 8). 14 Vgl. zu diesem Phänomen in Bezug auf Pitthan insbesondere auch VOGLER, Die Darstellung Thomas Müntzers (wie Anm. 1), S. 47. Das Kritischste aus dieser Zeit, was ich in Bezug auf Pitthan dazu bisher finden konnte, ist die Formulierung in einem Presseartikel, dass „zahlreiche bekannte und auch berüchtigte [Hervorhebung durch d. Verf.] Persönlichkeiten, von dem Künstler [Wilhelm Otto Pitthan] gemalt zu werden [gedachten]“, wobei auf die Porträts von ranghohen Nationalsozialisten, die Pitthan gefertigt hatte, angespielt wird. Vgl. WOLF, Unser Porträt (wie Anm. 3). 15 Vgl. zu all den genannten Aspekten Jan SCHEUNEMANN, Bauernkrieg und Historienmalerei in Museen der DDR, in: LUHN/MÜLLER/WINTER (Hg.), Sichtungen & Einblicke (wie Anm. 10), S. 45–53, hier S. 46. 16 Gunter GÖRNER/Beate KAISER, Chronik der Stadt Mühlhausen 1946–1975, Bd. 6, Bad Langensalza 2006, S. 376–378.

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entsprach und durch die Präsenz neuer Werke in der Öffentlichkeit schnell wieder auf sich aufmerksam machen konnte. Einer seiner ersten künstlerischen Erfolge während dieser Zeit war eine im hiesigen Heimatmuseum und heutigen Kulturhistorischen Museum ausgerichtete Personalausstellung, in der vor allem Porträts, figürliche Schilderungen und Landschaften zu sehen waren und die im Mai 1953 im Zeitraum von etwa zwei Wochen stattfand.17 Auch im Rahmen der im September 1953 durch das Museum veranstalteten 1. Nordthüringischen Kunstausstellung wurden Werke Pitthans der Öffentlichkeit präsentiert, so etwa das neu angefertigte Porträt des Gothaer Kartographen Hermann Haack.18 Außerdem war Pitthan im gleichen Jahr bei der Ausstellung des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands für den Bezirk Erfurt vertreten.19 Im Zusammenhang mit den erwähnten Expositionen muss die Entscheidung gefallen sein, ihm den Auftrag für das erste verbürgte Monumentalgemälde zum Thema des deutschen Bauernkrieges in Mühlhausen zu erteilen. Ob dieser Auftrag von vornherein direkt durch das Mühlhäuser Heimatmuseum oder durch den stellvertretenden Bezirksratsvorsitzenden Karl Hossinger in Erfurt initiiert worden ist, konnte bisher nicht eindeutig festgestellt werden, da entsprechende Dokumente, die dies belegen würden, bisher nicht aufgefunden werden konnten. Offensichtlicher ist hingegen, dass das Gemälde spätestens ab 1955 als besonderes Exponat für die Einrichtung einer zwei Ausstellungsräume umfassenden Thomas-Müntzer-Abteilung im Heimatmuseum vorgesehen war, deren Verwirklichung unter dem neuen Museumsdirektor Alexander Barth bis 1956 in Angriff genommen wurde.20 Im Aktenarchiv der Mühlhäuser Museen konnte jüngst der originale Werkvertrag zu Pitthans erstem Mühlhäuser Bauernkriegsgemälde aufgefunden werden, der vom 25. Oktober 1953 datiert und bereits Thema, Titel und etwaige Maße sowie Technik des Gemäldes festlegt.21 Demzufolge sollte Pitthan das Gemälde unter dem Oberthema „Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen“ gestalten, sich an einer Größe von ca. 2 Metern in der Höhe und 3 Metern in der Breite orientieren und dieses in Öl auf Leinwand malen. Als 17 Ebd., S. 178; FECHNER, Mühlhausen-Maler (wie Anm. 1), S. 169. 18 GÖRNER/KAISER, Chronik (wie Anm. 16), S. 187. 19 Jürgen WINTER, Bildende Kunst in Mühlhausen – Stationen einer Entwicklung, in: DERS./Rolf LUHN (Hg.), Querschnitt – Kunstraum Thüringen. Aspekte der Malerei und Grafik im 20. Jahrhundert, Jena 1999, S. 8–16, hier S. 16 (Anm. 9). 20 GÖRNER/KAISER, Chronik (wie Anm. 16), S. 220; Ina KAYSER, Aus der Geschichte des Mühlhäuser Heimatmuseums, in: Mühlhäuser Beiträge 4 (1981), S. 74–78, hier S. 77. 21 Aktenarchiv der Mühlhäuser Museen, Akte 6700, 57, Aufbau der Thomas-MüntzerAbteilung 1955–1956, unpaginiert. Ich danke an dieser Stelle Frau Beate Kaiser, die mich auf dieses Dokument aufmerksam gemacht hat.

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Honorar war die äußerst hohe Summe von insgesamt 12.000,- DM veranschlagt worden; Material- und Modellkosten musste der Künstler hingegen selber tragen.22 Laut eines späteren Presseartikels übernahm der Kulturfonds der DDR die Finanzierung des Gemäldes.23 In Paragraph 7 des Werkvertrages wurde festgelegt, dass Pitthan den Entwurf zum Gemälde der „Staatlichen Auftragskommission“ zur Kenntnis einreichen musste.24 Dieses Prozedere entsprach absolut der damaligen Kontrollfunktion, welche die Kunst- und Kulturpolitik gegenüber den in der DDR lebenden und arbeitenden Künstlern ausübte, denn die 1952 erfolgte Konstituierung der „Zentralen Staatlichen Auftragskommission“ sollte zunächst sämtliche Aufträge im Zusammenhang mit der künstlerischen Ausgestaltung von Verwaltungsbauten koordinieren und ab 1953 zusätzlich die Verteilung der Aufträge an die Künstler kontrollieren, was vorher durch das Kuratorium des sog. Kulturfonds vorgenommen worden war.25 Obwohl Pitthan laut Vertrag mit der Anfertigung des Gemäldes im Verlauf des folgenden Jahres (1954) vorankommen und dieses abschließen sollte, dauerte es bis zur Mitte des Jahres 1956, bis er das großformatige Werk, das schließlich die genauen Maße 195 x 307 cm umfasste, ablieferte und es oben rechts signierte und datierte (siehe Abb. 1 und Farbabb. 5).26 Es handelt sich hier wohl um Pitthans erstes Werk, das im Kontext der Neubelebung des Genres der Historienmalerei in der DDR entstanden ist, denn bislang ist kein früheres Gemälde des Malers bekannt, welches ein explizit historisches Ereignis beinhaltet. Am 17. Juni 1956 wurde durch Museumsdirektor Barth, den Mühlhäuser Oberbürgermeister Reichenbach und zahlreiche Gäste – u. a. auch der Rat des Kreises – die Thomas-Müntzer-Abteilung im Mühlhäuser Heimatmuseum

22 Ebd. 23 [Anonym], „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein“ – Das Gemälde von W. O. Pitthan im Rathaus zu Mühlhausen der Öffentlichkeit übergeben, in: Thüringer Tageblatt, Beilage Eichsfelder Heimatborn, 3.10.1959. 24 Aktenarchiv der Mühlhäuser Museen, Akte 6700, 57, Aufbau der Thomas-MüntzerAbteilung 1955–1956, unpaginiert. Der Stempel der Staatlichen Auftragskommission mit handschriftlichem Bestätigungsvermerk und nicht leserlicher Unterschrift des Verantwortlichen befindet sich am Schluss des Werkvertrages. 25 SCHÜTRUMPF, Auftragspolitik in der DDR (wie Anm. 11), S. 17–21. Die zusätzliche Untergliederung in Auftragskommissionen, die auf Bezirksebene agierten, erklärt auch, warum neben dem offiziell eingetragenen Auftraggeber, dem Mühlhäuser Heimatmuseum, und Wilhelm Otto Pitthan als Auftragnehmer auch der erwähnte Bestätigungsstempel und die Unterschrift des Verantwortlichen des Rat des Bezirkes Erfurt, Abteilung Kunstund Massenarbeit, Staatliche Auftragskommission unter dem Werkvertrag erscheint. 26 Bestand der Mühlhäuser Museen, Inventarnummer VIa/10. Das Gemälde befindet sich heute im Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche in Mühlhausen und ist Teil der Ausstellung „Luthers ungeliebte Brüder – Alternative Reformationsideen in Thüringen“.

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eröffnet und das eben fertig gestellte Gemälde Pitthans „Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen“ offiziell präsentiert.27

Abb. 1: Wilhelm Otto Pitthan, Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen, 1953–56 (Öl auf Leinwand, 195 x 307 cm) Im Gegensatz zu dem zwischen 1957 und 1960 entstandenen Gemälde „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein“ bezieht sich diese Arbeit offenbar nicht unbedingt auf ein konkretes Ereignis während der Geschehnisse der Jahre 1524/25 in Mühlhausen und Umgebung. Von Anfang an auffällig erscheint, wie Pitthan die Komposition des Gemäldes angelegt hat. In der Horizontalen teilt er das Bild auf halber Höhe in zwei auch farblich komplementäre Ebenen und damit in Vorder- und Hintergrund. Vor dem hellen Himmel hebt sich als einzige Person nur die zentral leicht nach rechts verschobene dunkle Gestalt Thomas Müntzers ab, dessen erhobener rechter Unterarm außerdem die kompositorische Mittelachse des Gemäldes bildet. Die dominante Präsenz Müntzers wird zusätzlich durch mehrere kompositorische und gestalterische Faktoren unterstützt. Zwei der ihn umringenden Bauern halten jeweils eine Hellebarde und einen Spieß leicht schräg nach oben und zum Teil über den Rand der Darstel27 GÖRNER/KAISER, Chronik (wie Anm. 16), S. 220; [Anonym], Thomas-Müntzer-Abteilung des Heimatmuseums fertiggestellt. Das Gemälde des Kunstmalers W. O. Pitthan künstlerischer Höhepunkt der Gesamtausstellung, in: Das Volk, 21.6.1956.

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lung hinaus, so dass nicht nur eine klare Dreiteilung des Gemäldes in eine linke, eine zentrale und eine rechte Gruppe der Bauern entsteht, sondern dem Mittelteil dadurch auch eine trapezförmige und damit auch konzentrische Komposition zu Grunde gelegt wurde, welche den Protagonisten des Gemäldes – Thomas Müntzer – einfasst und zusätzlich heraushebt. In dieser Anordnung wirkt der zu einer bedeutungsschwangeren Geste erhobene rechte Unterarm des Reformators wie eine Symmetrieachse innerhalb der Gemäldekomposition. Alles Übrige, seien es die Bauern selber oder ihre zahlreichen Waffen, die sie mit sich mitführen, strebt in Richtung Müntzer. Die Blicke und Gesten aller Beteiligten konzentrieren sich fast ausnahmslos auf ihn und sämtliche Beteiligte lauschen seinen Ausführungen. Selbst die dem Betrachter den Rücken zuwendenden Bauern demonstrieren durch den umarmenden Gestus des mittleren nicht nur Einigkeit unter sich, sondern wenden sich ihrerseits eindeutig Müntzers Ausführungen zu. Neben der konzentrischen Anordnung der um Müntzer versammelten Anhänger wird der Eindruck des damit demonstrierten Gruppenkonsenses noch dadurch verstärkt, dass die Köpfe der Bauern in fast einheitlicher Höhe angeordnet sind. Pitthan bedient sich hier des gestalterischen Mittels der Isokephalie, welches in der Kunstgeschichte bereits eine lange Tradition hat und hier ganz bewusst, wie die übrigen kompositorischen und gestalterischen Charakteristika der Darstellung, von ihm eingesetzt wird. Müntzer selbst ist von Pitthan in einer im wahrsten Sinne des Wortes „überhöhten“ Weise repräsentiert worden, denn er überragt als Einziger seine Anhängerschaft. Seine leicht schräge Haltung des Oberkörpers suggeriert trotz der statisch wirkenden Geste seines rechten Unterarmes eine gewisse Dynamik. Im mittleren Bildteil wird der Blick auf die Stadtsilhouette Mühlhausens sichtbar, doch handelt es sich dabei nicht um jene Ansicht aus Müntzers Zeit, sondern um einen bewussten Anachronismus, denn der eindeutig zu identifizierende neogotische und bis heute im Stadtbild präsente Turm der Mühlhäuser Marienkirche wurde erst zwischen 1895 und 1903 durch Stadtbaurat Wilhelm Röttscher in dieser Form errichtet.28 Dies erscheint umso interessanter, wenn man berücksichtigt, dass Pitthan sonst scheinbar darum bemüht schien, eine möglichst authentische und historisch verbürgte Art der Darstellung zu wählen. In zeitgenössischen Presseartikeln ist zu lesen, dass er eigens ausführliche 28 Vgl. zur neogotischen Turmvollendung der Mühlhäuser Marienkirche Winfried KORF, Der Bau des neugotischen Turmes und die Erneuerung der Marienkirche zu Mühlhausen in Thüringen, in: Mühlhäuser Beiträge 4 (1981), S. 61–66; Bernd MAHR, Das tragische Schicksal des Königlichen Kreisbauinspektors Wilhelm Röttscher (1850–1901), in: Eichsfeld-Jahrbuch 13 (2005), S. 155–161. Dass Pitthan den jetzigen Turm der Mühlhäuser Marienkirche – dem Ort, wo Müntzer als Prediger wirkte – im Hintergrund des Gemäldes wiedergab, fiel bereits Dieter Fechner auf. Vgl. FECHNER, Mühlhausen-Maler (wie Anm. 1), S. 169.

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Studien zu Waffen und Kostümen der Bauernkriegszeit angefertigt, sich entsprechende Bücher besorgt sowie ausgiebige Recherchen in Berliner Bibliotheken und in Museen dazu betrieben haben soll. Freunde und Bekannte Pitthans aus Schlotheim waren nachweislich Vorbild für die einzelnen Porträts der Müntzer umgebenden Bauern.29 Exakte und sehr detaillierte Skizzen, die sich häufig als Entwürfe für das Gemälde erhalten haben und heute teils in Privatbesitz, teilweise im Sammlungsbestand der Mühlhäuser Museen zu finden sind, halten diese Porträtierungen zusätzlich fest.30 Unabhängig davon orientierte sich Pitthan bei der Darstellung Müntzers an dem erst Jahrzehnte nach dessen Tod erschienenen Kupferstich von Christoph van Sichem aus dem Jahre 1608 mit einem fiktiven Bildnis Müntzers, welcher ebenfalls zur Basis für die Darstellungen auf dem 5-Mark-Schein der DDR wurde und von dem Pitthan den Darstellungstypus Müntzers bis hin zur Kopfbedeckung übernahm.31 Es ist nicht nur durch seine eigene Aussage belegt, sondern durch Vergleich mit noch vorhandenen Selbstporträts erwiesen, dass Pitthan seine eigenen Gesichtszüge zur Grundlage für das Müntzer-Porträt in seinem Gemälde nahm.32 Dies scheint von Seiten der „Staatlichen Auftragskommission“ auch generell akzeptiert oder sogar befürwortet worden zu sein, da in den darauf folgenden Gemälden, der etwas verkleinerten Kopie des Gemäldes „Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen“ für das Museum für Deutsche Geschichte in Berlin von 195833 und dem Monumentalgemälde „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein“ von 1960, auch wieder Pitthans Porträtzüge in den jeweiligen Müntzer-Bildnissen auftauchen. Nachdem Pitthans Gemälde „Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen“ 1956 im Heimatmuseum als Bestandteil der Müntzer-Abteilung der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, erregte dieses immerhin so viel staatliche Aufmerksamkeit, dass Pitthan schließlich im Auftrag des Museums für Deut29 L[UCHS], Ein Thomas-Müntzer-Gemälde entsteht (wie Anm. 9). 30 Zwei solche Studien, die sich im Bestand des Kulturhistorischen Museums erhalten haben, sind abgebildet in WINTER, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit (wie Anm. 10), S. 57 (Abb. 5 und 6). 31 Vgl. Monika LÜCKE, Thomas Müntzer auf Medaillen, Geldscheinen und Münzen, in: VOGLER (Hg.), Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur (wie Anm. 1), S. 89–109, dort auch die Abbildungen des Kupferstichs von Christoph van Sichem (S. 92, Abb. 2 links) und der Fünf-Mark-Banknote (S. 106, Abb. 26). 32 WOLF, Unser Porträt (wie Anm. 3). 33 Vgl. zu diesem Gemälde die Abbildung in Marlis HUJER (Mitw.), Ich Thomas Müntzer eyn knecht gottes. Historisch-biographische Ausstellung im Museum für Deutsche Geschichte Berlin 8. Dezember 1989 bis 28. Februar 1990, Berlin 1989, S. 172 unten. Das Gemälde befindet sich im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin, Inventarnummer: Kg 58/66, Entstehungsjahr: 1958, Technik: Öl auf Leinwand, Maße: 168 x 274 cm.

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sche Geschichte in Berlin die erwähnte, leicht verkleinerte Kopie mit nur geringfügigen sonstigen Veränderungen und unter demselben Titel ausführte. Während über das Berliner Werk sonst kaum etwas Näheres bekannt ist, lassen sich die Entstehungsumstände für Pitthans zweites Bauernkriegsgemälde, dem zwischen 1957 und 1960 für die Mühlhäuser Rathaushalle entstandenen Werk „Einsetzung des Ewigen Rates – 1525“, genauer erfassen. Die erwähnte Bezeichnung war zumindest der Arbeitstitel für das geplante Gemälde, über dessen Entstehungshintergrund insbesondere das Protokoll der 2. Ordentlichen Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung vom 28. August 1957 informiert, bei der auch die Ausführung und Finanzierung des Werkes in Höhe von 20.000,- DM – wie schon bei dem ersten Bauernkriegsbild Pitthans ein für damalige Verhältnisse gewaltiges Honorar – beschlossen wurde.34 Pitthan sollte das Gemälde wie bereits bei dem Exemplar für das Heimatmuseum im Rahmen eines Werkvertrages anfertigen, dieses Mal aber im Auftrag der Stadt. Vor der Beschlussfassung kamen laut Sitzungsprotokoll noch verschiedene Teilnehmer zu Wort, die trotz der hohen Summe auf die Befürwortung des Vorhabens drängten, darunter der Mühlhäuser Museumsdirektor Alexander Barth und der damalige Mühlhäuser Oberbürgermeister Reichenbach.35 Barth meinte dazu, es habe nach der Eröffnung der Müntzer-Abteilung im Heimatmuseum, wofür auch ein MüntzerGemälde geschaffen worden sei, „[…] sich im Laufe der Zeit der Gedanke herausgeschält, eine Ehrung Thomas Müntzers in dieser Form auch an der Stelle durchzuführen, an der Thomas Müntzer einst gewirkt hat und zwar im Rathaus“.36 Oberbürgermeister Reichenbach ergänzte dahingehend: Hierzu möchte ich aber folgendes sagen, daß sich Mühlhausen stolz die Stadt Thomas Müntzers nennt, hat sie doch kaum etwas gehabt, was an Thomas Müntzer erinnert. Heute haben wir schon ein Bild im Museum und haben auch unser Thomas-MüntzerDenkmal, als ein Geschenk von der Regierung. […] [I]ch glaube, es ist notwendig, und verpflichtet uns, der Nachwelt etwas zu geben, was an unseren Giganten unter den Revolutionären erinnert […]. Ich möchte noch einiges zu dem Bild sagen. Ich habe eigentlich geäußert, man müßte noch ein zweites Bild schaffen, welches Müntzer an der Stätte seines Wirkens zeigt. Dieser Gedanke ist allgemein gut aufgenommen worden und vor allem beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Dr. Hossinger. Er hat öfters angefragt, ob wir den Auftrag erteilt hätten, damit dieses Bild angefangen werden kann, doch wir mussten immer verneinen, da die Stadtverordnetenversammlung die Schaffung dieses Bildes noch nicht beschlossen hat. Es darf nicht wieder passieren, daß ein bulgarischer Professor nach Mühlhausen kommt, um die Geschichte Thomas 34 StadtA Mühlhausen, Sign. 12/763/Bd. 4, fol. 14–25. Pitthan erhielt damit 8.000,- DM mehr als für sein erstes Mühlhäuser Bauernkriegsgemälde. Ich danke an dieser Stelle Frau Johanna Jamrozinski vom Stadtarchiv Mühlhausen für den Hinweis und die Recherche zu diesem wichtigen Dokument. 35 Ebd., fol. 23 f. 36 Ebd., fol. 23.

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Müntzers zu studieren und bei seiner Abfahrt sagt, Thomas Müntzer ist in der ganzen Welt bekannt, als ein Gigant unter den Revolutionären. Ich habe den Eindruck, er wird in Mühlhausen noch nicht genügend gewürdigt. Ich glaube doch, das ist für uns ein sehr deutlicher Hinweis. […] Wenn auch die Summe hoch erscheint, sollten wir nicht vergessen, daß der Maler ungefähr 3 Jahre an der Gestaltung dieses Bildes arbeitet. Der Künstler sieht dieses Bild als sein Lebenswerk an […].37

Die hier zitierten Äußerungen der an der Stadtratssitzung Beteiligten sind in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen besteht Konsens, dass das historische Mühlhäuser Rathaus dezidiert als Wirkungsort Müntzers zu bezeichnen sei. Bis heute ist allerdings weder archivalisch noch chronikalisch belegt, dass Thomas Müntzer bei den Ereignissen um die Einsetzung des Ewigen Rates im Jahre 1525 wirklich persönlich anwesend war, auch wenn dies natürlich überaus wahrscheinlich ist. Darüber hinaus war das Rathaus zwar im Rahmen der Einsetzung des Ewigen Rates und insbesondere dessen Kämmerei einer der Handlungsorte, aber auch dafür ist ein Mitwirken Müntzers nicht belegt, worauf im Folgenden noch zurückzukommen sein wird. Die mehrfache Bezeichnung Müntzers durch Reichenbach als einen „Giganten unter den Revolutionären“ zeigt darüber hinaus, welche hohe Signifikanz Thomas Müntzer in den Augen der SED-Parteifunktionäre hatte, zumal auch der erwähnte stellvertretende Bezirksratsvorsitzende Karl Hossinger die Verwirklichung des zweiten Mühlhäuser Bauernkriegsgemäldes stark befürwortete. Die durch das SED-Regime betriebene Apostrophierung Müntzers als Protagonisten sämtlicher mit dem Bauernkrieg verbundenen Ereignisse wird hier bewusst und vollkommen unkritisch adaptiert, wobei – wie noch zu zeigen sein wird – die Frage nach der Authentizität der Ereignisse und ihres angeblichen Hauptträgers Thomas Müntzer keine vordergründige Rolle mehr spielt. Interessant ist auch das Argument Reichenbachs, dass internationale Wissenschaftler wie ein bulgarischer Professor das Fehlen von Memorialstätten Müntzers in Mühlhausen moniert hätten, um eine Zustimmung zur Finanzierung des Gemäldeauftrages zu erreichen, und Reichenbach lässt auch das durch die DDR-Regierung finanzierte und im selben Jahr eingeweihte Müntzer-Denkmal von Will Lammert vor dem Mühlhäuser Frauentor sicher ganz bewusst nicht unerwähnt.38 Nachdem auch die ständige Kommission Kultur sich dafür aussprach, wurde schließlich der Beschlussvorlage zugestimmt und die Finanzierung sowie Beauftragung des Gemäldes an Wilhelm Otto Pitthan beschlossen.39

37 Ebd., fol. 23 f. 38 Vgl. zu dem Denkmal Peter H. FEIST, Will Lammerts Müntzer-Denkmal, in: VOGLER (Hg.), Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur (wie Anm. 1), S. 64–71. 39 StadtA Mühlhausen, Sign. 12/763/Bd. 4, fol. 14–25, hier fol. 24; GÖRNER/KAISER, Chronik (wie Anm. 16), S. 235.

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Pitthan schuf das Gemälde (siehe Abb. 2 und Farbabb. 6), für dessen Fertigung, wie Reichenbach erwähnte, von vornherein drei Jahre angesetzt waren, zwischen 1957 und 1960. Der Öffentlichkeit feierlich übergeben wurde es am 25. Oktober 1960 in der Mühlhäuser Rathaushalle,40 wo es sich bis heute an der inneren Ostwand befindet, welche zugleich die Rückwand der Großen Ratsstube bildet. Auf Beschluss der 33. Stadtverordneten-Sitzung geschah die Übergabe ganz bewusst am Vorabend der in Mühlhausen ausgerichteten Kreisbauernkonferenz, um eine entsprechende Würdigung der Person Müntzers als Anführer der frühbürgerlichen Revolution im ideologischen Sinne anzustrengen und diese mit Pitthans Leinwandgemälde visuell zu untermauern.41

Abb. 2: Wilhelm Otto Pitthan, Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein – 1525, 1957–60 (Öl auf Leinwand, 245 x 360 cm)

Bei diesem in Öl auf Leinwand ausgeführten Werk, mit den stattlichen Maßen von 245 cm in der Höhe und 360 cm in der Breite, handelt es sich um das größte bislang bekannte Gemälde, welches der Künstler überhaupt geschaffen hat. Es wurde von ihm rechts oben signiert und datiert. Das Thema „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein – 1525“ war als Darstellungsinhalt von 40 GÖRNER/KAISER, Chronik (wie Anm. 16), S. 272. 41 [Anonym], „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein“ (wie Anm. 23).

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Anfang an festgelegt worden und obwohl der entsprechende Werkvertrag bisher nicht ausfindig gemacht werden konnte, ist davon auszugehen, dass Pitthan auch diesmal einen Vorentwurf für das anzufertigende Gemälde der „Staatlichen Auftragskommission“ vorzulegen hatte; gleichwohl zu diesem Entwurf bislang nichts Näheres bekannt ist. Erhalten haben sich zu diesem Gemälde auch wieder zahlreiche Porträtskizzen und Ölstudien, welche sich heute vor allem in Privatbesitz befinden und für die sowohl Schlotheimer als auch Mühlhäuser Bürger ihre Gesichter zur Verfügung stellten, die im Gemälde schließlich durch den Künstler erneut verarbeitet wurden.42 In Pitthans Gemälde bildet die Große Ratsstube des Mühlhäuser Rathauses den Handlungsort der von ihm dargestellten Szenerie, da die an Ort und Stelle noch erhaltenen und um 1460/70 entstandenen Bohlenmalereien mit der Darstellung diverser Land- und Burggrafen des damaligen Heiligen Römischen Reiches den Hintergrund des Gemäldes bilden und eindeutig zu identifizieren sind.43 Davor erscheint an zentraler Stelle die durch ihre dunkle Robe und ihre Kopfbedeckung hervorgehobene Gestalt Thomas Müntzers, welche außerdem kompositorisch die vertikale Dominante des Gemäldes bildet. Mit einigem Abstand sind um Müntzer die zwei politischen Lager an einem großen Tisch versammelt, der neu einzusetzende Ewige Rat auf der linken Seite des Gemäldes, auf der rechten die alte Ratsoligarchie. Müntzer wendet sich dieser zwar zu, bezieht aber ihr gegenüber durch seinen abwehrenden Gestus eindeutig Position für den neuen Rat. Die Auseinandersetzung dreht sich um die verbrieften Rechte des alten Rates, da einer von dessen Vertretern Müntzer die zugehörige Urkunde präsentiert und durch seinen weit geöffneten Mund deutlich wird, dass er auch lauthals auf deren Inhalt besteht. Müntzer wurde durch Pitthan wiederum so dargestellt, dass er durch seinen standhaften Blick gegenüber seinem Kontrahenten und durch seinen Abwehrgestus sowie seiner pyramidal konzipierten Silhouette wiederholt über den Dingen steht und aus der Szenerie herausragt. Während das rechte Lager des alten Rates in sehr edler, geradezu aristokratischer Kleidung wiedergegeben wurde, weisen die dargestellten Personen des linken Lagers nur einfache Kleidung auf und symbolisieren damit das Kleinbürgertum. Auffällig in seinem Habit erscheint hier nur ein Vertreter der Ratswache, der im linken Vordergrund mit dem Rücken zum Betrachter steht und die Hellebarde demonstrativ nach unten hält. Mit wild gestikulierenden Armen und aufgebrachter Mimik wehren einige der Kleinbürger ihrerseits die von der gegenüberliegenden Partei lautstark deklarierten Rechte ab. Beide Gruppen sind kompositorisch wie zwei entgegengesetzte Pfeile angeordnet, um die Unverein42 FECHNER, Mühlhausen-Maler (wie Anm. 1), S. 169 und 171. 43 Vgl. zu den Gemälden Gerhard GÜNTHER/Winfried KORF, Mühlhausen – ThomasMüntzer-Stadt. Kunstgeschichtliche Städtebücher, Leipzig 1986, S. 85.

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barkeit der jeweiligen Positionen grundsätzlich deutlich werden zu lassen. Gleichzeitig streben viele Blicke und Gesten aus beiden Lagern zur zentralen Gestalt Thomas Müntzers. Die bereits längere Zeit andauernde Auseinandersetzung wird durch die am Boden im Bildvordergrund wild verteilten Schriften und einen umgestürzten Hocker eindringlich dargestellt. Seltsam unbeteiligt an den um ihn herum stattfindenden Ereignissen wirkt der links von Müntzer am Tisch sitzende bärtige Mann mit breitkrempigem Hut. Hierbei handelt es sich um Dr. Johann von Otthera, den damaligen Stadtsyndikus von Mühlhausen, der wohl immer wieder zwischen den einzelnen städtischen Parteien hin und her lavierte und schließlich nach der Schlacht von Frankenhausen von den siegreichen Fürsten als Schultheiß in Mühlhausen eingesetzt wurde. Es ist womöglich seiner Initiative zu verdanken, dass sich die Stadt schließlich kampflos ergeben hat.44 Pitthan nahm für das Porträt von Ottheras ein in Schloss Fasanerie bei Fulda befindliches Bildnis von 1536 zur Vorlage, das von dem Renaissance-Künstler Hans Brosamer gemalt worden ist und aus der Zeit stammt, als von Otthera bereits Kanzler von Fulda war und die Mühlhäuser Ereignisse längst hinter ihm lagen. 45 Neben Müntzer und von Otthera kann nach bisherigem Kenntnisstand keine der dargestellten Personen auf Pitthans Gemälde mit einer historischen Persönlichkeit der Bauernkriegszeit in Verbindung gebracht werden. Überhaupt ist das hier im Gemälde dargestellte Ereignis der Ratseinsetzung durch Müntzer voll und ganz als revolutionärer Akt geschildert, der in der Abwehrhaltung Müntzers und der ihm ergebenen sowie in größerer Zahl vertretenen Kleinbürgerschaft kulminiert und kompositorisch bis in die rechte Bildhälfte hineinragt, um klarzustellen, welche Partei letztlich die siegreiche ist. Überaus interessant ist, dass das hier geschilderte Ereignis in keiner Weise – weder vom Ort, noch von den Teilnehmern her – chronikalisch bzw. archivalisch verbürgt ist. Günter Vogler und Siegfried Bräuer erläutern die Ereignisse um die Einsetzung des Ewigen Rates als einen sich über mehrere Tage hinziehenden Prozess, der am 17. März 1525 darin mündete, dass in der Kämmerei des Rathauses durch den Ausschuss der vier Stadtquartiere sowie durch die Achtmänner der neue Rat

44 Hans PATZE, Mühlhausen, in: DERS./Peter AUFGEBAUER (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd. 9: Thüringen, Stuttgart 21989, S. 286–295, hier S. 293 f. Vgl. zu Otthera allgemein [Reinhard] JORDAN, Dr. Johann von Otthera, Syndikus und Schultheiss der Stadt Mühlhausen in Thür., in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 13 (1903), S. 145–160. 45 Vgl. dazu Günther FRANZ, Ein Bildnis Dr. von Ottheras, in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 33/35 (1936), S. 25–28 mit Abbildung des Porträts. Die Identifizierung von Ottheras auf Pitthans Gemälde bereits bei FECHNER, Mühlhausen-Maler (wie Anm. 1), S. 171.

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eingesetzt wurde, der als Ewiger Rat „fur undt fur regiren“ sollte.46 Für Pitthan bildete die historische Bohlenwand der Großen Ratsstube mit ihren spätgotischen Malereien der Land- und Burggrafen, die nachweislich schon zu Müntzers Zeiten existierte, jedoch den idealen Hintergrund, um scheinbare Authentizität von Ort und Ereignis mit ideologisch konformer Schilderung zu verbinden. Denn auch die von Pitthan inszenierte Auseinandersetzung und die Beteiligung Müntzers daran, so wie sie auf dem Gemälde geschildert wird, ist keinesfalls belegt. Die Frage, ob er selbst die Idee zu dieser Art der Darstellung hatte, sich darin mit anderen beriet bzw. inwiefern er von staatlicher Seite aus darin beeinflusst wurde, kann nach bisherigem Kenntnisstand nicht hinreichend beantwortet werden. Dass es eine Einmischung von staatlicher Seite und insbesondere durch den stellvertretenden Bezirksratvorsitzenden Karl Hossinger gegeben hat, steht sicher außer Frage, weil Hossinger Pitthan laut Zeitzeugenberichten in dessen Atelier in Schlotheim besuchte.47 Die Präsentation Müntzers als über den Dingen stehenden Helden im Zentrum des Gemäldes mit der stark übertriebenen Geste der Abwehr und die schematisch-additive Anordnung und Charakterisierung der dargestellten Personen in beiden Lagern offenbaren eine überaus kalkulierte und damit stark ideologisch geprägte Darstellungsweise, die vor allem in ästhetischer Hinsicht zu überzeugen versucht. Jürgen Winter sieht in den Mühlhäuser Müntzer-Gemälden Pitthans sogar Werke, die „[…] in ihrer vordergründig theatralisch-heroischen Inszenierung, der nahezu didaktisch aufbereiteten Figurenkonstellation und anekdotischen Ablesbarkeit als typisch für die provinzielle Vergröberung der offiziellen Kunstdoktrin jener Jahre gelten können.“48 Eingedenk dieser äußerst kritischen Ansicht, die weitgehend unabhängig von den handwerklich vorhandenen Fähigkeiten des Künstlers zu betrachten ist, sind Pitthans Gemälde aber dennoch ein überaus interessantes Zeitzeugnis. Sie sind ein Beleg dafür, dass die DDR in den 1950er und 1960er Jahren, gerade was das historisch und gesellschafts- bzw. kulturpolitisch bedeutsame Thema Bauernkrieg anbelangt, versucht hat, den Mangel an überlieferten Zeugnissen aus diesem Bereich in den Museen und Gedenkstätten durch vermeintlich authentische Historienmalereien wieder auszugleichen, wie dies Jan Scheunemann bereits konstatierte. Es existierte hier allgemein keine Scheu, Fakten und nicht historisch getreu Überliefertes im ideologisch genügsamen Kontext zu ver46 Siegfried BRÄUER/Günter VOGLER, Thomas Müntzer – Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie, Gütersloh 2016, S. 324–328. 47 Darüber berichtete mir freundlicherweise Frau Dr. Renate Rotsch, Bad Langensalza, deren Eltern mit Wilhelm Otto Pitthan befreundet waren und die sich auch an entsprechende Besuche Hossingers bei Pitthan während ihrer Jugend erinnert. 48 WINTER, Bildende Kunst in Mühlhausen (wie Anm. 19), S. 10. Vgl. dazu auch FECHNER, Mühlhausen-Maler (wie Anm. 1), S. 171.

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mischen bzw. auch Anachronismen oder nicht völlig authentische Ortsszenerien einzubauen, um beim Betrachter eine Identifikation mit den dargestellten Inhalten zu erreichen.49 Der erwähnte Marienkirchturm in dem ersten BauernkriegsGemälde, der heute die Stadtsilhouette von Mühlhausen krönt und zu Müntzers Zeiten so nicht existent war, ist dafür genauso ein Beispiel wie die Verlegung der Einsetzung des Ewigen Rates in die Große Ratsstube als Handlungsort, gleichwohl diese nur für die Kämmerei des Rathauses und eine Anwesenheit Müntzers darüber hinaus nicht belegt ist.50 Dafür erkennt der Besucher Mühlhausens damals wie heute sofort die scheinbaren Handlungsorte wieder, denn beim Pitthan-Gemälde in der Rathaushalle befindet sich die Ratsstube gleich nebenan, so dass der angeblich authentische Wirkungsort Müntzers auch gleich noch an Ort und Stelle besucht werden kann, was dem ideologischen Ansinnen des DDR-Staates sehr entgegenkam und ein kritisches Hinterfragen der historischen Authentizität praktisch ausschloss. Schließlich schrieben Gerhard Günther und Winfried Korf noch 1986 mit voller Überzeugung in ihrem kunstgeschichtlichen Städtebuch zu Mühlhausen: „Die große Ratsstube ist heute eine historische Gedenkstätte. Hier tagte vom 17. März bis 25. Mai 1525 der unter dem Einfluß Thomas Müntzers stehende ,Ewige Rat‘.“51 Dass Schlotheimer und Mühlhäuser Bürger für die Darstellungen der Bauern und Kleinbürger sogar im Porträt als Vorlage dienten, führte zumindest am Ort zu einer unmittelbaren Identifikation der Dargestellten mit dem im Gemälde präsentierten Ereignis und verstärkte die öffentliche Wahrnehmung für das kulturpolitisch wichtige Thema des Bauernkrieges. Im Kontext mit der DDR-Historienmalerei schreibt Jan Scheunemann außerdem: „Wurde eine leichtverständliche Darstellung progressiver Momente der Geschichte zum alleinigen Bewertungsmaßstab der Kunst erhoben, war der Weg zu einer rein illustrativen Verwendung von Bildwerken nicht mehr weit.“52 Diese These ist auf Pitthans Müntzer-Gemälde eins zu eins übertragbar. Der kalkulierte unmittelbare Zugang, den der Betrachter zu den auf den Bildern dargestellten Ereignissen erhält, lässt auch die Bildaussage insgesamt plakativ erscheinen. Wilhelm Otto Pitthan verstarb sieben Jahre nach der Vollendung des zweiten Mühlhäuser Bauernkriegsgemäldes am 20. November 1967 in Schlotheim im Alter von 71 Jahren.53 Seine Mühlhäuser Bauernkriegsgemälde bedienen die ideologischen Ansichten jener Zeit in Verbindung mit einem staatlich gelenkten Geschichtsbild, bei dem Müntzer als Protagonist eine außerordentliche Hervor49 50 51 52 53

SCHEUNEMANN, Bauernkrieg und Historienmalerei (wie Anm. 15), S. 45–53. BRÄUER/VOGLER, Thomas Müntzer (wie Anm. 46), S. 326. GÜNTHER/KORF, Mühlhausen (wie Anm. 43), S. 84. SCHEUNEMANN, Bauernkrieg und Historienmalerei (wie Anm. 15), S. 52 f. Das Grab des Künstlers und seiner Frau Magdalene mit dem Grabstein, auf dem die Lebensdaten festgehalten sind, befindet sich auf dem Friedhof in Schlotheim.

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hebung erfährt und dem Betrachter als apostrophierter Anführer des gesamten deutschen Bauernkrieges in Erinnerung bleiben soll, obwohl er diese Rolle als dessen spiritus rector letztlich nie erfüllt hat, wie Thomas T. Müller erst jüngst erneut betonte.54 Müntzers Bildnis dient in Pitthans Gemälde als Identifikationsfigur und Vorbild für den Betrachter. Und um dies zu erreichen, musste man Müntzer im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht geben,55 gleichwohl, wie bereits erwähnt, kein authentisches Porträt von ihm erhalten blieb. Wohl genau deswegen hat man Pitthan offensichtlich auch die Freiheit zugestanden, die eigenen Gesichtszüge in die Müntzer-Porträts einfließen zu lassen. Dass solche Kunstwerke, in denen Müntzer als Protagonist im Zentrum steht, ganz im Sinne der DDR-Systemideologie waren, zeigt etwa das Beispiel des DDR-Künstlers Max Lingner, der u. a. das Gemälde „Der große deutsche Bauernkrieg“ 1955 als Prestige-Auftrag für das Museum für Deutsche Geschichte in Berlin schuf, jedoch von der DDR-Kunstkritik stets angegriffen wurde, u. a. weil Müntzer hier nicht als zentrale Figur auftaucht, geschweige denn genau zu identifizieren ist.56 Abschließend sei noch ein kurzes Fazit gezogen. Pitthans monumentale Mühlhäuser Bauernkriegsgemälde weisen viele formale, bildinhaltliche und gestalterische Elemente auf, die eine Konformität suggerieren, welche sich der DDR-Staatsideologie zumindest stark annähert. Sie wirken wie rein illustrative Subjekte eines staatlich indoktrinierten Geschichtsbildes, das sich auf Thomas Müntzer fokussiert, der damit als Hauptfigur und Anführer des deutschen Bauernkrieges und damit der erst später so bezeichneten „Frühbürgerlichen Revolution“ hervorgehoben wird. Besonders die oben zitierten Aussagen aus dem Protokoll der 2. Ordentlichen Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung offenbaren einen solchen ideologisch determinierten Hintergrund, vor dem eines dieser Gemälde entstanden ist. Auch stilistisch sind die beiden Bauernkriegsgemälde Pitthans ganz im Sinne des von der SED-Regierung propagierten „Sozialistischen Realismus“ gehalten und deshalb vom bildkünstlerischen Aspekt her als systemkonform zu bezeichnen. Die jeweiligen Bildanalysen konnten dies zusätzlich deutlich machen. Insofern sind diese Werke bei aller ästhetischen Überzeugungskraft, die sie auszustrahlen versuchen, stets als ideologisch geprägte Zeugnisse ihrer Entstehungszeit zu betrachten.

54 Thomas T. MÜLLER, Thomas Müntzer im Bauernkrieg. Fakten – Fiktionen – Desiderate (Thomas-Müntzer-Gesellschaft e. V., Veröffentlichungen, 23), Mühlhausen 2016, S. 62 f. 55 SCHEUNEMANN, Bauernkrieg und Historienmalerei (wie Anm. 15), S. 53. 56 Ebd., S. 47–49.

ULRIKE EYDINGER MOTIVE HISTORISCHER FLUGBLÄTTER UND DRUCKGRAPHIKEN

Motive historischer Flugblätter und Druckgraphiken im Bauernkriegspanorama von Werner Tübke Zur Genese des Kunstwerkes

Voraussetzung besonders für den Leiter der Öffentlichkeitsarbeit sind professionelle kunsthistorische Kenntnisse […]. Mit Abstand und erst dann folgen Geschichte und Kirchengeschichte […].1

Im Oktober 1988 schrieb Werner Tübke (1929–2004) diese Worte in einem Brief an den stellvertretenden Kulturminister der DDR, Dietmar Keller, angesichts der bevorstehenden Übergabe des „Bauernkriegs-Panorama Bad Frankenhausen – Monumentalbild von Werner Tübke – Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“2. Bedenkt man die Entstehungs- und Auftragssituation, so erscheint das Zitat auf den ersten Blick überraschend. Es handelte sich schließlich um einen Staatsauftrag, ein Prestigeprojekt – wenn nicht gar um das künstlerische Prestigeprojekt der DDR schlechthin –, das den Bauernkrieg unter dem historisch-politisierenden Begriff als „frühbürgerliche Revolution“ abbilden sollte. Das Zitat deutet an, wie Werner Tübke sein Werk selbst sah: Das Panorama, welches 13 Jahre seines Lebens in Anspruch nahm und teilweise komplett bestimmen sollte, war ein Kunstwerk, das aus der Kunstgeschichte hervorging und

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Brief vom 9.10.1988 [Bundesarchiv, DR I 766], zitiert nach: Bärbel MANN/Jörn SCHÜTRUMPF/Sigrid HIPPEN, Werner Tübke. Frühbürgerliche Revolution in Deutschland, Panorama auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen. Auftraggeber: Ministerium für Kultur, in: Monika FLACKE (Hg.), Auftrag: Kunst. 1949–1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik, Auss.-Kat. Deutsches Historisches Museum, Berlin, 27.01.–14.04.1995, Berlin 1995, S. 369–382, hier S. 377. So der damals vollständige Name laut Richard STEPHAN, Im Bannkreis eines Epochengemäldes. Von der Idee zur Wirklichkeit. Das Bauernkriegs-Panorama auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen, München 2013, S. 16. – MANN/SCHÜTRUMPF/HIPPEN, Tübke (wie Anm. 1), S. 376, geben hingegen an: „Panorama Bad Frankenhausen. Bauernkriegsgedenkstätte – Monumentalbild von Werner Tübke. Frühbürgerliche Revolution in Deutschland 1525“. Der Name von Werner Tübkes Werk mit seinem Standort wird heute folgendermaßen angegeben: „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, Panorama Museum, Bad Frankenhausen.

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das ohne den Blick aus der kunstgeschichtlichen Vergangenheit heraus so nicht entstanden wäre.3 Wenn Werner Tübke schreibt, dass er sich das „Nachdenken über ein Thema“ zum Ziel setzt und er dabei „Nachahmungen in Inhalt, Manier und Form“ ausdrücklich nicht zu seinem Prinzip erhebt,4 so visualisiert sich bei ihm dieser geistige Akt auf dem Papier und dies – ungeachtet der genannten Prinzipien – nach realen oder bildlichen Vorlagen. Die dabei nicht ausbleibenden Wiederholungen von Formen, Stilen und Themen sind Zeugnis einer auf Verständnis ausgelegten Annäherung an die Kunst und die Geschichte der fraglichen Epochen. Das künstlerische Einfühlen in eine heute vergangene Zeit war Motor von Tübkes Entwürfen und Ausführungen. Entsprechend sollten seiner Meinung nach ebenso die Führungskräfte geschult werden und agieren, um aus der kunstgeschichtlichen Vergangenheit heraus „das Bild als ein Teil der Gegenwartskunst [zu] interpretieren“5 und es damit auch in dessen historischer Dimension für die Besucher erfahrbar zu machen.6 Das, was dem kunstgeschichtlich Gebildeten ins Auge springt, wenn er das Bauernkriegspanorama betrachtet, sind in der Tat die vielen Bildzitate und Adaptionen, die stilistischen Annäherungen, die, bei gleichzeitiger Vertrautheit, doch immer auch einen Überraschungseffekt bereithalten. Aus der Beschäftigung mit Druckgraphiken des 15. und 16. Jahrhunderts heraus wurde meine Aufmerksamkeit auf genau diesen Umstand gerichtet, und es stellte sich mir die Frage nach der Auswahl der Vorbilder, letztendlich nach der Genese des Kunstwerkes. Versucht man jedoch, sich über Vorzeichnungen dem Entstehungsprozess des riesigen Gemäldes zu nähern, so stößt man schnell an Grenzen. Auch wenn viele zeichnerische Studien überliefert sind, so fehlen Skizzen zu zahlreichen szenischen Zusammenhängen, erst recht solche, die die gesamte, am Ende gültige Konzeption des Werkes festhalten. Die zwischen April 1979 und November 1981 entstandene 1:10-Fassung der „Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“ hat der Maler ohne detaillierte Vorstudien gemalt. Im 3

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Zu Tübkes Verständnis von Kunst, Geschichte und gegenwärtigem Handeln siehe: Eduard BEAUCAMP, Die Seele im Ausnahmezustand. Wie dachte Werner Tübke?, in: Werner TÜBKE, Mein Herz empfindet optisch. Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen, hg. von Annika MICHALSKI u. Eduard BEAUCAMP, Göttingen 2017, S. 21–40, hier S. 38 f. Ebd., S. 38. MANN/SCHÜTRUMPF/HIPPEN, Tübke (wie Anm. 1), S. 377. Tübke wünschte aber ausdrücklich nicht, dass auf die Bildzitate verwiesen wird. Vgl. Thomas TOPFSTEDT, „In unserer Republik ist Müntzers Zukunftsvision in Erfüllung gegangen“. Das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen, in: Arnold BARTETZKY/ Rudolf JAWORSKI (Hg.), Geschichte im Rundumblick. Panoramabilder im östlichen Europa, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 178–189, hier S. 183.

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Rückblick beschrieb Tübke sein Vorgehen: Er habe „[u]nter ständiger Berücksichtigung historischer Tatbestände, Zusammenhänge und grundsätzlicher Gliederung […] [s]ich knapp drei Jahre lang Visionen des Augenblicks“ hingegeben, die „Geschichtseindrücke“ hatte er ja „gespeichert“, den „allgemeinen Rhythmus hatte [er] im Kopf fertig, die Raumordnung ebenfalls“.7 In seinen „Erinnerungen an B.F. [Bad Frankenhausen]“ von 1988/89, eine Schrift, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, bestätigt er ein weiteres Mal, der 1:10Fassung liege keine „ausgetüftelte“ Gliederung zugrunde.8 Unter Hinzuziehung der Tagebücher und veröffentlichter Interviews liefern die Zeichnungen dennoch ganz konkret Hinweise auf Tübkes kunstgeschichtlich fundierte Arbeitsweise. Der Beitrag setzt sich zum Ziel, die Vorgehensweise des Malers bei der Schöpfung seines monumentalen Werkes und die Rolle der vorbildgebenden Graphiken näher zu beleuchten.

1. Auftrag und Anspruch Im Jahre 1972 wurde von der SED-Bezirksleitung Halle an das Politbüro des Zentralkomitees der SED die Idee herangetragen, auf dem als Ort der Entscheidungsschlacht des Bauernkrieges identifizierten Berg bei Bad Frankenhausen ein Panorama nach dem Vorbild der um 1900 entstandenen russischen Panoramen zu errichten.9 Angesichts der historischen Fakten konnte in Bad Frankenhausen jedoch nicht einfach ein heroisches Schlachtgemälde entworfen werden; die verheerende Niederlage des Aufstandes der Bauern von 1525 verlangte eine andere Darstellung.10 Es wurde also ein wissenschaftliches Beratergremium einberufen, das 1975 eine Konzeption für die Gedenkstätte vorlegte. Diese sah vor, „das propagandistisch schlecht verwertbare reale Schlachtengeschehen in den Hintergrund zu stellen und die inhaltlichen Hauptakzente des Bildes auf die allgemeine historische Bedeutung des Bauernkrieges und auf die gesellschaftlichen Entwicklungen zur Zeit der Reformation zu verlagern“.11 In dem Konzept der Leipziger Historiker Manfred Bensing und Siegfried Hoyer heißt es:

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Zitiert nach STEPHAN, Bannkreis (wie Anm. 2), S. 80. TÜBKE, Tagebücher (wie Anm. 3), S. 349. Das bauliche Vorbild ist das Panoramamuseum zur Schlacht von Borodino im Westen Moskaus, das 1962 eingeweiht wurde. Es umschließt ein Panoramagemälde zum Russlandfeldzug Napoléons von 1812 von Franz Aleksejewitsch (Rubo) Roubaud (1856– 1928), das 1912 entstanden ist. Näheres siehe in: TOPFSTEDT, Bauernkriegspanorama (wie Anm. 6), S. 178 f. 10 Ebd., S. 179 f. 11 Ebd., S. 180.

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Der Einsatz breitester Volksmassen für den gesellschaftlichen Fortschritt, die Kampfund Opferbereitschaft sowie die moralische Größe des Volkes, sein historisches Schöpfertum sind Gegenstand des Panoramabildes, das ebenso die Grenze dieses Kampfes und die Unausbleiblichkeit der Niederlage sichtbar machen muss, mit der zugleich über den Ausgang der frühbürgerlichen Revolution entschieden wurde.12

Die hier getroffene Wortwahl verdeutlicht die tiefe Verwurzelung des zu planenden Panoramas in der staatlich gelenkten Geschichtsschreibung der DDR. Als „frühbürgerliche Revolution“ wurden die sich gegenseitig beeinflussenden Ereignisse Bauernkrieg und Reformation bezeichnet, die sich bis zur Revolte steigerten.13 Man sah die „frühbürgerliche Revolution“ am Anfang einer Reihe von Revolutionen, die auf die bürgerliche Emanzipation ausgerichtet waren und die den „Transformationsprozeß von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft“ beschrieben.14 Bauernkrieg und Reformation wurden durch die DDRGeschichtsschreibung und besonders nach dem kulturpolitischen Wandel seit den 1970er Jahren vereinnahmt und identitätsstiftend als nationales Erbe interpretiert, was sich entsprechend in der Auftragsbestimmung der Gedenkstätte widerspiegelt.15 Der Theologe Thomas Müntzer spielte in diesem Konzept eine entscheidende Rolle, da er als „Bauernführer“ der Unterdrückung entgegengetreten und damit im Sinne des sozialistischen Klassenkampfes vorausgegangen sei.16 12 Zitiert nach: Harald BEHRENDT, Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen. Zwischen staatlichem Prestigeprojekt und künstlerischem Selbstauftrag, Diss. Universität Kiel, Kiel 2006, S. 136. 13 Günter VOGLER, Frühbürgerliche Revolution, in: www.mennlex.de/doku.php?id=top: fruehbuergerliche-revolution (letzter Zugriff: 1.5.2018). Das Thema der „Frühbürgerlichen Revolution“ beschäftigte die Frühneuzeitforschung in der DDR über mehrere Jahrzehnte. An dieser Stelle kann aus Platzgründen über diese Entwicklung nicht eingehender reflektiert werden – ich verweise beispielhaft auf den Artikel von Günter VOGLER, Das Konzept „deutsche frühbürgerliche Revolution“. Genese – Aspekte – kritische Bilanz (2001/2011), in: DERS., Signaturen einer Epoche. Beiträge zur Geschichte der frühen Neuzeit, hg. von Marion DAMMASCHKE, Berlin 2012, S. 59–88. 14 Ebd., S. 62. 15 Annika MICHALSKI, „Utopie nach Rückwärts“ – Das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke in Bad Frankenhausen, in: Rolf LUHN/Thomas T. MÜLLER/Jürgen WINTER (Hg.), Sichtungen und Einblicke. Zur künstlerischen Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im geteilten Deutschland, Ausst.-Kat. Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche der Mühlhäuser Museen (30.09.–04.12.2011) und Deutsches Bauernkriegsmuseum Böblingen (15.01.2012–18.03.2012), Petersberg 2011, S. 113–122, hier S. 113. 16 Kurt Hager wies in einer Rede am 15. März 1975 aus Anlass des 450. Bauernkriegsjubiläums in Mühlhausen in seiner Funktion als Mitglied der Kulturabteilung des Politbüros der SED darauf hin, dass „[…] der revolutionären Volksbewegung eine Aufgabe gestellt [war], die auf grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse hinzielte, die sie aber in jener historischen Epoche noch nicht zu lösen vermochte. Heute – 450

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Der Auftrag, das „Panorama als Gedenkstätte für den deutschen Bauerkrieg zu gestalten und dabei – Engels folgend – das Wirken Thomas Müntzers in Thüringen und Sachsen und den Bauernkrieg in Thüringen als Kulminationspunkt besonders hervorzuheben“,17 wurde erstmals im Herbst 1974 an Werner Tübke herangetragen. Nachdem die DDR vergeblich bei Willi Sitte (1921– 2013), dem sowjetischen Künstlerverband und Bernhard Heisig (1925–2011) angefragt hatte, konnte Tübke nun Forderungen stellen.18 Er nahm den Staatsauftrag am 1. Januar 1976 unter der Bedingung an, dass er das Konzept des Panoramas in künstlerischer Hinsicht selbst entwickeln könne, ohne dass er von Staatswegen kontrolliert würde. Eine 1:10-Fassung sollte den Zwischenstand dokumentieren, auf dessen Grundlage der Auftrag im Mai 1981 bestätigt wurde.19 Die dabei entstandenen fünf Tafeln mit einer Gesamtlänge von knapp 14 Metern bildeten die Grundlage für die Ausführung des Riesengemäldes,20 das sich in Frankenhausen über eine Fläche von 1722 m² erstreckt.21 Der Maler brachte in dem Werk seine Vorstellung von Reformation und Bauernkrieg auf die Leinwand. Doch nicht nur dies. Er bettete die Ereignisse in ein epochales Sinnbild ein, das eben nicht nur den Bauernkrieg erfasst, sondern, wie Tübke selbst äußerte, auch „religionsgeschichtliche[,] ökonomische [und] seinsgeschichtliche Fragen“ aufnimmt.22 Er legte in seinem Gemälde jenes Zeitalter metaphorisch dar,23 und dafür breitete er ein Panorama aus, das von symbolischen und allegorischen Anspielungen aus der Zeit des 16. Jahrhunderts geprägt ist. Es ist kein Historiengemälde, das der Künstler schuf, vielmehr ent-

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Jahre später – ist in unserer DDR die Forderung Thomas Müntzers, daß die Macht dem Volk gehören muss, Wirklichkeit.“ Kurt HAGER, Das Vermächtnis von 1525 wurde erfüllt. Rede auf der Festveranstaltung des Zentralkomitees der SED und des Ministerrates der DDR zum 450. Jahrestag des deutschen Bauernkrieges in Mühlhausen am 15. März 1975, Berlin 1975, S. 6. Günther MEIßNER, Werner Tübke. Bauernkrieg und Weltgericht. Das Frankenhausener Monumentalbild einer Wendezeit, Leipzig 1995, S. 156. MICHALSKI, Utopie (wie Anm. 15), S. 114 f. TOPFSTEDT, Bauernkriegspanorama (wie Anm. 6), S. 182. Die Tafeln befinden sich heute im Besitz der Berliner Nationalgalerie, Inv.-Nr. A IV 602. Besprochen in: Fritz JACOBI (Hg.), Kunst in der DDR. Katalog der Gemälde und Skulpturen, Kat. Nationalgalerie Berlin, Leipzig 2003, S. 278–281, Nr. 557. Das Rundgemälde misst 14,5 x 123 m. Die Arbeiten an der Leinwand zogen sich von 1983 bis 1987 hin. Peter SAGER, „Es kommt darauf an, Utopie zu leisten. Interview mit DDR-Künstler Werner Tübke“, in: Die Zeit, Nr. 11, vom 10.03.1978, zitiert in: MICHALSKI, Utopie (wie Anm. 15), S. 120, Anm. 54. Tübke spricht von der „metaphorische[n] Interpretation einer ganzen Epoche“. Werner TÜBKE, Zur Arbeit am Panoramabild in Bad Frankenhausen (DDR), in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 42 (1985), S. 303–306, hier S. 303.

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wickelte er eine Bildwelt, die sich inhaltlich, motivisch und stilistisch an jene des späten 15. und 16. Jahrhunderts anlehnt. Dabei griff er auf Vorlagen der fraglichen Zeit zurück, die das religiöse, politische, gesellschaftliche und alltägliche Leben sowie die entsprechenden Vorstellungen von der Welt und dem Weltenlauf beschreiben. So verbinden sich reale Alltags- oder auch Kampfesszenen mit teuflischen und närrischen Wesen, Chimären und Allegorien. Das Rund des Panoramas entspricht dem Lauf der Dinge, dem Lauf der Jahreszeiten und hat weder ein Anfang noch ein Ende.

2. Vorbereitende Studien Die Entwicklung eines Gemäldes mit derlei Dimensionen, was Größe, Szenenund Figurenreichtum betrifft, erfordert in der Regel zeichnerische Vorstudien, in denen Kompositionen angelegt, Zusammenhänge geklärt und Details studiert werden. Aus den Jahren zwischen 1976 und 1978/79, der sog. „Anreicherungsphase“, hat Werner Tübke zahlreiche Zeichnungen, thematisch passende Gemälde und Lithografien hinterlassen, die im Zusammenhang mit dem Staatsauftrag stehen.24 Der Hauptschaffenszeitraum für die zeichnerischen Studien lag den überlieferten, stets datierten Bildern zufolge jedoch nur in den Jahren 1976 und 1977. Betrachtet man sich die Zeichnungen näher, so fällt anhand der gebrauchten Techniken wie auch der Anlage der Skizzen auf, dass es verschiedene Arbeitsphasen gab.25 Im Jahre 1976 bestimmten in Bleistift, Graphit und Feder ausgeführte Einzel- oder auch Gruppenstudien, teilweise weiß gehöht oder auch laviert, das Œuvre des Malers. Einige der dargestellten Sequenzen tauchen im Panorama wieder auf, Übereinstimmungen vor allem kompositorischer Art sind aber eher seltener Natur. Man betrachte beispielsweise die weiß gehöhte Federzeichnung auf grauem Papier (Z 44/76) mit einer Ansammlung von verschiedenen Personen vor einer felsigen Landschaft (siehe Farbabb. 7). Die schwangere Frau in der vordersten Figurenreihe findet sich im Panorama, frontal zum Betrachter gedreht, im Vordergrund des Winterbildes wieder (siehe Farbabb. 8). Der in der Zeichnung direkt hinter ihr platzierte Verurteilte auf dem Rad mit dem zu ihm emporblickenden Einbeinigen erscheint demgegenüber im Panorama in der obersten Zone des Winters, der sog. Weihnachtsnacht. Auf der 24 Die Aussagen über die genaue Anzahl von Zeichnungen, Gemälden und Lithographien variieren. Siehe dazu die Ausführungen in: BEHRENDT, Panoramabild (wie Anm. 12), S. 147 f. 25 Ich danke an dieser Stelle Herrn Gerd Lindner, Bad Frankenhausen, der mich auf die Möglichkeit der phasenweisen Aufteilung der Zeichnungen aufmerksam machte.

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rechten Seite des Skizzenblattes ist zudem ein Mann abgebildet, der mit seinem Stock weit ausholend die Trommel schlägt; dieser war möglicherweise Vorbild für den direkt neben Thomas Müntzer stehenden Trommler in der Bad Frankenhausener Schlachtszene (siehe Farbabb. 9). Im Jahr 1977 treten zu den Graphitzeichnungen in Rötel gefertigte Skizzen, die nun auch kurze Erklärungen im Bild oder an den Rändern aufweisen. Bei Letzteren hat Tübke die Bildebene durch einen Unterstrich definiert und darunter ebenfalls Informationen zu den darüber abgebildeten Einzelszenen notiert. Ein Vergleich mit dem fertigen Gemälde zeigt, dass der Maler von der dort angegebenen Reihenfolge und Verteilung der Szenen noch einmal abgewichen ist. Partiell hat er wie schon bei den Zeichnungen von 1976 Szenerien vollständig oder in Teilen weggelassen, allerdings geschah dies seltener. Überhaupt nahm er in diesen Blättern Elemente aus den im Jahr zuvor entstandenen noch einmal auf. So wiederholte er auf Blatt Z 94/77 (siehe Farbabb. 10) den auf ein Rad gefesselten Mann mit dem Einbeinigen. Die Anordnung der beiden Figuren nimmt die Bad Frankenhausener Endfassung voraus, und der „suchende Mönch“ – im Panorama links der Szenerie – ist hier ebenfalls bereits in unmittelbarer Nähe zu finden.26 Man könnte von einer Weiterentwicklung der Bildidee sprechen, andererseits entstand bereits 1976 ein Gemälde (siehe Farbabb. 11),27 das eben jene Thematik aufgreift und noch stärkere Ähnlichkeiten mit dem Monumentalgemälde als die erst im folgenden Jahr angefertigte Rötelzeichnung hat. Möglicherweise prüfte der Künstler in der Zeichnung die Wechselwirkung der Szene mit anderen Figurengruppen, klärte somit die Abfolge von Sequenzen oder spielte mit den verschiedenen Elementen.28 Dennoch ist festzuhalten, dass in der Rötelzeichnung erprobte kompositorische Anlagen der

26 In der Endfassung wird hinter dem Baumstamm eine Hinrichtungsszene gezeigt. Diese ist in veränderter Form wiederum in der ersten Federzeichnung links neben dem Baumstumpf dargestellt. 27 Werner Tübke, „Die Weihnachtsnacht 1524“, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 1976, Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung, abgebildet in: Brigitte TÜBKE-SCHELLENBERGER (Hg.), Werner Tübke. Das malerische Werk. Verzeichnis der Gemälde 1976 bis 1999, [anlässlich der Ausstellung vom 24.7.–31.10.99, Panorama Museum Bad Frankenhausen], Dresden 1999, S. 60. In seinem Hellgrünen Tagebuch von 1974–1978 hielt der Maler den Schaffenszeitraum genau fest: 15.11.–8.12.1976. Vgl. TÜBKE, Tagebücher (wie Anm. 3), S. 286 f. 28 1982 direkt vor dem Beginn der Arbeiten in Bad Frankenhausen malte Tübke eine zweite Version der „Weihnachtsnacht 1524“ [Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A IV 575] in einem Maßstab von 1:2 der Endfassung, abgebildet in: JACOBI, Kunst (wie Anm. 20) S. 282, Nr. 558. Die Studie lehnt sich an das erste Gemälde von 1976 stark an, weist aber eklatante Unterschiede sowohl zur ersten Fassung als auch zum Monumentalbild auf. Die erste Fassung ist dem Endprodukt in Bad Frankenhausen wesentlich näher.

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Endfassung um ein Vielfaches näher stehen als noch die Skizzen aus dem Jahr zuvor. Neben diesen großformatigen und in der Regel vielfigurigen Blättern existieren Zeichnungen aus den Jahren von 1976 bis 1978/79, die eine geringere Szenenauswahl aufzeigen und bisweilen nur Porträtstudien gewidmet sind. Auffällig ist hier, dass sie seltener Aufnahme in das Bauernkriegspanorama fanden oder noch einmal derart verändert wurden, dass eine direkte Abhängigkeit schwerer nachzuweisen ist. Für viele Figurengruppen und Szenen im Panoramagemälde sind wiederum gar keine Studien oder Vorzeichnungen überliefert. Die 1976 und 1977 entstandenen Gemäldestudien wie die „Weihnachtsnacht 1524“, aber auch die schmale hochrechteckige Tafel mit der Darstellung der „Verspottung eines Ablasshändlers“29 und die „Tanzenden Bauern“30 hielten hingegen bereits grundlegende Kompositionsansätze fest, die bestimmend für die 1:10-Fassung werden sollten,31 obgleich Tübke die Figuren und Szenen in später angefertigten Zeichnungen nochmals variierte. Genau dieser Variationswillen und die immer wieder neuen Kombinationen während seiner zeichnerischen und malerischen Studien nach künstlerischen Vorlagen vergangener Jahrhunderte führten dazu, dass der Maler Figuren und Details, ja ganze Szenerien verinnerlichte. Tübke hat seine Ideen 1979–1981 also nicht komplett aus dem Stegreif auf die Tafeln der 1:10-Fassung gebracht. Der Künstler beschrieb 1988/89 in seinen „Erinnerungen an B.F. [Bad Frankenhausen]“ sein Vorgehen: Er habe in dem Bildgrund „eine Vorzeichnung [gesehen], sogar farbig, die Einer mir machte. Ich brauchte bloss nachzuzeichnen und auszufüllen“, auch die „Gesamtgliederung […] war mir während der Arbeit keineswegs sehr bewusst“.32 Ganz so unvorbereitet ging der Maler dennoch nicht ans Werk. Es existiert eine Skizze, die einer kompositorischen Abrollung der Szenen gleichkommt.33 Dass sie am Ende nicht mit den entstandenen Tafeln in Berlin und der Leinwand in Bad Frankenhausen übereinstimmt, macht deutlich, dass sich 29 Werner Tübke, „Verspottung eines Ablasshändlers“, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 1976, Städtische Museen der Hansestadt Rostock, Kunsthalle Rostock, abgebildet in: TÜBKE-SCHELLENBERGER, Verzeichnis (wie Anm. 27), S. 61. 30 Werner Tübke, „Tanzende Bauern“, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 1977, Städtische Museen der Hansestadt Rostock, Kunsthalle Rostock, Inv.-Nr. WVZ G 196, abgebildet in: ebd., S. 66. 31 Zu den Gemälden und ihrer Funktion als Vorstudien für die „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ siehe auch: BEHRENDT, Panoramabild (wie Anm. 12), S. 151–155. 32 TÜBKE, Tagebücher (wie Anm. 3), S. 350. 33 Werner Tübke, „Wandabwicklung, Selbstbildnis, Frauen verhöhnen Pfaffen“, 1977, Bleistift auf Bütten, Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. ZL 95/7080. Die die Pfaffen verhöhnenden Frauen zeigen dagegen eine hohe Übereinstimmung mit dem Resultat im Winterbild in Bad Frankenhausen.

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Tübke in einem ständigen Schaffensprozess befand, der erst mit der Endfassung abgeschlossen wurde.34 Doch woher nahm Tübke seine Ideen und Vorlagen? Nach welchen Kriterien wählte er diese aus? Wie entstanden Kombinationen verschiedener Quellen? Bei näherer Betrachtung erweisen sich die auffällig vielen Zitate aus der Bilderwelt des 15. und 16. Jahrhunderts als ein weiterer Baustein in dem Arbeitsprozess des Malers. Ein vom Panorama Museum geführter Zitatenkatalog weist inzwischen 191 Einträge auf.35 Zieht man die überlieferten Zeichnungen mit heran, die darüber hinaus Szenen beinhalten, die keine Aufnahme in die „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ fanden, dürfte die Zahl noch einmal beträchtlich steigen.

3. Vorbilder Bekannt ist, dass sich Tübke in die Geschichte der Reformation, des Bauernkrieges, der Buchillustrationen und Flugpublizistik einlas, er sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu Kolloquien und Arbeitsgesprächen mit Historikern wie den Professoren Manfred Bensing und Siegfried Hoyer traf und mit zeitgenössischen, vor allem graphischen Quellen arbeitete. In einer Rede, die er anlässlich der ihm verliehenen Ehrenpromotion 1985 hielt, erläuterte der Maler seine Vorgehensweise: [I]ch begann […] neben dem Lesen sofort zu zeichnen […] und vermied so einen befürchteten Zustand: Erst historische Aneignung, dann künstlerische Produktion. Diese Arbeitsphase ist mir im Nachhinein rätselhaft. Es war, im Gegensatz zu meiner sonstigen kunstgeschichtlichen Arbeit, nie wissenschaftliche Arbeit im eigentlichen Sinn, vielmehr träumte ich mich durch die Texte durch, nahm vieles nur ins Kurzzeitgedächtnis, 34 Zwischen der 1:10- und der Endfassung gibt es noch ein paar wenige Unterschiede. Am eklatantesten ist die Änderung der Person zwischen Dürer und Cranach. Einst war dort laut Inschrift in Tübkes Unterzeichnung zur 1:10 Fassung Willibald Pirckheimer zu sehen (vgl. die fotografische Zwischenaufnahme von Viola Boden, Tübke-Stiftung Leipzig); bei der vorbildgebenden Zeichnung handelt es sich aber sicher um das Selbstporträt Hans Burgkmairs d. Ä., das in der Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 23008, aufbewahrt wird. Nach kritischen Anmerkungen der Gutachter, ob der „ein wenig unterbewertet[en]“ Würdigung Martin Luthers, kommt der Reformator schließlich an besagter Stelle ins Bild. Manfred BENSING/Siegfried HOYER, Gutachten über den 1:10 Wandbildentwurf von Prof. Werner Tübke für die „Panorama-Gedenkstätte“ in Bad Frankenhausen, 6.5.1981, eingesehen im Panorama Museum. 35 Ich danke vielmals Herrn Lindner und Frau Huthmacher, Bad Frankenhausen, für die Zurverfügungstellung der nicht publizierten Auflistung. Einige Vorbilder gab schon BEHRENDT, Panoramabild (wie Anm. 12), Kap. 8, an, der seinerseits mit dem vom Panorama Museum zur Verfügung gestellten Material arbeitete.

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zeichnete Figurengruppen, vergaß streckenweise völlig das Ziel, Fragmente fanden später an geeigneter Stelle ihren Platz.36

Eine in seinem Tagebuch am 2. November 1977 hinterlassene Liste mit den für das Panorama „gelesene[n] bzw. benutzte[n] Bücher[n]“ gibt die Richtung vor, wo der Maler seine Vorlagen fand. Die Liste umfasst 17 Publikationen, die mit Ausnahme der letzten Nummer allesamt mehr oder minder richtig mit Titel, teilweise mit Autor und/oder Erscheinungsjahr und Verlag angegeben sind. Es handelt sich bei diesen mehrheitlich um damals aktuelle Literatur zur Thematik aus den Jubiläumsjahren zwischen 1967 und 1975/76.37 Ein Teil dieser Publikationen ist reich mit Holzschnitten aus der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts illustriert. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Zeichnungen, so liegt es nahe zu vermuten, Werner Tübke habe in erster Linie mit jener stark bebilderten Literatur gearbeitet, die sich auf die Kunst und Zeitgeschichte des 15. und vor allem des 16. Jahrhunderts bezieht. Beispielhaft ist noch einmal auf die bereits vorgestellte Rötelzeichnung einzugehen (siehe Farbabb. 10), in der verschiedene Szenen inhaltlich zusammenhangslos, jedoch in einer Bildebene so vereint sind, dass vermeintlich die Idee einer Narration auftreten könnte. Auffällig ist hier die Häufung von Szenen, die Flugblättern entnommen wurden: Oben auf dem Baum findet sich „Des Teufels Sackpfeife“ nach Erhard Schöns Vorlage von 1530–1535 wieder,38 rechts daneben die Darstellung der neun Musen aus Georg Pencz’ Flugblatt „Die Klage der Neun Musen über Deutschland“ von 1535 (siehe Farbabb. 12),39 darunter „Der zugrunde gerichtete Handwerker“ von Peter Flötner, ebenfalls um 1535 datiert (siehe Farbabb. 13),40 und rechts 36 Ehrenpromotion für Prof. Werner Tübke. Erwiderung von Professor Werner Tübke, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 35 (1986), H. 5, S. 506–509, hier S. 508. 37 Die Liste ist abgedruckt in: TÜBKE, Tagebücher (wie Anm. 3), S. 295 f. 38 Erhard Schön (zugeschr.), „Des Teufels Sackpfeife“, um 1530–1535, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 37,2, abgebildet in: Ingeburg NEUMEISTER, Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges. 50 Blätter aus der Sammlung des Schlossmuseums Gotha, Leipzig 1976, S. 88, Nr. B 16, zuletzt behandelt in: Bernd SCHÄFER/Ulrike EYDINGER/Matthias REKOW, Fliegende Blätter. Die Sammlung der Einblattholzschnitte des 15. und 16. Jahrhunderts der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, 2 Bde., hg. von der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Stuttgart 2016, Nr. 238. 39 Georg Pencz, „Die Klage der Neun Musen über Deutschland“, 1535, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 37,10, abgebildet in: NEUMEISTER, Flugblätter (wie Anm. 38), S. 85 f., Nr. B 13, zuletzt behandelt in: SCHÄFER/EYDINGER/REKOW, Fliegende Blätter (wie Anm. 38), Nr. 359. 40 Peter Flötner, „Der zugrunde gerichtete Handwerker“, um 1535, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 40,47, abgebildet in: NEUMEISTER, Flugblätter (wie Anm. 38),

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daneben, nur ausschnitthaft ausgeführt, die 1523 datierte Darstellung von Mönch und spinnendem Esel von Leonhard Beck.41 Alle erwähnten Figuren sind Flugblättern aus dem Kupferstichkabinett der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha entnommen. Wenn Tübke, wie er sagte, zeichnenderweise wissenschaftliche Literatur zur Aneignung der historischen Gegebenheiten und Bildsprache las, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sich hinter der in seinem Tagebuch genannten Publikation Nr. 17 „Flugblattschriften der Bauernkriegszeit“ die 1976 erschienene Faksimile-Ausgabe von Ingeburg Neumeister verbirgt. In dieser sind 50 Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges aus dem Bestand des Schlossmuseums Gotha versammelt und großformatig publiziert,42 darunter alle auf der Zeichnung erwähnten Motive wie auch weitere im Frankenhäuser Panorama fertig ausgeführte und von Flugblättern herrührende Szenen.43 Der Künstler hatte geäußert, er würde zuerst „behutsam sachklärend, dann zusammenhängend fabulierend“ zeichnen und sich damit der Komposition annähern.44 Die ersten Zeichnungen entstanden, während er las, und so bleibt es nicht umhin, in diesen Zeichnungen der ersten Phase klärende, sich in die Bildwelt des 16. Jahrhunderts einfühlende Skizzen zu sehen, deren Szenen und Figuren nicht alle Platz im Panoramagemälde gefunden haben oder bisweilen noch einmal verändert wurden. Die neun Musen begegnen einem heute in der Herbstlandschaft allein, ohne ihren Reiter, an den sie ihre Klage über die Verdorbenheit und die geringe Wertschätzung der Künste in Deutschland einst richteten (siehe Farbabb. 14). Obgleich in Bronze gegossen oder in Stein gehauen, führt sie ihr Weg an den Beginn der menschlichen Sünde zu den beiden ersten Menschen, die der Versuchung nachgaben und damit das Paradies verrieten, was zu der Aussaat und dem Wachstum von Ständen führte.45 Fernerhin fand der zugrunde gerichtete Handwerker Aufnahme in Tübkes Szenerie

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S. 82 f., Nr. B 10, zuletzt behandelt in: SCHÄFER/EYDINGER/REKOW, Fliegende Blätter (wie Anm. 38), Nr. 356. Leonhard Beck, „Mönch und Esel“, 1523, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.Nr. 40,52, abgebildet in: NEUMEISTER, Flugblätter (wie Anm. 38), S. 75, Nr. B 2, zuletzt behandelt in: SCHÄFER/EYDINGER/REKOW, Fliegende Blätter (wie Anm. 38), Nr. 391. NEUMEISTER, Flugblätter (wie Anm. 38). Es gibt keine Hinweise darauf, dass Tübke jemals die Gothaer Sammlung zu Studienzwecken aufsuchte. In seinen Tagebüchern finden sich keine Hinweise auf eine Fahrt nach Gotha. Weder die Mitarbeiter der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, die in den 1970er Jahren bereits am Museum angestellt waren, erinnern sich an einen Besuch des Künstlers, noch belegen die Besucherbücher dessen Aufenthalt. Ehrenpromotion (wie Anm. 36), S. 508. Auch die Vorlage für die Ackerszene ist den Gothaer Flugblättern und der Publikation von Neumeister entnommen. Vgl. NEUMEISTER, Flugblätter (wie Anm. 38), S. 102, Nr. B 36, zuletzt behandelt in: SCHÄFER/EYDINGER/REKOW, Fliegende Blätter (wie Anm. 38), Nr. 233.

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der Sommerlandschaft (siehe Farbabb. 15), wo er für sich stehend, jedoch im Gefüge vieler einzelner Szenen, die in den Bereich der Zeitenklage, der Versuchungen und der polemischen Auseinandersetzungen einzuordnen sind, aufgenommen wurde. Des Teufels Sackpfeife ebenso wie der Mönch und der spinnende Esel wurden hingegen in der Endversion nicht mehr berücksichtigt. Neben den Motiven der Flugblätter taucht noch eine Vielzahl von Figuren und Gerätschaften auf, die ein genaues Studium besonders druckgraphischer Vorbilder verraten. An dieser Stelle ist ein weiteres Buch aus der Liste der von Tübke konsultierten Literatur hervorzuheben, das vornehmlich auch auf visuelle Art und Weise den Künstler angesprochen haben mag. Es handelt sich hierbei um die „Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“, die von dem Autorenkollektiv Adolf Laube, Max Steinmetz und Günter Vogler 1974 herausgegeben wurde.46

Abb.1: Abbildung einer Wasserhebemaschine in Georg Agricolas Schrift „De re metallica“, 1556 46 Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974.

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Das Buch ist, wie der Titel bereits vermuten lässt, reich bebildert. Überwiegend sind darin Holzschnitte und Kupferstiche aus dem 16. Jahrhundert mit Rückgriffen und Ausblicken auf weitere Jahrhunderte abgedruckt. Bei dieser Ausrichtung des Buches ist es wenig verwunderlich, dass viele Illustrationen ins Auge fallen, die Werner Tübke für seine Studien und später auch für das Gemälde benutzt und verarbeitet hat. Dies trifft beispielsweise auf die Darstellung der „Bulgenkunst mit Tretradantrieb“ (Wasserhebemaschine) auf S. 15 zu, die ursprünglich aus Georg Agricolas „De re metallica“ stammt47 und die im Gemälde in fast identischer Manier zwischen Schlachtgeschehen und Sommerwiese direkt vor der Darstellung einer Druckerei wieder auftaucht (siehe Abb. 1 und Farbabb. 16). Die Druckerei ist übrigens ebenfalls in der „Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“ auf Seite 218 zu finden. Ursprünglich illustrierte der Kupferstich die „Historische Chronica oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt biss auff das Jahr Christi 1619 zugetragen“ von Johann Ludwig Gottfried (Abb. 2).48

Abb. 2: Abbildung einer Druckerei in der „Historischen Chronica“, 1619 47 Georgius AGRICOLA, De Re Metallica Libri XII. Qvibus Officia, Instrumenta, Machinæ, ac omnia deniq[ue] ad Metallicam spectantia, Basel 1556 (VD16 A 933), S. 155. 48 Johann Ludwig GOTTFRIED, Historische Chronica oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt biss auff das Jahr Christi 1619 zugetragen, 6. Teil, [o. O.] 1710, S. 663. Der Kupferstich ist an Jost Ammans Darstellung einer Druckerei im Ständebuch von Hans Sachs orientiert. Vgl. Hans SACHS, Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln. Durch d. weitberümpten Hans Sachsen gantz fleissig beschrieben u. in teutsche Reimen gefasset, Frankfurt am Main 1568 (VD16 S 244), S. F iiir.

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Hat Tübke in diesen Beispielen mehr oder weniger gesamte Kompositionen übernommen, so entsprach dies aber nicht seiner üblichen Vorgehensweise. Vielfach finden sich einzelne Figuren, aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst, in seinem Gemälde wieder wie beispielsweise der Müller, der neben Bauern und Händlern, die ihren unterschiedlichen Berufen nachgehen, Korn in einen Trog füllt (siehe Farbabb. 17). Die Vorlage zu diesem Mann stammt aus der Radierung „Kornwucher“ von Daniel Hopfer von 1534 (Abb. 3),49 die ebenfalls in der „Illustrierten Geschichte“ abgebildet ist.50

Abb. 3 Daniel Hopfer, „Kornwucher“, Radierung, 1534

Vor dem Müller ist im Gemälde ein Feldarbeiter zu sehen, der einen Weidenzaun anlegt. Diesen hat zuerst ein unbekannter Meister in der Darstellung des Obst- und Weinanbaus in Sebastian Brants Ausgabe von Vergils „Georgica“ festgehalten (Abb. 4).51 Die im Panorama ihn umgebenden Figuren, ein Schafscherer und ein Fischverkäufer, illustrieren auch die „Georgica“ von 1502 und sie sind diesmal sogar in einem Bild xylographiert (Abb. 5).52 49 Daniel Hopfer, „Kornwucher“, 1534, Radierung, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 60,22. 50 LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 46), S. 361. 51 Unbekannter Meister, „Darstellung bäuerlicher Arbeit. Obst- und Weinbau“, Holzschnitt, in: Publius VERGILIUS MARO, Opera. Georgica, 2. Buch, hg. von Sebastian BRANT, Straßburg 1502 (VD16 V 1332), fol. LXXVv. 52 Unbekannter Meister, „Darstellung bäuerlicher Arbeit. Viehzucht“, Holzschnitt, in: ebd., 3. Buch, fol. XCVIIIr.

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Abb. 4: Darstellung bäuerlicher Arbeit: Obst- und Weinbau in der „Georgica“, 1502

Abb. 5: Darstellung bäuerlicher Arbeit: Viehzucht in der „Georgica“, 1502

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In der „Illustrierten Geschichte“ finden sich beide Holzschnitte direkt auf einer Seite untereinander gedruckt.53 Ist es möglich, dass sich der Künstler bei seiner Komposition direkt von dem Angebot der Bilder in den von ihm konsultierten Büchern leiten ließ? Die beiden Holzschnitte ebenso wie die zuvor aufgeführten könnte Tübke natürlich auch in anderen Publikationen abgebildet gefunden haben. Auch wäre es denkbar, dass er die Vergil-Ausgabe von 1502 zu greifen bekam; sie ist schließlich in Leipzig sowohl in der Universitätsbibliothek wie auch im Deutschen Schrift- und Buchmuseum vorhanden.54 Doch auch bei vorbildgebenden Holzschnitten des Petrarca-Meisters, die in der „Illustrierten Geschichte“ auf zwei gegenüberliegenden Seiten abgedruckt sind (Abb. 6),55 lassen sich auffallende Figurenentnahmen und -neukombinationen in der bereits herangezogenen Zeichnung Z 44/76 entdecken (siehe Farbabb. 7). Die schwangere Frau bei Tübke und möglicherweise auch der hinter ihr stehende Einbeinige sind dem Holzschnitt „Notleidende in der Stadt“ entnommen. Der nach links Reitende mit dem segnenden Gestus begegnet einem in der Xylographie „Überfall eines Ritters auf einen Bauernhof“ des Petrarca-Meisters wieder.56 Beide Holzschnitte sind im Buch von 1974 nur durch eine Textkolumne getrennt.

Abb. 6: Petrarca-Meister, „Überfall eines Ritters auf einen Bauernhof“ und „Notleidende in der Stadt“, 1519/20 (abgebildet auf S. 112/113 in der „Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“)

53 LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 46), S. 34. 54 Vgl. die Angaben im VD16: www.gateway-bayern.de/VD16+V+1332 (letzter Zugriff: 17.8.2018). 55 LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 46), S. 112 f. 56 Petrarca-Meister, „Überfall eines Ritters auf einen Bauernhof“ und „Notleidende in der Stadt“, 1519/20, in: Francesco PETRARCA, Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, hg. von Sebastian BRANT, Augsburg 1532, 1. Buch, Kap. LXII, fol. LXXVIIIr u. 2. Buch, Kap. 8, fol. Xv.

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Abb. 7: Selbstbildnisse Tilmann Riemenschneiders vom Creglinger Altar, Peter Vischers d. Ä. am Sebaldusgrab und Adam Krafts am Sakramentshäuschen in St. Lorenz in Nürnberg (nebeneinander abgebildet auf S. 76/77 in der „Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“)

Auch die Persönlichkeiten, die im Zeitalter von Reformation und Renaissance in Wissenschaft, Kultur und Theologie bedeutende Leistungen vollbracht haben und im Gemälde unterhalb Müntzers rund um einen Brunnen versammelt sind, finden sich in der „Illustrierten Geschichte“ wieder: Der Abbildung Tilmann Riemenschneiders, eines Selbstporträts des Künstlers aus dem Creglinger Altar, folgen Fotos der Selbstbildnisse der Bildhauer Peter Vischer d. Ä. und Adam Kraft (Abb. 7).57 Im Bauernkriegsgemälde tauchen die drei Personen in veränderter Reihenfolge nebeneinander auf (siehe Farbabb. 18). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang aber besonders das abgebildete Konterfei Peter Vischers. Bei dessen Selbstbildnis am Sebaldusgrab in Nürnberg handelt es sich um eine Nischenfigur, die nur von links oder rechts aufgenommen werden kann, da sie direkt hinter einer Säule platziert ist. Der in der Publikation wiedergegebene Aufnahmewinkel entspricht jenem, in dem auch Tübke den Bildhauer festhielt. Noch interessanter gestaltet sich allerdings die Darstellung von Paracelsus, der im Bauernkriegspanorama einem Verletzten einen Verband um den Kopf legt (siehe Farbabb. 19). Das Vorbild für das Porträt ist leicht ausgemacht: ein Kupferstich, der im Zusammenhang mit seinem Tod nach 1541 publiziert wurde und der sich auf S. 373 in der „Illustrierten Geschichte“ wiederfindet.58 Für die Handlung von Paracelsus im Panorama ließ sich Tübke von der direkt 57 LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 46), S. 76 f. 58 Unbekannter Meister, „Epitaphium Avreolvs Philippvs Theophprastvs, gen. Paracelsus“, nach 1541, Zürich, Zentralbibliothek, Graphische Sammlung und Fotoarchiv. https://www.graphikportal.org/document/gpo00153720 (letzter Zugriff: 14.5.2018).

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im Buch darunter befindlichen Abbildung – ein Titelblatt einer Publikation von Paracelsus59 – inspirieren (Abb. 8). Dort versorgt ein Wundarzt einen vor ihm auf einem Schemel sitzenden Verletzten. Auch die Kleidung von Paracelsus stellt sich in Tübkes Werk als eigenwillige Mischung der beiden vorbildgebenden Graphiken dar. Eine solche Kombination ist wohl nur unter dem Eindruck der gleichzeitigen Betrachtung dieser Abbildungen zu erwarten, was kaum besser als in der „Illustrierten Geschichte“ möglich war, wo beide Abbildungen untereinander abgedruckt sind.

Abb. 8: Porträt von Paracelcus (unbekannter Künstler, nach 1541) und die Titelseite von Paracelsus’ Schrift „Der grossen Wundartzney“, Frankfurt am Main 1562 (untereinander abgebildet auf S. 373 in der „Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“)

Die Beispiele zeigen, dass der Maler die ihm sicher von den beratenden Historikern empfohlene Literatur auf besondere Art genutzt hat. Als Bildvorlagen und Ideengeber fanden speziell jene Bücher das Interesse Tübkes, die viel Anschauungsmaterial boten, und dies waren Publikationen zum Buchschmuck, zur Druckgraphik oder auch zu den Einblattdrucken und Flugblättern mit illustrati-

59 PARACELSUS, Erster Theil Der grossen Wundartzney deß weitberhümpten/ bewerten/ vnnd erfahrnen/ Theophrasti Paracelsi von Hohenheim/ der Leib vnnd Wundartzney Doctoris […], Frankfurt/M. 1562 (VD16 P 458). In der „Illustrierten Geschichte“ ist das abgedruckte Titelblatt fehlerhaft mit „1537“ datiert. In jenem Jahr erschien erstmalig die Publikation von Paracelsus, bebildert ist sie dort jedoch mit anderen Holzschnitten.

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ven Graphiken aus jener Zeit. Der Künstler las nicht nur die Texte,60 er schulte seinen Blick, seinen Stil und seine Erfindungs- und Kombinationsgabe an eben jenen Abbildungen, indem er sie gleichzeitig mit Bleistift, Feder oder Rötel auf das Papier brachte. Als er nach dieser „Anreicherungsphase“ von 1976– 1978/79 schließlich seine 1:10-Fassung malte, gab es anscheinend keine genau diese Komposition vorbereitenden Studien. Werner Tübke arbeitete mit der Erfahrung der vergangenen Jahre, mit den verinnerlichten Figuren und Szenen, die er immer wieder in den Skizzenblättern und Gemälden neu kombiniert hatte. Als Vorbilder, Anschauungsmaterial bzw. Erinnerungsstützen dienten ihm in dieser Phase die Bücher.

Abb. 9: Werner Tübke bei der Schaffung der 1:10-Fassung im Leipziger Schillerweg 1 Ein Foto mit der Aufnahme des Studios im Schillerweg 1 zeigt neben dem Maler vor der entstehenden 1:10-Fassung einen Büchertisch mit der genannten und darüber hinausführenden Literatur, die sich mit der Kunst des 15. und 60 „Soviel habe ich eigentlich gar nicht gelesen […] Ausführungen darüber [wie die Historiker heute die Zeit definieren] habe ich nie zuende gelesen, hat kein Interesse bei mir gefunden“, so Tübke im Rückblick in seinen „Erinnerungen an B.F. [Bad Frankenhausen]“ 1988/89, in: TÜBKE, Tagebücher (wie Anm. 3), S. 349.

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16. Jahrhunderts befasst (Abb. 9). Das Buch „Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges“ ist am hinteren, linken Rand des Tisches zu entdecken, die großen faksimilierten Aufnahmen möglicherweise in der Mitte des Tisches; die „Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“ liegt vorn an der linken Ecke mit zahlreichen Lesezeichen im Buch. Sicher, der Maler befand sich bereits in einer Arbeitsphase, die keine kompositorischen Vorzeichnungen mehr verlangte. Die Untermalungen waren in diesem Stadium bereits auf die Tafeln gebracht. Um der Einzelheiten Willen scheint sich Tübke aber noch einmal der Vorlagen in den Büchern bedient zu haben. Die Untermalungen boten nicht die Detailfülle einer sich auch in stilistischer Hinsicht an das 15. und 16. Jahrhundert anlehnenden Malerei. Werner Tübke wollte sein monumentales Werk, die „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ in Bad Frankenhausen, als Beitrag zur zeitgenössischen Kunst verstanden wissen, als ein Produkt einer sich aus der kunstgeschichtlichen Vergangenheit entwickelnden Kunst. Um sich selbst in die Epoche einzudenken, studierte er intensiv die Kunst jener Zeit, indem er Zeichnungen anfertigte, in denen er die vorbildgebenden Motive immer wieder neu und miteinander kombinierte. Diese Zeichnungsblätter, die sich in verschiedene Entstehungsphasen einteilen lassen, sind als Vorstudien, ohne Anspruch auf exakte kompositionelle Vorlagen zu begreifen. Sie zeigen in Teilen immer wieder Figurengruppen oder Sequenzen, die derart in die Endfassung des Panoramagemäldes übernommen wurden. Zusammen mit den von Tübke konsultierten Büchern bieten sie einen direkten Einblick in das Schaffen des Künstlers, gerade weil sie die Illustrationen in den Büchern wiederholen und neu kombinieren. Wir erahnen Werner Tübkes Vorgehensweise und blicken damit gewissermaßen direkt in sein Atelier, in dem er lesenderweise Zeichnungen anfertigte.

GÜNTER VOGLER BAUERNKRIEG UND BÄUERLICHER WIDERSTAND

Bauernkrieg und bäuerlicher Widerstand Eine persönliche Sicht auf Forschung und Erinnerungskultur

In memoriam Peter Blickle (1938–2017) Zu jeder Zeit wurden und werden in der Forschung und von der Öffentlichkeit Themen favorisiert, die oftmals von Jahrestagen diktiert werden. Das erleben wir gegenwärtig mit der Reformationsdekade, die im Lauf der Jahre zu einer Lutherverehrung schrumpfte. Damit wurde jedoch die Chance vergeben, die historischen Prozesse eingehender zu untersuchen, die von den frühen reformatorischen Bewegungen ausgelöst wurden. Das gilt auch für die bisher keineswegs in allen Facetten beantwortete Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg. Dahinter verbirgt sich ein generelles Problem. Jerome Blum (1913–1993), Historiker der Princeton University, publizierte 1982 einen Band mit dem Titel: „Our Forgotten Past. Seven centuries of life on the land“.1 Für die Menschen des 21. Jahrhunderts sind angesichts der industriellen Entwicklung mit ihren sozialstrukturellen Folgen Bauern, bäuerliches Leben und ländliche Kultur eine weitgehend fremde Welt geworden. Die Verantwortung dafür, „daß das Bild der Vergangenheit in unserer Erinnerung verschüttet ist“, sieht Blum bei den Wissenschaftlern, die primär die charakteristischen Züge der städtischen und industriellen Zivilisation in den Mittelpunkt ihrer Forschungen rückten. „Indem sie dies taten, überantworteten sie die Geschichte der großen Mehrzahl aller Menschen, die je gelebt haben, dem Vergessen.“2 Mag dieses Urteil auch übertrieben sein, so birgt es doch einen wahren Kern. Die Historiographie der letzten Jahrzehnte vermittelt meines Erachtens nicht adäquat, dass über Jahrhunderte bäuerliches Leben und bäuerlicher Widerstand den größeren Teil der europäischen Gesellschaft prägten. Diese Situation veranlasst mich, einige Beobachtungen und Erfahrungen zu den 1

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Vgl. Jerome BLUM (Hg.), Our Forgotten Past. Seven centuries of life on the land, London 1982. Der Titel der deutschen Ausgabe wird diesem Anliegen nicht gerecht: DERS. (Hg.), Die bäuerliche Welt. Geschichte und Kultur in 7 Jahrhunderten, Frankfurt am Main 1983. DERS., Einleitung, in: ebd., S. 7.

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Themen Bauernkrieg, bäuerlicher Widerstand und Erinnerungskultur festzuhalten, um weitere Forschungen anzuregen.

1. Der Bauernkrieg als Thema der Rezeptionsgeschichte Wer sich mit dem Bauernkrieg beschäftigt, greift zuerst auf die seit dem 19. Jahrhundert edierten Akten und anderen Quellen und die sie interpretierenden Darstellungen zurück.3 Wer indes fragt, welches Bild unmittelbar nach dem Bauernkrieg der Öffentlichkeit vermittelt wurde, wird nicht primär über Ursachen, Ziele und Folgen informiert, sondern auf die Rolle Martin Luthers verwiesen. Als der altgläubige Theologe Johannes Cochlaeus (1479–1552), damals Dekan am Stift Unser Lieben Frauen in Frankfurt am Main, seiner „Antwort auf Luthers Schrift ‚Wider die Reubischen und Mordischen rotten der Bauren‘ “ (Köln 1525) eine kurze Übersicht zum Verlauf des Bauernkriegs beifügte, beabsichtigte er, Luther als dessen Urheber bloßzustellen: Das aber der gemeyn man allenthalben in hohen Teutschlandt […] also tobt und aufrurig ist, das kumpt eygentlich auß deinem falschen und aufrurischem evangelio, dan ehe du geschr[i]eben hast, seind die bawrn still gehorsam und gotsfortig [gottesfürchtig] gewest. Aber deine vil aufrurische bucher, mit hylf deiner gesellen […] bringen uns Teutsche in solche schand, schaden, jamer und ewigs verderben. Ir habt dem armen volck so lang und so heftig furgepredigt und furgeschryben felschlich von Gots wort und cristlicher fryheit, bys das yr [sie] gar tobend und unsynnich gemacht habt.4

Interpretiert man diese Worte freimütig, dann wird hier indirekt das Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg angesprochen. Während Luther und seine Anhänger vor allem Thomas Müntzer die Schuld an dem Aufruhr zuwiesen, beharrten die Altgläubigen auf der Denunziation Luthers. So urteilte denn auch 1559 Jaspar Gennep (um 1500–1564), Buchdrucker und Verleger in Köln und Verfasser und Übersetzer zahlreicher Schriften, in einer Polemik gegen Johannes Sleidans Werk „De Statu Religionis Et Reipublicae, Carolo Quninto, Caesare, Commentarij“ (Straßburg 1555), dieser wolle die Sache „von dem Luther uf den Thomam Münzer hangen“.5 Es liege aber zutage, dass dieser 3 4

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Vgl. Friedrich WINTERHAGER, Bauernkriegsforschung, Darmstadt 1981. Johannes COCHLAEUS, Antwort auf Luthers Schrift ‚Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern‘, in: Flugschriften der Bauernkriegszeit, hg. von Adolf LAUBE u. Hans Werner SEIFFERT, Berlin 1975, S. 378. Jaspar GENNEP, Epitome Warhaftiger Beschreibung der Vornembsten Händel / so sich in Geistlichen und Weltlichen sachen […] zugetragen und verlaufen haben, Köln 1559 (VD16 G 1244), S. 71.

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allein in Thüringen den Aufruhr verursacht habe, „Luther aber gantz Teutschlandt in die höchste gefahr bracht / und tausent mal mehe schadens / ufrurs verfurung / nit alleyn under den gemeyne Bawrs leuten / sonder auch Herren und Fürsten des Reiches zu verderblicher spaltung und rumor bewegt“.6 An den Bauernkrieg wurde folglich zunächst erinnert, um jeweils den Gegner zu beschuldigen, den Aufruhr verursacht zu haben. Diese Argumentation wurde lange Zeit tradiert, doch auf Dauer konnte das Verlangen nach einer fundierten Darstellung des Geschehens der Jahre 1524/25 nicht negiert werden. Einige Autoren bereiteten in fürstlichem Auftrag Darstellungen vor, die aber zunächst nicht publiziert wurden. Das gilt zum Beispiel für Peter Harer (* um 1480/1490),7 dessen Werk zwar handschriftlich verbreitet, aber erst ein Jahrhundert später gedruckt wurde.8 Eine erste, relativ sachlich gehaltene Darstellung veröffentlichte 1570 Petrus Gnodalius,9 von der Jakob Schlusser 1573 eine deutsche Übersetzung besorgte,10 deren Zweck er eindeutig beschreibt: „Dan ob wol solche verlofne handlung ein unsinniges / rasendes / ja teüflisches werck“ gewesen sei, müsse diese Geschichte allen Nachkommen bekannt gemacht werden. Denn dieses Exempel solle alle Prädikanten und geistlichen Obrigkeiten an ihre Pflicht erinnern, ihre Schäflein mit dem Wort Gottes zu versehen und sich nicht in weltliche Händel einzulassen. Aber auch die Obrigkeit solle ihres Amts gedenken.11 Eine neue Tonart wurde erst unter dem Einfluss der Französischen Revolution und in der folgenden Zeit angeschlagen, vor allem mit den Publikationen von Georg Sartorius (1765–1828)12 und später von Wilhelm Zimmermann 6 7

Ebd., S. 72. Harer war Schreiber, dann Botenmeister und schließlich Sekretär in der kurpfälzischen Kanzlei, nahm während der Aufstände am Zug Kurfürst Ludwigs V. nach Franken und an der Niederwerfung der Aufständischen in der Pfalz teil. 8 Vgl. Peter HARER, Eigentliche Wahrhafftige beschreibung deß bawrenkriegs […], Frankfurt 1625 (VD17 39:123679A). Das änderte sich auch nicht, als Jacob Holzwart, Schulmeister in Roggenburg bei Ulm, 1530 eine Darstellung verfasste: Jacob HOLZWART, Rustica seditio totius fere Germaniae. Diese wurde erst 1876 ediert. 9 Petrus GNODALIUS, Seditio Repentina Vulgi, Praecipue Rusticorum / anno M. D. XXV. tempore verno per universam fere Germaniam exorta, Basel 1570 (VD16 G 2283). 10 DERS., Der Peürisch und Protestierende Krieg. Das ist / Historischer / warhaftiger und grundlicher Bericht der Beurischen empörungen und aufrhur / so im Jar M.D.XXV. […] entstanden, zuvor in Lateinischer sprach durch Petrum Gnodalium beschrieben / jetzt aber in das Teutsch gebracht […] / Durch Jacob Schlussern von Suderburg, Basel 1573 (VD16 G 2284). 11 Ebd., fol. *2’f. 12 Georg SARTORIUS, Versuch einer Geschichte des deutschen Bauernkriegs oder der Empörung in Deutschland zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts, Berlin 1795 (VD18 15234649); Frankenthal 1795 (VD18 11944536). Vgl. dazu Wolfgang von HIPPEL,

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(1807–1878).13 Im Zeichen der liberalen, demokratischen und sozialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts gewann das Bauernkriegsbild allmählich neue Konturen.

2. Eine erste Gesamtdarstellung – Günther Franz Eine auf intensiven Forschungen beruhende Gesamtdarstellung legte 1933 Günther Franz (1902–1992) vor; sie erlebte bis 1984 zwölf Auflagen.14 Im Vorwort urteilt er, eine zusammenfassende wissenschaftliche Darstellung sei seit Wilhelm Zimmermanns Werk nicht mehr erschienen. Dessen Buch habe aber schon zu seiner Zeit nicht auf der Höhe der Forschung gestanden und sei heute völlig veraltet.15 Franz gliedert seine Darstellung nach den einzelnen Aufstandsgebieten, indem er die Aktionen der Aufständischen und ihrer Gegner detailliert beschreibt, die den Beschwerden und Artikeln zugrunde liegenden Absichten analysiert und auch die städtischen Bewegungen berücksichtigt. Die Grenzen seiner Interpretation fallen besonders in dem Teil über Thüringen auf.16 Er behauptet zum Beispiel, hier hätten die bäuerlichen Beschwerdeschriften gefehlt.17 Daraus schließt er, in dieser Region sei der Bauernkrieg „letzthin das Werk eines einzigen Mannes: Thomas Müntzers“.18 Das ist insofern nicht korrekt, weil auch aus dem Gebiet zwischen Harz und Thüringer

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Bauernkrieg, Französische Revolution und aufgeklärte Humanität. Zum Geschichtsbild des deutschen Bürgertums am Ende des 18. Jahrhunderts im Spiegel von Georg Friedrich Sartorius’ ‚Versuch einer Geschichte des Deutschen Bauernkriegs‘, in: Peter BLICKLE (Hg.), Bauer, Reich und Reformation, Stuttgart 1982, S. 309–329. Wilhelm ZIMMERMANN, Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges. Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen, 3 Teile, Stuttgart 1841–1843; ganz umgearbeitete Aufl., 2 Bde., Stuttgart 21856. Vgl. dazu Günter VOGLER, „Noch gehet sein Geist um in Europas Gauen“. Wilhelm Zimmermanns Thomas-Müntzer-Bild und die Rezeptionsgeschichte, in: Roland MÜLLER/Anton SCHINDLING (Hg.), Bauernkrieg und Revolution. Wilhelm Zimmermann. Ein Radikaler aus Stuttgart, Hohenheim 2008, S. 83–131. Günther FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, München 1933; München 21943; Darmstadt 41956; verbesserte und durch einen Bildanhang erweit. Aufl. Darmstadt 101975; Darmstadt 121984. Vgl. zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Laurenz MÜLLER, Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des ‚Dritten Reiches‘ und der DDR, Stuttgart 2004, S. 79–131. Zuerst veröffentlichte Franz eine Sammlung von Quellen: Der deutsche Bauernkrieg 1525, hg. in zeitgenössischen Zeugnissen von Günther FRANZ, Berlin 1926. FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 1. Aufl. München 1933, S. VI. Ebd., S. 394–446. Ebd., S. 434. Ebd., S. 437.

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Wald Beschwerdeartikel vorliegen und Untertanen sich auch an Orten erhoben, mit denen Müntzer nicht in Kontakt stand. Den Aufstand allein als dessen Werk auszugeben, erinnert zudem an die lange Zeit tradierte Auffassung, er habe das Geschehen in ganz Deutschland beeinflusst. Generelles Ziel der Aufstände sei es gewesen, so die Meinung von Franz, Staat und Reich auf der Grundlage der genossenschaftlichen Verbände neu aufzubauen. „Deutlich zeigen diese Ziele, daß sich die Bauernbewegung vom Boden des alten wie des Göttlichen Rechts hinweg zu einer wirklichen politischen Revolution entwickelt hatte, deren Träger der deutsche Bauer war. Die wirtschaftlichen Anliegen traten hinter den politischen Forderungen völlig zurück.“19 Verdienstvoll war es, dass nun eine fundierte Darstellung verfügbar war, die allerdings einseitig die politische Seite der Erhebungen hervorhob. Spöttisch urteilte deshalb John C. Stalnaker: Die Franz-Schule präsentiere „Rebellen mit Ideen, aber ohne materielle Bedürfnisse, mit vollen Köpfen, aber ganz ohne Magen“.20 In Vorwort schreibt Franz mit dem Blick auf die bisherige Literatur: „Bewußt oder unbewußt machten alle diese Arbeiten die Geschichte des Bauernkrieges politischen Zwecken dienstbar und versperrten sich damit den Weg zu wirklicher Erkenntnis.“21 Doch auch er hat sich „politischen Zwecken“ gefügt.22 Als er dieses Vorwort verfasste, war er schon einige Monate Mitglied der NSDAP und einiger weiterer faschistischer Organisationen,23 und er urteilte: Heute, „am Ende der ersten siegreichen deutschen Revolution, hat der Bauer im Dritten Reich endlich die Stellung im Leben der Nation gewonnen, die er schon 1525 erstrebte.“24 Und weiter: „Allerorten ist der Bauer im Aufbruch und stellt sich einmütig hinter den Führer unseres Volkes, der die ewigen Werte von Blut und Boden erkannt und dem Leben unseres Volkes dienstbar gemacht hat. Die Niederlage von 1525, durch die das Leben der Nation auf Jahrhunderte hinaus geschwächt und verarmt worden ist, ist ausgeglichen. Der Bauer hat sein Ziel erreicht. Er ist zum tragenden Pfeiler unseres Volkslebens geworden.“25 19 Ebd., S. 470. 20 John C. STALNAKER, Auf dem Weg zu einer sozialgeschichtlichen Interpretation des Deutschen Bauernkrieges 1525–1526, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.), Der Deutsche Bauernkrieg, Göttingen 1975, S. 38–60, hier S. 46. 21 FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 1. Aufl. München 1933, S. V. 22 Vgl. MÜLLER, Diktatur und Revolution (wie Anm. 14), S. 99–103. 23 Vgl. ebd., S. 80. 24 FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 1. Aufl. München 1933, S. V. 25 Ebd., S. 481. In der 2. Auflage heißt es dann: „Zum ersten Male seit der Reformation hat sich im Nationalsozialismus eine revolutionäre deutsche Bewegung unmittelbar an den Bauern gewandt und ihn damit in das politische Leben unseres Volkes wieder eingeschal-

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Ein Widerspruch zeichnet sich indes ab: Einerseits beugte Franz sich „politischen Zwecken“, indem er im Vorwort und im Schlussteil die Naziterminologie rezipierte. Andererseits erarbeitete er seine Darstellung vor Beginn der Naziherrschaft, so dass sein Text von deren Ideologie nicht beeinflusst wurde.26 Doch in faschistischen Zeitschriften veröffentlichte er mehrere kleinere Aufsätze.27 Die neue Situation nach dem Zweiten Weltkrieg veranlasste Franz, so ist im Vorwort zur vierten Auflage von 1956 zu lesen, dass er sich bei der Neuauflage darauf beschränke, „einige wenige zeitbedingte Sätze auf den Schlußseiten zu streichen und hie und da auf Grund des inzwischen erschienenen Schrifttums kleinere Berichtigungen vorzunehmen“.28 Wer sich mit dem Bauernkrieg beschäftigen wollte, konnte künftig daran nicht vorbeisehen. Als Student las ich neben der Volksausgabe von Zimmermanns Werk selbstverständlich auch die Darstellung von Franz. Damals ahnte ich allerdings nicht, dass sich später mehrmals die Gelegenheit zum Gespräch mit ihm ergeben würde, so erstmals 1975 in Memmingen.29 Neugierig machte dann sein Vortrag „Der Bauernkrieg 1525 in heutiger Sicht“ während der Tagung „Die Bauernkriege und Michael Gaismair“ im No-

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tet, ja ihn zum tragenden Pfeiler eines neuen Reichs- und Volksaufbaus gemacht. Die Niederlage von 1525, durch die das Leben unseres Volkes Jahrhunderte hindurch geschwächt und ärmer gemacht worden ist, ist überwunden. Auch hier ist das Dritte Reich der Deutschen die Erfüllung der Sehnsucht vergangener Geschlechter, Vollstrecker deutscher Geschichte geworden. Denn das neue Deutschland wird nach einem Worte des Führers ein Bauernreich sein oder es wird nicht sein.“ FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 2. Auflage München 1943, S. 309. So auch WINTERHAGER, Bauernkriegsforschung (wie Anm. 3), S. 89. Vgl. auch MÜLLER, Diktatur und Revolution (wie Anm. 14), S. 80–86. Günther FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, in: SS-Leithefte 3 (1937/38), S. 85–90; DERS., Reich und Recht. Der deutsche Bauernkrieg – eine politische Revolution, in: Odal. Monatsschrift für Blut und Boden 8 (1939), S. 327–337. Hier bezeichnete er den Bauernkrieg als „Volksaufstand, der das Recht in sich trug, weil er das völkische Recht und damit das Volkstum selbst gegen fremde Gewalten verteidigen wollte. Er ist damit eine echte Revolution des deutschen Bauernstandes.“ Die Bewegung sei jedoch gescheitert, weil ihr „der Führer fehlte, der die Kraft hatte, die in zahllose Haufen zersplitterte Erhebung zusammenzufassen und sie über alle Landesgrenzen und Standesinteressen hinweg zu einem Ziele hinzuführen, das sie alle bewegte, dem Reich“. Ebd., S. 337. In einem Vortrag von 1958 hat Franz sich von der faschistischen Geschichtsauffassung distanziert: Günther FRANZ, Der Bauer in der politischen Welt (Historisch-politische Hefte der Ranke-Gesellschaft, 15), Göttingen [1964], S. 20–22. FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 4. Aufl. Darmstadt 1956, S. VII. Ferner in Innsbruck, Tübingen, Bochum, Böblingen und Schloss Reisensburg bei Günzburg.

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vember 1976 in Innsbruck-Vill,30 in dem er mit dem Blick auf die neuere Forschung fragte, wie sich für ihn das Bild vom Bauernkrieg geändert hat.31 Er nannte drei Aspekte: die Ursachen der Erhebungen, die Ziele der Bauern und die Folgen des Bauernkriegs. Unter anderem berichtete er, dass damals, als er sich dem Thema zuwandte, im Zeichen der Meinecke-Schule die Geistesgeschichte dominant gewesen sei und sozialgeschichtliche Untersuchungen kaum eine Rolle spielten. „Abweichend von älteren Untersuchungen versuchte ich eine Darstellung von den Bauern, […] nicht von den Siegern her zu schreiben. Ich nahm die Bauern als Träger der Revolution ernst.“32 Er blieb aber bei seiner Meinung, dass es sich um eine politische Revolution gehandelt habe. Sein abschließendes Urteil lautete: „Eine neue Geschichte des Bauernkrieges, die jetzt nach 50 Jahren wahrlich fällig ist und die uns das Jahr 1975 trotz der reich ‚Illustrierten Geschichte der frühbürgerlichen Revolution‘ (1974) und Blickles so viel Neuland erschließendes Buch ‚Die Revolution von 1525‘ nicht gebracht hat, wird es einfacher und schwerer haben als ich seinerzeit.“ Einfacher deshalb, weil man sich für die Abläufe auf den Unterbau stützen könne, den er aus den Archiven erarbeitet habe, schwerer hingegen, weil die Auseinandersetzung mit der marxistischen Forschung erforderlich sei und das Handwerkszeug der modernen sozialwissenschaftlichen Forschung angewandt werden müsse. Und er fügte hinzu: „Die Kollegen aus der DDR werden dies vielleicht als Widerspruch empfinden. Aber ich glaube, daß mein Vortrag gezeigt hat, daß mir die Auseinandersetzung mit den Thesen der DDR-Forschung wichtig erscheint und ich auch daraus gelernt habe, daß ich aber eine Gesetzmäßigkeit, wie sie die materialistische Geschichtsauffassung voraussetzt, nicht anzuerkennen vermag.“33 Ein so offenherziges Bekenntnis war zum damaligen Zeitpunkt nicht selbstverständlich.

3. Eine neue Sicht – Peter Blickle Die Würdigung des Bauernkriegs angesichts des 450. Jahrestags wurde in beiden deutschen Staaten gleichsam zu einem Weckruf für die Forschung. Obwohl in der DDR neben Untersuchungen zu einzelnen Themen bereits in den sechziger 30 Günther FRANZ, Der Bauernkrieg 1525 in heutiger Sicht, in: Fridolin DÖRRER (Hg.), Die Bauernkriege und Michael Gaismair, Innsbruck 1982, S. 37–43. 31 Ebd., S. 37. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 42.

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Jahren einige Darstellungen publiziert worden waren,34 war es bemerkenswert, dass in Hinsicht auf das Gedenkjahr die von Franz genannte erste Auflage des Bandes „Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution“ erschien35 und in der BRD Peter Blickle (1938–2017) den Band „Die Revolution von 1525“ veröffentlichte.36 Beide Darstellungen operieren mit dem Revolutionsbegriff, allerdings in einem unterschiedlichen Verständnis. Damit waren Themen vorgegeben, die trotz unterschiedlicher Sichten zu Kontakten führten, einen gegenseitigen Austausch in Gang setzten und eine an Intensität bald zunehmende Diskussion auslösten.37 Diese Feststellung möchte ich anhand meiner Erfahrungen konkretisieren: Anlässlich der Tagung der Internationalen Kommission für die Geschichte der Stände und Parlamente in Göttingen 1974 referierte ich zum Thema „Der deutsche Bauernkrieg und die Verhandlungen des Reichstags zu Speyer 1526“. Da Peter Blickle damals die Tagung „Revolte und Revolution in Europa“ vorbereitete, die im März 1975 in Memmingen stattfand, fragte er mich, ob ich einen Beitrag zum Thema „Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel“ übernehmen könne.38 Ich sagte dies zu, wusste zu diesem Zeitpunkt aber nicht, dass er sich in seiner Untersuchung „Die Revolution von 1525“ auf die Zwölf Artikel konzentrierte. Als ich später sein Buch zur Kenntnis nahm, fiel natürlich auf, dass wir beide den „revolutionären Gehalt“ des Dokuments betonten. Der Begegnung in Memmingen folgten bald weitere – in der DDR und in der BRD,39 in Österreich und der Schweiz und an anderen Orten. Später lud Blickle mich zur Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Resistance, Representation, and Community“ des internationalen Projekts „Origins of the Modern State in

34 Vgl. Manfred BENSING, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525, Berlin 1966; DERS./Siegfried HOYER, Der deutsche Bauernkrieg 1524–1526, Berlin 1965; Berlin 21970; Berlin 31975; Berlin 41982; Berlin 51987. 35 Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974; Berlin 21982. 36 Peter BLICKLE, Die Revolution von 1525, München 1975; erweiterte Aufl. München 21983; erweiterte Aufl. München 31993; erweiterte Aufl. München 42004. Vgl. generell Wolfgang BEHRINGER, Peter Blickle (1938–2017), in: Historische Zeitschrift 305 (2017), S. 717–726. 37 Vgl. MÜLLER, Diktatur und Revolution (wie Anm. 14), S. 250–256. 38 Vgl. Günter VOGLER, Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel, in: Peter BLICKLE (Hg.), Revolte und Revolution in Europa, München 1975, S. 206–231. 39 Ich lud Blickle zu einem Vortrag nach Berlin und zur Teilnahme an einer Tagung in Dessau ein. Auch begegneten wir uns in Leipzig und Halle.

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Europe“ ein.40 Auch übertrug er mir die Erarbeitung des Bandes „Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500–1650“ in der von ihm initiierten Reihe „Handbuch der Geschichte Europas“.41 Ich weiß zudem sehr zu schätzen, dass er mir 1988 den Band „Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800“ widmete. Ich nenne diese Fakten nicht nur, weil sie einen intensiven Austausch belegen, sondern auch, weil sie Licht auf die deutsch-deutsche Wissenschaftsgeschichte in den Jahren des „Kalten Krieges“ werfen. Und während nach 1989 nicht wenige Kollegen aus den alten Bundesländern Kontakte abbrachen, hielt Blickle eine produktive Zusammenarbeit weiterhin für möglich. Wer seinen Beitrag zur Bauernkriegsforschung kennenlernen will, sollte indes nicht nur auf den Band „Die Revolution von 1525“ zurückgreifen, denn er bearbeitete weitere Themen, die damit im Zusammenhang stehen und das Bauernkriegsthema unter spezifischen Aspekten berühren. Dazu gehören die Untersuchung „Landschaften im Alten Reich“42 und später „Deutsche Untertanen“,43 „Gemeindereformation“,44 „Kommunalismus“45 und zuletzt „Der Bauernjörg“.46 Sie dokumentieren ein beeindruckendes Lebenswerk. Natürlich war der Standpunkt Blickles einerseits und der marxistischer Historiker andererseits aufgrund der unterschiedlichen methodischen und weltanschaulichen Voraussetzungen nicht identisch, aber eine Folge der Tagung in Memmingen war, dass beide Seiten sich stärker den Auffassungen des anderen öffneten, ohne sie kritiklos hinzunehmen. Bemerkenswert ist immerhin Blickles Feststellung: „Die Fragestellung des Marxismus-Leninismus kann, zumal sie einer gewissen Faszination nicht entbehrt, derart nutzbar gemacht werden, daß mit ihr verkrustete und verhärtete, durch Gesamtdarstellungen und Handbücher kanonisierte Auffassungen über-

40 Vgl. Steinar IMSEN/Günter VOGLER, Communal Autonomy and Peasant Resistance in Northern and Central Europe, in: Peter BLICKLE (Hg.), Resistance, Representation, and Community, Oxford/New York 1997, S. 5–43. Im Rahmen des Projekts fanden seit 1989 Arbeitsberatungen in Spiez am Thunersee, Rom, Lissabon, Røros und Straßburg statt. 41 Vgl. Günter VOGLER, Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500–1650 (Handbuch der Geschichte Europas, 5), Stuttgart 2003. 42 Vgl. Peter BLICKLE, Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973. 43 Vgl. DERS., Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch, München 1981. 44 Vgl. DERS., Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1985. 45 Vgl. DERS., Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, 2 Bde., München 2000. 46 Vgl. DERS., Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488–1531, München 2015.

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prüft, hinterfragt und kritisch betrachtet werden.“47 Das war ein neuer Ton, der nicht zuletzt den wissenschaftlichen Austausch gefördert hat. Blickle interpretiert den Bauernkrieg als „Revolution von 1525“ bzw. als „Revolution des gemeinen Mannes“.48 In einer Rezension49 schrieb ich damals: „Der Band bietet keine Gesamtgeschichte des deutschen Bauernkrieges, orientiert aber mit der Behandlung ausgewählter Komplexe auf eine neue, empirisch abgesicherte Gesamtkonzeption.“50 Blickles Begrifflichkeiten „Revolution von 1525“ und „Revolution des gemeinen Mannes“ wurden bald weithin rezipiert, aber zumeist unkommentiert hingenommen. Die Frage liegt folglich nahe, ob weiterhin Diskussionsbedarf besteht. Die Charakterisierung des Geschehens von 1524/25 als Bauernkrieg ist seit längerem umstritten, weil nicht nur Bauern involviert waren. Die Termini „Bauernkrieg“ oder „Bauernlärm“ sind zwar zeitgenössisch, aber nicht die Aufständischen, sondern die Herrschenden sprachen zuerst von einem Krieg. So riet zum Beispiel Hans von Schellenberg im Dezember 1524, dass die Bauern, wenn sie im Hegau und Klettgau nicht Frieden geben würden, mit Totschlag, Raub und Brand bekämpft werden müssten, „so wissen wir, daß wir im Krieg sind“.51 Franz hatte geurteilt, Träger der politischen Revolution sei der deutsche Bauer gewesen.52 Blickle hingegen geht davon aus, dass es sich nicht ausschließlich um bäuerliche Aktionen handelte. Deshalb stützt er sich auf den Quellenbegriff „gemeiner Mann“ und interpretiert die Aufstände als „Empörung des gemeinen Mannes“.53 Träger seien Bauern, Bürger der Landstädte, von reichsstädtischen Ämtern ausgeschlossene Stadtbewohner und Bergknappen gewesen.54 In einer späteren Auflage heißt es dann: „Träger der Revolution ist nicht der Bauer – als bestimmende Figur tritt er nur in der ersten Ebene des Auf-

47 DERS., Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), S. 19. 48 DERS., Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, München 1998; München 42016. 49 Vgl. Günter VOGLER, Rezension zu Peter Blickles „Die Revolution von 1525“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 24 (1976), S. 101–106. 50 Ebd., S. 102. 51 Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges aus Oberschwaben, hg. von Franz Ludwig BAUMANN, Freiburg i. Br. 1877, S. 141, Nr. 102. 52 FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 2. Aufl. München 1943, S. 287. 53 BLICKLE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), S. 156. In der 3. Auflage zitiert er unter anderem aus Johannes Stumpfs Chronik: „Anno domini 1525, in anfang diß jars, entstund eine grosße, ungehörte empörung des gemeynen manns allenthalben in gantzem Germanien.“ Johannes Stumpfs Schweizer- und Reformationschronik, 1. Teil, hg. von Ernst GAGLIARDI, Hans MÜLLER u. Fritz BÜSSER, Basel 1952, S. 261 f. 54 BLICKLE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), S. 179.

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stands bei der Formulierung der Beschwerden und Forderungen auf –, sondern der ‚gemeine Mann‘.“55 Aufmerksam gemacht wurde allerdings von Kritikern auf Schwierigkeiten der Abgrenzung: nach oben zum „Bürger“, nach unten zum „gemein böfel“. 56 Akzeptabel sei der Terminus jedoch als „integrierender idealtypischer Begriff“.57 Anerkannt wurde auch, dass er den Blick dafür geschärft habe, „daß die sozialen Träger der revolutionären Bewegung sehr vielgestaltig waren“.58 Zugleich wurde Kritik an der ausbleibenden Analyse der Interessen der verschiedenen oppositionellen Schichten und Gruppen laut.59 Denn Blickles Definition erweckt den Eindruck, dass es sich um eine relativ homogene Bewegung handelte. Ein Blick auf die verschiedenen Programme verweist aber auf deren Differenziertheit sowohl hinsichtlich der Ziele als auch der Mittel, mit deren Hilfe sie durchgesetzt werden sollten. Wer die erste Auflage von Blickles Darstellung zur Hand nimmt, findet öfters den Terminus „Revolution von 1525“,60 vermisst aber eine definitorische Aussage zu dieser Terminologie. In der dritten Auflage hat der Autor dann in einem hinzugefügten neuen Abschnitt „Die Revolution des Gemeinen Mannes im Forschungsdiskurs“61 kurz zusammengefasst, worauf es ihm ankommt: „Der ‚Bauernkrieg‘ stellt den Versuch dar, die Krise des Feudalismus durch eine revolutionäre Umgestaltung der gesellschaftlichen und herrschaftlichen Verhältnisse auf der Grundlage des ‚Evangeliums‘ zu überwinden.“ Soziales Ziel der Revolution sei, negativ formuliert, der Abbau ständespezifischer Zuordnungen von Rechten und Pflichten, positiv formuliert mit den Schlagworten von 1525, „der ‚gemeine Nutzen‘ und die ‚christliche, brüderliche Liebe‘.“ Daraus erwachse als politisches Ziel der Revolution „der korporativbündisch verfaßte Staat“ oder „der landschaftlich verfaßte Staat“ – Staatsformen, „die ihre Legitimität ausschließlich auf das Evangelium und das Wahl-

55 DERS., Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), 3. Aufl. München 1993, S. 289. 56 Rainer WOHLFEIL, Der ‚Gemeine Mann‘ im Bauernkrieg, in: DÖRRER (Hg.), Bauernkriege und Michael Gaismair (wie Anm. 30), S. 283–287, hier S. 284. 57 Ebd., S. 286. 58 Adolf LAUBE, Bemerkungen zur These von der „Revolution des gemeinen Mannes“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 26 (1978), S. 607–614, hier S. 612. 59 Ebd., S. 612 f. 60 BLICKLE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), S. 21 u. ö. Der Terminus „Revolution des gemeinen Mannes“ findet sich hier nur einmal (S. 27). 61 BLICKE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), 3. Auflage München 1993, S. 279–320, bes. S. 289–297.

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prinzip der Gemeinde gründen“.62 Es ging folglich um eine Alternative, die auf Grundsätzliches zielte.63 Was der Revolutionsbegriff zum Ausdruck bringen soll, „ist die Überzeugung, daß die Bewegung von 1525 nicht eine Addition von unbegreifbaren Einzelaktionen auf dem Niveau regionaler Rebellionen war, sondern eine bewußt gewollte, im Verlaufsprozeß rationalisierte und mit ihren ethischen Kategorien anspruchsvolle Bewegung zur Selbstverwirklichung des Menschen“.64 Damit wird auch die bisher vernachlässigte Frage angesprochen, inwieweit das Verlangen nach Menschen- und Freiheitsrechten angestoßen wurde.65

4. Zum Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg Mit den Darstellungen von Franz und Blickle stellt sich zudem die Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg.66 Franz scheint dem reformatorischen Prozess keine zentrale Rolle für das Bauernkriegsgeschehen zuzubilligen. Nur wenn man die Forderungen der vorausgehenden regionalen Erhebungen mit den Artikeln der Bauern von 1525 vergleiche, „kann man auch den Anteil der Reformation an der Entstehung des Bauernkrieges beurteilen“.67 Weiter heißt es, durch Zwinglis und Luthers Auftreten sei die kirchliche Ordnung zerbrochen und der Einzelne aufgefordert worden, selbst aufgrund der Heiligen Schrift über seinen Glauben zu entscheiden.68 „Die Göttliche Gerechtigkeit in ihrer evangelischen Ausdeutung wurde die Brücke, über die auch die Bauern, die sich bisher nur zum alten Recht bekannt hatten, den Weg zur 62 Ebd., S. 289. 63 Wenn als Ziel unter anderem der „gemeine Nutzen“ genannt wird, dann sollte allerdings nicht übersehen werden, dass dies kein typisches Anliegen des „gemeinen Mannes“ war, sondern eine allgemeine Norm der Politik. Vgl. Brita ECKERT, Der Gedanke des gemeinen Nutzen in der lutherischen Staatslehre des 16. und 17. Jahrhunderts, Phil. Diss., Frankfurt am Main 1976, S. 185; Günter VOGLER, Gemeinnutz und Eigennutz bei Thomas Müntzer, in: Siegfried BRÄUER/Helmar JUNGHANS (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre, Berlin 1989, S. 174–194. 64 BLICKLE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), 3. Aufl. München 1993, S. 297. 65 Vgl. Peter BLICKLE, Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland, München 22006; Winfried SCHULZE, Der bäuerliche Widerstand und die ‚Rechte der Menschheit‘, in: Günter BIRTSCH (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, Göttingen 1981, S. 41–56. 66 Vgl. Hans Günter HOCKERTS, Der Bauernkrieg 1525 – frühbürgerliche Revolution, defensive Bauernerhebung oder Revolution des ‚gemeinen Mannes‘?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 30 (1979), S. 1–20. 67 FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 1. Auflage München 1933, Vorwort. 68 Ebd., S. 87.

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Revolution fanden.“69 Die Erschütterung weltlicher und geistlicher Autorität durch die Reformation habe den gemeinen Mann veranlasst, „alle überkommenen Lasten in Frage zu stellen und sich auf jede Weise Erleichterung zu schaffen“.70 Nach Blickle sind hingegen wirtschaftliche, soziale und politische Anliegen des Gemeinen Mannes „mit reformatorischen Argumentationsfiguren und Elementen verschränkt“.71 Chiffren seien der gemeine Nutzen, die christliche brüderliche Liebe, das göttliche Recht und das Gemeinde- und Wahlprinzip. Angesichts der Tatsache, dass die Reformationstheologie durch Einheit und Vielfalt charakterisiert sei, habe sich die revolutionäre Bewegung vor allem auf Zwingli berufen.72 Wenn man in ihm und den oberdeutschen christlichen Humanisten eigenständige Reformatoren sehe, „dann muß auch die Revolution von 1525 als eine Entfaltung der Reformation verstanden werden“.73 In den Gebieten, in denen Zwinglis Lehre keine Rolle spielte, waren indes die lutherischen Einflüsse nicht von gleicher Wirkung. Das erweist ein Vergleich, wenn man das Konzept einer „frühbürgerlichen Revolution“ einbezieht, dem die These zugrunde liegt, dass Reformation und Bauernkrieg gleichermaßen systemsprengende Wirkungen hatten.74 Selbstverständlich wiesen sie jeweils ein eigenes Profil auf, aber das schließt Zusammenhänge und Wechselbeziehungen nicht aus. Erstens: Die Rezeption des Evangeliums war eine Voraussetzung für den Erfolg der Bewegungen, die eine Neuordnung von Kirche und Gesellschaft anstrebten. Das gilt sowohl für die frühe Phase der Reformation als auch den Bauernkrieg, kulminierend in der Legitimierung der Forderungen und Aktionen der Aufständischen mit dem „göttlichen Recht“. Diese Entwicklung wurde von zahlreichen Predigern gefördert, die sich den Aufständischen anschlossen.75 Zweitens: Das von Luther propagierte Gemeindeprinzip begünstigte die Mobilisierung der Aufständischen. Die Gemeinden der Gläubigen sollten Recht und Macht haben, Prediger selbst zu wählen oder sie ihres Amts zu entheben. Das eigenständige Handeln der Stadt- und Dorfgemeinden konnte auf diese Weise gestärkt werden.

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Ebd., S. 90. Ebd., S. 94. BLICKLE, Die Revolution von 1525 (wie Anm. 36), S. 238. Ebd., S. 240–244. Ebd., S. 244. Vgl. Günter VOGLER, Das Konzept ‚deutsche frühbürgerliche Revolution‘. Genese – Aspekte – kritische Bilanz, in: DERS., Signaturen einer Epoche. Beiträge zur Geschichte der frühen Neuzeit, hg. von Marion DAMMASCHKE, Berlin 2012, S. 59–88. 75 Vgl. Justus MAURER, Prediger im Bauernkrieg, Stuttgart 1979.

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Drittens: Die Aufständischen beriefen sich auf die von Luther vertretene Idee „christlicher Freiheit“. Er meinte damit die Befreiung von dem von der römischen Kirche praktizierten Glaubenszwang, weil die Gewissen nur Gott verpflichtet seien. Aber christliche Freiheit musste sich nicht in diesem Verständnis erschöpfen, und so gewann das Schlagwort auch eine soziale und politische Dimension. Luther wies das zurück (die Bauern legten das Evangelium „fleischlich“ aus, wandte er ein), aber die Aufständischen vermochten mit der populären Losung ihren Anspruch auf ökonomische Entlastung, Aufwertung ihrer sozialen Stellung und politische Partizipation zu legitimieren. Viertens: Die Berufung auf das „göttliche Recht“ ermöglichte es, die einzelnen Erhebungen aus ihrer regionalen Begrenztheit zu lösen, indem das Evangelium und seine soziale und politische Interpretation ein sie verbindendes Fundament bildete und – zumindest ideell – die territorialen Grenzen aufhob. Fünftens: Reformatorische Anliegen wurden von Bauern und Städtebürgern bzw. von Dorf- und Stadtgemeinden aufgegriffen (freie und unverfälschte Predigt des Evangeliums und Respektierung seiner Normen im Alltag, Beseitigung oder Beschränkung des privilegierten Status des Klerus, Säkularisation geistlichen Besitzes, Einschränkung des Geltungsbereichs geistlichen Rechts). Aktionen richteten sich folglich gegen altgläubige Geistliche, Mönche und Nonnen, gegen Klöster oder geistliche Landesherren. Die tradierte kirchliche und weltliche Ordnung wurde partiell oder generell infrage gestellt und der Versuch unternommen, die gesellschaftlichen Beziehungen neu zu gestalten. Die reformatorischen Bewegungen erhielten durch die Rezeption ihrer Lehren in den bäuerlichen Gemeinden eine breitere soziale Basis,76 nachdem sie anfangs hauptsächlich in Städten (aber auch in Adelskreisen) Resonanz gefunden hatten. Eine These könnte lauten: Die reformatorischen Bewegungen sind ohne den Bauernkrieg denkbar, aber dieser in seiner Dimension und seinem Profil nicht ohne die reformatorische Theologie.77 Zu entscheiden bleibt indes, inwieweit es

76 Vgl. zum Beispiel Franziska CONRAD, Reformation in der bäuerlichen Gesellschaft. Zur Rezeption reformatorischer Theologie im Elsass, Stuttgart 1984. 77 „Die Verbindungslinien zwischen dem Bauernkrieg und der Reformation waren zahlreich und effektiv. Die Behauptung ist nicht zu gewagt, daß es den Bauernkrieg in dieser seiner Gestalt ohne die Reformation nicht gegeben hätte. Dennoch muß man, um ein Mißverständnis zu vermeiden, auch hinzufügen: Die religiös-kirchliche Erneuerung war im eigentlichen Sinne nicht die Ursache der Erhebung und der Bauernkrieg war zu keiner Zeit ein bloßer Ableger der Reformation.“ Horst BUSZELLO, Legitimation, Verlaufsformen und Ziele, in: DERS./Peter BLICKLE/Rudolf ENDRES (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn u. a. 1984, S. 281–321, hier S. 295.

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sich um Prozesse handelte, die zeitlich nacheinander bzw. nebeneinander abliefen oder eine gewisse Zeit eng miteinander verwoben waren.78

5. Die Notwendigkeit weiterer Forschungen Das Thema Bauernkrieg und seine Folgen dominierte eine Zeitlang die Frühneuzeitforschung, doch seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist wenig geschehen, um diese Forschungen weiterzuführen. Wenn seitdem ein Thema noch interessierte, dann war es Thomas Müntzers Leben und Wirken, bald nachhaltig gefördert von der 2001 ins Leben gerufenen Thomas-MüntzerGesellschaft.79 Als der von Peter Blickle angeregte Sammelband „Der Bauernkrieg in Oberschwaben“ (Tübingen 2000) erschien, war das für mich der Anlass, ein ähnliches Werk zur Bauernkriegsphase in Thüringen vorzubereiten, um einerseits den Stand der Forschung zu bilanzieren, andererseits einige bisher nicht oder nur unzureichend beachtete Themen einzubeziehen. Die Arbeit an dem Projekt bereitete indes mancherlei Schwierigkeiten. Die meisten angesprochenen Autoren sagten zwar ihre Mitarbeit sofort zu. Doch für einige Themen konnten keine Autoren gewonnen werden, zum Beispiel für einen Beitrag über das Geschehen in der bisher wenig beachteten Grafschaft Schwarzburg. Gedacht war auch daran, den Anteil einiger Städte an den Aufständen (Langensalza, Frankenhausen, Sangerhausen) sowie das Eingreifen Landgraf Philipps und den Strafzug Kurfürst Johanns nach der Frankenhäuser Niederlage eingehender zu untersuchen. Doch lagen die vereinbarten Beiträge bis zur Drucklegung des Bandes nicht vor. Dieses Projekt zum Druck zu bringen, war aber auch aus anderen Gründen schwierig: Einerseits verfügte ich über keinen institutionellen Rückhalt, andererseits war keine Institution in Thüringen – die Mühlhäuser Museen ausgenommen – zur finanziellen Unterstützung bereit. Das hat das Erscheinen der 27 Beiträge etwa drei Jahre verzögert, bis sich überraschend die Möglichkeit bot, den

78 Vgl. dazu MAURER, Prediger im Bauernkrieg (wie Anm. 75), S. 162–164. 79 Vgl. zum Beispiel die seit 2000 erscheinende Schriftenreihe der Thomas-MüntzerGesellschaft e. V.; weitere Literatur für die Zeit seit den neunziger Jahren verzeichnen Marion DAMMASCHKE/Günter VOGLER, Thomas-Müntzer-Bibliographie (1519–2012), Baden-Baden/Bouxwiller 2013; Hans-Jürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten, München 2015; Siegfried BRÄUER/Günter VOGLER, Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt, Gütersloh 2016.

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Band ohne finanzielle Verpflichtungen in der Schriftenreihe der RankeGesellschaft zu veröffentlichen.80 Natürlich ist zu bedenken, welche Themen weiter bearbeitet werden müssten. So dürfte zum Beispiel unser Bild noch nicht voll stimmig sein, inwieweit das Geschehen zwischen Harz und Thüringer Wald Gemeinsamkeiten mit den anderen Regionen aufweist und was seine Eigenart ausmacht.

6. Widerständigkeit nach dem Bauernkrieg Wenn man im Bauernkrieg ein exzeptionelles Ereignis sieht, dann hat das seine Berechtigung hinsichtlich seiner territorialen Dimension und seines inhaltlichen Profils. Doch damit ist das Thema bäuerlicher Widerstand in der frühneuzeitlichen Epoche nicht erschöpft. In der Literatur wird allerdings zumeist nur auf den oberösterreichischen Bauernkrieg von 1626,81 den schweizerischen Bauernkrieg von 1653,82 den bayerischen Aufstand von 1705/0683 und den sächsischen Bauernaufstand von 1790 hingewiesen.84 In seinem Rückblick von 1976 wies Günther Franz zu Recht darauf hin: Am stärksten haben sich gewiß die Anschauungen über die Folgen des Bauernkrieges geändert. […] Wenn ich meine These von 1933, daß der Bauer mit seiner Niederlage 1525 aus dem politischen Leben der Nation ausgeschieden wäre, in vollem Umfang aufrecht erhalten würde, hätte ich keine ‚Geschichte des Bauernstandes‘ (1970) schreiben können, denn dann hätte die Geschichte des Bauern als Stand 1525 ihr Ende gefunden.85

Der Band enthält eine kurze Übersicht über Aktionen bäuerlichen Widerstands im 17. und 18. Jahrhundert.86 Es war eine Reaktion auf die seit etwa zwei Jahrzehnten intensiv betriebenen Forschungen zur bäuerlichen Widerständigkeit seit dem 16. Jahrhundert, über die Peter Blickle 1988 urteilte: 80 Vgl. Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008. 81 Vgl. Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Ausstellung des Landes Oberösterreich, hg. vom Amt der oberösterreichischen Landesregierung, Linz 1976. 82 Vgl. Andreas SUTER, Der Schweizerische Bauernkrieg von 1653. Politische Sozialgeschichte – Sozialgeschichte eines politischen Ereignisses, Tübingen 1997. 83 Vgl. Christian PROBST, Lieber bayrisch sterben. Der bayrische Volksaufstand 1705 und 1706, München 1978. 84 Vgl. Percy STULZ, Die antifeudale Bauernbewegung, in: DERS./Alfred OPITZ, Volksbewegungen in Kursachsen zur Zeit der Französischen Revolution, Berlin 1956, S. 7–123, bes. S. 43–97. 85 FRANZ, Der Bauernkrieg 1525 in heutiger Sicht (wie Anm. 30), S. 41. 86 Vgl. Günther FRANZ, Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1970, 21976, S. 83–202.

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Nirgendwo im Bereich der Konflikt- und Widerstandsforschung hat die Geschichtswissenschaft der letzten Jahre so viel neues Material und so viele neue Einsichten zu Tage gefördert wie für die frühe Neuzeit. Pionierarbeit haben ganz zweifellos die marxistischen Historiker geleistet. […] Erst seit etwa zehn Jahren ist auch in der Bundesrepublik Deutschland ‚bäuerlicher Widerstand‘ ein prominenter Forschungsgegenstand geworden.87

Im europäischen Umfeld reichte das Interesse von den Bauernkriegen in England im 14. Jahrhundert bis zu den Aufständen in Russland im 18. Jahrhundert.88 Für die deutschen Territorien wurden neben den wenigen bekannten Aufständen zahlreiche weitere Revolten und widerständige Aktionen erschlossen. Auch ich wählte selbstverständlich ein einschlägiges Dissertationsthema.89 Der sowjetische Historiker Boris Fedorovic Poršnev schlug damals eine Typologie bäuerlichen Widerstands vor, indem er drei Grundformen unterschied: erstens Teilwiderstand, das heißt die individuelle oder kollektive Ablehnung einer Forderung, Vorschrift oder eines bestimmten Gesetzes, die Übertretung eines Verbots und der Rechtsstreit mit dem Grundherrn wegen einzelner Rechte und Pflichten; zweitens Abzug oder Flucht, also nicht nur Widerständigkeit gegen einzelne Forderungen eines Grundherrn, sondern der völlige Bruch mit ihm und die Suche nach besseren Bedingungen an einem anderen Ort; drittens Aufstände, das heißt kollektive Gewaltanwendung zur Beseitigung der bestehenden Verhältnisse.90 Winfried Schulze schlug später vor, zwischen latentem, manifestem und gewaltsamem Widerstand zu differenzieren.91 „Damit sollte deutlich gemacht 87 Peter BLICKLE, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800, München 1988, S. 79. Vgl. auch André HOLENSTEIN, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg, München 1996, S. 103. 88 Vgl. Gerhard HEITZ/Günter VOGLER, Bauernbewegungen in Europa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 28 (1980), S. 442–454; YvesMarie BERCÉ, Révoltes et Revolutions dans l’Europe moderne (XVIe–XVIIIe siècles), Paris 1980; Werner RÖSENER, Die Bauern in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 111–136; Hugues NEVEUX, Les Révoltes paysannes en Europe (XIVe–XVIIe siècles), Paris 1997; Janken MYRDAL, Mittelalterliche Bauernerhebungen und Bauernkriege in Europa, in: Axel LUBINSKI/Thomas RUDERT/Martina SCHATTKOWSKY (Hg.), Historie und Eigen-Sinn. Festschrift für Jan Peters zum 65. Geburtstag, Weimar 1997, S. 273–295. 89 Günter VOGLER, Probleme der feudalen Arbeitsrente und des bäuerlichen Widerstandes im 18. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel des kurmärkischen Domänenamtes Badingen, Masch. Diss., Berlin 1961. 90 B. F. PORŠNEV, Formen und Wege des bäuerlichen Kampfes gegen die feudale Ausbeutung, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung 4 (1952), S. 441. 91 Winfried SCHULZE, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, S. 89–114.

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werden, daß das entscheidende Kriterium darin lag, daß er die Stille des Dorfes überschritt und zu einem gesellschaftlichen Problem wurde, wobei zweitrangig ist, ob diese Manifestation durch Supplikationen, Prozesse oder die einfache Verweigerung der Leistungen erreicht wurde.“ Doch ultima ratio sei der gewaltsame Aufstand geblieben. Diese Differenzierung ermöglichte es, sich nicht nur auf Revolten oder Aufstände zu konzentrieren, sondern auch die Fülle kollektiver Verweigerungen, vor allem von Abgaben und Frondiensten, in einzelnen oder mehreren Dorfgemeinden zu erfassen.92 Die Ergebnisse dieser Forschungen liegen in zahlreichen Publikationen vor.93 Eine von Peter Bierbrauer 1980 publizierte tabellarische Übersicht über bäuerliche Revolten im Reich und in der Eidgenossenschaft (1300–1789), listet 125 Revolten auf, von denen 65 nach 1526 datieren.94 Dazu kommen zahllose Arbeits- und Abgabenverweigerungen und andere widerständige Aktionen.95 In einer Bilanz dieser Forschungen urteilt Blickle, es bestehe kein Zweifel mehr an der Feststellung, daß Unruhen wesentlich zur Struktur des Reiches gehören. Früher geläufige Einschränkungen auf „die Alpenländer“ oder den „Südwesten des deutschen Reiches“ haben allenfalls noch eine zeitlich beschränkte Gültigkeit […]. Beweiskräftig war vor allem die Tatsache, daß sich Regionen, die bislang als „revoltenfrei“ galten wie Hessen oder Bayern, durch gezielte archivalische Forschungen als äußerst unruhenintensiv erwiesen.96

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HOLENSTEIN, Bauern zwischen Bauernkrieg (wie Anm. 87), S. 104 spricht von dem „Massenphänomen der unspektakulären, in der bäuerlichen Arbeitswelt aber vielfach möglichen ‚Alltags-Abwehr‘ “. Vgl. SCHULZE, Bäuerlicher Widerstand (wie Anm. 91); Peter BLICKLE (Hg.), Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, München 1980; Winfried SCHULZE (Hg.), Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa, Stuttgart 1983; Günter VOGLER, Religion, confession and peasant resistance in the German territories in the sixteenth to eighteenth centuries, in: Janos BAK/Gerhard BENECKE (Hg.), Religion and rural revolt, Manchester 1984, S. 173–184. Vgl. auch die Literaturhinweise bei BLICKLE, Unruhen in der ständischen Gesellschaft (wie Anm. 87), S. 125–132; 32012, S. 109–131 u. 160–171. Vgl. Peter BIERBRAUER, Bäuerliche Revolten im Alten Reich. Ein Forschungsbericht, in: BLICKLE (Hg.), Aufruhr und Empörung? (wie Anm. 93), S. 62–68. Vgl. HOLENSTEIN, Bauern zwischen Bauernkrieg (wie Anm. 87), S. 41–44 u. 103–112. BLICKLE, Unruhen in der ständischen Gesellschaft (wie Anm. 87), S. 97. Vgl. Werner TROßBACH, Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648–1806, Weingarten 1987; DERS., Bauernbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1648–1806, Darmstadt/Marburg 1985; Renate BLICKLE, Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern. 1400–1800, in: SCHULZE (Hg.), Aufstände, Revolten, Prozesse (wie Anm. 93), S. 166–187; DIES., Politische Streitkultur in Altbayern. Beiträge zur Geschichte der Grundrechte in der frühen Neu-

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Doch Darstellungen zur Geschichte der frühen Neuzeit sind noch weit davon entfernt, den bäuerlichen Widerstand auf angemessene Weise zu integrieren. Drei Beispiele seien genannt. Rudolf Vierhaus erwähnt in seiner Darstellung „Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis 1763“ in einem Abschnitt zu „Lebensformen und Mentalitäten“ kurz: „Insgesamt hat es erheblich breiteren und wohl auch wirksameren Widerstand gegen verschärfte herrschaftliche Anforderungen gegeben, als lange angenommen wurde. Die bäuerliche Bevölkerung hat sich jedenfalls nicht fatalistisch der Ausbeutung ergeben.“97 Horst Rabe registriert in dem Band „Deutsche Geschichte 1500–1600“ nur, dass das Potential bäuerlichen Widerstands zwar durch die Niederlage im Bauernkrieg geschmälert, aber keineswegs vernichtet worden sei. „Allerdings vollzogen sich die Auseinandersetzungen der Bauern mit ihrer Herrschaft jetzt vorwiegend in Form gerichtlicher Prozesse, die nicht selten bis zum Reichshofrat hinaufgetrieben wurden.“98 Volker Press, der in seiner Darstellung „Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715“ etwas ausführlicher auf das Thema eingeht und auch mehrere Beispiele nennt, fast kurz zusammen: „Diese Konflikte setzten ältere Auseinandersetzungen fort, wobei die agrarischen Konflikte in deutschen Kleinterritorien zu den spektakulärsten Aktionen führten und inzwischen auch am besten untersucht sind, da man die Kontinuität zum Bauernkrieg suchte und sie wohl daher auch in ihrer Bedeutung ein wenig überschätzte.“99 Inzwischen werden einschlägige Forschungen nicht weitergeführt. Das Thema kann indes nicht ad acta gelegt werden, solange das ermittelte Wissen nicht zu einem ausgewogenen Gesamtbild verarbeitet worden ist.100

zeit, hg. von Claudia ULBRICH, Michaela HOHKAMP u. Andrea GRIESEBNER, Berlin 2017. 97 Rudolf VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis 1763, Berlin 1984, S. 193 f. 98 Horst RABE, Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991, S. 640. 99 Volker PRESS, Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715, München 1991, S. 291. 100 Vgl. auch Peter BLICKLE, Unruhen in der ständischen Gesellschaft, München 32012, S. 117.

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7. Bäuerliches Leben in Konfliktsituationen Doch zurück zum Bauernkrieg, über dessen Verlauf in den verschiedenen Regionen des Reichs (einschließlich der militärischen Aktionen der Gegner) ausreichende Klarheit bestehen dürfte. Das gilt nicht gleichermaßen, wenn nach den Menschen gefragt wird, die in das Geschehen involviert waren. Zahlreiche Publikationen berichten über die „Alltagsgeschichte“, die „Lebensformen“ oder die „Mentalitätsgeschichte“ in ländlichen Regionen.101 Nimmt man indes zur Kenntnis, dass um 1500 80 Prozent der Bevölkerung Landbewohner waren und deren Zahl bis 1800 nur um fünf Prozent zurückging,102 dann wird sich ihrer Lebenswelt in Darstellungen bisher kaum auf angemessene Weise genähert. Natürlich ist das in erster Linie eine Quellenfrage. Doch schriftliche Zeugnisse dieser Zeit vermitteln nicht unbedingt ein reales Bild. So mahnte zum Beispiel der Kartäusermönch Werner Rolevinck (1425–1502) in seinem Bauernspiegel von 1481, der Bauer dürfe an seinem niedrigen Stande nicht verzweifeln, denn er produziere die Abendmahlsspeise Brot und Wein und sei der beste Mitarbeiter Gottes, der die Menschheit in seiner Allmacht auch ohne ihn ernähren könne. Seine Unterordnung sei Gottes Wille, denn sonst würde die Ordnung der Kirche gestört und der Friede gefährdet.103 Der Humanist Johannes Boehme (um 1485–1535) schrieb hingegen in seinem Traktat „Omnium gentium mores leges et ritus“ (Augsburg 1520), von dem 1604 eine deutsche Übersetzung erschien, über die Landleute: Diese leben in einem trübseligen elendigen Stande / und helt ein jeder mit seinem Gesinde und Vieh besonders Hauß. […] Ihren Herrn dienen sie deß jars oft / bawen jhnen das feld / besamens / schneiden die frücht / und führen sie in scheuren. […] In Summa / man kann nichts erdencken / daß sie jhren Herrn zu leisten nit schuldig seyn

101 Vgl. Jürgen KUCZYNSKI, Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Bd. 1 (1600– 1650), Berlin 1980; Bd. 2 (1650–1810), Berlin 1981; Sigrid JACOBEIT/Wolfgang JACOBEIT, Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes 1550–1810, Leipzig/ Jena/Berlin 1985; Richard VAN DÜLMEN, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Das Haus und seine Menschen 16.–18. Jahrhundert, München 1990; Bd. 2: Dorf und Stadt 16.–18. Jahrhundert, München 1992; Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung 16.– 18. Jahrhundert, München 1994; Paul MÜNCH, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1992; Peter DINZELBACHER (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1993; Bea LUNDT, Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500–1800. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2009. 102 Vgl. MÜNCH, Lebensformen in der frühen Neuzeit (wie Anm. 101), S. 77. 103 Zit. nach Walter ACHILLES, Landwirtschaft in der frühen Neuzeit, München 1991, S. 15 f.

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sollen. Daher dörfen sie nichts abschlagen / und so es gleich einer thun wollte / würd er sehr hart gestraft werden.104

Diese Charakterisierung der Situation wurde einige Jahre vor dem Bauernkrieg publiziert und dürfte der Realität näher kommen als mancher andere Bericht. Doch mangels schriftlicher Zeugnisse ist manchmal das Bild die wichtigste Quelle.105 Dabei wird oft übersehen, dass im 16. Jahrhundert eine Idealisierung des Landlebens erfolgte. Das belegen zum Beispiel die im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg überlieferten sieben Tafeln der Monatsbilder von Hans Wertinger (um 1466–1533), eines Malers der Donauschule. Sie konzentrieren sich auf die unterschiedlichen ländlichen Arbeiten, weniger auf die Lebensweise der Dorfleute.106 Was man in der Literatur zum Alltag bzw. zu den Lebensformen vermisst, sind Informationen über das Verhalten der ländlichen Bevölkerung in Konfliktsituationen.107 Obwohl die Quellen darüber offensichtlich nur wenig preisgeben, möchte ich auf einige Aspekte hinweisen, zu denen unsere Kenntnisse lückenhaft sind. Erstens: Was waren das für Männer, die in der Bauernkriegszeit ihr Leben riskierten und verloren? Ich kenne nur eine Untersuchung, die einige Einblicke ermöglicht.108 Es wird vermutet, dass es sich bei einem Teil der Schädel aus dem Beinhaus der Kapelle Sainte-Marguerite in Epfig im Elsaß um während des Bauernkriegs getötete Aufständische handelt. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung von 250 Schädeln ergab, dass es sich mehrheitlich um jüngere, an 104 Johannes BOEMUS, Historia moralis, das ist, Warhaftige Erzelung aller vornemsten Geistlichen und Weltlichen Regiment […], Frankfurt am Main 1604 (VD17 12:132959C), S. 362 f. 105 Vgl. Siegfried EPPERLEIN, Der Bauer im Bild des Mittelalters, Leipzig/Jena/Berlin 1975; DERS., Bäuerliches Leben im Mittelalter. Schriftquellen und Bildzeugnisse, Köln 2003; Hans-Joachim RAUPP, Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst ca. 1470–1570, Niederzier 1986. 106 Abb. August und September in LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 35), S. 280 f. Vgl. Daniel HESS/Oliver MACK/Markus KÜFFNER, Hans Wertinger und die Freuden des Landlebens, in: Frank KAMMEL u. a. (Hg.), Enthüllungen. Restaurierte Kunstwerke von Riemenschneider bis Kremser Schmidt, Nürnberg 2008, S. 64–81. 107 KUCZYNSKI, Geschichte des Alltags, Bd. 1 (wie Anm. 101), S. 13, urteilt: „Der Alltag des Klassenkämpfers wird ungenügend beachtet.“ 108 Danielle FEVRE/Jean LAVERGNE/Jean-Pierre RIEB, Anthropologie des paysans massacrés en 1525 près d’Epfig, in: Max STEINMETZ (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer, Leipzig 1976, S. 28–36; Susanne TSCHIRNER, Elsaß. Fachwerkdörfer und historische Städte, Burgen und Kirchen im Weinland zwischen Rhein und Vogesen, Ostfildern 22015, S. 227.

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schwere Arbeit gewöhnte, oftmals durch Krankheit gezeichnete Jünglinge und Männer im Alter von 16 bis 40 Jahren handelte. Mehrere Schädel weisen Blessuren auf, die ihnen durch Hieb- und Stichwaffen zugefügt wurden. Daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen, ist allerdings nicht möglich, solange nicht vergleichbare Beispiele zur Verfügung stehen. Zweitens: Waren die Landbewohner für den Kampf gerüstet? Ihre Gegner unterstellten ihnen, dass sie in Kriegssachen unkundig seien. Johannes Boehme berichtet: „Ohnbewehrt gehet kein Mann“.109 Andere Quellen sagen, dass keiner sein Dorf verließ, ohne eine Waffe bei sich zu tragen. Natürlich ist der Besitz einer Waffe zur Selbstverteidigung noch kein Beleg für eine zweckmäßige Ausrüstung, um in einem Gefecht bestehen zu können.110 Manche bildlichen Darstellungen vermitteln zudem den Eindruck, dass die Aufständischen nur mit ländlichem Arbeitsgerät ausgerüstet waren.111 Wenn ein Bauer mit einem Dreschflegel in der Hand abgebildet wird, dürfte es sich in diesem Fall vornehmlich um ein Standessymbol handeln. Mit einem solchen werden zum Beispiel 1521 der „Karsthans“ (Abb. 1) oder 1524 die Titelfigur der Flugschrift „Eyn Sermon geprediget vom Pawren zu Werdt“ (Abb. 2) vorgeführt. Auf dem Titelblatt der Memminger Bundesordnung von 1525 hingegen, die während der Aufstände gedruckt wurde, sind die Aufständischen mit Dreschflegel, Morgenstern, Spieß und Hellebarde ausgerüstet (Abb. 3). Auch die Federzeichnungen in dem Bericht Jacob Murers, Abt des Klosters Weißenau, zeigen sie mit Schwertern und Spießen.112 Anderes Kriegsgerät brachten sie bei der Einnahme von Burgen und Schlössern in ihre Hand, oder sie bemühten sich, in Städten Pulver zu kaufen und Geschützmeister anzuwerben. Insofern waren sie in mancher Situation durchaus in der Lage, dem Gegner ebenbürtig entgegenzutreten.113 Auch ist zu bedenken, warum vielerorts nach 109 BOEMUS, Historia moralis (wie Anm. 105), S. 363. 110 Erfunden dürfte die Information sein, bei Frankenhausen habe der größte Teil der Bauern, als sie vom Kriegsvolk des Landgrafen niedergeworfen worden seien, die Waffen weggeworfen und wieder zu den bewährten Flegeln gegriffen, mit denen sie besser umzugehen wussten als mit langen Spießen, Büchsen oder Hellebarden. Vgl. Hendrik VAN HAESKENS, Grouwelen der voornaemste Hooft-Ketteren, Leiden 1607, S. 40. 111 „Die Verwendung von Gerätschaften aller Art als Waffenbehelf kam selbstverständlich vor, aber die militärische Zielstellung der Bauern war auf regelrechten Waffenbesitz, dessen sie der feudale Staat systematisch und zunehmend beraubt hatte, gerichtet.“ Ulrich BENTZIEN, Bauernarbeit im Feudalismus. Landwirtschaftliche Arbeitsgeräte und -verfahren in Deutschland von der Mitte des ersten Jahrtausends u. Z. bis um 1800, Berlin 1980, S. 138. 112 Abb. in: LAUBE/STEINMETZ/VOGLER, Illustrierte Geschichte (wie Anm. 35), S. 280 f. 113 „Die Bauernheere waren an Zahl nur selten geringer, zuweilen sogar stärker als die ihrer Gegner. Die Masse der Bauern war nicht etwa nur mit Sensen und Dreschflegeln,

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der Niederlage verfügt wurde, die Waffen niederzulegen und abzugeben, wenn es sich nur um bäuerliches Arbeitsgerät gehandelt haben soll. Hierzu sollten die Quellen eingehender befragt werden, um ein genaueres Bild zu gewinnen.

Abb. 1: „Die göttliche Mühle“, Titelholzschnitt, Zürich 1521 sondern mit Spießen und Gewehren bewaffnet. […] Auch an Geschütz mangelte es den Aufständischen nicht. […] Die Städte und Herren […], die sich ihnen anschlossen, mußten es zur Verfügung stellen. […] Dagegen fehlte den Bauern die Reiterei. Ihr gegenüber war das Fußvolk im offenen Felde fast wehrlos.“ FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 14), 2. Auflage München 1943, S. 281 f.

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Abb. 2: „Ein Sermon gepredigt vom Bawren zu Werdt“, Titelholzschnitt, Nürnberg 1525

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Abb. 3: „Handlung, Arcickel unnd Instruction …“ (Memminger Bundesordnung), Titelholzschnitt Augsburg 1525

Drittens: Wie wurden die Aufständischen rekrutiert? Johannes Boehme berichtet, dass in Schwaben „ein jedes Jahr tausent Mann auß dem Lande in Krieg abgefertiget: Die daheim bleiben / schaffen jhnen selbst und diesen unterhaltung. Dagegen bleiben dieselbe das folgende Jahr zu Hauß und ziehen die andern hinauß: Also gehet der Ackerbaw und daß Kriegswesen stettigs im schwanck.“114 Er beschreibt hier offensichtlich die Rekrutierung von Söldnern, und diese Praxis wurde im Prinzip von den Aufständischen übernommen.115 So forderte zum Beispiel Erasmus Gerber, ein Handwerker aus Molsheim im Elsass, am 29. April 1525, dass jede Stadt, jeder Flecken und jedes Dorf unverzüglich jeden vierten Mann zur Verfügung stellen möge, damit diejenigen, 114 BOEMUS, Historia moralis (wie Anm. 104), S. 386. 115 Vgl. zum Beispiel die Feldordnung der fränkischen Bauern vom April 1525: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, hg. von Günther FRANZ, Darmstadt 1963, S. 347– 353; BENSING/HOYER, Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 34), S. 39–57; Günter VOGLER, Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk. Der deutsche Bauernkrieg 1525, Berlin 21983, S. 114–118.

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„so jetzund bi uns im Hufen sind, ouch anheimsch ziehent und ir Wiber, Kinder und Guter versorgen mögent, und so jetzund ufgeleit [aufgeboten sind], acht Tag im Hufen bliben und uber acht Tag abermols abwichseln“.116 Auch erhielten ländliche Untertanen im Rahmen der Landesdefension (wo diese existierte) eine militärische Ausbildung, die sie während des Bauernkriegs nutzen konnten.117 Viertens: Auf welche Weise erfolgte die Kommunikation? Die meisten Autoren sprechen den Aufständischen jegliche Bildung ab, was so allgemein nicht zutrifft. In Johann Agricolas Schrift „Ein nutzlicher Dialogus oder gesprechbuchlein zwischen einem Müntzerischem Schwermer und einem Evangelischem frumen Bawern“ von 1525 fragt der Müntzeranhänger den ihn belehrenden Bauern, woher er seine Kenntnisse habe, und dieser antwortet: „Ich kan ein wenig deutzsch lesen / drumb bin ich zu Erfordt zur predigen gegangen und hab mein buch altzeit bei mir / das neu Testament und wen doctor Lang predigt so such ichs denn und behalts.“118 Auch richteten sich die Zwölf Artikel an den „christlichen Leser“, und die Einleitung schließt mit der Aufforderung: „Derhalben christlicher Leser, solliche nachvolgend Artikel lise mit Fleiß, und nachmals urtail.“119 Es gibt zudem Hinweise, dass Aufständische sie bei sich trugen,120 und wer des Lesens nicht kundig war, dem wurden sie vorgelesen. Es gibt aber auch andere Berichte: Als Jäcklein Rohrbach von einem Mann gefragt wurde, ob er die Bauernartikel besitze, habe er geantwortet, „ja, ich habs im bußen, ich will dichs lesen lassen, Sagt er, ich kans nit lesen“.121 Es gibt also durchaus Veranlassung, die Quellen eingehender unter dem Gesichtspunkt kommunikativer Praktiken zu befragen. Welche Aufgaben nahmen zum Beispiel die aus Städten kommenden Mitstreiter und die Prediger in den Haufen wahr? Die Aufgaben letzterer bezeichnet Justus Maurer als „Führen, Raten und Schreiben“.122

116 Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges (wie Anm. 115), S. 244. 117 Vgl. Helmut SCHNITTER, Volk und Landesdefension. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deutschen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 1977, S. 58–63. 118 Ludwig FISCHER (Hg.), Die lutherischen Pamphlete gegen Thomas Müntzer, Tübingen 1976, S. 95. 119 Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges (wie Anm. 115), S. 174 f. 120 Vgl. VOGLER, Der revolutionäre Gehalt (wie Anm. 38), S. 225–227. 121 Urkundenbuch der Stadt Heilbronn, hg. von Moriz von RAUCH, Bd. 4, Stuttgart 1922, S. 374. 122 Vgl. MAURER, Prediger im Bauernkrieg (wie Anm. 75), S. 225–239.

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Fünftens: Welche Aufgaben fielen den Frauen der Aufständischen zu? Bisher ist nur Marion Kobelt-Groch der Frage eingehender nachgegangen.123 Sie kommt zu dem Ergebnis: „Die Quellen sagen mehr über Frauen aus, als offensichtlich bislang wahrgenommen wurde, wenn sich auch nicht verleugnen läßt, daß das Material vergleichsweise spärlich ist.“124 Der Bauernkrieg sei zwar Männersache gewesen, „aber dennoch von den Frauen entschieden mitgetragen“ worden.125 Zuerst begegne die Frau als Informationsträgerin und Kommunikationspartnerin. „Sie weiß Bescheid über das, was stattgefunden hat, gerade passiert und möglicherweise kommen wird, und sie geht mit diesem Wissen um.“126 Frauen waren darüber hinaus öfters auch an Aktionen beteiligt. „Sie störten Predigten, beschimpften und bedrohten Geistliche, demolierten Kirchen und Klöster und waren aktiv an Plünderungen beteiligt. Das, was sich in und um den ‚Bauernkrieg‘ als Antiklerikalismus bzw. Obrigkeitskritik äußerte, wurde von Frauen entschieden mitgetragen.“127 Es bleibt indes eine Aufgabe, die Aktivitäten der Frauen stärker in Darstellungen zur Bauernkriegsgeschichte zu integrieren.128 Sechstens: Wie wurde mit den Toten der Gefechte und Schlachten umgegangen? Die Frage ist relevant, wenn man bedenkt, dass allein bei Frankenhausen an die 6.000 Aufständische getötet wurden und insgesamt etwa 70.000 ihr Leben verloren. An verschiedenen Orten Thüringens sollen Steine und Kreuze an die Erschlagenen erinnert haben. Der Theologe Georg Michael Pfefferkorn (1646– 123 Vgl. Marion KOBELT-GROCH, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen, Frankfurt am Main/New York 1993, S. 34–63; Heide WUNDER, „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, S. 30–41. 124 KOBELT-GROCH, Aufsässige Töchter Gottes (wie Anm. 123), S. 37 f. 125 Ebd., S. 38. 126 Ebd., S. 51. 127 Ebd., S. 53. 128 Das gilt allerdings auch für die spätere Zeit. Vgl. zum Beispiel Werner TROßBACH, „Rebellische Weiber“? Frauen in bäuerlichen Protesten des 18. Jahrhunderts, in: Heide WUNDER/Christina VANJA (Hg.), Weiber, Menscher, Frauenzimmer. Frauen in der ländlichen Gesellschaft 1500–1800, Göttingen 1996, S. 154–174; Claudia ULBRICH, Frauen im Aufstand. Möglichkeiten und Grenzen ihrer Partizipation in frühneuzeitlichen Bauernbewegungen, in: Ursula FUHRICH-GRUBERT/Angelus H. JOHANSEN (Hg.), Schlaglichter Preußen – Westeuropa. Festschrift für Ilja Mieck zum 65. Geburtstag, Berlin 1997, S. 335–348; DIES., Unartige Weiber. Präsenz und Renitenz von Frauen im frühneuzeitlichen Deutschland, in: Verflochtene Geschichte(n). Ausgewählte Aufsätze zu Geschlecht, Macht und Religion in der Frühen Neuzeit, hg. von Andrea GRIESEBNER, Köln/Wien 2014, S. 15–45.

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1732), Lehrer in Altenburg und Prinzenerzieher in Gotha, informiert in seinem Werk „Merckwürdige und Auserlesene Geschichte von der berümten Landgrafschaft Thüringen“: Etliche von denen geköpften Bauren wurden an die Wege und Land-Strassen begraben / und auf ihre Leichen-Stein allerley Bauren Instrumenta / als Grabe-Scheider / Aexte / Mist-Gabeln / etc. eingehauen / dergleichen noch hin und wieder an den Strassen gegen Sangerhausen / und sonst in Thüringen bey Erfurt rum stehen / um die vorüber fahrende und gehende Bauers-Leute zu erinnern / daß sie ihrer hohen Obrigkeit gehorchen sollen.129

Ähnlich berichtet Eusebius Christian Francke (1663–1723?), Stadtchronist und Kantor zu Friedeberg in der Grafschaft Mansfeld, in seiner Schrift „Historie der Grafschaft Manßfeld“: Als 60 Reiter Graf Albrechts im Mai 1525 einen Bauernhaufen bei Osterhausen überfielen, seien 200 Rebellen massakriert und die andern gefangen genommen worden. „Die Todten wurden vor dem Dorfe Rothen-Schirmbach, wo die grosse Linde stehet, begraben, und ihre Grab-Stätten mit etlichen grossen Steinen, auf welchen allerhand Bauren-Instrumente eingehauen, bemercket, welche zum Theil noch daselbst zu sehen.“130 Da in den Haufen zumeist Prediger anwesend waren, wäre es aufschlussreich zu wissen, ob sie bei diesen Gelegenheiten aktiv wurden und die für Beerdigungen vorgesehenen Rituale eine Rolle spielten,131 und da die Toten wohl nicht in geweihter Erde begraben wurden, dürfte das Folgen für das spätere Gedenken gehabt haben. Würden die Quellen eingehender zu den hier angesprochenen Themen befragt, könnte unsere Kenntnis der Bauernkriegsgeschichte bereichert, könnte sie „menschlicher“ werden. 129 Georg Michael PFEFFERKORN, Merckwürdige und Auserlesene Geschichte von der berümten Landgrafschaft Thüringen, Frankfurt am Main 1684 (VD17 3:006563X), S. 457. Ähnlich berichtet Anton Rudolph WARLICH, Geschichte aus Ober-Sachsen für einen deutschen Knaben. Geschichte des schwärmerischen Pfarrers und BauernFeldmarschalls Thomas Münzer in Thüringen im J. 1525, Göttingen 1786 (VD18 11529873), S. 136 f., über Steine und Kreuze bei Kelbra, Sangerhausen und an anderen Orten, in die Bauerngerät eingeritzt worden sei. Das seien gleichsam die Grabschriften und Leichensteine, „die die Vorübergehenden an das traurige Schicksal ihrer unglücklichen Vorfahren erinnern und dadurch vor einem ähnlichen Aufstand abschrecken“ sollten. 130 Eusebius Christian FRANCKE, Historie Der Grafschaft Manßfeld: Darinnen die curieusesten Nachrichten von dem Ursprung des Nahmens dieser Grafschafft, derselben ersten Einwohnern, Landes Beschaffenheit […]. Von Anfang bis auf unsere Zeiten aus glaubwürdigsten Schriften mit besondern Fleisse zusammen getragen, Leipzig 1723 (VD18 1017754X), S. 245. 131 Vgl. VAN DÜLMEN, Kultur und Alltag, Bd. 1 (wie Anm. 101), S. 215 f. u. 222.

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8. Erinnerungskultur Ein weithin noch unbearbeitetes Thema dürfte die Erinnerungskultur sein. Dabei geht es nicht um die zeitgenössischen, das Bauernkriegsgeschehen illustrierenden Graphiken, sondern die Zeichen, die später an authentischen Orten an Ereignisse oder Personen erinnern sollten. Ein frühes eigenartiges Zeugnis findet man zum Beispiel in Gera. Offenbar waren Einwohner an den Aktionen der Aufständischen beteiligt, so dass ein Sühnebrief vom 16. August 1525 der Stadt die Zahlung von jährlich 200 Gulden auferlegte. Im Zusammenhang mit Bauarbeiten wurde dann an einem Eckturm des Schlosses Osterstein eine Tafel mit der Inschrift eingelassen: „1526 das nehst iar nachm paurnkrig“ (Abb. 4).

Abb. 4: „1526 das nehst iar nachm paurnkrig“, Schloss Osterstein 1526

Ein anderes Beispiel, das allerdings nicht den Bauernkrieg direkt betrifft: Im September 1527 planten Görlitzer Tuchmacher einen Aufstand gegen den Rat. Zur Vorbereitung trafen sich einige Verschwörer im Hinterhaus des Tuchmachers Peter Liebig, das sich in einer schmalen Gasse zwischen dem Obermarkt und der Langen Straße befand. Die Verschwörung wurde aufgedeckt und Liebig und mehrere Aufrührer am 25. September hingerichtet. Kurze Zeit später ließ

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der Rat an dem Türsturz die Buchstaben einmeißeln: „D.V.R.T. 1527“, das heißt „Der verräterischen Rotte Tür“ (Abb. 5). Die Gasse trägt heute noch den Namen „Verrätergasse“.

Abb. 5: „D.V.R.T. 1527“ ( Der verräterischen Rotte Tür)

Welche Absichten mit dieser Art Erinnerungskultur verfolgt wurden, demonstriert anschaulich der Mainzer Marktbrunnen (Abb. 6). Im April 1525 hatten sich Bürger erhoben und 31 Artikel vorgelegt. Nach der Niederlage ließ der Statthalter des Erzbischofs und Kurfürsten Albrecht von Brandenburg den ihm abgezwungenen Vertrag als Zeichen der Ungültigkeit zerreißen und die „Aufrührer“ bestrafen. Als Albrecht 1526 in die Stadt zurückkehrte, stiftete er einen Renaissancebrunnen aus rotem Sandstein, mit dem an den Sieg der kaiserlichen Söldner bei Pavia und die Niederwerfung der Aufständischen im Bauernkrieg erinnert wird.132 Mit dem Bildprogramm soll die Macht des Landesherrn demonstriert werden, indem neben zahlreichen Wappen und Tugendsymbolen die Figuren der

132 Vgl. Irnfriede LÜHMANN-SCHMID, Der Mainzer Marktbrunnen, seine Denkmals- und Bildideen, in: Mainzer Zeitschrift 69 (1974), S. 180–186.

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Abb. 6: Marktbrunnen, Werkstatt von Hans Backoffen, Mainz 1526

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Stadtpatrone Martin und Bonifatius sowie Bischof Ulrich zu sehen sind und über ihnen Maria mit dem Jesuskind thront. Nicht ein Bauer, wie es Dürer mit seiner Gedenksäule vorführte, sondern die geistlichen Schutzgestalten krönen das Werk. In den Pfeilerfüllungen werden hingegen unter anderem zwei Bauern als Verlierer verspottet. Der eine hält einen Hahn im Arm (Zeichen der Streitlust und der Brandstiftung) und einen Weinkrug in der Hand. Im Fallen stößt er einen zweiten Weinkrug um, so dass der Wein herausläuft und ihm nur das aus einer Amphore fließende Wasser bleibt. Der andere Bauer trägt einen Geldbeutel fort, dessen Inhalt er verliert. Das ist der „gemeine Mann“, der während der Aufstände zu viel Wein verzehrte und sich nun mit Wasser begnügen muss, der nur plünderte und nun das geraubte Gut wieder verliert. Die Absicht dieser Darstellung wird noch unterstrichen, wenn an einem Pfeiler – wohl in Anlehnung an Sirach 7, 40133 – zu lesen ist: „O Bedenck das End.“ Der Landesherr stiftete ein Denkmal, das die Bürger ermahnte, künftig von aufrührerischem Handeln abzulassen. Der „gemeine Mann“ hingegen visualisierte sein Erinnern an das Geschehene nicht, wie überhaupt die Erinnerung an den Bauernkrieg über die Generation der Zeitgenossen hinaus keine größere Rolle spielte. Doch für manche, die ihn erlebt hatten, war er offenbar „so bedeutsam, daß er noch Jahrzehnte später zur Bestimmung des eigenen Lebensalters genutzt wurde“.134 Während seit dem 19. Jahrhundert die Zahl der an Luther und die Reformation erinnernden Stätten ständig im Steigen begriffen war, wurden die bäuerlichen Aufstände und ihre Anführer offenbar nicht einer solchen Ehrung für würdig befunden. Das vermutlich erste Denkmal wurde in Schladming in der Steiermark in Erinnerung an die erfolgreiche Schlacht gegen die Truppen des Landesherrn errichtet (Abb. 7).135 Angeregt vom Steirischen Bauernbund, wurde es am 11. Oktober 1925 eingeweiht. Die Vorderseite trägt die Inschrift: „Das Bauernheer besiegte am 3. Juli 1525 die ständischen Truppen und eroberte Schladming“, und die Rückseite zeigt das Symbol der Bundschuhverschwörungen. Für die deutschen Territorien muss generell erst noch ermittelt werden, seit wann und wo Gedenkzeichen den Bauernkrieg in den Blick rückten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, dürfte es zutreffend sein, dass erst mit und seit dem 450. Jahrestag des Bauernkriegs 1975 einige Ereignisse und Persönlichkeiten öffentlich gewürdigt wurden. 133 „Was du tust, so bedenke das Ende, so wirst du nimmermehr Übles tun.“ 134 Helmut GABEL/Winfried SCHULZE, Folgen und Wirkungen, in: BUSZELLO/BLICKLE/ ENDRES (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg (wie Anm. 77), S. 322–349, hier S. 348. 135 Vgl. Walter STIPPERGER, Bauernkrieg-Denkmal in Schladming, in: Heimatkundliche Blätter von Schladming 3 (1984), S. 3.

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Abb. 7: Bauernkriegs-Denkmal von Rudolf Hofer u. Leo Miller, Schladming 1925

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So wurde zum Beispiel an der Wand des „Brunnenkellers“ am Eisenacher Markt eine Gedenktafel angebracht (Abb. 8). Als im April 1525 der Werrahaufen sich Eisenach näherte und in die Stadt einziehen wollte, gewährte der Rat nur einigen Hauptleuten Einlass. Sie wurden jedoch sofort gefangen gesetzt und ihnen auf dem Markt der Prozess gemacht, der ihre Hinrichtung zur Folge hatte. Die Leichen wurden im Hof des Dominikanerklosters verscharrt.

Abb. 8: Gedenktafel am „Brunnenkeller“ am Markt, Eisenach 1975

Die Tafel vom Mai 1975 informiert: „Als Bauernführer in die Stadt gelockt und nach kurzem Prozeß am 11. Mai 1525 auf dem Eisenacher Marktplatz enthauptet“, und es folgen die Namen: Hans Sippel aus Vacha, Jakob Töpfer aus Berka, Jörg Hain aus Witzelroda, Hermann Storck aus Eisenach und Heinz Bittemer aus Nesselröden.

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Ein eindrucksvolles Denkmal befindet sich seit 1989 nahe der Festung in Würzburg (Abb. 9).136 Dort wurde am Neutorgraben eine Skulptur aus Edelstahl aufgestellt, die eine aus stilisiertem Wurzelwerk aufragende vier Meter hohe Ramme symbolisiert, wie sie zum Aufbrechen von Festungswerken benutzt wurde. In Erinnerung gerufen wird damit der im Mai 1525 gescheiterte Versuch, die bischöfliche Festung zu erobern. Das Erinnern an die Niederlage korrespondiert mit dem Blick zu den Wurzeln, aus denen das Verlangen nach Befreiung aus der Knechtschaft erwuchs.

Abb. 9: Bauernkriegsdenkmal von Rainer Krämer-Guille, Hans-Joachim Hummel und Adalbert Zimmermann, Festung Würzburg am Neutorgraben, Würzburg 1989 136 Vgl. Chronik der Stadt Würzburg 1989–1992, hg. von Ulrich WAGNER, Würzburg 1996, S. 108.

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Hinsichtlich der Würdigung denkwürdiger Persönlichkeiten ist ein frühes Beispiel die Statue Thomas Müntzers von Will Lammert an der Stadtmauer in Mühlhausen von 1957.137 Eindrucksvoll sind auch das Müntzerdenkmal von Klaus Friedrich Messerschmidt vor dem Rathaus in Stolberg am Harz (1989) und die Skulpturengruppe „Ruf – Leid – Aufbruch“ von Klaus-Michael Stephan in der Mühlhäuser Marienkirche (1989).138 An anderen Orten folgten später Denkmale für Hans Böheim in Würzburg und Helmstedt, Joß Fritz in Bruchsal, Florian Geyer in Giebelstadt, Ulrich Schmid in Sulmingen und Margarethe Renner (die „schwarze Hofmännin“) in Böckingen. Zur Erinnerung an den Aufstand in der Pfalz gestaltete Peter Brauchle Albrecht Dürers „traureten Bauern“ als Bronzefigur, die 2002 in Nußdorf aufgestellt wurde. Auch wurde zum Gedenken an den hingerichteten Maler Jörg Ratgeb am 5. Mai 2015 in seiner Heimatstadt Herrenberg ein eindrucksvoller Skulpturenpfad mit 21 Werken eröffnet. Eine der Skulpturen mit dem Titel „Blutspur“ von Frederick D. Bunsen (Abb. 10) weist die Form eines Kreuzes aus Glas mit eingeschlossener roter Farbe auf. Die Kreuzform und die Blut symbolisierende Farbe erinnern sowohl an Christus und seine Wundmale als auch an die Vierteilung Ratgebs. Eine Gelegenheit zur Aufstellung von Gedenksteinen oder anderen Zeichen boten auch die Schauplätze von Schlachten. Das gilt nicht nur für Werner Tübkes Panorama auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen,139 sondern auch für Schlachtorte im Südwesten.140 Im Mai 2000 wurde zum Beispiel anlässlich des 475. Jahrestags der Schlacht bei Böblingen ein Skulpturenpfad geschaffen, zu dem in Böblingen und Sindelfingen jeweils drei große Skulpturen gehören, die die Konfrontation der Gegner auf dem Schlachtfeld nachempfinden und an die Opfer erinnern.141

137 Vgl. Günter VOGLER, Das Thomas-Müntzer-Denkmal in Mühlhausen. Die Denkmaltradition und das Monument von Will Lammert, Mühlhausen 2007. 138 Vgl. Rolf LUHN, „Thomas Müntzer: Ruf – Leid – Aufbruch“. Zur Skulpturengruppe von Klaus-Michael Stephan in der Mühlhäuser Marienkirche, in: Günter VOGLER (Hg.), Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur. Das Beispiel bildende Kunst, Mühlhausen 2008, S. 83–88. 139 Vgl. Harald BEHRENDT, Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen. Zwischen staatlichem Prestigeobjekt und künstlerischem Selbstauftrag, Kiel 2006. 140 Vgl. Rolf KIEßLING, Der Bauernkrieg in Oberschwaben. Beobachtungen zu einer regionalen Erinnerungskultur, in: Elmar L. KUHN (Hg.), Der Bauernkrieg in Oberschwaben, Tübingen 2000, S. 513–536, bes. S. 521–534. 141 Vgl. Cornelia WENZEL, Das Deutsche Bauernkriegsmuseum Böblingen und seine Kunstsammlung, in: Rolf LUHN/Thomas T. MÜLLER/Jürgen WINTER (Hg.), Sichtungen und Einblicke. Zur künstlerischen Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im geteilten Deutschland, Petersberg 2011, S. 67 f.

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Abb. 10: „Blutspur“ von Frederick D. Bunsen, Jerg Ratgeb Skulpturenpfad, Herrenberg 2015

Während im Mühlhäuser Bauernkriegsmuseum anlässlich der Ausstellung „Sichtungen & Einblicke“ 2011 schon viele Arbeiten zur künstlerischen Rezeption des Bauernkriegs zusammengetragen wurden,142 steht eine möglichst vollständige Übersicht über Denkmale, Gedenktafeln und andere Zeichen an Erinnerungsstätten noch aus. Ein solcher Überblick wäre allerdings die Voraussetzung, um fundiert über Tendenzen der Erinnerungskultur urteilen zu können. 142 Vgl. LUHN/MÜLLER/WINTER (Hg.), Sichtungen und Einblicke (wie Anm. 141).

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Eingedenk der eingangs zitierten Worte über das Vergessen der uns fremd gewordenen ländlichen Lebenswelt, sollte dem entgegengewirkt werden. Ein Zeichen könnte die Tagung „Reformation und Bauernkrieg“ setzen, denn am Horizont zeichnet sich schon ab, dass wir 2025 mit dem 500. Jahrestag des Bauernkriegs konfrontiert werden. Darauf sollten wir vorbereitet sein.

Abkürzungsverzeichnis ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abb. ABKG Abt. AGBM AM Anm. Art. Bd. Bearb. bes. Bl. BStU

CM d. Ä. d. J. d. Verf. ders. dies. ebd. EBG EGA ER f. / ff. fl. fol. GHA Gr. GWU H. Hg. HHStA HStA JbRegG jun. Kap. LASA

Abbildung Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen Abteilung Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland Achtmänner Anmerkung Artikel Band Bearbeiter besonders Blatt Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Chronicon Mulhusinum der Ältere der Jüngere der Verfasser derselbe dieselbe ebenda Ewiger Bund Gottes Ernestinisches Gesamtarchiv Ewiger Rat folgende Gulden folio Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv Groschen Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Heft Herausgeber Haus-, Hof- und Staatsarchiv Hauptstaatsarchiv Jahrbuch für Regionalgeschichte junior Kapitel Landesarchiv Sachsen-Anhalt

436 LATh MfS NF / N. F. Nr. o. O. o. J. Pf. r Red. Reg. S. / Sp. SED SLUB StA StadtA ThMA UA Urk. v VD16 vgl. WA WA Br Z. ZAA ZfG

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Landesarchiv Thüringen Ministerium für Staatssicherheit Neue Folge Nummer ohne Ort ohne Jahr Pfennig recto Redaktion Regest Seite / Spalte Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sächsische Universitäts- und Landesbibliothek Staatsarchiv Stadtarchiv Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe Universitätsarchiv Urkunde verso Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts vergleiche D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Schriften/Werke D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. Briefwechsel Zeile Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

Abbildungsnachweis ABBILDUNGSNACHWEIS

Farbabbildungsteil Farbabb. 1: Bildarchiv Alexander Krünes, Vorlage aus: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 3: Das Zeitalter des Humanismus und der Reformation, Köln/Wien 1967 (Kartenbeilage); Farbabb. 2: Diebold Schilling. Luzerner Bilderchronik, 1513. Zur 6. Jahrhundertfeier des Eintrittes Luzerns in den Bund der Eidgenossen, hg. von der Einwohner- u. Korporationsgemeinde Luzern, bearb. von Robert DURRER und Paul HILBER, Genf 1932, Tafel 163; Farbabb. 3: Bildcollage Alexander Krünes nach Vorlage aus: Wilhelm FRAENGER, Jörg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauernkrieg, hg. von Gustel FRAENGER und Ingeborg BAIER-FRAENGER, Dresden 1972, Tafel 78, 86, 90 u. 94; Farbabb. 4: Sammlung Würth; Farbabb. 5: Mühlhausen, Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche (Foto: Mühlhäuser Museen); Farbbbb. 6: Mühlhausen, Rathaus (Foto: Tino Sieland); Farbabb. 7: Panorama Museum, Bad Frankenhausen, Z 44/76; Farbabb. 8–9 u. 14–19: Panorama Museum, Bad Frankenhausen; Farbabb. 10: Panorama Museum, Bad Frankenhausen, Z 94/77; Farbabb. 11: Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung, aus: Brigitte TÜBKESCHELLENBERGER (Hg.), Werner Tübke. Das malerische Werk. Verzeichnis der Gemälde 1976 bis 1999, Dresden 1999, S. 60; Farbabb. 12: Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 37,10; Farbabb. 13: Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 40,47. Beitrag Jürgen von Ahn Abb. 1, 2, 5, 8 u. 9: Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 97, 130, 280 u. 309–311; Abb. 3: Panorama Museum, Bad Frankenhausen, Abb. 4: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) / Deutsche Fotothek / Godenschweg, Irene; Abb. 6: Der Bauer und seine Befreiung. Kunst vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Ausstellung aus Anlaß des 450. Jahrestages des Deutschen Bauernkrieges und des 30. Jahrestages der Bodenreform, Ausstellung im Albertinum, September 1975 bis Januar 1976, hg. vom Ministerium für Kultur. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 1975, S. 83; Abb. 7: Bildcollage Alexander Krünes, nach Vorlage aus: Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/ Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 310; Karl GIEHLOW, Dürers Stich Melencolia I und der maximilianische Humanistenkreis, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 26 (1903), H. 2, S. 31; Emil WALDMANN, Albrecht Dürer. Mit 80 Vollbildern und Gemälden, [Bd. 1], Leipzig 1916, Abb. 21.

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ABBILDUNGSNACHWEIS

Beitrag Ulrike Eydinger Abb. 1: Georgii Agricolae De re metallica libri XII. Quibus officia, instrumenta, machinae, ac omnia denique ad metallicam spectantia, non modo luculentissime describuntur, sed & per effigies, suis locis […]. Basileae: [Froben] 1556, S. 155. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 3119, http://doi.org/10.3931/e-rara–11131 / Public Domain Mark; Abb. 2: Joh. Ludov. Gottfridi Historische Chronica oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt biss auff das Jahr Christi 1619 […]. Nach Ausstheilung der vier Monarchien und beygefügter JahrRechnung, auffs fleissigste in Ordnung gebracht, vermehret, und in acht Theil abgetheilet: mit […]. [s.l.]: durch Matthaeum Merianum, MDCCX. [1710], S. 663, Detail. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 9317, http://doi.org/10.3931/e-rara–47291 / Public Domain Mark; Abb. 3: Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 60,22; Abb. 4: Publius Vergilius Maro, Opera. Georgica, hg. v. Sebastian BRANT, Straßburg 1502, 2. Buch, fol. LXXV verso © http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vergil1502/ 0168; Abb. 5: Publius Vergilius Maro, Opera. Georgica, hg. v. Sebastian BRANT, Straßburg 1502, 3. Buch, fol. XCVIII recto. © http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/vergil1502/0213; Abb. 6–8: Illustrationen aus: Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 112 f., S. 76 f. und S. 373; Abb. 9: Foto Viola Boden, Tübke-Stiftung Leipzig. Beitrag Jan Scheunemann Abb. 1: DEFA-Stiftung, Fotograf: Manfred Klawikowski; Abb. 2: Bundesarchiv, Bild 183–1982-0514-018, Fotograf: Jürgen Sindermann; Abb. 3: Bundesarchiv, Bild 183–1989-0119-032, Fotograf: Rainer Mittelstädt; Abb. 4: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Fotograf: Juraj Lipták. Beitrag Antje Schloms Abb. 1 u. 4–6: Stadtarchiv Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1, fol. 1r, 13v–14r u. fol. 84r; Abb. 2 u. 3: Grafik Antje Schloms, Mühlhausen. Beitrag Uwe Schirmer Abb. 1: Die Reformation in Dokumenten aus den Staatsarchiven Dresden und Weimar und aus dem historischen Staatsarchiv Oranienbaum, hg. von Hans EBERHARDT und Horst SCHLECHTE, Weimar 1967, Karte hinten; Abb. 2 u. 5: Bildarchiv Alexander Krünes, eigener Kartenentwurf nach: Barthel HUPPERTZ, Räume und Schichten bäuerlicher Kulturformen in Deutschland. Ein Beitrag zur deutschen Bauerngeschichte, Bonn 1939, Karte IV und Karte X; Abb. 3: Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 219; Abb. 4: Karlheinz BLASCHKE, Sachsen im Zeitalter der Reformation, in: Sächsische Heimatblätter 13 (1967), H. 4, S. 161. Beitrag Martin Sladeczek Abb. 1: Foto Thomas Wolf, Gotha; Abb. 2: Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt.

ABBILDUNGSNACHWEIS

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Beitrag Friedrich Staemmler Abb. 1: Mühlhausen, Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche (Foto: Mühlhäuser Museen); Abb. 2: Mühlhausen, Rathaus (Foto: Tino Sieland). Beitrag Günter Vogler Abb. 1–3: Adolf LAUBE/Max STEINMETZ/Günter VOGLER, Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 160, 171 u. 234; Abb. 4: Günter VOGLER, Von der frühbürgerlichen Revolution zur bürgerlichen Umgestaltung. Ende des 15. Jahrhunderts bis 1789, in: Joachim HERRMANN u. a. (Hg.), Deutsche Geschichte in 10 Kapiteln, Berlin 1988, S. 152; Abb. 5: Foto Frank Vincentz (Ausschnitt), lizenziert unter CC-BY-SA-3.0 über Wikimedia Commons (https:// commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11588600); Abb. 6: Foto Berthold Werner (Ausschnitt), lizenziert unter CC-BY-SA-3.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21088970); Abb. 7: Foto Ewald Gabardi, lizenziert unter CC-BY-SA-3.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28587199); Abb. 8: Foto Metilsteiner, lizenziert unter CC-BY-SA-3.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6095021); Abb. 9: Foto Coyote III (Ausschnitt), lizenziert unter CC-BY-SA-4.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34520316); Abb. 10: Foto Kamahele (Ausschnitt), lizenziert unter CC-BY-SA-4.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39914654)

FARBABBILDUNGEN

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FARBABBILDUNGEN

Farbabb. 1: Der thüringisch-mitteldeutsche Raum um 1500

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Farbabb. 2: Der Bauernführer Peter Amstalden unter der Dorflinde von Schüpfheim, Holzschnitt 1513

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FARBABBILDUNGEN

Farbabb. 3: Der Herrenberger Altar (geöffneter Zustand) von Jörg Ratgeb

Farbabb. 4: Mittelteil des Ratgeb-Altars von Hans Kloss

FARBABBILDUNGEN

Farbabb. 5: Wilhelm Otto Pitthan, Thomas Müntzer spricht zu Bauern bei Mühlhausen, 1953–56

Farbabb. 6: Wilhelm Otto Pitthan, Thomas Müntzer setzt den Ewigen Rat ein – 1525, 1957–60

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Farbabb. 7: Werner Tübke, Federzeichnung, weiß gehöht, 1976

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Farbabb. 8: Werner Tübke, Schwangere Frau aus der Winterlandschaft, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

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Farbabb. 9: Werner Tübke, Thomas Müntzer mit gesenkter Bundschuhfahne, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

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Farbabb. 10: Werner Tübke, Rötelzeichnung, 1977

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Farbabb. 11: Werner Tübke, „Die Weihnachtsnacht 1524“, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 1976

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Farbabb. 12: Georg Pencz, „Die Klage der Neun Musen über Deutschland“, 1535

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Farbabb. 13: Peter Flötner, „Der zugrunde gerichtete Handwerker“, um 1535

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Farbabb. 14: Werner Tübke, Die Neun Musen, Adam und Eva sowie die Aussaat der Stände, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

Farbabb. 15: Werner Tübke, Der zugrunde gerichtete Handwerker, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

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Farbabb. 16: Werner Tübke, Wasserhebemaschine und Druckerei, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

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Farbabb. 17: Werner Tübke, Bauern und Händler, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

Farbabb. 18: Werner Tübke, Brunnen mit den Geistesgrößen der Zeit, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

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FARBABBILDUNGEN

Farbabb. 19: Werner Tübke, Paracelsus, Detail aus „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, 1983–1987

Ortsregister Das Register enthält alle im Text- und Fußnotenteil genannten Orte. Geographische Landschaftsbezeichnungen sowie territoriale Bestandteile in Herrschaftstiteln wurden nicht aufgenommen. Ortsnennungen, die lediglich bibliographischen Angaben zugehören, wurden ebenfalls nicht erfasst. Abersfeld 134 Albersdorf 223 Allstedt 53, 76, 79, 82, 97, 111, 151, 153, 164, 209, 215, 217, 302 Alsmannsdorf 218 Altenberga 202 Altenburg 40, 44, 50–52, 62–64, 85, 206, 215, 423 Altmügeln 49 Alzey 360 Ammerbach 220 Ammern 66, 99 Apolda 59 Arnsburg 81 Arnshaugk 46, 199, 212 f., 215, 218 Arnstadt 29, 52 f., 59, 73, 106, 128 f., 226 f., 229–231, 234–239 Artern 71, 81–83 Augsburg 126, 247, 249 f., 309, 416, 420 Auwallenburg 137 Ballingshausen 134 Bamberg 249 Barchfeld 125 Basel 109, 176, 216, 278 f., 343 Behringen 235 Beichlingen 81 f., 157 Bendeleben 81 Benshausen 116 Berchtesgaden 176 Berka 429 Berlin 15, 331, 337, 349, 353 f., 361 f., 368 f., 376, 381, 384, 404 Bettenhausen 158 Beulbar 220

Beuren 262 Beutelsdorf 200, 213, 222 Beutnitz 219 Biberach 109 Bibra 126, 214, 222 Bildhausen 117 f., 120, 126 Bilzingsleben 57 Blankenburg 59, 231 Bochum 402 Böblingen 502, 431 Böckingen 431 Börthen 218 Bollberg 224 Borna 52, 316 Borodino 379 Breitenhain 218 Breitungen 118, 120, 125, 136–138, 141 Bremen 226, 307, 342 Bremsnitz 223 Breslau 25 Brotterode 146 Bruchsal 431 Brücken 81 Bucha 220 Bürgel 212, 219 Burgau 205, 213, 220 Burglauer 123 Burgwitz 218 Buttstädt 53 Camsdorf 219 Chemnitz 40 Christes 136 f. Closewitz 219 Coburg 33, 43, 115, 144

458 Colm 30 Cospeda 219 Cotta 332 Creglingen 393 Creuzburg 28, 53, 107 f., 110, 169, 215 Daumitzsch 218 Dessau 22, 404 Dietzhausen 127 Döbritz 218 Dörnfeld 229, 233 Dorna 224 Dorndorf 200, 214, 222 Drackendorf 220 Dreba 218 Dreißigacker 120, 128 Dreitzsch 218 Dresden 11, 86, 245, 248 f., 316 Drössnitz 213, 223 Duderstadt 53 Duisburg 341 Ebern 265 Ebertshausen 134 Edersleben 81 Eger 59 Eichenberg 223 Eineborn 224 Eisenach 28, 53, 94, 107, 119 f., 123 f., 136 f., 165, 176 f., 181–185, 189–193, 215, 310, 429 Eisenberg 177, 315 Eisfeld 215 Eisleben 336 Engerda 200, 214, 222 Epfig 417 Erdmannsdorf 224 Erfurt 22, 28, 30, 43, 58–60, 62, 65, 83, 93 f., 119, 140, 162, 177 f., 226, 232 f., 236 f., 247, 249 f., 268, 301, 309 f., 326, 357, 364 f., 423 Eschwege 96, 102, 154 Espenfeld 231 Esslingen 105

ORTSREGISTER

Fauerbach 87 Fischberg 116 Flemmingen 56 Forst 134 Frankenhausen 35, 53, 55 f., 58 f., 61–63, 67 f., 71–90, 120, 126, 150, 160–162, 191 f., 194, 225 f., 254, 259, 263, 268, 280, 301, 310, 315, 325, 330, 332, 354, 373, 378 f., 381–385, 395 f., 411, 418, 422, 431 Frankfurt am Main 216, 342, 360, 394, 398 Frauenbreitungen 118, 138 Freiburg im Breisgau 176 Freienorla 200, 222 Friedebach 222 Friedeberg 423 Friedrichstadt 316 Fulda 116, 119, 124, 373 Gehren 128, 229, 231 Geisa 118 Geisenhain 223 Geisleden 105 Gera 305, 308, 311 f., 424 Gerega 219 Gernewitz 224 Gerstungen 28 Geunitz 200, 222 Giebelstadt 431 Gießen 341 Gleina 308 Gniebsdorf 219 Gochsheim 132 Göllingen 81 Görlitz 424 Görmar 77 Görnitz 316 Göschwitz 220 Göttingen 53, 349, 404 Golmsdorf 219 Gotha 53, 62, 96 f., 215, 246, 310, 364, 387, 423 Gräfenthal 25

ORTSREGISTER

Gräfentonna 57, 67 Greßhausen 134 Greuda 220 Greußen 226, 236 Griesheim 128, 235, 240 Grimma 316 Grimmenthal 119, 159 Gröben 223 Großbockedra 213, 221 Großeutersdorf 214, 222 Großgrabe 107 Großkröbitz 211 Großliebringen 128 (Groß)Löbichau 223 Großörner 133 Großpürschütz 220 Grumbach 57, 125 Günstedt 57 Günzburg 402 Gumperda 213 f., 222 f. Hagenau 249 f. Haina 126 Hainbücht 224 Hainichen 219 Hall 176, 185 Halle an der Saale 74, 349, 379, 404 Hallenberg 116 Hamburg 334, 341, 346–348, 385 Harburg 262 Haßfurt 127 Haßleben 233 Hausbreitenbach 28 Haynsburg 308 Heidelberg 13, 216, 284 Heidenfeld 142 Heidingsfeld 131 Heiligenstadt 98, 107 f. Heilingen 200, 210, 214, 217, 222 Heilsberg 128 Heinrichs 118, 139 Heldburg 144 Heldrungen 81 f., 87, 236 Hellborn 223 Helmershausen 120

459 Helmstedt 431 Henneberg 120 Henningsleben 57 Herbsleben 57 f. Herbstadt 158 Herpf 158 Herrenberg 289 f., 431 f., 444 Herrenbreitungen 118, 138 Hersfeld 154 Hildburghausen 115, 124, 127, 145 Hinternah 139 Homburg 57 Hummelshain 213, 220 Hungersdorf 218 Hutsberg 120 Ichtershausen 232 f., 235, 237 Ilmenau 52, 116, 118, 121, 127–130, 229, 235 Ilmnitz 220 Ilmsdorf 220 Innsbruck 402 f. Isserstedt 219 Jägersdorf 220 Jena 14, 30, 39, 52, 129, 199 f., 202, 205 f., 211 f., 214 f., 219, 301, 339 Jenaprießnitz 213, 219 Jerusalem 188, 288 Jüchsen 118, 130 f., 158 Kachstedt 81 Käfernburg 231–233 Kahla 211–213, 215, 220 Kaltennordheim 116, 118 f., 124, 145 Kannawurf 57 Karlsdorf 224 Karlstadt 216 Kelbra 423 Kemberg 176 Kesslar 213, 223 Kindelbrück 57 f. Kirchheilingen 57 Kitzingen 285 Kitzscher 316

460 Kleina 218 Kleinbockedra 221 Kleinbucha 223 Kleinebersdorf 223 Kleineutersdorf 214, 222 Kleinkochberg 223 Kleinkröbitz 211, 220 Kleinlöbichau 219 Kleinpürschütz 221 Klostermansfeld 133 Kölleda 57 f., 308 Köln 193, 249, 344, 346, 398 Königsberg 316 f. Königsee 59, 127, 226, 229, 231 Königshofen 118, 122, 124, 134 Körner 57 Köthnitz 218 Kötschau 219 Konstanz 91 Kopitzsch 218 Kospoda 218 Krakau 25 Kronach 158 Kühndorf 116 Kyritz 335 Laasan 220 Laasdorf 221 Langensalza 53–55, 57 f., 62, 67 f., 97–99, 120, 155, 162, 359, 374, 411 Langewiesen 127, 229, 231 Lehesten 25, 43 Leipzig 40 f., 52, 71, 86, 105, 138, 247, 249, 303, 311, 316, 321 f., 334, 348 f., 351, 379, 385, 392, 395, 404 Leuchtenburg 165, 199–202, 212 f., 220–224 Leutersdorf 116 Leutra 220 Lichtenau 218 Lichtenberg 116 Lichtenhain 221 Linda 218 Lindig 221

ORTSREGISTER

Lippersdorf 223 Lissabon 405 Lobeda 211 f., 214 f., 219 Lobenstein 312 Löberschütz 219 Löbichau 223 Löbschütz 221 Löbstedt 219 Löffelsterz 134 Lotschen 223 Lublin 25 Lützeroda 219 Luzern 278 Magdeburg 43, 46, 74, 84 Magersdorf 221 Maidbronn 286 f. Mainberg 116, 121, 131–134, 142, 147 Mainz 84, 247, 249, 262, 360, 425 f. Mallerbach 97, 111 Mansfeld 24, 29, 53, 133 Marburg 339 Marisfeld 126 Marktsteinach 134 Marlishausen 229, 235, 239 Martinsrieth 81 f. Maßfeld 116, 118 f., 124 f., 130 f., 138, 144 Maua 213, 220 Meckfeld 223 Meilitz 218 Meiningen 116, 118–124, 126–128, 130 f., 134–137, 141, 144 f., 147, 160, 301, 310 Mellrichstadt 118, 120, 122 f., 127, 135 Memmingen 350 f., 402, 404 f. Mennewitz 224 Meppen 39 Merseburg 46, 59, 311 Merxleben 107 f. Miesitz 218 Moderwitz 218 Möckern 213, 223 Mömpelgard (frz. Montbéliard) 84 Mörsdorf 224

ORTSREGISTER

Molbitz 218 Molsheim 420 Moskau 14, 332, 338, 379 Mügeln 44 Mühlberg 28, 43 Mühlhausen 9–12, 53, 55, 57, 60, 62 f., 65–68, 74, 77, 80, 82, 93–97, 99 f., 102, 104 f., 107–111, 126, 128, 146, 162–165, 168 f., 254, 256, 259, 262– 264, 266, 268–270, 333, 356, 359 f., 362–371, 373, 375, 380, 431, 445 München 15, 361 Münnerstadt 116 f., 123, 125 Münster 226, 328 Naumburg 40, 56 Naura 219 Nausnitz 219 Nennsdorf 220 Nesselröden 429 Neubrunn 158 Neudeck 218 Neunhofen 65, 218 Neuroda 128 Neusitz 214, 222 Neustadt an der Orla 59, 62, 65, 206, 211 f., 214 f., 218, 318 Neustadt an der Saale 133 Niederkrossen 223 Nordhausen 53, 60, 65, 77, 80, 162, 301 Nürnberg 91, 96, 102, 129, 135, 141, 146, 247, 249 f., 282, 291–293, 298, 393, 417, 420 Nußdorf 431 Oberbodnitz 221 Obergneus 221 Oberhasel 214, 222 Oberilm 128 Oberkrossen 223 Oberoppurg 218 Oelknitz 221 Orlamünde 179, 199–202, 204, 206, 208–217, 222 f.

461 Osterhausen 423 Osterstein 424 Ostheim vor der Rhön 116 Paris 360 Partschefeld 223 Paulinzella 128 f., 228–231, 234 f., 240 Pavia 425 Pforzheim 281, 288 Pillingsdorf 218 Pirna 332 Plaue 59 Podelsatz 223 Pörlitz 128 Pößneck 46 Porto Alegre 321 Posen (poln. Poznań) 25, 332 Prettin 311 Quaschwitz 218 Quedlinburg 157 Queienfeld 116, 131 Rabis 221 Rastatt 343 Rattelsdorf 224 Rednershof 134 Regensburg 247, 249 Rehmen 218 Reichmannshausen 134 Reifenstein 262 Reinstädt 204, 223 Reisensburg 402 Riestedt 57 Riethnordhausen 81 Ringleben 75, 81, 83 Roda 210, 212 f., 223 f. Rodigast 219 Röbschütz 200, 214, 222 Römhild 116, 123, 126, 137 Röttelmisch 223 Roggenburg 399 Rohr 136 f. Rom 405

462 Ronneburg 52 Røros 405 Roßwein 312 Rostock 345 Rothen-Schirmbach 423 Rothenburg ob der Tauber 216, 284 Rothenstein 211, 213, 220 Rottershausen 125 Rudolstadt 59, 226, 229–231, 239 Rückersdorf 223 Rutha 219 Ruttersdorf 224 Saalfeld 25, 152 Saarbrücken 349 Sachsenburg 57, 81 Salza → Langensalza Salzungen 116, 118, 136–138, 144, 190 f. Sand 116, 118, 145 Sangerhausen 22, 55, 58 f., 81, 156, 170, 332, 411, 423 Scharfenstein 10, 262 Scheiditz 224 Schladming 427 f. Schleifreisen 224 Schleusingen 116, 119–121, 127 f., 138 f., 147, 163 Schlotheim 53, 359, 362, 368, 372, 374 f. Schmalkalden 116, 118–120, 125, 138–141, 143, 145 f., 166 Schmieden 222 Schmieritz 218 Schmölln 221 Schöngleina 224 Schönstedt 57 Schonungen 132, 134 Schorba 202, 220 Schüpfheim 278, 443 Schulpforte 38, 56 Schwäbisch Gmünd 290 Schwarza 116, 118, 137 Schwarzburg 226 Schwaz 176

ORTSREGISTER

Schwednitz 44 Schweinfurt 116, 121 f., 131–134, 141–143, 236 Seega 81 Seitenbrück 221 Seitenroda 211, 221 Sennfeld 121, 132 f. Sindelfingen 431 Solkwitz 218 Sondershausen 53, 73, 77, 89 f., 226 Speyer 21, 247, 250, 404 Spiez 405 St. Wolfgang 120 Stadtilm 59, 128 f., 226, 228–235, 237–240 Stadtworbis 53 Stanau 218 Steinbrücken 218 Stepfershausen 158 Stolberg 59, 356, 431 Straßburg 169, 216, 247, 249, 398, 405 Straußberg 89 Strößwitz 218 Stündingshausen 134 Stuttgart 264, 288 f., 335 Stuttgart-Hohenheim → Stuttgart Sülzfeld 130 Suhl 116, 118, 127, 139, 144 Sulmingen 431 Sulza 219 Taupadel 220 Tautendorf 224 Teistungenburg 262 Tenneberg 215 Tennstedt 57 f. Thalbürgel 220 Thamsbrück 53, 55, 57 f., 62 Thayngen 109 Themar 116, 120, 122, 127, 133, 136, 139, 143 f., 147 Tissa 224 Traun 218 Treffurt 267–270

ORTSREGISTER

Trier 84, 161, 340 Trockenborn 221 Trockhausen 224 Tröbnitz 224 Trostadt 120, 143 Tübingen 247, 402 Uhlstädt 223 Ulm 109, 399 Ulrichswalde 224 Unsleben 133 Unterbodnitz 221 Untergneus 213, 221 Vacha 124, 136, 146, 190, 192, 429 Vachdorf 116, 135 Veßra 120, 143 Voigtstedt 81 Wachsenburg 215 Waldeck 220 Waldheim 321 Waldsachsen 134 Walldorf 120 Wallenburg 137 Wallhausen 81 Waltershausen 215 Washington D. C. 361 Wasungen 116, 118, 121, 125, 144 f. Weimar 64, 177, 180, 182 f., 190, 192 f., 203 f., 238 f., 301, 310 Weingarten 245 f., 254 Weinsberg 9, 253 Weira 219 Weißbach 224

463 Weißenau 418 Weißenfels 193 Weißensee 55, 58 f., 62, 67 Weltwitz 219 Wenigenjena 219 Wermerichshausen 122, 134 Wetzlar 55, 262 Wiehe 57 f. Winzerla 213, 220 Wittenberg 10, 22, 60, 63, 65, 67, 70, 94 f., 100, 110 f., 176 f., 180 f., 208–211, 216, 243–250, 252–254, 302, 311, 352 Witzelroda 429 Wölfershausen 158 Wöllnitz 221 Wöllstein 360 Wörlitz 208 Worbis 262 Worms 346 f. Wüllersleben 233 Würzburg 115–118, 120–123, 126, 131, 133–135, 142, 147, 249, 277, 283 f., 288 f., 430 f. Zabern 278 f. Zeitz 308 Zella 118 Zerbst 330 Zeutsch 300, 214, 222 Ziegenrück 318 Zimmritz 222 Zöllnitz 202, 221 Zöttnitz 213, 224 Zürich 95, 216, 419 Zweifelbach 214, 222 Zwickau 53, 177, 247, 252, 257

Personenregister Das Register verzeichnet alle im Text- und Fußnotenteil erwähnten Personen. Personennamen, die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen, wurden nicht verzeichnet. Adolf, Wilhelm 158 Agricola, Georgius 388 f. Agricola, Johann 10, 421 Albrecht (genannt der Beherzte), Herzog von Sachsen 71 Albrecht, Herzog von Preußen 166 f. Albrecht VII., Graf von Mansfeld 82, 133, 160, 423 Albrecht Achilles, Kurfürst von Brandenburg 116 Albrecht von Brandenburg, Kardinal, Erzbischof von Mainz und Magdeburg 84, 170, 299, 425 Amman, Jost 389 Amstalden, Peter 278, 443 Anarg, Herr zu Wildenfels 139 Anastasia von Brandenburg, Gräfin von Henneberg-Schleusingen 138, 144, 160 August, Kurfürst von Sachsen 89 Axen, Hermann 338 Backoffen, Hans 426 Bader, Hans 127 Bader, Klaus 127, 133 Bärtz, Adam 109 Barbara von Polen, Herzogin von Sachsen 161 Barth, Alexander 364 f., 369 Bauer, Hans (auch Pauer) 128 f., 229 Becher, Johannes R. 331 Beck, Jakob 145 Beck, Leonhard 387 Becke, Hans 267 Beham, Barthel 282, 299 Beham, Hans Sebald 282 f., 298 Behme, Johann 100, 107 Beier, Wolff 135

Bekmann, Christoph Friedrich 308 Benger, Heyneman (auch Beyger) 103 Bensen, Heinrich Wilhelm 335 Bensing, Manfred 379, 385 Bergk, Werner 138 Berlepsch, Sittich von 54, 99 f., 155, 169 Berlichingen, Götz von 121, 124 Berth, Wilhelm 135 Berthold VII., Graf von HennebergSchleusingen 115 Beyer, Daniel 267 Bibra, Georg von 126 Bicheling, Melchior 101, 112 Bismarck, Otto von 336 Bittemer, Heinz 429 Blarer, Thomas 91 Bleichenrod, Jacob von 84 Blumrodt, Veit (auch Vitt Blumenrodt) 267 Bodenstein, Andreas → Karlstadt Bodungen, Eberhardt von 100 Böhm, Hans (auch Böheim, genannt Pfeifer von Niklashausen) 278, 431 Boehme, Johannes (auch Joannes Boemus) 48, 416, 418, 420 Bonifatius 427 Bonstetten, Karl Victor von 305 Boor, Friedrich de 349 Bormann, Martin 361 f. Bornschein, Daniel 311 Bornschein, Johann Ernst Daniel 301 f., 307, 311–316, 319 f., 322, 324–326 Bornschein, Johanna Eleonora 311 Bornschein, Johanna Friederike 312

PERSONENREGISTER

Boto, Graf von Stolberg 85 Boyneburg, Caspar von 34 Brachvogel, Peter (auch Petter) 134 f. Brant, Sebastian 390 Brauchle, Peter 431 Breitenbach, Caspar von 87 Breitenbach, Hans von 76 f., 87 Brettmacher, Michael 141 Brück, Gregor 179 f., 182, 189 Buchenröder, Kuntz 130 Buchnerer, George 81 Buchs, Hans 127 f. Bültzingslöwen, Heinrich von 100, 106 Bültzingslöwen, Heinrich d. Ä. von 100 Bültzingslöwen, Rudolf d. Ä. von 100 Bültzingslöwen, Siegfried von 100 Bültzingslöwen, Syffert von 100 Bunsen, Frederick D. 290, 431 f. Burgkmair, Hans d. Ä. 385 Buttlar, Wolf 124 Calvin, Johannes 303 Chruschtschow, Nikita 332 f. Cochläus, Johannes (auch Cochlaeus) 193–196, 249, 398 Conradi, Rulinus 98 Cordes, Andreas 136 Cordes, Bastian (auch Cordis) 139, 143 f., 147 Cordes, Heinz 136 Cordes, Wendel 144 Cranach, Lucas d. Ä. 280–282, 310, 385 Crumpfues, Heinrich 123 Delhut, Georg 143 f. Dett, Hans 135 Diemer, Michel (auch Mychel Diemar) 135 Dinter, Gustav Friedrich 316–320, 322, 324 f., 327, 330

465 Dolz, Johann Christian 319 Dürer, Albrecht d. J. 280 f., 291–297, 385, 427, 431 Ebeleben, Apel von 86–88 Eck, Leonhard von 337 Eckstain, Ditz (auch Eckstein) 135 Elisabeth von HennebergSchleusingen, Gräfin von Salm-Reifferscheid 138 Emmerling, Hans 238 Emser, Hieronymus 248 Engel, Moritz Erdmann 319 Engelberg, Ernst 340 Engels, Friedrich 15, 241 f., 328, 330, 333 f., 363, 381 Entzenberg, Hans von 228 Epiphanius, Bischof von Konstantia (Salamis) 110 Epp, Franz von 361 Erffa, Hans von 34 Erich I., Herzog von Braunschweig und Fürst von Calenberg-Göttingen 154 Ernst, Kurfürst von Sachsen 71 Ernst, Graf von Hohnstein 85 Ernst II., Graf von Mansfeld 76, 81–83, 86–88, 157 Eylinger, Jacob 211 f. Eyssen, Hans 132 Falkenstein, Arnold von 144 Farnrode zu Wenigenlupnitz, Diethard von 34 Federwisch, Caspar 268, 270 Ferdinand, Erzherzog von Österreich 133 Finke, Hans 99 Fischer, Franz 122 Fleming, Claus (auch Flemming) 134 f. Fleyschhack, Nickel 130 Fleyschhauer, Andreas 130 Flötner, Peter 386, 452 Fluck, Mattes 127, 130 Folcker, Paul 231 Forstmeister, Dietz 133 Forte, Dieter 343, 345 f.

466 Francke, Eusebius Christian 423 Franz, Günther 339 Frenck, Katharina 237 Frick, Wilhelm 361 Friedrich III. (genannt der Weise), Kurfürst von Sachsen 21 f., 63–65, 76, 150 f., 153, 156, 182, 203, 253 Fries, Lorenz 117, 135 Fritz, Georg (auch Jörg) 135 Fritz, Joß 324, 431 Froß, Heinrich 266 Fuchs, Christoph 137 Fulda, Claus 101 Fulda, Kerstan 101 Fulstich, Claus 267, 270 Fungke, Peter (auch Funcke) 267 Gangolff 80 Gebhard, Graf von Mansfeld 133 Gehofen, Matern von (auch Mattern) 81, 88 Gengenbach, Pamphilus 278 f. Gennep, Jaspar 398 Genß, Jakob 130 Gentzell, Hans 96 Georg (genannt der Bärtige), Herzog von Sachsen 22, 54, 58 f., 62, 71, 77, 82–87, 96–98, 100, 105, 134, 150, 152, 154 f., 157, 161–165, 167–170, 247 f. Georg II., Graf von Wertheim 163 f. George, Götz 344 Gera, Hermann 267 Gera, Matthes 101, 108 Gerber, Erasmus 420 Geyer, Florian 124, 431 Giech zu Buchau, Mathes von 144 Glaßer, Walmar (auch Wolmar) 127 f. Glatz, Kaspar 211 Gnodalius, Petrus 399 Gochsheim 132 Goebbels, Joseph 361

PERSONENREGISTER

Götz, Mathes 133 Goldacker, Friedrich 34 Goldacker, Hans 34 Gottfried, Johann Ludwig 389 Grau, Johann 180 Griesheim, Georg von (auch Jorg) 128 Griesheim, Konrad von (auch Curt/Kurt) 128 Griewank, Karl 339 Grotewohl, Otto 331 Grüne, Fabian von der 229 Grünewald, Matthias 290 Grundig-Langer, Lea 285 Günther II. von Schwarzburg, Erzbischof von Magdeburg 74 Günther XXXIX., Graf von Schwarzburg 225–227, 229 f., 232, 234–239 Günther XL., Graf von Schwarzburg 77 f., 86, 129, 139, 225 Gutwasser, Hans 270 Haack, Hermann 364 Hätzer, Ludwig 95 Hager, Kurt 337 f., 380 Hain, Jörg 429 Hammerschmidt, Hans (genannt Dobereiner) 140 Harer, Peter 399 Harstall, Ernst von 34 Hartleb, Heinrich (auch Harthleyb) 267 Harttenstein, Steffan 81 Hausmann, Nikolaus 257 Heile, Hans (gen. Behem) 229, 235, 239 f. Heimbrecht, Klaus 139 Heinemann, Gustav 342 f., 348 Heinrich II., Erzbischof von Bremen 226 Heinrich II. (genannt der Jüngere), Herzog von BraunschweigWolfenbüttel 83, 101

PERSONENREGISTER

Heinrich VII., röm.-dt. Kaiser 115 Heinrich XXXI., Graf von Schwarzburg-Sondershausen 73, 75–77, 85, 226 Heinrich XXXII., Graf von Schwarzburg 139, 234, 237 f. Heinrich XXXIV., Graf von Schwarzburg 86 Heinrich, Hans 145 Heintzen, Clauß 108 Heisig, Bernhard 381 Hellberg, Martin 331 Helle, Hans 128 f. Helmolt, Gangolf 108 Helmolt, Heynemann 102 Herda, Andreas von 34 Herda, Heinz von 34 Herda, Tham von 159 Hermann VIII., Graf von Henneberg-Römhild 116, 119, 126, 136–138 Herting, Hans 101 Heselbach, Moritz 121 Heßberg, Brigitte von 144 Heßberg, Klaus von 144 Heßberg, Margarete von 144 Heßberg, Wilhelm von 144 Hesse, Hans jun. 83, 101 Hetter, Michael 141, 146 Heydrich, Reinhard 361 f. Hieronymus 229 Hisolidus, Matthäus (auch Mattheus) 65 f., 70, 97, 108, 110–112 Hitler, Adolf 336, 361 Hofemann, Hans (auch Hoeffeman) 267, 273 Hofer, Rudolf 428 Holbein, Hans d. J. 290 Holzwart, Jacob 399 Honecker, Erich 353 f. Hopfer, Daniel 390 Hossinger, Karl 364, 369 f., 374 Hoyger, Claus 267

467 Hübner, Heinz (genannt Schneider) → Schneider, Heinz Hummel, Hans-Joachim 430 Hus, Jan 303 Hut, Hans 126 f., 134, 136, 146 Hutten, Bernhardt von 158 Hutten, Ulrich von 303 Illgen, Gottlieb Heinrich 312, 315 Illgen, Johanna Friederike → Bornschein, Johanna Friederike Jagow, Gevert von 84 Jakob, Jude aus Wasungen 145 Jeger, Johann 130, 144 Jessen, Uwe-Detlev 345 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 83, 167 Joachim II., Markgraf von Brandenburg 84 Johann (genannt der Beständige), Kurfürst von Sachsen 21 f., 35, 52, 64 f., 81, 97, 105, 118–120, 122, 124, 134–139, 147, 150–153, 156–160, 162–165, 167–170, 177 f., 180, 182, 184, 186, 191, 200, 203, 209, 212 f., 253, 411 Johann, Erbprinz von Sachsen 161 Johann III. von HennebergSchleusingen, Koadjutor der Reichsabtei Fulda 116 Johann Friedrich (genannt der Großmütige), Kurfürst von Sachsen 133, 178–180, 183 f., 186, 204, 210, 243, 250 Johann Günther I., Graf von Schwarzburg-Sondershausen 89 Jordan, Reinhard 12 Josias 209 Junghans, Helmar 348 f. Kalb, Valtin 101 Kalnbergk, Adam 107

468 Karl IV., röm.-dt. Kaiser 37 Karlstadt 63, 70, 94 f., 109–112, 179, 199 f., 202 f., 205–211, 213 f., 216 f., 253, 316 Katharina von HennebergSchleusingen, Gräfin von Schwarzburg 139 Kautsky, Karl 15 Keller, Dietmar 353, 377 Kellerman, Michel d. Ä. (auch Michael Kellermann) 134 f. Kellermann, Hans 135 Keyser, Georg Adam 309 Kirchner, Hubert 349 Kistenmecher, Cuntz (auch Curdt Kystemecher) 267, 273 Klingenschmied, Hans 141 Kloss, Hans 444 Knauff, Hans 135 Knauth, Heinrich 81 Knauth, Ulrich 81 Knieb, Philipp 12 Knüttel, Georg 231 Koch, Hans 99 König, Jacob → Nagelschmidt, Jacob Kohl, Helmut 13 Kolditz, Lothar 353 Koler, Ludwig (auch Ludewygk Koeler) 264, 267 f., 270 Konigk, Hans (auch Koenigk) 267 Konrad II. von Thüngen, Bischof von Würzburg 134, 147, 284 Konstantin (genannt der Große), röm. Kaiser 94 Krämer-Guille, Rainer 430 Kraft, Adam 393 Kranlucken, Bastian von 124 Kreutter, Claus (auch Krutther) 267 Krigel 103 Kuczynski, Jürgen 337 f. Kula, Hans 98 f., 267 Kunigk, Hans (genannt Reuther) 130 Kurßner, Heinz 145 Kutzleben, Melchior von 81, 156

PERSONENREGISTER

Laineck, Hans von 144 Lammert, Will 370, 431 Langestat, Franz 230 Lau, Franz 245, 334, 348 Laube, Adolf 350 Laue, Johann 100 f., 106, 112 Lemcke, Paul 73 Lenin, Wladimir Iljitsch 333 Ley, Robert 361 f. Lichstedt, Haldeck zu 229 Liebig, Peter 424 Liebner, Johann Adolph 308–311, 319 f., 322, 324–326 Lingner, Max 376 Linse, Hans (auch Lynse) 267 Lorentz, Johann 83 Lorenz von Bibra, Bischof von Würzburg 126 Louise Henriette von Hoym, Gräfin von Reuß-Ebersdorf 308 Ludewig, Heinrich (auch Heynrich Ludewigk) 267 Ludolf, Hartung (alias Mertin) 101 f. Ludwig, Heinrich 99, 104 Ludwig V., Kurfürst von der Pfalz 399 Ludwig Helf, Graf von Helfenstein 9, 253 Lufft, Hans 209 Luther, Martin 9 f., 21 f., 60, 63 f., 70, 75, 83, 85, 100, 144, 155, 167 f., 175–185, 189, 192–194, 196, 199, 207, 210, 214, 216 f., 241–258, 273, 280, 282, 297–299, 301–304, 306–311, 313–316, 324–327, 329, 334–339, 341, 343–345, 352 f., 356, 398 f., 408–410, 427 Mann, Stephan (genannt Sichelschmied) 140 Marolt, Peter (auch Petter) 134 f. Marschalk, Kaspar 124 Marschalk, Wilhelm d. Ä. 126 Marschalk, Wilhelm d. J. 126 Martel, Johann 122 f., 134 Martin von Tours (Sankt Martin) 427 Maximilian I., röm.-dt. Kaiser 9

PERSONENREGISTER

Meck, Hans 105 Meinhart, Christoph 79 Meissenbach, Marschalk Philipp 84 Melanchthon, Philipp 243, 253 f., 303 Melzer, C. P. 322 Mertin, Hartung → Ludolf, Hartung Messerschmidt, Klaus Friedrich 431 Metzsch, Hans 34 Meusel, Alfred 15, 334, 337, 339 f. Miller, Leo 420 Möller, J. F. 326 Mörder, Hans 96 Molstorf, Bastian 101 Müller, Christoph 140 Müller, Volckmar (auch Volkmar Moeller) 267 Müntzer, Thomas 9–11, 16, 22, 55, 66–68, 70, 77 f., 81–83, 85, 95, 97, 99, 102, 111 f., 126, 145, 149, 151, 153, 161, 164, 194, 207–210, 215, 217, 242, 244, 246, 252, 254, 257, 259, 262–265, 271, 273 f., 279, 282, 301–303, 307 f., 310 f., 315 f., 320, 324–327, 329–336, 338 f., 341–347, 351–356, 360, 363 f., 366–376, 380 f., 383, 393, 398, 400 f., 411, 431, 445, 448 Munck, Georg (auch Jörg) 134 f. Murer, Jacob 418 Myconius, Friedrich 97 Nagelschmidt, Jacob (auch Jacoff Naglschmedt) 267 Napoleon I., Kaiser von Frankreich 379 Nesselrode, Balthasar von (auch Nesselryden) 34 Neuenhagen, Thomas 192 Nonne, Ludwig 326 f. Oechsle, Ferdinand Friedrich 335 Oelckers, Herrmann Theodor 321–325, 328 f. Österreicher, Christoph 144 f.

469 Oestreich, Gerhard 341 Olutter, Bartel (auch Barthel Ollutther) 267 Osterburg, Simon Geyer von 133 Oswaldt, Johann 190 Otthera, Johann von 268, 373 Paracelsus 393 f., 456 Paulus 189, 207 Pencz, Georg 386, 451 Perten, Hanns Anselm 345 Peter, Christoffel (auch Cristoffel) 267, 273 Petrus 209 Petz, Georg 177 Pfaff, Peter 145 Pfannenschmidt, N. 135 Pfefferkorn, Georg Michael 422 Pfeiffer, Heinrich (auch Pfeifer) 65–68, 70, 95, 97, 102 f., 112, 145 f., 168, 259, 262, 264 f., 271, 273, 301 f., 311 Pfeiffer, Philipp 135 Pfennfer, Philips 134 Pfordten, Joachim von der 204 Philipp I. (genannt der Großmütige), Landgraf von Hessen 83 f., 96, 105, 119 f., 140 f., 150, 152–155, 157, 160–166, 169, 250, 301, 411 Philipp I., Graf von Mansfeld 87 Pieck, Wilhelm 335 Pirckheimer, Willibald 385 Pitthan, Magdalene 362, 375 Pitthan, Wilhelm Otto 359–376, 445 Planitz, Rudolf von 85 Pleistein, Jakob 121, 128 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 329 Polz, E. 322 Pompe, Paul 101 f., 109 Puster, Adam 202

470 Rabe, Hermann (OP), Provinzial der Sächsischen Provinz 105 Ratgeb, Jörg (auch Jerg, Rathgeb) 280 f., 288–290, 292, 431 f., 444 Reger, Hans 267 Rehabeam, König von Juda 196 Reibisch, Philipp von 170 Reichenbach, Kurt 365, 369–371 Reinboth, Johann 202, 204 Reinhart, Hans (auch Reynhardt) 267, 273 Reinhart, Martin 200, 210 f. Reinhart, Philipp 135 Renner, Margarethe 431 Rentzel, Hans 267 Repgow, Eike von 27 Reyn, Celiax 112 Riedesel, Johann 177 f. Riemenschneider, Tilman (auch Tilmann) 277, 280 f., 283–289, 393 Rigler, Martin 132 Ritter, Gerhard 340 f. Roda, Bonifatius von 210 Rodemann, Sebastian 67, 263 Rodenhausen, Ebert von 154 Roelandt, Ritze (auch Rittze Roellandt) 267 Rörer, Georg 243 Röttscher, Wilhelm 367 Rogge, Johann Friedrich 362 f. Rohrbach, Jäcklein 421 Rolevinck, Werner 416 Rosenberg, Alfred 361 f. Rosenmüller, Johann Georg 319 Roth, Stephan 242, 254 Rothemel, Hans (auch Rothhemmel) 134 f. Rotwart, Hans (auch Rothwordt) 267 Roubaud, Franz Aleksejewitsch (Rubo) 379 Rudolf, Caspar 105

PERSONENREGISTER

Rühl, Johann (auch Rühel) 85, 253 Rußwurm, Heinz 124 Rußwurm zu Grumbach, Philipp 124 f. Rych, Eberhart 100, 106 Sachs, Hans 92, 298, 389 Salmon, Gabriel 279 Sander, Hans d. Ä. 267 Sartorius, Georg 399 Schalbe, Hans 267, 271–273 Schar, Hans 123 Scharffenbergk, Jacob 76 f., 79, 87 Schaumberg, Georg von 144, 158 Schaumberg, Hans von 144 Schaumberg, Wilhelm von 144 Scheffeler, Valtin 102 Scheffer, Johann 131–133, 147 Scheidig, Dietrich von 202 Schenck, Georg 139, 147 Schenck, Jakob 128 Scherff, Jacob (auch Jakob) 129, 228, 230, 232, 235, 238–240 Schilling, Klaus 135 Schleißer, Hartung 73 Schlotheim, Melchior von 107 Schlusser, Jakob 399 Schmid, Ulrich 431 Schmide, Clausen 143 Schmit, Georg (auch Gorge Schmedt) 268 Schnabel, Hans 121–123, 127, 132–135 Schnartz, Georg (auch Jörg) 135 Schnartz, Linhard 135 Schneider, Heinz 145 f. Schnell, Hans (auch Schnelle, Snell) 103 Schön, Erhard 386 Schönberg, Margareta von 86 Schönburg, Wolf von 84 Scholl, Hans (auch Schall) 144 f. Scholtes, Hans 131

PERSONENREGISTER

Schott, Hans 144 Schrimpf, Michael 122, 134 Schrotter, Fritz 108 Schrotter, Hans 267 Schuchart, Heinrich 267 Schütze, Bernhart 87 f. Schumann, Valentin 247 Schuster, Heinz (genannt Gerngroß; auch Heintz) 127, 130 Schwartz, Jakob 136 f. Seber, Hans 121 Sehest, Hans 135 Seidemann, Johann Karl 11 Sellmann, Heinrich (auch Selman) 266 Sess, Hanns 134 Setler 192 Setteler, Hans sen. 103 Seydenfaden, Hans 130 Sichem, Christoph van 368 Sigle, Stephan (auch Stefan) 121, 141–143 Sippel, Hans (auch Schippel) 121, 124, 429 Sitte, Willi 381 Sleidan, Johannes 398 Smirin, Moisej M. 334 Spalatin, Georg 21 Spon, Hans (auch Spoen) 267 Spon, Hermann 99 Stalin, Josef 332 Steiger, Fritz 81 Stein, Christian 327, 329 f. Stein, Gottschalk vom 118 Stein, Hans vom 125 Stein, Heinrich vom 125 Stein, Wolfgang 175, 177–180, 183, 185, 192 f. Stein zu Barchfeld, Philipp vom 124 f. Steinbeck, Christoph Gottlieb 311 Steinmetz, Bastian 140 Steinmetz, Max 339 f., 342, 344–347, 349–351 Stephan, Adolph Friedrich 10 Stephan, Christian Gottfried 11

471 Stephan, Eduard 12 Stephan, Klaus-Michael 431 Stern, Leo 340 Sternberg, Hans von 140 Stoels, Apel (auch Sthoels) 271 f. Storck, Hermann 429 Stoß, Veit 281 Strauß, Jakob (auch Jacob) 70, 175–179, 181–197 Streckede, Heinrich 97 f. Stresemann, Gustav 361 Stroberg, Cuntze jun. 101 Strohschneider, Hanß 135 Strutman, Daniel 103 Stumpf, Johannes 406 Stumpf, Wolfgang 332 Tatenrot, Hermann (auch Tattenrodt) 268 Taubenheim, Christoph von 170 Taubenthal, Cyriacus 75 f. Teigfuß, Johannes 70 Teutleben, Andreas von 34 Thoffenhardt, Andreas 267 Tischer, Johann Wilhelm Friedrich 303 Töpfer, Hans (auch Topffer) 267 Töpfer, Jakob 429 Topfenstorer, Hans (auch Heintz) 101, 112 Trisch, Heinrich 87 Tübke, Werner 279 f., 354, 377–379, 381–390, 392–396, 431, 446–450, 453–456 Ulbricht, Walter 332 Ulrich, Herzog von Württemberg 84 Ulrich von Augsburg 427 Vach, Hanß 135 Velberger 121, 145 f. Velberger, Hermann 145 Vergil 390 Vippach, Hans von 81 Vischer, Peter d. Ä. 280, 393

472 Vogt, Caspar 99 Volckart, Peter 136 f. Volrott, Jorg (auch Jörg Folrath/Volhart) 127 f., 130 Voß, Georg 303 Voyl, Blasius 98 Wagner, Gottlob Heinrich Adolph 303 Wagner, Johann Karl Gottfried 317 f. Wagner, Paul 48 f. Walburga von HennebergSchleusingen, Gräfin von Hohenlohe, Gräfin von Gleichen 138 Waldburg, Georg Truchseß von 337 Wartenberg, Günther 349 Weidenmüller, Claus 112 Weill, Alexandre 15 Weiß, Hans 133 Weiß, Jörg 133 Weißenbach, Hans von (auch Weissenbach) 85, 203 Weißenbach, Hermann von 203 Weißenbach, Wolf von 203 Werner, Hans 98 f. Wernherr, Cristen 143 Werthern, Dietrich von 58, 81, 88 Wertinger, Hans 417

PERSONENREGISTER

Westerburg, Gerhard 211 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 326 Wettich, Johann 67, 263 Wilde, Peter 77 f. Wilhelm, Graf von SchwarzburgFrankenhausen 89 f. Wilhelm II., dt. Kaiser 336 Wilhelm IV./VI., Graf von Henneberg-Schleusingen 116–122, 124 f., 128 f., 131–133, 135–142, 145, 147, 150–152, 158–160, 162–164, 166 f., 234 Winter, Jost 80, 83, 88 Wirt, Hans (auch Wirth) 135 Witzel, Georg 197 Witzleben, Jorge von 232 Wohlfeil, Rainer 349 f. Wolf, Friedrich 331, 338 Wolf, Hans 123 Wolfgang, Fürst von Anhalt 128 Wolfram, Johann 211 Wolner, Sebastian 205, 212 Wyclif, John 303 Zeiß, Hans 76 f., 79 Zeller, Magnus 356 Zimmermann, Adalbert 430 Zwingli, Huldrych 303, 408 f.

Verzeichnis der Autoren Jürgen von AHN, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Trier Michael BEYER, Dr. Pfarrer im Ehrenamt; bis 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Spätmittelalter und Reformation an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig Andreas DIETMANN, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsvorhabens „Die deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Ulrike EYDINGER, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Werner GREILING, Prof. Dr. Professor für Geschichte der Neuzeit am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena Ulrich HAHNEMANN, Dr. Leiter des Regionalmuseums und des Stadtarchivs Bad Frankenhausen Volkmar JOESTEL, Dr. Langjähriger Bereichsleiter Sammlungen/Forschungen der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt (1998–2011) Julia MANDRY, Dr. Wissenschaftliche Koordinatorin der Thüringer Landesausstellung 2025 „500 Jahre Bauernkrieg“ Johannes MÖTSCH, Dr. Direktor a. D. des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen (seit 2016 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen)

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AUTORENVERZEICHNIS

Thomas T. MÜLLER, Dr. Direktor der Mühlhäuser Museen Jan SCHEUNEMANN, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat „Zentrale Aufgaben Restitution“ bei der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt Uwe SCHIRMER, Prof. Dr. Inhaber der Professur für Thüringische Landesgeschichte am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena Antje SCHLOMS, Dr. Historikerin und Referentin für Stadtgeschichte im Stadtarchiv Mühlhausen/ Thür. Martin SLADECZEK, Dr. Freiberuflicher Historiker, Erfurt Friedrich STAEMMLER Fachreferent Kunst und stellvertretender Direktor der Mühlhäuser Museen Günter VOGLER, Prof. Dr. Professor für Deutsche Geschichte (Frühe Neuzeit) an der Humboldt-Universität zu Berlin (1969–1996)

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