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German Pages 597 [598] Year 2004
TORSTEN UMBACH Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 232
Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Von
Torsten Umbach
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2002/2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfl GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11152-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Christiane und meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Wintersemester 2002/2003 als Dissertation angenommen. Dem Manuskript liegt die Rechtsprechung und Literatur bis Februar 2003 zu Grunde. Großen Dank möchte ich Herrn Prof. Dr. Hartmut Oetker aussprechen, der die Bearbeitung des Themas anregte und die Verwirklichung des Promotionsvorhabens maßgebend unterstützte. Mein Dank gilt weiterhin Herrn Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer für die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens. Besonders danke ich Frau Dr. Birgit Friese und Frau Christiane Knauert für die stetige Bereitschaft zu konstruktiver Kritik, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Weiterhin bin ich den Mitarbeitern des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur zu Dank verpflichtet, die mich tatkräftig bei der Einsichtnahme und Auswertung der im Thüringer Tarifregisters gelisteten Firmentarifverträge unterstützt haben. Besonders verbunden bin ich der Graduiertenförderung der FriedrichSchiller-Universität Jena, die mir durch die Gewährung eines Landesgraduiertenstipendiums die Bearbeitung der Dissertation ermöglichte. Abschließend danke ich Herrn Prof. Dr. Norbert Simon für die freundliche Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Duncker & Humblot Verlages.
Jena, im November 2003
Torsten Umbach
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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Α. Einleitender Überblick über die Bedeutung und den Regelungszweck des Anerkennungstarifvertrages B. Gang der Untersuchung
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Teil 1
§1
§2
Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
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Definition des Anerkennungstarifvertrages A. „Anerkennungstarifvertrag" als Rechtsbegriff I. „Tarifvertrag" als Rechtsbegriff. II. „Anerkennung" als Rechtsbegriff III. Schlussfolgerung B. Verwendung der Terminologie durch das Bundesarbeitsgericht und das Schrifttum C. Andere Terminologien D. Mehrdeutigkeit der Terminologie „Anerkennungstarifvertrag"
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Tarifpolitische Interessenlagen im Hinblick auf den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages A. Interesse der Gewerkschaften I. Inhaltliche Gleichstellung von Außenseiterarbeitgebern mit verbandsangehörigen Arbeitgebern II. Verhinderung der „Flucht" aus der Verbandstarifbindung 1. Austritt aus dem Arbeitgeberverband 2. Auf- und Abspaltung sowie Ausgliederung 3. Verschmelzung 4. Rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang 5. Mitgliedschaft ohne Tarifbindung 6. Verbandswechsel 7. Verbandsauflösung III. Organisatorische Interessen lagen IV. Weiterentwicklung des Tarifsystems B. Interesse der Arbeitgeber I. Gewährleistung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen
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§3
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II. Organisatorische Interessen lagen III. Arbeitskampfbedingte Interessen lagen IV. Sonstige Interessenlagen C. Interesse der Arbeitnehmer D. Interesse der Arbeitgeberverbände E. Interesse der Allgemeinheit
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Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages A. Bedeutung des Firmentarifvertrages im Allgemeinen B. Aussagen im Schrifttum zur Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages.. C. Eigene empirische Erhebung zur Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages I. Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages im Wirtschaftszweig der Metal 1- und Elektroindustrie 1. Grundlage und Dokumentation der empirischen Erhebung 2. Auswertung der empirischen Erhebung II. Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages in anderen Wirtschaftszweigen D. Empirische Erhebung durch den Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V E. Empirische Erhebung durch Schroeder/Ruppert
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Teil 2 Überleitung der inhaltlichen Vorgaben eines Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag Rechtskonformität und Rechtsfolgen der inhaltlichen Verweisungsanordnung §4
Allgemeine Rechtsfragen der inhaltlichen Verweisung A. Terminologie B. Verweisungsanordnung und Verweisungsobjekt C. Deklaratorische oder konstitutive Verweisung D. Rechtsfolgen der Verweisungsanordnung I. Inkorporationswirkung II. Sonstige Rechtsfolgen E. Statische und dynamische Verweisung I. Statische Verweisung II. Dynamische Verweisung F. Rechtscharakter der Verweisungsanordnung I. Bestimmung des Rechtscharakters 1. Zuordnung zu den Regelungstypen des § 1 Abs. 1 TVG a) Streitstand b) Stellungnahme 2. Tarifvertragseigenschaft der Verweisungsanordnung
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§5
II. Rechtsfolgen der Rechtscharakterbestimmung Inhaltlich statische Verweisung A. Rechtmäßigkeit statischer Verweisungen I. Schriftform 1. Streitstand a) Urkundliche Verbindung als Wirksamkeitsvoraussetzung... b) Urkundliche Verbindung keine Wirksamkeitsvoraussetzung c) Auffassung Herschels 2. Stellungnahme a) Zweck des tariflichen Schriftformzwangs aa) Klarstellungsfunktion bb) Warnfunktion cc) Kundmachungsfunktion dd) Ergebnis b) Rechtfertigung statischer Verweisungen im Lichte des Normzwecks aa) Kritik an der Notwendigkeit einer Anlagenbeifiigung. bb) Kritik an der Auffassung Herschels cc) Schlussfolgerung 3. Ergebnis II. Normenbestimmtheit III. Publizität 1. Streitstand a) Verstoß gegen die Publikationspflicht b) Kein Verstoß gegen die Publikationspflicht 2. Stellungnahme a) Tarifliches Publikationsinstrumentarium b) Publikation des Inhalts des Anerkennungstarifvertrages IV. Grenzen der Tarifautonomie 1. Ableitung der tariflichen Normsetzungsbefugnis 2. Grundsatz der Tarifnormverantwortung 3. Verbot der Delegation der tariflichen Normsetzungsbefugnis.... 4. Rechtfertigung statischer Verweisungen 5. Ergebnis V. Ergebnis B. Rechtsfolgefragen statischer Verweisungen I. Rechtsfolgen im Allgemeinen II. Rechtsfolgen bei Verweisung auf nichtige Tarifverträge 1. Durchschlagen des Nichtigkeitsgrundes infolge der Inkorporationswirkung 2. Durchschlagen des Nichtigkeitsgrundes aufgrund des Gleichstellungsanliegens
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§6
Inhaltlich dynamische Verweisung A. Rechtmäßigkeit dynamischer Verweisungen I. Schriftform 1. Streitstand a) Verstoß gegen das Schriftformerfordernis b) Kein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis 2. Stellungnahme 3. Ergebnis II. Normenbestimmtheit III. Publizität 1. Streitstand a) Verstoß gegen die Publikationspflicht b) Kein Verstoß gegen die Publikationspflicht 2. Stellungnahme a) Zugänglichkeit auf Arbeitnehmerseite b) Zugänglichkeit auf Arbeitgeberseite 3. Ergebnis IV. Grenzen der Tarifautonomie 1. Rechtswirkungen dynamischer Verweisungen a) Delegation der tariflichen Normsetzungsbefugnis aa) Ursprüngliche Auffassung des Bundesarbeitsgerichts. bb) Kritik Herschels und aktuelle Auffassung des Bundesarbeitsgerichts b) Verdeckte Kompetenzübertragung 2. Rechtfertigung der verdeckten Kompetenzübertragung a) Grundsatzrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen aa) Herleitung des Sachgerechtigkeitspostulats bb) Fallgestaltungen zulässiger dynamischer Verweisungen cc) Konsequenzen für den Anerkennungstarifvertrag b) Entwicklungstendenzen in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen aa) Arbeitgeberseite ( 1 ) Gewährleistung der Eigenverantwortung (2) Bedeutung des Erfordernisses der „Vorhersehbarkeit" (3) Absicherung der Eigenverantwortung bb) Arbeitnehmerseite (1) Mitwirkung an den künftigen Fassungen des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages
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(2) Rechtzeitige Aufhebbarkeit der dynamischen Verweisungsanordnung (3) Gegenüberstellung mit dem Sachgerechtigkeitskriterium des engen Zusammenhangs der Geltungsbereiche cc) Schlussfolgerung c) Kritik an der Grundsatzrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen und Entwicklung eines eigenen Ansatzes aa) Kritische Bewertung des Sachgerechtigkeitspostulats. bb) Lösungsvorschläge im Schrifttum (1) Kernbereichstheorie (2) Dispensklausel (3) Wesentlichkeitstheorie cc) Eigener Ansatz (1) Grundsätzliche Zulässigkeit dynamischer Verweisungen (2) Verbot willkürlicher dynamischer Verweisungen (3) Ergebnis d) Schlussfolgerung V. Tarifeinheit VI. Demokratieprinzip VII. Negative Koalitionsfreiheit VIII. Positive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes IX. Ergebnis B. Rechtsfolgefragen dynamischer Verweisungen I. Rechtsfolgen im Allgemeinen II. Inkorporierung überraschender Tarifnormen 1. Streitstand a) Keine Inkorporierung überraschender Tarifnormen b) Inkorporierung überraschender Tarifnormen 2. Stellungnahme 3. Ergebnis III. Abgrenzung statischer und dynamischer Verweisungen 1. Geltungserhaltende Tarifvertragsauslegung 2. Allgemeine Tarifvertragsauslegung a) Grammatikalische Auslegung b) Systematische Auslegung c) Teleologische Auslegung aa) Generelle Bewertung des Verweisungszwecks bb) Bewertung des Verweisungszwecks im Anerkennungstarifvertrag
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IV.
Rechtsfolgen materiell unwirksamer dynamischer Verweisungen.... 204
§7
Reichweite der inhaltlichen Verweisung A. Globalverweisung I. Anwendungsfälle II. Rechtliche Zulässigkeit 1. „Einfache 44 Globalverweisung 2. „Erweiterte 44 Globalverweisung 3. Ergebnis III. Zusatzvereinbarungen 1. Ergänzende Zusatzvereinbarungen 2. Verdrängende Zusatzvereinbarungen IV. Protokollnotizen und Ergänzungsabkommen B. Teilverweisung I. Anwendungsfalle II. Rechtliche Zulässigkeit 1. Statische Teilverweisung a) Rechtmäßigkeitsbedenken b) Rechtfertigung 2. Dynamische Teilverweisung a) Rechtmäßigkeitsbedenken b) Rechtfertigung C. Einzelverweisung I. Anwendungsfalle II. Rechtliche Zulässigkeit
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§8
Formelle Anforderungen an den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages... A. Schriftform I. Allgemeine Anforderungen II. Vereinbarungen über die Schriftform - insbesondere Vereinbarungen über die Schaffung von Anhängen oder Anlagen zum Anerkennungstarifvertrag 1. Zweck der Vereinbarung und Folgen für die Inkorporationsanordnung a) Deklaratorische Bedeutung b) Konstitutive Bedeutung 2. Regelungsmacht der Parteien des Anerkennungstarifvertrages.. 3. Auslegungsfragen a) Grammatikalische Auslegung b) Systematische Auslegung c) Teleologische Auslegung d) Ergebnis B. Auslagepflicht I. Umfang der Auslagepflicht
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1. Streitstand 232 2. Stellungnahme 233 II. Vereinbarungen über die Auslagepflicht 235 C. Tarifregister 237 237 I. Führung des Tarifregisters II. Übersendungs- und Mitteilungspflicht 237 1. Übersendungspflicht 237 a) Ableitung des Pflichtenstatus 238 b) Pflichtenstatus bei statischen und dynamischen Verweisungen 240 c) Pflichtenstatus bei Teilverweisungen 240 2. Mitteilungspflicht 241 3. Vereinbarungen über die Übersendungspflicht 241 §9
Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages A. Reichweite der Bindungswirkung auf der Ebene des Verbandstarifvertrages B. Erstreckung der Bindungswirkung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages I. Bindungswirkung kraft unmittelbarer Anwendung des § 9 TVG II. Bindungswirkung kraft analoger Anwendung des § 9 TVG 1. Planwidrige Regelungslücke 2. Vergleichbare Interessenlage a) Einheitliche Entscheidungen b) Eigenverantwortliche Wahrung der Mitgliederinteressen .... c) Sicherung der Einwirkungs- und Friedenspflicht d) Schlussfolgerung III. Bindungswirkung kraft tarifvertraglicher Urteilsunterwerfung im Anerkennungstarifvertrag 1. Ableitung einer tarifvertraglichen Bindungswirkung a) Bindungswirkung zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages b) Bindungswirkung zwischen den an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten aa) Tarifnormcharakter der tarifvertraglichen Unterwerfungsklausel im Anerkennungstarifvertrag bb) Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Unterwerfungsklausel im Anerkennungstarifvertrag cc) Schlussfolgerung c) Bindungswirkung gegenüber Dritten 2. Inhalt und Auslegung der tarifvertraglichen Unterwerfiingsklausel im Anerkennungstarifvertrag 3. Ergebnis
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Teil 3 Überleitung der inhaltlichen Vorgaben eines zukünftig in Kraft tretenden, neuartigen Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag - Rechtskonformität und Rechtsfolgen der Vorabunterwerfungs- und Verhandlungsklausel 264 §10 Vorabunterwerfungs-und Verhandlungsklausel A. Auslegung I. Substituierungs- und Vorabunterwerfungsklausel II. Verhandlungsklausel B. Tarifrechtliche Zulässigkeit I. Substituierungs- und Vorabunterwerfungsklausel 1. Konstitutiver Verweisungscharakter 2. Rechtscharakter der Vorabunterwerfungsklausel 3. Tarifrechtliche Wirksamkeit der Vorabunterwerfungsklausel.... a) Schriftform b) Normenbestimmtheit c) Publizität d) Grenzen der Tarifautonomie aa) Streitstand und Problemaufwurf bb) Rechtfertigung der Vorabunterwerfung (1) Arbeitgeberseite (2) Arbeitnehmerseite e) Negative Koalitionsfreiheit f) Ergebnis II. Verhandlungsklausel 1. Zulässigkeit der Verhandlungsklausel 2. Rechtsfolgen der Verhandlungsklausel 3. Rechtsfragen der Einigungsklausel a) Rechtscharakter b) Rechtliche Zulässigkeit c) Durchsetzbarkeit 4. Ergebnis
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Teil 4 Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben eines Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag insbesondere die Rechtskonformität und Rechtsfolgen der dynamischen Rechtsstatusklausel
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§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefugnis - Wechselwirkung zwischen dem Rechtsstatus des Anerkennungs- und des VerbandstarifVertrages im Allgemeinen 292
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Α. Vereinbarung eines unmittelbar zwingenden Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages I. Anwendungsfälle II. Rechtmäßigkeit B. Außer Kraft getretene Verbandstarifnormen und Beibehaltung dieses Rechtsstatus im Anerkennungstarifvertrag C. Vereinbarung eines nachwirkenden Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages I. Anwendungsfälle 1. Unmittelbar und zwingend wirkender Verbandstarifvertrag 2. Nachwirkender Verbandstarifvertrag II. Rechtmäßigkeit 1. Streitstand a) Unzulässigkeit „von Anfang an" nachwirkender Tarifverträge b) Zulässigkeit „von Anfang an" nachwirkender Tarifverträge 2. Stellungnahme a) Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien über nachwirkende Tarifnormen - Schaffung „lediglich nachwirkender" Tarifnormen aa) Rechtscharakter nachwirkender Tarifnormen (1) Grammatikalische Auslegung (2) Historische Auslegung (3) Systematische Auslegung (4) Teleologische Auslegung (a) Widerspruchsfreiheit zur Gesamtrechtsordnung (b) Verfassungskonformität (c) Effektivierung der ratio legis (5) Schlussfolgerung bb) Konsequenzen aus dem Rechtscharakter für die Anerkennung einer Dispositionsbefugnis cc) Ergebnis b) Schaffung „von Anfang an" nachwirkender Tarifnormen.... aa) Rechtsgrundlage (1) Ableitung aus § 4 Abs. 5 TVG (a) Grammatikalische Auslegung (b) Historische Auslegung (c) Systematische Auslegung (d) Teleologische Auslegung (e) Ergebnis (2) Ableitung aus § 4 Abs. 3,1. Alt. TVG
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(3) Ableitung aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG (4) Ergebnis bb) Ausschluss der Friedenspflicht (1) Streitstand (a) Immanenztheorie (b) Konsenstheorie (2) Stellungnahme (3) Ergebnis c) Schlussfolgerung §12 Dynamische Rechtsstatusklausel A. Wirkungsweise der dynamischen Rechtsstatusklausel I. Dynamische Rechtsstatusklausel im engeren Sinne 1. Auswirkungen auf die kraft Verweisung inkorporierten Tarifnormen 2. Auswirkungen auf die originären Tarifbestimmungen 3. Ergebnis II. Konkretisierende Anordnungen 1. Inhalt der konkretisierenden Anordnungen a) Kündigungsklausel b) Tarifforderungsklausel c) Friedenspflichtklausel 2. Konsequenzen aus der fiktiven Formulierungsweise 3. Ergebnis III. Schlussfolgerungen zur Wirkungsweise B. Rechtmäßigkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel I. Statusrechtliche Dispositionsbefugnis 1. Höchstrichterliche Erklärungsansätze a) Rechtsprechung zur dynamischen Rechtsstatusklausel b) Rechtsprechung zur Rechtsstatusproblematik im Allgemeinen 2. Stellungnahme a) Unmittelbar und zwingend wirkende Verbandstarifnormen. b) Nachwirkende Verbandstarifhormen aa) Schaffung „von Anfang an" nachwirkender Tarifnormen bb) Schlussfolgerung cc) Ergebnis c) Außer Kraft getretene Verbandstarifhormen d) Ergebnis II. Arbeitskampfrechtliche Folgefragen 1. Streikrecht a) Verfolgung eines eigenständigen firmentarifVertraglichen Regelungsanliegens
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III.
IV.
aa) Verstoß gegen rechtliche Grundsätze bb) Verstoß gegen tarifpolitische Grundsätze cc) Ergebnis b) Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf und Druckerhöhung auf den Arbeitgeberverband aa) Rechtliche Einordnung als Sympathiearbeitskampf..... bb) Fremdnütziger Sympathiearbeitskampf cc) Eigennütziger Sympathiearbeitskampf (1) Rechtfertigung entsprechend den vom Bundesarbeitsgericht anerkannten Ausnahmetatbeständen (2) Rechtfertigung jenseits der vom Bundesarbeitsgericht anerkannten Ausnahmetatbestände (a) Streitstand (aa) Ablehnung des Partizipationsgedankens (bb) Anerkennung des Partizipationsgedankens (b) Stellungnahme (aa) Funktion des Arbeitskampfes (bb) Verhältnismäßigkeitsprinzip (cc) Arbeitskampfautonomie und Friedenspflicht (dd) Arbeitskampfbeteiligung auf Arbeitnehmerseite (ee) Unrechtmäßige Privilegierung (ff) Besonderheiten der dynamischen Verweisung (gg) Schlussfolgerung (c) Ergebnis 2. Aussperrung a) Funktion des Arbeitskampfes b) „Kampfbündnis-Rechtsprechung" des Bundesverfassungsgerichts c) Ergebnis 3. Dispositionsbeftignis über die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes 4. Ergebnis Negative Koalitionsfreiheit 1. Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit 2. Grundrechtskonformität der dynamischen Rechtsstatusklausel.. 3. Ergebnis Kündigungsrechtliche Folgeprobleme 1. Übertragung der statusrechtlichen Entscheidungsmacht
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2. Teilkündigung 3. Ergebnis V. Arbeitskampffahigkeit des „kleinen" Arbeitsgebers VI. Ergebnis C. Rechtsfolgen
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Teil 5 Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages § 13 Allgemeine Rechtsfragen desfirmentarifvertragsbezogenen Arbeitskampfes.. A. Rechtsgrundlagen des firmentarifvertragsbezogenen Arbeitskampfes I. Arbeitskampfberechtigung der Gewerkschaft II. Arbeitskampfberechtigung des Außenseiterarbeitgebers B. Arbeitskampffähigkeit des „kleinen" Arbeitgebers I. Streitstand 1. Fehlende Arbeitskampffähigkeit des „kleinen" Arbeitsgebers ... 2. Unbeschränkte Arbeitskampffähigkeit des „kleinen" Arbeitgebers II. Stellungnahme 1. Imparitätslage 2. Korrektur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip 3. Korrektur jenseits des Verhältnismäßigkeitsprinzips a) Ausschluss der Tarifföhigkeit b) Ausschluss der Arbeitskampffähigkeit aa) Kritische Einwände der Rechtslehre gegen einen Ausschluss der Arbeitskampffahigkeit bb) Rechtfertigung der Arbeitskampfföhigkeit cc) Ergebnis c) An die Imparitätslage angepasste Rechtskontrolle aa) Entgegenstehende Richtigkeitsgewähr bb) Ableitung einer an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle cc) Vorteile einer an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle dd) Ergebnis § 14 Erkämpfbarkeit einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages A. Statische und dynamische Globalverweisungsklausel I. Rechtscharakter der Verweisungsklausel II. Ultima-ratio-Prinzip 1. Statische Verweisung 2. Dynamische Verweisung
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III.
Negative Koalitionsfreiheit 1. Negative Koalitionsfreiheit und Streikdruck 2. Negative Koalitionsfreiheit und Inhalt der Streikforderung 3. Negative Koalitionsfreiheit und Selbstgestaltungsbefugnis a) Statische Verweisung b) Dynamische Verweisung IV. „Kleine" Arbeitgeber V. Ergebnis B. Statische und dynamische Teilverweisungsklausel C. Vorabunterwerfungsklausel I. Rechtscharakter der Vorabunterwerfungsklausel II. Ultima-ratio-Prinzip 1. Streitstand 2. Übertragung der Stellungnahmen auf die Vorabunterwerfungsklausel des Anerkennungstarifvertrages 3. Ergebnis III. Negative Koalitionsfreiheit IV. Schlussfolgerung D. Dynamische Rechtsstatusklausel I. Rechtmäßiges Kampfziel II. Rechtsfolgen 1. Streitstand 2. Übertragung auf den Anerkennungstarifkonflikt 3. Ergebnis
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Teil 6 Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages § 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages A. Beendigungsformen des Anerkennungstarifvertrages I. Formen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages ohne verweisungsspezifische Besonderheiten 1. Ablösung 2. Aufhebungsvertrag 3. Auflösende Bedingung II. Ordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages 1. Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung 2. Bestimmung des Kündigungstermins a) „Einfache" statische Verweisung aa) Vereinbarter Kündigungstermin bb) Ohne vereinbarten Kündigungstermin
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cc) Ergebnis b) „Einfache" dynamische Verweisung aa) Vom Grundsatz der Tarifnorm Verantwortung abgeleitetes ordentliches Kündigungsrecht (1) Auffassung Riebles (2) Stellungnahme bb) Vereinbarter Kündigungstermin cc) Ohne vereinbarten Kündigungstermin (1) Argumentationsansätze (a) Inkorporierung der verbandstarifvertraglichen Kündigungsregelung (b) Unbefristeter Ausschluss der ordentlichen Kündigung (2) Stellungnahme dd) Ergebnis c) „Erweiterte" statische und dynamische Globalverweisung.. aa) Vereinbarter Kündigungstermin bb) Ohne vereinbarten Kündigungstermin cc) Ergebnis 3. Ermittlung der Kündigungsfrist 4. Ermittlung der Kündigungsgründe a) Vereinbarte Kündigungsgründe b) Ohne vereinbarte Kündigungsgründe 5. Höchstdauer des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung 6. Ordentliche Gesamtkündigung bei „erweiterter" Globalverweisung trotz ordentlicher Teilkündigungsmöglichkeit Außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages 1. Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung a) Außerordentliche Kündigung kraft Vereinbarung b) Außerordentliche Kündigung ohne Vereinbarung c) Verhältnis zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage 2. Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung a) Wichtiger Grund und Unzumutbarkeit aa) Schwere Pflichtverletzung bb) Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten cc) Aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG abgeleiteter außerordentlicher Kündigungsgrund ( 1 ) Statische Verweisung (2) Dynamische Verweisung (a) Gefährdungslage (b) Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG (c) Bestimmung des wichtigen Grundes
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(d) Bestimmung der Unzumutbarkeit (aa) Erhebliche Belastung (bb) Zeitliche Komponente (e) Ergebnis dd) Kombination aus Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten und Änderung der dynamisch in Bezug genommenen Verbandstarifbestimmungen b) Zeitpunkt der Kündigungserklärung c) Ultima-ratio-Prinzip aa) Vorrang eines Nachverhandlungsangebotes bb) Vorrang einer außerordentlichen Teilkündigung IV. Zeitablauf bei Befristung des Anerkennungstarifvertrages 1. Vereinbarte Laufzeit 2. Ohne vereinbarte Laufzeit a) Statische Verweisung b) Dynamische Verweisung B. Auswirkungen der Beendigung des in Bezug genommenen Verbandstarifvertrages I. Grundsätzliche Unabhängigkeit des Anerkennungstarifvertrages II. Durchschlagen der Beendigungswirkung kraft Vereinbarung im Anerkennungstarifvertrag III. Durchschlagen der Beendigungswirkung aufgrund des Gleichstellungsanliegens § 16 Rechtsfolgen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages A. Allgemeine Rechtsfolgefragen I. Grundsatz der Nachwirkung II. Ausschluss der Nachwirkung III. Nachwirkung bei außerordentlicher Kündigung B. Verweisungsspezifische Rechtsfolgefragen I. Nachwirkung bei statischer Verweisung II. Nachwirkung bei dynamischer Verweisung 1. Streitstand a) Wegfall der Dynamisierung b) Aufrechterhaltung der Dynamisierung 2. Stellungnahme a) Unmittelbare Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG aa) Vorgaben des Gesetzeswortlauts bb) Rechtscharakter der Verweisungsanordnung cc) Konsequenzen dd) Ergebnis b) Analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG aa) Planwidrige Regelungslücke bb) Vergleichbare Interessen läge
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(1) Normzweck des § 4 Abs. 5 TVG 528 (2) Übertragung der Normzweckgesichtspunkte auf die dynamische Verweisungsanordnung 530 cc) Ergebnis 533 c) Schlussfolgerung 533 Teil 7 Zusammenfassung und Ausblick
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Anhang - Dokumentation typischer Regelungsinhalte des Anerkennungstarifvertrages
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A. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit vorübergehend abweichender Wochenarbeitszeit B. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit inhaltlicher Vorabunterwerfung und inhaltlicher Stufenanpassung an das Verbandstarifniveau C. Inhaltlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit Teilkündigungsgestattung D. Inhaltlich dynamische Verweisung und inhaltlich statische Verweisung mit Dynamisierungsvorbehalt im Anerkennungstarifvertrag E. Inhaltlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag auf eine andere Tarifregion F. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit Ausnahmevorbehalt G. Eigenständiger Firmentarifvertrag mit teilweiser inhaltlich statischer beziehungsweise inhaltlich dynamischer Verweisung
549
552 555 556 557 558 559
Literaturverzeichnis
561
Sachwortverzeichnis
588
Abkürzungsverzeichnis a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
Abs.
Absatz
AFG
Arbeitsförderungsgesetz vom 25.06.1969 (BGBl. I S. 582)
AfP
Archiv für Presserecht - Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht
AG
Aktiengesellschaft
AiB
Arbeitsrecht im Betrieb - Zeitschrift für Betriebsratsmitglieder
Anm.
Anmerkung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
AP
Arbeitsrechtliche Praxis - Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs
ArbG
Arbeitsgericht
ArbGG
Arbeitsgerichtsgesetz vom 02.07.1979 (BGBl. I S. 853, ber. S. 1036)
AR-Blattei
Arbeitsrechts-B lattei
ArbR
Arbeitsrecht - Zeitschrift für das gesamte Dienstrecht der Arbeiter, Angestellten und Beamten
ArbRGew
Arbeitsrecht der Gegenwart - Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit
ArbuR
Arbeit und Recht - Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis
ARS
Arbeitsrechts-Sammlung - Entscheidungen des Reicharbeitsgerichts und des Reichsehrengerichtshofs, der Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte und Ehrengerichte
Art.
Artikel
AuA
Arbeit und Arbeitsrecht - Monatsschrift ftir die betriebliche Praxis
Β ABl
Bundesarbeitsblatt
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAT
Bundesangestelltentarifvertrag
BAT-0
BundesangestelltentarifVertrag-Ost
BB
Betriebs-Berater - Zeitschrift ftir Recht und Wirtschaft
26
Abkürzungsverzeichnis
BeschFG
Beschäftigungsförderungsgesetz S. 710)
vom
26.04.1985
(BGBl. I
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz vom 15.01.1972 (BGBl. I S. 13)
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896 (RGBl. S. 195)
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BIStSozArbR
Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht
BSG
Bundessozialgericht
BT-Drucksache
Drucksache des Deutschen Bundestages
BUrlG
Bundesurlaubsgesetz vom 08.01.1963 (BGBl. I S. 2)
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
ca.
circa
CGM
Christliche Gewerkschaft Metall
DB
Der Betrieb - Wochenschrift fur Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
dies.
dieselbe(n)
DVB1
Deutsches Verwaltungsblatt
DVO TVG
Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes vom 23.12.1988 (BGBl. 1989 1 S. 77)
e.V.
eingetragener Verein
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Einf
Einfuhrung
Einl/Einl.
Einleitung
ErfKom
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht
EuGRZ
Europäische Grundrechte Zeitschrift
EWiR
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht - Kurzkommentare
EzA
Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f.
folgende
FA
Fachanwalt Arbeitsrecht - Zeitschrift
Abkürzungsverzeichnis
ff.
fortfolgende
Fn.
Fußnote
Gem. Anm.
Gemeinsame Anmerkung
GG
Grundgesetz fur die Bundesrepublik 23.05.1949 (BGBl. I S. 1)
GK-BetrVG
Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Gründl.
Grundlagen
GS
Großer Senat
Hdb
Handbuch
HGB
Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219)
Hrsg.
Herausgeber
HS
Halbsatz
IG
Industriegewerkschaft
Deutschland
vom
IG BCE
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
JherJb
Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts
JuS
Juristische Schulung - Zeitschrift für Studium und praktische Ausbildung
JZ
Juristenzeitung
KR
Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften
KSchG
Kündigungsschutzgesetz vom 25.08.1969 (BGBl. I S. 1317)
LAG
Landesarbeitsgericht
LAGE
Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte
MTV
Manteltarifvertrag
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - Zweiwochenschrift fur die betriebliche Praxis
NZA-RR
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht
NZfA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
OT-Mitgliedschafit
Mitgliedschaft ohne Tarifbindung
RAG
Reichsarbeitsgericht
RdA
Recht der Arbeit - Zeitschrift fur die Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts
RG
Reichsgericht
RGBl.
Reichsgesetzblatt
28
Abkürzungsverzeichnis
RGZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rn.
Randnummer
S.
Seite
SAE
Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen
SGB III
Sozialgesetzbuch, Drittes Buch 24.03.1997 (BGBl. I S. 594)
SGG
Sozialgerichtsgesetz vom 23.09.1975 (BGBl. I S. 2535)
SprAuG
Gesetz über Sprecherausschüsse vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2312)
TVG
TarifVertragsgesetz vom 25.08.1969 (BGBl. I S. 1323)
TWO
Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12.1918.
TzBfG
Teilzeit- und Befristungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1966)
UmwG
Umwandlungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I S. 3210)
Ver.di
Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft
vgl.
vergleiche
Vor/Vorb.
Vorbemerkung
Arbeitsförderung
vom
VSME
Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V.
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung vom 19.03.1991 (BGBl. I S. 686)
WiB
Wirtschaftsrechtliche Beratung - Zeitschrift fur Wirtschaftsanwälte und Unternehmensjuristen
WM
Wertpapiermitteilungen - Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht
ZfA
Zeitschrift für Arbeitsrecht
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung - Vierteljahreszeitschrift fur staatliche und kommunale Rechtsetzung
ZIAS
Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ZPO
Zivilprozessordnung in der Fassung vom 12.09.1950 (BGBl. S. 533)
ZTR
Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes
zugl.
zugleich
ZZP
Zeitschrift für Zivilprozess
Einleitung Α. Einleitender Überblick über die Bedeutung und den Regelungszweck des Anerkennungstarifvertrages In Anbetracht der in der letzten Dekade fortgeschrittenen Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaftsmärkte und der hiermit einhergehenden Beschäftigungskrise in der Bundesrepublik Deutschland fordern die Unternehmen unablässig eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und insbesondere der geltenden Tarifverträge. Da sich die Koalitionen den Herausforderungen nur zögerlich stellten, geriet der VerbandstarifVertrag, der auch als FlächentarifVertrag bezeichnet wird, in die Kritik. 1 Gleichzeitig führte die „Krise" des Flächentarifsystems zu einer tarifpraktischen Aufwertung des Firmentarifvertrages. Zahlreiche Arbeitgeber versprechen sich von einer firmentarifVertraglichen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine individuelle, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmen gerecht werdende Verteilung der sozialen Lasten und Risiken. Eine andere Interessenlage liegt hingegen der verstärkten Hinwendung der Gewerkschaften zum Gestaltungsinstrumentarium des Firmentarifvertrages zu Grunde. Das primäre Regelungsziel der Gewerkschaften besteht darin, ihren in nicht koalitionswilligen Unternehmen beschäftigten Mitgliedern eine kollektivarbeitsrechtlich gesicherte Arbeitsordnung zu gewährleisten, die in ihrem Regelungsgehalt mit dem auf verbandstarifVertraglicher Ebene erreichten Tarifstandard weitgehend harmoniert. Der Anerkennungstarifvertrag stellt eine spezifische Form des Firmentarifvertrages dar. Vertragsparteien sind der einzelne Arbeitgeber und die jeweils tarifzuständige Arbeitnehmervereinigung. Ungeachtet des Bedeutungszuwachses firmentarifVertraglicher Regelungen und der damit einhergehenden Renais-
1
Zur „Krise" des Flächentarifvertrages - siehe stellvertretend Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 49 f.; Däubler, NZA 1996, 225, 225; Hanau, RdA 1998, 65, 65; Heinze, Festschrift ftir Kraft, S. 205, 205; Henssler, ZfA 1994, 487, 488 f.; Hromadka, Festschrift ftir Wlotzke, S. 333, 335 f.; ders., AuA 1996, 289, 289; Junker, ZfA 1996, 383, 384 ff.; Kirchner, AuA 1995, 73, 73 f.; Konzen, NZA 1995, 913, 916 f.; Molitor, Festschrift fur Schaub, S. 487, 487; Rieble, RdA 1996, 151, 151; Schlochauer, Festschrift fur Schaub, S. 699, 699 ff.; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 10; Zachert, RdA 1996, 140, 140 f.; ders., ZTR 1998, 97, 97.
30
Einleitung
sance2 des Firmentarifvertrages in der Rechtslehre3 blieben signifikante Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum nahezu unerörtert. 4 Das Bundesarbeitsgericht befasste sich zwar in mehreren Urteilen mit dem Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages, sah indes keine Veranlassung zu einer vertieften Würdigung des besonderen Tarifvertragstypus. 5 Auch aktuelle Stellungnahmen in der Literatur schenken dem Anerkennungstarifvertrag kaum Beachtung, sondern konzentrieren sich auf die Erörterung allgemeiner Problemstellungen der firmentarifVertraglichen Regelungsbefugnis oder setzen sich in inhaltlicher Hinsicht mit Fragen der unternehmensspezifischen, dass heißt inhaltlich originären Ausgestaltung der Firmentarifbedingungen auseinander.6 Die vorliegende Arbeit hat es sich daher zum Ziel gesetzt, die sozialpolitische Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages herauszuarbeiten und die vielfältigen Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit der anerkennungstarifVertraglichen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auftreten, eingehend zu behandeln. Der Anerkennungstarifvertrag erfüllt eine charakteristische tarifpolitische Funktion, die sich in wiederkehrenden Vertragsklauseln manifestiert. Sein 2 Bereits in den siebziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts wurden einzelne Rechtsfragen des Firmentarifvertrages in der Debatte um die so genannte „betriebsnahe Tarifpolitik" ausführlich diskutiert - vgl. hierzu Buchner, DB 1970, 2025, 2025 ff.; ders., DB 1970, 2074, 2074 ff.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 605; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1005 f.; Hensche, RdA 1971, 9, 9 ff.; Hess, DB 1975, 548, 548 ff; ders., ZfA 1976, 45, 46 ff; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 93; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 123; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 17 ff. 3 Vgl. Becker, AuA 2000, 18 ff; Henssler, ZfA 1998, 517, 519 ff; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 136 ff; Stein, RdA 2000, 129, 129 ff; Waas, ZTR 2000, 341, 341; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 1 ff; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 335 ff; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 17 ff; siehe auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 297 ff; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 653 ff; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 477 ff; Oetker, in SchleeffOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 60 ff. 4 Eine nähere Untersuchung spezifischer Rechtsfragen des AnerkennungstarifVertrages findet sich lediglich bei Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 90 ff. Siehe auch Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372. 5 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 6 An dieser Stelle sei auf eine von Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 301 ff. durchgeführte Analyse hingewiesen. Aufgeschlüsselt nach unterschiedlichen Wirtschaftsgruppen stellt er einzelne Regelungsgehalte von Firmentarifverträgen dar.
Einleitung
zentraler Regelungszweck besteht in der inhaltlichen Angleichung der auf firmentarifVertraglicher Ebene geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an das von den Koalitionen ausgehandelte Tarifniveau der VerbandstarifVerträge. Unter Verzicht auf eine inhaltlich originäre Tarifgestaltung lehnen sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages kraft Verweisung an die Regelungsvorgaben eines Verbandstarifvertrages an. Das Wesen des Anerkennungstarifvertrages liegt demgemäß in der inhaltlichen Unterwerfung der tarifgebundenen Normadressaten unter die von fremden Sozialpartnern ausgeformte Verbandstarifordnung. Der Anerkennungstarifvertrag zeichnet sich also durch eine Zwitterstellung aus. Im Hinblick auf seine Entstehung ist der Typus des Firmentarifvertrages und im Hinblick auf seinen Inhalt ist der Typus des Verbandstarifvertrages das Leitbild. Insbesondere die Gewerkschaften sind bestrebt, Firmentarifbedingungen gegenüber nicht koalitionswilligen Arbeitgebern durchzusetzen, die mit den Regelungsvorgaben der VerbandstarifVerträge inhaltlich korrespondieren. In Verfolgung des tarifstrategischen Anliegens, ihren Mitgliedern im jeweiligen Wirtschaftszweig regional einheitliche Tarifbedingungen zu gewährleisten, erheben die Gewerkschaften gegenüber einzelnen Außenseiterarbeitgebern die Forderung nach „Anerkennung" der Verbandstarifinhalte. Zielorientiert ausgedrückt dient das Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages somit der „inhaltlichen Gleichstellung" unkoalierter Arbeitgeber mit den verbandstarifgebundenen Unternehmen. Eine wichtige tarifpolitische Funktion erfüllt der Anerkennungstarifvertrag darüber hinaus im Zusammenhang mit der Bewältigung der „Krise" des FlächentarifVertrages. Auf eine „Flucht" der Unternehmen aus einer bestehenden Verbandstarifbindung reagieren die Gewerkschaften oftmals mit der Forderung nach Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages, um hierdurch einer Unterschreitung des Verbandstarifiiiveaus entgegenzuwirken. Demgemäß stützen Anerkennungstarifverträge indirekt das in der Bundesrepublik Deutschland gewachsene Flächentarifsystem. Aber auch fur den einzelnen Arbeitgeber bietet eine inhaltliche Anbindung an den Verbandstarifstandard wesentliche Vorteile. Mit der firmentarifvertraglichen Übernahme der auf Verbandsebene erzielten Sozialkompromisse partizipiert der Außenseiter mittelbar an der Verhandlungsftihrung der Arbeitgebervereinigung, ohne sich in eine als nachteilig empfundene Koalitionseinbindung begeben zu müssen. Darüber hinaus bewahrt die Bereitschaft zur inhaltlichen Anerkennung der VerbandstarifVerträge kleine Unternehmen, denen eine soziale Durchsetzungsfähigkeit fehlt, im Regelfall vor einem einseitigen Tarifdiktat sozial mächtiger Gewerkschaften. Um dem Leser die Charakteristik des Anerkennungstarifvertrages zu veranschaulichen, sind im Anhang dieser Arbeit typische Vertragsgestaltungen do-
Einleitung
32
kumentiert. Zum Verständnis der nachfolgenden Untersuchungen ist es von Gewinn, einleitend einen Blick auf die niedergelegten Vertragsbeispiele zu werfen. Daraus wird deutlich, dass die Sozialpartner zur effektiven Realisierung des spezifischen Regelungszwecks gewöhnlich Musterformulierungen verwenden, die den Anknüpfungspunkt für die rechtliche Bewertung des Anerkennungstarifvertrages bilden.
B. Gang der Untersuchung Zur Strukturierung des Gedankengangs ist es notwendig, die Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages in ihrem jeweiligen tarifrechtlichen Kontext zu analysieren und insofern zwischen den Problemkreisen des Zustandekommens, der Geltung und der Beendigung des Tarifvertrages zu unterscheiden. Anknüpfungspunkt für die Behandlung einzelner Fragenkreise ist die spezifische inhaltliche Ausgestaltung der firmentarifvertraglichen Vereinbarung. Ob der Anerkennungstarifvertrag tatsächlich geeignet ist, das bestehende Flächentarifsystem zu stützen und die angestrebte Vereinheitlichung der regionalen Tarifbedingungen voranzutreiben, hängt entscheidend von der Wirksamkeit der zur Umsetzung des anvisierten Regelungsziels formulierten anerkennungstarifvertraglichen Bestimmungen ab. Bevor allerdings auf die Rechtmäßigkeit und die Rechtsfolgen charakteristischer Vertragsklauseln eingegangen wird, soll zunächst der Versuch unternommen werden, eine Definition des Anerkennungstarifvertrages zu erarbeiten. Aufbauend auf der begrifflichen Analyse widmet sich der Teil 1 dem Nachweis der tarifpraktischen Bedeutung des besonderen FirmentarifVertragstypus. Dem Leser soll anhand einer beim Tarifregister des Freistaates Thüringen durchgeführten empirischen Erhebung über die Regelungsinhalte archivierter Firmentarifwerke veranschaulicht werden, welchen Verbreitungsgrad der Anerkennungstarifvertrag in einzelnen Wirtschaftszweigen gefunden hat.7 Die Analyse fuhrt zu bemerkenswerten Ergebnissen, denn unter Berücksichtigung regionaler Eigenheiten konnte für einzelne Branchen eine zahlenmäßige Vorrangstellung der Anerkennungstarifverträge im Vergleich zu den unternehmensspezifischen FirmentarifVerträgen ermittelt werden. Diese Feststellungen geben Anlass, über die Ursachen nachzudenken, welche die Sozialpartner zur Übernahme der Verbandstarifinhalte bewegen. Darüber hinaus sind in die Würdigung der tarifpraktischen Relevanz die positiven Reflexwirkungen einzubeziehen, die sowohl die Arbeitnehmer, die Arbeitgeberverbände als auch die Allgemeinheit mit dem Anerkennungstarifvertrag verbinden.
7
Siehe unten § 3 C.
Einleitung
Nur wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die tarifliche Regelungsmacht zur Überleitung fremder Regelungsvorgaben in das von ihnen abgeschlossene Firmentarifabkommen besitzen, lohnt es sich, weiterreichende Problemfragen zu vertiefen. Aus diesem Grund steht das Regelungsverfahren, das der Realisierung des inhaltlichen Gleichstellungsziels dient, im Mittelpunkt des Teils 2. Regelungstechnisch erfolgt die „Anerkennung" der Verbandstarifverträge durch die Vereinbarung einer inhaltlichen Verweisungsbestimmung. Mit einer vorangestellten allgemeinen Betrachtung der tarifvertraglichen Verweisungstechnik werden wichtige Weichen für die Erörterung nachfolgender Streitfragen gestellt. Von besonderem Interesse sind dabei die Wirkungsweise und der Rechtscharakter der Verweisungsanordnung, zumal beide Problemkreise weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum abschließend geklärt sind. Hinsichtlich der Anbindungswirkung muss zwischen statischen und dynamischen Verweisungen unterschieden werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zunächst die formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen statischer Verweisungen, die sich dadurch auszeichnen, dass die verweisenden Sozialpartner die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge in ihrer feststehenden Fassung für anwendbar erklären. Mit besonderer Aufmerksamkeit widmet sich die Arbeit sodann den Rechtsfragen dynamischer Verweisungen. Da den Parteien des Anerkennungstarifvertrages erst mit der Übernahme der Jeweils gültigen Fassung" der VerbandstarifVerträge eine langfristige inhaltliche Anbindung an die Flächentarifentwicklung gelingt, reicht ihre tarifpraktische Bedeutung weit über die statischer Verweisungen hinaus. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur werden dynamische Verweisungen kritisch beurteilt. Neben formellen Einwänden sieht sich die antezipierende Übernahme künftiger Verbandstarifinhalte dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie mit dem in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Grundsatz der Tarifhormverantwortung in Widerspruch steht. Die geäußerten Bedenken geben daher Anlass, die verfassungsrechtlichen Grenzen der tariflichen Rechtsetzungsmacht eingehend zu analysieren. In diesem Kontext wird darzulegen sein, dass für die Wirksamkeit dynamischer Verweisungen in Firmentarifverträgen eigenständige Maßstäbe gelten, die einen Rückgriff auf die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Rechtfertigungskriterien entbehrlich machen. Im Hinblick auf die Reichweite inhaltlicher Verweisungen ist zwischen Global·, Teil- und Einzelverweisungen zu differenzieren. Eine Besonderheit des Anerkennungstarifvertrages besteht darin, dass sich die Vertragspartner im Regelfall nicht auf die Übernahme eines einzelnen Tarifvertrages beschränken, sondern oftmals eine Vielzahl der in der jeweiligen Branche geltenden Verbandstarifwerke in ihren Tarifvertrag überführen. Inwieweit derartige „erweiterte" Globalbezugnahmen von der Gestaltungsfreiheit der Sozialpartner gedeckt sind, bedarf näherer Untersuchung. Übernehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages hingegen lediglich ausgewählte Regelungskomplexe
34
Einleitung
oder einzelne Bestimmungen des Flächentarifvertrages, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen damit verbunden sind, dass sich der verbandstarifVertragliche Kompromisscharakter auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages nicht wiederfindet. Im Anschluss daran werden die im Rahmen des Abschlusses eines Anerkennungstarifvertrages geltenden formellen Pflichten konkretisiert. Nach einem Überblick über die Anforderungen des Schriftformgebotes des § 1 Abs. 2 TVG stehen Rechtsfragen im Zentrum der Betrachtung, die aus der vertraglichen Verpflichtung zur Schaffung gesonderter Anhänge und Anlagen zum Anerkennungstarifvertrag resultieren. Aus der Wechselwirkung zwischen der inhaltlichen Verweisungsanordnung und dem Regelungsgehalt eines beigefügten Verzeichnisses ergeben sich zahlreiche Auslegungsprobleme. Von grundlegendem Interesse sind zudem Fragen der Publizität der Tarifinhalte. Aufbauend auf einer kritischen Würdigung der gegenwärtigen tarifpraktischen Umsetzung des PubiikationsVerfahrens sollen unter Berücksichtigung der Eigenheiten tariflicher Verweisungen die Anforderungen dargestellt werden, die die Vertragspartner im Rahmen der einzelnen Bekanntmachungsformen beachten müssen. Zum Abschluss des Teils 2 bleibt die Frage zu beantworten, inwieweit arbeitsgerichtliche Entscheidungen, die die Parteien des in Bezug genommenen Verbandstarifvertrages im Hinblick auf die Wirksamkeit und Auslegung ihres Tarifabkommens erstreiten, auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages ebenfalls Verbindlichkeit erlangen. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob sich der angestrebte Gleichlauf unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 9 TVG realisieren lässt oder ob die Sozialpartner zumindest die Befugnis haben, den auf Verbandsebene ergangenen Gerichtsentscheidungen im Wege einer tarifVertraglichen Unterwerfungsvereinbarung Geltung in ihrer TarifVertragsbeziehung zu verleihen. Die Koalitionen streben in Wahrnehmung ihres Sozialauftrags eine ständige Weiterentwicklung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an. Aus diesem Grund kann die Situation entstehen, dass in Zukunft neuartige Flächentarifverträge in Kraft treten, die von der ursprünglichen inhaltlichen Verweisungsklausel nicht erfasst werden. Eine denkbare Verfahrensweise, um die neuartigen Verbandstarifabkommen in den Anerkennungstarifvertrag zu überführen, besteht in der Vereinbarung einer Verhandlungsklausel, deren Wirksamkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen es im Teil 3 zu problematisieren gilt. Darüber hinaus finden in der Vertragspraxis so genannte Vorabunterwerfungsklauseln Verbreitung, die bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages eine antezipierende Anerkennung zukünftiger neuartiger Verbandstarifwerke festschreiben. Inwieweit der Grundsatz der Tarifhormverantwortung eine derart weitreichende Unterwerfungsabrede gestattet, ist bislang ungeklärt.
Einleitung
Gegenstand des Teils 4 ist die so genannte dynamische Rechtsstatusklausel. Mit ihr übernehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages nicht nur die jeweiligen inhaltlichen Regelungsvorgaben des bezogenen Verbandstarifvertrages, sondern legitimieren darüber hinaus einen statusrechtlichen Gleichlauf zwischen der firmen- und der verbandstarifVertraglichen Ebene. Während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages sollen die übernommenen Tarifhormen den jeweiligen Rechtsstatus der dynamisch in Bezug genommenen Verbandstarifhormen - unmittelbare und zwingende Wirkung oder nur nachwirkende Geltung - inklusive der damit verbundenen statusrechtlichen Rechtsfolgen synchron nachvollziehen. Um die Rechtmäßigkeit dieser Klausel beurteilen zu können, ist es notwendig, zunächst einen Blick auf die statusrechtliche Regelungsbefijgnis der Tarifvertragsparteien zu werfen. Unter Berücksichtigung der mit der Rechtsstatusanbindung verfolgten Ziele sind ihre Folgewirkungen im Einzelnen zu würdigen, wobei der Darstellung der arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen besondere Aufmerksamkeit gewidmet ist. Da seitens der Arbeitgeber die Bereitschaft zu einem freiwilligen TarifVertragsabschluss oftmals fehlt, wendet sich der Teil 5 der Fragestellung zu, ob typische Bestimmungen des Anerkennungstarifvertrages zulässiger Gegenstand einer arbeitskampfvveisen Konfliktlösung sind. Bevor allerdings auf die Erzwingbarkeit einzelner Klauseln näher eingegangen werden kann, ist festzustellen, welches arbeitskampfrechtliche Instrumentarium den Sozialpartnern auf firmentarifVertraglicher Ebene überhaupt zur Verfugung steht. Außerdem besteht aufgrund der Besonderheit, dass Anerkennungstarifverträge häufig von kleinen Unternehmen geschlossen werden, Veranlassung dazu, über eine Begrenzung der Arbeitskampfbefugnis nicht durchsetzungsfähiger Arbeitgeber nachzudenken. In Anbetracht der bisher wenig befriedigenden Lösungsansätze soll in diesem Kontext ein neues Korrektiv entwickelt werden. An die Erläuterung der allgemeinen Voraussetzungen des firmentarifbezogenen Arbeitskampfes schließt sich die Auseinandersetzung mit einzelnen Einwänden gegen die Erkämpfbarkeit statischer beziehungsweise dynamischer Global-, Teil- und Einzelverweisungen an. Ferner bilden Fragen der Statthaftigkeit einer kampfvveisen Durchsetzung der Vorabunterwerfungsklausel respektive der dynamischen Rechtsstatusklausel einen Schwerpunkt der Bearbeitung. Im Mittelpunkt des Teils 6 stehen Problemfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages. Grundlage der Diskussion ist die Feststellung, dass die Wechselwirkung zwischen verweisendem und bezogenen Tarifvertrag maßgebenden Einfluss auf die Bestimmung der Wirksamkeitsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen der unterschiedlichen Beendigungstatbestände erlangt. Die Ausführungen konzentrieren sich zunächst auf die ordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages. In diesem Zusammenhang wird zu prü-
36
Einleitung
fen sein, inwieweit die Parteien des Anerkennungstarifvertrages berechtigt sind, eigenständige Kündigungsabsprachen zu treffen oder eine Übernahme der kündigungsrechtlichen Vorgaben des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages festzuschreiben. Ein weiterer Kernpunkt der Untersuchung liegt in der Beleuchtung des Korrelats zwischen dem Grundsatz der Tarifnormverantwortung und dem Recht zur ordentlichen Kündigung des Anerkennungstarifvertrages. Ausgehend von der These, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG einer „Ewigkeitsbindung" an fremde Tarifwerke entgegensteht, ist zu ermitteln, welche Ereignisse zur Anerkennung einer eigenständigen ordentlichen Kündigungsbefugnis zwingen. Hieran anknüpfend erhebt sich die Frage, ob der Grundsatz der Tarifnormverantwortung bindende Vorgaben hinsichtlich der Höchstdauer eines vertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigungsbefugnis statuiert. Die Eigenheiten des Anerkennungstarifvertrages erfordern darüber hinaus eine gesonderte Bewertung des außerordentlichen Kündigungsrechts. Bei dynamischen Verweisungen besteht infolge der vorweggenommenen Überleitung künftiger VerbandstarifVerträge die Gefahr, dass die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages in Zukunft mit Tarifregelungen konfrontiert werden, die von ihrem Standpunkt betrachtet keinen sachgerechten Sozialausgleich gewährleisten. Aus diesem Grund ist zu überlegen, ob es zum Schutz vor unvorhergesehenen Tarifentwicklungen geboten ist, den Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine selbstständige außerordentliche Beendigungsbefugnis zuzuerkennen. Zum Abschluss der Betrachtung einzelner Beendigungstatbestände wendet sich die Bearbeitung den verweisungsspezifischen Besonderheiten zu, die bei Befristungsvereinbarungen auftreten. Nach einer allgemeinen Analyse der Rechtsfolgen der Beendigung des AnerkennungstarifVertrages beschäftigen sich die weiteren Ausführungen mit der Streitfrage, ob die inhaltliche Dynamisierungsabrede auch im Stadium der Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages aufrechterhalten bleibt. In diesem Zusammenhang wird es notwendig, näher auf die dogmatische Grundlage der Nachwirkung einzugehen, um hieran anknüpfend die in diesem Kontext vorliegenden Stellungnahmen der Rechtsprechung und des Schrifttums einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
Teil 1.
Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages § 1 Definition des Anerkennungstarifvertrages Zu Beginn der Untersuchung gilt es, den besonderen TarifVertragstypus des Anerkennungstarifvertrages einer Begriffsbestimmung zuzuführen. Auch wenn - dies sei einschränkend vorweggenommen - die begriffliche Einordnung allein nicht als Grundlage zur Ableitung spezifischer Rechtsfolgen dient, so trägt sie doch dazu bei, das Phänomen des Anerkennungstarifvertrages in seiner Bedeutung und Abgrenzung von anderen Tarifvertragstypen zu erfassen.
A. „Anerkennungstarifvertrag 44 als Rechtsbegriff Ausgangspunkt einer Definition des Anerkennungstarifvertrages ist die Wortbedeutung. Signifikant ist die Zusammensetzung aus den Wortstämmen „Anerkennung" und „Tarifvertrag". Um den Bedeutungsgehalt des zusammengesetzten Hauptwortes zu bestimmen, muss analysiert werden, inwieweit die Wortbestandteile ihrerseits einen selbstständigen Rechtsbegriff umschreiben. Beide Stammwörter veranschaulichen eigene Begrifflichkeiten, wenn aus ihnen im Wege einer logischen Gedankenoperation sachliche Folgerungen abgeleitet werden können. Hierfür ist es notwendig, dass sich ihr Bedeutungsgehalt auf ein abstraktes System zurückführen lässt, welches seine Grundlage in der Gesetzessystematik und in allgemeinen, die Rechtsordnung leitenden Rechtsprinzipien und Wertmaßstäben findet. 1
I. „Tarifvertrag 44 als Rechtsbegriff Einen im Bedeutungssinn weitgehend feststehenden abstrakten Rechtsbegriff beschreibt der Terminus „Tarifvertrag". Geprägt durch eine lange historische 1
Allgemein zur juristischen Begriffsbildung - vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 300 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 437 ff.; siehe auch Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 75 ff.
38
Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Entwicklung2 ist er im Lichte der Koalitionsbetätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG als staatlich anerkannter Normenvertrag zwischen tariffähigen Sozialpartnern zu qualifizieren. 3 Der Tarifvertrag ist das Regelungsinstrumentarium, mit dem die Gewerkschaften im Zusammenwirken mit einem Arbeitgeber oder einer Vereinigung von Arbeitgebern die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf kollektivrechtlicher Basis mit zwingender Wirkung eigenständig und selbstverantwortlich ausgestalten. Seine Regelungsgehalte und Rechtsfolgen werden im Tarifvertragsgesetz konkretisiert. Nach § 1 Abs. 1 TVG normieren Tarifverträge einerseits den Rechte- und Pflichtenstatus der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse 4 und begründen andererseits ein obligatorisches Schuldverhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien. 5
2
Vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 79 ff.; Her schei, ZfA 1973, 183, 183 ff.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, TVG Einl; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 1 ff.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 252 Rn. 1 ff; Oetker, in Wiedemann, Geschichte Rn. 1 ff; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 10ff. Das Wort „Tarif 4 ist arabischen Stammes und von der spanischen Grenzstadt Tarifa abgeleitet. Dort wurden Verzeichnisse für Zölle und Gebühren geführt - vgl. Herschel, BB 1963, 1220, 1221; ders., RdA 1975, 333, 337; Oetker, in Wiedemann, Geschichte Rn. 5. 3 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 9 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 510; Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 36 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 345; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 1 ff.; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 1 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 216; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 198 Rn. 16; Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Erster Teil, S. 107; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 1 und 39; siehe zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 1; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 1ff. und 23 ff. 4 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 169; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 538 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 344; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 1 und 43 ff.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 1; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 23 und 227 ff.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 8 ff; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 13 ff; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 210 und 284 ff; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 100 ff; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 5; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 1 und 248 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 366. 5 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 17 ff; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 169; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 538 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 344; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 1 und 88 ff; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 1; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 23 und 203 ff; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 258; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 28ff; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 210 und 324 ff; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 100 ff; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 4; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 1 und 657 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 366.
§ 1 Definition des Anerkennungstarifvertrages
I I . „Anerkennung
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als Rechtsbegriff
Schwieriger zu bestimmen ist der Aussagegehalt des Begriffsbestandteils „Anerkennung". Eine rechtsverbindliche Definition des Wortbausteins gelingt nur, wenn dem Terminus ein abstrakter Bedeutungsgehalt zu Grunde liegt, der ein verallgemeinerungsfahiges System manifestiert. Hierfür müssen Merkmale gefunden werden, die von den Sachverhalten, in denen sie auftreten, losgelöst und abstrahiert werden können.6 Eine Abstrahierung sieht sich jedoch der Schwierigkeit ausgesetzt, dass das Stammwort der „Anerkennung" in verschiedenartigen rechtlichen Zusammenhängen verwendet wird. Aus dem materiellen Zivilrecht sind insbesondere die Rechtsinstitute des deklaratorischen und des konstitutiven Schuldanerkenntnisses anzuführen. 7 Bedeutung erlangt der Terminus zudem im Familienrecht im Kontext der Vaterschaftsanerkennung gemäß § 1594 BGB. 8 In prozessrechtlicher Hinsicht kann ein Rechtsstreit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund einer Anerkenntniserklärung im Sinne des § 307 ZPO beendet werden. 9 Auf dem Gebiet des Völkerrechts wiederum spielt die Anerkennung eine bedeutende Rolle bei der Legitimation von Völkerrechtssubjekten und bei der Begründung staatenübergreifender Rechtsbeziehungen.10
6
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 439. Siehe dazu Fischer, JuS 1999, 998, 999 f.; Heckelmann,, in Erman, §781 BGB Rn. 1; Hüffer, in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §781 BGB Rn. 2 f.; Marburger, in Staudinger, § 781 BGB Rn. 1 ff. und 8 ff; Sprau, in Palandt, § 781 BGB Rn. 2 f.; vgl. ebenfalls BGH vom 13.03.1974, WM 1974, 410, 411; BGH vom 10.10.1977, BGHZ 69, 328, 329; BGH vom 15.01.1987, BGHZ 99, 333, 335; BGH vom 10.12.1987, BGHZ 102, 343, 347; BGH vom 16.03.1988, BGHZ 104, 18, 24. 8 Vgl. Diederichsen, in Palandt, § 1594 BGB Rn. 4; Holzhauer, in Erman, § 1594 BGB Rn. 3 und § 1592 BGB Rn. 5; Rauscher, in Staudinger, § 1594 BGB Rn. 4. 9 Vgl. Fischer, JuS 1999, 1214, 1215; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 307 ZPO Rn. 14; Leipold, in Stein/Jonas, § 307 ZPO Rn. 32 ff; Reichold, in Thomas/Putzo, § 307 ZPO Rn. 8; Vollkommer, in Zöller, § 307 ZPO Rn. 4. Nach herrschender Auffassung ist die Erklärung reine Prozesshandlung - vgl. BGH vom 27.05.1981, BGHZ 80, 389, 391; Fischer, JuS 1999, 1214, 1215; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einf § 306 ZPO Rn. 2; Leipold, in Stein/Jonas, § 307 ZPO Rn. 11; Reichold, in Thomas/Putzo, § 307 ZPO Rn. 1; Vollkommer, in Zöller, Vor § 306 ZPO Rn. 5. Für eine prozessual-materielle Doppelnatur Thomas, ZZP 89 (1976), 80, 80 ff. Anerkenntniserklärungen sind auch nach den Prozessordnungen anderer Gerichtszweige statthaft - vgl. ftir das Verwaltungsgerichtsverfahren: Kopp/Schenke, § 86 VwGO Rn. 16; fur das Sozialgerichtsverfahren: Meyer-Ladewig, § 101 SGG Rn. 1 und 19; für das Arbeitsgerichtsverfahren: Germelmann, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 55 ArbGG Rn. 14. 10 Der Erklärung kommt ein völkerrechtsspezifischer Charakter zu - vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 938 ff; Ipsen, Völkerrecht, § 22 Rn. 1ff; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 180. Die völkerrechtliche Anerkennung erzeugt umfassendere Rechts7
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Bereits diese überblicksartige Aufzählung verdeutlicht, dass der Terminus „Anerkennung" nicht in einem abstrakt-einheitlichen Rechtssinn verwendet wird. Er beschreibt vielmehr unterschiedliche Konstellationen in heterogenen dogmatischen Zusammenhängen. Deshalb können aus der Begriffsdogmatik keine zwingend logischen Folgerungen fur die Definition des Anerkennungstarifvertrages abgeleitet werden. 11 Kann man das Wort „Anerkennung" demnach nicht als eigenständigen, übergeordneten Rechtsbegriff begreifen, so lassen sich gleichwohl gewisse Gemeinsamkeiten der beschriebenen Rechtsinstitute und Übereinstimmungen in den Rechtswirkungen nicht von der Hand weisen. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter dem Ausdruck „Anerkennung" eine ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung, bestimmte Tatsachen oder Rechtsverhältnisse gegen sich gelten lassen zu wollen. 12 Mit seiner Willenserklärung erzeugt der anerkennende Rechtsträger eine rechtsfolgenbezogene Umgestaltung der bestehenden Rechtslage. Er akzeptiert eine von einem anderen Rechtssubjekt eingeforderte Einwirkung auf eine konkrete Rechtsbeziehung. Charakteristikum des Anerkennungstatbestandes ist somit der Umstand, dass der Erklärende eine bereits vorgegebene Rechts- oder Tatsachenlage für sich als rechtsverbindlich bestätigt.
I I I . Schlussfolgerung Aus grammatikalischer Sicht dient das Bestimmungswort bei zusammengesetzten Wörtern der näheren Konkretisierung des Grundwortes. In Konsequenz dessen weist der Wortbaustein der „Anerkennung" dem Terminus „Tarifvertrag" einen spezifischen Bedeutungssinn zu und prägt somit seinen Begriffsgehalt. Ein Blick auf die Ähnlichkeiten in der Wirkungsweise der erwähnten Anerkennungskonstellationen erlaubt zumindest eine grundsätzliche Einordnung des „Anerkennungstarifvertrages". Entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch lässt diese Umschreibung auf eine besondere Art und Weise der inhaltlichen Ausgestaltung eines Tarifwerkes schließen. Wesensmerkmal des Anerkennungstarifvertrages ist die Erklärung, bereits existente, vorformulierte Regelungsvorgaben in der zu begründenden Tarifbeziehung als rechtsverbindlich zu akzeptieren. Der Anerkennungstarifvertrag soll seine inhaltliche Ausformung Wirkungen als dies eine zivilrechtliche Anerkennung vermag - siehe Doehring, Völker-
recht, Rn. 938; siehe zudem Ipsen, Völkerrecht, § 22 Rn. 3. 11 Zum ohnehin eingeschränkten Wert der Rechtsbegriffsbildung - vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 441 f. 12 Meyers Grosses Universallexikon, Band 1, S. 407; vgl. auch Brockhaus - Die Enzyklopädie, Erster Band, S. 587.
§ 1 Definition des Anerkennungstarifvertrages
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kraft Übernahme eines anderweitig fixierten Regelungsgefuges erhalten. Sonstige weiterführende Erkenntnisse sind der Terminologie nicht zu entnehmen, denn es lassen sich keine Aussagen über die Art und Herkunft der anzuerkennenden Regelungsinhalte treffen. Ferner bleibt offen, von welchem der beteiligten Sozialpartner die Anerkennungsforderung initiiert wird.
B. Verwendung der Terminologie durch das Bundesarbeitsgericht und das Schrifttum Seit langem findet der Terminus „Anerkennungstarifvertrag" in der tariflichen Vertragspraxis Verwendung. 13 In der Rechtslehre wurde er erstmals durch Gaul einer vertieften Betrachtung unterzogen. 14 Bereits zuvor gebrauchte das Bundesarbeitsgericht den Begriff, ohne sich mit dessen Bedeutungsgehalt näher auseinander zu setzen.15 Aktuelle Entwicklungen im Tarifrecht 16 veranlassten sowohl die Rechtsprechung 17 als auch das Schrifttum 18 in den zurücklie13
In den Tarifregistern finden sich Anerkennungstarifverträge, die in siebziger und achtziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts abgeschlossen wurden. Als Beispiel aus der jüngeren TarifVertragspraxis sei hier der Jenoptik-AnerkennungstarifVertrag vom 29.04.1996 genannt - vgl. Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 123 ff. 14 Gaul, ZTR 1991, 188, 189; siehe dazu Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121 (Fn. 28). 15 BAG vom 02.12.1987, AP Nr. 54 zu § 1 Feiertagslohnzahlungsgesetz. Siehe auch BAG vom 30.05.1958, AP Nr. 8 zu § 9 TVG, das von einem „Anerkennungsvertrag" spricht. 16 Zur tarifpraktischen Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages und zu den Gründen seines Abschlusses - siehe unten § 2. 17 Zur Verwendung des Terminus in der Rechtsprechung - vgl. BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 30.08.2000, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 07.11.2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972 TarifVorbehalt; BAG vom 25.07.2001, EzA § 611 BGB Schichtarbeit Nr. 2; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Bremen vom 02.12.1997, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; LAG Hamm vom 29.07.1998, NZA-RR 1999, 196, 196; LAG Düsseldorf vom 02.12.1999, DB 2000, 431, 432; LAG Niedersachsen vom 14.11.2000, LAGE § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 24; ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 371. Aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung - vgl. BSG vom 04.10.1994, AP Nr. 3 zu § 116AFG. 18 Zur Verwendung des Terminus in der Rechtslehre - vgl. Artus/Schmidt/Sterkel, Brüchige Tarifrealität, S. 25; Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 51; Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121 (Fn. 28); Dietrich , Β ABl 6/1997, 14, 22; Frieges,
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
genden Jahren zu einer eingehenderen Befassung mit diesem besonderen Tarifvertragstypus, wodurch die Terminologie weite Verbreitung fand. Mit der Bezeichnung „Anerkennungstarifvertrag" beschreibt die tarifrechtliche Diskussion eine spezielle Form des Firmentarifvertrages. 19 Explizit formuliert das Bundesarbeitsgericht, dass der „Anerkennungstarifvertrag einen FirmentarifVertrag im Sinne des § 1 Abs. 1, §2 Abs. 1 TVG darstellt". 20 In der Lehre wird der firmentarifVertragliche Charakter des AnerkennungstarifVertrages ebenfalls hervorgehoben. 21 Kontrahent der Gewerkschaft ist demnach kein NZA 1998, 630, 630; Gaul, ZTR 1991, 188, 189; ders., ZTR 1993, 355, 355; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifVertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 138; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; KemKSchR, pen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351 und 380 sowie § 3 TVG Rn. 35; Kittner/Trittin, 3. Auflage, § 613a BGB Rn. 198; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 155; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., BB 1997, 2161, 2161; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §256 Rn. 5; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; ders., in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 15; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 59; Nauditt, ArbuR 2002, 288, 289; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 487; Pfarr, ZTR 1997, 1,1; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; ders., in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 125; Schaub, BB 1995, 2003, 2005; ders., BB 1996, 2298, 2300; ders., AuA 1998, 44, 45; ders., NZA 1998, 617, 618; ders., Anm. zu BAG vom 07.11.2000, EWiR 2001, 639, 640; Schleef, AuA 1996, 296, 298; Schleef, in Schleef/Oetker, Tarifj)olitik im Wandel, S. 13; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28; Schulz/Teichmüller, in Erosion oder Erneuerung?, S. 167, 178; Silberberger, Anm. zu BAG vom 20.06.2001, AiB 2002, 142, 142; Stein, RdA 2000, 129, 134; Stoffels, ZfA 1999, 49, 145; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; ders., Anm. zu LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, AiB 1999, 596, 596 f.; ders., Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; ders. Anm. zu BAG vom 24.01.2001, AiB 2002, 64, 64; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 761 (Fn. 1); Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 58; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 307; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11. 19 Der Firmentarifvertrag wird auch als „Haus-, Werks- oder UnternehmenstarifVertrag" bezeichnet - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 504; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 2 TVG Rn. 7; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifVertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 137; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 55; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 121; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 50; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 4; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 382. 20 BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu §2 KSchG 1969. Vgl. auch BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 21 Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 51; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121 (Fn. 28); Gaul, ZTR 1991, 188, 189; ders., ZTR 1993, 355, 355; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 155; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP
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Arbeitgeberverband, sondern der einzelne Arbeitgeber in seiner Eigenschaft als tariffähiger Sozialpartner gemäß § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG. Als kennzeichnendes Merkmal des Anerkennungstarifvertrages wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur die spezifische inhaltliche Ausgestaltung der firmentarifvertraglichen Abrede verstanden. Die Parteien des Firmentarifvertrages verzichten auf eine eigenständige, unternehmensbezogene Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Mangels originären Regelungsgehalts fehlt dem Anerkennungstarifvertrag der Charakter einer tariflichen Ursprungsvereinbarung. 22 Unter Verzicht auf substanzielle Inhaltsnormen 23 übernimmt er lediglich die inhaltlichen Regelungsvorgaben eines zwischen anderen Sozialpartnern abgeschlossenen VerbandstarifVertrages. 24 Im Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 5; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 15; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 59; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 487; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; ders., in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123 ff.; Schaub, BB 1996, 2298, 2300; ders., NZA 1998, 617, 618; Schleef, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 13 ff.; Stein, RdA 2000, 129, 134; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, AiB 1999, 596, 597; ders., Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 307; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11; vgl. zudem Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99 f.; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; Kempen/Zachert,§ 1 TVG Rn. 380; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; Pfarr, ZTR 1997, 1, 1; Schleef, AuA 1996, 296, 298; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28; Stoffels, ZfA 1999, 49, 145; Wank, Festschrift fur Schaub, S. 761, 761 (Fn. 1). 22 Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 58; vgl. ebenfalls BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Gaul, ZTR 1991, 188, 189; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 104 f. Ausführlich zum Rechtscharakter einer Verweisungsanordnung vgl. unten § 4 F. 23 Gaul, ZTR 1991, 188, 189; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 104 ff. 24 Vgl. BAG \om 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 02.12.1987, AP Nr. 54 zu § 1 Feiertagslohnzahlungsgesetz; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifverträg; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; LAG Bremen vom 02.12.1997, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; LAG Hamm vom 29.07.1998,
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Wege der Verweisung werden die verbandstarifVertraglichen Regelungsvorgaben in den Anerkennungstarifvertrag überfuhrt, sodass die tarifgebundenen Normadressaten an dem auf Verbandsebene erzielten Tarifkompromiss partizipieren. Mittels der im Anerkennungstarifvertrag fixierten „Inkorporationsanordnung" stellen die Vertragsparteien also einen kongruenten Gleichlauf der Tarifbedingungen auf firmen- und verbandstarifvertraglicher Ebene sicher. 25 Demgemäß beschränkt sich der übliche Inhalt eines AnerkennungstarifVertrages auf die Niederlegung einer Verweisungsklausel. 26 Ihr obliegt es, das in Bezug genommene Verbandstarifwerk konkret zu bestimmen und den Geltungsrahmen der Verweisung festzulegen. Vergleicht man den tarifpraktischen Anwendungsbereich des AnerkennungstarifVertrages mit dem Begriffsverständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs, so ist die Terminologie durchaus geeignet, die Wirkungsweise des TarifVertragstypus zu umschreiben. Als vorformulierter, Rechte und Pflichten begründender Regelungssachverhalt ist der in Bezug genommene VerbandstarifVertrag anzusehen. Kraft übereinstimmender Willenserklärung soll das verbandstarifvertragliche Rechte- und Pflichtenverhältnis konform auf firmentarifVertraglicher Ebene Geltung beanspruchen. Die Firmentarifpartner erkennen das Verbandstarifhiveau als auch für ihre Rechtsbeziehung maßgebend an. Der Umstand der Übernahme einer fremden Tarifordnung rechtfertigt es daher, von einer „Anerkennung" zu sprechen. Eine Initiative zur Überleitung des Verbandstarifinhalts kann entweder von der tarifzuständigen Gewerkschaft oder vom einzelnen Arbeitgeber ausgehen, denn die Terminologie lässt den Urheber der Übernahmeforderung offen. NZA-RR 1999, 196, 196; LAG Düsseldorf vom 02.12.1999, DB 2000, 431, 432; siehe auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; vgl. zudem BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; siehe auch den Tatbestand von BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG. 25 Zum inhaltlichen Gleichstellungsanliegen - vgl. Gaul, ZTR 1991, 188, 189; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; ders., in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11; vgl. auch BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; Pfarr, ZTR 1997, 1, 1 f.; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28; Stein, RdA 2000, 129, 134; Unter hinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; siehe zudem Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 ff.; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 317 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 660 und 664 ff.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff. 26 Zu den einzelnen Verweisungsformen siehe unten § 4 E.
§ 1 Definition des Anerkennungstarifvertrages
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C. Andere Terminologien Die im Schrifttum verbreitete Begriffsverwendung ist indes keineswegs zwingend. Unproblematisch kann der TarifVertragstypus mit synonymen Begriffswendungen umschrieben werden. Zur Charakterisierung firmentarifVertraglicher Verweisungsabreden greifen sowohl das Bundesarbeitsgericht 27 als auch Teile des Schrifttums auf den Terminus des „Anschlusstarifvertrages" zurück. 28 Auch diese Bezeichnung ist grundsätzlich geeignet, um die Übernahme eines fremden Tarifwerkes klarzustellen. Bildlich gesprochen erklären die Parteien des Firmentarifvertrages den inhaltlichen Anschluss an den in Bezug genommenen Verbandstarifstandard. Allerdings muss Berücksichtigung finden, dass die Terminologie herkömmlich in einem anderen rechtlichen Kontext verwendet wird. So sprechen Judikatur 29 und Lehre 30 von einem „Anschlusstarifvertrag", wenn eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt, der inhaltlich mit einem ftir denselben Tarifbereich bereits vorliegenden Tarifabkommen einer anderen Gewerkschaft identisch ist. 31 Mit der Beitrittserklärung einer Gewerkschaft zu einem fremden Tarifab27
BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form. Birk,, ArbuR 1977, 235, 235; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233 (Fn. 61); Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 510; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 320; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., NZA 1994, 337, 339; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 660; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Rieble, Anm. zu BAG vom 10.02.1999, RdA 2000, 40, 40; ders., in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 343; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18 und 20. 29 Das Bundesarbeitsgericht hatte mehrfach darüber zu entscheiden, ob allein der Abschluss von „Anschlusstarifverträgen" durch eine Gewerkschaft hinreichendes Indiz ihrer sozialen Mächtigkeit ist - vgl. BAG vom 14.03.1978, AP Nr. 30 zu § 2 TVG; BAG vom 10.09.1985, AP Nr. 34 zu § 2 TVG; BAG vom 25.11.1986, AP Nr. 36 zu § 2 TVG; BAG vom 16.01.1990, AP Nr. 38 zu § 2 TVG; BAG vom 16.01.1990, AP Nr. 39 zu § 2 TVG. 30 Vgl. Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 87; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 153; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 43 (Fn. 26). Zur Begriffsverwendung in der Diskussion um die soziale Mächtigkeit einer Gewerkschaft - vgl. Brox, Anm. zu BAG vom 10.09.1985, SAE 1986, 232, 233; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 50; Hagemeier, ArbuR 1988, 193, 195; Herschel, ArbuR 1976, 225, 239; Söllner, ArbuR 1976, 321, 325. 31 Der allgemeine Sprachgebrauch zwingt indes nicht zu einer Eingrenzung auf gewerkschaftliche Anschlusserklärungen. Aus diesem Grund beschreiben eine Vielzahl der Stellungnahmen den „Anschlusstarifvertrag" genereller, indem sie jede inhaltliche Anlehnung eines Tarifabkommens an einen von anderen Sozialpartnern ausgehandelten 28
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Teil 1: Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
kommen verfolgt sie gewöhnlich das Anliegen, ihren Mitgliedern dieselben Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, die bereits für anders organisierte Arbeitnehmer gelten, um somit einheitliche Tarifbedingungen in den Betrieben sicherzustellen. Die firmentarifvertragliche Anlehnung an die VerbandstarifVorgaben hat indes eine andere Zielrichtung und beruht zudem regelmäßig auf einer arbeitgeberseitigen Übernahmeerklärung, weil die Initiative zum Abschluss des Firmentarifabkommens üblicherweise von der Gewerkschaftsseite ausgeht.32 Um diese Eigenheiten klarzustellen, erscheint es vorzugswürdig, die firmentarifVertragliche Inkorporationsabrede mit einer gesonderten Begrifflichkeit zu konkretisieren. Der Terminus „Anerkennungstarifvertrag" belegt stringenter die inhaltliche Anbindung an das Verbandstarifhiveau und die Art und Weise des Zustandekommens des Firmentarifabkommens. Zwingend ist eine terminologische Differenzierung allerdings nicht. Ebenso ist es denkbar, den Firmentarifvertragstypus als „ParalleltarifVertrag" zu qualifizieren, da sich sein Regelungsgehalt kongruent an der Verbandstarifgestaltung ausrichtet. 33 Diese Begrifflichkeit eignet sich jedoch eher zur Beschreibung von in zeitlicher Hinsicht parallel verlaufenden TarifVertragsverhandlungen um mehrere selbstständige, letztlich aber gleichlautende Tarifverträge. Andere Quellen sprechen schlicht von einem „Bezugnahme- oder VerweisungstarifVertrag". 34 Außerdem kann die inhaltliche Anlehnung an das Verbandstarifhiveau durch den Terminus des „Übernahmetarifvertrages" erfasst werden. 35 Allerdings ermöglichen diese alternativen Terminologien keine genauere Kennzeichnung des Phänomens des Anerkennungstarifvertrages. Sie vermögen es im Gegenteil noch weniger, die inhaltlichen Besonderheiten des FirmentarifVertragstypus hervorzuheben. Die Reichweite des abstrakten Bedeutungsgehalts der Begriffe des Übernahme-, Verweisungs- oder ParalleltarifVerTarifvertrag erfassen - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 503; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 452 und 453 (Fn. 12); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 18; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 58. 32 Zu den tarifpraktischen Hintergründen siehe unten § 2 A. 33 Vgl. hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 503 f.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 58. 34 Das BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag spricht von einem „VerweisungstarifVertrag" in Form eines Haustarifvertrages. Siehe auch das BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form, das den Firmentarifvertrag schlicht als „verweisenden Tarifvertrag" bezeichnet. Vgl. zudem Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Wieland, Anm. zu BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O. 35 Siehe Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 660; Schaub, BB 1995, 2003, 2005. Bauer, JuS 1999, 765, 767 und 770 spricht von einem „Einbeziehungstarifvertrag".
§ 1 Definition des Anerkennungstarifvertrages
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träges geht über die des Anerkennungstarifvertrages hinaus. Diese Wortbestandteile sind von ihrem rechtlichen Umfang extensiver und infolgedessen weitgehend unbestimmt.
D. Mehrdeutigkeit der Terminologie „Anerkennungstarifvertrag 44 Andererseits ist auch die Verwendung des Terminus „Anerkennungstarifvertrag" nicht vollständig schlüssig. Mit ihm lässt sich nicht nur die firmentarifVertragliche Bezugnahme auf einen VerbandstarifVertrag beschreiben. Die Formulierung impliziert vielmehr eine umfassendere Tragweite. So gestattet es der allgemeine Sprachgebrauch, ebenfalls dann von einer „Anerkennung" fremder Tarifbestimmungen zu sprechen, wenn ein VerbandstarifVertrag auf einen anderen FlächentarifVertrag verweist. Eine verbandstarifVertragliche Anlehnung an die Regelungsvorgaben fremder FlächentarifVerträge hat große praktische Bedeutung und kommt in Betracht, wenn der übernommene Sozialkompromiss Pilotcharakter trägt. 36 Darüber hinaus schließt die Terminologie auch die Überleitung der inhaltlichen Vorgaben eines Firmentarifvertrages in einen anderen Firmentarifvertrag 37 oder sogar in einen VerbandstarifVertrag ein. 38 Anlässlich dieser Interpretationsvarianten weisen Kempen/Zachert darauf hin, dass die „Unternehmensebene (Firmentarifvertrag)" lediglich den bedeutungsvollsten Anwendungsbereich des Anerkennungstarifvertrages darstellt. 39
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Vgl. BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Düsseldorf vom 18.09.1956, BB 1957, 148, 148; LAG Brandenburg vom 17.03.1995, LAGE § 4 TVG Nachwirkung Nr. 3; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f.; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung. 37 Siehe den Tatbestand von BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979. 38 In neuerer Zeit wurden mit einigen Großunternehmen FirmentarifVerträge abgeschlossen, die moderne und flexible Gestaltungsoptionen zum Inhalt haben. Es ist daher denkbar, dass sich FlächentarifVerträge inhaltlich an die Vorgaben fortschrittlicher, räumlich bedeutsamer Firmentarifabkommen anlehnen. Beispiele für eigenständige FirmentarifVerträge von Großunternehmen finden sich bei Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 328 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505; Pfarr, ZTR 1997, 1, 2; Stein,, RdA 2000, 129, 132 f.; siehe auch die Zusammenstellung von Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 301 ff.; vgl. ebenfalls die Jenoptik-HaustarifVerträge in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 131 ff. 39 Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380. Auch Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 58 differenziert nicht zwischen firmen- oder verbandstarifvertraglichen Tarifabschlüssen.
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Sowohl die tarifliche Vertragspraxis als auch die aktuellen Stellungnahmen des Bundesarbeitsgerichts messen dem Terminus „Anerkennungstarifvertrag" indes eine restriktive Bedeutung bei. 40 Er dient regelmäßig der Spezifizierung von Verweisungskonstellationen in Firmentarifverträgen, wobei das Hauptaugenmerk auf einer inhaltlichen Übernahme der in der Branche geltenden FlächentarifVerträge liegt. Diesem Verständnis sind die Besprechungen in der Literatur gefolgt. Daran anknüpfend soll der weiteren Bearbeitung die höchstrichterliche Begriffsinterpretation zu Grunde gelegt werden. Entsprechend dieser terminologischen Eingrenzung liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Untersuchung in der systematischen Auseinandersetzung mit denjenigen Rechtsfragen, die durch firmentarifVertragliche Verweisungen auf die von den Koalitionen abgeschlossenen FlächentarifVerträge aufgeworfen werden. Gerade der Umstand, dass die Bezugnahmeklausel zum Inhalt eines Firmentarifvertrages gemacht wird, begründet mannigfaltige tarifrechtliche Besonderheiten. Andere Verweisungskonstellationen bleiben ausgeklammert. Nicht weiterverfolgt werden deshalb Problemlagen, die durch Bezugnahmen in Verbandstarifverträgen entstehen. Darüber hinaus widmet die Arbeit den Eigenheiten einer Verweisung auf fremde FirmentarifVertragsinhalte keine vertiefte Aufmerksamkeit. 41
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen im Hinblick auf den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages Neue Tendenzen in der Tarifpolitik fuhren zu einer zunehmenden Relevanz des Anerkennungstarifvertrages. Anhand der teils konträren Interessenlagen sind die Gründe zu veranschaulichen, welche die FirmentarifVertragsparteien dazu bewegen, die Regelungsvorgaben eines VerbandstarifVertrages zu übernehmen. In die Bewertung der tarifpraktischen Ursachen müssen dabei die Vorzüge einfließen, die aus Sicht der tarifbetroffenen Personenkreise für den Abschluss eines AnerkennungstarifVertrages streiten.
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BAG vom 02.12.1987, AP Nr. 54 zu § 1 Feiertagslohnzahlungsgesetz; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; siehe zudem BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 41 Eine firmentarifVertragliche Verweisung auf einen fremden Firmentarifvertrag richtet sich grundsätzlich nach denselben, nachfolgend darzustellenden Regeln.
§ 2 Tarifpolitische Interessen lagen
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A. Interesse der Gewerkschaften In den tariftaktischen Strategien der Gewerkschaften spielt der Anerkennungstarifvertrag eine wichtige Rolle. Die gewerkschaftlichen Motive, vom einzelnen Arbeitgeber eine inhaltliche Unterwerfung unter das Verbandstarifniveau einzufordern, sind vielschichtig.
I. Inhaltliche Gleichstellung von Außenseiterarbeitgebern mit verbandsangehörigen Arbeitgebern Arbeitnehmervereinigungen begreifen den FlächentarifVertrag als das zentrale Gestaltungsmittel zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. 42 Historisch betrachtet prägt das Verbandstarifsystem die Entwicklungsgeschichte des deutschen Tarifrechts. 43 Mit dem Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages gelingt es den Gewerkschaften, die auf Verbandsebene erzielten Tarifkompromisse auf die firmentarifvertragliche Ebene zu transformieren. Sowohl die verbandstarifVertragliche Ordnungs- und Befriedungsfunktion als auch die verbandstarifVertragliche Richtigkeitsgewähr werden durch die inhaltliche Anerkennung der Flächentarifwerke auf das Bezug nehmende Firmentarifabkommen erstreckt. Der inhaltliche Gleichlauf der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördert ein einheitliches Tarifniveau und entschärft damit den Unterbietungswettbewerb um den Kostenfaktor „Arbeitskraft". 44 Nicht koalitionswillige Arbeitgeber werden gehindert, im Wege arbeitsvertraglicher Vereinbarungen oder mittels unternehmensspezifischer HaustarifVerträge die regionalen Branchentarife zu unterschreiten. Der inhaltliche Gleichstellungseffekt trägt dem grundlegenden gewerkschaftlichen Anliegen Rechnung,
42 Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 64; Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 46; ders., in Erosion oder Erneuerung?, S. 20, 32; Kittner, AiB 1995, 158, 158; ders., in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 143 f.; Pfarr, ZTR 1997, 1, 1 f.; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 105 und 107 f.; siehe auch Benecke, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, SAE 1998, 60, 65; Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; vgl. zudem Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifsystems, S. 331; Däubler, NZA 1996, 225, 233; Schaub, NZA 1998, 617, 622; Schulz/Teichmüller, in Erosion oder Erneuerung?, S. 167, 167 und 172 f.; Stein, RdA 2000, 129, 130; Zachert, AuA 1996, 293, 293; ders., ZTR 1998, 97, 99; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 17 f. 43 Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 50; Däubler, ZTR 1994, 448, 448; Kittner, AiB 1995, 158, 158; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 122; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 16; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 23; Konzen, NZA 1995, 913, 915 f.; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 102 und 104; Schleusener, BB 1999, 684, 684. 44 Siehe dazu Hensche, ArbuR 1996, 331, 334 und 336; ders., ArbRGew 34 (1997), 35, 47; vgl. zudem Blanke, AiB 2000, 260, 267.
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
„gleiche Arbeit gleich zu entlohnen" und einen für alle Beschäftigten gleichwertigen sozialen und technischen Arbeitnehmerschutz festzuschreiben. 45 Die Betonung der Sicherung eines einheitlichen regionalen Tarifhiveaus verdeutlicht die Abkehr der Gewerkschaften von der „betriebsnahen Tarifpolitik". 4 6 Mit diesem Schlagwort werden gewerkschaftliche Strategien beschrieben, die es sich in Zeiten ökonomischer Hochkonjunktur zum Ziel gesetzt hatten, durch ergänzende Firmentarifverträge oberhalb des Flächentarifstandards liegende Tarifbedingungen gegenüber wirtschaftlich florierenden Unternehmen durchzusetzen.47 Im Zuge des Rückgangs der deutschen Konjunkturdynamik und in Anbetracht steigender Arbeitslosenzahlen mussten die Gewerkschaften erkennen, dass eine Realisierung von Höchstarbeitsbedingungen aussichtslos ist. Hauptanliegen gewerkschaftlicher Tarifpolitik ist in neuerer Zeit die Bewahrung der verbandstariflichen Ordnung. Dementsprechend erlangt der Anerkennungstarifvertrag heute grundlegende Bedeutung in der Tarifauseinandersetzung mit denjenigen Unternehmen, die bisher keiner Arbeitgeberkoalition beigetreten sind und auch zukünftig einen Beitritt nicht anstreben.48 Für das Fernbleiben zahlreicher Firmen von den Ar45 Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; siehe allgemein Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 18 und 551 ff; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 496 ff.; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 91; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 7 ff; vgl. auch Hensche, in Erosion oder Erneuerung?, S. 20, 33. 46 Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 46; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 123; ähnlich Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 30; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19; vgl. auch Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 2 f.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 609 f. „Betriebsnahe Tarifpolitik" findet in jüngerer Zeit oftmals unter umgekehrten Vorzeichen statt. Gewerkschaften schließen mit verbandsangehörigen Unternehmen, die in eine wirtschaftliche Krise geraten sind, so genannte „betriebsnahe Ergänzungstarifverträge", die zwecks Arbeitsplatzsicherung eine vorübergehende Unterschreitung des Verbandstarifniveaus gestatten - vgl. dazu Jacobs, ZTR 2001, 249, 249; Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 138 (Fn. 13); ders., ArbuR 1998, 469, 472 (Fn. 22); siehe zudem Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 331; Zachert, ZTR 1998, 97, 99; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19. 47 Zur „betriebsnahen Tarifpolitik" - siehe Buchner, DB 1970, 2025, 2025ff.; ders., DB 1970, 2074, 2074 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 605; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1005 f.; Hensche, RdA 1971, 9, 9 ff; Hess, DB 1975, 548, 548 ff; ders., ZfA 1976, 45, 46 ff; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 93; Lauschke, ArbuR 1965, 102, 102 ff; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 123; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 17 ff. 48 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505; Gaul, ZTR 1991, 188, 189; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380 und § 2 TVG Rn. 69; Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; vgl. auch Braun, BB 1986, 1428, 1428; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifVertraglicher Arbeitsbedingungen durch HaustarifVertrag, S. 138; Oet-
§ 2 Tarifpolitische Interessen lagen
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beitgeberverbänden bestehen unterschiedliche Gründe. Vornehmlich in den im Entstehen begriffenen modernen Dienstleistungsbranchen existieren kaum effiziente Interessenvertretungen der Arbeitgeber, sodass die Koordinierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf das Gestaltungsinstrumentarium des Firmentarifvertrages angewiesen ist. 49 In anderen Wirtschaftszweigen ist die arbeitgeberseitige Koalitiorisunwilligkeit auf die allgemeine Unzufriedenheit der Firmen mit der unflexiblen Tarifpolitik der Verbände zurückzuführen. Unmut der Unternehmer herrscht über die tarifrechtliche Nachgiebigkeit und Konzeptionslosigkeit ihrer Interessenvertretungen. Arbeitgebervereinigungen sehen sich dem Vorwurf fehlender Kundenorientierung ausgesetzt und haben sich infolgedessen mit einem merklichen Vertrauensverlust auseinander zu setzen.50 Die Verbandsverdrossenheit mittelständischer Arbeitgeber wiederum resultiert aus der ablehnenden Haltung gegenüber der Dominanz von Großunternehmen in einigen Arbeitgeberkoalitionen. 51
ker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 126; Schulz/Teichmüller, in Erosion oder Erneuerung?, S. 167, 178 f.; Stein, RdA 2000, 129, 134; Unterhinninghofen, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, AiB 1999, 596, 597; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 307; siehe zudem Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 ff.; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 317 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 660 und 664 ff.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Melot de Beauregard , Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 179; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff. Siehe die Fallkonstellationen in BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu §2 KSchG 1969; vgl. zudem BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 49 Kittner, AiB 1995, 158, 160; vgl. auch Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 328. 50 Böhm, NZA 1994, 497, 497; Buchner, NZA 1995, 761, 763 f.; Eich, NZA 1995, 149, 149 f.; Heinze, Festschrift fur Kraft, S. 205, 208; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 15 f.; Schaffeld, AfP 1996, 249, 249 f.; Schlochauer, Festschrift fur Schaub, S. 699, 699; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 65 f.; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11; Zachert, AuA 1996, 293, 294; vgl. zudem Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 16; Däubler, NZA 1996, 225, 225; Glaubitz, Festschrift für Stege, S. 39, 40; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 493; Pfarr, ZTR 1997, 1, 2 f.; Schleef, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 6 ff. 51 Artus/Schmidt/Sterkel, Brüchige Tarifrealität, S. 163; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 329; Wienand, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 67 und 338; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 107 und 118; Zachert, AuA 1996, 293, 294; vgl. zudem Franzke, OT-Mitgliedschaften, S. 9; Henssler, ZfA 1994, 487, 496; Otto, NZA 1996, 624, 624; siehe aber auch Böhm, NZA 1994, 497, 497; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11.
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
In einer Sondersituation befinden sich die Arbeitgeber in den neuen Bundesländern. 52 Die Akzeptanz des in den alten Bundesländern gewachsenen Flächentarifsystems ist dort gering. Erfahrungen mit einer organisierten, zentralistischen Regelung der Arbeitsbedingungen in der ehemaligen DDR und die momentan schwierige wirtschaftliche Lage vieler Firmen erklären die ablehnende Haltung ostdeutscher Arbeitgeber gegenüber dem VerbandstarifVertrag. In Zeiten einer stagnierenden ökonomischen Entwicklung der Unternehmen empfinden viele Firmen das Verbandstarifniveau als zu kostenintensiv. Ein erheblicher Teil der Arbeitgeber meidet daher gestützt auf ihre negative Koalitionsfreiheit eine Unterwerfung unter die verbandstarifliche Regelungsmacht. Eher nehmen sie die Konfrontation mit gewerkschaftlichen Forderungen nach Abschluss eines Firmentarifvertrages in Kauf, da dieser nach ihrer Ansicht mehr Chancen als Risiken bietet. 53 Nur durch eine verweisungstechnische Überleitung der Flächentarifinhalte erreicht die Gewerkschaft eine Anbindung der koalitionsunwilligen Arbeitgeber an den Tarifstandard auf Verbandsebene. Gerade in den Gebieten, die ein niedriges Organisationsniveau auf Arbeitgeberseite aufweisen, bietet der Anerkennungstarifvertrag die einzige Möglichkeit, eine weitgehende Zersplitterung der Tariflandschaft durch eine Vielzahl unterschiedlicher HaustarifVerträge zu vermeiden. Die Übernahme des regionalen VerbandstarifVertrages durch einen Außenseiterarbeitgeber zwecks inhaltlicher Gleichstellung mit den verbandsangehörigen Unternehmern bildet demgemäß den Hauptanwendungsfall des Anerkennungstarifvertrages. Darüber hinaus gewinnt der Vereinheitlichungsgedanke auch bei Firmentarifverträgen Bedeutung, die mit international operierenden Unternehmen geschlossen werden. Ausländische Unternehmen wollen sich häufig nicht in das in Deutschland vorherrschende Verbandstarifsystem einbinden.54 Um einer Unterbietung des Flächentarifstandards entgegenzutreten, bedarf es firmentarifvertraglicher Absprachen mit den vor Ort ansässigen Tochterunternehmen, die sich an den Branchentarifbedingungen orientieren. In umgekehrter Richtung ermöglicht der Anerkennungstarifvertrag eine Absicherung des deutschen Ta-
52 Buchner, NZA 1994, 2, 2; ders., NZA 1995, 761, 764; Göbel, Festschrift für Wlotzke, S. 313, 329 f.; Hensche, ArbuR 1996, 331, 331; Kittner, AiB 1995, 158, 160; Nauditt, ArbuR 2002, 288, 288 f.; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 105 f.; Schaub, NZA 1998, 617, 621, Schlachter, ZIAS 1997, 101, 106 f.; Thüsing, ZTR 1996, 481, 481; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 15; Winkler, AuA 1999, 11,11; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11; Wirth, AuA 1997, 109, 109. 53 Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 328; vgl. zudem Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 329; Kittner, ArbuR 1995, 385, 393; siehe auch Ruhland, Kampfparität, S. 151. 54 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 506; vgl. zudem Henssler, ZfA 1998, 517, 517 f.
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen
53
rifstandards zu Gunsten derjenigen Arbeitnehmer, die in ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Firmen beschäftigt werden. 55
I I . Verhinderung der „Flucht" aus der Verbandstarifbindung Angesichts kostenintensiver und unflexibler Branchentarifabschlüsse entwickeln verbandsangehörige Arbeitgeber verschiedenartige Strategien, um sich der Bindung an nachteilig empfundene Verbandstarifabkommen zu entziehen, was zu einer „Krise" des gewachsenen Flächentarifsystems geführt hat. 56 Um adäquat auf die „Flucht" der Unternehmen aus der Verbandstarifbindung zu reagieren, setzen Gewerkschaften vorrangig auf das Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages.
1. Austritt aus dem Arbeitgeberverband Aufgrund der Unzufriedenheit mit der Politik ihrer Verbandsvertreter trat eine Vielzahl der Unternehmen aus den Arbeitgebervereinigungen aus oder trägt sich mit dem Gedanken eines Ausscheidens.57 Mit der Verbandsflucht bezwe55
So verwies beispielsweise der für eine ausländische Zweigstelle des GoetheInstituts geltende Firmentarifvertrag auf den BAT - vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 56 Zur „Krise des FlächentarifVertrages" - siehe stellvertretend Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 49 f.; Däubler, NZA 1996, 225, 225; Hanau, RdA 1998, 65, 65; Heinze, Festschrift fur Kraft, S. 205, 205; Henssler, ZfA 1994, 487, 488 f.; Hromadka,, Festschrift fur Wlotzke, S. 333, 335 f.; ders., AuA 1996, 289, 289; Junker, ZfA 1996, 383, 384 ff.; Kirchner, AuA 1995, 73, 73 f.; Konzen, NZA 1995, 913, 916 f.; Molitor, Festschrift fur Schaub, S. 487, 487; Rieble, RdA 1996, 151, 151; Schlochauer, Festschrift fur Schaub, S. 699, 699 ff.; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 10; Zachert, RdA 1996, 140, 140 f.; ders., ZTR 1998, 97, 97. 57 Bauer, Festschrift fur Schaub, S. 19, 19 f.; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1085; Buchner, RdA 1997, 259, 259; Büdenbender, NZA 2000, 509, 509 f.; Däubler, ZTR 1994, 448, 448 f.; ders., NZA 1996, 225, 225; Dahlbender, Der Austritt des Arbeitgebers aus seinem Verband zwecks Loslösung von Tarifverträgen, S. 1; Feger, AiB 1995, 490, 490 f.; Frieges, NZA 1998, 630, 630; Gerhards, BB 1997, 362, 362 f.; Göbel, Festschrift fur Wlotzke, S. 313, 330; Hanau, RdA 1998, 65, 68 f.; Hensche, ArbuR 1996, 331, 332; Henssler, ZfA 1994, 487, 507; Hoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2525; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 35; Kittner, AiB 1995, 158, 160; ders., in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 132; ders., ArbuR 1998, 469, 469; Krauss, DB 1995, 1562, 1562; Nauditt, ArbuR 2002, 288, 289; Peter, Festschrift fur Däubler, S. 479, 483; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 106; Rieble, RdA 1996, 151, 155; Schaffeld, AfP 1996, 249, 250; Schaub, BB 1995, 2003, 2003; ders., BB 1996, 2298, 2298 f.; ders., NZA 1998, 617, 618 f.; Schleef, in SchleetfOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 10; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberver-
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
cken die Arbeitgeber eine Abkopplung von der Flächentarifentwicklung, um die Arbeitsbedingungen durch unternehmensspezifische HaustarifVerträge beziehungsweise auf betrieblicher oder arbeitsvertraglicher Ebene neu zu gestalten. Zwar enthält das TarifVertragsgesetz Schutzmechanismen, die einer unvermittelten Abkehr vom verbandstariflichen Regelungsgefuge entgegenwirken. So besteht die Bindung an den geltenden VerbandstarifVertrag nach dem Verbandsaustritt zunächst gemäß § 3 Abs. 3 TVG fort, bis das Tarifwerk seine Gültigkeit verliert oder inhaltlich modifiziert wird. 58 Nach der vom Bundesverfassungsgericht 59 gebi 11 igten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 60
bänden, S. 28; Schwab, BB 1994, 781, 781; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 31; Wank, NJW 1996, 2273, 2278 f.; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 66; Winkler, AuA 1999, 11, 11. Angesichts der erzielten Fortschritte bei der Flexibilisierung der FlächentarifVerträge ist allerdings der Höhepunkt der Austrittswelle inzwischen überschritten - vgl. Büdenbender, NZA 2000, 509, 510; Unter hinninghofen, AiB 2000, 31, 31. 5 *BAG vom 26.10.1983, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG vom 04.08.1993, AP Nr. 15 zu § 3 TVG; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung; Brümsen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 25; Buchner, RdA 1997, 259, 259 f.; ders., Festschrift ftir Schaub, S. 75, 80; Büdenbender, NZA 2000, 509, 511 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 299; ders., ZTR 1994, 448, 449 f.; ders., NZA 1996, 225, 226 f.; Dahlbender, Der Austritt des Arbeitgebers aus seinem Verband zwecks Loslösung von Tarifverträgen, S. 63; Feger, AiB 1995, 490, 491 f.; Friedrich, Festschrift ftir Schaub, S. 193, 194; Frieges, NZA 1998, 630, 631; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 724 f.; Hanau, RdA 1998, 65, 68; Henssler, ZÌA 1994, 487, 507; Hoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2525; Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 133; ders., ArbuR 1998, 469, 469 f.; Krauss, DB 1995, 1562, 1562; Lieb, NZA 1994, 337, 337; Oetker, ZfA 1998, 41, 42; ders., in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 45 f.; Schaffeld, AfP 1996, 249, 250; Schaub, BB 1994, 2005, 2006; ders., BB Ì995, 2003, 2003; ders., BB 1996, 2298, 2298; ders., NZA 1998, 617, 618 f.; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 32; Wank, NJW 1996, 2273, 2278. Für eine zeitliche Begrenzung der Weitergeltungsphase des § 3 Abs. 3 TVG - vgl. Bauer, Festschrift ftir Schaub, S. 19, 24; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Hromadka, Festschrift fur Wlotzke, S. 333, 349; Hromadka, AuA 1996, 289, 291; Konzen, NZA 1995, 913, 920; Löwisch/Rieble, §3 TVG Rn. 74; dies., in Münchener-Hdb, §267 Rn. 24 f.; Rieble, RdA 1996, 151, 155; Schwab, BB 1994, 781, 781 f. 59 BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 948. 60 BAG vom 14.02.1991, AP Nr. 10 zu § 3 TVG; BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe dazu ebenfalls Bauer, Festschrift ftir Schaub, S. 19, 24 f.; Bau-
§ 2 Tarifpolitische Interessen lagen
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schließt sich an die Weitergeltungsphase des § 3 Abs. 3 TVG das Stadium der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG mit der Konsequenz an, dass die verbandstarifvertraglichen Normvorgaben mit dispositiver Wirkung aufrechterhalten bleiben. Dennoch sind diese gesetzlichen Beschränkungen auf lange Sicht ungeeignet, eine Loslösung vom Verbandstarifstandard zu verhindern. Eine Bindung ausgetretener Arbeitgeber an nachfolgende Verbandstarifverträge bleibt ausgeschlossen, weil mit dem Inkrafttreten eines neuen Flächentarifvertrages die Tarifgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG endet. Die hieran anknüpfende Nachwirkung ermöglicht keine dynamische Partizipation an der weiteren Verbandstarifentwicklung, sondern friert den erreichten Tarifstand gemäß § 4 Abs. 5 TVG auf ihrem Status quo ein. 61 Überdies ist der Arbeitgeber mit Beginn der Nachwirkung aufgrund der Dispositivität nachwirkender Tarifbestimmung berechtigt, untertarifliche Arbeitsbedingungen mittels normverdrängender Abmachungen durch-
er/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 83 ff.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 301; ders., ZTR 1994, 448, 451; ders., NZA 1996, 225, 227 f.; Dahlbender, Der Austritt des Arbeitgebers aus seinem Verband zwecks Loslösung von Tarifverträgen, S. 71 ff.; Feger, AiB 1995, 490, 495; Frieges, NZA 1998, 630, 631; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 728 f.; Gerhards, BB 1997, 362, 362 f.; Hanau, RdA 1998, 65, 68 f.; Henssler, ZfA 1994, 487, 507; Junker, ZfA 1996, 383, 401; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 34; Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 136 f.; ders., ArbuR 1998, 469, 471; Krauss, DB 1995, 1562, 1562; Lieb, NZA 1994, 337, 338 f.; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 487 f.; Schaffeld, AfP 1996, 249, 250 f.; Schaub, BB 1994, 2005, 2006; ders., BB 1995, 2003, 2003 f.; ders., BB 1996, 2298, 2298; ders., NZA 1998, 617, 619; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 112; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 143 ff.; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 33; Wank, NJW 1996, 2273, 2278 f.; Zachert, RdA 1996, 140, 149 f.; ders., Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 417. Kritisch Buchner, RdA 1997, 259, 260; Heinze, Festschrift für Kraft, S. 205, 208; Hoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2526 f.; Löwisch/Rieble, Anm. zu BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; dies., § 4 TVG Rn. 242; Oetker, Gem. Anm. zu BAG vom 18.03.1992 und 27.11.1991, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 14 und 15; ders., in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 78; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA §3 TVG Nr. 19; Schwab, BB 1994, 781, 782; siehe auch LAG Köln vom 25.10.1989, LAGE § 3 TVG Nr. 2; vgl. zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 61 BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu §3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Feger, AiB 1995, 490, 495; Frieges, NZA 1998, 630, 631; Gerhards, BB 1997, 362, 363; Hanau, RdA 1998, 65, 68 f.; Schaffeld, AfP 1996, 249, 251; Schaub, NZA 1998, 617, 619; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 112; allgemein hierzu Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1450; ders., ZTR 1994, 448, 452; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 310; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 4; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 327.
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Teil 1 : Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
zusetzen. Wenig Erfolg versprechen in diesem Kontext zwar abändernde FirmentarifVerträge 62 oder ablösende Betriebsvereinbarungen. 63 Auf individualarbeitsvertraglicher Ebene kann jedoch eine Absenkung des Tarifstandards im Wege übereinstimmender Änderungsvereinbarungen oder einseitiger Änderungskündigungen erzielt werden. Um der fortschreitenden Erosion der Unternehmensverbände entgegenzutreten, reagieren die Gewerkschaften auf arbeitgeberseitige Austrittserklärungen mit der Forderung nach Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages. 64 Mit 62
Gewerkschaften werden sich nicht auf Firmentarifabschlüsse einlassen, die unterhalb des Verbandstarifniveaus liegen - vgl. Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Schaub, BB 1995, 2003, 2004 und 2005; ders., AuA 1998, 44, 45. Nur ausnahmsweise sind Gewerkschaften bei existenziellen Unternehmenskrisen zu einer begrenzten firmentarifVertraglichen Unterschreitung der Verbandstarifbedingungen bereit - vgl. Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 138 (Fn. 13); ders., ArbuR 1998, 469, 472 (Fn. 22); Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 106. 63 Es greift die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG - vgl. Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Buchner, RdA 1997, 259, 261; Däubler, NZA 1996, 225, 229; Feger, AiB 1995, 490, 496; Frieges, NZA 1998, 630, 631; Gerhards, BB 1997, 362, 363; Henssler, ZfA 1994, 487, 507; Ηoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2528 f.; Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 137; ders., ArbuR 1998, 469, 472; Krauss, DB 1995, 1562, 1563; Oetker, Gem. Anm. zu BAG vom 18.03.1992 und 27.11.1991, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 14 und 15; Schaub, BB 1996, 2298, 2298 f.; ders., BB 1995, 2003, 2005 f.; ders., NZA 1998, 617, 619; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 112; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Wank, NJW 1996, 2273, 2279; kritisch Bauer, Festschrift fur Schaub, S. 19, 26. 64 Buchner, NZA 1999, 897, 900; Hensche, ArbuR 1996, 331, 331 und 335; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351 und § 3 TVG Rn. 35; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Lieb, NZA 1994, 337, 339; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 59; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 487; Pfarr, ZTR 1997, 1,1; Schaub, BB 1995, 2003, 2004 und 2005; ders., BB 1996, 2998, 2300; ders., AuA 1998, 44, 45; ders., NZA 1998, 617, 618; Schleef, AuA 1996, 296, 298; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 13 ff; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11. Andere Stellungnahmen weisen schlicht daraufhin, dass die Gewerkschaften regelmäßig mit der Forderung nach Abschluss eines „Firmentarifvertrages" reagieren siehe Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Däubler, ZTR 1994, 448, 452; ders., NZA 1996, 225, 233; Feger, AiB 1995, 490, 498; Henssler, ZfA 1994, 487, 507; Hoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2527 f.; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 144; Kittner, AiB 1995, 158, 160; ders., in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 138; ders., ArbuR 1998, 469, 472; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 33 f. Nicht selten setzen Gewerkschaften gegenüber ausgetretenen Arbeitgebern sogar FirmentarifVerträge durch, die „schlechter" ausfallen als die FlächentarifVerträge, denen sich die Unternehmen gerade entziehen wollten - vgl. Böhm, NZA 1994, 497, 498; Däubler, NZA 1996, 225, 233 (Fn. 127); Schaub, AuA 1998, 44, 45; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; siehe auch Henssler, ZÌA 1994, 487, 507. Nach Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 33 kann der Arbeitgeber demzufolge „vom
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dieser Initiative legen sie den ausgeschiedenen Arbeitgeber auch künftig auf die inhaltlichen Regelungsvorgaben des Verbandstarifniveaus fest. 65 Gelingt der Gewerkschaft die Durchsetzung einer dynamischen Verweisung 66 auf den regionalen Flächentarifstandard, zeitigt die Verbandsflucht für den Austretenden keine positiven Effekte. Im Gegenteil überwiegen die negativen Konsequenzen seines Koalitionsaustritts. Das ehemalige Verbandsmitglied kann nicht mehr auf die organisatorische oder juristische Unterstützung und insbesondere nicht auf einen arbeitskampfrechtlichen Beistand der Arbeitgebervereinigung zurückgreifen. Es muss den Tarifkonflikt um den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages allein führen. Aus Sicht der Gewerkschaften ist der Anerkennungstarifvertrag somit prädestiniert, die ausgetretenen Unternehmen wieder in die verbandstarifliche Eingliederung zu zwingen. Einige Unternehmer haben die Nachteiligkeit einer vorschnellen Verbandsflucht erkannt und sind in die Arbeitgebervereinigungen zurückgekehrt. 67 Gegenüber denjenigen Firmen, die trotz der Übernahmeforderung eine Rückkehr in die Koalitionseinbindung ablehnen, sorgt der Anerkennungstarifvertrag zumindest für einen inhaltlichen Gleichlauf der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. 68 Empirische Analysen haben ergeben, dass die weit überwiegende Anzahl der nach einem Verbandsaustritt abgeschlossenen FirmentarifVerträge keine inhaltlichen Unterschiede im Vergleich zu den FlächentarifVerträgen aufweist. 69
Regen in die Traufe" geraten. Nach Hensche, Erosion oder Erneuerung?, S. 20, 34 müssen „die Unternehmer, die den Verbänden den Rücken gekehrt haben, die Nutzlosigkeit ihrer Verbandsflucht am eigenen Leib verspüren." 65 Ein charakteristisches Beispiel für die gewerkschaftliche Vorgehensweise gegenüber austrittswilligen Unternehmen liefert der Jenoptik-Tarifkonflikt, der mit dem Abschluss des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 sein zwischenzeitliches Ende fand - siehe dazu Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 59; Pfarr, ZTR 1997, 1, 1; Schleef, AuA 1996, 296, 298; ders., in SchleetfOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 13 ff. 66 Zu den Einzelheiten der dynamischen Verweisung siehe unten § 6. 67 Zur so genannten „Flucht zurück in den Verband" - vgl. Henssler, ZfA 1994, 487, 508; Löwisch/Rieble, Festschrift für Schaub, S. 457, 457; Stein, RdA 2000, 129, 132; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; siehe auch Becker, AuA 2000, 18, 20; Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 48. 68 Siehe dazu oben § 2 A I. 69 Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11; vgl. auch Stein, RdA 2000, 129, 132. Zu einzelnen empirischen Analysen siehe unten § 3.
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2. Auf- und Abspaltung sowie Ausgliederung Bedingt durch die Einsicht, dass Austritte aus den Arbeitgeberverbänden nicht zu einer kurzfristigen Abkopplung vom Niveau der Flächentarife führen, spielen vermehrt unternehmerische Umstrukturierungen eine wichtige Rolle bei den tarifstrategischen Überlegungen der Arbeitgeber. 70 Neben den Spaltungen zur Aufnahme erlangen in diesem Kontext insbesondere Spaltungen zur Neugründung Bedeutung. Mit dem Umwandlungsgesetz hat der Gesetzgeber den Unternehmern die rechtlichen Rahmenbedingungen vorgezeichnet. Gemäß § 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG kann ein Rechtsträger sein Vermögen aufspalten, indem er dieses auf mindestens zwei neu zu gründende Rechtspersonen überträgt und seine Beteiligung am Rechtsverkehr aufgibt. Ferner gestattet das Umwandlungsgesetz Abspaltungen im Sinne des § 123 Abs. 2 Nr. 2 UmwG. In Form der Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG besteht für ein Unternehmen zudem die Möglichkeit, Tochterunternehmungen zu gründen. Zwar tritt der neugeschaffene Unternehmensträger im Wege der partiellen Universalsukzession in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein. 71 Allerdings findet angesichts der höchstpersönlichen Struktur der Verbandsmitgliedschaft im Sinne des § 38 BGB 7 2 keine Rechtsnachfolge des über70 So Däubler, ZTR 1994, 448, 452; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 311; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 240; ähnlich Böhm, NZA 1994, 497, 498. Allgemein zu den Umstrukturierungsmaßnahmen als Mittel der Tarifflucht - siehe Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 33; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1088; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 332; Buchner, Festschrift für Schaub, S. 75, 75; Däubler, NZA 1996, 225, 232; Feger, AiB 1995, 490, 504; Henssler, NZA 1994, 294, 294; ders., ZfA 1994, 487, 508; Hensche, ArbuR 1996, 331, 332 f.; Hromadka,, DB 1996, 1872, 1872; Kania, DB 1995, 625, 625; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 490 f.; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 80; Schaub, BB 1995, 2003, 2006; ders., NZA 1998, 617, 620; Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 77; Wank, NJW 1996, 2273, 2279; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 260. 71 Gaul, NZA 1995, 717, 718; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 314; Kallmeyer, in Kallmeyer, §123 UmwG Rn. 2; Kempen/Zachert, §3 TVG Rn. 48; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 50; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 241 und 242; vgl. auch Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 17; Kreßel, BB 1995, 925, 925 und 928; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 82; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 175 und 162; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 88 f.; Schaub, BB 1995, 2003, 2006; ders., ZTR 1997, 245, 245; siehe zudem BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG. 72 BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 13 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 184; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1577; ders., RdA 1995, 136, 142 und 140; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 790; Gaul, NZA 1995, 717, 719; Hensche, ArbuR 1996, 331, 332; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 314; Hro-
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nehmenden Rechtsträgers in den verbandsrechtlichen Rechte- und Pflichtenstatus des übertragenden Rechtsträgers statt.73 Weil das neue Unternehmen kraft seiner negativen Koalitionsfreiheit nicht dazu angehalten ist, einer Arbeitgebervereinigung beizutreten, 74 und nur die Mitgliedschaft in der Arbeitgeberkoalition eine Bindung an die Verbandstarifvorgaben zu vermitteln vermag, scheidet eine Anwendung des FlächentarifVertrages nach § 3 Abs. 1 TVG aus.75 Eine Weitergeltung des fur das übertragende Unternehmen gültigen Verbandstarifwerkes im neugegründeten Unternehmen entsprechend den Vorgaben des § 3 Abs. 3 TVG ist abzulehnen. Der selbstbestimmte Austritt eines Unternehmens aus dem Arbeitgeberverband kann wertungsmäßig nicht mit einer
madka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 236; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 255 Rn. 49; Menget, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 173 und 181; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 175 und 165; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 88; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20; Schaub, ZTR 1997, 245, 246; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255. 73 Zur Rechtslage bei der Rechtsnachfolge in einen Firmentarifvertrag - vgl. BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; Däubler, RdA 1995, 136, 142 und 140; Gaul, NZA 1995, 717, 722 f.; Henssler, Festschrift fur Schaub, S. 311, 326 ff.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 237; Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 18; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 51; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 50; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 182 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 155 f.; Schaub, ZTR 1997, 245, 246 und 247; Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 78; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 261 f.; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 285 ff.; siehe andererseits Kreßel, BB 1995, 925, 930. 74 BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 314; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 236; Joost, ZIP 1995, 976, 979; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 177 und 166; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20; Schaub, BB 1995, 2003, 2006; ders., ZTR 1997, 245, 246; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255; vgl. auch Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 333; Schaub, NZA 1998, 617, 620; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG. 75 BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu §3 TVG Verbandszugehörigkeit; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 184; Däubler, RdA 1995, 136, 142 und 140; ders., TarifVertragsrecht, Rn. 1577; Gaul, NZA 1995, 717, 719; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 314; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 236; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 19 und 175; Schaub, ZTR 1997, 245, 246; vgl. zudem Hensche, ArbuR 1996, 331, 332; Joost, ZIP 1995, 976, 979; Kania, DB 1995, 625, 625 und 629; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 82; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 49 f.; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 194; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255; Willemsen, in Kallmeyer, § 324 UmwG Rn. 13; siehe ebenfalls BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG.
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umstrukturierungsbedingten Gesamtrechtsnachfolge gleichgesetzt werden. 76 Das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer wird hinreichend durch den gemäß § 324 UmwG unberührt bleibenden § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gewahrt. 77 Ebenso scheidet zumindest im Hinblick auf tarifliche Inhaltsnormen 78 eine Nachwirkung des VerbandstarifVertrages aus, weil einem Rückgriff auf § 4 Abs. 5 TVG der speziellere Charakter des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB entgegensteht.79 76
BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 34; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1088; Boeckes Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 185; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 333; Däubler, NZA 1996, 225, 232; Gaul, NZA 1995, 717, 719; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 315; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 236; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 49, 177 und 166; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20 f.; vgl. auch Däubler, ZTR 1994, 448, 454; Feger, AiB 1995, 490, 504; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 725; Kania, DB 1995, 625, 629 f.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 80 und 82; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 50; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 178 f.; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 491; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 90 f.; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255 (Fn. 90); Wlotzke, DB 1995, 40, 41; siehe dazu ebenfalls BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. Anderer Auffassung Hensche, ArbuR 1996, 331, 332 f.; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 50; vgl. zudem Birk, ArbuR 1975, 312, 315. 77 BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 34; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 186 und 188 ff; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 333; Däubler, RdA 1995, 136, 141; ders., NZA 1996, 225, 232; Feger, AiB 1995, 490, 504; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 790; Gaul, NZA 1995, 717, 720 f.; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 312 und 317 f.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 82; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 52 ff., 178 f. und 181; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 177 und 180; Schaub, BB 1995, 2003, 2006; ders., ZTR 1997, 245, 246; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 196; Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 78 f.; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255; siehe zudem Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1088 f.; Däubler, ZTR 1994, 448, 454; Hromadka, DB 1996, 1872, 1875; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 236; Kania, DB 1995, 625, 625; Kreßel, BB 1995, 925, 928 und 930; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 50; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 491; Schaub, NZA 1998, 617, 620; Wank, NJW 1996, 2273, 2279; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 101; Willemsen, in Kallmeyer, § 324 UmwG Rn. 13; Wlotzke, DB 1995, 40, 41 und 43; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 260 f.; vgl. ebenfalls BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; BAG vom 25.05.2000, AP Nr. 209 zu § 613a BGB. 78 Vgl. Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 177 und 171. 79 Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 186; Gaul, NZA 1995, 717, 719 f.; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 316; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 261; Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 20; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 178 f.; vgl. zudem Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 177 und 171; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 196; Wellenhofer-
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Wenn der neugeschaffene Unternehmensträger keiner Arbeitgeberkoalition beitritt, werden die verbandstarifVertraglichen Normen gemäß §613a Abs. 1 Satz 2 BGB in die einzelnen Arbeitsverhältnisse transformiert. Die Herabstufung der normativen Tarifwirkung auf die arbeitsvertragliche Ebene fuhrt zu einer statischen Weitergeltung der Arbeitsbedingungen mit der Folge, dass die Arbeitnehmer der neugegründeten Unternehmen an Veränderungen der ursprünglich geltenden FlächentarifVerträge nicht mehr teilhaben.80 Nach Ablauf der einjährigen Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kann der individualarbeitsvertraglich abgesicherte Tarifstatus mittels arbeitsvertraglicher Änderungsabrede oder Änderungskündigung - soweit betriebsverfassungsrechtlich zulässig - durch Betriebsvereinbarung oder kraft Abschlusses neuer Tarifverträge modifiziert werden. 81 Weil damit ein Abbau des ehemaligen Verbandstarifstandards spätestens binnen Jahresfrist möglich ist, erscheint die Spaltung zur Neugründung als erfolgversprechende Vorgehensweise, um unliebsame Tarifabschlüsse der Verbände abzustreifen. Diesem Rückzug aus dem Flächentarifvertrag treten Gewerkschaften entgegen, indem sie den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages mit dem neugeschaffenen Rechtsträger anstreben. 82 Ohne der einjährigen Änderungssperre Klein, ZfA 1999, 239, 255 (Fn. 90); Wlotzke, DB 1995, 40, 41; so wohl auch Schaub, ZTR 1997, 245, 246; anders Joost, ZIP 1995, 976, 980; Wiedemann/Stumpf, § 3 TVG Rn. 15 und 80. 80 Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 34 f.; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 189; Gaul, NZA 1995, 717, 721; Henssler, Festschrift fur Schaub, S. 311, 318; Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 78; vgl. allgemein dazu Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1546; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 781 f.; Kempen Zachert, § 3 TVG Rn. 59; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 195. 81 Bauer, Festschrift fur Schaub, S. 19, 35 f.; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1089; Éremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 334 f.; Däubler, ZTR 1994, 448, 455; ders., NZA 1996, 225, 233; Feger, AiB 1995, 490, 504; Gaul, NZA 1995, 717, 722; vgl. auch Henssler, Festschrift fur Schaub, S. 311, 318ff.; Hromadka, DB 1996, 1872, 1876; Kania, DB 1995, 625, 625 f. und 630 f.; Schaub, NZA 1998,617, 620. 82 BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; LAG Hamm vom 29.07.1998, NZA-RR 1999, 196, 196; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 121 und 123; Unterhinninghofen, AiB 2000, 205, 206; ders., Anm. zu BAG vom 24.01.2002, AiB 2002, 64, 64; vgl. zudem Schaub, BB 1996, 2298, 2300. Andere Stellungnahmen verweisen schlicht auf die Möglichkeit einer gewerkschaftlichen Durchsetzung von „Firmentarifverträgen" - siehe Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 335; Gaul, NZA 1995, 717, 722; Henssler, Festschrift fur Schaub, S. 311, 332 f.; Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 80; vgl. allgemein Däubler, ZTR 1994, 448, 455; Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; Schaub, NZA 1998, 617, 620. Siehe auch den Tatbestand in BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, wonach die IG-Medien Versuche unternommen hat, mit den ausgegliederten Unternehmen FirmentarifVerträge abzuschließen. Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 336 verweist darauf, dass Unternehmen, die Unternehmensum-
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
zu unterliegen, kann die Arbeitnehmervereinigung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB unmittelbar nach Wirksamwerden der Spaltung von dem neuen Rechtsträger eine firmentarifVertragliche Übernahme der Verbandstarifinhalte einfordern und damit die individualarbeitsvertraglich weitergeltenden Regelungsinhalte wieder mit unmittelbarer und zwingender Tarifvvirkung versehen. Auf diese Weise beugt sie einem Missbrauch der Spaltungsbefugnis wirkungsvoll vor. Voraussetzung für die Wirksamkeit eines angestrebten Anerkennungstarifvertrages ist jedoch die satzungsmäßige Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft fur den fachlichen Geltungsbereich des neugegründeten Unternehmens. 83
3. Verschmelzung Ein Anwendungsfeld fur den Anerkennungstarifvertrag eröffnet sich zudem bei der Verschmelzung von Unternehmen. Charakteristisch für eine Verschmelzung ist die Auflösung des übertragenden Rechtsträgers. Nach § 2 Nr. 1 UmwG kann die Vermögensmasse einer Rechtsperson auf einen bereits bestehenden Rechtsträger übertragen werden. Mehrere Rechtsträger können nach § 2 Nr. 2 UmwG infolge einer Unternehmensneugründung verschmelzen. Die Gesamtrechtsnachfolge begründet entsprechend den Ausführungen zur Unternehmensspaltung keine Überleitung der Tarifgebundenheit an einen ehemals für
strukturierungen als Mittel zur Tarifflucht missbrauchen, keine „Abrüstung" auf Gewerkschaftsseite zu erwarten haben. 83 Zum Herauswachsen umstrukturierter Unternehmen aus dem Tarifzuständigkeitsbereich der Gewerkschaft - vgl. Hensche, ArbuR 1996, 331, 333; Henssler, ZfA 1994, 487, 508; ders., Festschrift für Schaub, S. 311, 332 f.; Kania, DB 1995, 625, 625; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 121 ff; Schaub, BB 1996, 2298, 2299; ders., AuA 1998, 44, 44; Wank, NJW 1996, 2273, 2279; Willemsen, in Kallmeyer, § 324 UmwG Rn. 16; siehe dazu auch BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. Siehe hierzu ebenfalls BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; LAG Hamm vom 29.07.1998, NZA-RR 1999, 196, 196 f. Ändert sich der Tarifzuständigkeitsbereich nicht und erzwingt die am ehemals geltenden FlächentarifVertrag beteiligte Gewerkschaft vom neuen Unternehmensträger den Abschluss eines Firmentarifvertrages werden die in die Arbeitsverhältnisse transformierten Verbandstarifbedingungen durch die neuenfirmentarifVertraglichen Regelungsvorgaben abgelöst. Auf die Streitfrage des Erfordernisses einer „beidseitigen Tarifbindung" kommt es bei dieser Sachlage nicht an. Siehe zu dieser Kontroverse stellvertretend Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 194; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1557; Kania, DB 1995, 625, 626; Kempen/Zachert, §3 TVG Rn. 60; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 199; Wank, NJW 1996, 2273, 2279; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 273 f. einerseits und Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 39; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 319 f.; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 257 ff; Zöllner, DB 1995, 1401, 1403 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 265 f. andererseits.
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das aufgelöste Unternehmen geltenden Flächentarifvertrag. 84 Die tarifrechtliche Lücke lässt sich weder durch eine Übertragung des Rechtsgedankens des § 3 Abs. 3 TVG 8 5 noch durch die Anerkennung einer nachwirkenden Tarifgeltung schließen.86 Ein vorübergehender Arbeitnehmerschutz wird lediglich über § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gewährleistet. 87 Fehlt dem neuen Unternehmensträger die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband und sieht er auch zukünftig keine Veranlassung für eine Koalitionseinbindung, führt der Untergang des ursprünglichen Rechtsträgers zu einer Abkopplung von der verbandstariflichen Entwicklung. Um die Arbeitsbedingungen mit normativer Wirkung auszugestalten, sind die Gewerkschaften daher auf das Regelungsinstrumentarium des Firmentarifvertrages angewiesen, welcher inhaltlich auf die Verbandstarifvorgaben Bezug nehmen kann. 88
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BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu §1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu §20 UmwG; Däubler, RdA 1995, 136, 140; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §255 Rn. 49; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 173 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 19 und 165; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; siehe auch Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rn. 184; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1577; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 790; Gaul, NZA 1995, 717, 719; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 314 f.; Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 17; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 50; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 82; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20; Schaub, BB 1995, 2003, 2006; ders., ZTR 1997, 245, 246; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255. 85 BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 17; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 178 f.; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 166; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; siehe auch Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 50; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 20; anders Hensche, ArbuR 1996, 331,333. 86 Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht * S. 178 f.; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 171 ff.; vgl. auch Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 316; Joost, in Lutter, § 324 UmwG Rn. 20; anders noch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 04.12.1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG. 87 BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; BAG vom 05.10.1993, AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Däubler, RdA 1995, 136, 139 f.; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 178 f.; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 171 ff.; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 790; Gaul, NZA 1995, 717, 720 f.; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 315 f.; Kempen/Zachert, §3 TVG Rn. 50; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 82; Wellenhofer-Klein, ZfA 1999, 239, 255. 88 Vgl. Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; siehe zudem Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 121 und 123. Siehe allgemein zu den gewerkschaftlichen Forderungen nach Abschluss von „Firmentarifverträgen" - Unterhinninghofen, AiB 2000, 77, 80. Zur nachträglichen Ablösung einer ehemals verbandstariflichen Regelung durch einen Firmentarifvertrag - vgl. beispielsweise BAG vom 16.05.1995, AP Nr. 15 zu §4 TVG Ordnungsprinzip.
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Teil 1 : Einführung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages 4. Rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang
Neben den beschriebenen Formen einer Gesamtrechtsnachfolge können Betriebe oder einzelne Betriebsteile kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf einen neuen Inhaber übertragen werden. Zwar tritt der Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB kraft Gesetzes in die arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten des Veräußerers ein. Eine Nachfolge in die Verbandstarifbindung des Veräußerers findet indes nicht statt.89 Vielmehr werden die Tarifhormen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB integraler Bestandteil des Individualarbeitsvertrages, wobei lediglich eine statische Weitergeltung der transformierten Arbeitsbedingungen in Betracht kommt. Um dem Wegfall der Verbandstarifbindung zu begegnen, besteht fur die Gewerkschaft die Möglichkeit, gegenüber dem nicht koalitionswilligen Erwerber eine firmentarifVertragliche Anerkennung des Flächentarifstandards durchzusetzen. 90
5. Mitgliedschaft ohne Tarifbindung Zur Verbesserung der Koalitionsattraktivität und um der Verbandsflucht der Unternehmen entgegenzuwirken, gehen Arbeitgebervereinigungen vermehrt dazu über, interessierten Firmen Mitgliedschaften ohne Tarifbindung anzubieten. 91 Mit dieser Initiative räumen sie Unternehmern die Option ein, einen Beteiligungsstatus zu wählen, der ausschließlich eine Partizipation an den bera89 BAG vom 26.09.1979, AP Nr. 17 zu § 613a BGB; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1533; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 779 f.; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 54 f. und 58; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 49; dies., in Münchener-Hdb, § 267 Rn. 13 und 30; Mösenfechtel/Schmitz, RdA 1976, 108, 110; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 178 f.; Zöllner, DB 1995, 1401, 1401; vgl. auch Schaub, BB 1996, 2298, 2299; ders., AuA 1998, 44, 44; ders., NZA 1998, 617, 620. 90 Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 265; vgl. auch Schaub, in ErfKom, § 2 TVG Rn. 31. 91 Berg, ArbuR 2001, 393, 393; Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 11 ff.; Blanke, AiB 2000, 260, 260; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 338; Buchner, NZA 1994, 2, 2; ders., NZA 1995, 761, 761 ff; Däubler, ZTR 1994, 448, 452 f.; ders., NZA 1996, 225, 230; Danz, Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 2 f.; Feger, AiB 1995, 490, 501 f.; Franzke, OT-Mitgliedschaften, S. 6 ff; Gaumann/Schafft, NZA 2001, 1125, 1125; Glaubitz, Festschrift fur Stege, S. 39, 40; Hensche, ArbuR 1996, 331, 334; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 90; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 248 Rn. 55; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 17; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 1 f.; Otto, NZA 1996, 624, 624; Peter, Festschrift fur Däubler, S. 479, 482; Röckl, DB 1993, 2382, 2382; Schaub, BB 1994, 2005, 2006; ders., BB 1995, 2003,2004; ders., BB 1996, 2298, 2299; ders., NZA 1998, 617, 621; Schlochauer, Festschrift fur Schaub, S. 699, 699 ff; Thüsing, ZTR 1996, 481, 481; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 166.
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen
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tenden und juristischen Verbandsdienstleistungen ermöglicht, ohne gleichzeitig eine Bindung an die FlächentarifVerträge herbeizuführen. In der Praxis existieren unterschiedliche Gestaltungsvarianten. Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen das Aufteilungsmodell, bei dem durch Neugründung oder Teilung zwei organisatorisch selbstständige Verbände entstehen, wovon jedoch nur eine Organisationseinheit tarifliche Aufgaben wahrnimmt. 92 Nicht verbandstarifwillige Unternehmen bleiben dieser Tarifgemeinschaft fern und entscheiden sich ausschließlich für die Mitgliedschaft im tarifunwilligen Serviceverband. Demgegenüber zählt die Zulässigkeit des Stufenmodells, das differenzierte Mitgliedschaftsformen innerhalb eines einzigen Verbandes gestattet, zu den umstrittenen Fragen der aktuellen Tarifrechtsdiskussion. 93 Neben den Mitgliedschaften mit Tarifbindung werden durch satzungsmäßige Beschränkungen der tariflichen Regelungsmacht Mitgliedschaften ohne Tarifbindung zur Verfügung gestellt. In der Rechtslehre hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, die basierend auf der Satzungsautonomie der Verbände eine beschränkende Definition der tariflichen Gestaltungskompetenz als rechtskonform erachtet, wenn die tarifunwilligen Mitglieder von jeder tarif- und arbeitskampfbezogenen Beschlussfassung des Verbandes ausgeschlossen bleiben. 94 92
Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 17ff.; Buchner, NZA 1994, 2, 9 ff; ders., NZA 1995, 761, 765; ders., Festschrift zu 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 331, 333; Feger, AiB 1995, 490, 503; Franzke, OT-Mitgliedschaften, S. 155; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 90; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 20; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 76 ff; Otto, NZA 1996, 624, 624 ff; Röckl, DB 1993, 2382, 2382; Schaub, NZA 1998, 617, 621; Schlochauer, Festschrift für Schaub, S. 699, 702; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 167 ff; siehe aber auch Däubler, ZTR 1994, 448, 454; ders., NZA 1996, 225, 232. 93 Ablehnend Däubler, ZTR 1994, 448, 453; ders., NZA 1996, 225, 230 f.; Danz, Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 50 ff; Feger, AiB 1995, 490, 502 f.; Franzke, OT-Mitgliedschaften, S. 197 ff; Glaubitz, Festschrift für Stege, S. 39, 43 ff; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 90; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 155 (Fn. 1); vgl. zudem Kittner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 142; ders., ArbuR 1998, 469, 473; kritisch auch Berg, ArbuR 2001, 393, 393 f.; Röckl, DB 1993, 2382, 2383 f.; Schaub, BB 1994, 2005, 2007; ders., BB 1995, 2003, 2004 f.; ders., BB 1996, 2298, 2299; ders., AuA 1998, 44, 45; Zachert, Anm. zu BAG vom 24.02.1999, RdA 2000, 107, 108. 94 Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 33; Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, S. 84 ff; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 340 f.; Buchner, NZA 1994, 2, 4 ff; ders., NZA 1995, 761, 764 ff; ders., Festschrift zu 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 331, 334 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 528 f.; Junker, Anm. zu BAG vom 23.10.1996, SAE 1997, 172, 175 ff; Konzen, Festschrift für Kraft, S. 291, 317 ff; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 64; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 47 und 86; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 9 und 102; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 114 ff; Otto, NZA 1996, 624, 627 ff; Reuter, RdA 1996, 201,
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Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Weil die Mitglieder ohne Tarifbindung einem ausgehandelten Verbandstarifkompromiss nicht unterworfen sind, verbleibt der Gewerkschaft lediglich das Gestaltungsmittel des Firmentarifvertrages, um das angestrebte Vereinheitlichungsinteresse zu verwirklichen. Erzwingt sie notfalls im Wege des Arbeitskampfes 95 eine anerkennungstarifvertragliche Bezugnahme auf das Flächentarifhiveau, werden die tarifiinwilligen Mitglieder den verbandstarifgebundenen Arbeitgebern inhaltlich gleichgestellt.96 Es ist das erklärte Ziel der Gewerkschaften, die Attraktivität der Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung durch die parallele Vereinbarung von Anerkennungstarifverträgen zu negieren, um
202 ff.; Schaub, NZA 1998, 617, 621 f.; Schlochauer, Festschrift für Schaub, S. 699, 705 ff.; Thüsing, ZTR 1996, 481, 482 ff; Wieland., Recht der Firmentarifverträge, Rn. 192 ff; siehe auch LAG Rheinland-Pfalz vom 17.02.1995, LAGE zu Art. 9 GG Nr. 10. Offengelassen von BAG vom 23.10.1996, AP Nr. 15 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 24.02.1999, AP Nr. 17 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit. 95 Zur kontrovers diskutierten Frage, inwieweit eine Unterstützung des Mitglieds ohne Tarifbindung durch den Arbeitgeberverband imfirmentarifvertragsbezogenen Arbeitskampf statthaft ist - siehe stellvertretend Berg, ArbuR 2001, 393, 397; Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 117 ff.; Buchner, NZA 1994, 2, 8; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 165 ff.; Reuter, RdA 1996, 201, 202 und 207; Röckl, DB 1993, 2382, 2384. 96 Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 119; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 20; Schaub, BB 1995, 2003, 2005; ders., BB 1996, 2298, 2300; ders., AuA 1998, 44, 45; ders., NZA 1998, 617, 618; siehe zudem Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; Schaub, in ErfKom, § 2 TVG Rn. 14. Buchner, NZA 1995, 761, 766 spricht von einer „Rückwirkung" der verbandstarifvertraglichen Normen auf die Firmentarifvertragsinhalte, die für die Mitglieder ohne Tarifbindung gelten. Nach Otto, NZA 1996, 624, 630 besitzt der Verbandstarifvertrag "Schrittmacherfunktion" für die mit den Mitgliedern ohne Tarifbindung auszuhandelnden Firmentarifverträge. Konzen, Festschrift für Kraft, S. 291, 318; Schlochauer, Festschrift für Schaub, S. 699, 713 weisen darauf hin, dass „der Verbandstarif Signalwirkung für die mit den OT-Mitgliedern abzuschließenden Haustarife hat." Andere Stellungnahmen verweisen allgemein auf das gewerkschaftliche Interesse an der Durchsetzung von „Firmentarifverträgen" - vgl. Berg, ArbuR 2001, 393, 397; Blanke, AiB 2000, 260, 268; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 339 f.; Buchner, NZA 1994, 2, 7 f. und 11; Däubler, NZA 1996, 225, 231; Feger, AiB 1995, 490, 503; Franzke, OTMitgliedschaften, S. 141; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 529; Gaumann/Schafft, NZA 2001, 1125, 1130 f.; Junker, Anm. zu BAG vom 23.10.1996, SAE 1997, 172, 173 und 179 f.; Kirchner, AuA 1995, 73, 74; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 255 Rn. 64; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 165 ff; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 180; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 84 und 124 ff; Reuter, RdA 1996, 201, 202 und 207 f.; Röckl, DB 1993, 2382, 2384; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 206 Rn. 25; siehe auch Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 184.
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen
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auf diese Weise zu verhindern, dass Koalitionen zu „funktionslosen Hüllen" zweckentfremdet werden. 97
6. Verbandswechsel Die Gefahr einer „Flucht" aus einem ungünstigen Flächentarifvertrag entsteht ebenfalls bei einem Wechsel des Arbeitgebers in einen anderen Arbeitgeberverband, welcher mit derselben oder einer anderen Gewerkschaft einen unternehmerfreundlicheren Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat. 98 Aufgrund der Hinwendung zu einer neuen Arbeitgeberkoalition entfällt der mitgliedschaftsrechtliche Legitimationszusammenhang im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG mit der Konsequenz, dass der bisherige FlächentarifVertrag lediglich im Geltungsstadium des § 3 Abs. 3 TVG aufrechterhalten bleibt. 99 Der nach § 3 Abs. 3 TVG 97 Obwohl Gastmitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden gewöhnlich nicht deswegen gewählt werden, um dem Flächentarifsystem zu entfliehen, erlangt der AnerkennungstarifVertrag auch in diesem Kontext praktische Relevanz. Gastmitgliedschaften unterscheiden sich von Mitgliedschaften ohne Tarifbindung in organisationsrechtlicher Hinsicht, weil der satzungsmäßige Rechte- und Pflichtenstatus nicht auf eine mitgliedschaftliche Partizipation am Verbandsleben gerichtet ist und bereits deswegen eine Bindung an die VerbandstarifVerträge ausscheidet - vgl. BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 20.02.1986, AP Nr. 8 zu § 11 ArbGG 1979; Buchner, NZA 1994, 2, 2; ders., NZA 1995, 761, 768; Feger, AiB 1995, 490, 502; Franzke, OT-Mitgliedschaften, S. 12 ff.; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 91; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 17; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu §3 TVG Verbandszugehörigkeit; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 101; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 64; Otto, NZA 1996, 624, 627 f.; Thüsing, ZTR 1996, 481, 482; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 190. Sie dienen lediglich der Information von Außenseitern über Serviceleistungen des Verbandes oder zur Pflege geschäftlicher Beziehungen zwischen den Mitglieds- und den Gastunternehmen. Das allgemeine Vereinheitlichungsinteresse der Gewerkschaften kann aber den Anlass bilden, dass das Informationsinteresse des Außenseiterarbeitgebers mit der Aufforderung zur Anerkennung der Flächentarifbedingungen beantwortet wird. 98 Bauer, Festschrift fur Schaub, S. 19, 33; Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114, 1114; Bieback, DB 1989, 477, 477; Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 16 f.; Däubler, NZA 1996, 225, 230; Feger, AiB 1995, 490, 499; Gerhards, BB 1995, 1290, 1290; ders., BB 1997, 362, 363 f.; Hanau, RdA 1998, 65, 69; Haußmann, Der Verbandswechsel des Arbeitgebers, S. 1 f.; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 36; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 80 f.; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 489; Schaub, BB 1996, 2298, 2300; ders., NZA 1998, 617, 620; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 112 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 171; vgl. auch Friedrich, Festschrift für Schaub, S. 193, 193 f.; Oetker, Anm. zu BAG vom 12.11.1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 99 BAG vom 26.10.1983, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114, 1114; Bieback, DB 1989, 477, 477 f.; Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 93 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1517; ders., NZA 1996, 225, 230; Feger, AiB 1995,
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Teil 1 : Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
weitergeltende Tarifvertrag konkurriert mit dem neuen, gemäß § 3 Abs. 1 TVG anwendbaren Verbandstarifvertrag. Ob diese Konkurrenzsituation nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zu Gunsten einer Vorrangstellung des neuen Verbandstarifvertrages aufgelöst werden kann, wird unterschiedlich beurteilt und ist insbesondere dann von Interesse, wenn an beiden Tarifwerken unterschiedliche Gewerkschaften beteiligt sind. 100 Ungeachtet dieser Kontroverse erlaubt der Wechsel der Verbandszugehörigkeit auf lange Sicht eine Abkehr von einem als ungünstig bewerteten Verbandstarifstandard. Allerdings steht es der am abgelösten Flächentarifvertrag beteiligten Gewerkschaft im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit frei, von dem übergetretenen Arbeitgeber den Abschluss eines Firmentarifvertrages zu verlangen, 101 welcher die neue Verbandstarifvereinbarung nach den Regeln der Tarifkonkurrenz zu verdrängen vermag. 102 Inhaltlich kann
490, 499; Friedrich, Festschrift fur Schaub, S. 193, 194; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 726; Gerhards, BB 1995, 1290, 1290; ders., BB 1997, 362, 363; Haußmann, Der Verbandswechsel des Arbeitgebers, S. 40 ff. und 101; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 324; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 36; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 80; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 489; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 113; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 171. Zum Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 TVG vgl. Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114, 1114 und 1115; Gerhards, BB 1997, 362, 363; siehe dazu auch Bieback, DB 1989, 477, 478; Feger, AiB 1995, 490, 500; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 171. 100 Für eine denkbare Vorrangstellung nach den Regeln der Tarifkonkurrenz - vgl. BAG vom 26.10.1983, AP Nr. 3 zu § 3 TVG; Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114, 1115; Feger, AiB 1995, 490, 500 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 727; Gaul, NZA 1998, 9, 12; Haußmann, Der Verbandswechsel des Arbeitgebers, S. 114; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 325; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 301; dies., in Münchener-Hdb, § 276 Rn. 35; Schaub, BB 1996, 2298, 2300; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 113; kritisch Bieback, DB 1989, 477, 480 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1516 f.; ders., NZA 1996, 225, 230; Gerhards, BB 1995, 1290, 1292; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 36; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 80; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 490; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 171; vow Stebut, Anm. zu BAG vom 15.10.1986, SAE 1987, 203, 205; vgl. auch Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 174 ff. 101 Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, S. 203 ff.; vgl. zudem Jacobs, ZTR 2001, 249, 257. Schaub, BB 1996, 2298, 2300 weist allgemein auf die Möglichkeit des Abschlusses von Anerkennungstarifverträgen hin. 102 Grundsätzlich verdrängt der FirmentarifVertrag den Verbandstarifvertrag nach den Regeln der Tarifspezialität - vgl. hierzu BAG vom 20.03.1991, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 20.04.1999, AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Buchner, Festschrift für Schaub, S. 75, 84 f.; ders., DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 6; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1490; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 306; dies., Festschrift für Schaub, S. 457, 460; dies., in Münchener-Hdb, § 276 Rn. 32; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.01.2001, EWiR 2001, 641, 642; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 290; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 422; siehe aber auch Jacobs, Anm. zu BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Waas, ZTR 2000, 341, 342 f. Sind am Abschluss des Anerkennungsta-
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der FirmentarifVertrag auf das Flächentarifabkommen Bezug nehmen, welches vor dem Verbandswechsel galt.
7. Verbandsauflösung Eine einschneidende Form der Verbandstarifïlucht stellt die Auflösung der Arbeitgeberkoalition dar. 103 Entgegen der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung, die eine Geltung des Flächentarifabkommens bis zur Liquidation des Verbandes favorisiert, 104 vertritt das Bundesarbeitsgericht den Standpunkt, dass mit der Auflösung einer Koalition die Tarifgebundenheit ihrer Mitglieder nach § 3 Abs. 1 TVG entfällt. 105 Da die Selbstauflösung einer Unternehmervereinigung nicht mit dem Verbandsaustritt eines einzelnen Arbeitgebers vergleichbar ist, findet § 3 Abs. 3 TVG keine Anwendung. 106 Ein dispositiver tariflicher rifVertrages und des nach dem Verbandswechsel geltenden VerbandstarifVertrages unterschiedliche Gewerkschaften beteiligt, muss die Konkurrenzsituation nach den Grundsätzen der Tarifpluralität aufgelöst werden. 103 Praktische Beispiele beschreibt Schaffeld, AfP 1996, 249, 249 und 252. Siehe allgemein zur Koalitionsauflösung als Mittel der Verbandsflucht - Bergerhoff Tarifflucht durch Auflösung des Arbeitgeberverbandes?, S. 25 und 219 f.; Buchner, RdA 1997, 259, 261; Däubler, NZA 1996, 225, 233; Molitor, Festschrift fur Schaub, S. 487, 491; Peter, Festschrift ftir Däubler, S. 479, 491; Schaub, BB 1995, 2003, 2004; ders., BB 1996, 2298, 2299; vgl. zudem von Stebut, Anm. zu BAG vom 15.10.1986, SAE 1987, 203, 203. 104 Buchner, RdA 1997, 259, 263 f.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 35 ff. und § 3 TVG Rn. 54; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 126; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; siehe zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 78; ders., NZA 1996, 225, 233; Röckl, BB 1993, 1653, 1655 f.; von Stebut, Anm. zu BAG vom 15.10.1986, SAE 1987, 203, 203 f. 105 BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 27.06.2000, AP Nr. 56 zu § 2 TVG; vgl. auch BAG vom 11.11.1970, AP Nr. 28 zu § 2 TVG; siehe zudem RAG vom 13.02.1932, ARS 14, 595, 597 ff.; RAG vom 02.03.1932, ARS 14, 475, 476 f. Siehe aber auch BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 27.06.2000, AP Nr. 56 zu § 2 TVG, wonach unentschieden bleibt, ob der Wegfall der Tarifbindung „unmittelbar mit der Auflösung der TarifVertragspartei eintritt, also stets von einer fristlosen Lösung auszugehen ist, oder ob diese Wirkung erst nach Ende der normativen Wirkung des Tarifvertrages durch Befristung, Mindestbefristung oder Ablauf einer Kündigungsfrist eintritt." Dem Bundesarbeitsgericht im Grundsatz zustimmend - siehe Friedrich, Festschrift für Schaub, S. 193, 194; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 50; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 33; Schaffeld, AfP 1996, 249, 252 f.; Schaub, BB 1995, 2003, 2004; ders., BB 1996, 2298, 2299; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 182. 106 BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; Friedrich, Festschrift ftir Schaub, S. 193, 194; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I,
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Bestandsschutz wird lediglich gemäß § 4 Abs. 5 TVG gewährleistet. 107 Treten die ehemaligen Mitglieder des aufgelösten Arbeitgeberverbandes keiner anderen Koalition bei, kann die Gewerkschaft auf firmentarifVertraglicher Ebene Verhandlungen über den Abschluss paralleler Anerkennungstarifverträge anstreben. 108 Als Bezugsobjekt kommt ein regional anderwärtig geltender Verbandstarifvertrag mit gleicher branchenspezifischer Ausrichtung, aber auch das Flächentarifabkommen in Betracht, dem sich die früheren Mitgliedsunternehmen durch die Verbandsauflösung gerade entziehen wollten. 109
III. Organisatorische Interessenlagen Die Abkehr der Arbeitgeber von der verbandstarifbezogenen Tarifpolitik stellt die Gewerkschaften vor neue organisatorische Aufgaben. 110 Um effizient auf die verstärkte Hinwendung zum Firmentarifvertrag reagieren zu können, müssen die Arbeitnehmervereinigungen ihre eigene tarifstrategische LeistungsS. 789; Haußmann, Der Verbandswechsel des Arbeitgebers, S. 46; Schaffeld, AfP 1996, 249, 252 f.; Schaub, BB 1995, 2003, 2004. Abweichend Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 78; ders., NZA 1996, 225, 233; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 39; Otto, NZA 1996, 624, 626; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 492; siehe auch Buchner, RdA 1997, 259, 265; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG. 107 BAG vom 15.10.1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 27.06.2000, AP Nr. 56 zu § 2 TVG; Friedrich, Festschrift für Schaub, S. 193, 194 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 789; Schaub, BB 1995, 2003, 2004; ders., BB 1996, 2298, 2299; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 182; anders Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 107; Schaffeld, AfP 1996, 249, 254 f. Für das Schrifttum, das eine Liquidation des Arbeitgeberverbandes fur notwendig erachtet, stellt sich die Frage der Nachwirkung unter einem anderen Blickwinkel - vgl. Buchner, RdA 1997, 259, 265 einerseits und Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 39; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 126 andererseits. 108 Auf die Möglichkeit von Firmentarifabschlüssen verweisen Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 492; Schaffeld, AfP 1996, 249, 254; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 186. 109 Zur Verweisung auf einen außer Kraft getretenen VerbandstarifVertrag siehe unten § 11 B. 110 Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 65; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331 ; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 506; Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; ders., ArbRGew 34 (1997), 35, 47; ders., in Erosion oder Erneuerung?, S. 20, 33; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 108; Schaub, NZA 1998, 617, 618; Stein, RdA 2000, 129, 130; vgl. auch Benecke, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, SAE 1998, 60, 65; Buchner, NZA 1995, 761, 763 und 769; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; siehe zudem Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 127. Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11 spricht von einem „Häuserkampf 4 der Gewerkschaften.
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fähigkeit quantitativ und qualitativ verbessern. Zur Bündelung des Kräftepotentials bedarf es im Rahmen dezentraler Firmentarifverhandlungen eines vermehrten personellen Aufwands. Gleichzeitig wird ein Ausbau des Vertrauensleute- und Kontrollwesens erforderlich. 111 Wegen der Steigerung der Verwaltungskosten und der notwendigen Fortentwicklung des tarifrechtlichen Knowhows der gewerkschaftlichen Verhandlungsfuhrer sind praktische Umsetzungsschwierigkeiten vorprogrammiert. Diese organisatorischen Problemlagen lassen den Anerkennungstarifvertrag besonders attraktiv erscheinen. Nutzt der gewerkschaftliche Verhandlungsführer die inhaltlichen Regelungsvorgaben eines Flächentarifwerkes als Grundlage ftir die Führung firmentarifvertraglicher Einigungsgespräche, ist er von der Erarbeitung eines unternehmensspezifischen Tarifkonzepts entlastet. In praxi bedeutet die Durchsetzung einer Verweisungsvereinbarung fur die Gewerkschaftsseite einen erheblich geringeren Verhandlungsaufwand.
IV. Weiterentwicklung des Tarifsystems In dem Vertrauen, dass das einvernehmliche Zusammenwirken von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine hohe Gewähr ftir einen sachgerechten und unbürokratischen Ausgleich widerstreitender Sozialinteressen bietet, hat der Gesetzgeber den Sozialverbänden die Befugnis zur tarifautonomen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen übertragen. Der in der deutschen Tarifordnung vorherrschende Verbandsbezug ermöglicht eine räumlich weitreichende Geltungsausdehnung tariflicher Normeninhalte. FlächentarifVerträge sind geeignet, modernen Flexibilisierungsmaßnahmen in einer gesamten Tarifregion zum Durchbruch zu verhelfen. Sie prägen tarifliche Entwicklungen wesentlich nachhaltiger als die in ihrem Geltungsbereich begrenzten FirmentarifVereinbarungen. Insofern erfüllen primär die tariffähigen Koalitionen die sozialstaatliche Aufgabe einer fortwährenden Weiterentwicklung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen. Weil die FirmentarifVerträge angesichts ihrer unternehmensbezogenen Ausrichtung kaum das Potential besitzen, soziale Reformbestrebungen mit übergreifender und allgemeinwohlbezogener Bedeutung zu verwirklichen, droht im Zuge einer anhaltenden Ausbreitung firmenspezifischer Tarifabschlüsse eine fortschreitende Zersplitterung der Tariflandschaft. 112 Unter diesen Vorzeichen wird es den Gewerkschaften zunehmend weniger gelingen, innovative Tarif-
111 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 506; Ρornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 108; vgl. zudem Schaub, NZA 1998, 617, 618. 112 So Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 65; vgl. zudem Melot de Beauregard , Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 178 f.
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konzepte für einen großen Kreis der Arbeitnehmerschaft durchzusetzen. 113 Gerade aus dieser Gefährdungslage resultiert das besondere Interesse der Arbeitnehmervereinigungen am Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages. Denn setzt die Gewerkschaft in nicht verbandstarifgebundenen Außenseiterunternehmen inhaltliche Bezugnahmeabreden durch, partizipieren die beschäftigten Arbeitnehmer dank inhaltsgleicher Tarifbedingungen mittelbar an den Konzeptionen der Sozialverbände. Damit unterstützt der Anerkennungstarifvertrag indirekt die stetige Weiterentwicklung der Verbandstarifordnung und trägt der Erhaltung des Flächentarifsystems bei.
B. Interesse der Arbeitgeber Auch vom Standpunkt des einzelnen Arbeitgebers betrachtet kann die anerkennungstarifVertragliche Übernahme der Flächentarifinhalte von Vorteil sein.
I. Gewährleistung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen Hintergrund für das Bestreben unkoalierter Arbeitgeber, die im Unternehmen einschlägigen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an das Verbandstarifniveau anzulehnen, ist das Ziel, in der ökonomischen Auseinandersetzung mit den verbandsangehörigen Arbeitgebern einheitliche Wettbewerbsbedingungen im Hinblick auf die Beschäftigungskosten herzustellen. 114 Durch den Abschluss von Anerkennungstarifverträgen beschränken die Außenseiterarbeitgeber die Konkurrenz mit verbandstarifgebundenen Unternehmen auf den Bereich der 1,3 Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 493; Schaub, NZA 1998, 617, 618; vgl. auch Bispinck,, ArbRGew 34 (1997), 49, 65; Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; ders., ArbRGew 34 (1997), 35, 46 f.; Melot de Beauregard , Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 178; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 107 f.; siehe zudem Benecke, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, SAE 1998, 60, 65; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 499 f.; Stein,, RdA 2000, 129, 130; Wiedemann, , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 49. 114 Zum Interesse der Arbeitgeber an der „KartellWirkung" des Tarifvertrages - vgl. Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 498 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517, 518; Konzen,, NZA 1995, 913, 916; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 6; Schleef, AuA 1996, 296, 296; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 35; siehe zudem Blanke, AiB 2000, 260, 267; Buchner, DB 1970, 2025, 2028; ders., NZA 1995, 761, 762; Eich, NZA 1995, 149, 150; Heinze, DB 1996, 729, 735; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 178 f.; Söllner, ArbRGew 35 (1998), 21, 25; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 370. Vgl. auch die empirischen Umfrageergebnisse bei Oppolzer/Zachert, in Oppolzer/Zachert, Krise und Zukunft des FlächentarifVertrages, S. 215, 221.
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Produktions- und Absatzkosten. Sie erreichen eine vergleichbare tarifliche Planungssicherheit wie organisierte Arbeitgeber und können sich damit auf ihr marktwirtschaftliches Betätigungsfeld konzentrieren. Weil Verbandstarifabschlüsse regelmäßig das Ergebnis eines Kompromisses manifestieren, an dem gleich mächtige Sozialpartner beteiligt sind, bieten sie die Gewähr, dass die widerstreitenden Sozialinteressen gegeneinander abgewogen und allen Beteiligten gerecht werdende Lösungen gefunden werden. Aus diesem Grund bekunden einzelne Arbeitgeber zumindest dann ein Interesse an einem inhaltlichen Gleichlauf der Tarifbedingungen, wenn die als Bezugsobjekte in Betracht kommenden FlächentarifVerträge eine flexible Arbeitsordnung zum Inhalt haben.
II. Organisatorische Interessenlagen Anlass für eine inhaltliche Bezugnahme auf das Verbandstarifhiveau geben zudem organisatorische Gründe. Einzelne Unternehmer sind in den Verhandlungen mit der Gewerkschaft vielfach überfordert, spezifische, den FlächentarifVerträgen vergleichbare komplexe Firmentarifwerke auszuarbeiten. 115 Mangels Mitgliedschaftsberechtigung können sie keine juristische Unterstützung der Arbeitgeberverbände in Anspruch nehmen. Um die begrenzte tarifpolitische und tariftaktische Sachkompetenz zu kompensieren, bietet es sich deshalb für den Außenseiter an, in den Einigungsgesprächen auf die Regelungsvorgaben eines als sachgerecht bewerteten Verbandstarifabkommens zurückzugreifen. Im Regelfall gelingt es dem Arbeitgeber auf diese Weise, einem inhaltlichen Tarifdiktat der Gewerkschaft vorzubeugen.
III. Arbeitskampfbedingte Interessenlagen Bedeutung erlangt der Anerkennungstarifvertrag insbesondere für mittelständische Arbeitgeber in firmentarifbezogenen Sozialkonflikten. Kleine Unternehmen werden mitgliederstarken Arbeitnehmervereinigungen im Arbeitskampf keine gewichtige Gegenwehr bieten können. 116 Es drohen kostenintensi-
115
Braun, BB 1986, 1428, 1428; Schaub, AuA 1998, 44, 45; ders., NZA 1998, 617, 618; vgl. zudem Buchner, NZA 1995, 761, 763; Gaul, ZTR 1991, 188, 189. Auch Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 492 verweist auf den „erworbenen Sachverstand und Erfahrungsschatz" der Gewerkschaften, die den einzelnen Arbeitgeber in die „Defensive" bringen. 116 Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 331; Feger, AiB 1995, 490, 498; Gaul, ZTR 1991, 188, 189; Lieb, NZA 1994, 337, 339; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491 f.; Schaub, NZA 1998, 617, 618; Stein, RdA
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Teil 1: Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
ve Firmentarifvertragsabschlüsse. Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage erscheint es für die betroffenen Arbeitgeber sinnvoll, der Gewerkschaft die Anerkennung des Verbandstarifstandards anzutragen. Üblicherweise sind Arbeitnehmervereinigungen bereit, diesem Angebot zu entsprechen, um damit faktisch die Verbreitung des Flächentarifvertrages zu unterstützen. Mindestens ebenso wichtig ist die Gestaltungsoption des Anerkennungstarifvertrages für einzelne Arbeitgeber in den arbeitskampfrechtlichen Auseinandersetzungen, die bedingt durch ihre „Flucht" aus den Arbeitgeberkoalitionen geführt werden. Auf die Bestrebungen der Arbeitgeber, sich der Verbandstarifbindung zu entziehen, reagieren die Gewerkschaften mit dem Verlangen nach Abschluss eines Firmentarifvertrages. Nicht selten sehen sich die Arbeitgeber in diesem Konflikt mit inhaltlichen Forderungen konfrontiert, die über dem Verbandstarifniveau liegen, sodass sie der Ausstieg aus den FlächentarifVerträgen „teuer zu stehen" kommt. 117 Um der Konfrontation mit kostenintensiven Firmentarifbedingungen zu entgehen, verbleibt dem Arbeitgeber häufig nur die Möglichkeit, sich zu einer Anerkennung des Verbandstarifstandards bereit zu erklären.
2000, 129, 132. Zum kontrovers diskutierten Erfordernis der „sozialen Mächtigkeit" des einzelnen Arbeitgebers - vgl. stellvertretend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 276 ff.; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Müller, DB 1992, 269, 273; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 206 ff.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 338 f.; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 104 ff; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; siehe zudem BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG. Zu einzelnen Fragen der arbeitskampfrechtlichen Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages siehe unten § 13 und § 14. 117 Böhm, NZA 1994, 497, 498; Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 48; Schaub, BB 1995, 2003, 2004; ders., BB 1996, 2298, 2300; ders., Arbeitsrechts-Hdb, § 206 Rn. 25; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; vgl. auch Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 83; Feger, AiB 1995, 490, 498; Me lot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 178 f.; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491; Schaub, in ErfKom, § 2 TVG Rn. 14; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 113; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 33 f.; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21; siehe zudem Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 23; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Löwisch/Rieble, Festschrift für Schaub, S. 457, 457. Allgemein zu den arbeitskampfrechtlichen Fragen nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers - siehe Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351 und § 3 TVG Rn. 35; Schleusener, BB 1999, 684, 684 ff; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 341 ff; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21; vgl. auch Däubler, ZTR 1994, 448, 452; ders., NZA 1996, 225, 229.
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen
75
IV. Sonstige Interessenlagen Unternehmen bekunden ein Interesse an der inhaltlichen Übernahme eines VerbandstarifVertrages, wenn sie Tochtergesellschaften in anderen Tarifregionen gründen. Um einen einheitlichen Tarifstandard für sämtliche konzernangehörige Firmen zu verankern, kann die herrschende Gesellschaft in Vertretung ihrer abhängigen Unternehmen mehrgliedrige Firmentarifverträge abschließen, welche auf die Regelungsvorgaben eines Flächentarifvertrages Bezug nehmen können. 118 Eine ähnliche Interessenlage ergibt sich im Falle einer Verlegung des Unternehmenssitzes in ein anderes Tarifgebiet, in dem keine oder ungünstigere Verbandstarifbedingungen gelten. Hat sich der in der alten Tarifregion gültige FlächentarifVertrag ftir das Unternehmen bewährt, kann es mit der Gewerkschaft im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit die firmentarifVertragliche Anerkennung der bisherigen Verbandstarifbedingungen vereinbaren. 119 Einen wichtigen Aspekt fur den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages stellt darüber hinaus seine Überbrückungsfunktion dar. Stehen zwischen den FirmentarifVertragsparteien langwierige Verhandlungen um einen unternehmensspezifischen HaustarifVertrag an, ermöglicht eine vorübergehende Übernahme der Verbandstarifregelung eine normative Strukturierung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen und dient damit der Überbrückung eines tarifvertragslosen Interims. 120
C. Interesse der Arbeitnehmer Für firmentarifgebundene Arbeitnehmer sowie fur diejenigen Beschäftigten, die kraft individualarbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel in den Genuss der Tarifregelungen gelangen, begründet die inhaltliche Anbindung an die Verbandstarifbedingungen wesentliche Vorteile. Anerkennungstarifverträge fordern ein einheitliches Tarifhiveau in einer Tarifregion und begrenzen damit einen arbeitnehmerseitigen Unterbietungswettbewerb im Lohnkostenbereich. 121 Aus Sicht der Arbeitnehmer spricht für einen Anerkennungstarifvertrag vor allem die durch die inhaltliche Verweisung ermöglichte Partizipation an progressiven Entwicklungen der Flächentarifabkommen, welche eher Antworten 118
Vgl. Gaul, ZTR 1991, 188, 189. Siehe Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121 (Fn. 28). 120 So stellte beispielsweise der Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 lediglich eine normative Zwischenvereinbarung auf dem Weg zu einem unternehmensspezifischen Haustarifvertrag dar - vgl. dazu Schleef, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 37 ff.; siehe auch Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 101. 121 Zum Interesse der Arbeitnehmer an der regionalen Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen siehe bereits oben § 2 A I. 1,9
76
Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
auf arbeitsmarktpolitische Strukturfragen geben. Zudem erlauben Anerkennungstarifverträge eine Teilhabe der Arbeitnehmer an finanzkräftigen gemeinsamen Einrichtungen der Sozialverbände. Eine wichtige psychologische Funktion erfüllt der Anerkennungstarifvertrag darüber hinaus nach einer „Flucht" des Arbeitgebers aus einer ursprünglich bestehenden Verbandstarifbindung. Gelingt der Gewerkschaft der Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages, vermittelt dies den Beschäftigten das Gefühl, nicht zum „Spielball" einer firmentarifVertraglichen Unterwanderungspolitik des Arbeitgebers geworden zu sein und fordert gleichzeitig den betrieblichen Frieden.
D. Interesse der Arbeitgeberverbände Nicht zu vernachlässigen sind die positiven Auswirkungen von Anerkennungstarifverträgen auf die Arbeitgeberkoalitionen. Die Ursache für die Krise des Flächentarifsystems liegt vorrangig in der Schwäche der Unternehmensverbände. 122 Ihr tariflicher Einflussbereich wird durch eine Vielzahl von Verbandsaustritten zunehmend beschnitten. Realisieren die koalitionsunwilligen Außenseiterarbeitgeber zudem kosteneffizientere Arbeitsbedingungen durch unternehmensspezifische HaustarifVerträge, wächst der Druck auf die Arbeitgeberkoalitionen, wenn sie nicht in der Lage sind, ebenso flexible Tarifabschlüsse zu Gunsten der verbliebenen Mitglieder auszuhandeln.123 Die offene Konkurrenz zwischen Firmen- und FlächentarifVertrag birgt die Gefahr einer weiteren Zurückdrängung der Verbandstarifordnung. Erzwingt die Gewerkschaft indes von einzelnen Außenseiterarbeitgebern die inhaltliche Anerkennung der Flächentarifbestimmungen, entfällt die Attraktivität einer firmentarifVertraglichen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Wenn auf firmen- und verbandstarifVertraglicher Ebene identische Tarifvorschriften gelten, können die Vorzüge der Koalitionsmitgliedschaft - insbesondere die juristischen und organisatorischen Serviceangebote sowie die arbeitskampfrechtlichen Unterstützungsleistungen - unkoalierte Arbeitgeber zu einem Verbandsbeitritt veranlassen. Gewerkschaftliche Anerkennungs122
Däubler, NZA 1996, 225, 225; Pfarr, ZTR 1997, 1, 2 f.; Zachert, AuA 1996, 293, 294; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 248 Rn. 26; Peter, Festschrift für Däubler, S. 479, 493; Schaub, NZA 1998, 617, 618; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 65 f. 123 Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 342; vgl. zudem Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch HaustarifVertrag, S. 57; Stein, RdA 2000, 129, 130. Nach Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 107 f. wird „die Rolle der Arbeitgeberverbände durch den Ruf nach mehr Firmentarifverträgen ausgehöhlt."
§ 2 Tarifpolitische Interessenlagen
77
forderungen stärken daher faktisch die Stellung der Arbeitgebervereinigun-
E. Interesse der Allgemeinheit Weil die Lohn- und Einkommensgerechtigkeit sowie die Befriedung des Arbeitslebens regelmäßig nur durch weitflächig geltende VerbandstarifVereinbarungen gewährleistet werden können, widerstrebt eine „wilde Dezentralisierung" 125 der Tarifinhalte dem allgemeinen Anliegen, eine gerechte Lohn- und Beschäftigungspolitik sicherzustellen. 126 Im Interesse der Allgemeinheit dient der Anerkennungstarifvertrag der Bewahrung des gewachsenen Flächentarifsystems.127 Denn angesichts der verweisungstechnischen Anlehnung der Firmentarifinhalte an die verbandstarifVertraglichen Regelungsvorgaben verbleibt das Schwergewicht der inhaltlichen Tarifgestaltung weiterhin bei den Koalitionen und begünstigt damit eine fortlaufende Weiterentwicklung des sozialen Interessenausgleichs. Aus diesem Grund sind Anerkennungstarifverträge vom Blickwinkel des Gemeinwohls betrachtet positiv zu bewerten.
124
Arbeitgeberverbände plädieren entschieden für den Erhalt des gewachsenen Verbandstarifsystems - vgl. Kirchner, AuA 1995, 73, 74 ff.; Winkler, AuA 1999, 11, 11 ff.; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 15 ff.; Wirth, AuA 1997, 109, 109 ff.; siehe dazu auch Eich, NZA 1995, 149, 150; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 38; vgl. auch Buchner, NZA 1995, 761, 762; Stein, RdA 2000, 129, 130. Henssler, ZfA 1994, 487, 507 weist daraufhin, dass sich die „Interessen der Gewerkschaften mit denen der Arbeitgeberverbände decken", wenn Außenseiterunternehmen zum Abschluss von Firmentarifverträgen gezwungen werden. 125 So Zachert, ZTR 1998, 97, 98. 126 Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 492 f.; siehe zudem Benecke, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, SAE 1998, 60, 65; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 178. Allgemein hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 500; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 7 ff. und § 1 TVG Rn. 49. 127 Die überwiegenden Stellungnahmen im Schrifttum plädieren für eine Aufrechterhaltung des Flächentarifsystems - vgl. Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 64 ff.; Buchner, NZA 1995, 761, 763; Eich, NZA 1995, 149, 150; Heinze, DB 1996, 729, 735; ders., Festschrift für Kraft, S. 205, 217; Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; ders., ArbRGew 34 (1997), 35, 46 ff.; Junker, ZfA 1996, 383, 415 ff.; Kirchner, AuA 1995, 73, 74; Kittner, ArbuR 1995, 385, 392 f.; ders., ArbuR 1998, 469, 473; Lieb, NZA 1994, 289, 290; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 495; Pfarr, ZTR 1997, 1, 3; Rieble, RdA 1996, 151, 158; Schaub, NZA 1998, 617, 617 f.; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 103; Söllner, ArbRGew 35 (1998), 21, 25 und 27; Wank, NJW 1996, 2273, 2276; Wiedemann, RdA 1997, 297, 297 f.; Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 15 f.; Wirth, AuA 1997, 109; 112; Zachert, AuA 1996, 293, 294 f.; ders., ZTR 1998, 97, 99; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18 f.
78
Teil 1 : Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber tarifVertragliche Gestaltungsspielräume in neuerer Zeit verstärkt erweitert, um beschäftigungspolitische Reformkonzepte umzusetzen.128 Beispielsweise gibt er den Sozialpartnern mit tarifdispositiven Gesetzesvorschriften die Möglichkeit, effiziente Tariflösungen jenseits der staatlichen Regelungsvorgaben zu verwirklichen. Für eine eigenverantwortliche Ausgestaltung der Regelungsspielräume eignet sich primär der FlächentarifVertrag. Die verbandstariflichen Konzeptionen lassen sich sodann mit dem Anerkennungstarifvertrag auf die firmentarifvertragliche Ebene übertragen.
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages Aussagekräftige Analysen zur Bedeutung und Verbreitung von Anerkennungstarifverträgen fehlen bislang. Weder das Bundestarifregister in Bonn noch die Landestarifregister fuhren eigenständige Statistiken zu der Frage, ob die eingesandten Firmentarifverträge inhaltlich originäre Regelungsabsprachen treffen oder sich kraft Verweisung an die Regelungsvorgaben der in der jeweiligen Branche und Tarifregion geltenden Flächentarifabkommen anlehnen. Lediglich eine vom Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. (VSME) fortlaufend in Auftrag gegebene empirische Untersuchung widmet sich der zahlenmäßigen Auswertung von in der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie abgeschlossenen Anerkennungstarifverträgen. 129
A. Bedeutung des Firmentarifvertrages im Allgemeinen In der zurückliegenden Dekade stieg die Zahl der Firmentarifabschlüsse stetig an. Der Bedeutungszuwachs des unternehmensbezogenen Regelungsinstruments ist Ausdruck und Konsequenz der „Krise" des FlächentarifVertrages. 130
128 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 301 und 501; Wiedemann, RdA 1997, 297, 301. Hinzuweisen ist in diesem Kontext auf die „Vorreiter- und Schrittmacherfunktion" des Verbandstarifvertrages fur den staatlichen Gesetzgeber, denn gesetzliche Bestimmungen lassen sich häufig auf eine tarifliche Initiative zurückführen - vgl. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 5; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 31 f. 129 Näher dazu unten § 3 D. 130 Stein, RdA 2000, 129, 129; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 17ff.; Zachert, Festschrift fur Kehrmann, S. 335, 335; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 17 f.; vgl. auch Becker, AuA 2000, 18, 18; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 328; Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 46; ders., in Erosion oder Erneuerung?, S. 20, 32; Henssler, ZfA 1998, 517, 517 f.; Matthes, Festschrift fur Schaub, S. 477, 477; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 490 ff; Schaub, NZA 1998, 617, 617 f.; Wank, NJW 1996, 2273, 2276.
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
79
Insbesondere in jüngerer Zeit ist eine „beachtliche Zunahme" von Firmentarifverträgen zu verzeichnen. 131 So wurden im Jahr 2000 annähernd 10% mehr firmentarifVertragliche Vereinbarungen geschlossen als im Vergleichszeitraum des vorangegangenen Jahres. 132 Insgesamt beläuft sich die Zahl der an einen FirmentarifVertrag gebundenen Unternehmen auf 6451. 133 Ungeachtet der Aufwertung des Firmentarifvertrages kann von einer Verlagerung der Tarifautonomie auf die firmentarifVertragliche Ebene und einer Abkehr von dem in Deutschland gewachsenen Flächentarifsystem bisher keine Rede sein. 134 Der Anzahl von rund 21.600 gültigen Firmentarifabkommen steht eine Gesamtzahl von ungefähr 55.000 zum Jahresende 2000 geltenden Tarifwerken gegenüber. 135 Die Mehrzahl der Arbeitnehmer, dass heißt ca. 22 Millionen, ist in verbandstarifgebundenen Unternehmen beschäftigt, wohingegen die Zahl der bei firmentarifgebundenen Arbeitgebern tätigen Arbeitnehmer ca. 3 Millionen beträgt. 136
B. Aussagen im Schrifttum zur Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages Im Schrifttum finden sich vereinzelte Stellungnahmen zur Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages. Allerdings liegen den Angaben regelmäßig keine empirischen Erhebungen zu Grunde, sodass sich teilweise differierende Aussagen zu seiner Bedeutung ergeben. Braun, der sich als Erster ausführlich mit der Problematik einer firmentarifvertraglichen Überleitung von Verbandstarifhormen befasste, schätzt, dass rund ein Drittel aller Tarifabkommen eine Verweisungsbestimmung zum Inhalt hat. 137 Nach Gamillscheg wird die größte Zahl der FirmentarifVerträge von kleinen und mittleren Unternehmen geschlossen, die den einschlägigen VerbandstarifVertrag übernehmen. 138 Entsprechend weisen Kempen/Zachert darauf hin, dass in der firmentarifvertraglichen Praxis Anerkennungstarifverträge 131
Clasen , Β ABl 3/2001, 12, 12; vgl. auch Clasen , Β ABl 7-8/2002, 41, 41. Clasen , Β ABl 3/2001, 12, 12. Zum weiteren Anstieg im Jahr 2001 - vgl. Clasen, Β ABl 7-8/2002,41,41. 133 Clasen, Β ABl 3/2001, 12, 12. Im Jahr 2001 erhöhte sich die Zahl auf rund 6800 vgl. Clasen , Β ABl 7-8/2002, 41, 41. 134 Clasen, Β ABl 3/2001, 12, 12; so auch Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 50 f.; Stein, RdA 2000, 129, 132; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 14; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18. 135 Clasen, Β ABl 3/2001, 12, 12. 136 Clasen, Β ABl 3/2001, 12, 12. 137 Braun, BB 1986, 1428, 1428. 138 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505. 132
80
Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
üblich sind. 139 Unterhinninghofen betont die zunehmende Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages für gewerkschaftliche Strategien und sagt für die Zukunft ein weiteres Ansteigen derartiger Tarifvereinbarungen voraus. 140 Eine Vielzahl geltender Firmentarifverträge hat Wieland gesondert für einzelne Branchen ausgewertet. Speziell für die Wirtschaftsgruppe Eisen-, Stahlerzeugung und Metallverarbeitung gelangt er zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Unternehmungen Anerkennungstarifverträge abgeschlossen hat. 141 Wie Winkler berichtet, strebt die IG Metall in der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie regelmäßig Anerkennungstarifverträge an, was ihr in 180 Firmen bereits gelungen sei. 142 Im Tarifbezirk Küste hat die IG Metall nach Schulz/Teichmüller neben 49 eigenständigen HaustarifVerträgen 44 Anerkennungstarifverträge abgeschlossen.143 Andere Stellungnahmen heben hervor, dass Firmentarifverträge überwiegend eigenständige Regelungen beinhalten. Nach Zachert haben 82% der firmentarifgebundenen Unternehmen keine Verweisung auf den Verbandstarifvertrag vereinbart. Lediglich 5,5% der Firmen sind vollumfänglich an das Verbandstariftiiveau angebunden, während 12% der Arbeitgeber die einschlägigen Flächentarifverträge teilweise anwenden.144 Die inhaltliche Eigenständigkeit unterstreicht auch Clasen und führt aus, dass die FirmentarifVertragspartner mehrheitlich autonome Tarifabsprachen treffen, ohne einen VerbandstarifVertrag in Bezug zu nehmen.145 Genauso fällt die Einschätzung von Stein aus, der annimmt, dass vornehmlich unternehmensspezifische Regelungen die Struktur der Firmentarifinhalte prägen. 146 Allerdings relativiert er seine Aussage, indem er auf die in den aktuellen Gewerkschaftsstrategien bedeutsame Gleichstellungsfimktion des Anerkennungstarifvertrages hinweist.
139
Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380. Unterhinninghofen, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, AiB 1999, 596, 596; vgl. zudem Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001,372,372. 141 Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 307; siehe dazu auch Stein, RdA 2000, 129, 134 (Fn. 54). 142 Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11. 143 Schulz/Teichmüller, in Erosion oder Erneuerung?, S. 167, 178. 144 Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18. 145 Clasen , Β ABl 3/1999, 5, 6. 146 Stein, RdA 2000, 129, 134. 140
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
81
C. Eigene empirische Erhebung zur Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages Gegenstand einer eigenen Erhebung ist die Auswertung des von der Tarifregistratur des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur zur Verfügung gestellten Datenmaterials. Die nachfolgenden Zahlenangaben sind dem getrennt vom Archiv für FlächentarifVerträge geführten Archiv für firmenbezogene Tarifverträge entnommen.
I. Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages im Wirtschaftszweig der Metall- und Elektroindustrie Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf die für den Branchenzweig „Eisen- und Stahlerzeugung, Metall und Elektro" gelisteten Firmentarifabkommen, weil der Anerkennungstarifvertrag in dieser Wirtschaftsgruppe besondere Verbreitung findet.
1. Grundlage und Dokumentation der empirischen Erhebung Grundlage der Evaluation ist die inhaltliche Analyse von 40 registrierten Tarifwerken, die - bestätigt vom Thüringer Tarifregister - einen repräsentativen Querschnitt der Thüringer Firmentarifvertragslandschaft in der Metall- und Elektroindustrie dokumentieren. Allerdings kann die Erhebung kein vollständig wirklichkeitsgetreues Abbild der in diesem Wirtschaftszweig geltenden Firmentarifinhalte wiedergeben. Zu berücksichtigen sind die in der Praxis auftretenden Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Übersendungs- und Mitteilungspflichten gemäß § 7 Abs. 1 TVG, die gerade auf dem Gebiet der firmentarifvertraglichen Normsetzung vermehrt auftreten. Insbesondere im Hinblick auf die langfristig abgeschlossenen, dynamisch verweisenden Anerkennungstarifverträge bestehen zum Teil Zweifel, ob die Vertragswerke aktuelle Gültigkeit besitzen, da in einigen Fällen weder das Außerkrafttreten der Tarifabkommen noch eine zwischenzeitliche Insolvenz des vertragschließenden Unternehmens mitgeteilt worden ist. Ungeachtet dieser tatsächlichen Ausgangslage ermöglicht das dokumentierte Zahlenmaterial jedenfalls eine richtungsweisende Einstufung der tarifpraktischen Relevanz des Anerkennungstarifvertrages. Die nachfolgende Tabelle listet von den 40 analysierten Tarifwerken lediglich 35 Abkommen auf. Grund hierfür ist der Umstand, dass in das ausgewertete Register auch so genannte firmenbezogene VerbandstarifVerträge aufge-
82
Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
nommen werden, die nicht die Rechtsqualität einer FirmentarifVereinbarung besitzen.147 Entsprechend der in Spalte 1 anonymisiert bezeichneten Unternehmen wird in Spalte 2 die am jeweiligen Tarifvertragsabschluss beteiligte Gewerkschaft benannt. Spalte 3 enthält eine Qualifizierung der Art der firmentarifVertraglichen Regelung. Insofern wird zwischen eigenständigen HaustarifVerträgen also Verträgen mit inhaltlich originären Regelungsabsprachen - und Anerkennungstarifverträgen - also Verträgen mit inhaltlichen Verweisungen auf das Verbandstarifniveau - unterschieden.
Firma
Gewerkschaft
Art des Firmentarifvertrages
1
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
2
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
3
IG Metall und IG BCE
eigenständiger HaustarifVertrag
4
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
5
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
6
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
7
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
8
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
9
IG Metall
eigenständiger HaustarifVertrag
10
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
11
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
12
CGM
eigenständiger HaustarifVertrag
13
CGM
eigenständiger HaustarifVertrag
14
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
15
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
16
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
17
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
147 Zum Regelungsgehalt und zur Funktion eines firmenbezogenen VerbandstarifVertrages - siehe stellvertretend Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 3 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 504; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 25; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 140 ff.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 51; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 8; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 371; vgl. auch BAG vom 20.03.1991, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
83
18
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
19
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
20
IG BCE
Anerkennungstarifvertrag
21
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
22
CGM
eigenständiger HaustarifVertrag
23
IG Metall
eigenständiger Haustarifvertrag
24
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
25
IG BCE
eigenständiger HaustarifVertrag
26
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
27
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
28
IG Metall
eigenständiger Haustarifvertrag
29
IG BCE
eigenständiger Haustarifvertrag
30
IG Metall
Anerkennungstarifvertrag
31
CGM
eigenständiger Haustarifvertrag
32
CGM
eigenständiger Haustarifvertrag
33
CGM
eigenständiger Haustarifvertrag
34
CGM
eigenständiger Haustarifvertrag
35
IG Metall
eigenständiger HaustarifVertrag
Im Hinblick auf die Unternehmen mit einer inhaltlichen Anlehnung an das Verbandstarifhiveau werden in der folgenden Tabelle charakteristische Klauseltypen des Anerkennungstarifvertrages nachgewiesen.
Firma
Inhaltliche
Statusrecht-
Vorabunter-
Verhand-
Abweichen-
Verweisung
liche Ver-
werfungs-
lungsklausel
de Rege-
weisung
klausel
lungen
1
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
eigenständige Zusatzfirmentarifverträge
2
erweitert dynamisch
nein
nein
nein
eigenständige Zusatzfirmentarifverträge
84
Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
4
erweitert dynamisch
ja
nein
nein
nein
5
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
nein
6
erweitert dynamisch (Ausnahmen)
ja
nein
ja
ja
7
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
nein
8
erweitert dynamisch
ja
nein
nein
nein
10
erweitert dynamisch (Ausnahmen)
ja
nein
ja
ja
11
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
14
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
15
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
16
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
17
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
18
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
19
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
20
erweitert dynamisch
nein
nein
nein
nein
21
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
24
erweitert dynamisch (Ausnahmen)
ja
nein
ja
ja
26
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
ja
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
85
27
erweitert dynamisch
ja
nein
ja
nein
30
erweitert dynamisch
ja
ja
nein
nein
2. Auswertung der empirischen Erhebung Das Datenmaterial verdeutlicht die große Verbreitung von Anerkennungstarifverträgen in der Branche der Thüringer Metall- und Elektroindustrie. Von den 35 analysierten Firmentarifabkommen besitzen 21 die Qualität eines Anerkennungstarifvertrages. Dies entspricht einer Quote von 60% zu 40%. Berücksichtigt man außerdem, dass einzelne eigenständige Tarifvereinbarungen keine allgemeine firmentarifVertragliche Arbeitsordnung statuieren, sondern lediglich Sanierungsregelungen für wirtschaftlich in die Krise geratene Unternehmen zum Inhalt haben, verschiebt sich der Proporz weiter zu Gunsten der anerkennungstarifVertraglichen Normgebung. Besonders auffällig ist die Häufigkeit von AnerkennungstarifVertragsabschlüssen durch die IG Metall. In den 24 Fällen, in denen die IG Metall die Arbeitnehmerseite repräsentiert, sind 20 Anerkennungstarifverträge zu verzeichnen, sodass rund 83% der von ihr realisierten Tarifabkommen eine inhaltliche Anbindung an die Verbandstarifentwicklung enthalten. Demgegenüber werden von der CGM ausschließlich inhaltlich eigenständige FirmentarifVerträge abgeschlossen.148 Die Analyse der in der zweiten Tabelle aufgezeichneten Klauseltypen erlaubt eine differenzierende Aussage über die tarifrechtlich und tarifpolitisch verfolgten Gestaltungsanliegen. Sämtliche Anerkennungstarifverträge übernehmen die einschlägigen VerbandstarifVerträge in ihrer jeweils gültigen Fassung und ermöglichen damit eine langfristige inhaltliche Gleichstellung des Außenseiterunternehmens mit den koalierten Arbeitgebern. 149 Dabei wird gewöhnlich eine „erweiterte" dynamische Globalverweisung, das heißt eine Übernahme sämtlicher in der Branche geltenden Flächentarifwerke, vereinbart. 150 Nur ausnahmsweise werden einzelne Verbandstarifabkommen von der Bezugnahmeanordnung ausgenommen. Betroffen sind insofern vorrangig Verbandstarifabreden, die besondere finanzielle oder organisatorische Belastungen für die Unterneh-
148
Allerdings liegt den CGM-FirmentarifVerträgen regelmäßig ein einheitliches Vertragsmuster zu Grunde. 149 Zu den Rechtsfragen der inhaltlich statischen und inhaltlich dynamischen Verweisung siehe unten § 5 und § 6. 150 Zu den Rechtsfragen der „erweiterten" dynamischen Global Verweisung siehe unten §7 A l l 2.
86
Teil 1 : Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
men begründen - zum Beispiel Verbandstarifverträge über betriebliche Sonderzahlungen, vermögenswirksame Leistungen beziehungsweise Altersteilzeitarbeit. In 90% der Fälle verstärken die Sozialpartner die inhaltliche Anlehnung an das Flächentarifniveau durch eine fortlaufende statusrechtliche Anbindung an die Entwicklung der übernommenen VerbandstarifVerträge, indem sie festschreiben, dass die übergeleiteten Normen jeweils in dem Rechtsstatus gelten, der aktuell auf verbandstarifvertraglicher Ebene gilt. 1 5 1 Eine Vorabunterwerfung, mit der die Parteien des Anerkennungstarifvertrages antezipierend alle im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses noch unbekannten, erst in Zukunft in Kraft tretenden, neuartigen Verbandstarifabkommen selbstvollziehend für inhaltlich anwendbar erklären, wird nur in ca. 5% der Fälle niedergelegt. 152 Überwiegend begründen die Sozialpartner in diesem Kontext einen zukunftsbezogenen Verhandlungsanspruch, indem sie sich verpflichten, im Zeitpunkt des Wirksamwerdens neuartiger Flächentarifwerke Einigungsgespräche über deren Aufnahme in den Anerkennungstarifvertrag zu fuhren. 153 Keinerlei Absprachen über die Konsequenzen des Inkrafitretens neuartiger Verbandstarifabkommen finden sich in ca. 19% der ausgewerteten Anerkennungstarifverträge. Zwei Drittel der anerkennungstarifVertraglichen Vereinbarungen gestatten eine mehr oder weniger weitreichende Abweichung von den übergeleiteten verbandstarifVertraglichen Vorgaben. Zumeist werden die Tarife für Sonderzahlungen konkret auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des anerkennenden Unternehmens zugeschnitten. Vereinzelt räumen die originären Zusatzabreden die Möglichkeit einer vorübergehenden Unterschreitung des in der Branche einschlägigen Lohnniveaus ein, das über mehrere Jahre stufenweise an den Verbandstarifstandard herangeführt wird. Sowohl die Dauer als auch die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit bleiben gelegentlich eigenen Absprachen vorbehalten. Teilweise werden auch unternehmensspezifische Gestaltungsanliegen einer gesonderten Regelung zugeführt, für die es keine entsprechenden Direktiven in den Flächentarifverträgen gibt. Insgesamt bleibt aber festzuhalten, dass die zugelassenen Abweichungen jeweils nur partielle Regelungsgegenstände betreffen und die inhaltliche Verweisungsanordnung nicht entscheidend in Frage stellen. Auch wenn die empirische Erhebung die Dominanz der anerkennungstarifVertraglichen Normsetzung gegenüber einer inhaltlich originären TarifVertragsgestaltung belegt, steht dieses Fazit nicht in Widerspruch zur Aussage Ciasens,
151 152 153
Zu den Rechtsfragen der dynamischen Rechtsstatusklausel siehe unten § 12. Zu den Rechtsfragen der Vorabunterwerfungsklausel siehe unten § 10 Β I. Zu den Rechtsfragen der Verhandlungsklausel siehe unten § 10 Β II.
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
87
dass die Firmentarifpartner überwiegend eigenständige Regelungen über die Arbeitsbedingungen treffen. 154 Denn zum einen gibt die Analyse lediglich Aufschluss über die Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages in der Branche der Metall- und Elektroindustrie. Wie noch zu zeigen sein wird, 1 5 5 ist der Verbreitungsgrad des Anerkennungstarifvertrages in anderen Wirtschaftszweigen niedriger. Die Ursache für die hohe Anzahl von AnerkennungstarifVerträgen in der Metall- und Elektroindustrie liegt darin, dass es sich die für diese Branche tarifzuständige IG Metall zum Ziel gesetzt hat, der fehlenden Koalitionswilligkeit der Unternehmen durch anerkennungstarifvertragliche Gleichstellungsabreden entgegenzutreten. Aufgrund einer Vielzahl gerade in diesem Wirtschaftszweig zu verzeichnender Austritte aus den Arbeitgeberkoalitionen und der hierdurch bedingten tarifpolitischen Situation ist das Ansteigen der Anerkennungstarifvertragsabschlüsse nachvollziehbar. Zum anderen muss Berücksichtigung finden, dass sich die Erhebung auf eine Tarifregion in den neuen Bundesländern bezieht. In Anbetracht des hier vorherrschenden niedrigen Organisationsgrades auf Arbeitgeberseite und der ablehnenden Haltung zahlreicher Unternehmen gegenüber dem Flächentarifsystem ist der Anerkennungstarifvertrag das am meisten geeignete gewerkschaftliche Gestaltungsmittel, um eine Vereinheitlichung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen voranzutreiben. In den alten Bundesländern, wo das verbandstarifgeprägte Regelungssystem weitgehende Akzeptanz findet und ein erheblich höherer Organisationsgrad auf Arbeitgeberseite besteht, besitzt der Anerkennungstarifvertrag keine vergleichbare Vorrangstellung.
II. Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages in anderen Wirtschaftszweigen Anerkennungstarifverträge finden nicht nur im Wirtschaftszweig der Metallund Elektroindustrie Verbreitung. Eine Durchsicht weiterer Branchenarchive des Thüringer Tarifregisters bestätigte eine abgestufte tarifpraktische Bedeutung des spezifischen FirmentarifVertragstypus. Beispielsweise beträgt das Verhältnis zwischen den AnerkennungstarifVerträgen und den inhaltlich originär gestalteten HaustarifVerträgen in der Holz-, Kunststoff- und Spielwarenbranche 68% zu 32%. Im registrierten Tarifzweig Handel findet sich eine Gewichtung von 40% Anerkennungstarifabkommen
154 155
Clasen, , Β ABl 3/1999, 5, 6. Siehe unten § 3 C II.
88
Teil 1 : Einfhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
und 60% eigenständigen Tarifwerken. 156 Eine vergleichbare Proportion kann für den Wirtschaftszweig Nahrung und Genuss festgestellt werden, wobei hier oftmals nur eine inhaltliche Überleitung der Verbandsmanteltarifabkommen oder sogar nur einzelner Bewertungsgruppenmerkmale vereinbart ist. In der Energiewirtschaft und Wasserversorgung haben lediglich 20% der Unternehmen Anerkennungstarifverträge abgeschlossen. Nur vereinzelte anerkennungstarifvertragliche Vereinbarungen sind im Thüringer Tarifregister für den Branchenzweig des Baugewerbes archiviert. Bezogen auf den Bereich der Landund Forstwirtschaft fehlen jegliche Hinweise für den Gebrauch der Regelungstechnik. Die empirischen Befunde verdeutlichen einen gestuften Verbreitungsgrad von Anerkennungstarifverträgen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen. Zurückzuführen sind die Abstufungen auf heterogene tariftaktische Strategien der jeweils tarifzuständigen Gewerkschaft. Geprägt werden die auf FirmentarifVertragsebene bestehenden branchenspezifischen Regelungsziele der einzelnen Arbeitnehmerkoalitionen und die Taktik ihrer strukturellen Umsetzung durch die soziale Durchsetzungsfähigkeit der beteiligten Gewerkschaft, den Organisationsgrad sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite, die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen sowie die konkrete tarifpolitische Situation im jeweiligen Wirtschaftszweig.
D. Empirische Erhebung durch den Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. Um das Verhältnis zwischen Verbandstarif- und firmentarifbezogener Regelungstätigkeit zu ermitteln, führt der Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. fortlaufend eine empirische Auswertung des tarifpraktischen Gewichts der firmentarifVertraglichen Normgebung durch und beurteilt in diesem Kontext die Relevanz von Anerkennungstarifverträgen. 157 Bezogen auf das Jahr 2000 kommt die Analyse „Firmentarifverträge mit der IG Metall in der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie" zu nachstehend dargelegten Ergebnissen.
156 Auch die neugeschaffene Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di" verwendet auf firmentarifvertraglicher Ebene - soweit Tarifabschlüsse bisher registriert sind - das Gestaltungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages. 157 Informationen zur Analyse „Firmentarifverträge mit der IG Metall in der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie", auf die hier mit freundlicher Genehmigung des VSME zurückgegriffen werden kann, finden sich unter: www.metallarbeitgebersachsen.de.
§ 3 Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages
89
Zunächst wird die „Tarifbindung in der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie 2000" wie folgt beschrieben: 158
Anzahl der Unterneh-
Anteil
men
Bindung an den Flächentarifvertrag
157
27,4 %
Bindung an einen Firmentarifvertrag
49
7,3 %
Ohne Tarifvertrag
544
65,3 %
Summe
750
100%
Aufbauend auf den Betrachtungen zur Tarifbindung werden die gezählten 49 FirmentarifVerträge auf ihre Regelungsinhalte begutachtet. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei die Frage, ob die firmentarifgebundenen Arbeitgeber die vom Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. mit der IG Metall abgeschlossenen FlächentarifVerträge kraft anerkennungstarifVertraglicher Vereinbarung zur Anwendung bringen. Unter der Überschrift „Anerkennung zukünftiger Tarifverträge VSME / IG Metall durch Unternehmen mit einem Firmentarifvertrag" gelangt die Studie zu folgendem Resultat: 159
Anzahl der Firmen
Anteil
Ja
41
83,7 %
Nein
8
16,3%
Summe
49
100%
Anerkennung der zukünftigen Verbandstarifverträge
Der Ergebnisbericht des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. bestätigt die fur die Tarifregion Thüringen ermittelten Befunde. 158
Siehe die Analyse „FirmentarifVerträge mit der IG Metall in der Sächsischen Metall· und Elektroindustrie" Tabelle 4. 159 Siehe die Analyse „FirmentarifVerträge mit der IG Metall in der Sächsischen Metall· und Elektroindustrie" Tabelle 12.
90
Teil 1 : Einfuhrung in die Problematik des Anerkennungstarifvertrages
Auch in der Sächsischen Tarifregion stellen eigenständige HaustarifVerträge in der Branche Metall und Elektro eine Ausnahme dar.
E· Empirische Erhebung durch Schroeder/Ruppert Einem besonderen anerkennungstarifvertraglichen Problembereich widmet sich eine von Schroeder/Ruppert durchgeführte Analyse. 160 Im Zentrum steht die Frage nach den Reaktionsmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die vermehrt auftretenden Austritte der Arbeitgeber aus den Verbänden. Schroeder/Ruppert belegen die praktischen Schwierigkeiten der Gewerkschaften, die ausgetretenen Arbeitgeber notfalls im Wege des Streiks einer firmentarifVertraglichen Strukturierung der Arbeitsbedingungen zu unterwerfen. In den alten Bundesländern konnten lediglich mit 16% der ausgeschiedenen Unternehmen firmentarifvertragliche Übereinkommen geschlossen werden. In den neuen Bundesländern sind sogar 85% der ausgetretenen Firmen außerhalb einer Tarifvertragsbindung geblieben. Die Erhebung dokumentiert aber gleichzeitig den besonderen Stellenwert des Anerkennungstarifvertrages in der Tarifauseinandersetzung mit einem aus dem Arbeitgeberverband ausgeschiedenen Unternehmen. Gelingt der Gewerkschaft ungeachtet der organisatorischen Probleme die Durchsetzung eines Firmentarifvertrages, kann regelmäßig eine inhaltliche Anbindung an das Verbandstarifniveau realisiert werden. Der Proporz zwischen Anerkennungstarifvertrag und eigenständigem HaustarifVertrag liegt bezogen auf die von Ruppert/Schroeder ausgewerteten Fälle bei 81% zu 19% für die westdeutschen und von 100% zu 0% für die ostdeutschen Unternehmen.
160
Schroeder/Ruppert,
Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.
Teil 2
Überleitung der inhaltlichen Vorgaben eines Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag - Rechtskonformität und Rechtsfolgen der inhaltlichen Verweisungsanordnung § 4 Allgemeine Rechtsfragen der inhaltlichen Verweisung Die praktische Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages als tarifliches Gestaltungsinstrument hängt entscheidend von der Rechtsfrage ab, ob inhaltliche Verweisungen auf einen VerbandstarifVertrag statthaft sind. Der Anerkennungstarifvertrag beinhaltet kein ausformuliertes Regelwerk ftir die zu gestaltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, da die Sozialpartner auf eine unternehmensspezifische originäre Tarifgestaltung verzichten. Nur wenn die Verweisungstechnik Grundlage einer rechtskonformen Wahrnehmung der tariflichen Rechtsetzungsmacht ist, können sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf die Niederlegung einer Verweisungsklausel beschränken, ohne den Verbandstarifkompromiss wörtlich übertragen zu müssen. In der staatlichen Gesetzgebung1 und im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsetzung2 spielt die Regelungstechnik der Verweisung eine
1 BVerfG vom 30.05.1956, BVerfGE 5, 25, 26 ff.; BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 302; BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 311; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 209 ff.; BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 35 f.; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 64 f.; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 1; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 401; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 3 (Fn. 5); Sachs, NJW 1981, 1651, 1651 f.; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 378 ff.; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 509 f. 2 BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 265; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu § 77 BetrVG 1972; Braun., BB 1986, 1428, 1433 f.; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; von Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2026; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 124 ff.; Stahlhacke, DB 1960, 579, 579 ff.
92
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
wichtige Rolle. Auch in der Tarifpraxis ist sie seit langem üblich.3 Dennoch werden Bedenken gegenüber tariflichen Verweisungen geäußert. Vor einer Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtsmäßigkeitseinwänden bedarf es einer näheren Analyse des Verweisungstatbestandes und seiner Rechtsfolgen.
A. Terminologie Im Zusammenhang mit der Setzung materieller Rechtsnormen wird mit dem Begriff der „Verweisung" eine Normgebungstechnik beschrieben, die sich dadurch auszeichnet, dass der Normgeber eine in Bezug genommene Vorschrift zum Bestandteil der verweisenden Regelung macht.4 Eine selbst unvollständig ausgestaltete Bestimmung wird durch eine andere Norm oder Teile anderer Normen ergänzt, ohne dass deren Normtext wörtlich wiederholt wird. 5 Auf der Grundlage der Verweisungsanordnung erfolgt eine Überführung des Inhalts der in Bezug genommenen Vorschriften zwecks Ausgestaltung eines unvollständigen Rechtssatzes.6 Terminologisch finden sich in der Diskussion neben dem Begriff der „Verweisung" weitere Bezeichnungen, um die tarifVertragliche Übernahme eines
3
Frey, ArbuR 1958, 306, 306; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 76; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 474; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 18; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 71; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 1; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969. Vgl. auch die Zusammenstellung bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570 ff.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196. 4 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 53 f.; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; Strasser, Festschrift für Fioretta, S. 627, 627. Generell gesprochen bedeutet „Verweisen" das Nennen einer Bestimmung desselben oder eines anderen Normenkomplexes - vgl. Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 53; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; Meyer, Blankettverweisungen in Tarifverträgen, S. 29; Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, S. 168. 5 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 29; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 4. 6 Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 53 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 30 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 4.
§ 4 Allgemeine Rechtsfragen der inhaltlichen Verweisung
93
fremden Normengefüges zu charakterisieren. 7 Insbesondere der Terminus der „Bezugnahme" erlangt im tarifrechtlichen Schrifttum weite Verbreitung. 8 Einige Autoren erheben die „Bezugnahme" in den Status eines Oberbegriffs, welcher jede Form der Herstellung einer Verbindung zwischen verschiedenen Regelungskomplexen umschreibe.9 Jedoch ergeben sich aus der allgemeinen Wortbedeutung keine Anhaltspunkte fur eine Überordnung des Begriffs der „Bezugnahme" über den der „Verweisung". Herrschend ist die Auffassung, die an die unterschiedlichen Terminologien keine differierenden Rechtsfolgen knüpft. 10 Nicht durchsetzen konnte sich die differenzierende Begriffszuordnung, die von Hoyningen-Huene vorgeschlagen hatte.11 Von einer „Verweisung" solle nur dann gesprochen werden, wenn ein Tarifvertrag oder ein Gesetz die Geltung anderer tariflicher beziehungsweise gesetzlicher Vorschriften anordne. Hingegen beschränke sich die „Bezugnahme" auf die Fälle der Überleitung tarifVertraglicher Vorschriften auf die individualarbeitsvertragliche Ebene oder auf die Ebene einer Betriebsvereinbarung. Unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs lässt sich eine derartige terminologische Trennung nicht belegen. Die sinngleiche Begriffsverwendung ist allgemein anerkannt, sodass es für die Rechtsanwendung unzweckmäßig erscheint, neue Begriffsinterpretationen zu statuieren. 12 Das synonyme Verständnis beider Termini ist daher den weiteren Ausführungen zu Grunde gelegt.
7 Siehe die Übersichten bei Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 9; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 4. 8 Gumpert, BB 1961, 1276, 1276; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 53; von Hoyningen-Huene, DB 1994, 2026, 2026; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 4 f.; Rick, DB 1957, 45, 45; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; Stahlhacke, DB 1960, 579, 579; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 195. 9 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 53 mit weiteren Nachweisen. 10 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5; vgl. dazu BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 155; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 401; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 195. 11 Von Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138, 139 (Fn. 2). 12 So auch Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 71 (Fn. 24); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5.
94
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
B. Verweisungsanordnung und Verweisungsobjekt Für die Einordnung der Verweisungstechnik in den rechtlichen Kontext ist zunächst die Unterscheidung zwischen dem VerweisungstarifVertrag und dem in Bezug genommenen Tarifvertrag bedeutsam. Beide Vertragswerke sind streng voneinander zu trennen. 13 Maßgebender Rechtsetzungsakt ist die Verweisungsanordnung im Anerkennungstarifvertrag. Sie stellt die Verbindung zum bezogenen Verbandstarifvertrag her. 14 Dem Verweisungsobjekt kommt lediglich die Funktion der Normergänzung zu. 15 Ohne die Verweisungsbestimmung entfaltet das Bezugsobjekt keine Normwirkung gegenüber den Adressaten des auszugestaltenden Anerkennungstarifvertrages.
C. Deklaratorische oder konstitutive Verweisung Entsprechend ihrem Rechtscharakter beansprucht die Verweisungsanordnung entweder konstitutive oder deklaratorische Geltung. Setzt die Verweisung keine eigenständigen Rechtsfolgen, sondern nimmt nur auf ohnehin geltendes Recht Bezug, so ist die Bestimmung lediglich hinweisender und rechtsbelehrender Natur. 16 Derartige deklaratorische Verweisungen in Tarifverträgen haben keine eigenständige tarifliche Regelungsfunktion, denn das Bezugsobjekt gilt bereits
13
Herschel, ZfA 1985, 21, 24; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 401; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5 f. 14 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54; Herschel, ZfA 1985, 21, 24; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 25; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 6. 15 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; vgl. auch BVerwG vom 29.08.1961, NJW 1962, 506, 506. 16 BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; BAG vom 26.03.1981, AP Nr. 17 zu § 72a ArbGG 1972; BAG vom 27.08.1982, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 27.06.1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 16.06.1998, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; BAG vom 26.08.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bäcker; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: TEREG; BAG vom 12.04.2000, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz; LAG Baden-Württemberg vom 13.10.1997, LAGE §4 EFZG Tarifvertrag Nr. 3; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 7; Herschel, Anm. zu BAG vom 27.08.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 2; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19 ff.; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 32 f.; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 572; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 19; Stein, ArbuR 1998, 1,11; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 195.
§ 4 Allgemeine Rechtsfragen der inhaltlichen Verweisung
95
kraft anderweitiger Rechtsfolgenanordnung. 17 Der deklaratorische Akt ist an sich überflüssig und ändert nichts an dem Umstand, dass die in Bezug genommene Regelung ausschlaggebende Rechtsgrundlage bleibt. 18 Gegen eine informierende Klarstellung der bestehenden Rechtslage sind keine rechtserheblichen Einwände ersichtlich. 19 Den Tarifvertragsparteien steht es frei, zur Abrundung des gefundenen Tarifkompromisses auf Vorschriften hinzuweisen, die schon kraft Gesetzes20 Anwendung finden oder bereits durch ein anderes Tarifabkommen 21 verbindlich festgesetzt sind. Im Gegensatz dazu hat die konstitutive Verweisung zur Folge, dass ein Recht oder ein Rechtsverhältnis begründet, gestaltet oder aufgehoben wird. 22 Durch sie wird eine fur den Normadressaten bisher nicht einschlägige Regelungswirkung erzeugt, indem der Inhalt des Bezugsobjektes eine Ausdehnung auf den
17
BAG vom 27.08.1982, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 12.04.2000, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz; Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 136 f.; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, I 2; dersARBlattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 93; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 63; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 33; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 20 f. 18 BAG vom 27.06.1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 7; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 30. In diesem Kontext wird auch von einer „unechten" oder „neutralen" Verweisung gesprochen - vgl. Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 63; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 20 f.; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 572; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 20. 19 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, I 2; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 14 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 21 und 30; vgl. auch Clemens, AöR 111 (1986), 63, 75. 20 BAG vom 27.08.1982, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 05.10.1995, AP Nr. 48 zu § 622 BGB; BAG vom 16.06.1998, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; BAG vom 26.08.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bäcker; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: TEREG; BAG vom 12.04.2000, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz; BAG vom 30.08.2000, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; Oetker, ZG 1998, 155, 172. Vgl. auch die Beispiele bei Meyer, Blankettverweisungen in Kollektiv Verträgen, S. 31 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 28 f. 21 So kann beispielsweise in einem Manteltarifabkommen deklaratorisch darauf hingewiesen werden, dass sich die konkrete Höhe der Vergütung nach einem besonderen VergütungstarifVertrag richtet - vgl. dazu BAG vom 02.03.1988, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Form; siehe zudem Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 19; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28. 22 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 8.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Geltungsbereich des verweisenden Tarifvertrages erfahrt. 23 In Anbetracht ihrer rechtsgestaltenden Wirkung bedürfen konstitutive Verweisungsanordnungen einer Legitimationsgrundlage. Dem Grunde nach ist die konstitutive Verweisungstechnik als zulässiges Normsetzungsverfahren anerkannt, 24 wobei die prinzipielle Berechtigung zur Schaffung konstitutiver Tarifbestimmungen aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sowie aus der einfachgesetzlichen Konkretisierung in § 1 Abs. 1 TVG folgt. 25 Ob die im Anerkennungstarifvertrag fixierte Verweisungsklausel deklaratorischen oder konstitutiven Charakter trägt, richtet sich nach dem Normsetzungswillen der Sozialpartner. 26 Der Wille, eigenständig Rechtsnormen zu setzen, muss durch Auslegung ermittelt werden. 27 Übernehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages den auf Verbandsebene ausgehandelten Tarifkompro23 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, I 2; dersAR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 97; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 33; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 195 und 257. 24 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 48 ff.; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; Scholz, Festschrift fur Müller, S. 509, 521. 25 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 48; vgl. auch Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Stein, ArbuR 1998, 1, 10. 26 BAG vom 27.08.1982, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 05.10.1995, AP Nr. 48 zu § 622 BGB; BAG vom 16.06.1998, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; BAG vom 26.08.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bäcker; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: TEREG; BAG vom 12.04.2000, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 131 f.; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 577; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 24 ff.; Sandmann, RdA 2002, 73, 77; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 386. 27 BAG vom 27.08.1982, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 05.10.1995, AP Nr. 48 zu § 622 BGB; BAG vom 16.06.1998, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; BAG vom 26.08.1998, AP Nr. 3 zu §1 TVG Tarifverträge: Bäcker; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten; BAG vom 16.06.1999, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: TEREG; BAG vom 12.04.2000, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz; BAG vom 30.08.2000, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gaststätten ; LAG Baden-Württemberg vom 13.10.1997, LAGE § 4 EFZG Tarifvertrag Nr. 3; LAG Rheinland-Pfalz vom 24.03.1998, BB 1998, 1742, 1742; Bengelsdorf NZA 1991, 121, 125; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 127; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 131; Herschel, Anm. zu BAG vom 27.08.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 2; Kamanabrou, RdA 1997, 22, 23; Oetker, ZG 1998, 155, 172 f.; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 577 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 24; Rieble, RdA 1997, 134, 136; Sandmann, RdA 2002, 73, 74; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 29; Stein, ArbuR 1998, 1, 12 ff.
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miss, so erstrecken sie hierdurch die im VerbandstarifVertrag niedergelegten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf das zwischen ihnen bestehende Tarifrechtsverhältnis. Ohne die Verweisungsanordnung im AnerkennungstarifVertrag entfalten die verbandstarifVertraglichen Bestimmungen keine Rechtswirkungen auf firmentarifVertraglicher Ebene. Indem sich die Partner des Anerkennungstarifvertrages somit die inhaltlichen Vorgaben des bezogenen Tarifvertrages zu Eigen machen, üben sie legislative Rechtsmacht mit Normsetzungswillen aus. Daher trägt die anerkennungstarifVertragliche Verweisung konstitutiven Charakter. 28
D. Rechtsfolgen der Verweisungsanordnung I. Inkorporationswirkung Auf der Rechtsfolgenseite bewirkt die inhaltliche Verweisung keine Ausdehnung des Geltungsbereichs des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages auf die der Bindung an den Anerkennungstarifvertrag unterliegenden Arbeitsverhältnisse. 29 Vielmehr werden die in Bezug genommenen verbandstarifVertraglichen Normeninhalte - wie das Bundesarbeitsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 09.07.1980 zutreffend festgestellt hat - integraler Bestandteil des Anerkennungstarifvertrages. 30 Zentrale Funktion der Verwei28
Bezogen auf den Anerkennungstarifvertrag siehe BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Herschel, BB 1963, 1220, 1220; Reinermann,, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22. Vgl. auch BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; Baumann, RdA 1987, 270, 271; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 136; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 97; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 34 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 25. Aufgrund des rechtsfolgensetzenden Geltungsbefehls umschreiben Teile des Schrifttums die konstitutive Wirkungsweise auch mit dem Begriff der „echten" Verweisung - vgl. Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 63; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 33; Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, S. 169; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 21. 29 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 137; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 66; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 30; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22. 30 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; so auch BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 (Fn. 70); Boemke, Anm. zu BAG vom
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
sungsanordnung ist es somit, die inhaltlichen Regelungsvorgaben des Verbandstarifvertrages in den verweisenden FirmentarifVertrag deckungsgleich überzuleiten. Bildlich gesprochen erfolgt damit eine Vervielfältigung des verbandstariflichen Normenprogramms mit anschließender Integration in den Anerkennungstarifvertrag. 31 Dieser rechtstechnische Vorgang der Transmission fremder Tarifbestimmungen auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene lässt sich mit dem Begriff der „Inkorporation" umschreiben. Zu beachten ist, dass die fremden Regelungsvorgaben mit ihrer Inkorporierung sowohl die Rechtsqualität als auch den Rechtsstatus des Verweisungstarifvertrages annehmen.32 Mithin teilen die übernommenen Regelungen das rechtliche Schicksal des Anerkennungstarifvertrages. Ungeachtet der strengen Trennung zwischen den jeweiligen - wenn auch inhaltsgleichen - Regelungsgehalten des bezogenen und des verweisenden Tarifvertrages kann im Grundsatz davon ausgegangen werden, dass diejenigen Tarifbestimmungen, die auf Verbandsebene normative Rechtsqualität besitzen, ebenso auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene Normativcharakter tragen. Denn mit der Bezugnahme sollen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerade im Gleichlauf zum Verbandstarifniveau strukturiert werden. Im Ergebnis gelten die bezogenen
17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65; //ömacÄer/Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22 f.; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe zudem LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f. Siehe dazu auch BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 313. Nach BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972 „gelten die in Bezug genommenen Bestimmungen so, als wären sie im VerweisungstarifVertrag wörtlich enthalten". Nach Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 379 setzt der verweisende Tarifvertrag „neue" Tarifnormen. 31 Nach Clemens, AöR 111 (1986), 63, 66 werden die Inhalte des Bezugsobjektes gleichsam „fotografiert" und in die verweisende Regelung eingefugt. 32 Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; siehe zudem Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Ossenbühl, DVB1 1967, 4θΓ, 402; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 195. So im Ergebnis auch BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. Nehmen Tarifverträge staatliche Gesetze in Bezug, so tragen die inkorporierten Bestimmungen tariflichen Rechtscharakter - vgl. BAG vom 23.04.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; siehe auch BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 96; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 72; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 377; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 201.
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Verbandstarifhormen nach ihrer Inkorporation somit als eigenständige Tarifnormen des Anerkennungstarifvertrages.
II. Sonstige Rechtsfolgen Im Hinblick auf die Rechtswirkungen der Verweisung stellen sich weitere Folgefragen. So ist zwischen einer Tatbestandsverweisung und einer Rechtsfolgenverweisung zu unterscheiden. 33 Diese Unterteilung erlangt jedoch beim Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages keine praktische Bedeutung. Regelmäßig übernehmen die Tarifvertragsparteien die fremden Normenkomplexe in ihrer Gesamtheit, das heißt mit ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und ihren Rechtsfolgenanordnungen. Ohne Schwierigkeiten kann die Frage beantwortet werden, ob die anerkennungstarifvertragliche Bezugnahme als Binnen- oder Außenverweisung zu qualifizieren ist. 34 Da die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages zumindest auf Arbeitgeberseite nie personenidentisch mit den verbandstarifVertraglichen Normgebern sind, handelt es sich stets um eine außenwirksame Fremdverweisung. Ausführlicher Erörterung bedarf die inhaltliche Reichweite der Verweisung. Diese Problematik soll in einem eigenen Abschnitt dargestellt werden. 35 Vorweggenommen sei der Hinweis, dass zwischen Global-, Teil- und Einzelverweisungen zu differenzieren ist. 36
E. Statische und dynamische Verweisung Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages bestimmen durch die Formulierung der Verweisungsklausel, in welchem temporären Umfang eine Anbindung der Firmentarifinhalte an die Tarifentwicklung auf Verbandsebene erfolgt. Es steht zur Disposition der Sozialpartner, den bezogenen VerbandstarifVertrag in 33
Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 24 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 23. 34 Zu dieser Differenzierung - vgl. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 92; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 12 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 23 f. 35 Siehe unten § 7. 36 Braun, BB 1986, 1428, 1429 f.; siehe zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 161; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 9 ff.; vgl. auch BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
seiner feststehenden oder in seiner jeweils gültigen Fassung in Bezug zu neh-
I. Statische Verweisung Die Verweisungsanordnung kann sich darauf beschränken, die verbandstarifvertraglichen Bestimmungen in ihrer feststehenden Fassung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages zu übertragen. Rechtsprechung38 und Lehre 39 umschreiben diese Wirkung mit dem Terminus der „statischen" Verweisung. In der Tarifpraxis bringen die Sozialpartner den statischen Verweisungscharakter durch unterschiedliche Formulierungen zum Ausdruck, indem sie beispielsweise den Verbandstarifvertrag schlicht für „anwendbar" erklären, auf ihn „Bezug
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Die nachfolgende terminologische Einordnung, insbesondere die Unterscheidung zwischen „statischer" und „dynamischer" Verweisung, ist der staatsrechtlichen Diskussion entlehnt. Zur Verweisung durch den formellen Gesetzgeber siehe stellvertretend BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 80; Herschel, ZfA 1985, 21,21 ff.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 66 f.; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 401; Sachs, NJW 1981, 1651, 1651; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 521. Vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung im Verfassungsrecht: Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 38 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR. Vgl. auch den Fall von RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 237, 237 ff. 39 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefügnisse, S. 137; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 87; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 103; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Gumpen, BB 1961, 1276, 1276; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 59 f.; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hueck, Anm. zu BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 376; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Mangen, RdA 1982, 229, 236; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 572; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 12 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 221. Zu anderen terminologischen Bezeichnungen siehe Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 36; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 12.
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nehmen" respektive „verweisen" oder anordnen, dass das fremde Tarifvverk „in seiner derzeitigen Fassung gilt". 4 0 Entscheidendes Abgrenzungskriterium zur dynamischen Verweisung ist die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Kenntnis der TarifVertragsparteien vom Inhalt und vom Geltungsumfang des konkret in Bezug genommenen Tarifvertrages. 41 Die Normgeber überführen ausschließlich den ihnen bekannten Regelungsgehalt eines fremden Tarifwerkes in ihre Tarifvertragsbeziehung. Demgemäß wirken sich Inhaltsänderungen des bezogenen nicht auf den verweisenden Tarifvertrag aus.42 Übertragen auf den Anerkennungstarifvertrag bedeutet dies, dass eine fortlaufende Anpassung der Firmentarifbedingungen entsprechend der Tarifentwicklung auf Verbandsebene nicht stattfindet. Die statische Inkorporierung eines feststehenden Verbandstarifvertrages dient daher vor allem dem Zweck, den Parteien des Anerkennungstarifvertrages ein wörtliches Abschreiben des Bezugsobjektes zu ersparen. 43
II. Dynamische Verweisung Demgegenüber zeichnet sich die dynamische Verweisung dadurch aus, dass die Tarifhormgeber nicht nur den ihnen bekannten Verbandstarifkompromiss übernehmen, sondern in seiner Jeweils gültigen Fassung" für anwendbar erklären. 44 Durch die dynamische Bezugnahmeanordnung erreichen die Parteien des 40 Vgl. dazu Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 36 f. und 67. 41 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 77; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 162 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 12; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308. 42 BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Gumpen, BB 1961, 1276, 1276; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 60, Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 12. 43 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 137; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 60; Herschel, BB 1963, 1220, 1222. Vgl. auch BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285,312. 44 BAG vom 27.07.1956, AP Nr. 3 zu § 4 TVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu
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Anerkennungstarifvertrages eine ständige inhaltliche Anbindung an die fortschreitende tarifliche Entwicklung des bezogenen VerbandstarifVertrages. Ohne dass es einer neuerlichen Verweisungsanordnung bedarf, finden Änderungen des Bezugsobjektes automatischen Eingang in den Anerkennungstarifvertrag, 45 wodurch die Vertragschließenden von künftigen Normsetzungsakten entlastet werden. Wenn von einer dynamischen Verweisung gesprochen wird, dann ist zu beachten, dass die Dynamik nicht an der Verweisungsklausel als solcher an§ 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f.; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung; Baumann, RdA 1987, 270, 271; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 136; Blum/Ebeling, Festschrift ftir Fenn, S. 85, 87; Buchner, NZA 1993, 289, 291; ders., ARBlattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 111; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121; ders., Anm. zu BAG vom 29.08.2001, RdA 2002, 303, 303; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 571; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Mangen, RdA 1982, 229, 236; MayerMaly, Festschrift für Wolf, S. 473, 475; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektiwerträgen, S. 25 f.; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 324; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 162; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 572; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 13; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 11; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 198; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 221; ders., Anm. zu BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 45
BAG vom 19.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 88; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 68; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 475; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 13; vgl. zudem Gaul, ZTR 1991, 188, 189 f.; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; siehe auch BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 313.
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knüpft. Wie HerscheÛ 6 zu Recht hervorhebt, bleibt diese vielmehr unverändert. Lediglich der Gegenstand der Bezugnahme unterliegt dynamischem Wandel und beeinflusst maßgebend den Inhalt der zu regelnden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Soweit die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages die jeweiligen Tarifinhalte antezipieren, ist es ihnen im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses unmöglich, die zukünftige Normenentwicklung des bezogenen Tarifvertrages vorherzusehen. 47 Es fehlt ein feststehendes Bezugsobjekt.48 Hierin liegt die Besonderheit der dynamischen Verweisung. In Anbetracht fehlender Vorhersehbarkeit der künftigen Tarifentwicklung ist die häufig in Rechtsprechung 49 und Literatur 50 vorzufindende Bezeichnung als „Blankettverweisung" legitim. 46
Herschel, ZfA 1985, 21, 22; siehe auch Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61. 47 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 88; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 571; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 13; Rick, DB 1957, 45, 46; Säcker/Oetker, ZfA 1987, 95, 117; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 521 und 524; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; vgl. auch BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 48 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61; Scholz, Festschrift fur Müller, S. 509, 521. 49 BAG vom 27.07.1956, AP Nr. 3 zu § 4 TVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu §74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118BetrVG 1972; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung. 50 Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; ders., NZA 1993, 289, 291; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 111; Frey, ArbuR 1958, 306, 307; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 571;. Grimm, Anm. zu BAG vom 20.06.2001, EWiR 2002, 563, 563; Gröbing, ArbuR 1961, 334, 336; ders., ArbuR 1982, 116, 116; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 210; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwir-
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
In der Vertragspraxis wird die antezipierende Rechtsetzungstechnik durch die Vereinbarung einer so genannten „Jeweiligkeitsklausel" umgesetzt,51 in welcher typischerweise auf die Jeweils geltende Fassung" des bezogenen Verbandstarifvertrages verwiesen wird. 52 Da dem Anerkennungstarifvertrag vornehmlich die Aufgabe zukommt, die Tarifbedingungen auf firmentarifVertraglicher Ebene mit denen auf Verbandsebene zu koordinieren, 53 erlangen dynamische Verweisungen besondere tarifpraktische Bedeutung. Eine langfristige Partizipation an der regionalen Branchentarifentwicklung erreichen die Sozialpartner nur, wenn sie eine automatische Überleitung künftiger Modifikationen des Verbandstarifwerkes auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene vereinbaren.
F. Rechtscharakter der Verweisungsanordnung Besondere Aufmerksamkeit ist der Feststellung des Rechtscharakters der inhaltlichen Verweisungsanordnung zu widmen. Von ihrer dogmatischen Einordkung; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 69; Kempen/Zachert,, § 1 TVG Rn. 378; Kempff AiB 1993, 267, 268; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Meyer, Blankettverweisungen in Ko 1 lektivvertragen, S. 25; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu §3 TVG Verbandszugehörigkeit; Nipper dey /Säcker, ARBlattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Anm. zu BAG Betriebsvereinbarungen, S. 14; Rick, DB 1957, 45, 45; Rolfs/Richter, vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Säcker/Oetker, ZfA 1987, 95, 116; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 308; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 198. 51 LAG Hamm vom 24.02.1987, DB 1987, 1254, 1254; Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 87; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99; Preis, Festschrift für Schaub, S. 571, 572; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 14. 52 Speziell für den Anerkennungstarifvertrag - vgl. BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; Oetker, in SchleetfOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99; siehe auch BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O. Allgemein hierzu Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61; Meyer, Blankettverweisungen in Kol lektiv Verträgen, S. 21 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 13 f.; vgl. auch Clemens, AöR 111 (1986), 63, 80 f. 53 Siehe dazu oben § 1 Β und § 2 A I.
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nung hängen wichtige Folgefragen wie beispielsweise die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Regelungsverfahrens, 54 die Erkämpfbarkeit 55 oder die Nachwirkung 56 der Verweisungsbestimmung ab.
I. Bestimmung des Rechtscharakters Durch § 1 Abs. 1 TVG wird die tarifvertragliche Regelungsbefugnis in inhaltlicher Hinsicht konkretisiert. Gegenstand tariflicher Vereinbarungen können demnach sowohl obligatorische als auch normative Regelungsabreden sein.
1. Zuordnung zu den Regelungstypen des § 1 Abs. 1 T V G Welchem Regelungstypus die Verweisungsbestimmung zuzuordnen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur wenig tiefgründig diskutiert.
a) Streitstand Widersprüchlich sind die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Problematik. In seiner grundlegenden Entscheidung vom 10.11.1982 stellt es fest, dass die Verweisungsbestimmung „selbst keine unmittelbar das Arbeitsverhältnis regelnden Rechtsnormen" enthält.57 Andererseits spricht das Bundesarbeitsgericht 58 in diesem Kontext in Einklang mit weiten Teilen der Lehre 59 54
Siehe dazu im Anschluss unten § 5 A und § 6 A. Siehe dazu unten § 14 A I. 56 Siehe dazu unten § 16 B. 57 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 58 Ä4G vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Das BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O spricht gar von einer in der „Tarifhorm enthaltenen Blankettverweisung". 59 Baumann, RdA 1987, 270, 273; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 87; Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117 f.; Grimm, Anm. zu BAG vom 20.06.2001, EWiR 2002, 563, 563; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54 und 92; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 55
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von der „verweisenden Norm", was auf eine Charakterisierung der Bezugnahmeanordnung als Tarifhorm im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG hindeutet. Eine völlig konträre Auffassung vertritt Lieb, der die bindende inhaltliche „Anschlusserklärung" an das Verbandstarifhiveau als obligatorische Firmentarifabrede im Sinne des § 1 Abs. 1, 1. HS TVG bewertet. 60 Demgegenüber befürwortet Oetker eine ausschließlich rechtstechnische Natur der Verweisungsbestimmung, ohne sie einem bestimmten Regelungstypus abschließend zuzuordnen. 61
b) Stellungnahme Die Verweisungsbestimmung trägt nur dann normativen Rechtscharakter im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG, wenn sie Anordnungen über Inhalt, Abschluss und Beendigung der Arbeitsverhältnisse, betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen trifft. Im Wortlaut bestimmt die Verweisungsklausel schlicht, dass ein bezogener Regelungskomplex in den verweisenden Tarifvertrag inkorporiert werden soll. Unmittelbar begründen oder modifizieren die Sozialpartner mit dieser Formulierung keine Rechtspositionen der Normadressaten. Auch nach teleologischer Auslegung bewirkt die Bezugnahmeanordnung für sich betrachtet keine inhaltliche Strukturierung der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse. Ihre Funktion beschränkt sich ausschließlich auf die Überleitung fremder Tarifregelungen. Aus diesem Grund ist das Bundesarbeitsgericht
17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu §4 TVG Nachwirkung; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 171; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Mangen, RdA 1982, 229, 236; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Mayer-Maly, Festschrift fur Wolf, S. 473, 477; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5 f. und 22; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 308; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. 60 Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 661; vgl. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 (Fn. 28). Zwar gelten die Ausführungen Liebs für die später noch zu untersuchende „Vorabunterwerfungsklausel" - vgl. dazu unten § 10 Β I 2. Jedoch liegt sowohl der Verweisungs- als auch der Vorabunterwerfungsklausel eine inhaltliche Bezugnahmekonstellation zu Grunde, sodass die Rechtsnaturbestimmung nach identischen Maßstäben erfolgen muss. 61 Oetker, in Schleef Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 104 ff. Siehe aber auch Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326, in welcher er von der „Verweisungsnorm" spricht.
§ 4 Allgemeine Rechtsfragen der inhaltlichen Verweisung
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in seinem Urteil vom 10.11.1982 konsequent einer Qualifizierung als tarifvertraglicher Rechtsnorm entgegengetreten.62 Gegen die Normqualität spricht zudem die Tatsache, dass die verweisenden Tarifparteien auch obligatorische Tarifabsprachen fremder Sozialpartner in Bezug nehmen können.63 In dieser Konstellation wäre es sinnwidrig, die Verweisungsanordnung als Normativabrede zu interpretieren, obwohl die Tarifpartner lediglich eine Konkretisierung ihrer internen Rechtsbeziehung beabsichtigen. Besitzt die Bezugnahmebestimmung somit keinen normativen Rechtscharakter, ist ihre Umschreibung mit dem Terminus „Verweisungsnorm" verfehlt und birgt die Gefahr unnötiger Missverständnisse in sich. Entgegen der Auffassung von Lieb kann die Verweisungsbestimmung auch nicht als obligatorische Tarifabrede qualifiziert werden. Im obligatorischen Teil des Tarifvertrages gestalten die Sozialpartner ihren gegenseitigen Rechte- und Pflichtenstatus. 64 Obwohl die Verweisung auch Fragen der Durchfuhrungs- und Friedenspflicht tangiert, steht die Ausgestaltung des internen Rechtsverhältnisses nicht im Zentrum des tariflichen Regelungsanliegens. Durch die Verweisungsbestimmung werden keine separaten Handlungs- oder Unterlassenspflichten der Vertragschließenden begründet. Verfehlt wäre es insbesondere, die Bezugnahmeklausel dahin gehend auszulegen, dass die Tarifpartner zu einer gesonderten tariflichen Umsetzung der Inkorporationswirkungen verpflichtet wären. Es bedarf gerade keines weiteren Regelungsaktes, um den bezogenen Vorschriften auf der Ebene des VerweisungstarifVertrages Geltung zu verschaffen, denn selbstvollziehend findet das Bezugsobjekt allein kraft der Verweisung Anwendung. Zuzustimmen ist Oetker, der der Bezugnahmeklausel weder einen obligatorischen noch normativen Rechtscharakter zuweist.65 Er bezeichnet die Verweisungsbestimmung bildlich gesprochen als „Transmissionsriemen" zur Überleitung fremder Regelungskomplexe in den Geltungsbereich des verweisenden Tarifvertrages. Der Gehalt der „Inkorporationsabrede" ist ausschließlich
62
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; siehe zudem Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105. Nach Gaul, ZTR 1991, 188, 189 „enthält der Anerkennungstarifvertr^g kdne substantielle Inhaltsnorm". 63 Vgl. Oetker, in Schleef/Oétkér, Tarifpolitik im Wandel, S. 105 f. 64 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 ÙG/ Däubler, TarifVertragsrecht, Arbeitsrecht I, S. 625; Hueck/Nipperdey, ArbeitsRn. 169; Gamillscheg/KoWeküfes recht II/V, S. 301 f./Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 1; Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 258; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 28; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 155 ff.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 657; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 385 f. 65 Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
„rechtstechnischer Natur". 66 Mit ihr treffen die Sozialpartner die Anordnung zur Inkraftsetzung eines normativen oder obligatorischen Regelungsgefiiges. Bei statischen Verweisungen dokumentiert die Bezugnahmeklausel somit die Einigung über die Art und Weise der inhaltlichen Ausgestaltung der TarifVertragsordnung. Für die dynamische Verweisung gilt nichts Abweichendes, wobei die Besonderheit darin besteht, dass die Blankettbezugnahmeklausel eine antezipierende Einigung über die rechtstechnische Ausformung künftiger Arbeits· und Wirtschaftsbedingungen festschreibt. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Inkorporationsabrede angesichts ihrer ausschließlich rechtstechnischen Gestaltungsfunktion keinem der in § 1 Abs. 1 TVG aufgezählten Regelungstypen zugeordnet werden kann. Normativen oder obligatorischen Rechtscharakter tragen erst die in den VerweisungstarifVertrag übergeleiteten Tarifbestimmungen, weil erst infolge des Inkorporationsvollzugs materielle Regelungswirkungen gegenüber den tarifgebundenen Normadressaten beziehungsweise zwischen den Tarifvertragsparteien erzeugt werden.
2. Tarifvertragseigenschaft der Verweisungsanordnung In Anbetracht der Ablehnung eines sowohl obligatorischen als auch normativen Rechtscharakters der Inkorporationsabrede stellt sich die Frage, inwieweit die Verweisung überhaupt Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen sein kann, weil die Grenzen der tariflichen Regelungsbefugnis durch § 1 Abs. 1 TVG gezogen werden. 67 In diesem Kontext muss jedoch Beachtung finden, 66
Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382. Nach Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, ARBlattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29 bedienen sich die Tarifvertragsparteien mit der Verweisung nur eines „rechtstechnischen Mittels" zur Festlegung des Inhalts ihres Tarifvertrages. Zachert, ArbuR 1993, 294, 294 f. spricht von „verfahrensrechtlichen Regulierungen". Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt bezeichnet die Verweisung als „verfahrensrechtliche Gestaltungsalternative". 67 Beuthien, ZfA 1983, 141, 159 f.; Löwisch, RdA 1982, 73, 77; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 18 f. und § 1 TVG Rn. 23; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 53 und § 252 Rn. 23; Mayer-Maly, BB 1966, 1067, 1069; Reuter, ZfA 1990, 535, 546 ff.; Rieble, ZTR 1993, 54, 55; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 100 ff.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 35 f.; vgl. zudem Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105; Kirchhof Private Rechtsetzung, S. 179 f.; Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 67; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 529 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 248; Zollner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 425 und 427 f. Extensiver Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 539 f.; siehe auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 20 ff. und 169; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 100 f. und § 1 TVG Rn. 1.
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dass die Bezugnahmeanordnung in wesensmäßigem Zusammenhang zur Gestaltung der tariflichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen steht. Ihre rechtstechnische Anordnung dient der Festsetzung des Regelungsgehalts firmentarifvertraglicher Bestimmungen, die ihrerseits den Regelungstypen des § 1 Abs. 1 TVG unterfallen. Aus diesem Grund erscheint es illegitim, die Verweisung lediglich als allgemein-schuldvertragliche Vereinbarung zu qualifizieren. 68 Vielmehr kann die Verweisungsanordnung mittelbar auf die Ermächtigung des § 1 Abs. 1 TVG zurückgeführt werden und stellt daher eine Tarifabrede sui generis dar. 69
I I . Rechtsfolgen der Rechtscharakterbestimmung Mit der Einordnung als TarifVertragsbestimmung steht fest, dass die Verweisung nach tarifrechtlichen Grundsätzen bewertet werden muss. Allerdings ist mit dieser Schlussfolgerung keine Antwort auf die Frage gegeben, an welchen Rechtmäßigkeitsmaßstäben sie zu messen ist. Insoweit hat Oetker den treffenden rechtlichen Ansatz vorgezeichnet, indem er darauf hinweist, dass die Verweisungsanordnung nicht losgelöst vom Verweisungsobjekt betrachtet werden kann. 70 Da erst die inkorporierten Tarifbestimmungen materielle Regelungswirkungen entfalten, ist deren Rechtsnatur Anknüpfungspunkt für die Festlegung des notwendigen Prüfungsumfangs. Je nachdem, ob sich die Verweisung auf normative oder obligatorische TarifVertragsregelungen bezieht, finden die für den jeweiligen Regelungstypus geltenden Rechtmäßigkeitsanforderungen Anwendung. Übernimmt ein Tarifvertrag normative Regelungen aus einem fremden Tarifwerk, erlangen diese Bestimmungen infolge der Inkorporationswirkung
68
Vgl. allgemein hierzu Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 753. Die Einordnung der Verweisungsanordnung als tarifVertragliche Bestimmung steht in Einklang mit der Bewertung des BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Diese Schlussfolgerung wird dadurch bestätigt, dass „rechtstechnische Tarifbestimmungen" auch in anderen Konstellationen Anerkennung finden. So ist beispielsweise die Vereinbarung über die Reichweite des Geltungsbereichs eines Tarifvertrages, die sich sowohl auf normative als auch auf obligatorische Tarifbestimmungen beziehen kann, ebenfalls rechtstechnischer Natur. Zur tarifvertraglichen Regelungsbefugnis - vgl. Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 22; dies., in Münchener-Hdb, § 264 Rn. 1; Wank, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 106; siehe zudem Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 253; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 1. Vgl. auch den Streit um den Rechtscharakter der Verweisungsklausel in der ostdeutschen Metallindustrie. Es war umstritten, ob sie einen Tarifvertragscharakter - so Wolter, DB 1993, 934, 935 und 937; Zachert, NZA 1993, 299, 300 oder ob sie einen Vorvertragscharakter - so Buchner, NZA 1993, 289, 289 f. trägt. 70 Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105 f. 69
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grundsätzlich einen konformen Normativcharakter auf der Ebene des VerweisungstarifVertrages mit der Folge, dass die Bewertung der Bezugnahmeanordnung an den Grundsätzen der tarifvertraglichen Normsetzung auszurichten ist. Entsprechend gelten fur Verweisungen auf obligatorische Tarifabsprachen die Regeln der schuldrechtlichen Regelungsmacht. Zentrales Anliegen der im Anerkennungstarifvertrag niedergelegten Bezugnahmeklausel ist die Überleitung des verbandstariflichen Normenstatuts. Im Mittelpunkt der anschließenden Untersuchung stehen daher die Maximen der tariflichen Normgebung.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Firmentarifvertrages ist den Fragen nachzugehen, ob die inhaltliche Übernahme eines VerbandstarifVertrages in seiner „feststehenden Fassung" gegen Grundsätze rechtskonformer Tarifnormgebung verstößt und welche Rechtsfolgeprobleme an eine statische Verweisung anknüpfen.
A. Rechtmäßigkeit statischer Verweisungen Gegen statische Verweisungen werden sowohl formelle als auch materielle Einwände vorgetragen, die es zu bewerten gilt.
I. Schriftform Gemäß § 1 Abs. 2 TVG sind Tarifverträge schriftlich abzuschließen. Es besteht Einigkeit darüber, dass § 126 BGB angesichts des vertraglichen Ursprungs des Tarifvertrages entsprechende Anwendung im Tarifrecht findet. 71
71 BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20zu§ 1 TVG; BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 1; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 107; Herschel, BB 1963, 1220, 1221; Hueck/Nipper dey /Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Kempen/Zachert, §1 TVG Rn. 367; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 49; Mangen, RdA 1982, 229, 229; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 39; Rick, DB 1957, 45, 45; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 229; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. Unzutreffend leitet Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 45 die Geltung des § 126 BGB aus dem Rechtsnormcharakter des Tarifvertrages ab.
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Eine Nichtbeachtung des Formgebotes führt analog § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der tariflichen Abrede. 72 Wenig Probleme bereitet die formelle Abfassung der Verweisungsanordnung. 73 Sie ist schriftlich in der Vertragsurkunde niederzulegen. Abschließend ist das Schriftstück von beiden Parteien des Anerkennungstarifvertrages eigenhändig zu unterzeichnen. Im Zentrum der Diskussion steht indes die Frage, welche Anforderungen § 1 Abs. 2 TVG im Hinblick auf die in Bezug genommenen Verbandstarifregelungen stellt. In diesem Kontext wird kontrovers darum gestritten, ob die bezogenen Tarifinhalte mit dem verweisenden Anerkennungstarifvertrag in einer einheitlichen Urkunde zusammengefugt werden müssen.
1. Streitstand a) Urkundliche
Verbindung als Wirksamkeitsvoraussetzung
Nach einer in der Rechtslehre vertretenen Auffassung ist der Anerkennungstarifvertrag nur formwirksam geschlossen, wenn die übernommene Tarifregelung äußerlich sichtbar mit dem verweisenden Tarifvertrag zu einer einheitlichen Urkunde verbunden wird. 74 Bei privatrechtlichen Vertragsabschlüssen werde grundsätzlich eine feste Zusammenfiigung der einzelnen Dokumente verlangt, die nur durch eine erhebliche substanzzerstörende Kraftentfaltung aufgehoben werden kann. 75 Nichts anderes dürfe im Tarifrecht gelten, um den Gefahren zu begegnen, die gerade die Verweisungstechnik in sich birgt. Ohne vollständige Abschrift oder Anfügung des Bezugsobjektes als Anlage sei die statische Übernahme fremder Tarifbedingungen nicht von der Unterschrift der Sozialpartner gedeckt. Für die Erforderlichkeit einer urkundlichen Verbindung spreche vor allem die Warnfunktion des tariflichen Schriftformgebotes, die die 72 BAG vom 13.06.1958, AP Nr. 2 zu § 4 TVG Effektivklausel; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 517; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 10; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 380; Mangen, RdA 1982, 229, 229; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 40; Schaub, in ErfKom § 1 TVG Rn. 13; ders., Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 27; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 73; Wiedemannin Wiedemann, § 1 TVG Rn. 239; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 221; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. 73 Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 45 f.; Rick, DB 1957, 45, 45; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 229. 74 RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 237, 240; LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Rick, DB 1957, 45, 45. 75 Unter Berufung auf BGH vom 13.11.1963, BGHZ 40, 255, 262 f.
112
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Parteien vor übereilten Tarifabschlüssen bewahren soll. Es stelle kein wesentliches Erschwernis dar, wenn die Partner des Anerkennungstarifvertrages das bezogene Tarifabkommen als Anlage beifügen, da sie dieses ohnehin regelmäßig zur Hand haben.76 Die körperliche Zusammenfassung aller Urkunden verbessere die Informationsmöglichkeiten der Normadressaten und beuge Zweifeln und Irrtümern bei der Inhaltsbestimmung vor. 77
b) Urkundliche
Verbindung keine Wirksamkeitsvoraussetzung
Gegner einer derart restriktiven Betrachtung des Schriftformgebotes sehen keine Notwendigkeit für eine körperliche Verknüpfung von Verweisungs- und Bezugstarifvertrag. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts und weiter Teile der Literatur sei dem Schriftformerfordernis Genüge getan, wenn die TarifVertragsparteien die Verweisungsklausel formgemäß niedergelegen und die in Bezug genommenen Tarifbestimmungen ihrerseits in schriftlicher Form zur Verfügung stehen.78 Eine am Telos des § 1 Abs. 2 TVG orientierte Auslegung stehe einer unreflektierten Übertragung der zivilrechtlichen Schriftformgrundsätze entgegen. Im Gegensatz zum allgemeinen Vertragsrecht komme dem Übereilungsschutz bei tariflichen Kollektivvereinbarungen keine entscheidende Bedeutung zu. Zur Absicherung der allein maßgebenden Klarstellungsfunktion bedürfe es keiner Anheftung des Bezugstarifvertrages, weil dies nur ein unnötiges, formales Vertragshindernis darstelle. 79
76
Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 1; Gumpen, BB 1961, 1276, 1277. Gumpen, BB 1961, 1276, 1277; Rick, DB 1957, 45, 45; ähnlich Buchner, ARBlattei, Tarifvertrag V C, III 2 b. n BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; BAG vom 19.03.1975, AP Nr. 14 zu § 5 TVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 2 zu § 35 BAT; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu §1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu §1 TVG Tarifverträge: DDR; LAG Mannheim vom 30.06.1954, BB 1954, 804, 804; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 119; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231 ; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 162 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Mangen, RdA 1982, 229, 236 f.; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 54; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 57; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 11; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580. Siehe jetzt auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 108. 79 LAG Mannheim vom 30.06.1954, BB 1954, 804, 804; Dietz, Festschrift fürNipperdey, S. 141, 157 (Fn. 23); Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in 77
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
113
c) Auffassung Herschels Einen besonderen Weg beschreitet Herschel. 80 Das Schriftformerfordernis werde allein durch die schriftliche Abfassung der Verweisungsklausel gewahrt. Hingegen unterliege die übernommene Tarifregelung keinem Formzwang. Da die Vorschrift des § 126 BGB systematisch im Abschnitt über die Willenserklärungen eingebettet ist, reiche das Schriftformgebot nur bis an die Grenze des Erklärungswertes. Nach Herschel beschränke sich die Willenserklärung auf die Anordnung der Verweisung, sodass der in Bezug genommene Tarifinhalt nicht zum Erklärungsgehalt gehöre. Ihre Bestätigung finde diese Überlegung im Bürgschaftsrecht. Dem Formerfordernis des § 766 BGB sei bereits durch eine schriftliche Abfassung der Bürgschaftserklärung Genüge getan, ohne dass die „bezogene Hauptschuld" mit der Bürgenerklärung körperlich verbunden werden müsse.
2. Stellungnahme Um die Anforderungen des tariflichen Schriftformerfordernisses zu bestimmen, ist der Normzweck des § 1 Abs. 2 TVG herauszuarbeiten.
a) Zweck des tariflichen
Schriftformzwangs
Gesetzliche Schriftformregeln dienen unterschiedlichen Zwecken.81 Sie können einerseits eine Beweis- und Klarstellungsfunktion und andererseits eine Übereilungsschutz- und Warnfunktion erfüllen. 82 Die Auffassungen zum Rechtsgrund des tarifrechtlichen Formenzwangs gehen auseinander.
Tarifverträgen, S. 87; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 116; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 58; Nipperdey, Anm. zu RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 241, 241; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 49 und 55. 80 Herschel, BB 1963, 1220, 1221 f.; siehe auch Iffland, DB 1964, 1737, 1737 f. 81 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 517; vgl. auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 41; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 228. 82 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 517 f.; vgl. auch Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 48; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 41.
114
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
aa) Klarstellungsfunktion Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die Schriftform der Klarstellung des Tarifvertragsinhalts dient. 83 In Anbetracht der Bedeutung kollektiver Normenverträge fur eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen hat bereits das Reichsarbeitsgericht die Klarstellungsfiinktion der Schriftform hervorgehoben. 84 Ziel des Formenzwangs ist es, jede Unklarheit über den Inhalt der tariflichen Regelung zu vermeiden. Tarifverträge müssen aus sich heraus klar und verständlich sein. Die schriftliche Niederlegung gewährleistet zu Gunsten der Sozialpartner und Normadressaten eine rechtssichere und zweifelsfreie Bestimmbarkeit der Regelungsgehalte.85 Darüber hinaus belegt die Schriftlichkeit, zwischen wel83
BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 19.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu §x44 BAT; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 2 zu § 35 BAT; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu § 77 BetrVG 1972; Baumann, RdA 1987, 270, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Ent271; Birk/Brühler, scheidung 1 ; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Buchner, ARBlattei, Tarifvertrag V C, III 2 a; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 108; Crisolli, Anm. zu BAG vom 19.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; Dietz, Festschrift fur Nipperdey, S. 141, 157; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 516; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Herschel, BB 1963, 1220, 1221 ;ders., JZ 1967, 727, 734; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 368; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 374; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 50; Mangen, RdA 1982, 229, 230; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 477; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 51 ff.; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nipperdey, Anm. zu RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 241, 241; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 163; Plander, ZTR 1997, 145, 149; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 45; Rick, DB 1957, 45, 45; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S, 166; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 11; Schulin, ZfA 1981, 577, 581; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; ders., Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 228; Zachert, Anm. zu BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR. 84 RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 237, 240. Zur Entwicklung der Rechtsprechung siehe Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 45. 85 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Herschel, BB 1963, 1220, 1221; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke,
§ 1
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
115
chen Tarifpartnern bezogen auf welchen Geltungszeitraum eine TarifVereinbarung geschlossen wurde. 86 Mit der Klarstellungsaufgabe des § 1 Abs. 2 TVG geht die Beweisfunktion einher, 87 die im Interesse des Rechtsfriedens eine feststehende Interpretationsgrundlage garantiert.
bb) Warnfunktion Demgegenüber ist umstritten, ob das Schriftformgebot dem Übereilungsschutz dient. Noch unter Geltung des § 1 T W O sah das Reichsarbeitsgericht eine Notwendigkeit, die Sozialpartner vor unüberlegten und übereilten Tarifabschlüssen zu schützen.88 Diese Ansicht teilen einige Vertreter im Schrifttum. 89 Die ratio legis des § 1 Abs. 2 TVG steht der Annahme einer Warnfunktion entgegen.90 Im Ausgangspunkt können nur die Tarifvertragsparteien selbst
TVG Rn. 12; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Mangen, RdA 1982, 229, 230 f.; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 52; Nipperdey, Anm. zu RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 241, 241; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 45; Schulin, ZfA 1981, 577, 581; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 08.10.1959, SAE 1961, 144, 145; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 237. Ein Beispiel ftir einen Verstoß gegen das Schriftformgebot wegen mangelnder Kennzeichnung der in Bezug genommenen Tarifverträge ist BAG vom 30.05.1958, AP Nr. 8 zu § 9 TVG zu entnehmen. 86 Vgl. Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 157; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 52. 87 Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 51 f. 88 RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 237, 240; unklar noch BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG. 89 Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Rick, DB 1957, 45, 45. 90 BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu § 77 BetrVG 1972; Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 101 (Fn. 73); Braun, BB 1986, 1428, 1428; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 517; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 368; Mangen, RdA 1982, 229, 230; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 49 f.; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nipperdey, Anm. zu RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 241, 241; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 163; Plander, ZTR 1997, 145, 149; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 43 f.; Schulin, ZfA 1981, 577, 581; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976,
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
- nicht jedoch die Normunterworfenen - Adressaten des Übereilungsschutzes sein. Den Vertragspartnern muss jedoch die Ernstlichkeit und Bedeutung ihrer tarifvertraglichen Willenserklärung nicht vor Augen geführt werden. Die Interessen der Gewerkschafts- und der Arbeitgeberseite stehen sich in TarifVerhandlungen antagonistisch gegenüber. Bereits diese gegenläufige Interessenlage ruft den Sozialpartnern ihre Verantwortung für die jeweiligen Normadressaten ins Bewusstsein.91 Tarifkompromisse sind das Ergebnis langwieriger, oft zäher Vertragsverhandlungen. Das Aushandeln schafft die Grundlage für eine hinreichende Inhaltskenntnis und bewahrt vor übereilten Abschlüssen. Im Übrigen verfügen die Tarifparteien über ein umfangreiches Erfahrungswissen. Hinzu kommt, dass regelmäßig juristisch erfahrene Personen an den Einigungsgesprächen teilnehmen, die sich der Tragweite tarifVertraglicher Abreden bewusst sind. 92 Keine andere Bewertung ergibt sich aus den Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages. Zwar ist es denkbar, dass eine sozial mächtige Gewerkschaft an einzelne Unternehmen mit der schlichten Forderung nach Übernahme der Verbandstarifbedingungen herantritt, ohne den betroffenen Arbeitgebern eine reale inhaltliche Verhandlungsmöglichkeit einzuräumen. Dennoch ist den Arbeitgebern auch bei dieser Sachlage die Tragweite ihrer anerkennungstarifvertragsbezogenen Willenserklärung bewusst. Zuzustimmen ist daher der herrschenden Auffassung, die dem Übereilungsschutz im Tarifrecht allgemein keine Relevanz beimisst.
cc) Kundmachungsfunktion Über den Klarstellungszweck hinaus, weisen Teile des Schrifttums der Norm des § 1 Abs. 2 TVG eine Kundmachungsfunktion zu. 93 Nach Schaub habe die
AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 228; Zachert, Anm. zu BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR. 91 Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 49 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 43. 92 Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 50; Plander, ZTR 1997, 145, 149; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 43 f. 93 Birk, ArbuR 1977, 235, 237; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, ARBlattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 516 f.; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 478; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 27; Söllner, Grundriss des Arbeitsrechts, S. 135. Auch BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form weist darauf hin, dass die Schriftform den Verkündungszwang ersetze. Vgl. dazu Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 539.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
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Formvorschrift die Aufgabe, den Inhalt der Tarifnormen bekannt zu machen.94 Die Schriftform trete an die Stelle des im Tarifrecht fehlenden Verkündungszwangs und erfülle damit die jeder Normgebung immanente Publizitätspflicht. Ein unmittelbarer Kundmachungszweck des Schriftformzwangs ist abzulehnen. 95 Die Anerkennung eines Verkündungsersatzcharakters scheidet aus, weil die schriftliche Abfassung und die Kundgabe voneinander verschiedene Vorgänge darstellen. Wesensmerkmal der Verkündung ist eine Verbreitung des Norminhalts nach außen. Dagegen beschränkt sich die Niederschrift auf eine interne Handlung. Zwar sind die Bekanntgabevorschriften im TarifVertragsgesetz nur schwach ausgebildet. Dies ist aber ein Problem des rechtsstaatlichen Publizitätserfordernisses. 96 Die Schriftform kann unmittelbar keinen Kontakt zu den Adressaten der tariflichen Rechtsetzung herstellen. Sie ist lediglich notwendige Vorstufe fur eine nachfolgende Kundgabe gegenüber den Normunterworfenen. Aus dem Gesichtspunkt der Kundmachung können mithin keine Schlussfolgerungen für die Reichweite des Schriftformgebotes abgeleitet werden.
dd) Ergebnis Alleiniger Zweck des § 1 Abs. 2 TVG ist die Klarstellung und Beweisbarkeit des tarifvertraglichen Inhalts. Sowohl den Tarifvertragsparteien als auch den Tarifunterworfenen soll eine rechtssichere und zweifelsfreie Beurteilungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. 97 Hervorzuheben bleibt, dass ein Klarstellungsinteresse auch bei Firmentarifverträgen anzuerkennen ist. 98 Dies gilt ohne Einschränkung für die an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer. Auf Arbeitgeberseite ist zwar eine inhaltliche Klarstellung weniger dringend, weil der tarifunterworfene Unternehmer selbst an den Tarifverhandlungen teilnimmt. Dennoch verliert die mit der Klarstellungsfunktion einhergehende Beweisfunktion nicht an Bedeutung, da sie dem Arbeitgeber einen
94
Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 27. Mangen,, RdA 1982, 229, 230; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 44; vgl. auch Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 53. 96 Baumann, RdA 1987, 270, 272; Mangen, RdA 1982, 229,237; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 65. Siehe dazu unten § 5 A III. 97 Zur Differenzierung nach den jeweiligen Klarstellungsbedürfnissen der Tarifvertragsparteien einerseits und der Normunterworfenen anderseits - siehe Mangen, RdA 1982, 229, 230 f. 98 Ähnlich Mangen, RdA 1982, 229, 331; vgl. auch Braun, BB 1986, 1428, 1428. 95
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
objektiven Nachweis sowohl der normativen als auch der obligatorischen Regelungsinhalte ermöglicht.
b) Rechtfertigung
statischer Verweisungen im Lichte des Normzwecks
Unter Berücksichtigung der ratio legis des § 1 Abs. 2 TVG kann weder die Ansicht, die eine körperliche Verbindung des verweisenden mit dem bezogenen Tarifvertrag fordert, noch der Lösungsvorschlag Herschels überzeugen. Vielmehr ist es notwendige, aber zugleich hinreichende Wirksamkeitsbedingung, wenn sowohl der VerweisungstarifVertrag als auch der übernommene Tarifvertrag jeweils in einer dem Schriftformgebot entsprechenden Weise errichtet sind.
aa) Kritik an der Notwendigkeit einer Anlagenbeifügung Der Auffassung, welche die Tarifvertragsparteien aus Gründen des Übereilungsschutzes zu einem Abschreiben oder einer Anheftung des Bezugsobjektes verpflichtet, ist der Telos des Schriftformzwangs entgegenzuhalten. Weil § 1 Abs. 2 TVG ausschließlich dem Klarstellungs- und Beweisinteresse dient, ergeben sich keine formellen Rechtmäßigkeitseinwände, wenn sowohl die Verweisungsanordnung als auch das Bezugstarifwerk in schriftlicher Form vorliegen. Klarheit über den Inhalt der Tarifbedingungen besteht bereits dann, wenn die im Anerkennungstarifvertrag niedergelegte Verweisungsklausel die in Bezug genommene Tarifregelung präzise konkretisiert. Ist die übergeleitete Verbandstarifordnung ebenfalls schriftlich abgefasst, können sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages und die an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten auch ohne urkundliche Zusammenfügung über den Regelungsgehalt der inkorporierten Tarifhormen informieren. Aus dem Verzicht auf eine urkundliche Verknüpfung resultieren keine inakzeptablen inhaltlichen Ungewissheiten. Im Hinblick auf die Klarstellungsfunktion ist es unerheblich, dass mangels urkundlicher Einheitlichkeit eine gesonderte Einsichtnahme in den Bezugstarifvertrag erfolgen muss." Dieser rein tatsächliche Vorgang ist zwar unter dem Aspekt hinreichender Publizität diskussionswürdig. Für die Wahrung des Schriftformgebotes genügt indes die eindeutige Bezeichnung des bezogenen Tarifvertrages, sodass für die Beteiligten keine vernünftigen Zweifel über die Identität des übernommenen Tarifabkommens entstehen können.
99
Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 54; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 52.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
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Etwas anderes ergibt sich nicht aus einem Vergleich des Kollektivvertragsrechts mit dem allgemeinen Vertragsrecht. Die zivilrechtlichen Grundsätze zu § 126 BGB können nicht schematisch auf das Tarifrecht übertragen werden. 100 Im Zivilrecht vermittelt die Schriftform regelmäßig einen Schutz vor Übereilung, der im Tarifrecht gerade keine Rolle spielt. Darüber hinaus ist der besondere Rechtscharakter des Tarifvertrages zu berücksichtigen. Trotz ihrer vertraglichen Herkunft beinhalten Tarifverträge Gesetze im materiellen Sinn. 101 Daher liegt es nahe, Kollektivverträge in formeller Hinsicht wie staatliche Gesetze zu behandeln. Die staatliche Gesetzgebung bedient sich der Verweisungstechnik, ohne den Text der übernommenen Regelung als Anlage beizufügen. 102 Es ist kein Grund ersichtlich, bei materiellen Gesetzen strengere Anforderungen zu stellen. 103 Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof unlängst in mehreren Urteilen zum Schriftformgebot des § 550 BGB 1 0 4 , welches vorrangig Klarstellungs- und Beweisftinktion erfüllt, 105 seine ursprünglich restriktive Interpretation des § 126
100
Baumann, RdA 1987, 270, 271; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, § 1 TVG AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, Rn. 12; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 47 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 52; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 230. 101 BVerfGvom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 341; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BAG vom 15.01.1955, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG vom 23.03. 1957, AP Nr. 16 zu Art. 3 GG; BAG vom 14.07.1961, AP Nr. 1 zu Art. 24 VerfNRW; BAG vom 09.02.1972, AP Nr. 1 zu § 4 BAT; BAG vom 14.06.1994, AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Übertragung; BVerwG vom 06.06.1958, BVerwGE 7, 82, 84 f.; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Blum/Ebeling,, Festschrift für Fenn, S. 85, 93; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 541; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 55; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 54; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 9; Zöllner, DVB1 1958, 124, 124 f.; kritisch Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 154. 102 Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 56 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 54 f.; vgl. zudem Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 137. 103 Herschel, BB 1963, 1220, 1223; ders., JZ 1967, 727, 734; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 56; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 54. 104 Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes ergingen noch unter Geltung des § 566 BGB a.F. 105 Voelskow, in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 566 BGB Rn. 4; vgl. auch BAG vom 24.09.1997, BGHZ 136, 357, 370; Weidenkaff, in Palandt,
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
BGB modifiziert. 106 Bei Verweisungen auf vertragliche Anlagen reicht es danach aus, wenn sich die Einheit mehrerer Vertragsurkunden zweifelsfrei aus dem Vertragswerk entnehmen lässt, ohne dass es einer körperlichen Zusammenfügung bedarf. Aus Anlass dieser Rechtsprechungsentwicklung verneint nunmehr auch Buchner die Notwendigkeit einer urkundlichen Verbindung von Verweisungs- und BezugstarifVertrag. 107 Letztlich spricht gegen die restriktive Auffassung im Schrifttum, dass sie unnötigerweise das tarifliche Rechtsetzungsverfahren erschwert und damit die regelungstechnischen Vorteile der statischen Verweisung negiert. 108 Eine vollinhaltliche Wiederholung beziehungsweise Anheftung des bezogenen Tarifwerkes stellt einen überflüssigen und sinnentleerten Formalismus dar, der keine Rechtfertigung aus der ratio legis des § 1 Abs. 2 TVG erfahrt.
bb) Kritik an der Auffassung Herschels Wenngleich die Argumentation Herschels bestechend einfach erscheint, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Willenserklärung der Tarifvertragsparteien bezieht sich nicht ausschließlich auf die Bezugnahmeanordnung. Vielmehr werden die fremden Tarifregelungen in den verweisenden Tarifvertrag inkorporiert und teilen daher die Rechtsnatur des Verweisungstarifvertrages. Sowohl die Verweisungsklausel als auch der Inhalt der übergeleiteten Tarifbedingungen werden somit von den Sozialpartnern in ihren Willen aufgenommen und sind Bestandteil ihrer tariflichen Willenserklärung. 109 Eine Gegenüberstellung von tarifvertraglicher Verweisung und Bürgschaftsvertrag führt nicht zu der von Herschel anvisierten Schlussfolgerung, denn § 550 BGB Rn. 1; einschränkend Emmerich, in Staudinger, § 566 BGB Rn. 2 f.; Jendrek, in Erman, § 566 BGB Rn. 2. 106 BGH vom 21.01.1999, NJW 1999, 1104, 1105; BGH vom 30.06.1999, BGHZ 142, 158, 163; vgl. auch OLG Köln vom 26.02.1999, NJW-RR 1999, 1313, 1313. In diese Richtung bereits BGH vom 24.09.1997, BGHZ 136, 357, 360 ff. 107 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 108. 108 Baumann, RdA 1987, 270, 271; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 157 (Fn. 23); Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Herschel, BB 1963, 1220, 1221 f.; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 116; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 58; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 55. 109 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 62 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 56; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. Ohne kritische Stellungnahme Iffland, DB 1964, 1737, 1737 f.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
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beide Vereinbarungen unterscheiden sich erheblich in ihren Rechtswirkungen. 110 Im Bürgschaftsrecht hat der Hinweis auf die Hauptschuld lediglich deklaratorischen Charakter, wohingegen der Verweisung eine konstitutive Wirkung zukommt. Zudem erfüllt die Bürgschaft lediglich eine Hilfsfunktion, was durch eine akzessorische Verknüpfung mit der Hauptschuld seinen Ausdruck findet. Im Gegensatz hierzu schaffen VerweisungstarifVerträge jeweils unabhängige Tarifordnungen, sodass von einem akzessorischen Rechtsverhältnis keine Rede sein kann.
cc) Schlussfolgerung Im Ergebnis ist daher der vermittelnden Auffassung des Bundesarbeitsgerichts m zuzustimmen. Sie gewährleistet eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 1 Abs. 2 TVG und berücksichtigt die praktischen Bedürfnisse der TarifVertragspartner. Formbedürftig ist die statische Verweisungsbestimmung. Bei ihrer Abfassung sind die Vertragschließenden gehalten, den bezogenen Tarifvertrag so genau zu bezeichnen, dass weder für sie noch für die Tarifunterworfenen Irrtümer und Zweifel über die Identität des Bezugsobjektes entstehen. Der Bezugstarifvertrag muss seinerseits in schriftlicher Form vorliegen. Es bedarf jedoch keiner Anheftung der übergeleiteten Tarifnormen an den VerweisungstarifVertrag.
110
Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 61 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 56 f. 111 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 2 zu § 35 BAT; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148. Dies entspricht auch der herrschenden Auffassung in der Literatur - vgl. Baumann, RdA 1987, 270, 271; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 119; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 157; Groß, BlStSozArbR 1965, 287, 287; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Koberski/Cläse n/Menzel, § 1 TVG Rn. 162; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 53 ff.; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 11; Schulin, ZfA 1981, 577, 581; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 57; Tophoven, Anm. zu BAG vom 30.05.1958, AP Nr. 8 zu § 9 TVG; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 230 und 237. Siehe jetzt auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 107 f. Vgl. auch BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu § 77 BetrVG 1972.
122
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
3. Ergebnis Zur Wahrung des Formgebotes sind die Parteien des Anerkennungstarifvertrages folglich nicht verpflichtet, eine körperliche Verbindung zwischen dem verweisenden und bezogenen Tarifabkommen herzustellen.
II. Normenbestimmtheit Im Verhältnis zum Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG kommt der Problematik der Normenbestimmtheit eigenständige rechtliche Bedeutung zu, wobei beide Problemkreise nicht losgelöst voneinander beurteilt werden können. Bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen haben die Tarifvertragsparteien die Prinzipien rechtsstaatlicher Normgebung zu beachten.112 Dies ist Folge der Einordnung tariflicher Normen als Gesetze im materiellen Sinn. 113 Obwohl die Verweisungsanordnung selbst keinen normativen Rechtscharakter
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BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Blomeyer, ZfA 1980, 1, 68; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 405 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 316 und 571; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 201; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 259 Rn. 70; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Mayer-Maly, Festschrift fur Wolf, S. 473, 480; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 79; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5; Oppermann, Die Kontrolle von TarifVertragsregelungen, S. 163; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 69; Sandmann, RdA 2002, 73, 75 f.; Scholz, Festschrift ftir Müller, S. 509, 527; Wiedemann,, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, Einleitung Rn. 341; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6. Anders aber nicht überzeugend Clemens, AöR 111 (1986), 63, 117. 113 BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 341; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BAG vom 15.01.1955, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG vom 23.03.1957, AP Nr. 16 zu Art. 3 GG; BAG vom 14.07.1961, AP Nr. 1 zu Art. 24 VerfNRW; BAG vom 09.02.1972, AP Nr. 1 zu § 4 BAT; BAG vom 14.06.1994, AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Übertragung; BVerwG vom 06.06.1958, BVerwGE 7, 82, 84; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Blum/Ebeling,, Festschrift ftir Fenn, S. 85, 93; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 541; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 55; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; Reinermann,, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 54 und 69; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 341 und § 1 TVG Rn. 9; Zöllner, DVB1 1958, 124, 124 f.; siehe auch Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 120.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
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trägt, finden die rechtsstaatlichen Vorgaben sinngemäße Anwendung, weil sich die Inkorporationswirkungen auf normative TarifVorschriften beziehen.114 Ein Element der Rechtsstaatsmaxime bildet das Gebot hinreichender Normenbestimmtheit und -klarheit. Die Sozialpartner müssen die TarifVorschriften derart präzise formulieren, dass die Adressaten den Regelungsgehalt eindeutig bestimmen und ihr Verhalten darauf einrichten können. 115 Das Bestimmtheitserfordernis dient dem Schutz der Tarifunterworfenen - hier also der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten. Zu Gunsten der Arbeitnehmer bedarf es klar gefasster Vorschriften, damit sie sich ein eigenes Bild von der tariflichen Rechtslage machen können. Dass der anerkennende Arbeitgeber als Normunterworfener gleichzeitig Vertragspartei ist, lässt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit nicht entfallen. 116 Für den Arbeitgeber erlangt das Bestimmtheitspostulat bei dynamischen Bezugnahmen entscheidendes Gewicht, da er Modifikationen des Bezugnahmeobjektes nur dann im eigenen Unternehmen anwenden kann, wenn er deren inhaltliche Tragweite feststellen kann. 117 Angesichts der mit der Bestimmtheit einhergehenden Verbesserung der Rechtssicherheit 118 liegt die Normenbestimmtheit aber auch bei statischen Verweisungen im Interesse des Arbeitgebers.
114
Siehe dazu oben § 4 F. BVerfG vom 03.02.1959, BVerfGE 9, 137, 147; BVerfG vom 08.01.1981, BVerfGE 56, 1, 12; BVerfG vom 03.11.1982, BVerfGE 62, 169, 183; BVerfG vom 18.05.1988, BVerfGE 78, 205, 212; BVerfG vom 27.11.1990, BVerfGE 83, 130, 145; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 149; BVerfG vom 17.11.1992, BVerfGE 87, 234, 263; BVerwG vom 21.12.1995, BVerwGE 100, 30, 36; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 61 ff.; Sachs, in Sachs, Art. 20 GG Rn. 126; SchulzeFielitz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 117. Für das Tarifrecht - vgl. BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Blomeyer, ZfA 1980, 1, 68; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 571; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378 und 382; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75 und 79; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 69; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 341. 116 Auch Braun, BB 1986, 1428, 1428 sieht keinen Anlass fur eine Sonderbewertung des Firmentarifvertrages. 117 Dazu unten §6 A l l . 118 Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 61 ff.; Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 117. Für das Tarifrecht - vgl. BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Zachert, Anm. zu BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR. 1,5
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Der dogmatische Gehalt der Bestimmtheitsmaxime darf indes nicht übersind dehnt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechtsnormen so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. 119 Bezogen auf die Problemstellung der Verweisung fordert das Gericht allgemein, dass die Adressaten ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse die in Bezug genommenen Regelungen und deren Inhalt mit hinreichender Sicherheit feststellen können. 120 Diese Aussagen lassen sich auch für das Tarifrecht fruchtbar machen. Nicht erforderlich ist demnach, dass jeder Normunterworfene eine feststehend bestimmte Iniialtskenntnis hat. Ausreichend ist vielmehr die abstrakte Bestimmbarkeit des Normengehalts. 121 Sie ist zugleich Basis für die Justiziabilität der tariflichen Vorschriften. Zwar führt jede Verweisung zu einer Einbuße an Übersichtlichkeit und Klarheit. Dennoch verstößt eine statisch wirkende Bezugnahmevereinbarung nicht gegen das Gebot hinreichender Bestimmbarkeit. 122 Begünstigt durch die schriftliche Existenz sowohl des verweisenden als auch des bezogenen Tarifvertrages sind die geltenden Tarifbedingungen bestimm- und berechenbar. An dieser Stelle entfaltet das Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG seine Wirkung. Ist der Verweisungsklausel zweifelsfrei zu entnehmen, welches konkrete Verbandstarifwerk mit welcher inhaltlichen Reichweite in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert werden soll, treten weder auf Seiten der tarifgebundenen Arbeitnehmer noch zu Lasten des ohnehin am Tarifabschluss beteiligten Arbeitgebers rechtsstaatswidrige Unklarheiten auf. 119
BVerfG vom 26.09.1978, BVerfGE 49, 168, 181; BVerfG vom 08.01.1981, BVerfGE 56, 1, 13; BVerfG vom 24.11.1981, BVerfGE 59, 104, 114; BVerfG vom 09.08.1995, BVerfGE 93, 213, 238; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 62; Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 117. 120 BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 35; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 83 f.; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 64; Schnapp, in von Münch/Kunig, Art. 20 GG Rn. 29; Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 131. 121 BVerfG vom 03.02.1959, BVerfGE 9, 137, 147; BVerfG vom 26.09.1978, BVerfGE 49, 168, 181; BVerfG vom 08.01.1981, BVerfGE 56, 1, 12; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 62. Für das Tarifrecht - vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 102; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 119; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 69; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6. 122 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 52 f.
§
Inhaltlich
aische Verweisung
125
III. Publizität Wesentliche Voraussetzung rechtsstaatlicher Normenlegitimation ist die Gewährleistung hinreichender Publizität der geltenden Regelungsinhalte.123 Aufgrund der Bindung an das Rechtsstaatsprinzip sind die Tarifvertragsparteien verpflichtet, den Regelungsadressaten die gesetzten Tarifhormen zugänglich zu machen. 124 Mit Ausnahme der hier nicht in Rede stehenden öffentlichen Bekanntgabe einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung enthält das TarifVertragsgesetz keinen allgemeinen Verkündungszwang, wie ihn Art. 82 GG für staatliche Gesetze vorschreibt. Da sich die maßgebenden Regelungsgehalte erst aus einer Gesamtschau der Vorgaben des Anerkennungstarifvertrages und des in Bezug genommenen FlächentarifVertrages erschließen, stellt sich die Frage, welchen besonderen Pflichten die verweisenden Sozialpartner im Rahmen des Bekanntmachungsverfahrens unterliegen. Ob sich zu Gunsten der Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages eine ausreichende Zugänglichkeit sicherstellen lässt, ist Gegenstand einer Kontroverse.
123 BVerfG vom 28.10.1975, BVerfGE 40, 237, 255; BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 311; BVerfG vom 22.11.1983, BVerfGE 65, 283, 290 f.; BVerfG vom 22.02.1994, BVerfGE 90, 60, 85; BVerwG vom 29.08.1961, NJW 1962, 506, 506; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 66; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 405; Sommermann, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 3 GG Rn. 292. Für das Tarifrecht vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 407 und 1290 ff.; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 1 ; Koberski/Clasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 1; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 4 und § 8 TVG Rn. 1; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 96 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5 und § 8 TVG Rn. 2; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 64 f. und 67; Zöllner, DVB1 1958, 124, 124. 124 BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350; BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost; BAG vom 28.03.1990, AP Nr. 25 zu § 5 TVG; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1 ; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120 und 407; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 518; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Kempen/Zachert, § 6 TVG Rn. 4 und § 8 TVG Rn. 1; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 4; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 72 und 75; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 395; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 67; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Zöllner, DVB1 1958, 124, 126.
126
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
1. Streitstand a) Verstoß gegen die Publikationspflicht Nach Auffassung eines Teils der Rechtslehre kann die Zugänglichkeit des vollständigen Normeninhalts bei tarifvertraglichen Verweisungen nicht garantiert werden. 125 Gröbing vertritt die Ansicht, dass die Auslagepflicht im Sinne des § 8 TVG die erforderliche Bekanntgabe des Normeninhalts nicht ersetzen könne. 126 Mangels Effektivität sei auch die Hinterlegung der Tarifabkommen beim Tarifregister keine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Informationsquelle. Da die Bekanntmachung Aufgabe der Tarifparteien selbst sei, reiche weder die Registrierung noch die Auslage der Tarifverträge durch von den Tarifpartnern unabhängige Personen oder Institutionen aus.
b) Kein Verstoß gegen die Publikationspflicht Dagegen äußert das Bundesarbeitsgericht 127 in Einklang mit dem überwiegenden Schrifttum 128 keine Bedenken im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gebot der Publizität. Im Urteil vom 10.11.1982, welches sich mit einer dynamischen Verweisung befasst, beruft sich das Bundesarbeitsgericht in erster Linie darauf, dass die Auslage sowohl des verweisenden als auch des bezogenen Tarifvertrages die Zugänglichkeit in angemessener Weise gewährleiste. 129 Angesichts der ergänzenden Publikationswirkung des Tarifregisters und der verbandsrechtlichen Informationsmöglichkeiten könne nicht von einer Verletzung rechtsstaatlicher Vorgaben gesprochen werden. Eine gesonderte formelle Verkündung von Tarifnormen sei nicht erforderlich. 125
Gröbing, ArbuR 1982, 116, 119; siehe auch Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 120 f.; Mayer-Maly, Festschrift fur Wolf, S. 473, 478 und 480. 126 Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118. 127 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost. 128 Baumann, RdA 1987, 270, 272; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88 f.; Mangen, RdA 1982, 229, 237; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektiwerträgen, S. 97 ff.; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 69; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 129 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form.
§ 5 Inhaltlich statische Verweisung
127
2. Stellungnahme Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt das Rechtsstaatsgebot die Normgeber nicht auf eine konkrete Form der Bekanntgabe fest. 130 Die Verkündung von Rechtsnormen ist keinesfalls das einzig denkbare Verfahren zur Unterrichtung der Normunterworfenen. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt lediglich, dass den Adressaten die Möglichkeit eingeräumt wird, sich in zumutbarer Weise verlässliche Kenntnis vom Inhalt einer Regelung zu verschaffen. 131 Argumentum a maiore ad minus können keine anderen Grundsätze fur normativ wirkende Vereinbarungen Privater gelten. 132 Dass weder eine Verkündung des verweisenden noch des bezogenen Tarifvertrages stattfindet, steht der Gültigkeit tariflicher Verweisungen im Grundsatz nicht entgegen. Es bleibt daher zu klären, ob im Tarifrecht ausreichende anderweitige Bekanntgabeinstrumentarien existieren, die Gelegenheit zur inhaltlichen Kenntnisnahme geben.
a) Tarifliches
Publikationsinstrumentarium
Gemäß § 8 TVG hat der Arbeitgeber die maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen. Begünstigt durch die Auslageverpflichtung können sich die normunterworfenen Arbeitnehmer über die geltenden Tarifbedingungen informieren. Weitere Informationsquelle für die Normadres-
130 BVerfG vom 22.11.1983, BVerfGE 65, 283, 291; BVerfG vom 22.02.1994, BVerfGE 90, 60, 85. 131 BVerfG vom 30.05.1956, BVerfGE 5, 25, 31; BVerfG vom 02.04.1963, BVerfGE 16, 6, 17; BVerfG vom 15.07.1969, BVerfGE 26, 338, 367; BVerfG vom 28.10.1975, BVerfGE 40, 237, 252 f. und 255; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350; BVerfG vom 22.11.1983, BVerfGE 65, 283, 291; BVerfG vom 22.02.1994, BVerfGE 90, 60, 85; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 GG Rn. 66; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 406; Schulze- Fie litz, in Dreier, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 189. Für das Tarifrecht vgl. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88 f.; Mangen, RdA 1982, 229, 237; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 65; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125 f. 132 Vgl. Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5. Siehe auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Baurhann, RdA 1987, 270, 272; Beck, ZTR 2000, 15, 16; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 100 ff.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 4 und 7; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 100; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125 f.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
säten ist das Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.133 Zwar besteht kein Anspruch auf Zusendung einer Abschrift des jeweils gültigen Tarifvertrages, da sich die Auskünfte nach § 16 Satz 2 DVO TVG nur auf die Eintragungen im Sinne des § 6 TVG beziehen. Gemäß § 16 Satz 1 DVO TVG umfasst das Einsichtsrecht vor Ort jedoch auch die Durchsicht der Tarifinhalte selbst. 134 Neben den im TarifVertragsgesetz geregelten Dokumentationsvorschriften erlangt der Informationsanspruch der Normunterworfenen gegenüber ihrem eigenen Sozialverband besondere Bedeutung.135 Aus dem Mitgliedschaftsverhältnis resultiert die Befugnis der Normadressaten, von der jeweiligen Koalition eine Abschrift des gültigen Tarifvertrages notfalls gegen Erstattung der Selbstkosten zu verlangen. Aufgrund des Zusammenspiels der beschriebenen Publikationsinstrumentarien ist grundsätzlich eine ausreichende Zugänglichkeit gewährleistet, weil sich die tarifliche Normgebung nur am unverzichtbaren Kern des rechtsstaatlichen hat Publizitätsgebotes messen lassen muss. Das Bundesverfassungsgericht diesen Kernbereich bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Allgemeinverbindlicherklärung vorgezeichnet. 136 Zwar charakterisiert das Bundesverfas-
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Darüber hinaus bestehen verbandsinterne Tarifregister, die den jeweiligen Mitgliedern eine Zugänglichkeit des Tarifvertragsinhaltes ermöglichen - siehe hierzu Kempen/Zachert, § 6 TVG Rn. 2; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 6. Werden zudem Tarifregister bei den obersten Arbeitsbehörden der Länder geführt, so existiert eine weitere zugängliche Informationsquelle - siehe dazu Diller, FA 1999, 43, 44 f.; Koberski/Clasen/Menzel, § 6 TVG Rn. 8; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 11; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 15; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 7. 134 Beck, ZTR 2000, 15, 15; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1292; Diller, FA 1999, 43, 44; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 518 f.; Lindena, DB 1988, 1114, 1117; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 6 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 21; Lund, DB 1989, 626, 628; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 98; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 23 ff; Schelp, Β ABl 1964, 212, 213. 135 BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 351; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 28.03.1990, AP Nr. 25 zu § 5 TVG; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1292; Diller, FA 1999, 43, 43 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Lindena, DB 1988, 1114, 1116; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 1 und 8; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 99; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68; Zöllner, DVB1 1958, 124, 126; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 119. 136 BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350 f.; BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG. Vgl. zudem BAG vom 28.03.1990, AP Nr. 25 zu § 5 TVG; siehe auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1274; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 518; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Kempen/Zachert, § 6 TVG Rn. 4; Lindena, DB 1988, 1114, 1116; Löwisch/Rieble, § 6
§
Inhaltlich
aische Verweisung
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sungsgericht das tarifrechtliche Publikationssystem als wenig befriedigend. Dennoch verneint es explizit einen Verstoß gegen die Maxime der Rechtsstaatlichkeit. Die im TarifVertragsgesetz vorgesehenen Bekanntgabepflichten werden rechtsstaatlichen Anforderungen noch gerecht, da eine abstrakte Zugänglichkeit gewährleistet ist. 137
b) Publikation des Inhalts des Anerkennungstarifvertrages Konsequenterweise hat das Bundesarbeitsgericht diese verfassungsgerichtliche Argumentation auf tarifvertragliche Verweisungen übertragen. 138 Ungeachtet denkbarer praktischer Schwierigkeiten bei der Beschaffung der maßgebenden Tarifverträge ist ein Zustand mangelnder Publizität nicht zu besorgen. 139 Auf Seiten des anerkennenden Arbeitgebers ist die Publizität bei statischen Verweisungen ohnehin kaum problematisch. Als TarifVertragspartei hat er bereits infolge der Tarifverhandlungen Zugang sowohl zur verweisenden als auch zur bezogenen TarifVereinbarung. Die an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer sind in der Lage, sich anhand der gemäß § 8 TVG auszulegenden Tarifverträge zu informieren. Zwar handelt es sich nach herrschender Auffassung bei der Auslageverpflichtung lediglich um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift, 140 sodass auf TVG Rn. 4; Mangen,, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68. 137 Die Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes sind zugleich Mindestbedingungen zur Gewährleistung rechtsstaatlicher Publizität - vgl. dazu Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5. Weitere Beschränkungen der Zugänglichkeit, wie sie Beck, ZTR 2000, 15, 17 f. neuerdings vorschlägt, sind insoweit bedenklich. 138 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost. 139 An dieser Stelle sollen die einzelnen, sich aus der Anwendung der §§6 ff. TVG ergebenden Verpflichtungen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages nicht näher analysiert werden. Siehe dazu in einem eigenen Abschnitt unten § 8 Β und § 8 C. 140 Ä4G vom 08.01.1970, AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; BAG vom 30.09.1970, AP Nr. 2 zu § 70 BAT; BAG vom 06.07.1972, AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969; BAG vom 15.10.1985, AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Baumann, RdA 1987, 270, 272; Braun,, BB 1986, 1428, 1429; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1111; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 7 TVG Rn. 2; Koberski/Clasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 13; Lindena, DB 1988, 1114, 1115; Mangen,, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Preis, Grundlagen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 395; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 64; Schatter, RdA 1952, 468, 468; Wiedemann/Stumpf §8 TVG Rn. 2; Wieland,, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 222; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. Kritisch: Dockhorn,, ArbuR 1953, 150, 151; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 520 f.; Her-
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
diesem Weg eine Kenntnisnahme nicht garantiert werden kann. Jedoch sind die daraus resultierenden Befürchtungen für den Anerkennungstarifvertrag zu relativieren. Die Auslageverpflichtung zählt zu den Durchführungspflichten des Firmentarifvertrages mit der Konsequenz, dass die Gewerkschaft unmittelbar gegen den anerkennenden Arbeitgeber auf Erfüllung der Auslagepflicht klagen kann. 141 Daher hat Zöllner zu Recht daraufhingewiesen, dass die Bekanntgabe nach § 8 TVG bei FirmentarifVereinbarungen eine geeignete Publikationsform darstellt. 142 Verbleibende Publizitätsdefizite werden durch das Auskunfts- und Einsichtsrecht beim Tarifregister sowie den mitgliedschaftlichen Informationsanspruch gegenüber der Gewerkschaft kompensiert. Insbesondere die Unterrichtung durch die tarifvertragschließende Arbeitnehmerkoalition ist ein effizientes Verfahren zur Kenntnisverschaffung. Bereitwillig werden die Gewerkschaften im eigenen Interesse den Anfragen ihrer Mitglieder über den Inhalt des verweisenden und des bezogenen Tarifvertrages nachkommen.143 Dass die Arbeitnehmer selbst aktiv werden müssen, um Kenntnis vom Normeninhalt zu erlangen, ist aus rechtsstaatlicher Sicht zumutbar. 144 Die sich gegenseitig ergänzenden Be-
schel, Anm. zu BAG vom 06.07.1972, AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 4; Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 428 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 08.01.1970, AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; Löwisch/Rieble, § 8 TVG Rn. 10; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 8; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 16 (Fn. 33); Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 3 (Fn. 3). 141 Dockhorn, ArbuR 1953, 150, 151; Lindena, DB 1988, 1114, 1116; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1110 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 125 und § 7 TVG Rn. 1; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 9; Koberski/Cläse n/Menzel, § 8 TVG Rn. 4; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 13; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 222; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118 (Fn. 36). 142 Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. 143 Braun, BB 1986, 1428, 1429; Diller, FA 1999, 43, 43 f.; Fenski, BB 1987, 2293, 2297; Lindena, DB 1988, 1114, 1116; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 99; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68; Schelp, Β ABl 1964, 212, 213; Zöllner, DVB1 1958, 124, 126; einschränkend Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 433. Eine Informationspflicht der Gewerkschaft gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern ergibt sich nicht nur aus dem Mitgliedschaftsverhältnis. Die Gewerkschaft ist daneben aus der allgemeinen Durchführungspflicht auch dem tarifvertragschließenden Arbeitgeber zur Unterrichtung der betroffenen Beschäftigten verpflichtet - BAG vom 29.04.1992, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 519. 144 BAG vom 06.07.1972, AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969; Koberski/Clasen/Menzel, §8 TVG Rn. 10; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 1; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Das Erfordernis der „Eigenaktivität" gilt selbst im Falle individualarbeitsvertraglicher Verweisungen - vgl. BAG vom 05.11.1963, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; siehe auch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 395.
§
Inhaltlich
aische Verweisung
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kanntmachungsformen sichern der Arbeitnehmerschaft also bei Verweisungen eine ausreichende Inhaltskenntnis. Es ist daher auch kein Grund ersichtlich, zu Gunsten der tarifgebundenen Arbeitnehmer weiterreichende Publizitätsanforderungen im Wege einer analogen Anwendung des § 305 Abs. 2 BGB zu statuieren. 145 Im Falle individualarbeitsvertraglicher Bezugnahmen auf nicht unmittelbar geltende TarifVertragsregelungen muss den Außenseiterarbeitnehmern ebenfalls eine effiziente Informationsquelle zur Verfugung stehen. Insoweit wird erwogen, die Wertungen des § 305 Abs. 2 BGB auf die individualarbeitsvertragliche Verweisungskonstellation zu übertragen. 146 Für tarifVertragliche Verweisungen existiert aber schon mangels Regelungslücke keine Analogiegrundlage. Denn das Bekanntmachungssystem des Tarifvertragsgesetzes gewährleistet in verfassungsgemäßer Weise die Informationsbeschaflfung, indem es den Arbeitgeber bereits nach § 8 TVG zur Auslage der maßgebenden Tarifbedingungen verpflichtet. 147 Darüber hinaus widerspricht die Wirkungsweise tariflicher Bezugnahmen einem Rückgriff auf die Regeln über allgemeine Geschäftsbedingungen. Ist die Heranziehung der Grundsätze des § 305 Abs. 2 BGB im Rahmen individualarbeitsvertraglicher Verweisungen erwägenswert, so scheidet hier eine Vergleichbarkeit der Interessenlage in Anbetracht des Normencharakters der Tarifvertragsbestimmungen aus. 148 Der tarifunterworfene Arbeitnehmer ist nicht kraft eigener vertraglicher Willenserklärung an die tariflichen Vorschriften gebunden. Ihm gegenüber findet gerade keine „einseitige Verwendung" der Tarifhormen durch den Arbeitgeber statt. 149
145 Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 434 f.; vgl. auch Hanau/Kania, Festschrift fur Schaub, S. 239, 243 f.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 87 ff.; siehe zudem Fenski, BB 1987, 2293, 2296. 146 Löwisch/Rieble, §8 TVG Rn. 4; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 3; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 394 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1728; vgl. auch Hanau/Kania, Festschrift ftir Schaub, S. 239, 243 f.; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 87 ff. Konsequenz dieser Betrachtung wäre eine weitgehende Unzulässigkeit „dynamischer" Verweisungen. Ist nämlich eine Kenntnisnahmemöglichkeit vor Vertragsschluss konstitutives Merkmal fur eine Einbeziehung als Vertragsinhalt, scheidet eine Bezugnahme auf zukünftige, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Tarifregelungen aus. 147 Zuzustimmen ist Koch, Festschrift fur Schaub, S. 421, 434, der auf den entscheidenden Unterschied zwischen § 8 TVG und der Regelung des § 305 Abs. 2 BGB verweist. Der § 305 Abs. 2 BGB schützt die Abschlussfreiheit, wohingegen § 8 TVG unabhängig vom vorausgehenden Vertragsschluss allein der ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung dient. Vgl. auch Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1728. 148 Das betont auch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 394. 149 Darauf weisen Hanau/Kania, Festschrift für Schaub, S. 239, 244; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 93; Koch, Festschrift für Schaub, S. 421,
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Vielmehr ist Vertragspartner des Unternehmers die Gewerkschaft, für die es eines Schutzes nach § 3Û5 Abs. 2 BGB nicht bedarf. Festzuhalten bleibt, dass rechtsstaatliche Einwände gegenüber statischen Verweisungen unberechtigt sind. Es entspricht der Intention des Gesetzgebers keinen allgemeinen Verkündungszwang für Tarifverträge zu statuieren. 150 Im Gegensatz zur staatlichen Gesetzgebung bedarf es schon deswegen keines besonderen Verkündungsverfahrens, weil zwischen formellen Gesetzen und normativen Tarifabreden wesentliche Unterschiede bestehen, die eine großzügigere Bewertung der tarifVertraglichen Publizitätsanforderungen erlauben. 151 Abgesehen vom vertraglichen Ursprung der tariflichen Rechtsetzung liegt die Besonderheit darin, dass die Geltung von Tarifhormen am Mitgliedschaftsstatus in einem Sozialverband anknüpft. Als zusätzliche Legitimationsbasis ist das Mitgliedschaftsverhältnis gleichzeitig Grundlage für eine effektive Form der Kenntnisverschaffung, deren Qualität bei der staatlichen Normgebung nur durch einen strengen Verkündungszwang erreicht werden kann. Bei einem Firmentarifvertrag wird die Rückkopplung zur Mitgliedschaft zumindest auf Arbeitnehmerseite relevant. Aber auch für den einzelnen Arbeitgeber unterscheidet sich die tarifliche Normunterworfenheit nachhaltig von der Bindung an staatliche Gesetze, da er selbst als Vertragspartei an der Rechtsetzung beteiligt ist und daher auf ein förmliches Verkündungsverfahren nicht angewiesen ist. Es existiert im Tarifrecht auch kein rechtsstaatliches Gebot, dass die Bekanntgabe durch die Normgeber selbst erfolgen muss. 152 Dieser Vorwurf relati434 (Fn. 59) bereits im Hinblick auf individualarbeitsvertragliche Bezugnahmeanordnungen hin. ]S 0 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Baumann,, RdA 1987, 270, 272; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1294; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Mangen,, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 100; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 242; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125 f. Lindena, DB 1988, 1114, 1117 bezeichnet die abgestufte Publizität als bewusste Konsequenz aus der gewollten Zurückhaltung des Staates im Bereich tarifautonomer Vertragsgestaltung. 151 Die Unterschiede betonen Baumann, RdA 1987, 270, 271; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 100; Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 430; Lindena, DB 1988, 1114, 1114; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 72; vgl. zudem Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. Auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118 gesteht ein, dass „das formelle rechtsstaatliche Postulat ordnungsgemäßer Verkündung bei Tarifverträgen nicht überspannt werden darf." 152 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar einen derartigen "Grundsatz" bei dynamischen Verweisungen staatlicher Gesetzgeber anerkannt - BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 315. Dies ist aber auf die spezifische Problematik des zu Grunde liegenden Falles einer Blankettverweisung des Bundesgesetzgebers auf eine Landesregelung zurückzuführen. Hier war nicht gewährleistet, dass die Verkündung der bezöge-
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viert sich zum einen bei Anerkennungstarifverträgen schon insoweit, als der an der Schaffung der Tarifnormen beteiligte Arbeitgeber selbst maßgeblich zur Publikation der Tarifinhalte beiträgt. 153 Zum anderen verkennt die Gegenansicht, dass das Rechtsstaatsprinzip lediglich die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme einfordert, ohne sich dabei auf einen bestimmten Personenkreis der Bekanntgabeverpflichteten festzulegen. Letztlich verdeutlicht ein Blick in die staatsrechtliche Diskussion, dass die Zulässigkeit der Verweisung nicht an Publizitätseinwänden scheitert. Auch bei staatlichen Bezugnahmeanordnungen ist es grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung, dass die bezogenen Regelungen zusammen mit der Verweisungsvorschrift verkündet werden. 154 Angesichts der geringen Publizitätsanforderungen an den staatlichen Gesetzgeber können für tarifliche Bezugnahmen keine strengeren Maßstäbe gelten.
TV. Grenzen der Tarifautonomie Der Normsetzung kraft Verweisung wird vorgeworfen, dass sie die Grenzen tarifautonomer Rechtsetzungsmacht überschreitet. 155 Um zur Berechtigung dieses Einwands Stellung zu nehmen, ist es zunächst notwendig, die Legitimationsgrundlage tariflicher Normgebung herauszuarbeiten.
nen Landesregelung in den entsprechenden Verkündungsblättern des Landes eine Kenntnisnahme im gesamten Bundesgebiet ermöglicht. Im Tarifrecht spielen diese Erwägungen jedoch keine Rolle. Vgl. auch Baumann, RdA 1987, 270, 272. 153 Diese Besonderheit des Firmentarifvertrages erkennt auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118 (Fn. 36) an. Siehe dazu Braun, BB 1986, 1428, 1429 (Fn. 25); Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. 154 BVerfG vom 30.05.1956, BVerfGE 5, 25, 31; BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 302; BVerfG vom 15.07.1969, BVerfGE 26, 338, 367; BVerwG vom 29.08.1961, NJW 1962, 506, 506; Bauer, in Dreier, Art. 82 GG Rn. 18; Baumann, RdA 1987, 270, 272; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 142 ff.; Mangen, RdA 1982, 229, 237; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 405 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68 f.; siehe aber auch für den bundesstaatlichen Gesetzgeber BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 315 f. 155 Siehe dazu BAG vom 27.07.1956, AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG vom 30.05.1958, AP Nr. 8 zu § 9 TVG; BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung - wobei zu beachten ist, dass der höchstrichterliche Vorwurf einer Überschreitung der tariflichen Rechtsetzungsmacht im Kontext dynamischer Verweisungen erhoben worden ist.
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1. Ableitung der tariflichen Normsetzungsbefugnis Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sind die Sozialpartner dazu berufen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fordern. In den Schutzbereich der Grundrechtsverankerung fallt neben der individuellen Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers oder Arbeitnehmers die kollektive Grundrechtsfreiheit der Koalitionen. 156 Das positive Kollektivgrundrecht begründet zunächst die Garantie, Koalitionen frei zu bilden und schützt diese in ihrem Bestand. 157 Da die Koalitionsbildungsgarantie keinem Selbstzweck dient, umfasst Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG fortführend die Gewährleistung einer koalitionsspezifischen Betätigung. 158 Wejche Betätigungsbefiignisse im Einzelnen grundrechtlich erfasst werden, kann an dieser Stelle keiner vertieften Betrachtung unterzogen werden. Einigkeit besteht zumindest darüber, dass zur kollektiven Betätigungsgarantie die Berechtigung zählt, Tarifverträge abzuschließen.159 156
Zum so genannten „DoppelCharakter" des Grundrechts - vgl. BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 393; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 70; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 31; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 88; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 128; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 12; dies., in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 9; Oetker, RdA 1999, 96, 97 f.; Schubert, RdA 2001, 199, 203 und 205; kritisch Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 170 und 240; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. l 19 f. 157 BVerfG vom 18.10.1961, BVerfGE 13, 174, 175; BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 102; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 12; dies., in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 9 und § 246 Rn. 5 ff.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 33; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 21; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 88 ff.; siehe zudem Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117. 158 BVerfG vom 14.04.1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 30.11.1965, BVerfGE 19, 303, 312; BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 319 f.; BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 246; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 393; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 128; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 12; dies., in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 9 und § 246 Rn. 44 ff; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 33; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 21; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 91 ; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117. 159 BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 30.11.1965, BVerfGE 19, 303, 313; BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 317; BVerfG ν om 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 28.04.1976, BVerfGE 42, 133, 138; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 23; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 246; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224 f.; BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 393; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 ff.; Däubler, Tarifvertragsrecht,
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Diese Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG entspringende Tarifautonomie verfolgt den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, das Arbeitsleben in dem von der staatlichen Rechtsetzung freigelassenen Raum durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen. 160 Der Gesetzgeber hat durch die Schaffung des Tarifvertragsgesetzes die tarifliche Regelungsbefugnis der Sozialpartner konkretisiert. 161 Gemäß § 1 Abs. 1, 2. HS TVG sind die Tarifpartner ermächtigt, Rechtsnormen mit verbindlicher Wirkung gegenüber dem nach § 3 Abs. 1 und 2 TVG normunterworfenen Personenkreis zu setzen. Der Mandatierung der Koalitionen mit Rechtsnormzuständigkeit liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die Sozialpartner aufgrund ihrer Sachnähe besser geeignet sind, das Arbeits- und Wirtschaftsleben sinnvoll zu gestalten.162 Die einem besonderen Formenzwang unterliegende staatliche Gesetzgebung ist nicht effizient in der Lage, kurzfristig auf die Vielfalt arbeits- und wirtschaftsrechtlicher Fragen zu reagieren. Im Gegensatz hierzu ermöglicht der von den Koalitionen ausgehandelte tarifvertragliche Sozialausgleich sowohl der Arbeitnehmer- als auch der Arbeitgeberseite gerecht werdende Tariflösungen. Aus diesem Grund genießen die Tarifvertragsparteien bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen weitreichende Autonomie und bestimmen frei, in welcher Rn. 15; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 128; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 16; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 50; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 33; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 25; Schubert, RdA 2001, 199, 202; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 92; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117. 160 BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 317; BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304 f.; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 246; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Badura, RdA 1999, 8, 11 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 15; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 56 ff.; Oetker, ZG 1998, 155, 157; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 76; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 25 und 44; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 92 und 127; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117. 161 BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 341; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105; Gröbing, ArbuR 1961, 334, 337; Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 182 f.; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 18 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 52 f.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 102; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 529 f.; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 539 f. Um den Umfang der tariflichen Normsetzungsbefugnis zu bestimmen, sind neben dem Tarifvertragsgesetz sonstige einfachgesetzliche Bestimmungen ergänzend zu beachten vgl. Oetker, ZG 1998, 155, 165. 162 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Das BVerfG vom 27.02.1973, BVerfGE 34, 307, 317; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 340; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367 betont in diesem Kontext, dass der Staat die regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrages den Koalitionen überlassen hat und seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung weit zurückgenommen hat.
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Form und mit welchem Inhalt die widerstrebenden Interessen der Normadressaten ausgeglichen werden. Aufgrund des eng mit dem Arbeitsprozess verbundenen Wirkungsbereichs spricht eine Vermutung für die Sachgerechtigkeit des von den Sozialpartnern erzielten Tarifkompromisses. 163
2. Grundsatz der Tarifnormverantwortung Andererseits wird die Tarifautonomie nicht grenzenlos gewährleistet. Die grundrechtliche Absicherung tarifautonomer Gestaltungsfreiheit reicht nur soweit, als sie vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG umfasst ist. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG statuiert keine rechtsverbindliche Pflicht zum Abschluss von Tarifverträgen. 164 Üben die Sozialpartner allerdings die von Verfassungs wegen eingeräumte und durch das Tarifvertragsgesetz konkretisierte Regelungsmacht aus, so sind sie im Interesse der Normadressaten zu einer eigenverantwortlichen Ausübung der tariflichen Gestaltungsbefiignis angehalten. 165 Der Grundsatz der Tarifhormverantwortung ist das notwendige Korrelat ì63 BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12zu§ 15 AZO; BAG vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 15.03.1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu §611 BGB Ausbildungsbeihilfe; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 284; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 88; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 4 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 4; Dieterich, in ErfKom, Einl. GG Rn. 47 f. und Art. 2 GG Rn. 35; Stein,, Tarifvertragsrecht, Rn. 387; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 216 ff. Grundlegende Voraussetzung für eine „Richtigkeitsgewähr" ist allerdings, dass zwischen den tarifvertragschließenden Sozialpartnern ein paritätisches Kräftegleichgewicht besteht. 164 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 16 ff. und 96; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 125; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 10; Otto, RdA 1984, 261, 265; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6. 165 BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 25 und 43 ff.; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 94; Gröbing,, ArbuR 1982, 116, 117; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, J 231; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts II/l, S. 454; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 126; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 11 ; Nipperdey/Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 85; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123; ders., NZA 2000, 225, 230 f.; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 306; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6; ders., RdA 1996, 140, 142; vgl. auch BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt.
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zur Anerkennung einer autonomen Rechtsetzungsmacht gegenüber drittbetroffenen Personen, denn nur im Vertrauen auf die Verantwortung der Tarifpartner für eine sachgerechte Gestaltung der Arbeitsordnung hat der Staat seine originäre Rechtsetzungszuständigkeit auf diesem Gebiet zurückgenommen. Die Mitgliedschaft der Normadressaten in den Sozialverbänden ist Grundlage für die Berechtigung der Koalitionen, normativ auf die Arbeitsverhältnisse einzuwirken, und legitimiert somit die Normenverbindlichkeit. 166 Weil eine unmittelbare Tarifhormverantwortung nur innerhalb des mitgliedschaftlichen Legitimationszusammenhangs besteht, reicht die Normsetzungsmacht im Ergebnis über das Mitgliedschaftsverhältnis nicht hinaus.
3. Verbot der Delegation der tariflichen Normsetzungsbefugnis Ist die rechtliche Anerkennung tarifautonomer Normsetzungsmacht somit wesensnotwendig mit der Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung dieser Befugnis gegenüber den mitgliedschaftlich verbundenen Normadressaten verknüpft, verbietet sich gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG eine Delegation tariflicher Legislativaufgaben auf fremde Sozialpartner. 167 Unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Delegation von Normsetzungsverantwortung werden Bedenken gegenüber der Rechtmäßigkeit tariflicher Verweisungsklauseln geäußert, 168 denn infolge der anerkennungstarifVertraglichen Bezugnahme erlan166
Clemens, AöR 111 (1986), 63, 114; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts II/l, S. 454; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 1; Neumann, RdA 1994, 370, 373; vgl. auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 15; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 129; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 306. 167 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefiignisse, S. 138; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 11 ; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 306; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 94; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 85; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6; vgl. zudem BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f. 168 Allgemein zum Delegationsvorwurf - vgl. Gröbing, ArbuR 1961, 334, 336 f.; ders., ArbuR 1982, 116, 117; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 454; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, § 13 BUrlG Rn. 29; Lieb, Festschrift für Kissel, 653, 669 f.; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Nipperdey/Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Rick, DB 1957, 45, 46; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 435.
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gen die Verbandstarifparteien faktischen Einfluss auf die inhaltliche Ausformung des Anerkennungstarifvertrages.
4. Rechtfertigung statischer Verweisungen Übernimmt ein Anerkennungstarifvertrag die Regelungsvorgaben eines VerbandstarifVertrages in seiner feststehenden Fassung, so ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Tarifhormverantwortung nicht zu besorgen. Entscheidend ist, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die relevanten verbandstariflichen Bezugsnormen kennen. 169 Sie übernehmen einen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht bestimmten Tarifkompromiss. 170 Die Auswirkungen der statischen Verweisung sind daher jederzeit kalkulierbar. In Anbetracht der feststehenden Fassung des bezogenen Verbandstarifabkommens können die Tarifpartner die Sachgerechtigkeit der Inkorporationsanordnung sicher beurteilen. Da sich nachträgliche Änderungen des Bezugsobjektes nicht auf den Inhalt des Anerkennungstarifvertrages auswirken, behalten die Sozialpartner die uneingeschränkte Kontrolle über die Tarifbedingungen auf FirmentarifVertrags-
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BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 77; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 162 f. Vgl. auch BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 312; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 100 f. ]10 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1952; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Buchner, ARBlattei, Tarifvertrag V C, II 1; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 103; ders., NZA 1993, 289, 291; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Dietz, Festschrift fur Nipperdey, S. 141, 156; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Gumpert, BB 1961, 1276, 1276; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 76 f.; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hueck, Anm. zu BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 116; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 376; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 58; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 308; Strasser, Festschrift für Fioretta, S. 627, 637; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196. Selbst das Reichsarbeitsgericht, dass der statischen Inbezugnahme die Wirksamkeit versagte, argumentierte nicht mit den Gefahren, die durch eine Verlagerung von Normsetzungsbefugnissen entstehen - vgl. RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 237, 239 ff.
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ebene.171 Sie selbst bestimmen, ohne ihre eigene Rechtsetzungsbefugnis mittelbar oder unmittelbar auf die Parteien des VerbandstarifVertrages zu delegieren, über den Inhalt ihres Tarifabkommens. 172 Es stünde den Partnern des Anerkennungstarifvertrages frei, den fremden Tarifkompromiss wörtlich abzuschreiben und dadurch seine Rechtsverbindlichkeit anzuordnen. Eine derartige Vorgehensweise erscheint jedoch als bloße Förmelei. 1 7 3 Die statische Verweisung ersetzt den Vorgang der wortgetreuen Übertragung des in Bezug genommenen Tarifinhalts und vereinfacht damit das Normgebungsverfahren. 174 Im Lichte des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sind an die Zulassung statischer Verweisungen keine weiterfuhrenden Anforderungen zu stellen. Nicht erforderlich ist der Nachweis eines engen Sachzusammenhangs zwischen dem verweisenden und dem bezogenen Tarifwerk. Auf eine Verwandtschaft der jeweiligen Geltungsbereiche kommt es nicht entscheidend an. 175 Daher können sich die
171
BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Braun,, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 58. 172 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu §77 BetrVG 1972; Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 137; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 1; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 103; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 77; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507; Hueck, Anm. zu BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 58; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625; vgl. zudem Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308. Zur entsprechenden Argumentation im Betriebsverfassungsrecht siehe BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu §77 BetrVG 1972. Vgl. auch BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36. 173 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 119; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 58. 174 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Baumann, RdA 1987, 270, 273; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefìignisse, S. 137; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 60. Vgl. auch BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36. 175 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120. In der Entscheidung BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG verwies das Bundesarbeitsgericht darauf, dass die Beteiligung „derselben Tarifparteien" am verweisenden und am bezogenen Tarifvertrag im Rahmen der Zulassung statischer Verweisungen beson-
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Parteien des Verweisungstarifvertrages fremde Tarifnormen zu Eigen machen, die beispielsweise einem anderen räumlichen, fachlichen oder persönlichen Geltungsbereich entstammen. Es obliegt letztlich ihrer ureigenen Verantwortung, ob sie eine bereits existierende, fremde Tarifregelung als sachgerecht für den von ihnen anvisierten Geltungsbereich einstufen.
5. Ergebnis AnerkennungstarifVertragliche Verweisungen auf bestehende, vorformulierte VerbandstarifVerträge verstoßen nicht gegen die Grenzen tarifautonomer Normsetzung. Regelmäßig werden die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Bestreben, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für die jeweilige Branche regional einheitlich zu gestalten, das in räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht einschlägige Flächentarifabkommen in Bezug nehmen. Zwingend ist das nicht. Denkbar sind statische Verweisungen auf Verbandstarifabschlüsse mit anderen regionalen, fachlichen oder persönlichen Ausrichtungen, wenn diese Ausgestaltung des Anerkennungstarifvertrages eher den Normsetzungsinteressen der beteiligten Firmentarifpartner entspricht.
V. Ergebnis Statisch verweisende Anerkennungstarifverträge sind sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zulässig.
B. Rechtsfolgefragen statischer Verweisungen I. Rechtsfolgen im Allgemeinen Die Rechtsfolgen der statischen Verweisung wurden bereits beschrieben. 176 Lediglich diejenigen Verbandstarifnormen werden in ihrer feststellenden Fassung in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert, auf die sich die Verweisungsanordnung konkretisiert. Aus diesem Grund werden spätere inhaltliche Änderungen des Bezugsobjektes auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene nicht nachvollzogen.177 Mit ihrer Inkorporierung teilen die in Bezug genomme-
ders „beachtet" werden müsse. Es knüpfte an diesen Umstand jedoch nicht die Rechtswirkungen einer Wirksamkeitsvoraussetzung. Dem ist zuzustimmen. 176 Siehe oben § 4 E I. 177 BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing,
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nen Verbandstarifbestimmungen die Rechtsqualität und den Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages. Daher endet die Regelungswirkung der übergeleiteten Tarifnormen erst mit der Beendigung des verweisenden Tarifabkommens selbst. 178
II. Rechtsfolgen bei Verweisung auf nichtige Tarifverträge Ein besonderes Rechtsfolgenproblem stellt sich, wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf nichtige Verbandstarifregelungen verweisen. In diesem Zusammenhang sind zwei Fragenkreise auseinander zu halten. Klärungsbedürftig ist zum einen, ob ein verbandstarifVertragsbezogener Nichtigkeitsgrund auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages durchschlägt und zum anderen, welche Konsequenzen sich in diesem Kontext aus dem mit der Verweisung anvisierten Gleichstellungsanliegen ergeben.
1. Durchschlagen des Nichtigkeitsgrundes infolge der Inkorporationswirkung VerbandstarifVerträge können aus unterschiedlichen Gründen rechtsunwirksam sein. Übernimmt der Anerkennungstarifvertrag fehlerhafte Verbandstarifbestimmungen, ist es keineswegs zwingend, dass der Nichtigkeitsgrund auf den verweisenden Tarifvertrag durchschlägt. Infolge der Inkorporation werden die bezogenen TarifVorschriften integraler Bestandteil des AnerkennungstarifVertrages. 179 Werden die Regelungsinhalte somit auf eine neue - anerkennungstarifVertragliche - Rechtsgrundlage gestellt, muss die Bewertung der Rechtskonformität ausschließlich am Anerkennungstarifvertrag anknüpfen. 180 Nur wenn der verbandstarifVertragliche Rechtsmangel nach erfolgter Inkorporation dem
ArbuR 1982, 116, 116; Gumpert, BB 1961, 1276, 1276; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 60, Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 12. 178 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 123; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 126; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 18. 179 Siehe oben § 4 D I. 180 BAG vom 23.04.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 116; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 88; vgl. auch Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 74.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Anerkennungstarifvertrag selbst unmittelbar anhaftet, kann von einem „Durchschlagen" der Nichtigkeit gesprochen werden. 181 Verstößt beispielsweise eine übernommene Verbandstarifhorm gegen höherrangiges Recht, so ändert sich am Rechtwidrigkeitsverdikt durch die Normentransformation auf eine andere tarifvertragliche Ebene im Regelfall nichts. Wurde der VerbandstarifVertrag nicht schriftformgemäß abgefasst, führt die formelle Nichtigkeit ebenso zur Fehlerhaftigkeit des Anerkennungstarifvertrages. 182 Hingegen können in anderen Konstellationen verbandstarifVertragsbezogene Rechtsfehler auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages vermieden werden. War zum Beispiel eine nicht durchsetzungsfahige - und damit tarifunfähige Arbeitnehmerkoalition am Verbandstarifabschluss beteiligt oder fehlte den Parteien des Verbandstarifvertrages die Tarifzuständigkeit für eine bestimmte Tarifregelung, so bedingen diese Nichtigkeitsgründe keine Rechtsunwirksamkeit des Anerkennungstarifvertrages, wenn die verweisenden Sozialpartner hinsichtlich ihres Tarifabkommens tariffähig und tarifzuständig sind. 183
2. Durchschlagen des Nichtigkeitsgrundes aufgrund des Gleichstellungsanliegens Ausgehend von der Prämisse, dass die in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Regelungen bei Vermeidung der verbandstarifVertragsbezogenen Nichtigkeitsgründe in Kraft bleiben, stellt sich fortführend die Frage, ob ein Durchschlagen der Unwirksamkeit im Wege ergänzender TarifVertragsauslegung aus der anerkennungstarifVertraglichen Verweisungsbestimmung abgeleitet werden kann. 184 Insoweit vertritt Gumpert die Auffassung, dass der VerweisungstarifVertrag automatisch mit dem BezugstarifVertrag seine Gültigkeit 181
Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 88; siehe zudem BAG vom 23.04.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG. So im Ergebnis auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 455 (Fn. 15a); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12. 182 Zur Notwendigkeit einer schriftformgemäßen Errichtung des bezogenen Verbandstarifvertrages siehe oben § 5 A I 2 b. 183 Zur parallelen Problematik bei individualarbeitsvertraglichen Verweisungen auf einen unwirksamen Tarifvertrag - vgl. Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 237; siehe auch BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung. 184 Allgemein zur ergänzenden Auslegung im TarifVertragsrecht - vgl. BAG vom 13.06.1973, AP Nr. 123 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 152 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 663 ff.; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 331 ff.; Wank, RdA 1998, 71, 84 f.; Wank, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 812 ff.; Zachert, Festschrift zum 100 jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 573, 591 ff.; siehe auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 265 Rn. 44.
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verliere, wenn die Verweisung ausschließlich der inhaltlichen Angleichung an eine fremde Tarifordnung dient. 185 Dieser Gedankenansatz geht offenkundig davon aus, dass die Verweisungsbestimmung neben der inhaltlichen Inkorporationsanordnung gleichzeitig eine Bedingung statuiert, die den Anerkennungstarifvertrag in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Gültigkeit des bezogenen Verbandstarifwerkes setzt. Die Auffassung Gumperts hat für den AnerkennungstarifVertrag weitreichende Folgen, weil dieser gewöhnlich das Ziel verfolgt, unkoalierte Arbeitgeber mit den verbandstarifgebundenen Unternehmern gleichzustellen. Sicherlich ist es möglich, die Rechtswirksamkeit des verweisenden und bezogenen Tarifvertrages durch eine ausdrückliche Bedingungsabrede miteinander zu verknüpfen. 186 Allerdings kann der Verweisungsbestimmung selbst keine derartige Gültigkeitsbedingung im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden. Zum einen fehlt aus grammatikalischer Sicht ein entsprechender Hinweis im Wortlaut der Bezugnahmeklausel. Und zum anderen entspricht eine zwangsläufige Abhängigkeit nicht dem Sinn und Zweck der Verweisung. Der Anerkennungstarifvertrag begründet eine eigenständige Tarifordnung. Im Grundsatz gilt nach dem Kodifikationsprinzip, dass eine von souveränen Normgebern geschaffene Rechtsordnung in ihrem Bestand unabhängig von der Wirksamkeit fremder Rechtssätze ist. 187 Ungeachtet der Nichtigkeit des bezogenen VerbandstarifVertrages können die inkorporierten Bestimmungen auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene ihre Regelungswirkung ohne Einschränkung entfalten. 188 Eine inhaltliche Strukturierung der tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse mittels der übergeleiteten Tarifhormen ist weiterhin sinnvoll und dient der Ordnung des Arbeitslebens auf FirmentarifVertragsebene. Ein Durchschlagen der Nichtigkeit führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit zu Lasten der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten, zumal die Fehlerhaftigkeit des Bezugstarifvertrages für sie gewöhnlich nicht erkennbar ist. Die Tarifgebundenen vertrauen auf den Bestand ihrer Anerkennungstarifordnung und rechnen nicht mit einem möglicherweise rückwirkenden Entzug erworbener Rechtspositionen infolge einer Nichtigerklärung des bezogenen VerbandstarifVertrages. Außerdem liegt eine unvermittelte Beendigung des Anerkennungstarifvertrages nicht im Interesse der Tarifvertragspartner, weil sie ad hoc die Hoheit über ihr eigenes Tarifwerk verlieren. Überzeugender ist es daher, die Entscheidung 185
Gumpen, BB 1961, 1276, 1277. Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 116. 187 BAG vom 13.04.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG. 188 Vgl. Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 116. 186
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über die Folgen der Fehlerhaftigkeit des bezogenen Tarifvertrages in die Hände der Parteien des Anerkennungstarifvertrages zu legen. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 23.04.1957 einen sinnvollen Weg vorgezeichnet. 189 Dient die Verweisung ausschließlich der inhaltlichen Gleichstellung und fallt das Bezugsobjekt mangels Rechtskonformität weg, so entfällt synchron die Geschäftsgrundlage der Verweisungsanordnung, woraufhin jede Partei zur außerordentlichen Kündigung des Anerkennungstarifvertrages berechtigt ist.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung Eine langfristige Ausrichtung der Firmentarifinhalte an den Vorgaben der bezogenen Verbandstarifordnung gelingt nur, wenn die dynamische Verweisung zulässiger Regelungsgegenstand eines Anerkennungstarifvertrages ist.
A. Rechtmäßigkeit dynamischer Verweisungen In Anbetracht der antezipierenden Überleitung zukünftiger, bei Abschluss des Anerkennungstarifvertrages noch unbekannter Verbandstarifinhalte werden gegen die Regelungstechnik der dynamischen Verweisung unterschiedliche Einwände erhoben.
I. Schriftform Verweisen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf die jeweils gültige Fassung eines Verbandstarifvertrages, potenziert sich die Problematik des Schriftformzwangs gemäß § 1 Abs. 2 TVG, weil es im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung an einem feststehenden, schriftlich fixierten Bezugsobjekt fehlt.
1. Streitstand a) Verstoß gegen das Schriftformerfordernis In der Rechtslehre finden sich Stimmen, die einer Vereinbarkeit dynamischer Verweisungen mit dem tariflichen Schriftformgebot widersprechen. Konsequent versagen diejenigen, die eine Warnfunktion des § 1 Abs. 2 TVG befur-
189
BAG vom 13.04.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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Worten, Blankettverweisungen die formelle Anerkennung. 190 Aber auch Stellungnahmen, die grundsätzlich keine Notwendigkeit für einen Übereilungsschutz sehen, nehmen unter der Prämisse der Klarstellungsfunktion einen Verstoß gegen das Schriftformgebot an. 191 Die Bezugnahme auf noch unbekannte fremde TarifVorschriften genüge nicht den Anforderungen des § 126 BGB, da die Schriftstücke auf die verwiesen werde, noch gar nicht existieren. 192 Im Interesse der Klarheit müsse der Regelungsgehalt eines Tarifvertrages bereits im Zeitpunkt seines Abschlusses zweifelsfrei feststehen. 193 Daher decke die Unterzeichnung des Blanketts keinesfalls die Inkorporierung künftiger Verbandstarifbestimmungen. Zusätzlich werde die Gefahr von Irrtümern durch die geringfügigen Publikationsanforderungen verschärft. 194
b) Kein Verstoß gegen Schriftformerfordernis Demgegenüber gibt es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts 195 und der ihr folgenden herrschenden Lehre 196 keinen Anlass, dynamische Bezugnahmen 190
Gumpen, BB 1961, 1276, 1277; Rick, DB 1957, 45, 45 f.; siehe auch Mayer-Maly,, Festschrift für Wolf, S. 473, 477 f. 191 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b; Gröbing, ArbuR 1961, 334, 337; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 454; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 12; Nipper dey /Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; vgl. dazu auch Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 120; Rick, DB 1957, 45, 46. 192 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b. Siehe jetzt aber auch Buchner, NZA 1993, 289, 291; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 119 f. - allerdings ohne explizite Distanzierung von seiner ursprünglich kritischen Stellungnahme. 193 Nipperdey/Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Rick, DB 1957, 45, 46; Stahlhacke, DB 1960, 579, 581. 194 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b. 195 BAG vom 19.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; vgl. zudem A4G vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 196 Baumann, RdA 1987, 270, 271; Birk, ArbuR 1977, 235, 237 f.; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1 ; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 (Fn. 73); Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Crisolli, Anm. zu BAG vom 1_9.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87 f.; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Kempen/Zachert, § 1
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im Lichte des § 1 Abs. 2 TVG anders zu bewerten als statische Verweisungen. Die Gegenmeinung verkenne die ratio legis des Formenzwangs und dabei insbesondere den dogmatischen Gehalt der Klarstellungsfunktion. Irrtümer und Zweifel über die geltenden Tarifbedingungen seien bereits dann ausgeschlossen, wenn im Zeitpunkt der jeweiligen Normanwendung sowohl der verweisende als auch der bezogene Tarifvertrag in schriftlicher Form vorliege.
2. Stellungnahme Bereits im Ansatz verfehlt ist die Auffassung, die mit der ratio des Übereilungsschutzes argumentiert. 197 Demgegenüber erlangen diejenigen Stimmen Gewicht, die auf eine Vernachlässigung des Klarstellungszwecks verweisen. Obwohl der Arbeitgeber selbst am Abschluss des Anerkennungstarifvertrages beteiligt ist, dient die Klarstellungsfunktion bei dynamischen Verweisungen nicht nur der Unterrichtung der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer, sondern auch seinem Schutz. Denn erst das Schriftformgebot ermöglicht ihm eine rechtssichere Bestimmung künftiger Regelungsinhalte und bildet damit die Grundlage einer sachgerechten Umsetzung der jeweils bezogenen Tarifordnung. Ob dynamische Verweisungen mit den Vorgaben des § 1 Abs. 2 TVG in Einklang stehen, hängt entscheidend vom temporären Anwendungsbereich des Klarstellungsgebotes ab. Im Ausgangspunkt muss bei der formellen Bewertung dynamischer Verweisungen Berücksichtigung finden, dass jeder Blankettbezugnahme anfänglich eine statische Verweisung zu Grunde liegt. 198 Es existiert TVG Rn. 378; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 162; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Mangen, RdA 1982, 229, 237; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 102 ff.; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75; Oppermann, Die Kontrolle von TarifVertragsregelungen, S. 163; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 62 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 11; ders., Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; Schulin, ZfA 1981, 577, 581 f.; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 237; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 221; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. 197 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Näher dazu oben § 5 A I 2 a bb. 198 Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 102 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 62; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 91; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 111. Auch das BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt betont, dass die Tarifvertragsparteien das ursprüngliche, „ihnen bekannte Ausgangsniveau ausdrücklich in ihre Entscheidung aufgenommen" haben.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages zunächst ein feststehendes, inhaltlich bekanntes Bezugsobjekt. Unbekannt bleiben vorerst nur die künftigen verbandstarifvertraglichen Normeninhalte. Soweit die Vertragspartner den anfänglich geltenden VerbandstarifVertrag übernehmen, scheidet ein Formverstoß aus, weil sich die Normadressaten anhand der schriftlichen Fixierung sowohl des verweisenden als auch des bezogenen Tarifabkommens - ohne dass es einer körperlichen Zusammenfiigung beider Tarifwerke bedarf über die einschlägigen Tarifbedingungen zweifelsfrei informieren können. 199 Hinsichtlich der künftigen Regelungsinhalte des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages ist es den Parteien des Anerkennungstarifvertrages zwar unmöglich, eine schriftliche Fixierung bereits im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung vorzunehmen. Daraus ergeben sich allerdings bei sachgerechter Interpretation des allein maßgebenden Klarstellungszwecks keine formellen Rechtmäßigkeitsbedenken. Objektives Recht muss im Zeitpunkt seiner Anwendung klar und eindeutig feststehen. 200 Eine Notwendigkeit zur Klarstellung der Tarifinhalte besteht nur fur den Zeitraum, in dem die Tarifhormen ihre regelnde Wirkung entfalten, weil die Regelungsadressaten ihr Verhalten ausschließlich innerhalb des Normgeltungszeitraums an den inhaltlichen Vorgaben ausrichten müssen. Bei dynamischen Verweisungen ist zu keinem Zeitpunkt ein Zustand mangelnder inhaltlicher Klarheit zu besorgen. Werden im Laufe der Zeit die bezogenen Verbandstarifregelungen inhaltlich modifiziert, erfolgt in der logischen Sekunde ihrer schriftlichen Fixierung eine automatische Inkorporierung der Änderungen in den Anerkennungstarifvertrag. Ab diesem Augenblick können sowohl die Sozialpartner als auch die an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer anhand der formgerecht niedergelegten Verweisungsanordnung und dem schriftlich abgefassten Nachfolgeverbandstarifvertrag zweifelsfrei bestimmen, welche Tarifordnung an die Stelle der bisherigen getreten ist. 201 Konkretisiert die dynamische Verweisungsklausel somit eindeutig das 199
Siehe oben § 5 A I 2 b. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Fon/i; Braun, BB 1986, 1428, 1428 f.; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter TarifVeriragsbestimmungen, S. 121; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 103 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 62 f.; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 (Fn. 73). 201 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Iffland,, DB 1964, 1737, 1738; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 104 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 63; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 200
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
bezogene Verbandstarifabkommen und stehen die jeweiligen verbandstarifvertraglichen Fassungen in schriftformgemäßer Niederschrift zur Verfügung, ist die von § 1 Abs. 2 TVG angestrebte Normenklarheit jederzeit gewährleistet. Aus Klarstellungsgründen ist die Anheftung des Bezugsobjektes gleichermaßen wie bei statischen Verweisungen keine Wirksamkeitsvoraussetzung, weil sich der maßgebende Regelungsinhalt auch ohne körperliche Zusammenfügung anhand der separaten Tarifurkunden ermitteln lässt. 202 Dass die Beschaffung der jeweiligen verbandstarifVertraglichen Neufassung für die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, führt entgegen vereinzelter Kritik nicht zu einem Mangel an inhaltlicher Klarheit, sondern ist lediglich unter dem Gesichtspunkt hinreichender Publizität diskussionswürdig. Im Übrigen hätte das Erfordernis einer Anheftung der jeweiligen Bezugstarifinhalte erhebliche Unsicherheiten für die Tarifunterworfenen zur Folge. Die Sozialpartner könnten die Beifügung der Anlagen verzögern, was für diesen Zeitraum einen inhaltlichen Gleichlauf der anerkennungs- mit der verbandstarifVertraglichen Arbeitsordnung unmöglich machen würde, obwohl die Normadressaten angesichts der Blankettverweisung mit einer Parallelität der Tarifbedingungen rechnen.
3. Ergebnis Die Unterzeichnung der dynamischen Verweisungsanordnung deckt mithin die Inkorporierung künftiger Modifikationen des Bezugstarifvertrages, wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages den bezogenen VerbandstarifVertrag zweifelsfrei benennen und die jeweilige verbandstarifVertragliche Neufassung ihrerseits in einer den Anforderungen des § 1 Abs. 2 TVG genügenden Form errichtet wird. Diese Interpretation des Schriftformgebotes verwirklicht einerseits die ratio legis der Kundmächungsfunktion und gewährleistet zum anderen die regelungstechnischen Vorteile dynamischer Verweisungen. 203
202
BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Mangen, RdA 1982, 229, 236 f. Siehe aber auch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form, der eine Beifügung als Anlage für „wünschenswert" hält. 203 Gesetzgebungsökonomische Blankettverweisungen dürfen aus formellen Gründen nicht übermäßig beschränkt werden - vgl. Baumann, RdA 1987, 270, 271 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Herschel, JZ 1967, 727, 734; Iffland, DB 1964, 1737, 1738 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 237; siehe auch Mangen, RdA 1982, 229, 237.
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II. Normenbestimmtheit Wegen der automatischen Überleitung zukünftiger, noch unbekannter Tarifinhalte wird vertreten, dass dynamische Verweisungen gegen die rechtsstaatliche Bestimmtheitsmaxime verstoßen. 204 Dem ist zu widersprechen. Das Bestimmtheitsprinzip ist bereits dann gewahrt, wenn eine hinreichende Grundlage fur die Bestimmbarkeit der jeweiligen Anerkennungstarifinhalte besteht. Begünstigt durch die eindeutig formulierte Verweisungsbestimmung und die schriftliche Fixierung der jeweils gültigen Fassung des bezogenen VerbandstarifVertrages ist es den Normadressaten abstrakt möglich, ohne Zweifel und Irrtümer die verbindliche Tarifordnung zu ermitteln. 205 Nicht gefolgt werden kann der Mindermeinung, die als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Bestimmbarkeit auf die Unterzeichnung des Anerkennungstarifvertrages abstellt. 206 Wie bereits im Kontext des § 1 Abs. 2 TVG erörtert, ist es ausreichend, wenn sich der tarifliche Normengehalt im Zeitpunkt seiner Anwendung feststellen lässt. 207 Dem Bestimmtheitsgebot ist mithin Genüge getan, wenn die Sozialpartner den dynamisch in Bezug genommenen VerbandstarifVertrag so genau bezeichnen, dass Ungewissheiten über dessen Identität nicht entstehen können. Dann ist nach zutreffender Rechtspre204
Blomeyer, ZfA 1980, 1, 68; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 120 und 161 f.; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 480; Rick, DB 1957, 45, 46; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 527; vgl. zudem Strasser, Festschrift für Fioretta, S. 621, 637. 205 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Baumann, RdA 1987, 270, 271; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 f.; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378 und 382; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 105; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 69 f.; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. auch LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 163. 206 So Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Rick, DB 1957, 45, 46; vgl. zudem Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 161 f.; Stahlhacke, DB 1960, 579, 581; siehe auch Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 480; Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 527. 207 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1428 f.; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektiwerträgen, S. 103 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 70; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
chung des Bundesarbeitsgerichts eine hinreichende Grundlage auch für die spätere Normenbestimmbarkeit gelegt. 208
III. Publizität Eine Kernfrage dynamischer Verweisungen betrifft die Publizität der jeweiligen Tariftiorminhalte.
1. Streitstand a) Verstoß gegen die Publikationspflicht Vertreter des Schrifttums lehnen die Rechtskonformität dynamischer Verweisungen wegen mangelnder rechtsstaatlicher Normenpublizität ab. 209 In Anbetracht der ständigen Weiterentwicklung des bezogenen Tarifvertrages gestalte sich die Publikation der jeweils geltenden Regelungsgehalte schwierig. Die nachträgliche Änderung des bezogenen Tarifvertrages könne nur mit Zeitverschiebungen bekannt gemacht werden, was zu schwer aufklärbaren Missverständnissen führe.
b) Kein Verstoß gegen die Publikationspflicht Demgegenüber misst das Bundesarbeitsgericht 210 sowie die überwiegende Lehrmeinung 211 einer zeitlichen Verzögerung des Publikationsvorgangs keine 208
BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; siehe auch Baumann, RdA 1987, 270, 271; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 162; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 70; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT. 209 Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118 f.; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 478 und 480; vgl. zudem Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b. 210 Siehe BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; siehe auch BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost. 211 Vgl. Baumann, RdA 1987, 270, 272; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 100 f.; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-
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rechtserhebliche Bedeutung bei. Nach höchstrichterlicher Auffassung gewährleiste die Auslage sowohl des verweisenden als auch des bezogenen Tarifwerkes bei dynamischen Verweisungen eine hinlängliche Zugänglichkeit. 212 Im Zusammenspiel mit den sonstigen im TarifVertragsgesetz vorgesehenen Publikationsverfahren sei eine ausreichende Informationsbasis garantiert.
2. Stellungnahme a) Zugänglichkeit auf Arbeitnehmerseite Bereits im Rahmen der Analyse statischer Verweisungen wurde herausgearbeitet, dass die Auslagepflicht gemäß § 8 TVG bei Firmentarifverträgen eine effektive Kenntnisnahme der Beschäftigten ermöglicht. 213 Zu Gunsten der Arbeitnehmer stehen mit dem Tarifregister und dem Unterrichtungsanspruch gegenüber der Gewerkschaft weitere zweckdienliche Informationsquellen zur Verfügung. Aus dem Umstand, dass bei dynamischen Verweisungen zeitliche Verzögerungen bei der Publikation künftiger Tarifinhalte auftreten, resultieren keine durchschlagenden rechtsjstaatliehen Einwände. Zuzugeben ist zwar, dass eine sofortige Bekanntgabe verbandstarifVertraglicher Modifikationen auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages in praxi nicht erreichbar ist. Vorübergehend gelten daher modifizierte Tarifbedingungen, ohne dass die Arbeitnehmer auf den Text der überarbeiteten Fassung zurückgreifen können. Dem Rechtsstaatsprinzip ist jedoch kein generelles Gebot zu entnehmen, dass die Publikation einer Norm ihrem Inkrafttreten vorausgehen muss. 214 Aus rechtsstaatlicher Sicht bedarf es lediglich einer zeitnahen Bekantmachung der maßgebenden Regelungsinhalte nach deren Wirksamwerden. Erfüllen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihre Publikationsverpflichtungen und schöpfen die tarifgebundenen Arbeitnehmer sämtliche Informationsquellen aus, ist die KenntBlattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88 f.; Mangen, RdA 1982, 229, 237; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 97 ff; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 67 ff.; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 212 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 213 Siehe oben § 5 A III 2 b. Zu den konkreten Publikationspflichten siehe in einem eigenen Abschnitt unten § 8 Β und § 8 C. 214 BVerfG vom 22.11.1983, BVerfGE 65, 283, 291; siehe auch Zöllner, DVB1 1958, 124, 125.
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nisnahme innerhalb zumutbarer Frist gewährleistet. 215 Zeitliche Publikationsverzögerungen liegen bei Blankettverweisungen in der Natur der Sache.216 Sie sind im Lichte der Rechtsstaatsmaxime hinnehmbar, da anderenfalls dynamische Verweisungen als zulässiges Normsetzungsverfahren vollständig ausscheiden.
b) Zugänglichkeit auf Arbeitgeberseite Das Bundesarbeitsgericht zeigt in seiner Entscheidung vom 10.11.1982 kein Problembewusstsein hinsichtlich der Zugänglichkeit zukünftiger Normeninhalte auf Arbeitgeberseite. 217 Trotz streitgegenständlicher Befassung mit einer anerkennungstarifvertraglichen Blankettverweisung betrachtet es die Publizitätsanforderungen lediglich aus Sicht der Arbeitnehmer. Im Falle des Abschlusses eines Anerkennungstarifvertrages steht dem Arbeitgeber keine dem § 8 TVG vergleichbare Informationsquelle zur Verfügung. Außerdem kann der Außenseiter mangels Koalitionsmitgliedschaft nicht auf einen Unterrichtungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeberverband zurückgreifen. 218 Ungeachtet dieser Publizitätsdefizite ist zu Gunsten des anerkennenden Arbeitgebers dennoch eine abstrakte Zugänglichkeit künftiger Tarifinhalt sichergestellt. Als Ausgleich für die Publikationslücke ist eine Benachrichtigungsund Zusendungspflicht der am Anerkennungstarifvertrag mitwirkenden Gewerkschaft anzuerkennen. Aus der Natur der dynamischen Bezugnahmevereinbarung ergibt sich eine dem obligatorischen Teil des AnerkennungstarifVertrages immanente Durchführungsverpflichtung der sowohl am verweisenden als auch am bezogenen Tarifvertrag beteiligten Gewerkschaft, den Arbeitgeber über jede inhaltliche Änderung des Bezugstarifwerkes zu informieren und ihm die jeweilige Neufassung zuzuleiten. Für den Arbeitgeber wird auf diesem Weg ersichtlich, wann eine überarbeitete Fassung des bezogenen VerbandstarifVertrages in Kraft tritt. Schon im Interesse ihrer Mitglieder wird die Arbeitnehmervereinigung der obligatorischen Informationsverpflichtung nachkommen. Denn nur bei einer rechtzeitigen Übersendung der neu gefassten Verbandstarifregelungen ist der Unternehmer in der Lage, die modifizierte Tarifordnung auf
215
Eine „schnelle" Kenntniserlangung ist nach Braun, BB 1986, 1428, 1429 insbesondere durch die verbandsinternen Informationswege gewährleistet. Ähnlich Reinermann., Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 68. 216 Auch Schelp , Β ABl 1964, 212, 213 weist darauf hin, dass die Publikation „zwangsläufig den tatsächlichen Ereignissen hinterhinkt". 217 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 218 Der Hinweis von Löwisch/Rieble, § 8 TVG Rn. 5 a.E. auf einen Informationsanspruch des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitgeberverband sichert eine Kenntniserlangung nur im Rahmen eines VerbandstarifVertrages.
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der anerkennungstarifVertraglichen Ebene umzusetzen und seinerseits der Auslageverpflichtung des § 8 TVG nachzukommen. In sonstigen Fällen steht dem anerkennenden Arbeitgeber hinsichtlich der überarbeiteten Fassungen des bezogenen Tarifvertrages das Einsichtsrecht in bestätigt das Tarifregister zur Verfügung. Wie das Bundesverfassungsgericht hat, ist diese Form der Kenntnisverschaffimg dem Arbeitgeber durchaus zumutbar und demzufolge aus rechtsstaatlicher Sicht noch hinreichend. 219
3. Ergebnis Die Statthaftigkeit der im Anerkennungstarifvertrag fixierten Blankettverweisungen scheitert nicht am rechtsstaatlichen Publizitätsgebot.
IV. Grenzen der Tarifautonomie Eine anhaltende Kontroverse wird zu der Frage geführt, ob dynamische Verweisungen die Grenzen tarifautonomer Rechtsetzungsmacht überschreiten. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verpflichtet die Sozialpartner zu einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der tariflichen Normsetzungskompetenz. 220 Der Grundsatz der Eigenverantwortung dient dem Schutz der Normadressaten und soll gewährleisten, dass die Tarifvertragsparteien selbst und unabhängig die sozialen Belange ihrer Mitglieder wahrnehmen. Demgemäß ist es den Tarifpartnern untersagt, ihre Normsetzungsbefugnis auf andere Normgeber - insbesondere auf fremde Tarifvertragsparteien - zu übertragen. In Konsequenz dessen statuiert Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG ein Verbot der Delegation tariflicher Rechtsetzungsmacht.221
219 BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Beck, ZTR 2000, 15, 15; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 407; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 98 f. Auch Braun, BB 1986, 1428, 1429 äußert lediglich im Hinblick auf die Arbeitnehmerseite Bedenken an der Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung beim Tarifregister. Nach Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 7; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 21 ersetzt das Tarifregister die Funktion der Veröffentlichung in amtlichen Bekanntmachungsblättern. 220 Ausfuhrlich dazu oben § 5 A IV 2. 221 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 126; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 11; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 454; WendelingSchröder, NZA 1998, 624, 625; Zachert, ArbuR 1995, 1, 6; siehe zudem die Ausfuhrun-
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages 1. Rechtswirkungen dynamischer Verweisungen
Infolge der antezipierenden Anbindung an die künftige verbandstarifvertragliche Entwicklung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erlangen die Verbandstarifparteien mittelbaren Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Anerkennungstarifvertrages. Ob hierin eine unzulässige Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen liegt, muss anhand der Rechtsfolge Wirkungen dynamischer Verweisungen ermittelt werden.
a) Delegation der tariflichen
Normsetzungsbefugnis
aa) Ursprüngliche Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Mit Zustimmung einiger Vertreter der Rechtslehre 222 verwarf das Bundesarbeitsgericht 223 anfanglich die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen mit der Begründung, dass die Sozialpartner ihre Zuständigkeit, Normen zu setzen, in unzulässiger Weise auf andere Tarifvertragsparteien delegieren. Die Jeweiligkeitsklausel führe zu einer fortlaufenden Anbindung des verweisenden Tarifvertrages an das bezogene Tarifwerk. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Verweisungstarifvertrages sei es den Bezug nehmenden Tarifparteien unmöglich, die künftigen Tarifentscheidungen fremder Sozialpartner vorherzusehen. Weil die Parteien des Bezugstarifwerkes somit maßgeblichen Einfluss auf den Regelungsgehalt des VerweisungstarifVertrages erlangen, finde eine Delegation von Rechtsetzungskompetenzen statt, welche gegen die Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verstoße. gen von Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 138; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 85 f. 222 Gröbing, ArbuR 1961, 334, 336 f.; ders., ArbuR 1982, 116, 117; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Gumpert, BB 1961, 1276, 1277; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 454; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 12; Leinemann/ Linck, Urlaubsrecht, § 13 BUrlG Rn. 29; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 669 f.; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Nipperdey/Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Rick, DB 1957, 45, 46; Stahlhacke, DB 1960, 579, 581; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 435; ähnlich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 118 ff.; vgl. auch Säcker/Oetker, ZfA 1987, 95, 116 f.; Wiedemann/Arnold, Anm. zu BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972. 223 BAG vom 27.07.1956, AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG vom 30.05.1958, AP Nr. 8 zu § 9 TVG; BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; vgl. auch BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG. Anders bereits damals LAG München vom 09.07.1952, BB 1952, 858, 858; LAG Düsseldorf vom 18.09.1956, BB 1957, 148, 148.
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bb) Kritik Herschels und aktuelle Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Diesen Ausführungen ist Herschel frühzeitig entgegengetreten. 224 Zutreffend fuhrt er aus, dass die Verweisung auf fremde Normen nicht mit der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen gleichgesetzt werden kann, sondern scharf von ihr abzugrenzen ist. 225 Delegation ist ein Rechtsakt, mit dessen Hilfe der Inhaber einer Zuständigkeit - der Delegant - seine Kompetenz auf ein anderes Rechtssubjekt - den Delegaten - überträgt. 226 Typische Folge der Delegation ist die Übertragung von Zuständigkeiten vom originären Befugnisinhaber auf einen anderen Normgeber in einem ihm sonst nicht eröffneten Regelungsbereich. 227 Der Delegant verliert seine Kompetenz vollständig. An seiner Stelle ist der Delegat legitimiert, eigenverantwortlich Rechtsmacht auszuüben.228 Delegation bedeutet also Ermächtigung fremder Normgeber zur Rechtsetzung im eigenen Namen. 229 Unter Zugrundelegung dieser Definition bewirkt die dynamische Verweisung keine Überlassung der von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG eingeräumten Befugnis, tarifliche Rechtsnormen zu setzen. Die wesentlichen Elemente eines Delegationsaktes fehlen. Es findet keine Ausdehnung der den fremden Tarifvertragsparteien zustehenden Normsetzungsmacht auf den zu regelnden Bereich des Ver224
Herschel, BB 1963, 1220, 1222 f. Herschel, BB 1963, 1220, 1222 f.; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 94; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 156; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 90; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 79; siehe zudem Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 106 und 109. 226 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 56; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 108; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 74; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 202; Zachert, RdA 1996, 140, 143. 227 Herschel, BB 1963, 1220, 1222; vgl. auch Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 56; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 106 und 108; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 74 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 79; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 202. 228 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 56; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 74. Aus Sicht der Normadressaten tritt neben den eigentlichen Kompetenzträger der Delegat als zweiter Normgeber - vgl. Clemens, AöR 111 (1986), 63, 67; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 56. 229 Clemens, AöR 111 (1986), 63, 67; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 56; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 74 f.; vgl. auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 79; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 202; Zachert, RdA 1996, 140, 143. 225
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
weisungstarifVertrages statt. Insbesondere werden die Sozialpartner des BezugstarifVertrages nicht im eigenen Namen für die Parteien des VerweisungstarifVertrages rechtsetzend tätig. Vielmehr legitimieren allein die Bezug nehmenden Tarifpartner die dynamische Überleitung fremder Tarifinhalte in ihr eigenes Vertragswerk. Die Blankettverweisung überträgt keine Zuständigkeiten auf fremde Normgeber, 230 denn maßgebliche Bestimmung ist die Verweisungsklausel und nicht diejenige Regelung, auf die verwiesen wird. 2 3 1 Jederzeit können die Vertragschließenden die Bezugnahmeanordnung aufheben oder modifizieren. 232 Sie bleiben somit „Herren" des VerweisungstarifVertrages 233 und begeben sich nicht ihrer tariflichen Rechtsetzungsmacht.234
230
BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 75 ff.; Schulin, ZfA 1981, 577, 582 f.; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 ΒΑΤΟ; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O. 231 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Dietz, Festschrift fur Nipperdey, S. 141, 156; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80; Schulin,, ZfA 1981, 577, 583; Wiedemann, , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. 232 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu §1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 122; Dietz, Festschrift fur Nipperdey, S. 141, 156; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Frey, ArbuR 1958, 306, 307; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 57; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Kempen/Zachert,, §1 TVG Rn. 378; Koberski/Clasen/Menzel, §1 TVG Rn. 157; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 12; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; Schulin, ZfA 1981, 577, 583; Stein,, TarifVertragsrecht, Rn. 308; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625. 233 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 156; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 57; Iffland,, DB 1964, 1737, 1739; Löwisch/Rieble·, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 12; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 79; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80; Schulin, ZfA 1981, 577, 583; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625; vgl. zudem Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 94; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Henssler/Parpart,
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
157
In Anbetracht dieser Analyse des Verweisungstatbestandes hat sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.07.1980 von seiner ursprünglichen Auffassung distanziert und verneint seither in Einklang mit der herrschenden Rechtslehre den Delegationscharakter dynamischer Verweisungen. 235 Mittelbar bestätigt wird der höchstrichterliche Rechtsprechungswandel durch das Bundesverfassungsgericht, das in der Blankettverweisung eines Gesetzes auf einen Tarifvertrag keinen Delegationssachverhalt sieht. 236 Diese Aussage muss erst recht für tarifvertragliche Verweisungen gelten. 237
Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Herschel, BB 1963, 1220, 1222 f.; zweifelnd Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 234 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 94; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 156; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 57 und 91 f.; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Wiedemann. , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. zudem Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28. 235 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ebenso BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f. Bereits in BAG vom 19.04.1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969 wurde die Rechtsprechungsänderung angedeutet. Sehr missverständlich formuliert neuerdings das BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, dass das Erfordernis des engen sachlichen Zusammenhangs der Geltungsbereiche der Tarifverträge dazu dient, dass auch bei der „Delegation" der Rechtsetzungsbefugnis auf andere Tarifparteien dem Postulat der Sachgerechtigkeit Rechnung getragen wird. 236 BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36. Siehe auch BVerfG vom 23.04.86, BVerfGE 73, 261, 272 f. für eine Blankettverweisung in einem Sozialplan auf einen Tarifvertrag. 237 So auch Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. zudem Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 86; siehe auch Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 72 f.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
b) Verdeckte Kompetenzübertragung Ungeachtet der Verneinung des Delegationscharakters vertritt die neuere Doktrin die Ansicht, dass dynamische Verweisungen eine „verdeckte Kompetenzverlagerung" verursachen. 238 Bereits Wiedemann hat betont, dass die verweisenden Parteien weder die Absicht noch die Möglichkeit haben, eine ständige Kontrolle über den BezugstarifVertrag auszuüben.239 Die automatische Inkorporierung inhaltlicher Änderungen des bezogenen Tarifwerkes hat zur Folge, dass Modifikationen zumindest vorübergehend Geltung beanspruchen, bevor die verweisenden Sozialpartner auf die neue Tarifsituation reagieren können. 240 Für eine gewisse Übergangszeit müssen sich die Normunterworfenen mit möglicherweise nicht vorhersehbaren, ungewollten Tarifbedingungen abfinden. 241 Der Hinweis auf die jederzeitige Aufhebbarkeit der Verweisungsanordnung rechtfertigt es daher nicht, eine Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen gänzlich zu leugnen. Da die Parteien des VerweisungstarifVertrages zudem keinen unmittelbaren Einfluss auf die künftige Inhaltsgestaltung haben, bewirkt die dynamische Verweisung eine faktische Verschiebung der tarifrechtlichen Kompetenzordnung. 242
238 Baumann, RdA 1987, 270, 273; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 30; Blomeyer, ZfA 1980, 1, 68; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80 f.; Säcker/Oetker, RdA 1992, 16, 20; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 120. 239 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 81; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 87. 240 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Baumann, RdA 1987, 270, 273; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Groß, BIStSozArbR 1965, 287, 287; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 81 und 84; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 308; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 241 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 81 und 84; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 242 Vgl. Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 91; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 83 f.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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2. Rechtfertigung der verdeckten Kompetenzübertragung Anknüpfend an die Feststellungen zu den Rechtsfolgewirkungen gilt es zu untersuchen, inwieweit die Annahme einer verdeckten Kompetenzverschiebung eine Begrenzung dynamischer Verweisungen bedingt.
a) Grundsatzrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dynamischer Verweisungen
zur Zulässigkeit
Das Bundesarbeitsgericht sieht sich trotz Ablehnung des formellen Delegationscharakters nicht in der Lage, Blankettverweisungen uneingeschränkt zuzulassen. Vielmehr hält es dynamische Verweisungen in Anbetracht der faktischen Kompetenzverlagerung für bedenklich. 243 Haupteinwand ist das Verbot der Preisgabe eigener Tarifhormverantwortung, die insbesondere zu besorgen sei, wenn künftige Entwicklungen des bezogenen Tarifvertrages nicht mehr „vorhersehbar" seien. 244
aa) Herleitung des Sachgerechtigkeitspostulats Nach höchstrichterlicher Auffassung gestattet es die Tarifautonomie nur unter bestimmten Voraussetzungen, auf den jeweils gültigen Inhalt fremder Tarifverträge zu verweisen. Argumentativer Ausgangspunkt des Bundesarbeitsgerichts ist die Feststellung, dass für jede tarifliche Regelung, die die Sozialpartner in ihrem Zuständigkeitsbereich treffen, eine unwiderlegbare Vermutung der
243
Das Bundesarbeitsgericht stellt in einem Regel-Ausnahme-Vergleich fest, dass Blankettverweisungen „grundsätzlich unzulässig" sind - BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; siehe zudem LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; vgl. auch BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. Zu dieser Rechtsprechung - vgl. Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Braun,, BB 1986, 1428, 1430 f.; Buchner, NZA 1993, 289, 291; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 113; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 82; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231. 244 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Braun, t BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 96 f.; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; vgl. auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 112; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 89.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Sachgerechtigkeit spreche. 245 Das aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG folgende Postulat der Sachgerechtigkeit ziehe aber zugleich die Grenzen der normativen Regelungsmacht.246 Da die Sachgerechtigkeitsvermutung der gesetzgeberische Grund für die Einräumung der Normsetzungsberechtigung sei, erfordere Sinn und Zweck der tarifautonomen Gestaltungsbefugnis, dass „die Tarifvertragsparteien die Sachgerechtigkeit der aufgrund der Verweisung eintretenden künftigen Regelungen schon im Voraus beurteilen und übersehen können". 247 Die „Vorhersehbarkeit" sei nur gewährleistet, wenn zwischen dem verweisenden und bezogenen Tarifabkommen eine sachliche Verknüpfung bestehe. Ihre Grenze finde die tarifliche Rechtsetzungsbefugnis dort, wo die Sozialpartner bezogen auf ihren Geltungsbereich die Sachgerechtigkeit künftiger Tarifbedingungen nicht mehr abschätzen können. Ohne hinlängliche Beurteilungsgrundlage verliere die Tarifautonomie ihre innere Berechtigung und stehe mit dem Wirksamkeitserfordernis der Tarifhormverantwortung in Widerspruch. 248 Auch Teile der Literatur ziehen das Kriterium der Sachgerechtigkeit heran, um die zulässige Reichweite dynamischer Verweisungen zu bestimmen.249
245
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f.; vgl. dazu Buchner, NZA 1993, 289, 291; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 97; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 89. Siehe auch die Herleitung in BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form, wo das argumentative Hauptaugenmerk auf die „Vorhersehbarkeit der Sachgerechtigkeit" gelegt wird. 246 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f.; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; siehe zudem BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § 1 la TV Ang Bundespost; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O. 247 So BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. Siehe zudem BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f.; vgl. auch BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT. 248 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 89. 249 Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Buchner, NZA 1993, 289, 291 f.; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 113 ff.; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211 ; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempjf, AiB 1993, 267, 268; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 129; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 15; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis,
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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bb) Fallgestaltungen zulässiger dynamischer Verweisungen Das Bundesarbeitsgericht befürwortet in zwei Konstellationen die Sachgerechtigkeit einer Blankettbezugnahme. Wenn die Sozialpartner auf einen jeweils geltenden anderen Tarifvertrag verweisen, den sie selbst abgeschlossen haben, dann bestehe für sie die Gelegenheit, bei Modifizierungen des bezogenen Tarifvertrages auch das verweisende Tarifabkommen zu ändern. 250 Belassen sie es dennoch bei der Verweisung, so liege hierin die tarifautonome Entscheidung, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag weiterhin einen sachgerechten Interessenausgleich darstellt. Die Sachgerechtigkeit der Verweisung folge also aus der Möglichkeit, die Angemessenheit neuer Tarifbedingungen selbstverantwortlich prüfen zu können, was zur Konsequenz habe, dass das Tarifgeschehen vollständig in der Hand der Parteien des Verweisungstarifvertrages bleibe. Darüber hinaus befürwortet das Bundesarbeitsgericht die Sachgerechtigkeit einer kraft dynamischer Verweisung geschaffenen Tarifordnung, sofern zwischen den jeweiligen Geltungsbereichen des verweisenden und des bezogenen
S. 75; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 28; Wank, RdA 1998, 71, 88; WendelingSchröder, NZA 1998, 624, 625; Zachert, RdA 1996, 140, 142. 250 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung; siehe dazu Birk/Brühler. Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1 ; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 95; Braun, BB 1986, 1428, 1431; Buchner, NZA 1993, 289, 291; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 115; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 82; Hanau/Kania, DB 1995, 1229. 1231; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 16; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 478; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Schulin, ZfA 1981, 577, 583; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 88; Säcker/Oetker, ZfA 1987, 95, 117; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 308; Wank, RdA 1998, 71, 88; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 198. Ohne Veranlassung prüfen BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung neben dem Sachgerechtigkeitskriterium der „Identität der Tarifvertragsparteien" zusätzlich das weitere Sachgerechtigkeitskriterium des „engen Zusammenhangs der Geltungsbereiche". Dies fuhrt zu Missverständnissen. Allerdings wird nicht davon auszugehen sein, dass das Bundesarbeitsgericht nunmehr beide Sachgerechtigkeitskriterien kumulativ für erforderlich hält. Wenn die verweisenden Sozialpartner gleichzeitig Parteien des Bezugstarifvertrages sind, ist allein diese besondere Rechtstellung für die Gewährleistung der Tarifnormverantwortung hinreichend.
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Teil 2:
berleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Tarifvertrages ein enger sachlicher Zusammenhang gegeben ist. 251 Die Verwandtschaft der Ausrichtungen der einzelnen Geltungsbereiche und die damit einhergehende Sachnähe der verweisenden Tarifvertragspartner zur Materie des Bezugnahmeobjektes bilde die Grundlage für eine hinreichende Vorhersehbarkeit künftiger Tarifbedingungen. Ist der Geltungsbereich des übernommenen Tarifwerkes sowohl räum- als auch betriebs-, fach- und personenbezogen, müsse prinzipiell hinsichtlich „aller" maßgebenden Geltungsbereiche ein enger Sachzusammenhang bestehen.252
cc) Konsequenzen für den Anerkennungstarifvertrag Die erste höchstrichterlich anerkannte Fallgestaltung kann zur Rechtfertigung dynamischer Verweisungsklauseln in Anerkennungstarifverträgen nicht beitra-
251 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung. Siehe dazu Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Buchner, NZA 1993, 289, 291; ders., ARBlattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 116; Grimm, Anm. zu BAG vom 20.06.2001, EWiR 2002, 563, 563; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 82 f.; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 211; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 16; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 88; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123; Säcker/Oetker, ZfA 1987, 95, 117; Wank, RdA 1998, 71, 88; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 198; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. Vgl. auch BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn. 252 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; siehe dazu Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 89.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
163
gen. Eine Identität der Anerkennungs- und der VerbandstarifVertragsparteien scheidet auf Arbeitgeberseite denknotwendig aus. 253 Dem Grunde nach lassen sich allerdings mit dem zweiten Sachgerechtigkeitskriterium eine Vielzahl dynamisch verweisender Anerkennungstarifverträge rechtfertigen. Nehmen die Firmentarifpartner in dem Bestreben, die Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen an das regionale Verbandstarifniveau anzugleichen, auf das jeweils gültige Branchentarifergebnis Bezug, so manifestiert sich darin ein enger sachlicher Zusammenhang der Geltungsbereiche. 254 Wenn die Verweisung lediglich der Überbrückung einer fehlenden Verbandsmitgliedschaft des anerkennenden Arbeitgebers dient, 255 gewährleisten die übereinstimmenden Ausrichtungen der Geltungsbereiche eine sachgerechte Beurteilung der künftigen Verbandstarifentwicklung durch die Parteien des Anerkennungstarifvertrages.
b) Entwicklungstendenzen in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen in A nerkennungstarijverträgen Es verwundert daher, dass das Bundesarbeitsgericht seit dem Urteil vom 18.12.1996256 in mehreren aktuellen Entscheidungen,257 welche Rechtsfragen dynamisch verweisender Anerkennungstarifverträge tangieren, mit keinem Wort auf das Wirksamkeitserfordernis des geltungsbereichsbezogenen Sachzusammenhangs eingeht. Ohne nähere Auseinandersetzung mit der Verweisungsproblematik befürwortet es stillschweigend die Zulässigkeit anerkennungsta-
253
In diesem Sinne auch Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zudem BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 16; siehe auch Braun, BB 1986, 1428, 1431; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 116; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 117. 255 Buchner, NZA 1993, 289, 292; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4. 256 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 257 BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; vgl. auch BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O. 254
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
rifVertraglicher Blankettverweisungen. 258 Lediglich im Urteil vom 18.12.1996 weist das Bundesarbeitsgericht darauf hin, dass die Grenzen der tarifVertraglichen Rechtsetzungsmacht nicht überschritten seien. 259 In einer kurzen Begründung gibt es zu bedenken, „dass es sich bei dem Tarifvertrag, um dessen Wirksamkeit die Parteien streiten, immerhin um einen Firmentarifvertrag handelt, den die Beklagte [der anerkennende Arbeitgeber] selbst vereinbart hat". 2 6 0 Es erschließt sich nicht ohne weiteres, welche Folgerungen aus dieser Rechtsprechungsentwicklung abzuleiten sind. Unklar bleibt, ob das Bundesarbeitsgericht eine Überantwortung tariflicher Normsetzungsmacht bei dynamisch verweisenden Anerkennungstarifverträgen nicht befurchtet und infolge dessen für eine weitgehende Freigabe antezipierender Verweisungen plädiert. Möglicherweise lässt sich das Bundesarbeitsgericht aber auch dahin gehend interpretieren, dass es ein drittes Sachgerechtigkeitskriterium zur Rechtfertigung dynamischer Verweisungen zur Verfügung stellt, indem es den Status des anerkennenden Arbeitgebers als Firmentarifvertragspartei besonders betont. Aus dem Schweigen der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nicht geschlossen werden, dass das Bundesarbeitsgericht bei AnerkennungstarifVerträgen auf eine sachliche Rechtfertigung der Blankettverweisung gänzlich ver-
258 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.06.1998, AP Nr. 1 zu § 20 UmwG; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; vgl. auch BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; siehe dazu Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. 259 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 260 Entgegen den Schlussfolgerungen in mehreren Urteilsanmerkungen - vgl. Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; siehe auch Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3 - bezieht sich der zitierte Begründungssatz nicht auf die dynamische Verweisungsanordnung selbst. Vielmehr nimmt das Bundesarbeitsgericht an dieser Stelle zur anerkennungstarifvertraglichen „Vorabunterwerfungsklausel" Stellung, die in einem eigenen Abschnitt eingehender Analyse unterzogen wird - siehe unten § 10 Β I 3 d aa. Dessen ungeachtet kann bei der Bewertung der dynamischen Verweisungsklausel auf die höchstrichterliche Argumentation zurückgegriffen werden. Denn sowohl der „dynamischen Verweisungsklausel" als auch der „Vorabunterwerfungsklausel" liegt eine „inhaltlich antezipierende" Bezugnahmekonstellation zu Grunde, die sich lediglich in der inhaltlichen Reichweite der Bezugnahmewirkungen unterscheiden.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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ziehtet. 261 Denn die Problematik der Tarifhormverantwortung stellt sich auf AnerkennungstarifVertragsebene in gleicher Weise, wie in jeder anderen dynamischen Bezugnahmekonstellation. Nach Hamacher 262 und Löwisch 263 soll auch der höchstrichterliche Hinweis auf die Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Rechtsetzung unbeachtlich sein. Ein Unterschied zwischen Blankettverweisungen in Verbands- und in Firmentarifverträgen lasse sich nicht begründen. Aus diesem Grund müsse auch hier auf die allgemeinen Rechtfertigungskriterien zurückgegriffen werden. In einer neuen Entscheidungen vom 20.06.2001 stellt auch das Bundesarbeitsgericht die Eigenheiten der firmentarifVertraglichen Normgebung nicht mehr in den Mittelpunkt seiner Argumentation, sondern rechtfertigt die Zulässigkeit anerkennungstarifVertraglicher Blankettverweisungen mit dem Kriterium des Sachzusammenhangs der Geltungsbereiche. 264 Jedoch vermögen die Stellungnahmen von Hamacher und Löwisch nicht zu überzeugen. Der FirmentarifVertrag zeichnet sich sehr wohl durch eine Besonderheit aus, die es entgegen der neuesten Rechtsprechungstendenz rechtfertigt, dynamische Verweisungen ohne den Rückgriff auf die ursprünglich entwickelten Sachgerechtigkeitskriterien zuzulassen.
aa) Arbeitgeberseite Haupteinwand gegen die Regelungstechnik der dynamischen Verweisung ist die fehlende eigenverantwortliche Wahrnehmung der tariflichen Rechtset-
261
Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. auch Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380. Siehe jetzt auch wieder BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 262 Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; vgl. zudem Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99 f. Ähnlich auch Stoffels, ZfA 1999, 49, 145. 263 Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 264 BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Siehe auch BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, wobei hier die Besonderheit zu beachten ist, dass sich die räumlichen Geltungsbereiche des verweisenden und bezogenen Tarifvertrages nicht decken. Hervorzuheben ist allerdings, dass sich die beiden neuen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in keiner Weise mit den Ausführungen des BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung auseinander setzen. Vgl. zudem BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
zungsmacht.265 Der Grundsatz der Eigenverantwortung dient dem Schutz der tarifunterworfenen Parteien des Einzelarbeitsverhältnisses vor einer unsachgemäßen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Sozialpartner. Dogmatisch findet die Tarifhormverantwortung ihren Anknüpfungspunkt somit im Mitgliedschaftsverhältnis. In Konsequenz dessen bedarf es lediglich dann adäquater Schutzmechanismen zur Verhinderung eines Fehlgebrauchs tariflicher Regelungsmacht, wenn sich die Normgeltung durch einen „Drittbezug" auszeichnet, das heißt zwischen dem jeweiligen Tarifvertragspartner und dem betroffenen Normadressaten eine Personendivergenz besteht.
(1) Gewährleistung der Eigenverantwortung Auf Arbeitgeberseite ist eine Preisgabe der Normsetzungsverantwortung nicht zu besorgen. 266 Gemäß § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG räumt der Gesetzgeber dem einzelnen Arbeitgeber die Fähigkeit ein, selbstverantwortlich Tarifverträge für sein Unternehmen abzuschließen. Auch wenn die Tarifautonomie aus verfassungsrechtlicher Sicht lediglich den Koalitionen gebührt, so ist gleichwohl anerkannt, dass sich der Einzelarbeitgeber im Rahmen des TarifVertragsgesetzes auf eine autonome Gestaltungsbefugnis berufen kann. 267 Diese Autonomie verbürgt ihm das Recht, eigenständig über das Zustandekommen und über den Inhalt einer für sein Unternehmen sachgerechten Tarifordnung zu befinden. Der anerkennende Arbeitgeber ist Tarifvertragspartei und gleichzeitig Normunterworfener. 268 In den Verhandlungen um den Abschluss eines Firmentarifvertrages hat er ausschließlich seine eigenen sozialen Belange wahrzunehmen und muss anders als der Arbeitgeberverband keine Rücksicht auf Mitgliederin-
265
Vgl. Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123; allgemein hierzu Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 126 und 129; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 11 und 15. 266 Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4. Dem stimmen im Ansatz auch Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3 zu. 267 Rieble, NZA 2000, 225, 230; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 163 ff.; siehe zudem Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 35; vgl. auch BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 268 Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifVertraglicher Arbeitsbedingungen durch HaustarifVertrag, S. 138; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 54; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 38 und § 258 Rn. 4; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 226; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 353; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 125 f. und § 3 TVG Rn. 14.
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teressen nehmen. 269 Eine firmentarifVertragliche Verweisung tangiert damit auf Arbeitgeberseite keinerlei Drittinteressen. Aus diesem Grund kann und muss der anerkennende Arbeitgeber selbst über die Sachgerechtigkeit einer dynamischen Bezugnahmeanordnung entscheiden.270 Schließt er in Ausübung seiner tarifautonomen Regelungsmacht mit der tarifzuständigen Gewerkschaft einen Anerkennungstarifvertrag, so ist ihm die Tragweite der Dynamik bewusst. Er billigt eigenverantwortlich die dynamisierte Anbindung an die künftigen Tarifabschlüsse auf Verbandsebene und nimmt damit spätere Modifikationen des Bezugsobjektes ausdrücklich in Kauf. Zu Recht hebt Buchner daher hervor, dass sich die Gefahren dynamischer Verweisungen dadurch entschärfen, dass „der Arbeitgeber die Unterwerfung selbst erklärt." 271 Eine Begrenzung der tariflichen Willensbildung des Einzelarbeitgebers unter dem Gesichtspunkt der Tarifhormverantwortung ist abzulehnen. Selbst wenn die Blankettbezugnahme unausgewogen erscheinen mag, legitimiert dieser Umstand keine Bevormundung des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber bedarf keines Schutzes vor seiner eigenen tarifvertraglichen Willenserklärung. 272 Er kann frei darüber entscheiden, welcher Normsetzungstechnik er sich bedient, um die firmentarifVertraglichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einer nach seiner 269 Die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen Arbeitgebers betonen auch Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 8 und 12; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 764; Otto, RdA 1984, 261, 266, 273 und 275; siehe zudem Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 7; vgl. ebenfalls Rieble, NZA 2000, 225, 230. 270 Im Hinblick auf den einzelnen Arbeitgeber bestehen keine strukturellen Unterschiede in den Folgewirkungen seiner „normativen" Regelungstätigkeit einerseits und der „obligatorischen" Regelungstätigkeit andererseits. Es ist allgemein anerkannt, dass die Sozialpartner bei obligatorischen Regelungsabsprachen, mit denen sie so genannte „Eigenpflichten" begründen, weitgehende Vertragsautonomie in den Grenzen der Arbeits· und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG genießen vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 173; Richardi, Kollektivgewalt und Individuatile, S. 199 und 202 f.; Reuter, Anm. zu BAG vom 07.11.1995, JuS 1997, 184, 184; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 156; Wallisch, Tarifvertragliche Einwirkungspflichten, S. 80; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 540; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 303 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 362 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 267; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 663. Zur Begründung wird angeführt, dass sich die Vertragsautonomie aus dem Umstand rechtfertigt, dass Rechte und Pflichten allein für die vertragschließenden Parteien begründet werden und keine Drittinteressen betroffen sind. Genau dieser Rechtsgedanke gilt auch für den Einzelarbeitgeber im Falle firmentarifvertraglicher Normsetzung. 271 Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4. Auch Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2 betont, dass der anerkennende Arbeitgeber „Opfer seines individuellen Tarifentschlusses" ist. 272 Ähnlich Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; Rieble, NZA 2000, 225, 230 allerdings in einem anderem rechtlichen Kontext.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Einschätzung sinnvollen Regelung zuzuführen. 273 Jede andere Betrachtung würde eine unzulässige Beschränkung der verfassungsrechtlich verankerten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bedeuten.274 Diese Betrachtung wird durch einen Blick in das Arbeitsvertragsrecht bestätigt. Auch bei individualarbeitsvertraglichen Blankettverweisungen auf Tarifverträge ist anerkannt, dass der Arbeitgeber vor den Konsequenzen selbst vereinbarter Verweisungsklauseln nicht zu schützen ist. 275 Der Hinweis des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 18.12.1996 auf die Besonderheiten des Firmentarifvertrages und insbesondere auf die Tatsache, dass der Arbeitgeber „die Regelung selbst vereinbart hat", ist somit treffend. 276
(2) Bedeutung des Erfordernisses
der „ Vorhersehbarkeit"
Zu beachten ist jedoch, dass die besondere tarifrechtliche Stellung des Einzelarbeitgebers in keiner logischen Verknüpfung zur „Vorhersehbarkeit" der zukünftigen Entwicklung des bezogenen Tarifvertrages steht. Der zwischenzeitliche Verzicht des Bundesarbeitsgerichts auf das Wirksamkeitserfordernis eines engen Sachzusammenhangs zwischen dem Anerkennungs- und dem Bezugstarifvertrag erweitert den Kreis denkbarer Bezugnahmeobjekte. Gedankliche Konsequenz ist, dass keine Verpflichtung des anerkennenden Arbeitgebers besteht, lediglich sachnahe Tarifverträge fremder Sozialpartner auf die firmentarifVertragliche Ebene überzuleiten. Dies kann dazu führen, dass er mangels Sachnähe zum bezogenen Tarifwerk nicht im Stande ist, künftige Modifikationen im Voraus sinnvoll zu beurteilen. Für anerkennungstarifvertragliche Blankettverweisungen stellt sich daher die Frage, ob die „Vorhersehbarkeit" der künftigen Tarifentwicklung auf Seiten des Arbeitgebers zu den unverzichtbaren Wirksamkeitsvoraussetzungen zählt. Dies ist in Einklang mit der im Urteil vom 18.12.1996 geäußerten Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu verneinen. 277 Kompensiert wird eine möglicherweise eingeschränkte Vorhersehbarkeit durch die eigenverantwortliche Wahrnehmung der tariflichen Normsetzungsbefugnis. Das Erfordernis der Vorhersehbarkeit steht nicht auf einer Stufe mit dem Grundsatz der Tarifhormverantwor-
273 Welche rechtlichen Konsequenzen eine streikweise Erzwingung der dynamischen Anerkennungserklärung nach sich zieht, soll in einem eigenen Abschnitt untersucht werden - siehe unten § 14 A. 274 Die Rückkopplung der erweiterten firmentarifVertraglichen Regelungsmacht des einzelnen Arbeitgebers zur unternehmerischen Entscheidungsautonomie betont auch Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 8 und 12. 275 So Preis, in Preis, Der Arbeitsvertrag, S. 1320. 276 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 277 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
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tung. Denn dogmatisch verwendet die höchstrichterliche Rechtsprechung das Vorhersehbarkeitskriterium gerade zur Bestimmung hinreichender Normenverantwortlichkeit. Steht aber die eigenverantwortliche Wahrnehmung der tariflichen Rechtsetzungsbefugnis bereits aufgrund anderer Erwägungen fest, so verliert das Erfordernis der Vorhersehbarkeit seine eigenständige Relevanz.
(3) Absicherung der Eigenverantwortung Der Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit wird durch die Möglichkeit der jederzeitigen Aufhebbarkeit der Blankettverweisung abgesichert. Dem anerkennenden Arbeitgeber steht es frei, im Falle einer unsachgerechten Entwicklung des bezogenen VerbandstarifVertrages den Anerkennungstarifvertrag ordentlich oder notfalls außerordentlich zu kündigen. 278 Entgegen der grundsätzlichen Einwände des Bundesarbeitsgerichts 279 rechtfertigt die kurzfristige Kündbarkeit zumindest auf firmentarifVertraglicher Ebene die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen. Zum einen hat es der Arbeitgeber angesichts seiner autonomen Anerkennungserklärung selbst zu verantworten, dass modifizierte Tarifbedingungen, die seinen inhaltlichen Vorstellungen widersprechen, vorübergehend bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder ihrem sonstigen Auslaufen in Kraft bleiben. Das Augenmerk ist zum anderen auf die erleichterte außerordentliche Kündigungsmöglichkeit des Anerkennungstarifvertrages zu richten. 280 Im Gegensatz zur Rechtslage bei VerbandstarifVerträgen kann der einzelne Arbeitgeber die Blankettverweisung bereits dann außerordentlich auflösen, wenn er mit un vorhersehbaren Entwicklungen des Bezugsobjektes konfrontiert wird, die zu einer unzumutbaren Belastung seines Unternehmens führen. 281 Im Falle der Kündi278
Ausführlich dazu unten § 15 A II und § 15 A III. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 280 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. 281 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NZA 1997, 906, 907; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 43; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 209; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 769; vgl. zudem Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 279
108, 110.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
gung einer Verbandstarifvereinbarung ist dagegen eine über das einzelne Unternehmen hinausgehende Bewertung angezeigt, sodass die unzumutbare Beschwer einzelner Mitgliedsunternehmen gerade nicht genügt. 282 Außerdem ermöglichen die Besonderheiten des Firmentarifvertrages eine verfahrenstechnische Beschleunigung des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung. Der Willensbildungsprozess ist im einzelnen Unternehmen schneller als auf Verbandsebene abgeschlossen, wodurch eine kurzfristige Reaktion auf unzumutbare Umstände sichergestellt ist. Entsprechend der Forderung des Bundesarbeitsgerichts bleibt der anerkennende Arbeitgeber damit generell „Herr" der Verweisung. 283
bb) Arbeitnehmerseite Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob auch auf Arbeitnehmerseite von einer eigenverantwortlichen Normsetzung gesprochen werden kann. Sowohl Löwisch lu als auch Hamacher 285 verneinen an dieser Stelle eine Sonderbehandlung des Anerkennungstarifvertrages. Ihren Bedenken kann aber in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Richtig ist es im Ausgangspunkt allerdings, dass die Gewerkschaft beim Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG die Verpflichtung hat, die Arbeitsbedingungen der mit ihr mitgliedschaftlich verbundenen Arbeitnehmer verantwortlich zu gestalten. Dennoch verdient das Bundesarbeitsgericht Zustimmung, wenn es im Urteil vom 18.12.1996 zur Rechtfertigung dynamischer Verweisungen auf die Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Rechtsetzung verweist. Der Entscheidung lag eine Konstellation zu Grunde, in der die IG Metall von einem Außenseiterarbeitgeber die Übernahme ihrer „eigenen" Verbandstarifverträge einforderte. 286 Sofern die Gewerkschaft die Anerkennung derjenigen Flächentarifabkommen verlangt, die sie selbst mit einem Arbeitgeberverband abgeschlossen hat, sprechen zwei Gründe für eine sachgerechte Wahrnehmung der sozialen Belange der tarifgebundenen Arbeitnehmer.
282
BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 110; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 769 f.; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 31. 283 Vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 284 Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 285 Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3. 286 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung.
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(1) Mitwirkung an den künftigen Fassungen des in Bezug genommenen Verbandstarifvertrages Bereits Birk hat darauf hingewiesen, dass die an einen Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer keiner unzulässigen Fremdbestimmung unterworfen werden, wenn die zukünftige Ausgestaltung des bezogenen Tarifvertrages unter Mitwirkung ihrer Gewerkschaft erfolgt. 287 Die Beteiligung am VerbandstarifVertrag ermöglicht es der Arbeitnehmervereinigung, die inhaltliche Entwicklung des Bezugsobjektes zu übersehen. Sie hat es selbst in der Hand, welche Modifikationen in Zukunft auf Branchenebene Normgeltung erlangen. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass auch der am bezogenen VerbandstarifVertrag beteiligte Arbeitgeberverband paritätisch an der inhaltlichen Ausformung des Bezugsobjektes mitwirken kann. Zwar ist die Arbeitgeberkoalition berechtigt, neuartige Tarifregelungen anzustreben und diese notfalls im Wege des Arbeitskampfes durchzusetzen. Dennoch fuhrt der Einfluss der Arbeitgebervereinigung nicht dazu, dass die weitere Entwicklung des VerbandstarifVertrages fur die Gewerkschaft unkalkulierbar wird. Denn das Konsensualprinzip verhindert, dass ohne gewerkschaftliche Zustimmung in Zukunft neue, unvorhersehbare Tarifbestimmungen Geltung erlangen. Die Beteiligung der Arbeitnehmervereinigung an den VerbandstarifVerhandlungen ist somit Basis für einen fortwährenden Einfluss auf den Regelungsinhalt der inkorporierten Tarifbestimmungen und bildet die Grundlage für eine hinreichende „Vorhersehbarkeit".
(2) Rechtzeitige Aufhebbarkeit
der dynamischen Verweisungsanordnung
Ein zweiter Begründungsansatz findet sich bei Buchner, der betont, dass die anerkennungstarifVertragliche Blankettverweisung letztlich der vertragschließenden Gewerkschaft zugute kommt. 288 Sie behält die Dispositionshoheit über den Anerkennungstarifvertrag, weil sie aufgrund ihrer Mitwirkung an den VerbandstarifVerhandlungen frühzeitige Kenntnis von künftigen Regelungsbegehren erlangt. Entspricht die anvisierte verbandstarifVertragliche Neufassung nicht den sozialen Belangen der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten, kann die Gewerkschaft rechtzeitig vor Inkrafttreten des NachfolgeverbandstarifVertrages auf eine Auflösung der dynamischen Verweisungsanordnung hinwirken, und damit im Regelfall eine auch nur vorübergehende Geltung unsachgerechter Tarifbedingungen vermeiden.
287
Birk, ArbuR 1977, 235, 238. Siehe auch Bauer, JuS 1999, 765, 770 (Fn. 9). Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4. 288
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
(3) Gegenüberstellung mit dem Sachgerechtigkeitskr Zusammenhangs der Geltungsbereiche
iter ium des engen
Die Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages erlauben der Gewerkschaft eine größere eigenverantwortliche Einflussnahme, als es das Sachgerechtigkeitskriterium des engen sachlichen Zusammenhangs der Geltungsbereiche je gewährleisten kann. Das Merkmal des Geltungsbereichszusammenhangs fordert keine kongruente Beteiligung der Arbeitnehmervereinigung am verweisenden und am bezogenen Tarifvertrag, sodass gewerkschaftliche Forderungen nach dynamischer Anerkennung eines von einer anderen Arbeitnehmervereinigung geschlossenen Tarifvertrages statthaft sind. Wenn es der Gewerkschaft indes gelingt, mit dem einzelnen Arbeitgeber die Übernahme der „eigenen" Verbandstarifverträge zu vereinbaren, ist eine bessere Basis für die Vorhersehbarkeit kaum denkbar. Angesichts ihres Einflusses auf die inhaltliche Gestaltung des Bezugstarifvertrages bleibt das spekulative Element gering.
cc) Schlussfolgerung Dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen auf Verbandstarifwerke, an denen die vertragschließende Gewerkschaft selbst beteiligt ist, überschreiten nicht die Grenzen tariflicher Rechtsetzungsmacht. Weder die Gewerkschaft noch der anerkennende Arbeitgeber begeben sich ihrer Tarifnormverantwortung. Diese Schlussfolgerung widerspricht keineswegs den bisherigen höchstrichterlichen Aussagen zur Blankettverweisungstechnik. Zwar bejaht das Bundesarbeitsgericht eine sachgerechte Normgestaltung grundsätzlich nur für den Fall der Identität „beider" Tarifvertragsparteien. 289 Nicht ausreichend ist danach, dass lediglich ein Sozialpartner sowohl am Verweisungs- als auch am Bezugstarifabkommen beteiligt ist. 290 Trifft diese Aussage auf verbandstarifVertragliche Bezugnahmen zu, so rechtfertigen die Besonderheiten des Firmentarifvertrages eine abweichende Bewertung, denn die Frage nach der eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Rechtsetzungsmacht für die mitgliedschaftlich verbundenen Normadressaten stellt sich ausschließlich auf Arbeitnehmerseite. 291
289
BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. Siehe dazu oben § 6 A IV 2 a bb. 290 So ausdrücklich Gröbing, ArbuR 1961, 334, 337. 291 Die gesonderte Behandlung anerkennungstarifvertraglicher Blankettverweisungen wird gleichfalls nicht durch das Urteil des BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form in Frage gestellt. In dieser grundlegenden Entscheidung entwickelte die Recht-
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
173
Zu Recht hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18.12.1996 auf die Besonderheiten des Firmentarifvertrages hingewiesen.292 Zwar erkennt es die anerkennungstarifVertragliche Bezugnahmekonstellation nicht ausdrücklich als dritten Tatbestand statthafter Blankettverweisungen an. Wie die vorstehenden Ausführungen jedoch belegen, kann zumindest dann, wenn die Gewerkschaft sowohl am verweisenden Anerkennungstarifvertrag als auch am bezogenen VerbandstarifVertrag beteiligt ist, von einer zulässigen tariflichen Normsetzung gesprochen werden, ohne dass es eines Rückgriffs auf die übrigen Sachgerechtigkeitskriterien bedarf. Aus diesem Grund ist die neuerzum Rechtfertigungskriterium liche Hinwendung des Bundesarbeitsgerichts des geltungsbereichsbezogenen Sachzusammenhang entbehrlich. 293
c) Kritik an der Grundsatzrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen und Entwicklung eines eigenen Ansatzes Auch wenn im klassischen Anwendungsbereich des AnerkennungstarifVertrages vom höchstrichterlichen Standpunkt betrachtet keine Bedenken gegen dynamische Verweisungen bestehen, lassen sich mit den Kriterien der Rechtsprechung nicht alle Bezugnahmekonstellationen lösen. Es verbleiben zumindest theoretische Fallgruppen firmentarifVertraglicher Blankettverweisungen, die vom Ansatz des Bundesarbeitsgerichts betrachtet, zu beanstanden sind. So kann auf die soeben herausgearbeiteten Besonderheiten des Firmentarifvertrages nur dann verwiesen werden, wenn die Gewerkschaft sowohl Partei des verweisenden als auch des bezogenen Tarifvertrages ist. Eine dynamische Bezugnahme auf Tarifwerke anderer Gewerkschaften rechtfertigt diese Betrachtungsweise nicht. Andererseits ist auch die subsidiäre Heranziehung des Kriteriums des engen Zusammenhangs der Geltungsbereiche nicht geeignet, dynamische Verweisungen abschließend zu legitimieren. Es ist denkbar, dass die Firmentarifpartner auf Verbandstarifabschlüsse anderer Tarifregionen verweisen. In neu entstehenden Wirtschaftszweigen, wie beispielsweise in der Internet- und Kommunikationsbranche, fehlen häufig einschlägige verbandstarifliche Bezugnahmeob-
sprechung die Sachgerechtigkeitskriterien in Anknüpfung an eine anerkennungstarifVertragliche Verweisungskonstellation, ohne jedoch auf die Besonderheiten des Firmentarifvertrages einzugehen. Dies lässt sich allerdings damit erklären, dass das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung nutzte, um allgemeingültige Merkmale aufzustellen, die für alle dynamischen Verweisungskonstellationen gelten. 292 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 293 BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. auch BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
jekte, sodass die Tarifschließenden auch in fachlicher Hinsicht auf andere Branchentarifverträge ausweichen müssen.294 Die Forderung des Bundesarbeitsgerichts nach einem sachlichen Zusammenhang „aller" Geltungsbereichsausrichtungen ist in diesen Fällen nicht realisierbar. 295 Diese Überlegungen geben Anlass, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dynamischen Verweisungen auf ihre dogmatische Berechtigung zu untersuchen. Dabei ist insbesondere auf die Legitimität des „Sachgerechtigkeitspostulats" einzugehen.
aa) Kritische Bewertung des Sachgerechtigkeitspostulats Die höchstrichterliche Bestimmung der Grenzen dynamischer Verweisungen ist in der Lehre auf Kritik gestoßen. In aktuellen Stellungnahmen mehren sich die Stimmen, die die bundesarbeitsgerichtliche Argumentation schon im Ausgangspunkt in Frage stellen. 296 Angreifbar ist der dogmatische Ansatz des Bundesarbeitsgerichts, weil die Sachgerechtigkeitsvermutung nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der tariflichen Regelungsbefugnis, sondern „Folge" tarifautonomer Normsetzung ist. Der Schluss von der anerkannten Rechtsfolge auf den Legitimationsgrund ist wenig überzeugend. 297 Nicht die Sachgerechtigkeit ist der gesetzgeberische Grund der eingeräumten Normsetzungskompetenz, sondern das Vertrauen des Gesetzgebers in die Tarifvertragsparteien, dass sie aufgrund ihres Sachverstandes am Besten geeignet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einer sachge-
294 Vgl. Koberski/Clasen/Menzel, § 6 TVG Rn. 12. Siehe auch Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 56. 295 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 296 Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 97 ff.; Braun, BB 1986, 1428, 1431; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 572; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 98 f.; ders., Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 93 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 309; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378 und 382; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 341. 297 Braun, BB 1986, 1428, 1431; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 33; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 94; Schulin, ZfA 1981, 577, 583; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 309 (Fn. 60); vgl. auch Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 479. Nach Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 572 hat das Sachgerechtigkeitskriterium vor Art. 9 Abs. 3 GG keinen Bestand.
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175
rechten Ordnung zuzuführen. 298 Schließlich ist nicht einzusehen, warum das Merkmal der Sachgerechtigkeit bei originärer TarifVertragsgestaltung keine Rolle spielen soll - dies aber im Rahmen dynamischer Bezugnahmen anders bewertet wird. 2 9 9 Ausgehend vom Standpunkt des Bundesarbeitsgerichts erscheint es inkonsequent, lediglich dann eine sachgerechte Tarifgestaltung anzunehmen, wenn eine Identität der jeweiligen Tarifparteien oder ein enger Zusammenhang der Geltungsbereiche gegeben ist. Blankettverweisungen können auf Sachgründen beruhen, die weder an der Identität der Sozialpartner noch an der Verwandtschaft der Geltungsbereiche anknüpfen. 300 Wenn die Vertragsparteien in Ausübung ihrer Tarifautonomie grundsätzlich selbst über den sachlichen Beweggrund ihrer Normsetzung entscheiden, kann das Sachgerechtigkeitspostulat die Sozialpartner nicht gleichzeitig auf enumerative Rechtfertigungsvarianten beschränken. Die Rechtsprechung stößt auf Ablehnung, weil eine Kontrolle der Sachgerechtigkeit die Gefahr einer nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG unzulässigen Tarifzensur begründet. 301 Zwar erkennt das Bundesarbeitsgericht diese Problematik und widerspricht dem Vorwurf verbotener Inhaltskontrolle. 302 Die Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Das Postulat der Sachgerechtigkeit suggeriert einen materiell inhaltlichen Prüfungsumfang. Nimmt 298
Braun, BB 1986, 1428, 1431; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 94; Schulin, ZfA 1981, 577, 583 f. 299 Schulin, ZfA 1981, 577, 584, Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 309 (Fn. 61); vgl. auch Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150. 300 Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 94; siehe zudem Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3. 301 Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 98 f.; Braun, BB 1986, 1428, 1431; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 573; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 83 (Fn. 90) und 98; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 93 f.; Schulin, ZfA 1981, 577, 584; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 309; ders., Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 302 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; vgl. LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 149. Der Hinweis des BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O, dass nicht geprüft wird, ob die „gerechteste und zweckmäßigste Regelung" erzielt wurde, ist nicht von Nutzen, solange an dem fragwürdigen Sachgerechtigkeitspostulat festgehalten wird.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
man das Sachgerechtigkeitserfordernis beim Wort, so müssen die Arbeitsgerichte nachforschen, ob der bezogene Tarifvertrag sinnvolle Regelungen für die dem VerweisungstarifVertrag unterworfenen Normadressaten beinhaltet. Dann sind die Bedenken einer Tarifzensur nicht von der Hand zu weisen, weil ohne Heranziehung von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ein Sachgerechtigkeitsurteil unmöglich ist. 303 Eine derartige Kontrolldichte bewirkt eine Zwangsschlichtung und widerspricht damit dem Wesen der Tarifautonomie. Auch Versuche in der Lehre, dem Vorwurf unzulässiger Tarifzensur entgegenzutreten, indem sie für einen großzügigen Beurteilungsmaßstab plädieren, 304 sind wenig überzeugend. Ungeachtet dessen, dass die Lehrmeinung eine klare Grenzziehung schuldig bleibt, gelingt ihr keine Distanzierung von der Inhaltsbezogenheit der Verweisungskontrolle. Gegen die Beschränkung dynamischer Verweisungen durch das Sachgerechtigkeitspostulat spricht zudem dessen fehlende Justiziabilität. 305 Deutlich wird dies im Hinblick auf das Kriterium eines engen sachlichen Zusammenhangs der Geltungsbereiche. Es gelingt dem Bundesarbeitsgericht nicht, verlässliche Vorgaben dafür herauszuarbeiten, wann ein Sachzusammenhang „eng" genug ist und wann nicht. Im Übrigen sind unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Auffassung Konstellationen denkbar, in denen die einzelnen Sachgerechtigkeitskriterien keineswegs die im Ausgangspunkt anvisierte sachgerechte Strukturierung der seiner Arbeitsbedingungen garantieren. So bleibt das Bundesarbeitsgericht ursprünglichen Forderung nach Übereinstimmung „aller" Geltungsbereiche 306 des verweisenden und des bezogenen Tarifvertrages in aktuellen Entscheidun-
303 Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 93 f.; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; siehe zudem Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 99; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 479. 304 So beispielsweise Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. 305 Vgl. Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Braun, BB 1986, 1428, 1431; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 573; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 83 (Fn. 90) und 98; Mangen, RdA 1982, 229, 237; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 477 und 479; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 94; Schulin, ZfA 1981, 577, 584; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 309; siehe zudem Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 99; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 306 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. Neumann, RdA 1994, 370, 373.
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gen nicht konsequent treu. 307 Insbesondere verzichtet das Bundesarbeitsgericht auf eine Kongruenz der räumlichen Ausrichtung der Geltungsbereiche und erweitert damit den Anwendungsbereich zulässiger Blankettverweisungen. 308 Tarifverträge der ostdeutschen Metallbranche verwiesen gekoppelt mit einer Stufenregelung in dynamischer Weise auf die jeweiligen Tarifabschlüsse westdeutscher Tarifregionen. 309 Gerade durch eine unterschiedliche ökonomische Entwicklung waren die übernommenen Tarifnormen nicht geeignet, ihre tarifliche Ordnungs- und Befriedungsfunktion in den neuen Bundesländern zu erfüllen. Es lässt sich daher zumindest bezweifeln, ob angesichts der strukturellen Unterschiede in den verschiedenen Tarifregionen tatsächlich sachgerechte Tariflösungen erzielt worden sind. 310 Auch das Beispiel der Teilblankettverweisung belegt, dass allein das Kriterium des Geltungsbereichszusammenhangs nicht stets die Sachgerechtigkeit künftiger Tarifregelungen gewährleistet. 311 Ohne dass sich etwas an der Gesamtsachgerechtigkeit des bezogenen Tarifwerkes ändert, können einzelne verbandstarifVertragliche Regelungskomplexe gravierende Modifikationen erfahren. Es ist daher keinesfalls zwingend, dass die veränderten Regelungskomplexe nach ihrer Inkorporierung in den VerweisungstarifVertrag einen sachgerechten Tarifausgleich bieten. 312
307
BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. zudem LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 149; im Ergebnis ebenso BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe dazu Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130. 308 BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; vgl. auch BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 309 Buchner, NZA 1993, 289, 292 bezweifelt die Sachgerechtigkeit der Verweisung wegen unterschiedlichen Interessenlagen in den verschiedenen Tarifgebieten. Vgl. zu dieser besonderen Verweisungssachlage Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Kempff, AiB 1993, 267, 268; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130; siehe auch Buchner, NZA 1993, 289, 289 ff.; Oetker, RdA 1995, 82, 83; Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 101 ff.; Zachert, NZA 1993, 299, 299 f.; ders., Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 310 Vgl. dazu Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 59. 311 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 83; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 312 Zu den Einzelheiten von Teil Verweisungen siehe unten § 7 Β II.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifvertrages bb) Lösungsvorschläge im Schrifttum
Trotz berechtigter Kritik an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht keine Einigkeit im Schrifttum, in welchem Umfang die verdeckte Kompetenzverschiebung eine Begrenzung dynamischer Verweisungen bedingt.
(1) Kernbereichstheorie Ein auf Wiedemann 3,3 zurückgehender Lösungsansatz befürwortet die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen, solange die Tarifvertragsparteien den Kernbereich ihrer Koalitionsbetätigung nicht aus der Hand geben. 314 Allein aus der Blankettverweisung resultiere keine Preisgabe des Kernbereichs tarifautonomer Betätigungsbefugnis. Erst wenn die verweisenden Tarifpartner ihren Tarifvertrag für unkündbar erklären, eine besonders lange Laufzeit vereinbaren oder eine Kündigung längerfristig ausschließen, führe die dynamische Verweisung zu einer unzulässigen Aufgabe des Kernbereichs und folglich zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Tarifhormverantwortung. 315 Die Schwäche des Lösungsvorschlags liegt in der fehlenden Bestimmtheit der Kernbereichsgrenzen. 316 Unklar bleibt die verfassungsrechtlich determinierte Bindungsdauer, ab welcher ein unzulässiger Verzicht auf den Kernbereich eigenverantwortlicher Normsetzung angenommen werden muss. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass für langfristige Bezugnahmeanordnungen durchaus sachliche Gründe sprechen können. Im Übrigen kann auch bei kurzen Kündigungsfristen eine dauerhafte Bindungswirkung eintreten, wenn die Tarif-
313
Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. auch Wiedemann/Arnold, Anm. zu BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972. 314 Siehe dazu Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 90 f. Diesen Ansatz diskutiert auch das BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 149 allerdings ergänzend zum Rechtfertigungskriterium der „Sachgerechtigkeit". Vgl. auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 127; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 12; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19. 315 Vgl. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 127; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 12; Neumann, RdA 1994, 370, 373. 316 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 59.
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vertragschließenden von ihrer Kündigungsberechtigung keinen Gebrauch machen. 317
(2) Dispensklausel Braun 318 vertritt die Ansicht, dass es zur Vermeidung unvorhersehbarer Tarifentwicklungen der Vereinbarung einer Dispensklausel bedarf. Der VerweisungstarifVertrag müsse beiden Parteien das Recht einräumen, jederzeit die dynamische Bezugnahme in eine statische Verweisung umzuwandeln. Zwar ermöglicht diese Gestaltungsform bei grundlegenden Änderungen eine einseitige Abkopplung vom Bezugstarifvertrag und stellt daher eine praxistaugliche Option zur Verfügung. Auf die Verabredung einer Dispensklausel als Wirksamkeitsvoraussetzung dynamischer Verweisungen kann es jedoch nicht entscheidend ankommen. Es ist gerade das Anliegen der Blankettverweisung, Änderungen des bezogenen Tarifvertrages zu antezipieren. 319 Eine jederzeitige Lösungsmöglichkeit beschränkt die Verweisungstechnik übermäßig und überbetont die aus dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung abzuleitenden Anforderungen. Braun fordert im Ergebnis bei jeder Modifikation des Bezugsobjektes eine neuerliche Bestätigung der Dynamisierung durch Nichtausübung des Dispensierungsrechts. Dann würde die dynamische Verweisung aber ihren Vorteil gegenüber einer jeweils neu abgeschlossenen statischen Verweisung verlieren. Jede Tarifvertragspartei könnte unbedeutende Änderungen des Bezugstarifvertrages zum Anlass nehmen, sich missliebigen Neuerungen zu entziehen. Für die Normunterworfenen entstehen daher erhebliche Unsicherheiten, ob eine der Vertragsparteien die Dynamik auflösen wird. Letztlich kann die Gefahr mangelnder Interessenwahrnehmung ohnehin nicht sicher ausgeräumt werden, weil die Dispensklausel keine Pflicht zur Ausübung der Umwandlungsbefugnis statu320
îert.
317 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 96; siehe auch LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148. 318 Braun, BB 1986, 1428, 1431. 319 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 95; allgemein hierzu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 61 f. 320 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 95. Auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 124 bewertet die Dispensklausel als zweckmäßige Gestaltungsoption - nicht jedoch als Wirksamkeitsvoraussetzung.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifvertrages
(3) Wesentlichkeitstheorie Eine andere Begrenzung dynamischer Verweisungen versuchen die Vertreter der Wesentlichkeitstheorie. Sie übertragen den aus der staatsrechtlichen Diskussion bekannten Grundsatz, dass die Normgeber alle wesentlichen Regelungen selbst treffen müssen, in das Tarifrecht. 321 Dabei knüpft die Auffassung am Maßstab des Art. 80 GG an. 322 Reinermann erklärt diejenigen Tarifbestimmungen für wesentlich, die „die Tarifpraxis völlig neu gestalten und daher die Normunterworfenen besonders intensiv betreffen". 323 Schon im Ansatz kann diesem Lösungsvorschlag nicht gefolgt werden. Ein Rückgriff auf Art. 80 GG schlägt fehl, weil diese Vorschrift eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen legitimiert. Derartige Kompetenzübertragungen finden im Falle dynamischer Verweisungen gerade nicht statt. 324 Die Wesentlichkeitstheorie ist ohne klare Konturen, weil sie ihrerseits der Ausfüllung bedarf. Wann eine Tarifbestimmung wesentlich ist, wird durch viele Faktoren bestimmt, sodass auch diese Theorie nicht ohne eine inhaltsbezogene Betrachtung auskommt. 325 Die Wesentlichkeitstheorie bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, was gelten soll, wenn die in Bezug genommene Tarifregelung im späteren Verlauf eine wesentliche Änderung erfährt. Sollen dann die wesentlichen Neuheiten nicht inkorporiert werden, aber im Übrigen die Dynamik fortbestehen, oder soll die gesamte Bezugnahme hinfällig werden? Die Tarifvertragsparteien müssen bereits im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses sicher beurteilen können, ob ihre Verweisungsanordnung rechtlichen Bestand hat. Ferner widerspricht die Wesentlichkeitstheorie den praktischen Bedürfhissen der TarifVertragspartner, indem sie universale Globalverweisungen weitgehend
321 Baumann,, RdA 1987, 270, 273 f.; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60; Mangen,, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebs Vereinbarungen, S. 92 und 97 f.; vgl. auch Zachert, RdA 1996, 140, 142 f. 322 Baumann, RdA 1987, 270, 273; ders., Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 92; Zachert, RdA 1996, 140, 142 f. 323 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 92 und 99. 324 Siehe oben § 6 A I V 1 a. Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 524; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form leiten aus dem Rechtsgedanken des Art. 80 GG lediglich ab, dass dynamische Verweisungen nicht prinzipiell unzulässig sind. Siehe zudem Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 76; Sachs, NJW 1981, 1651, 1652; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 87. 325 Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 99; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 98.
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unmöglich macht, denn Tarifverträge werden nur selten ohne „wesentliche" Tarifbedingungen auskommen.
cc) Eigener Ansatz Eine zufriedenstellende Bestimmung der Grenzen dynamischer Verweisungen ist bislang nicht gelungen. 326 An dieser Stelle soll ein eigener Lösungsansatz vorgeschlagen werden. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Feststellung, dass sowohl in der Rechtsprechung 327 als auch im Schrifttum 328 die Tendenz zu einer großzügigeren Zulassung dynamischer Verweisungsklauseln unverkennbar ist. Das Bundesarbeitsgericht lockert die Forderung nach einem Sachzusammenhang aller Geltungsbereiche zunehmend.329 Darüber hinaus hält es dynamische Anerken326 So ebenfalls Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 100; ders., Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; vgl. auch Mangen, RdA 1982, 229, 237; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150. 327 Vgl. BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 149. 328 Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 100; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 573; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; ders., Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 83 (Fn. 90) und 100 f.; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 87 f. und 103; Schulin, ZfA 1981, 577, 583 f.; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; vgl. zudem Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200 und Einleitung Rn. 341. Stimmen in der Literatur, die bereits vor der Rechtsprechungsänderung im Jahr 1980 Blankettverweisungen ftir zulässig erachteten, sahen damals keinen Anlass fur eine grundlegende Beschränkung dynamischer Verweisungen - vgl. Frey, ArbuR 1958, 306, 306 f.; Hanau, Anm. zu BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; Herschel BB 1963, 1220, 1222 f.; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 93; siehe zudem Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 87. 329 BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 149; siehe dazu auch Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Kempff, AiB 1993, 267, 268; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
nungstarifVerträge für zulässig und betont in diesem Zusammenhang konsequent die tarifliche Eigenverantwortlichkeit des Arbeitgebers. 330 Es sind in praxi keine Fälle bekannt geworden, in denen die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung dynamische Verweisungsklauseln beanstandet hat. Die befürchteten Auswirkungen, dass die Normadressaten Tarifregelungen unterworfen werden, die ihre soziale Ausgleichsfunktion nicht erfüllen können, haben sich nicht bewahrheitet. 331 Im Gegensatz zur ursprünglichen Zurückhaltung des Bundesarbeitsgerichts steht zudem die großzügige Zulassung tariflicher Blankettbezugnahmen auf beamtenrechtliche Vorschriften. 332 Derartige Bezugnahmeobjekte sind in ihrem Zustandekommen sehr viel weiter vom Normalfall tariflicher Rechtsetzung entfernt und müssten daher eher Anlass zu einer restriktiven Handhabung geben. 333
(1) Grundsätzliche Zulässigkeit dynamischer Verweisungen Unter Berücksichtigung dieser neueren Entwicklung in der Rechtsprechung und Lehre erscheint der Schritt nicht weit, die Regelungstechnik der dynamischen Verweisung als grundsätzlich statthaftes Verfahren tariflicher Normgebung anzuerkennen. 334 Entgegen der Grundaussage des Bundesarbeitsge330
BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. auch BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969. 331 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 100; so auch schon Iffland, DB 1964, 1737, 1739. 332 BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 07.09.1982, AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAG vom 06.06.1984, AP Nr. 1 zu § IIa TV Ang Bundespost; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.04.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O. Auch im Rahmen der Verweisung auf den BAT oder auf den BAT-O legt das Bundesarbeitsgericht einen extensiven Maßstab bei der Beurteilung der Sachgerechtigkeit an - vgl. BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O. 333 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 125 f.; vgl. auch Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 377. 334 Im Ergebnis ebenso Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 100; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 572 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 100; Herschel, BB 1963, 1220, 1222; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C , Entscheidung 3; Iffland, DB 1964, 1737, 1741; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 88; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 103; Schulin, ZfA 1981, 577, 584; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 309; ders.,
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richts, 335 wonach Blankettverweisungen regelmäßig unzulässig sind, soll hier der gegenteilige Standpunkt vertreten werden. 336 Nehmen Tarifvertragsparteien auf andere Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Bezug, so spricht eine Vermutung fur die Zulässigkeit dieser Rechtsetzungsmethode. Dieser Lösungsvorschlag findet seine Grundlage in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Tarifautonomie gewährleistet nicht nur einen Regelungsfreiraum im Hinblick auf die inhaltlich originäre Normsetzung. Vielmehr folgt aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zugleich die Autonomie, Art und Weise des Normsetzungsverfahrens frei zu wählen. 337 Eine richtig verstandene Tarifautonomie muss die Entscheidung der verweisenden Tarifpartner respektieren, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch eine dynamische Anbindung an einen anderen Tarifvertrag zu gestalten. Allein die Tarifparteien können sinnvoll beurteilen, ob eine antezipierende Übernahme fremder Tarifinhalte in Zukunft sachgerechte Arbeitsbedingungen ermöglicht. 338 Die dynamische Verweisung ist ein in der Tarifpraxis taugliches Rechtsetzungsverfahren, dass den Sozialpartnern nicht vorenthalten werden kann. 339 Insbesondere hat der Gesetzgeber im Tarifver-
Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150; vgl. auch Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 341. 335 Vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972. 336 Positiver formuliert jetzt auch das BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVÒ Bezugnahme auf Tarifvertrag, wenn es darauf verweist, dass die Rechtsetzungsbefiignis der Tarifvertragsparteien „grundsätzlich auch das Recht umfasst", auf jeweils geltende andere tarifliche Vorschriften zu verweisen, sofern zwischen den Geltungsbereichen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. 337 Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 88; vgl. zudem Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 98 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 86 f.; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 338 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 573; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 88 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 40; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift ftir Fenn, S. 85, 98 ff.; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2. 339 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Iffland, DB 1964, 1737, 1739. Aus der Tarifautonomie im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG folgt die Verpflichtung, den Sozialpartnern ein effektives Regelungsinstrumentarium zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an die Hand zu geben - vgl. BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 106 f.; BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367 ff.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen,
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tragsgesetz keine Verpflichtung zu einer inhaltlich originären Normsetzung festgeschrieben. Dynamische Verweisungen stehen prinzipiell mit dem Grundsatz der Tarifnormverantwortung in Einklang. Unter mehreren Rechtsetzungstechniken ist die Blankettverweisung eine denkbare Form der eigenverantwortlichen Wahrnehmung tariflicher Rechtsetzungsmacht.340 Um die Eigenverantwortlichkeit der tariflichen Normsetzung zu bestimmen, darf das Erfordernis der „Vorhersehbarkeit" künftiger Tarifentwicklungen nicht überstrapaziert werden. Der notwendige Umfang der Vorhersehbarkeit ist im Lichte der Tarifautonomie zu bestimmen. Den Tarifpartnern steht insoweit eine umfassende Einschätzungsprärogative zu. Das prognostische Abwägungsergebnis, inwieweit die zukünftige Entwicklung des bezogenen Tarifwerkes auch für den verweisenden Tarifvertrag eine sachgerechte Tariflösung bieten wird, ist eine tarifautonome Entscheidung und damit als rechtsverbindlich zu akzeptieren. Seine Bestätigung findet dieser Gedankengang im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.04.1986. In diesem Verfahren war die dynamische Verweisung eines Sozialplans auf einen Tarifvertrag umstritten. 341 Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass nicht die strengen Prüfungsmaßstäbe Anwendung fänden, die für Blankettverweisungen staatlicher Normgeber gelten. Die Zulässigkeitsgrenze für Verweisungen rechtsgeschäftlicher Art sei erst überschritten, wenn die künftigen Auswirkungen „keineswegs mehr vorhersehbar" sind. 342 Diese großzügige Bewertung dynamischer Verweisungen in Betriebsvereinbarungen beansprucht erst recht Geltung im Tarifrecht. Denn Grundlage tariflicher Normgebung ist ebenfalls eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung. 343 Im Gegensatz zu den Betriebspartnern, deren Rechtsetzung keine
S. 95, Herschel, ZfA 1985, 21, 22 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 86; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 92. 340 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 98 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 86 f. 341 BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 272 f. Siehe dazu Boerner, ZTR 1996, 435, 438 (Fn. 41); Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 74; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 572. 342 BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 273. Zur Heranziehung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zwecks Rechtfertigung individualarbeitsvertraglicher Blankettverweisungen auf Tarifverträge - siehe Preis, in Preis, Der Arbeitsvertrag, S. 1321. Zu den strengeren Anforderungen im Staatsrecht - vgl. BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 215; BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36. 343 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 94; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 91; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen
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verfassungsrechtliche Absicherung erfährt, können sich die TarifVertragsparteien sogar auf ihre aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG abzuleitende Tarifautonomie berufen. Zudem ist auf tariflicher Ebene der Kreis der Normunterworfenen auf die Mitglieder der verweisenden Tarifpartner beschränkt, wohingegen sich die betriebsverfassungsrechtliche Normunterworfenheit bereits aus der Betriebszugehörigkeit rechtfertigt. 344 Aus diesen Gründen können die TarifVertragsparteien keinen weitreichenderen Beschränkungen als die Betriebspartner unterworfen werden. Im Gegenteil erscheint eine weitergehende Anerkennung einer Beurteilungsprärogative angezeigt. Überschreiten demnach dynamische Verweisungen die Grenzen der Rechtsetzungsmacht allenfalls dann, wenn „in keiner Weise" eine Vorhersehbarkeit sichergestellt ist, so kann der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Umkehrschluss entnommen werden, dass Blankettverweisungen zulässig sind, sofern nur ein Mindestmaß an Vorhersehbarkeit gewährleistet ist. Eine Begrenzung der Verweisungstechnik wegen fehlender Berechenbarkeit der künftigen Tarifentwicklung muss sich auf extreme Ausnahmefälle beschränken. Regelmäßig garantiert bereits die allgemeine Befassung der Sozialpartner mit der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine hinreichende Beurteilungsgrundlage. Aufgrund ihres Erfahrungswissens und ihrer sozialen Kompetenz können die Parteien des VerweisungstarifVertrages eigenständig einschätzen, ob eine fremde Tarifordnung Gewähr dafür bietet, dass sie auch in Zukunft einen sachgerechten Interessenausgleich beinhalten wird. Die Tarifautonomie erlaubt es somit, die Beurteilung der Vorhersehbarkeit weitgehend in die Hände der verweisenden Tarifpartner zu legen. 345 und Betriebsvereinbarungen, S. 75 f.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 11 und 208. 344 Auf Betriebsverfassungsebene gelten Betriebsvereinbarungen gegenüber allen Betriebsangehörigen, sodass es auf einen gesonderten kollektiven Mitgliedschaftsstatus nicht ankommt. Wird also kein weiteres Legitimationskriterium für die Normgeltung als notwendig erachtet, so ist die Blankettverweisung im Betriebsverfassungsrecht eher bedenklich als im Tarifrecht. Daraufstellt auch Zöllner, DVB1 1958, 124, 127 ab. 345 Eine weitgehende Zulassung dynamischer Verweisungen geht konform mit der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Stellvertretung im Tarifrecht - siehe dazu BAG vom 12.02.1997, AP Nr. 46 zu § 2 TVG. Die Stellvertretung begründet einen unmittelbaren und offenkundigen Dritteinfluss auf das abzuschließende Tarifabkommen. Die Rechtswirkungen gehen über diejenigen der Verweisung hinaus - vgl. Herschel, BB 1963, 1220, 1222; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 100; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 79; siehe auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 134; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 20. Bei der Blankettbezugnahme sind es immerhin die verweisenden Tarifpartner selbst, die die inhaltliche Inkorporierung fremder Tarifregelungen begründen. Da das Bundesarbeitsgericht jedoch die Stellvertretung uneingeschränkt zulässt, kann der durch eine Verweisung begründete Dritteinfluss nicht anders bewertet werden.
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Eine restriktive Begrenzung dynamischer Verweisungen ist schon deshalb nicht notwendig, weil andere Regulierungsmechanismen verhindern, dass die Sozialpartner völlig unbekannte Tarifverträge in Bezug nehmen, deren inhaltliche Entwicklung sie nicht abschätzen können. So werden die TarifVertragsparteien bereits durch den gegenüber ihren Mitgliedern bestehenden Pflichtenstatus zu einer sachgerechten Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen angehalten.346 Ergeben sich wegen einer dynamischen Bezugnahme unhaltbare Tarifzustände, werden die Mitglieder dagegen intervenieren und gegebenenfalls ihren Austritt aus der tarifvertragschließenden Koalition erklären. Aus dem Rechtfertigungszwang gegenüber den mitgliedschaftlich verbundenen Normadressaten resultiert ein hinreichender Druck auf die Tarifpartner, dynamische Verweisungen nur dann zu vereinbaren, wenn hierfür gewichtige Sachgründe sprechen und ein sachgerechtes Bezugnahmeobjekt zur Verfügung steht. 347 Aus diesem Grund ist die Gefahr einer Verweisung auf fremde Tarifabkommen mit abweichenden Geltungsbereichen äußerst gering. 348 Werden dennoch regionaloder branchenfremde Tarifverträge dynamisch übernommen, sind hierfür regelmäßig sachliche Gründe maßgebend, die Gegenstand einer verantwortlichen Abwägungsentscheidung waren. In den Stellungnahmen zur dynamischen Verweisung werden ihre negativen Konsequenzen häufig überbetont. Änderungen des Bezugsobjektes sind in der Tarifwirklichkeit nicht derart schwerwiegend, dass jeweils unerträgliche Folgen für die Adressaten des VerweisungstarifVertrages zu besorgen sind. 349 Bevor grundlegende Neuerungen Eingang in einen Flächentarifvertrag finden, erfolgt regelmäßig eine breite - möglicherweise sogar öffentliche - Diskussion. 350 Hierauf können die verweisenden Sozialpartner jederzeit reagieren. Sollten dennoch unvorhersehbare Tarifbedingungen ausnahmsweise Wirksamkeit erlangen, muss das außerordentliche Kündigungsrecht als Korrektiv
346 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 85 f. 347 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 84 ff. Nach Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form können sich „die Parteien auch Tarifverträgen anschließen, die für andere Geltungsbereiche gelten. Der Rest ist Sache guter Tarifpolitik." Auch Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 98 weisen darauf hin, dass dynamische Verweisungen im Rahmen „guter Tarifpolitik" erlaubt sind. 348 Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 84 f.; vgl. auch Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 99 f. 349 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 100; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. 350 Darauf weist auch das BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form hin.
§
n h a l t l i c h e Verweisung
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genügen.351 Die fristlose Kündigungsmöglichkeit sichert die jederzeitige Herrschaft der Parteien des VerweisungstarifVertrages. Auch wenn eine vorübergehende Bindung an unsachgemäße Tarifbedingungen eintreten kann, so ist diese übergangsweise Tarifgeltung in ausreichendem Maße durch die ursprüngliche tarifautonome Verweisungsanordnung gedeckt. Im Ergebnis erscheint es dogmatisch konsequenter, eher die Anforderungen an den wichtigen Kündigungsgrund spezifisch an den Besonderheiten dynamischer Verweisungen auszurichten, als mit dem fragwürdigen Wirksamkeitserfordernis der Sachgerechtigkeit zu argumentieren. 352
(2) Verbot willkürlicher
dynamischer Verweisungen
Der faktische Einfluss fremder TarifVertragspartner auf die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen rechtfertigt allenfalls eine Rechtskontrolle des verweisenden Tarifvertrages dahin gehend, dass einer missbräuchlichen Verwendung der Verweisungstechnik entgegengetreten wird. 3 5 3 Als bewusste Zweckentfremdung der eigenen Normsetzungsbefugnis ist die dynamische Übernahme eines fremden Tarifwerkes dann einzustufen, wenn die Bezugnahmeanordnung Ausdruck einer willkürlichen Kompetenzwahrnehmung ist. 354 An das Willkürverbot sind die Tarifvertragsparteien wie jeder andere Normgeber gebunden, weil die tarifliche Normsetzung ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit wahren muss. 355 Auch die Tarifautonomie des
351
Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 122 und 124; Frey, ArbuR 1958, 306, 307; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 101; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 86 f.; vgl. zudem Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; anders Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 13. 352 Ausfuhrlich dazu unten § 15 A III 2 a cc. 353 Auch Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1 verweisen darauf, dass im Lichte der Tarifautonomie regelmäßig nur eine „Missbrauchkontrolle" zulässig ist. Vgl. dazu Wiedemann/Stumpf Einl. Rn. 190. 354 Die Sozialpartner des Bezugstarifvertrages erfahren regelmäßig nichts von der Übernahme ihres Tarifabkommens durch andere Tarifparteien - vgl. Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 92; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 76; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 82. Von Seiten der fremden Sozialpartner ist eine gezielte Normsetzung zum Nachteil der Normadressaten des Verweisungstarifvertrages grundsätzlich nicht zu erwarten, sodass es unter diesem Blickwinkel keiner Willkürkontrolle bedarf. 355 Allgemein zur Bindung an rechtsstaatliche Grundsätze - vgl. BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Baumann,, RdA 1987, 270, 271; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 405 ff.; Kem-
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG erlaubt keinen zielgerichteten Fehlgebrauch der Blankettverweisungstechnik. Anknüpfungspunkt für eine Willkürprüfung sind die jeweiligen Geltungsbereiche des verweisenden und des bezogenen Tarifvertrages. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die die Verwandtschaft der Geltungsbereiche in fragwürdiger Weise zur Bestimmung der „Sachgerechtigkeit" heranzieht, hat es durchaus Sinn, auf die jeweiligen Geltungsbereiche im Rahmen einer Willkürkontrolle zurückzugreifen. Dogmatisch bieten die Ausrichtungen der Geltungsbereiche zwar keine Gewähr für die tatsächliche Sachgerechtigkeit der verweisenden Tarifordnung. Gleichwohl können sie als Anknüpfungspunkt für die Ermittlung einer willkürlichen Tarifgestaltung fungieren. Differieren die Geltungsbereiche derart gravierend, dass von vornherein absehbar ist, dass zukünftige Modifikationen des Bezugstarifvertrages keinen sinnvollen Sozialausgleich auf der Ebene des VerweisungstarifVertrages leisten können, so ist ein Verstoß gegen das Willkürverbot zu bejahen. Dann ist mit gesprochen die Entwicklung des bezogenen dem Bundesverfassungsgericht Tarifvertrages in „keiner Weise mehr vorhersehbar". 356 Eine Missachtung des Grundsatzes der Normsetzungsverantwortung ist somit erst dann anzunehmen, wenn die Auswahl des von seinen Geltungsbereichen geprägten Bezugstarifvertrages unter sachfremden Gesichtspunkten erfolgt. In Konsequenz dessen beschränken sich Willkürverstöße auf evidente Ausnahmefälle. Die hier gefundene Grenzziehung sichert den verweisenden Tarifparteien somit eine weitreichende Autonomie bei der Bestimmung eines sachgerechten Bezugsobjektes. Folge dieses Lösungsvorschlags ist keine vollständige Umbewertung der bisherigen höchstrichterlichen Aussagen zur Statthaftigkeit dynamischer Verweisungen. Die Betrachtung löst sich lediglich von dem in der Herleitung fragwürdigen und als nicht justiziabel eingestuften SachgerechtigkeitspostulaL Infolge der Rückführung auf eine Willkürprüfung findet eine jederzeit zulässige Kontrolle der Verfassungs- und Rechtskonformität statt. 357 Weil sich die Willkürprüfung an den jeweiligen Geltungsbereichen - und damit an formell objektiven Prüfungsmaßstäben - zu orientieren hat, gerät der vorgeschlagene Ansatz nicht in den Verdacht verbotener Inhaltskontrolle. Der von vielen Autoren pen/Zachert, Grundlagen Rn. 200 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 259 Rn. 69 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 341. 356 BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 273. 357 Zur Statthaftigkeit der Rechtskontrolle - vgl. BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.04.1990, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen; Baumann, RdA 1987, 270, 275; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht H/1, S. 507; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 581; ders., ZTR 2000, 198, 199 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 434.
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geforderten Restriktion bei der Überprüfung der Sachgerechtigkeit kann durch die hier vertretene Betrachtungsweise besser Rechnung getragen werden. So steht beispielsweise die Forderung Wiedemanns, 358 „einen großzügigen Prüfungsmaßstab anzulegen und lediglich auf die Einhaltung der tarifvertraglichen Spielregeln zu achten", einer Willkürkontrolle näher als einer Überwachung der Sachgerechtigkeit. Gegen die Einfuhrung des Willkürkriteriums spricht nicht, dass dieser Begriff ebenfalls unbestimmt ist und daher dessen Justiziabilität gleichermaßen in Abrede gestellt werden könnte. Denn eine derartige Argumentation berücksichtigt nicht den herausgearbeiteten konzeptionellen Unterschied im Vergleich zur Problemlösung des Bundesarbeitsgerichts. Das gerichtliche Kontrollverfahren zeichnet sich durch eine geringere Prüfungsdichte aus. Regelmäßig dürfen die Gerichte davon ausgehen, dass die Vereinbarung einer Blankettverweisung rechtlichen Bestand hat. Ohne besondere Anhaltspunkte für eine willkürliche Bezugnahme auf fremde Tarifwerke muss die Rechtsprechung nicht korrigierend eingreifen. Gestützt auf die Anerkennung einer tarifautonomen Einschätzungsprärogative spricht eine widerlegbare Vermutung für eine rechtskonforme Normsetzung. Besondere Ermittlungen dahin gehend, ob eine willkürliche Blankettbezugnahme vorliegt, werden erst dann notwendig, wenn eine Verwandtschaft der Geltungsbereiche des verweisenden und des in Bezug genommenen Tarifvertrages nach einer formell objektiven Betrachtungsweise offensichtlich ausscheidet. Auf der anderen Seite legitimiert die vorgeschlagene Konzeption keine schrankenlose Freigabe dynamischer Verweisungen, sodass die Kontrollkompetenz der Gerichte auf einem sinnvollen Niveau aufrechterhalten bleibt.
(3) Ergebnis Dynamische Verweisungen in Tarifverträgen überschreiten grundsätzlich nicht die Grenzen tarifautonomer Regelungsmacht und stehen daher mit Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG in Einklang. Nur wenn die Sozialpartner durch die willkürliche Auswahl des Bezugstarifvertrages die Verweisungstechnik zweckentfremden, fehlt es an der Rechtsverbindlichkeit der inkorporierten Tarifiiormen.
358 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. Auch Hanau, Anm. zu BAG vom 18.03.1976, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung fordert eine „großzügige Zulassung" der Verweisungstechnik.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
d) Schlussfolgerung Für den dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrag gilt somit Folgendes: Auf Arbeitgeberseite ist die antezipierende Anerkennungserklärung bereits deswegen Ausdruck einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung tariflicher Normsetzungskompetenzen, weil der anerkennende Arbeitgeber selbstständig über die Sachgerechtigkeit einer langfristigen inhaltlichen Anbindung an die Verbandstarifentwicklung entscheiden kann und hierdurch keine Drittinteressen tangiert werden. Prinzipiell ist zu Gunsten der Gewerkschaft eine weitreichende Autonomie bei der Bestimmung eines sachgerechten Bezugsobjektes anzuerkennen. Ist sie - wie im Regelfall - zugleich TarifVertragspartei des bezogenen Verbandstarifvertrages, gewährleistet bereits der Einfluss auf die Ausgestaltung der künftigen Tarifinhalte eine qualifizierte Tarifnormverantwortung.
V. Tarifeinheit Im Urteil vom 27.07.1956 hat das Bundesarbeitsgericht dynamischen Verweisungen die Anerkennung versagt, weil der Grundsatz der Tarifeinheit verletzt sei. 359 Nähere Gründe für diese Bewertung hat es nicht dargelegt. Mit den Regeln der Tarifeinheit sollen Tarifkonkurrenzen auf betrieblicher Ebene verhindert werden. 360 Unter rein formalem Blickwinkel scheinen auf das jeweilige Arbeitsverhältnis sowohl die Vorschriften des verweisenden als auch die inhaltlichen Vorgaben des bezogenen Tarifabkommens - mithin mehrere Tarifverträge - Anwendung zu finden. Dennoch liegt hierin kein Verstoß gegen den Grundsatz der Tarifeinheit. Bereits Iffland hat darauf hingewiesen, dass beide Tarifverträge nicht nebeneinander konkurrieren. 361 Rechtsverbindliche Wirkung entfaltet allein der VerweisungstarifVertrag. Der Regelungsgehalt des bezogenen Verbandstarifwerkes wird in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert und erfüllt lediglich die rechtstechnische Funktion der inhaltlichen Normenausformung. Von einer inkongruenten Geltung zweier Verträge kann damit
359 BAG vom 27.07.1956, AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich; vgl. auch Gröbing, ArbuR 1961, 334, 336. 360 BAG vom 29.03.1957, AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 14.06.1989, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 20.03.1991, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; vgl. dazu Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 100 (Fn. 70); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 754 f.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 130; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 276 Rn. 13; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 108 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 73; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 284 ff. 361 Iffland, DB 1964, 1737, 1739 f.
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nicht gesprochen werden. 362 Schließlich ist es inkonsequent, die Einwände aus dem Gedanken der Tarifeinheit nur gegenüber dynamischen Verweisungen zu erheben, ihnen aber keine Bedeutung bei statischen Bezugnahmen beizumessen. 363 Aus diesen Gründen hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1980 seine ursprüngliche Auffassung korrigiert und lehnt seither einen Verstoß gegen das Prinzip der Tarifeinheit zutreffend ab. 3 6 4
VI. Demokratieprinzip Anerkennungstarifverträge sind nicht am Maßstab des Demokratieprinzips des Art. 20 Abs. 1 GG zu messen.365 Im Staatsrecht werden dynamische Verweisungen unter dem Gesichtspunkt der Demokratiemaxime kritisch betrachtet, da es für die jeweiligen inhaltlichen Neufassungen an einer hinreichenden Rückkopplung zum legitimierenden Willen des verweisenden Gesetzgebers fehlen kann. 366 Eine Übertragung dieser Bedenken auf tarifliche Blankettbezugnahmen scheidet aus. Die Tarifvertragsparteien unterliegen statt der Bindung an das Demokratieprinzip den Vorgaben der Tarifautonomie. 367 Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verpflichtet die Sozialpartner seinerseits zu einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der jeweiligen Mitgliederinteressen.
362
Iffland, DB 1964, 1737, 1739 f.; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 111 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 74; vgl. zudem Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 363 Auf das Prinzip der Tarifeinheit geht das Bundesarbeitsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung zur „statischen" Verweisung nicht ein - BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG. Siehe dazu Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 113; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 74. 364 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 365 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 71. 366 BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 315; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 214 f.; BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36; Arndt, JuS 1979, 784, 785 f.; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 116; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 172; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 404; Schenke, NJW 1980, 743, 748 f. 367 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 114 und 117; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 26; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 71 f.; vgl. auch BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen; unklar Neumann, RdA 1994, 370, 373.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
VII. Negative Koalitionsfreiheit In der tariflichen Praxis sind es regelmäßig die Gewerkschaften, die an den Einzelarbeitgeber herantreten, damit dieser die jeweils in der Branche geltenden Verbandstarifbedingungen für sein Unternehmen dynamisch übernimmt. 368 Der Anerkennungstarifvertrag dient der Gewerkschaft primär als Gestaltungsinstrumentarium zur inhaltlichen Gleichstellung des unkoalierten Arbeitgebers mit den verbandstarifgebundenen Arbeitgebern. Angesichts des gewerkschaftlichen Angleichungsbestrebens stellt sich die Frage, ob firmentarifVertragliche Blankettverweisungen mit der in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten negativen Koalitionsfreiheit des Außenseiterarbeitgebers in Einklang stehen.369 Gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG entfaltet das Koalitionsgrundrecht unmittelbare Drittwirkung, sodass die am Anerkennungstarifvertrag beteiligte Gewerkschaft alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die der negativen Grundrechtsgarantie des Außenseiters widersprechen. 370 Die negative Koalitionsfreiheit verbürgt dem einzelnen Arbeitgeber das individuelle Recht, von jeder Arbeitgebervereini-
368
Zum tariflichen Regelungsinteresse der Gewerkschaften siehe oben § 2 A. Zur Verankerung der negativen Grundrechtsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG vgl. BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 17.02.1981, BVerfGE 57, 220, 245; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 270; BVerfG vom 14.11.1995, BVerfGE 93, 352, 357; BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 947 f.; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; BAG vom 26.04.1990, AP Nr. 57 zu Art. 9 GG; BGH vom 18.01.2000, NZA 2000, 327, 333; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 76; Däubler, ZIP 2000, 681, 686; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, S. 37 ff.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 28 ff.; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 172; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 65; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 219; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 37; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 3 und § 245 Rn. 39; Oetker, ZfA 1998, 41, 64 und 71; ders., RdA 1999, 96, 97; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 17; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 226; Schubert, RdA 2001, 199, 200; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 294; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. Abweichend Biedenkopf, JZ 1961, 346, 352; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 382 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, II/l, S. 156; Söllner, Grundriss des Arbeitsrechts, S. 68 f. Noch unentschieden BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302. 370 BVerfG vom 17.02.1981, BVerfGE 57, 220, 245; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82 f.; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 115 und 124; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 34 und 43; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 278 ff; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79 und 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 267 und 274 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. 369
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gung fernzubleiben. 371 In sachlicher Hinsicht schützt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sowohl vor unmittelbaren als auch mittelbaren Eingriffen. 372 Allein die inhaltliche Anbindung des anerkennenden Arbeitgebers an das Verbandstarifniveau führt weder zu einem unmittelbaren noch mittelbaren Koalitionszwang. Die Gewerkschaft respektiert mit ihrem gesonderten firmentarifvertragsbezogenen Vorgehen gerade die Außenseiterstellung des einzelnen Arbeitgebers. Kann der Unternehmer seinerseits eigenständig über die Sachgerechtigkeit der dynamischen Anlehnung an die Verbandstarifordnung entscheiden, entfaltet die kongruente inhaltliche Ausrichtung des Anerkennungstarifvertrages keinen relevanten Beitrittsdruck. Angesichts seiner autonomen Anerkennungserklärung und der ihm zustehenden Kündigungsberechtigung bleibt er uneingeschränkter „Herr" der Verweisung und wird folglich keinem unstatthaften Verbandseinfluss unterworfen. Ob dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen allerdings ohne Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit erstreikbar sind, soll in einem eigenen Abschnitt analysiert werden. 373
VIII. Positive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes Aus Sicht der Unternehmerverbände stellt sich die dynamische Anbindung koalitionsunwilliger Arbeitgeber an das jeweilige Verbandstarifniveau als „Trittbrettfahrerverhalten" dar. 374 Außenseiterarbeitgeber, die häufig nicht in 371
BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 270; BVerfG vom 14.11.1995, BVerfGE 93, 352, 357; BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 947; BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BGH vom 18.01.2000, NZA 2000, 327, 328 und 333; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 76; Dörner, in Kasseler-Hdb, 8.1 Rn. 4; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 375 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 31; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 172; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 219; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 37; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 39 ff.; Oetker, RdA 1999, 96, 97 und 102; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 17; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 226 f.; Schubert, RdA 2001, 199, 200 und 207. 372 BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 96; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 284; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 39; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 267; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 227. 373 Siehe unten § 14 A III. 374 Vgl. Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 16.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
der Lage sind, komplexe FirmentarifVerträge auszuhandeln, nutzen faktisch den juristischen Sachverstand und die soziale Mächtigkeit der Arbeitgebervereinigung zur Strukturierung der in ihrem Unternehmen geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Ohne dass der anerkennende Arbeitgeber mitgliedschaftliche Verpflichtungen trägt, kommt ihm über längere Zeit die Verhandlungsftihrung des Verbandes zugute. Unter dieser Sachlage leidet nach Auffassung der Arbeitgebervereinigungen die Attraktivität ihrer Koalitionen. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert als positiv kollektive Koalitionsfreiheit den Zusammenschluss mehrerer Unternehmer zu einer Sozialvereinigung und schützt diese in ihrem Bestand.375 Unstatthaft ist jede rechtliche oder tatsächliche Behinderung der Gründungs- und Beitrittsfreiheit sowie das gezielte „Herausbrechen" einzelner Mitglieder aus dem Verbund. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt die inhaltliche Anbindung an das Verbandstarifniveau keinen unzulässigen Eingriff in die Bestandsgarantie des Arbeitgeberverbandes dar. Die Ausnutzung der Verhandlungsfuhrung begründet lediglich einen rechtlich irrelevanten, reflexartigen Nachteil fur die Arbeitgeberkoalition. Keinem beitrittswilligen Unternehmer wird der Erwerb eines Mitgliedschaftsstatus erschwert. Genauso wenig geben etwaige Vorzüge eines Anerkennungstarifvertrages verbandsangehörigen Unternehmern Anlass zum Austritt aus der Arbeitgebervereinigung. Der Hinweis auf den Attraktivitätsverlust ist zweifelhaft. Die Verbandsmitgliedschaft gewährt neben dem Vorteil der normativen Ausgestaltung der Arbeits· und Wirtschaftsbedingungen weitere Privilegien, die dem anerkennenden Arbeitgeber vorenthalten bleiben. Er kann weder auf eine juristische Beratung noch auf sonstige Unterstützungsleistungen des Verbandes zurückgreifen. Weil aber gerade diese Serviceleistungen die Attraktivität einer Koalition ausmachen, lässt die Möglichkeit, im Wege anerkennungstarifVertraglicher Verweisungen kongruente Tarifinhalte zu realisieren, das Interesse an einem Verbandsbeitritt keineswegs entfallen. Darüber hinaus muss die Kehrseite antezipierender Anerkennungserklärungen Berücksichtigung finden. Immerhin verzichtet der einzelne Arbeitgeber auf eine unternehmensspezifische Regelung seiner Firmentarifordnung. Wenn Gewerkschaften spezielle HaustarifVerträge zuließen, würde dies viel eher eine „Flucht" aus den Verbänden auslösen.376 375
BVerfG vom 26.05.1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 14.11.1995, BVerfGE 93, 352, 357; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 77; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 210 ff.; Höfling,, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 66; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 28; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 80; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 5 ff; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 21 ; Wiedemann , Einleitung Rn. 88; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117. 376 Zum Interesse der Arbeitgeberverbände am Anerkennungstarifvertrag - siehe bereits oben § 2 D.
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Hinzu kommt, dass die faktischen Vorteile einer fremden Verhandlungsführung dem anerkennenden Arbeitgeber keineswegs dauerhaft gesichert sind, weil der Anerkennungstarifvertrag jederzeit gekündigt werden kann. Eine dennoch bestehende Verbandsmüdigkeit ist auf andere Ursachen zurückzuführen. Insofern hat das Bundesarbeitsgericht in anderem Kontext zu Recht hervorgehoben, dass es allein Sache der Koalitionen ist, für die Attraktivität ihrer Interessenvereinigung zu sorgen. 377 Allgemein gilt, dass die Sozialpartner kein „Recht am eigenen Tarifvertrag" besitzen.378 Die verweisenden TarifVertragsparteien könnten die bezogenen Tarifinhalte jeweils in wortgetreuer Form abschreiben, was jedoch einen unnötigen formalen Aufwand bedeutet. Betrachten die Sozialpartner eine fremde Tarifordnung auch für ihre Tarifrechtsbeziehung als sachgerecht, kann ihnen nicht verwehrt bleiben, diese als Muster für ihre eigene Tarifhormgebung zu verwenden.
IX. Ergebnis Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass gegen dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen keine durchschlagenden formellen oder materiellen Einwände bestehen.
B. Rechtsfolgefragen dynamischer Verweisungen I. Rechtsfolgen im Allgemeinen Mit der Unterzeichnung des Anerkennungstarifvertrages wird zunächst die in diesem Zeitpunkt geltende, den verweisenden Tarifparteien bekannte Fassung des bezogenen Verbandstarifvertrages auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene übertragen. Schaffen die Verbandstarifpartner in Zukunft neue NachfolgetarifVerträge, so werden diese mit ihrem Inkrafitreten automatisch in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert, ohne dass es gesonderter Vollzugsakte bedarf. 379 Nach erfolgter Inkorporierung teilen die übernommenen Tarifbe377
BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 15 f. 378 So Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 154; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 269 Rn. 18; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 228; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 181. 379 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. auch BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Stimmungen die Rechtsqualität und den Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages. 380 Somit findet die dynamische Anbindung an das Verbandstarifniveau erst dann ihr Ende, wenn die Blankettverweisungsklausel im AnerkennungstarifVertrag ihre Gültigkeit verliert.
II. Inkorporierung überraschender Tarifnormen Treffen die Verbandstarifparteien in künftigen Tarifabkommen neuartige Regelungen, deren Inhalte von den verweisenden Sozialpartnern so nicht erwartet wurden, stellt sich die Frage, ob diese „überraschenden" Tarifnormen Eingang in den Anerkennungstarifvertrag finden. Diskussionswürdig ist die Problematik insbesondere im Hinblick auf den anerkennenden Arbeitgeber, weil er keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der in Bezug genommenen Nachfolgeverbandstarifverträge hat.
1. Streitstand a) Keine Inkorporierung
überraschender
Tarifnormen
Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist die Geltung überraschender Tarifnormen nicht vom Willen der verweisenden TarifVertragsparteien gedeckt. 381 Durch die Inkorporation völlig unerwarteter Neuregelungen könne der Verweisungstarifvertrag seine ausgleichende Funktion nicht mehr erfüllen. Zum Schutz der Normadressaten müsse es daher nach Däubler im Hinblick auf überraschend modifizierte Regelungskomplexe bei der Weitergeltung der bisher einschlägigen Regelung verbleiben. 382
380
Siehe oben § 4 D I. Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 64; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 100 ff.; vgl. auch Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 98 und 99; Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Wiedemann. , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 382 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124 unter Berufung auf den Rechtsgedanken des § 305c Abs. 1 BGB. In diesem Sinn auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 102. 381
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
b) Inkorporierung
überraschender
197
Tarifnormen
Das Bundesarbeitsgericht sowie Teile der Rechtslehre sehen keine Veranlassung, überraschende Tarifiiormen von der Inkorporationswirkung auszunehmen. 383 Auch neue Arten und Formen tariflicher Regelungen fänden Eingang in den VerweisungstarifVertrag, da wesentliche Modifikationen vorab bewusst in Kauf genommen worden seien. Im Übrigen sei es unmöglich, zwischen überraschenden und erwarteten Regelungsinhalten zu trennen.
2. Stellungnahme Es ist gerade das Anliegen dynamischer Bezugnahmen, das bezogene Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung auf die Ebene des VerweisungstarifVertrages zu übertragen. Notwendigerweise resultiert aus der Anwendung des dynamisierten Rechtsetzungsverfahrens ein erhebliches Maß an Ungewissheit über die künftigen Regelungsinhalte. Eine Konfrontation mit möglicherweise ungewollten inhaltlichen Modifikationen liegt in der Natur der Blankettverweisungstechnik. Den verweisenden Tarifvertragsparteien ist bekannt, dass sich auf Verbandsebene ständig neue Tariffragen stellen, auf die die Koalitionen mit jeweils innovativen Lösungskonzepten reagieren müssen. Im Bewusstsein um diesen fortwährenden Entwicklungsprozess nehmen die Sozialpartner inhaltliche Neuerungen ausdrücklich in Kauf. 384 Insofern muss die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgegebene Anerkennungserklärung akzeptiert werden mit der Folge, dass auch neuartige Tarifbedingungen vom Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages gedeckt sind. Es ist unschlüssig, die Gefahr einer wesentlichen Änderung künftiger Regelungsinhalte zum Anlass zu nehmen, dynamische Verweisungen in ihrer Zulässigkeit zu begrenzen, indem gesonderte Wirksamkeitsvoraussetzungen statuiert werden, 385 und dann genau jene Neuerungen von der künftigen Tarifgeltung auszunehmen. Wenn schon Blankettverweisungen einem besonderen Legitimationszwang unterliegen, dann müssen die sich innerhalb des Rechtfertigungszu-
383
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Boerner, ZTR 1996, 435, 439; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 381; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 163; Stein, NZA 1985, 180, 181; Zachert, NZA 1993, 299, 300; vgl. zudem Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 368; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39; Nömeier, Bezugnahme auf Tarifinhalte im Einzelarbeitsverhältnis, S. 75. 384 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Boerner, ZTR 1996, 435, 439. 385 Siehe dazu oben § 6 A IV 2 a.
198
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
sammenhangs haltenden Modifikationen auch konsequent an der Inkorporierungswirkung teilhaben. Anderenfalls verliert die dynamische Verweisung ihre spezifische Funktion. Sie soll einen inhaltlichen Gleichlauf zwischen dem bezogenen und dem verweisenden Tarifvertrag gewährleisten. Wird die Blankettverweisung typischerweise über mehrere Jahre aufrechterhalten, würde unter Zugrundelegung der Auffassung Däublers 386 in Zukunft eine völlige Zersplitterung der Anerkennungstarifordnung eintreten. Die Neufassungen des VerbandstarifVertrages verkörpern jeweils eine in sich geschlossene, sachgerechte Tarifordnung. Wird diese jedes Mal nur teilweise - also hinsichtlich der konkret vorhersehbaren Verbandstarifregelungen - auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages übertragen, so entsteht über kurz oder lang eine Regelungskonfusion, die sich aus zusammenhangslosen, nicht aufeinander abgestimmten Regelungskomplexen zusammensetzt. Ohne Übernahme überraschender Klauseln beinhaltet das Bezugsobjekt keinen angemessenen Sozialausgleich, sodass künftige Anerkennungstarifinhalte keine Gewähr fur eine sachgerechte Strukturierung der Arbeits» und Wirtschaftsbedingungen bieten. 387 Ein Ausschluss überraschender Tarifbedingungen von der Inkorporationswirkung leistet der Rechtsunsicherheit Vorschub. Zu Recht betont das Bundesarbeitsgericht, dass zwischen überraschenden und erwarteten Regelungsinhalten nicht differenziert werden kann, zumal keine rechtssicheren Abgrenzungskriterien existieren. 388 Die gegenteilige Auffassung provoziert unnötige Prozesse darüber, welche inhaltlichen Neuerungen bei Vertragsabschluss noch absehbar waren. Im Hinblick auf dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen sind die Bedenken gegen die Übernahme überraschender Verbandstarifregelungen ohnehin zu relativieren. Ist die Gewerkschaft am Abschluss des bezogenen VerbandstarifVertrages beteiligt, kann sie rechtzeitig auf Neugestaltungen reagieren, indem sie auf eine Aufhebung der anerkennungstarifVertraglichen Blankettverweisung hinwirkt. Der anerkennende Arbeitgeber weiß, dass die dynamische Anbindung an das Verbandstarifniveau der umfassenden inhaltlichen Gleichstellung mit den verbandsangehörigen Unternehmen dient. Insofern ergibt sich für ihn kein Überraschungseffekt. Im Übrigen kann er aufgrund der Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Normgebung ohne Verstoß gegen
386
Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; vgl. auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 102. 387 Regelmäßig werden inhaltliche Neuerungen durch Zugeständnisse an anderen Stellen kompensiert. Durch eine Extrahierung neuartiger Tarifbestimmungen verliert das Bezugsobjekt seinen Kompromisscharakter. 388 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; siehe auch Stein,, NZA 1985,
180, 181.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
199
Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG eine inhaltliche Unterwerfung unter unvorsehbare Tarifbedingungen erklären. 389 Insgesamt ist es ausreichend, wenn die verweisenden Tarifparteien auf überraschende Tarifinhalte mit der ordentlichen oder im Falle einer unzumutbaren Tarifentwicklung mit der außerordentlichen Kündigung der Bezugnahmeanordnung reagieren können. 390 Regelmäßig sind neue Arten und Formen von Tarifregelungen das Ergebnis längerer tarifpolitischer Diskussionen, sodass sich die Partner des Verweisungstarifvertrages frühzeitig einer Bindung an neuartige, ungewollte Regelungsvorgaben entziehen können.
3. Ergebnis Die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages sind ausnahmslos an den jeweiligen Gesamtregelungsinhalt der dynamisch bezogenen Verbandstarifordnung gebunden.
III. Abgrenzung statischer und dynamischer Verweisungen Verweisen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Wortlaut auf die Jeweils gültige Fassung" des Bezugstarifvertrages, kommt die dynamische Anbindung an die Verbandstarifordnung hinreichend deutlich zum Ausdruck. 391 Fehlt es hingegen an einer eindeutigen Festlegung der Verweisungsreichweite, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine statische oder dynamische Bezugnahme vereinbart ist. 392
389
Zur Bedeutung des Erfordernisses der „Vorhersehbarkeit" bei firmentarifVertraglichen Blankettverweisungen siehe oben § 6 A IV 2 b aa (2). 390 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Iffland,, DB 1964, 1737, 1740; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 368; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 86 f. Auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 102 verweisen auf die außerordentliche Kündigungsmöglichkeit, was von ihrem Standpunkt aus betrachtet allerdings inkonsequent erscheint. 391 Siehe aber auch Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99 ff., wonach es Konstellationen geben kann, in denen sich trotz Formulierung einer „Jeweiligkeitsklausel" infolge systematischer Tarifvertragsauslegung ein lediglich statischer Charakter der Verweisung ergeben kann. 392 BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 1; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 80 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträ-
200
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages 1. Geltungserhaltende Tarifvertragsauslegung
Keine Relevanz erlangt in diesem Kontext die geltungserhaltende Auslegung. 393 Unter Zugrundlegung der ursprünglich ablehnenden Haltung des Bundesarbeitsgerichts gegenüber dynamischen Verweisungen, war es konsequent, die Bezugnahmeanordnung im Zweifel als wirksame statische Verweisung aufrechtzuerhalten. 394 Nach dem Wandel der Rechtsprechung und insbesondere nach der hier befürworteten grundsätzlichen Statthaftigkeit von Blankettverweisungen kann eine Verweisungsklausel bedenkenfrei als dynamische Inkorporationsanordnung interpretiert werden.
2. Allgemeine Tarifvertragsauslegung Entscheidende Relevanz erlangt die Auslegung des VerweisungstarifVertrages nach dem Wortlaut, der Vertragssystematik und seinem Regelungszweck.
a) Grammatikalische Auslegung Ausgangspunkt der Würdigung ist der Wortsinn der Verweisungsbestimmung. Anhand dieses Auslegungskriteriums lässt sich der überwiegende Teil der Interpretationsstreitigkeiten lösen. Nehmen die Sozialpartner konkret bezeichnete fremde Tarifverträge „in Bezug" oder „verweisen" sie schlicht auf
gen, S. 62; Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 69 f.; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 15; Wank, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 822; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. zudem BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; Braun, BB 1986, 1428, 1432 f. 393 Allgemein dazu BAG vom 21.07.1993, AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 150; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 646; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 411 ff.; dies., in Münchener-Hdb, § 265 Rn. 31 ff.; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100; Wank, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 802. 394 So noch BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Nikisch, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; siehe auch Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12. Diesen Ansatz stellen auch Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarung, S. 104 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200 noch in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Inkonsequent ist folglich der Hinweis Wiedemanns, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200 (Fn. 95) auf BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 311 f., weil im vom Bundesverfassungsgericht erörterten Fall gerade die Zulässigkeit der dynamischen Verweisung verneint wurde.
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
201
sie, begründet allein der Umstand, dass der Terminus der „statischen" Verweisung im Vertragswortlaut nicht auftaucht, kein Anzeichen für einen Blankettcharakter. Nur in den seltenen Fällen, in denen nach der grammatikalischen Auslegung weitere Ungewissheiten verbleiben, entscheiden systematische sowie teleologische Gesichtspunkte über den Charakter der Verweisungsklausel.
b) Systematische Auslegung Hinweise für die Bewertung einer unklaren Bezugnahmeanordnung lassen sich durch die systematische Auslegungsmethode gewinnen. Werden die überzuleitenden Verbandstarifwerke an anderer Stelle im Vertragstext des Anerkennungstarifvertrages konkret benannt, indiziert diese Auflistung einen statischen Verweisungscharakter. Das gilt insbesondere in den praktisch häufigen Fällen, in denen die Bezugsobjekte in eine Anlage zum AnerkennungstarifVertrag aufgenommen werden. 395 Ergeben sich aus der Wortlautfassung der Anlage keine Anhaltspunkte, die auf einen antezipierenden Inkorporationswillen hindeuten, und sind die einzelnen Flächentarifwerke mit dem Datum ihres Inkrafttretens fixiert, ist zu vermuten, dass sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages nur mit den inhaltlichen Vorgaben der angegebenen verbandstarifvertraglichen Regelungen auseinander gesetzt haben und lediglich die als sachgerecht bewerteten, konkret bezeichneten BezugstarifVerträge in ihren FirmentarifVertrag überführen wollten.
c) Teleologische Auslegung Verbleibende Zweifelsfälle sind anhand des Vertragstelos aufzuklären. Bei der Ermittlung des Verweisungszwecks ist besonderes Augenmerk auf die Üblichkeit, Interessenlage, Praktikabilität und Sachgerechtigkeit der erzielten Interpretationsergebnisse zu legen. 396 Auf dieser Basis finden sich in der Literatur zwei differierende teleologische Betrachtungsweisen. Unter Betonung, dass die Verweisungsklausel regelmäßig dem inhaltlichen Gleichlauf zwischen dem verweisenden und bezogenen Tarifvertrag dient, vertritt der überwiegende Teil der Lehre die Ansicht, dass im Zweifel von einer Verweisung auf die Jeweils 395
Vgl. beispielsweise die Anlage zu § 2 Ziffer 3 des Jenoptik-AnerkennungstarifVertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 125 f. Zu weiteren Auslegungsfragen im Zusammenhang mit der Aufnahme der bezogenen VerbandstarifVerträge in eine Anlage zum Anerkennungstarifvertrag siehe unten § 8 A II 3. 396 Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 15; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. auch Boerner, ZTR 1996, 435, 438.
202
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
gültige Fassung" auszugehen ist. 397 Nach der gegenteiligen Meinung spricht eine Vermutung fur den statischen Charakter der Verweisung, weil sich die Sozialpartner regelmäßig nicht ihres Einflusses auf die spätere Tarifgestaltung begeben wollen. 398
aa) Generelle Bewertung des Verweisungszwecks Im Tarifrecht ist eine Gleichstellungsabsicht nicht zu vermuten. 399 Die teleologischen Auslegungskriterien streiten für einen statischen Bezugnahmecharakter. Auch wenn die dynamische Verweisung nicht zu einer unzulässigen Delegation von Normsetzungsbefugnissen führt, verlieren die Tarifvertragsparteien zukunftsbezogen ihren Einfluss auf die inhaltliche Strukturierung ihrer Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen und erlangen die Inhaltshoheit erst zurück, wenn sie den dynamischen VerweisungstarifVertrag insgesamt beenden. Im Regelfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragsparteien der fortwährenden inhaltlichen Fremdbestimmung durch andere Sozialpartner unterwerfen. 400 Vielmehr sind sie im Zweifel gewillt, ihre Regelungskompetenz
397 Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 119; Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 158; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 104 f.; siehe dazu auch Clemens, AöR 111 (1986), 63, 81; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 136; Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, S. 174; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 403. 398 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 386; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 1. 399 Abweichendens gilt beim Arbeitsvertrag. Individualarbeitsvertragliche Verweisungen dienen regelmäßig der Gleichstellung der Außenseiterarbeitnehmer mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern und können daher im Zweifel als dynamische Bezugnahme ausgelegt werden - vgl. dazu BAG vom 10.08.1982, AP Nr. 7 zu § 5 BetrAVG; BAG vom 20.03.1991, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 312 f.; Koberski/Clasen/Menzel, §3 TVG Rn. 48; Löwisch/Rieble, §3 TVG Rn. 109; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 211; Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 15; kritisch Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 89. Das erscheint insofern konsequent, als nach Abschluss des Arbeitsvertrages nicht in regelmäßigen Abständen über neue Arbeitsbedingungen verhandelt werden soll. Demgegenüber sind Tarifverträge von Anfang an auf eine ständige Überarbeitung und Weiterentwicklung durch die Tarifvertragschließenden angelegt. Weil die Tarifvertragsparteien grundsätzlich selbst über den Regelungsgehalt künftiger Tarifkompromisse entscheiden wollen, kann im Gegensatz zur individualarbeitsvertraglichen Verweisung im Zweifel keine Gleichstellungsfunktion angenommen werden. 400 Hervorzuheben ist nochmals, dass es sich hier nicht um eine geltungserhaltende Tarifauslegung wegen unzulässiger Delegation von Normsetzungsbefugnissen handelt. Vielmehr knüpfen die restriktiven Überlegungen allein an den praktischen Auswirkungen dynamischer Verweisungen an. Blankettbezugnahmen sind statthaft, aber begründen
§ 6 Inhaltlich dynamische Verweisung
203
selbsttätig wahrzunehmen. 401 Hintergrund der Verweisung ist regelmäßig das Anliegen, eine fremde Tarifordnung, welche die Parteien vorab auf ihre Sachgerechtigkeit überprüfen konnten, in ihrer feststehenden Fassung auf die Ebene des VerweisungstarifVertrages zu übertragen. Die statische Verweisung entspricht dem Normalfall tarifautonomer Rechtsetzung, weil die Sozialpartner eigenständig ihre tarifliche Gestaltungsbefugnis - wenn auch mittels Überleitung fremder Tarifinhalte - ausüben.402 Weil dynamische Verweisungen somit vom Leitprinzip der inhaltlichen Selbstbestimmung abweichen, bedürfen sie deutlicher Manifestation. Eine eindeutige Festschreibung des dynamischen Verweisungscharakters ist den Sozialpartnern ohne Schwierigkeiten möglich. Bei unterbliebener Konkretisierung ist es sachgerecht, sie auf diejenige Gestaltungsform festzulegen, die sie mit Sicherheit vereinbaren wollten - also die statische Bezugnahme. Nachteile entstehen den Tarifvertragsparteien hierdurch nicht, weil sie in Zukunft eigenständig über die Weiterentwicklung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen entscheiden können. Im Übrigen vermeidet dieser Zweifelssatz Irrtümer und Unklarheiten zu Lasten der tarifgebundenen Normadressaten über die Reichweite der Verweisungsanordnung.
bb) Bewertung des Verweisungszwecks im Anerkennungstarifvertrag Spricht somit generell eine Vermutung für den statischen Verweisungscharakter, ist speziell für den Anerkennungstarifvertrag eine abweichende Bewertung denkbar. Zumindest dann, wenn die Firmentarifvertragsparteien auf die in ihrer Branche regional einschlägigen VerbandstarifVerträge verweisen, erfüllen AnerkennungstarifVerträge eine charakteristische Angleichungsfunktion. Weil der anerkennende Arbeitgeber im Regelfall weder finanziell noch organisatorisch in der Lage ist, fortwährend eigenständige TarifVerhandlungen mit der Gewerkschaft zu führen, hat er ein Interesse an der langfristigen, friedenspflichtgesicherten Anbindung an das Verbandstarifniveau. Für die Gewerkschaft ist es ebenso von Nachteil, fortlaufend in Firmentarifkonflikte mit einzelnen Unternehmen verwickelt zu werden. Eine dynamische Interpretation der Verweisung wird darüber hinaus von den tarifgebundenen Arbeitnehmern be-
dennoch einen inhaltlichen Fremdeinfluss. Diesem Einfluss fremder Sozialpartner wollen sich die VerweisungstarifVertragsparteien im Zweifel nicht unterwerfen. 401 Vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 386. 402 Im Vergleich zur inhaltlich originären Tarifhormsetzung ergeben sich Besonderheiten einzig aus dem Umstand, dass die Tarifparteien auf eine wörtliche Übertragung der für sachgerecht befundenen Bezugstarifinhalte in ihre TarifVertragsurkunde verzichten.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
vorzugt werden, weil sie danach an der zukünftigen Verbandstarifentwicklung partizipieren. Im zentralen Anwendungsbereich des Anerkennungstarifvertrages kann daher auch im Tarifrecht ausnahmsweise eine Gleichstellungsvermutung bejaht werden. In dieser Sonderkonstellation überwiegt die Angleichungsfunktion das Interesse an der Selbstbestimmung künftiger Tarifinhalte. Es ist deshalb legitim, zumindest im Hinblick auf Anerkennungstarifverträge einen Zweifelssatz zu Gunsten dynamischer Verweisungen zu statuieren. Zu beachten ist jedoch, dass auch hier die Umstände des Einzelfalls entscheiden. Dient beispielsweise ein Anerkennungstarifvertrag lediglich der Überbrückung regelungsloser Zustände auf dem Weg zu einem unternehmensspezifischen HaustarifVertrag, gilt im Zweifel ein statischer Verweisungscharakter. 403
IV. Rechtsfolgen materiell unwirksamer dynamischer Verweisungen Sollte die Bezugnahmeklausel, auch unter der Prämisse, dass dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen grundsätzlich nicht gegen den Grundsatz der Tarifhormverantwortung verstoßen, ausnahmsweise aus materiellen Gründen nichtig sein, stellt sich die Frage, ob die unwirksame Blankettverweisung als statische Verweisung aufrechterhalten werden kann. Zulässig ist eine geltungserhaltende Reduktion im Wege der Umdeutung dann, wenn keine Rechtmäßigkeitsbedenken gegen die statische Inkorporationswirkung bestehen und die Parteien des Anerkennungstarifvertrages jedenfalls mit der inhaltlichen Übertragung des im Abschlusszeitpunkt maßgebenden VerbandstarifVertrages einverstanden waren. 404 Die Sozialpartner hatten die Möglichkeit, den ursprünglichen BezugstarifVertrag auf seine Sachgerechtigkeit zu überprüfen. Auf dieser Grundlage haben sie sich zur Übernahme der fremden Tarifordnung entschlossen. Zumindest verfolgten sie also die Absicht, dem bekannten, für sachgerecht befundenen Verbandstarifabkommen in seiner feststehenden Fassung auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene Geltung zu verschaffen, sodass eine Umdeutung in eine stati-
403
Denkbar sind solche Konstellationen beispielsweise bei Austritten aus den Arbeitgeberverbänden. Exemplifiziert diente der Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 allein der zeitlichen Überbrückung bis zum Abschluss eines unternehmensspezifischen HaustarifVertrages - vgl. Oetker in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100 ff.; siehe auch Schleef, AuA 1996, 296, 297 f. 404 Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 64.
§ 7 Reichweite der inhaltlichen Verweisung
sehe Verweisung regelmäßig der Intention der Tarifvertragsparteien spricht. 405
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ent-
Allerdings ist der Wille der Vertragschließenden sorgsam zu erkunden. Zu Recht geben Löwisch/Rieble zu bedenken* dass die Umdeutung in eine statische Verweisung, zu einer friedenspflichtgesicherten Tarifordnung auf firmentarifvertraglicher Ebene führt. 406 Möglicherweise sind die Sozialpartner im Falle des Scheiterns der dynamischen Anbindung an das Verbandstarifhiveau nicht gewillt, auf ein neuerliches Aushandeln der Tarifbedingungen - notfalls unter Einsatz von Arbeitskampfmitteln - zu verzichten. Hinzu kommt, dass die Parteien für die Laufzeit des mit statischem Regelungscharakter aufrechterhaltenen Anerkennungstarifvertrages keine inhaltlichen Anpassungen vornehmen können, bevor sie nicht eine Beendigung des Tarifabkommens herbeigeführt haben.
§ 7 Reichweite der inhaltlichen Verweisung Den Parteien des Anerkennungstarifvertrages stehen mehrere Optionen für die Bestimmung der Reichweite der Verweisung zur Verfügung. Braun unterscheidet in diesem Kontext zwischen drei Klauseltypen. 407 Die im Anerkennungstarifvertrag fixierte Verweisungsklausel kann global auf das verbandstarifliche Regelungswerk Bezug nehmen. Es ist aber auch denkbar, dass die Bezugnahme lediglich Teilbereiche eines VerbandstarifVertrages oder sogar nur einzelne Verbandstarifbestimmungen erfasst. Auf die vorgeschlagene Differenzierung zwischen Global-, Teil- und Einzelverweisung soll im Folgenden zurückgegriffen werden, wobei angesichts der Besonderheiten des AnerkennungstarifVertrages eine weitere Aufgliederung globaler Verweisungsanordnungen angezeigt ist.
405
Gröbing, ArbuR 1961, 334, 337 f.; ders., ArbuR 1982, 116, 119; Gumpen, BB 1961, 1276, 1277; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Nipper dey /Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II B, III 1 c; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 121; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 124; Strasser, Festschrift für Fioretta, S. 627, 637; vgl. auch BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 23.06.1992, AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972; siehe zudem Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 91 f.; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 118; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 137; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 408. 406 Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 18 und 64. 407 Braun, BB 1986, 1428, 1429 f. So auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 9. Zur parallelen Typisierung im Falle der individualarbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag - vgl. Hanau/Kania, Festschrift für Schaub, S. 239, 245; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 397.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
A. Globalverweisung Von besonderem tarifpraktischen Interesse ist die Frage, inwieweit eine globale Verweisung im Anerkennungstarifvertrag auf die Tarifverträge der Verbandstarifparteien statthaft ist.
I. Anwendungsfalle Um das tarifpolitische Ziel des Anerkennungstarifvertrages vollends zu erreichen, ist eine Globalbezugnahme besonders prädestiniert, denn mit ihr überführen die Tarifvertragsparteien die im bezogenen VerbandstarifVertrag geregelten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in ihrer Gesamtfassung auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene. Mit der universalen Inkorporierungsanordnung werden die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages den verbandstarifgebundenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern inhaltlich gleichgestellt. 408 In der Vertragspraxis finden sich zwei unterschiedliche Formen globaler Verweisungen. Je nach der Anzahl der Bezugnahmeobjekte muss zwischen der Verweisung auf einen bestimmten oder eine Mehrzahl von VerbandstarifVerträgen unterschieden werden. Im Falle der Verweisung auf einen einzelnen VerbandstarifVertrag verbleiben den Parteien des Anerkennungstarifvertrages in den nicht tangierten Regelungsbereichen eigene Gestaltungsspielräume für unternehmensspezifische Tarifabsprachen. Gelegentlich beschränken sich die Sozialpartner auf eine Übernahme der einschlägigen Lohntarifabschlüsse, um zumindest auf dem essentiellen Gebiet der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten eine Angleichung an das Verbandstarifniveau zu erzielen. Die Recherchen in den Tarifregistern haben zudem gezeigt, dass sich die Vertragsparteien bewährte verbandstarifVertragliche Verfahrens- und Rahmenregelungen zu Eigen machen, indem sie auf die Manteltarifabkommen der Branche verweisen, ohne aller-
408
Der Sinn und Zweck des Anerkennungstarifvertrages liegt in einer Angleichung der Tarifbedingungen an das Verbandstarifniveau - vgl. Gaul, ZTR 1991, 188, 189; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Unterhinninghofen,, AiB 1999, 205, 206; ders., Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 307; siehe zudem Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 126; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 9 f.; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 123. Vgl. auch die Fälle von BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O.
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dings die konkrete Ausgestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu übernehmen. Die Mehrzahl der Anerkennungstarifverträge zeichnet sich indes dadurch aus, dass sie entweder alle oder zumindest einen Großteil der in einer Branche geltenden Verbandstarifabkommen für anwendbar erklären. 409 Neben den Mantei- und Lohntarifwerken werden regelmäßig Tarifverträge betreffend die Beschäftigungssicherung, Rationalisierung, Sonderzahlungen, Ausbildung und Alterssicherung in Bezug genommen, wobei die Aufzählung keineswegs abschließend ist. 410 Erst mit dieser „erweiterten" Globalbezugnahme verwirklichen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages nachhaltig das anvisierte Gleichstellungsziel. Diese umfassende Verweisungsform findet auf unterschiedliche Weise ihren Ausdruck. Regelmäßig kreieren die Sozialpartner eine gesonderte Bestimmung im Vertragstext des Anerkennungstarifvertrages, in der sie die Bezugstarifvverke enumerativ aufzählen. 411 Eine andere Möglichkeit bietet die Aufnahme der jeweils inkorporierten Verbandstarifverträge in eine Anlage zum Anerkennungstarifvertrag, nachdem im Vertragstext lediglich pauschal auf das beigefügte Verzeichnis verwiesen wird. 4 1 2
II. Rechtliche Zulässigkeit 1. „Einfache" Globalverweisung Wenn Braun anerkennungstarifvertragliche Globalverweisungen kritisch betrachtet, so knüpfen seine Bedenken nicht an der tarifrechtlichen Zulässigkeit dieses Verweisungstyps an, sondern beziehen sich auf die tarifpraktischen Auswirkungen, die jede unternehmensspezifische Gestaltung der Firmentarifinhalte ausschließen.413 Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung 414 und 409 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Siehe auch die Anlage zum Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 125 f. Vgl. zudem Bauer, JuS 1999, 765, 767 und 770 - insbesondere § 2 Abs. 1 des Musterfirmentarifvertrages. Siehe ebenfalls die Dokumentation der empirischen Erhebung oben §3 C I 1. 410 Siehe auch die Vertragsbeispiele im Anhang. 411 Siehe BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; so auch § 2 Abs. 1 des Musterfirmentarifvertrages bei Bauer, JuS 1999, 765, 770. 412 Siehe BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. So auch §2 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 - vgl. Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wechsel, S. 123 und 125 f. 413 Braun, BB 1986, 1428, 1430; siehe auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 9 f. Die globale Anerkennung des Verbandstarif-
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Literatur 415 bestehen keine Einwände gegen die Verweisung auf die Gesamtfassung eines fremden Tarifwerkes. Übernehmen die Sozialpartner kraft eigener Normsetzungsverantwortung vollständig den Regelungsgehalt eines bestimmten VerbandstarifVertrages, so bleibt dessen Kompromisscharakter auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages ungeteilt erhalten. Für den bezogenen VerbandstarifVertrag spricht eine Vermutung, dass er einen sachgerechten Ausgleich der widerstreitenden Sozialinteressen beinhaltet. 416 Mit der Überleitung sämtlicher VerbandstarifVorschriften können die Regelungsgegenstände nunmehr ihre Ausgleichsfunktion auf der anerkennungstarifVertraglichen Ebene erfüllen.
2. „Erweiterte" Globalverweisung Klärungsbedürftige Rechtsfragen wirft hingegen die globale Verweisung auf eine Mehrzahl der in einer Branche einschlägigen Verbandstarifabkommen auf. Die Besonderheit der „erweiterten" Globalbezugnahme besteht darin, dass sämtliche in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge Eingang in ein und denselben Anerkennungstarifvertrag finden. Im Zuge der Inkorporierung entsteht auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene keine der Anzahl der bezogenen VerbandstarifVerträge entsprechende Vervielfältigung der FirmentarifVertrags-
niveaus zielt jedoch gerade auf eine Verhinderung unternehmensspezifischer Firmentarifabschlüsse. 414 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag. 4,5 Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; vgl. auch Braun, BB 1986, 1428, 1430; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, I 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 126; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 9 f. 416 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f. Siehe auch BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 06.02.1985, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 284 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 97; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 88; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 36; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 387; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 216; vgl. allgemein dazu Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 51 ff.; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 205 ff.
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beziehungen. Vielmehr treten die auf Verbandsebene selbstständigen Tarifwerke im Anerkennungstarifvertrag in rechtliche Konnexität zueinander. 417 Grundsätzlich obliegt es der Entscheidungshoheit der Sozialpartner, welche verschiedenen Regelungsbereiche sie in einem einheitlichen Tarifabkommen zusammenfassen. Das koordinierte Nebeneinander heterogener tariflicher Regelungsmaterien beruht auf einer autonomen Gestaltungsentscheidung. Aus diesem Grund unterliegt es keinen Bedenken, wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages für ihre Tarifbeziehung eine materielle Verknüpfung der auf Verbandsebene gesondert behandelten Regelungsgebiete begründen. Sie sind nicht gehalten, die sachliche Aufgliederung der einzelnen Verbandstarifverträge und insbesondere die jeweils eigenständigen Laufzeitfestsetzungen im Anerkennungstarifvertrag symmetrisch nachzuvollziehen. Es stellt sich in Anbetracht der materiellen Zusammenfassung der einzelnen Bezugstarifabkommen jedoch die Frage, ob die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages möglicherweise verpflichtet sind, sämtliche gültige Verbandstarifverträge in Bezug zu nehmen. Es ließe sich damit argumentieren, dass alle Verbandstarifwerke ein in sich geschlossenes Regelungsgefüge des gegenseitigen „Gebens und Nehmens" bilden. Eine Beschränkung auf einzelne Bezugsobjekte könnte das vorgegebene verbandstarifliche Gesamtsystem sprengen und zu einer Unsachgerechtigkeit der Anerkennungstarifordnung führen. Eine derartige Argumentation verkennt indes den tarifautonomen Gestaltungsspielraum der Firmentarifparteien. In ihre TärifVerantwortung fällt insbesondere die Festlegung derjenigen verbandstarifVertraglichen Bezugnahmeobjekte, die in ihrer Tarifrechtsbeziehung sachgerechte Anwendung finden können und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens entsprechen. Mit der getrennten Behandlung der einzelnen Bezugstarifverträge verdeutlichen schon die Verbandstarifpartner, dass die unterschiedlichen Flächentarifabkommen in keiner unmittelbaren Abhängigkeit voneinander stehen. Allein durch die Zusammenfassung der inkorporierten Verbandstarifwerke im Anerkennungstarifvertrag wird kein originäres Abhängigkeitsverhältnis zwischen sämtlichen in Betracht kommenden Bezugnahmeobjekten hergestellt. Demzufolge ist es nicht zu beanstanden, wenn die Sozialpartner nur einzelne Verbandstarifabkommen inkorporieren, die ausgewählte Tarifbereiche einer sachgerechten Regelung zuführen. 4,7 Insbesondere die von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages regelmäßig vereinbarte einheitliche Kündigungsregelung beweist, dass die einzelnen Verbandstarifverträge mit der Inkorporierung in den Anerkennungstarifvertrag ihre Eigenständigkeit verlieren - vgl. die einheitliche Kündigungsregelung in § 6 des JenoptikAnerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 124. Eine abweichende Vereinbarung liegt dem Sachverhalt des BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung zu Grunde.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
3. Ergebnis Globale Verweisungen auf einzelne oder mehrere VerbandstarifVerträge unterliegen somit keinen Rechtmäßigkeitsbedenken.
III. Zusatzvereinbarungen Trotz der globalen Verweisungsanordnung treffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages häufig weitere Zusatzvereinbarungen und belassen es nicht bei der schlichten Niederlegung einer statischen oder dynamischen Verweisungsklausel.
1. Ergänzende Zusatzvereinbarungen Da die übergeleiteten Verbandstarifvorschriften nicht immer eine Antwort auf sämtliche Regelungsfragen geben, die sich in der firmentarifVertraglichen Rechtsbeziehung stellen, bedarf es vielfach ergänzender Regelungsabsprachen. Die Ergänzungsvereinbarungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Regelungsgehalt den Inhalt der inkorporierten Tarifbestimmungen nicht tangiert, weil sie lediglich offen gebliebene Regelungslücken ausfüllen. Zu unterscheiden ist zwischen normkonkretisierenden und unabhängigen Ergänzungsabreden. Die normkonkretisierenden Vereinbarungen knüpfen unmittelbar an den inkorporierten Tarifnormen an, indem sie deren Umsetzung oder Auslegung für die anerkennungstarifvertragliche Rechtsbeziehung näher definieren. Demgegenüber betreffen die unabhängigen Ergänzungsbestimmungen eigenständige Regelungsbereiche, die im bezogenen VerbandstarifVertrag keine entsprechende inhaltliche Behandlung gefunden haben. Weder gegen normkonkretisierende noch gegen unabhängige Ergänzungsabreden bestehen tarifrechtliche Bedenken. Auch jenseits der Globalverweisung bleibt den Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihre tarifautonome Gestaltungsbefugnis umfassend erhalten. Gerade im Hinblick auf weiterhin regelungsbedürftige Tariffragen bedarf es einer Lückenfüllung durch eigenständige Ergänzungsabsprachen. Normkonkretisierende Vereinbarungen sind ebenfalls sinnvoll, weil sie die Rechtsanwendung der inkorporierten Tarifbestimmungen vereinfachen und damit die rechtssichere Handhabung gewährleisten. Da die ergänzenden Zusatzvereinbarungen nicht in inhaltlichen Widerspruch zum Regelungsgehalt der inkorporierten TarifVorschriften treten, ergeben sich im Übrigen keine normativen Konkurrenzprobleme zwischen den originären und den übergeleiteten Tarifbestimmungen.
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2. Verdrängende Zusatzvereinbarungen Unter der Überschrift „Abweichende Regelungen" treffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages in gesonderten Vertragsklauseln oftmals normverdrängende Zusatzvereinbarungen. 418 Mit ihnen weichen die Sozialpartner gezielt von den inhaltlichen Vorgaben der bezogenen Verbandstarifbestimmungen ab. Hintergrund dieser Tarifpraxis ist die Tatsache, dass sich auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene sachgerechte Tarifregelungen oft nur erzielen lassen, wenn einzelne Regelungsgegenstände einen von den Vorgaben des bezogenen Verbandstarifvertrages abweichenden Inhalt erhalten. Regelmäßig tragen die Abweichungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des anerkennenden Arbeitgebers Rechnung. So nehmen die Gewerkschaften bei kleineren Unternehmen Lohnabschläge in Kauf, lassen langfristige Lohnanpassungsklauseln zu oder gestatten bei Gratifikationen und sonstigen Zusatzleistungen eine Unterschreitung des Verbandstarifhiveaus. 419 Auf der anderen Seite werden wirtschaftlich leistungsfähige Unternehmen zu überverbandstariflichen Leistungszusagen verpflichtet. Einwände gegen die Zulassung normverdrängender Zusatzvereinbarungen ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Widersprüchlichkeit des Anerkennungstarifvertrages. Die Global Verweisung verpflichtet die Tarifvertragsparteien zur Anwendung aller in Bezug genommenen Verbandstarifbestimmungen. Soweit jedoch abweichende Sonderabreden getroffen werden, gelten fur den betroffenen Regelungsbereich divergierende Tarifhorminhalte. Dennoch lässt sich der inhaltliche Gegensatz rechtskonform auflösen, sodass keine Unwirksamkeit des Anerkennungstarifvertrages zu besorgen ist. Die originär getroffenen Sondervereinbarungen sollen entsprechend dem Normsetzungswillen der Anerkennungstarifpartner Vorrang vor den inkorporierten Tarifhormen haben. Gemäß dem Spezialitätsgrundsatz verdrängen die auf das tarifvertragschließende Unternehmen zugeschnittenen originären Tarifregelungen die verbandstarifvertraglichen Vorgaben. Insoweit kommt derselbe Rechts-
418 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. zudem BAG vom 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O. Siehe auch §5 Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996, dort unter der Überschrift „Besonderes" - Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 124. Vgl. zudem BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung dort unter der Überschrift „Sonderregelungen". 419 Oftmals werden wirtschaftlich schwache Außenseiterunternehmen stufenweise an das Lohnniveau des Flächentarifvertrages herangeführt - vgl. Unterhinninghofen, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, AiB 1999, 596, 597.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
gedanke zum Tragen, der sonst allgemein für einen Vorrang des Firmen- vor dem VerbandstarifVertrag streitet. 420 Trotz des Geltungsprimats der normverdrängenden Tarifvereinbarung behält die Glob^lverweisung ihre grundlegende Bedeutung. Sie bildet eine Auffangregelung für alle von den originären Vertragsabreden nicht erfassten Tarifbereiche. Regelmäßig beschränken sich die Abweichungen auf wenige punktuelle Regelungsgegenstände. Wird folglich der weitaus überwiegende Teil der maßgebenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die inkorporierten Tarifbestimmungen geprägt, ist die Globalbezugnahme ungeachtet abweichender Zusatzvereinbarungen wirksam.
IV. Protokollnotizen und Ergänzungsabkommen Im Zuge ihrer Tarifverhandlungen halten die Parteien des VerbandstarifVertrages regelmäßig Protokollnotizen fest. Zudem schließen sie exklusiv zu den eigentlichen Flächentarifvereinbarungen gesonderte Ergänzungs- und Zusatzabkommen. In ihnen konkretisieren die Koalitionen im Wesentlichen die Anwendung und Auslegung der gesetzten Tarifnormen und legen Verfahrensanordnungen nieder. Häufig machen sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Protokollnotizen und Ergänzungsabkommen zu Eigen und verstärken damit den inhaltlichen Gleichlauf zwischen der anerkennungs- und der VerbandstarifVertraglichen Ebene.421 Durchgreifende rechtliche Einwände gegen eine statische respektive dynamische Inbezugnahme bestehen nicht. Sofern die Protokollnotizen und Ergänzungsabkommen jedoch in erheblichem Maße die Normanwendung und -umsetzung beeinflussen, müssen die jeweiligen Rege-
420 BAG vom 20.03.1991, AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 24.11.1993, AP Nr. 116 zu §1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Buchner, Festschrift für Schaub, S. 75, 84 f.; ders., DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 6.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1490; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 755 f.; Hromadka/Maschmann/ Wallner, Tarifwechsel, Rn. 143; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 131; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 306; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.0L2001, EWiR 2001, 641, 642; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 277; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 290; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 206; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 422; siehe auch Jacobs, Anm. zu BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Waas, ZTR 2000, 341, 342 f. 421 Vgl. BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 371. Siehe zudem die Anlage zum Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 125.
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lungsinhalte sowohl den Sozialpartnern als auch den betroffenen Normadressaten zugänglich sein.
B. Teilverweisung Wenig tiefgehend wurde bisher die Zulässigkeit tarifVertraglicher Teilverweisungen behandelt.
I. Anwendungsfalle Nicht selten verweisen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages lediglich auf bestimmte Regelungskomplexe eines bezogenen Verbandstarifvertrages, ohne sich dessen Gesamtfassung zu Eigen zu machen.422 Derartige Teilverweisungen trennen einen partiellen Regelungsbereich aus dem verbandstarifVertraglichen Gesamtzusammenhang heraus und halten die nicht von der Bezugnahme erfassten Tarifbereiche für eine inhaltlich originäre Ausgestaltung offen. Umgesetzt wird die Teilverweisung durch eine konkrete Benennung der zu übernehmenden verbandstariflichen Regelungsbereiche in der Verweisungsklausel des Anerkennungstarifvertrages. In Abgrenzung zur Einzelverweisung bezieht sich die Teilverweisung nicht nur auf einzelne Verbandstarifbestimmungen, sondern knüpft an abgeschlossenen Regelungskomplexen an. So kann beispielsweise auf die vergütungsrechtlichen Bestimmungen verwiesen werden, ohne gleichzeitig die mitgeregelten Tarifkomplexe über Leistungszulagen, betriebliche Sonderzahlungen und sonstige Gratifikationen in den AnerkennungstarifVertrag zu inkorporieren. 423 Teilverweisungen können auch in Kombination mit globalen Bezugnahmeanordnungen auftreten, wenn bestimmte VerbandstarifVerträge umfassend - andere hingegen nur teilweise auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene übergeleitet werden.
422
Vgl. BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, I 1; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 161; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarüngen, S. 10; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196 und 257; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 423 Vgl. BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. Siehe auch Braun, BB 1986, 1428, 1430; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 10.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
II. Rechtliche Zulässigkeit In formeller Hinsicht müssen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes beachten. Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Teilverweisungsanordnung ist eine klare und eindeutige Bezeichnung der in Bezug genommenen Regelungskomplexe, um Irrtümern über die Reichweite der Verweisung vorzubeugen. 424 Materiell bedarf die Teilbezugnahme angesichts der Herauslösung einzelner Regelungsbereiche aus dem Gesamtzusammenhang des bezogenen VerbandstarifVertrages sorgfaltiger Betrachtung, wobei zwischen statischen und dynamischen Verweisungen zu differenzieren ist.
1. Statische Teilverweisung a) Rechtmäßigkeitsbedenken Anlass zu einer kritischen Würdigung der Teilverweisung gibt einerseits die Diskussion um die tarifVertragliche Teilkündigungsberechtigung und andererseits die parallele Problematik der individualarbeitsvertraglichen Teilverweisung. Der Teilkündigung eines Tarifvertrages wird nach überwiegender Auffassung die rechtliche Anerkennung versagt, weil sie den tarifvertraglichen Gesamtzusammenhang zerstören kann. 425 Werden einzelne unliebsame Positionen aus dem tariflichen Kompromisspaket herausgebrochen, ist die Sachgerechtigkeit der verbleibenden Resttarifvereinbarung nicht mehr gewährleistet. Tarifliche Teilverweisungen bilden das spiegelbildliche Gegenstück zur Teilkündigung. Denn mit der Inkorporierung einzelner Regelungskomplexe in den Anerkennungstarifvertrag wird der in sich geschlossene Regelungszusammenhang des bezogenen VerbandstarifVertrages auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene aufgehoben.
424
Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 161; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 10; vgl. auch Braun, BB 1986, 1428, 1429 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570. 425 BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA §1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469 (Fn. 30); Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 182 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 79; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Zachert, ArbuR 1993, 294, 294 f.
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Gegen die individualarbeitsvertragliche Teilbezugnahme auf tarifvertragliche Regelungskomplexe werden ebenfalls Bedenken angemeldet, weil sich der jeweilige Vertragsverwender die „Rosinen" aus dem bezogenen Tarifwerk „herauspicken" könne, sodass sich die Gesamtsachgerechtigkeit des Tarifvertrages im Arbeitsvertrag nicht wiederfinde. 426 Zur Begründung dieser Gefahrenlage finden sich zwei unterschiedliche Argumentationsstränge. 427 Kempen/Zachert begründen ihre Einwände gegen individualarbeitsvertragliche Teilverweisungen mit einer Art. 9 Abs. 3 GG widersprechenden Schwächung der Gewerkschaften. 428 Die Arbeitsvertragsparteien könnten Teilbezugnahmen vereinbaren, die den Außenseiterarbeitnehmern ausschließlich günstige Tarifbedingungen zuweisen und damit einen Gewerkschaftsbeitritt unattraktiv machen. Der gegenteilige Ansatz stellt maßgeblich auf die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers ab, die den Arbeitgeber als Vertragsverwender veranlassen könne, ausschließlich ihm vorteilhafte Teilbezugnahmen durchzuset-
b) Rechtfertigung Trotz der aufgeworfenen Bedenken zeigt die Diskussion um die tarifliche Teilkündigungsberechtigung zugleich einen Rechtfertigungsansatz auf. Nach herrschender Auffassung dürfen einzelne Regelungskomplexe eines Tarifver426
Zur so genannten „Rosinentheorie" - vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 334; Hanau/Kania, Festschrift für Schaub, S. 239, 245; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 85 f.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398 f.; Preis, in Preis, Der Arbeitsvertrag, S. 1313; siehe auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §269 Rn. 17. 427 Nach herrschender Auffassung sind individualarbeitsvertragliche Teilverweisungen dennoch zulässig - vgl. BAG vom 23.02.1988, AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 06.11.1996, AP Nr. 1 zu § 10a AVR Caritasverband; LAG Düsseldorf vom 13.04.1962, BB 1962, 922, 922; LAG Hamm vom 09.04.1975, DB 1975, 1515, 1515; Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, 'S. 19, 26; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 739; Gaul, ZTR 1991, 188, 193; Hanau/Kania, Festschrift fur Schaub, S. 239, 245; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 269 Rn. 17; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 209; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398 f. Weite Teile der Rechtslehre plädieren jedoch für eine arbeitsvertragliche Inhaltskontrolle, die sich auf die Prüfung der Angemessenheit der Teilbezugnahmeanordnung erstrecken soll - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 739; Hanau/Kania, Festschrift für Schaub, S. 239, 245; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 115; dies., in MünchenerHdb, § 269 Rn. 17; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398 f. Gegen die Zulässigkeit arbeitsvertraglicher Teilverweisungen - vgl. Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 85; kritisch auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 334. 428 Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 85; ähnlich Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 334. 429 Hanau/Kania, Festschrift für Schaub, S. 239, 245; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398; Preis, in Preis, Der Arbeitsvertrag, S. 1313.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
träges eigenständig gekündigt werden, wenn die Sozialpartner eine gesonderte kündigungsrechtliche Behandlung im Tarifvertrag explizit vorsehen. 430 Für die rechtliche Anerkennung einer Teilkündigungsbefugnis kommt es somit entscheidend auf den Vertragswillen der Tarifparteien an. Dieser am Regelungswillen anknüpfende Rechtfertigungsansatz kann entsprechend zur Legitimation tariflicher Teilbezugnahmen herangezogen werden. Angesichts des feststehenden Inhalts des übernommenen Regelungskomplexes können die Partner des Anerkennungstarifvertrages die Sachgerechtigkeit der statischen Teilbezugnahme sinnvoll beurteilen. 431 Sie entscheiden tarifautonom über die Zusammensetzung des Vertragsinhalts aus originären Tarifbestimmungen und teilweise in Bezug genommenen Verbandstarifregelungen und schaffen auf diese Weise sachgerechte Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in ihrer Tarifrechtsbeziehung. Die gegen individualarbeitsvertragliche Teilbezugnahmen vorgebrachten Einwände stellen sich auf Tarifvertragsebene nicht mit vergleichbarer Intensität. Eine Schwächung der Gewerkschaften ist bei einer anerkennungstarifvertraglichen Teilbezugnahme nicht zu besorgen, weil die Arbeitnehmervereinigung anders als im Falle der individualarbeitsvertraglichen Teilverweisung selbst Vertragspartei ist und partielle Bezugnahmevereinbarungen gegen ihren Willen deshalb unmöglich sind: Auch der Gedanke der strukturellen Unterlegenheit findet keine tarifrechtliche Parallele. Gewerkschaften sind nur dann gemäß § 2 Abs. 1,1. Alt. TVG tarififähig, wenn sie eine entsprechende Durchsetzungsfahigkeit besitzen.432 Angesichts ihrer sozialen Mächtigkeit droht kein 430 BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; Bieback, DB 1989, 477, 478; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469 (Fn. 30); Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Koberski/C las en/ Menzel, § 1 TVG Rn. 182 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 79; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Zachert, ArbuR 1993, 294, 294 f. 431 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; vgl. auch Braun, BB 1986, 1428, 1430; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196. Auch die Entscheidung des BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit befasst sich mit einer statischen Teilbezugnahme. 432 BAG vom 06.06.2000, AP Nr. 55 zu § 2 TVG; BAG vom 06.06.2000, AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979; BAG vom 09.07.1968, AP Nr. 25 zu § 2 TVG; LAG Berlin vom 21.06.1996, ArbuR 1997, 38, 38 f.; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 49 ff.; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 19 ff.; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 26 f.; Oetker, in Wiedemann, §2 TVG Rn. 306 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1867; kritisch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 433 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 380. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde durch das BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 249 verfassungsrechtlich bestätigt.
§ 7 Reichweite der inhaltlichen Verweisung
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einseitiges Teilverweisungsdiktat der Arbeitgeberseite. Im Gegensatz zur individualarbeitsvertraglichen Teilbezugnahme bedarf eher der anerkennende Arbeitgeber angesichts fehlender Verbandsunterstützung des Schutzes vor einseitig belastenden Teilverweisungen. 433
2. Dynamische Teilverweisung a) Rechtmäßigkeitsbedenken Weitgehend ungeklärt ist, ob dynamische Teilbezugnahmen mit dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung in Einklang stehen, weil nur schwer vorhersehbar ist, wie sich der in Bezug genommene Teilkomplex im Verbandstarifvertrag zukünftig entwickeln wird. Es ist durchaus denkbar, dass die Verbandstarifparteien den bezogenen Teilbereich entscheidend umgestalten, indem sie den jeweiligen Leistungsposten erheblich auf- oder entwerten. Auf Verbandsebene sind diese Modifikationen unbedenklich, da die Leistungsverschiebungen an anderer Stelle im FlächentarifVertrag paritätisch ausgeglichen werden, sodass die verbandstarifVertragliche Gesamtsachgerechtigkeit gewahrt bleibt. Hingegen sind die verweisungsrechtlichen Konsequenzen auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene gravierend. Da den Normadressaten des AnerkennungstarifVertrages die Ausgleichsregelungen angesichts der beschränkten Bezugnahmereichweite nicht zugute kommen, kann sich das Vertragsgleichgewicht empfindlich zu Lasten der Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite verschieben und damit die Sachgerechtigkeit des Sozialausgleichs in Frage stellen. 434 Daher verwundert es, wenn das Bundesarbeitsgericht, dass dynamische Globalverweisungen nur unter strenger Wahrung der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Tarifentwicklung gestattet,435 antezipierende Teilverweisungen ohne jede Begründung fur zulässig erachtet. 436
433
Inwieweit daher Teilverweisungsanordnungen - insbesondere gegenüber so genannten „kleinen" Arbeitgebern - erstreikbar sind, soll in einem eigenen Abschnitt eingehend analysiert werden - vgl. unten § 14 B. 434 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 83; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; kritisch auch Braun, BB 1986, 1428, 1430. 435 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f. 436 Ä4G vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. Siehe aber BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung, das darauf hinweist, dass im Zweifel eine Globalverweisung an-
218
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
b) Rechtfertigung Trotz der aufgezeigten Gefahrenlage sind dynamische Teilverweisungen zumindest auf firmentarifvertraglicher Ebene nicht zu beanstanden, denn sie sind Gegenstand einer tarifautonomen Entscheidung der Sozialpartner. Für die maßgebende Berücksichtigung des Regelungswillens der Parteien des Anerkennungstarifvertrages streitet derselbe Rechtsgedanke, der für die extensive Zulassung dynamischer Globalverweisungen tragend ist. 437 Weil der anerkennende Arbeitgeber gleichzeitig Tarifvertragspartei und Normadressat ist, entfaltet die Teilbezugnahme keine belastenden Drittwirkungen. Unter der Prämisse, dass er keines Schutzes vor seiner eigenen tarifVertraglichen Willenserklärung bedarf, ist die Teilanbindung an die zukünftige Verbandstarifentwicklung Ausdruck eigenverantwortlicher Wahrnehmung tariflicher Normsetzungskompetenzen. Dem Unternehmer ist die Gefahr einer erheblichen inhaltlichen Modifikation einzelner bezogener Regelungskomplexe bewusst. Mit seiner antezipierenden Teilanerkennungserklärung nimmt er denkbare Fehlentwicklungen ausdrücklich in Kauf. Auch die tarifvertragschließende Gewerkschaft begibt sich ihrer Tarifhormverantwortung nicht. Angesichts ihrer parallelen Beteiligung am bezogenen VerbandstarifVertrag kann sie die künftigen Inhalte der einzelnen Regelungskomplexe unmittelbar mitgestalten. Ihre besondere Stellung als Verbandstarifvertragspartei ist gleichzeitig Grundlage ftir eine hinreichende Vorhersehbarkeit der späteren Tarifentwicklung auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene. 438 Sie sichert die fortwährende Herrschaft über die dynamische Teilverweisungsklausel. Die Eigenverantwortung der Sozialpartner wird ferner durch die Möglichkeit aufrechterhalten, mit einer außerordentlichen Kündigung des Anerkennungstarifvertrages auf Fehlentwicklungen der inkorporierten Normenkomplexe zu reagieren. In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, ob der Teilbezugnahmeanordnung e contrario eine konkludente Zulassung einer Teilkündigungsberechtigung bezogen auf den inkorporierten Regelungskomplex entnommen zunehmen ist, weil der übernommene „Gesamtinhalt eines Tarifvertrages meist das Ergebnis eines Kompromisses ist". 437 Siehe dazu oben § 6 A IV 2 b. Nach der Konzeption des Bundesarbeitsgerichts muss bei „verbandstarifVertraglichen" Blankettverweisungen danach gefragt werden, inwieweit den Verbandstarifvertragsparteien die sachgerechte Tarifentwicklung des bezogenen Teilbereichs vorhersehbar ist. Insofern unterliegt die Beurteilung der zukünftigen Sachgerechtigkeit eines einzelnen Regelungskomplexes größeren Schwierigkeiten und Ungewissheiten als die Beurteilung der zukünftigen Sachgerechtigkeit eines bezogenen Gesamttarifwerkes - vgl. Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 438 Siehe dazu oben § 6 A I V 2 b bb.
§ 7 Reichweite der inhaltlichen Verweisung
219
werden kann. 439 Damit kann sich die Kündigungserklärung auf den unsachgerecht gewordenen Teilbereich beschränken und muss ultima ratio nicht den gesamten Anerkennungstarifvertrag zur Disposition stellen. 440 Darüber hinaus spricht fur die Zulässigkeit dynamischer Teilverweisungen, dass der in Bezug genommene Regelungsbereich innerhalb des Verbandstarifvertrages einen geschlossenen Ordnungskomplex bildet. Angesichts der relativen Eigenständigkeit des übergeleiteten Regelungskomplexes kann angenommen werden, dass die Verbandstarifparteien mit hoher Wahrscheinlichkeit diesbezüglichen Modifikationsbestrebungen eher zurückhaltend gegenüber stehen und die Änderungen regelmäßig überschaubar bleiben. 441 Letztlich resultiert die Statthaftigkeit anerkennungstarifvertraglicher Teilverweisungen aus tarifpraktischen Erwägungen, weil es durchaus sinnvoll ist, wenn sich die Sozialpartner nur in ausgewählten Teilbereichen an die Verbandstarifentwicklung anlehnen. Mit der Teilverweisung gelingt es ihnen, die inhaltliche Fremdbestimmung auf diejenigen Tarifgebiete zu beschränken, in denen sie sachgerechte verbandstarifVertragliche Vorgaben vorfinden, wohingegen die übrigen Regelungsbereiche tarifautonomer Ausgestaltung zugänglich bleiben.
C. Einzelverweisung Durch Einzelverweisungen werden weitgehend identische Rechtsfragen wie bei Teilverweisungen aufgeworfen.
439
Es ist umstritten, ob eine Teilkündigungsberechtigung aus dem Regelungszusammenhang abgeleitet werden kann - bejahend: Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; verneinend: Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Zachert, ArbuR 1993, 294, 295. 440 Zum Vorrang der Teilkündigung vor der Gesamtkündigung - siehe Belling, NZA 1996, 906, 911; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1446a; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA §1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 46; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 366; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 36; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 38; vgl. auch BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Oetker, RdA 1995, 82, 96 (Fn. 208); Zachert, ArbuR 1993, 284, 285. 441 Dieser Gedanke klingt auch im Rahmen der Rechtfertigung individualarbeitsvertraglicher Teilbezugnahmen an - vgl. BAG vom 06.11.1996, AP Nr. 1 zu § 10a AVR Caritasverband; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398.
220
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
I. Anwendungsfalle Einzelverweisungen erlangen gerade bei der firmentarifvertraglichen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen praktische Bedeutung.442 Charakteristisch ist, dass Einzelverweisungen die Inkorporationswirkung auf isolierte verbandstarifVertragliche Bestimmungen beschränken. Es werden im Unterschied zur Teilverweisung nicht abgeschlossene Regelungskomplexe, sondern im Wesentlichen zusammenhangslose Einzelbestimmungen des VerbandstarifVertrages in Bezug genommen. Die Sozialpartner erklären ausschließlich die für ihre Tarifbeziehung passenden Tarifvorschriften für anwendbar und beschränken damit die inhaltliche Fremdbestimmung auf ein Mindestmaß. Da sie den Regelungsgehalt ihrer Tarifbedingungen also überwiegend selbst durch originäre Tarifabsprachen gestalten, ist es nicht gerechtfertigt, von einem Anerkennungstarifvertrag zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um einen unternehmensspezifischen HaustarifVertrag, der lediglich zur Erleichterung der firmentarifvertraglichen Normsetzung auf einzelne Verbandstarifbestimmungen ergänzend Bezug nimmt.
II. Rechtliche Zulässigkeit Tarifrechtlich zulässig sind Einzelverweisungen wiederum nur, wenn die verweisenden Tarifvertragsparteien die einzelnen bezogenen Verbandstarifbestimmungen klar und eindeutig benennen, sodass keine Unklarheiten über die Reichweite der Bezugnahmeanordnung entstehen.443 In materieller Hinsicht sind insbesondere dynamische Einzelverweisungen angesichts der Gefahr einer unabsehbaren zukünftigen Umgestaltung der in Bezug genommenen Tarifvorschriften rechtlichen Einwänden ausgesetzt. Jedoch wiegen die Bedenken - ungeachtet der Tatsache, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages inhaltliche Modifikationen antezipierend in Kauf genommen haben - nicht vergleichbar schwer, weil die inkorporierten Einzelbestimmungen im Regelfall keine essentielle Bedeutung für die Gesamtsachgerechtigkeit des Firmentarifvertrages haben. Angesichts der überwiegend originären Tarifgestaltung stellen Veränderungen der bezogenen Tarifbestimmungen keine weitreichenden Belastungen auf firmentarifVertraglicher Ebene dar 4 4 4 Folglich entschärft sich die
442
Braun, BB 1986, 1428, 1429; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S.U. 443 Braun, BB 1986, 1428, 1429; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 11; vgl. auch Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 161. 444 Auch Braun, BB 1986, 1428, 1429 betrachtet Einzelverweisungen als „überschaubar". Ähnlich Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 11.
§ 8 Formelle Anforderungen
221
Problematik um so mehr, je weniger Vorschriften eines Flächentarifwerkes dynamisch in Bezug genommen werden.
§ 8 Formelle Anforderungen an den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages Aus dem TarifVertragsgesetz ergeben sich für die Parteien des Anerkennungstarifvertrages besondere formelle Verpflichtungen.
A. Schriftform Der Anerkennungstarifvertrag unterliegt gemäß § 1 Abs. 2 TVG dem Schriftformzwang, da firmentarifliche Vereinbarungen vollwertige Tarifverträge sind. Dennoch plädieren Teile der Lehre für einen freizügigen Umgang mit dem Schriftformerfordernis. Nach Gamillscheg hat zwar eine strenge Handhabung des § 1 Abs. 2 TVG bei VerbandstarifVerträgen durchaus Berechtigung. 445 Hingegen seien für Firmentarifverträge Ausnahmen denkbar. So müsse beispielsweise bei kurzzeitigen Vertragsverlängerungen das Schriftformgebot nicht zwingend beachtet werden. Gegen eine auch nur geringfügige Aufweichung des Schriftformzwangs bei Firmentarifverträgen spricht der Regelungszweck des § 1 Abs. 2 TVG. Ein Bedürfnis zur Klarstellung des Inhalts ist uneingeschränkt zu bejahen. Ungeachtet der Tatsache, dass dem Arbeitgeber firmentarifVertragliche Regelungsabsprachen gewöhnlich kraft seiner Parteistellung verlautbart sind, haben die normunterworfenen Arbeitnehmer in gleichem Maße ein Klarstellungsinteresse wie im Falle der verbandstarifVertraglichen Normgebung. Existiert somit aus teleologischer Sicht kein Grund, die Parteien eines Firmentarifvertrages von den strengen Verpflichtungen des § 1 Abs. 2 TVG freizustellen, sind neben dem ursprünglichen Vertragsabschluss sämtliche Änderungsabreden formbedürftig. 446 Im Übrigen gelingt es Gamillscheg nicht, eine rechtssichere, justiziable Grenze für das Eingreifen des Formenzwangs zu ziehen. Da die Schriftform zudem Grundlage für die Erfüllung der gesetzlichen Bekanntgabevorschriften ist, widersprechen Einschränkungen des § 1 Abs. 2 TVG der rechtsstaatlichen Publizitätsmaxime.
445
Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 517. Vgl. Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 11; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 234; siehe zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 115; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 369; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 52. 446
222
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
I. Allgemeine Anforderungen Dem Schriftliçhkeitsgebot unterliegen zunächst alle originär normativen Regelungen, die die Sozialpartner in einer den Vorgaben des § 126 BGB gerecht werdenden Weise niederlegen müssen.447 Bei „Abweichenden Sondervereinbarungen" und insbesondere bei Teilbezugnahmen sind die Vertragschließenden gehalten, die selbst ausgehandelten Regelungskomplexe formgerecht abzufassen. Der Schriftformzwang bezieht sich ebenso auf den obligatorischen Teil des Anerkennungstarifvertrages. 448 Gerade die Abwicklung von Umsetzungsproblemen, die auf die Besonderheiten der Verweisungstechnik zurückzuführen sind, wird zum Gegenstand von Durchführungsvereinbarungen gemacht. Vor allem aber haben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages große Sorgfalt auf die Formulierung der Bezugnahmeklausel zu legen. 449 Der inhaltlichen Klarstellung kann die Verweisungsanordnung nach anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dienen, wenn sie das bezogene Verbandstarifabkommen so präzise konkretisiert, dass Zweifel und Irrtümer über Art und Ausmaß der übernommenen Bestimmungen ausgeschlossen sind. 450 Um die inhaltliche Reichweite der Verweisung festzulegen, müssen die Sozialpartner mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, ob sie eine Global- oder Teilbezugnahme anstreben. Zu definieren ist darüber hinaus die Wir-
447
Zur Geltung des § 126 BGB im Tarifrecht - vgl. BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG; BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 1; Herschel, BB 1963, 1220, 1221; Hueck/Nipperdey,/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 367; Mangen, RdA 1982, 229, 229; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektiwerträgen, S. 39; Rick, DB 1957, 45, 45; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 229; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. 448 Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 11; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TV Rn. 539; Mangen, RdA 1982, 229, 230 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 232; differenzierend Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 375; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 51; vgl. auch BAG vom 31.10.1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht. 449 Ausführlich dazu bereits oben § 5 A I 2 b und § 6 A I 2. 450 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 12; Nipperdey, Anm. zu RAG vom 04.01.1933, ARS 17, 241, 242; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 57; Schulin, ZfA 1981, 577, 581; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 237.
§ 8 Formelle Anforderungen
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kung der Verweisung, indem entweder eine statische oder dynamische Anbindung an den Verbandstarifvertrag formuliert wird.
II. Vereinbarungen über die Schriftform - insbesondere Vereinbarungen über die Schaffung von Anhängen oder Anlagen zum Anerkennungstarifvertrag TarifVertragliche Abreden in Bezug auf das Schriftformerfordernis sind nur bedingt zulässig. Nicht tarifdispositiv ist die Vorschrift des § 1 Abs. 2 TVG selbst, da es sich um zwingendes Gesetzesrecht handelt. Hingegen bestehen grundsätzlich keine Bedenken gegen einen vertraglichen Ausbau der Schriftformanforderungen. Speziell im Hinblick auf tarifliche Verweisungen sind Absprachen praktisch geworden, in denen sich die Sozialpartner verpflichten, die in Bezug genommenen Tarifwerke in einem Anhang einzeln zu bezeichnen oder sie darüber hinaus in einer Anlage in wörtlicher Abschrift niederzule-
1. Zweck der Vereinbarung und Folgen für die Inkorporationsanordnung Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages verfolgen mit der Vereinbarung einer Anlagenbeifügung unterschiedliche Zielstellungen.
a) Deklaratorische
Bedeutung
Zum einen kann die gesonderte Auflistung der Bezugstarifverträge ausschließlich dazu dienen, den Normadressaten eine zusätzliche Informationsquelle über die Reichweite der inhaltlichen Verweisung zur Verfügung zu stellen. Erfüllen Anhang oder Anlage nur eine qualifizierte Klarstellungsaufgabe, besitzen sie deklaratorischen Charakter, da ihnen keine materiellrechtliche Bedeutung zukommt. Insbesondere hat der Regelungsgehalt des beigefügten Verzeichnisses keinen Einfluss auf die Inkorporationsanordnung der im Vertragstext fixierten Verweisungsbestimmung, sondern stellt lediglich klar, welche Verbandstarifverträge ohnehin kraft statischer oder dynamischer Bezugnahme gelten. Da die Normenverbindlichkeit der übergeleiteten Vorschriften des VerbandstarifVertrages ausschließlich auf der Verweisungsklausel beruht, zeitigen weder die fehlende Auflistung einzelner bezogener Tarifwerke noch die unterlassene Aktualisierung des Verzeichnisses rechtliche Konsequenzen. 451
Siehe beispielsweise § 2 Ziffer 3 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 123.
224
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
b) Konstitutive
Bedeutung
Denkbar ist andererseits, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages mit dem vereinbarten Erfordernis einer Anlagenbeifügung neben dem Ausbau der inhaltlichen Informationsbasis gleichzeitig materielle Rechtsfolgewirkungen verbinden. Die Bezeichnung oder die abschriftliche Wiedergabe der in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge im Anhang oder in der Anlage soll unmittelbar auf die Normenverbindlichkeit auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages durchschlagen. Zwischen der inhaltlichen Verweisungsanordnung und dem Regelungsgehalt des Verzeichnisses wird ein Abhängigkeitsverhältnis derart begründet, dass ausschließlich die aufgelisteten Bezugstarifwerke an der Inkorporationswirkung teilhaben. Aufgrund dieser Rückkopplung zur Reichweite der Verweisung erlangt die spezifische Schriftformabrede konstitutive Bedeutung. Ein konstitutiver Ausbau der Förmlichkeitsanforderungen hat erhebliche praktische Relevanz. Hängt die normative ΒindungsWirkung der in Bezug genommenen Tarifregelungen von der Aufnahme in einen Anhang oder eine Anlage ab, bestimmt die Auflistung bei statischen Verweisungen sowohl den Gegenstand der Bezugnahme als auch den Zeitpunkt des Inkrafttretens der übergeleiteten Vorschriften. Im Unterschied zu den lediglich deklaratorisch wirkenden Abreden stärkt diese Vertragsgestaltung die Klarstellungsfunktion dahin gehend, dass eine Tarifbindung nur im Hinblick auf die tatsächlich benannten und von den Normadressaten konkretisierbaren Tarifwerke eintritt. Ihre zentrale Bedeutung erlangen konstitutive Anlageverpflichtungen allerdings bei dynamisch verweisenden Anerkennungstarifverträgen. Ist vereinbart, dass die jeweiligen Neufassungen der bezogenen VerbandstarifVerträge erst mit ihrer Aufnahme in den Anhang oder die Anlage zum Anerkennungstarifvertrag Anwendung finden, ist die sonst stattfindende automatische Inkorporationswirkung außer Kraft gesetzt.452 Mit einer derartigen Beschränkung der dynamischen Verweisung erhalten sich die Sozialpartner ihre Kontrollmöglichkeit, ob eine neu in Kraft getretene Verbandstariffassung sachgerechte Lösungen bietet und in den Anerkennungstarifvertrag überführt werden soll. Notfalls müssen die Parteien Verhandlungen über die Zusammensetzung der Anlage aufnehmen. In dieser Konstellation hat die Jeweiligkeitsklausel nur noch die Funktion einer Grundsatzerklärung, 453 wohingegen sich die Rechtswirkungen einer statischen Verweisung nähern.
452 453
Zur automatischen Inkorporationswirkung siehe oben § 4 D I. Oetker, in SchleetfOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99.
§ 8 Formelle Anforderungen
225
2. Regelungsmacht der Parteien des Anerkennungstarifvertrages Ob den Partnern des Anerkennungstarifvertrages die tarifliche Regelungsmacht fur die Begründung gesonderter Anlagepflichten zusteht, ist allenfalls im Hinblick auf konstitutive Absprachen diskussionswürdig, da gegen eine deklaratorische Verbesserung der Klarstellungsmöglichkeiten keine Einwände greifen. Allerdings sprechen auch gegen die Erhebung des Regelungsgehalts einer Anlage zur materiellen Voraussetzung der Inkorporationswirkung keine Bedenken, da sie auf eine Ermächtigungsgrundlage zurückgeführt werden kann. Die Sozialpartner sind befugt, im obligatorischen Teil des Anerkennungstarifvertrages normkonkretisierende Tarifabsprachen zu treffen, mit denen sie sich im Handlungssystem des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG bewegen.454 Ihre Gestaltungsfreiheit erlaubt es ihnen, autonom darüber zu befinden, wann und in welcher Art und Weise die kraft Verweisung gesetzten Tarifnormen auf die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse einwirken sollen. In Ausübung dieser Konkretisierungsbefugnis kann die normative Verbindlichkeit der bezogenen Verbandstarifbestimmungen von der Bezeichnung in einem Anhang oder der Aufnahme in eine Anlage abhängig gemacht werden.
3. Auslegungsfragen Vereinbarungen über die Schaffung gesonderter Vertragsanhänge oder -anlagen werfen weitgehend ungeklärte Auslegungsfragen auf. In Anbetracht der Wechselwirkung zwischen dem beigefügten Verzeichnis und der im Vertragstext fixierten Verweisungsbestimmung können sich bei Falschbezeichnungen, Auslassungen oder sonstigen Unstimmigkeiten zahlreiche Zweifelsfälle ergeben. So wird in anerkennungstarifvertraglichen Bezugnahmeklauseln oftmals pauschal auf „sämtliche" in der Branche einschlägigen FlächentarifVerträge verwiesen und die nähere Spezifizierung einer beigefügten Auflistung überlassen. Was soll aber gelten, wenn die Vertragsparteien in Widerspruch zur „erweiterten" Verweisungsanordnung 455 die Erwähnung eines VerbandstarifVertrages im Anhang vergessen? Ungewissheiten entstehen darüber hinaus bei dynamischen Verweisungen, wenn keine fortlaufende Aktualisierung des Anhangs erfolgt. Dann stellt sich die Frage, ob nur die tatsächlich gekennzeichneten BezugstarifVerträge unter Außerkraftsetzung der dynamischen Verweisung Geltung beanspruchen. Die Beispielsfälle verdeutlichen die zentrale Problemstellung. Im Anhang nicht erwähnte VerbandstarifVerträge können nur Gültigkeit erlangen, wenn das
454 455
Siehe Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 663b und 745. Zur „erweiterten" Global Verweisung siehe oben § 7 A II 2.
226
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
beigefugte Verzeichnis deklaratorischen Charakter besitzt. Im Folgenden soll daher problematisiert werden, ob die spezifischen Schriftformabreden im Zweifel einen deklaratorischen oder einen konstitutiven Charakter tragen. Hierfür ist der Anerkennungstarifvertrag auszulegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Abreden zwar grundsätzlich dem obligatorischen Teil des Tarifvertrages zuzuordnen sind, 456 aber unter Umständen normkonkretisierende Bedeutung erlangen.
a) Grammatikalische Auslegung Ergibt sich aus dem Wortlaut der Verweisungsbestimmung oder einer gesonderten Regelung im Text des Anerkennungstarifvertrages, dass ausschließlich die in der Anlage bezeichneten FlächentarifVerträge Anwendung finden, entstehen keine Interpretationsschwierigkeiten. Aus der Formulierung geht der konstitutive Charakter der Auflistung zweifelsfrei hervor. Häufig sind Anerkennungstarifverträge indes mehrdeutig. Das gilt zunächst, wenn im Vertragstext lediglich die Verweisungsbestimmung niedergelegt ist und keine weitere Klarstellung der Rechtsfolgenrelevanz eines beigefügten Verzeichnisses erfolgt. In diesem Fall erlaubt die Wortlautinterpretation keine eindeutige Aussage über den deklaratorischen oder konstitutiven Charakter der Anlage. Ein Auslegungsbedürfnis besteht weiterhin, wenn die Tarifpartner im Vertragstext einen gesonderten Hinweis auf die Anlage formulieren. Exemplarisch findet folgende Regelung in einer Vielzahl der Anerkennungstarifverträge ihren Niederschlag: Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Anerkennungstarifvertrages geltenden VerbandstarifVerträge sind in der Anlage bezeichnet, welche Bestandteil dieses Anerkennungstarifvertrages ist. 457 Teilweise wird diese Vertragsklausel bei dynamischen Verweisungen wie folgt ergänzt: Die Anlage dieses Anerkennungstarifvertrages wird jeweils nach Abschluss einer Änderung oder Ergänzung der in Bezug genommenen VerbandstarifVer-
456 Zur Auslegung des obligatorischen Teils eines Tarifvertrages - vgl. stellvertretend Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 305; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 279 Rn. 1 f.; Wank,, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 768. 457 Siehe § 2 Ziffer 1 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Vgl. zudem § 2 Ziffer 3 Satz 1 und 2 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 123.
§ 8 Formelle Anforderungen
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träge durch die Parteien des Anerkennungstarifvertrages entsprechend abgeändert oder ergänzt.458 Die eingangs dargelegte Klauselformulierung lässt ihre Wirkungsweise offen. Andeutungsweise spricht der Wortlaut jedoch für einen deklaratorischen Charakter der Anlage, denn es fehlen nähere Anhaltspunkte für eine Rückkopplung zur materiellen Inkorporationswirkung. Insbesondere bei dynamischen Verweisungen liegt eine konstitutive Interpretation eher fern, weil sich die Regelung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezieht und keine Anordnungen im Hinblick auf eine künftige Verfahrensweise bei Inkrafttreten modifizierter NachfolgeverbandstarifVerträge trifft. Sofern die Parteien des AnerkennungstarifVertrages im Vertragswortlaut allerdings ergänzend festlegen, dass die Anlage jeweils nach einer Änderung oder Ergänzung der in Bezug genommenen Tarifverträge entsprechend zu ändern oder zu ergänzen ist, kommt nach grammatikalischer Auslegung sowohl eine konstitutive als auch eine deklaratorische Charakterisierung der Klausel in Betracht. 459
b) Systematische Auslegung Aus systematischer Sicht kann für einen konstitutiven Charakter des Regelungsgehalts einer Anlage sprechen, dass dem Verzeichnis auch in anderen Vorschriften des Anerkennungstarifvertrages eine materielle Relevanz beigemessen wird. 4 6 0 Demgegenüber deutet es auf eine deklaratorische Natur, wenn bereits die Verweisungsbestimmung eine enumerative Auflistung der BezugstarifVerträge enthält und die Anlage lediglich eine nähere Spezifizierung festschreibt. Trifft die im Vertragstext verankerte Verweisungsklausel lediglich eine allgemeine Anordnung zur Überleitung „sämtlicher" in der jeweiligen Branche geltenden FlächentarifVerträge und erfolgt erst im Anhang eine Konkretisierung der einzelnen Bezugstarifwerke, steht diese Vertragsgestaltung nicht zwingend einem deklaratorischen Charakter der beigefügten Auflistung entgegen. Denn bereits aus der Fassung der Verweisungsbestimmung ergibt sich mit hinreichender Bestimmtheit, dass alle zwischen den Verbandstarifparteien abgeschlossenen Tarifwerke Eingang in den Anerkennungstarifvertrag finden sol458 Siehe § 2 Ziffer 3 Satz 3 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Òetker , Tarifpolitik im Wandel, S. 123. 459 Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99. 460 Siehe Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100, wobei der Hinweis auf §3 Ziffer 2 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 nicht zwingend erscheint.
228
Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
len. Nach systematischer Vertragsauslegung schließt daher der Umstand, dass ein gültiger VerbandstarifVertrag im Anhang nicht bezeichnet ist, die Annahme einer „erweiterten" Globalverweisung nicht aus.
c) Teleologische Auslegung Für die Ermittlung des deklaratorischen beziehungsweise konstitutiven Charakters einer beigefügten Anlage erlangt die teleologische Vertragsauslegung entscheidende Bedeutung. Vorrangig ist auf den erkennbaren Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages abzustellen und zu ergründen, welchen Zweck sie mit der Vereinbarung über die Schaffung eines gesonderten Anlagenverzeichnisses verfolgen. 461 Oetker ist der Auffassung, dass zumindest in den Fällen, in denen die Sozialpartner in einer gesonderten Klausel des Anerkennungstarifvertrages explizit auf eine Anlage verweisen und sie zum Bestandteil ihres Tarifabkommens erklären, eine konstitutiv wirkende Schriftformvereinbarung anzunehmen sei, mit der die Parteien eine Beschränkung der Jeweiligkeitsklausel anstreben. 462 Da nach den gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 2 TVG keine Notwendigkeit für eine Anlagenbeifügung besteht, sei das besondere Formerfordernis und das hiermit einhergehende Prozedere argumentum e contrario nur verständlich, wenn das Verzeichnis in materielle Wechselwirkung zur Verweisungsbestim463
mung trete. Diese Schlussfolgerung stößt indes auf Bedenken. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Vorschrift des § 1 Abs. 2 TVG. Sie gewährleistet die Klarstellung der Regelungsinhalte und die Sicherung der Beweisführung lediglich in einem unverzichtbaren Mindestumfang. 464 Angesichts der geringen
461
Anhaltspunkte für die Bestimmung des anvisierten Regelungszwecks lassen sich auch aus der bisherigen Vertragsabwicklung gewinnen. Haben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die jeweiligen Änderungen der in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge in der Vergangenheit ein vernehmlich nach vollzogen, ohne die Anlage fortlaufend zu aktualisieren, spricht dieser Umstand gegen einen konstitutiven Charakter des Verzeichnisses. Allgemein zur Berücksichtigung der praktischen Vertragshandhabung im Rahmen der TarifVertragsauslegung - siehe BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 279 Rn. 1. 462 Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99 ff. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Oetker die Klausel, welche eine ständige Aktualisierung der Anlage ausdrücklich festschreibt, in seine Argumentation einbezieht. 463 Oetker, in SchleetfOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99. 464 Siehe hierzu oben § 5 A I 2 und § 6 A I 2.
§ 8 Formelle Anforderungen
229
gesetzlichen Schriftformanforderungen 465 sind tatsächliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung der maßgebenden Tarifinhalte nicht von der Hand zu weisen. Unter Zugrundelegung der gesetzlichen Ausgangslage ist anzunehmen, dass die Vertragsparteien mit der vertraglichen Erweiterung des Schriftformzwangs grundsätzlich das Ziel verfolgen, den im Kontext tarifvertraglicher Verweisungen auftretenden Klarstellungs- und Beweisdefiziten zu begegnen. Zu Gunsten der Normadressaten soll mit dem gesonderten Verzeichnis eine zusätzliche Informationsquelle geschaffen werden, anhand der sie die Reichweite der inhaltlichen Verweisung sicher beurteilen können. Gleichzeitig fordern die Sozialpartner zu ihren eigenen Gunsten die Rechtssicherheit, weil Meinungsverschiedenheiten über den Kreis der maßgebenden Bezugsobjekte infolge der Beweisfunktion der Anlage vermieden werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die schriftliche Niederlegung der in Bezug genommenen Tarifwerke gleichzeitig Grundlage der Bestimmbarkeit der Regelungsgehalte und der Publikation des Anerkennungstarifvertrages ist. Sowohl aus Gründen der Klarstellungs- und Beweisfunktion als auch in Anbetracht der positiven Folgewirkungen fur das Bekanntmachungsverfahren ist die gesonderte Fixierung der übergeleiteten VerbandstarifVerträge sinnvoll und geeignet, den im Rahmen tariflicher Verweisungen auftretenden Unklarheiten effektiv entgegenzuwirken. Auch die herrschende Auffassung, die eine Anlagenbeifiigung entsprechend der ratio legis des § 1 Abs. 2 TVG für entbehrlich erachtet, 466 verschließt sich nicht der Problemlage, welche mit dem geringfügigen förmlichen Pflichtenprogramm des § 1 Abs. 2 TVG einhergeht, sondern erklärt den Ausbau der vertraglichen Informationsbasis - insbesondere in Form zusätzlicher Vertragsanhänge - ausdrücklich für wünschenswert. 467 Neben dieser positiv zu bewertenden Verbesserung der inhaltlichen Informationsmöglichkeiten streben die Sozialpartner regelmäßig keine weiteren materiellen Rechtsfolgewirkungen an. Insbesondere kann allein aus dem Umstand
465
Zu den gesetzlichen Mindestanforderungen siehe bereits oben § 5 A I 2 b und § 6
A 12. 466
Siehe BAG vom 08.10.1959, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Baumann., RdA 1987, 270, 271; Iffland,, DB 1964, 1737, 1737; Karpen,, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 117; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 162 f.; Mangen, RdA 1982, 229, 236 f.; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 54; Nikisch,, Anm. zu BAG vom 16.02.1962, AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 57; Stahlhacke, DB 1960, 579, 580; vgl. auch Buchner, ARBlattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 107; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87. 467 So ausdrücklich Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
einer Anlagenbeifügung nicht der Wille der Tarifparteien abgeleitet werden, die Inkorporationswirkung entgegen der im Vertragstext fixierten umfassenden Verweisungsanordnung zu beschränken. Vielmehr soll die Überleitung der verbandstarifvertraglichen Regelungsvorgaben bereits auf der Basis der Wahrung der „gesetzlichen" Schriftformanforderungen im Sinne des § 1 Abs. 2 TVG stattfinden. Ihre Bestätigung findet diese teleologische Betrachtung, sofern man sich die praktischen Auswirkungen einer konstitutiven Interpretation der Anlagenbeifügung vergegenwärtigt, wobei die Widersprüche gerade bei dynamischen Verweisungen offenkundig werden. Der Anerkennungstarifvertrag dient im Regelfall der inhaltlichen Gleichstellung der Außenseiterarbeitgeber mit den verbandstarifgebundenen Arbeitgebern. 468 Besäße das Verzeichnis konstitutiven Charakter, ist eine fortlaufende Angleichung nicht gewährleistet. Denn bereits in zeitlicher Hinsicht stellt es sich als unmöglich dar, die Anlage in der logischen Sekunde des Inkrafttretens eines geänderten NachfolgeverbandstarifVertrages zu aktualisieren, sodass zwischenzeitlich unterschiedliche TarifVorschriften auf Verbands- und auf firmentarifVertraglicher Ebene gelten. Entscheidend ist zu berücksichtigen, dass weder der einzelne Arbeitgeber noch die Gewerkschaft ein Interesse daran haben, fortwährend Verhandlungen über die Aufnahme modifizierter Bezugstarifverträge in den Anhang des AnerkennungstarifVertrages zu führen. Beide Seiten sind aus personellen beziehungsweise organisatorischen Gründen mit einem derartigen Prozedere überfordert. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sich die Bezugnahme oftmals auf zahlreiche Verbandstarifwerke erstreckt und daher ständige Kontroversen über die Zusammensetzung der Anlage vorprogrammiert wären. Eine fortlaufende konstitutive Aktualisierungspflicht läuft mithin der gewöhnlich angestrebten laufzeitbezogenen Arbeitskampfruhe zuwider. 469 Letztlich rechtfertigt auch der Grundsatz der Tarifhormverantwortung keine andere Bewertung. Zwar ist zuzugeben, dass eine konstitutive Aktualisierungspflicht bei dynamischen Verweisungen die Eigenverantwortlichkeit der Parteien des Anerkennungstarifvertrages stärkt, weil modifizierte NachfolgeverbandstarifVerträge vor der Aufnahme in den Anhang einer gesonderten Überprüfung ihrer Sachgerechtigkeit unterzogen werden können. 470 Da indes im 468
Zum Gleichstellungsziel - vgl. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Schaub, BB 1996, 2998, 2300; ders., NZA 1998, 617, 618; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; siehe auch Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Kittner, AiB 1995, 158, 160; vgl. zudem Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505. 469 Zur Problematik der laufzeitbezogenen Arbeitskampfruhe siehe unten § 12 Β II. 470 Daraufstellt Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 100 maßgebend ab.
§ 8 Formelle Anforderungen
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Lichte des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG keine Bedenken gegen die automatische Inkorporierung der VerbandstarifVertraglichen Regelungsvorgaben bestehen,471 erlangt das Argument der Eigenverantwortung ohne besondere Anhaltspunkte im Vertragswortlaut kein entscheidendes Gewicht. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die Sozialpartner mit der Beifügung eines Anhangs oder einer Anlage im Zweifel lediglich eine Verbesserung des Klarstellungs- und Beweisstandards bezwecken, ohne dem Verzeichnis konstitutive Bedeutung zuzuweisen. Im Regelfall ist die materielle Inkorporationswirkung damit allein auf die inhaltliche Verweisungsbestimmung zurückzuführen. Beinhaltet der Vertragstext des Anerkennungstarifvertrages nur eine Bezugnahme oder einen einfachen Hinweis auf eine beigefügte Anlage, besitzt die Auflistung deklaratorischen Charakter. Demnach ist die fehlende Bezeichnung eines von der Verweisungsklausel erfassten VerbandstarifVertrages beziehungsweise die mangelnde Aktualisierung des Anhangs unerheblich. Erwägenswert ist eine abweichende Schlussfolgerung allenfalls, wenn sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Vertragstext ausdrücklich dazu verpflichten, die Anlage nach einer Änderung oder Ergänzung der in Bezug genommenen Tarifverträge entsprechend anzupassen.472 Gleichwohl ist auch bei dieser Vertragsgestaltung im Zweifel eine deklaratorische Aktualisierungspflicht beabsichtigt. Denn gerade bei dynamischen Verweisungen bestehen für die Normadressaten erhebliche Schwierigkeiten, das Inkrafttreten überarbeiteter Bezugstarifverträge rechtzeitig nachzuvollziehen. Eine fortlaufende Aktualisierung erscheint wünschenswert, um den Tarifunterworfenen eine rechtssichere Grundlage für die Beurteilung der Frage zur Verfügung zu stellen, welche modifizierten VerbandstarifVerträge ihre Arbeitsverhältnisse in Zukunft beeinflussen. Steht aber auch in diesem Kontext die Klarstellungs- und Beweisfunktion im Vordergrund, bedarf es für eine konstitutive Interpretation der Schriftformabrede weiterer Anhaltspunkte im Wortlaut.
d) Ergebnis Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages können sich vertraglich zur Schaffung eines Anhangs oder einer Anlage verpflichten und bei dynamischen Verweisungen eine fortlaufende Aktualisierungspflicht begründen, wobei die Absprachen im Zweifel nicht konstitutiv auf die im Vertragstext fixierte Inkorporationsanordnung durchschlagen.
471 472
Siehe oben § 6 A I V 2. So im Ergebnis Oetker, in SchleeffOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 99 ff.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifvertrages
B. Auslagepflicht Der Arbeitgeber ist gemäß § 8 TVG verpflichtet, die maßgebenden Tarifverträge im Betrieb auszulegen. Für den Firmentarifvertrag gilt die Vorschrift ohne Einschränkungen. 473
I. Umfang der Auslagepflicht Mit Blick auf die Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber neben der verweisenden Firmentarifvertragsurkunde ebenfalls den übernommenen Verbandstarifvertrag an geeigneter Stelle im Betrieb auslegen muss.
1. Streitstand Braun hält eine Publikation der übergeleiteten verbandstariflichen Regelung nicht fur erforderlich. 474 Ausreichend sei es, den Arbeitnehmern allein die Verweisungsvereinbarung bekannt zu geben. Der Inhalt der inkorporierten Tarifbestimmungen sei auf andere Weise hinreichend zugänglich. Demgegenüber spricht sich das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich für eine Auslage sowohl des verweisenden als auch des bezogenen Tarifabkommens aus. 475 Der Tarifvertrag, auf den verwiesen wird, sei für den Betrieb im Sinne des § 8 TVG maßgebend. Allerdings schränkt das Bundesarbeitsgericht diesen Regelsatz gleichzeitig wieder ein. Denn wenn nur auf einzelne VerbandstarifVertragliche Normenkomplexe im Wege einer Teilbezugnahme verwiesen werde, müsse keine Auslage der übernommenen Tarifvorschriften erfolgen. Insofern sei es den Normunterworfenen zuzumuten, Auskünfte beim Tarifregister einzuholen oder die Sozialpartner um eine Abschrift des fremden Tarifvertrages zu ersuchen.
473
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1429; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 222 und 346. 474 Braun, BB 1986, 1428, 1429; vgl. dazu auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, III 2 b. Nicht eindeutig äußert sich Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 475 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form.
§ 8 Formelle Anforderungen
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Teile des Schrifttums vertreten hingegen eine extensivere Anwendung des § 8 TVG. 4 7 6 Unabhängig von der Reichweite der Bezugnahmeanordnung sei stets eine Auslage aller übergeleiteten Tarifvertragsbestimmungen notwendig.
2. Stellungnahme Welcher Ansicht zu folgen ist, muss durch Auslegung des § 8 TVG geklärt werden. Der Wortlaut der Norm sieht eine Auslage der „maßgebenden" Tarifverträge vor. Maßgebend fur die Normunterworfenen sind nicht nur die originären Anordnungen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, sondern auch die inhaltlichen Vorgaben der inkorporierten Verbandstarifvorschriften, denn sie werden Bestandteil des Firmentarifabkommens. 477 Aus dem Wortsinn ergeben sich keine Einschränkungen dahin gehend, dass nur eigene, explizite Vertragsformulierungen im Betrieb bekannt zu machen sind. Daher steht bereits das Wortlautargument der Auffassung Brauns entgegen. erkennt die Maßgeblichkeit der inkorporierten Das Bundesarbeitsgericht Verbandstarifregelungen dem Grunde nach an und verlangt eine Auslage auch der bezogenen Tarifbestimmungen. Für Teilverweisungen vertritt es jedoch eine teleologische Reduktion des § 8 TVG. 4 7 8 Ob dieser Ausnahme zuzustimmen ist, hängt von der ratio legis des § 8 TVG ab. Sinn und Zweck der Auslage ist es, den tarifgebundenen Arbeitnehmern die Kenntnisnahme der jeweils gültigen Tarifbedingungen zu ermöglichen. Die Auslageverpflichtung muss in engem Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Publizitätsgebot betrachtet werden. 479 Beizupflichten ist daher der Lehrmei476
Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1296; Koberski/Clasen/Menzel, §8 TVG Rn. 6; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 7. 477 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem Baumann, RdA 1987, 270, 272; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 110 und 121; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1296; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 520; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1108; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 2; Koberski/Clasen/Menzel, §8 TVG Rn. 6; Löwisch/Rieble, § 8 TVG Rn. 5; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 4; Mangen, RdA 1982, 229, 237; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 7. Allgemein zu Inkorporationswirkung - vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 478 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; siehe zudem Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 88; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1108. 479 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 110; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1294; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
nung, welche die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als wenig konsequent kritisiert. 480 Ein Bedürfnis zur Klarstellung der Tarifinhalte besteht sowohl bei einer Global- als auch bei einer Teilverweisung. 481 In Anbetracht der im Tarifrecht ohnehin schwach ausgeprägten Publizitätsanforderungen ist den wenigen einschlägigen Bekanntgabevorschriften optimale Geltung zu verschaffen. 482 Aus diesem Grund muss sich der Arbeitgeber ebenso einzelne in Bezug genommene Tarifbestimmungen beschaffen und sie den Arbeitnehmern im Betrieb zugänglich machen. Ein Hinweis auf alternative Publikationsverfahren ist wenig überzeugend, denn die Suche nach einzelnen fremden Normenkomplexen gestaltet sich fur die Arbeitnehmer häufig schwieriger als die Beschaffung der Gesamtfassung eines global inkorporierten Tarifwerkes. Eine differenzierte Bewertung der Auslageverpflichtung je nach dem Umfang der Verweisungsanordnung widerspricht darüber hinaus der Rechtssicherheit, 483 denn es bleibt unklar, bis zu welchem Regelungsgrad von einer Teilverweisung gesprochen werden kann. Im Übrigen belastet eine umfassende Auslagepflicht den anerkennenden Arbeitgeber nicht über Gebühr, da er bereits zum Zweck eigener Information über sämtliche maßgebenden Verbandstarifbestimmungen verfugen wird. 4 8 4 Die hier vertretene strenge Norminterpretation des § 8 TVG hat allerdings nicht zur Folge, dass der Arbeitgeber bei Teilverweisungen die gesamte FasKlauseln in Tarifverträgen, S. 88 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 7 TVG Rn. 1; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 1; Koberski/C lasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 1; Lindena, DB 1988, 1114, 1115; Löwisch/Rieble, §8 TVG Rn. 1; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 2; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125 f. 480 Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 7; ähnlich Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1296. 481 Dies verkennt Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1108 der sich in fragwürdiger Weise auf einen angeblich bindenden Gesetzeswortlaut beruft, ohne auch nur ansatzweise zu teleologischen Auslegungsfragen - insbesondere zu der Publizitätsfunktion des § 8 TVG - Stellung zu beziehen. 482 Vgl. dazu BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 350 f.; BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG; siehe auch Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 2; Lindena, DB 1988, 1114, 1115. 483 Etwaige entstehende Ungewissheiten können sich auch zu Lasten des Arbeitgebers auswirken. Im Falle nicht ordnungsgemäßer Auslage kann sich beispielsweise die Frage stellen, ob sich der Arbeitgeber auf tarifliche Ausschlussfristen berufen darf - vgl. hierzu BAG vom 05.11.1963, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1302; Dockhorn, ArbuR 1953, 150, 151; Fenski, BB 1987, 2293, 2294 ff.; Koberski/Clasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 13; Koch, Festschrift fur Schaub, S. 421, 434 ff; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 19 f. 484 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1296. Zweifel äußert insofern Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form.
§ 8 Formelle Anforderungen
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sung des bezogenen Tarifvertrages auslegen muss. 485 Dem Telos des § 8 TVG ist Genüge getan, wenn den Beschäftigten ausschließlich die für anwendbar erklärten verbandstarifVertraglichen Regelungskomplexe an einem allgemein zugänglichen Ort zur Verfügung stehen. Bei statischen Verweisungen ist es dem Arbeitgeber unschwer möglich, einerseits die Anerkennungstarifvertragsurkunde und andererseits die inhaltlichen Vorgaben der in Bezug genommenen, feststehenden Verbandstarifregelung auszulegen. Für dynamische Verweisungen gilt zunächst nichts Abweichendes. Da sich aber der maßgebende Inhalt des Anerkennungstarifvertrages mit den jeweiligen verbandstarifVertraglichen Modifizierungen automatisch ändert, aktualisiert sich die Auslagepflicht mit jeder Überarbeitung des Bezugstarifvertrages. 486 Wenn der Arbeitgeber einmal ordnungsgemäß den verweisenden Tarifvertrag ausgelegt hat, ist es künftig hinreichend, die jeweilige Neufassung des Verbandstarifabkommens zugänglich zu machen.
II. Vereinbarungen über die Auslagepflicht Parallel zur Diskussion im Rahmen des Schriftformgebotes ist zu klären, ob die Auslageverpflichtung im Sinne des § 8 TVG konkretisierenden Tarifabsprachen zugänglich ist. Weil die Auslage zum unverzichtbaren Kern des rechtsstaatlichen Publizitätsgebotes zählt, scheidet eine Abbedingung der tarifvertragsgesetzlich vorgeschriebenen Pflicht aus. Denkbar sind indes obligatorische Absprachen, die der Auslage konstitutive Bedeutung beimessen. Zwar sind die rechtlichen Konsequenzen eines arbeitgeberseitigen Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus § 8 TVG umstritten. 487 Dennoch besteht weitgehende Einigkeit, dass die Auslage keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gültigkeit des Tarifabkommens ist. 488 Um die Geltung des Tarifvertrages demnach von
485
Koberski/Clasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 6; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 7. Baumann, RdA 1987, 270, 272; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 121; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1296; siehe auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Zum Zeitpunkt der Auslageverpflichtung - vgl. Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 12. 487 BAG vom 05.11.1963, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1299 ff.; Dockhorn, ArbuR 1953, 150, 151; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 520 f.; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1111 f.; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 4 f. und 7 f.; Koberski/Clasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 11 ff.; Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 428 ff.; Lindena, DB 1988, 1114, 1115 f.; Löwisch/Rieble, § 8 TVG Rn. 9 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 8; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 16 und 19; Schatter, RdA 1952, 468, 468 f. 488 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1298; Fenski, BB 1987, 2293, 2294; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 520; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1111; Hueck/Nipperdey/Stahl486
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
seiner Auslage im Betrieb abhängig zu machen, bedarf es einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien des Anerkennungstarifvertrages in Form einer obligatorischen Gültigkeitsbedingung.489 Im Kontext der Bezugnahmetechnik erweisen sich konstitutive Auslageverpflichtungen unter Umständen als nützlich. Da sich der Inhalt des Anerkennungstarifvertrages erst aus dem Zusammenspiel des verweisenden und bezogenen Tarifabkommens erschließt, kann es unter dem Gesichtspunkt angemessener Publizität sinnvoll sein, die Normenverbindlichkeit so lange aufzuschieben, bis beide Tarifverträge im Betrieb zugänglich sind. Ungeachtet der Verbesserung des Publizitätsstandards sind konstitutive Auslageverpflichtungen jedoch in praxi nur bedingt empfehlenswert. Bei statischen Bezugnahmeanordnungen erlangt der anerkennende Arbeitgeber entscheidenden Einfluss auf den Gültigkeitsbeginn der übernommenen Tarifbestimmungen, da er im Stande ist, deren Auslage hinauszuzögern. 490 Zwar ist die Gewerkschaft legitimiert, die Erfüllung unmittelbar gegenüber dem vertragschließenden Arbeitgeber einzuklagen.491 In der Zwischenzeit kann der AnerkennungstarifVertrag jedoch seine ordnende Gestaltungswirkung nicht entfalten. Weitere Nachteile treten bei dynamischen Bezugnahmen hinzu. Regelmäßig ist schon aus tatsächlichen Gründen eine sofortige Auslage der modifizierten Verbandstarifbestimmungen unmöglich. Zwischen dem Inkrafttreten des neuen VerbandstarifVertrages und dem Termin der Auslage im Betrieb gilt auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene weiterhin das alte Bezugsobjekt, sodass in diesem Zeitraum kein inhaltlicher Gleichlauf gewährleistet ist.
hacke, § 7 TVG Rn. 2; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 3; Koberski/Clas en/ Menzel, § 8 TVG Rn. 11 ff.; Koch, Festschrift für Schaub, S. 421, 434; Löwisch/Rieble, § 8 TVG Rn. 8; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 7; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 15; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 64; Schatter, RdA 1952, 468, 468; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 222; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber beim Firmentarifvertrag selbst Vertragspartei ist, rechtfertigt es nicht, § 8 TVG als konstitutive Wirksamkeitsvoraussetzung zu begreifen - vgl. Braun, BB 1986, 1428, 1429; Oetker, in Wiedemann, §8 TVG Rn. 15; vgl. auch Zöllner, DVB1 1958, 124, 125; anders Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118(Fn. 36). 489 Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 7 TVG Rn. 5; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 5 und 15; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 520; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 504; Mangen, RdA 1982, 229, 237. 490 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1298; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 89; Zöllner, DVB1 1958, 124, 125. 491 Dockhorn, ArbuR 1953, 150, 151; Hohenhaus, NZA 2001, 1107, 1110 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 7 TVG Rn. 1; Kempen/Zachert, § 8 TVG Rn. 9; Koberski/C lasen/Menzel, § 8 TVG Rn. 4; Oetker, in Wiedemann, § 8 TVG Rn. 13; Schatter, RdA 1952, 468, 468; Wieland, FirmentarifVertrag, Rn. 222.
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C. Tarifregister I. Führung des Tarifregisters Gemäß § 6 TVG fuhrt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ein Tarifregister. Der Pflicht zur Registrierung unterliegen auch Firmentarifabkommen, denn sie haben die Rechtsqualität vollwertiger Tarifverträge. 492 Als einzutragende Tatsachen nennt § 6 TVG den Abschluss, die Änderung und die Aufhebung eines jeden Tarifvertrages, also auch des Anerkennungstarifvertrages. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass der Inhalt der Tarifvereinbarung keine eintragungspflichtige Tatsache ist. Die Ur- und Abschriften des Anerkennungstarifvertrages werden aber als Anlage zum Tarifregister archiviert und können gemäß § 16 Satz 1 DVO TVG vor Ort von jedermann eingesehen werden. 493
II. Übersendungs- und Mitteilungspflicht Um eine effiziente Führung des Tarifregisters sowie des damit verbundenen Tarifarchivs zu gewährleisten, sieht § 7 Abs. 1 Satz 1 TVG eine Übersendungsund Mitteilungspflicht vor. Adressaten der Verpflichtungen sind die Sozialpartner. Beim Anerkennungstarifvertrag ist also neben der Gewerkschaft der Arbeitgeber selbst mitteilungs- und übersendungspflichtig. 494
1. Übersendungspflicht Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG haben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages binnen Monatsfrist nach Vertragsschluss eine Urschrift ihrer Vereinbarung, eine beglaubigte Abschrift sowie zwei weitere Abschriften kos-
492 Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 5; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 20; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 12; vgl. im Ergebnis ebenso BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Braun,, BB 1986, 1428, 1429. 493 Beck, ZTR 2000, 15, 15; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1291 f.; Diller, FA 1999, 43, 44; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 518 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 6 TVG Rn. 3; Kempen/Zachert, § 6 TVG Rn. 3; Koberski/Clasen/Menzel, § 6 TVG Rn. 9; Lindena, DB 1988, 1114, 1117; Löwisch/Rieble, § 6 TVG Rn. 6; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 21; Lund, DB 1989, 626, 628; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 11; Schaub, in ErfKom, § 6 TVG Rn. 7. 494 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 501; Kempen/Zachert, § 7 TVG Rn. 2; Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 8; Oetker, in Wiedemann, § 7 TVG Rn. 10; Schaub, in ErfKom, § 7 TVG Rn. 4; vgl. auch BAG vom 16.05.1995, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip.
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tenfrei an das Tarifregister zu senden. Erkundigungen beim Tarifregister haben ergeben, dass im Regelfall weder bei statischen noch bei dynamischen Verweisungen eine Übersendung der maßgebenden Bezugstarifabkommen erfolgt und die Anerkennungstarifvertragsurkunde demzufolge isoliert archiviert wird. Im Wege der Gesetzesauslegung des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG muss ermittelt werden, ob es der Einreichung einer Abschrift des inkorporierten VerbandstarifVertrages bedarf oder ob eine solche formale Vorgehensweise entbehrlich ist.
a) Ableitung des Pflichtenstatus Ausgehend von der Wirkungsweise der Bezugnahmeanordnung stützt der Gesetzeswortlaut die Auffassung, die für eine Übersendung auch des bezogenen Tarifabkommens plädiert. Da die VerbandstarifVorschriften in den Anerkennungstarifvertrag überführt werden, zählen sie zum Inhalt des „Tarifvertrages" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG. Im Rahmen der teleologischen Norminterpretation scheint gegen eine Übersendung des Bezugstarifvertrages zu sprechen, dass bereits die fremden Sozialpartner nach § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG zur Übermittlung des von ihnen abgeschlossenen FlächentarifVertrages verpflichtet sind. Der Regelungsgehalt der Verbandstarifbestimmungen wird also regelmäßig an anderer Stelle im Tarifarchiv aufzufinden sein, sodass eine abstrakte Kenntnisnahmemöglichkeit bejaht werden könnte. Eine derartige Betrachtungsweise verkennt jedoch die ratio legis des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG. Für eine strenge Handhabung der Übersendungspflicht streitet die rechtsstaatliche Publizitätsmaxime. In Anbetracht der geringfügigen Publikationsdichte im Tarifrecht ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die dem Zugänglichkeitsgebot am effizientesten Rechnung trägt. Ungehinderten Zugang zum Inhalt des Anerkennungstarifvertrages haben die Normadressaten nur, wenn die Sozialpartner den verweisenden und bezogenen Tarifvertrag an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung übermitteln. 495 Die Partner des Anerkennungstarifvertrages dürfen sich nicht auf die Verbandstarifparteien verlassen. Zwar sind Verstöße gegen die Obersendlings- und Mitteilungspflichten gemäß § 7 Abs. 2 TVG sanktionsbewehrt. Allerdings wirken Sanktionen lediglich repressiv und können eine Übersendung nicht in jedem Fall sicherstellen. Ohne die Übermittlung des Bezugstarifvertrages stellt
495 Baumann, RdA 1987, 270, 272; Koberski/Clasen/Menzel, §7 TVG Rn. 3; Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 2; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 12; Oetker, in Wiedemann, § 7 TVG Rn. 4.
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sich das Einsichtsrecht in die archivierten Vertragsurkunden als ineffektive Kenntnisnahmemöglichkeit dar. Darüber hinaus ist es den Normadressaten nicht zuzumuten, unter verschiedenen Registraturen im Tarifarchiv den maßgebenden Bestimmungen nachzuforschen. 496 Derartige Erschwernisse sind bei Teilbezugnahmen besonders bedenklich, weil es ohne gemeinsame Archivierung einer Filtrierung einzelner Regelungskomplexe aus dem bezogenen VerbandstarifVertrag bedarf, was die Informationswilligen vor diffizile Ermittlungsaufgaben stellt, die das Risiko unrichtiger Inhaltsbestimmungen bergen. Nur wenn der verweisende und der bezogene Tarifvertrag im Archiv zusammen abgelegt werden, ist ein sofortiger Zugriff auf den Anerkennungstarifinhalt gewährleistet. Darüber hinaus verhindert eine gemeinsame Hinterlegung Zweifel bei der Bestimmung der maßgebenden Bezugsobjekte. Im Rahmen der Diskussion um die Rechtmäßigkeit firmentariflicher Blankettverweisungen wurde darauf hingewiesen, dass das Tarifregister unter Umständen die einzige Informationsquelle zu Gunsten des anerkennenden Arbeitgebers ist, weil er auf keinen mitgliedschaftlich verankerten Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeberverband zurückgreifen kann. 497 Das Bundesverfassungsgericht, welches das tarifliche Publikationssystem ohnehin kritisch bewertet, hat es explizit zur Wirksamkeitsvoraussetzung rechtsstaatlicher Tarifnormgebung erklärt, dass sich Interessierte im Tarifregister „ohne Schwierigkeiten über den Inhalt von Tarifverträgen unterrichten können". 498 Um eine rechtsstaatliche Informationsgrundlage zu sichern, bedarf es einer verknüpfenden Archivierung des verweisenden und des bezogenen Tarifwerkes, will man nicht insgesamt die Rechtswidrigkeit anerkennungstarifVertraglicher Blankettverweisungen riskieren. Die Aktualität und Vollständigkeit des Tarifregisters sowie des Tarifarchivs spielt im Übrigen für die staatliche Aufgabenerfüllung eine wichtige Rolle. Staatliche Stellen müssen auf eine aussagekräftige Datenquelle zurückgreifen können, was nur gewährleistet ist, wenn die maßgebenden Bezugstarifverträge 496
Vgl. Koberski/Clasen/Menzel, § 7 TVG Rn. 3. Ein Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Tarifinhalts im Rahmen von Verweisungsanordnungen liefert Beck, ZTR 2000, 15, 17. 497 Siehe oben § 6 A III 2 b. Der anerkennende Arbeitgeber kann lediglich von der Gewerkschaft, die sowohl am Anerkennungs- als auch am bezogenen Verbandstarifvertrag beteiligt ist, kraft obligatorischer Anerkennungstarifvertragsverpflichtung die Unterrichtung über die jeweiligen Neufassungen des Bezugstarifvertrages verlangen und diesen Informationsanspruch notfalls im Klageweg durchsetzen. 498 BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG; vgl. auch BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 351; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Beck, ZTR 2000, 15, 15; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 407; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 98 f.
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mühelos zugänglich sind. 499 Die derzeitige registerliche Handhabung der Übersendungspflichten und der Archivierung ist somit problematisch.
b) Pflichtenstatus
bei statischen und dynamischen Verweisungen
Nehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf einen feststehenden VerbandstarifVertrag statisch Bezug, sind sie entsprechend den vorstehenden Erwägungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, l . H S TVG gehalten, den Anerkennungstarifvertrag sowie den übernommenen VerbandstarifVertrag zu übersenden. Im Zuge des Abschlusses eines dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages gestaltet sich die Vorgehensweise anfanglich identisch. Probleme bereitet der Pflichtenstatus aber bei einer Änderung des bezogenen Verbandstarifabkommens. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG spricht lediglich von der Übersendungspflicht bei Abschluss und Änderung des Tarifvertrages. Modifikationen der Verbandstarifregelung wirken sich formal betrachtet nicht unmittelbar auf den Inhalt des Anerkennungstarifvertrages aus. Es bedarf weder eines vertraglichen Neuabschlusses noch ändert sich der Regelungsgehalt der originären Tarifbestimmungen. Allerdings wird diese formale Argumentation dem Telos des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG nicht gerecht. NachfolgeverbandstarifVerträge werden infolge der Inkorporationswirkung auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene transformiert. Die Auswirkungen entsprechen denjenigen einer inhaltlich originären Änderungsabrede. Erst die Übermittlung der überarbeiteten Verbandstariffassung eröffnet den interessierten Normadressaten die Möglichkeit, sich über die aktuell gültigen Arbeitsbedingungen zu informieren. Folglich aktualisieren sich mit jeder Modifizierung des VerbandstarifVertrages die gesetzlichen Übersendungspflichten, wobei die Anerkennungstarifvertragsurkunde nicht jedes Mal erneut vorgelegt werden muss. 500
c) Pflichtenstatus
bei Teilverweisungen
Geltung beanspruchen die Konkretisierungen des § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. HS TVG auch bei Teilverweisungen. Obwohl in der Literatur ohne vertiefte Auseinandersetzung die Übermittlung des jeweils vollständigen Bezugstarifwerkes
499
Siehe dazu Schelp , Β ABl 1964, 212, 212 und 218 ff.; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 519; Lindena, DB 1988, 1114, 1115; Löwisch/Rieble, §7 TVG Rn. 6; Oetker, in Wiedemann, § 6 TVG Rn. 5. 500 Zweifel äußert Beck, ZTR 2000, 15, 17, der auch die jeweilige Übersendung des „GrundtarifVertrages" fordert.
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eingefordert wird, 5 0 1 ist es nach der ratio legis hinreichend, lediglich die konkret in Bezug genommenen Teilregelungen dem Tarifregister zur Verfugung zu stellen. 502 Eine Kenntnisnahme nicht einschlägiger verbandstarifVertraglicher Regelungskomplexe ist für die Normadressaten nicht von Wert und kann Irrtümer über die Reichweite der Bezugnahme verursachen.
2. Mitteilungspflicht Aus § 7 Abs. 1 Satz 1, 2. HS TVG ergibt sich die Pflicht, das Außerkrafttreten des Anerkennungstarifvertrages dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales innerhalb eines Monats mitzuteilen. Wird lediglich der bezogene Verbandstarifvertrag modifiziert, führt dies nicht zu einer Beendigung des Anerkennungstarifvertrages, weil er unverändert seine Gestaltungswirkung für die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse entfaltet. Einer Mitteilung bedarf es erst dann, wenn die anerkennungstarifVertragliche Verweisungsanordnung selbst endet.
3. Vereinbarungen über die Übersendungspflicht Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 TVG können die Partner des Anerkennungstarifvertrages vereinbaren, welche Partei die Übersendungs- und Mitteilungspflichten gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu vollziehen hat. 503 Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 TVG wirkt die Erfüllung durch eine Tarifpartei gleichzeitig zu Gunsten des anderen Vertragspartners. Interne Absprachen können die Vertragschließenden als Durchführungsverpflichtung im obligatorischen Teil des AnerkennungstarifVertrages treffen. Bedenkenlos statthaft sind auch formlose außertarifVertragliche Verständigungen. 504 Ist die Gewerkschaft sowohl am Verbands- als auch am Anerkennungstarifvertrag beteiligt, bietet es sich an, ihr die tarifregisterrechtlichen Pflichten aufzuerlegen. Gerade bei dynamischen Verweisungen ermöglicht die gewerkschaftliche Weiterleitung der bezogenen Neuabschlüsse eine schnellstmögliche Verfügbarkeit des jeweils einschlägigen TarifVertragsinhalts. Zu beachten ist jedoch, dass die Absprachen den im Innenverhältnis freigestell-
501 Vgl. Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 2; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 12; Oetker, in Wiedemann, § 7 TVG Rn. 4. 502 Koberski/Clasen/Menzel, § 7 TVG Rn. 3. 503 Kempen/Zachert, § 7 TVG Rn. 3; Koberski/Clasen/Menzel, § 7 TVG Rn. 8; Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 7; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 16; Oetker, in Wiedemann, § 7 TVG Rn. 14; vgl. auch Schaub, in ErfKom, § 7 TVG Rn. 5. 504 Koberski/Clasen/Menzel, § 7 TVG Rn. 8.
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ten Teil gegenüber dem Bundesministerium fiir Arbeit und Sozialordnung nicht entlasten, sodass bei Nichterfüllung durchaus ordnungswidrigkeitsrechtliche Sanktionen drohen. 505
§ 9 Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Es verwundert, dass sich trotz der tarifpraktischen Bedeutung der inhaltlichen Verweisung nur wenige Autoren mit der Frage auseinander gesetzt haben, ob die Bezug nehmenden Tarifvertragsparteien sowie die vom Verweisungstarifvertrag erfassten Normadressaten an arbeitsgerichtliche Entscheidungen gebunden sind, welche die Sozialpartner des übernommenen Vertragswerkes über die Wirksamkeit und Auslegung der bezogenen Tarifnormen erstritten haben. 506 Erst wenn die gerichtlichen Interpretationen zu den verbandstarifVertraglichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene bindende Wirkung entfalten, ist das Regelungsanliegen einer inhaltlichen Gleichstellung uneingeschränkt verwirklicht.
A. Reichweite der Bindungswirkung auf der Ebene des VerbandstarifVertrages Entstehen Zweifel über die Gültigkeit oder den Inhalt verbandstariflicher Normen, können die Parteien des FlächentarifVertrages auftretende Streitfragen vor den nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zuständigen Arbeitsgerichten im Wege einer Feststellungsklage klären lassen.507 Gemäß §§46 Abs. 2 ArbGG, 325 505 Kempen/Zachert, § 7 TVG Rn. 3; Koberski/Clasen/Menzel, § 7 TVG Rn. 8; Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 7; Oetker, in Wiedemann, § 7 TVG Rn. 14; Schaub, in ErfKom, § 7 TVG Rn. 5. Zum möglicherweise fehlenden Verschulden im Hinblick auf § 7 Abs. 2 TVG - siehe Kempen/Zachert, § 7 TVG Rn. 3; Löwisch/Rieble, § 7 TVG Rn. 10; dies., in Münchener-Hdb, § 257 Rn. 17; Oetker, in Wiedemann, §7 TVG Rn. 17; Schaub, in ErfKom, § 7 TVG Rn. 8. 506 Kurze Stellungnahmen finden sich bei Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 2; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 118. 507 BAG vom 23.03.1957, AP Nr. 18 zu Art. 3 GG; BAG vom 08.11.1957, AP Nr. 7 zu § 256 ZPO; BAG vom 15.11.1957, AP Nr. 1 zu § 8 TVG; BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 11.03.1981, AP Nr. 2 zu § 39 TV Ang Bundespost; BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 25.09.1987, AP Nr. 1 zu § 1 BeschFG 1985; BAG vom 29.04.1992, AP Nr. 3 zu § 1 TVG 1969 Durchftihrungspflicht; vgl. auch BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung.
§ 9 Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile
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Abs. 1 ZPO entfaltet das Feststellungsurteil Rechtskraftwirkung unter den prozessbeteiligten Sozialpartnern. Darüber hinaus sind nach § 9 TVG rechtskräftige Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Tarifvertragsparteien aus dem Tarifvertrag oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrages ergehen, in Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien sowie zwischen diesen und Dritten bindend. Nach herrschender Auffassung erweitert § 9 TVG die subjektiven Grenzen der Rechtskraft. 508 Angesichts dieser gesetzlichen Rechtskrafterweiterung ist den Sozialpartnern mit der Feststellungsklage ein effektives Instrumentarium an die Hand gegeben, um eine einheitliche Anwendung des abgeschlossenen VerbandstarifVertrages mit bindender Wirkung gegenüber allen Normadressaten und drittbetroffenen Personen sicherzustellen. Die häufig verwendete Bezeichnung als „abstrakte Feststellungsklage" - vgl. Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 2; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 6; Rieble, NZA 1992, 250, 251; ähnlich BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 25.09.1987, AP Nr. 1 zu § 1 BeschFG 1985; BAG vom 23.02.1995, AP Nr. 2 zu § 1 TV Ang Bundespost; Koberski/Clasen/Menzel, § 9 TVG Rn. 1 entbindet nicht von der Prüfung sämtlicher Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO - vgl. Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 108 f.; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 17; Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAG vom 19.02.1965, AP Nr. 4 zu § 8 TVG; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; siehe auch BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung. 508 BAG vom 23.03.1957, AP Nr. 18 zu Art. 3 GG; BAG vom 15.11.1957, AP Nr. 1 zu § 8 TVG; BAG vom 14.10.1960, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom Ì9.02.1965, AP Nr. 4 zu § 8 TVG; BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 29.04.1992, AP Nr. 3 zu § 1 TVG 1969 Durchfuhrungspflicht; Brox, JuS 1961, 252, 253; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 37 f.; Matthes, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, §2 ArbGG Rn. 19; Herschel, ZfA 1973, 183, 197; Hirte, ZZP 104 (1991), 11, 44; Kempen/Zachert, § 9 TVG Rn. 1; Konzen, Festschrift für Zeuner, S. 401, 424 f.; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 99 ff; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 118 ff.; Oetker in Wiedemann, §9 TVG Rn. 9 ff.; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 2; Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAG vom 19.02.1965, AP Nr. 4 zu § 8 TVG; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann/ Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969. Anders Bötticher, Festschrift Deutscher Juristentag, S. 511, 523; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 550 f.; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 55 ff.; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 12 f.; Rieble, NZA 1992, 250, 255; Schreiber, ZfA 1983, 31, 46. Ein zwischenzeitlicher Versuch des BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969, die ΒindungsWirkung des § 9 TVG mit einer entsprechenden Anwendung des §318 ZPO zu erklären, hat zu Recht keine Anhänger gefunden - vgl. Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 37; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 99; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 13; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 119 f.; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 10; Rieble, NZA 1992, 250, 255; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
B. Erstreckung der Bindungswirkung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages In Anbetracht der wortgetreuen Überleitung der auf Verbandsebene streitbefangenen Tarifbestimmungen in den Anerkennungstarifvertrag besteht Anlass, über eine Erstreckung der von den Verbandstarifparteien erstrittenen Feststellungsurteile auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene nachzudenken.
I. Bindungswirkung kraft unmittelbarer Anwendung des § 9 TVG Ohne besonderen Aufwand ließe sich eine Bindung an die verbandstarifbezogenen Feststellungsurteile annehmen, wenn die subjektive Rechtskrafterstreckung des § 9 TVG auch die Wirksamkeit und Auslegung des Anerkennungstarifvertrages präjudiziell Bereits der Wortlaut des § 9 TVG spricht jedoch gegen eine derart weitreichende Bindungskraft. Grundlegende tatbestandliche Voraussetzung der subjektiven Rechtskrafterweiterung ist, dass zwischen den prozessbeteiligten Sozialpartnern eine inter partes wirkende Rechtskraftbindung nach den allgemeinen Vorschriften der §§46 Abs. 2 ArbGG, 325 Abs. 1 ZPO eingetreten ist. 509 Nur 509
Ein eher theoretischer Fall einer Rechtskrafterstreckung gemäß §§46 Abs. 2 ArbGG, 325 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 9 TVG ist dennoch denkbar. Hat der anerkennende Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberverband gemeinsame Verhandlungen mit der Gewerkschaft geführt und sodann einen mehrgliedrigen Tarifvertrag in Form eines „Einheitstarifvertrages" abgeschlossen, dann sind beide arbeitgeberseitigen Tarifparteien notwendige Streitgenossen im Sinne der §§46 Abs. 2 ArbGG, 62 Abs. 1 ZPO. Dies hat zur Konsequenz, dass ein Feststellungsurteil gegenüber dem anerkennenden Arbeitgeber und dem Arbeitgeberverband nur einheitlich ergehen kann. Ist der anerkennende Arbeitgeber damit zwingend Prozesspartei, entfaltet das ergehende Feststellungsurteil Rechtskraft unter den Partnern des Anerkennungstarifvertrages gemäß §§46 Abs. 2 ArbGG, 325 Abs. 1 ZPO und „erweiterte" Rechtskraftwirkung gegenüber den anerkennungstarifvertraglichen Normadressaten gemäß § 9 TVG. Zur besonderen Behandlung des „Einheitstarifvertrages" - vgl. BAG vom 15.07.1986, AP Nr. 1 zu Art. 3 LPVG Bayern; Bickel, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, SAE 1978, 299, 301; Matthes, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, §2 ArbGG Rn. 21; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 268 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 15; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16; vgl. zudem BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969. Zu beachten ist allerdings, dass selbst in den seltenen Konstellationen einer gemeinsamen Verhandlungsführung von Außenseiterarbeitgebern und Arbeitgebervereinigung regelmäßig keine „Einheitstarifverträge", sondern selbstständige mehrgliedrige Tarifabkommen geschlossen werden - vgl. hierzu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 270; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16; Rieble, NZA 1992, 250, 252. Bickel, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, SAE 1978, 299, 301; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969 weisen darauf
§ 9 Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile
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diejenigen Normadressaten, die dem konkret streitbefangenen Tarifvertrag unterworfen sind, werden von den arbeitsgerichtlichen Auslegungsentscheidungen berührt. 510 Weil die Tarifvertragsparteien Rechtsstreitigkeiten nur hinsichtlich ihrer eigenen Tarifverträge austragen dürfen, manifestiert der tarifVertragliche Regelungsbereich zugleich die äußere Grenze der Bindungswirkung. Allein die Tatsache, dass Tarifverträge, die von unterschiedlichen Sozialpartnern abgeschlossen werden, identische Regelungen zum Inhalt haben, begründet - wie die parallele Diskussion zu mehrgliedrigen Tarifverträgen belegt 511 keine Basis für eine unmittelbare Anwendung des § 9 TVG. 5 1 2 Demzufolge erstreckt sich die subjektive Rechtskrafterweiterung schon deshalb nicht auf das anerkennungstarifliche Vertragsverhältnis, weil streng zwischen dem verweisenden und dem bezogenen Tarifwerk differenziert werden muss. Die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages sind im Übrigen keine „Dritten" im Sinne des § 9 TVG. Insoweit erfasst die Vorschrift ausschließlich drittbetroffene Personen, die in rechtlichem Kontakt zu denjenigen Normadressaten stehen, die an den streitbefangenen VerbandstarifVertrag gebunden sind. 513 Zwischen den verbandstarifgebunden Normadressaten und denjenigen
hin, dass ein „Anschlusstarifvertrag" zusammen mit dem übernommenen Tarifvertrag grundsätzlich kein mehrgliedriges Tarifwerk bildet. 510 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 2; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 118; allgemein BAG vom 2S.09.1977, AP § 9 TVG Rn. 8; Krause, RèòhtskraftNr. 1 zu § 9 TVG 1969; Koberski/Clasen/Menzel, erstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 307 f. und 317; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 66; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16 und 32. 511 BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Bichel Anm. zu BAG vom 28.09.1972, SAE 1978, 299, 300 f.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 166; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 39 f.; Matthes, in Germelmann/Matthes/Prütting/MüllerGlöge, §2 ArbGG Rn. 21; Herschel, Festschrift für Molitor, S. 161, 195 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts I, S. 923 (Fn. 38); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §8 TVG Rn. 2; Kempen/Zachert, §9 TVG Rn. 2; Koberski/Clasen/Menzel, §9 TVG Rn. 11; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 268 ff. und 317 ff.; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 15 und 66; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 15; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16; Rieble, NZA 1992, 250, 252; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 9; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu §9 TVG 1969. 512 Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 8 TVG Rn. 8; Koberski/Clasen/Menzel, § 9 TVG Rn. 8; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 307; Rieble, NZA 1992, 250, 256; vgl. BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969. 513 BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 317. Die „Drittbindungswirkung" im Sinne des § 9 TVG wird diskutiert, wenn die Arbeitsvertragsparteien kraft individualarbeitsvertraglicher Bezugnahme die tariflichen Arbeitsbedingungen übernehmen und zumindest eine Partei der Tarifbindung an den bezogenen Tarifvertrag unterfällt - vgl. Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 39; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 550; Matthes, in Germel-
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
des Anerkennungstarifvertrages bestehen indes keine spezifischen rechtlichen Verbindungen.
II. Bindungswirkung kraft analoger Anwendung des § 9 TVG Zu erwägen ist, ob eine Ausdehnung der subjektiven Rechtskrafterstreckung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages mit einer analogen Anwendung des § 9 TVG begründbar ist.
1. Planwidrige Regelungslücke Eine Rechtsfortbildung im Wege der Analogie setzt das Bestehen einer Gesetzeslücke voraus, unter der eine unbeabsichtigte Unvollständigkeit des Gesetzes zu verstehen ist. 514 Das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, ist anhand des dem Gesetz zu Grunde liegenden Regelungszusammenhangs und des mit ihm verfolgten legislativen Regelungsanliegens zu beurteilen. 515 Mit § 9 TVG sollte die bereits vom Reichsarbeitsgerich? 16 gebilligte Möglichkeit einer Feststellungsklage zwischen den Tarifvertragsparteien zwecks verbindlicher Klärung von Auslegungsstreitigkeiten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. 517 Eine Rechtskrafterstreckung auf außerhalb der Regelungsreichweite des konkret streitbefangenen Tarifvertrages stehende Rechtssubjekte war nie Gegenstand reichsarbeitsgerichtlicher Überlegungen, obwohl schon damals die Problematik inhaltsgleicher Anschlusstarifverträge oder mehrgliedriger Tarifwerke bekannt war. Mangels anderer Anhaltspunkte
mann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 2 ArbGG Rn. 22; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 8 TVG Rn. 7; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 310 ff.; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 119; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 37; anderer Auffassung Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 61 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 29 f.; Rieble, NZA 1992, 250, 256; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 30. 514 Siehe dazu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 31 ff.; Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370 ff.; vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 472 ff.; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 453 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 65 ff. 515 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 373. 516 RAG vom 03.07.1929, ARS 6, 241, 242 f.; RAG vom 26.11.1930, ARS 11, 101, 103 f.; siehe auch Sinzheimer, ArbR 1927, Spalte 915, 919 ff. 517 Brox, JuS 1961, 252, 253; Herschel, ZfA 1973, 183, 197; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 8 TVG Rn. 1; Konzen, Festschrift für Zeuner, S. 401, 424; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 101 f.; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 3 f.
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kann davon ausgegangen werden, dass im Kodi fi kations verfahren die Bindungswirkung des § 9 TVG lediglich unter der Prämisse einer Tarifgebundenheit an den unmittelbar in Streit stehenden Tarifvertrag diskutiert wurde. Bestätigt wird diese Schlussfolgerung durch die unmissverständliche Wortlautwahl. Gemäß § 9 TVG ist eine Bindungswirkung nur dann vorgesehen, wenn sich genau diejenigen Parteien vor den Arbeitsgerichten gegenüberstehen, die auch als Vertragspartner an der Schaffung der umstrittenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beteiligt waren. Knüpft also § 9 TVG explizit an der prozessrechtlichen Parteistellung der tarifvertragschließenden Sozialpartner an, 518 hat der Gesetzgeber argumentum e contrario bewusst auf eine Ausdehnung der subjektiven Rechtskrafterstreckung auf andere Tarifrechtsbeziehungen verzichtet. 519 Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht zudem, dass § 9 TVG eine im deutschen Recht unikale subjektive Rechtskrafterweiterung anordnet. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift unterliegt eine Ausdehnung der Gesetzesgeltung über die Wortlautgrenze hinaus strengen Restriktionen. Soweit eine analoge Anwendung - wie beispielsweise im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen 520 oder im Falle einer individualarbeitsvertraglichen Bezugnahme auf das Tarifrecht 521 - erwogen wird, bleibt die Rückkopplung der Bindungswirkung zu dem in Streit stehenden Kollektivvertrag 5,8
BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 166; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 40; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts I, S. 923 (Fn. 38); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §8 TVG Rn. 2; Kempen/Zachert §9 TVG Rn. 2; Koberski/Clasen/Menzel, § 9 TVG Rn. 11 ; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 317; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16. 519 Eine analoge Anwendung des § 9 TVG stünde zudem vor der Schwierigkeit, dass die Vorschrift nur tarifgebundene Normadressaten und drittbetroffene Personen bindet. Eine einfache Analogie könnte daher die Parteien des Anerkennungstarifvertrages selbst nicht von weiteren Feststellungsklagen abhalten. Eine Verbindlichkeit der fremden Auslegungsentscheidungen für die Partner des Anerkennungstarifvertrages ließe sich daher nur mit einer doppelten Analogie zu § 9 TVG begründen. 520 BAG vom 17.02.1992, AP Nr. 1 zu § 84 ArbGG 1979; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 51 ff.; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 139 und 396 f.; Kraft, Anm. zu BAG vom 17.02.1981, AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; Kreutz, in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 429; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 156; kritisch Hanau, RdA 1989, 207, 211; Prütting, RdA 1991, 257, 265. 521 Umstritten ist der Fall, wenn beiderseits nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien tarifliche Arbeitsbedingungen individualarbeitsvertraglich in Bezug nehmen - vgl. Matthes, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 2 ArbGG Rn. 22; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 315 f.; Wiedemann/Stumpf §9 TVG Rn. 14; kritisch Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 39; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 38; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 9 TVG Rn. 6; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 29 f.; Rieble, NZA 1992, 250, 256.
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Teil 2: Überleitung der inhaltlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
stets erhalten, was bei einer Erstreckung der Bindungswirkung auf einen anderen Tarifvertrag gerade nicht der Fall ist.
2. Vergleichbare Interessenlage Selbst bei hypothetischer Annahme einer planwidrigen Lücke erscheint es fraglich, ob die Interessenlage, die der Kodifikation des § 9 TVG zu Grunde liegt, fur eine analoge Ausdehnung der Bindungswirkung auf den Anerkennungstarifvertrag streitet. 522 Ob das mit der Inkorporierung angestrebte inhaltliche Gleichstellungsanliegen einen Anknüpfungspunkt für die Vergleichbarkeit der Interessenlage bildet, ist anhand der ratio legis des § 9 TVG zu ermitteln.
a) Einheitliche Entscheidungen Zentraler Normzweck des § 9 TVG ist nach allgemein akzeptierter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Vermeidung einer Vielzahl von Einzelstreitigkeiten über die Gültigkeit und Auslegung tarifVertraglicher Rechtsnormen. 523 Mit Blick auf die Prozessökonomie sichert die subjektive Rechtskrafterweiterung eine einheitliche Anwendung von Tarifverträgen durch die Gerichte und fördert damit das Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Auf den ersten Blick scheint dieser Vereinheitlichungsgedanke eine Rechtskrafterstreckung auf den Anerkennungstarifvertrag zuzulassen. Eine nähere Analyse der ratio legis beweist jedoch, dass lediglich im Hinblick auf die Regelungsreichweite des konkret streitbefangenen Tarifvertrages eine Notwendigkeit zu einheitlicher Normanwendung besteht. Die dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 9 TVG zu Grunde liegende Interessenlage erfordert
522 Zum Erfordernis der „Vergleichbarkeit der Interessenlage" - siehe Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 381; vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 475 ff.; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 481 ff. 523 BAG vom 08.11.1957, AP Nr. 7 zu § 256 ZPO; BAG vom 14.10.1960, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 19.02.1965, AP Nr. 4 zu § 8 TVG; BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 14.06.1995, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 37; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §8 TVG Rn. 7; Kempen/Zachert, § 9 TVG Rn. 1 ; Koberski/Clasen/Menzel, § 9 TVG Rn. la; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 121; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 4; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 7; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 122; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 6; Rieble, NZA 1992, 250, 251; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 1 und 6 f.; Wiedemann/ Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; vgl. auch Brox, JuS 1961, 252, 254 f.; Herschel, Festschrift für Molitor, S. 161, 195.
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in erheblich stärkerem Maße eine Erweiterung der subjektiven Rechtskraftwirkung als die Interessenlage des hier diskutierten analogen Anwendungsfalls. Innerhalb der Regelungsreichweite eines Tarifvertrages ist die verbindliche Koordination der maßgebenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zur Gewährleistung einer handhabbaren Tarifordnung unabdingbar. Da ein Tarifvertrag eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen tangiert, sind bei Auslegungsstreitfragen zahlreiche Rechtssubjekte zur Erhebung von Klagen befugt, was ein erhebliches Risiko widersprechender Entscheidungen bedingt. Ohne die gesetzliche Anordnung einer rechtskrafterweiternden ΒindungsWirkung könnte unter Vernachlässigung der von den Tarifvertragsparteien anvisierten Vereinheitlichung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine sinnwidrige Rechtszersplitterung eintreten. Um zu vermeiden, dass von den Tarifvertragsparteien erstrittene Urteile andere Feststellungen beinhalten als auf individualarbeitsvertraglicher Ebene ergangene Urteile 524 und dass darüber hinaus widersprüchliche Auslegungsentscheidungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen verschiedenen tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien ergehen, ist die gesetzliche Anordnung einer subjektiven Rechtskrafterstreckung wesensnotwendig. Demgegenüber ist ein interpretatorischer Gleichlauf zwischen den Verbandsund den Anerkennungstarifvertragsinhalten nicht von elementarer Notwendigkeit. Die analoge Erstreckung der Rechtskraftbindung auf den Anerkennungstarifvertrag dient nicht dazu, überhaupt ein Fundament fur die sinnvolle Anwendung der inkorporierten Tarifnormen zu schaffen. Der Normzweckgedanke des § 9 TVG - die Gewährleistung einer effizienten, einheitlichen Handhabung der geschaffenen Tarifordnung - findet in der Verweisungskonstellation keine Entsprechung. Vielmehr haben es die Parteien des Anerkennungstarifvertrages bezogen auf ihr Tarifrechtsverhältnis selbst in der Hand, für eine kongruente Tarifordnung zu sorgen. 525 Sie können ihrerseits klärende Feststellungsklagen erheben, die gemäß § 9 TVG Bindungswirkung für alle Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages und eventuelle Drittbetroffene entfalten. Damit ist gewährleistet, dass sämtliche vom Anerkennungstarifvertrag tangierten Rechtsverhältnisse einheitlicher Bewertung unterliegen. Verweisender und bezogener Tarifvertrag begründen eigenständige Tarifrechtsverhältnisse. Weder zwischen den Parteien des Verbands- und Anerkennungstarifvertrages noch zwischen den jeweiligen Normadressaten existieren 524 Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 122; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 6; vgl. auch BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 37; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 121. 525 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts I, S. 923 (Fn. 38); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 8 TVG Rn. 2; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 118; Rieble, NZA 1992, 250, 252; vgl. zudem Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969.
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: Überleitung der
h l i c h e n Vorgaben des Verbandstarifertrages
spezifische Rechtsbeziehungen. Stehen somit beide Tarifvertragsebenen unabhängig nebeneinander, entfällt der Rechtfertigungsgrund fur eine Koordinierung arbeitsgerichtlicher Auslegungsentscheidungen. Mögliche Differenzen in den Interpretationsstreitigkeiten auf Verbands- und anerkennungstariflicher Ebene sind die logische Konsequenz aus der Selbstständigkeit beider Tarifwerke. Die subjektive Rechtskrafterweiterung auf den Anerkennungstarifvertrag dient somit nicht der Vermeidung einer Vielzahl von Einzelprozessen mit unterschiedlichem Prozessausgang. Sie wird lediglich aus tarifpraktischen Erwägungen in Betracht gezogen. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen bilden indes keine Analogiebasis, denn Argumente fur ein Bedürfnis nach einer über § 325 Abs. 1 ZPO hinausreichenden ΒindungsWirkung lassen sich immer finden. 526 Letztlich spricht gegen eine Analogie, dass ein inhaltlicher Gleichlauf zwischen dem verweisenden und dem bezogenen Tarifvertrag keineswegs dauerhaft gesichert ist. Den Partnern des Anerkennungstarifvertrages steht es jederzeit frei, ihr Tarifwerk zu beenden oder inhaltlich zu modifizieren. Weil beide Tarifwerke somit eigenständige „Zeitgesetze" verkörpern, besteht keine Notwendigkeit für eine über die Regelungsreichweite des konkret streitbefangenen Tarifvertrages hinausreichende Bindungswirkung. 527
b) Eigenverantwortliche
Wahrung der Mitgliederinteressen
Ein wesentlicher Normzweck des § 9 TVG besteht ferner in der Absicherung der Tarifhormhoheit der Sozialpartner während der Laufzeit des Tarifvertrages. 528 Tarifvertragsparteien sollen die Interessen ihrer Mitglieder nicht nur bei der Erschaffung tariflicher Regelungen eigenverantwortlich vertreten, sondern während des zeitlichen Geltungsbereichs ebenso Verantwortung fur eine sinnvolle Anwendung der verabredeten Tarifbestimmungen tragen. Mit § 9 TVG wird den Sozialpartnern die Möglichkeit eröffnet, gegenüber allen Normadressaten eine einheitliche Bewertung und Auslegung der tariflichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verbindlich durchzusetzen. Im Interesse ihrer Mitglie526
Herschel, Anm. zu BAG vom 14.10.1960, SAE 1961, 134, 134. BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Löwisch/Rieble, §9 TVG Rn. 66; Rieble, NZA 1992, 250, 256; vgl. auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrechts I, S. 923 (Fn. 38); Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 16; Wiedemann/ Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969. 528 Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 122; vgl. zudem Herschel, ZfA 1973, 183, 197; Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 122 f. Siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 550 f.; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 55 ff.; dies., in MünchenerHdb, § 266 Rn. 12 f.; Rieble, NZA 1992, 250, 255, die unter anderem diesen Normzweck zur Ableitung einer „normativen" Wirkung der in § 9 TVG verankerten Bindungskraft heranziehen. 527
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der können sie somit auf kollektivrechtlicher Ebene ihre fortdauernde Tarifmacht dazu einsetzen, um auf individualarbeitsvertraglicher Ebene für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu sorgen. Eine subjektive Rechtskrafterstreckung verbandstarifbezogener Feststellungsurteile auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages steht in keinem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der sozialen Belange der Normadressaten. Die Verbandstarifparteien tragen gegenüber den Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages keine direkte Normsetzungsverantwortung. Dies ist auf Arbeitgeberseite offensichtlich, weil es an jeder Verantwortlichkeit der prozessbeteiligten Arbeitgebervereinigung gegenüber dem anerkennenden Außenseiterarbeitgeber mangelt. In seiner Eigenschaft als eigenständiger Tarifvertragspartner muss er während der Laufzeit seines AnerkennungstarifVertrages vielmehr selbst für eine einheitliche Anwendung der kraft Verweisung inkorporierten Tarifbestimmungen sorgen. Obwohl die Gewerkschaft unter Umständen sowohl am verweisenden als auch am bezogenen Tarifabkommen beteiligt ist, gilt auf Arbeitnehmerseite nichts Gegenteiliges, denn die Arbeitnehmervereinigung muss die gegenüber ihren Mitgliedern bestehende Regelungsverantwortlichkeit für jedes Tarifrechtsverhältnis gesondert wahrnehmen. Somit schafft auch diese ratio legis keine Basis für eine Vergleichbarkeit der Interessenlage.
c) Sicherung der Einwirkungs-
und Friedenspflicht
Die in § 9 TVG angeordnete ΒindungsWirkung dient des Weiteren der Verhinderung einer Diskrepanz zwischen der tariflichen Einwirkungs- und Friedenspflicht einerseits und den Rechtswirkungen der Tarifnormen im Einzelarbeitsverhältnis andererseits. 529 Aus dem obligatorischen Teil des Tarifvertrages ist jede Tarifpartei gegenüber ihrem Sozialpartner verpflichtet, ihre Mitglieder 529
Dieser Ansatz diente dem Reichsarbeitsgericht insbesondere als Legitimation für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage über den Inhalt der Tarifnormen - vgl. RAG vom 11.01.1928, ARS 2, 103, 107; RAG vom 22.02.1928, ARS 2, 117, 119f.;ft4Gvom 03.07.1929, ARS 6, 241, 242 f.; siehe zudem BAG vom 23.03.1957, AP Nr. 18 zu Art. 3 GG; BAG vom 15.11.1957, AP Nr. 1 zu § 8 TVG; BAG vom 14.10.1960, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. dazu auch Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 40; Herschel, Festschrift fur Molitor, S. 161, 195; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 922 (Fn. 38); Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 338 (Fn. 8); Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 109 f.; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 2; dies., in MünchenerHdb, § 266 Rn. 27; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 6; Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 122; Rieble, NZA 1992, 250, 250; Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAG vom 19.02.1965, AP Nr. 4 zu § 8 TVG; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG vom 28.09.1977, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969.
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zur Anwendung der ausgehandelten Tarifbestimmungen anzuhalten. Zudem schützt die relative Friedenspflicht im Umfang des inhaltlichen Regelungsgehaltes vor einer Infragestellung des erzielten Tarifkompromisses. Ohne die subjektive Rechtskrafterweiterung des § 9 TVG könnten in Abweichung zu den auf Kollektivebene ergangenen Feststellungsurteilen in Rechtsstreitigkeiten zwischen den tarifunterworfenen Arbeitsvertragsparteien widersprechende Interpretationsergebnisse erzielt werden, die ihrerseits in Rechtskraft erwachsen. In einem solchen Fall bestünde die Gefahr, dass die betroffenen Arbeitsvertragsparteien das Einwirkungsbegehren ihres jeweiligen Sozialverbandes unter Hinweis auf die fehlende ΒindungsWirkung des auf kollektiver Ebene ergangenen Feststellungsurteils zurückweisen. Um derartige Ungereimtheiten zu vermeiden, sichert § 9 TVG einen inhaltlichen Gleichlauf zwischen kollektiver und individualarbeitsvertraglicher Ebene. 530 Auch wenn dieser vorrangig vom Reichsarbeitsgericht betonte Zweck der Bindungswirkung in aktuellen Stellungnahmen zur ratio legis des § 9 TVG kaum noch Beachtung findet, 531 erlangt er bei der Analyse der analogiebegründenden Interessenlage wesentliche Bedeutung. Die prozessführenden VerbandstarifVertragsparteien sind weder gegenüber den Sozialpartnern des Anerkennungstarifvertrages noch gegenüber den anerkennungstarifVertraglichen Normadressaten einwirkungsberechtigt. Abweichende arbeitsgerichtliche Auslegungsergebnisse auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages tangieren in keiner Weise die aus dem Verbandstarifabkommen entspringende relative Friedenspflicht. Findet somit auch dieser Normzweck des § 9 TVG im Falle einer analogen Rechtskrafterweiterung auf den Anerkennungstarifvertrag keine Entsprechung, ist insofern eine Vergleichbarkeit der Interessenlage ebenfalls abzulehnen.
d) Schlussfolgerung Eine Erstreckung der auf Verbandsebene erstrittenen Feststellungsurteile auf das Vertragsverhältnis des Anerkennungstarifvertrages in analoger Anwendung des § 9 TVG scheitert an der fehlenden Planwidrigkeit der Regelungslücke sowie an der Unvergleichbarkeit der Interessenlage. Dieses Ergebnis ist auch unter der Prämisse, dass die Verweisung inhaltlich gerade an den streitbefangenen verbandstariflichen Bestimmungen anknüpft, sachgerecht. Denn die einseitige Privilegierung der kollektiven Klagebefugnisse der Tarifvertragsparteien 530
Nottebom, Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren, S. 122; vgl. Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 6; siehe auch Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 121. 531 Vgl. Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 6; siehe auch Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 2; Rieble, NZA 1992, 250, 251.
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bedingt auf der Kehrseite eine Beschränkung des Individualrechtsschutzes zu Lasten der tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien und drittbetroffener Personen. 532 Eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten auf individualarbeitsvertraglicher Ebene kann nur bei Vorliegen zwingender Sachgründe gerechtfertigt werden. Für die Einheitlichkeit arbeitsgerichtlicher Auslegungsentscheidungen besteht indes nur im Regelungszusammenhang ein und desselben Tarifvertrages eine Notwendigkeit - nicht jedoch im Verhältnis zwischen dem verweisenden und bezogenen Tarifvertrag.
I I I . Bindungswirkung kraft tarifvertraglicher Urteilsunterwerfung im Anerkennungstarifvertrag 1. Ableitung einer tarifvertraglichen Bindungswirkung Mit der Ablehnung einer gesetzlichen Erweiterung der Bindungskraft ist nicht zugleich festgestellt, dass auch tarifVertragliche Absprachen mit vergleichbarer Rechtsfolgewirkung ausgeschlossen sind. 533 Verbandstarifbezogene Feststellungsurteile präjudizieren die Auslegung der inkorporierten Tarifbestimmungen dann, wenn sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages rechtswirksam den auf Verbandsebene erstrittenen Auslegungsentscheidungen unterwerfen dürfen und hierdurch eine Erstreckung der ΒindungsWirkung auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene erzielt werden kann. Der Gedankenansatz der vertraglichen Unterwerfung unter fremde Feststellungsurteile wird vornehmlich im Individualarbeitsrecht diskutiert. Übernehmen beiderseits nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien kraft individualarbeitsvertraglicher Verweisung das einschlägige Tarifniveau, wird dieser Abrede im Wege ergänzender Vertragsauslegung eine Unterordnung unter die „Feststellungsmacht" der Sozialpartner entnommen.534 Im Unterschied zu individualarbeitsvertraglichen Unterwerfungsabreden besteht bei entsprechenden tarifVertraglichen Vereinbarungen allerdings die Schwierigkeit darin, dass sich die anvisierte Urteilsbindungskraft nicht exklusiv auf die vertragschließenden Parteien, sondern ebenso auf die tarifgebundenen Normadressaten erstrecken soll. Aus diesem 532
Vgl. Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 312. Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 307. Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 30 fuhrt im Kontext der Bindungswirkung des § 9 TVG aus, dass „im Falle der Verweisung auf einen Tarifvertrag die Tarifvertragsparteien über den Umfang der Verweisung entscheiden." 534 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 166; Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 39; Löwisch, ZZP 110 (1997), 237, 237; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 64; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 14; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 36; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 30; Rieble, NZA 1992, 250, 256; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 262; vgl. auch Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 310 ff. 533
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Grund bedarf es einer gesonderten Analyse der ΒindungsWirkungen im Hinblick auf die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages einerseits und den Normadressaten andererseits.
a) Bindungswirkung zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages Die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages können das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis im obligatorischen Teil des Tarifvertrages ausgestalten. Unter dem Vorbehalt der Wahrung höherrangiger Rechtssätze genießen sie bei der Festlegung des gegenseitigen Rechte- und Pflichtenstatus weitreichende Autonomie. 535 Demgemäß sind die Firmentarifparteien befugt, sich im Wege der Selbstbindung den auf Verbandsebene ergehenden arbeitsgerichtlichen Auslegungsentscheidungen vorab zu unterwerfen. Eine derartige synallagmatische Anerkennung verbandstarifbezogener Feststellungsurteile gerät nicht mit den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG in Konflikt. Zwar begrenzt das Begriffspaar der allgemeinen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch die Regelungsreichweite obligatorischer Eigenpflichten. 536 Da die Unterwerfiingsklausel jedoch mittelbar der Umsetzung der normativen AnerkennungstarifVertragsordnung dient, finden die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gezogenen Grenzen hinreichende Beachtung. Dem Grunde nach sind die Parteien des Anerkennungstarifvertrages allerdings berechtigt, hinsichtlich Gültigkeit und Inhalt der inkorporierten Normen eigene Feststellungsurteile zu erstreiten, die sodann gemäß § 9 TVG Rechtskraftwirkung gegenüber allen an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten entfalten. Tarifpraktische Bedeutung erlangt die materielle Unterwerfungsabrede daher nur, wenn sie auch prozessuale Konsequenzen zeitigt. Neben der Anerkennung der Auslegungsergebnisse beinhaltet die obligatorische Abrede zugleich einen materiellen Klageverzicht und verhindert damit weitere Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages. 537 Einredeweise kann einer ohne Beobachtung entgegenstehender
535
Vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 173; Richardi, Kollektivgewalt und Individual wille, S. 199 und 202 f.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 156; Wallisch, TarifVertragliche Einwirkungspflichten, S. 80; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 540; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 362 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 267. 536 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 175; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 155 ff.; vgl. zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 540; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 363; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 267; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 663 b, 731, 745. 537 Zum materiellen Klageverzicht - vgl. Leipold, in Stein/Jonas, § 306 Rn. 3; Musielak, in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, § 306 ZPO Rn. 1 und § 307
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verbandstarifVertragsbezogener Auslegungsentscheidungen erhobenen Feststellungsklage die materielle Klageverzichtserklärung entgegengehalten werden, was zur Klageabweisung durch Prozessurteil führt.
b) Bindungswirkung zwischen den an den Anerkennungstarifoertrag gebundenen Normadressaten Keine besondere Rechtfertigung bedarf die vereinbarte Erstreckung der Bindungswirkung auf den anerkennenden Arbeitgeber in seiner Eigenschaft als Normadressat. Bereits als Firmentarifvertragspartei hat er sich kraft obligatorischer Tarifabrede den Feststellungen der verbandstarifbezogenen Auslegungsentscheidungen unterworfen. Die obligatorische Unterwerfimgserklärung beinhaltet eine Selbstbindungsverfügung und schlägt als Vertrag zu Gunsten der drittbetroffenen Arbeitnehmer auf die individualarbeitsvertraglichen Rechtsstreitigkeiten durch. Größerer argumentativer Aufwand ist demgegenüber notwendig, um eine tarifvertraglich begründete Bindung der Arbeitnehmerseite nachzuweisen. Keinen Erfolg verspricht eine Ableitung aus dem obligatorischen Teil des Anerkennungstarifvertrages. Die verbindliche Unterwerfung der tarifgebundenen Arbeitnehmer unter die verbandstarifbezogenen Feststellungsentscheidungen führt zu einer Beschränkung des zulässigen Prozessvorbringens in künftigen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Arbeitsvertragsparteien. 5^8 Eine solche Verkürzung der arbeitnehmerseitigen Rechtsschutzmöglichkeiten kann mit den Regeln des Vertragsrechts nicht erklärt werden, weil ein Vertrag zu Lasten Dritter keine Anerkennung verdient.
aa) Tarifhormcharakter der tarifVertraglichen Unterwerfungsklausel im Anerkennungstarifvertrag Tarifliche Regelungen zu Lasten der Normadressaten dürfen die Sozialpartner nur in Ausübung ihrer Normsetzungsmacht treffen. 539 Es stellt sich mithin die Frage, ob die von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages verabredete
ZPO Rn. 4; siehe auch Hartmann, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einf § 306 ZPO Rn. 1 f.; Vollkommer, in Zöller, Vor § 306 ZPO Rn. 5. 538 Diese Bedenken bestehen bei der individualarbeitsvertraglichen Verweisung auf die von den Sozialpartnern erstrittenen Feststellungsurteile nicht, weil der Arbeitnehmer hier selbst Vertragspartei ist und damit autonom über die Bindungsanordnung entscheidet. 539 Allgemein hierzu Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 659 f.; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 514.
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Erstreckung der verbandstarifbezogenen Feststellungsurteile auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene als normative Tarifabrede zu qualifizieren ist. Dann muss sich die Unterwerfungsklausel in den enumerativen Katalog zulässiger Norminhalte im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG einreihen lassen.540 Insoweit kann eine Zuordnung zur Kategorie der Inhaltsnormen erwogen werden. Durch Inhaltsnormen gestalten die Sozialpartner sowohl materielle als auch formelle Arbeitsbedingungen. 541 Sie umfassen die gesamte Bandbreite der regelungsbedürftigen Aspekte des Einzelarbeitsvertrages. 542 Mit der Unterordnung unter die Feststellungsmacht fremder Sozialpartner strukturieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages indes nicht unmittelbar das Leistungsaustauschverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien, sodass eine Qualifizierung als typische Inhaltsnorm ausscheidet. Allerdings ist die tarifliche Rechtsetzungsbefugnis im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1, 2. HS, 1. Alt. TVG nach allgemeiner Auffassung nicht auf die Strukturierung der klassischen Anspruchs- und Verpflichtungstatbestände beschränkt. Das TarifVertragsgesetz erlaubt vielmehr eine umfassende Gestaltung der zwischen den Normadressaten bestehenden arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehungen. Aus diesem Grund können auch so genannte „Rahmenvorschriften" zulässiger Gegenstand tariflicher Normsetzung sein. 543 Derartige Rahmenvorschriften beinhalten ergänzende Regeln, die die Grundlagen für die Bestimmung des Inhalts der Arbeitsverhältnisse in ihrer Gesamtheit oder in einzelnen Elementen schaffen. 544 Praktische Bedeutung erlangen insbesondere Form-, Durchführungs- und Verfahrensvorschriften, die der Realisierung normativer Tarifansprüche dienen. Mit der Unterwerfungsklausel schaffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Basis für eine einzelfallbezogene Handhabe der inkorporierten Tarifnormen. Sie konkretisieren das Verfahren zur Ermittlung des maßgeben540
Zum enumerativen Charakter der aufgeführten Regelungstypen - vgl. Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 23; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 53; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 102; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 248; siehe zudem Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 179 f. und 189; extensiver Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 539 f. 541 Vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 170; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 577; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 27; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 41; dies., in Münchener-Hdb, §260 Rn. 1; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 120; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 426; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 316; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 386. 542 Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 27; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn.41; dies., in Münchener-Hdb, § 260 Rn. 1 ; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 120. 543 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 583; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 457 ff. 544 Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 457.
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den Regelungsgehaltes. Die Übernahme der Judikate dient mittelbar der Umsetzung der Arbeitsbedingungen und damit der tarifpraktischen Realisierung klassischer Tarifhorminhalte. Angesichts des eindeutigen Bezugs zur Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse ist die Unterwerfungsklausel als inhaltsbezogene Rahmenvorschrift und damit als normative Regelung zu qualifizieren. Je nachdem, ob sich das bezogene Feststellungsurteil mit der Auslegung einer Inhalts-, Abschluss-, Beendigungs-, betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Norm befasst, teilt die Bindungsanordnung die Rechtsqualität jenes Normentypus. Ihre indirekte Bestätigung findet die Einstufung als Normativabrede in der Tatsache, dass die Urteilsunterwerfung auch Gegenstand individualarbeitsvertraglicher Vereinbarungen sein kann. Insofern gilt der Grundsatz, dass prinzipiell diejenigen Angelegenheiten einer tariflichen Normgebung zugänglich sind, über die auch die Parteien des Einzelarbeitsverhältnisses zulässigerweise disponieren können. 545 Dem Grunde nach ist damit die Basis für eine normative Geltung der ΒindungsWirkung im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG in Verbindung mit §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG gelegt.
bb) Rechtmäßigkeit der tarifVertraglichen Unterwerfungsklausel im Anerkennungstarifvertrag Ihre normative Geltungskraft kann die konkretisierende Rahmenvorschrift nur entfalten, wenn die Bindungsanordnung mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Zweifelhaft ist bereits, ob den Parteien des AnerkennungstarifVertrages überhaupt eine entsprechende Regelungskompetenz zusteht. Keine Rechtsetzungsbefugnis haben die Tarifvertragsparteien fur normative Rahmenvorschriften, die das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien des Einzelarbeitsvertrages betreffen. 546 Abzuleiten ist die Beschränkung der Tarifautonomie auf dem Gebiet des Prozessrechts aus einem Umkehrschluss zu den §§ 48 Abs. 2, 101 Abs. 1 ArbGG, die das Verfahrensrecht nur in den aufgezählten Fällen zur tarifvertraglichen Disposition stellen. 547 Von der Rechtslehre wird daher insbesondere die Zulässigkeit so genannter Schiedsgutachterklau545 Siehe Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 315; vgl. auch Wiedemann , RdA 1997, 297, 298. 546 BAG vom 18.05.1983, AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 107; dies., in Münchener-Hdb, § 262 Rn. 2; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 465; vgl. zudem Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 207; zweifelnd Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 368. 547 BAG vom 18.05.1983, AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 465; siehe zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 583; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 108 ff.; dies., in Münchener-Hdb, § 262 Rn. 8.
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sein angezweifelt, mit denen die Tarifpartner festlegen, dass bestimmte rechtserhebliche Tatfragen durch Schiedsgutachten mit verbindlicher Wirkung für die Arbeitsgerichte vorgerichtlich entschieden werden. 548 Im Gegensatz zu den prozessrechtlichen Annexanordnungen sind Rahmenvorschriften statthaft, die Auslegungsregeln für die Realisierung normativer Tarifansprüche statuieren. 549 Kraft ihrer Regelungsautonomie können die Tarifparteien Interpretationsgrundsätze aufstellen, welche die Arbeitsgerichte bei ihrer Entscheidungsfindung beachten müssen. Die Zulässigkeit verbindlicher Auslegungsvorgaben folgt aus der Tarifhormhoheit der Sozialpartner. Sie hätten ohnehin für den Fall, dass ein Arbeitsgericht tarifliche Normen im Widerspruch zu ihren ursprünglichen Regelungsvorstellungen auslegt, die Möglichkeit, mit einem nachträglichen Ergänzungstarifvertrag ihren Interpretationsanschauungen zum Durchbruch zu verhelfen. Schon das Reichsarbeitsgericht hat die retrospektive authentische Norminterpretation durch die Tarifpartner anerkannt. 550 Konsequenterweise können authentische Interpretationsvorgaben bereits in der ursprünglichen Tarifabrede verankert werden. Die Zuordnung der vereinbarten Bindungswirkung zur Kategorie der prozessualen oder interpretatorischen Rahmenvorschrift ist nicht eindeutig. Für eine prozessrechtsbezogene Annexregelung scheint der Umstand zu sprechen, dass sich die anvisierte Beschränkung des Prozessvorbringens auf die Prozessführung auswirkt. Eine solche Schlussfolgerung lässt jedoch unberücksichtigt, dass Auslegungsregeln ebenso Folgewirkungen auf den Prozessausgang zeitigen, weil authentische Interpretationen zwingend zu beachtende Prüfungsmaßstäbe festschreiben. Den Normadressaten werden auf individualarbeitsvertraglicher Ebene keinerlei Verfahrensrechte entzogen. Allein mit der Erstreckung der Bindungswirkung wird das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien
548
Dütz, Festschrift für Müller, S. 129, 142 ff.; Germelmann, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 4 ArbGG Rn. 6; Grunsky, § 4 ArbGG Rn. 4; Schreiber, ZfA 1983, 31, 41 ff.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 473; vgl. zudem BAG vom 31.01.1979, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; anders noch BAG vom 16.10.1957, AP Nr. 27 zu § 3 TOA. 549 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 143 und 155; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 583; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 464; vgl. auch BAG vom 15.03.1985, AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 312 und 317; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 392 und 421. 550 RAG vom 19.06.1931, ARS 12, 386, 387 f.; vgl. zudem BAG vom 21.03.1971, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG vom 23.09.1981, AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 23.10.1991, AP Nr. 26 zu § 1 TVG Auslösung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 155; Herschel, Festschrift fur Molitor, S. 161, 199; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 198; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 317; Löwisch/ Rieble, § 1 TVG Rn. 421.
§ 9 Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile
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nicht modifiziert. Alle gesetzlich verankerten prozessualen Rechte und Pflichten können von ihnen in eigener Verantwortung wahrgenommen werden. Die vereinbarte Bindungskraft wirkt sich lediglich auf die Bewertung des „Prozessgegenstandes" - also den gerichtlichen Prüfungsumfang - aus. Weil die Arbeitsgerichte somit ausschließlich in der inhaltlichen Bewertung gebunden werden, wirkt die Unterwerfungsklausel im Ergebnis wie eine Auslegungsregel. Diese Charakterisierung wird durch folgende Überlegung bestätigt: Die Partner des Anerkennungstarifvertrages könnten jedes Mal, wenn ein unter den Verbandstarifvertragsparteien erstrittenes Feststellungsurteil in Rechtskraft erwächst, einen Ergänzungsfirmentarifvertrag vereinbaren, in dem sie bestimmen, dass die inkorporierten Tarifhormen urteilskonform auszulegen sind. Um diese unpraktikable Vorgehensweise nachträglicher authentischer Interpretationsvereinbarungen zu vermeiden, ist den Sozialpartnern zu gestatten, bereits vorab kraft Urteilsunterwerfung die verbandstarifbezogenen Auslegungsentscheidungen auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene zu transformieren. Auch wenn es sich um eine atypische Auslegungsvorschrift handelt, kann die normative Regelungsbefugnis der Parteien des Anerkennungstarifvertrages somit bejaht werden. Die interpretatorische Rahmenregelung verletzt keine sonstigen höherrangigen Rechtsgrundsätze. Mit der Unterwerfung unter fremde Feststellungsurteile begeben sich die Partner des Anerkennungstarifvertrages keineswegs ihrer Tarifhormverantwortung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Zwar besteht die Normenverantwortlichkeit nicht nur im Zeitpunkt der Rechtsetzung, sondern bedingt auch während des tarifvertraglichen Geltungszeitraums eine Überwachungstätigkeit der Sozialpartner, um hierdurch eine laufzeitbezogene Handhabbarkeit der ausgehandelten Tarifbestimmungen zu gewährleisten. Jedoch bedarf die arbeitgeberseitige Selbstbindungserklärung keiner besonderen Rechtfertigung, weil der anerkennende Unternehmer selbst Firmentarifvertragspartei ist und damit autonom über die Sachgerechtigkeit der Unterwerfung entscheidet. Auf der Gewerkschaftsseite ist eine Preisgabe eigenverantwortlicher Interessenwahrnehmung ebenso wenig zu besorgen, weil die vertragschließende Arbeitnehmervereinigung im Regelfall gleichzeitig am bezogenen VerbandstarifVertrag beteiligt ist und daher ihre Auslegungsvorstellungen bereits in das verbandstarifbezogene Feststellungsklageverfahren einbringen kann. Die gegen tarifliche Schiedsgutachterklauseln erhobenen Einwände finden bei der vertraglichen Erstreckung der ΒindungsWirkung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages keine Entsprechung. Anders als im Falle einer Bindung der Arbeitsgerichte an einen Schiedsgutachterspruch, ist hier sichergestellt, dass die umstrittenen Tarifhormen zumindest einmal - wenn auch auf Verbandsebene - einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden.
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Weil die in § 63 ArbGG vorgesehene Urteilsübersendungspflicht im Übrigen keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die in § 9 TVG vorgesehene Bindungswirkung darstellt, 551 kann aus dem Umstand, dass die verbandstarifbezogenen Feststellungsurteile nicht zu Gunsten der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten von den zuständigen Behörden registriert werden, keine Einwendung gegen die tarifVertragliche Übernahme fremder Auslegungsentscheidungen abgeleitet werden.
cc) Schlussfolgerung Als normkonkretisierende Rahmenregelung dient die Urteilsunterwerfiing damit in Form einer atypischen Auslegungsklausel der sinnvollen Handhabung der in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Tarifnormen und entfaltet gemäß §§3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbare und zwingende Wirkung hinsichtlich der tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse. Der von § 9 TVG anvisierte Zweck der einheitlichen Anwendung von Tarifhorminhalten lässt sich somit kraft Unterwerfiingsvereinbarung auch auf andere Tarifrechtsverhältnisse übertragen. Allerdings beruht die Bindungswirkung nicht auf einer gesetzlichen Rechtskrafterstreckung, sondern findet lediglich auf tariflicher Basis statt und kann daher durch die Parteien des Anerkennungstarifvertrages jederzeit aufgehoben werden.
c) Bindungswirkung gegenüber Dritten Im Anwendungsbereich des § 9 TVG wird die subjektive Rechtskraftbindung auch auf drittbetroffene Personen ausgedehnt. Eine Drittbindungswirkung lässt sich jedoch durch eine anerkennungstarifvertragliche Unterwerfung unter die verbandstarifbezogenen Feststellungsurteile nicht realisieren. Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages sind ausschließlich gegenüber dem in § 3 Abs. 1 TVG umschriebenen Personenkreis normsetzungsbefugt. Beschränkungen des zulässigen Klagevorbringens zu Lasten Dritter sind unstatthaft. Angesichts der begrenzten Tarifmacht kann auf tarifVertraglicher Basis insofern keine dem § 9 TVG entsprechende Bindungsreichweite verwirklicht werden.
551
Rn. 4.
Hauch, § 63 ArbGG Rn. 5; vgl. auch Ziemann, in Düwell/Lipke, § 63 ArbGG
§ 9 Verbindlichkeit verbandstarifbezogener Feststellungsurteile
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2. Inhalt und Auslegung der tarifvertraglichen Unterwerfungsklausel im Anerkennungstarifvertrag Die Recherchen in Tarifregistern haben ergeben, dass in Anerkennungstarifverträgen regelmäßig keine expliziten Abreden über die Unterwerfung unter verbandstarifbezogene Feststellungsurteile getroffen werden. Ausdrückliche Vereinbarungen sind jedoch angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen angezeigt. Besonders zu empfehlen sind sie mit Blick auf die an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Normadressaten, weil das Bestimmtheitsgebot die Sozialpartner dazu verpflichtet, das zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehende Rechte- und Pflichtenverhältnis klar und eindeutig zu gestalten.552 Gerade die Gewerkschaften, die an einem inhaltlichen Gleichlauf der Tarifbedingungen auf anerkennungs- und auf verbandstarifvertraglicher Ebene interessiert sind, sollten Wert auf eine ausdrückliche Unterwerfungsklausel legen. Damit vermeiden sie von vornherein jede Rechtsstreitigkeit über das „Ob" der Bindungswirkung und gewährleisten eine rechtssichere Handhabe der inkorporierten Tarifbestimmungen. Möglicherweise lässt sich auch ohne explizite Vereinbarung eine Urteilsverbindlichkeit im Wege ergänzender Tarifvertragsauslegung begründen. Zu beachten ist jedoch, dass eine lückenschließende Auslegung im Tarifrecht Restriktionen unterliegt. Ergänzungen sind nur bei unbewussten Tariflücken denkbar, weil jede Interpretation gegen den Willen der Sozialpartner einen Eingriff in die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG bedeutet.553 Nach der Andeutungslehre ist es zudem notwendig, dass sich im Wortlaut der Ver-
552 Zur Geltung des Bestimmtheitsgebotes - vgl. BAG vom 29.01.1986, AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 406; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 642; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 201; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 203; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 341 und § 1 TVG Rn. 194; siehe auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 553 BAG vom 13.06.1973, AP Nr. 123 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 23.09.1981, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozent; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 69 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 24.02.1988, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Schuhindustrie; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 152; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 664; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 363 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 334; Löwisch/Rieble,, § 1 TVG Rn. 425 f.; Stein,, Tarifvertragsrecht, Rn. 90; Wank, RdA 1998, 71, 85; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 815; Zachert, Festschrift zum 100 jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 573, 591 f.; vgl. auch BAG vom 26.06.1993, AP Nr. 29 zu §1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; BAG \om 12.09.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O.
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einbarung Anhaltspunkte für das anvisierte Interpretationsergebnis finden lassen. 554 Anknüpfungspunkt für eine ergänzende Auslegung ist die inhaltliche Verweisungsanordnung. Im Falle individualarbeitsvertraglicher Verweisungen auf das Tarifiiiveau befürworten zahlreiche Stellungnahmen die Ableitung einer Bindungswirkung aus der inhaltlichen Bezugnahmeanordnung. 555 Dieser Gedankenansatz kann auch für den Anerkennungstarifvertrag fruchtbar gemacht werden. 556 Zumindest die Vereinbarung einer inhaltlich dynamischen Verweisung spricht dafür, dass die auf Verbandsebene maßgebenden Norminterpretationen auch auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene Gültigkeit beanspruchen sollen. Abzuleiten ist die Unterwerfung unter fremde Feststellungsurteile aus dem allgemeinen Regelungsanliegen der Blankettverweisung. Dient die inhaltlich dynamische Verweisung nach dem erkennbaren Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages ausschließlich dazu, die fehlende Verbandstarifgebundenheit des Außenseiterarbeitgebers zu kompensieren und eine umfassende Anbindung an die zukünftige Flächentarifentwicklung zu gewährleisten, ist davon auszugehen, dass die verbandstarifbezogenen Feststellungsurteile ebenso für die Interpretation der inkorporierten Normen maßgebend sein sollen. Anders als bei einer individualarbeitsvertraglichen Bezugnahme entfaltet die tarifliche Unterwerfungsklausel zwar drittbelastende Wirkung zu Ungunsten der Normadressaten. Dessen ungeachtet erscheint die Bindungserstreckung unter Bestimmtheitsgesichtspunkten noch vertretbar. Die Normunterworfenen haben grundsätzlich Kenntnis vom inhaltlichen Gleichstellungsanliegen. Insofern ist für sie die Absicht der Parteien des Anerkennungstarifvertrages erkennbar, auch in interpretatorischer Hinsicht einen Gleichlauf zur Verbandstarifebene herzustellen.
554
BAG vom 17.09.1957, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 11.03.1982, AP Nr. 19 zu §611 BGB Bühnenengagementsvertrag; BAG vom 20.08.1996, AP Nr. 144 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 131; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 651; Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 388; Wank, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 771; Zachert, Festschrift zum 100 jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 573, 592. 555 Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 64; dies., in Münchener-Hdb, § 266 Rn. 14 und 32; Rieble, NZA 1992, 250, 256; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 262; vgl. zudem Dütz, ArbRGew 20 (1982), 33, 39; Oetker, in Wiedemann, § 9 TVG Rn. 36; Schaub, in ErfKom, § 9 TVG Rn. 30. 556 Dagegen Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 118, der explizit daraufhinweist, dass „durch die inhaltliche Verweisung lediglich der Inhalt des in Bezug genommenen Tarifvertrages übernommen wird, nicht jedoch daraus resultierende Gerichtsentscheidungen."
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Schwierig gestaltet sich eine ergänzende Tarifvertragsauslegung bei statischen Verweisungen. Der Regelungsanlass für eine statische Inkorporierung fremder Tarifhormen kann schlicht darin bestehen, dass sich die Anerkennungstarifpartner das Abschreiben des bezogenen VerbandstarifVertrages ersparen wollen. Dann ist nicht auszuschließen, dass sich die Parteien eigene Vorstellungen über die Interpretation ihrer Tarifordnung gemacht haben. Ist das inhaltliche Gleichstellungsanliegen nicht eindeutig ermittelbar und ergibt es sich auch nicht anhand anderer Bestimmungen des Anerkennungstarifvertrages, misslingt eine Ableitung der Urteilsunterwerfung aus der inhaltlichen Verweisungsanordnung. Kann eine Erstreckung der Bindungswirkung im Wege ergänzender TarifVertragsauslegung somit nur zugelassen werden, wenn das inhaltliche Gleichstellungsanliegen hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, steht damit gleichzeitig fest, dass sie nur in Betracht zu ziehen ist, wenn eine globale Verweisungsanordnung getroffen wurde. 557 Demgegenüber sprechen Teilverweisungen für einen inhaltlich eigenständigen Firmentarifkompromiss, sodass jede Grundlage für eine Unterwerfung unter die Feststellungsmacht fremder Sozialpartner fehlt.
3. Ergebnis Den Parteien des Anerkennungstarifvertrages ist es gestattet, den durch die Koalitionen erstrittenen Urteilen über die Wirksamkeit und Auslegung einzelner Verbandstarifbestimmungen mittels einer tarifVertraglichen Unterwerfungserklärung Geltung in der anerkennungstarifVertraglichen Rechtsbeziehungen zu verschaffen und hierdurch eine ΒindungsWirkung zwischen den Sozialpartnern sowie zwischen den Normadressaten des AnerkennungstarifVertrages zu erzeugen.
557 Zur parallelen Problemstellung im Falle einer individualarbeitsvertraglichen Bezugnahmeanordnung - vgl. Krause, Rechtskrafterstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 315; Löwisch/Rieble, § 9 TVG Rn. 65; Rieble, NZA 1992, 250, 256; siehe zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 166.
Teil 3
Überleitung der inhaltlichen Vorgaben eines zukünftig in Kraft tretenden, neuartigen Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag Rechtskonformität und Rechtsfolgen der Vorabunterwerfungs- und Verhandlungsklausel § 10 Vorabunterwerfungs- und Verhandlungsklausel Neben der inhaltlichen Bezugnahmeanordnung findet sich in einer Vielzahl der dynamisch verweisenden Anerkennungstarifverträge nachstehende Klausel: Zwischen den Parteien dieses Vertrages finden alle neuen Tarifverträge beziehungsweise Tarifbestimmungen Anwendung, die anstelle der in Bezug genommenen Tarifverträge beziehungsweise Tarifbestimmungen treten oder die eine völlige Neuregelung enthalten.1 Häufig treffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages in diesem Regelungszusammenhang auch folgende Vereinbarung: Für den Fall, dass zwischen den Verbandstarifvertragsparteien andere als die im Anerkennungstarifvertrag aufgeführten Tarifverträge abgeschlossen werden, verpflichten sich die Parteien dieses Vertrages, unverzüglich Verhandlungen über deren Anerkennung aufzunehmen.2 Die Parteien verhandeln mit dem erklärten Willen zur Einigung.3
1 Vgl. § 3 Ziffer 3.5 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Siehe zudem § 2 Ziffer 2 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Vgl. auch Ziffer 4 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form: Wird im Tarif gebiet NRW ein neuer, anders lautender oder ergänzende Tarifvertrag abgeschlossen, tritt er mit dem Inkrafttreten im Tarifgebiet auch für Bereich der Firma Ζ automatisch in Kraft. 2 So § 3 Ziffer 2 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1996 in Schleef/ Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 124. 3 Vgl. das Beispiel von Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33. Diese Anordnung findet sich in anderem Zusammenhang auch in § 4 Ziffer 3 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung.
§ 10 Vorabunterwerfngs- und Verhadlungsklausel
265
Bevor auf die Rechtswirksamkeit beider Klauseln eingegangen werden kann, bedarf es ihrer Auslegung, um das von den Parteien des AnerkennungstarifVertrages anvisierte Regelungsziel zu ermitteln.
A. Auslegung I. Substituierungs- und Vorabunterwerfungsklausel Grammatikalisch knüpft die einleitend angeführte Tarifvertragsklausel im ersten Halbsatz an den auf Verbandsebene neu geschaffenen Tarifverträgen beziehungsweise Tarifbestimmungen an. Nach dem Wortlaut sollen alle zukünftigen Verbandstarifvereinbarungen konform auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Anwendung finden. Im zweiten Halbsatz differenzieren die Parteien danach, ob die verbandstarifVertragliche Neuregelung einen sachlichen Anknüpfungspunkt in der bisherigen anerkennungstarifVertraglichen Verweisungsbestimmung findet. Der erste Teilsatz beinhaltet eine „Substituierungsabrede". Alle späteren ersetzenden Änderungsabkommen zu den bereits in Bezug genommenen Verbandstarifverträgen beziehungsweise -bestimmungen sollen einem Automatismus folgend zeitgleich auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Gültigkeit erlangen. Mit dem zweiten Teilsatz erweitern die Parteien den Kreis der maßgebenden Bezugnahmeobjekte. Sie unterwerfen die Normadressaten antezipierend auch völlig neuen, zukünftigen Verbandstarifregelungen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit den bereits inkorporierten Regelungsgegenständen stehen. Damit statuieren sie eine „Vorabunterwerfung" unter alle neuartigen VerbandstarifVerträge. 4 Die teleologische Auslegung verdeutlicht die Wirkungsweise der Klausel. Der Sinn und Zweck der Regelung ist im Kontext der dynamischen Verweisung zu sehen. Mit der Substituierungsabrede wollen die Sozialpartner sicherstellen, dass alle späteren Änderungsvereinbarungen zu den ursprünglich in Bezug genommenen Verbandstarifverträgen synchron Eingang in den AnerkennungstarifVertrag finden. Jede ersetzende Nachfolgeverbandstarifregelung, die in sachlichem Zusammenhang zu den vorhergehend bezogenen Verbandstarifbestimmungen steht, soll unabhängig von ihrer späteren Bezeichnung an die Stelle des ehemaligen Bezugsobjektes treten.
4
Zu dieser Terminologie vgl. Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662. Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4 spricht von einer „Unterwerfung" des Arbeitgebers. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138 spricht von einer „Blankoverpflichtungserklärung" des Arbeitgebers.
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Teil 3: Überleitung eines zukünftigen, neuartigen Verbandstarifvertrages
Anlass zur Vereinbarung der Vorabunterwerfungsklausel gibt der Umstand, dass auf Verbandstarifebene jederzeit neue Tarifgebiete erschlossen werden können. Um auch in Zukunft eine inhaltliche Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den verbandstarifgebundenen Unternehmen zu ermöglichen, bedarf es einer generalisierenden, antezipierenden Bezugnahme auf alle zukünftigen, inhaltlich neuartigen VerbandstarifVereinbarungen. Erst mit dieser universellen Vorwegnahme aller erdenklichen Neuregelungen verwirklichen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf lange Sicht den anvisierten inhaltlichen Gleichlauf zwischen firmen- und verbandstarifVertraglicher Ebe-
II. Verhandlungsklausel Nach dem Wortlaut des ersten Satzes der zweiten eingangs beschriebenen Klausel begründen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages einen gegenseitigen Verhandlungsanspruch. 6 Werden von den Koalitionen neuartige Tarifgebiete erschlossen, die von der sachlichen Reichweite der bisherigen Blankettverweisungsanordnung nicht erfasst werden, dann verpflichten sich der anerkennende Arbeitgeber und die Gewerkschaft, über die Aufnahme der Neuregelung in den Anerkennungstarifvertrag zu verhandeln. Der Telos der Vereinbarung zielt wiederum auf eine vollumfängliche Anbindung der firmentarifVertraglichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an die zukünftige Flächentarifentwicklung. Mit der Verhandlungsklausel wird im Unterschied zur Substituierungs- und Vorabunterwerfungsklausel keine automatische Inkorporationswirkung begründet. Vielmehr entscheiden die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Wege eigenständiger Tarifverhandlungen autonom über die Sachge5
Zum Gleichstellungsziel - vgl. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Schaub, BB 1996, 2998, 2300; ders., NZA 1998, 617, 618; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; siehe auch Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Kittner, AiB 1995, 158, 160; Pfarr, ZTR 1997, 1, 1; vgl. zudem Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505. 6 Allgemein zu einem tarifvertraglich begründeten Verhandlungsanspruch - siehe BAG vom 24.02.1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu §4 TVG Nachwirkung; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 110; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 278 und 626; Hanau, Anm. zu BAG vom 14.02.1989, SAE 1990, 17, 17 f.; Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291; dies., in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 35; Mikosch, Festschrift fur Dieterich, S. 365, 382; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 747 und 749 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 72; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 182; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372.
§ 10 Vorabunterwerfngs-und Verhadlungsklausel
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rechtigkeit der Übernahme neuartiger VerbandstarifVerträge. Daher können beide Tarifklauseln nur alternativ Eingang in einen dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrag finden. Nicht selten wird das Verhandlungsziel entsprechend dem Wortlaut des zweiten Satzes der Verhandlungsklausel inhaltlich konkretisiert. 7 Gerade in Anerkennungstarifverträgen beschränken die Sozialpartner oftmals ihren späteren Verhandlungsspielraum, indem sie den Willen zur tarifVertraglichen Einigung im Voraus festschreiben. Aus dem Regelungszusammenhang zum ersten Satz der Klausel ergibt sich die Zielrichtung der Einigung, die in der späteren Anerkennung neuartiger VerbandstarifVerträge liegt. Folglich nähern sich die Rechtsfolgen des Verhandlungsanspruchs den Rechtswirkungen einer vorweggenommenen Tarifabschlussverpflichtung an. Die „Einigungsklausel" wird daher regelmäßig auf Initiative der Gewerkschaft in den Anerkennungstarifvertrag aufgenommen, um den Arbeitgeber in seiner Entscheidungsfreiheit zu beschränken.
B. Tarifrechtliche Zulässigkeit Angesichts des Exklusivitätsverhältnisses beider AnerkennungstarifVertragsklauseln ist eine getrennte Prüfung ihrer tarifrechtlichen Zulässigkeit angezeigt.
I. Substituierungs- und Vorabunterwerfungsklausel Einer kritischen Auseinandersetzung mit der Substituierungs- und der Vorabunterwerfungsklausel bedarf es nur, wenn sie konstitutive Rechtsfolgewirkungen erzeugen.
1. Konstitutiver Verweisungscharakter Näher zu beleuchten sind insbesondere die Rechtsfolgen der Substituierungsabrede, weil ihr Verhältnis zur inhaltlich dynamischen Verweisung nicht klargestellt ist. Nach der Substituierungsklausel sollen diejenigen künftigen Neuregelungen übernommen werden, die an die Stelle der in Bezug genommenen Tarifverträge treten. Bereits kraft dynamischer Bezugnahme sind aber künftige NachfolgeverbandstarifVerträge von der Inkorporationswirkung erfasst. Solange ein sachlicher Zusammenhang zwischen der vorhergehenden und der nach7
Vgl. auch die Entscheidung BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht, die sich ebenfalls mit einer tarifVertraglichen Verhandlungsklausel mit konkreter Zielausrichtung befasst.
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Teil 3: Überleitung eines zukünftigen, neuartigen VerbandstarifVertrages
folgenden Verbandstarifregelung besteht, sorgt bereits die Blankettverweisung fur eine anerkennungstarifVertragliche Normgeltung. 8 Die dynamische Bezugnahme entfällt auch nicht dadurch, dass der ursprünglich bezogene Verbandstarifvertrag eine andere Bezeichnung erhält oder in verschiedene Tarifabkommen aufgespalten wird. Berücksichtigt man zudem, dass die dynamische Verweisungsanordnung auch überraschende Tarifbedingungen künftiger VerbandstarifVerträge in den Anerkennungstarifvertrag überfuhrt, 9 so verbleibt für die Substituierungsabrede kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich. Daher erfüllt die Substituierungsklausel vornehmlich eine Klarstellungsfunktion und hat lediglich deklaratorischen Charakter. 10 Sie dokumentiert den Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, dass alle sachlich verwandten NachfolgeverbandstarifVerträge Eingang in den Firmentarifvertrag finden sollen. Damit wird von vornherein jeder Streit darüber vermieden, ob sich die dynamische Verweisung in ihrer Inkorporationswirkung auch auf überraschende Neuregelungen und umbenannte Nachfolgeabkommen erstreckt. Angesichts des deklaratorischen Klauselcharakters bedarf die Substitutionsabrede keiner eigenständigen Rechtfertigung, weil ihre Zulässigkeit bereits aus der rechtlichen Anerkennung der dynamischen Verweisung folgt. Das eigentliche tarifrechtliche Interesse konzentriert sich auf die Vorabunterwerfung. Es entstehen keine Überschneidungen mit der dynamischen Verweisung, weil die Vorabunterwerfungsklausel in ihren Rechtswirkungen über diese hinausgeht. Mit ihr inkorporieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages alle zukünftigen, neuartigen Verbandstarifabkommen, die sich der enumerativen Aufzählung der dynamischen Verweisungsbestimmung nicht zuordnen lassen. Eine derart extensive Bezugnahmeanordnung besitzt konstitutive Regelungsqualität und bedarf daher tariflicher Rechtfertigung.
2. Rechtscharakter der Vorabunterwerfungsklausel Welche Kontrollmaßstäbe anzulegen sind, hängt entscheidend vom Rechtscharakter der Vorabunterwerfungsklausel ab. Mit ihr treffen die Sozialpartner 8
Siehe dazu oben § 4 Ε II und § 6 Β I. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Iffland, DB 1964, 1737, 1740 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 381; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Stein, NZA 1985, 180, 181; kritisch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 101 f. 10 So auch ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 371. Allerdings leitet das ArbG Verden aus der Klausel weitergehende Regelungswirkungen ab, die jedoch weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Abrede korrespondieren - siehe dazu unten § 16 Β II 2 b bb (2). 9
§ 10 Vorabunterwerfngs- und Verhadlungsklausel
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keine obligatorische TarifVereinbarung, weil sie nicht der Ausgestaltung ihres gegenseitigen Rechte- und Pflichtenstatus dient. 11 Genauso wenig trägt die Vorabunterwerfungsklausel einen unmittelbar normativen Rechtscharakter, denn sie statuiert keine originäre Ausfonnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Richtigerweise erfüllt sie als antezipierende Inkorporationsabrede lediglich eine rechtstechnische Funktion. 12 Soweit die Vorabunterwerfung allerdings auf eine in Zukunft liegende normative Tarifregelung zielt, richten sich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nach den Grundsätzen der tariflichen Normgebung. 13 Lembke gibt zu Bedenken, dass die Vorabunterwerfung als Vorvertrag gerichtet auf die spätere Anerkennung des in Bezug genommenen Tarifvertrages zu qualifizieren sei. 14 Mit einem Vorvertrag begründen die Sozialpartner einen zukünftigen Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrages zu bestimmten Konditionen. 15 Um den vorvertraglich strukturierten Arbeitsbedingungen normative Geltung zuzuweisen, bedarf es eines erneuten Rechtsaktes.16 Die Auslegung der Vorabunterwerfungsklausel spricht gegen einen vorvertraglichen Rechtscharakter, weil die Parteien des Anerkennungstarifvertrages fur den Fall des Inkrafttretens eines neuartigen VerbandstarifVertrages eine automatische Übernahme des erzielten Tarifkompromisses anstreben. Es soll keines weiteren Rechtsetzungsaktes bedürfen, um den Tarifregelungen unmittelbare und zwingende Normgeltung auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene zu verschaffen. Die Partner des Anerkennungstarifvertrages manifestieren bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren zukunftsbezogenen Normsetzungswillen. 11
So aber Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 661; vgl. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 (Fn. 28). 12 Allgemein hierzu oben § 4 F I 1 b. 13 Vgl. Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 104 ff. 14 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131. In Konsequenz dieser Bewertung würde sich die Frage stellen, ob die Vorabunterwerfung überhaupt arbeitskampfrechtlich erzwingbar ist - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515 einerseits und Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 266; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 39 andererseits. Siehe auch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG. ]5 BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 25.08.1982, AP Nr. 23 zu § 72a ArbGG Grundsatz; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG; BAG vom 24.11.1993, AP Nr. 114 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 116 und 118; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 373; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 265; Mangen, RdA 1982, 229, 232; Säcker/Strecket, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AR-Blattei, Tarifvertrag II Abschluss, Entscheidung 10; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; ders., Anm. zu BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 3. 16 BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 25.08.1982, AP Nr. 23 zu § 72a ArbGG Grundsatz; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG.
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Teil 3: Überleitung eines zukünftigen, neuartigen Verbandstarifvertrages 3. Tarifrechtliche Wirksamkeit der Vorabunterwerfungsklausel
In seiner Entscheidung vom 18.12.1996 äußert das Bundesarbeitsgericht Bedenken an der Rechtmäßigkeit der anerkennungstarifVertraglichen Vorabunterwerfung, 17 was Anlass gibt, mögliche Einwände auf ihre Berechtigung zu untersuchen.
a) Schriftform Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Vorabunterwerfung ergeben sich zunächst unter dem Gesichtspunkt des Schriftformzwangs gemäß § 1 Abs. 2 TVG. In der Diskussion um die förmlichen Anforderungen an dynamische Verweisungen stellt Iffland unter anderem darauf ab, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des VerweisungstarifVertrages zumindest die ursprüngliche Fassung des Bezugsobjektes in schriftlicher Form vorliege. 18 Im Falle der Vorabunterwerfung existiert jedoch bei Vertragsschluss gerade kein schriftlich fixiertes Bezugsobjekt. Inwieweit dieser Umstand rechtliche Relevanz erlangt, ist unter Berücksichtigung des mit dem Formzwang verfolgten Normzwecks zu ermitteln. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass § 1 Abs. 2 TVG keine Warnfunktion erfüllt, sondern ausschließlich der Klarstellung der Tarifinhalte dient. 19 Aus Klarstellungsgründen ist es erforderlich, aber gleichzeitig hinreichend, wenn sowohl die Vorabunterwerfungsklausel als auch das bezogene Tarifwerk in schriftlicher Form vorliegen und Irrtümer sowie Zweifel über die Reichweite der Verweisungsanordnung ausgeschlossen sind. 20 Ein Klarstellungsinteresse besteht ausschließlich im Zeitraum der jeweiligen Tarifhormgeltung. 21 Aus
17
BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Iffland, DB 1964, 1737, 1738; ähnlich Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 102 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 62. 19 Siehe oben § 5 A I 2 a. 20 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchfuhrungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; BAG vom 03.06.1997, AP Nr. 69 zu § 77 BetrVG 1972; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 122; Herschel, BB 1963, 1220, 1221; Iffland, DB 1964, 1737, 1737; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 237; vgl. auch Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f. 21 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 87; Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 18
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diesem Grund ist die Existenz eines schriftlich fixierten Bezugsobjektes im Zeitpunkt des Anerkennungstarifvertragsschlusses nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, weil die Vorabunterwerfung anfänglich keinen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zeitigt. Es genügt daher, wenn mit dem späteren Inkrafttreten eines neuartigen VerbandstarifVertrages die formellen Anforderungen des § 1 Abs. 2 TVG gewahrt sind.
b) Normenbestimmtheit Bei der Normsetzung kraft Verweisung müssen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot beachten.22 Mit der Vorabunterwerfungsklausel nehmen sie lediglich pauschal auf „alle" zukünftigen, neuartigen VerbandstarifVerträge Bezug. Im Unterschied zur dynamischen Verweisungsanordnung erfolgt damit keine enumerative Aufzählung der einschlägigen Bezugnahmeobjekte, sodass jede inhaltliche Begrenzung fehlt. Trotz der generalisierenden Formulierung verstößt die Vorabunterwerfung nicht gegen die Bestimmtheitsmaxime. Die rechtsstaatlichen Anforderungen sind bereits dann gewahrt, wenn eine hinreichende Grundlage ftir eine Bestimmbarkeit der jeweiligen Tarifinhalte vorliegt, wobei wiederum der Zeitpunkt der Normanwendung maßgebend ist. 23 Mit dem Inkrafttreten eines neuartigen Verbandstarifvertrages entstehen keine Unklarheiten über den Umfang der Inkorporationswirkung. Gerade durch die offene Fassung der Vorabunterwerfungsklausel wird klargestellt, dass universal alle künftigen Neuregelungen der Verbandstarifpartner in den Anerkennungstarifvertrag überfuhrt werden sollen.
c) Publizität Eine künftige, rechtswirksame Tarifhormgeltung lässt sich nur erzielen, wenn die jeweiligen Regelungsinhalte publiziert sind. 24 Das rechtsstaatliche Publizi-
Rn. 53; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 103; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 70; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 22 Ausführlich dazu oben § 5 A II und § 6 A II. 23 Vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Braun, BB 1986, 1428, 1428; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 121; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 377; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 53; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 70; Schulin, ZfA 1981, 577, 582. 24 Dazu bereits oben § 5 A III und § 6 A III.
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tätsgebot gilt ebenfalls erst ab dem Zeitpunkt der anvisierten Tarifnormgeltung. 25 Insofern sichern die gesetzlich vorgesehenen Informationsquellen der §§6 und 8 TVG sowie die verbandsrechtlichen Übersendungspflichten eine hinreichende künftige Zugänglichkeit auf Arbeitnehmerseite. Ein Publikationsdefizit ist allerdings auf Arbeitgeberseite zu besorgen, weil dem Unternehmer allenfalls das Tarifregister zur Verfügung steht. Kompensieren lässt sich diese Zugänglichkeitslücke durch die Anerkennung einer obligatorischen Unterrichtungsverpflichtung der beteiligten Gewerkschaft über das Inkrafttreten neuartiger VerbandstarifVerträge. 26
d) Grenzen der Tarifautonomie Das zentrale Problem der Vorabunterwerfungsklausel liegt in der Rechtfertigung vor Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.
aa) Streitstand und Problemaufwurf Das Bundesarbeitsgericht hat sich am Rande seiner grundlegenden Entscheidung zur Kündigung von Tarifverträgen in zwei Sätzen mit der Problematik der anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfung befasst, ohne abschließend Stellung zu beziehen.27 Es lässt ausdrücklich dahinstehen, ob die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Grenzen ihrer tarifVertraglichen Regelungsmacht überschritten haben. Immerhin gibt es zu bedenken, „dass es sich bei dem Tarifvertrag, um dessen Wirksamkeit die Parteien streiten, um einen FirmentarifVertrag handelt, die Beklagte [der anerkennende Arbeitgeber] die Regelung also selbst vereinbart hat." In der Rechtslehre finden sich kaum Vorarbeiten. Lediglich Lieb streift die durch eine Vorabunterwerfung aufgeworfene Problematik der Grenzen tariflicher Regelungsmacht ansatzweise.28 Seine Ausführungen beziehen sich allerdings auf den Fall, dass eine Gewerkschaft während des laufenden Arbeitskampfes um einen Verbandstarifvertrag parallel an einen nicht organisierten Außenseiterarbeitgeber herantritt und von ihm den Abschluss eines Firmentarifvertrages einfordert, in dem sich dieser „vorab" dem noch umkämpften Ver25
Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem Braun, BB 1986, 1428, 1431. 26 Siehe dazu bereits oben § 6 A III 2 b. 27 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 28 Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 669 f. Siehe auch die Ansätze bei Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f.
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bandstarifinhalt unterwerfen soll. In dieser Konstellation wiegen die tarifrechtlichen Bedenken nicht vergleichbar schwer, wie bei der anerkennungstarifVertraglichen Vorabunterwerfung. Regelmäßig hat der betroffene Arbeitgeber in dem von Lieb diskutierten Sachverhalt zumindest Kenntnis von den ursprünglichen Tarifforderungen, mit denen die Gewerkschaft in die VerbandstarifVerhandlungen eingetreten ist. 29 Bei der anerkennungstarifVertraglichen Vorabunterwerfung fehlt hingegen jeder anfängliche Anhaltspunkt für den Regelungsgehalt zukünftiger Bezugstarifverträge. Gleichwohl kritisiert Lieb einen „völligen Verzicht auf die eigenverantwortlich vom Arbeitgeber auszuübende Regelungsmacht".30 Zuzugeben ist Lieb, dass es sich bei der Vorabunterwerfung um den gravierendsten Fall einer antezipierenden Verweisung handelt. Bestand für die Sozialpartner bei der dynamischen Verweisung zumindest die Möglichkeit, den anfanglich bezogenen VerbandstarifVertrag auf seine sachgerechte Interessenverteilung zu überprüfen und hieraus die zukünftige Flächentarifentwicklung zu prognostizieren, so liegen die Dinge hier anders. Die Vorabunterwerfung knüpft an Bezugsobjekten an, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages noch nicht existieren. Es fehlt jeder Hinweis darauf, welche neuen Tariffelder die Verbandstarifparteien in Zukunft erschließen werden, was eine sinnvolle Prognoseentscheidung nahezu unmöglich macht. Zieht man die Grundsatzrechtsprechung zur inhaltlich dynamischen Verweisung,31 zu der das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20.06.2001 auch im Hinblick auf Anerkennungstarifverträge zurückgekehrt ist, 32 ebenfalls für die Rechtfertigung der Vorabunterwerfung zu Rate, so ergeben sich dogmatische Ungereimtheiten. Aufbauend auf dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung befürwortet das Bundesarbeitsgericht eine Zulässigkeit von Blankettverweisungen ausschließlich dann, wenn die Sachgerechtigkeit der künftigen Tarifentwicklung vorhersehbar ist und stellt in diesem Kontext maßgebend auf den engen sachlichen Zusammenhang zwischen den Geltungsbereichen des verweisenden und des bezogenen Tarifvertrages ab. 33
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So Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008. Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 670; siehe auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f. 31 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 f. 32 BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. auch BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 33 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 09.06.1982, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; 30
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Teil 3: Überleitung eines zukünftigen, neuartigen VerbandstarifVertrages
Übernehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages kraft Vorabunterwerfung künftige, neuartige VerbandstarifVerträge der jeweiligen Branche, bleibt der sachliche Zusammenhang der Geltungsbereiche des Anerkennungsund des neuen VerbandstarifVertrages gewahrt. Dennoch sichert die Verwandtschaft der Geltungsbereiche in dieser Konstellation keine hinreichende Vorhersehbarkeit, weil im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages nicht abschätzbar ist, welche neuen Tariffelder in Zukunft erschlossen werden. Gerade die Diskussion um die Vorabunterwerftmg verdeutlicht also, dass die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Rechtfertigungskriterien nicht in der Lage sind, sämtliche antezipierende Verweisungskonstellationen einer sinnvollen Lösung zuzuführen. 34 Angesichts der Unbrauchbarkeit des Geltungsbereichskriteriums muss nach einem eigenständigen Rechtfertigungsansatz gesucht werden.
bb) Rechtfertigung der Vorabunterwerfung Bereits im Rahmen der Analyse anerkennungstarifVertraglicher Blankettverweisungen wurde herausgearbeitet, dass für Firmentarifverträge eigenständige Regeln gelten.35 Im Unterschied zur verbandstarifvertraglichen Rechtsetzung besteht keine logische Verknüpfung zwischen dem Erfordernis hinreichender Vorhersehbarkeit und dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung. 36
BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 20.10.1993, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt, vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung. Siehe dazu Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, ARBlattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Boerner, ZTR 1996, 435, 438; Buchner, NZA 1993, 289, 291; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 82 f.; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1231; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 378; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 130; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 16; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 88; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 198 ff. 34 Es fehlt daher im Urteil des BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag auch jede kritische Auseinandersetzung mit der im Tatbestand der Entscheidung wiedergegebenen Vorabunterwerfungsklausel (§ 2 Ziffer 2 des Anerkennungstarifvertrages). Zur allgemeinen Kritik bereits oben § 6 A IV 2 c aa. 35 Birk, ArbuR 1977, 235, 238. 36 Das Vorhersehbarkeitserfordernis besitzt bei VerbandstarifVerträgen indes seine grundsätzliche Berechtigung. Daher sind verbandstarifVertragliche Vorabunterwer-
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(I) Arbeitgeberseite Die Besonderheit der firmentarifVertragîîchen Normsetzung besteht darin, dass der Arbeitgeber gleichzeitig Tarifvertragspartei und Normadressat ist. 37 Weil die Tarifhormverantwortung somit keinerlei Drittbezug aufweist, ist es legitim, ihm einen sehr viel weiteren tarifautonomen Gestaltungsspielraum zuzuerkennen. Der Einzelarbeitgeber entscheidet selbst über die Art und Weise der künftigen Strukturierung der für sein Unternehmen maßgebenden Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen. Aus diesem Grund ist die Vorabunterwerftingserklärung Ausdruck seiner Entscheidungsfreiheit. Der anerkennende Arbeitgeber kann wirksam auf eine sichere Bewertungsgrundlage für sein zukunftsbezogenes Sachgerechtigkeitsurteil verzichten, wenn andere Motive für die Übernahme der verbandstarifVertraglichen Neuregelungen ausschlaggebend sind. Eine gerichtliche Kontrolle seiner Unterwerfüngsmotive würde dem Grundsatz der Unternehmensautonomie widersprechen und ist bereits deswegen entbehrlich, weil keine Drittinteressen nachteilig betroffen werden. Eines Schutzes vor seiner eigenen tarifautonomen Willenserklärung bedarf der Einzelarbeitgeber nicht. Genau diesen Ansatz der unternehmerischen Eigenverantwortlichkeit hat auch das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 18.12.1996 in das Zentrum seiner rechtlichen Argumentation gestellt und darauf verwiesen, dass der Arbeitgeber die Vorabunterwerfiingsklausel selbst vereinbart hat. 38 Solange sich also der Unternehmer aus eigenem Antrieb künftigen, verbandstarifVertraglichen Neuregelungen vorab unterwirft, bestehen auf Arbeitgeberseite entgegen der Auffassung Liebs keine Rechtmäßigkeitsbedenken unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Preisgabe tarifautonomer Regelungsmacht.39 Inwieweit die Vorabunterwerfungsklausel allerdings unter streikrechtlichem Druck erzwingbar ist, soll Gegenstand einer gesonderten Untersuchung sein.40
fungsklauseln im Lichte des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG kritisch zu bewerten, sodass die Einwände Liebs, Festschrift für Kissel, S. 653, 667 ff. - vgl. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f. - zumindest insofern anzuerkennen sind. 37 Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen durch Haustarifvertrag, S. 138; Löwisch/Rieble, §2 TVG Rn. 54; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 38 und § 258 Rn. 4; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 226; vgl. zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 717; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 353; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 125 f. 38 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. auch Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4. 39 Sollten sich infolge der Übernahme künftiger, neuartiger Verbandstarifverträge unzumutbare Regelungszustände ergeben, kann der Arbeitgeber den Anerkennungstarifvertrag außerordentlich kündigen. 40 Siehe dazu unten § 14 C.
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(2) Arbeitnehmerseite Obwohl das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 18.12.1996 insoweit kein Problembewusstsein zeigt, stellt sich die eigentliche Rechtfertigungsproblematik der Vorabunterwerfung auf Arbeitnehmerseite. 41 Die Gewerkschaft ist verpflichtet, ihre Regelungsbefugnis gegenüber den an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmern eigenverantwortlich auszuüben.42 Zur Rechtfertigung der Vorabunterwerfimg kann nicht darauf abgestellt werden, dass die Klausel regelmäßig von der Arbeitnehmervereinigung zum Gegenstand der anerkennungstarifbezogenen Vertragsverhandlungen gemacht wird, um den Außenseiterarbeitgeber universal, mit den koalierten Arbeitgebern gleichzustellen, denn die Gewerkschaft darf auf dem Rücken der Normadressaten keine allgemeinen tarifpolitischen Ziele verfolgen. Im Unterschied zur dynamischen Verweisung existiert bei der Vorabunterwerfiing kein ursprünglicher Bezugstarifvertrag, auf dem die Gewerkschaft ihre Sachgerechtigkeitsprognose aufbauen kann, was die Klausel im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG bedenklich erscheinen lässt. Einziges Fundament fur eine eigenverantwortliche Interessenwahrnehmung ist der Umstand, dass die Arbeitnehmervereinigung sowohl am Anerkennungstarifvertrag als auch an den neu zu schaffenden Verbandstarifverträgen beteiligt ist. Angesichts dieser Ausgangslage besitzt die Gewerkschaft maßgebenden Einfluss auf den Inhalt künftiger Bezugsobjekte. Ohne gewerkschaftliche Zustimmung können auf Verbandsebene keine neuen Tariffelder erschlossen werden. Weil das Konsensualprinzip somit eine effektive Einflussnahme auf die künftige Vertragssachgerechtigkeit ermöglicht, scheidet eine unzulässige Fremdbestimmung aus. Die Gewerkschaft kann das anfängliche Defizit an Vorhersehbarkeit durch ihre fortbestehende Regelungsmacht kompensieren, sodass die künftige Tarifentwicklung berechenbar bleibt. 43 Dass die Gewerkschaft bei der Erschließung neuartiger Tariffelder kaum auf die spezifischen Belange der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer Rücksicht nehmen wird, sondern vielmehr eine Durchsetzung ihrer branchenbezogenen Regelungsvorstellungen beabsichtigt, rechtfertigt 41 Das BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung stellt allein auf die besondere Rechtslage auf Arbeitgeberseite ab. Angesichts der arbeitnehmerseitigen Konsequenzen antezipierender Verweisungen halten Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung eine Sonderbehandlung des Firmentarifvertrages für ausgeschlossen. 42 Siehe dazu oben § 5 A IV 2 und § 6 A I V 2 b bb. 43 Die Gewerkschaft kann im Übrigen vor Inkrafttreten neuartiger VerbandstarifVerträge auf eine Aufhebung der Vorabunterwerfungsklausel hinwirken, wenn sie unsachgerechte Tarifbedingungen auf Anerkennungstarifebene befürchtet.
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keine andere Bewertung. Denn der Grundsatz der Tarifhormverantwortung verpflichtet nicht dazu, die erdenklich günstigste Tarifregelung zu statuieren. Auch die Tarifgestaltung auf Verbandsebene wird nicht den spezifischen Bedürfnissen sämtlicher verbandstarifgebundener Gewerkschaftsmitglieder gerecht. Der VerbandstarifVertrag verkörpert einen Kompromiss, welcher die unterschiedlichen Arbeitnehmerinteressen zum Ausgleich bringt. Überträgt die Gewerkschaft dieses Kompromisspaket auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages ist die hierdurch ermöglichte Partizipation der tarifgebundenen Arbeitnehmer an künftigen Flächentarifentwicklungen Folge einer eigenverantwortlichen Ausübung ihrer Rechtsetzungsmacht.
e) Negative Koalitionsfreiheit Zwar wird der Arbeitgebeber mit der Vorabunterwerfung den im Arbeitgeberverband organisierten Unternehmen in Zukunft völlig gleichgestellt. Dennoch erzeugt allein die universale inhaltliche Angleichung keinen unzulässigen mittelbaren Beitrittsdruck. 44 Beugt sich der Außenseiterarbeitgeber freiwillig der gewerkschaftlichen Forderung nach Anerkennung aller künftigen verbandstariflichen Neuregelungen, wird er in keiner Weise zu einem Koalitionsbeitritt veranlasst. Im Gegenteil macht er sich die normativen Vorgaben der Verbandstarifpartner zu Nutze, ohne dem koalitionsrechtlichen Pflichtenstatus zu unterliegen. Ob die Vorabunterwerfungsklausel allerdings mit Mitteln des Arbeitskampfes erzwungen werden kann, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. 45
f) Ergebnis Wenn die Gewerkschaft gleichzeitig an der Schaffung des Anerkennungstarifvertrages und der neuartigen VerbandstarifVerträge beteiligt ist, bestehen keine durchschlagenden tarifrechtlichen Bedenken gegen eine tarifautonom vereinbarte Vorabunterwerfungsklausel.
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Zum Schutz vor mittelbaren Grundrechtseingriffen - vgl. BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 96; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 284; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 39; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 267; ders., in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 227. 45 Siehe dazu unten § 14 C III.
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I I . Verhandlungsklausel Mit der Verhandlungsklausel verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, über die Aufnahme neuartiger VerbandstarifVerträge in den AnerkennungstarifVertrag zu verhandeln. Damit erleichtern sie das Zustandekommen einer zukünftigen tarifVertraglichen Einigung und beugen einer arbeitskampfrechtlichen Konfliktlösung vor. 46 Im Grundsatz unterscheiden Rechtsprechung und Lehre zwei verschiedene Typen eines Verhandlungsanspruchs. Einerseits kann er auf das tarifvertragliche Beendigungsstadium ausgerichtet sein, indem die Sozialpartner festlegen, dass nach Ablauf des Tarifvertrages zunächst ohne Androhung von Arbeitskampfinitteln über den Abschluss eines Nachfolgeabkommens zu verhandeln ist. 47 Zum anderen kann sich die Verhandlungsverpflichtung auf die Laufzeit des Tarifvertrages beziehen, sofern einzelne Regelungsgegenstände trotz bestehender Friedenspflicht einer einvernehmlichen Neuregelung zugänglich bleiben sollen, um in diesem Bereich auf Änderungen der sozialen Rahmenbedingungen reagieren zu können.48 Zwar ist die anerkennungstarifvertragliche Verhandlungsklausel keiner dieser Fallgruppen eindeutig zuzurechnen, weil sie weder an der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages anknüpft, noch bereits gültige tarifVertragliche Regelungskomplexe zur fakultativen Disposition der Sozialpartner stellt. Ihre Besonderheit liegt aber darin, dass sie die Zielrichtungen beider Typen miteinander kombiniert. Sie dient einerseits der vorübergehenden Verhinderung arbeitskampfrechtlicher Auseinandersetzungen, denn ohne Verabredung eines 46
Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 34; vgl. auch BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 1 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 184; Wiedemann/Thüsing, RdA 1995, 280, 285 f. In praxi erfüllt die Verhandlungsklausel eine Auffangfunktion, wenn die Parteien des AnerkennungstarifVertrages die strittige Regelungsfrage einer Vorabunterwerfung aus ihren Einigungsgesprächen ausklammern, weil der kleinste gemeinsame Nenner lediglich die Vereinbarung eines gegenseitigen Verhandlungsanspruchs zulässt - vgl. allgemein dazu Löwisch/ Rieble, in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 36. 47 BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 19.06.1984, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Verhandiungspflicht; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291; dies., in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 35. Siehe auch die Klausel in § 4 Ziffer 4.3 des Anerkennungstarifvertrages in BAG Vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 48 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 110; Hanau, Anm. zu BAG vom 14.02.1989, SAE 1990, 17, 17 f.; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 750. In diese Rubrik fällt auch die in den neuen Bundesländern häufig vereinbarte Revisionsklausel vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 278; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 182 (Fn. 49).
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Verhandlungsanspruchs könnte die Gewerkschaft den Arbeitgeber mit dem Ziel der Übernahme neuartiger Verbandstarifregelungen bestreiken, weil sich die relative Friedenspflicht des Anerkennungstarifvertrages nicht auf die neu erschlossenen Tariffelder erstreckt. 49 Auf der anderen Seite erfüllt die Klausel diesen Schutzzweck gerade während des zeitlichen Geltungsbereichs des Anerkennungstarifvertrages, sodass dessen inhaltliche Ergänzung ermöglicht wird.
1. Zulässigkeit der Verhandlungsklausel Ungeachtet der Kritik des überwiegenden Schrifttums 50 lehnt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Anerkennung eines allgemeinen Verhandlungsanspruchs ab. 51 Zur Rechtfertigung des anerkennungstarifVertraglichen Verhandlungsanspruchs bedarf es allerdings keines Eingehens auf diese Streitfrage, da er seine dogmatische Grundlage im Tarifvertrag selbst findet. Die Verhandlungsklausel ist dem obligatorischen Teil des Anerkennungstarifvertrages zuzuordnen, denn die Rechtswirkungen beschränken sich auf die
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Zur sachlich-gegenständlichen Reichweite der Friedenspflicht - vgl. BAG vom 21.12.1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1078; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 313; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 272; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 681 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 391. 50 Boetticher, Anm. zu BAG vom 02.08.1963, SAE 1964, 97, 98 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 276 f.; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 17 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 443; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 80; Löwisch, ZfA 1971, 319, 339; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 202 ff.; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 380 f.; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101 f.; ders., ZfA 1989, 283, 289; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 184 ff.; Wiedemann/Thüsing, RdA 1995, 280, 285 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 333. 51 BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 19.06.1984, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Verhandiungspflicht; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. Die Rechtsprechung wurde durch das BVerfG vom 20.10.1982, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht bestätigt. Siehe auch EGMR vom 06.02.1976, EuGRZ 76, 62, 62 ff. Zustimmend Coester, ZfA 1977, 87, 90 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 108; Koberski/Clasen/Menzel, §2 TVG Rn. 94 ff.; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 40; dies., in Münchener-Hdb, §246 Rn. 98; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 136; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 72. Neuerdings deutet sich ein Umdenken des Bundesarbeitsgerichts an, wenn es in seinem Urteil vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung verlangt, dass die Tarifvertragsparteien vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung alle Verhandlungsmöglichkeiten ausschöpfen müssen - vgl. dazu Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 182; dagegen Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2.
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Innenrechtsbeziehung zwischen den Sozialpartnern. 52 Weil die Abrede das spätere Zustandekommen einer tarifvertraglichen Regelung begünstigt und daher die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gezogene Grenze der allgemeinen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beachtet, unterfällt sie der obligatorischen Regelungsmacht der Parteien des Anerkennungstarifvertrages. 53 Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist nicht zu besorgen. Insbesondere verpflichtet die Verhandlungsklausel die Gerichte keinesfalls zu einer unzulässigen Inhaltskontrolle des auszuhandelnden Tarifabkommens. 54 Ohne jede inhaltliche Nachforschung lässt sich anhand formaler Kriterien zweifelsfrei feststellen, ob die Tarifpartner ihrer Pflicht zur Verhandlung über die Inkorporierung neuartiger VerbandstarifVerträge nachgekommen sind. Somit bestehen im Ergebnis keine Bedenken gegen die tarifautonome Vereinbarung eines Verhandlungsanspruchs, was auch vom Bundesarbeitsgericht nicht in Abrede gestellt wird. 55
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BAG vom 14.01.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 626; Hanau, Anm. zu BAG vom 14.02.1989, SAE 1990, 17, 17 f.; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 17; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291; dies., in MünchenerHdb, § 277 Rn. 34; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 747 und 749; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 737. 53 Vertragsfreiheit gilt zumindest für die Gruppe der so genannten obligatorischen „Eigenpflichten" - vgl .Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 173; Richardi, Kollektivgewalt und Individuatile, S. 199 und 202 f.; Reuter, Anm. zu BAG vom 07.11.1995, JuS 1997, 184, 184; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 156; Wallisch, TarifVertragliche Einwirkungspflichten, S. 80; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 540; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 303 f., Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 362 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 267; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 663. 54 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 277; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der TarifVertragsparteien, S. 182 f. und 216; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 381 f.; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 735 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 186; siehe auch BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. Zu diesem Einwand - vgl. BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 109; Coester, ZfA 1977, 87, 95 und 107; siehe auch Belling, NZA 1996, 906, 909. 55 BAG vom 24.02.1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; vgl. auch BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung. So auch das Schrifttum - vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 110; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 278 und 626; Hanau, Anm. zu BAG vom 14.02.1989, SAE 1990, 17, 17 f.; Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291; dies., in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 35; Mikosch, Festschrift fur Diete-
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2. Rechtsfolgen der Verhandlungsklausel Die Verhandlungsklausel statuiert die Verpflichtung, auf gleichberechtigter Basis über die Anerkennung neuartiger VerbandstarifVerträge zu verhandeln. 56 Dabei ist maßgebend das zwischen den Partnern des AnerkennungstarifVertrages bestehende Dauerrechtsverhältnis zu berücksichtigen. 57 Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bedeutet dies eine Einlassungs- und Erörterungspflicht. Keine Partei darf anstehende Tarifgespräche von vornherein grundlos verweigern, sondern muss sich ernsthaft auf die Verhandlungsposition des Gegenspielers einlassen. Selbst dann, wenn verbandstarifvertragliche Neuregelungen nach Auffassung einer Seite unakzeptable Belastungen zum Inhalt haben, müssen direkte Beratungen geführt werden. Allerdings kann der Vertragspartner nicht mehr als eine ernsthafte Erörterung der Übernahmeforderung verlangen. Es besteht weder eine Tarifabschlusspflicht, noch muss eine Tarifpartei von ihrem Standpunkt abrücken und den Forderungen der Gegenseite nachgeben.58 Nach der Aussprache über die widerstreitenden Positionen dürfen die Sozialpartner, ohne gesonderte Darlegung der maßgebenden Gründe, weitere Verhandlungen ablehnen und es auf eine arbeitskampfrechtliche Konfliktlösung ankommen lassen.59 Erklären sich die rich, S. 365, 382; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 747 und 749 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 72; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 182; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. 56 Vgl. BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 211 ff.; Seiter, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 736 f.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 188; Wiedemann/Thüsing, RdA 1995, 280, 286; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 276; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 203 und 207. 57 Zum Rechtsgedanken der Dauerrechtsbeziehung - vgl. Arnold, Die tarifrechtliche Dauerrechtsbeziehung, S. 82 ff.; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der TarifVertragsparteien, S. 170 ff.; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 207; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 367; Seiter, ZfA 1989, 283, 289; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 185; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372; kritisch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 109. 58 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 211', Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 181 f. und 211; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 201 ff.; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 380 f.; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 735; vgl. auch Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 186; Wiedemann/Thüsing, RdA 1995, 280, 285 f. 59 Zu den arbeitskampfrechtlichen Rechtsfolgewirkungen eines Verhandlungsanspruchs - vgl. BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; siehe auch Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33. Allgemein zu den Konsequenzen des ultima-ratio-Prinzips - vgl. Löwisch, ZfA 1971, 319, 339; MayerMaly, RdA 1966, 201, 206; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristi-
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Parteien des Anerkennungstarifvertrages hingegen grundsätzlich zur Übernahme der verbandstariflichen Neuregelung bereit, dann unterliegt die konkrete Vertragsumsetzung ihrer tarifautonomen Gestaltungsfreiheit. Notwendig ist daher eine gesonderte Einigung im Hinblick auf den statischen oder dynamischen Verweisungscharakter. Darüber hinaus kann jede Seite ihre Einigungsbereitschaft davon abhängig machen, dass zu ausgewählten Regelungspunkten abweichende Sondervereinbarungen geschlossen werden. Der Umfang der Besprechungspflicht ist umstritten. Als gesichert gilt, dass jedenfalls eine Verhandlungssitzung eingefordert werden kann. Weitergehend schlägt Wiedemann mindestens zwei Verhandlungsrunden vor - eine zur Darlegung der Standpunkte und eine zu deren Erörterung. 60 Andere Stimmen belassen es bei einer Verhandlungssitzung, wenn die Tarifforderungen bereits vor Gesprächsbeginn aufgestellt waren. 61 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages wird im Regelfall eine Beratungsrunde ausreichen. Beide Parteien wissen um das anvisierte Verhandlungsziel, nämlich die Anerkennung eines neuartigen VerbandstarifVertrages. Vor Aufnahme der Gespräche können sie die feststehenden Neuregelungen auf ihre Sachgerechtigkeit überprüfen. Es bedarf mithin keiner gesonderten Vorstellung der Tarifforderungen, sodass ohne Umschweife zur Anerkennungsforderung verhandelt werden kann. Prozessual durchsetzbar ist der anerkennungstarifvertragliche Verhandlungsanspruch im Wege der Leistungsklage62 vor den gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 sehen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 741 ff.; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 184; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 372. 60 Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 189. 61 Otto, in Münchener-Hdb, § 286 Rn. 21; vgl. zudem Konzen, Anm. zu BAG vom 17.12.1976, SAE 1977, 235, 237; Seiter, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 583, 596. 62 Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 228; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 749; vgl. auch BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 277; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 188. Es ist nicht abschließend geklärt, ob ein Vorrang der klageweisen Durchsetzung des Verhandlungsanspruchs vor einer arbeitskampfrechtlichen Durchsetzung besteht. Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 746 ff.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht lehnen einen „allgemeinen" Vorrang der Klagerechts ab. Durch Auslegung der Verhandlungsklausel kann aber ein vorläufiger Verzicht der Gewerkschaft auf eine arbeitskampfrechtliche Erstreikbarkeit begründet werden. Es erscheint indes bedenklich, allein aus der anerkennungstarifVertraglichen Dauerrechtsbeziehung und den daraus resultierenden Schutz- und Rücksichtnahmeverpflichtungen einen zwingenden Vorrang des Klagerechts herzuleiten. Jeder Partner des Anerken-
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ArbGG zuständigen Arbeitsgerichten. 63 Die gerichtliche Geltendmachung erfordert eine präzise Bezeichnung des Verhandlungsanspruchs, 64 was der klagendenden Tarifpartei unschwer möglich ist, da sie das anvisierte Beratungsziel in Form der Übernahme eines neuartigen VerbandstarifVertrages genau benennen kann. Im Klageantrag muss zudem das geschuldete Verhalten spezifiziert werden, indem auf Festsetzung eines Verhandlungsorts und -termins geklagt wird. 65 Weil die Verhandlungsfuhrung eine unvertretbare Handlung darstellt, kann das arbeitsgerichtliche Leistungsurteil im Wege der Zwangsvollstreckung nach §§62 Abs. 2 ArbGG, 888 Abs. 1 ZPO durchgesetzt werden. 66 Einwände gegen die Anwendung der allgemeinen Zwangsvollstreckungsregeln sind unberechtigt. Zwar entnimmt Hanau der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.02.1989,67 dass das Gericht weniger an eine Durchsetzung des Verhandlungsanspruchs durch Urteil oder Zwangsvollstreckung, sondern vielmehr an eine arbeitskampfrechtliche Erzwingung denke.68 Die höchstrichterlichen Ausfuhrungen dienen jedoch ausschließlich der kritischen Würdigung eines allgemeinen Verhandlungsanspruchs, sodass hieraus keine Einwendung gegen die Vollstreckbarkeit eines tarifvertraglich begründeten Verhandlungsanspruchs abgeleitet werden kann. Bereits der Wortlaut der Verhandlungsklausel belegt das Interesse an einer zügigen Umsetzung des Anspruchs. Neben einer unter Umständen zeitrauben-
nungstarifvertrages hat im Falle der Verhandlungsverweigerung durch die Gegenseite das Wahlrecht, ob er zunächst seinen Verhandlungsanspruch einklagt oder ob er sofort Kampfmaßnahmen ergreift. 63 Zur Rechtswegzuständigkeit im Falle eines schuldrechtlich begründeten Verhandlungsanspruchs - vgl. Matthes, in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 2 ArbGG Rn. 12; siehe auch BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. Zur Rechtswegzuständigkeit im Falle eines allgemeinen Verhandlungsanspruchs - vgl. BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; Brehm, in Münchener-Hdb, § 389 Rn. 17; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 749 einerseits und Boetticher, Anm. zu BAG vom 02.08.1963, SAE 1964, 97, 98; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 227 f. andererseits. 64 BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 189; vgl. auch Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 203. 65 Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 189; großzügig BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. 66 Boetticher, Anm. zu BAG vom 02.08.1963, SAE 1964, 97, 99; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 207; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 749; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 ÎVG Rn. 188. 67 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. 68 Hanau, Anm. zu BAG vom 14.02.1989, SAE 1990, 17, 17 f.; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 109; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 136.
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den klageweisen Erzwingung der Übernahmeverhandlungen steht den Partnern des Anerkennungstarifvertrages der einstweilige Rechtsschutz offen. 69 Verweigert eine Partei die Aufnahme von Gesprächen, ist die Gegenseite berechtigt, eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 940, 938 Abs. 1 ZPO zu erwirken. Zwar wird dies im Regelfall eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten, die jedoch deshalb notwendig erscheint, weil anderenfalls der Regelungszweck, der in einer zeitnahen Anbindung des anerkennenden Arbeitgebers an das nunmehr gültige Verbandstarifhiveau liegt, nicht angemessen verwirklicht werden kann. Im Übrigen belastet die Vorwegnahme der Hauptsache den Antragsgegner nicht über Gebühr, weil er lediglich zu einer ergebnisoffenen Verhandlung verpflichtet wird. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die anerkennungstarifvertragliche Verhandlungsklausel keinen umfassenden Verhandlungsanspruch begründet, sondern an konkreten Gesprächsgegenständen anknüpft. Sie soll lediglich Absprachen über die künftige Anerkennung neuartiger VerbandstarifVerträge erleichtern. Weil sich ihre Rechtswirkungen somit streng auf die Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages beschränken, statuiert die Klausel keinen „nachvertraglichen" Verhandlungsanspruch. 70 Nach Beendigung des Anerkennungstarifvertrages hat es keinen Sinn, neuartige VerbandstarifVerträge zu inkorporieren, wenn die ursprünglich übernommenen Verbandstarifbestimmungen bereits ihre zwingende Wirkung verloren haben. Eine Fortgeltung der Verhandlungspflicht ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Nachwirkung, denn obligatorische Tarifklauseln werden von § 4 Abs. 5 TVG nicht erfasst. 71
3. Rechtsfragen der Einigungsklausel Besondere Rechtsfragen wirft der zweite Satz der Verhandlungsklausel auf, der die Parteien des Anerkennungstarifvertrages verpflichtet, mit dem Willen zur Einigung zu verhandeln. Vorgegebenes Ziel der Einigungsgespräche ist die Übernahme der verbandstarifvertraglichen Neuregelungen, sodass primär der Arbeitgeber in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt wird. Eine vergleichbare Willensbindung hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom
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Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 188; zurückhaltend Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 229. 70 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 110; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 291. Bei Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 277 Rn. 35 a.E. handelt es sich wohl um ein redaktionelles Versehen. 71 BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG. Allgemein hierzu Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1451; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 880; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 366; vgl. auch Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 305; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 679; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 409.
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18.12.1996 beschäftigt, in dem es Bedenken wegen der Überschreitung der tariflichen Regelungsmacht äußert, ohne jedoch abschließend Stellung zu beziehen.72
a) Rechtscharakter Voraussetzung einer Bewertung der Einigungsklausel ist die Analyse ihres Rechtscharakters. In Anbetracht der Zielrichtung der Einigungspflicht ist über eine Qualifizierung als vorvertragliches Schuldverhältnis nachzudenken.73 Aus rechtlicher Sicht ist eine solche Bewertung jedoch unhaltbar. Ein Vorvertrag entsteht nur, wenn die Sozialpartner ihre bedingungslose Bereitschaft zum späteren Abschluss des Hauptvertrages erklären. 74 Mit der Einigungsklausel dokumentieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages keinen Bindungswillen bezogen auf die spätere Anerkennung neuartiger Verbandstarifverträge, denn es verbleibt ihnen trotz des anvisierten Einigungsziels ein Verhandlungsspielraum. Insbesondere besteht fur den Arbeitgeber nach dem Klauselwortlaut kein Abschlusszwang.75 Darüber hinaus widerspricht die formale Niederlegung
72 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung - Bewertungsgegenstand war dort ein „nachvertraglicher" Verhandlungsanspruch, der die Tarifvertragsparteien nach der Kündigung des Anerkennungstarifvertrages zur Aufnahme von Gesprächen über die neuerliche Anerkennung der einschlägigen VerbandstarifVerträge verpflichtete. 73 Mit einer Charakterisierung als Vorvertrag wäre die umstrittene Rechtsfrage der Erkämpfbarkeit aufgeworfen - vgl. dazu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515 einerseits und Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 266; dies., in Münchener-Hdb, §253 Rn. 39 andererseits; siehe auch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG. 74 BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 25.08.1982, AP Nr. 23 zu § lidi ArbGG 1979 Grundsatz; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 116 und 118, Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 373; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 296; Mangen, RdA 1982, 229, 232; Säcker/Strecket, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AR-Blattei, Tarifvertrag II Abschluss, Entscheidung 10; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; ders., Anm. zu BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 3; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 370. 75 Gegen eine Qualifizierung als vorvertragliches Schuldverhältnis spricht auch die Überlegung, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Zweifel der Einigungsklausel einen Rechtscharakter zuweisen wollen, der keine Rechtmäßigkeitsbedenken nach sich zieht. Nach BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form setzt ein Vorvertrag auf späteren Abschluss eines Tarifvertrages voraus, dass die inhaltlichen Vorgaben des anvisierten Tarifwerkes im Wesentlichen feststehen, sodass allein die auf den Hauptvertrag ausgerichtete Ausübung des Abschlussrechts ausreicht, um eine sachliche Willensübereinstimmung herbeizufuhren. Wie das LAG Thüringen vom 24.10.1994, BB 1995, 1085, 1085 zutreffend feststellt, ist den Arbeitsgerichten im Lieh-
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der Einigungsklausel im Anerkennungstarifvertrag der Qualifizierung als vorvertragliche Abrede. Wird ein Tarifvertrag geschlossen, streitet eine Vermutung dafür, dass sämtliche Regelungen tarifVertraglicher Natur sind. Aus diesem Grund hätte es zur Begründung eines gesonderten vorvertraglichen Schuldverhältnisses einer ausdrücklichen Abrede bedurft. Folglich besitzt die Einigungsklausel TarifVertragsqualität. Ihr Rechtscharakter ist obligatorischer Natur, weil sich die unmittelbaren Rechtswirkungen ungeachtet der bezweckten Bindungswirkung im Hinblick auf eine spätere Normgebung vorerst auf das interne Rechtsverhältnis zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages beschränken.
b) Rechtliche Zulässigkeit Da die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages mit der Einigungsklausel eine so genannte Eigenpflicht konkretisieren, genießen sie in den Grenzen des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Vertragsfreiheit. 76 Mit der vereinbarten Willenste des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG eine inhaltliche Schließung von Regelungslücken untersagt. In der Einigungsklausel geben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages keine Auskunft über die späteren Tarifinhalte, weil der Regelungsgehalt zukünftiger Bezugsobjekte im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unbekannt ist. Aus diesem Grund äußert Birk, ArbuR 1977, 235, 236 (ähnlich Mangen, RdA 1982, 229, 233) Bedenken gegen ein Vorvertragsblankett. Nach seiner Ansicht entstehe ein wirksamer Vorvertrag über eine spätere Anerkennungsverpflichtung nur, wenn der fremde „Tarifvertrag schon genügend konkretisiert ist, das heißt sein normativer Inhalt so gut wie feststeht." Auch das BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form argumentiert im Hinblick auf die Wirksamkeit des Vorvertrages entscheidend mit dem Umstand, dass dem Arbeitgeber der Inhalt des anzuerkennenden VerbandstarifVertrages bei Abschluss des Vorvertrages zur Verfügung stand. Demgegenüber vertritt Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 3 die konträre Auffassung, nämlich dass sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auch zur Übernahme eines noch nicht abgeschlossenen - also unbekannten - VerbandstarifVertrages im Voraus verpflichten können. Hierfür spricht zwar, dass mit Inkrafttreten eines neuartigen VerbandstarifVertrages keine Unklarheiten über den Inhalt des abzuschließenden Hauptvertrages entstehen, weil dieser lediglich die Niederlegung einer Anerkennungsvereinbarung beinhaltet und die Gerichte somit nicht zu einer inhaltlichen Lückenfullung verpflichtet werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch im Falle einer antezipierenden Bindung an spätere VerbandstarifVerträge im Wege der Vorabunterwerfiing die zukünftigen Regelungsinhalte nicht bekannt sind und dennoch keine durchschlagenden Rechtmäßigkeitsbedenken geltend gemacht werden. Dennoch ist hier nicht davon auszugehen, dass die Sozialpartner auf das rechtlich umstrittene Regelungsinstrumentarium des Vorvertrages zurückgreifen wollen. 76 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 173; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 199 und 202 f.; Reuter, Anm. zu BAG vom 07.11.1995, JuS 1997, 184, 184; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 156; Wallisch, Tarifvertragliche Einwirkungspflichten, S. 80; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 540; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 303 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG
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bindung bewegen sie sich innerhalb des Legitimationszusammenhangs der allgemeinen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Etwaige Bedenken im Hinblick auf eine unzulässige Übertragung tariflicher Regelungsmacht sind unbegründet, weil noch keine normativen Rechts Wirkungen erzeugt werden und daher der strenge Grundsatz der Tarifhormverantwortung keine Anwendung findet. 77 Aus dem Umstand, dass die Einigungsklausel auf eine spätere normative Tarifgestaltung zielt, ergibt sich nichts Gegenteiliges, da sowohl dem anerkennenden Arbeitgeber als auch der Gewerkschaft die Normsetzungsfreiheit mangels zwingender Tarifabschlusspflicht erhalten bleibt. Wenn im Übrigen die ohnehin weiterreichende Vorabunterwerfung keinen unzulässigen Regelungsverzicht bedeutet, kann argumentum a maiore ad minus für die obligatorische Einigungsklausel kein strengerer Maßstab gelten.78
c) Durchsetzbarkeit Da die praktische Bedeutung der Einigungsklausel entscheidend von ihrer Durchsetzbarkeit abhängt, stellt sich die Frage, welche Handhabe die Gewerkschaft gegenüber einem nicht einigungswilligen Arbeitgeber besitzt. Einen Anhaltspunkt liefert die parallele Diskussion zu §74 Abs. 1 Satz2, l . H S BetrVG. 79 Die Vorschrift verpflichtet den Betriebsrat und den Arbeitgeber, bei strittigen Fragen mit dem „ernsthaften Willen zur Einigung" zu verhandeln.
Rn. 362 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 267; Wiedemann. , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 663. 77 Zur Erstreckung des Grundsatzes der TarifVerantwortung auf normative Tarifbestimmungen - vgl. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; siehe zudem BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe allgemein dazu Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 124 ff.; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 9 ff.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 303 und 306; Wiedemann , in Wiedemann, § Ί TVG Rn. 198 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 435. Siehe aber auch Buchner, NZA 1993, 289, 292, der den Grundsatz der Tarifhormverantwortung auf schuldrechtlich bindende Vorverträge überträgt, wenn bereits eine künftige, zwingende Tarifabschlusspflicht begründet wird. Die hier diskutierte Einigungsklausel begründet aber gerade keine verbindliche Abschlussverpflichtung. 78 Ungeachtet des Umstandes, dass die höchstrichterliche Berufung auf den Grundsatz der Tarifhormverantwortung im Kontext obligatorischer Tarifabreden verfehlt ist, findet der Hinweis des BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung auf die Besonderheiten des Firmentarifvertrages auch hier seine Berechtigung. 79 Zu diesem Ansatz siehe auch Coester, ZfA 1977, 87, 97; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der TarifVertragsparteien, S. 201 ff. und 213; Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 203; Mikosch,, Festschrift ftir Dieterich, S. 365, 381; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101; ders., Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 737.
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Nach allgemeiner Ansicht gewährleistet §74 Abs. 1 Satz2, l . H S BetrVG lediglich eine Einlassungs- und Erörterungspflicht, ohne die Betriebspartner auf eine Kompromisslösung zu verpflichten. 80 Kreutz verneint mangels entsprechender inhaltlicher Ausgestaltung jede selbstständige Anspruchsqualität der Vorschrift mit der Folge, dass keiner Seite ein Erfüllungsanspruch zusteht.81 Nichts anderes kann fur die anerkennungstarifvertragliche Einigungsklausel gelten. Ein eigenständiger Anspruch - ausschließlich auf Bildung eines bestimmten Willens gerichtet - scheitert an seiner fehlenden inhaltlichen Konkretisierung. Auf die Innehabung eines Willens können Ansprüche nicht abzielen, wenn der Wille nicht an äußerlich im Rechtsverkehr zu Tage tretenden Umständen festgemacht werden kann. Eine sinnvolle Bewertung, ob die Parteien des Anerkennungstarifvertrages tatsächlich mit dem wahren Willen zur Einigung verhandeln, erscheint unmöglich. Mit den Worten Wiedemanns gesprochen ist der „innere Wille zur Verhandlung nicht erzwingbar". 82 Eine Durchsetzung im Wege der Leistungsklage scheitert formell daran, dass einem Klageantrag auf „ernsthafte Verhandlung mit dem Willen zur Einigung" jede inhaltliche Bestimmtheit fehlt. 83 In materieller Hinsicht müsste das Gericht die Motive für die Verweigerungshaltung ermitteln, was im Tarifrecht durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG untersagt ist. 84 Keine Partei darf sich gerichtlicher 80
Berg, in Däubler/Kittner/Klebe, §74 BetrVG Rn. 10; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, § 74 BetrVG Rn. 9 f.; Hess, in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 7 f.; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 202 f.; Kreutz, in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 25 f.; Richardi, § 74 BetrVG Rn. 12. 81 Kreutz, in GK-BetrVG, § 74 BetrVG Rn. 27. So im Ergebnis auch Berg, in Däubler/Kittner/Klebe, § 74 BetrVG Rn. 10; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, § 74 BetrVG Rn. 9 f.; Hess, in Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 74 BetrVG Rn. 8; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 204; Richardi, § 74 BetrVG Rn. 12. 82 Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 189. Siehe auch Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 213; Koberski/Clasen/Menzel, § 2 TVG Rn. 98; Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365, 381; Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 737. 83 Zum Bestimmtheitserfordernis beim Klageantrag - vgl. BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 189. 84 Seiter, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 729, 735 f. Zum Verbot der Inhaltskontrolle bei der Geltendmachung eines tarifvertraglichen Verhandlungsanspruchs - vgl. BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 109; Coester, ZfA 1977, 87, 95 und 107; Koberski/Clasen/Menzel, § 2 TVG Rn. 98; siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 277; Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der TarifVertragsparteien, S. 182 f. und 216; Mikosch, Festschrift für Dieterich, S. 365,
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Hilfe bedienen, um einen vertragsunwilligen Sozialpartner zum Tarifabschluss zu bewegen. Staatliche Gerichte besitzen keine Befugnis zur Zwangsschlichtung, 85 da sich ihre Rechtsprechungskompetenz auf Regelungsstreitigkeiten nicht erstreckt. Darüber hinaus lässt sich die Einigungsbereitschaft vollstreckungsrechtlich nicht umsetzen, weil der einschlägige § 888 Abs. 1 ZPO 86 - wie insbesondere § 888 Abs. 3 ZPO beweist - nur die Funktion einer Willensbeugung erfüllt, aber nicht der tatsächlichen Herstellung einer bestimmten Willensausrichtung dient. 87 Ist die Ausrichtung des inneren Willens somit der Zwangsvollstreckung unzugänglich, verbleibt den Sozialpartnern ausschließlich der Arbeitskampf als Mittel zur Willensbeugung im Tarifrecht. Mangels Durchsetzbarkeit muss die Einigungsklausel als reine Absichtserklärung qualifiziert werden. 88 Absichtsbekundungen sind häufig Gegenstand von TarifVereinbarungen und aus rechtlicher Sicht unproblematisch. De facto ist die Einigungsklausel auch nicht völlig bedeutungslos, denn sie verdeutlicht den Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, vor Ergreifung von Arbeitskampfmaßnahmen mit Nachdruck über die Inbezugnahme neuartiger VerbandstarifVerträge zu verhandeln. Daher kann im Wege ergänzender Auslegung die Intensität der Verhandlungspflicht erweitert werden. Die Gewerkschaft muss die „gesteigerte" Einlassungs- und Erörterungspflicht an formal feststellbaren Verhaltensweisen ausrichten, die dann auch einklagbar und vollstreckbar sind. Insofern bleibt es gewerkschaftlicher Fantasie überlassen, welches konkrete Verhandlungsverhalten sie vom Arbeitgeber einfordert. Denkbar ist die klageweise Erzwingung mehrerer Verhandlungsrunden. Außerdem kann die Gewerkschaft den Arbeitgeber zur Darlegung der sachlichen Gründe für seine
381 f.; Seiter, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, SAE 1984, 100, 101; Wiedemann, , Anm. zu BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 186; Wiedemann/Thüsing,, RdA 1995, 280, 285. 85 BAG vom 02.08.1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG. 86 Da die Parteien des Anerkennungstarifvertrages keine vorvertragliche Bindungswirkung herbeigeführt haben und somit nicht zum Abschluss einer künftigen Anerkennungsvereinbarung verpflichtet sind, findet die Vorschrift des § 894 Abs. 1 ZPO über die Vollstreckung von Willenserklärungen keine Anwendung - vgl. Boetticher, Anm. zu BAG vom 02.08.1963, SAE 1964, 97, 99; siehe auch Mayer-Maly, RdA 1966, 201, 207. 87 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1076; Brehm, in Stein/Jonas, § 888 ZPO Rn. 1; Stöber, in Zöller, § 888 ZPO Rn. 1. 88 Konzen, Anm. zu BAG vom 14.07.1981, EzA Art. 9 GG Nr. 33; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 114; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 745; siehe zudem Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 268.
290
Teil 3: Überleitung eines zukünftigen, neuartigen VerbandstarifVertrages
fehlende Anerkennungsbereitschaft verpflichten. 89 Solange die Arbeitsgerichte nicht zu einer Kontrolle der Motivationslage des Arbeitgebers veranlasst werden und mit ihrer Verurteilung keinen mittelbaren Abschlusszwang begründen, sind sie im Ergebnis berechtigt, die Einlassungs- und Erörterungspflichten des Arbeitgebers zu intensivieren.
4. Ergebnis Die anerkennungstarifvertragliche Verhandlungsklausel ist wirksam und mittels Leistungsklage durchsetzbar. Durch eine obligatorische Absichtserklärung können die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihre künftige Einigungsbereitschaft manifestieren, wobei mit jener Bekundung kein Klagerecht korrespondiert.
89
Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, S. 215 erwägt eine gesteigerte Informationspflicht des Arbeitgebers über alle Daten, die aus gewerkschaftlicher Sicht für den Abschluss des Tarifvertrages von Bedeutung sind.
Teil 4
Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben eines Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag - insbesondere die Rechtskonformität und Rechtsfolgen der dynamischen Rechtsstatusklausel In einer Vielzahl der Anerkennungstarifverträge findet sich unter der Überschrift „Rechtsstatus des Tarifvertrages" folgende Klausel, die bereits Gegenstand höchstrichterlicher Betrachtung war: 1 Die in Bezug genommenen Tarifverträge gelten in der jeweils gültigen Fassung und mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus 2 Um die Verweisung auf den jeweiligen Rechtsstatus des Verbandstarifvertrages zu veranschaulichen, formulieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages folgende konkretisierenden Anordnungen: Werden die bezogenen Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages als gekündigt.3 Forderungen, die zu den in Bezug genommenen Tarifverträgen gestellt werden, gelten auch gegenüber der Partei dieses Anerkennungstarifvertrages als gestellt.4
1
BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Siehe § 3 Ziffer 3.1 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung und § 3 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Vgl. auch § 3 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 30.08.2000, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie. Siehe zudem § 3 des Anerkennungstarifvertrages in ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 371. Eine in ihrer Reichweite beschränkte statusrechtliche Anordnung schlägt Bauer, JuS 1999, 765, 770 vor: Für den Fall, dass einer der genannten Verbandstarijverträge endet, gilt eine Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. TVG bis zum Inkrafttreten einer Nachfolgeregelung als vereinbart. 3 Siehe § 3 Ziffer 3.2 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Vgl. dazu auch § 3 Ziffer 1 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 123 f. 4 Siehe § 3 Ziffer 3.3 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 2
292 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifvertrages
Arbeitskampffreiheit und Friedenspflicht regeln sich so, als wäre die Firma Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der die bezogenen Tarifverträge abgeschlossen hat.5 Diese für dynamische Anerkennungstarifverträge charakteristische Vertragsbestimmung soll zum Anlass genommen werden, um unterschiedliche Problemlagen zu beleuchten, die mit dem Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages zusammenhängen. Zu Beginn des Kapitels werden Konstellationen zur Diskussion gestellt, die bei allen tariflichen Bezugnahmeanordnungen auftreten können - also kein Spezifikum des Anerkennungstarifvertrages darstellen. Dabei ist zunächst der Frage nachzugehen, ob der bezogene VerbandstarifVertrag trotz seiner Beendigung weiterhin als taugliches Bezugnahmeobjekt zur Verfügung steht, wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine unmittelbare und zwingende Tarifhormgeltung anstreben. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob die Sozialpartner ihren inkorporierten Tarifbestimmungen den Rechtsstatus einer „beendeten" Tarifhorm zuweisen dürfen. Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse sind Ausgangspunkt, um die eingangs beschriebene dynamische Rechtsstatusklausel einer kritischen Bewertung zuzuführen.
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefugnis Wechselwirkung zwischen dem Rechtsstatus des Anerkennungs- und des Verbandstarifvertrages im Allgemeinen A. Vereinbarung eines unmittelbar zwingenden Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages I. Anwendungsfalle Im Normalfall verweisen die Tarifvertragsparteien auf VerbandstarifVerträge, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages unmittelbare und zwingende Wirkung im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG entfalten. Es sind aber 5
Siehe § 3 Ziffer 3.4 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Siehe zudem Ziffer 3 Satz 2 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form: Die beiden Parteien sind sich einig, dass die Fragen der Laufdauer und der Friedenspflicht so zu behandeln wären, als wenn die Firma Mitglie des Arbeitgeberverbandes wäre. In einzelnen Anerkennungstarifverträgen findet sich auch folgende Klausel: Sofern die zwischen den Verbandstarifvertragsparteien geführten Verhandlungen von einer V handlungspartei als ausgeschöpft oder gescheitert angesehen werden, gelten diese au zwischen den Parteien dieses Vertrages als ausgeschöpft bzw. gescheitert.
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefgnis
293
Fälle denkbar, in denen die Sozialpartner auf Verbandstarifnormen im Beendigungsstadium Bezug nehmen. Je nachdem wie sich der Rechtsstatus des Verbandstarifvertrages in seiner Beendigungsphase gestaltet, kommen als Bezugnahmeobjekte nachwirkende oder vollständig außer Kraft getretene Tarifbestimmungen in Betracht. Regelmäßig werden die verbandstarifvertraglichen Normen mit dem Eingreifen eines Beendigungstatbestandes gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirken. Wird hingegen die Nachwirkung in zulässiger Weise ausgeschlossen6 oder erledigt sie sich auf andere Weise,7 kann sogar ein vollständig außer Kraft getretenes Verbandstarifabkommen Anknüpfungspunkt einer anerkennungstarifvertraglichen Bezugnahmeklausel sein. Verweisungen auf beendete Verbandstarifverträge sind - wie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1980 beweist8 - keineswegs rein theoretischer Natur. So werden statische Bezugnahmen auf außer Kraft getretene oder nachwirkende Verbandstarifvorschriften von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages in Betracht gezogen, wenn sich die fremde Tarifregelung wegen ihrer sachgerechten Lastenverteilung in der Tarifpraxis bewährt hat.9 Bei dynamischen Verweisungen besteht ein Bedürfiiis zur Überleitung beendeter verbandstariflicher Normen, sofern der zeitliche Geltungsbereich des bezogenen Tarifvertrages bei Abschluss des Anerkennungstarifvertrages bereits abgelaufen ist - die Parteien aber damit rechnen, dass sich an den beendeten Verbandstarifvertrag ein neues Nachfolgetarifabkommen anschließen wird. Eine dynamische Verweisung auf beendete Tarifbestimmungen kann darüber hinaus auch ohne positive Kenntnis der Vertragspartner erfolgen, sofern sie das
6 Zur Zulässigkeit des tarifvertraglichen Ausschlusses der Nachwirkung - vgl. BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu § 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 18.09.1974, AP Nr. 2 zu § 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 03.09.1986, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1467; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 876 f.; Hessel, BB 1951, 1004, 1004; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 308; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 247; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 108 f.; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 325; Schlüter, ZfA 1975, 437, 442; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 139; Wank,, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 362; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. Anders Herschel, ZfA 1976, 89, 97; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b. 7 Gemeint ist hier die Ablösung durch einen neuen Verbandstarifvertrag - vgl. zum Ablöseprinzip BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1441; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 358 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 770; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 74. 8 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 9 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120.
294 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Ende des bezogenen VerbandstarifVertrages nicht reflektieren oder sich darüber keine Gedanken machen.10
I I . Rechtmäßigkeit Eine Überleitung außer Kraft getretener oder lediglich nachwirkender Verbandstarifhormen auf die firmentarifVertragliche Ebene steht in Einklang mit den Grundsätzen tarifautonomer Rechtsetzung, wenn die inkorporierten Bestimmungen für die vom Anerkennungstarifvertrag erfassten Normadressaten unmittelbare und zwingende Wirkung im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG entfalten. 11 Mit der Inkorporierung der fremden Tarifregelungen in den AnerkennungstarifVertrag erlangen die bezogenen Vorschriften den Rechtsstatus des verweisenden Tarifvertrages. 12 Dagegen verliert der Rechtsstatus des Verbandstarifvertrages jede Bedeutung für die anerkennungstarifvertragliche Normgeltung. Streben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages also eine unmittelbare und zwingende Tarifhormwirkung an, so ergeben sich keine statusrechtlichen Unterschiede im Vergleich zu einer originären Tarifgestaltung. 13 Die Problematik darf nicht mit der Rechtsfrage verwechselt werden, ob es den Sozialpartner gestattet ist, nachwirkenden Tarifhormen eine zwingende Bindungskraft zuzuweisen. Während der Nachwirkungsphase gelten die Bestimmungen zwar unmittelbar, aber nur noch dispositiv weiter. 14 In der Rechts10
So im Fall des BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. Für die Überleitung nachwirkender Tarifnormen - vgl. BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 15.05.1974, AP Nr. 3 zu § 33 BAT; BAG vom 19.06.1974, AP Nr. 3 zu § 3 BAT; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120 und 122; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 873; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 379; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 159; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 132; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 18; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 16 f. und 109 f.; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. Für die Überleitung außer Kraft getretener Tarifhormen - vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120; Herschel, ZfA 1976, 89, 101. 12 Siehe dazu oben § 4 D I. 13 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 15.05.1974, AP Nr. 3 zu § 33 BAT; BAG vom 19.06.1974, AP Nr. 3 zu § 3 BAT. 14 BAG vom 17.05.1972, AP Nr. 52 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 28.06.1972, AP Nr. 55 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Nachwirkung; 11
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefgnis
295
lehre wird die Verstärkung der Nachwirkung zu einer zwingenden Bindungswirkung überwiegend abgelehnt.15 Auf diese Streitfrage kommt es jedoch nicht an. Denn nicht die Parteien des bezogenen Verbandstarifvertrages statten ihre nachwirkenden Tarifnormen mit zwingender Geltungskraft aus. Vielmehr erfolgt die Rechtsstatusanordnung in einer völlig eigenständigen Tarifbeziehung - auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages. Dagegen bestehen keine Einwände. In Zweifelsfallen ist davon auszugehen, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine unmittelbare und zwingende Gestaltung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beabsichtigen.16 Haben sie keine besondere Rechtsstatusvereinbarung getroffen, spricht eine Vermutung für eine zwingend normative Regelung, denn sie stellt den Normalfall tariflicher Normsetzung dar, sodass Abweichungen hiervon einer ausdrücklichen Abrede bedürfen.
B. Außer Kraft getretene Verbandstarifnormen und Beibehaltung dieses Rechtsstatus im Anerkennungstarifvertrag Es fällt sofort ins Auge, dass die Verweisung auf einen vollständig außer Kraft getretenen Verbandstarifvertrag unter Beibehaltung dieses Rechtsstatus als statthafte Gestaltungsoption ausscheidet. Denn auf wirkungslose Tarifnormen unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstatus Bezug zu nehmen, erscheint wenig sinnvoll. Eine Regelungswirkung lässt sich hierdurch nicht erzielen. Außer Kraft getretene Verbandstarifbestimmungen können demzufolge nur taugliches Bezugsobjekt sein, wenn die Parteien des AnerkennungstarifVertra-
BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1449; Danko/Plesterninks, ZIP 2000, 1922, 1922; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 293; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 224 ff.; Rüthers, Festschrift für Müller, S. 445, 449; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 322 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 409. 15 Hessel, BB 1951, 1004, 1004; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 248; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 327; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 47 (Fn. 79); Wank, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 361; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; anders Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1468; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 308. 16 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 379; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 110; vgl. auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; zweifelnd Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1.
296 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifvertrages
ges ihren Rechtsstatus aufwerten und eine unmittelbare und zwingende Wirkungsweise vereinbaren. 17
C. Vereinbarung eines nachwirkenden Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages Von grundlegender Bedeutung ist die Rechtsfrage, ob die verweisenden Sozialpartner dem Anerkennungstarifvertrag einen nachwirkenden Rechtsstatus zuweisen dürfen.
I. Anwendungsfalle Vorab sind Fallgruppen aufzuzeigen, die ein Interesse der Parteien des Anerkennungstarifvertrages belegen, von Anfang an nachwirkende Tarifhormen zu schaffen.
1. Unmittelbar und zwingend wirkender Verbandstarifvertrag Im extremsten Fall können die Tarifparteien einen unmittelbar und zwingend wirkenden VerbandstarifVertrag inhaltlich übernehmen - dem Anerkennungstarifvertrag aber einen nur nachwirkenden Rechtsstatus zuweisen. Bedeutung erlangt diese Vertragsgestaltung, wenn die Übernahme des Verbandstarifhiveaus lediglich eine Überbrückungsfunktion auf dem Weg zu einem eigenständigen HaustarifVertrag erfüllen soll. Führt der Arbeitgeber mit der tarifzuständigen Gewerkschaft Verhandlungen über den Abschluss eines auf das Unternehmen zugeschnittenen Firmentarifvertrages, so kann dies längere Zeit in Anspruch nehmen. Um für die Übergangsphase eine unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse einwirkende Tarifregelung zu schaffen, genügt die Verabredung eines nachwirkenden Rechtsstatus. Die Vereinbarung einer zwingenden Normgeltung hätte hingegen den Nachteil, dass zwischen den Sozialpartnern relative Friedenspflicht besteht. Damit wäre der Einigungsdruck aus den Haustarifvertragsverhandlungen genommen. Keine Seite könnte in der Auseinandersetzung um den angestrebten HaustarifVertrag Arbeitskampfmittel androhen. 18 Aus Vereinfachungsgründen bietet es sich also an, während des Verhandlungs-
17
Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120; Herschel, ZfA 1976, 89, 101. Schleef, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 37 ff. legt dar, dass der „zwingende" Anerkennungstarifvertrag den Abschluss eines firmenspezifischen Haustarifvertrages im Jenoptik-Tarifkonflikt zeitlich verzögert hat. 18
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefgnis
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Zeitraums einen existenten Tarifvertrag statisch zu übernehmen, die zwingende Wirkung aber nicht nachzuvollziehen.
2. Nachwirkender Verbandstarifvertrag Ein anfänglich nachwirkender Anerkennungstarifvertrag kommt ebenfalls dadurch zustande, dass die Tarifvertragspartner auf einen nachwirkenden Verbandstarifvertrag unter Beibehaltung des Nachwirkungsstatus verweisen. 19 Beabsichtigen die Parteien eine strenge Anbindung an das Regelungsniveau auf Verbandsebene, kann eine Symmetrie des Rechtsstatus von Vorteil sein. Das gilt besonders bei dynamischen Verweisungen. Wirkt der VerbandstarifVertrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages lediglich nach, können die verbandstarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die weitergeltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mittels „anderer Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5, 2. HS TVG ersetzen, was den Normadressaten des AnerkennungstarifVertrages im Falle zwingender Tarifhormgeltung verwehrt wäre. Insofern haben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ein Interesse an einer statusrechtlichen Gleichstellung. Im Übrigen sind statische Verweisungen auf nachwirkende Verbandstarifwerke unter Aufrechterhaltung des Rechtsstatus wiederum denkbar, wenn friedenspflichtlose Übergangsregelungen getroffen werden sollen.
I I . Rechtmäßigkeit Sowohl im Falle der originären Zuweisung eines nachwirkenden Rechtsstatus als auch bei einer Überleitung nachwirkender Verbandstarifhormen unter Aufrechterhaltung ihres Nachwirkungsstatus bedarf es einer entsprechenden statusrechtlichen Vereinbarung der Parteien des Anerkennungstarifvertrages. Es fragt sich jedoch, ob das geltende Tarifrecht die Schaffung derartiger von Anfang an nachwirkender Tarifbestimmungen gestattet. An dieser Problematik entzündet sich eine kontroverse Debatte, welche für die Bewertung der dynamischen Rechtsstatusklausel ebenso richtungsweisend ist.
19 Vgl. zu dieser Konstellation allgemein BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 120 und 123; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 109 f.; Schulin, ZfA 1980, 577, 582; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form.
298 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
1. Streitstand a) Unzulässigkeit „von Anfang an" nachwirkender
Tarifverträge
In ständiger Rechtsprechung lehnt das Bundesarbeitsgericht den Abschluss nachwirkender Tarifvereinbarungen ab. 20 Mit Urteil vom 09.07.1980 hat das Bundesarbeitsgericht diese Feststellung auf tarifVertragliche Verweisungen übertragen und damit explizit der Übernahme lediglich nachwirkender Tarifnormen unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstatus widersprochen. 21 Von Teilen der Rechtslehre wird die höchstrichterliche Auffassung geteilt. 22 Gegen die Schaffung nachwirkender Tarifbestimmungen durch die TarifVertragsparteien spreche der Geltungsgrund der Nachwirkung. Eine TarifVorschrift könne nur deshalb nachwirken, weil der Gesetzgeber dies in § 4 Abs. 5 TVG angeordnet habe. Mit dem Ablauf des zeitlichen Geltungsbereichs verliere jede TarifVertragsbestimmung vollständig ihre Wirkung und gelte nunmehr infolge der Umwandlung ihres Geltungsgrundes als staatlicher Rechtssatz fort - so genannte Transformationslehre. 23 Eine Norm staatlichen Ursprungs entziehe sich jedoch der Disposition der Sozialpartner. Weder das TarifVertragsgesetz noch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG legitimiere die Vereinbarung nachwirkender
20
BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 15.05.1974, AP Nr. 3 zu § 33 BAT; BAG vom 19.06.1974, AP Nr. 3 zu § 3 BAT; BAG vom 28.08.1974, AP Nr. 79 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. zudem BAG vom 28.06.1972, AP Nr. 55 zu §§ 22, 23 BAT. In anderem Kontext auch LAG SachsenAnhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148: „Die rechtliche Wirkung von Tarifnormen steht nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien." 21 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. Vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 11 Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, S. 19, 23; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 202; Poelmann, ArbuR 1973, 310, 310; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 282; Schaub, in ErfKom, § 4 TVG Rn. 74; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 130 f.; vgl. auch Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 90; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 249; ders., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 23. 23 BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, S. 19, 23; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 181; vgl. zudem Leinemann, BB 1989, 1905, 1907. Siehe aber auch die offene Formulierung in BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit.
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefiignis
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Tarifnormen. 24 Im Übrigen widerspreche die Nachwirkungsabrede dem Grundsatz, dass jeder Tarifvereinbarung eine unabdingbare relative Friedensverpflichtung immanent sei. Um längere Bindungen an die Friedenspflicht zu vermeiden, sei es den Parteien anheim gestellt, alternativ kurz befristete Tarifverträge zu schließen oder sofortige Kündigungsmöglichkeiten zu vereinbaren. 25 Jede Tarifhorm müsse zunächst unmittelbar und zwingend gegolten haben, bevor sie in das Stadium der Nachwirkung treten könne.
b) Zulässigkeit „von Anfang an" nachwirkender
Tarifverträge
Der rigorose Standpunkt des Bundesarbeitsgerichts ist in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen.26 Die Nachwirkung sei nicht von vornherein jeder Disposition der Sozialpartner entzogen, denn mit dem Ende des Tarifvertrages finde kein Wandel des tarifautonomen in staatliches Recht statt. Vielmehr beruhe die Nachwirkung auf einer hinsichtlich der Bindungswirkung modifizierten Weitergeltung des Tarifvertrages - so genannte Modifikations24
BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 282; vgl. auch BAG vom 28.08.1974, AP Nr. 79 zu §§ 22, 23 BAT; Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, S. 19, 23. 25 BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, S. 130; vgl. auch Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 202. 26 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Birk, ZfA 1974, 441, 450; Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; ders., ARBlattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 d; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 28 und 319; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Öffentlicher Dienst, Entscheidung 157; ders., ZfA 1976, 89, 102 f.; ders., Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 298; Konzen, ZfA 1978, 451, 466; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 504 ff.; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Otto, ZfA 1976, 369, 375 f.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 100 ff.; Schlüter, ZfA 1975, 437, 442; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 141 f.; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 326 und 366 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 274 und 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410; vgl. auch Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung vom Betriebsvereinbarungen, S. 408 ff.
300 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
theorie. 27 Unter dieser Prämisse sei die fortbestehende Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien zu akzeptieren. Mit dem pauschalen Hinweis auf die tarifVertragsimmanente, relative Friedenspflicht werde die Rechtsprechung der differenzierten Problemlage nicht gerecht. 28 Allerdings bestehen innerhalb dieser Lehrmeinung unterschiedliche Auffassungen im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit eines „von Anfang an" nachwirkenden Tarifvertrages. 29 Die Meinungsverschiedenheiten konzentrieren sich auf die Frage, ob eine Tarifbestimmung zunächst unmittelbar und zwingend gegolten haben muss, bevor sie Gegenstand einer tarifVertraglichen Vereinbarung sein kann, die den Nachwirkungsstatus der Tarifhorm festschreibt.
27
Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Birk, ZfA 1974, 441, 450; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., Anm. zu BAG vom 30.01.1990, ARBlattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 d; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1464; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, ZfA 1976, 89, 96 f.; ders., Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 295; Konzen, ZfA 1978, 451, 466; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 505; Löwisch/Rieble, Anm. zu BAG vom 27.11.1991, AP Nr. 22 zu § 4 TVG Nachwirkung; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 99; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 129 und 141 f.; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 325 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. 28 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, ZfA 1976, 89, 104 f.; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506; Otto, ZÌA 1976, 369, 375 f.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 100; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 366 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. 29 Dagegen Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Konzen, ZfA 1978, 451, 466; Otto, ZfA 1976, 369, 375 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 110; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. Dafür wohl Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1466 und 527 ff.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 298 und § 1 TVG Rn. 342; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 141 f.; Schlüter, ZfA 1975, 437, 442. Unklar Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29.
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2. Stellungnahme Bei der Beurteilung der Statthaftigkeit eines anfanglich nachwirkenden Anerkennungstarifvertrages sind zwei Problemkreise streng auseinander zu halten. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob „nachwirkende Tarifhormen" überhaupt zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehen. Diese Diskussion konzentriert sich auf das Stadium der Nachwirkung und hinterfragt, inwieweit die Sozialpartner legitimiert sind, nachwirkende Tarifbestimmungen zu ändern oder zu ergänzen, ohne der Vereinbarung einen zwingenden Tarifhormstatus zuzuweisen. Nur wenn nachwirkende Normen der tariflichen Regelungsautonomie unterfallen, lohnt es sich, in einem zweiten Schritt darüber nachzudenken, ob die Sozialpartner überdies berechtigt sind, „von Anfang an" nachwirkende Tarifbestimmungen zu schaffen. Wenn den Tarifpartnern bereits im Nachwirkungsstadium jegliche Regelungsbefugnis fehlt, so muss einer anfanglich nachwirkenden TarifVereinbarung argumentum a maiore ad minus die Anerkennung versagt werden. Denn bei „lediglich nachwirkenden" Änderungsabreden galten die Tarifhormen zumindest ursprünglich mit zwingender, friedenspflichtgesicherter Wirkung, was bei einem „von Anfang an" nachwirkenden Tarifwerk zu keinem Zeitpunkt der Fall ist. 30
a) Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien über nachwirkende Tarifnormen - Schaffung „lediglich nachwirkender " Tarifnormen Zunächst ist also der Frage nachzugehen, inwieweit die Sozialpartner im Stadium des § 4 Abs. 5 TVG über ihre Tarifhormen disponieren können, indem sie diese zwar inhaltlich ändern oder ergänzen - den nachwirkenden Rechtsstatus jedoch aufrechterhalten. 31
30 Zur Terminologie: Es wird unterschieden zwischen „lediglich nachwirkenden" Tarifnormen einerseits und „von Anfang an nachwirkenden" Tarifnormen andererseits. 31 In den siebziger Jahren wurde zu dieser Problematik eine umfassende Diskussion geführt. Während der Nachwirkung des BAT vereinbarten die verhandelnden Tarifparteien Änderungs- und Ergänzungsabreden zu einzelnen Regelungsbereichen, um die nachwirkenden Tarifnormen an gewandelte Rahmenbedingungen anzupassen. Sie statteten die Übergangsbestimmungen jedoch nicht mit zwingender Tarifgeltung aus, sondern hielten den Rechtsstatus der Nachwirkung aufrecht. Damit wollten die Parteien verhindern, dass die modifizierten Regelungsgegenstände der relativen Friedensverpflichtung unterliegen und den weiteren Einigungsgesprächen entzogen sind - vgl. dazu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 15.05.1974, AP Nr. 3 zu § 33 BAT; BAG vom 19.06.1974, AP Nr. 3 zu § 3 BAT; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Herschel, ZfA 1976, 89, 89 ff.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu
302 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages aa) Rechtscharakter nachwirkender Tarifhormen Ausschlaggebende Bedeutung für die Anerkennung einer statusrechtlichen Dispositionsbefugnis im Nachwirkungszeitraum erlangt der in § 4 Abs. 5 TVG verankerte Geltungsgrund nachwirkender Tarifbestimmungen. Wer mit dem Bundesarbeitsgericht darauf abstellt, dass der Tarifvertrag mit seiner Beendigung alle Rechtswirkungen verliert und die Nachwirkung allein auf eine staatliche Normgeltung zurückführt, muss der Schaffung nachwirkenden Tarifrechts widersprechen, denn den Sozialpartnern ist es nicht gestattet, staatliche Rechtssätze zu modifizieren. 32 Ob der „Transformationslehre" des Bundesarbeitsgerichts im Gegensatz zu der im Schrifttum mehrheitlich vertretenen „Modifikationslehre" der Vorzug gebührt, ist im Wege der Auslegung des § 4 Abs. 5 TVG zu analysieren.
(1) Grammatikalische Auslegung Anhand der Auslegung des Wortlauts des § 4 Abs. 5 TVG können keine eindeutigen Rückschlüsse auf den Geltungsgrund der Nachwirkung gezogen werden. 33 Wenn von einer „Weitergeltung" der Tarifnormen gesprochen wird, so scheint dies auf den ersten Blick gegen einen staatlichen Charakter nachwirkender Regelungsinhalte zu sprechen. Da Tarifbestimmungen vor ihrer Beendigung tarifvertraglichen Ursprungs sind, liegt der Schluss nahe, eine „weitere" Geltung der tarifvertraglichen Rechtsnatur anzunehmen.34 Eine solche Auslegung kann aber nur einen Anhaltspunkt geben - die Modifikationslehre jedoch
§ 4 TVG Nachwirkung; siehe auch den Sachverhalt von BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 32 BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, S. 19, 23; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109. Siehe auch BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. 33 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 46 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ebenso Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 413 zum weitgehend wortgleichen § 77 Abs. 6 BetrVG. 34 Herschel, ZfA 1976, 89, 96; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 295; Rot ter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 46 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 129; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. auch Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1464; Herschel, ZfA 1973, 183, 193; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 325; anders Leinemann, BB 1989, 1905, 1907.
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nicht endgültig stützen, denn auch eine staatliche Tarifnormgeltung wird vom allgemeinen Sprachgebrauch umfasst. Es ist nämlich denkbar, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG allein der Aufrechterhaltung der inhaltlichen Vorgaben dient, ohne gleichzeitig den tarifvertraglichen Geltungsgrund fortzuschreiben.
(2) Historische Auslegung Wenige Anhaltspunkte vermag die historische Auslegungsmethode zu liefern. Mit der Kodifikation des § 4 Abs. 5 TVG wollte der Gesetzgeber die unter Geltung der T W O geführte Kontroverse, ob Tarifverträge nach ihrer Beendigung weiterhin Rechtswirkungen entfalten, durch eine formelle Anerkennung der Nachwirkung beenden.35 Zwingende Vorgaben hinsichtlich der Wirkungsweise nachwirkender Tarifbestimmungen wurden im Gesetzgebungsverfahren nicht getroffen. Vielmehr überließ die Legislative die Rechtsnaturbestimmung der Rechtsprechung und Lehre. 36 Allgemein sprechen jedoch die Rahmenbedingungen bei Schaffung des TarifVertragsgesetzes fur eine tarifvertragliche Erklärung der Nachwirkung, weil tendenziell der staatliche Einfluss auf die Festlegung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu Gunsten einer weitgehenden Tarifautonomie zurückgedrängt werden sollte. 37
(3) Systematische Auslegung Im Rahmen der systematischen Auslegung gerät die höchstrichterliche Auffassung in Erklärungsnöte. Die Nachwirkung ist in den Vorschriftenkomplex des § 4 TVG eingebettet. Dieser befasst sich in seinen Absätzen 1 bis 4 mit der Wirkungsweise von Tarifbestimmungen. Weshalb ausgerechnet § 4 Abs. 5 TVG eine staatliche Normgeltung statuieren soll, erscheint aus systematischer
35 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 a; Herschel, ZfA 1973, 183, 193; ders., ZfA 1976, 89, 95 und 99; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 53; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 322. Vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1449; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 293; Oetker, Festschrift fur Schaub, S. 535, 538 f.; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 36 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Herschel, ZfA 1976, 89, 95; vgl. zudem Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 53 ff. 37 Vgl. Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 52 f. und 55.
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Sicht wenig konsequent.38 Gerade die gesonderte Normierung der Allgemeinverbindlicherklärung in § 5 TVG zeigt per argumentum e contrario, dass der Gesetzgeber eigenständige gesetzliche Regelungen geschaffen hat, wenn das Rechtsetzungsverfahren einen besonderen staatlichen Bezug aufweist. 39
(4) Teleologische Auslegung Welchem von der grammatikalischen Auslegung gedeckten Ansatz letztlich zu folgen ist, muss anhand einer am Telos des § 4 Abs. 5 TVG orientierten Auslegung ermittelt werden.
(a) Widerspruchsfreiheit zur Gesamtrechtsordnung Rechtssätze sind im Rahmen des Bedeutungszusammenhangs so auszulegen, dass sie sich in allgemeine Wertungen der Gesamtrechtsordnung einfügen. Dabei erlangt das Prinzip der Widerspruchsfreiheit zwischen wertungsmäßig gleichliegenden Tatbeständen als maßgebendes objektiv-teleologisches Auslegungskriterium entscheidende Bedeutung.40 Aus diesem Grund muss die Nachwirkung vergleichbaren Regelungsinstrumentarien gegenübergestellt werden. Konstruktiv ist die Nachwirkung zunächst mit der Allgemeinverbindlicherklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 TVG zu vergleichen. Die durch das hoheitlich handelnde Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärte Allgemeinverbindlichkeit führt zu einer Ausdehnung des Normadressatenkreises über den mitgliedschaftlichen Legitimationszusammenhang hinaus. Dennoch sieht das Bundesverfassungsgericht die Grundlage der Allgemeinverbindlicherklärung in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Es stuft die Allgemeinverbindlicherklärung als „Rechtsetzungsakt eigener Art" zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung ein 41 und qualifiziert die allgemeinverbindlichen Tarifbestim-
38
Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1464; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 48; vgl. auch Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ebenso Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 413 zu § 77 Abs. 6 BetrVG. 39 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 48. 40 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 334 f. 41 BVerfG vom 27.02.1973, BVerfGE 34, 307, 320; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 340 und 343 ff.; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 20; BAG vom 02.03.1965, AP Nr. 12 zu § 5 TVG; BAG vom 19.03.1975, AP Nr. 14 zu § 5 TVG; BAG vom 28.03.1990, AP Nr. 25 zu § 5 TVG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1283; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 903 ff.; Löwisch/Rieble, § 5 TVG Rn. 53;
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mungen als „Rechtsregeln gleicher Art wie die Normativbestimmungen eines Tarifvertrages". 42 Ein der Nachwirkung vergleichbares Fortwirken von Tarifhormen bestimmt § 3 Abs. 3 TVG im Falle der vorzeitigen Beendigung der Tarifgebundenheit. Da mit dem Verlust der Koalitionsmitgliedschaft die in § 3 Abs. 1 TVG verankerte Rechtsetzungsbefugnis ihre innere Berechtigung verliert, stellt die weitere Tarifbindung einen rechtfertigungsbedürftigen Rechtseingriff dar. Aus diesem Grund erscheint gerade im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 TVG eine Wandlung tariflichen in staatliches Recht diskussionswürdig, was jedoch von keiner Lehrmeinung vertreten wird. 43 Ähnlich verhält es sich mit Tarifregelungen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gemäß §§3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG, die ebenfalls auf Außenseiter Anwendung finden, ohne dass sie als staatliche Rechtssätze qualifiziert werden. 44 Wenn also selbst verwandte Regelungsinstrumentarien, die eine Normsetzung außerhalb des mitgliedschaftlichen Legitimationszusammenhangs ermöglichen, keine staatliche Normgeltung etablieren, so kann die Transformationslehre des Bundesarbeitsgerichts nur schwer nachvollzogen werden, denn im Gegensatz zu den gegenübergestellten Instrumentarien beschränkt sich die Nachwirkung ausschließlich auf den Kreis der tarifgebundenen Personen.45 In Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsnaturbestimmung im Tarifrecht stehen ferner die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Geltungsgrund der betriebsverfassungsrechtlichen Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. Die Bemerkungen deuten eher auf eine modifizierte Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen als auf eine Transformation in staatliches Recht hin. 46 Aufgrund identischer Wortlautvorgaben in § 77 Abs. 6 BetrVG und in Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 81 ; Wank,, in Wiedemann, § 5 TVG Rn. 30 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 418 f. 42 BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 345; siehe zudem Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 81. 43 Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 295; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 87 f.; vgl. auch Herschel, ZfA 1976, 89, 97. 44 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 86. 45 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 79 ff.; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 874; Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Löwisch/Rieble, Anm. zu BAG vom 27.11.1991, AP Nr. 22 zu § 4 TVG Nachwirkung. 46 Zwar fehlt eine ausdrückliche höchstrichterliche Aussage. Das BAG vom 21.08.1990, AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung spricht jedoch von einer „weitergeltenden Betriebsvereinbarung". Das BAG vom 26.10.1993, AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung fuhrt aus, dass die „Betriebsvereinbarung" nach Ablauf der Kündigungsfrist ihre unmittelbare Wirkung behalte. Vgl. auch BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Akkord, wonach zur Beendigung der Nachwirkung im Sinne des § 77 Abs. 6 BetrVG eine einverständliche Aufhebung der „Betriebsvereinba-
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§ 4 Abs. 5 TVG sowie angesichts der strukturellen Ähnlichkeit der betriebsverfassungs- und der tarifvertragsrechtlichen Nachwirkung ergeben sich Bedenken gegen eine unterschiedliche Bewertung der jeweiligen Rechtsnormqualität. 47 Berücksichtigt man zudem, dass sich die Betriebspartner nicht auf eine autonome Regelungsbefugnis mit Verfassungsrang berufen können und daher strengeren staatlichen Vorgaben als die Tarifvertragspartner unterliegen, 48 wäre im Gegenteil eher im Betriebsverfassungsrecht eine staatliche Ableitung der Nachwirkung begründbar. Ein Wechsel des Geltungsgrundes im Nachwirkungsstadium lässt sich schwer in die allgemeine Rechtsquellenlehre einfügen. Regelmäßig beruht die Befugnis zur Setzung staatlichen Rechts auf einer rechtsstaatlichdemokratischen Legitimationsbasis. Im Falle der Nachwirkung wird dieser Anknüpfungspunkt jedoch durch einen mitgliedschaftlichen Ableitungszusammenhang überlagert. 49 Bedenken gegen die Transformationslehre ergeben sich zudem aus der Dispositivität der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5, 2. HS TVG. Es klingt wenig konsequent, wenn staatliches Recht durch Abmachungen Privater aufgehoben werden darf. 50 Widersprüchlich ist es auch, den Tarifvertragsparteien einerseits zu gestatten, die Nachwirkung vorab tarifVertraglich auszuschließen,51 andererseits aber jede inhaltliche Änderungsbefugnis im rung" möglich ist. Zu weiteren Nachweisen vgl. Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 415 f. 47 Ausfuhrlich Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 413 ff.; vgl. auch Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 77 f. Zur Zulässigkeit der Verabredung lediglich nachwirkender Betriebsvereinbarungen siehe Kreutz, in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 412. Zum Telos der betriebsverfassungsrechtlichen Nachwirkung, der in der Sicherung der Kontinuität der zwingenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates besteht - vgl. Blomeyer, DB 1990, 173, 174 f.; Hilger/Stumpf, BB 1990, 929, 930; Kreutz, in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 401; Loritz, RdA 1991, 65, 76; Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 418 ff; siehe auch Klein, Die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung, S. 68 ff. 48 Vgl. Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 77 f. Allein aus dem Umstand, dass auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene dauerhafte Friedenspflicht gilt, ergibt sich kein Grund für eine differenzierte Bewertung des Geltungsgrundes - vgl. Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 413 f.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 77 f. 49 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 90 f. 50 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1464; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 92 f. 51 BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu § 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 18.09.1974, AP Nr. 2 zu § 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 03.09.1986, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung. So auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 a; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1467; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I,
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Nachwirkungszeitraum abzulehnen. Wenn hoheitliche Rechtssätze noch vor ihrem Inkrafttreten privater Regelungsautonomie unterfallen, liegt hierin ein innerer Bruch. 52 Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts fuhrt dazu, dass im Nachwirkungsstadium geschaffenes tarifdispositives Gesetzesrecht in der Normenhierarchie auf gleicher Stufe mit den nachwirkenden Tarifbestimmungen steht. Dann aber muss gemäß dem lex posterior derogat legi priori-Grundsatz der ehemals tarifliche Standard auf das inhaltliche Mindestmaß der tarifdispositiven Gesetzesvorschrift zurückfallen, was schwerlich im Interesse der Arbeitnehmer liegen kann.53 Durch die Transformationslehre entstehen gerade bei tarifvertraglichen Verweisungen weitere Ungereimtheiten. 54 Solange der bezogene Tarifvertrag volle Tarifgeltung entfaltet, ist er Bezugsobjekt. Tritt der Bezugstarifvertrag in das Nachwirkungsstadium, so wären nunmehr staatliche Vorschriften Anknüpfungspunkt der Verweisung. 55 Bei dynamischen Verweisungen würden die bezogenen Bestimmungen fortwährend zwischen einem tariflichen und staatlichen Rechtscharakter wechseln. Für eine derartige Wandelbarkeit des Geltungsgrundes findet sich in der Rechtsordnung keine Entsprechung. Im Übrigen wirft die tarifvertragliche Bezugnahme auf staatliches Recht eigenständige Rechtfertigungsfragen auf. 56
S. 876 f.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 308; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 108 f.; ders., Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 325; Schlüter, ZfA 1975, 437, 442; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 139; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 362; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. Anders Herschel, ZfA 1976, 89, 97; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b. 52 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 a; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1464; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 92 f.; vgl. auch Schlüter, ZfA 1975, 437, 442. Siehe zudem Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 414. 53 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 60 und 96. Vgl. auch Herschel, ZfA 1976, 89, 99 f. 54 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 55 Ähnlich Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 93 und 96. Vgl. auch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 56 Vgl. hierzu Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 91; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570 f.; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 75 ff.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 118 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 310; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 196.
308 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
(b) Verfassungskonformität Maßgebende Aufgabe der objektiv-teleologischen Auslegung ist es ferner, die denkbaren Interpretationsergebnisse auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. 57 Im Gegensatz zur tarifvertraglichen Ableitung der Nachwirkung in bedenklicher tangiert die Transformationslehre des Bundesarbeitsgerichts Weise Prinzipien mit Verfassungsrang. Konsequent muss die höchstrichterliche Auffassung die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG als „gesetzliche" Blankettverweisung verstehen. Bildlich gesprochen hat der Gesetzgeber bei der Kodifikation des TarifVertragsgesetzes im Jahr 1949 die jeweiligen nachwirkenden Tarifinhalte in seinen Normsetzungswillen antezipierend aufgenommen. Dynamische Bezugnahmeklauseln in formellen Gesetzen, die auf außerstaatliches Tarifrecht verweisen, sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich unvereinbar mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG. 58 Bedenken begegnet die Umwandlung in staatliches Recht darüber hinaus, weil unklar bleibt, ob nach Beendigung des Tarifvertrages nunmehr eine klassisch-hoheitliche Grundrechtsbindung eintreten soll. 59
57
Zur verfassungskonformen Auslegung vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339 ff. 58 BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 214 ff.; BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 114 ff.; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 168; Scholz, Festschrift fur Müller, S. 509, 521 ff.; Scholz, Anm. zu BVerfG vom 14.06.1983, SAE 1984, 3, 3 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 197. Zwar ist das Verbot dynamischer Verweisungen zu relativieren, wenn der „mitgliedschaftliche" Legitimationszusammenhang beachtet wird - siehe BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 216; BVerfG vom 25.02.1988, BVerfGE 78, 32, 36. Gleichwohl muss das Bundesarbeitsgericht auf nicht abschließend geklärte Ausnahmetatbestände zurückgreifen, um seine Konstruktion vor dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu bewahren - siehe Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 90 f. 59 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 95 f. Es wird die weitere Frage aufgeworfen, ob die nachwirkenden Tarifnormen nunmehr den Normprüfungsverfahren des Bundesverfassungsgerichts zugänglich sind - vgl. dazu Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 97. Zur Rechtsfrage der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien - vgl. BAG vom 15.01.1955, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG vom 05.10.1999, AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; BAG vom 04.04.2000, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Gleichbehandlung; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 70 ff.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 411 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 666 ff.; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 153 ff.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 155 ff.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 242 ff.; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 198 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 102; siehe auch BVerfG vom 21.05.1999, NZA 1999, 878, 879.
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefgnis
309
(c) Effektivierung der ratio legis Im Rahmen der teleologischen Auslegung muss zudem der Frage nachgegangen werden, welche der vorgeschlagenen Lösungsansätze die ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG am effizientesten zur Geltung bringt. Sinn und Zweck der Nachwirkung bestehen darin, inhaltsleere Arbeitsverhältnisse nach dem Ende eines Tarifvertrages zu vermeiden und die Zwischenzeit bis zum Inkrafttreten eines Nachfolgetarifabkommens zu überbrücken. 60 Für die von der Nachwirkung erfassten Normadressaten ist es ohne Belang, ob der aufrechterhaltene Regelungsinhalt auf tarifVertraglicher oder gesetzlicher Basis weitergilt. Der konstruktive Umweg über eine Transformation in staatliches Recht ist daher zur Realisierung der ratio legis entbehrlich. 61 Wenig Beachtung schenkt das Bundesarbeitsgericht dem Grundsatz der Tarifautonomie sowie dem grundrechtlichen Optimierungsgebot, wenn es den Tarifvertragsparteien angesichts der staatlichen Einordnung des Geltungsgrundes jede Einflussnahme auf ihre nachwirkenden Tarifhormen versagt, obwohl flexible Änderungs- und Ergänzungsabreden in der Phase des § 4 Abs. 5 TVG im Interesse aller Tarifbeteiligten liegen. 62
60
BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 10.12.1997, AP Nr. 21 zu § 3 TVG; BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu §3 TVG Verbandsaustritt; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1450; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 872; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 293; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 181; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 90; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 221; dies., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 1 ff.; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105; Richardis Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 56 f.; Rüthers, Festschrift fur Müller, S. 445, 449; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 327; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 408 f. 61 Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 61; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 874. 62 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 57 ff.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 365; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410.
310 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
(5) Schlussfolgerung Im Ergebnis weisen somit sämtliche Auslegungskriterien auf einen tarifvertraglichen Geltungsgrund der Nachwirkung hin. Daraus ergibt sich folgende Konzeption des § 4 Abs. 5 TVG: Für die in das Nachwirkungsstadium getretenen Tarifhormen ordnet § 4 Abs. 5 TVG eine unmittelbar normative Weitergeltung an. 63 Mit dieser von Rechtsprechung und Literatur geteilten Bewertung ist jedoch keine Aussage über die Rechtsqualität nachwirkender Normen getroffen, weil die Frage nach dem „Ob" einer normativen Weitergeltung in keiner logischen Verknüpfung zur Bestimmung des Geltungsgrundes steht. Nach folgerichtiger Auffassung in der Rechtslehre erfüllt § 4 Abs. 5 TVG konstruktiv zwei Funktionen. In einem ersten Schritt bestimmt die Vorschrift eine Fortgeltung der Tarifinhalte über das Ende des Tarifvertrages hinaus. Darauf aufbauend versieht § 4 Abs. 5 TVG in einem zweiten Schritt die weitergeltenden Tarifregelungen mit normativer Geltungskraft. Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG fungiert damit ebenso wie § 4 Abs. 1 TVG als normative Geltungsanordnung, 64 was Rotter zutreffend dazu veranlasst hat, von einer „Verlängerung" des normativen Geltungsbefehls zu sprechen. 65 Eine darüber hinausgehende Funktion - in Form der Umwandlung tariflicher in staatliche Rechtssätze - liegt § 4 Abs. 5 TVG nicht zu Grunde. Maßgebender Geltungsgrund für die Nachwirkung bleibt der Tarifvertrag. 66 Mit der hier favo63
BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Birk,, ZfA 1974, 441, 450; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 a; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1464; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 293; Konzen, ZfA 1978, 451, 466; Leipold,, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Löwisch/Rieble, §4 TVG Rn. 224 f.; dies., in Münchener-Hdb, §273 Rn. 4; Rüthers, Festschrift fur Müller, S. 445, 449; Stein,, TarifVertragsrecht, Rn. 129; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 323; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung. Anders Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 390 f. und die Lehre vor Kodifikation des § 4 Abs. 5 TVG, die für eine Weitergeltung auf arbeitsvertraglicher Ebene eintraten. 64 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1464; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 295; Kirchhof Private Rechtsetzung, S. 180, 182 und 194 f.; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 44, 49 und 99; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. auch Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2 a; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 874; Herschel, ZfA 1976, 89, 96. Zum gleichen Ergebnis gelangt Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 414 für die betriebsverfassungsrechtliche Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. 65 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 99. 66 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Birk, ZfA 1974, 441, 450; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbe-
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefgnis
311
risierten Modifikationslehre lassen sich sowohl der Geltungsgrund als auch die anerkannten Rechtsfolgen der Nachwirkung systemkonform beschreiben. Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG „modifiziert" die ursprünglich zwingende Bindungswirkung zu einer dispositiven Tarifgeltung, 67 ohne jedoch die tarifvertragliche Rechtsnatur nachwirkender Tarifbestimmungen anzutasten. Zuzustimmen ist daher Wiedemann , der darauf hinweist, dass der Tarifvertrag zwar „seine Qualität, nicht aber seine Geltung verliert." 68
bb) Konsequenzen aus dem Rechtscharakter für die Anerkennung einer Dispositionsbefugnis Mit der Qualifizierung nachwirkender Rechtsnormen als weitergeltendes Tarifrecht steht der Weg offen, den Tarifvertragsparteien auch im Stadium des § 4 Abs. 5 TVG die Dispositionsbefugnis über die von ihnen geschaffenen Tarifbereich, F II 2 a; ders., Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1464 und 1466; Gamillscheg,. Kollektives Arbeitsrecht I, S. 873 f.; HerscheL ZfA 1976, 89, 96; ders., Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 295; Konzen, ZfA 1978, 451, 466; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 505; Löwisch/Rieble, Anm. zu BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; dies§ 4 TVG Rn. 225; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 325; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 99; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 129; Wank,, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 325; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; ders., in Wiedemann, Einleitung Rn. 406 und § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410; siehe auch Wollgast, Geltung, Wirkung und Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen, S. 414 f. 67 Allgemeine Auffassung - vgl. BAG vom 17.05.1972, AP Nr. 52 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 28.06.1972, AP Nr. 55 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu §3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 28.05.1997, AP Nr. 27 zu § 4 TVG Nachwirkung; Birk, ZfA 1974, 441, 450; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1449; Kempen/Zachert, $4 TVG Rn. 293; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 228; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 323; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 409. 68 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. Nach Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung „verliert der Tarifvertrag die Gültigkeit nicht, sondern ändert lediglich die Qualität seiner Rechtsgeltung". Zustimmend Herschel, ZfA 1976, 89, 96. Vgl. auch Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 261; Reinermann, Verweisung in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1464 spricht von dispositiven „Tarifhormen".
312 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Stimmungen zuzubilligen. Angesichts des tarifvertraglichen Ableitungszusammenhangs bleiben die Sozialpartner „Herren" der nachwirkenden Tarifhormen. 69 Genauso wie sie während des zeitlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen jederzeit modifizieren können, sind sie berechtigt, ihre nachwirkenden Tarifbestimmungen zu ändern oder zu ergänzen. 70 Gerade wenn die weitergeltenden Tarifbedingungen in Teilbereichen undurchführbar oder unzweckmäßig geworden sind, besteht ein praktisches Bedürfnis fur vorübergehende, lediglich nachwirkende Änderungs- und Ergänzungsabreden.71 Solange die Tarifvertragsparteien über den Abschluss eines Nachfolgetarifvertrages verhandeln, haben sie kein Interesse an einer zwingenden Ausgestaltung der Übergangsregelungen, denn anderenfalls bestünde für den vorläufig geregelten Täfifbereich relative Friedenspflicht. Die Änderungsund Ergänzungsabreden sollen aber gerade keine endgültige Bestandskraft entfalten, sondern im Rahmen eines tariflichen Gesamtkonzepts weiterhin der notfalls mit arbeitskampfrechtlichen Mitteln durchzusetzenden Änderungskompetenz der Sozialpartner unterliegen. 72 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Überarbeitung umfangreicher Tarifwerke eines erheblichen Zeitaufwandes bedarf und eine übertriebene Eile daher kontraproduktiv wirkt. 73
69
Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1464 und 1466; Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. 70 Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 101. 71 Birk, ZiA 1974, 441, 450; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 28 und 319; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, ZfA 1976, 89, 91; ders., Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu §4 TVG Nachwirkung; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506; Otto, ZfA 1976, 369, 375 f.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 102 (Fn. 10); Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 365; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410; vgl. auch Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28. 72 Birk, ZiA 1974, 441, 450; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 28; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 102 (Fn. 10); Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 73 Das vom Bundesarbeitsgericht geäußerte Misstrauen, dass die Tarifparteien den Neuabschluss vollwirksamer Tarifverträge durch lediglich nachwirkende Änderungsabreden verzögern können, hat keine rechtliche Relevanz. Denn es ist dem deutschen Tarifrecht gerade kein Gebot immanent, vollwirksame Nachfolgetarife abschließen zu müssen - zu dieser Problematik vgl. Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, ARBlattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Däubler, TarifVertragsrecht,
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefugnis
313
Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegen lediglich nachwirkende Tarifverträge erhobene Einwand, sie entbehrten der Friedenspflicht, 74 überzeugt nicht. Das Bundesarbeitsgericht lässt eine differenzierte Auseinandersetzung vermissen. Auf die Streitfrage, ob jeder tarifVertraglichen Vereinbarung eine unabdingbare relative Friedenspflicht immanent ist, 75 kann es bei der Beurteilung nachwirkender Ergänzungsabreden nicht ankommen. In der Phase der Nachwirkung gilt ohnehin keine Friedenspflicht mehr. 76 Eine lediglich nachwirkende Übergangsvereinbarung ändert an der bestehenden friedenspflichtlosen Rechtslage nichts. Da weder Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG noch das TarifVertragsgesetz einen tarifVertraglichen Abschlusszwang statuieren, besteht keine Verpflichtung, vollwirksame NachfolgetarifVereinbarungen zu treffen, um auf diesem Weg die Friedenspflicht wieder herzustellen. Es steht allein im Ermessen der Vertragspartner, ob sie weitere Tarifabschlüsse tätigen oder die Rechtsnormen dauerhaft im Nachwirkungszustand belassen. Eine Änderung oder Ergänzung nachwirkender Rechtsnormen stellt also keine die Friedenspflicht gefährdende Maßnahme dar. 77 Kritikwürdig erscheint die vom Bundesarbeitsgericht favorisierte alternative Vorgehensweise, wenn es vorschlägt, den Tarifvertrag entweder kurz zu befristen oder eine sofortige Kündigungsmöglichkeit einzuräumen. Zutreffend weist Däubler darauf hin, dass die Verhandlungsfuhrer eine logische Sekunde nach der Unterzeichnung des Tarifvertrages den Zustand der Nachwirkung herbei-
Rn. 1466; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 365; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 74 BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; siehe zudem BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. ebenfalls Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, S. 130. 75 Dazu unten § 11 C II 2 b bb (2). 76 Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506; Otto, ZfA 1976, 369, 376; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 366; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; vgl. auch Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 100 (Fn. 3). 77 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, ZfA 1976, 89, 104 f.; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506; Otto, ZfA 1976, 369, 375 f.; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 366 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410; vgl. zudem Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 27 f. und 319; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 142; siehe auch Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b.
314 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
fuhren können. Dann besteht aber kein Unterschied zu einer sofort nachwirkenden Änderungsabrede, sodass der höchstrichterlich empfohlene Umweg als bedenkliche Gesetzesumgehung abzulehnen wäre. 78
cc) Ergebnis Die Sozialpartner können somit über ihre nachwirkenden Tarifhormen disponieren, indem sie vorübergehende, lediglich nachwirkende TarifVereinbarungen schließen. In Konsequenz dieses Ergebnisses muss ein dritter tarifVertraglicher Normtypus Anerkennung finden. Neben den gemäß § 4 Abs. 1 und 2 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Tarifhormen und den nach § 4 Abs. 3, 1. Alt. TVG dispositiven Tarifbestimmungen mit Friedenspflicht existieren dispositive Tarifhormen ohne Friedenspflicht. 79
b) Schaffung „ von Anfang an " nachwirkender
Tarifnormen
Mit der Befürwortung einer tarifvertraglichen Dispositionsbefugnis im Nachwirkungsstadium ist keine verbindliche Aussage darüber getroffen, ob den Tarifparteien die Schaffung eines „von Anfang an" nachwirkenden Anerkennungstarifvertrages gestattet ist. Qualitativ muss der Unterschied Berücksichtigung finden, dass im Gegensatz zu den lediglich nachwirkenden Änderungsund Ergänzungsabreden der von Anfang an nachwirkende Tarifvertrag zu keinem Zeitpunkt zwingende Wirkung entfaltet. In dieser Konstellation halten die Tarifvertragsparteien nicht nur einen ohnehin bestehenden Nachwirkungsstatus aufrecht, sondern weisen dem anvisierten Tarifabkommen direkt einen nachwirkenden Rechtsstatus zu. Insoweit ist es gerechtfertigt, mit dem Bundesar-
78
Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1466; Herschel, ZfA 1976, 89, 102 f.; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 90; Lieb, Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rn. 506 (Fn. 45); Otto, ZfA 1976, 369, 376; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 142; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 365; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. Crisolli, Anm. zu BAG vom 28.06.1972, AP Nr. 55 zu §§ 22, 23 BAT spricht von einem „formalistischen und verwirrenden Weg". 79 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1466; Wank, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 368; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; kritisch zu dieser Normenkategorie Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 130.
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315
beitsgericht danach zu fragen, ob es normative Tarifregelungen geben kann, die zu keiner Zeit einen vollwirksamen Normenstatus innehatten.80 Den Bedenken kann nicht mit der Argumentation begegnet werden, dass die inkorporierten Tarifhormen zumindest auf Verbandsebene einmal unmittelbare und zwingende Anwendung gefunden haben. Eine solche formale Betrachtung verkennt die rechtliche Eigenständigkeit des Anerkennungstarifvertrages. Ob die Tarifbestimmungen in einer anderen Tarifbeziehung vollwirksam gegolten haben, ist für den verweisenden Tarifvertrag ohne Belang, weil allein seine Rechtsstatusanordnung maßgebend ist. Aus diesem Grund ist zu analysieren, ob die Parteien über den Rechtsstatus ihres Anerkennungstarifvertrages disponieren können, indem sie bereits im Zeitpunkt des ursprünglichen Tarifvertragsabschlusses den übernommenen Tarifhormen einen dispositiven und friedenspflichtlosen Rechtsstatus zuweisen. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass eine entsprechende Rechtsgrundlage existiert. Des Weiteren sind die rechtlichen Konsequenzen anfanglich nachwirkender Tarifabsprachen herauszuarbeiten, wobei die Frage zu vertiefen ist, inwieweit es von Anfang an friedenspflichtlose Tarifverträge geben kann.
aa) Rechtsgrundlage Ohne Ermächtigungsgrundlage sind die Sozialpartner nicht befugt, anfänglich nachwirkende Anerkennungstarifverträge abzuschließen. Denn es bedarf eines staatlichen Geltungsbefehls, um tarifVertraglichen Regelungen eine unmittelbar normative, aber nur dispositive Geltung zu verleihen. 81
(1) Ableitung aus § 4 Abs. 5 TVG Nahe liegend wäre es, eine entsprechende Regelungsbefugnis aus § 4 Abs. 5 TVG herzuleiten. Ob die Vorschrift als eigenständige Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt, muss im Wege der Auslegung geklärt werden.
80
BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. auch BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung. 81 Vgl. allgemein dazu BVerfG vom 27.02.1973, BVerfGE 34, 307, 316 f.; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 346 ff.; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 f.; Kirchhof Private Rechtsetzung, S. 133 ff. und 181 ff.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 44; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 375.
316 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages (a) Grammatikalische Auslegung Das TarifVertragsgesetz bemerkt in § 4 Abs. 5, 1. HS TVG schlicht, dass die Tarifhormen nach Ablauf des Tarifvertrages „weitergelten". Mit dieser Formulierung werden den Sozialpartnern keine originären Regelungsbefugnisse zugewiesen. Es fehlt jeglicher grammatikalischer Ansatz, der auf eine Ermächtigung zur tariflichen Normsetzung schließen lässt. Dem Wortlaut sind keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf eine Anerkennung des eigenständigen Normentyps „anfänglich nachwirkender" Tarifbestimmungen hindeuten. Vielmehr beschreibt der Gesetzgeber lediglich die Rechtsfolgen der Beendigung eines Tarifvertrages. Der ursprüngliche normative Geltungsbefehl des § 4 Abs. 1 TVG wird durch § 4 Abs. 5 TVG auf das Nachwirkungsstadium ausgedehnt.82 Eine darüber hinausgehende Geltungsanordnung zu Gunsten anfänglich nachwirkender Tarifhormen beinhaltet § 4 Abs. 5 TVG nicht. Das TarifVertragsgesetz regelt eine eindeutige temporäre Abfolge. 83 Nachwirkende Tarifhormen sind ausschließlich nach der „Beendigung" eines Tarifvertrages denkbar, sodass die Nachwirkung als Anschlusstatbestand konzipiert ist. Anfanglich nachwirkende TarifVereinbarungen knüpfen jedoch an keinem Beendigungssachverhalt an. Folglich spricht die Wortlautauslegung gegen einen Ermächtigungscharakter des § 4 Abs. 5 TVG hinsichtlich der Schaffung von Anfang an nachwirkender Tarifhormen. Zur Bestätigung dieser grammatikalischen Betrachtung sollen die übrigen Auslegungskriterien ebenfalls erörtert werden.
(b) Historische Auslegung Die Ableitung einer Rechtsetzungsbefugnis aus § 4 Abs. 5 TVG widerspricht dem historischen Willen des Gesetzgebers. Mit der Kodifizierung der Nachwirkung sollte allein die Streitfrage einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden, ob der Tarifvertrag trotz seiner Beendigung weiterhin Rechtswirkungen entfaltet. 84 Kein Diskussionsgegenstand war hingegen die Schaffung von Anfang an 82
Zur Geltungsanordnung siehe oben § 11 C II 2 a aa (5). Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; siehe auch BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung. Vgl. auch die Ausführungen von BAG vom 10.12.1997, AP Nr. 20 zu § 3 TVG; BAG vom 10.12.1997, AP Nr. 21 zu § 3 TVG; BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung zur temporären Abfolge. 84 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, F II 2; Herschel, ZfA 1973, 183, 193; ders., ZfA 1976, 89, 95 und 99; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 53; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 322. Vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1449; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 293; Oetker, Festschrift fur Schaub, S. 535, 538 f.; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifver83
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nachwirkender Rechtsnormen. Die Legislative entschied ausschließlich über die Weitergeltung beendeter Tarifvertragsbestimmungen, ohne im gleichen Zuge eine neue Form tariflicher Normsetzung anzuerkennen.
(c) Systematische Auslegung In systematischer Hinsicht verdeutlicht die Verortung der Nachwirkung im letzten Absatz des § 4 TVG ihren Anschlusscharakter, der bei anfanglich nachwirkenden Tarifhormen keine Entsprechung findet. Systematisch ist zudem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Ermächtigung zu tarifautonomer Rechtsetzung mit expliziten Kompetenzzuweisungen abgesteckt hat. Im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 und 2 TVG fehlt in § 4 Abs. 5 TVG jeder Hinweis auf eine Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Rückschlüsse können zudem aus § 4 Abs. 3, 1. Alt. TVG gezogen werden, weil das Tarifvertragsgesetz an dieser Stelle ausdrücklich die Schaffung dispositiver Tarifbestimmungen ermöglicht. Eine vergleichbare Ermächtigung fehlt in § 4 Abs. 5 TVG, sodass die Norm argumentum e contrario als Legitimationsgrundlage ausscheidet.
(d) Teleologische Auslegung Auch aus dem Telos der Norm ergibt sich keine Rechtfertigung dafür, § 4 Abs. 5 TVG als Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung anfänglich nachwirkenden Tarifrechts heranzuziehen. Der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG besteht in der Verhinderung inhaltsleerer Arbeitsverhältnisse. 85 Die Gefährdungslage der Inhaltslosigkeit wird nach dem Ende eines Tarifvertrages akut. Um regelungslose Zustände zu vermeiden und die Zeit bis zum Abschluss eines Nachfolgetarifvertrages zu überbrücken, ordnet § 4 Abs. 5 TVG eine normative
trag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 85 BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1450; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 872; Koberski/Clasen/Menzel, §4 TVG Rn. 181; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 90; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 221; dies., in MünchenerHdb, § 273 Rn. 1 ff.; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 56 f.; Rüthers, Festschrift für Müller, S. 445, 449; Schaub, in ErfKom, § 4 TVG Rn. 73; Wank., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 327; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 408 f.
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Weitergeltung an. Bei anfanglich nachwirkenden Tarifvereinbarungen tritt dieser Überbrückungszweck völlig in den Hintergrund. In Wahrheit verfolgen die Sozialpartner andere Regelungsziele. Sie wollen sich einerseits die Vorteile einer unmittelbar normativen Tarifregelung nutzbar machen - andererseits aber die relative Friedenspflicht außer Kraft setzen und ihre Tarifhormen nur mit einer dispositiven Bindungswirkung versehen. Diese Regelungszwecke lassen sich mit der Überbrückungsftinktion des § 4 Abs. 5 TVG nicht in Einklang bringen.
(e) Ergebnis Die Gesetzesvorschrift des § 4 Abs. 5 TVG rechtfertigt die Vereinbarung anfänglich nachwirkenden Tarifrechts nicht.
(2) Ableitung aus § 4 Abs. 3, L Alt. TVG Keinen Erfolg verspricht die Ableitung einer Regelungsbefugnis aus § 4 Abs. 3, 1. Alt. TVG. 8 6 Zwar legitimiert die Vorschrift die Schaffung dispositiven Tarifrechts. 87 Von einer Gestattung friedenspflichtloser, ausschließlich nachwirkender Tarifvereinbarungen ist jedoch keine Rede. Systematisch knüpft § 4 Abs. 3, 1. Alt. TVG an die vorstehenden Absätze an, die sich ausschließlich mit vollwirksamen - also nicht lediglich nachwirkenden - Tarifhormen befassen. Mit der Zulassung tarifVertraglicher Öffhungsklauseln erlauben die Sozialpartner vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen der Betriebspartner oder der Arbeitsvertragsparteien, ohne jedoch die dispositiven Tarifhormen der relativen Friedenspflicht zu entziehen.88 Diese teleologische Intention spielt hingegen bei der Schaffung anfänglich nachwirkender Tarifhormen keine Rolle, da sie allein auf die Abbedingung der Friedenspflicht zielt.
86 Anders wohl Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung, allerdings ohne nähere Begründung. 87 Insoweit zutreffend Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 88 So genannte dispositive Tarifhormen mit Friedenspflicht - vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 368; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung.
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(3) Ableitung aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Da andere einfachgesetzliche Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich sind, die eine unmittelbare, aber dispositive Tarifgeltung ohne Friedenspflicht ermöglichen, verbleibt nur ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Ob aber aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie eine eigenständige normative Regelungskompetenz abgeleitet werden kann, erscheint zweifelhaft. 89 Grundsätzlich hat der Gesetzgeber mit der Schaffung des Tarifvertragsgesetzes den Sozialpartnern ein effektives Gestaltungsinstrumentarium an die Hand gegeben.90 Die im TarifVertragsgesetz zugelassenen Normentypen sind als abschließendes System zu begreifen. 91 Für eine verfassungsunmittelbare Erweiterung der Normsetzungsbefugnisse besteht kein Anlass. Denn die positivrechtlich anerkannten normativen Geltungsbefehle sind hinreichend, um den Tarifvertragsparteien eine angemessene Gestaltung der Arbeits- und Wirtschafisbedingungen zu ermöglichen. Die geschilderten Interessenlagen für die Schaffung anfänglich nachwirkender Tarifhormen sind nicht derart essentiell, dass es einer verfassungsunmittelbaren Legitimierung dieses Normentypus bedarf. Können lediglich nachwirkende Änderungs- und Ergänzungsabreden mit einer fortbestehenden tarifautonomen Regelungsbefugnis erklärt werden, 92
89
Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 179 f.; Löwisch, RdA 1982, 73, 77; Oetker, ZG 1998, 155, 165; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 248; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 375 und 427; vgl. zudem Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, S. 231 und 247; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 19; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 53 und § 252 Rn. 23; Rieble, ZTR 1993, 54, 55; Zöllner, TarifVertragliche Differenzierungsklauseln, S. 35 f.; siehe in diesem Kontext auch BAG vom 03.04.1990, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG. 90 Das BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 106 fordert nur, dass ein Tarifvertragssystem überhaupt bereitzustellen ist. Siehe dazu auch BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26 f.; BVerfG vom 18.12.1974, BVerfGE 38, 281, 306; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 103; Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 179 f.; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 55 f. Zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers - vgl. BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 317 f.; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 368 f. 91 Aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich kein eigenständiger Geltungsbefehl. Zur enumerativen Verankerung der Normtypen im TarifVertragsgesetz - vgl. Beuthien, ZfA 1983, 141, 159 f.; Löwisch, RdA 1982, 73, 77; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 19 und § 1 TVG Rn. 23; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 53 und § 252 Rn. 23; Mayer-Maly, BB 1966, 1067, 1069; Reuter, ZfA 1990, 535, 546 ff.; Rieble, ZTR 1993, 54, 55; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 102; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 248; vgl. zudem Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105; Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 179 f.; Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, S. 67; Zöllner, TarifVertragliche Differenzierungsklauseln, S. 35 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 425 und 427 f. 92 Vgl. hierzu Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; Herschel, ZfA 1976, 89, 106; ders., Anm. zu BAG
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so rechtfertigt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG hingegen keine anfänglich nachwirkende Tarifhormsetzung.
(4) Ergebnis Mangels Ermächtigungsgrundlage ist der Schaffung von Anfang an nachwirkenden Tarifrechts die rechtliche Anerkennung zu versagen.
bb) Ausschluss der Friedenspflicht Neben der fehlenden Normsetzungsermächtigung ergibt sich ein weiterer Einwand gegen anfänglich nachwirkende Tarifhormen unter dem Gesichtspunkt der relativen Friedenspflicht. Bei den lediglich nachwirkenden Änderungs- und Ergänzungsabreden bestand ursprünglich relative Friedenspflicht. Sie entfalten ihre Regelungswirkung erst zu einem Zeitpunkt, in dem ohnehin keine Arbeitskampfruhe mehr gilt. 93 Demgegenüber ist einem von Anfang an nachwirkenden Tarifvertrag zu keiner Zeit eine relative Friedenspflicht immanent, weil die Tarifvertragsparteien zielgerichtet das relative Arbeitskampfverbot abbedingen. Ob der anfängliche Ausschluss der Friedenspflicht wirksam vereinbart werden kann, ist Gegenstand einer kontroversen Auseinandersetzung.
(1) Streitstand (a) Immanenztheorie Nach herrschender Auffassung ist die relative Friedenspflicht immanenter Bestandteil jedes Tarifvertrages. Zur Begründung dieser Feststellung werden unterschiedliche Ansätze vertreten. Das Bundesarbeitsgericht betont den Sinn und Zweck tarifvertraglicher Vereinbarungen. 94 Während der Laufzeit eines Tarifvertrages sei die geregelte
vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. 93 Siehe oben § 11 C II 2 a bb. 94 BAG vom 08.02.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 31.10.1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 21.12.1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom
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Materie kollektiven Arbeitskampfmaßnahmen entzogen. Da der Tarifvertrag eine Friedensordnung schaffe, wohne ihm ein Arbeitskampfverbot wesensmäßig inne. Seine Grundlage finde das zwingende Friedensgebot in den Besonderheiten des Kollektivvertragsrechts. 95 In Einklang mit dieser ständigen Rechtsprechung stimmt der weit überwiegende Teil der Rechtslehre einer Unabdingbarkeit der relativen Friedenspflicht zu, 96 wobei der Argumentationsschwerpunkt unterschiedlich gesetzt wird. Einige Stimmen fuhren die Immanenz der Friedenspflicht auf das „Wesen" des Tarifvertrages zurück. 97 Andere Vertreter berufen sich auf die „Ordnungsfunktion" tariflicher Abreden. 98 Fernerhin wird für eine „gewohnheitsrechtliche" Ableitung plädiert. 99
12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27.06.1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Siehe zudem LAG Bremen vom 23.11.1983, BB 1984, 1230, 1230; LAG Niedersachsen vom 25.03.1987, DB 1988, 714, 714; LAG Berlin vom 19.05.1988, NZA 1988, 814, 815; LAG Düsseldorf vom 16.12.1988, LAGE § 1 TVG Friedenspflicht Nr. 5; LAG Hamm vom 31.01.1991, DB 1991, 1126, 1127; LAG Köln vom 14.06.1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 95 Das Bundesarbeitsgericht spricht von einer „gesetzlichen" relativen Friedenspflicht - vgl. BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27.06.1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 96 Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 17 f.; Bötticher, BB 1957, 621, 622; Boldt, RdA 1971, 257, 266 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075; Gaul, RdA 1966, 172, 173 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 309; Hueck/Nipperdey/ Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 98; Konzen, Festschrift für Kissel, S. 571, 597; Löwisch, NZA 1988, Beilage 2, S. 3, 4; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 280; dies., in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 126 und 170.2 Rn. 357; dies., in MünchenerHdb, § 277 Rn. 14; Otto, in Münchener-Hdb, § 278 Rn. 81; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 218 und 282; Schaub, ArbeitsrechtsHdb, § 201 Rn. 11; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 65; Sitzler, Festschrift für Molitor, S. 283, 289; Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 353 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 667; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, S. 10 f.; Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 72 ff.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 665 f. und 683; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 231; Zöllner, ZfA 1973, 227, 237; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 366 und 391. 97 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 17; Bötticher, BB 1957, 621, 622; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 309; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 98; Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 89 f.; Tophoven, Anm. zu BAG vom 08.02.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; vgl. auch Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 74; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 665. 98 Boldt, RdA 1971, 257, 267 und 268; Löwisch, NZA 1988, Beilage 2, S. 3, 4; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 280; Rüthers, RdA 1968, 161, 168; ders., in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 218; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 65; Wiedemann, in Wie-
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Vorwiegend ältere Stellungnahmen in der Literatur leiten die Immanenz der relativen Friedenspflicht aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ab. Aus Treu und Glauben ergebe sich die wesensnotwendige Verpflichtung, die vertraglichen Vereinbarungen durchzufuhren und während ihrer Laufzeit nicht in Frage zu stellen. 100
(b) Konsenstheorie Die unabdingbare Verknüpfung von Tarifvertrag und relativer Friedenspflicht wird in der Lehre in Zweifel gezogen. Insbesondere Däubler verwirft die Begründungsansätze der Immanenztheorie und vertritt einen völlig konträren Standpunkt.101 Angesicht des im Tarifrecht geltenden Selbstbestimmungsprinzips stehe die relative Friedenspflicht zur Disposition der Sozialpartner. Denn jede Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis führe zu einer Beeinträchtigung der Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und stehe im Wertungswiderspruch zum verfassungsrechtlich garantierten Streikrecht. 102 Zur Begründung eines Friedensgebotes bedürfe es einer eindeutigen Tarifregelung. 103 Demzufolge bleibe ein Arbeitskampf während der Vertragslaufzeit
demann, § 1 TVG Rn. 665; vgl. auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 307; Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 353. 99 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075; Konzen, Festschrift für Kissel, S. 571, 597; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 324. 100 Gaul, RdA 1966, 172, 173 f.; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 324 f. und 329; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Sitzler, Festschrift fur Molitor, S. 283, 284 f.; Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 353. Siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 99 und 105; Zöllner, ZfA 1973, 227, 237. Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 10 f. plädiert für eine Kombination aus dem Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda" und dem Ordnungsgedanken des Tarifrechts. 101 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 527 ff. Ebenso Buchner, DB 1970, 2074, 2074; ders., Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 27 und 307; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 342; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 142; Strasser, RdA 1965, 401, 404 f. 102 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 537; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 342; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210; Strasser, RdA 1965, 401, 405; widersprüchlich Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 667 (insbesondere Fn. 3). 103 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 539; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 212. Nach Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 342 kann die Friedenspflicht nicht als stillschweigend vereinbart gelten. Demgegenüber tritt Strasser, RdA 1965, 401, 404
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zulässig, wenn im obligatorischen Teil des Tarifabkommens keine Verbotsanordnung getroffen werde. Dass sowohl Inhalt als auch Reichweite der Friedenspflicht dem Konsensprinzip unterliegen, vertreten auch einige Landesarbeitsgerichte. 104
(2) Stellungnahme Die relative Friedenspflicht steht nicht zur Disposition der TarifVertragsparteien. Jedem Tarifvertrag ist während seiner Laufzeit ohne explizite Vereinbarung ein ArbeitskampfVerbot immanent.105 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient die in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerte tarifautonome Rechtsetzungsbefugnis der „Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens." 106 Die Anerkennung der Tarifautonomie und die damit einhergehende Zurückhaltung des formellen Gesetzgebers im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beruht auf der Annahme, dass mit dem Regelungsinstrument des Tarifvertrages eine der staatlichen Ordnung kongruente - im Ergebnis aber flexiblere kollektivvertragliche Arbeitsordnung geschaffen werden kann. Wesentliche Funktion des Tarifvertrages ist demzufolge die Gewährleistung einer Friedensordnung. 107 Das Rechtsinstitut des Tarifvertrages soll während seines zeitlichen Geltungsbereichs die Arbeitsbedingungen bindend festlegen. Der Ausschluss des Arbeitskampfes „auf Zeit" liegt im Interesse aller Normad-
dafür ein, dass in Zweifelsfallen von einer stillschweigenden Vereinbarung einer Friedenspflicht auszugehen ist. 104 LAG Hamburg vom 24.03.1987, NZA 1988, Beilage 2, S. 27, 29; vgl. auch LAG Schleswig-Holstein vom 25.03.1987, NZA 1988, Beilage 2, S. 31, 32. 105 Der Mindermeinung in der Literatur ist zuzugeben, dass ein pauschaler Hinweis auf das „Wesen" und die „Ordnungsfunktion" des Tarifvertrages keine Argumentation ersetzen kann - siehe Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 27; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 528; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210; Strasser, RdA 1965, 401, 402; vgl. auch Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 72 f. 106 BVerfG \om 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 27; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 248; vgl. dazu Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1074; Stahlhacke, Festschrift fur Molitor, S. 351, 354. 107 BAG vom 08.02.1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 21.12.1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 267 und 268; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 218; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 307; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 98; Löwisch, NZA 1988, Beilage 2, S. 3, 4; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 280; Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 353; Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 72 und 74; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 665.
324 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
ressaten. 108 Der Arbeitgeberschaft verbürgt die Friedenspflicht eine sichere Kalkulationsgrundlage und gewährleistet den Arbeitsfrieden in den Betrieben. Zu Gunsten der Arbeitnehmer schützt das KampfVerbot die inhaltlichen Mindestbedingungen, indem es bei konjunkturellen Schwierigkeiten alle arbeitgeberseitigen Maßnahmen zur Absenkung des Tarifhiveaus untersagt. Rechtsdogmatische Grundlage einer immanenten Friedenspflicht sind die kollektivarbeitsrechtlichen Besonderheiten des Tarifvertrages. 109 Denn Sinn und Zweck der Tarifautonomie bestehen in der normativen Ordnung eines existenziellen Lebensbereichs. Jeder Rechtsordnung im weiteren Sinn wohnt eine Befriedungsfunktion inne. 110 Vor diesem Hintergrund wird der Hinweis auf das „Wesen" des Tarifvertrages verständlich. Dabei verfängt es nicht, wenn kritische Stimmen in der Lehre 111 der Ableitung aus dem tarifVertraglichen Wesensgehalt widersprechen, indem sie nachweisen, dass im internationalen Vergleich die Friedenspflicht nicht überall zum unabdingbaren Kerngehalt kollektiver Abkommen zählt. Denn in der Tat ist das ArbeitskampfVerbot keine naturrechtlich vorgegebene Rechtsfolge von Kollektiwereinbarungen. 112 Nach allgemeiner deutscher Rechtsauffassung ist die relative Friedenspflicht aufgrund des typischen Ordnungscharakters normativer Tarifregelungen jedoch von derart essentieller Bedeutung, dass sie als wesensmäßiger Bestandteil eines Tarifvertrages einzustufen ist. 113 In Einklang mit dem überwiegenden Teil der Rechtslehre bejahten bereits das den zwingenden Charakter der Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht
m Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1074; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 306 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 99; Konzen, Festschrift fur Kissel, S. 571, 597; vgl. auch Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 342; siehe zudem Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, S. 5. Zum Interesse an der Festschreibung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen „für eine bestimmte Zeit" siehe auch BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung. 109 Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 74; vgl. auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 310 (Fn. 14a). 110 Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 98. Konzen, Festschrift für Kissel, S. 571, 597 bezeichnet die Friedenspflicht als "Preis" für die Normenwirkung des Tarifinhalts. 111 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 528; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 341. Zur Rechtsvergleichung siehe Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075 f.; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertragl icher Vereinbarungen, S. 7. 1,2 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075; Wallisch, Die tarifliche Einwirkungspflicht, S. 74 (Fn. 384); Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 665. 113 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 310 (Fn. 14a); Wallisch, Die tariflichen Einwirkungspflichten, S. 73 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 665.
§ 11 Statusrechtliche Vereinbarungsbefugnis
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relativen Friedenspflicht. 114 Nahtlos haben das Bundesarbeitsgericht und die herrschende Meinung im Schrifttum an diese Rechtsprechung angeknüpft. 115 Der Rückblick auf die ständige Judikatur der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit legt die Annahme eines gewohnheitsrechtlichen Geltungsgrundes nahe. 116 Maßgebendes Kriterium zur Begründung einer gewohnheitsrechtlichen Ableitung ist die Herausbildung einer allgemeinen Rechtsüberzeugung. 117 Dabei sind nicht allein die Stellungnahmen der Rechtsgelehrten und der Judikatur zu berücksichtigen. 118 Vielmehr muss die Rechtsüberzeugung von den beteiligten Rechtskreisen - hier also den Sozialpartnern und den Normadressaten - geteilt werden. 119 Gegen die vehemente Ablehnung einer gewohnheitsrechtlichen Ableitung durch Däubler spricht der Umstand, dass in den seltensten Fällen die von Ulm favorisierten ausdrücklichen Friedensabsprachen getroffen werden und die Friedenspflicht dennoch in praxi ihre Akzeptanz findet. 120 Ob allein der Hinweis Däublers 121 auf das arbeitskampfrechtliche Fehlverhalten im Rahmen spontaner Arbeitsniederlegungen in den siebziger Jahren geeignet ist, die allgemeine Rechtsüberzeugung zu zerstören, erscheint fraglich. Wenig überzeugend ist es, die Verwerfung einer immanenten Friedenspflicht mit einem Verstoß gegen die Tarifautonomie und insbesondere das Streikrecht zu begründen. Insoweit verkennt die Mindermeinung das System des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Denn der Arbeitskampf ist nur das letzte Mittel zur Erlan114
RG vom 20.01.1910, RGZ 73, 92, 105; RG vom 29.01.1915, RGZ 86, 152, 154; RG vom 30.03.1926, RGZ 113, 197, 198; RAG vom 21.12.1932, ARS 17, 199, 207 f.; RAG vom 24.02.1932, ARS 14, 428, 429; siehe auch Anthes, NZfA 1930, Spalte 529, 541; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 204. Zur Entwicklung der Rechtsprechung und Lehre - vgl. Herschel, ZfA 1976, 89, 103 f.; Strasser, RdA 1965, 401, 403. 115 Siehe die Nachweise oben Fn. 94. 116 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1075; ebenso Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 310 (Fn. 14a); Konzen, Festschrift für Kissel, S. 571, 597; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; Wiedemann/ Stumpf, § 1 TVG Rn. 324; siehe zudem den Standpunkt von Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S.U. 117 Lare nz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 433; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 64. 118 Siehe dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 433; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 64. 119 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 531 (Fn. 46); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 433. 120 Das regelmäßige Fehlen derartigen Friedensklauseln in den Tarifverträgen gesteht auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 536 ein. Strasser, RdA 1965, 401, 403 weist darauf hin, dass es bis zu diesem Zeitpunkt niemand vertreten habe, dass die Friedenspflicht von einer ausdrücklichen Vereinbarung abhänge. 121 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 531; ähnlich Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 341.
326 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
gung einer tariflichen Ordnung. 122 Im Vordergrund koalitionsmäßiger Betätigung steht die Interessen Wahrnehmung auf dem Verhandlungsweg. Dass die erzielten Verhandlungsergebnisse dann zeitweise den Modifikationsbestrebungen einer Tarifpartei entzogen sind, verletzt keinesfalls ihre tarifliche Betätigungsfreiheit. Die vorübergehende Gewährleistung einer Friedensordnung ist gerade Ziel tarifautonomer Gestaltungstätigkeit und steht in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. 1 2 3 Im Übrigen entfallen mit dem Abschluss eines Tarifvertrages keineswegs alle Einflussmöglichkeiten der Sozialpartner, da es ihnen weiterhin offen steht, einvernehmliche Verhandlungen zu bestimmten Problempunkten zu fuhren und sie durch die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung auf gravierende Änderungen der Rahmenbedingungen reagieren können. Mit diesem Gedankenansatz lassen sich auch die kritischen Stimmen widerlegen, die ein praktisches Erfordernis für friedenspflichtlose Tarifabkommen postulieren. 124 Den TarifVertragspartner stehen andere Handhabungen zur Seite, um einer allzu langen ΒindungsWirkung vorzubeugen. Sie können sich ihren Einfluss auf die Tarifentwicklung erhalten, indem sie angemessene Laufzeiten vereinbaren oder die ordentliche Kündigungsbefugnis einzelfallbezogen ausgestalten. Eine rechtliche Notwendigkeit für die Dispositivität der Friedenspflicht ist nicht ersichtlich. Daher liegt die rechtsdogmatische Grundlage des relativen Friedensgebotes nicht im Konsens der Tarifvertragsparteien. Innerhalb der Immanenztheorie ist der These zuzustimmen, die die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht aus den kollektivarbeitsrechtlichen Besonderheiten des Tarifvertrages ableitet. Rechtliche Bedenken bestehen hingegen gegen den privatvertraglichen Begründungsansatz. 125 Die bürgerlichrechtliche Herleitung greift zu kurz, da sie nicht alle arbeitskampfrelevanten Verhaltens122
Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 354; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 6 und 11. Vgl. allgemein zum ultima-ratio-Grundsatz BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1147; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 98; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 22 f. und 170.2 Rn. 108 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 88. 123 BAG vom 31.10.1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1074; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 310 (Fn. 14a); Stahlhacke, Festschrift für Molitor, S. 351, 354; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 11; Wallisch, Die tarifliche Einwirkungspflicht, S. 74. 124 So Buchner, DB 1970, 2074, 2074; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 533 ff.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 342; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 209. 125 Strasser, RdA 1965, 401, 404; Wallisch, Die tarifliche Einwirkungspflicht, S. 73 f. Vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 532; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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weisen erfassen kann, die zum Kreis potentieller Druckmittel zählen. 126 Denn aus allgemeinen vertragsrechtlichen Erwägungen ergibt sich zwar während der vereinbarten Vertragslaufzeit eine Pflicht, die getroffenen Absprachen zu erfüllen. Der Erfüllungszwang verbietet es jedoch nicht, fortführende Vertragsverbesserungen anzustreben und darauf abzielende Maßnahmen zu ergreifen. Eine Argumentation mit dem in § 242 BGB wurzelnden Treuegrundsatz, „alles zu unterlassen, was die Erfüllung des vertraglichen Zwecks vereitelt", gewährleistet ebenfalls keinen umfassenden relativen Arbeitsfrieden. Solange nämlich die änderungswillige Tarifpartei am Tarifergebnis festhält und lediglich außerhalb der tatsächlichen Vertragsabwicklung zu Neu- oder Nachverhandlungen drängt, kann nicht von einer Treuepflichtverletzung gesprochen werden.
(3) Ergebnis Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages können ihre Tarifhormen somit nicht von Anfang an von der relativen Friedenspflicht freistellen.
c) Schlussfolgerung Mangels Rechtsgrundlage und wegen des zwingenden Charakters der relativen Friedenspflicht ist es den Partnern des Anerkennungstarifvertrages verwehrt, den gesetzten Tarifbestimmungen einen anfänglich nachwirkenden Rechtsstatus zuzuweisen. Aus den Besonderheiten der tariflichen Verweisungstechnik ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die eingangs beschriebenen Interessenlagen sind nicht derart essentiell, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf die Schaffung anfänglich nachwirkender Tarifhormen angewiesen wären. Beizupflichten ist daher dem Bundesarbeitsgericht, wenn es in seiner Entscheidung vom 09.07.1980 der Verweisung auf nachwirkende Tarifhormen unter Aufrechterhaltung des Nachwirkungsstatus explizit seine Anerkennung versagt. 127
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel Mit der dynamischen Rechtsstatusklausel verstärken die Tarifvertragsparteien die Anbindung des Anerkennungstarifvertrages an die Verbandstarifentwick126 Wallisch, Die tarifliche Einwirkungspflicht, S. 73 f.; vgl. auch Strasser, RdA 1965, 401,404. 127 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. Ebenso BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form.
328 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
lung, denn neben einer fortwährenden inhaltlichen Angleichung erfolgt eine statusrechtliche Gleichstellung. 128 Im Folgenden ist unter Berücksichtigung der im vorhergehenden Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse zu analysieren, ob die dynamische Rechtsstatusklausel in zulässiger Weise zum Gegenstand eines Anerkennungstarifvertrages gemacht werden darf.
A. Wirkungsweise der dynamischen Rechtsstatusklausel Um die Rechtskonformität der dynamischen Rechtsstatusklausel sinnvoll beurteilen zu können, müssen zunächst ihre Rechtsfolgewirkungen herausgearbeitet werden. Hierzu bedarf es einer Auslegung der statusrechtlichen Anordnungen.
I. Dynamische Rechtsstatusklausel im engeren Sinne Im Vordergrund der Rechtsfolgenbetrachtung steht die Rechtsstatusklausel im engeren Sinne, denn die zusätzlichen Anordnungen konkretisieren lediglich deren Regelungsgehalt.
1. Auswirkungen auf die kraft Verweisung inkorporierten Tarifnormen Im Wortlaut nehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Tarifnormen des VerbandstarifVertrages mit ihrem jeweiligen Rechtsstatus in Bezug. 129 Die Formulierung befasst sich mit der Geltungsweise der in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Tarifhormen. Dabei knüpft die Statusverweisung am Rechtsnormcharakter des bezogenen VerbandstarifVertrages an. In ihrer Entwicklung kann die Verbandstarifordnung mehrere Stadien durchlaufen. Während des zeitlichen Geltungsbereichs haben die Verbandstarifhormen unmittelbare und zwingende Geltung. 130 Danach wirken sie entweder gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach oder verlieren bei Ausschluss der Nachwirkung ihre normative Wirkung vollends. Im Laufe der Zeit wiederholt sich dieser Wand-
128 Die Klausel kommt regelmäßig dann zur Anwendung, wenn die Gewerkschaft sowohl Partei des verweisenden Anerkennungstarifvertrages als auch des bezogenen VerbandstarifVertrages ist - vgl. beispielsweise den Sachverhalt von BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Siehe zudem den Jenoptik-Anerkennungstarifvertrag vom 29.04.1995 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 123. 129 Zum Wortlaut siehe oben vor § 11. 130 Vorbehaltlich der dispositiven aber friedenspflichtgesicherten Tarifnormgeltung gemäß §4 Abs. 3, 1. Alt. TVG.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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lungsprozess in ständiger Abfolge. Denn mit der Beendigung des VerbandstarifVertrages treten die Sozialpartner regelmäßig in TarifVerhandlungen ein, die mit dem Abschluss eines neuen, wiederum unmittelbar und zwingend wirkenden Nachfolgetarifvertrages enden. Nach dem Wortsinn der Rechtsstatusklausel wollen die Partner des Anerkennungstarifvertrages genau diesen fortlaufenden Wandel des verbandstarifvertraglichen Rechtsstatus nachvollziehen. Genauso wie die jeweiligen inhaltlichen Vorgaben ohne gesonderte Rechtshandlungen in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert werden, 131 streben die Parteien einen solchen Automatismus im Hinblick auf den jeweiligen Tarifhormstatus an. Gilt also der bezogene Verbandstarifvertrag zwingend und unmittelbar, so weist die Rechtsstatusklausel den auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene übergeleiteten Tarifhormen dieselbe Wirkungsweise zu. Befindet sich der Verbandstarifvertrag im Stadium der Nachwirkung, dann übernehmen die inkorporierten Normen automatisch jenen Nachwirkungsstatus. Ist das Bezugsobjekt vollständig außer Kraft getreten, sichert die Rechtsstatus Verweisung auch insoweit eine statusrechtliche Konformität. Ihren besonderen Effekt erfahrt die Rechtsstatusklausel durch die Dynamisierung. Angesichts der inhaltlich dynamischen Verweisung ist der Anerkennungstarifvertrag auf lange Sicht an die verbandstarifliche Entwicklung gebunden. Während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages wechseln die bezogenen Verbandstarifnormen daher unter Umständen mehrfach ihren Rechtscharakter. Dadurch entsteht ein ständiges „ A u f und Ab" des maßgebenden anerkennungstarifvertraglichen Normenstatus. Die grammatikalische Auslegung der dynamischen Rechtsstatusklausel legt die Annnahme einer „echten" Statusvereinbarung nahe. Der Statuswandel soll auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages real nachvollzogen werden. Bestätigt wird diese Wortlautauslegung durch eine Betrachtung von Sinn und Zweck der dynamischen Rechtsstatusanbindung. Mit jedem Stadium der Tarifnormgeltung sind unterschiedliche tarifrechtliche Konsequenzen verbunden. Es ist das Ziel der Rechtsstatusabrede, sämtliche mit dem jeweiligen Normenstatus des VerbandstarifVertrages verbundenen Rechtsfolgen spiegelbildlich auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages zu projizieren. Im Zentrum des Regelungsinteresses stehen die arbeitskampfrechtlichen Folgewirkungen der unterschiedlichen Normenstadien. Arbeitskämpfe sollen zeitgleich auf der Verbandsebene wie auf der firmentarifVertraglichen Ebene gefuhrt werden können. 132 Praktische Bedeutung erlangt die Symmetrie des Tarifhormstatus zudem im Hinblick auf § 4 Abs. 5, 2. HS TVG, denn mit der parallelen Zuweisung des 131 Zu den Rechtswirkungen der inhaltlich dynamischen Verweisungsklausel siehe oben § 4 D I und § 6 Β I. 132 Zu den arbeitskampfrechtlichen Folgeproblemen siehe unten § 12 Β II.
330 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Nachwirkungsstatus werden die inkorporierten Tarifhormen ebenfalls dispositiv und können durch andere Abmachungen ersetzt werden. Um diese Rechtsfolgen in der anerkennungstarifVertraglichen Rechtsbeziehung tatsächlich nachzuvollziehen, bedarf es eines realen Rechtsstatuswandels. Mit der Zuweisung des jeweiligen Tarifhormstatus disponieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages also über den Rechtsstatus der von ihnen kraft Verweisung geschaffenen Tarifbestimmungen.
2. Auswirkungen auf die originären Tarifbestimmungen Bei der Bestimmung der Wirkungsweise der dynamischen Rechtsstatusklausel im engeren Sinne ist eine differenzierende Betrachtung angezeigt. Die statusrechtliche Anbindung bezieht sich ausschließlich auf die in Bezug genommenen Tarifbestimmungen. Alle übrigen Regelungsbestandteile des Anerkennungstarifvertrages nehmen am Rechtsstatuswandel nicht teil. In Konsequenz dessen bleiben insbesondere die inhaltlich dynamische Verweisungsanordnung und die dynamische Rechtsstatusklausel selbst von der Statusanbindung unbeeinflusst. Ihre Anordnungen haben über die gesamte Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages zwingende Gültigkeit. Gleiches gilt fur alle inhaltlich originären Regelungen im Anerkennungstarifvertrag. Bereits der Wortlaut der Rechtsstatusklausel erfasst eigenständig ausgehandelte Tarifbestimmungen nicht. Zudem finden die originären Regelungsabsprachen keine Entsprechung im bezogenen VerbandstarifVertrag, sodass eine statusrechtliche Gleichstellung keinen Anknüpfungspunkt besitzt. Insbesondere bei Teilbezugnahmen unterliegen deshalb die selbst gestalteten Tarifhormen keiner dynamischen Rechtsstatusanpassung.133
3. Ergebnis Mit der dynamischen Rechtsstatusklausel im engeren Sinne disponieren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages über den Rechtsstatus der von ihnen kraft Verweisung gesetzten Tarifhormen. Angesichts der Beschränkung der Rechtsstatusanbindung auf die inkorporierten Tarifhormen erzeugen die Sozialpartner für ein und denselben Anerkennungstarifvertrag zwei unterschiedliche
133
In der Tarifpraxis findet sich die dynamische Rechtsstatusklausel vornehmlich in global verweisenden Anerkennungstarifverträgen, sodass die statusrechtliche Problematik bei Teilbezugnahmen selten relevant wird.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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Vorschriftentypen, und zwar statusrechtlich modifizierbare und langfristig vollwirksame Tarifvertragsbestimmungen. 134
II. Konkretisierende Anordnungen Zwecks Konkretisierung der dynamischen Rechtsstatusklausel im engeren Sinne formulieren die Partner des Anerkennungstarifvertrages weiterfuhrende Anordnungen und veranschaulichen damit die Rechtsfolgen der statusrechtlichen Anlehnung an den Verbandstarifvertrag.
1. Inhalt der konkretisierenden Artordnungen Im Wege der Auslegung muss zunächst der Bedeutungsgehalt der Konkretisierungsabreden bestimmt werden.
a) Kündigungsklausel Mit der Kündigungsklausel machen sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages fremde Kündigungserklärungen zu Eigen. Eine Kündigung des bezogenen VerbandstarifVertrages „soll" zugleich als Kündigung der in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Bestimmungen gelten. 135 Erklärt die Gewerkschaft oder der Arbeitgeberverband die Kündigung des VerbandstarifVertrages, so zeitigt diese Willenserklärung auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene ihre Wirkung, ohne dass es einer eigenständigen Erklärung der verweisenden Sozialpartner bedarf. Demzufolge entscheiden nicht die Parteien des Anerkennungstarifvertrages über die Beendigung der von ihnen kraft Bezugnahme geschaffenen Tarifhormen, sondern die Verbandstarifpartner. 136 Aus der grammatikalischen Anknüpfung an der Beendigung der verbandstarifVertraglichen Normen kann argumentum e contrario geschlussfolgert werden, dass die übernommene Kündigungserklärung den Anerkennungstarifvertrag keinesfalls in seiner Gesamtheit, sondern lediglich die inkorporierten Tarifhor-
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Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 107; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 135 Zum genauen Wortlaut oben vor § 11. U6 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 109; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; vgl. zudem Baumann, RdA 1987, 270, 273.
332 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
men erfasst. 137 In Anbetracht des ungekündigten Fortbestands der originären Tarifbestimmungen hat die Kündigungsklausel somit die Wirkungen einer Teilkündigung. Der Sinn und Zweck der konkretisierenden Anordnung besteht darin, die inkorporierten Tarifhormen zum gleichen Zeitpunkt wie die bezogenen Verbandstarifbestimmungen in das Beendigungsstadium zu überfuhren. Damit wollen die verweisenden Tarifvertragsparteien sicherstellen, dass alle mit der Kündigung des VerbandstarifVertrages verbundenen Rechtsfolgen zeitgleich in der anerkennungstarifvertraglichen Rechtsbeziehung wirksam werden.
b) Tarifforderungsklausel In einer weiteren Konkretisierungsanordnung vereinbaren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages, dass Tarifforderungen der Verbandstarifpartner auch auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene als „gestellt gelten". 138 Sie betrachten sich selbst als Adressaten der in den VerbandstarifVerhandlungen erhobenen Regelungsverlangen. Praktische Bedeutung erlangt die Klausel während der Beendigungsphase des bezogenen VerbandstarifVertrages, wenn die Koalitionen über den Abschluss eines nachfolgenden Verbandstarifabkommens verhandeln. Verlangt der Arbeitgeberverband eine bestimmte Tarifgestaltung, so gilt dies selbstredend als Regelungsbegehren des am Anerkennungstarifvertrag beteiligten Arbeitgebers. Genauso richten sich Tarifforderungen der Gewerkschaft nicht nur an den Arbeitgeberverband, sondern gleichzeitig an den anerkennenden Arbeitgeber. Das Motiv der Tarifforderungsklausel ist arbeitskampfrechtlicher Natur. Bevor Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet werden dürfen, ist es nach dem ultima-ratio-Prinzip erforderlich, die anvisierten Regelungsvorstellungen dem Tarifgegner bestimmt genug mitzuteilen, damit dieser auf die Forderungen eingehen und einen drohenden Arbeitskampf notfalls abwenden kann. 139 Indem sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die jeweiligen Forderungserklärungen der Verbandstarifpartner zu Nutze machen, schaffen sie parallel zur 137 Vgl. Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR. Diese Betrachtung geht konform zu der oben getroffenen Feststellung, dass sich die dynamische Rechtsstatusklausel im engeren Sinne ausschließlich auf die inkorporierten TarifVorschriften bezieht. 138 Zum genauen Wortlaut oben vor § 11. 139 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 137; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; Otto, in MünchenerHdb, § 285 Rn. 68; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133.
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Verbandsebene in ihrer Tarifbeziehung die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme arbeitskampfrechtlicher Druckmittel.
c) Friedenspflichtklausel Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ordnen die zwischen ihnen bestehende Friedenspflicht und Arbeitskampffreiheit so, als „wäre" der tarifVertragschließende Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband. 140 Solange ein im Unternehmerverband organisierter Arbeitgeber Friedensschutz genießt, soll sich der anerkennende Arbeitgeber ebenso auf ein Arbeitskampfverbot berufen können. Endet hingegen die Friedenspflicht auf Verbandsebene, schlägt ihr Untergang auf den Anerkennungstarifvertrag durch. Das Regelungsziel der konkretisierenden Anordnung besteht darin, die Friedenspflicht zwischen den Anerkennungstarifparteien in zeitlicher und in qualitativer Hinsicht an die jeweilige Friedensordnung auf Verbandsebene anzubinden. Zur Begründung eines derartigen Gleichlaufs der Friedenspflicht ist es hinreichend, den anerkennenden Arbeitgeber wie einen verbandsangehörigen Unternehmer zu behandeln. Da die Gewerkschaft sowohl am bezogenen VerbandstarifVertrag als auch am Anerkennungstarifvertrag beteiligt ist, bedarf es ihr bezüglich keiner weiteren Gleichstellungsabrede. Die dynamische Anbindung an die verbandstarifVertragliche Friedenspflicht ist im arbeitskampfrechtlichen Kontext zu sehen. Mit dem Wegfall der Friedenspflicht sind die Sozialpartner legitimiert, Arbeitskampfmaßnahmen einzuleiten. 141 Die Friedenspflichtklausel stellt sicher, dass für die Parteien des Verbands· und des Firmentarifvertrages zeitgleich das ArbeitskampfVerbot entfällt und auf beiden Ebenen parallele Arbeitskämpfe geführt werden dürfen. Trotz des unbegrenzten Wortlauts ist nach Sinn und Zweck der Friedenspflichtklausel nicht davon auszugehen, dass der gesamte Anerkennungstarifvertrag die Modifikationen der verbandstarifVertraglichen Friedenspflicht nachvollziehen soll. Es entspricht keineswegs dem Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, die inhaltlich dynamische Verweisungsklausel, die dynamische Rechtsstatusklausel sowie etwaige originäre Sonderabreden zum Gegenstand arbeitskampfrechtlicher Auseinandersetzungen zu machen. Vielmehr sollen jene Regelungsgegenstände, die ohnehin keine inhaltliche Entsprechung im 140
Zum genauen Wortlaut oben vor § 11. BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 317; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1082; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 339 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 352 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 232; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 664 und 679; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 391 und 460. 141
334 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
bezogenen Verbandstarifvertrag finden, während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages unverändert ihre zwingende Wirkung entfalten. 142 Deshalb erfasst die Friedenspflichtklausel ausschließlich die inkorporierten Tarifhormen, die somit während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages keine dauerhafte Friedensordnung erzeugen, sondern unter Umständen mehrfach ihren Friedenscharakter wandeln. Konform zur Auslegung der dynamischen Rechtsstatusklausel im engeren Sinne ist daher eine strikte Trennung zwischen den inkorporierten und den originär getroffenen Tarifregelungen angezeigt.143
2. Konsequenzen aus der fiktiven Formulierungsweise Auffällig für alle konkretisierenden Anordnungen ist ihre fiktive Formulierungsweise. Sowohl die Parteien des Anerkennungstarifvertrages als auch die von ihm betroffenen Normadressaten 144 müssen sich so behandeln lassen, als wären die mit dem jeweiligen Rechtsstatus des VerbandstarifVertrages verbundenen rechtlichen Konsequenzen auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene eingetreten. Der Fiktionscharakter widerspricht aber nicht der Qualifizierung der dynamischen Rechtsstatusklausel im engeren Sinne als „echter" Statusabrede. 145 Die konkretisierenden Anordnungen fingieren nicht den Rechtsstatuswandel, sondern sie setzen ihn real voraus. Es sind andere Sachgründe für die Fiktionen ursächlich, die einer tatsächlichen Übernahme des verbandstarifVertraglichen Rechtsstatus keineswegs entgegenstehen. Sachlicher Hintergrund für die fiktive Formulierung der Kündigungsklausel und der Tarifforderungsklausel ist der Umstand, dass sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages fremde Willenserklärungen zu Eigen machen, die in ihrer Tarifrechtsbeziehung weder ausdrücklich abgegeben werden noch gemäß § 130 BGB zugehen. Auch im Hinblick auf die Friedenspflichtklausel kann dem anerkennenden Unternehmer die Rechtsstellung eines verbandsangehörigen Arbeitgebers nur im Wege einer Fiktion zugewiesen werden, weil es bereits aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, dass außenstehende Dritte durch eine Vertragsabrede die Mitgliedschaft in einer Arbeitgebervereinigung be-
142
Erst mit der Kündigung des Anerkennungstarifvertrages in seiner Gesamtheit verlieren die originären Tarifvertragsbestimmungen ihre verbindliche Geltung. 143 Siehe oben § 12 A I 2. 144 Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitgeber gleichzeitig Tarifvertragspartei und Normadressat ist - vgl. Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 54; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 14; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 228; siehe zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 717. 145 Siehe dazu oben § 12 A I 1.
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335
gründen. Die Erklärung des Verbandsbeitritts darf der Arbeitgeber nur höchstpersönlich gegenüber der Koalition abgeben.146
3. Ergebnis Somit stützt die Auslegung der konkretisierenden Anordnungen die Annahme, dass die dynamische Rechtsstatusklausel im engeren Sinne als „echte" Statusabrede zu qualifizieren ist.
III. Schlussfolgerungen zur Wirkungsweise Die dynamische Rechtsstatusverweisung ermöglicht innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des Anerkennungstarifvertrages einen fortlaufenden Wandel des Normenstatus der inkorporierten Tarifbestimmungen. Mithin kann der Anerkennungstarifvertrag während seiner Laufzeit unmittelbar und zwingende, nachwirkende oder sogar gänzlich außer Kraft getretene Tarifhormen zum Inhalt haben. Maßgebend ist der jeweilige Rechtsstatus des bezogenen VerbandstarifVertrages, der auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene real nachvollzogen wird. Um zu verstehen, warum die Parteien des Anerkennungstarifvertrages den inkorporierten Tarifhormen keinen feststehenden - sondern einen wandelnden Rechtsstatus zuweisen, ist auf den tarifpolitischen Zweck der Rechtsstatusabrede zurückzukommen. Die Initiative zur Aufnahme der dynamischen Rechtsstatusklausel in den Anerkennungstarifvertrag geht regelmäßig von den Gewerkschaften aus. Erreicht die Arbeitnehmerkoalition den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages, der sowohl inhaltlich als auch statusrechtlich in dynamischer Form auf den VerbandstarifVertrag verweist, so sichert dies einerseits die Partizipation der tarifgebundenen Arbeitnehmer an der Flächentarifentwicklung und verhindert andererseits jede Attraktivität des Firmentarifvertrages. Denn trotz der rechtlichen Selbstständigkeit des Anerkennungstarifvertrages treten alle wesentlichen Rechtsfolgewirkungen, die mit der Tarifgebundenheit an einen Verbandstarifvertrag einhergehen, symmetrisch in der firmentarifVertraglichen Rechtsbeziehung ein. Im Zentrum des gewerkschaftlichen Interesses steht die arbeitskampfrechtliche Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den im Arbeitgeberverband organisierten Unternehmen. Die Rechtsstatusanbindung trägt Sorge dafür, dass die Voraussetzungen für die Ergreifung von Arbeitskampf146
Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 444 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 182 ff.; vgl. auch Oetker, RdA 1999, 96, 100 f.
336 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
maßnahmen zeitgleich auf Verbands- und firmentarifVertraglicher Ebene eintreten und der anerkennende Arbeitgeber parallel in die Verbandstarifauseinandersetzungen einbezogen werden kann. Tarifpolitisch gesehen ist der mit einer dynamischen Rechtsstatusklausel versehene Anerkennungstarifvertrag eine effektive gewerkschaftliche Reaktion auf alle Bestrebungen, dem Flächentarifsystem zu entfliehen. 147 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass die Rechtsstatusanbindung durchaus Vorteile fur den anerkennenden Arbeitgeber begründen kann. Befindet sich der bezogene VerbandstarifVertrag in der Phase der Nachwirkung, dürfen die verbandsangehörigen Arbeitgeber tarifVertragsverdrängende Abmachungen im Sinne des § 4 Abs. 5, 2. HS TVG anstreben. Um dem anerkennenden Arbeitgeber zeitgleich einen Abbau des Tarifstandards zu ermöglichen, bedarf es einer statusrechtlichen Gleichstellungsabrede. Zu beachten ist jedoch, dass die Abänderungsbefugnis des § 4 Abs. 5, 2. HS TVG den Arbeitgeber keineswegs einseitig privilegiert, denn auch die Arbeitnehmer sind berechtigt, auf eine abändernde Abmachung hinzuwirken, sodass das Interesse der Arbeitgeberseite an der Rechtsstatusvereinbarung zu relativieren ist.
B. Rechtmäßigkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel Ausgehend von den Betrachtungen zur Wirkungsweise der statusrechtlichen Anbindung ist nunmehr auf die Rechtswirksamkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel einzugehen. In einer kurzen Stellungnahme im Urteil vom 18.12.1996 befürwortet das Bundesarbeitsgericht die Statthaftigkeit der anerkennungstarifVertraglichen Rechtsstatusanbindung.148 Die knappen höchstrichterlichen Ausführungen werden indes der Vielschichtigkeit der Problematik keinesfalls gerecht. Mit der Klausel werden nicht nur Fragen der statusrechtlichen Dispositionsbefugnis, sondern auch Fragen des Arbeitskampfrechts, der negativen Koalitionsfreiheit und weiterer tarifVertraglicher Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen aufgeworfen, die es im Folgenden zu analysieren gilt.
147
Allgemein zu dieser Funktion des dynamischen Anerkennungstarifvertrages - siehe Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 380; Schaub, BB 1996, 2998, 2300; ders., NZA 1998, 617, 618; Sehr oeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; ders., Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372; vgl. auch Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Kittner, AiB 1995, 158, 160; Pfarr, ZTR 1997, 1,1. Siehe zudem Braun, BB 1986, 1428, 1428; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 505. 148 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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I. Statusrechtliche Dispositionsbefugnis Die Rechtskonformität der dynamischen Rechtsstatusklausel hängt grundlegend davon ab, ob die Parteien des Anerkennungstarifvertrages über den Rechtsstatus der inkorporierten Tarifhormen disponieren dürfen.
1. Höchstrichterliche Erklärungsansätze In der höchstrichterlichen Rechtsprechung finden sich zu dieser Problematik einige Erklärungsansätze.
a) Rechtsprechung zur dynamischen Rechtsstatusklausel Der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts vertritt in seiner Entscheidung vom 18.12.1996 die Auffassung, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages mit der dynamischen Rechtsstatusklausel keine von vornherein nachwirkenden Tarifhormen setzen. Aus diesem Grund bestehe kein materiellrechtlicher Einwand gegen die Vereinbarung einer statusrechtlichen Anbindung. 149 Argumentativ beschränkt sich das Bundesarbeitsgericht auf eine schlicht temporäre Betrachtung. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages habe der bezogene VerbandstarifVertrag mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gegolten. Infolge der dynamischen Rechtsstatusanbindung sei dieser Normenstatus synchron den inkorporierten Anerkennungstarifnormen zugewiesen worden. Weil die übernommenen Tarifhormen demzufolge allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in entsprechender Parallelität zur Verbandsebene in das Stadium der Nachwirkung treten, handele es sich per definitionem nicht um „von vornherein nachwirkende" anerkennungstarifVertragliche Normen.
b) Rechtsprechung zur Rechtsstatusproblematik
im Allgemeinen
In diesem Kontext liefern weitere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts wichtige Anhaltspunkte für die dogmatische Bewertung der dynamischen
149 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. Wörtlich formuliert das Bundesarbeitsgericht, dass die außerordentliche Kündigung des bezogenen VerbandstarifVertrages - und damit der Beginn des Nachwirkungsstadiums - erst „rund 1 lA Jahre nach Abschluss des Anerkennungstarifvertrages erfolgte, sodass dieser nicht die Setzung von von vornherein nachwirkenden Normen zum Inhalt hatte". Im Ergebnis zustimmend, allerdings mit anderer Begründung - vgl. Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung.
338 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Rechtsstatusklausel, wobei sich die höchstrichterlichen Ausführungen jeweils auf das Normenstadium der Nachwirkung konzentrieren. Mehrfach hat das Bundesarbeitsgericht zu statusrechtlichen Problemlagen Stellung genommen, deren Ursprung in der Blankettverweisungstechnik wurzelt. 150 Konkret ist es um die Frage gegangen, ob der VerweisungstarifVertrag mit dem Eintritt des bezogenen Tarifwerkes in die Nachwirkungsphase den Rechtsstatuswandel kongruent nachvollzieht. In allen behandelten Fällen hatte eine ausdrückliche Rechtsstatusabrede gefehlt, sodass die statusrechtliche Bewertung allein an der inhaltlich dynamischen Verweisungsanordnung anknüpfen konnte. Die einzelnen Senate des Bundesarbeitsgerichts beurteilen die statusrechtliche Verweisungsproblematik unterschiedlich. Der 4. Senat vertritt in zwei Beschlüssen die Auffassung, dass der VerweisungstarifVertrag den Nachwirkungsstatus des Bezugstarifvertrages automatisch übernehme. 151 Er gelangt zu diesem Ergebnis im Wege der Auslegung der inhaltlich dynamischen Verweisungsklausel. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der dynamischen Bezugnahmeanordnung solle der verweisende Tarifvertrag „immer so gelten", wie der bezogene Tarifvertrag. Die verweisenden Tarifvertragspartner beabsichtigten eine Gleichstellung zum bezogenen Tarifvertrag sowohl in inhaltlicher als auch in statusrechtlicher Hinsicht. In Divergenz hierzu vertritt der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts den gegenteiligen Standpunkt.152 Der VerweisungstarifVertrag trete nicht gleichzeitig mit dem Bezugstarifvertrag in das Nachwirkungsstadium. Vielmehr gelte er weiterhin unmittelbar und zwingend. Nur der materielle Inhalt der Tarifvorschriften unterliege der dynamischen Anpassung - nicht jedoch die rechtliche Wirkungsweise der Tarifhormen. Maßgebend für die Normgeltung sei allein die statusrechtliche Geltung des Verweisungstarifvertrages. Zur Begründung dieser Auffassung führt der 1. Senat wörtlich aus: „Die rechtliche Wirkung von Tarifhormen steht nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien." 153 150
BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. 151 BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; vgl. auch BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ähnlich Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1. lS2 BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. Siehe auch Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 126; vgl. zudem Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 108 f.; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 153 Im Klammerzusatz verweist das BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972 auf die Entscheidung des BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung, in der die Schaffung nachwirkender Tarifverträge für unzulässig erklärt wurde.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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Wenig überzeugend ist es, wenn der 1. Senat in den weiteren Ausführungen versucht, einen Widerspruch zur Rechtsprechung des 4. Senats zu entkräften. 154 Der in den Entscheidungsbegründungen gewählte Wortlaut spricht dafür, dass der 4. Senat von einer realen Umwandlung vollgültiger in nachwirkende Tarifvertragsbestimmungen ausgeht.155 Bezeichnenderweise stimmen die Begründungsansätze beider Senate in keiner Weise überein. Der 1. Senat legt den Schwerpunkt auf die Rechtsfrage der statusrechtlichen Dispositionsbefugnis, wohingegen der 4. Senat ausschließlich Auslegungsfragen diskutiert. Folgt man der Argumentation des 1. Senats, so deutet dies auf eine Unwirksamkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel hin. Es bleibt dann aber zu klären, ob sich ein abweichendes Ergebnis daraus ergibt, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine explizite Rechtsstatusvereinbarung getroffen haben. Dagegen sprechen die Aussagen des 4. Senats für eine Statthaftigkeit der dynamischen Rechtsstatusanbindung.
2. Stellungnahme Eine rechtliche Bewertung der statusrechtlichen Dispositionsbefugnis muss sich am jeweiligen Normenstatus des übernommenen VerbandstarifVertrages orientieren.
a) Unmittelbar und zwingend wirkende
Verbandstarifnormen
Solange sich der Verbandstarifvertrag in der Phase seiner unmittelbaren und zwingenden Geltung befindet, bestehen keine Rechtmäßigkeitsbedenken gegenüber der statusrechtlichen Bezugnahme. Eine Schaffung vollgültiger anerkennungstarifvertraglicher Normen im Wege der Statusverweisung ist nicht zu beanstanden, da sie dem Normalfall tariflicher Normsetzung entspricht. 156
154 Schüren/Kirsten, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. auch Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29. 155 Im Wortlaut führt das BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR aus, dass „im Bereich des Verweisungstarifvertrages der bezogene Tarifvertrag nur noch mit den Rechtswirkungen des § 4 Abs. 5 TVG weitergilt." 156 Siehe dazu oben § 11 A II.
340 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages b) Nachwirkende
Verbandstarifnormen
Die rechtliche Problematik entzündet sich erst, wenn der Bezugstarifvertrag in das Stadium der Nachwirkung tritt. Im Rahmen der Auswertung der Wirkungsweise dynamischer Rechtsstatusklauseln wurde herausgearbeitet, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages den statusrechtlichen Wandel der Verbandstarifhormen in ihrem Tarifrechtsverhältnis real nachvollziehen. Mit der Rechtsstatusabrede disponieren die Sozialpartner somit über den Tarifnormstatus, indem sie spiegelbildlich zur Beendigung des bezogenen VerbandstarifVertrages ihren inkorporierten Tarifbestimmungen zeitgleich den Nachwirkungsstatus zuweisen.157 Hiermit ist die zentrale Rechtsfrage der Rechtsstatusverweisung angesprochen: Dürfen die Firmentarifparteien ihre Tarifhormen während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages zeitweise in einen nachwirkenden Rechtsstatus versetzen? Die Streitfrage der Vereinbarung nachwirkender Tarifhormen war bereits Gegenstand einer ausfuhrlichen rechtlichen Würdigung. 158 Wer mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jede Kompetenz der Sozialpartner für die Schaffung nachwirkender Tarifbestimmungen ablehnt, 159 muss der dynamischen Rechtsstatusklausel ausnahmslos die Anerkennung versagen. Konsequent ist dann der Hinweis des 1. Senats auf die fehlende statusrechtliche Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien. 160 Die Befürwortung der Statthaftigkeit dynamischer Rechtsstatusklauseln durch den 4. Senat in seinem Urteil vom 18.12.1996 fügt sich in die bisherige höchstrichterliche Dogmatik nicht ein. 161 Gleichwohl kann nicht angenommen werden, dass der 4. Senat die Bewertung der statusrechtlichen Dispositionsbefugnis wegweisend modifizieren wollte. Denn die knappen, wenig tiefgehenden Ausführungen lassen nicht auf eine Lossagung von der ständigen Rechtsprechung schließen. Vielmehr ist die höchstrichterliche Stellungnahme aufgrund ihres Begründungsdefizits und ihrer inneren Widersprüchlichkeit inkonsequent.
157
Siehe oben § 12 A I 1. Siehe oben § 11 CH 2. 159 BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 15.05.1974, AP Nr. 3 zu § 33 BAT; BAG vom 19.06.1974, AP Nr. 3 zu § 3 BAT; BAG vom 28.08.1974, AP Nr. 79 zu §§ 22, 23 BAT; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. zudem BAG vom 28.06.1972, AP Nr. 55 zu §§ 22, 23 BAT. 160 BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. Auch Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29 bezeichnet diesen Standpunkt als konsequent. 161 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 158
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
341
Konzeptionell wurde eingangs allerdings herausgearbeitet, dass auch dem rigiden Standpunkt der ständigen Rechtsprechung, die jede statusrechtliche Dispositionsbefugnis verneint, keineswegs zugestimmt werden kann. 162 Denn es ist zulässig, nachwirkende Tarifbestimmungen unter Aufrechterhaltung des Nachwirkungsstatus zu ändern oder zu ergänzen. Nur die Setzung von Anfang an nachwirkender Tarifhormen verstößt gegen die Grundsätze einer rechtskonformen tariflichen Normgebung.
aa) Schaffung „von Anfang an" nachwirkender Tarifhormen Für die Beurteilung der Rechtskonformität der dynamischen Rechtsstatusklausel kommt es also entscheidend darauf an, ob durch die Statusabrede „lediglich nachwirkende" oder „von Anfang an" nachwirkende Tarifhormen geschaffen werden. Buchner, der die statusrechtliche Anbindung an die Geltungsweise des Bezugstarifvertrages im Ergebnis befürwortet, geht offensichtlich davon aus, dass es sich um lediglich nachwirkende Tarifabsprachen handelt, 163 da er selbst der Schaffung anfänglich nachwirkender Tarifhormen in Einklang mit der herrschenden Lehre widerspricht. 164 162
Siehe oben § 11 C II 2 a. Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29; vgl. auch Birk/Brühler, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, ARBlattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 1. 164 Buchner, Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AR-Blattei, Tarifvertrag IV Geltungsbereich, Entscheidung 12. Auch in einer neuen Besprechung zur Friedenspflicht gestattet Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 28 und 319 ausschließlich nachwirkende Änderungs- und Ergänzungstarifvereinbarungen in der Nachwirkungsphase, ohne sich gleichzeitig für eine Abbedingung der relativen Friedenspflicht während der Laufzeit des Tarifvertrages auszusprechen. Zur herrschenden Auffassung - vgl. Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 110; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. Zur Auffassung, die jede Form nachwirkender Tarifvereinbarungen ablehnt - siehe Etzel, NZA 1987, Beilage Nr. 1, S. 19, 23; Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 202; Poelmann, ArbuR 1973, 310, 310; Richardi, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 20 b; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 282; Schaub, in ErfKom, §4 TVG Rn. 74; vgl. auch Leipold, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, SAE 1976, 89, 90; Löwisch/Rieble, §4 TVG Rn. 249; dies., in Münchener-Hdb, §273 Rn. 23. Für die Anerkennung anfänglich nachwirkender Tarifvereinbarungen - wohl Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466 und 527 ff.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 298 und § 1 TVG Rn. 342; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 141 f.; Schlüter, ZfA 1975, 437, 442. 163
342 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Welche Nachwirkungskonstellation der dynamischen Rechtsstatusklausel zu Grunde liegt, lässt sich entgegen der Auffassung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts nicht anhand einer formal temporären Betrachtung feststellen. 165 Es ist unzureichend, allein auf den Anschlusscharakter der Nachwirkung abzustellen. Zwar werden die inkorporierten Tarifhormen im Regelfall zunächst zwingend und unmittelbar gelten, weil der bezogene Verbandstarifvertrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages zumeist einen vollgültigen Rechtsstatus innehaben wird. Dann würde der Nachwirkungsstatus auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene in der Tat erst nach einer Phase der vollwirksamen Tarifgeltung eintreten. Diese Argumentation versagt aber bereits dann, wenn der VerbandstarifVertrag bei Abschluss des Anerkennungstarifvertrages nur noch im Stadium des § 4 Abs. 5 TVG gilt. Wie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1980 belegt, hat diese Konstellation durchaus praktische Bedeutung. 166 Offenkundig entfalten dann die inkorporierten Tarifbestimmungen anfänglich keine zwingende Geltung, sodass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages von Anfang an nachwirkendes Tarifrecht schaffen. Die anfängliche Inkorporierung nachwirkender Verbandstarifhormen unter Aufrechterhaltung ihres Nachwirkungsstatus ist vom Bundesarbeitsgericht explizit fur unwirksam erklärt worden. 167 Entgegen der Auffassung des 4..Senats und der Ansicht Buchners ist ebenfalls dann, wenn der bezogene VerbandstarifVertrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages zunächst vollwirksam gegolten hat, davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien „von Anfang an" nachwirkende Tarifhormen setzen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Die rechtliche Grundlage für die Übernahme des Nachwirkungsstatus legen die Sozialpartner mit der Unterzeichnung des Anerkennungstarifvertrages. Von Anfang an gilt im Anerkennungstarifvertrag die dynamische Rechtsstatusklausel. Sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass die inkorporierten Tarifhormen während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages einen nachwirkenden Rechtsstatus annehmen können. Auch wenn die Nachwirkung unter Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich eintritt, so findet die Rechtsstatuszuweisung bereits zu Beginn der anerkennungstarifvertraglichen Rechtsbezie-
165
BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; vgl. zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 120; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 570 und 873; Schulin, ZfA 1981, 577, 582; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 167 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 166
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hung statt. Der nachwirkende Tarifhormstatus ist von Anfang an latent im Anerkennungstarifvertrag angelegt. Richtigerweise kann sich aus dem Umstand, ob der bezogene Verbandstarifvertrag sofort oder erst zu einem späteren Zeitpunkt im Nachwirkungsstadium gilt, kein entscheidender Unterschied ergeben, denn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages haben es nicht in der Hand, wann der Bezugstarifvertrag nachwirkt. Es hängt allein vom Zufall ab, welchen Rechtsstatus der übernommene Verbandstarifvertrag bei Vertragsabschluss inne hat. 168 Dass die dynamische Rechtsstatusklausel anfänglich nachwirkendes Tarifrecht schafft, bestätigt ein Blick auf ihren zeitlichen Anwendungsrahmen. Lediglich nachwirkende Änderungs- und Ergänzungsabreden haben ihren Anwendungsbereich in der Phase der Nachwirkung eines Tarifvertrages. 169 In diesem Stadium sind nachwirkende Überbrückungsvereinbarungen zulässig, die den ohnehin bestehenden Nachwirkungscharakter aufrechterhalten. 170 Im Gegensatz dazu entfaltet die dynamische Rechtsstatusklausel ihre Wirkung während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages. Innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des Anerkennungstarifvertrages haben die teleologischen Erwägungen, die zu einer Anerkennung der statusrechtlichen Dispositionsbefiignis im Nachwirkungszeitraum Anlass geben, keinerlei Bedeutung. Mit der Vereinbarung lediglich nachwirkender Tarifbestimmungen reagieren die Sozialpartner auf gravierende Änderungen der tariflichen Rahmenbedingungen, indem sie in der Verhandlungsphase vorübergehende Tarifabreden treffen, ohne ftir die Regelungsgegenstände eine Friedenspflicht zu begründen. 171 Diese Überbrückungsfünktion spielt aber für die dynamische Rechtsstatusanbindung keine Rolle. Während der tarifVertraglichen Laufzeit werden auf Anerkennungstarifebene keine TarifVerhandlungen geführt, die ein Bedürfnis an vorübergehenden Überbrückungsabreden rechtfertigen. Vielmehr verfolgen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages mit der
168 Insbesondere dann, wenn mehrere VerbandstarifVerträge dynamisch in Bezug genommen werden, ist es nie auszuschließen, dass irgendein BezugstarifVertrag gerade nachwirkt. 169 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 879; Herschel, Anm. zu BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu §4 TVG Nachwirkung; Wank, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 365 ff.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 680; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 410; vgl. auch BAG vom 14.02.1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung. 170 Siehe oben § 11 CH 2 a. 171 Siehe oben § 11 CH 2 abb.
344 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
statusrechtlichen Verweisung ganz andere, vorwiegend arbeitskampfrechtliche Zielstellungen. Es ist nun müßig, darüber zu streiten, ob die vorliegende Konstellation eine eigenständige Fallgruppe der Schaffung nachwirkenden Tarifrechts bildet oder ob sie der Fallgruppe anfänglich nachwirkender Tarifvereinbarungen zuzuordnen ist. Auch wenn die inkorporierten Tarifhormen den Nachwirkungsstatus erst zu einem späteren Zeitpunkt übernehmen, so unterscheidet sich diese Konstellation in ihren Rechtswirkungen nicht von einem von Anfang an nachwirkenden Tarifvertrag. Die Setzung des nachwirkenden Tarifrechts bezieht sich jeweils auf den anvisierten zeitlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages und nicht auf das daran anschließende Stadium der Nachwirkung. Um beide Konstellationen mit einem Terminus zu umschreiben, ließe sich in Abgrenzung zu den lediglich nachwirkenden Änderungs- und Ergänzungsabreden von „laufzeitbezogenen nachwirkenden Tarifhormen" sprechen.
bb) Schlussfolgerung Aus mehreren Gründen ist die Schaffung „laufzeitbezogener nachwirkender Tarifbestimmungen" unzulässig. Zum einen mangelt es nach derzeitiger Gesetzeslage an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage. Weder § 4 Abs. 3 oder 5 TVG noch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisten eine auf die Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages bezogene Dispositionsbefugnis über den Rechtsstatus der Tarifhormen. 172 Es existiert entgegen Löwisch gerade keine Ermächtigungsgrundlage, die es generell gestattet, den Tarifhormen während ihres zeitlichen Geltungsbereichs einen nachwirkenden, dispositiven Rechtsstatus zuzuweisen.173 Die Rechtsstatusklausel widerspricht dem Telos der Nachwirkung. Eine der ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG äquivalente Gefährdungslage ist nicht gegeben, denn den tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen droht keine Inhaltsleere. 174 172
Siehe oben § 11 C II 2 b aa. Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung beruft sich insoweit unzutreffend auf § 4 Abs. 3 TVG. 174 Zur ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG - vgl. BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1450; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 872; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 181; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 1 ff.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 56 f.; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105; Schaub, in ErfKom, § 4 TVG Rn. 73; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 327; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 408 f. 173
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
345
Ohne Rechtsstatusklausel entfalten die Normen des Anerkennungstarifvertrages volle Gültigkeit, sodass während des zeitlichen Geltungsbereichs kein inhaltliches Überbrückungsbedürfhis besteht. Dient die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG sonst dem Schutz der Normadressaten vor einem regelungslosen Zustand, so konterkariert die dynamische Rechtsstatusklausel diesen Schutzzweckgedanken. Denn mit der Rechtsctatusklausel stufen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Bindungskraft der inkorporierten Tarifhormen herab und zweckentfremden damit die Nachwirkung ftir Regelungsabsichten, die mit den Vorstellungen des staatlichen Gesetzgebers zu § 4 Abs. 5 TVG nicht in Einklang stehen. Der dynamischen Rechtsstatusklausel ist die rechtliche Anerkennung gerade auch deswegen zu versagen, weil sie eine Verletzung der tarifvertragsimmanenten Friedenspflicht zur Folge hat. Insbesondere in der Friedenspflichtklausel kommt die Absicht der Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages deutlich zum Ausdruck, die firmentarifVertragliche Friedenspflicht an die verbandstarifvertragliche Friedensordnung anzubinden, um parallele Arbeitskämpfe auf beiden Ebenen zu ermöglichen. Nach deutschem Tarifrecht wohnt jedoch jedem Tarifvertrag während seines zeitlichen Geltungsbereichs eine relative Friedenspflicht wesensmäßig inne, sodass ftir den Anerkennungstarifvertrag ein laufzeitbezogenes ArbeitskampfVerbot gilt. 1 7 5
cc) Ergebnis Die Überleitung des verbandstarifVertraglichen Nachwirkungsstatus auf die in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Tarifhormen ist somit unwirksam.
c) Außer Kraft getretene Verbandstarifnormen Die Rechtswidrigkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel wird besonders deutlich, wenn sich die statusrechtliche Verweisung auf außer Kraft getretene Verbandstarifhormen bezieht. 176 Es kommt nicht selten vor, dass die Verbandstarifparteien die Nachwirkung ausschließen.177 Dann müssten die inkorporierten 175
Ausführlich dazu oben § 11 C II 2 b bb (2). Vgl. insbesondere Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertragl icher Vereinbarungen, S. 58 f. 176 Vgl. Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR. 177 BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu
346 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Tarifhormen zeitgleich mit der Beendigung des VerbandstarifVertrages jede Regelungswirkung verlieren. Es wurde herausgearbeitet, dass eine Verweisung auf außer Kraft getretene Tarifvorschriften unter Aufrechterhaltung des geltungslosen Rechtsstatus keinen sinnvollen Zweck verfolgt und daher unzulässig ist. 178 Bei der dynamischen Rechtsstatusklausel potenzieren sich die Bedenken, denn der Anerkennungstarifvertrag kann während seines zeitlichen Geltungsbereichs die ihm zugewiesene Funktion der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht erfüllen. Es ist nicht plausibel erklärbar, warum die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ein Interesse daran haben sollten, während der anerkennungstarifvertraglichen Laufzeit regelungslose Tarifzustände herbeizuführen. Genau dies wäre aber die rechtliche Konsequenz der Rechtsstatusanbindung.
d) Ergebnis Im Ergebnis ist es den Sozialpartnern verwehrt, über den Rechtsstatus der inkorporierten Tarifhormen zu disponieren. In unzulässiger Weise setzen sie mit der dynamischen Rechtsstatusklausel während der anvisierten Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages anfänglich nachwirkendes oder gänzlich außer Kraft getretenes Tarifrecht. Auch wenn der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts zu pauschal jede auf die Nachwirkung bezogene Dispositionsbeftignis der Tarifvertragsparteien ablehnt, so trifft seine Aussage für die hier zu beurteilende dynamische Rechtsstatusanpassung ohne Einschränkungen zu. 1 7 9 Die Billigung der dynamischen Rechtsstatusklausel durch den 4. Senat ist nicht haltbar. 180
II. Arbeitskampfrechtliche Folgefragen Neben dem statusrechtlichen Dispositionsverbot bestehen weitere Rechtmäßigkeitsbedenken gegen die dynamische Rechtsstatusklausel, da sie zu fragwürdigen arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen fuhrt. Mit der Rechtsstatusvereinbarung wollen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Voraus§ 4 TVG Nachwirkung; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1467; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 876 f.; Hessel, BB 1951, 1004, 1004; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 308; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 247; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 108 f.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 139; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 362. 178 Siehe oben § 11 B. 179 BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. Vgl. zudem BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 180 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; siehe auch BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
347
setzung für die Einleitung paralleler Arbeitskämpfe auf anerkennungs- wie auf verbandstarifVertraglicher Ebene schaffen. 181 Da der Anerkennungstarifvertrag ein selbstständiges Tarifrechtsverhältnis begründet, werden die beteiligten Tarifpartner von den Verbandstarifkonflikten nicht erfasst. 182 Offenkundig ist das auf Arbeitgeberseite, weil der anerkennende Arbeitgeber kein Mitglied der Arbeitgebervereinigung und damit Außenseiter in den Verbandsarbeitskämpfen ist. Aber auch die Gewerkschaft, die sowohl am Anerkennungs- als auch am bezogenen VerbandstarifVertrag beteiligt ist, muss die arbeitskampfrechtliche Eigenständigkeit beider Tarifwerke respektieren. Im Folgenden soll unter der Prämisse, dass die Parteien des AnerkennungstarifVertrages die relative Friedenspflicht ihres Tarifwerkes zeitweise ausschließen dürften, 183 der Frage nachgegangen werden, ob die von der dynamischen Rechtsstatusabrede angestrebte symmetrische Arbeitskampfbeteiligung an den Verbandstarifkonflikten mit den arbeitskampfrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in Einklang steht. Dabei ist zwischen den Arbeitskampfmitteln der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite zu differenzieren.
1. Streikrecht Zunächst ist zu analysieren, inwieweit die Gewerkschaft den anerkennenden Arbeitgeber während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages parallel zu den Verbandsarbeitskämpfen bestreiken darf Grundsätzlich sind Streikmaßnahmen nur zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele zulässig. 184 Hintergrund 181
Siehe oben § 12 A III. Vgl. BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225 f.; BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff; Häuser, Festschrift ftir Kissel, S. 297, 315 ff.; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 341 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 127 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 661 ff.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 ff. 183 Zum Verbot des Ausschlusses der tarifvertragsimmanenten Friedenspflicht siehe oben § 11 C II 2 b bb (2). 184 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224 f.; BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 26.10.1971, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 21.03.1978, AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 07.06.1988, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, 182
348 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
dieses Rechtmäßigkeitserfordernisses ist die Funktion des Arbeitskampfes, welche zugleich die Grenzen seiner Zulässigkeit bestimmt. Der Arbeitskampf ist wegen seiner Hilfsfunktion für die aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG resultierende Tarifautonomie gewährleistet und dient dem Ausgleich sonst nicht lösbarer tariflicher Interessenkonflikte. 185 Es fragt sich, ob die dynamische Rechtsstatusklausel diese Rückkopplung der Streikberechtigung zur Tarifautonomie hinreichend berücksichtigt. Anhaltspunkte für die Bewertung eines gewerkschaftlichen Streikrechts liefert die in Rechtsprechung 186 und Rechtslehre 187 diskutierte Problematik der
AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 6; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 42; Lieb, ZfA 1982, 113, 124; ders., DB 1999, 2058, 2065; Löwisch, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 31; ders., DB 1993, 882, 882 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 37 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 130; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 459 f. iS S BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 6 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1071; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 313; Konzen, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 273, 274 f.; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 8; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Richardi, JZ 1992, 27, 28 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Schoof, AiB 2002, 353, 354; Wank, Festschrift fur Kissel, S. 1225, 1235; vgl. auch BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225. 186 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225 f.; BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main Nr. 40; vgl. auch BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50. Siehe auch die Rechtsprechung zum Sympathiearbeitskampf BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 187 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 315 ff.; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 21 f.; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 341 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 127 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268 f.; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 661 ff.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 172 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 68; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf
§ 12 Dynamische Rechtsstatusklausel
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„einfachen" Arbeitskampfbeteiligung von Außenseiterarbeitgebern an Verbandsarbeitskämpfen. Zwar befasst sich diese Diskussion mit der Frage, ob eine Gewerkschaft im Kampf um den Abschluss eines VerbandstarifVertrages einen zu diesem Zeitpunkt „nicht tarifgebundenen" Außenseiterarbeitgeber in die Verbandstarifkonflikte einbeziehen darf. Dennoch können die in diesem Zusammenhang erzielten Erkenntnisse auf die Arbeitskampfproblematik des Anerkennungstarifvertrages entsprechend übertragen werden, weil der anerkennende Arbeitgeber ebenfalls Außenseiter ist. Im Ausgangspunkt soll daher die in Rechtsprechung und Lehre vorgeschlagene Differenzierung nach den anvisierten Arbeitskampfzielen übernommen werden. 188 Denkbar ist einerseits, dass die Gewerkschaft mit dem Streik eine eigenständige Tarifforderung gegenüber dem Außenseiterarbeitgeber verfolgt. 189 Andererseits kann die Arbeitnehmerseite den Streik zwecks Erhöhung des Verhandlungsdrucks auf die Branche einsetzen, um auf diesem Weg den Einfluss auf den Arbeitgeberverband zu verstärken. 190
Nr. 98; Seiter, AfP 1985, 186, 188; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 460. 188 Vgl. BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 315 ff.; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 62; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 127; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift ftir Kissel, S. 653, 659 ff.; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134. 189 BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 316 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 129; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 660; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 172 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134 f. 190 BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 145 ff; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 127 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 661; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 172 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; vgl. zudem BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
350 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
a) Verfolgung
eines eigenständigen firmentarifVertraglichen Regelungsani iegens
Bezieht die Gewerkschaft einen Außenseiterarbeitgeber in den Verbandsarbeitskampf ein, so ist dies nicht zu beanstanden, wenn sie vom nichtorganisierten Unternehmer zeitgleich den Abschluss eines inhaltsgleichen FirmentarifVertrages verlangt. 191 Allein aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmervereinigung parallele Arbeitskämpfe auf Verbands- und auf FirmentarifVertragsebene mit identischen Tarifforderungen fuhrt, ergeben sich keine Rechtmäßigkeitsbedenken. 192 Vielmehr respektiert die Gewerkschaft mit diesem Vorgehen die Eigenständigkeit beider Tarifwerke. 193
191
BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Buchner, NZA 1994, 2, 8; Gebhardt,, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 316 f.; Konzen,, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 129; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 660 und 661 ff.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 173; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 68; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134 f.; siehe zudem Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 118 f.; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 662. Vgl. auch BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50. 192 So Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135. Vgl. dazu BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 316 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130 f.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 660; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 173; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. Es stellt sich aber die fortführende Frage, ob die Gewerkschaft den einzelnen Arbeitgeber allein mit der Forderung nach der Übernahme des auf Verbandsebene erzielten Tarifkompromisses bestreiken darf. Bedenken ergeben sich insbesondere dann, wenn der einzelne Arbeitgeber zu einem Zeitpunkt bestreikt wird, bevor die Tarifbedingungen auf Verbandsebene überhaupt feststehen und demzufolge eine „Vorabunterwerfung" unter noch unbekannte Verbandstarifinhalte gefordert wird - vgl. zu dieser Problematik BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 ff.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 317 ff.; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 664 ff; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff. 193 Kontovers diskutiert werden in diesem Zusammenhang lediglich die Anforderungen, die im Hinblick auf das ultima-ratio-Prinzip an die Einleitung eines parallelen Arbeitskampfes auf firmentarifVertraglicher Ebene zu stellen sind, wobei insbesondere umstritten ist, inwieweit die Gewerkschaft ihre Tarifforderungen gegenüber dem einzel-
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Vorliegend interessiert es daher, ob die Gewerkschaft gegenüber dem anerkennenden Arbeitgeber tatsächlich ein eigenständiges tarifliches Regelungsziel verfolgt. Denn eine Konfrontation mit gewerkschaftlichen Tarifforderungen ist dann rechtmäßig, wenn der einzelne Arbeitgeber das gewerkschaftliche Regelungsverlangen erfüllen kann, indem er den Abschluss eines Firmentarifvertrages anbietet 194 und ihm somit die Möglichkeit verbleibt, durch sofortiges Nachgeben den drohenden Streik abzuwenden.195 Indem die zur Rechtsstatusklausel ergänzend vereinbarte konkretisierende Anordnung festschreibt, dass die VerbandstarifVertraglichen Tarifforderungen gleichzeitig auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages als gestellt gelten, strebt die Gewerkschaft formal betrachtet ein eigenständiges firmentarifVertragliches Regelungsziel an. 196 Es ließe sich argumentieren, dass der anerkennende Arbeitgeber, sobald die Gewerkschaft auf Verbandsebene eine Tarifforderung erhebt, diese anerkennen und der Gewerkschaft den Abschluss eines entsprechenden, neuen Firmentarifvertrages antragen kann. Mit diesem Angebot werden weitere streikrechtliche Schritte der Gewerkschaft unzulässig. Dem anerkennenden Arbeitgeber gelingt es auf diesem Weg, sich einer weiteren Involvierung in die Verbandsarbeitskämpfe zu entziehen.197
nen Arbeitgeber gesondert stellen und darüber Verhandlungen anbieten muss - vgl. dazu einerseits BAG Vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Buchner, NZA 1994, 2, 8; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 317; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132 und 137 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 660; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 und 136 ff. und andererseits BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. 194 BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02. 1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Mayer-Maly, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, SAE 1988, 310, 310; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134 f. und 137; vgl. zudem Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 460. 195 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Buchner, NZA 1994, 2, 8; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138 und 140; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers, BB 1964, 312, 314; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. 196 Zum genauen Klausel Wortlaut siehe oben vor § 11. 197 Vgl. BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140 f.
352 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Bei näherer Betrachtung treten aber erhebliche Zweifel an dieser Bewertung zu Tage. Der Abschluss eines neuen, den gestellten Gewerkschaftsforderungen entsprechenden Firmentarifvertrages unterliegt sowohl aus rechtlicher als auch aus tarifpolitischer Sicht Einwänden.
aa) Verstoß gegen rechtliche Grundsätze Die Vereinbarung eines neuen eigenständigen Firmentarifvertrages während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages ist rechtlich zu beanstanden. Zweifelhaft ist bereits, ob eine Abkopplung von der inhaltlich dynamischen Anbindung an das nachfolgende Verbandstarifabkommen ohne vorherige Kündigung des Anerkennungstarifvertrages überhaupt statthaft ist. Da der Anerkennungstarifvertrag weiterhin gilt und den Arbeitgeber zur Anwendung des noch auszuhandelnden NachfolgeverbandstarifVertrages verpflichtet, entsteht ein Widerspruch zwischen dem Anerkennungstarifvertrag und dem nunmehr abgeschlossenen neuen FirmentarifVertrag. Auf die tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse finden zwei gültige, sich inhaltlich widersprechende Firmentarifwerke Anwendung. Eine Konkurrenz zwischen zwei vollwirksamen Firmentarifverträgen mutet in dieser Konstellation ungewöhnlich an. Dennoch ließe sich die Tarifkonkurrenz auflösen, sodass die tarifliche Regelbarkeit zumindest nicht an der Konkurrenzproblematik scheitert. Denkbar wäre es, den neuen FirmentarifVertrag gleichzeitig als konkludenten Aufhebungsvertrag 198 des Anerkennungstarifvertrages zu interpretieren. Eine andere Möglichkeit bietet die Berufung auf den lex posterior derogat legi priori-Grundsatz 199 mit der Folge, dass der später geschlossene eigenständige FirmentarifVertrag den Anerkennungstarifvertrag verdrängt. Die rechtlichen Bedenken gegen den Abschluss eines neuen Firmentarifvertrages ergeben sich aber aus folgenden Erwägungen: Würde die dynamische Rechtsstatusklausel tatsächlich die Vereinbarung eines neuen Firmentarifvertrages gestatten, so wäre der Anerkennungstarifvertrag wegen inhaltlicher Widersprüchlichkeit unwirksam. 200 Mit der inhaltlich dynamischen Verweisungs198
Zum Aufhebungsvertrag - vgl. BAG vom 08.09.1976, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Form; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1442; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 53; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 358; Wank,, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 15; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 08.09.1976, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Form. 199 Zum Ablöseprinzip - vgl. BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1441; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 359; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 770; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 74. 200 Eine Berufung auf den in § 242 BGB verankerten venire contra factum propriumGrundsatz wäre im Falle des Neuabschlusses nicht möglich, weil vorliegend davon ausgegangen wird, dass beide Firmentarifvertragsparteien einverständlich zusammenar-
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klausel binden die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen langfristig an die Tarifentwicklung auf Verbandsebene. Genau diesem Vertragszweck wirkt die Rechtsstatusklausel entgegen, wenn sie während des zeitlichen Geltungsbereichs des Anerkennungstarifvertrages die Führung eines Arbeitskampfes um einen inhaltlich abweichenden FirmentarifVertrag erlaubt. Beide Regelungsgehalte sind nicht in Einklang miteinander zu bringen. Hypothetisch betrachtet kann der Arbeitgeber bereits während des ersten, auch ihn betreffenden Verbandsarbeitskampfes die gewerkschaftlich gestellten Forderungen in einem neuen, eigenständigen FirmentarifVertrag akzeptieren. Dann entfaltet die inhaltlich dynamische Verweisung zu keinem Zeitpunkt ihre Rechtsfolgenwirkung. Wegen dieser inhaltlichen Gegensätzlichkeit wäre sowohl die inhaltlich dynamische als auch die statusrechtlich dynamische Bezugnahmeklausel und damit die Anbindung an die Verbandstarifentwicklung insgesamt unwirksam. Eine Unwirksamkeit des Anerkennungstarifvertrages liegt weder im Interesse des anerkennenden Arbeitgebers noch im Interesse der beteiligten Gewerkschaft. Folglich kann die dynamische Rechtsstatusklausel nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass sie den Abschluss eines neuen Firmentarifvertrages während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages legitimieren soll. In Wahrheit verfolgt die Gewerkschaft gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber kein eigenes tarifliches Regelungsanliegen.
bb) Verstoß gegen tarifpolitische Grundsätze Dass der Gewerkschaft überhaupt nicht daran gelegen ist, dem Arbeitgeber sofort nach Aufstellung der verbandstarifVertraglichen Kampfforderungen die Möglichkeit zum Abschluss eines neuen Firmentarifvertrages zu geben, bestätigt eine Betrachtung der tarifpraktischen Auswirkungen. Die Gewerkschaft wäre organisatorisch überfordert, auf ein Nachgeben des Außenseiterarbeitgebers sofort zu reagieren. Sie ist personell nicht in der Lage, nunmehr gesonderte FirmentarifVerträge abzuschließen.201
beiten. Der aus § 242 BGB resultierende Gedanke des widersprüchlichen Verhaltens wird aber entsprechend auf den Zeitpunkt des Anerkennungstarifvertragsschlusses übertragen. Zu diesem Ansatz - vgl. LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50. 201 Vgl. Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift ftir Kissel, S. 653, 664; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. Die Vereinbarung des Anerkennungstarifvertrages diente gerade der Entlastung der Gewerkschaft. Zu den organisationstechnischen Schwierigkeiten des Abschlusses inhaltlich eigenständiger FirmentarifVerträge - vgl. Bispinck, ArbRGew 34 (1997), 49, 65; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 506; Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 47; Pornschlegel/Birkwald, AiB 1997, 98, 108; Schaub, NZA 1998, 617, 618.
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Besonders kontraproduktiv wirkt die Abkopplung der Firmentarifvertragsebene von der verbandstariflichen Entwicklung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Wenn die Gewerkschaft tatsächlich ein eigenständiges tarifliches Regelungsziel anstrebt und der anerkennende Arbeitgeber mit dem Angebot eines entsprechenden neuen Firmentarifvertrages reagiert, entfällt die inhaltlich dynamische Anlehnung an das Verbandstarifhiveau. Diese Vorgehensweise führt zu einer Zersplitterung der regionalen Tarifsituation. Damit stellt die Arbeitnehmerkoalition das von ihr mit dem Anerkennungstarifvertrag verfolgte tarifliche Vereinheitlichungsziel selbst in Frage. 202 Tarifpolitisch ist es aus Sicht der Gewerkschaft wenig sinnvoll, firmentarifVertraglichen Sonderwegen mit der dynamischen Rechtsstatusklausel den Weg zu ebnen. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass eine sofortige Akzeptanz der gewerkschaftlichen Forderungen seitens des Außenseiterarbeitgebers durchaus im Interesse der an den neuen Firmentarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer liegt. Regelmäßig werden die Tarifforderungen, die die Gewerkschaft zu Beginn der Tarifverhandlungen erhebt, arbeitnehmergünstigere Regelungen zum Inhalt haben, als sich letztlich bei Abschluss des Tarifvertrages realisieren lassen. Letzten Endes ist dieser Vorteil aber nur ein vorübergehender Scheinerfolg, da im Gegenzug die langfristige inhaltliche Anbindung an das Verbandstarifniveau entfällt.
cc) Ergebnis Sowohl aus rechtlicher als auch aus tarifpolitischer Sicht spricht nichts dafür, dass die Gewerkschaft gegenüber dem anerkennenden Arbeitgeber ein eigenständiges tarifliches Regelungsziel verfolgt.
b) Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf auf den Arbeitgeberverband
und Druckerhöhung
Im Vordergrund des gewerkschaftlichen Interesses steht vielmehr die Einbeziehung des anerkennenden Arbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf zwecks Verbreiterung der Kampffront, um den Druck auf die gesamte Branche und damit die Arbeitgeberkoalition zu verstärken. 203 Besonders deutlich kommt 202
Vgl. dazu oben § 2 A I. Siehe dazu LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Bulla, Festschrift für Molitor, S. 293, 295 und 299; Konzen,, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 128; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f. Allgemein zu diesem Kampfziel - siehe BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG 203
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dieses Regelungsanliegen der dynamischen Rechtsstatusklausel in den konkretisierenden Anordnungen zum Ausdruck. 204 Wenn es heißt, dass sich die Friedenspflicht und die Arbeitskampffreiheit so regelt, als wäre der anerkennende Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband, klingt hierin deutlich an, dass der Außenseiterarbeitgeber ungeachtet der rechtlichen Selbstständigkeit des Anerkennungstarifvertrages den verbandsangehörigen Arbeitgebern arbeitskampfrechtlich gleichgestellt werden soll.
aa) Rechtliche Einordnung als Sympathiearbeitskampf Zunächst ist es notwendig, dieses verbandstarifvertragsbezogene Kampfziel in den arbeitskampfrechtlichen Kontext einzuordnen. Nach Auffassung eines Teils des gewerkschaftlichen Schrifttums ist der Arbeitskampf bereits dann rechtskonform, wenn die Kampfmaßnahme der Umsetzung „irgendeines" tariflichen Regelungsanliegens dient, welches den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zugeordnet werden kann. Nicht erforderlich ist, dass das Regelungsanliegen gerade gegenüber dem unmittelbaren Kampfgegner verfolgt wird. 2 0 5 Gegen eine derart extensive Bestimmung der Arbeitskampfberechtigung sprechen jedoch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Arbeitskämpfe sind ein Hilfsinstrument zur Gewährleistung eines funktionierenden Tarifsystems. 206 Nicht lösbare Tarifkonflikte bestehen ausschließlich
Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 145 ff.; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 127 f. und 133 ff; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 661; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 172 f.; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21 ; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; siehe zudem BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 204 Zu den konkretisierenden Anordnungen vgl. oben vor §11. 205 Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 374a; Plander, ArbuR 1986, 193, 197; Wohlgemuth, ArbuR 1980, 33, 39 f.; Zachert, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AiB 1988, 182, 182. Vgl. auch Lieb, ZfA 1982, 113, 153 ff; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Weiss, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 57. 206 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 07.06.1988, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 313; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 8; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 42; Lieb, RdA 1991, 145, 148; Löwisch, Anm. zu BAG vom
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zwischen konkreten Tarifpartnern. Da aus der Hilfsfunktion zugleich die Grenzen der Kampfberechtigung folgen, 207 unterfallen Arbeitskampfmaßnahmen nur dann der Koalitionsbetätigungsgarantie, wenn sie dem unmittelbaren Ziel dienen, einen Tarifvertrag mit dem bekämpften Gegner abzuschließen.208 Insbesondere weil Arbeitskämpfe in vielfältiger Weise Interessen unbeteiligter Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sonstiger Dritter und der Allgemeinheit berühren, bedarf es einer zweckgerichteten Begrenzung der sozialen Konfliktlösung auf die unmittelbar tarifbetroffenen Sozialpartner. Von einem „Arbeitskampf im engeren Sinne" kann also nur gesprochen werden, wenn die kampffiihrende Partei gegenüber ihrem „unmittelbaren" tarifvertraglichen Gegenspieler ein tarifliches Regelungsziel verfolgt. 209 Die Bestreikung des anerkennenden Arbeitgebers mit dem Zweck, den fremden Verbandstarifkonflikt zu unterstützen, steht mit diesem „Unmittelbarkeitsgrundsatz" nicht in Einklang. Sie ist als Sympathiearbeitskampfmaßnahme zu qualifizieren. 210 Denn der im Zentrum des gewerkschaftlichen Regelungsinte-
05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 37; Richardi, JZ 1992, 27, 28 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 128; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21 ; Wank, Festschrift fur Kissel, S. 1225, 1234 f.; vgl. auch BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225. 207 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Rüthers, in BroxJ Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 129; Schoof AiB 2002, 353, 354. 208 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 07.06.1988, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 313; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 52; Lieb, RdA 1991, 145, 148 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 31; ders., DB 1993, 882, 882; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 45; Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers, BB 1964, 312, 314; Rüthers/ Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1229; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 459 f. 209 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 31; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 210 LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Bulla, Festschrift für Molitor, S. 293, 295 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 145 f.; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 134 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE
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resses stehende Verbandstarifvertrag kann nur von der Arbeitgebervereinigung abgeschlossen werden. Mangels Koalitionsmitgliedschaft ist der anerkennende Arbeitgeber nicht in der Lage, auf den Verband einzuwirken, die gestellten Tarifforderungen zu akzeptieren. Der Außenseiterarbeitgeber hat keine Möglichkeit, dem gewerkschaftlichen Streben im Wege des sofortigen Nachgebens nachzukommen. Er ist ohne jede juristische und finanzielle Unterstützung des Arbeitgeberverbandes so lange den Arbeitskampfaktivitäten ausgesetzt, bis die Gewerkschaft ihr eigentliches Kampfziel - den Abschluss eines neuen VerbandstarifVertrages - verwirklicht hat. Der Qualifizierung als Sympathiestreik steht es nicht entgegen, dass die Gewerkschaft sowohl am Anerkennungs- als auch am VerbandstarifVertrag beteiligt ist. Ausschlaggebend ist allein, dass sie gegenüber dem unmittelbar kampfbetroffenen Außenseiterarbeitgeber kein eigenes Regelungsziel verfolgt. 211 Im Übrigen widerspricht diese Einordnung nicht der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.04.1991, in der das Gericht den Sympathiecharakter einer parallel zu den Verbandsarbeitskämpfen durchgeführten Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers ablehnte.212 Im entschiedenen Fall stand es dem Arbeitgeber offen, den gewerkschaftlichen Forderungen durch Abschluss eines eigenständigen Firmentarifvertrages nachzukommen, was hier jedoch gerade nicht in Betracht kommt. Welche arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen sich aus dem Fremdbezug des Streiks ergeben, soll anhand der von Rieble vorgeschlagenen Differenzierung zwischen fremdnützigen und eigennützigen Sympathiearbeitskämpfen untersucht werden. 213
1993, 268, 268; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 173 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140; anders BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 211 Das BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf hat bisher nur über Sympathiearbeitskämpfe entschieden, in denen die unterstützende und die unterstützte Gewerkschaft personenverschieden waren. Ein Sympathiestreik liegt aber auch dann vor, wenn ein und dieselbe Gewerkschaft sowohl am Haupt- als auch am Sympathiearbeitskampfverhältnis beteiligt ist. Entscheidend ist nämlich, dass der betroffene Kampfadressat die gestellte Tarifforderung nicht erfüllen kann - vgl. LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 145 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 134 f.; Löwisch,, DB 1993, 882, 883; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140. 212 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 213 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; vgl. auch Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97.
358 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages bb) Fremdnütziger Sympathiearbeitskampf Ein Sympathiestreik ist fremdnützig, wenn er ausschließlich dem Ziel dient, fremde Tarifziele zu unterstützen. 214 Der Streik gegenüber dem anerkennenden Arbeitgeber ist insoweit fremdnützig, als es der Gewerkschaft primär um eine Verbesserung ihrer Verhandlungsposition in den Verbandstarifauseinandersetzungen geht. Mit der Verbreiterung der Kampffront will sie den Einigungsdruck auf die Arbeitgebervereinigung verstärken. Bei dieser Streikausrichtung fehlt es an jeglichem - auch nur mittelbaren - Bezug zu den im kampfbetroffenen Unternehmen geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Der fremdnützige Sympathiearbeitskampf ist mangels Rückkopplung zu Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG rechtswidrig, weil die Gewerkschaft gegenüber dem Außenseiterarbeitgeber kein eigenständiges tariflich regelbares Ziel verfolgt. 215 Damit verletzt die Gewerkschaft gleichzeitig das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der Streik ist zur tariflichen Konfliktlösung ungeeignet. 216 Des Weiteren mangelt es an der Erforderlichkeit des fremdnützigen Sympathiestreiks, 217 worauf auch Stimmen hinweisen, die für die Geeignetheit 2,4
Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. Vgl. BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Rüthers, BB 1964, 312, 312. 215 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 07.06.1988, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1137; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 134 f.; Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers, BB 1964, 312, 314; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140. Kein rechtliches Gewicht hat die Argumentation des LAG Hamm vom 24.04.1980, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39, dass der Sympathiestreik zu den „historisch gewachsenen Arbeitskampfmitteln" zähle - dagegen kritisch BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lieb, ZfA 1982, 113, 132 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, §286 Rn. 42; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 143. 216 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 9 f.; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 135; Lieb, RdA 1991, 145, 147 f.; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 663; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 176; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140; vgl. auch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 460. 217 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21,
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die Verfolgung „irgendeines" tariflichen Regelungsanliegens genügen lassen.218 Denn unabhängig von der streikrechtlichen Einbeziehung der beim anerkennenden Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer lassen sich auf Verbandsebene sinnvolle Branchentarifabschlüsse erzielen. Zwar wird diskutiert, ob ausnahmsweise eine Involvierung der Außenseiterarbeitgeber in die Verbandsarbeitskämpfe statthaft ist, wenn sich dadurch eine Kampfparität zwischen den Koalitionen erst herstellen lässt. 219 Eine Paritätsstörung auf Verbandsebene scheidet jedoch grundsätzlich aus. Da nach abstrakt-materieller Paritätsbeurteilung 2 2 0 situationsbedingte Ungleichgewichtslagen unberücksichtigt bleiben, ist im Regelfall von einem verbandstariflichen Kräftegleichgewicht auszugehen.221 22 f.; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 9 f.; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 338 und 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 141; Lieb, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986 64, 64; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 662 f. und 673 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 162; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 321 f.; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15. 218 Siehe Lieb, ZfA 1982, 113, 155 ff.; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73. 219 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 505 f.; Weiss, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 57. Vgl. auch BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 321; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 23; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 6 und 8; Lieb, ZfA 1982, 113, 152; ders., Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65 f.; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 163; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140. 220 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 314; Lieb, ZfA 1982, 113, 156 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 64; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 168; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Ruhland, Arbeitskampfparität, S. 28; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1241. Vgl. auch BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 221 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 278; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 23; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 6 und 10; Lieb, ZfA 1982, 113, 157; ders., Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65; Preis, Anm. zu BAG vom
360 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
Hinzu kommt, dass es Sache der Sozial verbände ist, die erforderliche Mächtigkeit zu erwerben und zu erhalten und folgerichtig Paritätsstörungen zu ihren eigenen Lasten gehen.222 Nur ausnahmsweise können in gesondert nachzuweisenden Einzelfallen Unterstützungsstreiks statthaft sein. Derartige situationsbedingte Sonderfalle sind jedoch einer vorweggenommenen, pauschalen Vereinbarung in Form der dynamischen Rechtsstatusklausel nicht zugänglich. Die Rechtswidrigkeit des fremdnützigen Sympathiestreiks wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Arbeitskampfbeteiligung von Außenseiterarbeitgebern in Verbandsarbeitskämpfen nicht in Frage gestellt. Zwar hat der Bundesgerichtshof m seiner Entscheidung vom 19.01.1978 ausgeführt, dass ein Streik gegenüber einem Außenseiter auch dann zulässig sei, wenn hierdurch wirtschaftlicher Druck auf die Branche ausgeübt werden soll. 223 Das Bundesarbeitsgericht hat seinerseits „gute Gründe" für eine Streikberechtigung gegenüber einem Außenseiterarbeitgeber im Verbandsarbeitskampf gesehen.224 Beiden Entscheidungen ist jedoch gemeinsam, dass der bestreikte Arbeitgeber die gestellten Forderungen durch das Angebot eines eigenständigen Firmentarifvertrages akzeptieren konnte, 225 was dem am Anerkennungstarifvertrag beteiligten Unternehmer jedoch versagt bleibt. Eine Bestreikung des anerkennenden Arbeitgebers zur Willensbeugung der Arbeitgebervereinigung ist somit rechtswidrig·
cc) Eigennütziger Sympathiearbeitskampf Bei der Bewertung der arbeitskampfrechtlichen Folgen der dynamischen Rechtsstatusklausel muss allerdings Beachtung finden, dass die Anerkennungs-
12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 222 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lieb, ZfA 1982, 113, 164 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 223 BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. hierzu auch BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 224 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 225 Der BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf weist daraufhin, dass der tariffähige Arbeitgeber den Forderungen durch Abschluss eines Firmentarifvertrages nachkommen könne: „Es genügt, wenn sich der Arbeitskampf gegen einen tariffali igen Sozialpartner richtet - dies ist auch der einzelne Arbeitgeber - , der die Forderung auf Abschluss eines Firmentarifvertrages jedenfalls erfüllen könnte." Auch das BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf stellt darauf ab, dass „der Außenseiter den Forderungen nachkommen könnte, da er tariffähig ist und mit der Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag abschließen kann."
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tarifordnung angesichts der inhaltlich dynamischen Verweisung maßgebend durch das zukünftige Verbandstarifergebnis geprägt wird. Die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages partizipieren am Ausgang des Verbandsarbeitskampfes. Möglicherweise rechtfertigt der „Partizipationsgedanke" eine Sympathiestreikberechtigung der Gewerkschaft.
(1) Rechtfertigung entsprechend den vom Bundesarbeitsgericht anerkannten Ausnahmetatbeständen Zunächst ist zu untersuchen, ob sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anhaltspunkte für eine entsprechende Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot des Sympathiestreiks entnehmen lassen. Das Bundesarbeitsgericht erwägt einzelne Exzeptionstatbestände.226 Danach sind Kampftnaßnahmen gegen einen Außenseiterarbeitgeber statthaft, wenn dieser seine Neutralitätsverpflichtung im Hauptarbeitskampf verletzt oder mit einem verbandsangehörigen Unternehmen wirtschaftlich eng verflochten ist. 227 Da dem Ausnahmenkatalog kein abschließender Charakter zukommt, 228 stellt sich die Frage, ob sich der Partizipationsgedanke in das Ausnahmesystem des Bundesarbeitsgerichts einordnen lässt. Zur Beantwortung dieser Rechtsfrage muss der Grundgedanke herausgearbeitet werden, welcher der höchstrichterlichen Ausnahmekonzeption zu Grunde liegt. Dogmatischer Hintergrund der Exzeptionstatbestände ist das Paritätsprinzip. Sympathiearbeitskämpfe unter Verzicht auf ein eigenständiges tarifliches Regelungsziel sind nur statthaft, wenn sie zur Korrektur einer Paritätsstörung zwingend erforderlich sind. 229 Andeutungsweise findet sich dieser Rückbezug zum 226
BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zurückhaltender bereits BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 227 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zur Kritik an den Ausnahmetatbeständen - vgl. Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 14 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65 f.; ders., RdA 1991, 145, 152 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 165; Mayer-Maly, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, SAE 1988, 310, 310; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 175; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 228 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 373; Plander, ArbuR 1986, 193, 196; Zachert, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AiB 1988, 182, 182. 229 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 163 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 175; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG
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Paritätsgrundsatz in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.03. 1985. 230 Hingegen kommt die Ausgleichsfunktion explizit im Urteil vom 12.01. 1988 zum Ausdruck, wenn es heißt, dass ein Ausnahmetatbestand nicht in Betracht komme, weil er „zur Wahrung der Parität nicht erforderlich" sei. 231 Der Grundsatz der Kampfparität erlangt jedoch keinerlei Bedeutung, wenn es um die Rechtfertigung eines Sympathiearbeitskampfes unter dem Gesichtspunkt der Partizipation am Hauptarbeitskampf geht. Partizipationsgedanke und Paritätsprinzip haben eine gegensätzliche Blickrichtung. Es ist gerade nicht das Anliegen des Sympathiearbeitskampfes zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages, die Parität in den Verbandsarbeitskämpfen herzustellen. Vielmehr knüpft der Partizipationstatbestand allein an den Auswirkungen auf die mittelbar betroffenen Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages an. Angesichts seiner konträren Zielrichtung lässt sich der Partizipationsgedanke nicht in das vom Bundesarbeitsgericht entworfene Ausnahmesystem einfügen. Die höchstrichterlichen Ausnahmetatbestände finden ihre Anwendung ausschließlich im Bereich des fremdnützigen Sympathiearbeitskampfes. 232
(2) Rechtfertigung jenseits der vom Bundesarbeitsgericht anerkannten Ausnahmetatbestände Mit dem Partizipationsgedanken ist somit ein eigenständiger Ausnahmetatbestand jenseits der Exzeptionen des Bundesarbeitsgerichts angesprochen. Über seine rechtliche Anerkennung herrscht Streit.
Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140. Diesen funktionellen Ansatz akzeptiert auch Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 371 und 385. 230 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 231 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. auch Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 163 f.; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 232 Sinngemäß Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98.
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(a) Streitstand (aa) Ablehnung des Partizipationsgedankens Überwiegend wird eine Ausnahme vom Verbot des Sympathiearbeitskampfes bei einem mittelbaren Eigeninteresse am Ausgang des Hauptarbeitskampfes abgelehnt.233 Der Partizipationsgedanke sei zu unbestimmt und stehe einer rechtssicheren Begrenzung der Arbeitskampfmittel entgegen. Es müsse jederzeit feststehen, wer kämpfen und wer bekämpft werden darf. 234 Eine Anerkennung des Partizipationsgedankens hebe die Rückkopplung des Arbeitskampfes zur Tarifautonomie auf und stelle damit das gesamte Arbeitskampfsystem in Frage. 235
(bb) Anerkennung des Partizipationsgedankens Stimmen im älteren Schrifttum bejahen die Sozialadäquanz eines Sympathiestreiks, wenn die Normadressaten im betroffenen Außenseiterunternehmen ein mittelbares Eigeninteresse am Ausgang des Hauptarbeitskampfes besitzen. 236 233
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 322; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 9; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 140 f.; Lieb, ZfA 1982, 113, 151 f.; ders., Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 674 f. und 676; Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 176 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Rüthers, BB 1964, 312, 313; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 und 144; vgl. auch Lieb, RdA 1991, 145, 150; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, ARBlattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15. Siehe auch BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, das zur Rechtfertigung einer Beteiligung des Außenseiterarbeitgebers an den Verbandsarbeitskämpfen entgegen der Vorinstanz (LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40) nicht auf das aus einer möglichen Allgemeinverbindlicherklärung resultierende Eigeninteresse abstellt. 234 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. 235 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; siehe auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 141. 236 Dietz, JuS 1968, 1, 7; Müller, ArbuR 1972, 1, 8. Siehe auch Bulla, Festschrift für Molitor, S. 293, 296 f., der sich ebenfalls auf den Partizipationsgedanken beruft - Sympathiearbeitskämpfe aber nur zulässt, wenn der betroffene Außenseiter zu den Hauptkampfparteien in rechtlicher oder tatsächlicher Beziehung steht und aufgrund dessen in der Lage ist, auf die Hauptarbeitskampfparteien einzuwirken. Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 370 a.E. verweist schlicht auf eine „intensivere Beziehung zum
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berleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
Vereinzelt klingt der Partizipationsgedanke in aktuellen Stellungnahmen zur Beteiligung von Außenseiterarbeitgebern an Verbandsarbeitskämpfen an. Das LAG Frankfurt/Main rechtfertigt eine Bestreikung des nichtorganisierten Arbeitgebers mit dem Argument, dass der umkämpfte Branchentarifvertrag erfahrungsgemäß ftir allgemeinverbindlich erklärt werde und daher auch den Außenseiterarbeitgeber mittelbar betreffe. 237 Otto weist darauf hin, dass wegen der faktischen Anwendung des VerbandstarifVertrages materiell um dieselben Arbeitsbedingungen gestritten werde. 238 Zu beachten ist jedoch, dass sowohl das LAG Frankfurt/Main als auch Otto davon ausgehen, dass der einzelne Arbeitgeber die aufgestellten Forderungen durch einen eigenständigen FirmentarifVertrag anerkennen kann. Der Partizipationsgedanke dient somit nicht unmittelbar der Rechtfertigung des eigennützigen Sympathiearbeitskampfes, sondern der Erleichterung eines parallelen Arbeitskampfes um den Abschluss eines eigenständigen Firmentarifvertrages. Das Eigeninteresse des Außenseiterarbeitgebers am Ausgang des Verbandsin seiner Aussperarbeitskampfes betont auch das Bundesverfassungsgericht rungsentscheidung vom 26.06.1991. 239 Aus der Eigennützigkeit leitet das Bundesverfassungsgericht ]tàoch keinen Ausnahmetatbestand vom grundsätzlichen Verbot des Sympathiearbeitskampfes ab, sondern legitimiert mit diesem Kriterium ein „Kampfbündnis" zwischen Arbeitgeberverband und Außenseiterarbeitgeber. 240
(b) Stellungnahme Aus dem Umstand, dass die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages am Ausgang des Verbandsarbeitskampfes partizipieren, kann die Gewerkschaft keine Befugnis zur Einbeziehung des anerkennenden Arbeitgebers in die Kampfauseinandersetzungen auf Verbandsebene herleiten. 241
Hauptarbeitskampf 4. Siehe nunmehr auch BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 237 LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. Siehe auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 144 f. 238 Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 68, wobei er ausschließlich auf die individualarbeitsvertragliche Bezugnahme abstellt. 239 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225 f. Vgl. dazu Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97. 240 Zur Problematik der Sympathieaussperrung siehe unten § 12 Β II 2. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 321 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 140 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98.
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(aa) Funktion des Arbeitskampfes Gegen die Anerkennung einer gewerkschaftlichen Streikbefugnis unter dem Gesichtspunkt der Eigennützigkeit spricht die in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerte Funktion des Arbeitskampfes. Der Arbeitskampf dient der Herstellung der Verhandlungsparität zwischen Tarifpartnern, die über den Abschluss eines konkreten Tarifvertrages verhandeln. Diese Funktion wird vom Partizipationsgedanken nicht unterstützt. Das Kriterium der Eigennützigkeit trägt zur Schaffung eines tariflichen Verhandlungsgleichgewichts nichts bei und fugt sich daher nicht in den paritätsbezogenen Ableitungszusammenhang des Arbeitskampfes ein. Eine Zulassung von Unterstützungsarbeitskämpfen bei mittelbarem Eigeninteresse am Ausgang des Hauptarbeitskampfes würde den unmittelbaren Tarifbezug von Arbeitskampfmaßnahmen in Frage stellen. 242 Damit würde das vom Bundesarbeitsgericht entwickelte System tariflicher Konfliktbewältigung seine innere Schlüssigkeit verlieren. 243 Der eigennützige Sympathiearbeitskampf lässt sich in seiner Reichweite nicht begrenzen. 244 Zutreffend weist Rieble darauf hin, dass jeder mit der Behauptung, irgendwie vom Tarifergebnis berührt zu sein, aktiv in fremde Arbeitskämpfe eingreifen könnte. 245 Dem wilden Streik wären „Tür und Tor" geöffnet. Eine uferlose Gestattung eigennütziger Sozialkonflikte bedroht den sozialen Frieden insgesamt. Rüthers spricht sogar von der Gefahr einer „(,totalen') Sozialschlacht". 246 Gerade weil die negativen Folgewirkungen des Arbeitskampfes auch unbeteiligte Dritte treffen und damit auf die Belange der Allgemeinheit ausstrahlen, bedarf es einer rechtssicheren Begrenzung des kampfberechtigten Personenkreises. Das Kriterium des mittelbaren Eigeninteresses ist zu
242 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 141; ähnlich Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; anders BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 243 Ein „stimmiges Gesamtsystem" fordert auch Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 676. Siehe zudem Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 141; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Wank, Festschrift fur Kissel, S. 1225, 1230. 244 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zudem Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 51. Auch Bulla, Festschrift für Molitor, S. 293, 300 widerspricht einer „schrankenlosen" Beteiligung von Außenseitern. 245 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. Vgl. auch Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Rüthers, BB 1964, 312, 313 f. 246 Rüthers, BB 1964, 312, 313; ders., in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 146. So auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1137; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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unbestimmt, um den Teilnehmerkreis sinnvoll einzugrenzen. Es muss feststehen, wer arbeitskampfbefugt und wer Adressat der Kampfmaßnahmen ist. 2 4 7 Abzulehnen ist der eigennützige Sympathiestreik wegen seiner paritätsstörenden Wirkung. 248 Da sowohl Rechtsprechung als auch Rechtslehre davon ausgehen, dass auf Verbandsebene ein paritätisches Verhandlungsgleichgewicht herrscht, 249 fuhrt die Bestreikung nicht verbandsangehöriger Arbeitgeber zu einer Verschiebung des Verhandlungsgleichgewichts zu Gunsten der Arbeitnehmerseite. Durch eine von der Gewerkschaft initiierte Verbreiterung der Kampffront sieht sich der unmittelbar kampfbetroffene Arbeitgeberverband unter Umständen einem unzulässigen Einigungsdruck ausgesetzt. Mit diesem Eingriff in die verbandstarifliche Parität gefährdet die Arbeitnehmervereinigung die Sachgerechtigkeit des auszuhandelnden VerbandstarifVertrages.
(bb) Verhältnismäßigkeitsprinzip Eine Einbeziehung des anerkennenden Arbeitgebers in die Verbandsarbeitskämpfe verstößt gegen die Verhältnismäßigkeitsmaxime. Es mangelt bereits an der Geeignetheit des eigennützigen Sympathiestreiks zur tariflichen Konfliktlösung. 250 Aus dem Umstand der Partizipation am Hauptarbeitskampf ergibt sich keine Erweiterung der Einflussnahmemöglichkeiten des Außenseiterarbeitgebers auf den eigentlichen Kampfadressaten - den Arbeitgeberverband. Der einzelne Arbeitgeber besitzt keine gesicherte rechtliche oder tatsächliche Handhabe, um die Arbeitgebervereinigung zur Respektierung der gewerkschaftlichen Forderungen zu bewegen.
247
Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; vgl. Rüthers, BB 1964, 312, 313. Zum Erfordernis der Rechtssicherheit - siehe Rüthers/ Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. 248 LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Lieb, ZfA 1982, 113, 149 f. und 156; ders., Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 66; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Lieb, RdA 1991, 145, 152. Anders Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 388. 249 Siehe oben § 12 Β II 1 b bb. 250 Vgl. allgemein hierzu Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 9 f.; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 135; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 663; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140. Das BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf bewertet den Streik nunmehr als grundsätzlich geeignet.
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Unter keinem Gesichtspunkt ist der eigennützige Sympathiearbeitskampf erforderlich zur Herstellung eines verbandstariflichen Verhandlungsgleichgewichts, 251 da das Kriterium des Eigeninteresses in keinem Zusammenhang zur Verbandsparität steht. Im Hinblick auf den Außenseiterarbeitgeber ist der Streik ebenfalls nicht erforderlich, weil die Gewerkschaft von ihm keine unmittelbare Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verlangt. Die Einbeziehung des anerkennenden Arbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf verstößt insbesondere gegen den Proportionalitätsgrundsatz, weil die Gewerkschaft ihm gegenüber kein sinnvolles tarifliches Kampfziel verfolgt. Mit dem Abschluss des dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages hat die Gewerkschaft alle gesteckten Zielsetzungen auf firmentarifVertraglicher Ebene erreicht. 252 Der auszuhandelnde Verbandstarifvertrag wurde längst antezipierend anerkannt. Da der Arbeitgeber somit alles in seiner Macht stehende getan hat, 253 zeitigt der eigennützige Sympathiestreik für den ohne jede Verbandsunterstützung stehenden Unternehmer eine ausschließlich schädigende Wirkung. 254 Ein derartiger auf wirtschaftliche Schädigung gerichteter Streik ist unzulässig. Rechtswidrig sind auch Streikmaßnahmen, die allein dem Ziel dienen, gewerkschaftliche Stärke zu demonstrieren. 255
(cc) Arbeitskampfautonomie und Friedenspflicht Fernerhin spricht gegen die Führung eigennütziger Sympathiearbeitskämpfe, dass deren rechtliche Anerkennung das autonome Kampfführungsrecht der
251
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 9 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 141; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; vgl. zudem Lieb, ZfA 1982, 113, 151 f.; siehe aber auch BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 252 LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 321. 253 LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 141. 254 Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass häufig kraft „erweiterter" Globalbezugnahme mehrere VerbandstarifVerträge in Bezug genommen werden. Enden die bezogenen VerbandstarifVerträge zu unterschiedlichen Terminen, entstehen ständig neue Konfliktsituationen. Wird der anerkennende Arbeitgeber in die jeweiligen Verbandstarifauseinandersetzungen einbezogen, genießt er unter Umständen nie Arbeitskampfruhe, was den schädigenden Charakter zusätzlich verstärkt. 255 BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bulla, Festschrift für Molitor, S. 293, 302; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1073; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 322 f.; Rüthers, BB 1964, 312, 314; vgl. Müller, ArbuR 1972, 1, 8.
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Verbandstarifvertragsparteien unterlaufen kann. 256 Wenn Außenseiter unter Berufung auf den Partizipationsgedanken in den Verbandsarbeitskampf eintreten dürfen, dann verlieren die unmittelbaren Kampfparteien die Entscheidungshoheit über die Art und den Umfang der Kampfmaßnahmen. Mittelbar kampfbetroffene Arbeitnehmer wie Arbeitgeber könnten gegen den Willen der kampfführenden Koalitionen die Sozialkonflikte ausweiten. Aus diesem Grund erachten Teile der Rechtslehre Außenseiterbeteiligungen lediglich dann als statthaft, wenn der unterstützte Verband dem Kampfeintritt zugestimmt hat. 257 Eine derartige Grenzziehung löst aber das eigentliche Problem nicht, denn es ist unschlüssig, sich einerseits den Partizipationsgedanken zur Verbreiterung der Arbeitskampffront nutzbar zu machen, in letzter Konsequenz diesen dogmatischen Ansatz aber angesichts missliebiger Folgewirkungen wieder in Frage zu stellen. Eine solche Relativierung zieht das gesamte Konzept vom eigennützigen Sympathiearbeitskampf in Zweifel. Eigennützige Sympathiestreiks sind allgemein bewertet nur schwer mit der zwischen den unterstützenden Sozialpartnern bestehenden relativen Friedenspflicht in Einklang zu bringen. Zutreffend betont das Bundesarbeitsgericht, dass der Sympathiearbeitskampf fur sich betrachtet dem Arbeitskampfverbot nicht unmittelbar entgegensteht, da der eigene Tarifvertrag selbst nicht Angriffsobjekt der Unterstützungshandlungen ist. 258 Ungeachtet der ohnehin zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages fortbestehenden Friedenspflicht 259 kann dieser Argumentation nur bedingt gefolgt werden, wenn es um die Rechtfertigung eigennütziger Sympathiearbeitskämpfe geht. Gestützt auf das. Eigeninteresse kämpfen die unterstützenden Parteien nicht ausschließlich um fremde Tarifziele, sondern gleichzeitig - wenn auch nur mittelbar - um ihre eigenen Tarifbedingungen. Sie erkämpfen im Gewände eines fremden Tarif256
Siehe die Nachweise bei Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 324. Andeutungsweise auch bei Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 674, der dies insbesondere für die Arbeitgeberaussperrung diskutiert. Eine Ausweitung des kampfberechtigten Personenkreises kann indes nicht nur für der Arbeitgebervereinigung, sondern im Einzelfall auch der Gewerkschaft ungelegen kommen - vgl. Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. 257 Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 375; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 324. In diesem Sinne auch der Professorenentwurf 1988 - vgl. Birk/Konzen/ Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 76 (Erläuterung zu § 25 II des Entwurfs). 25 *BAG vom 21.12.1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 381; Plander, ArbuR 1986, 193, 197; Rüthers, BB 1964, 312, 315; ders., in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 238; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Weiss, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 57. 259 Zum Verbot der Abbedingung der dem Anerkennungstarifvertrag immanenten Friedenspflicht siehe oben § 11 C II 2 b bb (2).
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konfliktes ihre eigenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, sodass der Vorwurf einer Umgehung der Friedenspflicht nicht von der Hand zu weisen ist. 260
(dd) Arbeitskampfbeteiligung auf Arbeitnehmerseite Zur Rechtfertigung eigennütziger Sympathiestreiks kann nicht auf die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseiterarbeitnehmern in einem unmittelbar kampfbetroffenen Unternehmen verwiesen werden. 261 Zwar gehört es seit der Entscheidung des Großen Senats vom 21.04.1971 zur gesicherten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass auch nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer streiken beziehungsweise ausgesperrt werden dürfen. 262 In seiner Begründung stützt das Bundesarbeitsgericht die Außenseiterkampfbeteiligung unter anderem auf den Partizipationsgedanken, indem es darauf hinweist, dass die Beschäftigten „regelmäßig auch die Vorteile des neuen Tarifabschlusses genießen".263 Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf eigennützige Sympathiestreiks verbietet sich aber deshalb, weil der Rechtsgedanke der Partizipation bereits für die entschiedene Problematik nicht tragend ist. Nicht weil die Außenseiterarbeitnehmer ein Eigeninteresse am späteren Tarifabschluss haben, können sie in
260 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 313; Lieb, ZfA 1982, 113, 152 f.; Rüthers, BB 1964, 312, 315; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; anders BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 261 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 148; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 138 f.; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21. Anders LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 390; Plander, ArbuR 1986, 193, 198. 262 BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. dazu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 994 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 85 ff; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 453 f. 263 BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zum Grundsatz von der „Einheit der Belegschaft" vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1135; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 311; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 6; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 60; Lieb, RdA 1991, 145, 149 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170. 2 Rn. 85 ff.
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den Arbeitskampf einbezogen werden. 264 Hintergrund für ihre Kampfbeteiligung ist vielmehr das Paritätsprinzip. 265 Wegen des häufig unzureichenden gewerkschaftlichen Organisationsgrades lässt sich eine Verhandlungsparität erst durch eine Einbeziehung der Außenseiterarbeitnehmer erzielen. Darüber hinaus zwingt das verfassungsrechtliche Differenzierungsverbot zwischen Gewerkschaft- und Nichtgewerkschaftsmitgliedern zu einer Involvierung der Außenseiterarbeitnehmer. 266 Jene Gründe finden bei einem eigennützigen Sympathiestreik keine Parallele. Der Arbeitgeberverband verfügt über eine ausreichende Verhandlungsmacht, sodass er zur Gewährleistung eines paritätischen Gleichgewichts nicht auf die Unterstützung durch verbandsfremde Arbeitgeber angewiesen ist. 267 Entscheidend ist aber der wesentliche Unterschied zwischen der Außenseiterstellung auf Arbeitnehmer- und auf Arbeitgeberseite zu berücksichtigen. 268 Im Gegensatz zu 264
Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 311 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 95 ff.; Konzen, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 273, 280; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, S. 256 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 50. 265 Brox, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 289; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 311 f.; Konzen, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 273, 280; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 665; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170. 2 Rn. 86; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, S. 256 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 51 und 146; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 453 f. 266 Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343. Relevant wird dieser Ansatz insbesondere bei Selektivaussperrungen - vgl. BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 310 und 322; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1,6 und 12; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 110 ff.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 665; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 88; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 74 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 453 f.; siehe auch BAG vom 28.01.1958, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 267 Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f. 268 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 148; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 22; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; vgl. Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 144; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; siehe aber BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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den nichtorganisierten Arbeitnehmern ist der einzelne Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG selbst tariffähig. Anders als auf Arbeitnehmerseite ist die Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf nicht die einzige Möglichkeit, dem Eigeninteresse gerecht zu werden. Vielmehr kann die Gewerkschaft ihre tariflichen Ziele auf direktem Weg durch Erkämpfiing eines Firmentarifvertrages erreichen. Eine Symmetrie zur Kampfbeteiligung der Außenseiterarbeitnehmer scheidet mithin aus. Darüber hinaus verbietet sich eine Berufung auf die Grundsätze der Arbeitskampfrisikolehre 269 oder die gesetzliche Regelung des § 146 Abs. 3 SGB I I I . 2 7 0 Es verfangt nicht, dass auch in diesen Konstellationen an das mittelbare Eigeninteresse eines Dritten am Ausgang eines fremden Arbeitskampfes rechtliche Folgewirkungen geknüpft werden. 271 Hieraus lässt sich nach zutreffender Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keine Legitimation des eigennützigen Sympathiestreiks ableiten. 272 Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Eingriffe in Rechtspositionen mittelbar kampfbetroffener Dritter in den Anwendungsfällen der Arbeitskampfrisikolehre sowie des § 146 Abs. 3 SGB III nicht gezielt anvisiert werden. Mit der Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers greift die Gewerkschaft jedoch zielgerichtet in Rechtspositionen verbandsfremder Dritter ein.
(ee) Unrechtmäßige Privilegierung Das LAG Frankfurt/Main gibt in seinem Urteil vom 22.02.1990 zu bedenken, dass sich der Außenseiterarbeitgeber während der Verbandstarifauseinandersetzungen nicht unter einer „schützenden Käseglocke" verstecken könne. 273 Die Entscheidung befasst sich zwar nicht unmittelbar mit der Problematik des Sympathiearbeitskampfes, da der bestreikte Außenseiterarbeitgeber im streitgegenständlichen Fall die auf Verbandsebene erhobenen Tarifforderungen durch den Abschluss eines parallelen Firmentarifvertrages anerkennen konnte. DenAnlass geben, unter noch sollen die Ausführungen des LAG Frankfurt/Main Berücksichtigung der Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages, die
269 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lieb, ZfA 1982, 113, 148 ff.; ders., Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. 270 Lieb, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, SAE 1986, 64, 65; Mayer-Maly, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, SAE 1988, 310, 310 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. 271 So aber Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 374a; Plander, ArbuR 1986, 193, 198. 272 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 273 LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40.
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Frage nach einer unangemessenen Privilegierung des Arbeitgebers gegenüber den verbandsangehörigen Unternehmen zu stellen. Wenn der Partizipationsgedanke nach der hier vertretenen Auffassung keine arbeitskampfrechtliche Gleichstellung zwischen verbandsangehörigen und unkoalierten Arbeitgebern rechtfertigt, dann genießt der Außenseiter während der gesamten Laufzeit seines Anerkennungstarifvertrages Friedenspflicht, wohingegen die organisierten Arbeitgeber in derselben Zeitspanne unter Umständen mehrfach Streikmaßnahmen der Gewerkschaft ausgesetzt sind. Der Arbeitgeber, der kraft dynamischer Verweisung die jeweils neu erkämpften VerbandstarifVerträge inhaltlich anwendet, profitiert ohne eigenes wirtschaftliches Risiko an der Kampfführung des Arbeitgeberverbandes. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Verbandsarbeitgeber dies als „Trittbrettfahrerverhalten" und damit als eigenen Nachteil interpretieren und infolgedessen im extremsten Fall über den Austritt aus dem Arbeitgeberverband nachdenken.274 Angesichts der Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages ist jedoch eine unrechtmäßige Privilegierung des Arbeitgebers nicht zu besorgen. So muss bereits der angebliche Vorteilscharakter relativiert werden. In der ursprünglichen Auseinandersetzung um den Abschluss des Anerkennungstarifvertrages sah sich der Arbeitgeber ohne jede finanzielle und juristische Verbandsunterstützung dem Druck der Arbeitnehmerseite ausgesetzt.275 Angesichts dieser Zwangslage verzichtete er auf eine unternehmensspezifische Ausgestaltung des Firmentarifvertrages. Während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages genießt er zwar Arbeitskampfruhe. Jener Vorzug wird aber kompensiert durch den fremdbestimmenden Einfluss der VerbandstarifVertragsparteien, 276 denn inhaltlich begibt sich der anerkennende Arbeitgeber der Freiheit zur eigenständigen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das laufzeitbezogene Kampfverbot keineswegs langfristig abgesichert ist. Der Anerkennungstarifvertrag kann durch beide Vertragsparteien jederzeit gekündigt werden. Dann verkehren sich die vermeintlichen Vorteile in ihr Gegenteil, da der Arbeitgeber nunmehr wieder ohne jede Verbandsunterstützung mit neuen gewerkschaftlichen Forderungen konfrontiert werden kann. Von einer rechtlich gesicherten Privilegierung kann also keine Rede sein.
274
Siehe dazu Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 322; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 143; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 671. 275 Das ist auch der Grund, warum allgemein eine Privilegierung abgelehnt wird - vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 671; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138 f. 276 Vgl. Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98.
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Die laufzeitbezogene Arbeitskampfruhe begründet keinen rechtswidrigen Eingriff in den durch die positive Koalitionsfreiheit gesicherten Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes. 277 Eine unterschiedliche streikrechtliche Behandlung des anerkennenden Arbeitgebers und der verbandsangehörigen Unternehmen ist unter Anwendung der arbeitskampfrechtlichen Grundsätze gerade geboten. 278 Sie ist die logische Folge aus der Unterscheidung zwischen Firmen- und VerbandstarifVertrag. Der Gesetzgeber grenzt beide TarifVertragstypen in § 2 Abs. 1, 2. Alt. und 3. Alt. TVG streng voneinander ab. Eine Zulassung eigennütziger Sympathiestreiks ausschließlich mit dem Ziel, nichtorganisierte und verbandsangehörige Arbeitgeber arbeitskampfrechtlich gleichzustellen, ließe die rechtliche Eigenständigkeit des Firmentarifvertrages unberücksichtigt und verstößt gegen die Intention des Gesetzgebers. 279 Für die organisierten Arbeitgeber gilt, dass sie selbst die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit allen Vor- und Nachteilen frei gewählt haben und somit eigenständig ihre Einbeziehung in die Verbandsarbeitskämpfe legitimiert haben. 280 Dass die laufzeitbezogene Friedenspflicht zu keiner unrechtmäßigen Privilegierung des Arbeitgebers fuhrt, wird deutlich, wenn man sich die rechtlichen Konsequenzen eines entgegengesetzten Ergebnisses vergegenwärtigt. Eine Zulassung paralleler Sympathiestreikmaßnahmen würde den anerkennenden Arbeitgeber vergleichsweise schwerwiegender benachteiligen. Er müsste, ohne dass die Gewerkschaft ihm gegenüber ein tarifliches Ziel verfolgt, dem Streikdruck so lange standhalten, bis sich der Arbeitgeberverband den gewerkschaftlichen Forderungen beugt. Eigennützige Sympathiestreiks tangieren daher weniger die positive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbands als vielmehr die negative Koalitionsfreiheit des anerkennenden Arbeitgebers. 281 Letztlich ist eine „Flucht" verbandsorganisierter Arbeitgeber „in den Anerkennungstarifvertrag" angesichts der Nachteile, die sich aus der inhaltlichen Fremdbestimmtheit ergeben, nicht real zu besorgen. Austritte aus den Arbeitgeberkoalitionen werden nicht durch den Anerkennungstarifvertrag mit seinen 277
Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 143 f.; siehe auch Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 322 f.; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 671 f. 278 Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139. 279 Lieb, RdA 1991, 145, 153; vgl. auch Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 343; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 143 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139. 280 Die Verbandstarifparteien haben kein „Recht an ihrem Tarifvertrag" - vgl. Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 154. Der Verbandstarifvertrag kann daher in Bezug genommen werden, ohne dass die verweisenden Tarifpartner identische zeitliche Geltungsbereiche vereinbaren müssen. 281 Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 322; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 142 ff.; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 347 f. Zu den Problemen der negativen Koalitionsfreiheit siehe unten § 12 Β III.
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vagen Aussichten auf eine längerfristige Friedenspflicht motiviert. Vielmehr streben die austrittswilligen Unternehmen den Abschluss unternehmensspezifischer Haustarifverträge an. Der Anerkennungstarifvertrag begründet kein stärkeres Austrittsmotiv als jeder andere Firmentarifvertrag. 282 Im Ergebnis resultiert aus der Ablehnung einer Sympathiestreikberechtigung kein rechtlich relevanter Nachteil zu Lasten der koalierten Unternehmen.
(ff) Besonderheiten der dynamischen Verweisung Eigennützige Sympathiestreiks lassen sich auch nicht mit den Besonderheiten der dynamischen Verweisung rechtfertigen. Die laufzeitbezogene Arbeitskampfruhe ist der Preis, den die Gewerkschaft für die dynamische Anbindung des Außenseiterarbeitgebers an die verbandstarifliche Entwicklung zahlen muss. 283 Zuzustimmen ist dem LAG Hamm darin, dass die Gewerkschaft mit dem Abschluss des Anerkennungstarifvertrages alle Angleichungsziele erreicht hat. 284 Der anerkennende Arbeitgeber hat seinerseits mit der Unterzeichnung der inhaltlichen Blankettverweisungsklausel alles ihm Zumutbare getan, 285 sodass sich für seine Einbeziehung in die verbandstariflichen Arbeitskämpfe keine sinnvolle Rechtfertigung findet. Zu Recht weist Rieble darauf hin, dass die Partizipierenden ungeachtet ihres Eigeninteresses das Ergebnis des fremden Arbeitskampfes ohne aktive Kampfbeteiligung akzeptieren müssen.286 Die Parteien des AnerkennungstarifVertrages haben sich mit der Vereinbarung der dynamischen Bezugnahmeklausel übereinstimmend der Fremdbestimmung durch die Verbandstarifparteien unterworfen. 287 Es ist nur konsequent, wenn diese mittelbare Fremdbestimmung
282
Siehe dazu Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 143. Vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142; anders BAG vom 18.02. 2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 284 LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50. 285 Vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 141; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 321. 286 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144 weist daraufhin, dass sich der Arbeitgeber durch sein Fernbleiben vom Arbeitgeberverband bewusst dem Verbandsarbeitskampf entzogen habe und sich daher auch nicht „einmischen" dürfe. Allgemein gegen die Berücksichtigung des Eigeninteresses bei so genannten „Modellarbeitskämpfen" Lieb, ZfA 1982, 113, 151 f. 287 Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98. Vgl. auch Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 676. 283
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auch auf arbeitskampfrechtlicher Ebene hingenommen werden muss. 288 Sich dagegen wendende Stellungnahmen könnten ihre Kritik nicht an der arbeitskampfrechtlichen Eigenständigkeit des Anerkennungstarifvertrages ansetzen. Vielmehr müssten sie ihre Bedenken auf die Rechtskonformität der dynamischen Verweisung als zulässiges tarifliches Normsetzungsverfahren lenken. Dass dies aus gewerkschaftlicher Sicht weder interessengerecht ist, noch aus rechtlicher Sicht vertretbar erscheint, wurde zu Beginn der Arbeit herausgearbeitet. 289 Die Verweisungskonzeption kann in ihrer arbeitskampfrechtlichen Behandlung nicht mit der Allgemeinverbindlicherklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 TVG verglichen werden. Lembke vertritt die Auffassung, dass immer dann, wenn ein umkämpfter Verbandstarifvertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit für allgemeinverbindlich erklärt werden wird, auch nicht organisierte Arbeitgeber in den Verbandsarbeitskampf einbezogen werden dürfen und rechtfertigt dies mit einer „Partizipation auf kollektivrechtlicher Ebene". 290 Den entscheidenden Anlass für eine Kampfbeteiligung sieht Lembke in der gemäß § 5 Abs. 4 TVG zwingenden, nicht vom Willen der Außenseiter abhängenden Unterwerfung unter die Regelungen des für allgemeinverbindlich erklärten VerbandstarifVertrages. 291 Abgesehen von der Schlüssigkeit dieses Ansatzes 292 kann diese Bewertung auf den Anerkennungstarifvertrag nicht übertragen werden. Die dynamische Anbindung an die Verbandstarifentwicklung erfolgt nicht gegen den Willen der Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages, sondern ist auf deren autonome Willensentschließung zurückzuführen. Darüber hinaus können sich die Parteien anders als im Falle der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch Kündigung einer weiteren Fremdbestimmung entziehen. Der entscheidende Unterschied zur Allgemeinverbindlicherklärung liegt also darin, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages den fremdbestimmten Einfluss bewusst in Kauf ge288 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; vgl. auch Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97. 289 Siehe dazu oben § 6 A IV 2. 290 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 144 f. Siehe auch LAG Frankfurt vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Otto, in MünchenerHdb, § 285 Rn. 67. 291 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 145. 292 Kritisch Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98, der daraufhinweist, dass der Gesetzgeber bei der Allgemeinverbindlicherklärung die Fremdbestimmung bewusst in Kauf genommen hat. Auch das BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf ging mit keinem Wort auf das vorinstanzlich vom LAG Frankfurt vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40 aufgeworfene Problem der Partizipation im Falle bevorstehender Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein. Vgl. auch Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 50 und 142.
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nommen haben und daher von vornherein kein Anlass besteht, die aufgezwungene Fremdbestimmung mit einer Teilnahmeberechtigung an den Verbandsarbeitskämpfen zu kompensieren.
(gg) Schlussfolgerung Aus dem Partizipationsgedanken kann somit keine Ausnahme vom Verbot des Sympathiearbeitsarbeitskampfes hergeleitet werden.
(c) Ergebnis Mithin sind eigennützige Sympathiestreiks während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages unzulässig, sodass es der Gewerkschaft untersagt ist, die verbandstarifliche Kampffront auf den anerkennenden Arbeitgeber zu erweitern.
2. Aussperrung Zu klären bleibt, ob die dynamische Rechtsstatusklausel zumindest geeignet ist, die arbeitskampfrechtlichen Voraussetzungen für eine Aussperrung durch den anerkennenden Arbeitgeber parallel zu den Aussperrungsmaßnahmen verbandsangehöriger Arbeitgeber zu begründen.
a) Funktion des Arbeitskampfes Dem Außenseiterarbeitgeber kann während der Laufzeit seines Anerkennungstarifvertrages eine Aussperrungsbefugnis nur dann zuerkannt werden, wenn sich seine Kampfbeteiligung in den funktionalen Grenzen des Arbeitskampfrechts hält. 293 Aussperrungen sind nur statthaft, wenn sie eine Hilfsfunktion für die Tarifvertragsgestaltung erfüllen. An dieser Stelle gilt es wieder, nach den anvisierten Kampfzielen zu unterscheiden. Bereits im Rahmen der Erörterung des laufzeitbezogenen Streikrechts wurde herausgearbeitet, dass die dynamische Rechtsstatusklausel weder aus rechtli293
BAG 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 83 f.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 672 ff.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 141 ff. Vgl. zudem BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225.
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cher noch aus tarifpolitischer Sicht die Ablösung des dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages durch einen neuen FirmentarifVertrag zum Regelungszweck hat. Auch der Arbeitgeber verfolgt während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages gegenüber seinem unmittelbaren Sozialpartner kein eigenständiges Regelungsanliegen.294 Im Zentrum des statusrechtlichen Anbindungsinteresses steht also auch auf Arbeitgeberseite die Legitimation einer Beteiligung an den Verbandstarifauseinandersetzungen. Kampfgegner des aussperrenden Arbeitgebers ist nicht die Gewerkschaft in ihrer Eigenschaft als Partner des Anerkennungstarifvertrages. Vielmehr unterstützt die Kampfteilnahme die von der Arbeitgebervereinigung gegenüber der Gewerkschaft erhobenen Verbandstarifforderungen und ist daher als Sympathieaussperrung zu qualifizieren. 295 Mit dieser begrifflichen Einordnung ist die Unzulässigkeit der unterstützenden Aussperrung nicht ohne weiteres präjudiziell. Insbesondere wird ein unbesehener Rückschluss auf das Verbot des Sympathiestreiks der Aussperrungsproblematik nicht gerecht, da zwischen beiden Kampfformen ein wesentlicher Unterschied besteht.296 Fehlt es dem unterstützenden Streik bereits an der Eignung zur tariflichen Konfliktlösung, weil der betroffene Arbeitgeber weder rechtlich noch tatsächlich das Abschlussverhalten des Arbeitgeberverbandes beeinflussen kann, so liegen die Dinge hier anders. Mit der Sympathieaussperrung erhöht der Außenseiter sehr wohl den Einigungsdruck auf die Gewerkschaft, da sie zur Leistung von Unterstützungszahlungen an die ausgesperrten Arbeitnehmer verpflichtet wird. 2 9 7 Die Aussperrungsbefugnis des Arbeitgebers
294
Vgl. dazu oben § 12 Β II 1 a. Sieht sich ein bisher nicht firmentarifVertragsgebundener Außenseiter parallel zu den Arbeitskämpfen auf Verbandsebene gleichlautenden gewerkschaftlichen Tarifforderungen ausgesetzt, die die Gewerkschaft ihm gegenüber notfalls durch entsprechende Streikmaßnahmen durchzusetzen sucht, so kann er hierauf mit Abwehrmaßnahmen reagieren, denn in diesem Fall kämpfen die Sozialpartner um ein rechtlich selbstständiges Regelungsziel in Form eines eigenständigen FirmentarifVertrages - siehe zu dieser Problematik BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 323. 295 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 177 f.; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97. 296 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 672 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 177; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 141. Anders wohl Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991,335, 344. 297 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 672 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 177 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146.
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scheitert somit nicht an der mangelnden Eignung, den Ausgang des Verbandsarbeitskampfes beeinflussen zu können. Aus diesem Grund bedarf es einer Verlagerung des argumentativen Schwerpunkts. In das Zentrum der Betrachtung ist das Paritätsprinzip zu stellen. Unter dem Gesichtspunkt der Parität ist eine Verbreiterung der Arbeitskampffront auf Arbeitgeberseite rechtmäßig, wenn dies zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts im Verbandsarbeitskampf zwingend erforderlich ist. Regelmäßig sind unterstützende Aussperrungen durch Außenseiterarbeitgeber jedoch nicht notwendig, 298 da nach abstrakt-typisierender Betrachtungsweise ein paritätisches Kräfteverhältnis besteht, das es den verbandsangehörigen Arbeitgebern ermöglicht, hinreichenden Druck auf die Gewerkschaft auszuüben. Eine Kampfbeteiligung nicht organisierter Arbeitgeber begründet im Gegenteil eine paritätsstörende Wirkung. 299 Folglich verstoßen Sympathieaussperrungen gegen das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ausschließlich in besonders nachzuweisenden Einzelfällen sind Sympathieaussperrungen angesichts eines unzureichenden arbeitgeberseitigen Organisationsgrades denkbar, 300 was jedoch nicht Gegenstand einer vorweggenommenen, pauschalen Rechtsstatusabrede sein kann.
b) „ Kampfbündnis-Rechtsprechung"
des Bundesverfassungsgerichts
Bedenken gegen das Verbot der Sympathieaussperrung ergeben sich allerdings aus der Aussperrungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.06.1991.301 Nach Auffassung des Gerichts könne sich ein Außenseiterarbeitgeber einer Verbandsaussperrung anschließen, wenn er ein Interesse am Ausgang des Verbandsarbeitskampfes habe. 302 Zwischen dem unterstützenden
298
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, ARBlattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 169; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; vgl. auch Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 178. 299 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144 und 146; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 673 f. 300 Löwisch, Anm. zu BAG vom 05.03.1985, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Entscheidung 28; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 169; vgl. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; siehe zudem Lieb, ZfA 1982, 113, 166 ff. 301 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225. 302 Ausreichend für die Annahme eines Eigeninteresses sei es bereits, wenn der Außenseiter individualarbeitsvertraglich auf den umkämpften VerbandstarifVertrag Bezug
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Arbeitgeber und dem unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeberverband bestehe ein „Kampfbündnis", welches seinerseits unter dem Schutz der Koalitionsbetätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG stehe. Trifft die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zu, so muss dem Arbeitgeber, der den Verbandstarifvertrag sogar kraft tarifvertraglicher Blankettverweisung anwendet, argumentum a maiore ad minus ebenso eine Aussperrungsberechtigung zuerkannt werden. Zu Recht ist die „Kampfbündnis-Rechtsprechung" des Bundesverfassungsgerichts sowohl bei den Fachgerichten als auch in der Rechtslehre auf Kritik gestoßen.j(b Auffällig ist das Begründungsdefizit der Entscheidung.304 Obwohl die Ableitung eines „Kampfbündnisses" aus der Koalitionsbetätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zu einer Neuorientierung des gesamten Arbeitskampfsystems führt, genügen dem Bundesverfassungsgericht ganze zwei Begründungssätze. Angesichts dieser rudimentären Argumentation drängt sich der
nehme - siehe BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225 f. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Professorenentwurf 1988 - vgl. Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 76 (Erläuterung zu § 25 II des Entwurfs). Danach darf ein Außenseiterarbeitgeber im Verbandsarbeitskampf unterstützende Aussperrungen vornehmen, wenn die Zustimmung des Arbeitgeberverbandes vorliegt und der umkämpfte Tarifvertrag Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen im Außenseiterunternehmen hat. Zur Kritik vgl. Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142 ff. 303 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 301 ff.; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 341 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 84 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 657 und 676 f.; ders., NZA 1994, 337, 340; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, ARBlattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 16; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 260; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143 ff. 304 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, ArbuR 1992, 1,1; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 302; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 341; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 85; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 657; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 478; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143; vgl. auch Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15.
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Verdacht auf, dass dem Gericht die arbeitskampfrechtliche Tragweite nicht in letzter Konsequenz bewusst war. 305 Dass es sich bei der Beteiligung des Außenseiterarbeitgebers an den Verbandsaussperrungen um eine Sympathiearbeitskampfmaßnahme handelt, erwähnt das Bundesverfassungsgericht nicht. 306 Es geht mit keinem Wort auf die zu diesem Zeitpunkt bereits gesicherte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein. 307 Weder die Hilfsfünktion des Arbeitskampfes zur Durchsetzung eigenständiger tariflicher Forderungen noch die Auswirkungen eines „Kampfbündnisses" auf die Parität im Hauptarbeitskampf werden auch nur ansatzweise problematisiert. Die Anerkennung eines „Kampfbündnisses" sprengt die rechtlichen Grenzen des Arbeitskampfes. 308 Aus Paritätsgesichtspunkten ist eine Unterstützung des Arbeitgeberverbandes durch Außenseiterarbeitgeber nicht erforderlich. 309 Damit entfernt sich das Bundesverfassungsgericht ohne sachlichen Grund vom paritätsbezogenen Arbeitskampfsystem des Bundesarbeitsgerichts, 310 Bezeichnenderweise geht das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 11.08.1992, das sich mit der Aussperrungsbeflignis eines nicht organisierten Arbeitgebers auseinander setzt, auf Distanz zum verfassungsgerichtlichen Ansatz. 311 305 Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 302; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 86; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 142 (Fn. 44) weisen darauf hin, dass die Annahme einer Grundrechtsbetroffenheit des Außenseiterarbeitgebers im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG wohl nur deswegen bejaht wurde, um die Verfassungsbeschwerde vor dem Vorwurf der „Unzulässigkeit" zu bewahren. 306 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 678; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; vgl. zudem Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 62; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 662; Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f. 307 BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 308 Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; vgl. auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 301; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 676 f. 309 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144 und 146; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 88; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 673 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 146 f.; siehe aber Seiter, AfP 1985, 186, 188. 310 Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 674 und 767 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143 ff.; vgl. zudem Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269. 311 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Siehe auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 302; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außensei-
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Die Annahme eines „Kampfbündnisses" zwischen Außenseiter und Arbeitgeberverband widerspricht zudem den Voraussetzungen der Koalitionseigenschaft. Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zeichnen sich durch ein gewisses Maß an Stetigkeit aus. 312 Folgerichtig knüpfen die Betätigungsgarantien - insbesondere die Tarif- und die Arbeitskampffähigkeit - an einem dauerhaften und nicht nur vorübergehenden Bestand der Koalition an. „Kampfbündnisse" bilden sich jedoch spontan, bezogen auf einen konkreten Arbeitskampf. Angesichts ihres kurzzeitigen unkoordinierten Bestandes sind sie als unstatthafte ad-hoc-Koalitionen zu qualifizieren. 313 Ungeklärt bleibt darüber hinaus, welche Anforderungen an die Organisationsstruktur und die innere Willensbildung der ad-hoc-Koalition zu stellen sind. 314 Soll der Außenseiter ohne Zustimmung des Arbeitgeberverbandes eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG begründen können, was die Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses in Frage stellen würde. 315 Oder soll umgekehrt der Außenseiter seine eigenen Interessen nur im Falle einer Genehmigung durch den Verband verfolgen können? Die Exemplifizierungen zeigen, welche ungeklärten Folgeprobleme mit der Anerkennung eines „Kampfbündnisses" aufgeworfen werden. lassen sich unterEntgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stützende Aussperrungen nicht mit dem Partizipationsgedanken rechtfertigen. 316 So ist die Schlussfolgerung von einem mittelbaren Eigeninteresse auf tern, S. 85; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143. Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 678 wünscht eine entschiedenere Distanzierung durch das Bundesarbeitsgericht. 312 Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 301; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 85; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 112. 313 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 301; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 85; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 657; Otto , in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143. Anders Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98, der eine „zeitweise" Vereinigung als zulässig erachtet - im Ergebnis aber ihre Arbeitskampfberechtigung ablehnt. Vgl. auch Däubler, ArbuR 1992, 1, 3; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 48. 314 Däubler, ArbuR 1992, 1, 3; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144 f. 315 Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 657 und 677; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144 f. Zur Freiwilligkeit des Koalitionszusammenschlusses - vgl. stellvertretend Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 113. 316 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 87 f.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 676; ders., Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269;
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das Entstehen eines „Kampfbündnisses" eine Behauptung ohne zwingend logische Verknüpfung. Es wurde bereits bei der Auswertung der Sympathiestreikberechtigung darauf verwiesen, dass der Ansatz der Eigennützigkeit keinen Rückhalt im System tariflicher Konfliktlösungen findet. 317 Darüber hinaus birgt eine Sympathieaussperrungsbefugnis die Gefahr „wilder" Kampfmaßnahmen. 318 Eine unkontrollierte Verbreiterung der Kampffront liegt nicht im Interesse der Verbandstarifparteien. Der Kampfbeitritt eines Außenseiters stellt insbesondere das Kampfführungsrecht des Arbeitgeberverbandes in Frage, obwohl dieser alleiniger Träger der Tarifauseinandersetzung ist. 3 1 9 Im Übrigen wäre es auch wenig konsequent, dem Partizipationsgedanken lediglich auf Arbeitgeberseite zum Durchbruch zu verhelfen und auf Arbeitnehmerseite auszuschließen.320
c) Ergebnis Angesichts der berechtigten Kritik kann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Legitimationsgrundlage für die Gestattung eigennütziger Sympathieaussperrungen während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages dienen.
3. Dispositionsbefugnis über die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes Weder der eigennützige Sympathiestreik noch die eigennützige Sympathieaussperrung stehen somit in Einklang mit den arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen. Allein auf diese Feststellung kann sich eine Stellungnahme zur
Loritz, Gedächtnisschrift für Seiter, S. 117, 128 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06. 1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144; vgl. auch Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 662; unklar Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 344 einerseits und 342 andererseits. 317 Siehe oben § 12 Β II 1 b cc (2). Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97 weist zutreffend darauf hin, dass der auf der dynamischen Verweisung beruhende Partizipationsgedanke kein Kampfbündnis rechtfertigen kann. 318 Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 301; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67. 319 Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144; vgl. auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 324. 320 Däubler, ArbuR 1992, 1, 3 und 7; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 144; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 672; vgl. auch Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991,335, 342.
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dynamischen Rechtsstatusklausel jedoch nicht beschränken. Vielmehr muss abschließend der Frage nachgegangen werden, ob die Parteien des Anerkennungstarifvertrages über die grundlegenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes disponieren können. Unterliegen nämlich die arbeitskampfrechtlichen Grundsätze ihrer Regelungsautonomie, so scheitert die Rechtswirksamkeit der Rechtsstatusklausel nicht an den anerkennungstarifVertraglich anvisierten Arbeitskampffolgen. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Sozialpartner in seinem Beschluss vom 21.04.1971 aufgefordert, angesichts der legislatorischen Zurückhaltung des staatlichen Gesetzgebers tarifautonome Vereinbarungen über die Austragung ihrer Interessengegensätze zu treffen. 321 Hierauf aufbauend hat im Urteil vom 10.08.1980 mit Nachdruck darauf das Bundesarbeitsgericht hingewiesen, dass das Tarifrecht die Möglichkeit zur Vereinbarung einer autonomen Arbeitskampfordnung biete, die vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Beachtung seiner Merkmale konkretisieren kann. 322 Reuß schlussfolgert aus den Ausführungen des Großen Senats, dass Abreden über die Voraussetzungen und Grenzen von Sympathiearbeitskämpfen denkbar sind. 323 Ob sich eine derartige Ableitung in den Grenzen der höchstrichterlich befürworteten Tarifdispositivität hält, erscheint jedoch äußert zweifelhaft. Der Aufruf des Bundesarbeitsgerichts zur autonomen Ausgestaltung sozialer Konfliktlösungsmechanismen hat nicht zum Ziel, der tarifVertraglichen Abbedingung grundlegender kampfrechtlicher Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen den Weg zu ebnen. Autonomie wird den Tarifpartnern nur insoweit zuerkannt, als sie die verfahrensmäßigen Modalitäten im Hinblick auf die Einleitung und Durchführung von Kampfmaßnahmen sowie die Rechtsfolgen des Sozialkonflikts „konkretisieren". 324 Jenseits einer derartigen Feinabstimmung der 321
BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. auch BAG vom 31.10.1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht. 322 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 323 Reuß, ArbuR 1975, 1, 10 jedoch ohne nähere Begründung. Zu beachten ist, dass Reuß, ArbuR 1975, 1, 10 (Fn. 71) unter Hinweis auf BAG (GS) vom 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Sympathiearbeitskämpfe für zulässig erachtet. Ausgehend von dieser Prämisse erscheint eine tarifVertragliche Regelung des Sympathiearbeitskampfes nicht inkonsequent. 324 Im Wortlaut sprechen die höchstrichterlichen Entscheidungsbegründungen ausschließlich von „konkretisierenden" Arbeitskampfabreden - so explizit BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe zudem BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. dazu Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1231; Heinze, Festschrift für Molitor, S. 159, 173; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 295; dies., in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 128; Richardi, RdA 1986, 146, 146 f.; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertragl icher Vereinbarungen, S. 60 ff.; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242; Wiedemann, in Wiedemann, Ein-
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Kampfmittel legitimieren die höchstrichterlichen Vorgaben keine tarifautonome Vereinbarungsbefugnis über die funktionalen Arbeitskampfgrenzen. 325 Ebenso wie die relative Friedenspflicht nach herrschender Lehrmeinung nicht zur Disposition der Sozialpartner steht, 326 gehen die Stellungnahmen übereinstimmend davon aus, dass weder die tarifliche Hilfsfunktion des Arbeitskampfes, die Verhältnismäßigkeitsmaxime noch das Paritätsprinzip der tarifautonomen Regelungsmacht unterfallen. 327 Die vom Bundesarbeitsgericht favorisierten Arbeitskampfabsprachen sollen der Effektivierung eines funktionierenden Tarif- und Arbeitskampfsystems dienen 328 - nicht aber seine dogmatische Grundlage in Frage stellen oder gar konterkarieren. 329
leitung Rn. 424; siehe aber auch Reuß, ArbuR 1975, 1, 2. Unterschieden wird in der Literatur zwischen Rechtmäßigkeits-, Durchfuhrungs- und Rechtsfolgenbestimmungen vgl. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 328; Konzen, ZfA 1980, 77, 82 f.; Reuß, ArbuR 1975, 1,6. 325 Heinze, Festschrift für Molitor, S. 159, 173; Huang , Tarifliche Regelung über die Austragung von Arbeitskämpfen, S. 24 und 36 ff.; Konzen, ZfA 1980, 77, 98 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 127 f.; Loritz, ZfA 1982, 77, 95; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 62 f.; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242. Vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 964 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 335; Kloepfer, NJW 1985, 2497, 2503; Lieb, RdA 1972, 129, 141 f.; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 677; Richardi, RdA 1986, 146, 157 f. Auch Reuß, ArbuR 1975, 1, 6 weist darauf hin, dass tarifliche Kampfregelungen ein vollständiges Arbeitskampfrecht nicht umfassen können. 326 Siehe dazu oben § 11 C II 2 b bb (2). 327 Friauf, RdA 1986, 188, 193; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 964 f.; Konzen, ZfA 1980, 77, 95 ff.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 127 f.; Richardi, RdA 1986, 146, 157 f.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242 f. 328 So ausdrücklich BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Nach BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf sind arbeitskampfrechtliche Vereinbarungen nur im „Interesse der Aufrechterhaltung der Tarifautonomie" zulässig. Siehe dazu Kirchner, RdA 1986, 159, 161, Konzen, ZfA 1980, 77, 103; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 127; Richardi, RdA 1986, 146, 154 und 157; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; vgl. auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifVertraglicher Vereinbarungen, S. 60 f. 329 Zwar herrscht Streit über die genaue Reichweite einer tarifautonomen Regelungskompetenz im Hinblick auf so genannte Rechtmäßigkeits- oder Zulässigkeitsbestimmungen - vgl. Kirchner, RdA 1986, 159, 161; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284 einerseits und Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1231; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 356 andererseits. Eine Disposivität der grundlegenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wird aber selbst von den extensiven Stellungnahmen nicht befürwortet. Den Tarifvertragsparteien wird lediglich ein größerer Regelungsspielraum zugestanden für Schlichtungsvereinbarungen, Abreden über Verhandlungspflichten sowie sonstige
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Das Verbot, durch kollektive Arbeitskampfvereinbarungen die tarifVertragsbezogene Hilfsfunktion des Arbeitskampfes sowie die Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgebotes zu umgehen, folgt aus der verfassungsrechtlichen Ableitung jener fundamentalen Arbeitskampfgrundsätze. 330 Dass darüber hinaus das Paritätsprinzip kein zulässiger Gegenstand tarifautonomer Vereinbarungen ist, resultiert für diejenigen Autoren, die die Parität zu Verfassungsrang erheben, unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. 3 3 1 Aber selbst jene Stimmen, die eine verfassungsrechtliche Verankerung bezweifeln, 332 lehnen angesichts der grundlegenden Bedeutung des Verhandlungsgleichgewichts für das bestehende tarifliche Konfliktlösungssystems paritätswidrige Kampfabsprachen ab und halten lediglich Konkretisierungsabreden für denkbar. 333 Mit der Gestattung eigennütziger Sympathiearbeitskämpfe überschreiten die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Grenzen ihrer Tarifautonomie, denn die dynamische Rechtsstatusklausel missachtet sowohl die Verhältnismäßigkeitsmaxime als auch den Paritätsgrundsatz. Unterstützende Kampfmaßnahmen sind unverhältnismäßig. Sie belasten das verbandstarifliche Verhandlungsgleichgewicht. Gerade diese Störung der Parität wiegt umso schwerer, als die Paritätsverschiebung Rechtspositionen unbeteiligter Dritter - beispielweise des Arbeitgeberverbandes 334 - unmittelbar gefährdet. 335 Aus diesem Grund
Konkretisierungsabreden, insbesondere hinsichtlich des ultima-ratio-Prinzips. Weitergehende Regelungsfreiräume ergeben sich im Hinblick auf Durchführungs- und Rechtsfolgenbestimmungen - vgl. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 329 ff.; Konzen, ZfA 1980, 77, 108 ff.; Reuß, ArbuR 1975, 1, 11 ff.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 491 ff. 330 Konzen, ZfA 1980, 77, 98 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 125; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 424; vgl. auch Richardi, RdA 1986, 146, 158 f.; Wank, Festschrift ftir Kissel, S. 1225, 1242 f. Anders wohl Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1231. 331 Konzen, ZfA 1980, 77, 96; vgl. zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 965; Kloepfer, NJW 1985, 2497, 2503; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 127 f.; Richardi, RdA 1986, 146, 157; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1239 und 1242. 332 Däubler, ArbuR 1992, 1, 6. Auch das BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 229 führt lediglich aus, dass „die grundlegende Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitskampf der Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts diene und an diesem Zweck zu messen sei, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist." 333 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1231. 334 Durch die ParitätsVerschiebung wird vorrangig der am Anerkennungstarifvertrag nicht beteiligte Arbeitgeberverband negativ beeinflusst. Aber auch die an den VerbandstarifVertrag gebundenen Arbeitnehmer können durch Paritätsverschiebungen nachteilig belastet werden, sodass auch ein arbeitnehmerbezogener Drittschutz notwendig ist. 335 Zur Unzulässigkeit drittbelastender ArbeitskampfVereinbarungen - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 965; Konzen, ZfA 1980, 77, 105; Löwisch/Rieble,
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muss die dynamische Rechtsstatusklausel als ArbeitskampfVereinbarung zu Lasten Dritter qualifiziert werden. Mit der Anerkennung einer tarifautonomen Dispositionsbefugnis im Hinblick auf die grundlegenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes entstünden illegitime Wertungswidersprüche. Die Tarifvertragsparteien könnten das bekannte Konfliktlösungssystem auf Dauer beseitigen.336 Da Sozialkonflikte stets negative Folgewirkungen zu Lasten Dritter und letztlich für die Allgemeinheit zeitigen, darf sich der Staat seiner Überwachungspflicht nicht entziehen.337 Gefährlich wäre dies insbesondere deswegen, weil der jeweils stärkere Sozialpartner die Voraussetzungen der Kampflührung diktieren 338 und sich seine Vorstellungen notfalls erkämpfen könnte. 339 Die hiermit verbundenen Bedenken potenzieren sich auf firmentarifvertraglicher Ebene, wenn die Gewerkschaft einem an Kampfkraft unterlegenen Außenseiterarbeitgeber die Verpflichtung zur Teilnahme an Sympathiearbeitskämpfen auferlegen dürfte. Im Ergebnis kann es mit Konzen gesprochen nicht hingenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien selbst über die Rechtmäßigkeit ihrer Kampfmaßnahmen entscheiden.340
4. Ergebnis Das von der dynamischen Rechtsstatusklausel angestrebte Ziel, eigennützige Sympathiearbeitskämpfe auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene zu ermöglichen, ist somit rechtswidrig. Eine Einbeziehung der Außenseiter in die verbandstarifbezogenen Sozialkonflikte ist während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages ausgeschlossen. Dadurch werden weder die Arbeitnehmer
in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 125; Richardi, RdA 1986, 146, 154; Wank,, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242. 336 Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284. Vgl. auch Friauf, RdA 1986, 188, 193; Richardi, RdA 1986, 146, 153; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242. 321 Lieb, RdA 1972, 129, 141; Mayer-Maly, Anm. zu BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242. 338 Friauf, RdA 1986, 188, 193; Kirchner, RdA 1986, 159, 160 f.; Kloepfer, NJW 1985, 2497, 2503; Loritz, ZfA 1982, 77, 95; Richardi, RdA 1986, 146, 153; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1242; siehe auch Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 335. 339 Konzen, ZfA 1980, 77, 92 f.; Reuß, ArbuR 1975, 1, 14; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 284; vgl. zudem Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 130. 340 Konzen, ZfA 1980, 77, 105; vgl. Friauf, RdA 1986, 188, 190 f.; Lieb, RdA 1972, 129, 141; Loritz, ZfA 1982, 77, 95; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1233 und 1242.
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noch der Arbeitgeber einseitig belastet, da beiden Seiten gleichermaßen aktive Unterstützungsmaßnahmen untersagt sind. 341
III. Negative Koalitionsfreiheit Besonderer Erörterung bedarf die Rechtsfrage, inwieweit die mit der dynamischen Rechtsstatusklausel anvisierte arbeitskampfrechtliche Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den verbandsangehörigen Unternehmen in Einklang mit der in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten negativen Koalitionsfreiheit des Außenseiters steht. 342
1. Schutzbereich der negativen Koalitionsfreiheit In sachlicher Hinsicht verbürgt die negative Koalitionsfreiheit dem Arbeitgeber das individuelle Recht, Arbeitgebervereinigungen fernzubleiben. 343 Nicht durchsetzen konnte sich eine extensive Interpretation, die dem Außenseiter das Recht zuerkennt, von jeglicher Verbandstätigkeit der Koalitionen unberührt zu bleiben, was sich unter anderem in einer negativen Arbeitskampffreiheit äußern soll. 344 Diese Auffassung berücksichtigt nicht, dass die negativ individuelle 341
Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 139; vgl. auch Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269. 342 Zur unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechtsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG vgl. BVerfG vom 17.02.1981, BVerfGE 57, 220, 245; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82 f.; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 115 und 124; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 34 und 43; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 278 ff.; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79 und 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 267 und 274 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. 343 BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; BVerfG vom 14.11.1995, BVerfGE 93, 352, 357; BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 947; BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BGH vom 18.01.2000, NZA 2000, 327, 328 und 333; Dörner, in Kasseler-Hdb, 8.1 Rn. 4; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 375 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 31; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 172; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 219; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 37; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 39 ff.; Oetker, RdA 1999, 96, 97 und 102; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 17; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 226; Schubert, RdA 2001, 199, 200 und 207. 344 Vgl. hierzu Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 60 f.; Kalb, in Kasseler-Hdb, 8.2 Rn. 53 f.; Kroll, Der Außenseiter in der Arbeitsrechtsordnung, S. 16 und 117; Wiedemann , RdA 1969, 321, 326, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich diese Diskussion regelmäßig auf die arbeitnehmerseitige Außenseiterstellung bezieht.
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Koalitionsfreiheit grundrechtsdogmatisch nur das Korrelat der positiv individuellen Grundrechtsverankerung ist. 345 Die positiv individuelle Koalitionsfreiheit gewährleistet lediglich das Grundrecht, Mitglied einer Koalition zu werden. Sie umfasst nicht das der positiv kollektiven Koalitionsgarantie zuzuordnende Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem. Wie die positiv individuelle Grundrechtsverankerung kann die negativ individuelle Koalitionsfreiheit als deren Kehrseite nur am Mitgliedsstatus anknüpfen. Sie konzentriert sich daher spiegelbildlich auf das Verbot eines unzulässigen Organisationszwangs. 346 Eine unmittelbare Pflicht zum Koalitionsbeitritt wird durch die Rechtsstatusvereinbarung nicht begründet, da der Arbeitgeber arbeitskampfrechtlich lediglich so behandelt werden soll, als „wäre" er Mitglied im Arbeitgeberverband. 347 Nach allgemeiner Ansicht schützt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch ebenso vor mittelbaren Eingriffen in die negative Koalitionsfreiheit. 348 Bisher ist es nicht gelungen, abstrakt gültige Beurteilungsmaßstäbe für faktische Organisationszwangslagen zu entwickeln. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat einen unzulässigen Koalitionszwang angenommen, wenn ein „sozialinadäquater" Beitrittsdruck auf den Außenseiter ausgeübt wird, der das „Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletzt". 349 Für das Bundesverfassungsgericht scheidet ein 345 Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 219; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 38 f. und 53 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 244 Rn. 4 und § 245 Rn. 40; Schubert, RdA 2001, 199, 201 ff.; vgl. auch Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317. Im Übrigen erscheint die Auffassung, die eine Freistellung von jeglichem Verbandseinfluss befürwortet, als zu pauschal und verkennt, dass es rechtstatsächlich mannigfaltige Anknüpfungspunkte für eine Einflussnahme gibt - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 376. 346 Allgemeine Auffassung in der Rechtsprechung: BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 352; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG. 347 Zum Wortlaut der konkretisierenden Anordnung siehe oben vor §11. 348 BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82; Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 96; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 284; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 39; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 267; ders., in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 227. 349 BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. Siehe auch BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; BGH vom 18.01.2000, NZA 2000, 327, 328; vgl. zudem Börner, in Kasseler-Hdb, 8.1 Rn. 4; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290 (Fn. 636); Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 18; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. Teile der Literatur kritisieren das Kriterium der Sozialadäquanz als bloße „Leerformel" - vgl.
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rechtswidriger Grundrechtseingriff aus, wenn die faktische Maßnahme lediglich einen „gewissen", 350 „unerheblichen" 351 Organisationsdruck entfaltet, der die Entschließungsfreiheit des Nichtorganisierten nicht „fühlbar" 352 beeinträchtigt. Teile des Schrifttums ziehen die Freiwilligkeit des Koalitionsbeitritts in Zweifel, wenn das Gewicht der faktischen Beeinträchtigung eine derartige „Intensität" erreicht, dass es entscheidungsrelevant die Willensbildung beeinflusst. 353 Nach allen Ansätzen ist es letztlich eine im Einzelfall zu entscheidende Wertungsfrage, ob ein mittelbarer Koalitionszwang die Grenze zumutbarer Einflussnahme überschreitet.
2. Grundrechtskonformität der dynamischen Rechtsstatusklausel Vorweg bleibt festzuhalten, dass eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit nicht mit der Argumentation verworfen werden kann, der anerkennende Arbeitgeber habe der kampfrechtlichen Gleichstellungsabrede tarifVertraglich zugestimmt. Unabhängig von der Frage, ob der Außenseiter auf seinen Grundrechtsschutz vertraglich verzichten kann, muss hier Beachtung finden, dass die Rechtsstatusklausel mittels Streik erkämpfbar ist und insoweit ein autonomer Grundrechtsverzicht ausscheidet. Einigkeit besteht dahin gehend, dass nicht jede arbeitskampfrechtliche Schlechterstellung des Nichtorganisierten im Vergleich zu den verbandsangehörigen Unternehmen einen unzulässigen faktischen Organisationsdruck begründet. 354 Allein aus dem Umstand, dass dem anerkennenden Arbeitgeber
Kroll, Der Außenseiter in der Arbeitsrechtsordnung, S. 27; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 33. 350 BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 322; vgl. auch BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 22. 351 BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 22; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG. Siehe auch Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 25; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79. 352 BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302. Siehe auch Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79. 353 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 31; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 33; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 79; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 119; vgl. auch Däubler, ZIP 2000, 681, 686; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290. 354 Vgl. Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 55. Die negative Koalitionsfreiheit begründet kein Recht des Nichtorganisierten auf Gleichbehandlung mit den Organisierten - vgl. BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 65 und 119; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 33 f.; Schlachter,
390 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des Verbandstarifertrages
verbandsrechtliche Unterstützungsleistungen während der Dauer der Sozialkonflikte vorenthalten bleiben, resultiert kein sozialinadäquater Anreiz auf Beitritt zur Arbeitgeberkoalition. Daher ist es der Gewerkschaft nicht verwehrt, den Außenseiter parallel zu den Arbeitskämpfen auf Verbandsebene mit identischen Forderungen zu bestreiken, wenn der Arbeitgeber dem Regelungsanliegen durch Abschluss eines eigenständigen Firmentarifvertrages nachkommen kann. 355 Eine neue Dimension erreicht aber die mit der dynamischen Rechtsstatusklausel angestrebte Zielsetzung, den anerkennenden Arbeitgeber mit den verbandsangehörigen Arbeitgebern auf längere Sicht kampfrechtlich gleichzustellen. Inhaltlich hat sich der Arbeitgeber mit der dynamischen Verweisung dem fremdbestimmten Einfluss der Verbandstarifparteien unterworfen und damit alles in seiner Macht stehende getan, um den neuen Verbandstarifvertrag anzuwenden. 356 Kann er darüber hinaus während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages in jede Tarifauseinandersetzung auf Verbandsebene einbezogen werden, verliert seine Außenseiterstellung jede Attraktivität. Ohne dass die Gewerkschaft ein eigenständiges Regelungsanliegen verfolgt, muss der Arbeitgeber dem Streikdruck so lange standhalten, bis die Gewerkschaft ihr eigentliches Ziel - den Abschluss des VerbandstarifVertrages - erreicht hat. Es ist ihm angesichts fehlenden Einflusses auf die Kampfiführung des Arbeitgeberverbandes verwehrt, seine Kampfbeteiligung auf ein für ihn erträgliches Maß zu begrenzen. Seine Einbeziehung in die Verbandsarbeitskämpfe zeitigt ausschließlich schädigende Wirkung. Berücksichtigt man zudem, dass der Arbeitgeber seinerseits nur dann aktiv von der ihm durch die Rechtsstatusklausel eingeräumten Aussperrungsbefugnis Gebrauch machen darf, wenn er sich der Kampfführung des Arbeitgeberverbandes unterordnet, 357 so unterscheidet sich
in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 18; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 277; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. 355 LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 56; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 667 f. Nicht entschieden ist damit die Rechtsfrage, ob es mit der negativen Koalitionsfreiheit in Einklang steht, wenn die Gewerkschaft den Außenseiter zwar mit dem Ziel des Abschlusses eines FirmentarifVertrages bestreikt - der anvisierte Firmentarifvertrag jedoch nur eine „Vorabunterwerfung" unter das zukünftige Verbandstarifniveau beinhalten soll - kritisch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 142; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; anders LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. 356 Vgl. LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 141; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297,321. 357 Zur Unterordnung unter die Kampfführungsinteressen des Verbandes - vgl. Bieback, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 375; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 324.
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seine Rechtsstellung in tatsächlicher Hinsicht nicht von der eines organisierten Arbeitgebers. Die dynamische Rechtsstatusanbindung begründet letztlich eine „Quasikoalitionsmitgliedschaft" des anerkennenden Arbeitgebers in der Arbeitgebervereinigung. In Anbetracht dieser Rechtsfolgen gibt es für den Außenseiter keinen sinnvollen Grund, dem Arbeitgeberverband fernzubleiben. Er sieht sich faktisch dazu veranlasst, seinen Koalitionsbeitritt zu erklären, um in Ausübung der Mitgliedschaftsrechte wenigstens Einfluss auf die Kampfführung der Arbeitgebervereinigung sowie Ansprüche auf juristische und finanzielle Unterstützungsleistungen zu erlangen. 358 Die Gefahr, vorbei an der anerkennungstarifVertraglichen Friedenspflicht fortlaufend in die Verbandstarifkonflikte involviert werden zu können, begründet eine „fühlbare" Zwangslage für den Außenseiterarbeitgeber. Angesichts der schädigenden Auswirkungen wiederkehrender Sympathiearbeitskämpfe erreicht der mittelbare Organisationsdruck eine Intensität, die dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist. Dieser mittelbare Beitrittszwang findet trotz des kritisierten „Trittbrettfahrerverhaltens" des Außenseiters keine Rechtfertigung im Partizipationsgedanken. Allein der Umstand, dass die Normunterworfenen des Anerkennungstarifvertrages inhaltlich an die Verbandstarifentwicklung gebunden sind, gestattet es nicht, den koalitionsunwilligen Arbeitgeber mit sozialinadäquaten Mitteln zum Eintritt in den Arbeitgeberverband zu veranlassen. Richtungsweisend für die Bewertung der dynamischen Rechtsstatusklausel sind die Ausführungen von Scholz zum faktischen Organisationszwang. 359 Demnach muss die negative Koalitionsfreiheit ein wirksames präventives Abwehrinstrumentarium gewährleisten, welches im Stande ist, „Drucktechniken moderner Organisationszwänge ernsthaften Widerstand zu leisten." Gerade die Rechtsstatusanbindung ist ein aktuelles Instrumentarium, mit dem die Gewerkschaften auf die momentane „Organisationsträgheit" der Unternehmen und die „Flucht" aus den Arbeitgeberverbänden reagieren. Der statusrechtlich dynamisierte Anerkennungstarifvertrag negiert alle wesentlichen Vorteile des Firmentarifvertrages. Eine derartige Gleichstellung von organisierten und nicht koalitionswilligen Arbeitgebern verträgt sich nicht mit dem grundrechtlich gewähr-
358 Vgl. Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 142. Zu den Unterstützungsleistungen der Arbeitgebervereinigungen - vgl. Brox, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 351; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 978; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.6 Rn. 53 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 288 Rn. 38 ff. 359 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 275. In diese Richtung auch Kissel , Festschrift für Hanau, S. 547, 560.
392 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
leisteten Fernbleiberecht des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und verletzt die negative Koalitionsfreiheit des Außenseiters. 360 Die Annahme einer Grundrechtsverletzung widerspricht keineswegs der positiven Betätigungsgarantie der Koalitionen. Es muss in diesem Zusammenhang nicht entschieden werden, ob negative und positive Koalitionsfreiheit als qualitativ gleichwertig zu betrachten sind 361 oder ob bei der Bewertung praktischer Konkordanz dem Kollektivgrundrecht eine Vorrangstellung eingeräumt werden kann, 362 da auch der letztgenannte Ansatz keinen sozialinadäquaten Koalitionszwang gestattet. Der Umstand, dass die deutsche TarifVertragsordnung wesentlich durch das Verbandssystem geprägt wird, rechtfertigt es daher nicht, unter Berufung auf die Funktionsfähigkeit der positiv kollektiven Koalitionsfreiheit die negativ individuelle Koalitionsfreiheit faktisch auszuhöhlen. Den Koalitionen steht nach beiden Ansichten kein Anspruch auf eine arbeitskampfrechtliche Gleichstellung des Außenseiterarbeitgebers zu. Wie das Bundesarbeitsgericht an anderer Stelle zutreffend bemerkte, ist es Sache der Sozialverbände, eine ausreichende mitgliedschaftliche Mächtigkeit durch attraktive Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen. 363
3. Ergebnis Folglich widersprechen die mit der dynamischen Rechtsstatusklausel erstrebten arbeitskampfrechtlichen Ziele der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.
360 Vgl. Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667. Siehe auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 142; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 58; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit bejahen Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138 bereits dann, wenn es dem bestreikten Außenseiterarbeitgeber zwar möglich ist, einen FirmentarifVertrag abzuschließen - die streikführende Gewerkschaft aber einefirmentarifVertragliche „Vorabunterwerfung" unter den noch auszuhandelnden Inhalt des VerbandstarifVertrages fordert. Das BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf verneint eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit des Außenseiterarbeitgebers. 361 BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 268; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 226. 362 Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 50 ff; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 31; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1227; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 294. Nach Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 141 (Fn. 120) darf die positiv kollektive Koalitionsfreiheit „nicht dazu führen, dass die negative Koalitionsfreiheit zu ,nudum ius4 degeneriere." 363 BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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IV. Kündigungsrechtliche Folgeprobleme Durch die Parallelität der Kündigungswirkungen auf anerkennungs- und verbandstarifVertraglicher Ebene werden kündigungsrechtliche Folgeprobleme aufgeworfen. Mit der konkretisierenden Kündigungsklausel machen sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Kündigungserklärungen der Verbandstarifpartner zu Eigen. 364
1. Übertragung der statusrechtlichen Entscheidungsmacht Es stellt sich die Frage, ob die Überleitung der Kündigungserklärung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.04.2000 in Einklang steht, in dem es feststellte, dass nur die Vertragsparteien selbst zur Kündigung ihres Tarifvertrages berechtigt sind. 365 Es sind gerade nicht die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages, die über den Wegfall der zwingenden Tarifhormgeltung entscheiden. Während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages geben sie keine eigenen Beendigungserklärungen ab. Die Übertragung der Kündigungsbefugnis findet ihre Grundlage auch nicht im Recht der Stellvertretung. Zwar räumt das Bundesarbeitsgericht in Konsequenz des privatvertraglichen Charakters des Tarifvertrages 366 den Vertragsparteien die Befugnis ein, sich bei der Abgabe ihrer Kündigungserklärung rechtsgeschäftlich vertreten zu lassen.367 Der Transformation der Beendigungserklärung auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene liegt jedoch kein Vertretungsgeschäft gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB zu Grunde. Deutlich wird dies insbesondere auf Arbeitgeberseite. Im Regelfall weiß die Arbeitgebervereinigung nichts von der statusrechtlichen Anbindung des Außenseiterarbeitgebers an den von ihr abgeschlossenen VerbandstarifVertrag. 368 Übt sie ihr Kündigungsrecht aus, so handelt sie nicht in fremdem Namen, sondern ausschließlich im eigenen Verbandsinteresse. Mangels offenkundigen Fremdbezugs würde also selbst dann, wenn man die konkretisierende Kündigungsklausel als rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung im Sinne des § 167 Abs. 1 BGB 364
Zum Wortlaut der konkretisierenden Anordnung siehe oben vor § 11. BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung. 366 Zur Anwendbarkeit der allgemeinen Vertragsgrundsätze auf die Kündigung von Tarifverträgen - vgl. BAG vom 26.09.1984, AP Nr. 21 zu § 1 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 770; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 52; Oetker, RdA 1995, 82, 88 ff. 367 BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn.31 f. 368 Vgl. Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 94; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 92; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 82. 365
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auslegen wollte, kein wirksames Vertretergeschäft zustande kommen. Keine andere Bewertung gilt letztlich auf Seiten der Gewerkschaft, weil sich auch ihre gegenüber dem Arbeitgeberverband abgegebene Kündigungserklärung auf den Verbandstarifvertrag beschränken wird. Da sich die konkretisierende Kündigungsklausel somit vertretungsrechtlich nicht erfassen lässt, gestattet die Kündigungsklausel eine faktische Verlagerung der Kündigungsbefugnis, welche Wiedemann als „Delegationstatbestand" beschreibt. 369 Einer Überlassung der Kündigungsberechtigung an fremde Sozialpartner wird - soweit Stellungnahmen dazu vorliegen - übereinstimmend die rechtliche Anerkennung versagt. 370 Wiedemann gibt zu Bedenken, dass es das ureigene Recht des Normgebers sei, die selbstgeschaffenen Tarifbestimmungen außer Kraft zu setzen.371 Mit der Anbindung an fremde Kündigungserklärungen begebe sich der Normsetzer der Herrschaft und damit der Verantwortung über das eigene Regelungswerk. Nach Baumann sind Entscheidungen über Art und Dauer der Tarifgeltung nicht delegierbar, was insbesondere einer Überlassung der Kündigungsbefugnis entgegenstehe.372 In Konsequenz des Delegationsverbots sei es rechtlich ausgeschlossen, dass der verweisende Tarifvertrag den statusrechtlichen Charakter eines nur noch nachwirkenden Bezugstarifvertrages nachvollziehe.373 Die Statuierung eines pauschalen Verbots der Übertragung fremder Kündigungsentscheidungen wird der differenzierten Problemlage der dynamischen Rechtsstatusanbindung nicht gerecht. Denn das ureigene Recht der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, über die Beendigung ihrer Tarifrechtsbeziehung zu entscheiden, wird durch die konkretisierende Kündigungsklausel nicht angetastet. Allein die verweisenden Parteien befinden über die zeitliche Geltungsdauer des Anerkennungstarifvertrages. Mit der Kündigungsklausel schaffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages lediglich die formalen Voraussetzungen dafür, dass die inkorporierten Tarifhormen den Statuswandel des bezoge-
369
Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; so auch Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f. 370 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 109; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; vgl. zudem Baumann, RdA 1987, 270, 273. 371 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 372 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; ähnlich Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 108. 373 Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; ders., RdA 1987, 270, 273; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 109; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR.
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nen VerbandstarifVertrages dynamisch nachvollziehen können. 374 Die konkretisierende Kündigungsklausel ist damit nur Mittel zum Zweck. Angesichts dieses Hintergrundes der fiktiven Unterwerfung unter eine fremde Kündigungserklärung rückt die eigentliche Rechtsfrage in den Vordergrund, nämlich ob die Parteien des Anerkennungstarifvertrages über den Rechtsstatus ihrer eigenen Tarifbestimmungen disponieren können. Insoweit wurde bereits herausgearbeitet, dass die Zuweisung eines nachwirkenden respektive außer Kraft getretenen Tarifhormcharakters während des zeitlichen Geltungsbereichs des Anerkennungstarifvertrages keine dogmatische Grundlage findet. 375 Neben der Dispositionsproblematik kann der von Wiedemann diskutierte Delegationsansatz allerdings weiter verfolgt werden, wenn eine Präzisierung des rechtlichen Anknüpfungspunktes erfolgt. Das Augenmerk muss auf die Frage gelenkt werden, inwieweit die Parteien des Anerkennungstarifvertrages befugt sind, die Entscheidungsmacht über den Rechtsstatus ihrer Tarifhormen auf fremde Sozialpartner zu übertragen. In diesem Zusammenhang ist darüber nachzudenken, ob die Parteien ihre Herrschaft über das eigene Regelungswerk in Anbetracht der Abhängigkeit von fremden Rechtsstatusentscheidungen in unzulässiger Weise verlieren. 376 Die dynamische Fremdbestimmung des Rechtsstatus erreicht im Vergleich zur inhaltlich dynamischen Verweisung eine neue Qualität. Mit der inhaltlichen Anbindung an das Verbandstarifniveau verzichten die Sozialpartner des Anerkennungstarifvertrages lediglich auf eine eigenständige Ausgestaltung der Arbeits· und Wirtschaftsbedingungen. 377 Durch die statusrechtliche Bezugnahme erzeugen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages jedoch einschneidendere Rechtswirkungen. Sie überantworten einen wesentlichen Teil ihrer Entscheidungshoheit über die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen auf die Verbandstarifpartner. Angesichts der schädigenden Auswirkungen eines ohne eigenständiges tarifliches Regelungsziel geführten Arbeitskampfes erscheint eine Übertragung der „Statuskompetenz" bedenklich. Der Arbeitskampf beschränkt seine Wirkungen nicht auf die Tarifgebundenen, sondern greift auch in Rechtspositionen Dritter ein. Aus diesem Grund müssen die verweisenden Tarifpartner selbst die Verantwortung dafür tragen, wie lange sie die relative Friedens374
Die zeitgleich zur Verbandsebene eintretende Beendigungswirkung wird den inkorporierten TarifVertragsnormen lediglich fiktiv zugewiesen, um auf diesem Wege die bestehende relative Friedenspflicht auszuschließen und die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages parallel in die Verbandsarbeitskämpfe einbeziehen zu können. 375 Siehe dazu oben § 12 Β I 2. 376 Vgl. Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR; siehe auch Baumann, RdA 1987, 270, 273; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 107. 377 Zur rechtlichen Zulässigkeit der inhaltlich dynamischen Verweisungsklausel siehe oben § 6 A I V 2.
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pflicht ihres Tarifwerkes respektieren. Ausschließlich sie können bestimmen, wann die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Arbeitskampfes gegeben sind. Die Unterwerfung unter die statusrechtliche Fremdbestimmung kann daher nicht als tarifautonome Entscheidung der Parteien des AnerkennungstarifVertrages respektiert werden. Obwohl das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 26.04.2000 zu dieser Problematik keine Stellung beziehen musste,378 steht die Kündigungsklausel mit dem Ausgangspunkt des Gerichts, dass nur die Tarifparteien selbst über den Eintritt der Beendigungswirkung entscheiden können, nicht in Einklang.
2. Teilkündigung Bedenken gegen die konkretisierende Kündigungsklausel ergeben sich schließlich unter dem Aspekt der Teilkündigung. Mit der Kündigung einzelner Teile eines Tarifvertrages entsteht die Gefahr, dass der Tarifvertrag, den die Sozialpartner als Ganzes werten, inhaltlich zerrissen wird und dadurch seinen Kompromisscharakter verliert. 379 Die Kündigungsfiktion begründet die Wirkungen einer Teilkündigung, da sie ausschließlich an den inkorporierten Tarifnormen anknüpft und die inhaltliche sowie statusrechtliche Verweisungsklausel und etwaige originäre Sonderabreden des Anerkennungstarifvertrages unberührt lässt. 380 Dennoch kann der Teilkündigungscharakter im Ergebnis gerechtfertigt werden. Statthaft sind Teilkündigungen dann, wenn sie im Tarifvertrag zugelassen werden, 381 weil sich hieraus der Schluss ziehen lässt, dass die TarifVertragsparteien eine Teilregelung als selbstständigen Vertragsbestandteil betrachten, der von der Gültigkeit des übrigen Vertragsinhalts unabhängig sein soll. Für die Zulassung bedarf es keiner ausdrücklichen Vereinbarung, wenn sich zumindest
378
BAG vom 26.04.2000, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung. BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24. 380 Zur Wirkungsweise der konkretisierenden Anordnung siehe oben § 12 A II 1 a. 381 BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; Oetker, RdA 1995, 82, 98; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Zachert, ArbuR 1993, 294, 294 f. 379
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im Wege der Auslegung die Möglichkeit einer Teilkündigung ableiten lässt. 382 Zwar kann dem Wortlaut der Kündigungsklausel eine Gestattung der Teilkündigung nicht unmittelbar entnommen werden. Aus dem Gesamtzusammenhang sowie aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich jedoch, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die statusrechtliche Anbindung an den bezogenen VerbandstarifVertrag auf die inkorporierten Tarifhormen beschränken. Folglich behandeln sie die übernommenen Tarifbestimmungen im Vergleich zu den originären Tarifabsprachen als eigenständigen Vertragsbestandteil, der gesonderten statusrechtlichen Veränderungen unterliegen kann.
3. Ergebnis Mit der dynamischen Rechtsstatusklausel übertragen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihre „Statushoheit" in unzulässiger Weise auf fremde Tarifvertragsparteien. Dagegen ergeben sich keine rechtlichen Einwände unter dem Gesichtspunkt einer tarifVertraglichen Teilkündigung.
V. Arbeitskampffahigkeit des „kleinen" Arbeitgebers Abschließend soll auf eine weitere bedenkliche Konsequenz der statusrechtlichen Gleichstellung des Außenseiterarbeitgebers mit den verbandsangehörigen Unternehmen hingewiesen werden. Häufig treten kleinere Firmen keiner Arbeitgebervereinigung bei, weil sie sich eine Mitgliedschaft finanziell nicht leisten wollen, die verbandsinterne Dominanz von Großunternehmen fürchten oder sich schlicht keine Vorteile aus einer Koalitionseinbindung versprechen. Für die Gewerkschaften erlangt der Anerkennungstarifvertrag in diesem Zusammenhang entscheidende Bedeutung, um auch den in Kleinunternehmen beschäftigten Arbeitnehmern eine Teilhabe an der Flächentarifentwicklung zu ermöglichen. Es stellt sich dann aber die Frage, inwieweit eine fortwährende Einbeziehung des „sozial schwachen" Arbeitgebers in die Verbandsarbeitskämpfe rechtliche Auswirkungen auf dessen Tarif- und Arbeitskampffahigkeit zeitigt. In der Diskussion um die arbeitskampfrechtliche Schutzbedürftigkeit kleiner Arbeitgeber geht Müller am Weitesten, indem er ihnen die Tariffähigkeit abspricht, wenn sie keine Mächtigkeit besitzen, um der Gewerkschaft eine effek-
382
Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Zachert, ArbuR 1993, 294, 295; vgl. auch BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; extensiver Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30.
398 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
tive Gegenwehr zu leisten. 383 Demgegenüber hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts angedeutet, dass bei kleinen Arbeitgebern, die nicht in der Lage sind, einen wirkungsvollen Druck oder Gegendruck auszuüben, Beschränkungen der Arbeitskampffähigkeit zu erwägen sind. 384 Auch in der Literatur finden sich Stimmen, die der Erzwingung von Firmentarifverträgen unter Arbeitskampfdruck kritisch gegenüberstehen. 385 Anknüpfungspunkt einer teleologischen Reduktion der Arbeitskampffähigkeit ist die drohende Kampfimparität zwischen der „mächtigen" Gewerkschaft und dem „sozial ohnmächtigen" Arbeitgeber, welche die Sachgerechtigkeit des umkämpften FirmentarifVertrages in Zweifel zieht. Die Erörterung einer paritätsbedingten Einschränkung der Tarif- oder Arbeitskampffähigkeit kleiner Arbeitgeber soll einem eigenen Abschnitt vorbehalten bleiben. 386 Allerdings verdeutlichen die Stellungnahmen, dass die Tendenz in Rechtsprechung und Lehre eher auf eine Begrenzung der Arbeitskampfbeteiligung „sozial schwacher" Unternehmen gerichtet ist, als auf eine Ausweitung ihrer Kampfbetroffenheit. Besonders bedenklich erscheint es daher, wenn nicht durchsetzungsfähige Arbeitgeber dem fortwährenden Einfluss gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen ausgesetzt werden. Gerade die Gefahr einer wiederkehrenden Involvierung des Außenseiters in die Verbandsarbeitskämpfe trotz bestehender anerkennungstarifvertraglicher Friedenspflicht führt zu einer
383
Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., DB 1992, 269, 272. Kritisch BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; LAG Düsseldorfern 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 63; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 524; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 459; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 52; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 37; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 478; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 63 f.; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208; ders., NZA 2001, 1337, 1340 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 55; ders., RdA 2000, 129, 135 f.; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 104 ff.; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19 f. 384 BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf 385 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 658 f.; ders., NZA 1994, 337, 339 f.; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., in Arbeitskonflikte und Arbeitskampf S. 63, 86; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII FirmentarifVertrag, Β 12; ders., in Staudinger, Vorb. §611 BGB Rn. 620; vgl. auch Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 89 ff.; siehe zudem Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 333. Gegen eine Einschränkung der Arbeitskampffähigkeit - siehe Löwisch, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 478; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 209; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. 386 Siehe unten § 13 Β II.
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rechtswidrigen Schädigung des Arbeitgebers und damit zu einer weiteren Verschärfung seiner kampfrecht liehen „Ohnmächtigkeit". Angesichts dieser aus der statusrechtlichen Gleichstellungsabrede resultierenden Nachteile stellt sich daher die Frage nach der Arbeitskampffähigkeit kleiner Außenseiterfirmen neu.
VI. Ergebnis Die dynamische Rechtsstatusklausel ist unter mehreren Gesichtspunkten rechtlich zu beanstanden. Den Parteien des Anerkennungstarifvertrages ist es verwehrt, über den Status ihrer Rechtsnormen zu disponieren. Das der Rechtsordnung unbekannte „ A u f und Ab" der Normgeltung steht im Widerspruch zur unabdingbaren relativen Friedenspflicht des Anerkennungstarifvertrages. Kritisch zu würdigen ist die Überantwortung der „Statuskompetenz" auf die VerbandstarifVertragsparteien. Des Weiteren bestehen Bedenken gegen die anvisierte arbeitskampfrechtliche Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den verbandsangehörigen Unternehmen. Sie missachtet das grundsätzliche Verbot des Sympathiearbeitskampfes, negiert die negative Koalitionsfreiheit des Außenseiters und gefährdet die Arbeitskampffähigkeit kleiner Arbeitgeber. Entgegen der Ansicht des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts 387 ist im Ergebnis der Auffassung des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts zu folgen, der einen Rechtsstatuswandel der inkorporierten Normen im Falle der Geltungsänderung des bezogenen Tarifvertrages ablehnt. 388 Etwaige Nachteile, die aus dem Verbot der Statusanbindung herrühren, sind von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages hinzunehmen, denn die statusrechtliche Ungleichbehandlung gegenüber der Verbandsebene ist die logische Konsequenz aus der tarifrechtlichen Eigenständigkeit des Anerkennungstarifvertrages.
C. Rechtsfolgen Zu klären bleibt, wie sich die Rechtswidrigkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel auf den Bestand des Anerkennungstarifvertrages in seiner Gesamtheit auswirkt. Sind einzelne Vorschriften eines Tarifvertrages unwirksam, so gelten die gleichen Regeln wie im Falle der Teilnichtigkeit gesetzlicher Bestimmungen. Überwiegend wird eine entsprechende Anwendung des § 139
387 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; siehe ebenfalls BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 388 BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972.
400 Teil 4: Überleitung der statusrechtlichen Vorgaben des VerbandstarifVertrages
BGB auf Tarifverträge abgelehnt.389 Daher erfasst die Nichtigkeit einzelner Klauseln regelmäßig nicht die unbeanstandeten TarifVorschriften. Nur ausnahmsweise, wenn davon auszugehen ist, dass der verbleibende rechtskonforme Regelungskomplex im Verhältnis zum gesamten Tarifvertrag keine selbstständige Bedeutung mehr besitzt oder seinen inhaltlichen Sinn verliert, ist eine Gesamtnichtigkeit zu erwägen. 390 Ausgehend hiervon bleibt der Anerkennungstarifvertrag ungeachtet der Nichtigkeit der Rechtsstatusvereinbarung wirksam. Sowohl die inhaltlich dynamische Verweisungsklausel als auch sonstige originäre Tarifabreden behalten ihren eigenständigen Bedeutungsgehalt. Gerade die fortlaufende inhaltliche Anbindung an den bezogenen VerbandstarifVertrag steht im Zentrum des anerkennungstarifvertraglichen Regelungsinteresses, um auf diesem Weg die Vereinheitlichung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in einer bestimmten Tarifregion zu fordern. Allein die arbeitskampfrechtliche Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den organisierten Unternehmen ist nicht derart essentiell, dass mit ihr der gesamte Anerkennungstarifvertrag „steht und fallt".
389
BAG vom 26.02.1986, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG vom 07.03.1995, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 163; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 513; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 251; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 393; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 208 und 246; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 377; vgl. zudem BAG vom 26.06.1985, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Teilnichtigkeit. Siehe auch Löwisch,, DB 1993, 882, 883. 390 BAG vom 07.03.1995, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 163; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 251; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 206; Wiedemann, , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 246.
Teil 5
Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages Der Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages beruht nicht selten auf einer vorangegangenen zwangsweisen Konfliktlösung. Daher besteht Anlass, zu spezifischen arbeitskampfrechtlichen Problemlagen Stellung zu nehmen, die im Zusammenhang mit der Erzwingung charakteristischer anerkennungstarifVertraglicher Regelungen auftreten. Zuvor sollen allerdings die allgemeinen Besonderheiten firmentarifvertragsbezogener Arbeitskämpfe veranschaulicht werden.
§ 13 Allgemeine Rechtsfragen des firmentarifvertragsbezogenen Arbeitskampfes A. Rechtsgrundlagen des firmentarifvertragsbezogenen Arbeitskampfes Hinsichtlich der dogmatischen Grundlage einer Arbeitskampfberechtigung auf FirmentarifVertragsebene muss zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite differenziert werden.
I. Arbeitskampfberechtigung der Gewerkschaft Mangels einfachgesetzlicher Rechtsgrundlage kann eine Streikbefugnis der Gewerkschaft gegenüber einem Einzelarbeitgeber nur aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG abgeleitet werden. Die Grundrechtsverbürgung gewährleistet der Arbeitnehmerkoalition eine positiv kollektive Betätigungsgarantie, welche insbesondere die tarifautonome Regelungsbefugnis unter grundrechtlichen Schutz stellt.1 Eine sachgerechte Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 1
BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE 4, 96, 108; BVerfG vom 06.05.1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 317; BVerfG vom 18.12.1974, BVerfGE 38, 281, 305 f.; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 341; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 246 f.;
402
Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
gelingt allerdings nur, wenn jede Koalition ihren Tarifgegner notfalls im Wege des Arbeitskampfes zu einer tarifvertraglichen Einigung zwingen kann. Das Streikrecht der Gewerkschaft ist damit notwendiges Druckmittel zur Sicherstellung einer funktionsfähigen Tarifautonomie. 2 Grundsätzlich zielt die positiv kollektive Koalitionsbetätigungsgarantie auf eine tarifliche Konfliktlösung zwischen den Sozialverbänden, sodass sich die Frage nach einer Streikberechtigung gegenüber dem unkoalierten Arbeitgeber stellt. Um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu gewährleisten, bedarf es gleichwohl der Anerkennung der Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Unternehmens und daran anknüpfend eines Streikrechts auf firmentarifVertraglicher Ebene.3 Der einzelne Arbeitgeber ist kraft seiner negativen Koalitionsfreiheit nicht verpflichtet, einem Arbeitgeberverband beizutreten. 4 BestünBVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 103, 114; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 226; Kempen/Zachert, Grund- / lagen Rn. 64; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 12 und 16; dies., in Münchener-Hdb, § 246 1 Rn. 50; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 33; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 25; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 92 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 117 und 375. 2 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224 f.; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 394; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zudem BAG (GS) vom 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 89; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 939; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 914 ff. und 918; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 11 und 51; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 107; Otto, in Münchener-Hdb, § 284 Rn. 20 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 85; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 191 f.; siehe auch Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 312 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 42; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1229 f.; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 37 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 119 und 451. 3 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 132 ff.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316 f.; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 89 und 338 f.; vgl. zudem BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 305 und 1007 f.; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 278; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 675; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 165 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 48; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 19, 27 und 132; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134 f. 4 Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 278; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 33; dies., in MünchenerHdb, § 246 Rn. 83; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 95; Rieble,
§ 13 Allgemeine Rechtsfragen firmentarifvertragsbezogener Arbeitskämpfe
403
den kampfrechtliche Konfliktlösungsmechanismen ausschließlich auf Koalitionsebene, könnte sich jeder Unternehmer durch den Verzicht auf einen Verbandsanschluss der tariflichen Regelbarkeit seiner Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen entziehen, was letztlich das gesamte Tarifvertragssystem in Frage stellen würde. 5 Aus diesem Grund ist die gewerkschaftliche Arbeitskampfbefugnis gegenüber koalitionsunwilligen Arbeitgebern unabkömmlich für das Funktionieren der Tarifautonomie. Das Bundesarbeitsgericht hat daher das firmentarifVertragsbezogene Streikrecht zutreffend auf die Grundrechtsverankerung des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gestützt und darauf hingewiesen, dass der „verfassungsrechtlich geschützte Bereich der koalitionsmäßigen Betätigung einer Gewerkschaft gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber nicht anders zu bestimmen ist, als gegenüber einer Vereinigung von Arbeitgebern". 6 Durch diese Schlussfolgerung ist sichergestellt, dass der Gewerkschaft stets ein Tarifpartner zur Verfügung steht, den sie notfalls mit Mitteln des Arbeitskampfes zu einer tariflichen Regelung zwingen kann.7 Mit der Bestimmung des § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG hat der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Vorgaben aufgegriffen, indem er jedem Arbeitgeber einfachgesetzlich die Tariffahigkeit zuerkennt. 8 Zur Realisierung dieser tarifliAnm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; ders., Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Thüsing, NZA 1997, 294, 294. 5 Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 66; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007 f.; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 277 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §246 Rn. 83; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 125; Wiedemann,, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 165; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731. 6 BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG. Explizit für das Streikrecht -BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zudem BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 7 BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 256; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 524; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Gitter, Festschrift fur Kissel, S. 265, 278 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316; Koberski/Clasen/Menzel, §2 TVG Rn. 69; Löwisch,, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 52; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 35; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 94 f. und 104; Rieble, Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 336; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731. 8 Zur verfassungsrechtlichen Rückkopplung der Tariffähigkeit des Einzelarbeitgebers - vgl. BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 256; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 524; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 66; Löwisch, Anm. zu
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
chen Regelungsbefugnis bedarf es notwendigerweise einer firmentarifvertragsbezogenen Streikberechtigung.
II. Arbeitskampfberechtigung des Außenseiterarbeitgebers Vereinzelt wird im Schrifttum vertreten, dass dem Arbeitgeber zur Abwehr eines Streiks kein eigenes Arbeitskampfmittelinstrumentarium zur Verfügung stehe und er daher zu einem „Dulden und Durchhalten" gezwungen sei.9 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wenn dem einzelnen Arbeitgeber zwecks Aufrechterhaltung eines funktionierenden Tarifsystems die Tariffähigkeit zugewiesen wird, welche die Gewerkschaft streikrechtlich realisieren kann, dann muss der Streikberechtigung ein äquivalentes arbeitgeberseitiges Kampfmittelinstrumentarium korrespondieren. Der Grundsatz der Kampfparität gebietet eine Waffengleichheit bei der Austragung sozialer Konflikte. 10 Ohne paritätisches Verhandlungsgleichgewicht kann der Firmentarifvertrag an der Richtigkeitsgewähr nicht teilhaben.11 Folglich bedingt die Anerkennung der Tariffä-
BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 33; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 83; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 95 und 104; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; ders., Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 163; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19 f.; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 382. 9 Vgl. Kittner, Verbot der Aussperrung, S. 41 ff.; ders., Festschrift fur Ridder, S. 229, 229 ff; Wohlgemuth, Staatseingriff und Arbeitskampf, S. 165; Wolter, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 876 ff.; Zachert, ArbuR 1980, 43, 45. Zur allgemeinen Kritik gegenüber dem Hinweis auf ein „Dulden und Durchhalten" - vgl. BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 26.04.1988, AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 10 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27.06.1995, AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 51; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 675 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 58; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 171; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 91; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 259; vgl. zudem Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 132 und 136; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 323; Heckelmann, Suspendierende Abwehraussperrung von Außenseitern, S. 22; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 64; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62. 11 Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62. Allgemein zur Problematik einer firmentarifVertraglichen Richtigkeitsgewähr - vgl. Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik
§ 13 Allgemeine Rechtsfragen firmentarifertragsbezogener Arbeitskämpfe
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higkeit des einzelnen Arbeitgebers dessen Arbeitskampfbefugnis. Das Aussperrungsrecht des Außenseiterarbeitgebers steht daher unter dem Schutz der Rechtsordnung 12 mit der Konsequenz, dass er ebenso wie verbandsangehörige Arbeitgeber gewerkschaftliche Streiks mit eigenen Kampfmaßnahmen beantworten darf. Ungeachtet der übereinstimmenden Rechtsfolgenbewertung wird die dogmatische Grundlage einer Arbeitskampfbefugnis des Außenseiterarbeitgebers kontrovers diskutiert. In seinem Urteil vom 11.08.1992 hat es das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich dahinstehen lassen, ob das Aussperrungsrecht des Einzelarbeitgebers der Grundrechtsgewährleistung des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zu entnehmen ist. 13 Die höchstrichterliche Zurückhaltung ist in der Rechtslehre auf Kritik gestoßen. Weite Teile des Schrifttums plädieren ftir eine Ableitung des Aussperrungsrechts unmittelbar aus der Grundrechtsverbürgung des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. 14 Löwisch/Rieble sehen es hingegen durch die allgemeine
Deutschland, S. 264; ders., DB 1992, 269, 271 f.; siehe auch Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226. 12 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27.06.1995, AP Nr. 137 zu Art 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1045; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 132 und 134; Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 323; Heckelmann, Suspendierende Abwehraussperrung von Außenseitern, S. 21 ff.; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA §2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 64; Kalb, in Kasseler-Hdb, 8.2 Rn. 52; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 50 f.; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 674 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 16; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 58; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 171; Otto, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 105; ders., in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 66; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 91; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 192; Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektiven Arbeitsrecht, S. 117; Schoof, AiB 2002, 353, 362; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 89 f.; Stein, RdA 2000, 129, 139; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 452. Kein Umkehrschluss kann aus Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG gezogen werden, der das Recht, Arbeitskämpfe zu fuhren, nur den „Vereinigungen" gestattet. Es ist nicht das Regelungsanliegen der 1968 eingefugten Notstandsklausel, das Prinzip der Kampfparität auf firmentarifvertraglicher Ebene außer Kraft zu setzen - vgl. Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 63; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 91. 13 BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe auch BAG vom 27.06.1995, AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 14 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 132 und 134; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 64; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 342; Otto, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 105.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Gleichheitssatz verankert. 15 Seiter befürwortet einen verfassungsrechtlichen Schutz kraft Kombination der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG. 16 Demgegenüber sieht Scholz die Rechtsgrundlage des firmentarifvertragsbezogenen Aussperrungsrechts in Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1,14 Abs. 1 GG. 1 7 Gegen eine Ableitung der Aussperrungsbefugnis ausschließlich aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG bestehen Bedenken. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankert keine positiv individuelle Grundrechtsgarantie auf Ergreifung von Kampfmitteln. 18 Die individuelle Koalitionsfreiheit gewährleistet in positiver Hinsicht lediglich den Beitritt zu einer Koalition und die verbandsinterne Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten. 19 Demgegenüber ist der Arbeitskampf zur Realisierung der positiv kollektiven Koalitionsbetätigungsgarantie verbürgt. Weil sich der unkoalierte Arbeitgeber auf die kollektive Grundrechtsverbürgung nicht berufen kann, legitimiert das Koalitionsgrundrecht unmittelbar kein firmentarifVertragsbezogenes Aussperrungsrecht. 20
15
Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 58; siehe auch Löwisch, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 16. 16 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 92. 17 Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 192; vgl. auch Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektiven Arbeitsrecht, S. 117. 18 Heckelmann, Suspendierende Abwehraussperrung von Außenseitern, S. 24; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 44 ff.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 674 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 15; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 91; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 61 f.; vgl. auch Kalb, in Kasseler-Hdb, 8.2 Rn. 51 f.; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 482 f.; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 262; Stein, RdA 2000, 129, 136 (Fn. 82); Wank, Festschrift fur Kissel, S. 1225, 1227. Zu undifferenziert Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 70 ff. und 132. Anders Otto, in Münchener-Hdb, § 284 Rn. 43; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 192; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 48. 19 Heckelmann, Suspendierende Abwehraussperrung von Außenseitern, S. 24; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 675; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; vgl. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 44 ff. Allgemein zum Schutzumfang der positiv individuellen Koalitionsfreiheit - vgl. BVerfG vom 30.11.1965, BVerfGE 19, 303, 312; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 246; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212. 224; BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 32; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 11; dies., in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 1 ff.; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 15 f.; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 87; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht S. 116. 20 Heckelmann, Suspendierende Abwehraussperrung von Außenseitern, S. 23 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 50 f. und 84; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 19 und 57;
§ 13 Allgemeine Rechtsfragen firmentarifvertragsbezogener Arbeitskämpfe
407
Dennoch erlangt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG eine „mittelbare" Bedeutung bei der Ableitung einer arbeitgeberseitigen Kampfbefugnis. 21 Wenn die Tariffahigkeit des Arbeitgebers notwendig der Realisierung der positiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft dient, muss ihm im antagonistischen Sozialkonflikt ein äquivalentes Arsenal von Gegenmitteln zur Verfugung stehen. Ohne Gewährleistung einer paritätssichernden Aussperrungsbefugnis fuhrt der gewerkschaftliche Streik zwangsläufig zu einem ungerechtfertigten Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Unternehmens- und Eigentumsfreiheit des betroffenen Arbeitgebers. 22 Mittelbar zwingt daher das Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zu entnehmende Gebot der Waffengleichheit 23 in Verbindung mit dén Grund-
siehe auch Kalb, in Kasseler-Hdb, 8.2 Rn. 52; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 61 f. Die besondere Konstellation eines so genannten „Kampfbündnisses", die das BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225 veranlasste, auch den Einzelarbeitgeber unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zu stellen, betrifft eine seltene Ausnahme. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kann sich ein Außenseiterarbeitgeber einer Verbandstarifaussperrung anschließen, sodass hierdurch eine eigenständige ad-hoc Koalition entsteht. Zur allgemeinen Kritik an dieser Rechtsprechung - vgl. BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 301 ff.; Konzen, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, SAE 1991, 335, 341 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 84 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 657 und 676 f.; Löwisch, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, AR-Blattei, Arbeitskampf III Aussperrung, Entscheidung 15; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 16 f.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 67; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; ders., Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 260; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 192; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 143 ff.; anders Däubler, ArbuR 1992, 1, 2 f. 21 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 90; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62 f.; vgl. auch Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 323; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 675; siehe zudem BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318. 22 Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 674; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 192; Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektiven Arbeitsrecht, S. 116 f. Siehe auch Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 58; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 92 (Fn. 39a), die unter Vernachlässigung der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG maßgebend auf die allgemeine Handlungsfreiheit abstellen. 23 Entgegen Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 58 folgt der Grundsatz der paritätsbezogenen Waffengleichheit nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG, sondern aus der lex specialis des Art. 9 Abs. 3 GG - vgl. Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 287; Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektiven Arbeitsrecht, S. 173; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 170
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
rechtsverbürgungen der Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG zur rechtlichen Anerkennung eines arbeitgeberseitigen Kampfmittelinstrumentariums auf Firmentarifvertragsebene.
B. Arbeitskampffähigkeit des „kleinen44 Arbeitgebers Ein besonderes arbeitskampfrechtliches Problem stellt sich, wenn eine mächtige Gewerkschaft an einen kleinen Arbeitgeber mit der Forderung nach Übernahme des Verbandstarifkompromisses herantritt. Der AnerkennungstarifVertrag dient den Gewerkschaften als effizientes Gestaltungsmittel, um auch in nicht koalitionswilligen Kleinunternehmen eine tarifliche Ordnung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen durchzusetzen und den Arbeitnehmern damit eine Partizipation an der regionalen Tarifentwicklung zu ermöglichen. Inwieweit kleine Arbeitgeber als legitime Adressaten von Arbeitskampfmaßnahmen in Betracht kommen, wird unterschiedlich beurteilt.
I. Streitstand 1. Fehlende Arbeitskampffahigkeit des „kleinen" Arbeitgebers In aktuellen Stellungnahmen des Schrifttums mehren sich die Stimmen, die für eine arbeitskampfrechtliche Privilegierung des „ohnmächtigen" Arbeitgebers eintreten. 24 Der kleine Arbeitgeber sei nicht in der Lage, einer mächtigen Arbeitnehmervereinigung effektiven Gegendruck entgegenzusetzen. Daher drohe ein einseitiges Tarifdiktat der Gewerkschaft, was dazu führe, dass der abgeschlossene FirmentarifVertrag nicht an der Richtigkeitsgewähr teilhaben könne. Aus der drohenden Imparitätslage auf firmentarifVertraglicher Ebene
(Fn. 72); vgl. auch BVerfG vom 18.12.1953, BVerfGE 3, 225, 240; BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 249 f.; BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 229. 24 Boldt, RdA 1971, 257, 261 und 263; Ehmann/Schmidt, NZA 1995 193, 197; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 658 f.; ders., NZA 1994, 337, 339 f.; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., in Arbeitskonflikte und Arbeitskampf, S. 63, 86; ders., Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 264; ders., DB 1992, 269, 271 ff.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII FirmentarifVertrag, Β I 2; ders., in Staudinger, Vorb. § 611 BGB Rn. 620; vgl. auch Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu §97 ArbGG 1979; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; siehe zudem Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 333; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Teschner, FirmentarifVertrag und Unternehmensumstrukturierung, S. 7.
§ 13 Allgemeine Rechtsfragen firmentarifertragsbezogener Arbeitskämpfe
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ziehen einige Autoren den Schluss, dass der kleine Arbeitgeber von jeglicher arbeitskampfrechtlicher Inanspruchnahme freizustellen sei. 25
2. Unbeschränkte Arbeitskampffahigkeit des „kleinen64 Arbeitgebers Demgegenüber befürwortet die wohl herrschende Meinung eine unbeschränkte Arbeitskampffähigkeit auch des kleinen Arbeitgebers. 26 Teile des Schrifttums leugnen bereits seine arbeitskampfbezogene Unterlegenheit gegenüber der Arbeitnehmerseite. 27 Andere Stimmen weisen darauf hin, dass die Tariffähigkeit des Arbeitgebers notwendigerweise dessen Arbeitskampffähigkeit bedinge.28 Ohne eine umfassende Arbeitskampfberechtigung auf firmentarifvertraglicher Ebene könne die Gewerkschaft ihren verfassungsrechtlichen Schutzauftrag nicht erfüllen. Der kleine Arbeitgeber sei schon deswegen nicht schutzwürdig, weil er sich dem gewerkschaftlichen Druck jederzeit durch den Eintritt in den Arbeitgeberverband entziehen könne. 29
25
Boldt, RdA 1971, 257, 261 und 263 f.; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; vgl. auch Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 197; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag, Β I 2; ders., in Staudinger, Vorb. §611 BGB Rn. 620. 26 LAG Düsseldorf vom 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21 ; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351; Löwisch, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 478; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166 f.; Schräder, Durchsetzungsfahigkeit, S. 209 ff; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 55 (Fn. 54); Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. 27 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 63; Colneric, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 1358; Zachert, ArbuR 1980, 43, 46; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008. 28 LAG Düsseldorf vom 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351; Löwisch, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166 f.; Stein, RdA 200tf, 129, 138; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 338 und 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. So auch BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14.06.1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 208 - jedoch ohne Auseinandersetzung mit der Paritätsproblematik. 29 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Moll, Tarifausstieg der Arbeitge-
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
II. Stellungnahme Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum ist die Arbeitskampfberechtigung des kleinen Arbeitgebers einer umfassenden Bewertung unterzogen worden. Auch im Rahmen dieser Arbeit kann keine abschließende Analyse des firmentarifVertraglichen Arbeitskampfes vorgenommen werden. Es sollen lediglich grundlegende Gedankengänge skizziert werden.
1. Imparitätslage Anlass zur Diskussion der Arbeitskampffähigkeit des kleinen Außenseiterarbeitgebers gibt das Prinzip der Kampfparität. 30 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Parität oberste Maxime des Arbeitskampfrechts, an dem alle weiteren dogmatischen Ableitungen zu messen sind. 31 Im Urteil vom explizit hervorgehoben, dass das 11.08.1992 hat das Bundesarbeitsgericht berseite, S. 168; Schräder, Durchsetzungsfahigkeit, S. 224; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 55 (Fn. 54); Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; vgl. auch Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 659 und 675; ders., NZA 1994, 337, 340; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 111. 30 Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 197; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968 f. und 1007; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 333; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458; ders., JuS 1990, 298, 300 f.; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 658 f.; ders., NZA 1994, 337, 339 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 262 ff; ders., DB 1992, 269, 271; Oetker, in Wiedemann, §2 TVG Rn. 104 und 322; Otto, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 105; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137 und 190; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134 (Fn. 7); Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 106 ff.; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731; Zöllner, Anm. zu BAG vom 09.07.1968, SAE 1969, 140, 140 f. 31 BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch BAG (GS) vom 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27.09.1957, AP Nr. 6 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 15.03.1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG vom 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 64; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 161 und 166; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1238 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, Rn. 471; bestätigt durch BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 229 f.; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 103, 107 und 117.
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Paritätsgebot uneingeschränkt auch als Maßstab für die Beurteilung firmentarifvertragsbezogener Arbeitskämpfe gilt. 32 Im Gegensatz zur verbandstarifVertraglichen Ebene, auf der nach abstraktmaterieller Betrachtung 33 ein kongruentes Kräftegleichgewicht zwischen den Sozialverbänden besteht,34 ist eine hinreichende Verhandlungs- und Kampfparität in Firmentarifkonflikten nicht unter allen Umständen gewährleistet. Zwar treten Imparitätslagen nur ausnahmsweise auf. Allein die fehlende Verbandsunterstützung rechtfertigt es nicht, von einer Ungleichgewichtslage zu Lasten des Einzelarbeitgebers zu sprechen, weil er im Regelfall selbst über ausreichende
32
BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. In diesem Sinne auch BAG vom 27.06.1995, AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe dazu Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 659; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; vgl. zudem Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 314 f.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137. 33 Siehe dazu BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 973 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 314; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 64; dies., in Münchener-Hdb, § 282 Rn. 69 f.; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 168; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 160 ff.; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1241; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 471 f. Vgl. auch BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 34 BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 06.11.1992, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 50; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 147; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 278; Konzen, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, SAE 1980, 21, 23; ders., DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 6 und 10; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 666; Preis, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zur verfassungsrechtlichen Verankerung sowohl des Streik- als auch des Aussperrungsrechts auf Verbandstarifebene - vgl. BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224 f.; BAG (GS) vom 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 939 ff.; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1227; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 451 ; anders insbesondere für das Aussperrungsrecht Wolter, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 890; Kittner, Festschrift für Ridder, S. 229, 229 ff.; Zachert, ArbuR 1980, 43, 45.
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Teil 5 : Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
finanzielle Ressourcen verfugt, um Arbeitskämpfe durchzustehen. 35 Herkömmlich scheidet eine Überlegenheit der Arbeitnehmervereinigung zudem deswegen aus, weil die gewerkschaftliche Kampffiihrung auf firmentarifVertraglicher Ebene mit erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden ist. 36 In kleinen Unternehmen gelingt es den Gewerkschaften angesichts enger persönlicher Beziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nur schwer, die Arbeitnehmer zu einer Urabstimmung über die Einleitung von Streikmaßnahmen zu bewegen. Ungeachtet dieser Sachlage kann entgegen der im Schrifttum vereinzelt vertretenen Auffassung nicht geleugnet werden, dass es auf Firmentarifvertragsebene Konstellationen gibt, in denen es auch bei abstrakt-materieller Betrachtung an einem paritätischen Verhandlungsgleichgewicht fehlt. 37 Organisiert die 35
Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20. Dass sich der Arbeitgeber in eine wirtschaftliche Zwangslage versetzt sieht, ist der kampfweisen Konfliktlösung immanent - vgl. von Hoyningen-Huene, JuS 1990, 298, 300; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 232; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 206 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form. 36 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 69; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491; vgl. auch Hensche, ArbuR 1996, 331, 335; ders., ArbRGew 34 (1997), 35, 47; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 181; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 127; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 110; siehe zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. 37 BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; LAG Düsseldorf vom 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; LAG Schleswig-Holstein vom 25.11.1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 259 und 263; Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen TarifVertragssystems, S. 331; Dahlbender, Der Austritt des Arbeitgebers aus seinem Verband zwecks Loslösung von Tarifverträgen, S. 133; Feger, AiB 1995, 490, 498; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007; Gaul, ZTR 1991, 188, 189; ders., ZTR 1993, 355, 355; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Henssler, Festschrift für Schaub, S. 311, 333; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; von HoyningenHuene, ZiA 1980, 453, 458 f.; ders., JuS 1990, 298, 300 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166 f.; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Lieb, ZfA 1982, 113, 168 und 173; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 658 f.; ders., NZA 1994, 337, 339; ders., DB 1999, 2058, 2063; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 482 f.; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., DB 1992, 269, 273; Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; ders., in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 63; Otto, Festschrift fur Kissel, S. 787, 802; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII FirmentarifVertrag, Β I 2; Rieble,
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Gewerkschaft gegenüber einem kleinen Arbeitgeber einen umfassenden Erzwingungsstreik, so folgt dessen soziale „Ohnmächtigkeit" zum einen aus seiner beschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Kleinunternehmen sind im Gegensatz zur Gewerkschaft, für die die zu zahlenden Streikunterstützungen nicht wesentlich ins Gewicht fallen, 38 nicht in der Lage, eine arbeitskampfrechtliche Eskalation über längere Zeit durchzustehen. Da der Produktionsstillstand kurzfristig zu einer Existenzgefährdung führt, werden sie sich dem Diktat der Gewerkschaft beugen. Zum anderen besteht der besondere arbeitskampfrechtliche Nachteil des kleinen Arbeitgebers darin, dass ihm keine effizienten Abwehrmittel zur Verfügung stehen, um einen wirkungsvollen Gegendruck aufzubauen.39 Seine Aussperrungsbefugnis erstreckt sich nur auf die wenigen im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, sodass er die Arbeitnehmervereinigung nicht zu empfindlichen Unterstützungszahlungen veranlassen kann. Wenn
Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137 und 190; Ruhland, Arbeitskampfparität, S. 151; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 206 und 210; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 90 und 338; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 55 (Fn. 54); ders., RdA 2000, 129, 132; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 163; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 106; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 730 f. Die Monopolkommission sieht das „Unternehmen im Falle des Streiks als völlig vereinzelt und mit nachhaltigen Schaden" bedroht - siehe Kapitel VII Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Nr. 886, Zehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 1992/1993, BT-Drucksache 12/8323 vom 22.07.1994. Die These, dass das Tarifvertrags- und damit das Arbeitskampfsystem allein dem Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers dient, ist nicht haltbar. War dies historisch zutreffend, so haben sich die Rahmenbedingungen gravierend verändert. Gewerkschaften sind finanziell und sozial starke Interessenvertretungen geworden. Insbesondere die ver.di Gründung dokumentiert einen fortschreitenden Konzentrationsprozess auf Arbeitnehmerseite - vgl. hierzu BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 224 f.; Boldt, RdA 1971, 257, 259; Koopmann, Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie, S. 193 ff.; Müller, DB 1992, 269, 272 f.; Rieble, Anm. zu BVerfG vom 26.06.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; Schaub, NZA 1998, 617, 618; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 220 f.; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1240; kritisch Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. 38 Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167; vgl. zudem Lieb, NZA 1994, 337, 339; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 190; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 210. Siehe auch den Sachvortrag der Arbeitgeberseite im Tatbestand des Urteils des BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 39 Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; vgl. zudem Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 27; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086. Wenig Überzeugungskraft hat das Gegenargument, dass auch das Druckpotenzial der Gewerkschaft lediglich auf die Belegschaft begrenzt ist - so aber Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167. Denn bereits durch die streikbedingte Entziehung weniger Arbeitnehmer entstehen für den kleinen Arbeitgeber gravierende Produktionsengpässe.
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darüber hinaus alle Beschäftigten von ihrem Streikrecht Gebrauch machen, ist dem Arbeitgeber eine Kampferweiterung nahezu unmöglich. 40 Fehlt es dem kleinen Arbeitgeber somit an einer hinreichenden Durchsetzungsfähigkeit gegenüber einer mitgliederstarken, finanzkräftigen Gewerkschaft, so kann sich das geltende Tarif- und Arbeitskampfrecht einer Korrektur dieser Ungleichgewichtslage nicht verschließen.
2. Korrektur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip Kompensieren lässt sich die Kampfunterlegenheit des kleinen Arbeitgebers in einem ersten Schritt durch eine konsequent strenge Überprüfung der Streikmaßnahmen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 41 Das ultima-ratioPrinzip gebietet auf FirmentarifVertragsebene ein abgestuftes Vorgehen der Gewerkschaft. Wegen der schädigenden Auswirkungen des firmentarifvertragsbezogenen Streiks muss die Gewerkschaft sämtliche Verhandlungsmöglichkeiten sorgsam ausschöpfen. Es ist der Arbeitnehmervereinigung untersagt, einen Erzwingungsstreik mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einzuleiten. Sie muss sich auf eine gestufte Druckerhöhung einlassen. Einzuschränken ist auch das gewerkschaftsseitig verfochtene Prinzip der Kampfmittelfreiheit. 42
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Es verbleibt nur die Möglichkeit einer „lösenden" Aussperrungserklärung, was aber zu einer weiteren Eskalation der Konfliktlage führt. Die Ausdehnung der Arbeitskampfmaßnahmen schädigt den ohnehin unterlegenen Arbeitgeber nur noch stärker vgl. Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65. Allgemein zur „Aussperrungsunwilligkeit" im Arbeitgeberlager - vgl. Lieb, DB 1999, 2058, 2063; siehe dazu auch Hromadka, Festschrift für Wlotzke, S. 333, 338 f. Zu beachten ist in diesem Kontext zudem die grundsätzliche Zurückhaltung in Rechtsprechung und Literatur gegenüber einer „lösenden" Aussperrungsbefugnis - vgl. BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1040 ff.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 233; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 205; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 478; vgl. auch BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84,212, 225. 41 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; von HoyningenHuene, JuS 1990, 298, 301; vgl. auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 315; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339. 42 Zur Kritik am Postulat einer allgemeinen Kampfmittelfreiheit - vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 983 f.; Lieb, ZfA 1982, 113, 138 ff.; Otto, in MünchenerHdb, § 284 Rn. 26; Wank, Festschrift für Kissel, S. 1225, 1228; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 463.
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Unter ultima-ratio-Gesichtspunkten ist beispielsweise ein Boykott gegenüber einem Einzelarbeitgeber nur in besonderen Ausnahmefallen erforderlich. 43 Kampfbegrenzende Wirkung entfaltet zudem die Angemessenheitsmaxime. Sie verbietet insbesondere einen gewerkschaftlichen Vernichtungskampf. 44 Werden die streikbedingten Belastungen für das betroffene Unternehmen unzumutbar, weil eine existenziell bedrohliche Lage entstanden ist, muss die Gewerkschaft ihre Kampfmaßnahmen abbrechen.
3. Korrektur jenseits des Verhältnismäßigkeitsprinzips Dennoch lassen sich durch eine Verhältnismäßigkeitskontrolle diejenigen Problemfälle nicht lösen, in denen der kleine Arbeitgeber wohlwissend, dass er ohnehin keinen wirksamen Gegendruck entfalten kann, die diktierten Gewerkschaftsforderungen anerkennt, noch ehe die Kampfauswirkungen existenzbedrohliche Züge angenommen haben. Methodisch sind drei verschiedene Wege denkbar, um auf die fehlende Durchsetzungsfähigkeit des kleinen Arbeitgebers zu reagieren: 45 Dem kleinen, ohnmächtigen Arbeitgeber kann im Wege einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG die Tariffähigkeit versagt werden. Ihm kann andererseits die Fähigkeit abgesprochen werden, soziale Konflikte mit den Mitteln des Arbeitskampfes auszutragen. Denkbar ist darüber hinaus die Anerkennung einer erweiterten Inhaltskontrolle des Firmentarifvertrages, weil die Voraussetzungen der Richtigkeitsgewähr nicht vorliegen.
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Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008. Zum Boykott auf firmentarifvertraglicher Ebene - vgl. BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; Wiedemann, , Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form. 44 BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 30.03.1982, AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Düsseldorf vom 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1164; von Hoyningen-Huene, JuS 1990, 298, 300; Koberski/Clasen/Menzel, §2 TVG Rn. 124; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 231; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 802; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 165 und 190; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339 und 533 ff.; Zachert, Festschrift fur Kehrmann, S. 335, 339; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 462. 45 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166 f.; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208.
416 Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages a) Ausschluss der Tariffähigkeit Namentlich Müller schlägt vor, die fehlende Durchsetzungsfähigkeit des kleinen Arbeitgebers durch die Ablehnung seiner Tariffähigkeit zu korrigieren. 46 Diese Auffassung fand jedoch weder in der Rechtsprechung 47 noch im Schrifttum 48 Zuspruch. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG verleiht jedem Arbeitgeber unabhängig von seiner Mächtigkeit die Fähigkeit, Partei eines Firmentarifvertrages zu werden. Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift besteht kein Anlass, denn ihr Sinn und Zweck liegt darin, der Gewerkschaft in jedem Fall einen potenziellen Tarifvertragspartner zur Verfügung zu stellen.49 Diese Auslegung trägt dem verfassungsrechtlichen Optimierungsge-
46
Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 264; ders., DB 1992, 269, 272 f. 47 BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; LAG Düsseldorf \om 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; vgl. BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 256; siehe auch BAG vom 14.07.1981, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; vgl. zudem LAG Brandenburg vom 24.02.1994, NZA 1995, 905, 905. 48 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 63; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 524; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Gitter, Festschrift für Kissel, S. 265, 276 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 459; Ischner, Vereinheitlichung standortunterschiedlicher tarifVertraglicher Arbeitsbedingungen durch HaustarifVertrag, S. 141; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Koberski/Clasen/Menzel, § 2 TVG Rn. 69; Lieb, NZA 1994, 337, 339 f.; ders., DB 1999, 2058, 2063; Löwisch, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Löwisch/Rieble, §2 TVG Rn. 52; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 37; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 478; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 166 f.; Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; ders., in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 104; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 63 f.; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII FirmentarifVertrag, Β I 2; Rieble, Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208; ders., NZA 2001, 1337, 1340 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 55; ders., RdA 2000, 129, 135 f.; Teschner, FirmentarifVertrag und Unternehmensumstrukturierung, S. 7; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 165; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 106 ff.; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19 f.; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731 f. 49 BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Buchner, ZfA 1995, 95, 113; Gitter, Festschrift fur Kissel, S. 265, 278 f.; Koberski/Clasen/Menzel, § 2 TVG Rn. 69; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 52; dies., in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 35; Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155 f.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 104; Rieble, Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Schräder, NZA 2001, 1337, 1341; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 165; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 110; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731 f.; kritisch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20.
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bot Rechnung, indem sie zu Gunsten der Arbeitnehmervereinigungen eine umfassende kollektive Koalitionsbetätigungsgarantie sicherstellt. Die einschränkungslose Anerkennung der Tariffähigkeit belastet den kleinen Arbeitgeber keinesfalls unangemessen. Im Gegenteil gewährt sie ihm den Vorteil, die in seinem Unternehmen geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf normativer Basis strukturieren zu können und erweitert damit seine Regelungsbefugnisse. 50 Allein mit der Anerkennung der Fähigkeit, eine bestimmte Rechtshandlung vornehmen zu „dürfen", ist kein Abschlusszwang verbunden. Durch das Konsensualprinzip ist der Arbeitgeber vor nachteiligen hat es daher Tarifvertragsabschlüssen geschützt. Das Bundesarbeitsgericht zutreffend abgelehnt, die Tariffahigkeit des Einzelarbeitgebers an seine Durchsetzungsfähigkeit zu knüpfen. 51 Mittelbar bestätigt wird diese Betrachtung durch Ziffer A III 2 des Gemeinsamen Protokolls über die Leitsätze zum Vertrag zur Herstellung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.05.1990, die das Mächtigkeitserfordernis lediglich auf Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände erstreckt. 52 In der differenzierten Handhabe des Mächtigkeitskriteriums auf Seiten der Gewerkschaft und des Einzelarbeitgebers sieht das Bundesverfassungsgericht eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung.53 In Einklang mit der herrschenden Auffassung ist daher eine Tarifunfähigkeit des kleinen Arbeitgebers abzulehnen.
b) Ausschluss der Arbeitskampffähigkeit Indes erscheint es durchaus erwägenswert, dem ohnmächtigen Arbeitgeber die Arbeitskampffähigkeit abzusprechen, was darauf hinauslaufen würde, dass FirmentarifVerträge insoweit nur auf fakultativer Basis geschlossen werden 50
Boldt, RdA 1971, 257, 260; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §255 Rn. 35; Stein, RdA 2000, 129, 130 f. 51 BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 52 Gitter, Festschrift fur Kissel, S. 265, 276 ff.; Oetker, Festschrift fur Stahlhacke, S. 363, 392 f.; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 337 f. Zur Rechtsverbindlichkeit des Staatsvertrages - siehe BAG vom 06.06.2000, AP Nr. 55 zu § 2 TVG; BAG vom 06.06.2000, AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979; Gitter, Festschrift fur Kissel, S. 265, 269 ff.; Kissel, NZA 1990, 545, 549 f.; Oetker, Festschrift für Stahlhacke, S. 363, 381 ff.; ders., in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 6 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; Schräder, NZA 2001, 1337, 1339 f. 53 BVerfG vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 233, 256; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu §2 TVG; Oetker, in Wiedemann, §2 TVG Rn. 104 und 322; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 64; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 108; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 336; kritisch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20.
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können. Die Überlegungen zur arbeitskampfrechtlichen Freistellung des kleinen Arbeitgebers sind auf die Entscheidung des Großen Senats vom 21.04.1971 zurückzufuhren, in der das Bundesarbeitsgericht explizit dessen Arbeitskampffahigkeit bezweifelt hat. 54 Insbesondere Hergenröder hat die aus dem Paritätsprinzip resultierenden Bedenken aufgegriffen und die Versagung der Arbeitskampfberechtigung ausfuhrlich begründet. 55 Allgemein ist im Schrifttum die Tendenz unverkennbar, die fehlende Durchsetzungsfähigkeit des Kleinunternehmers auf arbeitskampfrechtlicher Ebene zu korrigieren. 56 Zuzustimmen ist dieser Auffassung im Ausgangspunkt, dass es keine zwingend logische Verknüpfung zwischen der Tariffahigkeit und der Arbeitskampffahigkeit gibt. 57
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BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Dass der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts lediglich die Arbeitskampffähigkeit - und nicht die Tariffähigkeit - des kleinen Arbeitgebers in Frage stellt, ergibt sich aus dem Begründungszusammenhang. Das Gericht fuhrt aus, dass zumindest „die Arbeitskampffähigkeit bei großen Arbeitgebern nicht zu bezweifeln ist". Zu dieser arbeitskampfbezogenen Interpretation der Entscheidungsbegründung - vgl. BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458 f.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag, Β I 2; ders., in Staudinger, Vorb. §611 BGB Rn. 620; anders Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 263. 55 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; vgl. auch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; siehe zudem Boldt, RdA 1971, 257, 261 und 263; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 197; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag, Β I 2; ders., in Staudinger, Vorb. § 611 BGB Rn. 620. 56 Boldt, RdA 1971, 257, 261 und 263; Ehmann/Schmidt, NZA 1995 193, 197; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; ders., Anm. zu BAG vom 11.08.1992, SAE 1993, 61, 65; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 658 f.; ders., NZA 1994, 337, 339 f.; Müller, ArbuR 1972, 1, 5; ders., in Arbeitskonflikte und Arbeitskampf, S. 63, 86; ders., Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 264; ders., DB 1992, 269, 271 ff; Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; ders., in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag, Β I 2; ders., in Staudinger, Vorb. §611 BGB Rn. 620; vgl. auch Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 318; siehe zudem Henssler, Festschrift fur Schaub, S. 311, 333. 57 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 658; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 139; vgl. auch Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 13 f.; siehe dazu BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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aa) Kritische Einwände der Rechtslehre gegen einen Ausschluss der Arbeitskampffahigkeit Gegen die arbeitskampfrechtliche Freistellung des ohnmächtigen Arbeitgebers werden in der Lehre zahlreiche Argumente vorgebracht, die jedoch teilweise nicht überzeugen. Nach Auffassung Zacherts ist der kleine Arbeitgeber unbeschränkt arbeitskampffähig, weil die Arbeitsgerichte im Falle einer Überprüfung der Kampffähigkeitsvoraussetzungen eine Inhaltsprüfung vornehmen müssten, was die Gefahr einer unzulässigen Tarifzensur begründe. 58 Diese Argumentation ist ein Zirkelschluss und verkennt die Eigenheiten des Filmentarifvertrages. Einem Tarifvertrag ist eine Richtigkeitsgewähr immanent, weil er das Ergebnis paritätischer Vertragsverhandlungen ist. Der gegen eine Inhaltskontrolle sprechende Rechtsgrund ist gerade das Paritätsprinzip, was Zachert an anderer Stelle in Einklang mit der Rechtsprechung und der einhelligen Lehrmeinung anerkennt. 59 Es ist methodisch verfehlt, ein aus der Parität abgeleitetes Kontrollverbot auf eine Imparitätssituation zu übertragen. Nahezu alle kritischen Stellungnahmen rechtfertigen die unbeschränkte Arbeitskampffähigkeit des Einzelarbeitgebers damit, dass ihm im Falle einer nicht mehr hinnehmbaren gewerkschaftlichen Druckentfaltung die „Flucht in den Arbeitgeberverband" offen stehe.60 Diese Argumentation besitzt wenig Überzeugungskraft. Alternativ ist der vorgeschlagene Ausweg ohnehin nur, wenn dem Unternehmer tatsächlich eine aufiiahmebereite Arbeitgebervereinigung zur 58
Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; ähnlich Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167. 59 Zachert, Festschrift zum 100 jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 573, 583 und 585; siehe auch Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 88. Vgl. BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 15.03.1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 284; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 4 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 4; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 161; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 387; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 216 f. 60 Feger, AiB 1995, 490, 498 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007 f.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 134; Kempen/Zachert, §2 TVG Rn. 69; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 659 und 675 f.; ders., NZA 1994, 337, 340; ders., DB 1999, 2058, 2063; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 168; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 55 (Fn. 54); Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 110; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Verfügung steht.61 Selbst wenn dies gewährleistet ist, kann der Arbeitgeber verbandstariflichen Friedensschutz nur erlangen, wenn die Arbeitgebervereinigung mit der kampffiihrenden Gewerkschaft einen einschlägigen VerbandstarifVertrag abgeschlossen hat. 62 Aber auch aus rechtlicher Sicht ist der Hinweis auf die Möglichkeit des Verbandsbeitritts verfehlt. Unbestritten steht es dem kleinen Arbeitgeber zwar offen, sich während eines laufenden Firmentarifkonflikts einer Arbeitgebervereinigung anzuschließen. Dieses höchstpersönliche Beitrittsrecht kann aber nicht entscheidender Rechtfertigungsgrund seiner unbeschränkten Arbeitskampffähigkeit sein. Nimmt man die gegenteilige Auffassung beim Wort, so stellt sie den Außenseiter vor die Alternative, entweder die gewerkschaftlichen Tarifforderungen anzuerkennen oder der Arbeitgebervereinigung beizutreten. Zutreffend widerspricht Wiedemann einer derart alternativen Handlungsoption.63 Die negative Koalitionsfreiheit untersagt es der Gewerkschaft, unmittelbar oder mittelbar auf einen Verbandsbeitritt des Arbeitgebers hinzuwirken. 64 Wenn es
61 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 207. Die fur Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 659 „unabdingbar notwendige" Gestattung der „Flucht in den Arbeitgeberverband" ist somit in rechtlicher Hinsicht keineswegs abgesichert. In einigen Tarifregionen haben sich arbeitgeberseitige Fachverbände aufgelöst, sodass keine Interessenvertretungen mehr existieren - siehe dazu die Beispiele bei Schaffeld, AfP 1996, 249, 249 und 252 ff. 62 Vgl. Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 217. Zur Erstreckung der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht auf die koalierten Arbeitgeber - vgl. BAG vom 10.05.1989, AP Nr. 6 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; LAG Köln vom 14.06.1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 266 f.; Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 12 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 100 f.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 134 ff.; Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 126 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 239 ff.; Thüsing, NZA 1997, 294, 295 f.; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 209; vgl. auch LAG Düsseldorf vom 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG SchleswigHolstein vom 25.11.1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Jacobs, ZTR 2001, 249, 254. 63 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; siehe auch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; vgl. zudem Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 659 und 675. Auch Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 168 erkennen die Problematik der negativen Koalitionsfreiheit, ohne jedoch rechtliche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen. 64 Vgl. Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 132; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 33; dies., in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 58; Rieble, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, SAE 1991, 316, 317; ders., Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 475; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; vgl. auch Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 95. Allgemein zur unmittelbaren Grundrechtsbindung der Gewerkschaften an die negative Koalitionsfreiheit - vgl. Bauer, in Dreier, Art. 9 GG Rn. 82 f.; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 9 GG Rn. 34; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern,
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der Gewerkschaft somit verboten ist, zu Lasten des Außenseiterarbeitgebers eine Zwangslage zu schaffen, die auf einen Eintritt in den Arbeitgeberverband abzielt, dann darf der ohnmächtige Arbeitgeber gerade nicht auf diese letzte, seine negative Koalitionsfreiheit tangierende Verhaltensalternative verwiesen werden. Im Übrigen kann den aus der negativen Koalitionsfreiheit resultierenden Bedenken nicht mit dem Hinweis auf den Vorrang der positiv kollektiven Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft begegnet werden, weil eine einseitige Opferung der negativen Grundrechtsgarantie jeder grundrechtlichen Dogmatik widerspricht. 65 Zu undifferenziert ist darüber hinaus die Argumentation, die arbeitskampfrechtliche Erfassung aller - also auch der kleinen - Außenseiterarbeitgeber sei unerlässlich für das Funktionieren der Tarifautonomie. 66 Die Diskussion um die Versagung der Arbeitskampffahigkeit konzentriert sich allein auf Kleinunternehmen. Kein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Unternehmen wird ausschließlich aus dem Grund, die Erzwingbarkeit tariflicher Regelungen zu umgehen, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vermindern. Eine „Flucht in die Ohnmächtigkeit" ist real nicht zu besorgen. Die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ist bereits dann gewährleistet, wenn der Gewerkschaft der weit überwiegende Teil der nicht koalitionswilligen - aber im Regelfall durchsetzungsfähigen - Arbeitgeberschaft als firmentarifvertraglicher Kampfgegner zur Verfügung steht. Allein die restriktive Herausnahme kleinerer Arbeitgeber aus dem System der arbeitskampfrechtlichen Konfliktlösung stellt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht tiefgreifend in Frage. 67
S. 39 f.; Löwer, in von Münch/Kunig, Art. 9 GG Rn. 85; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 150 und 275. 65 BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 50 ff.; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 31; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 36 f.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 141 (Fn. 120); Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 268; Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 294; anders Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 168. Siehe zu dieser Problematik auch Schubert, RdA 2001, 199, 203 ff. Wiedemann , in Wiedemann, Einleitung Rn. 87 weist daraufhin, dass im Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Außenseiter eine wesentliche Aufgabe des Art. 9 Abs. 3 GG liegt. 66 So Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008; vgl. auch Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 168; Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 731. 67 Vgl. Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Müller, DB 1992, 269, 273.
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bb) Rechtfertigung der Arbeitskampffahigkeit Ungeachtet der teils wenig überzeugenden Argumentation der herrschenden Meinung ist die Arbeitskampffähigkeit des kleinen Arbeitgebers im Ergebnis dennoch zu bejahen. Sie ist das Korrelat zur einfachgesetzlichen Anerkennung der uneingeschränkten Tariffähigkeit jedes Arbeitgebers. 68 Unabhängig von seiner Durchsetzungsfähigkeit verleiht der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG jedem Arbeitgeber die Fähigkeit, Partei eines Firmentarifvertrages zu sein. Teleologischer Hintergrund dieser Kodifizierung ist das legislative Anliegen, den Arbeitnehmerkoalitionen auch dann einen potenziellen Tarifpartner zur Verfügung zu stellen, wenn fur den Arbeitgeber aus anerkennenswerten Gründen ein Beitritt zur Arbeitgebervereinigung nicht in Betracht kommt. Normzweck des § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG ist es somit, alle Arbeitgeber dem geltenden Tarifsystem zu unterwerfen und damit sämtliche Arbeitsverhältnisse koalierter Arbeitnehmer einer tariflichen Regelbarkeit zuzuführen. Das Tarifvertragsgesetz erteilt den Arbeitnehmervereinigungen mithin einen umfassenden Schutzauftrag zu Gunsten aller gewerkschaftsangehörigen Beschäftigten. 69 Zur Realisierung dieses einfachgesetzlichen Gebotes der universalen Interessenvertretung sind die Gewerkschaften auch gegenüber kleinen Arbeitgebern auf das Zwangsinstrumentarium des Arbeitskampfes angewiesen.70 Ohne ent68
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167; vgl. zudem LAG Düsseldorfern 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458 f.; Kempen/Zachert, §1 TVG Rn. 351; Löwisch, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, AR-Blattei, Berufsverbände, Entscheidung 34; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 802; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 338 und 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. So auch BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14.06.1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 51; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 66; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62 und 134 f.; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 208 jedoch ohne Auseinandersetzung mit der Paritätsproblematik. 69 Zu beachten ist jedoch, dass das Argument, die Gewerkschaft solle immer einen potenziellen Tarifpartner haben, allein aus dem Telos der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG resultiert, nicht jedoch unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG zurückzuführen ist - vgl. BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 262 f.; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 103 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 164; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 107 und 110. Nicht § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG gestaltet die Verfassungsnorm des Art. 9 Abs. 3 GG aus, sondern umgekehrt - vgl. dazu Boldt, RdA 1971, 257, 261; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 132; Schleusener, NZA 1998, 239, 242. 70 LAG Düsseldorfern 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite,
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sprechende gewerkschaftliche Streikbefugnis, könnte der kleine Arbeitgeber jede firmentarifVertragliche Zusammenarbeit verweigern. Damit wären die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Kleinunternehmen einer sinnvollen firmentariflichen Gestaltung entzogen. Die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer auf arbeitsvertraglicher Ebene, die auch in kleinen Unternehmen andauert, kann die Arbeitnehmervereinigung ohne Streikdruck nur unzureichend kompensieren, sodass insoweit Arbeitsbedingungen zweiter Klasse drohen. Eine Beschränkung der Arbeitskampffähigkeit bedeutet unvermeidlich eine partielle Preisgabe des mit der unbeschränkten Tariffähigkeit verfolgten Normzwecks des §2 Abs. 1, 2. Alt. TVG. Solange der einfache Gesetzgeber daher auch dem nicht durchsetzungsfähigen Arbeitgeber einschränkungslos die Tariffähigkeit zuerkennt, korrespondiert hiermit notwendigerweise dessen Arbeitskampffahigkeit. 71 Gegen die Freistellung des kleinen Arbeitgebers von jeglicher kampfrechtlichen Inanspruchnahme sprechen zudem praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Grenzen hinreichender Mächtigkeit. Es erscheint nahezu unmöglich, abstrakt gültige Aussagen über die Voraussetzungen zulänglicher Durchsetzungsfähigkeit auf FirmentarifVertragsebene zu treffen. 72 Insbesondere verspricht ein Rückgriff auf die Arbeitnehmeranzahl, wie beispielsweise in den gesetzlichen Kleinbetriebsklauseln des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG oder des § 1 BetrVG, keinen Erfolg, weil eine Schlussfolgerung von der Arbeitnehmeranzahl auf die fehlende Mächtigkeit nicht zwingend ist. 73 Ohne objektiv handhab-
S. 167; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 209 f.; allgemein hierzu Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135. 71 Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62 f.; vgl. zudem Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 316 f. Der Gesetzgeber kann jedoch auf einfachgesetzlicher Ebene kleinen Arbeitgebern die Tariffähigkeit aberkennen und damit gleichzeitig deren Arbeitskampffähigkeit ausschließen vgl. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 62 f.; ebenso Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 51; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 139; siehe auch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20. Nach Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 165 ist die Tariffähigkeit des Einzelarbeitgebers zwar grundsätzlich durch Art. 9 Abs. 3 GG determiniert. Die Tariffähigkeit des kleinen Arbeitgebers ist jedoch lediglich auf einfachgesetzlicher Basis gewährleistet - vgl. Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 164 a.E. Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 218 fordert eine gesetzliche Regelung, um die Fälle nicht behebbarer Übermacht der Arbeitnehmerseite im Firmentarifarbeitskampf zu kompensieren. Ähnlich Müller, Arbeitskampf und Recht, S. 171. 72 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 63; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458; ders., JuS 1990, 298, 301; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 675; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69. 73 Nur der Gesetzgeber könnte eine derart pauschalierte Freistellung anordnen - vgl. dazu bereits Fn. 71. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 524; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 423; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 102 weisen daraufhin,
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bare Beurteilungskriterien entstehen erhebliche Rechtsunsicherheiten im Arbeitskampf. Notwendigerweise muss bereits vor Kampfbeginn rechtssicher feststehen, ob ein Arbeitgeber zulässigerweise Adressat von Arbeitskampfmaßnahmen sein kann. Im Übrigen ist die pauschale Arbeitskampffreistellung kleiner Arbeitgeber deswegen nicht angezeigt, weil sie über das eigentliche Rechtsschutzziel hinausschießt. Der wirtschaftlich schwache Unternehmer soll lediglich im Einzelfall vor einem einseitigen Tarifdiktat der Gewerkschaft bewahrt werden. Regelmäßig stellen Arbeitnehmerkoalitionen jedoch keine unhaltbaren Tarifforderungen auf, sondern sind bereit, inhaltliche Zugeständnisse zu machen. Ohnmächtige Unternehmen müssen lediglich vor einer exzessiven Streikführung um völlig unsachgerechte Tarifbedingungen geschützt werden. Eine globale Herausnahme aller Kleinunternehmen aus dem System sozialer Konfliktlösung ist weder erforderlich noch nach derzeitiger Gesetzeslage teleologisch gerechtfertigt.
cc) Ergebnis Sinn und Zweck der einfachgesetzlichen Anerkennung der Firmentariffähigkeit bedingen somit die Arbeitskampffahigkeit des kleinen Arbeitgebers.
c) An die Imparitätslage angepasste Rechtskontrolle Ist die pauschale Versagung der Arbeitskampffähigkeit somit nicht der richtige Weg, um auf die Unterlegenheit kleiner Arbeitgeber zu reagieren, so muss nach einem anderweitigen Lösungsansatz gesucht werden. Zwecks Korrektur firmentarifVertraglicher Ungleichgewichtslagen soll an dieser Stelle eine an die Imparitätslage angepasste, erweiterte Rechtskontrolle des ausgehandelten Firmentarifvertrages vorgeschlagen werden. In einigen Stellungnahmen findet sich eine Diskussion dieses Korrekturansatzes. 74 Dabei wird eine inhaltsbezogene Kontrolle jedoch regelmäßig ohne vertiefte Begründung umgehend verworfen. Unverkennbar ist in diesem Zusammenhang das Vorurteil, dass die Überprü-
dass nach geltendem Recht für die Tariffähigkeit des Einzelarbeitgebers „keine bestimmte Arbeitnehmeranzahr erforderlich ist. 74 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208 f.; siehe zudem Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 340; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20.
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fung tariflicher Regelungsgehalte einen Fremdkörper im geltenden Tarifrecht darstellt und die Arbeitsgerichte vor unlösbare Schwierigkeiten stellt. 75
aa) Entgegenstehende Richtigkeitsgewähr Grundlegendes Argument gegen eine auf den Tarifinhalt bezogene arbeitsgerichtliche Kontrolltätigkeit ist die tarifVertragliche Richtigkeitsgewähr. Tarifverträge tragen allerdings nur dann Gewähr für einen sachgerechten sozialen Interessenausgleich, wenn sie das Ergebnis paritätischer Vertragsverhandlungen sind. 76 Zu Gunsten des kleinen Arbeitgebers streitet jedoch nicht einmal eine Richtigkeitschance, weil seine Verhandlungsparität weder in materieller noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht sichergestellt ist. 77 Damit entfällt der Rechtfertigungsgrund für eine weitgehende Kontrollzurückhaltung der Arbeitsgerichte.
bb) Ableitung einer an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle Bereits Wiedemann/Stumpf haben zutreffend darauf hingewiesen, dass sich „die mangelnde Gleichgewichtigkeit der Vertragsparteien ... nur anhand des Ergebnisses, also am Vertragsinhalt beurteilen lässt". 78 Wegen der Unmöglich75
Vgl. nur Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 167; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208 f. 76 BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; Ä4G vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 15.03.1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 21.05.1981, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu §242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 06.02.1985, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; BAG vom 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1 ; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 284; Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 4; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 4; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 161; Rüthers/Berghaus, Anm. zu BAG vom 12.01.1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 387; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 216 f. 77 Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20; Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979; vgl. auch Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 264; ders., DB 1992, 269, 271 f.; siehe zudem Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226. Auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007 sieht die Gefahr eines einseitigen Tarifdiktats der Gewerkschaft. 78 Wiedemann/Stumpf, § 2 TVG Rn. 195; siehe auch Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 321 und 324.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
keit einer rechtssicheren Bestimmung der Anforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, verbleibt ausschließlich die Handhabe, eine gewerkschaftliche Übermächtigkeit durch eine nachträgliche Prüfung des firmentarifVertraglichen Regelungsgehalts zu kompensieren. Die grundlegenden Einwände gegen eine arbeitsgerichtliche Inhaltskontrolle sind relativ. Sowohl Rechtsprechung als auch Literatur befürworten eine umfassende Rechtskontrolle der Tarifinhalte. 79 Einzelne Regelungsgehalte müssen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung, dem zwingenden Gesetzesrecht, den guten Sitten und tragenden Grundsätzen des Arbeitsrechts untersucht werden. 80 Dem geltenden Tarifrecht ist die Inhaltskontrolle somit keineswegs fremd. Traditionell ausgeschlossen ist lediglich eine Billigkeits- und Angemessenheitsprüfung. 81 79
BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 23.02.1982, AP Nr. 2 zu § 15 BMT-G II; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.04.1990, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen; Baumann, RdA 1987, 270, 275; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 507; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 581; ders., ZTR 2000, 198, 199 f.; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 434. Die Zulässigkeit einer auf den Inhalt bezogenen Rechtskontrolle wird durch den Gesetzgeber in § 1 Abs. 4 Satz 1 KSchG bestätigt. 80 BAG vom 19.12.1958, AP Nr. 13 zu § 1 TVG; BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 01.06.1970, AP Nr. 143 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 16.11.1982, AP Nr. 4 zu § 62 BAT; BAG vom 14.12.1982, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand; BAG vom 26.09.1984, AP Nr. 21 zu § 1 TVG; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 10.10.1989, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 10.10.1989, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 03.04.1990, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 12.02.1992, AP Nr. 5 zu § 620 BGB Altersgrenze; BAG vom 16.05.1995, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAG vom 05.12.1995, AP Nr. 20 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BAG vom 06.11.1996, AP Nr. 1 zu § 10a AVR Caritasverband; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 259 Rn. 1 ; Mangen, Anm. zu BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 170 ff; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 581; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226; siehe zudem Schliemann, ZTR 2000, 198, 199 ff. 81 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 231; BAG vom 30.01.1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG vom 06.02.1985, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; BAG vom 14.12.1982, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand; BAG vom 12.02.1992, AP Nr. 5 zu §620 BGB Altersgrenze; BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen; BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 382; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 695 f.; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 37 ff.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 230; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 581; ders., ZTR 2000, 198, 200; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 387; Wiedemann,
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Konzeptionell ist die allgemein befürwortete Rechtskontrolle auch der richtige Ansatz, um der Problemlage der fehlenden Kampfparität des kleinen Arbeitgebers sachgerecht zu begegnen. In Einklang mit von Hoyningen-Huene 82 und Zeuner 83 sind die anerkannten Lösungsmechanismen der inhaltlichen Rechtskontrolle in ausreichendem Maße geeignet, um sozial ohnmächtige Unternehmen vor einem einseitigen Tarifdiktat der Arbeitnehmerseite zu bewahren. Umfang und Maßstab der firmentarifVertraglichen Rechtskontrolle müssen an das bestehende Machtungleichgewicht angepasst werden. Indikative Bedeutung für die Diskussion erlangt die Bürgschaftsentscheidung vom 19.10.1993.84 Das Verfassungsgericht des Bundesverfassungsgerichts statuiert für das gesamte Zivilrecht die Verpflichtung der Instanzgerichte „zur Inhaltskontrolle aller Verträge, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind". Bietet das gegenseitige Verhandeln angesichts fehlender Vertragsparität keine Richtigkeitsgewähr, so muss sich der Staat schützend vor den schwächeren Vertragspartner stellen. Das gilt um so mehr, wenn die überlegene Partei ihre Machtstellung beim Zustandekommen des Vertrages durch eine besondere Zwangsentfaltung ausgenutzt hat. Diese allgemeingültigen vom Bundesverfassungsgericht geäußerten Rechtsgedanken können zumindest für das FirmentarifVertragsrecht fruchtbar gemacht werden. 85 Im Firmentarifkonflikt ist der kleine Arbeitgeber der mächtigen Ge-
in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 434; vgl. auch Zachert, Festschrift zum 100 jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 573, 585. 82 Von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 459. Auch Hergenröder, Anm. zu BAG vom 20.11.1990, EzA § 2 TVG Nr. 20 weist darauf hin, dass „die staatliche Korrektur von Tarifergebnissen grundsätzlich nicht undenkbar ist". Oetker, Anm. zu BAG vom 25.09.1996, AP Nr. 4 zu § 97 ArbGG 1979 erwägt ebenfalls die Alternative einer „Inhaltskontrolle". 83 Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 732. 84 BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 229 ff.; siehe zudem BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 252 ff. Allgemein zu den Auswirkungen auf das Arbeitsrecht - vgl. Dieterich, RdA 1995, 129, 130 f. und 133 ff.; Fastrick, RdA 1997, 65, 66 ff. 85 Dieterich, Festschrift für Schaub, S. 117, 125; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 585 f. schließen eine Übertragung der Bürgschaftsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich auf „VerbandstarifVerträge" aus, weil zwischen den Koalitionen eine prinzipiell ausgeglichene Verhandlungsstärke besteht. Ähnlich Schliemann, ZTR 2000, 198, 203 und 206. Vgl. zudem Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 223. Siehe auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 8 zum Kontrollerfordernis bei bestehender Imparitätslage. Das BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 397 verpflichtet den „Gesetzgeber zu paritätswahrenden Maßnahmen, wenn „strukturelle Ungleichheiten zwischen den Tarifvertragsparteien" drohen, „die ein ausgewogenes Aushandeln der Arbeits- und Wirt-
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werkschaft aus den eingangs dargestellten Gründen strukturell unterlegen. Hinzu treten die besonderen Umstände des Zustandekommens des Firmentarifvertrages, genauer gesagt seine streikrechtliche Erzwingung. Nutzt die Arbeitnehmerseite die Zwangslage zu einer ungewöhnlich stark belastenden, einseitigen Ausrichtung des FirmentarifVertragsinhalts aus, so muss eine erweiterte Inhaltskontrolle zugelassen werden. Diese Überlegungen haben vor Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Bestand, denn mangels paritätischen Verhandlungsgleichgewichts liegen die Funktionsvoraussetzungen der Tarifautonomie nicht vor. Das in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerte Konzept staatlicher Kontrollzurückhaltung ist gescheitert, wenn der Inhalt des Firmentarifvertrages nicht das Ergebnis des freien Spiels der Kräfte widerspiegelt, sondern auf die strukturelle Überlegenheit eines Sozialpartners zurückzuführen ist. 86 In dieser Situation fällt die Aufgabe, eine sach- und interessengerechte Arbeitsordnung sicherzustellen, an den Sozialstaat und insbesondere an die Arbeitsgerichte zurück. Ein die Imparität korrigierender Eingriff des Richters bedingt keine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebotes. 87 Zwar stellt die erweiterte Rechtskontrolle die Arbeitsgerichte vor praktische Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung. Gleichwohl dürfen sie sich ihrem Rechtsschutzauftrag wegen tatsächlicher Prüfungserschwernisse nicht entziehen.88 Demzufolge ist der staatliche Richter zu einer verantwortlichen
schaftsbedingungen nicht mehr zulassen". Diese paritätswahrende Schutzverpflichtung gilt auch für die Arbeitsgerichte bei der Anwendung einfachen Gesetzesrechts. 86 Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 123; vgl. auch Belling, NZA 1996, 906, 910; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9 GG Rn. 292. 87 Zwar unterliegen Tarifverträge nach dem neu gefassten § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht der Klauselprüfung gemäß §§ 305 ff. BGB. Daraus ergeben sich indes keinerlei Einwände gegen eine am Inhalt des Tarifvertrages anknüpfende „Rechtskontrolle". Der § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB schließt lediglich eine Überprüfung tariflicher Normen am Maßstab der Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen aus. Hierdurch kommt der gesetzgeberische Wille mittelbar zum Ausdruck, dass im Hinblick auf kollektivarbeitsvertraglich geschaffene Rechtsnormen keine Angemessenheitskontrolle stattfinden soll. Einer Überprüfung der Tarifverträge am Maßstab höherrangiger Rechtssätze - insbesondere des zwingenden Gesetzesrechts und der Verfassung - steht § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht entgegen. 88 Vgl. BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 234. Nach BAG vom 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf kann sich „der Richter der Aufgabe, das Verhandlungsgleichgewicht jedenfalls im Grundsatz zu sichern, nicht entziehen". Eine parallele Problematik stellt sich bei der Überprüfung der Zumutbarkeit tarifvertraglicher Regelungsinhalte im Rahmen der Rechtfertigung einer außerordentlichen Tarifkündigung. In diesem Kontext weist Löwisch, NJW 1997, 905, 909 daraufhin, dass die Arbeitsgerichte durch eine entsprechende Kontrolltätigkeit keineswegs überfordert sind. Keinerlei Aussagekraft hat das von Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 208 vorgetragene historische Argument, dass eine Inhaltskontrolle aus tarifgeschichtlicher Sicht der Tarifautonomie widerspreche. Die Tarifautonomie unterliegt der Begrenzung durch
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Inhaltsprüfung verpflichtet. Entlastet werden die Gerichte angesichts der Darlegungs- und Beweisführungslast des Arbeitgebers. Nur wenn sich aus seinem Vortrag Anhaltspunkte für ein einseitiges Tarifdiktat der Gewerkschaft ergeben, muss eine intensivierte Rechtskontrolle stattfinden. Ob das erzielte Vertragsergebnis tatsächlich Ausdruck einer strukturellen Unterlegenheit des kleinen Arbeitgebers ist und zu einer nicht rechtfertigbaren Schlechterstellung führt, muss im Wege eines Abwägungsvorgangs ermittelt werden, in den insbesondere auch die Begleitumstände des Zustandekommens des FirmentarifVertrages einfließen müssen. Als Orientierung für die Bewertung der einseitig starken Belastung des ohnmächtigen Arbeitgebers eignet sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur tariflichen Rechtskontrolle auf Arbeitnehmerseite, die einer Tarifnorm die rechtliche Wirksamkeit versagt, wenn sie zu einer "grundlegenden Schlechterstellung von Arbeitnehmern im Vergleich zu sachlich vertretbaren Lösungen führt". 89 Kein strengerer Maßstab darf zu Lasten des kleinen Arbeitgebers gelten. Als denkbarer Vergleichsmaßstab kommt der im jeweiligen Tarifgebiet geltende Branchentarifvertrag in Betracht, wobei nähere Einzelheiten im Rahmen der Analyse einer zwangsweisen Durchsetzung der inhaltlichen Verweisungsklausel dargestellt werden sollen. 90 Mit der Gestattung einer an der Imparitätslage orientierten Rechtskontrolle wird auf firmentarifVertraglicher Ebene keine allgemeine Billigkeits- und Angemessenheitsprüfung eingeführt. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte herauszufinden, ob der erzielte Firmentarifkompromiss eine optimale Verteilung der sozialen Risiken beinhaltet. Vielmehr sollen durch die hier befürwortete Kontrolltätigkeit lediglich exzessive gewerkschaftliche Tarifdiktate verhindert werden. 91 In Konsequenz der imparitätsorientierten, erweiterten Rechtskontrolle kann einzelnen, besonders nachteiligen FirmentarifVertragsklauseln andere Rechtsgrundsätze und insbesondere den Vorgaben des Paritätsprinzips. Grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren der Tarifautonomie ist das Vorliegen eines annähernd kongruenten Verhandlungsgleichgewichts. Entgegen Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 209 hat es auch keinen Sinn, den Willen der FirmentarifVertragsparteien zu respektieren, wenn dieser auf Arbeitgeberseite mangels Mächtigkeit nicht frei gebildet wurde. * 9BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu §611 BGB Ausbildungsbeihilfe; siehe auch Mangen,, Anm. zu BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226. Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA §1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2 diskutiert eine allgemeine „Machtmissbrauchskontrolle". 90 Siehe unten § 14 A IV und § 14 B. 91 Einer Tarifzensur wird damit nicht das Wort geredet - vgl. dazu auch Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226.
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die rechtliche Wirksamkeit versagt werden. Eine Gesamtnichtigkeit des Tarifwerkes ist nur dann anzunehmen, wenn der rechtskonforme Resttarifvertrag nach objektiver Betrachtung keine sinnvolle Anwendung mehr findet.
cc) Vorteile einer an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle Der Lösungsansatz einer an die Imparitätslage angepassten, erweiterten Rechtskontrolle akzeptiert unvoreingenommen die denkbare soziale Ohnmächtigkeit des kleinen Arbeitgebers. Im Vergleich zu den alternativen Korrekturvorschlägen gelingt dieser Konzeption eine sachgerechte, einzelfallbezogene Berichtigung der fehlenden arbeitgeberseitigen Durchsetzungsfähigkeit. Vorzugswürdig ist eine Rechtskontrolle schon deswegen, weil sie eine nachträgliche richterliche Befassung ermöglicht. 92 Demgegenüber würde die gerichtliche Erörterung der Tarif- oder Arbeitskampffähigkeit zu einer staatlichen Einmischung in laufende Firmentarifkonflikte führen. Der wesentliche Nachteil jener Ansätze liegt zudem darin, dass sie den kleinen Unternehmer pauschal von jeder tariflichen beziehungsweise arbeitskampfrechtlichen Inanspruchnahme freistellen. Mit dem hier favorisierten Vorschlag gelingt indes eine flexible Bewertung firmentarifvertraglicher Imparitätslagen, indem die Kontrollintensität an die jeweilige Ungleichgewichtslage angepasst wird. Grundsätzlich bleibt der kleine Arbeitgeber damit den Gewerkschaften als vollwertiger Sozialpartner erhalten.
dd) Ergebnis Eine imparitätsorientierte, nachträgliche Rechtskontrolle ist somit notwendig, aber gleichzeitig hinreichend, um nicht durchsetzungsfähige Kleinunternehmen effizient vor einseitigen Tarifdiktaten der Gewerkschaft zu schützen. Damit unterliegen auch kleine Arbeitgeber dem arbeitskampfrechtlichen Konfliktlösungssystem. Somit ist sowohl das Streik- als auch das Aussperrungsrecht auf firmentarifvertraglicher Ebene umfassend gewährleistet.
§ 14 Erkämpfbarkeit einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages Nach der allgemeinen Ableitung der Arbeitskampfbefiignisse auf firmentarifvertraglicher Ebene soll nunmehr gezielt nach der Erkämpfbarkeit typischer Klauseln des Anerkennungstarifvertrages gefragt werden. Weil die Initiative 92
Zeuner, Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 727, 732.
§ 14 Erkämpfbarke it einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages
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zum Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages vornehmlich von der Gewerkschaftsseite ausgeht, werden die kampfrechtlichen Problemlagen im Kontext des Streikrechts dargestellt. Für die Zulässigkeit der Aussperrung gelten identische Maßstäbe.
A. Statische und dynamische Globalverweisungsklausel Die tarifpraktische Bedeutung des Anerkennungstarifvertrages hängt entscheidend davon ab, inwieweit die inhaltlich statische und die inhaltlich dynamische Verweisungsklausel auf dem Streikweg durchgesetzt werden können. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass alle tariflich regelbaren Angelegenheiten auch arbeitskampfrechtlich erzwingbar sind, sofern nicht höherrangige Rechtssätze entgegenstehen.93 Es wurde bereits herausgearbeitet, dass sowohl statische als auch dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen keinen tarifrechtlichen Einwänden unterliegen. 94 Das deutet daraufhin, dass die Bezugnahmeklausel zulässiger Gegenstand einer Tarifauseinandersetzung auf firmentarifvertraglicher Ebene ist. Dennoch bedarf es einer näheren Analyse einzelner kampfrechtlicher Problemlagen.
I. Rechtscharakter der Verweisungsklausel Bedenken gegen eine Streikfuhrungsbefugnis können sich aus dem Rechtscharakter der Verweisungsanordnung ergeben. Erkämpfbar sind dem Grunde nach nur normative oder obligatorische Tarifabreden. 95 Die Verweisungsklausel ist für sich betrachtet weder als rein normative noch als obligatorische Regelung zu qualifizieren. 96 Da sich die Inkorporationswirkung indes auf normative oder obligatorische Tarifvertragsbestimmungen erstreckt, kämpfen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages zumindest mittelbar um tarifvertragstypische 93
BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1010; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 34 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 261; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 255; Wohlgemuth , BB 1983, 1103, 1105; siehe dazu aber auch Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 6 und 9; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 344, 1069 und 1073; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 12. 94 Siehe dazu oben § 5 A und § 6 A. 95 Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 260; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1069 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 14 und 16; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 4 und 18; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 152. 96 Siehe dazu oben § 4 F I.
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Regelungsgegenstände. Der besondere Rechtscharakter der Verweisungsklausel steht ihrer Erkämpfbarkeit somit nicht im Weg.
II. Ultima-ratio-Prinzip Gewichtigere Rechtsfragen wirft das arbeitskampfrechtliche ultima-ratioPrinzip auf. 97 In seiner grundlegenden Entscheidung vom 09.04.1991 zur streikweisen Durchsetzung einer anerkennungstarifvertraglichen Übernahme des_ Verbandstarifhiveaus hat das Bundesarbeitsgericht aus dem ultima-ratioPrinzip die Verpflichtung der streikftihrenden Gewerkschaft abgeleitet, dem Außenseiterarbeitgeber vor Beginn der Kampfhandlungen die erhobenen Tarifforderungen explizit zu benennen.98 Zwar handelt es sich bei den höchstrichter-
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Allgemein zur Geltung des ultima-ratio-Grundsatzes - vgl. BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1147 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 22 und 170.2 Rn. 108 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 88 ff; Richardi, Festschrift ftir Molitor, S. 269, 271 ff; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 197; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 460 f. 98 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zudem BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Ebenso Berg,, ArbuR 2001, 393, 397; Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 118 f.; Buchner, NZA 1994, 2, 8; ders., NZA 1995, 761, 767; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1013; Gaumann/Schafft, NZA 2001, 1125, 1131; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138 und 140; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 305 und 320; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift fur Kissel, S. 653, 660 und 664 ff; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 108; Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 125; Otto, in Münchener-Hdb, §285 Rn. 68; Seiter, Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 136 ff; Weber, ZfA 1992, 527, 596 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 464. Auch das LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40 akzeptiert diesen Grundsatz. Anders Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 342, der sich jedoch zu Unrecht auf das Bundesarbeitsgericht beruft. Zu einer denkbaren Absenkung der Anforderungen an die gewerkschaftliche Unterrichtungspflichten im Falle einer anerkennungstarifvertragsbezogenen Bestreikung so genannter „OT-Mitglieder" - vgl. Ostrop, Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, S. 126 f.
§ 14 Erkämpfbarke it einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages
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liehen Ausführungen zum Anerkennungstarifkonflikt um ein obiter dictum." Andere Entscheidungen verdeutlichen gleichwohl, dass das vorbereitende Mitteilungsgebot zu den essentiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen jeder arbeitskampfweisen Konfliktlösung zählt. 100 Durch die Bekanntgabe der TarifForderungen wird dem Arbeitgeber Gelegenheit gegeben, die anvisierten Regelungsinhalte auf ihre Sachgerechtigkeit zu prüfen. Für seine Entscheidung, ob er die gewerkschaftlichen Forderungen akzeptieren oder sich gegen sie arbeitskampfrechtlich zur Wehr setzen soll, benötigt er eine sachdienliche Kalkulationsgrundlage. Allein aufgrund der bloßen Kenntnis vom gewerkschaftlichen Anerkennungsverlangen kann sich der Arbeitgeber kein Bild über die angestrebten Tarifbedingungen machen. Es ist unzureichend, wenn die streikwillige Arbeitnehmervereinigung mit der schlichten Forderung an den Arbeitgeber herantritt, das regionale Flächentarifhiveau zu übernehmen. Vielmehr muss sie im Anerkennungstarifkonflikt den Inhalt des zu übernehmenden VerbandstarifVertrages mitteilen. In seiner Entscheidung vom 09.04.1991 führt das Bundesarbeitsgericht explizit aus, dass die Rechtssicherheit dafür spreche, jedem bestreikten Außenseiterarbeitgeber die angestrebten „Lohnerhöhungen" gesondert mitzuteilen. Damit plädiert es unverkennbar für eine Bekanntgabe der in Bezug zu nehmenden Regelungsinhalte.101 Erst hierdurch erschließen sich die firmentarifvertraglich anvisierten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.
1. Statische Verweisung Fordert die Gewerkschaft eine statische Übernahme des VerbandstarifVertrages, so ist ihr die Wahrung des ultima-ratio-Prinzips unproblematisch möglich,
99 Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 304; Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 133; Weber, ZfA 1992, 527, 596; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 339; vgl. auch Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 656. 100 BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe zudem LAG Hamm vom 21.08.1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. 101 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. In diesem Sinne auch Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130 und 132; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667 und 670; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f. Im Anerkennungstarifkonflikt, welcher der Entscheidung des BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form zu Grunde lag, wurde von der Gewerkschaft vor Einleitung der Kampfmaßnahmen ein Femschreiben mit dem Inhalt des Bezugstarifvertrages an den Einzelarbeitgeber übersandt. Vgl. dazu Birk, ArbuR 1977, 235, 236.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
indem sie dem Arbeitgeber den Regelungsgehalt des feststehenden Bezugnahmeobjektes zugänglich macht. 102 Somit kann der Kampfadressat sinnvoll kalkulieren, welche Auswirkungen die Übernahme der Verbandstarifbestimmungen für die wirtschaftliche Entwicklung seines Unternehmens zeitigt.
2. Dynamische Verweisung Schwieriger ist hingegen die Frage zu beantworten, inwieweit eine dynamische Bezugnahme der streikrechtlichen Durchsetzung unterliegt. Selbst wenn die Arbeitnehmervereinigung das im Konfliktzeitpunkt gültige Verbandstarifabkommen zur Grundlage der tariflichen Auseinandersetzung macht, stehen angesichts der Dynamik der Verweisung die umkämpften Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht unabänderlich fest. Lieb schlussfolgert daraus, dass „ein Verzicht auf die eigene, eigenverantwortlich auszuübende Regelungsmacht ... nicht unter Streikdruck verlangt werden" kann. 103 Trotz der zwangsweisen Durchsetzung einer „verdeckten inhaltlichen Kompetenzverlagerung" 104 sind die Bedenken Liebs unbegründet. 105 Es muss Berücksichtigung finden, dass jeder dynamischen Verweisung anfangs eine statische Bezugnahmewirkung zu Grunde liegt. 106 Zunächst soll lediglich der schriftlich fixierte Inhalt des aktuell maßgebenden Verbandstarifvertrages auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene Anwendung finden. Die Inkorporations102
Nach allgemeiner Auffassung verstößt ein Streik um die Anerkennung eines bereits abgeschlossenen VerbandstarifVertrages nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip - vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351 und § 3 TVG Rn. 35; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 667 f.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139; vgl. auch den Sachverhalt von BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe zudem BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form. 103 Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 670; vgl. auch Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507 f. 104 Zu diesem Begriff- vgl. Baumann, RdA 1987, 270, 273; Blomeyer, ZfA 1980, 1, 68; Braun, BB 1986, 1428, 1430; Gröbing, ArbuR 1982, 116, 117; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebs Vereinbarungen, S. 80 ff.; Säcker/Oetker, RdA 1992, 16, 20; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. Näheres zu dieser Problematik siehe oben § 6 A IV 1 b. 105 Kritisch gegenüber der Auffassung von Lieb äußern sich Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f. 106 Iffland, DB 1964, 1737, 1738; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 102 f.; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 62; vgl. zudem Buchner AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 111.
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Wirkungen sind also vorerst kalkulierbar. Anhand der im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages geltenden Fassung des Bezugstarifwerkes kann der Arbeitgeber prognostizieren, ob die antezipierende Anerkennung des Verbandstarifiiiveaus langfristig zu sinnvollen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Außenseiterunternehmen führen wird. Bereits im Rahmen der Analyse der dynamischen Verweisung wurde herausgearbeitet, dass dem Arbeitgeber auf der Basis des ursprünglich fixierten VerbandstarifVertrages eine eigenverantwortliche Bewertung der künftigen Verweisungsfolgen zugemutet wird. 1 0 7 Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass es im Zeitpunkt der Auseinandersetzung keineswegs feststeht, ob später tatsächlich eine Dynamisierung der Tarifbedingungen erfolgen wird. Im Zentrum des Konflikts steht zunächst die prinzipielle Forderung nach Abgabe der Anerkennungserklärung. Führen zukünftige Änderungen des bezogenen VerbandstarifVertrages zu unzumutbaren Belastungen, dann steht dem anerkennenden Arbeitgeber das außerordentliche Kündigungsrecht zur Verfügung. 108 Mit dieser nachträglichen Korrekturmöglichkeit wird das ursprüngliche Defizit an Vorhersehbarkeit kompensiert. Aus Sicht des ultima-ratio-Prinzips ist es folglich hinreichend, wenn die Gewerkschaft den Arbeitgeber vor Streikbeginn mit der Forderung nach dynamischer Übernahme des Verbandstarifiiiveaus konfrontiert und ihm gleichzeitig die zu diesem Zeitpunkt gültige Fassung des Bezugstarifvertrages vorlegt. 109
107
Siehe oben § 6 A IV 2 b aa. Siehe dazu unten § 15 A III 2 a cc. 109 Unter dem Blickwinkel des ultima-ratio-Prinzips bestehen erhebliche Bedenken gegen die Erstreikbarkeit der Anerkennungstarifforderung, wenn die Gewerkschaft während eines laufenden Verbandsarbeitskampfes parallel an einen Außenseiterarbeitgeber mit der Forderung herantritt, sich bereits „vorab" dem noch auszuhandelnden VerbandstarifVertrag zu unterwerfen. In dieser Konstellation hat der betroffene Außenseiterarbeitgeber keine Kenntnis vom späteren Regelungsgehalt des Bezugsobjektes. Aus diesem Grund widerspricht die herrschende Auffassung - vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130 ff.; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 667 ff; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 136 ff. - der Erkämpfbarkeit einer blanko Vorabunterwerfung. Lediglich Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008 plädiert für die streikrechtliche Durchsetzung einer „Blankettvorabunterwerfung", und rechtfertigt dies damit, dass dem Außenseiterarbeitgeber im Regelfall zumindest diejenigen Tarifforderungen bekannt sind, mit denen die Gewerkschaft in die VerbandstarifVerhandlungen eingetreten ist. An dieser Stelle sollen die unterschiedlichen Standpunkte nicht vertieft werden, weil sie ohnehin im Rahmen der Bewertung der anerkennungstarifVertraglichen „Vorabunterwerfungsklausel" aufgegriffen werden - vgl. unten § 14 C II 1. 108
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
III. Negative Koalitionsfreiheit Es ist das erklärte Ziel der Gewerkschaften, mit dem Gestaltungsinstrument des Anerkennungstarifvertrages die Verbandsflucht der Arbeitgeber einzudämmen und die Attraktivität des Firmentarifvertrages im Vergleich zum Flächentarifvertrag zu negieren. 110 Mit der Durchsetzung der statischen oder gar dynamischen Verweisung gelingt es der Arbeitnehmervereinigung, den nicht koalitionswilligen Arbeitgeber in inhaltlicher Hinsicht mit den verbandsangehörigen Unternehmen gleichzustellen. Trotz der Konfrontation mit identischen Tarifforderungen muss der Außenseiterarbeitgeber den Arbeitskampf ohne finanzielle und juristische Verbandsunterstützung durchstehen, was die Frage aufwirft, ob die gewerkschaftliche Streikführung einen gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßenden Koalitionszwang erzeugt.
1. Negative Koalitionsfreiheit und Streikdruck Allein der Umstand, dass der nicht koalitionswillige Arbeitgeber den Arbeitskampf - anders als verbandsangehörige Unternehmen - ohne Unterstützungsleistungen der Arbeitgebervereinigung durchstehen muss, tangiert seine negative Koalitionsfreiheit nicht in rechtserheblicher Weise. 111 Finanzielle Belastungen sind jeder arbeitskampfweisen Konfliktlösung immanent. 112 Mit dem Verzicht auf eine koalitionsmäßige Einbindung aktualisiert der streikbetroffene Arbeitgeber seine negative Koalitionsfreiheit. Folgerichtig muss er auch die aus seinem Fernbleiben resultierenden tarif- und arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen tragen. Mit ihrem firmentarifvertragsbezogenen Streikvorgehen respektiert die Gewerkschaft gerade die Außenseiterstellung des Arbeit-
110 Siehe hierzu Bremkamp, Die Flexibilisierung des deutschen Tarifvertragssystems, S. 329 und 331; Pfarr, ZTR 1997, 1, \ , Schaub, BB 1996, 2998, 2300; ders., NZA 1998, 617, 618; Schroeder/Ruppert, Austritte aus den Arbeitgeberverbänden, S. 28 f.; Unterhinninghofen, AiB 1999, 205, 206; ders., Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001,372, 372. 111 Vgl. Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 245 Rn. 55. Die negative Koalitionsfreiheit begründet kein Recht des Nichtorganisierten auf Gleichbehandlung mit den Organisierten - vgl. BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; Höfling, in Sachs, Art. 9 GG Rn. 65 und 119; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290; Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 18; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 33 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 277; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120. 112 Vgl. von Hoyningen-Huene, JuS 1990, 298, 300; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 232; Schräder, Durchsetzungsfähigkeit, S. 206 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 536; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form.
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gebers. Somit steht der zur Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages entfaltete Streikdruck mit Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG in Einklang.
2. Negative Koalitionsfreiheit und Inhalt der Streikforderung Selbst wenn von der inhaltlichen Ausrichtung der Streikforderung ein Anreiz zum Beitritt zur Arbeitgebervereinigung ausgeht, begründet dies keine grundrechtsrelevante Zwangslage. Im Firmentarifkonflikt kann die Gewerkschaft ihre Tarifforderungen autonom aufstellen. Erachtet sie es für sinnvoll, ihren im kampfbetroffenen Unternehmen beschäftigten Mitgliedern das Verbandstarifniveau firmentarifVertraglich abzusichern, so ist diese Willensentscheidung anzuerkennen. Die negative Koalitionsfreiheit verbürgt dem Arbeitgeber keine Rechtsgarantie, nur mit speziell auf das Unternehmen zugeschnittenen Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen konfrontiert zu werden. Dass von der inhaltlichen Ausrichtung der Anerkennungsforderung regelmäßig kein unstatthafter Koalitionszwang ausgeht, bestätigt folgende Überlegung: Der Gewerkschaft steht es frei, über dem Verbandstarifniveau liegende Tarifbedingungen einzufordern. 113 Je kosten- und verwaltungsintensiver die gewerkschaftlichen Regelungsbegehren werden, um so eher wird der Arbeitgeber über einen Beitritt zur Arbeitgebervereinigung nachdenken. Vor solchen reflexartigen Anreizen schützt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch nicht, weil dem Außenseiter die negative Beitrittsfreiheit uneingeschränkt erhalten bleibt und etwaige Mehrbelastungen die logische Folge seiner fehlenden Koalitionswilligkeit sind.
3. Negative Koalitionsfreiheit und Selbstgestaltungsbefugnis Nach Thüsing folgt aus dem Recht des Arbeitgebers zum Fernbleiben von der Koalition „das Recht, den Inhalt des Firmentarifvertrages eben nicht durch den Verband, sondern selbst in eigener Verhandlung zu bestimmen". 114 Die Überzeugungskraft dieser pauschalen Aussage ist fragwürdig. Ungenau ist bereits der Ansatz der These. Auch wenn die inhaltliche Anlehnung an den fremden Verbandstarifvertrag im Wege des Streiks durchgesetzt wird, so sind es noch immer die Parteien des Anerkennungstarifvertrages, die über die Inkorporati-
113
Vgl. Böhm, NZA 1994, 497, 498; Molitor, Festschrift für Schaub, S. 487, 491; Schaub, in ErfKom, § 2 TVG Rn. 14; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139; vgl. auch Hensche, ArbRGew 34 (1997), 35, 48; Unterhinninghofen, AiB 2000, 31, 33. 114 Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; ähnlich Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 508.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
onswirkung entscheiden. Maßgebende Bestimmung ist die Verweisungsanordnung und nicht die Regelung, auf die verwiesen wird. 1 1 5 Aber auch grundrechtsdogmatisch wird die Argumentation Thüsings der Problematik nicht gerecht. Er versucht, aus der negativen Grundrechtsgarantie „positive" Rechtsgewährleistungen abzuleiten. 116 Richtigerweise verbürgt die negative Koalitionsfreiheit aber keinen firmentarifVertragspezifischen Regelungsfreiraum, sondern schützt den Außenseiter lediglich vor einem unmittelbaren oder mittelbaren Zwang zum Koalitionsbeitritt. 117 Zu Recht hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG keineswegs eine inhaltliche Unterstellung des Außenseiterarbeitgebers unter Tarifbedingungen fremder Sozialpartner verbietet. 118 Es muss also korrekterweise danach gefragt
115
Das akzeptiert auch Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138. Siehe dazu Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Dietz, Festschrift fur Nipperdey, S. 141, 156; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01. 1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. 116 Der Umkehrschluss, den Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S.138 aus der Argumentation zieht, dass verbandsangehörige Arbeitgeber kraft der „positiven" Koalitionsfreiheit nicht mit dem Ziel eines Firmentarifvertrages bestreikt und Tarifentscheidungen daher ausschließlich durch den Arbeitgeberverband wahrgenommen werden dürfen, ist zweifelhaft - vgl. LAG Düsseldorfern 31.07.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21; LAG Hamm vom 08.08.1985, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 18; LAG Köln vom 14.06.1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 606 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1007; Hensche, RdA 1971, 9, 11 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517, 535; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 464 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252 f.; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 100; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 133; Stein, RdA 2000, 129, 138 f.; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 203; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 22 f.; anderer Auffassung LAG Schleswig-Holstein vom 25.11.1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 261 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Matthes, Festschrift für Schaub, S. 477, 482 f.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101 ff; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Schleusener, NZA 1998, 239, 242 f.; siehe auch Thüsing, NZA 1997, 294, 294. 117 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 38; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 376 f.; Wiedemann, in Wiedemann, Einleitung Rn. 294; siehe zudem Schubert, RdA 2001, 199, 205 ff Allgemein zum Schutzumfang der negativen Koalitionsfreiheit - vgl. BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 352; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 1, 22; BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 948; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; vgl. zudem BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 118 BVerfG vom 14.06.1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; vgl. BVerfG vom 24.05.1977, BVerfGE 44, 322, 352; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 21 f.; BVerfG vom 10.09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; Däubler, ZIP 2000, 681, 686.
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werden, ob die Anerkennungsforderung einen sozialinadäquaten Organisationszwang erzeugt.
a) Statische Verweisung Aus der streikrechtlichen Durchsetzung einer statischen Verweisung resultiert kein grundrechtswidriger Beitrittsdruck. Eine inhaltliche Fremdbestimmung liegt schon deswegen nicht vor, weil der Arbeitgeber die fixierten Verbandstarifbedingungen auf ihre Sachgerechtigkeit prüfen und sodann - wenn auch unter Streikdruck - selbst über deren Anerkennung entscheiden kann. Die statische Inkorporation erspart lediglich das Abschreiben der Verbandstarifbedingungen. Der Gewerkschaft steht es jederzeit frei, mit ausformulierten, inhaltlich identischen Tarifforderungen an den Arbeitgeber heranzutreten. Weil Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch kein Recht auf unternehmensspezifische Tarifgestaltung garantiert, scheidet eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit aus. Aus diesem Grund hat das Bundesarbeitsgericht, welches sich im Urteil vom 09.04.1991 mit der kampfweisen Durchsetzung einer statischen Übernahme des Verbandstarifkompromisses befasste, keine Veranlassung zur Erörterung der negativen Koalitionsfreiheit gesehen.119
b) Dynamische Verweisung Diskussionswürdig erscheint hingegen die Frage, ob von der Erstreikung einer dynamischen Verweisung ein inadäquater Koalitionszwang ausgeht. Der rechtliche Ansatz für eine Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG tangierende Zwangslage ergibt sich aus folgendem Gedankengang: Mit der Blankettbezugnahme bindet sich der anerkennende Arbeitgeber inhaltlich an alle Nachfolgetarifabschlüsse, die sich an den ursprünglich in Bezug genommenen VerbandstarifVertrag anschließen. Zumindest zukünftig unterliegen die Firmentarifbedingungen damit einer mittelbaren Fremdbestimmung durch die Parteien des bezogenen Tarifvertrages. Den Verlust des inhaltlichen Gestaltungseinflusses kann der Außenseiterarbeitgeber zum Anlass nehmen, um über einen Verbandsbeitritt nachzudenken. Durch einen Koalitionsanschluss erlangt er unmittelbaren Einfluss auf die Ausgestaltung der künftigen Verbandstarifbedingungen, an die er bereits durch die dynamische Verweisung gebunden ist. Somit bedingt das Interesse an der Selbstbestimmung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einen mittelbaren Koalitionszwang. 120 119
BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Im Ansatz ähnlich Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; vgl. auch Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667. Allgemein zu dieser Proble120
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Der mittelbare Beitrittsdruck bewirkt allerdings nur dann einen grundrechtswidrigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit, wenn er Ausdruck einer sozialinadäquaten Zwangssituation ist. 121 Unter Abwägung der Gesamtumstände hält sich der von der dynamischen Verweisung ausgehende mittelbare Koalitionsdruck im Rahmen der Sozialadäquanz. Zunächst muss Beachtung finden, dass der anerkennende Arbeitgeber keinesfalls dauerhaft dem fremdbestimmten Einfluss der Verbandssozialpartner ausgeliefert ist. Als „Herr" der Verweisung steht ihm die ordentliche und im Falle einer unzumutbaren Verbandstarifentwicklung die außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages offen. 122 Der Beitritt zur Arbeitgebervereinigung ist damit nicht der einzige Ausweg, um die inhaltliche Selbstgestaltungsbefugnis zurückzuerlangen. Darüber hinaus ergeben sich aus der Fremdbestimmung durchaus positive Folgewirkungen. Denn der Arbeitgeber kann künftig an der Verhandlungsführung des Arbeitgeberverbandes partizipieren, ohne während der Laufzeit seines Anerkennungstarifvertrages weitere arbeitskampfrechtliche Auseinandersetzungen befürchten zu müssen.123 Tritt er hingegen der Arbeitgebervereinigung bei, steht seiner Einbeziehung in die Verbandstarifkonflikte nichts entgegen. Angesichts dieser arbeitskampfrechtlichen Konsequenzen wird er einem Koalitionsanschluss eher zurückhaltend gegenüberstehen. Mit dem Verbandsbeitritt ist außerdem ein finanzieller und organisationsrechtlicher Pflichtenstatus verbunden. Der Arbeitgeber muss sich an der Auf-
matik - siehe Schubert, RdA 2001, 199, 205 ff, die zutreffend daraufhinweist, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG keinen eigenständigen Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit des Außenseiters verankert, sondern sich auf den Schutz des Fernbleiberechts beschränkt. 121 BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG vom 21.01.1987, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; BGH vom 18.01.2000, NZA 2000, 327, 328; Dörner, in Kasseler-Hdb, 8.1 Rn. 4; Kemper, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 290 (Fn. 636); Schlachter, in ErfKom, Art. 9 GG Rn. 18; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 120; vgl. auch BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 322; BVerfG vom 20.07.1971, BVerfGE 31, 297, 302; BVerfG vom 15.07.1980, BVerfGE 55, 7, 22; BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG. Teile der Literatur kritisieren das Kriterium der Sozialadäquanz als bloße „Leerformel" - vgl. Kroll, Der Außenseiter in der Arbeitsrechtsordnung, S. 27; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 33. 122 Eine Parallele im weiteren Sinne findet sich in der Entscheidung des BVerfG vom 03.07.2000, NZA 2000, 947, 948. In seinem Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit der Nachwirkung argumentiert es maßgebend mit der Möglichkeit des Arbeitgebers, den fortwirkenden verbandstarifVertraglichen Einfluss „selbst" beseitigen zu können. 123 Zur auf die Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages bezogenen Friedenspflicht und zum Verbot einer Einbeziehung in die Verbandsarbeitskämpfe siehe oben § 12 Β I 2 b bb und § 12 Β II 1 b.
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bringung der Beitragszahlungen beteiligen und sich der Willensbildung des Verbandes unterwerfen. Hinzu kommt, dass er seine Mitgestaltungsbefugnis durch einen Verbandsbeitritt nur eingeschränkt verbessert. Auch wenn er infolge des Mitgliedschaftsstatus unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungsführung des Arbeitgeberverbandes erlangt, lassen sich im Regelfall keine unternehmensspezifischen Tarifbedingungen realisieren, weil der Verband seine Verhandlungsfiihrung am Gesamtinteresse aller organisierten Unternehmen ausrichten muss. 124 Im Ergebnis überwiegen die nachteiligen Folgewirkungen des mittelbaren Beitrittsdrucks keineswegs die arbeitgeberseitigen Vorteile einer dynamischen Anbindung an das Verbandstarifniveau. Aus der negativen Koalitionsfreiheit des anerkennenden Arbeitgebers resultieren somit keine Bedenken gegen die Erstreikbarkeit einer dynamischen Bezugnahmeanordnung.
IV. „Kleine64 Arbeitgeber Allerdings stellt sich die Frage, ob die statische und dynamische Verweisungsklausel auch in Kleinunternehmen streikrechtlich durchgesetzt werden darf. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass auch nicht durchsetzungsfähige Unternehmen dem tariflichen Konfliktlösungssystem unterfallen. 125 Allerdings muss eine Gewerkschaft, die ihre strukturelle Überlegenheit ausnutzt, um den kleinen Arbeitgeber mit einseitig belastenden Tarifregelungen zu konfrontieren, mit einer inhaltsbezogenen Rechtskontrolle und infolge dessen mit der Unwirksamkeit einzelner Tarifbestimmungen rechnen. 126 Firmentarifliche Regelungen werden allerdings nur dann mit einem Nichtigkeitsverdikt belegt, wenn sie zu einer „grundlegenden Schlechterstellung" des Arbeitgebers „im Vergleich zu sachlich vertretbaren Lösungen führen". 127 124 Denkbar ist zwar ein unternehmensspezifischer „firmenbezogener Verbandstarifvertrag" - vgl. dazu Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1, 3 ff.; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 504; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 25; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 140 ff.; Wiedemann, , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 51; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 8; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 18 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 371. Die Arbeitgeberverbände haben jedoch regelmäßig kein Interesse daran, zu Gunsten eines neu eintretenden Arbeitgebers unternehmensspezifische, vom Verbandstarifniveau abweichende Tarifbedingungen durchzusetzen. 125 Siehe oben § 13 Β II 3 b. 126 Zur Ableitung einer an die Imparitätslage angepassten, erweiterten Rechtskontrolle siehe oben § 13 Β II 3 c. 127 Zu dieser Nichtigkeitsformel - vgl. BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu §611 BGB Ausbildungsbeihilfe; siehe auch Mangen, Anm. zu BAG vom
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Erkennt der kleine Arbeitgeber die gewerkschaftliche Übernahmeforderung an, ist eine grundlegende Schlechterstellung seines Unternehmens im Regelfall nicht zu besorgen. Als Orientierungsmaßstab für die Bewertung der inhaltlichen Belastungswirkung kann auf das in der jeweiligen Tarifregion einschlägige Branchentarifniveau zurückgegriffen werden. Solange die aus dem erstreikten FirmentarifVertrag resultierenden arbeitgeberseitigen Verbindlichkeiten nicht erheblich über dem auf Verbandsebene geltenden Tarifstandard liegen, besteht kein Anlass, zum Schutz der unterlegenen Tarifvertragspartei korrigierend einzugreifen. Im Falle der anerkennungstarifVertraglichen Anlehnung an das Verbandstarifniveau scheidet eine „einseitige" Schlechterstellung des Außenseiterarbeitgebers schon deswegen aus, weil an der Ausarbeitung des Bezugstarifabkommens eine sozial mächtige Arbeitgebervereinigung mitwirkt hat. Durch die Beteiligung des durchsetzungsfähigen Arbeitgeberverbandes ist sichergestellt, dass die infolge der Inkorporation geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen keinesfalls das Ergebnis eines einseitigen Diktats der Arbeitnehmerseite darstellen. Jene „mittelbare" Verbandsunterstützung bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Firmentarifvertrages rechtfertigt es, eine streikrechtliche Erzwingung der Anerkennungserklärung zuzulassen. Selbst wenn die übernommenen Verbandstarifbedingungen für das kleine Außenseiterunternehmen zu finanziellen Mehrbelastungen führen, müssen diese Nachteile grundsätzlich hingenommen werden. Denn auch kleine verbandsangehörige Firmen werden der Tarifbindung an das jeweilige Verbandstarifergebnis ohne Einschränkungen unterworfen. Regelmäßig orientieren sich die Koalitionen in ihren Tarifvertragsverhandlungen an der durchschnittlichen Leistungskraft der organisierten Unternehmen. 128 In Wahrnehmung der Mitgliederinteressen tragen die Verbände dafür Sorge, dass die ausgehandelten Tarifregelungen ebenfalls in kleineren Unternehmen sinnvolle Anwendung finden können. Verbandstarifbedingungen sind immer nur Mindestbedingungen. 129 Genauso wie verbandsangehörigen Kleinunternehmen muss auch den kleinen, nicht koalitionswilligen Arbeitgebern eine Bindung an einen paritätisch ausgehandelten tariflichen Mindeststandard zugemutet werden. Eine im-
04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226. 128 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 838; vgl. zudem Lieb, NZA 1994, 289, 291 f.; Hromadka, AuA 1996, 289, 290. 129 BAG vom 04.05.1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 08.11.1957, AP Nr. 7 zu § 256 ZPO; BAG vom 18.08.1971, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG vom 05.09.1985, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Besitzstand; BAG vom 16.09.1987, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG vom 10.11.1993, AP Nr. 169 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; vgl. zudem BVerfG vom 18.07.2000, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG; siehe auch Rieble, NZA 2000, 225, 230.
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paritätsorientierte Rechtskontrolle rechtfertigt daher im Regelfall keine Dispensierung von einzelnen bezogenen VerbandstarifVorschriften. Demzufolge ist die anerkennungstarifvertragliche Verweisung auf die verbandstarifVertraglichen Mindestarbeitsbedingungen als „sachlich vertretbare Lösung" zu qualifizieren.
V. Ergebnis Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die inhaltliche Verweisungsanordnung einen zulässigen Gegenstand firmentarifVertragsbezogener Sozialkonflikte darstellt. Für die statische Verweisung ist diese Schlussfolgerung durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.04.1991 bestätigt worden. 130 Im Hinblick auf die Erstreikbarkeit einer dynamischen Verweisung fehlen zwar explizite höchstrichterliche Aussagen. Dennoch kann aus den Entscheidungen zur Zulässigkeit firmentarifvertraglicher Blankettverweisungen darauf geschlossen werden, dass das Bundesarbeitsgericht wohl stillschweigend von ihrer Erkämpfbarkeit ausgegangen ist. 131
B. Statische und dynamische Teilverweisungsklausel Im Hinblick auf die Bewertung einer kampfweisen Durchsetzung anerkennungstarifvertraglicher Teilverweisungen ergeben sich im Vergleich zur inhaltlichen Globalverweisung keine wesentlichen Abweichungen. Nach dem ultimaratio-Prinzip muss die streikwillige Arbeitnehmervereinigung dem Arbeitgeber vor Einleitung der Streikmaßnahmen Gelegenheit geben, inhaltliche Kenntnis von den zu übernehmenden Teilen des VerbandstarifVertrages zu erlangen, damit er die Folgewirkungen der Teilanbindung sachgerecht kalkulieren m
BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Das Schrifttum teilt diese Auffassung - vgl. Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 140; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 351 und §3 TVG Rn. 35; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 269; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 660 und 667 f.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite, S. 173; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139; siehe auch Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 118 f. 131 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG VerweisungstarifVertrag; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. zudem BAG vom 13.02.1990, AP Nr. 45 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. Siehe dazu auch Rieble, in Arbeitsrecht 1999, S. 73, 125.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
kann. 132 Sowohl bei statischen als auch bei dynamischen Teilbezugnahmen ist es hinreichend, wenn vor Kampfbeginn die verbandstarifVertraglichen Regelungskomplexe in ihrer im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages gültigen Fassung zur Verfügung stehen.133 Die streikweise Realisierung einer Teilanbindung an das Verbandstarifhiveau wirft allerdings dann besondere Fragen auf, wenn die Gewerkschaft die fehlende Durchsetzungsfähigkeit eines kleinen Arbeitgebers ausnutzt, um ausschließlich der Arbeitnehmerseite vorteilhafte Regelungskomplexe in den Anerkennungstarifvertrag zu überführen. Fehlt es in der konkreten Tarifsituation an jeglicher Verhandlungsparität, muss sich die Rechtsordnung schützend vor den strukturell unterlegenen Unternehmer stellen, um eine unsachgerechte Lastenverteilung zu verhindern. Keinesfalls notwendig ist es jedoch, die Erkämpfbarkeit von anerkennungstarifvertraglichen Teilverweisungen vollständig auszuschließen. Vielmehr findet die vorgeschlagene, „an die Imparitätslage angepasste, erweiterte Rechtskontrolle" gerade hier ihren zentralen Anwendungsbereich. 134 Missbraucht die Arbeitnehmervereinigung ihre Übermacht zu einer einseitig ausgerichteten Teilunterwerfung des „ohnmächtigen" Arbeitgebers unter das Flächentarifhiveau, liegt hierin eine „grundlegende Schlechterstellung im Vergleich zu sachlich vertretbaren Lösungen", 135 sodass der Gedanke einer staatsunabhängigen Selbstbestimmung nicht mehr trägt. Mithin sind die Arbeitsgerichte gehalten, der teilweisen Inkorporierung einzelner verbandstariflicher Regelungskomplexe im Wege der nachträglichen Rechtskontrolle die rechtliche Anerkennung zu versagen.
C. Vorabunterwerfungsklausel Gewerkschaften haben ein Interesse an der kampfweisen Durchsetzung der anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfungsklausel, weil sie hiermit einen universalen Gleichlauf der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf Firmen- und VerbandstarifVertragsebene auch für die Zukunft sicherstellen. Auf freiwilliger Basis kann sich der Arbeitgeber antezipierend allen künftigen, 132
Siehe dazu oben § 14 A II. Auch für dynamische Teilbezugnahmen ist dies genügend, weil der Arbeitgeber anhand des ursprünglichen Regelungsgehalts der einzelnen Regelungskomplexe auf ihre künftige inhaltliche Entwicklung prognostizieren kann - vgl. dazu oben § 14 A II 2. 134 Zur Ableitung einer an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle siehe oben § 13 Β II 3 c. 135 BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG vom 06.09.1995, AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; Mangen, Anm. zu BAG vom 04.09.1985, AP Nr. 123 zu §611 BGB Gratifikation; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226. 133
§ 14 Erkämpfbarke it einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages
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neuartigen VerbandstarifVerträgen unterwerfen. 136 Ob die Vorabunterwerfung jedoch unter Streikdruck erzwungen werden kann, erscheint zweifelhaft.
I. Rechtscharakter der Vorabunterwerfungsklausel Ist die Vorabunterwerfungsklausel als Vorvertrag auf Abschluss eines späteren Übernahmetarifvertrages zu charakterisieren, dann werden besondere arbeitskampfrechtliche Streitfragen aufgeworfen. 137 Ausschließlich dann, wenn der Vorvertrag nach tarifrechtlichen Grundsätzen zu behandeln ist, unterfallt er dem arbeitskampfrechtlichen Konfliktlösungssystem. 138 Entgegen der von Lembke m vertretenen Auffassung besitzt die Vorabunterwerfungsklausel allerdings die Qualität einer vollwertigen TarifVertragsbestimmung, 140 sodass die Kontroverse keine Relevanz erlangt. Damit steht ihr Rechtscharakter einer Erstreikbarkeit nicht entgegen.
II. Ultima-ratio-Prinzip Zentrale Bedeutung für die arbeitskampfrechtliche Bewertung der anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfung erlangt das ultima-ratio-Prinzip. Konkrete wissenschaftliche Vorarbeiten zur streikrechtlichen Erzwingung einer antezipierenden Unterwerfung unter künftige, neuartige VerbandstarifVerträge existieren nicht. Gleichwohl liefern sowohl Rechtsprechung als auch Rechtslehre wichtige Anhaltspunkte.
136
Siehe oben § 10BI3dbb. Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131. Nach herrschender Auffassung ist der Vorvertrag selbst kein Tarifvertrag - vgl. BAG vom 19.10.1976, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form; BAG vom 25.08.1982, AP Nr. 23 zu § 72a ArbGG Grundsatz; BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu §1 TVG; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 116; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 456 f.; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 373; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 18; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 370; anders Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 266; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 39; Mangen, RdA 1982, 229, 232. 138 Gegen eine Erstreikbarkeit des Vorvertrages - Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 515. Für eine Erstreikbarkeit des Vorvertrages - Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 266; dies., in Münchener-Hdb, § 253 Rn. 39; vgl. auch Wiedemann, Anm. zu BAG vom 26.01.1983, AP Nr. 20 zu § 1 TVG. 139 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131. 140 Ausführlich dazu oben § 10 Β I 2. 137
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1. Streitstand Wie dargelegt, zählt es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu den essentiellen ArbeitskampfVoraussetzungen, dass die streikwillige Arbeitnehmervereinigung vor Einleitung der Kampfmaßnahmen ihre inhaltlichen Regelungsziele ausdrücklich formuliert. 141 Das ultima-ratio-Prinzip verpflichtet zu einer rechtzeitigen Unterrichtung des Arbeitgebers, damit dieser die erhobenen Forderungen analysieren und sodann adäquat auf das gewerkschaftliche Regelungsbegehren reagieren kann. Wertvolle Hinweise lassen sich zudem aus der in der Rechtslehre geführten Diskussion einer verwandten Vorabunterwerfungskonstellation gewinnen. Häufig organisieren Gewerkschaften parallele Arbeitskämpfe auf Verbandsund auf FirmentarifVertragsebene. Im Zentrum des gewerkschaftlichen Regelungsinteresses steht dabei der VerbandstarifVertrag. Mit den unkoalierten Arbeitgebern führen die Gewerkschaften im Regelfall keine gesonderten Tarifverhandlungen, sondern fordern lediglich die firmentarifVertragliche Übernahme des Flächentarifniveaus. 142 In diesem Zusammenhang entzündet sich eine Kontroverse, wenn ein nicht tarifgebundener Außenseiterarbeitgeber während des laufenden Verbandsarbeitskampfes mit der Forderung bestreikt wird, das noch auszuhandelnde Verbandstarifergebnis bereits „vorab" als verbindlich anzuerkennen. 143 Ebenso wie im Falle der anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfungsklausel kennt der bestreikte Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abgabe seiner Anerkennungserklä-
141 BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch BAG vom 21.06.1981, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 21.08.1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt/Main vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. 142 Häuser, Festschrift fur Kissel, S. 297, 318; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 664; ähnlich Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130; vgl. zudem den Sachverhalt von BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zur Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf ohne gesonderte firmentarifVertragsbezogene Verhandlungsfuhrung - siehe BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BGH vom 19.01.1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vom 22.02.1990, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 40. LAG Frankfurt/Main 143 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 317 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 130 ff.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 667 ff.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 135 ff.; vgl. zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 98.
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rung den Regelungsgehalt des noch umkämpften Verbandstarifabkommens nicht. Nach überwiegend vertretener Auffassung verstößt die Erzwingung einer derartigen Vorabunterwerfung gegen das ultima-ratio-Prinzip. 144 Ohne Kenntnis vom Regelungsinhalt des Bezugstarifvertrages könne der bestreikte Arbeitgeber die finanziellen Belastungen für sein Unternehmen nicht sinnvoll prüfen. Thüsing befürchtet die „bedingungslose Kapitulation" des Arbeitgebers, wenn er jeder Möglichkeit einer inhaltsbezogenen Kalkulation beraubt wird. 1 4 5 Lediglich Gamillscheg teilt die Bedenken der herrschenden Lehre nicht. 146 Zwar sei dem parallel zum Verbandstarifkonflikt bestreikten Arbeitgeber der künftige Inhalt des vorab übernommenen VerbandstarifVertrages unbekannt. Regelmäßig habe der Außenseiter aber Kenntnis von den ursprünglichen Tarifforderungen, mit denen die Gewerkschaft in den parallelen Verbandsarbeitskampf eingetreten ist. Daher wisse er zumindest in groben Zügen, um welche Tarifbedingungen im Anerkennungskonflikt gekämpft werde.
2. Übertragung der Stellungnahmen auf die Vorabunterwerfungsklausel des Anerkennungstarifvertrages Die aus dem ultima-ratio-Prinzip resultierenden Bedenken potenzieren sich im Falle der Erstreikung einer anerkennungstarifVertraglichen Vorabunterwerfung. Es ist der streikführenden Gewerkschaft objektiv unmöglich, den inhaltlichen Regelungsgehalt künftiger, neuartiger VerbandstarifVerträge zu konkretisieren. Gerade die Ungewissheit darüber, welche Tariffelder zukünftig auf Flächentarifebene erschlossen werden, veranlasst die Gewerkschaft zur Aufnahme der Vorabunterwerfungsklausel in ihren anerkennungstarifbezogenen Forderungskatalog. Im Gegensatz zur inhaltlich dynamischen Verweisung existiert im Zeitpunkt des Abschlusses des AnerkennungstarifVertrages kein ursprüngliches Bezugnahmeobjekt, auf dessen Basis der Arbeitgeber eine sinnvolle Prognose über die künftige Verbandstarifentwicklung aufbauen kann. Finanzielle und organisatorische Verpflichtungen, die infolge der Vorabunterwerfung auf den bestreikten Arbeitgeber zukommen, sind unvorhersehbar. Mangels Kalkulations-
144
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 131 f.; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; ders., Festschrift für Kissel, S. 653, 667 ff.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 137 f.; vgl. auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 318 ff. 145 Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138. 146 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1008.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
grundlage bleibt die Blankettunterwerfung höchst spekulativ und trägt ein unberechenbares unternehmerisches Risiko in sich. Selbst der von Gamillscheg vorgetragene Lösungsansatz hilft bei der Beurteilung der anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfung nicht weiter. Denn im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Anerkennungstarifvertrages existieren noch keine ausgearbeiteten Gewerkschaftsforderungen über die Erschließung neuartiger Tarifgebiete, auf deren Grundlage eine inhaltliche Vorhersage möglich wäre. Arbeitskämpfe werden nicht um ihrer selbst Willen, 1 4 7 sondern zur Durchsetzung einer sachgerechten Tarifordnung geführt. Fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte für die Bewertung der Sachgerechtigkeit einer Tarifforderung, so ist es dem Gegner unzumutbar, in eine arbeitskampfrechtliche Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. 148 Unter der Prämisse des ultima-ratio-Prinzips ist die Kenntnis von den anvisierten Regelungsanliegen unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Arbeitskampfmaßnahme. Gerade weil soziale Konflikte für den ohne Verbandsunterstützung stehenden Arbeitgeber eine außergewöhnliche Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit bedeuten und erhebliche Vermögensschädigungen hervorrufen, muss er wissen, worum er kämpft. Keineswegs hinreichend ist die Kenntnis von der formalen Konsequenz einer Bindung an künftige, neuartige VerbandstarifVerträge, denn der Unternehmer sieht sich mit zwei unbekannten Faktoren konfrontiert. Neben der Schwierigkeit, die zukünftige Entwicklung seiner unternehmerischen Leistungsfähigkeit sachgerecht einzuschätzen, bleibt für den Arbeitgeber vor allem ungewiss, wann und zu welchen Konditionen von den Verbandstarifparteien neue Tariffelder erschlossen werden. Regelmäßig sind mit der Schaffung neuartiger Tarifverträge zusätzliche finanzielle sowie organisatorische Belastungen für die Arbeitgeberseite verbunden. Jede prognostische Beurteilung ist damit hypothetisch. In diesem Zusammenhang kann der Arbeitgeber keinesfalls auf die „mittelbare" Interessenvertretung durch den mächtigen Arbeitgeberverband verwiesen werden, 149 denn er hat sich gerade gegen eine Verbandsmitgliedschaft entschieden. Zudem sind die Gründe vielschichtig, die die Arbeitgeberkoalition zur Erschließung neuartiger Tarifgebiete veranlassen, sodass die sachliche Recht-
λΑΊ
BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 148 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; Lieb, Anm. zu BAG vom 09.04.1991, SAE 1993, 268, 268; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; vgl. auch Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 668 f. 149 Denkbar ist nur, dass der Außenseiterarbeitgeber den Umstand der „mittelbaren Interessenvertretung" durch den Arbeitgeberverband zum Anlass nimmt, sich „freiwillig" künftigen, neuartigen Verbandstarifverträgen zu unterwerfen.
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fertigung für eine verbandstarifliche Neuregelung auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages keine Parallele finden muss. Gegen die Erstreikbarkeit der Vorabunterwerfung spricht zudem der aus dem ultima-ratio-Prinzip abzuleitende Grundsatz, dass die Konfliktparteien vor Einleitung von Kampfmaßnahmen ihre Tarifforderungen zum Gegenstand von TarifVerhandlungen machen müssen.150 Sinnvolle Einigungsgespräche sind ohne Kenntnis von den inhaltlichen Regelungszielen unmöglich. Es fehlt den Parteien des Anerkennungstarifvertrages jeglicher Spielraum für ein gegenseitiges Nachgeben. Auch nach allgemeiner Betrachtung ist der auf die Vorabunterwerfung ausgerichtete Streik keine erforderliche Kampfmaßnahme. Das ultima-ratio-Prinzip gebietet es, den Einsatz des arbeitskampfrechtlichen Konfliktlösungsinstrumentariums nur als letztes Mittel zur Durchsetzung einer tariflichen Regelung einzusetzen.151 Im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages besteht indes kein aktuelles tarifliches Regelungsbedürfnis. Lediglich für eine ferne Zukunft soll eine Regelungswirkung vorweggenommen werden. Ein solch inaktuelles gewerkschaftliches Gestaltungsanliegen erscheint wenig schutzwürdig. Das gilt insbesondere deshalb, weil es der Arbeitnehmerseite unbenommen bleibt, im Zeitpunkt des Inkrafttretens eines neuartigen VerbandstarifVertrages an den Außenseiterarbeitgeber mit dem Ziel der Anerkennung dieser Neuregelung heranzutreten. Allein die verfahrenstechnische Erleichterung für die Gewerkschaft, den Arbeitgeber nicht nochmals zur Übernahme neuartiger VerbandstarifVerträge zwingen zu müssen, rechtfertigt es
150
BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 21.08.1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139; Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 305; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 69; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 660; ders., Arbeitsrecht, Rn. 662; Weber, ZfA 1992, 527, 596; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 460 f.; siehe zudem Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 109; Richardi, Festschrift für Molitor, S. 269, 287 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 201. Ausnahmen gelten nur, wenn eine Partei Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrages prinzipiell ablehnt - vgl. BAG vom 09.04.1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 151 RAG vom 21.03.1928, ARS 2, 217, 222; BAG (GS) vom 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 22; Richardi, Festschrift für Molitor, S. 269, 283 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 197; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 513; ders., Anm. zu BGH vom 19.01.1978, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21.
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nicht, den Arbeitgeber mit einer Vorabunterwerfung zu konfrontieren und damit grundlegende Arbeitskampfgrundsätze unberücksichtigt zu lassen.
3. Ergebnis Es ist arbeitskampfrechtlich nicht erforderlich, den Arbeitgeber gegen seinen Willen auf unabsehbare Zeit universal an das tarifrechtliche Handeln der Verbandstarifparteien zu binden. Ein streikrechtlicher Zwang zur Unterzeichnung eines firmentarifVertraglichen Blanketts stellt eine Verletzung des ultima-ratioPrinzips und damit der arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsmaxime dar.
III. Negative Koalitionsfreiheit In der Diskussion um die einleitend beschriebene, verwandte Vorabunterwerfiingskonstellation befürworten nahezu alle Stellungnahmen eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers. 152 Dem wird ebenso für die anerkennungstarifVertragliche Vorabunterwerfung zuzustimmen sein. Zu undifferenziert ist allerdings die Berufung Thüsings auf ein Recht des Außenseiters auf Selbstbestimmung der firmentarifVertraglichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. 153 Die richtige Fragestellung kann auch hier nur dahin gehend lauten, ob die Erstreikung der Vorabunterwerfung einen sozialinadäquaten mittelbaren Koalitionszwang im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG entfaltet. 154 Angesichts der universalen inhaltlichen Anbindung an das Verbandstarifniveau verliert der anerkennende Arbeitgeber in Zukunft jeden Einfluss auf die Gestaltung der für sein Unternehmen maßgebenden Tarifbedingungen. Die faktische Zwangslage, die von der Durchsetzung einer anerkennungstarifvertraglichen Vorabunterwerfung ausgeht, ist ungleich stärker als im Falle einer inhaltlich dynamischen Verweisung. 155
152
Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf, S. 139 f.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, S. 138; vgl. auch Häuser, Festschrift für Kissel, S. 297, 322; Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667 f. 153 Siehe oben § 14 A III 3. 154 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132; siehe zudem Lieb, Festschrift fur Kissel, S. 653, 667. 155 Bei der Bewertung der mittelbaren Zwangslage ist zudem zu berücksichtigen, dass die anerkennungstarifVertragliche Vorabunterwerfungsklausel regelmäßig in Kombina-
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Zunächst wird sich der Arbeitgeber zu einem Koalitionsbeitritt veranlasst sehen, um unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgeberverbandes zu erlangen, ob und zu welchen Konditionen neuartige Tariffelder erschlossen werden. Im Gegensatz zur dynamischen Verweisung, bei der sich in Zukunft regelmäßig keine gravierenden Änderungen ergeben, konfrontiert die Vorabunterwerfung den Arbeitgeber mit völlig neuen Zahlungs- und Verhaltenspflichten, die ein erheblich höheres Mitgestaltungsinteresse hervorrufen. Wie Lembke zutreffend erkennt, kommt bei der Vorabunterwerfung ein weiterer entscheidender Koalitionsanreiz hinzu. 156 Weil die Koalitionen über die Erschließung neuartiger Tariffelder ohne Kenntnis des Außenseiterarbeitgebers verhandeln, wird er ohne jede Vorwarnung mit neuartigen VerbandstarifVerträgen konfrontiert. Um diesen Überraschungseffekt zu vermeiden, sieht er sich gezwungen, der Arbeitgebervereinigung beizutreten. Denn nur wenn der Unternehmer rechtzeitige Kenntnis von neuen Verbandstarifprojekten erlangt, kann er die wirtschaftlichen Auswirkungen sachgerecht kalkulieren und seine Unternehmensplanung darauf einrichten. Den Nachteilen, die sich aus der universalen inhaltlichen Fremdbestimmung ergeben, stehen anders als im Falle dynamischer Verweisungen keine kompensierenden Vorteile gegenüber. Der bestreikte Arbeitgeber wird an neuartige Tarifbedingungen gebunden, die er bei Abschluss des AnerkennungstarifVertrages in keiner Hinsicht auf ihre Sachgerechtigkeit prüfen konnte. Fehlt jedoch die Basis für eine zuverlässige Prognose, dann „partizipiert" der Arbeitgeber auch nicht an der Verhandlungsführung des Arbeitgeberverbandes. Allein die Beitragszahlungen werden den Arbeitgeber nicht davon abhalten, der Arbeitgeberkoalition beizutreten, wenn er ohnehin global der tarifgestaltenden Tätigkeit des Arbeitgeberverbandes unterworfen ist. Nach Abwägung der arbeitgeberseitigen Vor- und Nachteile einer anerkennungstarifVertraglichen Vorabunterwerfung sprechen somit die überwiegenden Gründe für eine Inadäquanz des Koalitionszwangs und damit für eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit.
IV. Schlussfolgerung Wegen der Verletzung grundlegender Arbeitskampfgrundsätze darf die anerkennungstarifVertragliche Vorabunterwerfungsklausel nicht mit Streikmaßnahmen durchgesetzt werden. Lediglich auf freiwilliger Basis kann sie zum Gegenstand des Anerkennungstarifvertrages gemacht werden. 157 Solange der
tion mit einer inhaltlich dynamischen Verweisungsanordnung Eingang in den Anerkennungstarifvertrag findet. 156 Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, S. 132. 157 Lieb, Festschrift für Kissel, S. 653, 669.
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anerkennende Arbeitgeber, aus welchen Gründen auch immer, eine langfristige, universale Anbindung der FirmentarifVertragsinhalte an das Verbandstarifhiveau für sinnvoll erachtet, ist sein autonomer Verzicht auf die Vorhersehbarkeit der zukünftigen Verbandstarifentwicklung zu respektieren. 158 Demgegenüber ist es unzulässig, den Arbeitgeber im Wege des Arbeitskampfes zur Preisgabe jeder Vorabbeurteilungsmöglichkeit zu zwingen. Diese Schlussfolgerung widerspricht keinesfalls dem Grundsatz, dass alle tariflich regelbaren Angelegenheiten auch streikrechtlich durchsetzbar sind. 159 Dieser Regelsatz gilt nur unter dem Vorbehalt der Wahrung höherrangiger Rechtssätze. Ein Verstoß gegen das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip und die negative Koalitionsfreiheit bleibt daher ohne Rechtfertigung. Es ist auch nicht zutreffend, dass die mit der Vorabunterwerfung anvisierten Rechtsfolgen unerstreikbar sind. Denn es bleibt der Gewerkschaft unbenommen, im späteren Zeitpunkt des Inkrafttretens eines neuartigen VerbandstarifVertrages die Anerkennung jener Neuregelung durchzusetzen. Lediglich die Streikführung auf „Vorrat" wird einstweilen unterbunden. Im Übrigen muss Beachtung finden, dass die tarifliche Regelbarkeit der Vorabunterwerfungsklausel ohnehin nur aus den Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Rechtsetzung folgt. Ausschließlich weil der einzelne Arbeitgeber eigenverantwortlich in rechtskonformer Weise auf eine sichere Vorhersehbarkeitsgrundlage verzichten kann, ist die Vorabunterwerfung auf fakultativer Basis tariflich regelbar. 160 Demgegenüber ist sie auf Verbandsebene kein zulässiger Vertragsgegenstand, weil die Arbeitgebervereinigung auf das Vorhersehbarkeitserfordernis angesichts der Tarifhormverantwortung gegenüber den mit ihr mitgliedschaftlich verbundenen Unternehmen nicht verzichten kann. Damit betrifft das Auseinanderfallen von Regel- und Erkämpfbarkeit lediglich einen firmentarifVertragsspezifischen Sonderfall und stellt deren Parallelität nicht grundsätzlich in Frage. 161
158
Siehe dazu oben § 10 Β I 3 d bb (1). BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1010; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 34 ff.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 261; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 255; Wohlgemuth , BB 1983, 1103, 1105; einschränkend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 344, 1069 und 1073; Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506, 507; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 12. Zu den Besonderheiten im FirmentarifVertragsrecht - siehe Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1,6 und 9. 160 Siehe oben § 10BI3dbb. 161 Ausführlich zum Auseinanderfallen von „tariflicher Regelbarkeit" und „Erkämpfbarkeit" auf derfirmentarifVertraglichen Ebene - siehe Buchner, DB 2001, Beilage Nr. 9, S. 1,7 und 9. 159
§ 14 Erkämpfbarke it einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages
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D. Dynamische Rechtsstatusklausel Mit der dynamischen Rechtsstatusklausel soll der anerkennende Arbeitgeber in statusrechtlicher Hinsicht mit den verbandsangehörigen Unternehmen gleichstellt werden. 162 Gewöhnlich wird er jedoch einer Abrede, die seine parallele Einbeziehung in alle künftigen Verbandsarbeitskämpfe ermöglicht, nicht freiwillig zustimmen. Daher sind die Gewerkschaften zur Durchsetzung der Rechtsstatusanbindung auf das Mittel des Arbeitskampfes angewiesen.
I. Rechtmäßiges Kampfziel Gegen die arbeitskampfweise Realisierung der dynamischen Rechtsstatusklausel spricht allerdings der Grundsatz, dass Streikmaßnahmen nicht zur Erzwingung rechtswidriger Regelungsbegehren eingesetzt werden dürfen. 163 Entsprechend dem Ableitungszusammenhang aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG dient das System kampfweiser Konfliktlösung der Verwirklichung einer rechtskonformen Tarifordnung. 164 Von der Rechtsordnung missbilligte Tarifinhalte sind damit nicht erkämpfbar. 165 Es wurde bereits dargelegt, dass die Sozialpartner über den Rechtsstatus der inkorporierten Tarifhormen bezogen auf die Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages nicht rechtswirksam disponieren können. 166 Die dynamische Rechtsstatusklausel missachtet die Unabdingbarkeit der relativen Friedenspflicht, das Gebot statusrechtlicher Eigenverantwortlichkeit, die negative Koalitionsfreiheit und das Verbot des Sympathiearbeitskampfes. Angesichts der Rechtswidrigkeit des anvisierten Tarifziels scheidet seine kampfweise Durchsetzung somit aus.
162
Siehe oben § 12 A III. BAG vom 04.05.1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 26.10.1971, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 21.03.1978, AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 164 BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 225; BAG (GS) vom 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10.06.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 23.10.1984, AP Nr. 82 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1066; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 2; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 129 f. und 239. 165 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1066; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1010 f.; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 583; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 22; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 8; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 242 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 526; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 459 f. 166 Siehe oben § 12 Β 12. 163
454
Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
II. Rechtsfolgen Ist die dynamische Rechtsstatusklausel daher nicht erstreikbar, stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Verfolgung dieses rechtswidrigen Kampfziels auf die Rechtmäßigkeit des gesamten Anerkennungstarifkonflikts zeitigt, in welchem ansonsten um rechtskonforme Tarifanliegen - vornehmlich die inhaltliche Verweisung - gestritten wird. Das Zusammentreffen von zulässigen und unzulässigen Arbeitskampfzielen wird kontrovers diskutiert. 167
1. Streitstand Nach der Rechtssprechung des Reichsarbeitsgerichts nehmen einzelne tarifwidrige Ziele der Auseinandersetzung „schlechthin die Eigenschaft eines Streiks", weil der Arbeitskampf als einheitliches Geschehen nicht in zwei Teile, einen erlaubten und einen unerlaubten, zerlegt werden könne. 168 Auch nach verbreiteter Auffassung in der Rechtslehre schlägt die Verfolgung „eines" unzulässigen Tarifziels auf die Gesamtaktion durch und führt zur Unrechtmäßigkeit sämtlicher Streikmaßnahmen. 169 Der bestreikte Arbeitgeber habe nicht die Wahl, nur über die zulässigen Regelungsanliegen zu verhandeln. Er müsse vielmehr auch auf die rechtswidrigen Ziele eingehen oder sich von der Gegenseite durch ein weitergehendes Nachgeben bei den statthaften Tarifzielen einen Verzicht auf die unrechtmäßigen Forderungen erkaufen. Einige Autoren differenzieren nach der Ursächlichkeit der Kampfziele. 170 Wäre der Arbeitskampf auch ohne das rechtswidrige Ziel zu gleicher Zeit be167
RAG vom 31.03.1931, ARS 12, 313, 317; BAG vom 04.05.1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 24.04.1980, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39; Capodistrias, Festschrift für Nipperdey, S. 105, 126; Dietz, Anm. zu BAG vom 04.05.1955, SAE 1956, 14, 15; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1066; Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 53 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1015; Lieb, ZfA 1982, 113, 129 f.; Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 31 ff.; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 24; Reuß, ArbuR 1966, 33, 33 f.; Rieble, Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 469; Rüthers, in Brox/ Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 235; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 495; Söllner, ZfA 1973, 1, 24; ders., Grundriss des Arbeitsrechts, S. 112 (Fn. 37); Weitnauer, RdA 1974, 54, 56. 168 RAG vom 31.03.1931, ARS 12,313,317. 169 Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 31; Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 24; Rieble, Festschrift für Stahlhacke, S. 459, 469. Reuß, ArbuR 1966, 33, 33 bezeichnet diese Lehrmeinung als „Rühreitheorie". 170 Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 53 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1015; Lieb, ZfA 1982, 113, 129 f.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159; Weitnauer, RdA 1974, 54, 56; in diesem Sinne auch Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 236.
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gönnen und im gleichen Umfang geführt worden, bleibe er insgesamt rechtmäßig. Rechtswidrig sei er hingegen, wenn ohne die unrechtmäßige Forderung überhaupt nicht oder nicht solange gekämpft worden wäre. Die Verfolgung „eines" unrechtmäßigen Regelungsanliegens indiziere gleichwohl die Rechtswidrigkeit des ganzen Streiks mit der Folge, dass die Gewerkschaft den Exkulpationsbeweis führen müsse. Reuß hingegen lässt es genügen, dass die Streikaktionen der Realisierung zumindest „eines" isolierbaren, rechtmäßigen Regelungsziels dienen. 171 Lediglich dann, wenn die „prägende" Hauptforderung auf unstatthafte Tarifbestimmungen abziele, sei der gesamte Arbeitskampf unrechtmäßig. Ohne nähere Begründung deutet das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 04.05.1955 an, dass ein Streik, der in einem „wesentlichen Punkt" zur Erzwingung tarifwidriger Ziele geführt werde, insgesamt rechtswidrig und damit unerlaubt sei. 172 Im Anschluss an diese Rechtsprechung befürwortet Söllner eine differenzierte Betrachtung je nachdem, ob eine Neben- oder Hauptforderung dem Rechtswidrigkeitsverdikt unterfallt. 173 Das LAG Hamm hat die Problematik danach beurteilt, inwieweit das „Schwergewicht" der geltend gemachten Kampfziele unrechtmäßige Tarifforderungen betreffe. 174
2. Übertragung auf den Anerkennungstarifkonflikt Fordert eine Gewerkschaft vom Einzelarbeitgeber neben der inhaltlichen Verweisung zusätzlich die Vereinbarung einer dynamischen Rechtsstatusklausel, erscheint eine Rechtfertigung des Arbeitskampfes einzig unter Zugrundelegung der Auffassung von Reuß denkbar, 175 wobei diese Betrachtung bereits eines erheblichen argumentativen Aufwandes bedarf, um den „kampfprägenden" Charakter der Rechtsstatusabrede zu verneinen. Grundsätzlich widerspricht der Lösungsvorschlag von Reuß der Prämisse von der Einheitlichkeit des Streikgeschehens. 176 Kampfforderungen stehen regelmäßig in einem untrennbaren Zusammenhang und sollen als „Gesamtlösung"
171 Reuß, ArbuR 1966, 33, 33 f.; ähnlich Capodistrias, Festschrift für Nipperdey, S. 105, 126. 172 BAG vom 04.05.1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe dazu Dietz, Anm. zu BAG vom 04.05.1955, SAE 1956, 14, 15. 173 Söllner, ZfA 1973, 1, 24; ders., Grundriss des Arbeitsrechts, S. 112 (Fn. 37). 174 LAG Hamm vom 24.04.1980, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39. Vgl. auch LAG Schleswig-Holstein vom 25.11.1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, das die Gesamtrechtswidrigkeit aber letztlich dahinstehen lässt. 175 Reuß, ArbuR 1966, 33, 33 f. 176 RAG vom 31.03.1931, ARS 12,313,317.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
Eingang in den anvisierten Tarifvertrag finden. Eine Zerlegung des Anerkennungstarifkonflikts in einen teils rechtswidrigen und einen teils rechtskonformen Streik ließe unberücksichtigt, dass sowohl die inhaltliche als auch die statusrechtliche Verweisungsanordnung dem Anliegen dienen, den Außenseiterarbeitgeber mit den verbandsangehörigen Unternehmen weitgehend gleichzustellen. Die kampfifuhrende Gewerkschaft gewährt dem Arbeitgeber keine Wahlmöglichkeit, nur über die zulässige inhaltliche Verweisung zu verhandeln. 177 Um eine Lösung des Anerkennungstarifkonflikts herbeizufuhren, sieht sich dieser vielmehr genötigt, auch zur statusrechtlichen Anbindung Stellung zu beziehen. Gerade weil der angestrebte Anerkennungstarifvertrag nur wenige originäre Tarifbestimmungen beinhaltet, muss der bestreikte Arbeitgeber davon ausgehen, dass sämtliche aufgestellte Tarifforderungen mit Nachdruck realisiert werden sollen. Der auf die Durchsetzung der rechtswidrigen Rechtsstatusklausel zielende Druck schlägt deshalb indirekt auf das rechtmäßige Kampfziel der inhaltlichen Verweisung durch, 178 sodass sich der Arbeitgeber unter Umständen veranlasst sieht, Zugeständnisse im Hinblick auf die statthaften Regelungsanliegen zu machen, die er ansonsten nicht in Erwägung gezogen hätte. 179 Reuß bleibt zudem eine Antwort auf die Frage schuldig, nach welchen Kriterien die Isolierbarkeit einzelner Tarifforderungen zu bewerten ist. 180 Angesichts der schädigenden Wirkung jeder Streikfuhrung kommt jedoch dem Grundsatz der Rechtssicherheit eine herausragende Bedeutung bei der Überprüfung von Arbeitskampfmaßnahmen zu. Die Auffassung von Reuß fuhrt im Ergebnis zu bedenklichen Konsequenzen. Eine streikwillige Gewerkschaft wäre lediglich gehalten, ein einziges rechtmäßiges Regelungsanliegen anzustreben, um eine vorerst umfassende Streikberechtigung zu erlangen. Denkbar ist es daher, dass rechtskonforme Kampfziele lediglich vorgeschoben werden, um unter diesem Deckmantel gesetzeswidrige Tarifanliegen anzustreben. 181 Die unzumutbare Gefahrenlage, die von einer derartig unberechenbaren Kampfausweitung ausgeht, kann dem Kampfadressaten nicht aufgebürdet werden. Vielmehr ist es Sache der Gewerkschaft, die aufgestellten Tarifforderungen vor Kampfbeginn auf ihre Rechtskonformität zu
177
Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 33. Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 24; ähnlich Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 33. 179 Löwisch/Rieble, in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 33; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 495. 180 Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159 (Fn. 139). 181 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 495. 178
§ 14 Erkämpfbarke it einzelner Klauseln des Anerkennungstarifvertrages
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überprüfen. Als „Angreifer" trägt sie das Risiko der Gesamtunrechtmäßigkeit eingeleiteter Streikmaßnahmen. 182 Unter Zugrundelegung der Lehre, die nach der Ursächlichkeit der Kampfziele differenziert, 183 mangelt es ebenso an einer Rechtfertigung des Streikgeschehens. Gerade das gewerkschaftliche Tarifziel einer Anbindung an den jeweiligen verbandstarifVertraglichen Rechtsstatus stellt für den Unternehmer eine schwerwiegende Belastung dar, weil er während der Laufzeit seines Anerkennungstarifvertrages künftig parallel in alle Verbandsarbeitskämpfe einbezogen werden kann. Aus diesem Grund sieht er sich gezwungen, kampfrechtliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die bei schlichter Forderung nach inhaltlicher Anerkennung der Verbandstarifbedingungen unterblieben wären oder sich auf ein geringeres Ausmaß beschränkt hätten. Der streikführenden Gewerkschaft wird daher der Nachweis misslingen, dass sich der Arbeitskampf ohne das rechtswidrige Kampfziel ebenso lang hingezogen hätte. 184 Die Lösungsansätze, die nach der „Wesentlichkeit" des anvisierten gesetzeswidrigen Kampfziels fragen, 185 werden ebenfalls zur Unrechtmäßigkeit des gesamten Streikgeschehens gelangen, weil die Rechtsstatusanbindung neben der Übernahme der Verbandstarifinhalte zum zentralen Bestandteil des gewerkschaftlichen Forderungskatalogs zählt und mithin als „wesentliche" Streikforderung einzustufen ist.
182 Otto, in Münchener-Hdb, § 285 Rn. 24; ähnlich Lieb, ZfA 1982, 113, 118 und 129 f. Bedenklich ist dagegen die Auffassung Gamillschegs, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1066, der dem bestreikten Arbeitgeber eine Prüfungsobliegenheit auferlegt. Dieser müsse sich zu Verhandlungen über die rechtmäßigen Tarifforderungen bereit erklären. Nur wenn die Gewerkschaft dann ohne Einschränkungen den Arbeitskampf fortsetzt, sei eine Gesamtrechtswidrigkeit des Streiks zu bejahen. Damit trägt der Arbeitgeber jedoch in unzumutbarer Weise das Beurteilungsrisiko, wann ein rechtmäßiges Tarifziel vorliegt. Allgemein zu den Einwänden gegen eine Erklärungsobliegenheit des Kampfgegners in Bezug auf die rechtmäßigen Tarifforderungen - vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1015; Lieb, ZfA 1982, 113, 129 f. 183 Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 53 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1015; Lieb, ZfA 1982, 113, 129 f.; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159; Schumann, in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 236; Weitnauer, RdA 1974, 54, 56. 184 Vgl. Lieb, ZfA 1982, 113, 130; siehe zudem Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 53 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1015; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159. 185 BAG vom 04.05.1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Söllner, ZfA 1973, 1, 24; ders., Grundriss des Arbeitsrechts, S. 112 (Fn. 37); siehe zudem LAG Hamm vom 24.04.1980, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39.
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Teil 5: Arbeitskampfrechtliche Rechtsfragen des Anerkennungstarifvertrages
3. Ergebnis Eine kampfweise Durchsetzung der dynamischen Rechtsstatusklausel ist unstatthaft und hat die Rechtswidrigkeit aller zur Erzwingung des AnerkennungstarifVertrages eingeleiteten Streikhandlungen zur Konsequenz.
Teil 6
Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages Es ist bisher nahezu unerörtert, welche besonderen Beendigungsprobleme im Kontext der Verweisungstechnik auftreten. Obwohl sich das Bundesarbeitsgericht in seinen grundlegenden Entscheidungen zur außerordentlichen Kündigung von Tarifverträgen jeweils mit der Ablösung eines Anerkennungstarifvertrages befasst hat, sind die Aussagen zu verweisungsspezifischen Rechtsfragen von begrenztem Gehalt.1 Die höchstrichterlichen Ausführungen haben sich vielmehr auf die allgemeine Diskussion des kündigungsrechtlichen ultimaratio-Prinzips konzentriert. Im folgenden Abschnitt sollen daher denkbare Beendigungsformen des Anerkennungstarifvertrages analysiert und ihre Wirksamkeitsvoraussetzungen ermittelt werden. Daran anschließend ist unter Berücksichtigung der verweisungsrechtlichen Besonderheiten zu den Rechtsfolgen der Beendigung eines Anerkennungstarifvertrages Stellung zu nehmen.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages Die anerkennungstarifVertragliche Beendigungsproblematik erfährt ihre Prägung durch den dualen Einfluss sowohl des verweisenden Anerkennungstarifvertrages als auch des bezogenen VerbandstarifVertrages auf die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Beide Tarifwerke können unabhängig voneinander in das Beendigungsstadium treten, was zu vielschichtigen Wechselwirkungen führt. Zwecks Strukturierung des Gedankengangs sind zunächst die Beendigungsformen des Anerkennungstarifvertrages zu beleuchten. Im Anschluss hieran bleibt zu klären, wie sich das Ende des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages auf die anerkennungstarifvertraglichen Regelungen auswirkt.
1
BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung.
460
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
A. Beendigungsformen des Anerkennungstarifvertrages Nach einer überblicksartigen Darstellung der unproblematischen Beendigungsformen des Anerkennungstarifvertrages stehen die komplexen Tatbestände der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung sowie der Befristung im Zentrum der Untersuchung.
I. Formen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages ohne verweisungsspezifische Besonderheiten 1. Ablösung Gemäß dem lex posterior derogat legi priori-Grundsatz findet der Anerkennungstarifvertrag sein Ende, wenn ein ablösender NachfolgefirmentarifVertrag abgeschlossen wird. 2 Das Folgeabkommen kann ein unternehmensspezifischer HaustarifVertrag sein oder eine abermalige Anerkennung des Verbandstarifkompromisses zum Inhalt haben.
2. Aufhebungsvertrag Actus contrarius können die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihr Tarifwerk mittels Aufhebungsvertrag beenden.3 Eine einverständliche Aufhebung kommt insbesondere bei dynamischen Verweisungen in Betracht, wenn sich künftige Modifikationen des Bezugsobjektes auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene als nicht sachgerecht erweisen. Regelmäßig sind die Gewerkschaften aber nicht gewillt, das inhaltliche Gleichstellungsziel zu Gunsten unterneh2
BAG vom 30.01.1985, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 760 und 770; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 177; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 74; vgl. auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 77; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1441; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 586; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 284; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 125. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 358; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 26 rechtfertigen die Ablösung über das Rechtsinstitut des konkludenten Aufhebungsvertrages. 3 BAG vom 08.09.1976, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Form; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1442; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 37; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 53; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 193; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 358; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 26; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 349 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 125; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 15; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 08.09.1976, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 235; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 252.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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mensspezifischer HaustarifVerträge aufzugeben, sodass sich eine einvernehmliche Ablösung der Blankettbezugnahme oftmals nicht erzielen lässt.
3. Auflösende Bedingung Das Ende des Anerkennungstarifvertrages kann an eine auflösende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 2 BGB geknüpft werden. 4 Rechtssicherheit und Vertrauensschutz verlangen, dass der Bedingungseintritt für die Normunterworfenen ohne weiteres feststellbar ist.5 Da dynamisch verweisende Anerkennungstarifverträge häufig längere Zeit für ordentlich unkündbar erklärt werden, ist die Vereinbarung einer auflösenden „Indexklausel" denkbar, um adäquat auf einen zwischenzeitlichen Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Rahmendaten zu reagieren. 6 Wirksam sind Indexabreden allerdings nur, wenn die Sozialpartner einen festen Prozentsatz bestimmen, bei dem entsprechend der vom statistischen Bundesamt festgestellten Steigerung der Lebenshaltungs- oder Produktionskosten die Bindung an den Anerkennungstarifvertrag entfällt.
II. Ordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages Die praktisch wichtigste Form der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages ist die ordentliche Kündigung.
4 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1439; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 469; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, TVG Rn. 36; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 177; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 357; dies., in Münchener-Hdb, §256 Rn. 24 f.; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 75; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 18; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 251. 5 Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 177; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 357; dies., in Münchener-Hdb, §256 Rn. 25; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 251 ; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1439; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 18. 6 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1439; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 54; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 177; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 357 und 559; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 25; vgl. auch Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 251; kritisch Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 18. In praxi werden statt auflösenden Indexklauseln jedoch vorrangig so genannte Indexkündigungsklauseln vereinbart - vgl. dazu Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 51; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 559; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 25; siehe auch Henssler, ZfA 1994, 487, 495; Zachert, RdA 1996, 140, 149.
§ 1
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
1. Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung Auch ohne explizite Verabredung einer ordentlichen Kündigungsbefugnis sind Tarifverträge ordentlich kündbar. 7 Ob sich das Gestaltungsrecht aus einem allen Dauerrechtsverhältnissen zu Grunde liegenden allgemeinen Rechtsgedanken, im Wege ergänzender Tarifvertragsauslegung oder infolge einer Analogie zu den §§77 Abs. 5 BetrVG, 28 Abs. 2 Satz 4 SprAuG ergibt, 8 soll an dieser Stelle nicht vertieft behandelt werden, weil die Statthaftigkeit der ordentlichen Tarifvertragskündigung allseitig anerkannt ist. 9 Sie wirkt einer „Ewigkeitsbindung" der Tarifparteien entgegen10 und verhindert damit eine unzulässige Aufgabe der tariflichen Rechtsetzungsmacht.11
7 Bei ausdrücklicher Gestattung ist die ordentliche Kündigung unbestritten zulässig vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1432; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 114; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 42; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 761 und 763; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21; siehe zudem Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 181; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 28. 8 Zur dogmatischen Ableitung - siehe Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 12 ff. und 116 ff.; Oetker, RdA 1995, 82, 91 f.; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 763; vgl. zudem Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 42. 9 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1435; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 770; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 123; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 470; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 38; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 42; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 181; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 360; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 28; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350; Oetker, RdA 1995, 82, 91 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 78; Sowka, NZA 1995, 1126, 1127; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 123; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 763; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 253 f.; siehe zudem Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 12 ff.; vgl. auch BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 10 Oetker, RdA 1995, 82, 91; siehe auch Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 115; vgl. allgemein hierzu Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 258 ff. und 461. 11 Zum Verbot einer überlangen Tarifbindung - vgl. BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 43; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 127; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 12 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 91; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 250.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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Allerdings ist die ordentliche Kündigung entsprechend § 620 Abs. 1 BGB dispositiv und kann von den Sozialpartnern ausgeschlossen werden. Dies geschieht gewöhnlich durch die Vereinbarung fester Laufzeiten. 12 Wollen sich die Parteien bei einem befristeten Anerkennungstarifvertrag dennoch eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit offen halten, müssen sie diese Lockerung der Vertragsbindung hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, weil die Befristungsabrede im Zweifel einen Kündigungsverzicht bedeutet.13 Da in Firmentarifverträgen oftmals keine Laufzeitregelungen getroffen werden, 14 erlangt die ordentliche Kündigung nicht nur im Falle expliziter Zulassung, sondern auch bei fehlender tarifVertraglicher Regelung praktische Relevanz. In der nachfolgenden Analyse der verweisungsspezifischen Besonderheiten sind die Problemkreise des Kündigungstermins, der Kündigungsfrist und des Kündigungsgrundes auseinander zu halten.
2. Bestimmung des Kündigungstermins Die Bestimmung des maßgebenden ordentlichen Kündigungszeitpunkts steht in Abhängigkeit zur verabredeten Verweisungsart.
a) „ Einfache " statische Verweisung aa) Vereinbarter Kündigungstermin Übernehmen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages mittels statischer Verweisung ein fremdes Verbandstarifabkommen, steht es ihnen frei, ausdrückliche Absprachen über den frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt zu treffen. 15 12
Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 18 f. und 123; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 29; Oetker, RdA 1995, 82, 92; Rüthers, NJW 1993, 1628, 1629; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 250; vgl. auch Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 361; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 36. 13 Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 18 f. und 123; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 29; Oetker, RdA 1995, 82, 92; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 36; vgl. zudem Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 250; extensiver Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 361. 14 So Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 42. 15 Vgl. allgemein Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 280, 1432 und 1434; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 42; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 360; dies., in MünchenerHdb, § 256 Rn. 28; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 122; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 761; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21; Wieland, Recht der Firmentarifver-
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Die tarifVertragliche Dispositionsbefugnis korreliert mit der Zuständigkeit der Tarifpartner zur Festsetzung des zeitlichen Geltungsbereichs der von ihnen geschaffenen Normenordnung. Ohne nähere Erörterung, ob die gemeinsame Dispositionsbefugnis zur Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG oder aus einer Annexkompetenz zu § 1 Abs. 1 TVG folgt, wird die tarifliche Vereinbarungsautonomie von Rechtsprechung und Lehre allgemein befürwortet. 16 In Anbetracht des unmittelbaren Zusammenhangs der vertraglichen Kündigungsabsprachen zur Festlegung des zeitlichen Geltungsbereichs unterfallen die Kündigungsregelungen ebenso der Regelungsmacht der Sozialpartner. 17 Mithin können die Parteien des Anerkennungstarifvertrages tarifautonom festlegen, wie lange sie die statische Anbindung an die Verbandstarifbedingungen als sachgerecht betrachten. Insofern bleibt es ihnen vorbehalten, einen völlig eigenständigen ersten Kündigungstermin zu vereinbaren. Sie sind andererseits nicht daran gehindert, den Anerkennungstarifvertrag zum gleichen Zeitpunkt wie den bezogenen VerbandstarifVertrag für ordentlich kündbar zu erklären. Aus Gründen der Rechtssicherheit bedarf es allerdings einer klaren Formulierung des maßgebenden Kündigungszeitpunkts.
bb) Ohne vereinbarten Kündigungstermin Fehlt einerseits eine feste Laufzeitvereinbarung und haben die Sozialpartner andererseits keinen ordentlichen Kündigungszeitpunkt vorgesehen, ist der Tarifvertrag in entsprechender Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze vorbehaltlich einer angemessenen Auslauffrist 18 sofort kündbar. 19 Allerdings ist diese träge, Rn. 253; vgl. auch Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 181; Oetker, RdA 1995, 82, 92; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 78; Stein,, TarifVertragsrecht, Rn. 122. Siehe zudem argumentum e contrario - BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 16 BAG vom 23.11.1994, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung; Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 140; siehe ebenfalls Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 252 und 280; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 741; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 15 und 31; Löwisch/Rieble, §4 TVG Rn. 22 und 39; dies., in Münchener-Hdb, §246 Rn. 97 und § 264 Rn. 1 und 16 ff. 17 Siehe Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 140; vgl. auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 280; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 122. 18 Zur Ermittlung der Kündigungsfrist siehe unten § 15 A II 3. 19 Siehe BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1435 und 1434; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 181; vgl. zudem Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 470; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 38; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 23; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 254; allgemein Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 260 ff. und 272 f.
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Rechtsfolge ausgeschlossen, wenn sich im Wege der Auslegung des Anerkennungstarifvertrages auch ohne ausdrückliche Abrede ein abweichender Kündigungstermin ermitteln lässt. Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen ist die inhaltliche Verweisungsbestimmung. Im Rahmen der Erörterung eines dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages hat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung geäußert, dass die „Kündigungs- oder Laufzeitregelungen der inkorporierten [Verbands]TarifVerträge auch für die Parteien des FirmentarifVertrages" gelten.20 Ob tatsächlich eine Übertragung der verbandstarifVertraglichen „Laufzeitvorgaben" auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages stattfindet, soll gesonderter Untersuchung vorbehalten bleiben. 21 Im Hinblick auf die hier interessierende Überleitung der im VerbandstarifVertrag verankerten „Kündigungsregelungen" ist dem Bundesarbeitsgericht im Ansatz beizupflichten. 22 Vereinbaren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine Globalbezugnahme, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie das Bezugstarifwerk in seiner Gesamtfassung übernehmen wollen. Gerade wenn die globale Anbindung an das Verbandstarifniveau lediglich die fehlende Verbandsmitgliedschaft des Außenseiterarbeitgebers ersetzen soll, spricht das mit dem Anerkennungstarifvertrag verfolgte Gleichstellungsziel für eine vollumföngliche Übertragung des verbandstariflichen Kompromisscharakters. Der Verbandstarifkompromiss erfährt maßgebende Prägung durch seinen zeitlichen Geltungsumfang und insbesondere durch seine erste ordentliche Kündigungsmöglichkeit. Die Bindungsdauer an ein festgelegtes Normenprogramm erlangt sowohl für die Sozialpartner als auch für die Normadressaten entscheidende Bedeutung und ist damit integraler Bestandteil des tarifvertraglichen Interessenausgleichs. Weil sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages im Zweifel den Gesamtkompromiss des BezugstarifVertrages zu Eigen machen wollen, richtet sich ihr Wille nicht nur auf die schlichte Inkorporierung der inhaltlichen Normvorgaben, sondern umfasst gleichzeitig das zeitliche Normgeltungselement. 23 Damit kann im Grundsatz davon ausgegangen werden, dass die im VerbandstarifVertrag niedergelegten Kündigungstermine parallele Anwendung auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene finden. Bei statischen Verweisungen ist aber im Unterschied zu dynamischen Verweisungen zu berücksichtigen, dass das Gleichstellungsziel keineswegs im 20
BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. Zur Inkorporation der Laufzeitregelung siehe unten § 15 A I V 2. 22 Ebenso Bauer, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 97, 122; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA §1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 28. Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21 spricht lediglich von der Überleitung der Kündigungs"fnsten", was indes zu kurz greift. 23 Diesen Zweifelsatz statuiert ausdrücklich das BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 21
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Vordergrund des tariflichen Regelungsinteresses stehen muss. Es ist durchaus denkbar, dass die Partner des Anerkennungstarifvertrages lediglich den für sachgerecht befundenen Normeninhalt in ihre Tarifbeziehung überführen wollen, ohne eine Anlehnung an die zeitliche Komponente des VerbandstarifVertrages anzustreben. Dient der statische Anerkennungstarifvertrag beispielsweise nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers lediglich der inhaltlichen Überbrückung bis zum Abschluss eines unternehmensspezifischen Haustarifvertrages, kann eine Inkorporierung der verbandstariflichen Kündigungstermine unbeabsichtigt sein. Dennoch streitet auch bei statischen Verweisungen eine Vermutung für die Übernahme des vollständigen Verbandstarifinhalts inklusive der maßgebenden Kündigungszeitpunkte. Bestehen keine Anhaltspunkte für eine eigenständige Beendigungsregelung, fungiert auch der statisch verweisende AnerkennungstarifVertrag im Zweifel als Gleichstellungsabrede. Gerade weil der einzelne Arbeitgeber regelmäßig nicht in der Lage ist, umfangreiche Tarifwerke selbst auszuhandeln und die Gewerkschaft ohnehin an einer Anbindung an die verbandstarifvertraglichen Vorgaben interessiert ist, bedürfen Abweichungen von der Globalverweisungswirkung eines greifbaren Hinweises.
cc) Ergebnis Im Grundsatz besteht damit eine sofortige ordentliche Kündigungsberechtigung nur dann, wenn weder die Parteien des Anerkennungstarifvertrages noch die Verbandssozialpartner einen festen Kündigungszeitpunkt vereinbart haben.
b) „ Einfache " dynamische Verweisung Angesichts unterschiedlicher Interessenlagen wirft die dynamische Verweisung spezielle kündigungsrechtliche Problemfragen auf. Im Gegensatz zur Gewerkschaft, die eine langfristige Anbindung an das Verbandstarifhiveau anstrebt, hat der anerkennende Arbeitgeber bei künftigen Fehlentwicklungen ein Interesse, sich mittels ordentlicher Kündigung von der inhaltlichen Fremdbestimmung zu lösen.
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aa) Vom Grundsatz der Tarifnormverantwortung abgeleitetes ordentliches Kündigungsrecht (1) Auffassung Riebles Rieble ist der Auffassung, dass der Gewerkschaft und insbesondere dem anerkennenden Arbeitgeber unabhängig von etwaigen langfristigen Laufzeitvereinbarungen auch ohne explizite anerkennungstarifvertragliche Gestattung im Zeitpunkt der jeweiligen Beendigung des dynamisch bezogenen Verbandstarifvertrages automatisch ein ordentliches Kündigungsrecht zur Verfügung stehe.24 Hierdurch können sich beide Partner des Anerkennungstarifvertrages rechtzeitig der Bindung an künftige verbandstarifliche Modifikationen entziehen. Zur Begründung verweist Rieble auf den Grundsatz der Tarifhormverantwortung, welcher eine notwendige Begrenzung dynamischer Verweisungen bedinge. Der Anerkennungstarifvertrag könne nur dann eine sachgerechte, Richtigkeitsvertrauen rechtfertigende Tarifordnung schaffen, wenn sich beide Seiten in gleicher Weise von der dynamischen Fremdbestimmung lösen können, sollte sich das Bezugsobjekt in einer nicht vom Tarifwillen gedeckten Weise entwickeln. Um bei dieser Sachlage einem Rückgriff auf das unsichere Beendigungsinstrumentarium der außerordentlichen Kündigung vorzubeugen, müsse zu jedem VerbandstarifVertraglichen Beendigungstermin ein eigenes ordentliches Kündigungsrecht auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages anerkannt werden. Hierfür spreche insbesondere, dass die Blankettverweisung lediglich die fehlende Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ersetzt und der anerkennende Arbeitgeber nicht schlechter stehen könne als ein koalierter Unternehmer. Insofern seien verbandsangehörige Arbeitgeber zwar gemäß § 3 Abs. 3 TVG auf das laufende Verbandstarifabkommen verpflichtet- können sich aber durch Verbandsaustritt der Bindung an den NachfolgetarifVertrag entziehen.
(2) Stellungnahme Der Gedankenansatz Riebles, dass der einem dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrag unterworfene Arbeitgeber keinen stärkeren Bindungen unterliegen darf als ein an den bezogenen VerbandstarifVertrag gebundener Arbeitgeber, wird in anderem Kontext in Rechtsprechung 25 und Literatur 26 24
Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Auch Braun, BB 1986, 1428, 1431 fordert für jede Partei des AnerkennungstarifVertrages ein „Dispensierungsrecht" bei jeder Änderung des bezogenen Verbandstarifvertrages. 25 BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung einerseits und LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148 andererseits.
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diskutiert. Diese Kontroverse befasst sich mit einer „verbandstarifvertraglichen" Blankettverweisung auf einen anderen FlächentarifVertrag. Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung steht die Frage, ob nach dem Austritt eines Arbeitgebers aus demjenigen Unternehmerverband, welcher den dynamischen VerweisungstarifVertrag abgeschlossen hat, die zwingend normative Weitergeltung im Sinne des § 3 Abs. 3 TVG so lange fortdauert, bis das verweisende Tarifabkommen selbst inhaltlich geändert wird, oder ob die zwingende Normgeltung bereits dann entfallt, wenn ein modifizierter BezugstarifVertrag in Kraft tritt. Das LAG Berlin 21 hat in diesem Zusammenhang die auf Hanau/Kania 28 zurückgehende Auffassung vertreten, dass die weitergeltende Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG mit dem Auslaufen des aktuell gültigen Bezugstarifwerkes ende, sodass keine dynamische Anbindung an den Nachfolgebezugstarifvertrag stattfinde. 29 Maßgebend hat sich das LAG Berlin auf einen Vergleich der Rechtsstellung des ausgetretenen Arbeitgebers mit der eines an den BezugstarifVertrag gebundenen Unternehmers berufen, dessen maximale Tarifgebundenheit mit dem Auslaufen des aktuell geltenden Bezugstarifvertrages endet. Es könne nicht richtig sein, dass die Bindungswirkung zu Lasten des ausgetretenen Arbeitgebers anders zu bewerten sei. 30 In seiner hierzu ergangenen Revisionsentscheidung vom 04.04.2001 hat das Bundesarbeitsgericht den Ansatz des LAG Berlin geschildert, ohne zu seiner Richtigkeit Stellung zu beziehen.31 Allerdings hat es sich im Ergebnis dem landesarbeitsgerichtlichen Urteil angeschlossen. Eine Stellungnahme zu dieser Kontroverse erübrigt sich jedoch, weil die diskutierte Problemfrage mit der anerkennungstarifvertraglichen Kündigungsthematik nichts gemein hat. Zum einen befasst sich die Debatte mit spezifischen Rechtsfragen eines arbeitgeberseitigen Verbandsaustritts, die sich nur bei Ver-
26
Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233; Rolf/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19 einerseits und Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150 f. andererseits. 27 LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung. 28 Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233. 29 Im Ergebnis ebenso BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 07.11.2001, BB 2002, 1048, 1049; anderer Ansicht LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147,148. 30 Anderenfalls wäre nach Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233 „die anerkannte Wertung, dass die Verweisung auf andere Tarifverträge nur eingeschränkt möglich ist, auf den Kopf gestellt." Dagegen LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148. 31 BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt.
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bands- nicht jedoch bei Firmentarifverträgen stellen.32 Zum anderen findet sie ihren temporären Anknüpfungspunkt in der Phase des § 3 Abs. 3 TVG, wohingegen sich die Argumentation Riebles auf den Zeitraum der unmittelbaren und zwingenden Tarifgeltung gemäß § 4 Abs. 1 TVG konzentriert. Solange sich der Anerkennungstarifvertrag in der Geltungsphase des § 4 Abs. 1 TVG befindet, entspricht die inhaltliche Dynamisierung dem ursprünglichen Regelungswillen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages. Haben sie eine feste Laufzeitregelung getroffen oder einen langfristigen ersten Kündigungstermin festgelegt, ist dies Ausdruck ihrer tarifautonomen Entscheidungshoheit. Derartige anerkennungstarifvertragliche Befristungs- oder Kündigungsabsprachen dürfen nicht durch die Zubilligung eines automatischen ordentlichen Kündigungsrechts bei jeder Beendigung des Bezugstarifwerkes unterlaufen werden. Der Anerkennungstarifvertrag ist ein selbstständiges Tarifabkommen, welches eigenständigen Laufzeit- oder Kündigungsvereinbarungen zugänglich ist. Ein Verstoß gegen den in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Grundsatz der Tarifhormverantwortung ist keineswegs zu besorgen. Die antezipierende Bindung an künftige VerbandstarifVerträge ohne jeweiliges ordentliches Lösungsrecht findet ihre Legitimation in der eigenverantwortlich getroffenen Blankettverweisungsanordnung. 33 In der Ungleichbehandlung des anerkennenden Arbeitgebers im Vergleich zu den verbandstarifgebundenen Unternehmern liegt kein rechtlich relevanter Nachteil, weil der Arbeitgeber spätere inhaltliche Modifikationen bewusst in Kauf genommen hat. Seine eigene tarifliche Willenserklärung rechtfertigt die dynamische Unterwerfung unter spätere verbandstarifliche Regelungsvorgaben. Auch Rieble gesteht im weiteren Verlauf seiner Ausführungen ein, dass der Arbeitgeber letztlich „Opfer seines individuellen Tarifentschlusses" ist. 34 Ergeben sich aufgrund der dynamischen Anbindung ungewollte Tarifzustände, ist entgegen der Ansicht Riebles eine vorzeitige Korrektur nur über das außerordentliche Kündigungsrecht durchsetzbar. 35 Rieble überbetont den Grundsatz der Tarifhormverantwortung und entzieht den Parteien des Anerkennungstarifvertrages de facto die Regelungshoheit über die Beendigung des Firmentarifvertrages. Hierdurch wird die dynamische Verweisung Übermaßen restringiert. Will sich der anerkennende Arbeitgeber vor späteren ungewollten Tarifzuständen schützen, muss er selbst für die Aufnahme einer entsprechenden 32 Den Unterschied zwischen Verbands- und Firmentarifvertrag betonen auch Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233 (Fn. 61). 33 Zur Rechtfertigung dynamischer Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen siehe oben § 6 A I V 2 b. 34 Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. 35 Hierzu siehe unten § 15 A III 2 a cc.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
ordentlichen Kündigungsregelung in den Anerkennungstarifvertrag Sorge tragen. Gelingt ihm das nicht, ist es eine gesondert zu beantwortende Frage, ob die dynamische Anbindung zwecks Vermeidung einer „Ewigkeitsbindung" einer Höchstbefristungsdauer unterliegt. 36 Jedenfalls ist ein vom Grundsatz der Tarifnormverantwortung determiniertes ordentliches Kündigungsrecht parallel zum jeweiligen VerbandstarifVertragsende nicht anzuerkennen.
bb) Vereinbarter Kündigungstermin Damit steht fest, dass die Vertragsparteien den maßgebenden ordentlichen Kündigungszeitpunkt eigenständig festsetzten können, vor dessen Ablauf eine Lösung vom dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrag ausgeschlossen ist. Im Regelfall beinhalten Anerkennungstarifverträge derartige Kündigungsabsprachen. Beispielsweise bestimmt § 6 Ziffer 2 des Jenoptik-AnerkennungstarifVertrages vom 29.04.1996 einen vom bezogenen Verbandstarifvertrag unabhängigen frühestmöglichen ordentlichen Kündigungstermin. 37 In Ausübung ihrer tariflichen Regelungsmacht sind die Sozialpartner darin frei, 38 ob sie den Anerkennungstarifvertrag längerfristig unkündbar stellen und damit eine fortwährende Anbindung an die Tarifentwicklung auf Verbandsebene sicherstellen. Ebenso unbedenklich ist es, eine ordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages zum jeweiligen Kündigungstermin des bezogenen VerbandstarifVertrages zu gestatten39 oder sogar eine jederzeitige ordentliche Kündigungsmöglichkeit zuzulassen. Vorbehaltlich der Beachtung einer Höchstbindungsfrist können die Parteien des Anerkennungstarifvertrages selbstverantwortlich über die Mindestdauer der dynamischen Anlehnung an die verbandstariflichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen befinden.
cc) Ohne vereinbarten Kündigungstermin Ohne explizite Bestimmung eines ordentlichen Kündigungszeitpunkts kann die Blankettbezugnahme prinzipiell sofort durch einseitigen Gestaltungsakt beendet werden. Möglicherweise ist aber aufgrund einer vorrangigen Auslegung der dynamischen Verweisungsanordnung eine andere Bewertung angezeigt.
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Siehe dazu unten § 15 A II 5. Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel. S 124. 38 Zur Ableitung der Regelungsautonomie siehe oben § 15 A II 2 a aa. 39 Siehe dazu Ziffer 4.2 Satz 2 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 18.12. 1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 37
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(1) Argumentationsansätze (a) Inkorporierung der verbandstarifVertraglichen Kündigungsregelung Das Bundesarbeitsgericht hat die Ansicht vertreten, dass die Kündigungsregelung des bezogenen VerbandstarifVertrages in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert werde und dies mit dem anvisierten Gleichstellungsanliegen begründet. 40 In Konsequenz dieser Bewertung ist zwar eine sofortige Lösungsmöglichkeit ausgeschlossen. Allerdings ist der anerkennende Arbeitgeber legitimiert, zum ersten auf Verbandsebene bestehenden Kündigungstermin seinen Anerkennungstarifvertrag ordentlich zu kündigen, ohne dass je eine Dynamisierung der Tarifbedingungen stattgefunden hat.
(b) Unbefristeter Ausschluss der ordentlichen Kündigung Ebenso könnte man der dynamischen Verweisungsbestimmung im Wege der Auslegung eine viel weiterreichende Wirkung zuweisen. Es ließe sich argumentieren, dass die „dynamische" Formulierung der Bezugnahmenklausel darauf abzielt, eine dauerhafte Übernahme der Verbandstarifbedingungen festzuschreiben. Sieht der Anerkennungstarifvertrag keine Kündigungsregelung vor, so spreche das Interesse an einer langfristigen inhaltlichen Gleichstellung fur einen gänzlichen Verzicht auf die ordentliche Beendigungsbefugnis.
(2) Stellungnahme Oetker weist darauf hin, dass sich ein Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenfalls ergeben kann, „wenn der Fortbestand des Vertrages unter dem Vorbehalt des Erreichens eines vertraglich festgelegten Zwecks steht". 41 Insofern ist ein Versuch denkbar, aus der dynamischen Verweisungsanordnung ein zwingendes temporäres Normgeltungselement abzuleiten. Dennoch stützen sowohl die grammatikalische als auch die teleologische Auslegung der Verweisungsbestimmung die höchstrichterliche Interpretation. Dem Wortlaut der dynamischen Bezugnahmeklausel kann entnommen werden, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine globale Übernahme des jeweiligen verbandstarifVertraglichen Gesamtinhalts inklusive der Kündigungs40 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung, siehe zudem Bauer, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 97, 122; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 28; vgl. auch Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21. 41 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 275.
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regelung anstreben. Dagegen fehlt ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Dynamisierung der Tarifbedingungen dauerhaft vollzogen werden soll. Nach einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung ist es nicht das Ziel der dynamisierten Anerkennungsvereinbarung, eine ordentlich unkündbare Inkorporationswirkung zu statuieren. Vielmehr besteht der Telos der Blankettverweisung ausschließlich in der inhaltlichen Gleichstellung des anerkennenden Arbeitgebers mit den verbandstarifgebundenen Unternehmen. Die Verweisung erfüllt eine schlicht rechtstechnische Funktion, indem sie für eine Übertragung der jeweiligen Verbandstarifinhalte in den Anerkennungstarifvertrag sorgt. Die Feststellung, dass sich die Wirkung der Blankettverweisung auf die Überleitung der verbandstariflichen Regelungsgehalte beschränkt, bedingt die Konsequenz, dass der jeweils bezogene Verbandstarifvertrag als Gesamtkompromiss auf die anerkennungstarifliche Ebene transformiert wird. Folgerichtig erlangen die kündigungsrechtlichen Vorgaben für die Partner des AnerkennungstarifVertrages Geltung, weil sie wesentlicher Bestandteil des jeweiligen Sozialausgleichs sind. Die teleologische Auslegung findet ihre Bestätigung in der Funktion des Anerkennungstarifvertrages, die fehlende Mitgliedschaft des Außenseiters im Arbeitgeberverband zu substituieren. In diesem Kontext erlangt nunmehr die eingangs geschilderte Argumentation Riebles Relevanz.42 Verbandsangehörige Arbeitgeber können vor Wirksamwerden eines NachfolgeverbandstarifVertrages aus dem Arbeitgeberverband austreten, sodass sich ihre maximale Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG auf die Geltungsdauer des anfänglich in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages beschränkt. Besteht infolge der Inkorporationswirkung ein paralleles ordentliches Kündigungsrecht sowohl auf Anerkennungs- als auch auf Verbandstarifebene, ist die Gleichstellung auf Arbeitgeberseite im Grundsatz gewährleistet, da eine zeitgleiche Loslösung von den inhaltsgleichen Tarifbedingungen ermöglicht wird. 43
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Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Ein kongruenter Gleichlauf ist aber nur gewährleistet, wenn der Arbeitgeberverband seine erste ordentliche Kündigungsbefugnis tatsächlich in Anspruch nimmt. Kündigt der Arbeitgeberverband nicht, bleibt die Tarifbindung des ausgetretenen Arbeitgebers gemäß § 3 Abs. 3 TVG aufrechterhalten. Die Weitergeltung endet nach überwiegender Auffassung nicht abstrakt zum nächstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin - vgl. Däubler, ZTR 1994, 448, 449 f.; ders., NZA 1996, 225, 226; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1232; Hoß/Liebscher, DB 1995, 2525, 2525 f.; Kempen/Zachert, § 3 TVG Rn. 31; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 272; Oetker, in Wiedemann, §3 TVG Rn. 66; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 173; anderer Ansicht Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 24; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1086; Hanau, RdA 1998, 65, 69 (Fn. 29); Lieb, NZA 1994, 337, 337; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 74; dies., in Münchener-Hdb, § 267 Rn. 24; Schwab, BB 1994, 781. 781. Bei dieser Sachlage ist der anerkennende Arbeitgeber im Vergleich zu den verbandstarifgebundenen Arbeitgebern besser gestellt. 43
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Der Ansatz, der eine Inkorporierung der jeweils maßgebenden Kündigungstermine befürwortet, ist auch im Ergebnis sachgerecht. Er kommt der an einer langfristigen Anbindung interessierten Gewerkschaft entgegen, indem er trotz fehlender tariflicher Regelung eine sofortige ordentliche Kündigung verhindert. Auf einen weiterreichenden vertraglichen Bestandsschutz kann sich die Gewerkschaft indes nicht berufen, weil der anerkennende Arbeitgeber angesichts der inhaltlichen Fremdbestimmung schutzwürdiger ist. Die Arbeitnehmervereinigung hat es selbst in der Hand, durch eine vertragliche Abrede eine feste Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages vorzusehen oder die ordentliche Kündigung zeitlich aufzuschieben, um auf diesem Weg eine Dynamisierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sicherzustellen.
dd) Ergebnis Treffen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages keine eigene Laufzeitund Kündigungsregelung, gelten die kündigungsrechtlichen Vorgaben des bezogenen VerbandstarifVertrages.
c) „ Erweiterte
" statische und dynamische Globalverweisung
AnerkennungstarifVertragliche Verweisungen beschränken sich regelmäßig nicht auf die Übernahme eines einzelnen Bezugtarifvertrages, sondern inkorporieren eine Mehrzahl selbstständiger Verbandstarifwerke in ein und denselben Anerkennungstarifvertrag, 44 was Folgewirkungen für die ordentliche Kündigung zeitigt.
aa) Vereinbarter Kündigungstermin Kraft ihrer tarifautonomen Gestaltungsbefugnis können die Sozialpartner im Anerkennungstarifvertrag eine Gesamtlaufzeit für die inhaltliche Anbindung an die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge vorsehen und damit eine ordentliche Kündigung ausschließen. Ihnen ist es fernerhin erlaubt, einen einheitlichen Termin festzusetzen, zu dem der Anerkennungstarifvertrag in seiner Gesamtheit erstmals ordentlich gekündigt werden darf. 45
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Allgemein zur „erweiterten" Globalbezugnahme siehe oben § 7 A II 2. So §6 Ziffer 2 des Jenoptik-Anerkennungstarifvertrages vom 29.04.1996 in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 124. 45
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Praktische Bedeutung haben ebenso anerkennungstarifVertragliche Absprachen erlangt, welche für die einzelnen Bezugstarifwerke jeweils gesonderte Kündigungszeitpunkte fixieren. In diesem Zusammenhang können sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages auf die Anordnung beschränken, dass der jeweils inkorporierte Tarifvertrag zeitgleich zur Verbandsebene ordentlich kündbar ist. 46 Ferner ist es denkbar, dass völlig eigenständige Beendigungszeitpunkte für die einzelnen Bezugstarifwerke vereinbart werden. Beide Varianten sind sogar miteinander kombinierbar. So bestimmt beispielsweise der vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 18.12.1996 analysierte AnerkennungstarifVertrag in Ziffer 4.3, dass der bezogene Lohn- und GehaltstarifVertrag nicht vor Ablauf von eineinhalb Jahren ordentlich beendet werden darf, wohingegen im Übrigen die jeweiligen Kündigungsfristen der inkorporierten Verbandstarifverträge gelten sollen. 47 Bei „erweiterten" Globalverweisungen ergeben sich gegen die gesonderte kündigungsrechtliche Behandlung der jeweiligen BezugstarifVerträge Einwände unter dem Gesichtspunkt der Teilkündigung. Selbst wenn die Partner des Anerkennungstarifvertrages keine völlig eigenständigen Kündigungszeitpunkte bestimmen, führt bereits die explizite Bezugnahme auf die jeweiligen verbandstariflichen Kündigungsvorgaben zu einer Teilkündigungsbefügnis, weil die einzelnen VerbandstarifVerträge selten einem einheitlichen Kündigungstermin unterliegen. Zumindest bei ordentlichen Kündigungen ist die Auffassung herrschend, die einem Teilkündigungsrecht grundsätzlich widerspricht. 48 Tarifparteien betrachten den Tarifvertrag als einheitliches Ganzes. Mit seinem Gesamtregelungsgehalt trägt er Kompromisscharakter. 49 Inhaltliche Zugeständnisse in bestimmten 46
Siehe beispielsweise § 4 Abs. 2 des MusterfirmentarifVertrages bei Bauer, JuS 1999, 765, 770. 47 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 48 BAG (GS) vom 17.12.1959, AP Nr. 21 zu § 616 BGB; Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 128; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469 (Fn. 30); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 38; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, §256 Rn. 30; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 79; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Zachert, ArbuR 1993, 294, 295; siehe dazu ebenfalls BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung. 49 Zum Kompromisscharakter des Gesamtregelungsgefüges - siehe stellvertretend BAG vom 24.10.2000, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1448; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469 (Fn. 30); Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Oetker, RdA 1995, 82, 99; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24.
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Bereichen werden an anderer Stelle im Tarifvertrag kompensiert. Könnte sich jede Seite von ihr belastend erscheinenden Tarifbestimmungen im Wege der ordentlichen Teilkündigung lösen, wäre die inhaltliche Balance des Tarifwerkes zerstört. Es bliebe unberücksichtigt, dass die Gegenseite den Tarifvertrag ursprünglich nur unterzeichnet hat, weil sie den ausgehandelten Sozialausgleich in seiner Gesamtheit als sachgerechte Risikoverteilung bewertete. Jeder einseitige Eingriff in die synallagmatisch vereinbarte Lastenverteilung würde somit das vertragliche Äquivalenzgefüge in unzulässiger Weise umgestalten. Rechtfertigt sich das Verbot der Teilkündigung maßgebend aus dem Argument, dass keine Vertragspartei einem ungewollten Resttarifvertrag unterworfen werden darf, ist gleichzeitig der Ansatz für einen Ausnahmetatbestand beschrieben. Legitimieren die Sozialpartner eigenverantwortlich die Kündigung einzelner Vertragsteile, genießt diese tarifautonome Entscheidung Vorrang. Denn entspricht die Teilbarkeit dem ausdrücklichen Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, besteht kein Anlass gegen eine Aufkündigung einzelner Regelungskomplexe zu intervenieren. Das Bundesarbeitsgericht hat daher zu Recht eine Teilkündigungsbefugnis anerkannt, wenn die Sozialpartner den ursprünglichen Gesamtkompromiss selbst zur Disposition stellen.50 Ausgehend davon ist die differenzierende Festlegung unterschiedlicher Kündigungstermine im Falle der „erweiterten" Globalbezugnahme rechtmäßig. Denn es entspricht der Regelungsabsicht beider Parteien, die einzelnen BezugstarifVerträge gesonderten Kündigungsregeln zu unterwerfen.
50
BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Nachwirkung; vgl. zudem ArbG Stuttgart vom 18.09.1996, AiB 1997, 307, 307; Bieback, DB 1989, 477, 478; Buchner, NZA 1993, 289, 298; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 144 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 469 (Fn. 30); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 38; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 51; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 182 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Meyer, RdA 1998, 142, 149; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350; Oetker, RdA 1995, 82, 98; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 79; Stefan, JuS 1993, 1027, 1029; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 778; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 253; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92; Zachert, ArbuR 1993, 294, 294 f.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages bb) Ohne vereinbarten Kündigungstermin
Unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Auffassung, dass im Falle des Schweigens des Anerkennungstarifvertrages die maßgebenden verbandstariflichen Kündigungstermine automatisch auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene gelten,51 legitimiert das Bundesarbeitsgericht bei „erweiterten" Globalverweisungen eine Teilkündigungsberechtigung, ohne eine ausdrückliche Gestattungsabrede der Parteien vorauszusetzen. Dennoch stellt dieser Befund die Interpretation der Rechtsprechung nicht in Frage. In seinen Beschlüssen vom 03.12.1985 hat das Bundesarbeitsgericht zwar den Standpunkt geäußert, es bedürfe einer „entsprechenden Vereinbarung, aus der mit gebotener Klarheit hervorgeht, auf welche konkreten Bestimmungen oder Teile sich die Möglichkeit der Teilkündigung beziehen soll". 52 Diese Direktive steht indes der Ermittlung der Teilkündigungserlaubnis im Wege der Auslegung nicht entgegen, sofern sich im Vertragstext hinreichende klare Anhaltspunkte für eine tarifliche Zulassung finden. 53 Eine Auslegung der Verweisungsbestimmung ergibt, dass die bezogenen VerbandstarifVerträge mit ihren jeweiligen Kündigungsregeln in den Anerkennungstarifvertrag übernommen werden. Infolge der Inkorporationswirkung stellt sich die Sachlage so dar, als wären die unterschiedlichen Kündigungstermine unmittelbar im Anerkennungstarifvertrag niedergeschrieben worden. Heterogene anerkennungstarifVertragliche Regelungskomplexe werden damit zu unterschiedlichen Zeitpunkten ordentlich kündbar gestellt. Dies schließt logisch die Erlaubnis späterer Teilkündigungen ein. Demgemäß kann die Teilkündigungsberechtigung unmittelbar auf die tarifautonom vereinbarte Verweisungsanordnung zurückgeführt werden.
51
BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT. 53 Oetker, RdA 1995, 82, 99; ähnlich Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; siehe auch Zachert, ArbuR 1993, 294, 294; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 778 (Fn. 72); vgl. zudem Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Steffan, JuS 1993, 1027, 1029; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 253. Im Betriebsverfassungsrecht gilt Gleiches - siehe BAG vom 17.05.1959, AP Nr. 10 zu § 59 BetrVG 1952; BAG vom 29.05.1964, AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG 1952; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 145; Richardi, § 77 BetrVG Rn. 190; Kreutz, in GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rn. 365. Nicht zu verwechseln ist die Frage der Auslegung denkbarer Gestattungsklauseln mit der kontroversen Diskussion um die Ableitung der Teilkündigungsberechtigung allein aus dem tarifvertraglichen Regelungszusammenhang - siehe dazu ArbG Stuttgart vom 18.09.1996, AiB 1997, 307, 307; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Steffan, JuS 1993, 1027, 1029; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 778. 52
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Für dieses Auslegungsergebnis spricht folgende Kontrollüberlegung: Die Gefahr der Zerstörung des vertraglichen Kompromisscharakters ist gering. Zwar ließe sich argumentieren, dass der Anerkennungstarifkompromiss gerade die einheitliche Verknüpfung aller inkorporierten Verbandstarifwerke umfasst. Dessen ungeachtet muss Berücksichtigung finden, dass die einzelnen Bezugsobjekte gesonderte Tarifabkommen darstellen, die unabhängig voneinander Bestand haben können. Die sonst bei Teilkündigungen drohende Gefahrenlage, dass ein nicht mehr handhabbarer Tarifzustand entsteht, existiert nicht. So kann beispielsweise bei einer Teilkündigung des inkorporierten VerbandstarifVertrages zur Beschäftigungssicherung der aufrechterhaltene Lohntarifvertrag ohne Einschränkung seine Wirkung entfalten. Die Aufrechterhaltung der „Restregelung" widerspricht keineswegs dem Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages, da insoweit eine sinnvolle Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verbleibt. Im Hinblick auf die gekündigten Teilbereiche können die Sozialpartner sodann neue Vertragsverhandlungen fuhren, ohne den gesamten Anerkennungstarifvertrag zur Disposition stellen zu müssen.
cc) Ergebnis Auch bei „erweiterten" Globalbezugnahmen finden somit im Zweifel die jeweiligen verbandstarifVertraglichen Kündigungstermine auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Anwendung.
3. Ermittlung der Kündigungsfrist Zu unterscheiden von der Problematik des maßgebenden Kündigungszeitpunkts ist die Frage der geltenden Kündigungsfrist nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung. In der Bemessung einer angemessenen Auslauffrist sind die Parteien des Anerkennungstarifvertrages frei. 54 Es obliegt ihrer Entscheidungsautonomie, wie lange sie die Anerkennungstarifordnung weiter aufrechterhalten, um während dieser Zeitspanne die Normadressaten vor einem abrupten Untergang der zwingenden Tarifwirkung zu schützen und um die Aufnahme von Verhandlungen zu einem NachfolgefirmentarifVertrag zu ermöglichen. Im
54 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1432 und 1434; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 124; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 42; Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 360; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 28; Oetker, RdA 1995, 82, 92; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 122; vgl. zudem Schaub, AuA 1998, 44, 45; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 78; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 761 und 763; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 253.
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Sonderfall der „erweiterten" Globalbezugnahme ist die Vereinbarung unterschiedlicher Auslauffristen für die einzelnen Bezugstarifwerke statthaft. Fehlt eine anerkennungstarifVertragliche Regelung zur Kündigungsfrist, gilt aufgestellte Grundsatz, dass eine wiederum der vom Bundesarbeitsgericht Übernahme der verbandstarifvertraglichen Kündigungsvorgaben zu erwägen ist. 55 Das Bundesarbeitsgericht hat allgemein von der Inkorporierung der fremden „Kündigungsregelung" gesprochen. Hierzu zählt ebenfalls die Festsetzung der maßgebenden Auslauffrist. Der höchstrichterlichen Auslegung der Verweisungsbestimmung ist zuzustimmen, denn auch die Dauer der zu wahrenden Kündigungsfrist prägt den Kompromisscharakter des Bezugstarifvertrages und wird daher infolge der Globalverweisung auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages übertragen. Somit ist der streitig diskutierte Fall, dass sich überhaupt keine ordentliche Kündigungsfrist ermitteln lässt, bei Anerkennungstarifverträgen selten. Einer Klärung der Streitfrage bedarf es nur, wenn weder der AnerkennungstarifVertrag noch der bezogene VerbandstarifVertrag eine Auslauffrist regeln. Dann ist entsprechend dem obiter dictum des Bundesarbeitsgerichts 56 in Einklang mit der überwiegenden Lehrmeinung von einer dreimonatigen Kündigungsfrist analog §§77 Abs. 5 BetrVG, 28 Abs. 2 Satz 4 SprAuG auszugehen.57
55 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; ebenso Bauer, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 97, 122; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 28; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 21. 56 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 57 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 124 f.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 42; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 360; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 28; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; Oetker, RdA 1995, 82, 92; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 78; Sowka, NZA 1995, 1126, 1127; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 123; Stoffels, ZfA 1999, 49, 145; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 22; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 254; so wohl auch Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 764. Abweichend Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 470; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 38; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350; differenzierend auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1435.
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4. Ermittlung der Kündigungsgründe Tarifverträge sind grundsätzlich ohne Angaben von Gründen ordentlich kündbar. 58
a) Vereinbarte
Kündigungsgründe
Weil die ordentliche Kündigung indes auch gänzlich ausgeschlossen werden darf, sind materielle Beschränkungen der Kündigungsbefugnis argumentum a maiore ad minus zulässig.59 Zur Absicherung des anerkennungstarifvertraglichen Bestandsinteresses können die Vertragschließenden einen enumerativen Katalog statthafter Kündigungsgründe niederlegen. Darüber hinaus kommt eine Verknüpfung des materiellen Bestandsschutzes mit prozeduralen Kündigungsanforderungen in Betracht. 60 Derartige Absprachen erlangen insbesondere bei dynamisch verweisenden Anerkennungstarifverträgen praktische Relevanz. Mit der Konkretisierung zulässiger Kündigungsgründe können die Sozialpartner einerseits die Möglichkeit verstellen, sich grundlos der Bindung an die bezogene Verbandstarifordnung zu entziehen und sichern damit einen langfristigen Anschluss an die Flächentarifentwicklung. Andererseits tragen sie dem Auflösungsinteresse jeder Vertragsseite Rechnung, indem sie ultima ratio einen ordentlichen Beendigungstatbestand vorsehen, wenn ein weiteres Festhalten an der inhaltlichen Dynamisierung greifbare Belastungen bedingt. Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages sind bei dynamischen Verweisungen zwei unbekannten Determinanten ausgesetzt. Infolge langfristiger Geltungszeiträume können sich zum einen die wirtschaftlichen Rahmendaten zu Lasten einer Partei ändern. Zum anderen sind die künftigen Verbandstarifgehalte im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages nicht sicher vorhersehbar, sodass insoweit die tatsächliche Sachgerechtigkeit späterer Tarifinhalte ungewiss bleibt. Um diesen Unsicherheitsfaktoren adäquat zu begegnen, bietet es sich an, im Falle des Eintritts ungewollter Tarifentwicklungen eine ordentliche Durchbrechung der Vertragsbindung zu gestatten. Hinsichtlich der Bestimmung der konkreten ordentlichen Kündigungsgründe genießen die Sozi58
Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 116; vgl. auch Oetker, RdA 1995, 82, 92; siehe allgemein Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 272. 59 Oetker, RdA 1995, 82, 92. Zu den so genannten „Kündigungsklauseln" - vgl. Beiling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 136; Henssler, ZfA 1994, 487, 495; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162; Meyer, RdA 1998, 142, 152 f.; siehe auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 369. 60 Oetker, RdA 1995, 82, 92.
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alpartner im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Vertragsautonomie. 61 Ein flexibles ordentliches Kündigungsinstrumentarium vermeidet den Rückgriff auf die unsichere Beendigungsform der außerordentlichen Kündigung und ist daher aus tarifpolitischer Sicht wünschenswert.
b) Ohne vereinbarte Kündigungsgründe Ohne Statuierung eigener Kündigungsgründe kann die ordentliche Kündigungsbefugnis dennoch materiellen Beschränkungen unterliegen. Mit der inhaltlichen Globalverweisung wird die gesamte verbandstarifliche „Kündigungsregelung" - wozu ebenfalls die verankerten materiellen Kündigungsmaßstäbe zählen - in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert. 62 Erst mit dieser kündigungsrechtlichen Gleichstellung ist gewährleistet, dass sich der VerbandstarifVertragliche Kompromisscharakter auf anerkennungstariflicher Ebene widerspiegelt.
5. Höchstdauer des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung Die ordentliche Kündigung kann ausgeschlossen werden, indem entweder eine feste Laufzeit festgesetzt oder schlicht ein Kündigungsausschluss verabredet wird. 63 Zwar ist es kaum zu erwarten, dass angesichts des ständigen Anpassungsbedarfs tariflicher Regelungen eine statische Inkorporationsanordnung auf viele Jahre hinaus festgeschrieben wird. Demgegenüber hat zumindest die Gewerkschaft bei dynamischen Verweisungen ein Interesse an einem langfristigen ordentlichen Kündigungsverbot, weil sie so dauerhaft eine Gleichstellung des Außenseiterarbeitgebers mit den verbandsangehörigen Unternehmen sicherstellt und nicht ständig gesonderte FirmentarifVertragsverhandlungen fuhren muss. Ein fortwährender Ausschluss der ordentlichen Kündigungsbefugnis ist
61
Siehe die beispielhaften Aufzählungen bei Henssler, ZfA 1994, 487, 495; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162 ff. 62 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; siehe auch Bauer, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 97, 122; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 28. 63 Oetker, RdA 1995, 82, 92; vgl. auch Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 18 f. und 123; Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 29; Rüthers, NJW 1993, 1628, 1629; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 250; siehe zudem Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 361; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb, § 199 Rn. 36. Allgemein zu dieser Problemat i k - vgl. Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 453.
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indes nur zulässig, wenn keine zeitliche Höchstgrenze für die tarifliche Selbstbindung gilt. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht mit Blick auf die dynamische Verweisung darauf abgestellt, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG einer unbefristeten Unterwerfung unter die inhaltliche Gestaltungsmacht fremder Sozialpartner entgegensteht. Die Tarifvertragsparteien begeben sich in unzulässiger Weise ihrer Normsetzungsbefugnis, wenn sie den VerweisungstarifVertrag für unkündbar erklären oder eine zeitlich lange Bindung eingehen, indem sie besonders lange Laufzeiten oder Kündigungsfristen vereinbaren. 64 Dies bedingt die Aufgabe des Kernbereichs tariflicher Regelungsmacht und widerspricht dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung. Allerdings fehlt eine höchstrichterliche Aussage zur exakten Bemessung der Höchstbindungsfrist. In einer neueren Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht eine Bindungsdauer von drei Jahren fur noch angemessen gehalten.65 Mit Urteil vom 17.05.2000 hat es sogar eine noch längere Laufzeit bestätigt und in diesem Kontext den Zweck dynamischer Stufenregelungen berücksichtigt. 66 Auch in der Rechtslehre wird eine zeitliche Begrenzung der tarifVertraglichen Bindung durchgängig befürwortet. 67 Umstritten ist nur, ob sich eine allgemeingültige Höchstfrist für den Ausschluss ordentlicher Kündigungen finden lässt. Im Grunde verdient das Bundesarbeitsgericht Zustimmung, wenn es bei der Bestimmung einer konkreten, verfassungsrechtlich determinierten Obergrenze Zurückhaltung walten lässt. Ab welchem Zeitraum von einer unzulässigen 64
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu §3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu §3 TVG Verbandsaustritt; LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Hanau/Kania,, DB 1995, 1229, 1230; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 212; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 43; Löwisch/Rieble, §1 TVG Rn. 127; dies., in Münchener-Hdb, §256 Rn. 12; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; vgl. zudem Oetker, RdA 1995, 82, 91 (Fn. 149); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 90 f.; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150 f. 65 BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 66 BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 67 Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 117; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 212; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 43; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 127; dies., in MünchenerHdb, § 256 Rn. 12; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Oetker, RdA 1995, 82, 91 (Fn. 149); Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 90 f.; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Stein, Anm. zu LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 149, 150 f.; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe auch Neumann, RdA 1994, 370, 373.
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Aufgabe des Kernbereichs eigenverantwortlicher Tarifhormsetzung auszugehen ist, kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls geklärt werden. Diese auf Verfassungsebene gebotene Einzelfallbetrachtung steht jedoch dem Anliegen nicht entgegen, auf einfachgesetzlicher Ebene nach Determinanten fur einen abstrakt fassbaren Zeitpunkt zu suchen, zu dem eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit spätestens anzuerkennen ist. 68 Aus Gründen der Berechenbarkeit dynamischer Verweisungen und im Bestreben nach Rechtssicherheit ist es sinnvoll, eine fixe Höchstgrenze für den Ausschluss der ordentlichen Kündigungsberechtigung zu statuieren. Weil sich die abstrakte Limitierung aber gerade aus dem Rechtsgedanken der unzulässigen Aufgabe der Normsetzungsbefugnis rechtfertigt, ist die Grenze dort zu ziehen, wo grundsätzlich der in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG wurzelnde Grundsatz der Tarifhormverantwortung in unzulässiger Weise tangiert wird. Zwecks Definition einer Höchstbindungsfrist bietet es sich an, auf den Rechtsgedanken des § 624 BGB, der nunmehr ebenfalls in § 15 Abs. 4 TzBfG Niederschlag findet, 69 zurückzugreifen. 70 In § 624 BGB kommt die Wertung zum Ausdruck, dass eine verbindliche Festlegung der Arbeitsbedingungen nur für einen Zeitraum von fünf Jahren statthaft ist. 71 Mit Ablauf der Fünfjahresfrist muss ein ordentliches Lösungsrecht bestehen, um dem verpflichteten Teil seine persönliche Gestaltungsfreiheit zurückzugewähren und um eine dauernde Vertragsfesselung zu vermeiden. 72 Zumindest soll der Partei ein Druckmittel an die Hand gegeben werden, um effizient über die Fortsetzung des Vertrages und dessen künftigen Inhalt verhandeln zu können. Zuzugeben ist den Kritikern, die einem Rückgriff auf § 624 BGB widersprechen, dass es sich um eine Schutzvorschrift aus dem Individualarbeitsvertrags68 Allgemein zur Funktion der ordentlichen Kündigung als Institut zur Verhinderung einer übermäßigen Vertragsbindung bei Dauerschuldverhältnissen - vgl. Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 509 f. 69 So auch Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19. 70 Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 128; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 29 und § 258 Rn. 13; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA §3 TVG Nr. 19; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 250; siehe zudem Richardi, Kollektivgewalt und Individuatile bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen, S. 223; allgemein hierzu Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 510. 71 Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230; vgl. auch Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19. 72 Zum Normzweck - vgl. RG vom 25.10.1912, RGZ 80, 277, 279; BAG vom 19.12.1991, AP Nr. 2 zu § 624 BGB; BAG vom 24.10.1996, AP Nr. 37 zu § 256 ZPO 1977; BGH vom 31.03.1982, BGHZ 83, 313, 316 f. Aus dem Schrifttum - vgl. Belling, in Erman, § 624 BGB Rn. 1; Preis, in Staudinger, § 624 BGB Rn. 1; Putzo, in Palandt, § 624 BGB Rn. 1 ; Schwerdtner, in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 624 BGB Rn. 1.
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recht, und zwar zu Gunsten der Arbeitnehmerseite handelt.73 Indessen ist zu berücksichtigen, dass hier lediglich für eine Übernahme des dem § 624 BGB zu Grunde liegenden Wertungsgedankens plädiert wird, ohne unmittelbar an den tatbestandlichen Vorgaben anzuknüpfen. 74 Im Übrigen streiten die Besonderheiten des Anerkennungstarifvertrages für eine Anlehnung an § 624 BGB. Der anerkennende Arbeitgeber wird ebenso wie der Dienstverpflichtete als Individualperson und gerade nicht als Koalition an die Dauerschuldvereinbarung gebunden.75 Er ist regelmäßig in gleichem Maße schutzwürdig, wie der in § 624 BGB umschriebene Personenkreis. Denn gelingt es der Gewerkschaft, einen dauerhaften Verzicht auf die ordentliche Kündigungsbefugnis durchzusetzen, spricht diese Tatsache für eine fehlende Mächtigkeit des betroffenen Einzelarbeitgebers. Mangels Durchsetzungsfähigkeit kann er keinen wirksamen Gegendruck entfalten, um überlangen Laufzeiten oder langfristigen Kündigungsausschlüssen zu begegnen. Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage ist der Normzweck, der in der Verhinderung einer vertraglichen Fesselung und dem Schutz der persönlichen Vertragsfreiheit liegt, bei unkoalierten Arbeitgebern ebenfalls maßgebend. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Schrifttum eine Höchstbindungsfrist von ftinf Jahren regelmäßig bereits dann in Erwägung zieht, wenn es eine überlange Bindung an einen „feststehenden" Tarifvertrag diskutiert. 76 73 LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Henssler/ Ρarpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 212; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 119 f.; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 43; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 74 Vgl. Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230. Für eine Anlehnung an die Fünfjahresfrist spricht zudem, dass der Gesetzgeber auch in anderen Konstellationen eine Maximalbindungsdauer von fünf Jahren als sachgerecht betrachtet - vgl. beispielsweise § 160 Abs. 1 HGB, § 736 Abs. 2 BGB, § 133 Abs. 3 UmwG. Siehe hierzu in ähnlichem Kontext Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233 (Fn. 57); Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 136; ders., ArbuR 1998, 469, 471. 75 Auch Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 119 f. steht einer Übertragung des Rechtsgedankens des § 624 BGB nur im Hinblick auf VerbandstarifVerträge skeptisch gegenüber. Zwischen den Verbänden fehle aufgrund der Normativwirkung der beim Dienstvertrag gegebene „zweipolige Interessenkonflikt". Zwar werden auch beim Firmentarifvertrag insoweit „dreipolige" Rechtsbeziehungen begründet, als die tarifunterworfenen Arbeitnehmer mit unmittelbarer und zwingender Wirkung an die Tarifnormen gebunden werden. Auf Arbeitgeberseite besteht indes keine Personenverschiedenheit zwischen TarifVertragspartei und Normadressat, sodass insofern eine „Zweipoligkeit" vorliegt. 76 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 128; dies., in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 13. Die Fünfjahresfrist wird ebenfalls zur Begrenzung der Weitergeltungsdauer gemäß § 3 Abs. 3 TVG diskutiert - vgl. Däubler, NZA 1996, 225, 227; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233; Kempff, AiB 1993, 267, 269; Kittner, in Brennpunkte des Arbeitsrechts 1998, S. 131, 136; ders., ArbuR 1998, 469, 471; Löhs, Anpassungsklauseln in TarifVer-
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Entscheidend kommt bei dynamischen Verweisungen hinzu, dass die Tarifbedingungen innerhalb von fünf Jahren gravierenden Modifikationen unterliegen können, die unter Umständen nicht mehr den Bedürfnissen der Normadressaten entsprechen. Die zeitliche Bindungsgrenze des § 624 BGB sichert den Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Möglichkeit, in absehbarer Zeit ihre inhaltliche Regelungshoheit zurückzuerlangen. Damit wirkt die Festsetzung einer fixen Höchstfrist einer „Ewigkeitsbindung" an fremdbestimmte Tarifinhalte entgegen. Zur Kompensation überlanger Anerkennungstarifbindungen genügt es nicht, auf das außerordentliche Kündigungsrecht zu verweisen. Denn häufig werden die modifizierten, nicht mehr als sachgerecht befundenen Regelungsvorgaben keine unzumutbaren Verpflichtungstatbestände beinhalten, sodass die Gefahr einer „ewiglichen" Fremdbestimmung nicht gebannt ist. 77 Insbesondere der anerkennende Arbeitgeber muss aber eine Perspektive haben, wann er wieder zu unternehmensspezifischen Firmentarifbedingungen verhandeln kann. Anderenfalls gerät die „Ewigkeitsbindung" an das Verbandstarifhiveau in Widerspruch zur negativen Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers. Letztlich liegt ein Rückgriff auf die Fünfjahresfrist des § 624 BGB im Interesse aller Beteiligten. Steht eine fixe Höchstbindungsdauer fest, dient dies der Rechtssicherheit und damit der Plan- und Berechenbarkeit dynamischer Verweisungen. Die an einer langfristigen Vertragsbindung interessierte Gewerkschaft riskiert einerseits nicht die Unwirksamkeit des AnerkennungstarifVertrages wegen einer unzulässigen Vertragsfesselung. In Verwirklichung der tariflichen Ordnungsfunktion kann sie andererseits bei einer über fünf Jahre gestreckten TarifVertragsgeltung die anvisierte Anbindung an die Verbandstarifentwicklung für einen erheblichen Zeitraum realisieren. Der anerkennende Arbeitgeber hat seinerseits die Möglichkeit, sich von der Blankettverweisung in überschaubarer Zeit zu lösen. Eine über fünf Jahre hinausreichende Unterwerfung unter die Fremdbestimmung anderer Sozialpartner ist ihm im Zweifel unzumutbar, 78 trägen, S. 57; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rn. 74; dies., in Münchener-Hdb, § 267 Rn. 24 f.; vgl. zudem LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 148; Büdenbender, NZA 2000, 509, 513. Für eine kürzere Bindungsdauer - vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 232; Oetker, in Wiedemann, § 3 TVG Rn. 69; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1557. Eine „Höchstbindungsfrist" wird ebenfalls zur Begrenzung der Nachwirkungsdauer gemäß § 4 Abs. 5 TVG diskutiert - vgl. Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 339; siehe allgemein hierzu Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1452 und 1454; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 873; Oetker, Gem. Anm. zu BAG vom 18.03.1992 und 27.11.1991, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 14 und Nr. 15; ders., Festschrift für Schaub, S. 535, 552 ff. 77 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 128; dies., in Münchener-Hdb, §258 Rn. 13; vgl. auch Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 509 f. 78 In diesem Kontext ist des Weiteren zu beachten, dass die normativen Tarifwirkungen nicht sofort entfallen, sondern zunächst kraft Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG
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weil sie nicht mehr dem legitimen vertraglichen Stabilisierungsinteresse Rechnung trägt, sondern vielmehr zu einer übermäßigen Beschränkung der tarifautonomen Betätigungsfreiheit führt. 79 Die Fixierung einer festen Höchstbindungsfrist steht letztlich auch im Interesse der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer, denn sie gewährleistet eine rechtssichere Beurteilung der zulässigen Vertragslaufzeit Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, diass der Anerkennungstarifvertrag spätestens nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Auslaufirist von sechs Monaten von beiden Seiten ordentlich kündbar ist.
6. Ordentliche Gesamtkündigung bei „erweiterter 64 Globalverweisung trotz ordentlicher Teilkündigungsmöglichkeit Bei „erweiterten" Globalbezugnahmen muss dem anerkennenden Arbeitgeber eine realistische Perspektive eingeräumt werden, wann er sich dem Fremdeinfluss der Verbandstarifvertragsparteien vollständig entziehen kann. Der Gesetzgeber hatte bei der gesetzlichen Verankerung der Tariffahigkeit des einzelnen Arbeitgebers in § 2 Abs. 1,2. Alt. TVG den Grundsatz vor Augen, dass auch die FirmentarifVertragsparteien grundsätzlich befähigt sind, durch paritätische Vertragsverhandlungen für einen sachgerechten Sozialausgleich durch originäre, unternehmensbezogene Tarifabsprachen zu sorgen. 80 Stellt die verweisungstechnische Unterwerfung unter den Einfluss fremder Koalitionen mithin eine von diesem Grundsatz abweichende Regelungsform dar, muss dem
aufrechterhalten bleiben, sodass sich der Zeitraum der Unterwerfung unter fremdbestimmte, nicht mehr sachgerechte Tarifbedingungen weiter verlängert - vgl. Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1230 (Fn. 24). 79 Der unkoalierte Arbeitgeber kann sich zwar nicht unmittelbar auf die in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG fixierte Betätigungsgarantie berufen. Es ist aber anerkannt, dass mit der Verankerung seiner Tariffähigkeit in § 2 Abs. 1, 2. Alt. TVG notwendigerweise ein konformer Betätigungsfreiraum korreliert - vgl. Rieble, NZA 2000, 225, 230; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 163 ff.; siehe zudem Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 255 Rn. 35; vgl. auch BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf 80 Unausgesprochen liegt dieser Gedanke der Anerkennung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu Grunde - siehe allgemein dazu BVerfG vom 19.10.1966, BVerfGE 20, 312, 318; BAG vom 20.11.1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; BAG vom 11.08.1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 63; Kempen/Zachert, § 2 TVG Rn. 66; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 255 Rn. 35; Oetker, in Wiedemann, § 2 TVG Rn. 21; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 163 f.; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 104 ff.; Zachert, Festschrift für Kehrmann, S. 335, 336 ff.; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19 f.
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Arbeitgeber eine effektive Möglichkeit verbleiben, seine inhaltliche Gestaltungshoheit vollumfänglich zurückzuerlangen. Selbst wenn die jeweiligen ordentlichen Kündigungsregelungen des bezogenen VerbandstarifVertrages in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert werden und daher ordentliche Teilkündigungen der einzelnen Bezugstarifwerke zulässig sind, ist damit nicht sichergestellt, dass der Arbeitgeber seine Selbstgestaltungsbefugnis faktisch wiedererlangt. Er wird gewöhnlich von seiner ordentlichen Teilkündigungsberechtigung keinen Gebrauch machen, weil er danach mit arbeitskampfrechtlichen Auseinandersetzungen rechnen muss, die unter Umständen wiederum zur Übernahme des entsprechenden Verbandstarifvertrages führen. Aus diesen Gründen ist dem anerkennenden Arbeitgeber nach Ablauf von fünf Jahren ein ordentliches Gesamtlösungsrecht von der „erweiterten" Global Verweisung zuzubilligen mit der Folge, dass er den AnerkennungstarifVertrag vollumfänglich beenden darf
I I I . Außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages Da infolge der Verweisung fremdbestimmte Tarifhorminhalte auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene Anwendung finden, erlangt die außerordentliche Kündigung besondere Bedeutung, wenn die Inkorporationswirkung zu ungewollten Tarifzuständen führt.
1. Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung a) Außerordentliche
Kündigung kraft
Vereinbarung
In Ausübung ihrer Regelungsautonomie sind die Partner des Anerkennungstarifvertrages befugt, eigene Absprachen zur außerordentlichen Kündigung ihres Tarifwerkes zu treffen. 81 Dabei können sie festlegen, welche Kündigungsgründe zu einer fristlosen Beendigung des Firmentarifvertrages berechtigen. 82 Gerade bei dynamischen Anerkennungstarifverträgen bietet es sich an,
81
Däubler, ZTR 1996, 241, 241; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 363; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 33; Meyer, RdA 1998, 142, 152; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 255; siehe auch BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1. 82 Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162 ff.; siehe zudem Henssler, ZfA 1994, 487, 495; vgl. auch Däubler, ZTR 1996, 241, 241; Löwisch/Rieble, § 1 TVG
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Maßstäbe zu entwickeln, unter welchen Voraussetzungen ein weiteres Festhalten an der automatischen Anbindung an die zukünftige Verbandstarifentwicklung unzumutbar ist. Im Gegensatz zur tarifpolitisch erwünschten Strukturierung der einzelnen Kündigungstatbestände ist ein vertraglicher Ausschluss der außerordentlichen Kündigungsberechtigung in analoger Anwendung des § 89a Abs. 1 Satz 2 HGB unstatthaft. Das einseitige Lösungsrecht aus wichtigem Grund ist Ausdruck eines höherrangigen, unabdingbaren Rechtssatzes. Genauer gesagt darf keine Partei zur Erfüllung eines unzumutbaren Vertrages verpflichtet werden. 83 Unzulässig sind ebenfalls materielle Kündigungsbeschränkungen mit inhaltsgleicher Wirkung. Aus diesem Grund rechtfertigt die Tarifautonomie lediglich Konkretisierungsabsprachen bezüglich der maßgebenden Kündigungskriterien.
b) Außerordentliche
Kündigung ohne Vereinbarung
Eine außerordentliche Kündigungsberechtigung besteht auch ohne ausdrückliche tarifvertragliche Gestattung. Für alle Dauerrechtsverhältnisse gilt der Grundsatz, dass ein Recht zur außerordentlichen Lösung von der Vertragsbindung anzuerkennen ist, wenn eine Fortsetzung zu unzumutbaren Belastungen einer Partei fuhrt. 84 In entsprechender Anwendung des § 314 Abs. 1 BGB kann Rn. 363; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 33; Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 102; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 255. 83 Vgl. Henssler, ZfA 1994, 487, 491; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 128; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen, S. 162; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 26; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 255; siehe auch Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 455; einschränkend Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 103. 84 BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1. Vgl. zudem Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 42; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1090; Belling , NZA 1996, 906, 910; Belling/ H artmann, ZfA 1997, 87, 124; Buchner, NZA 1993, 289, 295; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1443; ders., ZTR 1996, 241, 244; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Henssler, ZfA 1994, 487, 490; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 126 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 471; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 39; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 44; Kempff AiB 1993, 267, 269; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Löhs, Anpassungsklauseln in Tarifverträgen,
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der Anerkennungstarifvertrag gemäß seiner Rechtsnatur als Dauerrechtsverhältnis vorzeitig aus wichtigem Grund beendet werden. 85 Die Unzumutbarkeit zwingt auch bei festen Laufzeitvereinbarungen zu einer Einschränkung des Grundsatzes pacta sunt servanda, sodass Befristungsabreden anders als im Falle der ordentlichen Vertragsbeendigung keinen Kündigungsausschluss bedingen.86
c) Verhältnis zum Rechtsinstitut des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage
Die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage finden als eigenständiges Institut im Tarifrecht keine sinnvolle Anwendung, weil die primäre Rechtsfolge der richterlichen Vertragsanpassung entsprechend §313 Abs. 1 und 2 BGB den Funktionsmechanismen der Tarifautonomie widerspricht und die sekundäre Konsequenz der Vertragsauflösung gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB bereits über die außerordentliche Kündigung abgedeckt wird. 87
S. 162; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch, NJW 1997, 905, 907; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 364; dies., in MünchenerHdb, § 256 Rn. 33; Meyer, RdA 1998, 142, 148; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 351; Oetker, ZfA 1994, 545, 630; ders. RdA 1995, 82, 93 f.; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 207 f.; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Rüthers, NJW 1993, 1628, 1629; Schaub, AuA 1998, 44, 45; ders., in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Schlachter, ZIAS 1997, 101, 107; Steffan, JuS 1993, 1027, 1028; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 123; ders., Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 108; Stoffels, ZfA 1999, 49, 144; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 764; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 26; Wieland,Recht der Firmentarifverträge, Rn. 255; Zachert, NZA 1993, 299, 300; ders., RdA 1996, 140, 149; vgl. auch Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 91 f.; Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 102. 85 Vor Inkrafttreten des § 314 BGB wurde auf den aus den Vorschriften der §§ 554a, 626 Abs. 1, 723 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F., § 89a Abs. 1 HGB abgeleiteten allgemeinen Rechtsgedanken abgestellt. 86 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Henssler, ZfA 1994, 487, 490; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Oetker, RdA 1995, 82, 93; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 26. 87 LAG Brandenburg vom 24.02.1994, NZA 1995, 905, 906; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 42; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1090; Buchner, NZA 1993, 289, 294; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1443; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Henssler, ZfA 1994, 487, 493; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 49; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung;
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2. Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung Die Regelungstechnik der Verweisung zeitigt signifikante Rückwirkungen auf die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der außerordentlichen Kündigung.
a) Wichtiger
Grund und Unzumutbarkeit
Das Bundesarbeitsgericht hat eine sofortige Kündigung des Anerkennungstarifvertrages nur dann befürwortet, wenn ein wichtiger Grund im Sinne § 314 Abs. 1 BGB vorliegt, aufgrund dessen „dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrages nicht zugemutet werden kann". 88
Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 34; Oetker, RdA 1995, 82, 96 ff.; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 207; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Steffan, JuS 1993, 1027, 1028; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Stoffels, ZfA 1999, 49, 145; Wank, Festschrift ftir Schaub, S. 761, 788; ders., RdA 1998, 71, 87; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 73; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 259; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 91; Zachert, RdA 1996, 140, 149; vgl. auch Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 108. Abweichend //ey, ZfA 2002, 275, 279 ff.; Hromadka, Festschrift fur Wlotzke, S. 333, 353 f.; ders., AuA 1996, 289, 292; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2334 f.; Otto, Festschrift ftir Kissel, S. 787, 789 ff.; Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 103 f.; vgl. auch LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459; Belling, NZA 1996, 906, 907 f.; Belling/ Hartmann, ZfA 1997, 87, 106 ff. und 124; Däubler, ZTR 1996, 241, 242 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 774 f.; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 188 f.; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Meyer, RdA 1998, 142, 148; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80. Offengelassen von BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BA G vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; vgl. zudem BAG vom 09.12.1999, AP Nr. 14 zu § 1 BAT-O; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie. Siehe auch die Bedenken von BAG vòm 15T2.1976, AP Nr. 1 zu § 36 BAT; BAG vom 30.05.1984, AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG vom 12.09.1984, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung. 88 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung; LAG Brandenburg vom 24.02.1994, NZA 1995, 905, 906; LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages aa) Schwere Pflichtverletzung
Nach anerkannter Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wird eine Fortsetzung des Tarifvertrages unzumutbar, wenn der Vertragspartner eine schwere Pflichtverletzung begeht.89 Dieser wichtige Kündigungsgrund wirft keine verweisungsrechtlichen Besonderheiten auf. Er kommt regelmäßig zum Zuge, wenn eine Partei unter Missachtung der bestehenden Friedenspflicht zu arbeitskampfrechtlichen Zwangsmitteln greift. 90 In Anbetracht der Nichtigkeit der dynamischen Rechtsstatusanbindung ist eine außerordentliche Kündigung beispielsweise denkbar, wenn die Gewerkschaft den Außenseiterarbeitgeber während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages parallel in verbandstarifbezogene Arbeitskämpfe einbezieht.91
bb) Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten Wie alle Sozialpartner sind auch die Parteien des Anerkennungstarifvertrages mit dem Risiko belastet, dass die wirtschaftlichen Rahmendaten nach Vertragsschluss gravierenden Veränderungen unterliegen. Zur Korrektur dieser Gefahrenlage findet kein verweisungsspezifisches Prüfungsverfahren statt, denn sowohl die Verbands- als auch die anerkennungstarifgebundenen Normadressaten werden gleichermaßen vom Wandel der Lebenshaltungskosten, Steuerlast und Gewinnlage tangiert. Die Unzumutbarkeit muss unter Berücksichtigung der vertragsimmanenten Risikoverteilung danach beurteilt werden, ob die unvorhersehbare Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten zu schwerwiegenden Äquivalenzstörungen führt. 92 Überschritten ist die Grenze des Zumutbaren erst, 89
BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Buchner, NZA 1993, 289, 295; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1445; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 129; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 472; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 47; Kempff, AiB 1993, 267, 269; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 196; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 364; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 37; Oetker, RdA 1995, 82, 94; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 766; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 53; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 257; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 89; einschränkend Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 351 f. 90 BAG vom 14.11.1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1445; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 472 f.; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 47; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 364; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 37; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 766; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 54; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 257; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 89. 91 Siehe dazu oben § 12 Β II 1 b. 92 Zur Unzumutbarkeit wegen Änderung der „wirtschaftlichen Verhältnisse" - vgl. LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997,
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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wenn sich eine Gefährdung des Unternehmens oder einer erheblichen Anzahl von Arbeitsplätzen konkret abzeichnet.93 EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, ARBlattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1444; ders., ZTR 1996, 241, 244; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771 f.; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Henssler, ZfA 1994, 487, 491; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, S. 131 ff.; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 45; Kempff AiB 1993, 267, 269; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch, NJW 1997, 905, 907; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 40 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 94; Richardi, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, ÈzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Steffan, JuS 1993, 1027, 1028 f.; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 124; ders., Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 108; Wank, Festschrift fur Schaub, S. 761, 767 ff.; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 55; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 258; siehe zudem Belling, NZA 1996, 906, 908 f.; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2334 f.; ders., RdA 1998, 142, 148 f.; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 796 ff.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 369; vgl. auch Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 103 f.; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92; Zachert, NZA 1993, 299, 300. Das BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung musste mangels Entscheidungserheblichkeit zur Unzumutbarkeit wegen Veränderung der wirtschaftlichen Rahmendaten keine Stellung beziehen. 93
Buchner, NZA 1993, 289, 298; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Henssler, ZfA 1994, 487, 491 f.; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NJW 1997, 905, 906 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 40 und 42; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 109; vgl. auch Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Einschränkend Lieb, NZA 1994, 337, 342; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 802; Wank, NJW 1996, 2273, 2281; ders., Festschrift für Schaub, S. 761, 771, ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 34, die dem Tarifvertrag auch die Aufgabe zuweisen, schwache Unternehmen aus dem Markt zu drängen. Kritisch dazu Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 42; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 233; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; siehe auch Löwisch, NJW 1997, 905, 906. Zu beachten ist, dass der Firmentarifvertrag im Gegensatz zum VerbandstarifVertrag bereits aufgrund seiner auf das konkrete Unternehmen beschränkten Reichweite eine derartige Funktion nicht besitzen kann. In diesem Kontext wird teilweise auf die Maßstäbe des § 2 KSchG abgestellt. Insbesondere bei Firmentarifverträgen erscheint eine derartige Parallele zweckmäßig, weil eine außerordentliche Tarifvertragskündigung nur Sinn hat, wenn die unzumutbaren Arbeitsbedingungen auch auf individualarbeitsvertraglicher Ebene abgebaut werden können vgl. Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Bauer/Diller, DB 1993, 2085, 2090; Henssler, ZfA 1994, 487, 491 f.; siehe auch Löwisch, NJW 1997, 905, 908 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Stein, Anm.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Wichtigen Einfluss auf die Bewertung der Unzumutbarkeit hat die verbleibende Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages. Je langfristiger das Vertragsende beziehungsweise die erste ordentliche Kündigungsmöglichkeit terminiert ist, desto eher kommt eine außerordentliche Lösung in Betracht. 94 Bedeutsam wird dies vorrangig für dynamisch verweisende Anerkennungstarifverträge, weil die getroffenen Beendigungsabsprachen oftmals auf eine dauerhafte Anbindung an die Verbandstarifentwicklung abzielen. Auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene ist die außerordentliche Kündigung allerdings insofern privilegiert, als sich der Außenseiterarbeitgeber bei schwerwiegenden Belastungen anders als ein verbandsangehöriger Arbeitgeber in jedem Fall von der Vertragsbindung lösen kann, da die Unzumutbarkeitsanalyse konkret am firmentarifVertragschließenden Unternehmen anknüpft. 95
cc) Aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG abgeleiteter außerordentlicher Kündigungsgrund Möglicherweise zwingen die Besonderheiten der Verweisungstechnik zur Anerkennung eines gesonderten außerordentlichen Kündigungsgrundes. Zwar hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 18.12.1996 und vom 18.06.1997 mit der fristlosen Beendigung eines dynamisch verweisenden An-
zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 109; vgl. zudem Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 117; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3. 94 ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Belling, NZA 1996, 906, 908; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 45; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 369; dies., in Münchener-Hdb, §256 Rn. 41; Wank, in Wiedemann, §4 TVG Rn. 35; Zachert, RdA 1996, 140, 149; vgl. zudem Meyer, RdA 1998, 142, 149; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; einschränkend Unterhinninghofen, ArbuR 1993, 101, 104. 95 Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 40; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1089; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Henssler, ZfA 1994, 487, 492; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 139; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NZA 1997, 906, 907; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 43; Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 209; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 769; vgl. auch Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 45; Oetker, RdA 1995, 82, 95; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 110. Im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung eines „VerbandstarifVertrages" ist umstritten, für welche Anzahl der koalierten Arbeitgeber eine weitere Anwendung der Tarifbedingungen unzumutbar sein muss - vgl. dazu Däubler, ZTR 1996, 241, 244; Oetker, RdA 1995, 82, 95; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 31 jeweils mit weiteren Nachweisen.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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erkennungstarifvertrages befasst. 96 Allerdings ist die Frage des wichtigen Grundes nicht entscheidungserheblich gewesen, sodass eine höchstrichterliche Analyse zur Wechselwirkung zwischen Verweisung und außerordentlichem Lösungsrecht fehlt. Sowohl der Terminus des „wichtigen Grundes" als auch das erläuternde Merkmal der „Unzumutbarkeit" stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar. Sie sind auslegungsfähig und ebenso auslegungsbedürftig, wobei neben der grammatikalischen Interpretation maßgebend auf die Normzweckvorgaben abzustellen ist. In die teleologische Auslegung fließen höherrangige Wertungsgesichtspunkte ein. Notwendig ist insbesondere eine verfassungskonforme Würdigung des Begriffsgehalts. 97 Anlass zu einer grundgesetzorientierten Definition der unbestimmten Rechtsbegriffe gibt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG, wobei zwischen statischen und dynamischen Bezugnahmen zu differenzieren ist.
(1) Statische Verweisung Im Kontext statischer Verweisungen ergeben sich im Vergleich zur originären Tarifhormgebung keine Besonderheiten bei der Bewertung des wichtigen Kündigungsgrundes. Allein der Umstand, dass die Arbeitsbedingungen durch die fremden Verbandstarifparteien erschaffen sind, bedingt keine durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG determinierte Erleichterung der außerordentlichen Kündigungsbefugnis auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages. Vor dem Abschluss des statisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages haben die Parteien die Möglichkeit, das verbandstarifVertragliche Normengefüge auf seine Sachgerechtigkeit zu überprüfen. Demzufolge müssen sie sich an den Normvorgaben genauso festhalten lassen, als hätten sie selbst die Tarifbedingungen wortlautidentisch niedergeschrieben.
(2) Dynamische Verweisung Demgegenüber geben die Eigenheiten dynamischer Verweisungen Anlass zu einer verweisungsspezifischen Bestimmung der Kündigungsmaßstäbe.
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BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 97 Vgl. hierzu - Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 455 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339 ff; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 432 ff.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
(a) Gefährdungslage Als eigenständiger Faktor fur die Ermittlung einer unzumutbaren Äquivalenzstörung tritt bei Blankettverweisungen die antezipierende Unterwerfung unter die inhaltliche Gestaltungsbefugnis fremder Sozialpartner hervor. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bleiben den Parteien des Anerkennungstarifvertrages die zukünftigen Tarifhormgehalte des bezogenen VerbandstarifVertrages unbekannt. Sie können nicht sicher abschätzen, ob die Verbandstarifordnung in Zukunft sachgerechte Tariflösungen bieten wird. Zwar ist die Gefährdungslage fur die Gewerkschaft weniger problematisch, weil sie im Regelfall gleichzeitig Partei des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages ist. Der anerkennende Arbeitgeber hat indes seine inhaltliche Gestaltungshoheit vorübergehend verloren und kann die Zumutbarkeit künftiger Arbeitsbedingungen nicht eigenständig beeinflussen. Durch die automatische Inkorporationswirkung werden die jeweiligen NachfolgeverbandstarifVerträge ohne nochmalige Sachgerechtigkeitsprüfung auf die anerkennungstarifvertragliche Ebene transformiert. Die Verbandstarifparteien können sich auf Regelungen verständigen, die überraschenden Inhalt haben und bei Abschluss des Anerkennungstarifvertrages unvorhersehbar waren. Infolge der inhaltlichen Fremdbestimmung entsteht somit die Gefahr, dass ungewollte Tarifzustände eintreten, die entweder undurchführbare Regelungsvorgaben oder einseitig belastende Verpflichtungstatbestände beinhalten. Die durch die Dynamisierung der Tarifbedingungen verursachte Gefährdungslage potenziert sich dann, wenn nicht nur ein konkretes Verbandstarifwerk in Bezug genommen wird, sondern eine „erweiterte" Globalbezugnahme Gegenstand der TarifVereinbarung ist. Denn durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Modifikationsabkommen kann sich die Sachgerechtigkeit weiter zu Lasten einer Seite verschieben. 98
(b) Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Dynamische Verweisungen sind nach überwiegend befürworteter Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nur statthaft, wenn die Parteien des Anerkennungsta-
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Wenn die jeweils geltenden verbandstarifVertraglichen Kündigungsregelungen entsprechend BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung inkorporiert werden, kann sich der anerkennende Arbeitgeber angesichts unterschiedlicher verbandstarifvertraglicher Kündigungstermine nie vom Anerkennungstarifvertrag in seiner Gesamtheit lösen. Er muss vielmehr sukzessive von seinem ordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen, was unter Umständen erhebliche Erschwernisse verursacht.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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rifVertrages „Herren" des Bezug nehmenden Tarifvertrages bleiben." Hierfür ist es notwendig, dass jede Vertragsseite bei inhaltlichen Fehlentwicklungen die Anbindung an das Verbandstarifniveau aufheben kann. Explizit hat das Bundesarbeitsgericht ein Jederzeitiges" Lösungsrecht gefordert. 100 Hintergrund dieser Forderung sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Nach dem Grundsatz der Tarifhormverantwortung sind die Sozialpartner verpflichtet, selbst für eine handhabbare und sachgerechte Normenordnung Sorge zu tragen. Dynamische Verweisungen sind nur statthaft, weil sie Ausdruck einer eigenverantwortlichen Prognoseentscheidung über die Sachgerechtigkeit der zukünftigen Tarifentwicklung sind. 101 Entwickeln sich die bezogenen Tarifbestimmungen allerdings in einer nicht den ursprünglichen Sachgerechtigkeitsvorstellungen entsprechenden Weise, verliert die Blankettbezugnahme ihre soziale Ausgleichsfunktion. Die fortdauernde inhaltliche Fremdbestimmung führt zu einer inadäquaten Verteilung der tariflichen Lasten. In dieser Situation bedingt wiederum der Grundsatz der Tarifnormverantwortung eine eigenständige Neustrukturierung des tariflichen Interessenausgleichs. Verweigert eine Seite die Korrektur der enttäuschten Sachgerechtigkeitserwartung, muss dem Gegner ein effektives und reales einseitiges Lösungsrecht zustehen, um den Fremdeinfluss zu beenden. Weil das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen werden kann, kommt der außerordentlichen Kündigung in diesem Kontext besondere Bedeutung zu. Die Möglichkeit der jederzeitigen Aufhebbarkeit einer unsachgerecht gewordenen Dynamisierung ist das notwendige Korrelat zur freizügigen Gestattung dynamischer Verweisungen. Ohne reale Beendigungsbefugnis überschreitet die antezipierende Unterwerfung unter fremdbestimmte Tarifbedingungen die Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Das Instrumentarium der außerordentlichen Kündigung erfüllt somit bei dynamischen Verweisungen nicht nur die Funktion, existenziell bedrohliche Gefährdungslagen zu verhindern, sondern dient im Wesentlichen der Gewährleistung der Tarifhormverantwortung. Jeder Partei muss für den Fall einer inhaltlichen
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BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; siehe dazu ebenfalls Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 141, 156; Eisenmann, Die Normqualität abgeleiteter Tarifvertragsbestimmungen, S. 120; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 57; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 12; Meyer, Blankettverweisungen in Kollektivverträgen, S. 79; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 80; Schulin, ZfA 1981, 577, 583; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 625. Den Zusammenhang zwischen der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen und der außerordentlichen Kündigung hebt insbesondere Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2 hervor. 100 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. 101 Ausführlich oben § 6 A IV 2 und § 5 A IV 2.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Fehlentwicklung des Bezugstarifwerkes das Recht eingeräumt werden, die eigenverantwortliche Gestaltungsbefugnis zurückzuerlangen. Aus diesem Grund darf das außerordentliche Lösungsrecht bei Blankettbezugnahmen kein stumpfes Schwert darstellen. 102 Soweit Stellungnahmen in der Literatur die Beendigungsproblematik tangieren, wird die Funktion der außerordentlichen Kündigung als Instrument zur Wiedererlangung der inhaltlichen Gestaltungshoheit anerkannt. 103 Als Grundsatz hat sich der Leitgedanke durchgesetzt, dass eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, wenn „eine unvorhersehbare Änderung des dynamisch in Bezug genommenen Regelwerkes" eintritt. 104 Insbesondere Rieble hat die Diskussion angestoßen, indem er sogar ein ordentliches Kündigungsrecht im Zeitpunkt der jeweiligen Beendigung des Bezugstarifvertrages fordert, um
102 Mittelbar bestätigt wird die Sonderbehandlung der außerordentlichen Kündigung bei dynamischen Verweisungen durch die Stellungnahmen, die im Falle unvorhersehbarer, „überraschender" Tarifentwicklungen sogar die Inkorporierung derartiger Neuregelungen in den VerweisungstarifVertrag ablehnen - vgl. dazu Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 64; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 124; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 100 ff.; siehe auch Herschel, BB 1963, 1220, 1223; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form. 103 Eine parallele Kündigungsproblematik stellt sich bei tarifVertraglichen Blankettverweisungen auf „gesetzliche" Bestimmungen. Nach allgemeiner Auffassung sind Änderungen der bezogenen Gesetzesvorschriften geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen - vgl. Buchner, NZA 1996, 1177, 1182; Hamacher, Deklaratorische oder konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 115; Wank,, RdA 1998, 71, 87; vgl. auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 368; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39; siehe zudem Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 173. Eine Vielzahl der Stellungnahmen sieht in der „ Ä n d e r u n g der Rechtslage" den klassischen Anwendungsfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Tarifrecht - vgl. Buchner, NZA 1996, 1177, 1182; Dütz, Anm. zu ArbG Bonn vom 27.05.1996, EzA § 1 BeschFG 1985 Nr. 1; Gamillscheg,, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 774; Hamacher, Deklaratorische oder konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 115; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 130 f.; siehe zudem Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 367; vgl. auch Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 113 f. Konsequenterweise besteht jedoch auch hier ein Vorrang der außerordentlichen Kündigung - vgl. Wank, Festschrift ftir Schaub, S. 761, 766; ders., RdA 1998, 71, 87; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 60 f.; siehe zudem Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39. 104 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 368; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39. Zur Kompensation der Inkorporierung „überraschender" Klauseln durch das einseitige Kündigungsrecht - vgl. auch Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Iffland, DB 1964, 1737, 1740 f.; siehe zudem Herschel, BB 1963, 1220, 1223.
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die Normsetzungsverantwortung abzusichern. 105 Auch wenn dieser Ansatz über das Schutzanliegen hinausschießt, weil er eine grundlose Vertragsaufkündigung ermöglicht, findet die verweisungsspezifische Bewertung der Tarifvertragsbeendigung hier ihre Bestätigung. Eine Privilegierung der außerordentlichen Kündigungsbefügnis bei Blankettbezugnahmen ist sachgemäß. Bei originären Tarifabreden ist es durchaus richtig, die Sozialpartner auf die eigenständig ausgehandelte Tarifordnung zu verpflichten. Im Falle der Konfrontation mit fremdbestimmten Tarifhorminhalten rechtfertigt der Gedanke der Selbstunterwerfung allerdings keine gleichwertige Bindungsintensität. Denn der Selbstbindungswille steht gerade unter dem Vorbehalt einer sachgerechten Entwicklung der bezogenen Tarifinhalte. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG determinierte Rechtslage bei der Bewertung des „wichtigen Grundes" und der Bestimmung des „Zumutbarkeitsmaßstabs" maßgebend zu berücksichtigen ist. 106 In den gemäß § 314 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägungsvorgang muss nachhaltig einfließen, dass die künftigen Anerkennungstarifbedingungen das Ergebnis einer inhaltlichen Fremdbestimmung sind und vor ihrem Inkrafttreten von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages nicht auf ihre Sachgerechtigkeit überprüft wurden. Die somit befürwortete verfassungskonforme Interpretation des außerordentlichen Kündigungsrechts gewährleistet eine sachgerechte Risikoverteilung. Zum einen ist entgegen Rieble keine grundlose Abkopplung von der bewusst in Kauf genommenen Dynamisierung möglich. Andererseits wird den Gefahren dynamischer Verweisungen angemessen Rechnung getragen.
(c) Bestimmung des wichtigen Grundes Gradmesser für die Bewertung des wichtigen Grundes ist die Tragweite der inhaltlichen Änderungen des Bezugstarifwerkes. Dabei muss die Beurteilung am Regelungsgehalt des ursprünglich bezogenen VerbandstarifVertrages anknüpfen. Die im Zeitpunkt des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages gültigen verbandstariflichen Vorgaben stellen die Basis der Sachgerechtigkeitsprognose für die verweisenden Sozialpartner dar.
105
Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Zum Zusammenhang zwischen „Unzumutbarkeit" und „Überschreitung der Tarifmacht" - vgl. Belling, NZA 1996, 906, 907; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 107; Buchner, NZA 1993, 289, 293; siehe allgemein hierzu BAG (GS) vom 29.11.1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; vgl. auch Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 227 ff. 106
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Die anfänglichen Regelungsinhalte sind mit den infolge der dynamischen Fortentwicklung in Kraft tretenden inhaltlichen Neuerungen zu vergleichen. Anlass zu einer fristlosen Lösung von der Bindung an das jeweilige Verbandstarifniveau können nur gravierende Inhaltsänderungen geben. 107 In diesem Kontext ist die Gefahrenlage dynamischer Verweisungen angemessen zu berücksichtigen. Ein schutzwürdiges Beendigungsinteresse besteht nur, wenn unvorhersehbare Tarifentwicklungen eintreten, die nicht lediglich Ausdruck der gewöhnlichen Anpassung an die veränderten Rahmendaten sind. Vorhersehbare Modifikationen werden von den Parteien des Anerkennungstarifvertrages bewusst in Kauf genommen.108 Insoweit zählt die Weiterentwicklung der Tarifnorminhalte zum vertragsimmanenten Risiko eines dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages. Unter Beachtung der verweisungsspezifischen Risikoverteilung bilden somit lediglich unabsehbare Modifikationen der bezogenen Verbandstarifbestimmungen die Grundlage eines wichtigen Kündigungsgrundes. Passend erscheint insofern der vom Bundesarbeitsgericht geprägte Terminus der „überraschenden Klausel". 109
107
Vgl. Wank, RdA 1998, 71, 87. Der Gesichtspunkt der „Unvorhersehbarkeit" erlangt gerade in der Verweisungskonstellation ausschlaggebende Berücksichtigung - vgl. Buchner, NZA 1996, 1177, 1182; Dütz, Anm. zu ArbG Bonn vom 27.05.1996, EzA § 1 BeschFG 1985 Nr. 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 368; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 39. Angesichts der Fremdbestimmung durch andere Sozialpartner ist eine „unvorhersehbare" Tarifentwicklung viel eher zu besorgen, als im Falle originärer Tarifnormgebung. Allgemein zum Kriterium der „Unvorhersehbarkeit" bei außerordentlichen Kündigungen wegen Äquivalenzstörungen - vgl. LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 459 f.; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Belling, NZA 1996, 906, 908; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 99 f.; Buchner, NZA 1993, 289, 295 und 297; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1444; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 135; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 472; Kempff, AiB 1993, 267, 269; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; ders., RdA 1998, 142, 148 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 94; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Steffan, JuS 1993, 1027, 1028; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 109; Wank, Festschrift fur Schaub, S. 761, 767 f.; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 36; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 258; Zachert, NZA 1993, 299, 300; siehe zudem Löwisch/Rieble, in MünchenerHdb, § 256 Rn. 39; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. 109 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Zu dieser Terminologie - vgl. ebenfalls Herschel, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, Entscheidung 3; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 157; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 381; Löwisch, NZA 1985, 317, 317; Neumann, RdA 1994, 370, 373; Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen, S. 163; Stein, NZA 1985, 180, 181; Zachert, NZA 1993, 299, 300. 108
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(d) Bestimmung der Unzumutbarkeit In einem zweiten Schritt ist mittels Interessenabwägung zu analysieren, ob die modifizierten Verbandstarifbedingungen auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene zu unzumutbaren Vertragspflichten fuhren.
(aa) Erhebliche Belastung Orientierungsmaßstab fur die Bewertung der Unzumutbarkeit sind die Vorgaben des Grundsatzes der Tarifhormverantwortung. Weil die außerordentliche Kündigung im Kontext dynamischer Verweisungen gerade der Abkopplung von einer unsachgerecht gewordenen Fremdbestimmung und damit der Wiedererlangung der inhaltlichen Gestaltungshoheit dient, kann die Grenze der Zumutbarkeit nicht erst dort gezogen werden, wo die fremdgestalteten Tarifbestimmungen eine akute Gefährdung des Unternehmens oder einer Vielzahl von Arbeitsplätzen bedingen. Vielmehr muss eine unzumutbare Tarifbindung unterhalb der Schwelle der Existenz- oder Arbeitsplatzgefährdung angenommen werden, denn nicht hinnehmbar ist bereits die Bindung an unvorhersehbare verbandstarifliche Neuregelungen, die vom ursprünglichen Anerkennungswillen nicht gedeckt sind. Um die außerordentliche Kündigung allerdings von der durch Rieble favorisierten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit abzugrenzen, 110 ist eine „erhebliche Belastung" der kündigungswilligen Partei zu fordern. Anzunehmen ist eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle dann, wenn überraschende Neuerungen besondere Verpflichtungstatbestände statuieren, die keine unmittelbare Kompensation an anderer Stelle im bezogenen VerbandstarifVertrag erfahren. Zwar führt die Unzumutbarkeitsprüfung zu einer inhaltsbezogenen Kontrolltätigkeit der Arbeitsgerichte. Weil die Rechtskontrolle von Tarifverträgen indes unbedenklich zulässig ist, darf die inhaltliche Entwicklung des AnerkennungstarifVertrages auf ihre Zumutbarkeit analysiert werden. 111 In die Bewertung des unbestimmten Rechtsbegriffs müssen konsequent die von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG determinierten, verweisungsspezifischen Kontrollmaßstäbe einfließen. Unstatthaft ist allein eine Billigkeitskontrolle dahin gehend, ob die Weiterent-
110
Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Löwisch, NJW 1997, 905, 909. Allgemein zur Zulässigkeit der „Rechtskontrolle" vgl. BAG vom 03.10.1969, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.04.1990, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand; BAG vom 07.11.1995, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen; Schliemann, Festschrift für Hanau, S. 577, 581; ders., ZTR 2000, 198, 199 f.; Wiedemann, in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 226; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 434. 111
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wicklung der Tarifbedingungen zu einer in jeder Hinsicht zweckmäßigen und angemessenen Anerkennungstarifordnung führt.
(bb) Zeitliche Komponente Entscheidende Relevanz für die Bestimmung der Unzumutbarkeit erlangt die zeitliche Komponente der Dynamisierung. Häufig vereinbaren die Parteien des Anerkennungstarifvertrages langfristige Laufzeiten oder späte ordentliche Kündigungstermine. Vor Erreichen der Höchstbindungsfrist ist die außerordentliche Kündigung oftmals das einzige Instrumentarium zur Abkopplung von inhaltlichen Fehlentwicklungen. Die zeitliche Komponente muss unter zwei verschiedenen Blickwinkeln in die Abwägung eingestellt werden. Zunächst gilt, dass die Anforderungen an den wichtigen Grund sinken, je länger die verbleibende Geltungsdauer des Anerkennungstarifvertrages ist. 1 1 2 Finden die fremdbestimmten Regelungen noch für einen langen Zeitraum Anwendung, spricht dies eher für eine unzumutbare Tarifgebundenheit. In diesem Zusammenhang muss hinreichend gewürdigt werden, dass die fortgeltenden Regelungsinhalte keineswegs feststehen, sondern unter Umständen weiteren, möglicherweise nachteiligen Dynamisierungen unterliegen können. Neben der verbleibenden Geltungsfrist gewinnt auch die Zeitspanne der bereits verstrichenen Bindungsdauer Einfluss auf die Unzumutbarkeitsanalyse. Je häufiger während des abgelaufenen Geltungszeitraums Modifikationen der bezogenen Verbandstarifordnung stattgefunden haben, desto größer ist die Gefahr, dass unvorhersehbare Tarifentwicklungen auftreten. Zwar werden die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Verbandstarifentwicklung für eine gewisse Zeitspanne substanziell bewerten können, weil neue Tarifprojekte frühzeitig Gegenstand öffentlicher Diskussionen sind. Mit zunehmender Laufzeit schwächt sich die Rückkopplung zur anfänglichen Sachgerechtigkeitsprognose allerdings ab. In zeitlicher Dimension scheidet als Argument gegen das Unzumutbarkeitsverdikt aus, dass die kündigungswillige Partei die vorangegangene Verbandstariffassung widerspruchslos angewandt hat. Bei dynamischen Verweisungen kann infolge des Zusammenspiels unterschiedlicher, bei Vertragschluss unvorhersehbarer Neuregelungen die Schwelle zur Unzumutbarkeit schrittweise
112
Siehe ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Belling. , NZA 1996, 906, 908; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 45; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 369; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 41; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 35; Zachert, RdA 1996, 140, 149.
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erreicht werden. Aus der gestuften Tarifentwicklung dürfen keiner Seite kündigungsrelevante Nachteile erwachsen.
(e) Ergebnis Der aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG folgende Grundsatz der Tarifhormverantwortung bedingt bei Blankettbezugnahmen die Anerkennung eines verweisungsspezifischen außerordentlichen Kündigungsrechts. Danach ist eine fristlose Beendigung der Fremdbestimmung statthaft, wenn sich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in einer unvorhersehbaren Weise entwickeln und hieraus erhebliche, jedoch unterhalb der Schwelle der Existenz- oder Arbeitsplatzgefährdung liegende Belastungen resultieren.
dd) Kombination aus Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten und Änderung der dynamisch in Bezug genommenen Verbandstarifbestimmungen Aufgrund der fur dynamische Anerkennungstarifverträge typischen langfristigen Geltungsdauer ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass sich währenddessen sowohl die wirtschaftlichen Rahmendaten als auch die künftigen Regelungsvorgaben der dynamisch bezogenen Verbandstarifordnung zum Nachteil einer Tarifvertragspartei entwickeln. In dieser Konstellation müssen beide Sachlagen maßgeblich in den nach §314 Abs. 1 BGB erforderlichen Abwägungsprozess einbezogen werden. Es ist nicht hinreichend, lediglich auf den Eintritt einer Existenz- oder Arbeitsplatzgefährdung abzustellen.113 Vielmehr muss das Zusammenwirken mehrerer Kündigungsursachen zu einer entsprechenden Reduzierung der außerordentlichen Beendigungsanforderungen führen.
b) Zeitpunkt der Kündigungserklärung Haben die Sozialpartner eine dynamische Verweisung vereinbart und drohen infolge der Weiterentwicklung des bezogenen VerbandstarifVertrages ungewollte Inhaltsänderungen, stellt sich die Frage, ob der Anerkennungstarifvertrag bereits vor Erreichen der nächsten Tarifstufe gekündigt werden darf oder ob sich die kündigungswillige Partei erst nach dem Inkrafttreten der überarbei-
113 Dieser Unzumutbarkeitsmaßstab ist allein auf die außerordentliche Kündigung wegen , » Ä n d e r u n g der wirtschaftlichen Rahmendaten" zugeschnitten - siehe dazu oben § 15 A III 2 abb.
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teten Verbandstariffassung auf deren Unzumutbarkeit berufen kann. 114 Zurückhaltung hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18.06.1997 geübt, wenn es seine Bedenken an der vorzeitigen Vertragsauflösung dahin gehend formuliert, dass die „Tarifverträge, deren Wirkung sich der Arbeitgeber entziehen will, noch gar nicht existieren". 115 Andererseits hat es bereits angedeutet, dass eine fristlose Vertragsbeendigung in Betracht kommt, wenn die künftigen Verbandstarifbedingungen „bereits feststehen oder sich deutlich abzeichnen". Diesen Gedanken hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 18.02.1998 aufgegriffen und ausdrücklich eine „fälligkeitsnahe" Beurteilung der Unzumutbarkeit genügen lassen.116 Anhand greifbarer Tatsachen müsse im Zeitpunkt der Kündigungserklärung eine sichere Prognose hinsichtlich der mit Fälligkeit eintretenden Belastungswirkungen möglich sein. Dem Ansatz einer „fälligkeitsnahen" Beurteilung der Unzumutbarkeit ist zuzustimmen. 117 Bei dynamischen Verweisungen muss eine Abkopplung von unvorhersehbaren Tarifentwicklungen vor Erreichen der nächsten Tarifstufe statthaft sein. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass keine Vertragsseite sehenden Auges schwerwiegenden Schädigungen ausgesetzt werden darf. Ein Abwarten bis zum Inkrafttreten neuer unzumutbarer Verbandstarifbedingungen ließe das Gebot der umfassenden Interessenabwägung unberücksichtigt und würde insbesondere gegen die Verhältnismäßigkeitsmaxime verstoßen. 118 Andererseits dürfen außerordentliche Kündigungen keinesfalls auf Vorrat ausgesprochen werden. Um der Funktion der fristlosen Kündigung als Instru114
Diskutiert wird diese Problematik vorrangig bei außerordentlichen Kündigungen von so genannten „Stufentarifverträgen" wegen Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten. Bei Stufentarifverträgen sind die Leistungssteigerungen (Stufen) bereits unmittelbar im Tarifvertrag niedergelegt. Die Diskussion kann dessen ungeachtet auch auf dynamische Verweisungen übertragen werden, denn auch hier erlangen infolge der Dynamisierung der Tarifbedingungen fortwährend neue „Regelungsstufen" Gültigkeit. 115 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. Nicht überzeugend Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2, der fordert, dass „beim dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrag die abzuwehrende Tarifanderung des in Bezug genommenen Tarifvertrages in Kraft getreten sein muss". 116 BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung. 117 So ebenfalls Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 109 f.; vgl. auch Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 41. 118 Ein „Abwarten" der nächsten Stufe birgt die Gefahr, dass die unzumutbaren Tarifbedingungen nach einem sodann erfolgenden Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirken, was von einem erheblichen Teil der Rechtslehre befürwortet wird. Zur Streitfrage der Nachwirkung außerordentlich gekündigter Tarifvertragsbestimmungen siehe ausführlich unten § 16 A III.
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ment zur außerordentlichen Durchbrechung der Vertragsbindung gerecht zu werden, muss sich die Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung im Zeitpunkt der Kündigungserklärung deutlich abzeichnen. Hierfür ist es notwendig, dass anhand objektiver Tatsachen eine sichere Vorhersage über den Regelungsgehalt künftiger Tarifbedingungen möglich ist. Fraglos kommt daher eine Beendigung des Anerkennungstarifvertrages in Betracht, wenn die Verbandstarifparteien bereits Einigkeit über den Regelungsinhalt des Nachfolgeverbandstarifvertrages erzielt haben - das Regelwerk aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Denn in dieser Situation kann eine substanzielle Analyse der mit Fälligkeit eintretenden Belastungswirkungen vorgenommen werden. Weil aber die bezogenen Verbandstarifverträge im Regelfall sofort mit ihrer Unterzeichnung Wirksamkeit erlangen, muss bereits vor diesem Zeitpunkt eine reale Lösungsberechtigung bestehen. Treten die Verbandssozialpartner in Verhandlungen über den Abschluss eines NachfolgeverbandstarifVertrages und lassen sich ausweislich der aufgestellten Tarifforderungen und der beiderseitigen Verhandlungsführung die zukünftigen Tarifinhalte in wesentlichen Zügen konkretisieren, ist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage gewährleistet.
c) Ultima-ratio-Prinzip Das ultima-ratio-Prinzip verpflichtet die Parteien des AnerkennungstarifVertrages, vor Ausspruch einer außerordentlichen Beendigungskündigung alle milderen Mittel auszuschöpfen. 119
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BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 460; ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Belling, NZA 1996, 906, 910 f.; Belling/ Hartmann, ZfA 1997, 87, 125; Buchner, NZA 1993, 289, 298; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 143; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 46; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NJW 1997, 905, 908; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 35; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; ders., RdA 1998, 142, 149; Oetker, RdA 1995, 82, 95; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208; ders., Anm. zu BAG vom 24.01.2001, EWiR 2001, 641, 642; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 780; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 38; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 256; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92; vgl. auch Steffan, JuS 1993, 1027, 1029.
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aa) Vorrang eines Nachverhandlungsangebotes Vor der Erklärung einer fristlosen Kündigung ist die kündigungswillige Partei gehalten, der Gegenseite die Umstände darzulegen, die nach ihrer Auffassung unzumutbare Belastungen bedingen. 120 Mit dieser Anzeige ist gleichzeitig die Bereitschaft zu signalisieren, über eine Anpassung der unzumutbaren Tarifbedingungen zu verhandeln. 121 Bemüht sich die belastete Vertragsseite nicht um eine Kontaktaufhahme und verletzt damit ihre Verhandlungsobliegenheit, ist die Beendigungserklärung nach zutreffender Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wirkungslos. 122 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob dem Vertragspartner neben der Aufforderung zur Verhandlungsaufhahme zeitgleich ein handhabbares Änderungsangebot unterbreitet werden muss. Weite Teile der Literatur bejahen die Notwendigkeit eines inhaltlichen Änderungsvorschlages und favorisieren eine Änderungskündigung als milderes Mittel. 1 2 3 Hiergegen spricht aber zum einen,
120
Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 38; vgl. zudem Oetker, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208 f. 121 Zur Nachverhandlungsobliegenheit - vgl. BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 125; Däubler, ZTR 1996, 241, 244; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 202a; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 35; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; Oetker, RdA 1995, 82, 96; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 208; ders., Anm. zu BAG vom 24.01.2001, EWiR 2001, 641, 642; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Stoffels, ZfA 1999, 49, 144 f.; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 780; ders., in Wiedemann, §4 TVG Rn. 38; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 259; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92. 122 BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 24.01.2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; LAG Hamm vom 10.01.1996, ZTR 1996, 458, 460. 123 Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 150 ff; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NJW 1997, 905, 908; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 35; Oetker, RdA 1995, 82, 96; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 209; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 780; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 38.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
505
dass es den Arbeitsgerichten ohnehin versagt bleibt, die Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit der Umgestaltungsempfehlung zu überprüfen. 124 Speziell bei dynamischen Verweisungen in Firmentarifverträgen kommt entscheidend hinzu, dass der einzelne Arbeitgeber regelmäßig nicht in der Lage ist, umfassende Alternativvorschläge auszuarbeiten. Der Gebrauch der Verweisungstechnik belegt gerade seine mangelnde Qualifikation zur selbstständigen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Darüber hinaus sind vornehmlich kleine und mittelständische Arbeitgeber kaum befähigt, wirksamen Druck auf die mächtige Gewerkschaft ausüben, sodass die Durchsetzung der vorgeschlagenen Modifikationen ohnehin wenig Erfolg verspricht. 125 Im Übrigen muss Berücksichtigung finden, dass die außerordentliche Kündigung der Wiedererlangung der inhaltlichen Gestaltungsbefugnis dient. 126 Hat die Dynamisierung der Tarifbedingungen langfristig zu un vorhersehbaren Fehlentwicklungen geführt, kann insbesondere der anerkennende Arbeitgeber nicht gehalten sein, alternative Regelungsangebote zu einzelnen Verbandstarifbestimmungen zu entwickeln. Es ist vielmehr hinreichend, wenn der anerkennende Arbeitgeber die belastenden Vertragsgegenstände spezifiziert und die Gewerkschaft zu Verhandlungen über eine Neustrukturierung des firmentarifVertraglichen Lastenausgleichs auffordert. Erklärt der anerkennende Arbeitgeber die dynamische Anbindung an das Verbandstarifniveau für unzumutbar und nimmt die Gewerkschaft sein Nachverhandlungsangebot an, müssen beide Parteien ernsthaft über die Korrektur der problematischen Verpflichtungstatbestände debattieren. Denkbare Revisionslösungen sind dann das Einfrieren der dynamischen Verweisung als statische Bezugnahme auf erreichtem oder vorangegangenem Tarifstandard oder eine inhaltlich originäre Umgestaltung zu unternehmensspezifischen Tarifbedingungen. Widersetzt sich die Gewerkschaft einer zeitnahen Abkopplung von der Bindung an belastende Verbandstarifbestimmungen, darf der Arbeitgeber
124
Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 126; Buchner, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AR-Blattei, Tarifvertrag VIII Beendigung, Entscheidung 4; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 46; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92; vgl. auch ArbG Wiesbaden vom 05.02.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 1; Belling, NZA 1996, 906, 911; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 768 f.; Meyer, RdA 1998, 142, 149; siehe zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 38. 125 Nach Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335; ähnlich Meyer, RdA 1998, 142, 150 besteht die Gefahr, dass die Gewerkschaft mit einem Tarifdiktat antwortet. 126 Siehe oben § 15 A III 2 a cc (2).
506
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
direkt zur außerordentlichen schreiten. 127
Kündigung
des
Anerkennungstarifvertrages
bb) Vorrang einer außerordentlichen Teilkündigung Es wird kontrovers diskutiert, ob zumindest bei außerordentlichen Tarifkündigungen entsprechend dem ultima-ratio-Prinzip ein Vorrang der Teilkündigung anzuerkennen ist, wenn lediglich einzelne Vertragskomplexe undurchführbare Regelungsvorgaben zum Inhalt haben. 128 Mit Blick auf die Eigenheiten der Verweisungstechnik stellt sich in diesem Kontext ein besonderes Rechtsproblem bei „erweiterten" Globalbezugnahmen.129 Es ist denkbar, dass ausschließlich ein bezogener VerbandstarifVertrag unzumutbare Verbindlichkeiten begründet - jedoch die übrigen Bezugstarifwerke weiterhin eine sachgerechte Interessenverteilung statuieren. Besteht in dieser Konstellation die Pflicht zu einer Gesamtkündigung des Anerkennungstarifvertrages, schießt dies über das eigentliche Rechtsschutzziel hinaus. Ausnahmsweise muss daher trotz fehlender tarifVertraglicher Gestattung allein aus dem Regelungszusammenhang des Anerkennungstarifvertrages eine außerordentliche Teilkündigungsberechtigung abgeleitet werden. 130 127
Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/ Hartmann, ZfA 1997, 87, 103; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 184; Meyer, RdA 1998, 142, 148; Oetker, RdA 1995, 82, 95; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 40. Zum Verhandlungszeitrahmen - vgl. Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 128 Für einen Vorrang der Teilbeendigung zumindest bei außerordentlichen Kündigungen - vgl. Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/ Hartmann, ZfA 1997, 87, 128; Buchner, NZA 1993, 289, 298; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1446a und 1448; ders., ZTR 1996, 241, 244; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 366; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 36; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 794; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Steffan, JuS 1993, 1027, 1029. Gegen einen Vorrang der Teilbeendigung - vgl. ArbG Stuttgart vom 18.09.1996, AiB 1997, 307, 307; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 145 ff.; Meyer, RdA 1998, 142, 149 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 778; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24 und 38; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 92; Zachert, ArbuR 1993, 294, 295. Offengelassen von BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung. 129 Allgemein dazu oben § 7 A II 2. 130 Für die Ableitung der Teilkündigungsberechtigung aus dem tarifvertraglichen „Regelungszusammenhang" - vgl. ArbG Stuttgart vom 18.09.1996, AiB 1997, 307, 307;
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
507
Auch wenn die Regelungsinhalte verschiedener Verbandstarifverträge infolge der Inkorporationsabrede zu einem einheitlichen Tarifwerk zusammengefasst sind, bleibt ihre Trennbarkeit gerichtlich nachvollziehbar erhalten. Die Gefahrenlage, die sowohl Rechtsprechung als auch Lehre zur Ablehnung einer unbedingten Teilkündigungsberechtigung veranlasst, 131 besteht im Falle der Teilbeendigung einer „erweiterten" Globalbezugnahme nicht. 132 Mit der „Herauskündigung" einzelner Bezugstarifverträge verlieren die übrigen Verbandstarifabkommen keineswegs ihre Sachgerechtigkeit. Durch die Reduzierung der Anzahl der Bezugsobjekte entsteht auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene regelmäßig kein unanwendbarer ResttarifVertrag. Vielmehr können die verbleibenden BezugstarifVerträge hinsichtlich ihrer Regelungsgegenstände unverändert fur einen sinnvollen Interessenausgleich sorgen. Die selbstständige Behandlung der einzelnen Tarifwerke auf Verbandsebene belegt, dass ihre Inhalte grundsätzlich unabhängig voneinander bestandsfähig sind. Allein durch die regelungstechnische Zusammenfassung im Anerkennungstarifvertrag wird die jeweilige inhaltliche Abgeschlossenheit nicht angetastet. Somit kann aus dem Regelungszusammenhang - in concreto der Verweisungsbestimmung, welche die einzelnen Verbandstarifabkommen explizit beschreibt - die Zulassung der Teilkündigungsberechtigung abgeleitet werden. Einerseits verwirklicht diese Interpretation konsequent das ultima-ratioPrinzip und entspricht andererseits dem Interesse beider Sozialpartner. Jede Partei darf sich unmittelbar von einem evident nachteiligen Bezugstarifvertrag lösen. Soweit sich die Übernahme des Verbandstarifhiveaus allerdings als sachgerecht erweist, bedarf es keiner Aufkündigung des gesamten AnerkennungstarifVertrages. Beide Seiten werden somit von umfassenden Neuverhandlungen und dadurch bedingten Arbeitskämpfen verschont.
Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Steffan, JuS 1993, 1027, 1029; Wank, Festschrift ftir Schaub, S. 761, 778; vgl. zudem Buchner, NZA 1993, 289, 298; kritisch Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 146; Oetker, RdA 1995, 82, 99. 131 Zur Durchbrechung des Gesamtkompromisscharakters - vgl. BA G vom 03.12. 1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 2 zu § 74 BAT; Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 127 f.; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1448; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 771; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 145 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 469 (Fn. 30); Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 38; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 182 f.; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 362; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 30; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 350 f.; Oetker, RdA 1995, 82, 98 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 79; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 24; Zachert, ArbuR 1993, 294, 294. 132 Das gilt regelmäßig auch dann, wenn die Parteien des Anerkennungstarifvertrages eine Zusammenfassung sämtlicher bezogener VerbandstarifVerträge im Anerkennungstarifvertrag unmittelbar beabsichtigt haben.
508
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
IV. Zeitablauf bei Befristung des Anerkennungstarifvertrages 1. Vereinbarte Laufzeit Mehrfach wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Sozialpartner unter Beachtung der Höchstbindungsdauer eine feste Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages vereinbaren können. 133 Mit der Befristungsabrede bestimmen sie ein konkretes Datum, mit dessen Ablauf der VerweisungstarifVertrag ohne weiteren Vollzugakt außer Kraft tritt. 1 3 4 Ob die Befristung angesichts der automatischen Beendigungswirkung im Vergleich zur Konkretisierung eines frühestmöglichen ordentlichen Kündigungstermins vorzugswürdig ist, müssen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages tarifautonom entscheiden.135 Bei statischen Anerkennungstarifverträgen bietet sich eine Befristung an, um nach bestimmtem Zeitlauf eine Anpassung der Arbeitsbedingungen durch erneute Tarifverhandlungen zu ermöglichen. Da die Partner des Anerkennungstarifvertrages grundsätzlich frei über die Befristungsdauer befinden, sind völlig unabhängige Laufzeitabreden legitim. Es ist den Parteien aber auch gestattet, die Laufzeit ihres Tarifabkommens an die vorgesehene Geltungsperiode des bezogenen VerbandstarifVertrages anzulehnen.136 Dann entfällt sowohl auf Verbands- als auch auf anerkennungstariflicher Ebene synchron die relative Friedenspflicht. Laufzeitabsprachen ebnen bei dynamischen Verweisungen oftmals den Weg zu einer langfristigen Anbindung an das jeweilige Verbandstarifiiiveau. Sie schließen für den verabredeten Gültigkeitszeitraum die ordentliche Kündigungsbefugnis aus. 137 Im Gegensatz zu statischen Verweisungen bedingen die
133
Siehe beispielsweise § 4 des Anerkennungstarifvertrages in BAG vom 07.11.2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt. 134 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1438; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 769; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 467 f.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, § 1 TVG Rn. 35; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 54; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 356; dies., in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 23; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 348 f.; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 74; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 121; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 11; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, Rn. 250; vgl. zudem Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 123; Oetker, RdA 1995, 82, 92; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 761. 135 Siehe dazu Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 121. Zur Gefahr eines tariflosen Zustandes - vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 468; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, §1 TVG Rn. 35; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 349. 136 Vgl. Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29. 137 Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im TarifVertragsrecht, S. 18 f. und 123; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 29; Oetker, RdA 1995,
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
509
Besonderheiten der dynamischen Verweisung allerdings eigenständige Laufzeitfestsetzungen. Unzulässig ist eine Übernahme der verbandstarifVertraglichen Befristungsabrede. Denn würde der Anerkennungstarifvertrag mit dem Laufzeitende des anfanglich in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages außer Kraft treten, entfiele jede Dynamisierung der Tarifbedingungen. Die dynamische Verweisungsanordnung wäre wegen inhaltlicher Widersprüchlichkeit hinfällig.
2. Ohne vereinbarte Laufzeit Das Bundesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, dass bei fehlender Vertragsabrede auch die „Laufzeitregelungen" des bezogenen Verbandstarifvertrages in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert werden. 138
a) Statische Verweisung Kann bei statischen Verweisungen ein Gleichstellungsinteresse bejaht werden, 139 überführt die Globalbezugnahme den gesamten verbandstariflichen Vertragskompromiss auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages. 140 Der Kompromisscharakter wird wesentlich durch die Befristungsdauer geprägt, denn während der festgeschriebenen Laufzeit sind die Normadressaten mit zwingender Wirkung an die tariflichen Regelungsvorgaben gebunden. Infolge der Inkorporierung finden somit die verbandstarifVertraglichen Laufzeitvorgaben Eingang in den Anerkennungstarifvertrag. Zeitgleich treten damit der verweisende und der bezogene Tarifvertrag in das Beendigungsstadium.141
b) Dynamische Verweisung Erlangen die Laufzeitregelungen des bezogenen VerbandstarifVertrages entsprechend der Aussage des Bundesarbeitsgerichts auf der Ebene des Anerken82, 92; Rüthers, NJW 1993, 1628, 1629; Wieland, Recht der FirmentarifVerträge, Rn. 250; vgl. auch Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 361. 138 BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. 139 Statische Verweisungen erfüllen unter Umständen lediglich eine Überbrückungsfunktion - was durch Auslegung zu ermitteln ist - , sodass eine Überleitung der Laufzeitregelung dem Willen der Parteien des Anerkennungstarifvertrages widersprechen kann. 140 Siehe dazu oben § 15 A II 2 a bb. 141 So Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 2; zu undifferenziert Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 115.
510
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
nungstarifVertrages Anwendung, 142 entstehen Wertungswidersprüche zwischen der Befristungsvereinbarung und der dynamischen Verweisungsanordnung. Nimmt man das Bundesarbeitsgericht beim Wort, verliert der AnerkennungstarifVertrag in dem Moment unwiderruflich seine Geltung, zu dem der ursprünglich bezogene VerbandstarifVertrag wegen Befristungsablaufs außer Kraft tritt. Damit kommt die dynamische Verweisung nie zum Zuge. Eine derartige Konsequenz widerspricht dem explizit geäußerten Parteiwillen. Die Partner des Anerkennungstarifvertrages beabsichtigen eine dynamische Anbindung an die Verbandstarifentwicklung und wollen die Blankettverweisung keineswegs funktionslos stellen. Dagegen würde nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts jeder dynamischen Verweisung stets nur die Wirkung einer statischen Bezugnahme zukommen, sobald im inkorporierten VerbandstarifVertrag eine feste Laufzeit vorgesehen ist. Bedingt somit die Blankettverweisung eine Abkopplung von den Laufzeitfestsetzungen der Verbandstarifpartner, so verbleibt kein Raum, im Wege der Auslegung aus dem Schweigen des Anerkennungstarifvertrages ausschließlich auf der Grundlage des anvisierten Gleichstellungsziels einen widersprechenden Beendigungstatbestand abzuleiten.143 Entgegen dem Bundesarbeitsgericht rechtfertigt die dynamische Verweisungsklausel gerade nicht den Zweifelssatz, dass sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages prinzipiell die verbandstarifVertraglichen Laufzeitvorgaben zu Eigen machen. Diese Bewertung begründet keine Unstimmigkeit zur getroffenen Feststellung, dass im Zweifel die jeweiligen ordentlichen Kündigungstermine kraft Globalbezugnahme auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene übertragen werden. 144 Beide Beendigungsformen unterscheiden sich wesentlich in ihren Wirkungen, was auf die Inkorporationsfähigkeit durchschlägt. Das Bestehen einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit lässt die dynamische Verweisung keineswegs obsolet erscheinen. Denn machen die Anerkennungstarifparteien von der Kündigungsbefugnis keinen Gebrauch, entfaltet die Dynamisierung sehr wohl ihre Wirksamkeit. Demgegenüber fuhrt die Anlehnung an den automatischen Beendigungstatbestand des Befristungsablaufs zu einer Bedeutungslosigkeit der dynamischen Verweisung. Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts kann im Übrigen nicht mit der Argumentation aufrechterhalten werden, dass seine laufzeitbezogenen Aussagen nicht an der tatsächlichen Beendigungswirkung des Anerkennungstarifvertrages anknüpfen, sondern sich lediglich mit einer Überleitung der mit Befris142
BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung. So im Ergebnis auch Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 115 allerdings mit anderer Begründung. Die Besonderheiten dynamischer Verweisungen erkennt Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 1 nicht. 144 Siehe oben § 15 A II 2 a bb und § 15 A II 2 b cc (2) und § 15 A II 2 c bb. 143
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
511
tungsablauf eintretenden „statusrechtlichen" Konsequenzen befassen. Zum einen beziehen sich die höchstrichterlichen Ausführungen explizit auf die „Aufhebung" des Anerkennungstarifvertrages. Auf der anderen Seite wäre eine rein statusrechtliche Interpretation der Rechtsprechung unzulässig, weil es den Parteien des Anerkennungstarifvertrages verwehrt ist, den jeweiligen Rechtsstatuswandel des bezogenen VerbandstarifVertrages auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene dynamisch nachzuvollziehen.145 Haben die Parteien eines dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages also keine ausdrückliche Befristungsvereinbarung getroffen, erlangen die verbandstarifVertraglichen Laufzeitvorgaben für sie keine Geltung. Es liegt vielmehr ein unbefristeter Tarifvertrag vor, der nach den geschilderten Grundsätzen ordentlich oder außerordentlich kündbar ist.
B. Auswirkungen der Beendigung des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages Abschließend ist die anerkennungstarifvertragliche Beendigungsproblematik aus dem Blickwinkel des Außerkrafttretens des bezogenen VerbandstarifVertrages zu diskutieren. Dabei muss beleuchtet werden, welchen Einfluss das Ende des Bezugstarifwerkes auf die Gültigkeit der Anerkennungstarifordnung zeitigt. Weil die Wechselwirkungen schon teilweise analysiert sind, verbleibt die Aufgabe einer zusammenfassenden Darstellung der Rechtsfolgewirkungen.
I. Grundsätzliche Unabhängigkeit des Anerkennungstarifvertrages Anerkennungs- und VerbandstarifVertrag sind eigenständige Tarifwerke und voneinander unabhängig im Bestand. 146 Aus diesem Grund zeitigt das Auslaufen des bezogenen VerbandstarifVertrages auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene grundsätzlich keine Konsequenzen.147 Maßgebend ist allein die Geltungsanordnung im verweisenden Tarifabkommen. Der Anerkennungstarifver-
145
Ausführlich dazu oben § 12 Β I 2. Vgl. Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, IV 1. Allgemein zur Trennung zwischen Verweisungs- und BezugstarifVertrag - siehe Herschel, ZfA 1985, 21, 24; Iffland, DB 1964, 1737, 1739; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; Ossenbühl, DVB1 1967, 401, 401; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5 f. 147 Vgl. Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 123; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 258 Rn. 18; Oetker, in Wiedemann, §2 TVG Rn. 126; siehe auch BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. ebenfalls Buchner, Anm. zu BAG vom 30.09.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29. 146
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
trag behält daher seine zwingende und unmittelbare Gültigkeit gemäß § 4 Abs. 1 TVG bis ein anerkennungstarifbezogener Beendigungstatbestand eingreift. Über das Außerkrafttreten des Vertrages entscheiden ausschließlich die verweisenden Firmentarifparteien. Für statische Verweisungen bedeutet dies, dass trotz des Wegfalls der in Bezug genommenen Verbandstarifregelung der Anerkennungstarifvertrag vollwirksam weitergilt. Durch die Inkorporierung erlangen die übernommenen Tarifbestimmungen anerkennungstarifVertragliche Rechtsqualität und müssen durch die Vertragsparteien eigenständig beendet werden. Für dynamische Verweisungen gilt, dass die Tarifgebundenheit an die mittels antezipierender Inkorporationsanordnung übergeleiteten Tarifbestimmungen erst entfallt, wenn die Blankettbezugnahme selbst ihre Beendigung findet. In der Zwischenzeit sind die Normadressaten des Anerkennungstarifvertrages den wandelnden Regelungsinhalten mit zwingender und unmittelbarer Wirkung gemäß § 4 Abs. 1 TVG unterworfen. Hervorzuheben bleibt in diesem Zusammenhang, dass während der Laufzeit des dynamisch verweisenden AnerkennungstarifVertrages entgegen der Auffassung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts m eine automatische Anbindung an den statusrechtlichen Wandel der bezogenen Verbandstarifordnung ausscheidet, weil innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs weder nachwirkende noch außer Kraft getretene Tarifhormen Wirksamkeit erlangen können. 149
I I . Durchschlagen der Beendigungswirkung kraft Vereinbarung im Anerkennungstarifvertrag Den Parteien des Anerkennungstarifvertrages ist es in einzelnen Konstellationen gestattet, eine zwingende Verknüpfung zwischen dem Außerkrafttreten des bezogenen und verweisenden Tarifvverkes im Wege einer Vereinbarung herzustellen. Ein Durchschlagen der Beendigung des Bezugstarifvertrages kommt in Betracht, wenn sich die Sozialpartner im Falle der statischen Verweisung die Laufzeitvorgabe des übernommenen VerbandstarifVertrages zu Eigen machen. Dann verliert der Anerkennungstarifvertrag zeitgleich mit dem Bezugstarifwerk seine Gültigkeit. Bereits bei dynamischen Verweisungen ist
148 BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; vgl. zudem BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 149 Siehe dazu den 1. Senat des BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972. Kritisch ebenfalls Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; ders., RdA 1987, 270, 273; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 108 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. Siehe ausführlich dazu oben § 12 Β I 2.
§ 15 Formen und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Beendigung
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jedoch eine derartige tarifvertragliche Anlehnung an die fremden Laufzeitvorgaben rechtlich ausgeschlossen.150 Im Hinblick auf die ordentliche Kündigung bewirkt die anerkennungstarifvertragliche Übernahme der entsprechenden Verbandstarifregelung kein synchrones Außerkrafttreten des Verweisungs- und Bezugstarifvertrages. Solche Vertragsgestaltungen begründen allenfalls ein mittelbares Abhängigkeitsverhältnis. Denn durch die Inkorporierung der verbandstariflichen Kündigungsabsprachen wird zwar eine parallele Beendigungsmöglichkeit eröffnet. Notwendig bleibt aber eine eigenständige Kündigungserklärung durch die kündigungswillige Partei des Anerkennungstarifvertrages. Es findet mithin keine direkte Rückkopplung zur Beendigungsentscheidung der Koalitionen statt. 151
I I I . Durchschlagen der Beendigungswirkung aufgrund des Gleichstellungsanliegens Ohne anerkennungstarifvertragliche Vereinbarung gilt der geschilderte Grundsatz, dass beide Tarifwerke in ihren Beendigungswirkungen unabhängig sind. Es fragt sich jedoch, ob das mit der Verweisung verfolgte Gleichstellungsanliegen eine abweichende Betrachtung rechtfertigt. In zwei Entscheidungen des 4. Senats vom 03.12.1985 152 und vom 13.08.1986153 hat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, dass das Gleichstellungsinteresse eine synchrone Beendigung des verweisenden und bezogenen Tarifvertrages bedinge. Konkret hat das Gericht einen zeitgleichen Übertritt beider Vertragswerke in das Stadium der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG befürwortet. Die höchstrichterlichen Ableitungen aus der Gleichstellungsfiinktion liegen neben der Sache. Zutreffend hat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts der in Erwägung gezogenen Rechtsstatusanbindung widersprochen. 154 Aber auch für die hier interessierende beendigungsrechtliche Wirkung wäre eine Anlehnung an die vom 4. Senat geäußerte Rechtsansicht verfehlt. Das Gleichstellungsinte150
Siehe oben § 15 A IV 2 b. Im Übrigen besitzen die Anerkennungstarifparteien entgegen BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung keine Dispositionsbefugnis über den Rechtsstatuscharakter ihrer Tarifnormen, sodass die Vereinbarung einer dynamischen Anbindung an den jeweiligen Rechtsstatus des bezogenen Verbandstarifvertrages unwirksam ist. Siehe dazu oben § 12 Β I 2. ,52 Ä4Gvom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT. 153 BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 154 BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; siehe zudem Baumann, Die Delegation tariflicher Rechtsetzungsbefugnisse, S. 60 f.; ders., RdA 1987, 270, 273; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 108 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 151
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
resse kann lediglich für den Fall, dass die Parteien des Anerkennungstarifvertrages keine eigenständigen Beendigungsabsprachen getroffen haben, eine Inkorporierung der verbandstarifVertraglichen Laufzeit- oder Kündigungsregelungen entsprechend den bereits dargelegten Grundsätzen rechtfertigen. 155 Hingegen legitimiert es keine allgemeine Ableitung eines selbstvollziehenden Beendigungstatbestandes.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages Die Rechtsfolgen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages werden ebenfalls durch die Besonderheiten der Verweisungstechnik geprägt. Vor einer eingehenden Auseinandersetzung mit verweisungsspezifischen Rechtsfolgefragen ist zunächst ein Überblick über allgemeine Folgen des Auslaufens des Anerkennungstarifvertrages zu geben.
A. Allgemeine Rechtsfolgefragen Tritt der Anerkennungstarifvertrag infolge Aufhebung, Bedingungseintritt, Fristablauf oder Kündigung in das Beendigungsstadium, verlieren die Tarifnormen ihre zwingende Geltung im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG. Gleichzeitig entfällt die relative Frfédenspflicht.
I . Grundsatz der Nachwirkung Da Tarifhormen wie materielle Gesetze auf die Arbeitsverhältnisse einwirken und ein abrupter Wegfall der Normgeltung eminente Rechtsunsicherheit begründen würde, ordnet § 4 Abs. 5 TVG die Aufrechterhaltung der unmittelbaren Geltung des Tarifvertrages über sein Ende hinaus an. Durch § 4 Abs. 5 TVG wird der ursprüngliche staatliche Geltungsbefehl des § 4 Abs. 1 TVG im Nachwirkungsstadium fortgeschrieben, 156 sodass mit dem Außerkrafttreten des Tarifvertrages lediglich seine zwingende Wirkung entfällt. Die normativ auf155 Daher schlägt das Ende des bezogenen VerbandstarifVertrages einzig bei statischen Verweisungen auf den Anerkennungstarifvertrag durch, wenn die verbandstarifVertragliche Befristungsabrede infolge der Gleichstellungsfunktion auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene übergeleitet wird. 156 Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 99. Entgegen BAG vom 29.01.1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung findet kein Wandel tariflicher in staatliche Rechtssätze statt - vgl. zur im Schrifttum herrschenden „Modifikationslehre" oben § 11 C II 2 a aa.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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rechterhaltenen Arbeitsbedingungen stehen nunmehr zur Disposition der Tarifund Arbeitsvertragsparteien sowie gegebenenfalls der Betriebspartner. 157 Erst mit dem Zustandekommen einer anderen Abmachung findet die Nachwirkung ihr Ende. An der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG auf FirmentarifVerträge bestehen keine Zweifel, weil sowohl der Wortlaut als auch der Normzweck keine Beschränkung auf VerbandstarifVerträge rechtfertigen. 158
I I . Ausschluss der Nachwirkung In § 4 Abs. 5 TVG wird lediglich der gesetzliche Regelfall definiert. Die Tarifparteien können auf den Nachwirkungsschutz wirksam verzichten, indem sie ihn ausschließen, befristen oder sachlich beschränken. 159 Entgegen vereinzelter Stimmen in der Rechtslehre 160 hat das Bundesarbeitsgericht zu Recht mehrfach bestätigt, dass § 4 Abs. 5 TVG keinen zwingenden Rechtssatz beinhaltet. 161 Weil die Sozialpartner selbst zu tarifautonomer Rechtssetzung befugt sind, steht ihnen actus contrarius auch die Berechtigung zur vollständigen Außerkraftsetzung ihrer Tarifhormen zu. Folglich ist es den Parteien des Anerkennungstarifvertrages gestattet, das Auslaufen der normativen Geltung fremdbestimmter TarifVorschriften synchron an den Eintritt des Beendigungstatbestandes zu knüpfen.
157
Ablösende Betriebsvereinbarungen sind nur in den Grenzen des §§77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG zulässig - vgl. dazu stellvertretend BAG vom 24.02.1987, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1462; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 304; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 230; dies., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 9; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 354; vgl. auch Buchner, NZA 1993, 289, 299. 158 Bauer, Festschrift ftir Schaub, S. 19, 40 f.; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1089. 159 Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1467; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 876 f.; Koberski/Clasen/Menzel, §4 TVG Rn. 287; Löwisch/Rieble, §4 TVG Rn. 247; dies., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 20; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 139; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 362; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 4 TVG § 4 TVG Rn. 308; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/l, S. 544; Koberski/Clasen/Menzel, Rn. 187; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 325; ders., in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 108 f.; Schaub, in ErfKom, § 4 TVG Rn. 74. 160 Herschel, ZfA 1976, 89, 97; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 390 f.; vgl. zudem Rieble, Anm. zu BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt. 161 BAG vom 08.05.1974, AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 18.09.1974, AP Nr. 2 §§ 22, 23 BAT Zulagen; BAG vom 03.09.1986, AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 16.08.1990, AP Nr. 19 zu §4 TVG Nachwirkung; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
I I I . Nachwirkung bei außerordentlicher Kündigung Eine Kontroverse entzündet sich an der Frage, ob der Tarifvertrag nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung Nachwirkung entfaltet. Relevant wird der Streit insbesondere fur dynamisch verweisende Anerkennungstarifverträge, weil die außerordentliche Kündigung wegen inhaltlicher Fehlentwicklungen des Bezugsobjektes häufiger in Betracht kommt als die fristlose Kündigung wegen Änderungen der wirtschaftlichen Rahmendaten.162 Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine Veranlassung gesehen, zur Problemfrage höchstrichterlich Stellung zu beziehen.163 Im Schrifttum mehren sich allerdings die Stimmen, die unter Berufung auf die Ordnungsfiinktion des Tarifvertrages die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG befürworten. 164 Diese Auffassung ist jedoch nicht frei von Bedenken.165 Es bedeutet einen Wertungswiderspruch, den kündigenden Sozialpartner an unzumutbaren Tarifbedingungen festzuhalten. Durch die Nachwirkung darf keine Vereitelung der notwendigen Selbstbefreiungsbefugnis eintreten. 166 Dem stimmen im Grundsatz auch diejenigen Autoren zu, die eine nachwirkende Tarifgeltung favorisieren. 167 Nachwirkung kann folgerichtig nur dann bejaht 162
Siehe dazu oben § 15 A III 2 a cc (2). Offengelassen von BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 18.02.1998, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung. 164 Buchner, NZA 1993, 289, 299; Däubler, ZTR 1996, 241, 245; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 772; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 161; Kania, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, WiB 1997, 768, 769; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 46; Kempff AiB 1993, 267, 271; Löwisch,, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NJW 1997, 905, 908; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 46; Meyer, Gem. Anm. zu BAG vom 18.12.1996 und 18.06.1997, DB 1997, 2334, 2335 f.; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Stein, Anm. zu BAG vom 18.02.1998, SAE 1999, 108, 109; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 776 f.; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 46; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 93 f.; Zachert, NZA 1993, 299, 301. 165 Zur ablehnenden Auffassung - vgl. Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1090; Belling, NZA 1996, 906, 911; Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 129 f.; Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3; Meyer, RdA 1998, 142, 150; Oetker, RdA 1995, 82, 95; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JZ 1998, 206, 209 (Fn. 44); Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 794; Reuter, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, JuS 1997, 1142, 1142; Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80; Steffan, JuS 1993, 1027, 1029 f. 166 Oetker, RdA 1995, 82, 95. 167 Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 776; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 46; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; vgl. auch Buchner, NZA 1993, 289, 299; Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäfts163
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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werden, wenn unter Anerkennung einer gewissen Abänderungslast die aufrechterhaltenen Tarifbedingungen de facto ablösbar sind. Hierfür wird die Dispositivität nachwirkender Normen ins Feld gefuhrt. Der Arbeitgeber könne sich durch abweichende Abmachungen im Sinne des § 4 Abs. 5, 2. HS TVG der Bindung an unzumutbare Tarifregelungen entziehen. Um inhaltsleere Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, sei daher unter dem Aspekt der Ordnungsfunktion eine vorübergehende Aufrechterhaltung der unmittelbaren Normwirkung gerechtfertigt. Ob allein die Normendispositivität eine reale Vertragslösung ermöglicht, bleibt indes fraglich. Wenig aussichtsreich erscheinen arbeitsvertragliche Änderungsvereinbarungen, der Abschluss eines NachfolgefirmentarifVertrages oder eine abändernde Betriebs Vereinbarung. 168 Als einziges erfolgversprechendes Ablösungsinstrumentarium kommt die individualarbeitsvertragliche Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG in Betracht. 169 Neben dem aufwendigen Prozedere hat das Bundesarbeitsgericht die
grundlage, S. 155 und 158 f.; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Verfehlt ist allerdings die in diesem Kontext oftmals vertretene Argumentation, dass die Nachwirkung problemlos sei, weil selbst bei sofortigem Wegfall der Normwirkung das Tarifhiveau über § 612 Abs. 2 BGB aufrecht erhalten bleibe - vgl. Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 159 f.; Löwisch, NJW 1997, 905, 908; Richardi, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Wank, Festschrift ftir Schaub, S. 761, III-, ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 46; Winter/Zekau, ArbuR 1997, 89, 94. Zum einen bezieht sich § 612 Abs. 2 BGB lediglich auf die Absicherung des „Vergütungsanspruchs" und kann keine vollumfängliche Weitergeltung des abgelösten Tarifwerkes legitimieren. Entscheidend zu beachten ist aber, dass die „Üblichkeit" einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, der ebenso wie das Kriterium der „Unzumutbarkeit" rechtskonform ausgelegt werden muss. Folglich bleibt der Weg verschlossen, „unzumutbare" als „übliche" Tarifbedingungen zu qualifizieren - vgl. Hamacher, Anm. zu BAG vom 18.06.1997, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 3. Bei derfristlosen Beendigung eines Firmentarifvertrages bleibt im Übrigen zweifelhaft, ob die „Üblichkeit" tatsächlich nach dem auf Verbandsebene geltenden Tarifstandard zu bestimmen ist oder ob nicht angesichts der Außenseiterstellung eine auf das Unternehmen zugeschnittene Bewertung der „Üblichkeit" angezeigt ist. 168 Die Arbeitnehmer werden verschlechternden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen kaum zustimmen. Genauso wenig wird die Gewerkschaft zur Absenkung des Tarifhiveaus in einem firmenspezifischen Nachfolgehaustarifvertrag bereit sein. Der einzelne Arbeitgeber ist gewöhnlich nicht in der Lage, auf die Gewerkschaft einen wirkungsvollen Einigungsdruck auszuüben - siehe dazu Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Die Beendigung der Nachwirkung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung scheitert regelmäßig an § 77 Abs. 3 BetrVG. 169 Ob es sozialpolitisch sinnvoll ist, den Arbeitgeber zu betriebsbedingten Massenänderungskündigungen zu zwingen und damit den Betriebsfrieden nachhaltig zu stören, erscheint zumindest zweifelhaft. Eine „Flut von Massenänderungskündigungen" be-
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Änderungskündigung an strenge materielle Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft. Sozial gerechtfertigt ist eine betriebsbedingte Änderungskündigung nach höchstrichterlicher Auffassung nur, wenn die Stilllegung des Betriebs oder der Wegfall einer erheblichen Anzahl von Arbeitsplätzen droht. 170 Bezogen auf die außerordentliche Kündigung eines Firmentarifvertrages findet sich in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass sich die Nachwirkungskontroverse dadurch entschärfe, weil eine unternehmensspezifische Zumutbarkeitsprüfung erfolge. Ist der Regelungsgehalt des Firmentarifvertrages dem einzelnen Arbeitgeber unzumutbar, rechtfertige dies nicht nur eine sofortige TarifVertragsbeendigung, sondern grundsätzlich auch den Ausspruch betriebsbedingter Änderungskündigungen. 171 Zuzustimmen ist dieser Argumentation jedoch nur im Anwendungsbereich einer außerordentlichen Kündigung wegen Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten. Für den verweisungsspezifischen außerordentlichen Kündigungsgrund greift der Hinweis zu kurz. Es wurde herausgearbeitet, dass dynamisch verweisende Anerkennungstarifverträge fristlos kündbar sind, wenn sich das bezogene Tarifwerk in unvorhersehbarer Weise entwickelt. 172 In dieser Konstellation besteht eine Beendigungsbefugnis bei „erheblichen" Belastungswirkungen, ohne dass es einer akuten Existenz- oder Arbeitsplatzgefährdung bedarf. Keinesfalls zwingend ist es daher, dass nach Ausspruch der Tarifkündigung eine abänderungsberechtigende Zwangslage im Sinne des § 2 KSchG entsprechend der aktuellen kündigungsrechtlichen Judikatur vorliegt. Jede Stellungnahme, die die nachwirkende Tarifgeltung im Fall eines verweisungsspezifischen außeror-
fürchten auch - Belling/Hartmann, ZfA 1997, 87, 130; Oetker, RdA 1995, 82, 95; Otto, Festschrift für Kissel, S. 787, 794; siehe auch Wank,, Festschrift für Schaub, S. 761, 776. 170 BAG vom 20.03.1986, AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 11.10.1989, AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG vom 26.01.1995, AP Nr. 36 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 12.11.1998, AP Nr. 51 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 27.09.2001, AP Nr. 40 zu § 4 TVG Nachwirkung; Berkowsky, in Münchener-Hdb, § 145 Rn. 52 und 62; Rost, in KR, § 2 KSchG Rn. 107a f.; vgl. auch Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1090; Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; ders., NJW 1997, 905, 908 f.; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, § 256 Rn. 46; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung haben Änderungskündigungen zwecks Kostensenkung in praxi kaum Erfolgsaussichten - so Berkowsky, in Münchener-Hdb, § 145 Rn. 62. 171 Löwisch, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; vgl. zudem Buchner, NZA 1993, 289, 299; Löwisch/Rieble, in Münchener-Hdb, §256 Rn. 46; siehe dazu auch Bauer, Festschrift für Schaub, S. 19, 43; Bauer/Diller, DB 1993, 1085, 1090. 172 Siehe oben § 15 A III 2 a cc (2).
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dentlichen Kündigungsgrundes befürwortet, muss konsequent die Voraussetzungen der sozialen Rechtfertigung einer individualarbeitsvertraglichen Änderungskündigung an die Vorgaben des Grundsatzes der Tarifhormverantwortung anpassen. Ob sich eine verweisungsspezifische Reduzierung der Prüfungsanforderungen betriebsbedingter Änderungskündigungen durchsetzen wird, ist nicht absehbar. Im Ergebnis gilt jedenfalls, dass eine Nachwirkung unzumutbarer Tarifbestimmungen ausscheidet, solange keine reale Lösungsmöglichkeit besteht.173
B. Verweisungsspezifische Rechtsfolgefragen Schließen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages die Nachwirkung ihres Tarifwerkes aus, entstehen hierdurch keine verweisungsspezifischen Rechtsfolgeprobleme. Sowlohl die inkorporierten als auch die originär normativen Tarifregelungen treten mit der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages außer Kraft. Entfaltet der Anerkennungstarifvertrag demgegenüber Nachwirkung, zeitigen die Besonderheiten der Verweisungen spezielle Folgewirkungen im Hinblick auf die Reichweite der Weitergeltungsanordnung, die es im Folgenden zu analysieren gilt. Dabei muss zwischen statischen und dynamischen Bezugnahmen unterschieden werden.
I. Nachwirkung bei statischer Verweisung Tritt ein statisch verweisender Anerkennungstarifvertrag in das Nachwirkungsstadium, ergeben sich im Vergleich zur originären Tarifnormgebung keine spezifischen Konsequenzen. Statische Verweisungen ersetzen den formalen Vorgang des wörtlichen Abschreibens der bezogenen Verbandstarifordnung. Infolge der Inkorporierung werden die übernommenen Tarifregelungen Bestandteil des Anerkennungstarifvertrages. 174 Demgemäß ist der Anerken-
173 Siehe hierzu auch die Stellungnahmen, die eine „Reduzierung" der Anforderungen an die Wirksamkeit individualarbeitsvertraglicher Änderungskündigungen fordern - vgl. Löwisch, NJW 1997, 905, 909; Richardt, Anm. zu BAG vom 18.12.1998, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 4; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Wank, Festschrift für Schaub, S. 761, 777; ders., in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 46. Zutreffend weist Schaub, in ErfKom, § 1 TVG Rn. 80 daraufhin, dass das Problem der Nachwirkung ungelöst bleibt, solange die Auswirkungen auf das Individualrecht - die Änderungskündigung - nicht geklärt sind. 174 Vgl. BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; siehe zudem
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nungstarifvertrag rechtlich so zu behandeln, als wären die bezogenen Rechtsnormen wortlautidentisch niedergeschrieben worden. Nachwirkung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG entfalten damit die kraft Bezugnahme geschaffenen Normen des Anerkennungstarifvertrages, die mit ihren feststehenden Regelungsinhalten dispositiv weitergelten. Es muss allerdings sorgfältig geprüft werden, ob die inkorporierten Verbandstarifbestimmungen die Qualität einer Tarifhorm im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG besitzen, denn nur insoweit ordnet § 4 Abs. 5 TVG eine Weitergeltung an. Es ist durchaus denkbar, dass die statische Verweisung an obligatorischen Verbandstarifregelungen anknüpft, die auf anerkennungstarifvertraglicher Ebene ihre Rechtsqualität grundsätzlich beibehalten. Bei dieser Sachlage scheidet die Nachwirkung bereits nach dem Gesetzeswortlaut aus. 175
II. Nachwirkung bei dynamischer Verweisung Die Eigenheiten der Verweisungstechnik treten erst im Falle der Beendigung eines dynamisch verweisenden Anerkennungstarifvertrages in den Blickpunkt der Diskussion. Denn Blankettbezugnahmen beschränken sich nicht auf eine einmalige Überleitung fremder Tarifvertragsregelungen in das verweisende Tarifabkommen. Sie erfüllen eine darüber hinausgehende Funktion, indem sie die Rechtsgrundlage für eine selbstvollziehende Transformation der jeweils gültigen Verbandstarifordnung auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene bilden. Angesichts dieser antezipierenden Wirkungsweise liegt es nahe, über die Möglichkeit der Nachwirkung dynamischer Verweisungsbestimmungen nachzudenken. Inwieweit im Nachwirkungszeitraum eine Aufrechterhaltung der Anbindung an die künftige Entwicklung des bezogenen Tarifvertrages in Betracht kommt, zählt zu den umstrittenen Fragen der Blankettverweisungstechnik.
Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 (Fn. 70); Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22 f.; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; vgl. auch LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f.; siehe dazu ebenfalls BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 313. Nach BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972 „gelten die in Bezug genommenen Bestimmungen so, als wären sie im VerweisungstarifVertrag wörtlich enthalten". Nach Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 379 setzt der verweisende Tarifvertrag „neue" Tarifhormen. 175 Die Bestimmung der Rechtsqualität der inkorporierten Verbandstarifregelung richtet sich nach allgemeinen Prüfungsmaßstäben und wirft keine verweisungsspezifischen Rechtsfragen auf. Zur fehlenden Nachwirkung obligatorischer Tarifvertragsbestimmungen - siehe stellvertretend BAG vom 14.02.1989, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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1. Streitstand a) Wegfall der Dynamisierung Das Bundesarbeitsgericht 176 und der überwiegende Teil der Rechtslehre 177 vertreten die Auffassung, dass die Dynamisierung der Tarifbedingungen mit dem Eintritt des Nachwirkungsstadiums ihr Ende finde. Inhaltlich beschränke sich die Nachwirkung auf ein „Einfrieren" der Normenordnung auf erreichtem Niveau. 178 An der weiteren Entwicklung des Bezugsobjektes nehme der nachwirkende VerweisungstarifVertrag nicht mehr teil, sodass die Verweisungsbestimmung lediglich statische Wirkung zeitige. Begründet wird dies mit einer teleologischen Reduktion des § 4 Abs. 5 TVG. Der Überbrückungszweck der Nachwirkung erfordere keine Aufrechterhaltung der. Dynamik, weil die Wahrung des Status quo in ausreichendem Maße fur den Schutz der Beteiligten sorge. Mit der statischen Erhaltung des bisherigen Rechtszustandes sei im Übrigen dem tariflichen Ordnungsprinzip hinreichend Rechnung getragen. 176 BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. auch LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung; siehe zudem ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 37L 177 Blum/Ebeling, Festschrift ftir Fenn, S. 85, 100; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 118; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 123 und 1457; Fleddermann, Anm. zu BAG vom 29.08.2001, EWiR 2002, 469, 4T0; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 214 f.; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu §4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 310; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 171; Löwisch/Rieble, Festschrift fur Schaub, S. 457, 464; Mangen, Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 106 f.; ders., Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326 f.; ders., Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AuA 2001, 189, 189; Rieble, Anm. zu BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; ders., Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 340; Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; vgl. auch Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 618; Hanau/Kania, DB 1995, 1229, 1233; Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372. 178 So BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Blum/Ebeling, Festschrift fur Fenn, S. 85, 100; Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1457; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Löwisch/Rieble, Festschrift fur Schaub, S. 457, 464; Rieble, Anm. zu BAG vom 18.12.1996, EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2. Andere Stimmen sprechen von einer „Versteinerung" des erreichten Tarifhiveaus - vgl. Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 106; ders., Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages b) Aufrechterhaltung
der Dynamisierung
Eine nicht unerhebliche Zahl der Stellungnahmen befürwortet demgegenüber ein Fortbestehen der Dynamik im Nachwirkungszeitraum. 179 Insbesondere Wiedemann hat darauf verwiesen, dass die Blankettverweisung zum Inhalt des Tarifvertrages gehöre und daher nachwirken müsse.180 Eine dispositive Anbindung an die fortwährende Entwicklung des Bezugstarifvertrages entspreche am ehesten dem Interesse der Normadressaten und dem Willen der Bezug nehmenden Tarifvertragsparteien. Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG müsse „alles beim Alten", also einer entsprechenden Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen, bleiben. Ergänzend wird zur Begründung vorgetragen, dass die tarifliche Regelungsmacht der Sozialpartner auch im Nachwirkungszeitraum bestehen bleibe. 181 Eine nachwirkende Tarifhorm wandele ihre Rechtsnatur keinesfalls von einem tariflichen in einen staatlichen Rechtssatz. Aus diesem Grund sei die weitergeltende Dynamisierung unmittelbar auf den ursprünglichen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien zurückzuführen.
179 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 873; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112 ff.; Tschöpe, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EWiR 2000, 547, 548; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 180 Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. Wiedemann verweist zur weiteren Begründung seiner Auffassung auf § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB. Nach dem Betriebsübergang erfolge im Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB eine Dynamisierung der Arbeitsbedingungen. Wenn schon die schwächere Form der „individualrechtlichen Nachwirkung" eine dynamische Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen vorsehe, müsse dies erst recht im Rahmen der „kollektiven Nachwirkung" gemäß § 4 Abs. 5 TVG gelten. Der Argumentation Wiedemanns kann schon im Ansatz nicht gefolgt werden. Denn die Auffassung, dass im Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB eine Dynamisierung der Arbeitsbedingungen stattfindet, konnte sich nicht durchsetzen, sodass weitere Schlussfolgerungen ins Leere gehen - vgl. dazu Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326 f. 181 Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112 f.; vgl. zudem Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
523
2. Stellungnahme Während der Nachwirkung eines dynamisch verweisenden AnerkennungstarifVertrages kommt eine Aufrechterhaltung der antezipierenden Anbindung an das jeweilige Verbandstarifniveau nur in Betracht, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 TVG vorliegen.
a) Unmittelbare Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG Sämtliche Stellungnahmen, sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre, gehen offenkundig davon aus, dass § 4 Abs. 5 TVG auf die Blankettverweisungsklausel unmittelbare Anwendung findet. Stets konzentrieren sich die Ausführungen sofort auf die teleologische Auslegung der Gesetzesnorm, ohne die Vorfrage zu klären, ob der Wortlaut überhaupt eine Nachwirkung der Verweisungsbestimmung zulässt. Soweit ersichtlich hat sich nur Oetker mit der vorrangigen Problematik der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 TVG auseinander gesetzt.182
aa) Vorgaben des Gesetzeswortlauts Das TarifVertragsgesetz ordnet in § 4 Abs. 5 TVG an, dass nach Ablauf des Tarifvertrages seine „Rechtsnormen" weitergelten. Ausschließlich diejenigen Tarifbestimmungen entfalten Nachwirkung, die normativen Rechtscharakter tragen. Definiert werden die möglichen Regelungsinhalte tariflicher Normen in § 1 Abs. 1, 2. HS TVG. 1 8 3 Danach sind Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen sowie betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Tarifhormen der nachwirkenden Tarifgeltung fähig. Es fragt sich, ob die Verweisungsbestimmung in diesen enumerativen Katalog eingeordnet werden kann. 184
182
Oetker, in SchleeffOetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 104 ff. Die Tarifnormkategorie des § 4 Abs. 2 TVG über gemeinsame Einrichtungen erlangt hier keine Relevanz. 184 Zum enumerativen Charakter des § 1 Abs. 1 TVG - vgl. Beuthien, ZfA 1983, 141, 159 f.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105; Löwisch/Rieble, Gründl. Rn. 18 f.; dies., in Münchener-Hdb, § 246 Rn. 53 und § 252 Rn. 23; Mayer-Maly, BB 1966, 1067, 1069; Reuter, ZfA 1990, 535, 546 ff.; Rieble, ZTR 1993, 54, 55; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 100 ff.; Zöllner, TarifVertragliche Differenzierungsklauseln, S. 35 f.; vgl. zudem Scholz, Festschrift für Müller, S. 509, 529 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 425 und 427 f.; extensiver Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 539 f.; siehe auch Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 20 ff. und 169; Kempen/Zachert, Grundlagen Rn. 100 f. und § 1 TVG Rn. 1. 183
524
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages bb) Rechtscharakter der Verweisungsanordnung
Ohne nähere Ausführungen zum Rechtscharakter der Bezugnahmeklausel spricht das Bundesarbeitsgericht in diesem Kontext von der „verweisenden Norm". 1 8 5 Auch nahezu alle Vertreter im Schrifttum umschreiben die Inkorporationsabrede mit dem Terminus der „Verweisungsnorm". 186 Diese vorschnelle und unreflektierte terminologische Einordnung verstellt den Blick auf eine nähere Analyse ihres Rechtscharakters. Zu Beginn der Arbeit wurde herausgearbeitet, dass die Verweisungsbestimmung eine lediglich rechtstechnische Funktion erfüllt. 187 Sie beinhaltet eine Inkorporationsanordnung, die für eine Übertragung der verbandstarifVertraglichen Regelungsvorgaben in den Anerkennungstarifvertrag Sorge trägt. Selbst gestaltet sie indes keine Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und kann damit keinem Normentypus im Sinne des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG - insbesondere nicht
185
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; vgl. auch BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 03.12.1985, AP Nr. 1 zu § 74 BAT; BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR; BAG vom 08.03.1995, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag. Das BAG vom 20.04.1994, AP Nr. 1 zu § 11 BAT-O; BAG vom 28.09.1994, AP Nr. 2 zu § 11 BAT-O spricht gar von einer in der „Tarifhorm enthaltenen Blankettverweisung". 186 Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 87; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V Inhalt, Rn. 118; Grimm, Anm. zu BAG vom 20.06.2001, EWiR 2002, 563, 563; Henssler/Parpart, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, SAE 2002, 210, 215; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Koberski/Clasen/Menzel, § 1 TVG Rn. 171; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 5 f. und 113; siehe zudem Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326. Vgl. auch Baumann, RdA 1987, 270, 273; Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; Buchner, AR-Blattei, Tarifvertrag V C, II 2; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54 und 92; Mangen, RdA 1982, 229, 236; ders., Anm. zu BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form; Mayer-Maly, Festschrift für Wolf, S. 473, 477; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 308; Wiedemann, Anm. zu BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; ders., in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 200. 187 Siehe ausführlich oben § 4 F I 1 b. In diesem Sinne Oetker, in Schleef/Oetker, Tar rifpolitik im Wandel, S. 105; vgl. zudem Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 382. Nach Buchner, Anm. zu BAG vom 30.01.1990, AR-Blattei, Tarifvertrag VI Rechtswirkungen, Entscheidung 29 bedienen sich die TarifVertragsparteien mit der Verweisung nur eines „rechtstechnischen Mittels" zur Festlegung des Inhalts ihres Tarifvertrages. Zachert, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt bezeichnet die Verweisung als „verfahrensrechtliche Gestaltungsalternative".
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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der Kategorie der Inhaltsnormen - zugeordnet werden. Vielmehr konkretisieren die Sozialpartner mit der Bezugnahmeklausel das Rechtsetzungsverfahren, genauer gesagt die Art und Weise der Schaffung einer materiell-inhaltlichen Tarifordnung. Erst die infolge der Inkorporation auf die Ebene des AnerkennungstarifVertrages übergeleiteten verbandstariflichen Regelungsvorgaben können normativen oder obligatorischen Rechtscharakter tragen. Dass die Frage des Normativcharakters in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.11.1999 keine Beachtung gefunden hat, verwundert insofern, als der gleiche Senat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Zulässigkeit dynamischer Verweisungen ausdrücklich hervorhob, dass die Bezugnahmeanordnung „selbst keine unmittelbar das Arbeitsverhältnis regelnden Rechtsnormen" enthält. 188 Hat das Bundesarbeitsgericht somit völlig zu Recht die Eingruppierung der Inkorporationsabrede in den enumerativen Katalog des § 1 Abs. 1, 2. HS TVG verneint, ist der Terminus der „Verweisungsnorm" verfehlt und birgt die Gefahr unnötiger Missverständnisse in sich. Gegen die Normqualität der Verweisungsbestimmung spricht die Tatsache, dass die Tarifparteien ebenfalls obligatorische Tarifabsprachen anderer Sozialpartner in Bezug nehmen können. 189 Eine Überleitung obligatorischer Verbandstarifregelungen auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages erlangt durchaus praktische Bedeutung. 190 In dieser Konstellation würde niemand für einen Normativcharakter der Verweisungsklausel plädieren und eine entsprechende Nachwirkung befürworten. Die Möglichkeit der Inbezugnahme sowohl normativer als auch obligatorischer Tarifregelungen belegt, dass die Verweisungsklausel selbst keiner tarifvertragstypischen Regelungskategorie zugeordnet werden kann, sondern allenfalls die regelungstechnische Vorstufe einer normativen Strukturierung der anerkennungstarifgebundenen Arbeitsverhältnisse darstellt.
188
BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Siehe auch Gaul, ZTR 1991, 188, 189, der daraufhinweist, dass „der Anerkennungstarifvertrag keine substantielle Inhaltsnorm enthält". 189 Vgl. Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105 f. 190 Einerseits können die Verbandstarifvertragsparteien durch obligatorische Tarifabsprachen den Normadressaten oder Außenseitern rechtliche Ansprüche im Wege des Vertrages zu Gunsten Dritter einräumen - siehe stellvertretend Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 659 ff. Zum anderen sind sie befugt, ihr internes Rechte- und Pflichtenverhältnis mittels obligatorischer Abreden inhaltlich auszugestalten - siehe stellvertretend Wiedemann , in Wiedemann, § 1 TVG Rn. 658. Diese obligatorischen VerbandstarifVereinbarungen können sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages kraft Bezugnahmeanordnung zu Eigen machen.
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
cc) Konsequenzen Angesichts des fehlenden Normativcharakters der Blankettbezugnahmeklausel sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 5 TVG nicht erfüllt. Eine Nachwirkung des Regelungsgehalts der Verweisungsbestimmung scheidet von vornherein aus. Die antezipierende Inkorporierungsabrede tritt ebenso wie eine obligatorische Tarifregelung mit dem Auslaufen des Anerkennungstarifvertrages ersatzlos außer Kraft. Weil sich der Geltungsbefehl des § 4 Abs. 5 TVG demnach nicht auf die Verweisung erstreckt, ist eine fortwirkende Dynamisierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen denknotwendig ausgeschlossen. Nachwirkung entfalten ausschließlich die infolge der Verweisung auf die anerkennungstarifVertragliche Ebene übertragenen Rechtsnormen. Erst die inkorporierten Verbandstarifnormen gestalten die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse inhaltlich aus. Mit der Überleitung der bezogenen Tarifhormen werden sie Bestandteil des Anerkennungstarifvertrages. 191 Rechtstechnisch erfüllt die Blankettbezugnahme lediglich die Funktion, jeden neu in Kraft getretenen Nachfolgeverbandstarifvertrag automatisch auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages zu übertragen. Auf diese Weise ersparen sich die Tarifpartner das wörtliche Abschreiben der jeweils gültigen verbandstariflichen Normenordnung. 192 Nach erfolgter Inkorporierung ruht die rechtsetzungstechnische Aufgabe der Verweisung bis zum Inkrafttreten des nächsten Bezugstarifabkommens. Zwischenzeitlich entfalten allein die übergeleiteten Normen, die nunmehr Inhalt des Anerkennungstarifvertrages sind, rechtsgestaltende Wirkung. Daher muss der kraft Bezugnahme inhaltlich ausgeformte Anerkennungstarifvertrag genauso wie ein originärer Tarifvertrag behandelt werden. Bei dieser Rechtslage kann die Nachwirkung konsequenterweise nur an den im Beendi-
191 BAG vom 09.07.1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; BAG vom 18.06.1997, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Kündigung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; Blum/Ebeling, Festschrift für Fenn, S. 85, 101 (Fn. 70); Clemens, AöR 111 (1986), 63, 65; Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, S. 54; Iffland, DB 1964, 1737, 1740; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 22 f.; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; vgl. auch LAG Sachsen-Anhalt vom 11.05.1999, ArbuR 2000, 147, 147 f.; Boemke, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, JuS 2001, 617, 617; siehe zudem BVerfG vom 01.03.1978, BVerfGE 47, 285, 313. 192 Vgl. BAG vom 30.01.1990, AP Nr. 78 zu § 99 BetrVG 1972; siehe zudem BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; LAG Berlin vom 10.01.2000, AP Nr. 35 zu § 4 TVG Nachwirkung.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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gungszeitpunkt gültigen Normativbestimmungen des Anerkennungstarifvertrages anknüpfen. 193 Ihre Bestätigung findet diese Interpretation durch einen Vergleich mit der statischen Verweisung. Ohne Umweg über die Bezugnahmeklausel wird in diesem Kontext zur Begründung der Nachwirkung unmittelbar auf die inkorporierten Tarifhormen abgestellt. Es ist nicht nachvollziehbar dieses systematische Verständnis fur dynamische Verweisungen aufzugeben und die Nachwirkung einer rein rechtstechnischen Tarifbestimmung zu postulieren.
dd) Ergebnis Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Blankettbezugnahmeklausel nicht in den tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 TVG fällt. Bereits aus diesem Grund kommt es auf die streitig diskutierte Frage, ob sich die tarifliche Regelungsmacht der Sozialpartner überhaupt auf den Nachwirkungszeitraum erstreckt, nicht entscheidend an. 194
b) Analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG Es ist allerdings zu erwägen, ob sich eine Aufrechterhaltung der Dynamik in der Phase der Nachwirkung mit einer analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG begründen lässt. 195 Erst in diesem Zusammenhang ist es angezeigt, die Argumentation der Rechtsprechung und des Schrifttums zu Sinn und Zweck der Nachwirkung in die Prüfung einfließen zu lassen.
193
Vgl. Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 310. Vgl. dazu einerseits Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112 f.; Wiedemann. , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV AngDFVLR; siehe andererseits Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 327. 195 Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel, S. 105 diskutiert die Problematik, ohne jedoch ausdrücklich eine Analogieprüfung durchzufuhren. 194
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Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
aa) Planwidrige Regelungslücke Voraussetzung einer Gesetzesanalogie ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke.196 Eine gesetzliche Anordnung zur Nachwirkung dynamischer Verweisungsbestimmungen fehlt. Der Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG liegt indes kein abschließendes System dahin gehend zu Grunde, dass ausschließlich „klassisch-normative" Tarifbestimmungen nachwirken können. Immerhin stellt die Verweisung gegebenenfalls die rechtstechnische Vorstufe einer normativen Strukturierung der Arbeitsbedingungen dar. Im Kodifikationsverfahren hat sich der Gesetzgeber keine Gedanken zur Problematik der Nachwirkung von Blankettbezugnahmen gemacht, sodass eine Planwidrigkeit der gesetzlichen Unvollständigkeit nicht ausgeschlossen werden kann.
bb) Vergleichbare Interessenlage Eine Schließung der Regelungslücke im Wege der Gesetzesanalogie kommt in Betracht, wenn die im Gesetz vorgegebene Regel auf den gesetzlich nicht erfassten Sachverhalt in Anbetracht einer vergleichbaren Interessenlage übertragbar ist. Die der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegende Wertung muss den ungeregelten Sachverhalt derart umfassen, dass sowohl der Grundsatz der Gerechtigkeit als auch das Rechtsprinzip „Gleichartiges gleich zu behandeln" eine kongruente rechtliche Behandlung bedingen. 197 Im Ausgangspunkt muss zunächst die ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG analysiert werden, um die Basis für einen Vergleich der Interessenlagen zu schaffen.
(1) Normzweck des § 4 Abs. 5 TVG Mit der Kodifizierung des § 4 Abs. 5 TVG strebte der Gesetzgeber die Verwirklichung von zwei unterschiedlichen Schutzzwecken an. Zum einen zielt die Nachwirkung auf eine Privilegierung der Normadressaten. Die Beendigung des Tarifvertrages soll zu keinem abrupten Wegfall der tariflichen Regelungswirkung führen. Vielmehr werden die normativen Tarifbestimmungen mit dispositivem Rechtsstatus aufrechterhalten, um inhaltsleere
196
Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 472 ff; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370 ff; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 453 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 65 ff. 197 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 381; vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 475 ff.; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 481 ff.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
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Arbeitsverhältnisse zu vermeiden. 198 Zu Gunsten der tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber überbrücken die nachwirkenden Normen somit den Zeitraum vom Ende des Tarifvertrages bis zum Inkrafttreten eines Nachfolgetarifabkommens oder einer abweichenden Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5, 2. HS TVG. Die zweite zentrale Aufgabe der Nachwirkung besteht im Schutz der Tarifvertragsparteien. Durch die fortgeltende Kontinuität der tariflichen Ordnung sind sie nicht gezwungen, vorschnelle und unüberlegte Neuabschlüsse zu tätigen. Vielmehr können sie ohne Zeitdruck über einen nachfolgenden Sozialausgleich verhandeln. In diesem Sinne statuiert § 4 Abs. 5 TVG eine Überbrückungsordnung 199 und sichert damit die Funktionsfähigkeit des tariflichen Regelungssystems. Sowohl der Normzweck der Vermeidung inhaltsloser Arbeitsverhältnisse als auch die ratio legis der Überbrückungsaufgabe stärken das tarifliche Ordnungsprinzip. 200 Allerdings lassen sich aus dem Ordnungsgedanken keine eigenständigen Schlussfolgerungen ableiten.
198
BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BÄG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu §3 TVG Verbandzugehörigkeit; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 08.10.1997, AP Nr. 29 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 10.12.1997, AP Nr. 21 zu § 3 TVG; BAG vom 22.07.1998, AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1450; Danko/P lester ninks, ZIP 2000, 1922, 1925; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 872; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 248; Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu §4 TVG Nachwirkung; Kempen/Zachert, §4 TVG Rn. 293; Koberski/Clasen/Menzel, § 4 TVG Rn. 181; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 221; dies., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 2 f.; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 56 f.; Oetker, in Schleef/Oetker, Tarifyolitik im Wandel, S. 105; ders., Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326; Rolfs/Richter, Anm. zu BAG vom 17.05.2000, EzA § 3 TVG Nr. 19; Stein, TarifVertragsrecht, Rn. 128; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 327. 199 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 872; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, Rn. 249; Löwisch/Rieble, Anm. zu BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; Oetker, Gem. Anm. zu BAG vom 18.03.1992 und 27.11.1991, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 14 und 15; Wank, in Wiedemann, § 4 TVG Rn. 329; vgl. auch BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandzugehörigkeit; BAG vom 13.12.1995, AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; siehe zudem Däubler, TarifVertragsrecht, Rn. 1450; Kempen/Zachert, § 4 TVG Rn. 293; Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rn. 222; dies., in Münchener-Hdb, § 273 Rn. 1 ff.; dies., Anm. zu BAG vom 18.03.1992, AP Nr. 13 zu § 3 TVG; Rotter, Nachwirkung der Normen eines Tarifvertrags, S. 59. 200 Zum Gedanken des Ordnungsprinzips - vgl. BAG vom 13.07.1994, AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandzugehörigkeit; BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 17.05.2000, AP Nr. 8 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom
530
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
(2) Übertragung der Normzweckgesichtspunkte Verweisungsanordnung
auf die dynamische
Unter Zugrundelegung der Normzwecküberlegungen besteht keine Rechtfertigung für eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG auf die Blankettverweisung. Die Interessenlage, welche für eine gesetzliche Anerkennung der Nachwirkung bei „klassisch-normativen" Regelungen streitet, findet hier keine Entsprechung. Eine Erstreckung der Nachwirkung auf die Verweisungsbestimmung dient weder der Verhinderung inhaltsloser Arbeitsverhältnisse noch erfüllt sie eine Überbrückungsfunktion, sodass keine Veranlassung für eine fortwährende Dynamisierung der Tarifbedingungen im Nachwirkungszeitraum besteht. Die ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG ist bereits gewahrt, wenn die inkorporierten Tarifhormen auf dem im Beendigungszeitpunkt erreichten Stand weitergelten. Bei dieser Rechtslage droht keine Inhaltslosigkeit der anerkennungstarifgebundenen Arbeitsverhältnisse. Genauso wenig bedarf es einer dynamischen Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen, um die Überbrückungsfunktion der Nachwirkung zu gewährleisten. Die Aufrechterhaltung des Status quo sichert in ausreichendem Maße die inhaltliche Kontinuität, sodass die Firmentarifvertragsparteien ohne zeitlichen Druck über den Abschluss eines Nachfolgetarifabkommens verhandeln können. Entgegen der Auffassung Wiedemanns 201 konterkariert eine fortbestehende Dynamisierung sogar die Überbrückungsaufgabe des § 4 Abs. 5 TVG. 2 0 2 Denn derjenige Sozialpartner, der durch die weitergeltende dynamische Anbindung an das Verbandstarifhiveau privilegiert wird, hat kein Interesse an einer tariflichen Ablösung der Blankettbezugnahme und wird nicht ernsthaft über den Abschluss eines ersetzenden Nachfolgetarifvertrages verhandeln. Im Übrigen steht die „Versteinerung" der Tarifentwicklung in Einklang mit dem tariflichen Ordnungsprinzip. Denn der im Beendigungszeitpunkt erreichte Tarifstandard verbürgt eine in sich schlüssige Tarifordnung, welche ihre ordnende Funktion zu Gunsten der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse einschränkungslos erfüllen kann. Die Auffassung Wiedemanns, dass sowohl die Sozialpartner und als auch die Normadressaten daran interessiert sind, „alles beim Alten", also der Dynamik, zu belassen,203 beruht auf einer unzutreffenden Analyse der Interessenlage. In
04.04.2001, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; BAG vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 201 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR. 202 Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; siehe zudem Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 326. 203 Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
531
der wichtigsten Konstellation einer TarifVertragsauflösung - der Kündigung geben oftmals die infolge der dynamischen Verweisung eintretenden inhaltlichen Fehlentwicklungen Anlass zur einseitigen Beendigungserklärung. In dieser Situation widerspricht die Aufrechterhaltung der Dynamik diametral dem Willen der kündigenden Tarifvertragspartei. 204 Aber selbst bei Annahme eines übereinstimmenden Dynamisierungswillens findet die Argumentation Wiedemanns unter Normzweckgesichtspunkten keine Zustimmung. Denn der entsprechende Wille kann weder auf die Inhaltserhaltungsfunktion noch auf die Überbrückungsfunktion des § 4 Abs. 5 TVG zurückgeführt werden. Weil die Weitergeltung von Regelungsinhalten trotz Beendigung des Vertragsverhältnisses eine atypische Ausnahmekonstellation darstellt, muss sich die Reichweite der Nachwirkung streng an den Vorgaben des staatlichen Geltungsbefehls orientieren und kann nicht durch subjektive Vorstellungen erweitert werden. Zudem kann der Wille, die Dynamik im Nachwirkungszeitraum aufrechtzuerhalten, keineswegs allein aus der ursprünglich geschlossenen Verweisungsvereinbarung abgeleitet werden, denn die antezipierende Inkorporationsabsicht entfällt mit dem Ende des Tarifvertrages. 205 Es bedürfte vielmehr einer auf die Phase des § 4 Abs. 5 TVG gerichteten, eigenständigen Dynamisierungsabrede. 206 Ob die Sozialpartner hierfür allerdings die tarifliche Regelungsmacht besitzen, erscheint fragwürdig. 207
204
Wenig konstruktiv ist insoweit die Argumentation von Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 873; Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28 gegen den Wegfall der Dynamik, indem sie schlicht die Frage stellen: „Warum das?" 205 Vgl. Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 327. 206 Eine derartige auf das Nachwirkungsstadium bezogene Dynamisierungsabrede entnimmt das ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 371, 371 der „anerkennungstarifvertraglichen Substituierungsklausel" im Wege einer nicht nachvollziehbaren Auslegung. In einer Vielzahl der Anerkennungstarifverträge findet sich im Anschluss an die inhaltlich dynamische Verweisungsbestimmung folgende Regelung: „Zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages finden alle Abkommen, Zusatzabkommen, Vertragsän derungen und -ergänzungen Anwendung, die zwischen den Parteien des in Bezug ge nommenen Verbandstarifvertrages abgeschlossen werden. Dies gilt auch hinsichtlic des Inkrafttretens neuer Tarifbestimmungen, die anstelle der in Bezug genommen Tarifverträge beziehungsweise Tarifbestimmungen treten." Die im zweiten Satz niedergelegte Substituierungsklausel bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitraum zwischen Inkrafttreten und Beendigung des Anerkennungstarifvertrages. Sie knüpft in keiner Weise an der Phase der Nachwirkung an. Das wird darüber hinaus durch die systematische Verbindung mit dem ersten Satz der Regelung bestätigt. Die Substituierungsklausel erfüllt eine klarstellende Funktion und besitzt lediglich deklaratorischen Charakter, was selbst vom ArbG Verden erkannt wird. Ihr Sinn und Zweck besteht in einer Ergänzung der inhaltlich dynamischen Verweisungsbestimmung. Solange zwischen dem ursprünglich bezogenen VerbandstarifVertrag
532
Teil 6: Rechtsfragen der Beendigung des Anerkennungstarifvertrages
Eine Berufung auf die Gleichstellungsfunktion des AnerkennungstarifVertrages wird der Problematik ebenfalls nicht gerecht. 208 Mit dem Auslaufen des Verweisungstarifvertrages endet synchron die Gleichstellungsaufgabe. Weil die Tarifebenen des Firmen- und des Verbandstarifvertrages unabhängig nebeneinander stehen, kann sich die Tarifsituation nach Beendigung des AnerkennungstarifVertrages selbstständig entwickeln. Festzuhalten bleibt damit, dass unter teleologischen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit für eine Beibehaltung der Dynamik im Nachwirkungszeitraum
und den im Laufe der Zeit geschaffenen Nachfolgeverbandstarifabkommen ein sachlicher Zusammenhang besteht, finden die modifizierten Tarifbedingungen bereits kraft dynamischer Verweisung auch dann auf anerkennungstarifVertraglicher Ebene Anwendung, wenn das Bezugsobjekt umbenannt, in mehrere Vertragswerke zerlegt oder mit anderen Regelungskomplexen verschmolzen wird. Zudem entfalten nach überwiegend vertretener Auffassung so genannte „überraschende" verbandstarifliche Neuregelungen gegenüber den anerkennungstarifvertraglichen Normadressaten bereits infolge der dynamischen Verweisung Geltung. Um jedoch von vornherein jeden zukünftigen Streit zwischen den Parteien des Anerkennungstarifvertrages über die Reichweite der Inkorporationswirkung zu vermeiden, legen sie mit der Substituierungsklausel ergänzend fest, dass alle neuen Verbandstarifbestimmungen, die an die Stelle des ursprünglichen Bezugsobjektes treten, auf die anerkennungstarifVertragl iche Ebene inhaltlich überfuhrt werden und konkretisieren damit die Wirkungsweise der Blankettbezugnahmebestimmung. Zur Auslegung der Substituierungsklausel siehe zudem bereits oben § 10 A I und § 10 Β I 1. Dafür, dass die Substituierungsklausel für eine Aufrechterhaltung der Dynamisierung im Nachwirkungszeitraum Sorge trägt, fehlen - unabhängig von der tarifrechtlichen Wirksamkeit einer derartigen Abrede - jegliche Anhaltspunkte. Zurückhaltend gegenüber dem dogmatischen Ableitungsansatz des ArbG Verden auch Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372. 207 Die Streitfrage wird diskutiert von Auer, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 28; Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, S. 112 f.; Wiedemann , Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR einerseits und Jacobs, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 327 andererseits. Siehe zudem BAG vom 10.11.1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Tschöpe, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, EWiR 2000, 547, 548 fordert unreflektiert den Abschluss von auf das Nachwirkungsstadium bezogenen Dynamisierungsabreden. Es stellt sich nicht nur die grundsätzliche Frage, ob sich die tarifliche Regelungsmacht bereits im Zeitpunkt des Anerkennungstarifvertragsabschlusses - als vor Erreichen des Nachwirkungsphase - überhaupt auf das Nachwirkungsstadium erstreckt. Vielmehr muss unabhängig von dieser Kontroverse Berücksichtigung finden, dass eine entsprechende Nachwirkungsvereinbarung an der „Verweisungsbestimmung" anknüpfen müsste. Da sie indes keine normative Rechtsqualität im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG besitzt, stellt sich das besondere Problem, ob einer rein rechtstechnischen Tarifklausel ein nachwirkender Rechtscharakter zugewiesen werden darf. 208 Oetker, Anm. zu BAG vom 24.11.1999, SAE 2000, 324, 327; anders Wiedemann, Anm. zu BAG vom 13.08.1986, AP Nr. 1 zu § 2 MTV Ang-DFVLR.
§ 16 Rechtsfolgen der Beendigung
533
besteht. Zutreffend formuliert daher das Bundesarbeitsgericht in Einklang mit der überwiegenden Lehrmeinung, dass der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG ausschließlich eine Bewahrung des Status quo rechtfertigen.
cc) Ergebnis Mangels vergleichbarer Interessenlage scheidet mithin eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG aus.
c) Schlussfolgerung Mit dem Außerkrafttreten des Anerkennungstarifvertrages verliert die Dynamisierungsabrede ihre Geltung. An der weiteren verbandstarifVertraglichen Entwicklung nimmt der nachwirkende Anerkennungstarifvertrag nicht mehr teil. Zur Begründung dieses Ergebnisses bedarf es entgegen der höchstrichterlichen Auffassung keiner teleologischen Reduktion des § 4 Abs. 5 TVG. Bereits der Gesetzeswortlaut steht einer Nachwirkung der Verweisungsbestimmung entgegen. Lediglich die vor dem Ende des Anerkennungstarifvertrages zuletzt inkorporierten Tarifhormen wirken entsprechend den allgemeinen Grundsätzen nach.
Teil 7
Zusammenfassung und Ausblick I. Der Anerkennungstarifvertrag stellt eine besondere Form des Firmentarifvertrages dar. 1 Er wird zwischen der Gewerkschaft und einem einzelnen Arbeitgeber geschlossen. Kennzeichnendes Merkmal des AnerkennungstarifVertrages ist seine spezifische inhaltliche Ausgestaltung. Die TarifVertragsparteien verzichten auf eine eigenständige Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und übernehmen lediglich die inhaltlichen Vorgaben eines zwischen anderen Sozialpartnern abgeschlossenen Tarifvertrages. Regelungstechnisch wird die Überleitung des fremden Regelungsprogramms durch die Vereinbarung einer inhaltlichen Verweisungsklausel umgesetzt. Kraft Verweisung können sich die Parteien des Anerkennungstarifvertrages sowohl normative als auch obligatorische Tarifregelungen anderer Sozialpartner zu Eigen machen. Durch die Bezugnahme werden die überzuleitenden Tarifbestimmungen, ohne dass es gesonderter Vollzugsakte bedarf, in den Anerkennungstarifvertrag inkorporiert. 2 Die inhaltliche Verweisungsklausel trägt unmittelbar weder einen normativen noch einen obligatorischen Rechtscharakter. Als Tarifabrede sui generis besitzt sie eine ausschließlich rechtstechnische Natur. 3 Demzufolge sind erst die in den Anerkennungstarifvertrag inkorporierten Tarifbestimmungen dem normativen respektive obligatorischen Regelungstypus zuzuordnen. Im Hinblick auf die Wirkungsweise der Inkorporierung muss zwischen statischen und dynamischen Verweisungen unterschieden werden. 4 Mit einer statischen Verweisung beschränken sich die Sozialpartner auf die Überleitung eines inhaltlich bekannten Tarifwerkes in seiner feststehenden Fassung. Hingegen zeichnet sich die dynamische Verweisung dadurch aus, dass die Vertragspartner nicht nur die ihnen zugängliche Fassung eines anderen Tarifvertrages übernehmen, sondern Um in seiner jeweils gültigen Fassung für anwendbar erklären. Hierdurch finden künftige Modifikationen oder Ergänzungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages selbstvollziehend Eingang in den verweisenden
1 2 3 4
Siehe § 1 B. Siehe § 4 D I. Siehe § 4 F I 1 b. Siehe § 4 E.
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
535
Tarifvertrag mit der Konsequenz, dass eine fortlaufende inhaltliche Anbindung an die fremde Tarifentwicklung erfolgt. Seine Prägung erfährt der Anerkennungstarifvertrag durch die besondere Qualität seiner Bezugnahmeobjekte. Die Firmentarifvertragsparteien verweisen auf die inhaltlichen Vorgaben eines zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband abgeschlossenen Verbandstarifvertrages. 5 Hintergrund dieser Vertragsgestaltung ist die spezifische tarifliche Ausgangslage auf firmentarifvertraglicher Ebene. Oftmals sind weder die Gewerkschaft noch der einzelne Arbeitgeber organisatorisch in der Lage, eigenständige komplexe Firmentarifkompromisse auszuhandeln.6 Die von den Koalitionen erarbeiteten VerbandstarifVerträge beinhalten im Regelfall einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Sozialinteressen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Kraft statischer beziehungsweise dynamischer Verweisung transformieren die Vertragspartner den auf Verbandsebene gefundenen Tarifkompromiss auf die Ebene des Anerkennungstarifvertrages. Hierdurch partizipieren sowohl die tarifgebundenen Arbeitnehmer als auch der nicht koalitionswillige Einzelarbeitgeber mittelbar an der tariflichen Interessenwahrnehmung der Sozialverbände. In Anbetracht der durch die Verweisungsanordnung vermittelten Synchronisierung der firmen- und verbandstarifVertraglichen Regelungsinhalte spielt der Anerkennungstarifvertrag in den tarifstrategischen Überlegungen der Gewerkschaften eine zentrale Rolle. Mit dem Gestaltungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages erreichen sie eine inhaltliche Anbindung unkoalierter Arbeitgeber an das Tarifniveau auf Verbandsebene.7 Gelingt der Arbeitnehmervereinigung die Durchsetzung einer dynamischen Verweisung, sichert dies den tarifgebundenen Beschäftigten eine langfristige Partizipation an den Regelungskonzepten der Flächentarifwerke. In der Tarifpraxis streben die Gewerkschaften regelmäßig eine Überleitung der fur die jeweilige Branche geltenden VerbandstarifVerträge an, an deren Errichtung sie selbst in Zusammenarbeit mit dem tarifzuständigen Arbeitgeberverband mitgewirkt haben. Auf diese Weise fördert die Arbeitnehmervereinigung in dem von ihr vertretenen Wirtschaftszweig einen regional einheitlichen Tarifstandard und wirkt somit einem Unterbietungswettbewerb um den Kostenfaktor „Arbeit" entgegen. Prädestiniert ist das Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages darüber hinaus, um Bestrebungen der Unternehmen zu begegnen, aus einer bestehenden Verbandstarifbindung auszubrechen.8 Realisiert die Gewerkschaft nach einer vollzogenen „Flucht" aus dem Flächentarifvertrag kraft anerkennungstarifvertraglicher Verweisung identische Tarifbedingungen, zeitigt das 5 6 7 8
Siehe § 1 B. Siehe § 2 A III und Β II. Siehe § 2 A I. Siehe § 2 A II.
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Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
Ausscheiden kaum positive Folgewirkungen fur den Arbeitgeber. Da der Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages regelmäßig auf eine Initiative der Arbeitnehmervereinigung zurückzuführen ist und dem einzelnen Arbeitgeber aufgrund der sozialen Mächtigkeit der Gewerkschaft häufig nur die Möglichkeit verbleibt, dem inhaltlichen Gleichstellungsbegehren Folge zu leisten, erscheint die Terminologie „Anerkennungstarifvertrag" treffend. 9 II. Gegen die Zulässigkeit statischer Verweisungen in Firmentarifverträgen bestehen keine Bedenken.10 Den Anforderungen des Schriftformgebotes des § 1 Abs. 2 TVG, welches ausschließlich Klarstellungsfunktion besitzt, genügen die Sozialpartner, indem sie die in Bezug genommenen, ihrerseits schriftlich fixierten Verbandstarifverträge in der Verweisungsbestimmung des Anerkennungstarifvertrages so genau bezeichnen, dass Irrtümer und Zweifel der Normadressaten über die Identität der Bezugsobjekte ausgeschlossen sind. Eine tarifliche Normgebung kraft Verweisung verstößt nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Die tariflichen Regelungsinhalte sind hinreichend bestimmbar, weil sie sich anhand der Verweisungsanordnung unter Heranziehung des Bezugstarifvertrages nachvollziehen lassen. Ungeachtet des wenig befriedigenden Bekanntmachungssystems des Tarifvertragsgesetzes gewährleisten die gesetzlich verankerten Publikationsformen sowie die auf Arbeitnehmerseite bestehenden verbandsinternen Informationsmöglichkeiten eine dem Rechtsstaatsprinzip noch genügende Zugänglichkeit. Statische Verweisungen stehen zudem mit dem in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Grundsatz der Tarifhormverantwortung in Einklang. Beide Vertragsparteien kennen den inhaltlichen Regelungsgehalt des überzuleitenden Verbandstarifvertrages und sind im Stande, das fremde Tarifwerk vor der Unterzeichnung der Inkorporationsanordnung auf seine Sachgerechtigkeit zu überprüfen. III. Da sich die Klarstellungsfunktion des § 1 Abs. 2 TVG, die rechtstaatliche Bestimmbarkeitsmaxime und das Publizitätsgebot auf den Zeitraum der jeweiligen Normanwendung beziehen, bestehen keine formellen Einwände gegen dynamische Verweisungen in Anerkennungstarifverträgen. 11 Schwierige Rechtsfragen wirft indes der aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG abzuleitende Grundsatz der Tarifnormverantwortung auf. Die Verfassungsnorm garantiert einerseits die Tarifautonomie, verpflichtet aber andererseits die Sozialpartner zu einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Normsetzungskompetenz und verbietet zum Schutz der drittbetroffenen Normadressaten eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen auf andere Tarifvertragsparteien. Dynamische Verweisungen fuhren indes nicht zu einer Übertragung von Normgebungszuständigkeiten, weil die verweisenden Tarifparteien selbst über die künftige inhaltliche Anbin-
9
Siehe § 1 B, C und D. Siehe § 5 A. 11 Siehe § 6 A I, II, und III. 10
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
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dung an fremde Regelungsvorgaben entscheiden und eine jederzeitige Änderung oder Aufhebung der Verweisungsbestimmung sichergestellt ist. 12 Folglich werden die Sozialpartner des VerbandstarifVertrages nicht im eigenen Namen anstelle der Parteien des Anerkennungstarifvertragesnormsetzend tätig. Ungeachtet der Ablehnung eines Delegationscharakters verursachen dynamische Verweisungen jedoch eine verdeckte Kompetenzverlagerung. 13 Es ist den Partnern des Anerkennungstarifvertrages faktisch unmöglich, eine ständige Kontrolle im Hinblick auf die inhaltliche Entwicklung des bezogenen Verbandstarifvertrages auszuüben. Hinzu kommt, dass aufgrund der automatischen Inkorporationswirkung zumindest vorübergehend Tarifregelungen auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Gültigkeit beanspruchen können, die weder vorhersehbar waren noch dem ursprünglichen Gestaltungswillen einer oder beider Vertragsseiten entsprechen. Gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG bedarf die faktische Verschiebung der Kompetenzordnung einer Rechtfertigung. Für Anerkennungstarifverträge gelten insofern eigenständige Maßstäbe.14 Da der anerkennende Arbeitgeber sowohl TarifVertragspartei als auch Normadressat ist, entscheidet er eigenverantwortlich über die Sachgerechtigkeit einer dynamischen Anbindung an die zukünftige Flächentarifentwicklung. Das bei Verbandstarifverträgen zur Rechtfertigung herangezogene Kriterium der Vorhersehbarkeit künftiger Tarifinhalte und die in diesem Kontext höchstrichterlich entwickelten Fallgruppen erlangen beim Firmentarifvertrag auf Arbeitgeberseite keine Relevanz. Denn ist die eigenverantwortliche Interessenwahrnehmung bereits aufgrund der Beteiligung am Abschluss des Anerkennungstarifvertrages sichergestellt, bedarf der Arbeitgeber keines weiteren Schutzes vor seiner eigenen tariflichen Willenserklärung. Da firmentarifVertragliche Verweisungen arbeitgeberseitig keinen Drittbezug aufweisen, besteht insoweit keine Veranlassung zu einer Beschränkung der Blankettverweisungstechnik. Besonderheiten sind zudem auf Gewerkschaftsseite zu berücksichtigen. Setzt die Arbeitnehmervereinigung eine dynamische Verweisung auf einen von ihr selbst mit dem jeweiligen Arbeitgeberverband abgeschlossenen Verbandstarifvertrag durch, sichert die Beteiligung sowohl am verweisenden als auch am bezogenen Tarifvertrag eine qualifizierte Normsetzungsverantwortung. Da gegen den Willen der Gewerkschaft keine neuartigen Verbandstarifregelungen in Kraft treten können und die Gewerkschaft vor dem Wirksamwerden modifizierter Nachfolgeverbandstarifverträge im Regelfall auf eine Aufhebung der Verweisung im Anerkennungstarifvertrag hinwirken kann, sind die Interessen der an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer in ausreichendem Maße gewahrt. 12 13 14
Siehe § 6 A I V 1 a. Siehe § 6 A I V 1 b. Siehe § 6 A I V 2 b.
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Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
Entgegen der restriktiven Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es gerechtfertigt, dynamische Verweisungen unabhängig von den Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Normgebung als grundsätzlich zulässiges tarifliches Gestaltungsinstrumentarium anzuerkennen.15 Das Bundesarbeitsgericht, das Blankettverweisungen nur gestattet, wenn die Tarifparteien die Sachgerechtigkeit der künftigen Tarifentwicklungen vorhersehen können, verkennt, dass das Kriterium der Sachgerechtigkeit nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern Rechtsfolge tariflicher Normgebung ist. Die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, die Art und Weise des Normsetzungsverfahrens frei zu wählen. Insbesondere die Festlegung, die eigenen Tarifinhalte parallel an die künftige Entwicklung eines fremden Tarifwerkes anzubinden, ist Ausdruck einer tarifautonomen Entscheidung der Sozialpartner. In Form der ordentlichen respektive außerordentlichen Kündigung des Tarifvertrages steht den verweisenden Vertragsparteien für den Fall einer inhaltlichen Fehlentwicklung des Bezugsobjektes ein hinreichendes Reaktionsinstrumentarium zur Verfügung. Zweifel an einer eigenverantwortlichen Normgebung bestehen allenfalls, sofern die Parteien die inhaltliche Entwicklung des übernommenen Tarifvertrages „in keiner Weise" vorab beurteilen können. Ihre Grenzen finden dynamische Verweisungen demgemäß im rechtsstaatlichen Willkürverbot. Eine willkürliche Blankettbezugnahme ist indes nur anzunehmen, wenn die Geltungsbereiche des verweisenden und des bezogenen Tarifabkommens derart differieren, dass die übernommenen Regelungen offenkundig keinen sinnvollen Interessenausgleich auf der Ebene des VerweisungstarifVertrages gewährleisten. Jenseits evidenter Missbrauchsfälle streitet eine Vermutung für die Statthaftigkeit dynamischer Verweisungen. Mittels dynamischer Verweisungen werden ebenfalls überraschende Neuregelungen geänderter NachfolgeverbandstarifVerträge in den AnerkennungstarifVertrag überführt, da diese Modifikationen von den Parteien des AnerkennungstarifVertrages billigend in Kauf genommen werden. 16 In Anbetracht des mit dem Anerkennungstarifvertrag anvisierten Ziels der inhaltlichen Gleichstellung des Außenseiterarbeitgebers mit den koalierten Arbeitgebern ist davon auszugehen, dass die Vertragschließenden im Zweifel eine dynamische und nicht nur eine statische Verweisung anstreben. 17 Ist eine Blankettbezugnahme aus materiellen Gründen unwirksam, liegen aber die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer statischen Verweisung vor, kann im Wege der geltungserhaltenden Reduktion eine inhaltliche Überleitung der feststehenden Fassung des Ver-
15 16 17
Siehe § 6 A IV 2 c cc. Siehe § 6 Β II 2. Siehe § 6 Β III 2 c bb.
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
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bandstarifVertrages angenommenen werden. 18 Sofern der in Bezug genommene VerbandstarifVertrag aus formellen oder materiellen Gründen unwirksam ist, bleibt der Anerkennungstarifvertrag aufgrund seiner Eigenständigkeit gültig, wenn die verweisenden Parteien den Rechtsmangel in ihrem Tarifrechtsverhältnis vermeiden. Allerdings sind die Sozialpartner angesichts der Hinfälligkeit des inhaltlichen Gleichstellungszwecks nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur außerordentlichen Kündigung ihres Anerkennungstarifvertrages befugt. 19 IV. Im Hinblick auf die Reichweite inhaltlicher Verweisungen muss zwischen Global-, Teil- und Einzelverweisungen differenziert werden. 20 Mit einer Globalverweisung überfuhren die Parteien den verbandstarifVertraglichen Sozialkompromiss, für den eine Richtigkeitsvermutung streitet, in vollem Umfang in den Anerkennungstarifvertrag. Eine tarifpraktische Besonderheit liegt darin begründet, dass die Vertragspartner nicht nur einen, sondern regelmäßig eine Vielzahl der in der jeweiligen Branche geltenden Flächentarifwerke inhaltlich in ein und denselben Anerkennungstarifvertrag überführen. Bedenken gegen derartige „erweiterte" Globalbezugnahmen ergeben sich nicht, weil die Parteien des Anerkennungstarifvertrages autonom über die Aufnahme unterschiedlicher Regelungsgegenstände in ihr Tarifwerk entscheiden. Es ist keinesfalls obligatorisch, sämtliche im jeweiligen Wirtschaftszweig geltenden VerbandstarifVerträge zu inkorporieren, da die Firmentarifparteien den Umfang der inhaltlichen Anbindung tarifautonom festschreiben. Gegen Teil- oder Einzelverweisungen bestehen jedenfalls dann keine durchgreifenden Einwände, wenn die Sozialpartner auf freiwilliger Basis eine Einigung über die Inkorporierung fremder Regelungskomplexe oder einzelner Tarifbestimmungen erzielen. V. In formeller Hinsicht können die Vertragschließenden in Ergänzung des in § 1 Abs. 2 TVG verankerten Schriftformgebotes vereinbaren, dass die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge in einem Anhang oder in einer Anlage zum Anerkennungstarifvertrag einzeln verzeichnet werden. 21 Stellt die spezifische Formabrede den Normadressaten lediglich eine zusätzliche inhaltliche Informationsquelle zur Verfügung, besitzt sie deklaratorischen Charakter. Andererseits ist denkbar, dass dem gesonderten Verzeichnis eine konstitutive Bedeutung dergestalt zukommt, dass ausschließlich die in der Auflistung verzeichneten VerbandstarifVerträge an der Inkorporationswirkung teilhaben. Fehlt eine eindeutige vertragliche Festlegung, dient die Schaffung eines Anhangs respektive einer Anlage im Zweifel lediglich dem Ausbau der inhaltlichen Informationsbasis.
18 19 20 21
Siehe § 6 Β IV. Siehe § 5 Β II. Siehe § 7 Α, Β und C. Siehe § 8 A II.
540
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
Gemäß § 8 TVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, neben der Fassung des Anerkennungstarifvertrages eine Abschrift des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages im Betrieb auszulegen.22 Dies gilt sowohl bei Global- als auch bei Teilbezugnahmen. An das Tarifregister haben die Parteien des Anerkennungstarifvertrages zusätzlich zur Anerkennungstarifvertragsurkunde eine Abschrift des Bezugstarifvertrages zu übermitteln. 23 Um eine ständige Aktualität des Tarifregisters sicherzustellen, lebt die Übersendungspflicht bei dynamischen Verweisungen im Zeitpunkt des Inkrafttretens eines geänderten Nachfolgeverbandstarifvertrages auf. VI. In Ausübung ihres Sozialauftrags erschließen die Tarifpartner auf Verbandsebene fortwährend neue Tariffelder. Treten neuartige FlächentarifVerträge in Kraft, die von der im Anerkennungstarifvertrag niedergelegten dynamischen Verweisungsanordnung nicht erfasst werden, können die Parteien des Anerkennungstarifvertrages durch nachträgliche Verhandlungen eine Inbezugnahme der Neuregelungen verabreden. Es ist zulässig, die Verpflichtung zur Führung künftiger Einigungsgespräche bereits im Anerkennungstarifvertrag durch die Aufnahme einer Verhandlungsklausel festzuschreiben. 24 Die Begründung eines vertraglichen Verhandlungsanspruchs findet positive Bewertung, weil arbeitskampfrechtliche Konfliktlösungen vermieden werden. Hinsichtlich der Durchsetzung des vertraglichen Verhandlungsanspruchs ist zu beachten, dass keine Vertragspartei im Wege der Zwangsvollstreckung zur Anerkennung eines neuartigen VerbandstarifVertrages gezwungen werden darf, da sich der Anspruch ausschließlich auf die Führung von Einigungsgesprächen erstreckt. Nicht vollstreckungsrechtlich erfassbar sind Klauseln, die eine Pflicht begründen, mit dem ernsthaften Willen zur Einigung zu verhandeln. Es handelt sich insofern um reine Absichtsbekundungen. Statthaft sind ebenfalls so genannte Vorabunterwerfungsklauseln, in denen die Sozialpartner festschreiben, dass künftige neuartige VerbandstarifVerträge im Zeitpunkt ihres späteren Inkrafttretens automatisch in den Anerkennungstarifvertrag überfuhrt werden. 25 Zwar ist bei dieser Vertragsgestaltung eine Vorhersage der zukünftigen Tarifentwicklung nahezu unmöglich. Indes erlangen Vorabunterwerfungsklauseln im Falle ihres freiwilligen Abschlusses aufgrund der Besonderheiten der firmentarifVertraglichen Normgebung Wirksamkeit, weil der einzelne Arbeitgeber eigenverantwortlich über die antizipierende Anerkennungserklärung entscheidet und die beteiligte Gewerkschaft kraft ihrer Mitwirkung an der Schaffung künftiger VerbandstarifVerträge qualifizierten Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung neuartiger Bezugstarifwerke besitzt.
22 23 24 25
Siehe § 8 Β I 2. Siehe § 8 C II. Siehe § 10 A II und Β II. Siehe § 10 A I und Β I.
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
541
VII. Rechtskräftige Entscheidungen, welche die Parteien des in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages über die Wirksamkeit oder die Auslegung ihres Tarifwerkes erstreiten, sind weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung des § 9 TVG auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages verbindlich. Allerdings ist es den Partnern des Anerkennungstarifvertrages gestattet, sich den auf Verbandsebene ergangenen Feststellungsurteilen tarifVertraglich zu unterwerfen. 26 Hierdurch gewährleisten die Sozialpartner, dass der angestrebte inhaltliche Gleichlauf auch im Hinblick auf die Auslegung der übergeleiteten Tarifbestimmungen sichergestellt ist. Bindende Rechtswirkungen erzeugen die Unterwerfungsabreden zwischen den Vertragsparteien und gegenüber den an den Anerkennungstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmern - im Unterschied zu § 9 TVG aber nicht für drittbetroffene Personen. VIII. Tarifrechtlich unwirksam ist die in einer Vielzahl der Anerkennungstarifverträge verankerte dynamische Rechtsstatusklausel, mittels der die Sozialpartner vereinbaren, dass nicht nur eine fortwährende inhaltliche Anbindung an die Flächentarifentwicklung, sondern darüber hinaus ein stetiger Gleichlauf zwischen dem Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages und dem jeweiligen Rechtsstatus des bezogenen Verbandstarifwerkes stattfindet. 27 Die Konsequenz der statusrechtlichen Gleichstellung besteht darin, dass aufgrund des kontinuierlichen Statuswechsels des Bezugstarifvertrages die inkorporierten Tarifhormen während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages fortlaufend einen Rechtsstatuswandel von zwingend und unmittelbar geltenden Normen zu nachwirkenden oder zu außer Kraft getretenen Normen nachvollziehen. Zur Rechtfertigung einer derartigen Wandelbarkeit des Rechtsstatus von Tarifhormen während der tariflichen Vertragslaufzeit fehlt eine Ermächtigungsgrundlage. 28 Im Hinblick auf die Geltungsdauer dürfen die Parteien des Anerkennungstarifvertrages ihren kraft Verweisung gesetzten Tarifhormen ausschließlich einen vollwirksamen Tarifhormstatus im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG zuweisen. Es ist ihnen verwehrt, den Wechsel des bezogenen VerbandstarifVertrages in das Nachwirkungsstadium des § 4 Abs. 5 TVG nachzuvollziehen, weil sie keine Regelungsmacht zur Schaffung „laufzeitbezogener nachwirkender Tarifnormen" besitzen. Keinen tarifpraktischen Sinn hat darüber hinaus die Anerkennung einer statusrechtlichen Regelungskompetenz zur Setzung „außer Kraft getretenen" Tarifrechts. Anhand der tarifpraktischen Folgewirkungen lässt sich die Rechtswidrigkeit der dynamischen Rechtsstatusklausel dokumentieren. Mit der regelmäßig auf Initiative der Gewerkschaft in den Anerkennungstarifvertrag aufgenommenen Klausel bezweckt die Arbeitnehmervereinigung vordergründig die Erschaffung
26 27 28
Siehe § 9 Β III 1. Siehe § 12 A I . Siehe § 11 Β und C II 2 b aa und § 12 Β I 2.
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Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
einer rechtlichen Grundlage für eine fortwährende Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in die auf Verbandsebene geführten Arbeitskämpfe. Eine Beteiligung des unkoalierten Arbeitgebers an den Verbandsarbeitskämpfen scheidet aber bereits deswegen aus, weil sie gegen die unabdingbare, laufzeitimmanente Friedenspflicht des Anerkennungstarifvertrages verstößt. 29 Darüber hinaus führt sowohl die Teilnahme der im Außenseiterunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer an verbandstarifbezogenen Streikhandlungen als auch die Mitwirkung des anerkennenden Arbeitgebers an Aussperrungsmaßnahmen der Arbeitgeberkoalition zu einem unzulässigen Sympathiearbeitskampf. Der Rechtsgedanke einer Partizipation am Ausgang des Hauptarbeitskampfes rechtfertig keine Involvierung der anerkennungstarifvertraglichen Normadressaten in fremde Tarifkonflikte. 30 Zudem belasten Sympathiestreikmaßnahmen den Außenseiterarbeitgeber unzumutbar, missachten seine negative Koalitionsfreiheit, führen zu einer bedenklichen Übertragung der Rechtsstatuskompetenz auf fremde Sozialpartner und gefährden die Arbeitskampffähigkeit sozial schwacher Unternehmen. 31 IX. Der Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages darf im Wege des Arbeitskampfes realisiert werden. Zu Gunsten der Gewerkschaft ist das Streikrecht durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG auch auf firmentarifVertraglicher Ebene gewährleistet. 32 Hierdurch wird sichergestellt, dass der Arbeitnehmervereinigung stets ein Tarifpartner zur Verfügung steht, den sie notfalls im Wege einer kampfweisen Konfliktlösung zur tariflichen Strukturierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwingen kann. Demgegenüber scheitert eine Ableitung der Arbeitskampfbefügnis des einzelnen Arbeitgebers aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG, weil die Grundgesetznorm keine positiv individuelle Grundrechtsgarantie auf Ergreifung von Arbeitskampfmitteln verbürgt und sich der Außenseiter mangels Koalitionsmitgliedschaft nicht auf die positiv kollektive Betätigungsgarantie berufen kann. Dessen ungeachtet fordert das Prinzip der Arbeitskampfparität eine Anerkennung des firmentarifvertragsbezogenen Aussperrungsrechts. Darf die Gewerkschaft den unkoalierten Arbeitgeber bestreiken, gebietet es die Waffengleichheit, dem Außenseiter ein äquivalentes Kampfmittelinstrumentarium zur Verfügung zu stellen. Seine rechtliche Grundlage findet die Aussperrungsberechtigung in Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG resultierenden Paritätsgebot. 33
29 30 31 32 33
Siehe § 11 C II 2 b bb und § 12 Β I 2 b bb. Siehe § 12 Β II 1 b cc und Β II 2 b. Siehe § 12 Β III, IV und V. Siehe § 13 A I . Siehe § 13 A l l .
Teil 7: Zusammenfassung und Ausblick
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Auch kleine, nicht durchsetzungsfähige Arbeitgeber können Adressaten einer arbeitskampfweisen Konfliktlösung werden. 34 Die auf der Übermacht starker Gewerkschaften beruhende soziale Ohnmächtigkeit kleiner Unternehmen rechtfertigt weder eine Beschränkung ihrer Tariffähigkeit noch ihrer Arbeitskampffahigkeit. Um einer einseitigen Ausnutzung der strukturellen Überlegenheit der Arbeitnehmerseite vorzubeugen, bedarf es jedoch einer „an die bestehende Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle" der realisierten Tarifinhalte. 35 Ohne eine derartige Begrenzung der Streikbefiignis können die abgeschlossenen FirmentarifVerträge nicht an der Richtigkeitsgewähr teilhaben. Eine streikweise Durchsetzung tariflicher Forderungen begegnet Bedenken, sofern sie zu einer „grundlegenden Schlechterstellung des kleinen Arbeitgebers im Vergleich zu sachlich vertretbaren Lösungen" fuhrt. Unstatthaft sind ferner Erzwingungsstreiks, die zu einer Existenzgefährdung betroffener Unternehmen fuhren. X. Statische und dynamische Globalverweisungen stellen rechtmäßige Arbeitskampfziele dar. 36 Zwar fordert das arbeitskampfrechtliche ultima-ratioPrinzip, dass die angestrebten Tarifforderungen dem Tarifgegner vor ihrer Durchsetzung bekannt zu geben sind, um den Adressaten in die Lage zu versetzen, über die Anerkennung oder die Abwehr der anvisierten Regelungen entscheiden zu können. Eine vorbereitende Forderungsmitteilung ist indes bei statischen Globalverweisungen problemlos möglich, indem die Streikfuhrende Gewerkschaft dem betroffenen Arbeitgeber den Regelungsgehalt des zu übernehmenden VerbandstarifVertrages vor Einleitung der Zwangsmaßnahmen zuleitet. Keine durchgreifenden Einwände bestehen zudem gegen die Durchsetzung einer dynamischen Verweisungsanordnung. Zwar kann der einzelne Arbeitgeber in diesem Zusammenhang nicht abschließend überschauen, in welcher Weise sich der Inhalt des Bezugstarifvertrages zukünftig entwickeln wird. Er ist allerdings im Stande, auf der Grundlage der im Zeitpunkt der tariflichen Auseinandersetzung geltenden verbandstarifVertraglichen Regelungsinhalte zu prognostizieren, ob eine dynamische Anbindung an das künftige Verbandstarifniveau im Hinblick auf sein Unternehmen sachgerechte Tariflösungen bieten kann. Unter dem Blickwinkel des ultima-ratio-Prinzips erscheint die Erzwingung einer dynamischen Verweisung daher noch gerechtfertigt. Im Übrigen erzeugt ein gewerkschaftlicher Erzwingungsstreik keinen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG widersprechenden sozialinadäquaten Druck auf den Außenseiter zum Beitritt zur Arbeitgeberkoalition. Im Falle der Erstreikung statischer oder dynamischer Verweisungen besteht regelmäßig kein Anlass, zu Gunsten kleiner Arbeitgeber nachträglich im Wege einer „an die Imparitätslage angepassten Rechtskontrolle" in den verabredeten
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Siehe § 13 Β II 3. Siehe § 13 Β II 3 c. Siehe § 14 A.
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Tarifkompromiss einzugreifen. 37 Die inhaltliche Übernahme des Verbandstarifvertrages fuhrt gewöhnlich nicht zu einer „grundlegenden Schlechterstellung im Vergleich zu sachlich vertretbaren Lösungen", denn zu Gunsten des in Bezug genommenen Tarifkompromisses, an dem nach abstrakt-materieller Paritätsbetrachtung annähernd gleichstarke Tarifpartner mitwirken, streitet eine Richtigkeitsvermutung. Obwohl grundsätzlich auch Teil- und Einzelverweisungen einer arbeitskampfweisen Durchsetzung unterliegen, bestehen Bedenken gegen eine gewerkschaftliche Streikführung, sofern die sozial mächtige Arbeitnehmervereinigung kleine Arbeitgeber zur Anerkennung einseitig belastender Regelungskomplexe des VerbandstarifVertrages verpflichtet. In diesem Fall müssen sich die Arbeitsgerichte schützend vor den sozial unterlegenen Arbeitgeber stellen und die Einzel- oder Teilverweisung im Wege der nachträglichen Rechtskontrolle für unwirksam erklären. 38 Vorabunterwerfungsklauseln sind nicht erstreikbar. 39 Das arbeitskampfrechtliche ultima-ratio-Prinzip verbietet eine Streikführung auf Vorrat. Da dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der tariflichen Auseinandersetzung kein inhaltlich fixierter Regelungsgehalt des Bezugstarifvertrages zur Verfügung steht, kann er die Sachgerechtigkeit der Unterwerfung unter künftige neuartige VerbandstarifVerträge in keiner Weise vorab beurteilen. Zudem steht die Erzwingung einer universalen antezipierenden Anbindung des Arbeitgebers an die Verbandstarifentwicklung mit seiner negativen Koalitionsfreiheit nicht in Einklang, weil von der Streikführung ein inadäquater mittelbarer Druck zum Beitritt zur Arbeitgebervereinigung ausgeht. Keinesfalls streikrechtlich erzwingbar ist die dynamische Rechtsstatusklausel, da/eine Durchsetzung unrechtmäßiger Tarifziele nicht den Schutz der Rechtsordnung genießt.40 Dient ein gewerkschaftlicher Streik neben der statthaften Realisierung einer inhaltlichen Verweisungsbestimmung gleichzeitig der unzulässigen Erzwingung einer Vorabunterwerfungsklausel oder einer dynamischen Rechtsstatusklausel, ist der Arbeitskampf als insgesamt unrechtmäßig zu qualifizieren. 41 XI. Auf Anerkennungstarifverträge finden grundsätzlich alle anerkannten Beendigungstatbestände Anwendung, wobei die Besonderheiten der inhaltlichen Verweisungstechnik auch in diesem Kontext ausstrahlen. Als Dauerschuldverhältnis ist der Anerkennungstarifvertrag ordentlich kündbar. Die So-
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Siehe § 14 A IV. Siehe § 14 Β. Siehe § 14 CH und III. Siehe § 14 D I. Siehe § 14 D i l 2.
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zialpartner können eigene Festlegungen im Hinblick auf die maßgebenden ordentlichen Kündigungstermine, -fristen und -gründe treffen. 42 Fehlen eigenständige Absprachen, ist davon auszugehen, dass die im bezogenen VerbandstarifVertrag vereinbarten Kündigungsregelungen in Anbetracht des angestrebten Gleichstellungsanliegens synchron auf der Ebene des AnerkennungstarifVertrages Verbindlichkeit erlangen. 43 Dies gilt sowohl ftir statische als auch dynamische Verweisungen. Bei „erweiterten" Globalbezugnahmen ist die Besonderheit zu beachten, dass die ftir den jeweiligen Bezugstarifvertrag geltenden ordentlichen Kündigungsregelungen konform Gültigkeit in der firmentarifVertraglichen Rechtsbeziehung beanspruchen, ungeachtet der Tatsache, dass hierdurch eine Teilkündigung des Anerkennungstarifvertrages gestattet wird. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung fordert der Grundsatz der Tarifhormverantwortung bei dynamischen Verweisungen keine Statuierung einer ordentlichen Kündigungsbefugnis im Zeitpunkt des jeweiligen Inkrafittretens einer modifizierten Fassung des bezogenen VerbandstarifVertrages. Allerdings kann entsprechend dem Rechtsgedanken der §§624 BGB, 15 Abs. 4 TzBfG eine ordentliche Kündigungsberechtigung ohne Verstoß gegen das Gebot eigenverantwortlicher Tarifhormgebung längstens fur die Dauer von fünf Jahren ausgeschlossen werden. 44 Zugleich bedingt Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG im Hinblick auf „erweiterte" Globalbezugnahmen die Gewährung einer Befugnis zur ordentlichen Gesamtkündigung des Anerkennungstarifvertrages nach Ablauf einer fünf Jahresfrist. 45 Analog § 314 Abs. 1 BGB sind die Sozialpartner zur außerordentlichen Kündigung des Anerkennungstarifvertrages berechtigt. Ein wichtiger Kündigungsgrund besteht, wenn ein Tarifpartner eine schwere Pflichtverletzung begeht, indem er beispielsweise die andere Vertragsseite in unzulässiger Weise während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages in Arbeitskämpfe auf Verbandsebene einbezieht.46 Überdies berechtigen unvorhersehbare Änderungen der wirtschaftlichen Rahmendaten entsprechend den anerkannten Grundsätzen zu einer außerordentlichen Beendigung des Firmentarifvertrages. 47 Bei dynamischen Verweisungen muss im Hinblick auf die Frage, ob einer Partei ein weiteres Festhalten am Tarifvertrag unzumutbar ist, die verbleibende Laufzeit des Anerkennungstarifvertrages maßgebend in die Abwägung eingestellt werden. Unter Berücksichtigung des aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG folgenden Grundsatzes der Tarifhormverantwortung erfordern die Besonderheiten dynamischer
42 43 44 45 46 47
Siehe § 15 A II 2, 3 und 4. Siehe § 15 A II. Siehe § 15 A l l 5. Siehe § 15 A l l 6. Siehe § 15 A III 2 a aa. Siehe § 15 A III 2 abb.
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Verweisungen die Anerkennung eines eigenständigen außerordentlichen Beendigungstatbestandes.48 Beinhalten künftige, antezipierend übernommene Nachfolgeverbandstarifverträge überraschende Neuregelungen, die eine Tarifvertragspartei erheblich, jedoch unterhalb der Schwelle der Existenz- oder Arbeitsplatzgefährdung belasten, ist eine außerordentliche Kündigung statthaft. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Parteien des AnerkennungstarifVertrages uneingeschränkt „Herr" der Blankettverweisung bleiben. Im Falle einer „erweiterten" Globalbezugnahme hat der Ausspruch einer Teilkündigung des Anerkennungstarifvertrages Vorrang. Denn es ist nach dem ultima-ratio-Prinzip ausreichend, wenn der belastete Tarifpartner ausschließlich die Übernahme desjenigen VerbandstarifVertrages außerordentlich beendet, welcher unzumutbare Neuregelungen festschreibt, sodass keine Notwendigkeit zur Aufkündigung sämtlicher übernommener Bezugstarifwerke besteht. Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages können eigenständige Befristungsabreden treffen und auf diese Weise eine ordentliche Kündigungsbefugnis vorübergehend ausschließen.49 Enthält der Anerkennungstarifvertrag keine gesonderte Laufzeitvorgabe, ist bei statischen Verweisungen davon auszugehen, dass die Laufzeitfestsetzungen des inkorporierten VerbandstarifVertrages auch auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages Gültigkeit erlangen. Demgegenüber scheidet bei dynamischen Verweisungen eine Überleitung der verbandstarifVertraglichen Befristungsabreden aus.50 Anderenfalls würde der Anerkennungstarifvertrag in Widerspruch zur Blankettverweisung unwiderruflich mit dem Außerkrafttreten des ursprünglich in Bezug genommenen VerbandstarifVertrages enden. Bei der Bewertung der Beendigungstatbestände muss stets die Eigenständigkeit des Anerkennungstarifvertrages gegenüber dem bezogenen Verbandstarifvertrag Beachtung finden. 51 Es existiert gerade kein Automatismus dahingehend, dass der Anerkennungstarifvertrag konform mit der Beendigung des Bezugstarifvertrages außer Kraft tritt. Insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfolgen der Beendigung bleibt festzuhalten, dass sich die statusrechtlichen Auswirkungen allein in Anknüpfung an den verweisenden Tarifvertrag beurteilen und demzufolge der Regelsatz, dass der Anerkennungstarifvertrag zeitgleich mit dem übernommenen VerbandstarifVertrag in das Stadium der Nachwirkung tritt, keine Anerkennung verdient. Sofern die Nachwirkung nicht vertraglich ausgeschlossen wird, gelten nach Beendigung des Anerkennungstarifvertrages ausschließlich die zuletzt inkorpo-
48 49 50 51
Siehe § 15 A III 2 a cc. Siehe § 15 A IV 1. Siehe § 15 A IV 2 b. Siehe § 15 Β I.
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rierten Tarifhormen mit unmittelbarer, aber dispositiver Wirkung weiter. 52 Dies entspricht für statische Verweisungen allgemeiner Ansicht - gilt aber gleichermaßen für dynamische Verweisungen. Entgegen der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur findet die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG auf die dynamische Verweisungsklausel bereits nach dem Gesetzeswortlaut keine Anwendung. Die Verweisungsanordnung besitzt nicht die Qualität einer der Nachwirkung fähigen Tarifhorm, sondern stellt lediglich eine rechtstechnische TarifVertragsbestimmung sui generis dar. Eine analoge Heranziehung des § 4 Abs. 5 TVG scheidet mangels Vergleichbarkeit der Interessenlage aus. Weder der Normzweck der Vermeidung inhaltloser Arbeitsverhältnisse noch die Überbrückungsfunktion des § 4 Abs. 5 TVG fordern eine Aufrechterhaltung der Dynamisierung im Nachwirkungsstadium. XII. Versucht man einen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Anerkennungstarifvertrages, kann auf die Ausführungen von Unterhinninghofen zurückgegriffen werden. 53 In Anbetracht einer anhaltenden Koalitionsmüdigkeit auf Arbeitgeberseite wird der Anerkennungstarifvertrag auch in Zukunft eine entscheidende Rolle in den tariflichen Strategien der Gewerkschaften spielen. Insbesondere in den neuen Bundesländern sind die Gewerkschaften angesichts eines niedrigen arbeitgeberseitigen Organisationsgrades zur Verfolgung ihres Ziels, „gleiche Arbeit gleich zu entlohnen", auf das Regelungsinstrumentarium des Anerkennungstarifvertrages angewiesen. Ungeachtet aller unternehmerischen Individualisierungsbestrebungen fällt die Bewertung des Anerkennungstarifvertrages auch aus Sicht der Arbeitgeber nicht ausnahmslos negativ aus. Immerhin partizipieren die Firmen infolge der inhaltlichen Übernahme des Flächentarifniveaus an der Verhandlungsführung und mithin am Sachverstand der Arbeitgeberverbände, ohne eine als nachteilig empfundene Koalitionsmitgliedschaft eingehen zu müssen. Durch die Bereitschaft zum Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages gelingt es insbesondere kleinen Unternehmen, sich einem einseitigen Tarifdiktat der tarifzuständigen Gewerkschaft zu entziehen. Die Gewerkschaften sind künftig gehalten, einzelne Klauseln der formularmäßig verwendeten Vertragsmuster inhaltlich zu überarbeiten. Dies gilt vorrangig für die in einer Vielzahl der registrierten Anerkennungstarifverträge niedergelegte dynamische Rechtsstatusklausel. Überwiegend stehen die in der Vertragspraxis gebräuchlichen Bestimmungen allerdings in Einklang mit den Vorgaben des Grundgesetzes und des einfachen Gesetzesrechts. Als Fazit der vorliegenden Arbeit kann festgehalten werden, dass der Anerkennungstarifvertrag ein effektives tarifliches Gestaltungsinstrumentarium dar-
52 53
Siehe § 16 Β I und II 2. Unterhinninghofen, Anm. zu ArbG Verden vom 20.09.2000, AiB 2001, 372, 372.
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stellt, um die in Außenseiterunternehmen geltenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen an das in der jeweiligen Branche bestehende regionale Verbandstarifniveau anzubinden.
Anhang - Dokumentation typischer Regelungsinhalte des Anerkennungstarifvertrages Die nachfolgenden Vertragsbeispiele dokumentieren typische Regelungsinhalte von Anerkennungstarifverträgen. Als Quelle dienten das Tarifregister des Bundes in Bonn, die Tarifregister des Freistaates Thüringen und des Freistaates Sachsen sowie einzelne von der Industriegewerkschaft Metall verwendete Musterformularverträge. Da die Exemplifizierung ausschließlich der Veranschaulichung charakteristischer Tarifbestimmungen dient, sind sowohl die Bezeichnung der Tarifvertragsparteien, die Umschreibung der Tarifverträge als auch einzelne Datierungen fiktiv gewählt. Durch die Überschriften wird auf bedeutsame Regelungsziele der jeweils niedergelegten Anerkennungstarifvertragsmuster hingewiesen.
A. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit vorübergehend abweichender Wochenarbeitszeit Zwischen der Firma A-AG in Jena, vertreten durch den Vorstand, Anschrift und der Gewerkschaft Z, vertreten durch die Bezirksleitung, Anschrift wird folgender Anerkennungstarifvertrag vereinbart: § 1 Geltungsbereich Dieser Anerkennungstarifvertrag gilt (1) räumlich und fachlich: für die in Jena ansässige Firma A-AG und
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(2) persönlich: für alle in dieser Firma beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Auszubildenden, sofern sie Mitglied der Gewerkschaft Ζ sind. § 2 Anerkennung der VerbandstarifVerträge
(1) Die VerbandstarifVerträge ftir Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metallindustrie des Freistaates Thüringen abgeschlossen zwischen (a) der Gewerkschaft Ζ sowie (b) der Arbeitgebervereinigung Metall Thüringen e.V. gelten in ihrer jeweils gültigen Fassung für die unter dem Geltungsbereich aufgeführten Beschäftigten der Firma A-AG. (2) Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Anerkennungstarifvertrages geltenden VerbandstarifVerträge sind in der Anlage bezeichnet, die Bestandteil dieses Anerkennungstarifvertrages ist. (3) Der Wortlaut aller in der Anlage aufgeführten VerbandstarifVerträge lag den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages vor. § 3 Besitzstandsklausel
Seither bestehende, für die Arbeitnehmer günstigere betriebliche Regelungen werden durch diesen Anerkennungstarifvertrag nicht berührt. § 4 Allgemeine Bestimmungen
(1) Die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge gelten mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus. (2) Werden die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt. (3) Forderungen, die zu den in Bezug genommenen VerbandstarifVerträgen gestellt werden, gelten auch gegenüber der Partei dieses Anerkennungstarifvertrages als gestellt. (4) Arbeitskampffreiheit und Friedenspflicht regeln sich so, als wäre die Firma A-AG Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der die in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge abgeschlossen hat. (5) Es finden alle Abkommen, Zusatzabkommen, Änderungen und Neufassungen Anwendung, die zwischen den VerbandstarifVertragsparteien zur Änderung oder Ergänzung der bestehenden VerbandstarifVerträge abgeschlossen werden. Dies gilt auch hinsichtlich des Inkrafttretens neuer VerbandstarifVerträge oder Verbandstarifbestim-
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mungen, die ersetzend an die Stelle der bestehenden VerbandstarifVerträge oder Verbandstarifbestimmungen treten. (6) Für den Fall, dass zwischen den VerbandstarifVertragsparteien andere als in der Anlage aufgeführte VerbandstarifVerträge abgeschlossen werden, verpflichten sich die Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages unverzüglich Verhandlungen über deren Anerkennung aufzunehmen. Die Parteien verhandeln mit dem erklärten Willen zur Einigung. § 5 Abweichende Regelungen
Abweichend vom Verbandsmanteltarifvertrag beträgt die wöchentliche Arbeitszeit zunächst 40 Stunden, ab 01.01.2003: 38 Stunden und ab 01.01.2004: entsprechend den dann geltenden verbandstarifvertraglichen Vorgaben. § 6 Inkrafttreten und Kündigung
Dieser Anerkennungstarifvertrag tritt am 01.01.2002 in Kraft. Er kann mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, erstmals jedoch zum 31.12.2006. Jena, am 01.01.2002 Unterschriften der Parteien des Anerkennungstarifvertrages Anlage: Auflistung aller in Bezug genommenen VerbandstarifVerträge
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Β. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit inhaltlicher Vorabunterwerfung und inhaltlicher Stufenanpassung an das Verbandstarifniveau Zwischen der Firma B-GmbH in Erfurt, vertreten durch den Geschäftsführer, Anschrift und der Y-Gewerkschaft, Bezirksleitung, Anschrift wird folgender Anerkennungstarifvertrag geschlossen: § 1 Geltungsbereich
Dieser Anerkennungstarifvertrag gilt (1) räumlich und fachlich: für die in Erfurt ansässige Firma B-GmbH und (2) persönlich: für alle in dieser Firma beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Auszubildenden, sofern sie Mitglied der YGewerkschaft sind. § 2 Anerkennung der Verbandstarifverträge
( 1 ) Die Verbandstarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metallindustrie des Freistaates Thüringen abgeschlossen zwischen (a) der Y-Gewerkschaft sowie (b) der Arbeitgebervereinigung Metall Thüringen e.V. gelten in ihrer jeweils gültigen Fassung für die unter dem Geltungsbereich aufgeführten Beschäftigten der Firma B-GmbH. (2) Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Anerkennungstarifvertrages geltenden VerbandstarifVerträge sind in der Anlage bezeichnet, die Bestandteil dieses Anerkennungstarifvertrages ist. (3) Der Wortlaut aller in der Anlage aufgeführten VerbandstarifVerträge lag den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages vor.
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§ 3 Allgemeine Bestimmungen
(1) Die in Bezug genommenen Verbandstarifverträge gelten mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus. (2) Werden die in Bezug genommenen Verbandstarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt. (3) Forderungen, die zu den in Bezug genommenen Verbandstarifverträgen gestellt werden, gelten auch gegenüber der Partei dieses Anerkennungstarifvertrages als gestellt. (4) Sofern die zwischen den Verbandstarifvertragsparteien geführten Verhandlungen von einer Vertragspartei als ausgeschöpft angesehen werden oder gescheitert sind, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als ausgeschöpft beziehungsweise gescheitert. (5) Es gelten alle Abkommen, Zusatzabkommen, Änderungen und Neufassungen von Verbandstarifverträgen sowie alle neuen Verbandstarifverträge und -bestimmungen, die zwischen den in § 2 genannten Vertragsparteien zukünftig fur das Tarifgebiet Thüringen vereinbart werden. § 4 Abweichende Regelungen (1) Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütung
Auf der Basis des zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Anerkennungstarifvertrages bestehenden Tarifniveaus von 95% zum Verbandstarifvertrag werden folgende Anpassungsschritte bei den Löhnen, Gehältern und Ausbildungsvergütungen vereinbart: (a)
zum 01.01.2001 Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen auf 97% des dann aktuellen Verbandstarifniveaus,
(b)
zum 01.01.2002 Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen auf 99% des dann aktuellen.Verbandstarifniveaus,
(c)
zum 01.01.2003 Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen auf 100% des dann aktuellen Verbandstarifniveaus.
(2) Leistungszulagen
Abweichend vom Verbandslohnrahmen- und vom Verbandsgehaltsrahmentarifvertrag werden zur Anpassung an das Verbandstarifniveau folgende Anpassungsschritte vereinbart: (a)
ab dem 01.01.2001 werden als Leistungszulage ftir Arbeiter im Betriebsdurchschnitt 8% für Angestellte und Meister im Betriebsdurchschnitt 5%,
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(b)
ab dem 01.01.2002 werden als Leistungszulage für Arbeiter im Betriebsdurchschnitt 10% für Angestellte und Meister im Betriebsdurchschnitt 7%,
(c)
ab dem 01.01.2003 werden als Leistungszulage für Arbeiter im Betriebsdurchschnitt 12% fur Angestellte und Meister im Betriebsdurchschnitt 10% gezahlt.
(3) Betriebliche Sonderzahlungen
Abweichend vom Verbandstarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen werden zur Erreichung des Verbandstarifniveaus folgende Anpassungsschritte vereinbart: (a)
im Jahr 2001 30% des Anspruchs aus dem Verbandstarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen,
(b)
im Jahr 2002 50% des Anspruchs aus dem Verbandstarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen,
(c)
im Jahr 2003 75% des Anspruchs aus dem Verbandstarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen,
(d)
im Jahr 2004 entsprechend den dann geltenden verbandstarifvertraglichen Bestimmungen.
§ 5 Gesprächsklausel
Die Parteien des Anerkennungstarifvertrages sind sich darüber einig, dass die vorstehend dargestellten Anpassungsschritte nur auf der Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung der Firma B-GmbH durchgeführt werden können. Dazu vereinbaren die Parteien eine jährliche Konsultation über die Entwicklung des Unternehmens mit der Option, anlässlich dieser Abstimmungen die Anpassungsschritte entsprechend anzugleichen. § 6 Inkrafttreten und Kündigung
Dieser Anerkennungstarifvertrag tritt am 01.10.2000 in Kraft. Er kann mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, erstmals jedoch zum 31.12.2005. Erfurt, am 01.10.2000 Unterschriften der Parteien des Anerkennungstarifvertrages Anlage: Auflistung aller in Bezug genommenen Verbandstarifverträge
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C. Inhaltlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit Teilkündigungsgestattung Zwischen der Firma C-AG in Leipzig, vertreten durch den Vorstand, Anschrift und der Gewerkschaft X, Verwaltungsstelle Leipzig, Anschrift wird folgende Firmentarifvereinbarung geschlossen: Für die Firma C-AG in Leipzig kommen die nachfolgend aufgeführten Verbandstarifverträge der Sächsischen holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, in der jeweils gültigen Fassung zur Anwendung. Hierzu zählen: 1. Manteltarifvertrag vom 01.10.1995, 2. Gehaltstarifvertrag vom 01.09.2001, 3. Lohntarifvertrag vom 01.11.2001, 4. Tarifvertrag über Ausbildungsvergütung vom 01.08.2001, 5. Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 01.05.2000, 6. Tarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen vom 01.09.2000, 7. Tarifvertrag über die Beschäftigungssicherung vom 01.06.1998, 8. Tarifvertrag über den Vorruhestand vom 01.08.1998, 9. Tarifvertrag über Tarifschiedsgericht und Einigungsstelle vom 01.01.1997. Der Firmentarifvertrag ist mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres kündbar, frühestens jedoch zum 31.12.2004, und entfaltet im Falle der Kündigung keine Nachwirkung. Die Kündigung ist auch isoliert nur für einzelne der genannten Verbandstarifverträge zulässig. Im Falle einer solchen Teilkündigung bleibt die dynamische Anerkennung des nicht gekündigten Teils unberührt. Leipzig, am 01.03.2002 Unterschriften der Parteien des Firmentarifvertrages
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D. Inhaltlich dynamische Verweisung und inhaltlich statische Verweisung mit Dynamisierungsvorbehalt im Anerkennungstarifvertrag Die Firma D-GmbH in Weimar, vertreten durch den Geschäftsführer, Anschrift und die W-Gewerkschaft, Bezirksleitung, Anschrift vereinbaren nachfolgenden Anschlusstarifvertrag 1. Die zwischen -
dem Handels- und Dienstleistungsverband Thüringen e.V. einerseits und
-
der W-Gewerkschaft andererseits
abgeschlossenen, nachstehend aufgeführten Flächentarifverträge finden auf die bei der D-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung: a)
Manteltarifvertrag vom 01.07.1997
b)
Gehalts- und Lohntarifvertrag vom 01.02.2002
2. Der in Ziffer la) genannte Flächentarifvertrag findet in seiner zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Anschlusstarifvertrages geltenden Fassung bis einschließlich 31.12.2003 Anwendung. Sofern bis zu diesem Zeitpunkt der vorliegende Anschlusstarifvertrag nicht gekündigt wird, findet der in Ziffer la) genannte FlächentarifVertrag ab 01.01.2004 in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. 3. Der in Ziffer lb) genannte Flächentarifvertrag findet in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. 4. Dieser Anschlusstarifvertrag tritt am 01.06.2002 in Kraft. Weimar, am 01.05.2002 Unterschriften der Parteien des Firmentarifvertrages
Anhang
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E. Inhaltlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag auf eine andere Tarifregion Haustarifvertrag Zwischen der Firma Ε-AG in Gera, vertreten durch den Vorstand, Anschrift und der V-Gewerkschaft, Verwaltungsstelle, Anschrift wird vereinbart: §1 Der Geltungsbereich dieses Haustarifvertrages erstreckt sich räumlich auf die Firma Ε-AG in Gera und persönlich auf alle Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte und Auszubildende).
§2 Ab 01.02.2002 erhalten alle Arbeitnehmer jeweils 92% des Lohnes und Gehaltes eines vergleichbaren Arbeitnehmers der bayerischen Futtermittelindustrie. Gera, am 01.11.2001 Unterschriften der Parteien des Firmentarifvertrages
558
Anhang
F. Inhaltlich dynamische und statusrechtlich dynamische Verweisung im Anerkennungstarifvertrag mit Ausnahmevorbehalt Übernahmetarifvertrag Zwischen der Firma F-AG in Dresden, vertreten durch den Vorstand, Anschrift und der Gewerkschaft U, Verwaltungsstelle, Anschrift wird folgende firmentarifvertragliche Vereinbarung getroffen: § 1 Geltungsbereich
Dieser Übernahmetarifvertrag gilt räumlich: für die Firma F-AG in Dresden, persönlich: für alle Arbeitnehmer. § 2 Übernahme der VerbandstarifVerträge
Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übernahmetarifvertrages gültigen VerbandstarifVerträge für die Sächsische Land- und Forstwirtschaft sind - mit Ausnahme des Verbandstarifvertrages über den Vorruhestand und den VerbandstarifVertrag über vermögenswirksame Leistungen - Bestandteil dieses Übernahmetarifvertrages. § 3 Rechtsstatus
Die in Bezug genommenen Verbandstarifverträge gelten in der jeweils gültigen Fassung und mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus. § 4 Inkrafttreten und Kündigung
Dieser Übernahmetarifvertrag tritt rückwirkend zum 01.01.2002 in Kraft. Er kann mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende, erstmals jedoch zum 31.12.2005, gekündigt werden. Dresden, am 01.04.2002 Unterschriften der Parteien des Firmentarifvertrages
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G. Eigenständiger Firmentarifvertrag mit teilweiser inhaltlich statischer beziehungsweise inhaltlich dynamischer Verweisung Zwischen der Firma G-GmbH in Chemnitz, vertreten durch den Geschäftsführer, Anschrift und der T-Gewerkschaft, Anschrift wird folgender Haustarifvertrag abgeschlossen: 1. Geltungsbereich: Dieser Tarifvertrag gilt für die in den Betrieben der G-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer, die Mitglied der T-Gewerkschaft sind. 2. Bewertungsgruppen: Für die Bewertungsgruppen sind die im Flächentarifvertrag über die Grundlagen der Arbeitsentgeltregelung ftir die Arbeitnehmer der Sächsischen obst- und gemüseverarbeitenden Industrie enthaltenen Gruppenmerkmale und Tätigkeitsbeispiele maßgebend. 3. Entgeltsätze: Die monatlichen Entgeltsätze betragen: -
Bewertungsgruppe 1 = 800 Euro
-
Bewertungsgruppe 2 = 900 Euro Bewertungsgruppe ...
-
Bewertungsgruppe 12 = 2200 Euro
4. Jahressonderzahlung: Den Arbeitnehmern wird ein Weihnachtsgeld und ein Urlaubsgeld gezahlt (Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen werden im Einzelnen ausgeführt). 5. Arbeitszeit: Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt im Durchschnitt 40 Stunden (Beginn und Ende der Arbeitszeit werden im Einzelnen ausgeführt). 6. Kündigungsfristen: Nach Ablauf der Probezeit gelten in Abweichung zu den
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gesetzlichen Kündigungsfristen jeweils beiderseitig nachfolgende Kündigungsfristen (Kündigungsfristen werden im Einzelnen ausgeführt). 7. Zuschläge: Für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit werden Zuschläge gezahlt (Zuschläge werden im Einzelnen ausgeführt). 8. Arbeitsverhinderung: (Regelungen des Entgeltanspruchs bei Arbeitsverhinderung werden im Einzelnen ausgeführt). 9. Lohn- und Gehaltszahlung: (Zeitpunkt sowie Art und Weise der Lohnzahlung werden im Einzelnen ausgeführt). 10. Erschwerniszulagen: (Formen und Höhe der Erschwerniszulagen werden im Einzelnen ausgeführt). 11. Urlaub: Für den Urlaubsanspruch gelten die jeweiligen Regelungen des Manteltarifabkommens der Sächsischen obst- und gemüseverarbeitenden Industrie. 12. Ausschlussfristen: Alle Ansprüche aus diesem HaustarifVertrag gelten als verwirkt, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. 13. Inkrafttreten und Kündigung: Dieser HaustarifVertrag tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft und kann frühestens mit einer einmonatigen Kündigungsfrist zum 31.12.2003 gekündigt werden. Chemnitz, am 01.10.2001 Unterschriften der Parteien des Firmentarifvertrages
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586
Literaturverzeichnis
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arverzeichnis Abgrenzung
-
Auslegungsfragen 225 ff.
-
lediglich nachwirkende und laufzeitbezogene nachwirkende Tarifnormen 344
-
deklaratorische Bedeutung 223, 225 ff.
-
konstitutive Bedeutung 224,225 ff.
-
statische und dynamische Verweisung 101 f., 199 ff.
-
Schriftform
-
Teil-und Einzelverweisung 213
-
überraschende und vorhersehbare Tarifnormen 197 f.
-
Arbeitskampfautonomie 367 f.
Allgemeine Geschäftsbedingungen 131
-
Allgemeinverbindlicherklärung 128, 304, 364,375
Arbeitskampfbeteiligung auf Arbeitnehmerseite 369 ff.
-
Aussperrung 364, 376 ff, 390, 404 ff., 413, 431
-
dynamische Rechtsstatusklausel 346 ff., 453 ff.
-
Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf 354 ff., 376 f.
-
Hilfsfunktion des 376,380, 384 f.
-
Privilegierung des Außenseiterarbeitgebers 371 ff.
-
Streik 90, 279, 322, 347 ff., 390, 401 f., 412 ff, 431 ff.
-
Sympathiearbeitskampf 355 ff., 377 ff., 382 f., 391,453
-
Tarifdiktat der Gewerkschaft 31, 73, 408,413, 427 ff., 442
-
ultima-ratio-Prinzip 332,414 f., 432 ff., 443, 445
-
Verhältnismäßigkeitsprinzip 358, 366 f., 378, 383 ff., 414 f., 450
-
während der Geltungsdauer des Anerkennungstarifvertrages 333 f., 335, 346 ff.
125,
Änderungskündigung -
Arbeitsvertrag 56, 61, 517 ff.
-
Tarifvertrag 504
Anschlusstarifvertrag 45, 246, 556 Arbeitskampf
Änderungsvereinbarung 56, 265, 517 Anerkennung als Rechtsbegriff 39 f. Anerkennungstarifvertrag -
Abschluss 48 ff.
-
Bedeutung und Verbreitung 79 ff.
-
Beendigung 459 ff.
-
Definition 37 ff.
-
Gleichstellungsfunktion 31,44, 49 ff, 85, 98, 142 ff., 163, 192, 198, 201 ff., 206 f., 212, 230, 242, 248, 262 f., 266, 327 f., 465 f., 471 f., 480, 510, 513 f., 532
-
Parteien 29, 42 f., 48
-
Verweisung auf Verbandstarifvertrag 31, 43 f., 92
Anhänge, Anlagen 111 ff., 148, 201, 207, 223 ff., 550 ff.
110 ff., 118 ff., 146 ff.
348, 355 f.,
-
Zusammentreffen zulässiger und unzulässiger Arbeitskampfziele 454 ff.
-
Zulässigkeit 486 ff.
Aussperrung 364, 376 ff., 390, 413, 431 -
Aussperrungsbefugnis des Außenseiterarbeitgebers 404 ff.
-
Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf 377
Arbeitskampffähigkeit des „kleinen" Arbeitgebers 397 ff, 408 ff.
-
„Kampfbündnis-Rechtsprechung^ 378 ff.
Auslage des Tarifvertrages 151 ff., 232 fF.
-
Sympathieaussperrung 377 f.
-
während der Geltungsdauer des Anerkennungstarifvertrages 376 ff.
Arbeitskampfbefugnis 322,366,401 ff. -
Außenseiterarbeitgeber 404 ff.
-
Gewerkschaft 401 ff.
126 ff.,
-
Publizität 126 ff., 150 ff.
-
Umfang der Auslagepflicht 232 ff.
-
Vereinbarungen über die Auslagepflicht 235 f.
außerordentliche Kündigung 144, 169 f., 186, 199,218, 275 (Fn. 39), 326, 435, 440, 459, 467 ff., 484, 486 ff., 516 ff. -
erhebliche Belastungswirkungen 499 f.
-
Kombination aus Veränderung der wirtschaftlichen Rahmendaten und Veränderung des Bezugstarifvertrages 501
-
Nachverhandlungsangebot 504 f.
-
Nachwirkung bei - 516 ff.
-
Pflichtverletzung 490
-
Teilkündigung 214 ff., 506 ff.
-
ultima-ratio-Prinzip 219, 459, 503 ff.
-
Unzumutbarkeit 169 f., 199, 435, 440, 484, 487, 489 ff., 499 f.
-
Veränderung der wirtschaftlichen Rahmendaten 490 f., 501
-
verweisungsspezifische Besonderheiten 459,463 ff., 492 ff.
-
Wegfall der Geschäftsgrundlage 488
-
wichtiger Grund 187, 489 ff., 497 f., 500
-
Zeitpunkt der Kündigung 501 ff.
Austritt aus dem Arbeitgeberverband 53 ff., 76, 87, 90, 186, 194, 372 ff., 467 f. Bedeutung und Verbreitung des Anerkennungstarifvertrages 78 ff. Beendigung des Anerkennungstarifvertrages 459 ff. -
Ablösung 352, 377, 460
-
Aufhebungsvertrag 352, 460 f.
-
auflösende Bedingung 461
-
außerordentliche Kündigung 144, 169 f., 186, 199, 218, 326, 435, 440, 467, 486fif., 516 ff.
-
Beendigung des Verbandstarifvertrages 459, 51 Iff.
-
Befristung 460, 463, 508 ff.
-
Gesamtkündigung 485 f.
-
Höchstdauer der Tarifvertragsgeltung 470, 480 ff.
-
ordentliche Kündigung 169,199, 440, 461 ff., 513
-
Rechtsfolgen 514 ff.
-
Unabhängigkeit des Anerkennungstarifvertrages 459, 508 f.
Befristung 299, 313, 460, 469, 488, 508 ff. Benachrichtigungs- und Zusendungspflicht der Gewerkschaft 152, 272
arverzeichnis
590
Bestimmtheitsgebot
-
über die Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes 382 ff.
-
über nachwirkende Tarifnormen 301 ff., 340 ff.
-
Ableitung 122 f.
-
dynamische Verweisung 149 f.
-
statische Verweisung 122 ff.
-
Teil Verweisung 214
Durchführungspflicht 241
-
Vorabunterwerfungsklausel 271
Durchschlagen
betriebsnahe Tarifpolitik 50
-
der Beendigung des Verbandstarifvertrages 459, 512 ff.
-
der Nichtigkeit des Verbandstarifvertrages 141 ff.
Betriebsübergang 64 Bezugnahme 93 Bindung an verbandstarifbezogene Feststellungsurteile 244 ff. -
analog §9 TVG 246 ff.
-
gemäß §9 TVG 244 ff.
-
kraft tarifvertraglicher Urteilsunterwerfung 253 ff.
-
subjektive Rechtskrafterweiterung 243
Blankettverweisung 103 Definition
107, 130, 152,
dynamische Rechtsstatusklausel 83 ff, 291 f., 327 ff., 550, 553 -
arbeitskampfrechtliche Folgen 346 ff.
-
Dispositionsbefugnis über den Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages 337 ff.
-
dynamische Rechtsstatusklausel im engeren Sinne 328 ff.
-
Erkämpfbarkeit 453 f.
-
Friedenspflichtklausel 333 f.
-
konkretisierende Anordnungen 331 ff.
-
Anerkennungstarifvertrag 38 ff.
-
Bezugnahme 92 f.
-
Kündigungsklausel 331 f.
Delegation 155
-
laufzeitbezogene nachwirkende Tarifnormen 344 f.
-
- Verweisung 92 f. Delegation 137 f.. 139, 153 ff.. 180, 202, 394 f.
-
negative Koalitionsfreiheit 387 ff.
-
Tarifforderungsklausel
-
Begriff 155
-
-
Delegat, Delegant 155
Übertragung der statusrechtlichen Entscheidungsmacht 393 ff.
-
der Kündigungsbefugnis 394 f. der statusrechtlichen Entscheidungsmacht 393 ff. der tariflichen Normsetzungsbefugnis 137 IT., 154 ff.
-
Wirkungsweise 318 ff.
-
Zulässigkeit 336 ff.
-
Demokratieprinzip
191, 306 ff.
Dispensklausel 179 Dispositionsbefugnis - über den Rechtsstatus des Anerkennungstarifvertrages 337 ff.
332 f.
dynamische Verweisung -
Aufhebbarkeit der Verweisung 156, 158, 169, 171, 198, 495
-
Begriff 92 f., 101 ff.
-
Besonderheiten des Firmentarifvertrages 163 ff.
-
Bestimmtheitsgebot 149 f.
zeichnis
591
-
Blankettverweisung 103
-
~ des VSME 88 ff.
-
Delegation der tariflichen Normsetzungsbefugnis 137 f., 154 ff.
Ergänzungsabkommen 212 f., 550, 553
-
Dispensklausel 179
Ergänzungsvereinbarungen 309, 312 ff., 343 f.
-
Erkämpfbarkeit 431 ff.
Erkämpfbarkeit
-
Grenzen der Tarifautonomie 153 ff.
-
-
„Herr" des Verweisungstarifvertrages 156,170,193,440,495
dynamische Rechtsstatusklausel 453 ff.
-
dynamische Verweisungsanordnung 431 ff., 434 f., 439 ff.
-
Globalverweisung 431 ff.
-
Jeweiligkeitsklausel 104, 154
-
Kernbereichstheorie
-
„kleiner" Arbeitgeber 441 ff.
-
-
negative Koalitionsfreiheit 439 ff.
statische Verweisungsanordnung 431 ff., 433 f., 439
-
Teilverweisungsanordnung 443 f.
-
Publizität 150 ff., 232 ff., 240
-
Vorabunterwerfungsklausel 444 ff.
Sachgerechtigkeitspostulat 159 f., 164 f., 172 f., 174 ff., 187 ff.
Ewigkeitsbindung 36, 462, 470, 484
-
Schriftform
-
Teil Verweisung 217 ff.
Fallgestaltungen zulässiger dynamischer Verweisungen
-
verdeckte Kompetenzübertragung 158 f., 178, 434
-
-
Vorhersehbarkeit der Tarifentwicklung 103, 154, 158 ff., 168 f., 171 f., 184 ff., 217 f., 273, 435, 479 Wesentlichkeitstheorie 180 f.
-
Willkürverbot 187 ff.
Firmentarifvertrag
Zusammenhang der Geltungsbereiche 161 f., 163 ff., 172 ff., 186, 273 f.
-
Anerkennungstarifvertrag 29 f., 42 ff.
-
Bedeutung 29, 78 f.
-
-
178 f. 192 f.,
144 ff., 222 ff.
einheitliche Wettbewerbsbedingungen 72 f. Einigungsklausel 264, 267, 284 ff., 551 -
Durchsetzbarkeit 287 ff.
-
Rechtscharakter 285 f.
-
Zulässigkeit 286 f.
Einwirkungspflicht 251 f.
-
Grenze des Willkürverbots 187 ff.
-
Identität der Tarifvertragsparteien 161
-
Zusammenhang der Geltungsbereiche 161 f.
Feststellungsurteile 242 ff.
Flucht aus der Verbandstarifbindung 31, 53 ff., 76, 194, 391 -
Auf- und Abspaltung 58 ff.
-
Ausgliederung 58 ff.
-
Austritt aus dem Arbeitgeberverband 53 ff.
-
Mitgliedschaft ohne Tarifbindung 64 ff.
-
rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang 64
-
Verbandsauflösung 69 f.
empirische Erhebung -
eigene ~ 81 ff.
592
Sachwi
-
Verbandswechsel 67 ff.
Imparität 398, 408, 410 fit:, 424 ff.
-
Verschmelzung 62 f.
-
an die Imparitätslage angepasste Rechtskontrolle 424 ff., 442 f., 444
-
Imparitätslage 410 ff.
Friedenspflicht 251 f., 278 f.. 312 ff., 320 ff., 333 f., 345, 367 f., 372 f.. 420, 490, 508,514 -
Ableitung 323 ff.
-
Gewohnheitsrecht 324 f.
-
Immanenztheorie 320 ff.
-
Konsenstheorie 322 f.
Friedenspflichtklausel 333 f., 345, 550, 553
individualarbeitsvertragliche Verweisung 75, 131, 168, 214 ff., 247. 253,262, 364 (Fn. 238) Informationsanspruch gegenüber der Gewerkschaft 128, 130, 151, 272 Inhaltskontrolle 175, 188, 280, 415, 419, 426 ff. Inhaltsnormen 60,106,256 Inkorporationswirkung 44, 97 ff.
Gesetz im materiellen Sinne 119, 122, 514
-
Begriff der Inkorporierung 98
Gleichstellungsfunktion
-
Rechtsfolgen der inhaltlichen Verweisung 97 ff.
-
überraschende Klauseln 196 ff.
-
verbandstarifVertragliche Kündigungsregelungen 465, 47 Iff.
-
bei individualarbeitsvertraglicher Verweisung 202 (Fn. 399)
-
des Anerkennungstarifvertrages 31, 44, 49 tT., 85, 98, 142 ff., 163, T92, 198, 201 tT., 206 f., 212, 230, 242, 248, 262 f., 266, 327 f., 465 f., 471 f., 480, 510, 513 f., 532
Interessen lagen bezüglich des Abschlusses des Anerkennungstarifvertrages -
Allgemeinheit 77 f.
-
Arbeitgeber 72 ff.
Globalverweisung 33, 85, 99, 206 ff., 210 f., 222, 263, 330 (Fn. 133), 367 (Fn. 254), 431 ff., 466 ff., 473 tT., 485 f., 506 f., 509 f.
-
Arbeitgeberverbände 76 f.
-
Arbeitnehmer 75 f.
-
Beendigung des Anerkennungstarifvertrages 463 IT., 466 ff., 473 ff., 478, 485 f., 506 f., 509 f.
-
Gewerkschaft 49 ff.
-
einfache - 207 f., 463 ff., 466 ff.
-
Erkämpfbarkeit 431 ff.
-
erweiterte - 85, 208 ff., 473 ff., 478, 485 ff., 494, 506 f.
-
Zulässigkeit 207 ff.
Grenzen -
der Rechtskraft 243
-
der Tarifautonomie 133 ff, 153 ff., 272 ff., 385
Haustarifvertrag 49 ff., 82 ff., 559 f.
Jewei 1 igkeitsklausel 104, 154, 224 „Kampfbündnis-Rechtsprechung" 364, 378 ff. Kampfziel -
eigenes ~ der Gewerkschaft 350 ff.
-
Hilfsfunktion des Arbeitskampfes 348, 355 f., 376, 380
-
unrechtmäßiges ~ 453 ff.
Kernbereichstheorie 178 f., 481 „kleiner" Arbeitgeber 397 ff., 408 ff., 441 ff., 444, 505
zeichnis
593
Koalitionsbetätigungsgarantie 38, 356, 379,402, 406,417
-
von Anfang an nachwirkende Tarifnormen 314 ff, 341 ff.
Kontrolle des Tarifvertrages
-
Wegfall der Dynamisierung 520 ff.
-
an die Imparitätslage angepasste Rechtskontrolle 424 ff., 441, 444
-
Billigkeitskontrolle 426, 429, 499
negative Koalitionsfreiheit 52, 59, 192 f., 277, 373, 387 ff., 402, 420 f., 436 ff., 450 f., 453, 484
-
Inhaltskontrolle 175, 188, 280, 415, 419, 426 ff.
-
dynamische Rechtsstatusklausel 387 ff.
-
Justiziabilität 176, 188 f.
-
-
Rechtskontrolle 187, 424 ff, 441, 444, 499
dynamische Verweisung 192 ff, 439 ff.
-
Fernbleiberecht 392, 436 f.
Krise des Flächentarifvertrages 31,53, 76, 78
-
Inhalt der Streikforderung 437
-
Schutzbereich 387 ff.
Kündigungsklausel 331 f., 393 ff., 550
-
statische Verweisung 439
-
Streikdruck 436 f.
-
tarifvertragliche Selbstgestaltungsbefugnis 437 ff.
-
Vorabunterwerfungsklausel 277, 450 f.
laufzeitbezogene nachwirkende Tarifnormen 344 f., 541 Mitgliedschaft ohne Tarifbindung 64 ff. -
Aufteilungsmodell 65
neue Bundesländer 52, 87, 90
-
Stufenmodell 65 f.
nichtige Tarifverträge
Mitteilungspflicht 81, 237 f., 241 Nachwirkung -
bei dynamischen Verweisungen 520 ff.
-
bei statischen Verweisungen 519 f.
-
Dispositionsbefugnis über nachwirkende Tarifnormen 301 ff., 340 ff.
-
141 ff.
Nichtigkeit -
an die Imparitätslage angepasste Rechtskontrolle 425 ff.
-
des Bezugstarifvertrages
-
dynamische Rechtsstatusklausel 399, 453
141 ff.
-
dynamische Verweisung 204 f.
-
Schriftform 111
dynamische Rechtsstatusklausel 328 ff., 340 ff.
-
Teilnichtigkeit 399 f.
-
Geltungsgrund 310 f.
-
-
laufzeitbezogene nachwirkende Tarifnormen 344 f.
-
lediglich nachwirkende Tarifnormen 301 ff., 341 ff.
-
Normzweck des § 4 Abs. 5 TVG 309, 317 f., 528 ff.
-
Rechtscharakter nachwirkender Tarifnormen 302 ff.
Normsetzungsbefugnis Ableitung der tariflichen -
134 ff.
-
Delegation der ~ 137 ff., 153 ff.
-
verdeckte Kompetenzübertragung 158 f., 178, 434
Normzweck des § 9 TVG 248 ff. -
einheitliche Entscheidungen 248 ff.
-
Sicherung der Einwirkungs- und Friedenspflicht 251 f.
arverzeichnis
594
Wahrung der Mitgliederinteressen 250 f.
-
Arbeitgeberverband 193 ff., 373
Protokollnotizen 212 Publizität
obligatorischer Teil des Tarifvertrages 38, 105 ff., 110, 152, 222, 225 f., 235 f., 241, 251, 254 f., 269, 279 f., 284, 286, 323,431,520, 525 f.
-
Ableitung 125
-
Auslage des Tarifvertrages 232 ff.
-
Benachrichtigungs- und Zusendungspflicht der Gewerkschaft 152, 272
ordentliche Kündigung 169, 199,326, 440, 461 ff., 492, 499, 510 f., 513 -
Aufrechterhaltung der Tarifnormverantwortung 467 ff.
-
dynamische Verweisung 150 ff.
-
-
Ausschluss der ~ 463, 47 Iff., 480 ff., 508
Informationsanspruch gegenüber der Gewerkschaft 128, 130, 151, 272
-
Kundmachungsfunktion des Schriftformgebotes 116 ff.
-
Gesamtkündigung 485 f.
-
Höchstdauer des Ausschlusses der ~ 480 ff.
-
Mitteilungs- und Übersendungspflicht 237 ff.
-
Kündigungsfrist 477 f.
-
Publizitätsinstrumentarium
-
Kündigungsgrund 479 f.
-
statische Verweisung 125 ff.
-
Kündigungstermin 463 ff.
-
Tarifregister 237
-
Teilkündigung 214, 396 f., 474 ff., 485 f.
-
Vorabunterwerfungsklausel 271 f.
-
-
Zulässigkeit 462 f.
Zugänglichkeit auf Arbeitgeberseite 152 f.
-
Zugänglichkeit auf Arbeitnehmerseite 151 f.
Ordnungsfunktion 49, 321, 484, 516 f. Paralleltarifvertrag 46 Parität 359 ff., 365 ff., 370, 378, 384 f., 404, 407, 410 ff., 418 f., 425 -
abstrakt-materielle Paritätsbetrachtung 359,378
127 ff.
Rahmenvorschriften 256 ff. Rechtscharakter -
Einigungsklausel 285 f.
-
nachwirkende Tarifnormen 302 ff.
-
auf der Ebene des Anerkennungstarifvertrages 398, 410 ff., 485
-
Verweisungsanordnung 105 ff, 431 f., 524 ff.
-
auf der Ebene des Verbandstarifvertrages 359,366,378
-
Vorabunterwerfungsklausel 268 f., 445
Parteien des Anerkennungstarifvertrages 29 f., 42 f.
Rechtsfolgen
Partizipationsgedanke 361 ff., 381 f., 391
-
dynamischer Verweisungen 195 ff.
-
positive Koalitionsfreiheit 373, 392, 407
materiell unwirksamer dynamischer Verweisungen 204 f.
-
statischer Verweisungen 140 ff.
-
statusrechtlicher Verweisungen 328 ff., 335 f., 399 f.
-
Ableitung 134
134, 193 ff,
zeichnis
595
unrechtmäßiger Arbeitskämpfe 454 ff.
-
Vereinbarungen über die ~ 223 ff.
-
Vorabunterwerfungsklausel 270 f.
Rechtsstaatsprinzip 122 f., 125 ff., 149 ff., 239, 271,308, 536
-
Warnfunktion
-
Rechtsstatus 291 ff., 337 ff. -
außer Kraft getretene Tarifnormen 293 f., 295, 329, 335, 345 ff., 512
115 f., 144, 270
statische Verweisung -
Begriff 92 f., 100 f.
-
Bestimmtheitsgebot 122 ff. Delegation der tariflichen Normsetzungsbefugnis 137 f.
-
Dispositionsbefugnis über den ~ 292 ff., 337 ff.
-
-
dynamische Rechtsstatusklausel 291, 328 ff., 337 ff.
-
Erkämpfbarkeit 431 ff.
-
Grenzen der Tarifautonomie
-
laufzeitbezogene nachwirkende Tari fnormen 344 f.
-
Publizität 125 ff., 232 ff., 240
-
nachwirkende Tarifnormen 296 ff., 340 ff.
-
Schriftform
-
Teilverweisung 214 ff.
-
unmittelbare und zwingende Tarifnormen 292 ff., 339
Reichweite der Verweisung 205 ff. -
Einzelverweisung 219 f.
-
Globalverweisung 206 ff.
-
Teilverweisung 213 ff.
Richtigkeitsvermutung 49,404,415, 419, 425, 427 Sachgerechtigkeitspostulat 159 f., 164 f., 172 f., 174 ff., 187 ff. Schiedsgutachterklauseln 257 f. Schriftform
133 ff.
110 ff., 222 f.
Streik -
Druckerhöhung auf den Arbeitgeberverband 354 ff.
-
dynamische Rechtsstatusklausel 346 ff., 453 f.
-
Globalverweisung 431 ff.
-
Partizipationsgedanke 361 ff., 381 f., 391
-
Streikrecht der Gewerkschaft 401 ff.
-
Sympathiestreik 355 ff.
-
Teilverweisung 443 ff.
-
Vorabunterwerfungsklausel 444 ff.
-
während der Geltungsdauer des Anerkennungstarifvertrages 347 ff.
-
Beweisfunktion 113 ff., 117 f., 228 f.
-
dynamische Verweisung 144 ff.
subjektive Rechtskrafterweiterung 243 ff.
-
Klarstellungsfunktion 114 f., 117 ff., 146 ff., 221 ff., 228 f., 234, 270
Sympathiearbeitskampf 355 ff., 376 ff.
-
Kundmachungsfunktion 116 f.
-
-
statische Verweisung 110 ff.
dynamische Rechtsstatusklausel 453, 355 ff.
-
Übereilungsschutz 115 f., 118 f., 145 f.
-
eigennütziger ~ 360 ff.
-
fremdnütziger -
-
Partizipationsgedanke 361 ff., 381 f.
-
urkundliche Verbindung 111 ff., 147 f.
Substituierungsklausel 265 f., 267 f.
355 ff.
arverzeichnis
596
-
Sympathieaussperrung 377 ίΐ.
-
„kleine" Arbeitgeber 444
-
Sympathiestreik 356 fi.
-
statische- 214 ff.
Tarifautonomie
Überbrückungsfunktion
-
Ableitung der tariflichen Normsetzungsbefugnis 134 ff.
-
der Nachwirkung 309, 317 f., 343, 521, 528 ff.
-
Arbeitskampf 347 f., 355 f., 384
-
-
Grenzen der ~ 133 ff., 153 ff., 272 ff., 385
des Anerkennungstarifvertrages 75, 204, 296, 466
Übernahmetarifvertrag 46, 558
Tarifeinheit 68, 190 f. TarifTahigkeit des „kleinen" Arbeitgebers 397 f., 415 ff. Tarifforderungsklausel
332 f., 334, 550
überraschende Tarifnormen 268, 494, 498 f.
196 ff,
Übersendungspflicht 81, 237 ff., 241 f. ultima-ratio-Prinzip -
Unterwerfung unter fremde Feststellungsurteile 255 ff.
außerordentliche Kündigung 219, 459, 503 ff.
-
Verweisungsanordnung 105 ff, 524 ff.
dynamische Rechtsstatusklausel 326 (Fn. 122), 332, 350 (Fn. 193)
-
Erkämpfbarkeit der Verweisungsanordnung 432 ff.
Tarifregister 78, 81, 128 ff., 151 ff., 237 ff., 272
-
Erkämpfbarkeit der Vorabunterwerfungsklausel 445 ff.
-
-
Kampfführung 414 f.
Tari fnormcharakter -
Tarifnorm Verantwortung 136
ff.
empirische Erhebung 81 ff.
-
Führung des - 237
-
Publizität 128 ff., 151 ff., 238 ff., 272
Tarifspezialität 68 (Fn. 102), 211 f. Tarifvertrag als Rechtsbegriff 37 f. Tarifzensur
175 f., 419, 429 (Fn. 91)
Verbandsauflösung 69 f. Verbandswechsel 67 ff. verdeckte Kompetenzübertragung 158 f., 178, 434 Vereinbarungen über die
Tarifzuständigkeit 62, 68, 75, 142
-
Auslagepflicht 235 f.
Teilkündigung 214 ff., 396 f., 474 ff., 485 f., 506 f.
-
Schriftform 223 ff.
-
Übersendungspflicht 241 ff.
-
dynamische Rechtsstatusklausel 332, 396 f.
Verhältnismäßigkeitsprinzip 358, 366 f., 378, 383 ff., 414 f., 450, 502
-
Vorrang der ~ 506 f.
Verhandlungsklausel 266 f., 278 ff., 551
Teilnichtigkeit 399 f.
-
Auslegung 266 f.
Teilverweisung 213 ff., 220, 233 f., 240 f., 263, 443 f.
-
Einigungsklausel 284 ff.
-
dynamische ~ 217 ff.
-
Rechtsfolgen 281 ff.
-
Erkämpfbarkeit 443 f.
-
Zulässigkeit 279 f.
Sachwortverzeichnis
Vermutung der Sachgerechtigkeit 136, 159 f., 174
-
Bestimmtheitsgebot 271
-
Erkämpfbarkeit 444 ff.
597
Vertragsmuster 549 ff.
-
Grenzen der Tarifautonomie 272 ff.
Verweisung
-
negative Koalitionsfreiheit 277, 450 f.
-
Außenverweisung 99
-
Begriff 92 ff.
-
Publizität 271 f.
-
Binnenverweisung 99
-
Rechtscharakter 268 f., 445
-
deklaratorische ~ 94 ff.
-
Schriftform 270 f.
-
Vorhersehbarkeit der Tarifentwicklung 273 ff., 447 f., 452 Zulässigkeit 267 ff.
-
dynamische- 102 ff, 144 ff.
-
Inkorporationswirkung 97 ff.
-
konstitutive ~ 95 ff.
-
-
Rechtsfolgenverweisung 99
Vorvertrag 269, 285 f., 445
-
statische ~ 100 f., 110 ff.
-
Tatbestandsverweisung 99
Wegfall
-
Verweisungsanordnung 94
-
-
Verweisungsobjekt 94
der Dynamisierung im Nachwirkungsstadium 520 ff.
-
der Geschäftsgrundlage 144, 488, 496(Fn.103)
Verweisungsanordnung 44, 94 -
Rechtscharakter 105 ff., 524 ff.
-
Tarifvertragseigenschaft
108 f.
Weitergeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG 54 f., 59 f., 63, 67 f., 69, 305, 467 ff.
Verweisungstarifvertrag 46 ff, 94
Wesentlichkeitstheorie 180 f.
von Anfang an nachwirkende Tarifnormen 296 f., 301 ff., 314 ff., 341 ff.
Willkürverbot 187 ff., 538
Vorabunterwerfungsklausel 83 ff., 106 (Fn. 60), 164 (Fn. 260), 265 f., 267 ff., 444 ff., 553
Zusatzvereinbarungen 210 ff. -
ergänzende ~ 210
-
-
verdrängende ~ 211 f.
Auslegung 265 ff.