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German Pages 421 Year 1985
HANS- HERMANN SCHRÄDER
Rechtsbegriff und Rechteentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst
S c h r i f t e n zum Ö f f e n t l i c h e n R e c h t Band 497
Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst
Von
Dr. Hans-Hermann Schräder
D Ü N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Gedruckt mit Unterstützung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schräder, Hans-Hermann:
Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst / von Hans-Hermann Schräder. — Berlin: Duncker und Humblot, 1985. (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 497) ISBN 3-428-05934-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Oedruckt 1985 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed I n Germany ISBN 3-428-05934-4
Vorwort Die Arbeit, die von dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation angenommen wurde, geht zurück auf das Jahr 1972, als der sogenannte Extremistenbeschluß Anlaß zur rechtlichen und rechtsgeschichtlichen Untersuchung der damit zusammenhängenden Fragen gab. Nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungstreue im Jahre 1975 wurde die Arbeit neu konzipiert, um die Ergebnisse und Grundlagen dieser Entscheidung zu überprüfen. In den folgenden Jahren ergaben sich bei der Aufarbeitung der Rechtsentwicklung der Verfassungstreue vielfältige Gesichtspunkte, die bisher noch nicht zusammenhängend näher dargestellt worden waren. Im Ergebnis wird festgestellt, daß bei allen Unterschieden während der langen Entwicklung der Verfassungstreue eine begrenzte Bandbreite zwischen mehr Freiheit und mehr Bindung besteht, die maßgeblich auf dem Wandel der Verfassungen beruht und erst in deren Rahmen auch auf dem Wechsel der dienstrechtlichen Regelungen. Für die heutige Beurteilung der Verfassungstreue ist das Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten der Bürger und den Pflichten als Angehöriger des öffentlichen Dienstes nach der Konzeption des Grundgesetzes in der Weise zu lösen, daß auch in diesem Bereich der Grundsatz gilt: Soviel Freiheit wie möglich und soviel Bindung wie nötig. Nach Abschluß der Arbeit habe ich meiner Familie für die Geduld und Unterstützimg zu danken, Frau Birkner für die zuverlässige Niederschrift des umfangreichen Textes, Herren Prof. Ipsen und Prof. von Münch als Erstund Zweitgutachter für die Hilfen bei der Vorbereitimg der Veröffentlichung, der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung für ihren wesentlichen Zuschuß zu den Druckkosten und dem Verlag für die entgegenkommende Verfahrensweise bei der Herausgabe dieses Bandes der Schriften zum Öffentlichen Recht. Hans-Hermann
Schräder
Inhaltsverzeichnis
Einleitung I. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts II. Gang der Untersuchung
13 16
Erster Teil Begriffliche Klärung I. Begriff der Verfassungstreue
19
1. Voraussetzungen für die Begriff s Verwendung
19
2. Verwendbarkeit des Treuebegriffs
19
3. Bezogenheit auf die Verfassung
21
4. Bestimmtheit der Verfassungstreue
23
5. Mehrdeutigkeit der politischen Treuepflicht
24
6. Bedeutung der Staats- und Verfassungstreue
26
II. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
37
1. Verwendbarkeit des Begriffs
37
2. Verhältnis zur Verfassungswidrigkeit
42
3. Abgrenzung zur Verfassungstreue
50
III. Abstufungen der Verfassungstreue
53
1. Bekämpfung der Grundordnung
53
2. Aktive Ablehnung der Grundordnung
58
3. Bekenntnis gegen die Grundordnung
63
4. Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei
71
5. Neutrale Haltung gegenüber der Grundordnung
83
6. Äußere Übereinstimmung mit der Grundordnung
93
7. Eintreten für die Grundordnung
99
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
113
1. Lösungsansatz zur Beurteilung der Verfassungstreue
113
2. Überprüfung anhand der hergebrachten Grundsätze
116
8
nsverzeichnis Zweiter Teil Rechtsgeschichtliche Entwicklung
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung 1. Ursprung im Lehnswesen 2. Anfänge in den Stadtrepubliken 3. Ansätze in der absoluten Monarchie 4. Übergang zur konstitutionellen Monarchie 5. Fortschritte in der Paulskirchenverfassung 6. Reaktion nach 1849 7. Zwischenergebnis II. Weiterentwicklung im Deutschen Reich 1. Änderungen durch die Reichsverfassung 2. Entwicklung in Preußen 3. Folgen des Sozialistengesetzes 4. Möglichkeiten einer verfassungsmäßigen Veränderung 5. Zwischenergebnis
129 129 132 135 . 140 149 152 158 164 164 168 175 181 184
ΙΠ. Veränderungen in der Weimarer Republik 1. Folgen der Revolution 2. Auswirkungen der Weimarer Verfassung 3. Gesetze zum Schutze der Republik 4. Regierungserlasse über verfassungsfeindliche Bestrebungen 5. Bedeutung der Verfassungstreue in der Praxis 6. Gesamtbetrachtung der Weimarer Entwicklung 7. Bestand an hergebrachten Grundsätzen 8. Zwischenergebnis
190 190 192 202 210 220 229 238 248
IV. Umgestaltung im Dritten Reich 1. Aufhebung der Grundlagen der Weimarer Verfassung 2. Anpassung des Beamtenrechts 3. Abschluß bis zum Deutschen Beamtengesetz 4. Strukturwandel des öffentlichen Dienstes 5. Zwischenergebnis
254 254 258 267 277 287
V. Neubeginn in den Ländern und im Bund 1. Einflußnahme der Besatzungsmächte 2. Verfassungsrechtliche Entwicklung in den Ländern 3. Beamtenrechtliche Regelungen bis zum Grundgesetz 4. Vorbereitung des Grundgesetzes 5. Erlaß des Bundespersonalgesetzes 6. Regierungsbeschlüsse von 1950 zur Verfassungstreue
293 293 300 305 309 324 333
nsverzeichnis
9
7. Entwurf des Bundesbeamtengesetzes und eines Gesetzes über die politische Treupflicht 340 8. Weiterentwicklung bis zum Extremistenbeschluß von 1972 354 9. Zwischenergebnis 361
Schluß
I. Gesamtergebnis 1. Entwicklungslinien der Verfassungstreue 2. Folgerungen für die heutige Rechtslage II. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
370 370 381 397
406
Abkürzungsverzeichnis
ABl. MilReg. Deutschland
= Amtsblatt der Militärregierung Deutschland
AfP
= Archiv für Presserecht
AöR
= Archiv des öffentlichen Rechts
ArbG
= Arbeitsgericht
Art.
= Artikel
BAG
= Bundesarbeitsgericht
BayGVBl. BayVerfGH und BayVGH
= Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt = Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
BBG
= Bundesbeamtengesetz
BD Ο
= Bundesdisziplinarordnung
BerlVOBl.
= Verordnungsblatt für Berlin
BGBl.
= Bundesgesetzblatt
BGH
= Bundesgerichtshof
BGHSt
= Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
BGHZ
= Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BrGBl.
= Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen
BRRG
= Beamtenrechtsrahmengesetz
BVerfG
= Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
= Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
= Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
= Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
D JZ
= Deutsche Juristen-Zeitung
DöD
= Der öffentliche Dienst
DÖV
= Die Öffentliche Verwaltung
DVB1.
= Deutsches Verwaltungsblatt
DVP
= Deutsche Verwaltungspraxis
EuGRZ
= Europäische Grundrechte-Zeitschrift
Abkürzungsverzeichnis GG
= Grundgesetz
GMB1.
= Gemeinsames Ministerialblatt
Hans. OLG
= Hanseatisches Oberlandesgericht
HeGVBl.
= Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen
HmbBG
= Hamburgisches Beamtengesetz
HmbGVBl.
= Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt
Hrsg.
= Herausgeber
HV
= Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg
HVerfG
= Hamburgisches Verfassungsgericht
JöR
= Jahrbuch des öffentlichen Rechts
JuS
= Juristische Schulung
JWG
= Gesetz für Jugendwohlfahrt
JZ
= Juristenzeitung
KRABI.
= Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland
11
LAG
= Landesarbeitsgericht
LPG
= Landespressegesetze
LVG
= Landesverwaltungsgericht
MBliV.
= Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern
MB1. NW
= Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
MDR
= Monatsschrift für Deutsches Recht
MittVw
= Mitteilungen für die Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg
m. w. N.
= mit weiteren Nachweisen
Nds. GVB1.
= Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt
NJW
= Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ
= Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OAG RheinlandPfalz
= Oberstes Arbeitsgericht des Landes Rheinland-Pfalz
o.J.
= ohne Jahrgang
OVGE
= Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte
PrBesBl.
= Preußisches Besoldungsblatt
PrDH
= Preußischer Disziplinarhof
PrGS
= Preußische Gesetzessammlung
PrOVG
= Preußisches Oberverwaltungsgericht
PrOVGE
= Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts
PrVBl.
= Preußisches Verwaltungsblatt
Randnr(n).
= Randnummer (n)
12
Abkürzungsverzeichnis
RdA
= Recht der Arbeit
RDH
= Reichsdisziplinarhof
RDHE
= Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs
RDHR
= Die Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs
RG
= Reichsgericht
RGBl.
= Reichsgesetzblatt
RGZ
= Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RhPfGVBl.
= Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz
RiA
= Recht im Amt
RuPrVBl.
= Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt
SaABl.
= Amtsblatt des Saarlandes
Sten. Berichte
= Stenographische Berichte
StGB
= Strafgesetzbuch
VerwArch.
= Verwaltungsarchiv
VG
= Verwaltungsgericht
VGH
= Verwaltungsgerichtshof
VOB1. BZ
= Verordnungsblatt für die Britische Zone
W
= Verwaltungsvorschriften
WDStRL
= Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WüBaRegBl.
= Württembergisch-Badisches Regierungsblatt
WürttRegBl.
= Württembergisches Regierungsblatt
ZBR
= Zeitschrift für Beamtenrecht
ZRP
= Zeitschrift für Rechtspolitik
Einleitung I. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts „Die Geschichte des deutschen Beamtentums seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kennt - unbeschadet von Veränderungen je nach den wechselnden Verfassungsordnungen - eine besondere ... Treuepflicht 1 ." M i t dieser Aussage beginnt im Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5.1975 zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst die historische Zusammenfassung und damit zugleich der Hauptteil der Begründung. Ein späterer ausführlicher Abschnitt insbesondere über die Entwicklung in der Weimarer Zeit und unter dem Grundgesetz w i r d dann mit dem Satz eingeleitet: „Das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Treuepflicht der Beamten hat seine Geschichte 2 ." Das Bundesverfassungsgericht stellt auf diese Weise die Bedeutung der Rechtsentwicklung der Verfassungstreue besonders heraus. In den letzten Jahren ist dazu in verschiedenen Untersuchungen aufgezeigt worden, daß die Treuepflicht mit dem Beginn des Beamtentums entstanden ist 3 , in der Zeit der konstitutionellen Monarchie weiterentwickelt wurde 4 und nach den Veränderungen in der Weimarer Republik 5 , der einseitigen Umgestaltung im Dritten Reich 6 und dem anschließenden Neubeginn 7 auch unter der Geltung des Grundgesetzes 8 ein Wesensmerkmal des Beamtenverhältnisses 9 geblieben ist. ι BVerfGE 39, 334 (346). 2 BVerfGE 39, 334 (360). 3 Wiese (1), Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, S. 20 ff.; Laubinger, Die Treuepflicht des Beamten im Wandel der Zeiten, S. 89 (9Iff.); s. auch die Dokumentation von Brandt (Hrsg.), Die politische Treuepflicht, S. 37 ff. 4 Rejewski, Die Pflicht zur politischen Treue im preußischen Beamtenrecht (1850 1918), passim; Morsey (1), Zur Beamtenpolitik des Reiches von Bismarck bis Brüning, S.lOlff. 5 Schmahl, Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten in der Weimarer Republik, passim; s. auch Duve / Kopitzsch (Hrsg.), Weimar ist kein Argument, passim. 6 Hempfer, Die nationalsozialistische Staatsauffassung in der Rechtsprechimg des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, S. 48 ff. 7 Morsey (2), Personal- und Beamtenpolitik im Übergang von der Bizonen- zur Bundesverwaltung (1947 - 1950), passim. 8 Weiler, Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, S. 45 ff. 9 s. die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 BBG und BRRG sowie den Landesbeamtengesetzen: „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis)".
14
Einleitung
Die verschiedenen Entwicklungsabschnitte sind aber noch nicht zusammenfassend daraufhin untersucht worden, welche Konsequenzen sich daraus für ein heutiges verfassungskonformes Verständnis der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ergeben 10 . Ansätze dazu haben in neueren Aufsätzen im Anschluß an die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zu teilweise gegensätzlichen Ergebnissen geführt 11 . Die Problematik des Themas ist nicht nur in der politischen Auseinandersetzung, sondern auch in der rechtswissenschaftlichen Beurteilung nach wie vor aktuell, wie z.B. die eingehende Behandlung auf der Staatsrechtslehrertagung 1978 mit kontroversen Berichten unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung gezeigt hat 1 2 . Die immer noch offenen Fragen nach Inhalt und Umfang der Verfassungstreue sind gerade auch im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechimg klärungsbedürftig, die voraussichtlich nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts noch fortentwickelt oder zumindest konkretisiert werden wird 1 3 . Ausgangspunkt ist dabei der erste Leitsatz zu diesem Beschluß, wonach es „ein hergebrachter und zu beachtender Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) ist, daß den Beamten eine besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung obliegt" 1 4 . Zur Begründung für dieses Verständnis der „traditionellen Treuepflicht des Beamten" hat sich das Gericht in der eingangs erwähnten Weise auf die Geschichte des Beamtentums berufen 15 . Das Bundesverwaltungsgericht 1 6 und das Bundesarbeitsgericht 17 stimmen mit dem Bundesverfassungsgericht darin überein, daß sich die Verfassungstreue aus der Geschichte des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG ableiten läßt; das Bundesverwaltungsgericht macht dabei allerdings den Zusatz, daß „Umfang und Grenzen dieser Treuepflicht aus den hergebrachten Grundsätzen nicht genau zu bestimmen sind" 1 8 . Mit der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, die Bedeutung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst vor dem Hintergrund der rechtsge10 Zur Gesamtentwicklung des Berufsbeamtentums s. Hattenhauer (2), Geschichte des Beamtentums; Thiele (2), Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums; s. auch aus politikwissenschaftlicher Sicht Schindler-Fiedler, Die Treuepflicht des Beamten und die freiheitliche Demokratie (mit striktem, wenig differenziertem Ergebnis S. 181 ff.). 11 Schlink, Staat 15 (1976), 335ff. einerseits und Feindt, DöD 1980, Iff. andererseits. 12 Denninger (2), W D S t R L 37 (1979), 7 ff. und Klein (3), W D S t R L 37 (1979), 53 ff. 13 Schick (1), NJW 1975, 2169 mit dem Hinweis „Roma locuta, causa non finita"; zusammenfassend zur neueren Rechtsprechung Becker (2), RiA 1983, 221 (223f.); s. auch Lecheler (3), JZ 1984, 76 (77f.). 14 BVerfGE 39, 334. ι 5 BVerfGE 39, 334 (346). 16 BVerwGE 47, 330 (334) und 365 (367); s. auch BVerwGE 52, 313 (321). 17 BAG NJW 1976, 1708 (1709). 18 BVerwGE 47, 330 (334).
I. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts
15
schichtlichen Entwicklung zu klären. Die Entstehungsgeschichte soll nicht nur in ihren Schwerpunkten nachgezeichnet werden, sondern gezielt darauf befragt werden, welche Antworten auf die heute im Vordergrund stehenden Fragen seinerzeit gegeben worden sind. Außerdem soll festgestellt werden, inwieweit frühere Lösungen dieses Problems ihre Gültigkeit behalten haben oder im Wandel des Verfassungs- und Beamtenrechts als überholt anzusehen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Aufgabe in seinem Grundsatzbeschluß nicht gelöst, da es sich nicht näher zu den konkreten Auswirkungen der Rechtsentwicklung auf die heutige Rechtslage geäußert hat, sondern lediglich einen Teil der Entwicklung in ihrem äußeren Ablauf wiedergegeben hat 1 9 . Das Gericht hat aber in dem erwähnten Einleitungssatz zur Entwicklung in der Weimarer Zeit den wichtigen Hinweis gegeben, daß es nicht nur um die Geschichte der Treuepflicht der Beamten geht, sondern zugleich um die Entwicklung der Meinungsfreiheit des öffentlichen Dienstes und dabei um das wechselvolle Verhältnis von Meinungsfreiheit und Verfassungstreue. Damit ist von vornherein klargestellt, daß eine lediglich beamtenrechtliche Betrachtung dem Thema nicht gerecht wird. Es kommt vielmehr auf eine verf assungsbezogene Abwägung von Bürgerrecht und Beamtenpflicht an. Diesem Spannungsverhältnis ohne einseitige Betonung des· einen oder anderen Gesichtspunktes gerecht zu werden, stellt bei der Prüfung der Verfassungstreue der Beamten die eigentliche Schwierigkeit dar. Sie wird nur gelöst werden können, wenn bei der Untersuchung der Rechtsentwicklung und ihrer Auswirkungen die Konzeption des Grundgesetzes beachtet wird, soviel Freiheit wie möglich auch im öffentlichen Dienst zu gewähren und soviel Bindung wie nötig an die Grundlagen der Verfassung zu verlangen 20 . Eine Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber politischen Auffassungen und der Entschlossenheit zur Verteidigung der Grundordnung des Grundgesetzes zu finden, ist als die Aufgabe unserer Zeit bezeichnet worden 21 .
19
Esser, JZ 1975, 555 (557). Scheuner (1), Politische Betätigung von Beamten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, S. 65 (71). 21 Benda (1), Der Rechtsstaat in der Krise, S. 189f. 20
Π. Gang der Untersuchung Zu Beginn erscheint es angebracht, die Begriffe politische Treuepflicht und Verfassungstreue, die bisher in der Einleitung nebeneinander verwandt worden sind, zu klären und abzugrenzen. Außerdem ist der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß verwendete Begriff der Staats- und Verfassungstreue 1 gesondert zu untersuchen. Der umstrittene Begriff der Verfassungsfeindlichkeit als Gegensatz zur Verfassungstreue ist ebenfalls näher zu bestimmen. Anhand einer eingehenden Begriffsbestimmung unter Einbeziehung vor allem der neueren höchstrichterlichen Entscheidungen soll dabei versucht werden, einen vorläufigen Überblick über die Hauptprobleme der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst und deren Lösungsmöglichkeiten zu erhalten. Erst vor diesem Hintergrund wird die Entwicklungsgeschichte der Verfassungstreue sachgerecht dargestellt und auf ihre Bedeutung für die heutige Rechtslage befragt werden können. Anschließend werden die einzelnen Entwicklungsabschnitte des öffentlichen Dienstes unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen Verfassungswechsels behandelt werden. Dabei bietet es sich an, zwischen der vorkonstitutionellen Zeit - in der mangels Verfassimg nur eine politische Treuepflicht und noch keine Verfassungstreue in Betracht kam - , der konstitutionellen vordemokratischen Zeit - in der schon von Verfassungstreue im weiteren Sinne gesprochen werden konnte, aber noch nicht vom Eintreten für eine demokratische Ordnung - und der demokratischen Zeit beginnend mit der Weimarer Republik zu unterscheiden. Die totalitäre Zeit im Dritten Reich, die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts übergangen wird 2 , soll danach hinsichtlich der tiefgreifenden Umgestaltung der politischen Treuepflicht untersucht werden. Die Entwicklung in der Nachkriegszeit und unter dem Grundgesetz mit der teilweisen Anknüpfung, aber auch wesentlichen Weiterentwicklung gegenüber der Weimarer Republik soll abschließend bis zur heutigen Situation geprüft werden. Nach der Darstellung der einzelnen geschichtlichen Abschnitte w i r d es sinnvoll sein, jeweils eine Reihe von Fragen zu stellen, die sich schwerpunktmäßig auf die immer noch umstrittenen Punkte beziehen3. Dabei ist 1
BVerfGE 39, 334 (348). BVerfGE 39, 334 (364f.); ausführlich dagegen BVerfGE 3, 58. 3 s. auch die Zusammenstellung offengebliebener Fragen bei Lange, NJW 1976, 1809 (1813) und Däubler (2), RiA 1977, 181 (183ff.). 2
II. Gang der Untersuchung
17
zum Teil in Anlehnung an die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts - die Beantwortung folgender Fragen wichtig: - Wem gegenüber besteht die politische Treuepflicht des öffentlichen Dienstes? Bezieht sie sich z.B. auf das Staatsoberhaupt, die Regierung, den Staat, die gesamte Rechtsordnung oder - ganz oder teilweise - auf die Verfassung, so daß überhaupt von Verfassungstreue gesprochen werden kann? - Wie unterscheidet sich die besondere Treuepflicht oder die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst von der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechtsstellung? - Welche Intensität wird zur Erfüllung der politischen Treuepflicht oder der Verfassungstreue verlangt? Wird nur auf das äußere Verhalten abgestellt oder auch auf die innere Einstellung? - Welche Verhaltensweisen sind mit der politischen Treuepflicht oder der Verfassungstreue nicht mehr vereinbar? Ist die Grenze z.B. schon bei neutraler oder desinteressierter Haltung, bei Ablehnung oder erst bei - gegebenenfalls strafbarer - Bekämpfung der staatlichen Grundlagen erreicht? - Genügen dabei Zweifel an einer positiven Einstellung oder müssen mit der politischen Treuepflicht oder der Verfassungstreue unvereinbare Verhaltensweisen feststehen? - Wieweit können und dürfen Verhaltensweisen außerhalb der dienstlichen Tätigkeit berücksichtigt werden? Wo beginnt die auf jeden Fall geschützte Privatsphäre? - In welchem Verhältnis steht insbesondere die - innerdienstliche und außerdienstliche - Meinungsfreiheit zur politischen Treuepflicht oder Verfassungstreue? - Welche Schlußfolgerungen dürfen aus der Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechts zugunsten einer als verfassungsfeindlich angesehenen Partei gezogen werden? Wer entscheidet über diese Bewertung der Partei? - Wie ist die Mitgliedschaft und wie ist die Aktivität in derartigen Parteien oder Vereinigungen zu beurteilen? Wann können deren mit der politischen Treuepflicht oder Verfassungstreue unvereinbare Ziele dem Beamten zugerechnet werden? - Ist die Rechtslage für jedes Beamtenverhältnis einheitlich oder sind die Anforderungen unterschiedlich? Kann bei den einzelnen Beamtenverhältnissen und bei den anderen Dienstverhältnissen im öffentlichen Dienst nach verschiedenen Tätigkeitsbereichen differenziert werden? 2 Schräder
18
Einleitung
Am Ende soll dann noch einmal der Fragenkatalog unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus den früheren Zeitabschnitten hinsichtlich der heutigen Rechtslage beantwortet werden. Als Fazit werden die Antworten insbesondere im Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung auf ihre Aussagekraft zu bewerten sein.
Erster Teil
Begriffliche Klärung I. Begriff der Verfassungstreue 1. Voraussetzungen für die Begriff s Verwendung
Für die Verpflichtung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, sich für die Grundlagen der Verfassung einzusetzen, soll im folgenden regelmäßig der Begriff der Verfassungstreue verwendet werden. Solange keine Verfassung vorhanden ist, muß allerdings auf den Begriff der politischen Treuepflicht als allgemeineren Ausdruck zurückgegriffen werden. Für die spätere Zeit sollen die Begriffe Treuepflicht und politische Treuepflicht allenfalls synonym neben dem Begriff der Verfassungstreue verwendet werden, um dessen ständige Wiederholung zu vermeiden. Da aber vielfach immer noch die Pflicht zur Verfassungstreue allein als politische Treuepflicht 1 oder auch als politische Loyalitätspflicht 2 bezeichnet wird, soll vorweg begründet werden, warum demgegenüber der Begriff der Verfassungstreue 3 für zutreffend gehalten wird. 2. Verwendbarkeit des Treuebegriffs
Zunächst ist zu klären, ob der Ausdruck Treue als Hechtsbegriff im Zusammenhang mit der Verfassung zeitgemäß und sachgerecht ist. Der Begriff der Treue als Umschreibung für eine bestimmte Bindung ist für sich genommen nach wie vor weder positiv noch negativ zu beurteilen. Im Unterschied zum Gehorsam bedeutet Treue begrifflich erst einmal nur, daß nicht Anordnungen ohne eigenes Ermessen befolgt werden müssen, sondern daß die jeweiligen Interessen nach bestem Wissen und Können gewahrt werden. Dabei ist alles zu unterlassen, was schädlich sein könnte, und alles zu tun, 1 BVerfGE 39, 334 und BAG NJW 1976,1708 (1709); Böttcher, Die politische Treupflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation; Lecheler (1), ZBR 1972, 228 (236); Plümer, NJW 1973, 4 (5). 2 Schmidt, Johann, Politische Betätigungsfreiheit und dienstrechtliche Loyalitätspflicht, S. 55; Azzola / Lautner (1), ZBR 1973, 125. 3 BVerwGE 47, 330 und 47, 365 sowie 52, 313; Stern (1), Zur Verfassungstreue der Beamten, S.13; Maurer, NJW 1972, 601 (602).
2'
20
Erster Teil: Begriffliche Klärung
was förderlich sein kann 4 . Ebenso wie in anderen Rechtsgebieten weiterhin von Treue - etwa im Zivilrecht von Vertragstreue oder Treu und Glauben gesprochen wird, wird der Begriff der Treue auch im heutigen Verfassungsrecht in Art. 5 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 4 GG verwendet. Der Begriff ist daher nicht als überholt anzusehen5. Maßgeblich für die Beurteilung ist dann allein, auf welche Ziele diese Verpflichtung ausgerichtet ist und wie die Ziele zu bewerten sind 6 . Der Mißbrauch des Treuebegriffs im Dritten Reich - von Verfassungstreue war in dieser Zeit ohnehin nicht die Rede - ist dabei wie die mißbräuchliche Verwendung anderer an sich unbedenklicher Begriffe kein Grund, diesen Ausdruck nicht weiter zu gebrauchen. Wenn statt dessen etwa von Loyalität gesprochen wird, würde damit nur ein neuer Ausdruck eingeführt, der für rechtspolitische Diskussionen geeignet sein mag 7 , aber als rechtlich nicht näher bestimmter Begriff neue Auslegungsschwierigkeiten mit sich bringen würde. So w i r d teilweise im Schrifttum Loyalität wohl als gleichwertig mit dem Treuebegriff angesehen8. Das Bundesverwaltungsgericht hält dagegen die Anforderungen an die Loyalität für niedriger 9 , indem es darauf hinweist, daß der Beamte der Regierung nicht Treue, sondern nur Loyalität schulde. Die Begriffsabgrenzung bleibt dabei unklar, so daß der herkömmliche Treuebegriff vorzuziehen ist. ^ Treue bedeutet aber nicht eine umfassende persönliche Bindung. Wie die erwähnte Verwendung des Begriffs in verschiedenen Rechtsgebieten zeigt, ist die Reichweite der Verpflichtung jeweils durchaus begrenzt. Daher ist die Schlußfolgerung nicht überzeugend, daß die Treuepflicht als eine aus dem Lehnsrecht stammende und die gesamte Person einschließende enge Bindung im heutigen demokratischen Rechtsstaat unannehmbar sei 10 . In derart umfassendem Sinne ist die Treuepflicht schon in den Anfängen der Weimarer Republik nicht mehr verstanden worden 11 . Nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik ist diese Bindung unter dem Grundgesetz zwar dahin verstärkt worden, daß die Verfassung nicht nur zu wahren, sondern auch zu verteidigen ist, wie ein Vergleich zwischen den Amtseiden nach Art. 42 der Weimarer Verfassung (WV) und Art. 56 GG beispielhaft zeigt 12 . 4 Laubinger, S. 91 f. unter Hinweis auf die Untersuchung der Treueeide durch Ehrenberg, Commendation und Huldigung nach fränkischem Recht, S. 111 ff. 5 a.A. Schwerdtner, ZRP 1970, 62. 6 Kühnl, Deutschland zwischen Demokratie und Faschismus, S. 19. 7 Quaritsch, Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages, Band II, S. 0 34 (37). 8 Azzola / Lautner (1), S. 125; ebenso wohl BVerfGE 28, 191 (204) „Treue- und Loy alitätsverhältnis ". 9 BVerwGE 47, 330 (336); s. auch BVerfGE 39, 334 (335) - Leitsatz 7 - hinsichtlich Angestellter. 10 Schmitt, Walter Oskar, DVB1. 1966, 6 (8); Wyluda, Lehnrecht und Beamtentum, S. 161. 11 Ebert, Das Recht des öffentlichen Dienstes, S. 498 f.
I. Begriff der Verfassungsee
21
Selbst bei der intensiven Pflichtbindung der Beamten nach Leitsatz 2 der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und ohnehin bei den geringeren Pflichtanforderungen an Angestellte im öffentlichen Dienst nach Leitsatz 7 der Entscheidung 13 kann aber nicht die Rede davon sein, daß hier eine umfassende Bindung vorliegt, die verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Die Treuepflicht bezieht sich außerdem nicht begriffsnotwendig auf eine Person. Schon in der Weimarer Republik ist darauf hingewiesen worden, daß man auch einer Idee, einer Wertordnung Treue halten könne; die Treuepflicht in diesem Sinne besage, daß man den Inhalt der Idee gewissenhaft beobachten und erfüllen wolle 1 4 . Deshalb ist der Einwand, daß man einer Verfassung als einem unpersönlichen Gesetz keine Treue im eigentlichen Sinne schulden könne 15 , nicht überzeugend. Vielmehr macht gerade die Wendung von der früheren personalen Bindung an den Monarchen oder das Staatsoberhaupt zu einer auf die Verfassung bezogenen Verpflichtung die Treuepflicht des öffentlichen Dienstes im demokratischen Staat erst vertretbar, da damit das Eintreten für die vom Volk festgelegten Grundlagen der Verfassung entscheidend wurde. Der Treuebegriff ist nach allem in diesem Zusammenhang weiter verwendbar. 3. Bezogenheit auf die Verfassung
Für den Begriff gerade der Verfassungstreue spricht, daß er sich auf die Verfassung als Grundentscheidung des Volkes bezieht, von dem nach Art. 20 GG alle Staatsgewalt ausgeht. Unter Berücksichtigung der besonderen Entstehungsbedingungen des Grundgesetzes ist jedoch darauf hingewiesen worden, daß der Begriff der Treue zur Verfassung bei dem nach Präambel und Schlußartikel vorläufigen Grundgesetz zu anspruchsvoll sei 16 , wobei außerdem das Zustandekommen und der Fortbestand dieses Grundgesetzes nicht einmal allein in der Entscheidung des Volkes liege. Mit dem verfassungsrechtlich festgelegten, wenn auch wenig hervorgehobenen provisorischen Charakter des Grundgesetzes 17 erscheint dennoch der Begriff der Verfassungstreue vereinbar, weil die Sicherung der freiheitlichen demokrati12
Dürig / Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 184 und 242. 13 BVerfGE 39, 334 (335). 14 Lecheler (1), S. 230; Runge, Politik und Beamtentum im Parteienstaat, S. 42; s. auch Huber (3), Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, S. 1009f. hinsichtlich der Treue in der Monarchie nicht nur gegenüber dem König, sondern auch dem Königtum als Idee und Institution. 15 Röttgen (1), Das deutsche Berufsbeamtentum und die parlamentarische Demokratie, S. 118; Ule (1), Gerichtlicher Rechtsschutz im Beamtenrecht, S. 44. 16 Weber, Werner (2), Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S.15. 17 Ipsen, Hans Peter (1), Über das Grundgesetz, S. 8 ff.
22
Erster Teil: Begriffliche Klärung
sehen Grundordnung als Voraussetzung auch für eine freie gesamtdeutsche Verfassung angesehen wurde, wie die damaligen Erörterungen zu Art. 146 GG zeigen 18 . Im übrigen kann nicht übersehen werden, daß das Grundgesetz mit seinen umfassenden Regelungen entgegen der ursprünglichen Konzeption inzwischen eine vollwertige Verfassung darstellt 19 . Aus der Vorläufigkeit des Provisoriums ist eine Verfassung mit dauerhaftem Geltungsanspruch geworden 20 . Das Grundgesetz hat diesen Geltungsanspruch als Verfassung bereits selbst zum Ausdruck gebracht, indem von Anfang an in Art. 5 Abs. 3 GG von der Treue zur Verfassung die Rede war und z.B. in Art. 21 Abs. 2 GG der Gegenbegriff der Verfassungswidrigkeit verwendet wurde. Bei einer der wesentlichen späteren Änderungen des Grundgesetzes ist dann mit Einführung des Widerstandsrechts in Art. 20 Abs. 4 GG vorausgesetzt worden, daß zunächst die Verteidigung der Verfassung durch den Staat und damit durch seinen öffentlichen Dienst erwartet werden kann 2 1 . Auch von der Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung des Grundgesetzes ist es daher gerechtfertigt, den Begriff der Verfassungstreue des öffentlichen Dienstes zu verwenden. Für den Begriff der Verfassungstreue spricht weiter, daß sich die Pflicht, für die Grundlagen der Verfassung einzutreten, unmittelbar aus der Verfassung und nicht erst aus den beamtenrechtlichen und tarifrechtlichen Bestimmungen ergibt. Die Verpflichtung des öffentlichen Dienstes, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, ist zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz genannt. Für die Beamten w i r d in Art. 33 Abs. 4 GG nur allgemein von einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis gesprochen; für die Angestellten, auf die sich diese Bestimmung nach ganz überwiegender Meinung nicht bezieht 22 , fehlt insoweit jede Aussage im Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht ist aber in seiner Grundsatzentscheidung ähnlich wie schon kurz vorher das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, daß es eine von der Verfassung geforderte und durch das einfache Gesetz nur konkretisierte rechtliche Voraussetzung für den Eintritt in das Beamtenverhältnis ist, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten 23 . Aus der Entscheidung des
18 Herrenchiemseer Konvent, S. 59; Parlamentarischer Rat (1), Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 105; s. auch Art. 7 Abs. 2 Deutschlandvertrag. 19 Schramm, Staatsrecht, Band III, S. 115; Lemke, Aktualisierung der verfassungsgebenden Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 45 ff. (m.w.N.). 20 Ipsen, Hans Peter (2), DÖV 1974, 289 (290); s. auch Verfassungsdebatte des Bundestages, Sten. Berichte 1974, S. 5002 ff. 21 Ipsen, Hans Peter (2), S. 297. 22 von Münch (1), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, Randnr. 32 zu Art. 33 (m.w.N.).
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Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist weiter zu entnehmen, daß sich die - wenn auch geringeren - Anforderungen an die Verfassungstreue der Angestellten letzten Endes ebenfalls aus dem Grundgesetz selbst ergeben 24 . In diesem Sinne ist bereits früher die Bindung des gesamten öffentlichen Dienstes an die Grundordnung als einer der wichtigsten Sätze des materiellen Verfassungsrechts bezeichnet worden 25 . 4. Bestimmtheit der Verfassungstreue
Der Begriff der Verfassungstreue ist dabei nach heutigem rechtsstaatlichen Verständnis allerdings nur unbedenklich, wenn Inhalt und Grenzen deutlich erkennbar sind 2 6 . Dies gilt gerade im Beamtenrecht, das - im Vergleich zum Angestelltenrecht - besonders stark verrechtlicht ist und für eine der Hauptpflichten auf die Bestimmtheit der Anforderungen nicht verzichten kann. Hinsichtlich der Verfassungstreue war es aber z.B. zur Zeit der Reichsverfassung (RV) schwierig, mit wenigen Worten die Grundlagen der Verfassung zu umschreiben 27 . Als Bezugspunkt für die Verfassungstreue ist dagegen heute die freiheitliche demokratische Grundordnung in den beamtenrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich genannt 28 . Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in der eben erwähnten Weise klargestellt, daß sich die Bindung des öffentlichen Dienstes an die Grundordnung bereits aus dem Grundgesetz selbst ergibt. Auch wenn sonst im Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 GG von Treue zur Verfassung die Rede ist, ist als Maßstab die freiheitliche demokratische Grundordnung gemeint 29 . Die Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes ist im wesentlichen mit dem Katalog der Prinzipien konkret umschrieben worden, die das Bundesverfassungsgericht in den Parteiverbotsentscheidungen aus den Jahren 1952 und 1956 30 genannt hat und auf die es seitdem ständig verwiesen hat 3 1 . Diese Auslegung der Grundordnung ist in der höchstrichter23 BVerfGE 39, 334 (335) - Leitsatz 4 - (unter Berufung auf Art. 33 Abs. 5 GG); BVerwGE 47, 330 (334) (unter Berufung auf Art. 33 Abs. 2 GG). 24 BVerfGE 39, 334 (335) - Leitsatz 7 daran anknüpfend BAG NJW 1976, 1708 (1709) (unter Berufung auf Art. 33 Abs. 2 GG). 25 Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, S. 77 und 81. 26 Thieme (2), Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages, Band I, S. D 13 und 24 f. 27 Piloty, AöR 33 (1915), 1 (23). 28 § 7 Abs. 1 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 BBG und übereinstimmend die Landesbeamtengesetze im Anschluß an § 4 Abs. 1 Nr.2 und § 35 Satz 2 BRRG. 29 Toews, Berufung und politische Treuepflicht, S. 397 (403); Scheuner (1), S. 78f.; ebenso BVerwGE 52, 313 (332f.). 30 BVerfGE 2, 1 (13) und 5, 85 (140). 31 Nachweise bei Ruland, Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 10 f.
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liehen Rechtsprechung übereinstimmend die Grundlage für Inhalt und Grenzen der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst 32 . Problematisch ist allerdings die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die Treuepflicht gebiete es, die gesamte Verfassungsordnung - auch soweit sie im Wege der Verfassungsänderung veränderbar ist - zu bejahen 33 ; dies würde weit über die Grundordnung hinausreichen. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, daß die Verfassungstreue kein Bekenntnis zu allen Bestimmungen der Verfassung oder sogar zu allen Gesetzen verlange 34 . Hier wird besonders deutlich, daß zwischen einem auf die Grundlagen der Verfassung bezogenen Begriff der Verfassungstreue und einem weiter verstandenen Treuebegriff zu unterscheiden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat an der eben genannten Stelle in diesem weiteren Sinne von der „besonderen politischen Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung" gesprochen, die es dem Beamten gebiete, „den Staat und seine geltende Verfassungsordnung zu bejahen" 35 . Deshalb ist es geboten, den Begriff der Verfassungstreue gegenüber dem Begriff der politischen Treuepflicht abzugrenzen und dann noch gesondert auf die Bedeutung der vom Bundesverfassungsgericht wiederholt genannten Treue zum Staat und seiner Verfassung näher einzugehen. 5. Mehrdeutigkeit der politischen Treuepflicht
Bei der schon früher verbreiteten Ausdrucksweise, von politischer Treuepflicht 3 6 zu reden, ist zweifelhaft, ob dabei nicht unterschiedliche Auslegungen möglich sind und die Treuepflicht ausgeweitet wird. Im Parteienstaat des Grundgesetzes 37 könnte die politische Treuepflicht so verstanden werden, daß damit eine parteipolitische Festlegung gemeint ist. Auch ohne ausdrückliche Regelung im Grundgesetz gilt aber weiterhin die früher in Art. 130 Satz 1 WV enthaltene und jetzt z.B. in Art. 58 der Hamburgischen Verfassung (HV) 3 8 übernommene Aussage, daß der öffentliche Dienst nicht einer Partei, sondern der Gesamtheit dient. Dieser verfassungsrechtliche Grundsatz w i r d im geltenden Beamtenrecht des Bundes und der Länder inhaltlich wiederholt 39 . Damit ist eine Bindung der Verwaltung an eine Partei ausgeschlossen40. 32 BVerwGE 47, 330 (335); BAG NJW 1976, 1708 (1710) (auch zum Zusammenhang von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 21 Abs. 2 GG). 33 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 2 - . 34 BVerwGE 47, 330 (336); ebenso Ule (3), Öffentlicher Dienst, S. 603. 3 5 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 1 und 2 36 Nachweise bei Wiese (1), S. 133. 37 Leibholz (2), Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff. 38 HmbGVBl. 1952, 117 und Sammlung des bereinigten hamburgischen Landesrechts 1100-a.
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Die politische Treuepflicht gegenüber der Gesamtheit könnte dann bedeuten, daß der öffentliche Dienst sich in der parlamentarischen Demokratie für die Politik der Regierung einzusetzen hat, die von den Regierungsparteien getragen wird und den demokratisch gebildeten Willen der Gesamtheit verwirklicht. Zwar ist als selbstverständlich anerkannt, daß die Aufgaben und Tätigkeiten der Verwaltung jeweils durch Regierung und Parlamentsmehrheit bestimmt werden 41 . Dies führt jedoch für den öffentlichen Dienst gegenüber den wechselnden politischen Konstellationen nicht zu einer regierungspolitischen Treuepflicht 42 , die ein Eintreten für die jeweiligen politischen Ziele verlangen würde. Weiter käme in Betracht, die politische Treuepflicht in einem allgemeineren Sinne als staatspolitische Treuepflicht 43 oder als Verpflichtung zum Eintreten für die Staatsordnung des Grundgesetzes 44 zu verstehen. Das Grundgesetz legt jedoch gerade keine umfassende Staatsordnung fest, sondern läßt Raum für verschiedene Abwandlungen im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; dementsprechend können unterschiedliche politische Programme verwirklicht werden, wie das Bundesverfassungsgericht frühzeitig betont hat 4 5 . Daher besteht auch keine staatspolitische Treuepflicht in der Weise, daß sich der Dienst der Verwaltung auf die jeweilige gesamte staatliche Ordnung 46 bezieht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß wiederholt den Begriff der Staats- und Verfassungstreue verwandt und erläutert hat 4 7 , ist auf die damit verbundene Problematik nachstehend noch besonders einzugehen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber selbst jedenfalls nicht nur von einer Staatstreue des öffentlichen Dienstes gesprochen. Bei einer sinnvollen Verwendung des Begriffs der politischen Treuepflicht verbliebe danach die Möglichkeit, eine Verpflichtung zu allgemeiner politischer Anteilnahme des öffentlichen Dienstes für richtig zu halten, aus der die im Interesse der Allgemeinheit jeweils angemessenen Folgerungen zu ziehen wären. Die Entwicklung zum Versorgungs- und Planungsstaat mit weitreichenden Auswirkungen der Verwaltungstätigkeit auf die Allgemeinheit hat dazu geführt, daß die Verwaltung nicht unpolitisch arbeiten kann 39 § 52 Abs. 1 Satz 1 BBG, § 35 Abs. 1 Satz 1 BRRG und entsprechend die Landesbeamtengesetze, z.B. § 57 Abs. 1 Satz 1 HmbBG. 40 Ule (3), S. 541 f. und 651 f. 41 Scheuner (1), S. 73. 42 Röttgen (5), DÖV 1953, 321; ebenso BVerfGE 39, 334 (347) und BVerwGE 47, 330 (336). 43 Fischbach (4), Verhandlungen des 39. Deutschen Juris tent ages, S. D 33 (89); Grewe (3), S. D 146 (154). 44 Plümer, S. 5. 45 BVerfGE 3, 58 (118). 4 ® Böttcher, S. 121. 47 BVerfGE 39, 334 (348).
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und soll 48 . Jedenfalls in den leitenden Stellen ist über die fachliche Befähigung hinaus politische Informiertheit erforderlich, da nur bei genügender Kenntnis des politisch Notwendigen und Möglichen neben dem Gesetzesvollzug neue Vorhaben vorbereitet werden können 49 . Eine derartige Verpflichtung zu politischem Verhalten für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes, deren Treuepflicht sich nur auf die Grundlagen der Verfassung bezieht, wäre aber sehr weitreichend. Politisches Verhalten ist damit umschrieben worden, daß der Staat in seiner Tätigkeit von bestimmten wertbetonten, von den Parteien vertretenen Zielvorstellungen über die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens geleitet wird 5 0 . Diese Umschreibung deutet zwar in die zutreffende Richtung, daß das Grundgesetz sich für eine wertorientierte verbindliche Grundordnung entschieden hat 5 1 , für die der öffentliche Dienst einzutreten hat. Die Grundlage der politischen Zielvorstellungen der Verwaltung und der Inhalt der politischen Treuepflicht jedes einzelnen Bediensteten läßt sich jedoch bei einer derart allgemein gehaltenen Definition des Politischen, bei der wieder die wechselnden parteipolitischen Richtungen als maßgeblich und verbindlich ausgegeben werden könnten, nicht feststellen 52 . Der Begriff der politischen Treuepflicht ist demnach aus sich heraus so unklar und vieldeutig, daß er jedenfalls dann nicht verwendet werden sollte, wenn der konkrete Begriff der Verfassungstreue seit der Zeit des Konstitutionalismus anwendbar ist. Für die Zeitabschnitte, in denen sich die Treuepflicht nicht auf eine Verfassung und deren Grundlagen bezieht, verbleibt der Begriff der politischen Treuepflicht mangels eines besseren Ausdrucks, bedarf dann aber jeweils der Konkretisierung.
6. Bedeutung der Staats- und Verfassungstreue Das Bundesverfassungsgericht hat dennoch an dem Begriff der politischen Treuepflicht als Kern der traditionellen Treuepflicht des Beamten nach Art. 33 Abs. 5 GG festgehalten und dabei die politische Treuepflicht zusammenfassend als „Staats- und Verfassungstreue" bezeichnet 53 . Klärungsbedürftig ist damit, welche Bedeutung dem zusätzlichen Hinweis auf den Staat neben der Verfassung als Gegenstand der Treuepflicht zukommt. Es ist jedenfalls auffällig, daß in den Leitsätzen und in der Begründung 48
Dernietzel, Freiheitsrechte und deutsches Beamtenverhältnis, S. 215 ff. Berg, MDR 1973, 185 (187). so Menzel, DÖV 1970, 433 (438). 51 Preuß, Gesellschaftliche Bedingungen der Legalität, S. 25 (m.w.N.). 52 s. auch Thieme (5), Verwaltung und Gesellschaft, S. 3, Randnr. 1107. 58 BVerfGE 39, 334 (348).
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ständig von Staat und Verfassung, dem Staat und seiner Verfassungsordnung usw. und nur gelegentlich allein von Verfassungstreue 54 gesprochen wird. Allerdings ist an keiner Stelle gesondert von Staatstreue die Rede, so daß das Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht von einer selbständigen Treue gegenüber dem Staat getrennt von der Verfassungstreue ausgeht. Es bleibt aber die Frage offen, warum das Bundesverfassungsgericht nicht durchgängig nur den Begriff der Verfassungstreue verwendet und derart betont immer wieder auf den Staat verweist. Dazu ist kritisch bemerkt worden, daß diese Ausdrucksweise zu einer Ausweitung der Anforderungen an die Verfassungstreue führen kann, die dann nur noch ein Teil der politischen Treuepflicht ist 5 5 . Die zusätzlich geforderte Bindung an den Staat nähert sich dabei sogar einer Regierungstreue an 5 6 , da das Bundesverfassungsgericht unter „Staat" in erster Linie „hier konkreter jede verfassungsmäßige Regierung" versteht 57 . Für eine Ausweitung spricht jedenfalls, daß der Beamte aufgrund der Treuepflicht nicht nur für die Grundlagen der Verfassung eintreten solle, sondern ausdrücklich alle bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften zu beachten und erfüllen habe 58 . Später wird dann zwar die freiheitliche demokratische Grundordnung als wesentliches Kriterium im Rahmen der politischen Treuepflicht genannt 59 . In der Begründung wird aber behauptet, daß die verfassungs- und beamtenrechtliche Verpflichtung auf die Grundordnung „genau den Inhalt" habe, der hinsichtlich der gesamten politischen Treuepflicht vorher umfänglich und extensiv beschrieben worden ist 6 0 . Infolgedessen liegt die Annahme nahe, daß sich die politische Treuepflicht auf den Staat an sich 6 1 beziehen soll. In diesen Zusammenhang fügt sich auch ein, daß das Bundesverfassungsgericht als „Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll", nicht schlicht die freiheitliche demokratische Grundordnung nennt, sondern die „freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung dieses Staates" 62 . Dies erinnert daran, daß das Bundesverfassungsgericht bei den verschiedenen Umschreibungen der Grundordnung in seinen Entscheidungen wiederholt von der „freiheitlichen demokratischen Staats- und Verfassungsordnung" spricht 6 3 ; bei dieser uneinheitlichen Terminologie zeigt sich erneut die Nei54 55 56 57
58 59 60 61 62 63
BVerfGE 39, 334 (353, 359, 370). Denninger (1), Freiheitliche demokratische Grundordnung, Band I, S. 12 f. Hoffmann-Riem (2), Zur Definitionsherrschaft über Radikalität, S. 370 (371). BVerfGE 39, 334 (349). BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 2 - . BVerfGE 39, 334 (335) - Leitsatz 4 - . BVerfGE 39, 334 (352). Ule (3), S. 652. BVerfGE 39, 334 (347 f.). Nachweise bei Ruland, S. 10 f.
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gung des Gerichts zu einer betonten Staatsbezogenheit. Dem Bundesverfassungsgericht ist daher entgegengehalten worden, daß dieses Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in unmittelbare Nähe zur traditionellen Staatsräson gerät 64 . Diese Tendenz ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Es fällt auf, daß sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß zur traditionellen Treuepflicht des Beamten für die Zeit der Weimarer Republik auf Röttgen und Gerber beruft 6 5 . Beide sind dadurch hervorgetreten, daß sie eine innere Bindung an die Staatsidee verlangten. Röttgen bedauerte dabei, daß die republikanische Eidesformel die Beamten nur zur Beobachtung einer „toten Verfassung" verpflichte und deshalb der unmittelbare Konnex mit dem Staat weitgehend verlorengegangen sei 66 . Gerber sprach sich für einen dem Zugriff der Parteien entzogenen öffentlichen Dienst aus, wobei die Beamtenschaft als „großer Orden" eine „neue Ritterschaft des Staates" werden sollte 67 . Auf die Vertreter der Gegenposition wie Kelsen, Thoma, Laun und Heller, die sich gegen ein verselbständigtes Beamtentum und für eine angemessene Einbeziehung in den demokratischen Parteienstaat einsetzten 68 , geht das Bundesverfassungsgericht dagegen nicht ein. Dies könnte zu der Deutung führen, daß auch bei der heutigen Verfassungsrechtslage in einer freiheitlichen Demokratie im Sinne des Grundgesetzes noch eine besondere Treuepflicht des öffentlichen Dienstes gegenüber einem Staat verlangt würde, der als unabhängige Überpersönlichkeit, als Wirklichkeit einer sittlichen Idee verstanden würde. Diesem Staatsverständnis ist u.a. der frühere Bundespräsident Scheel entgegengetreten, indem er hervorgehoben hat: „Unbezweifelbar ist es eine Errungenschaft der freiheitlichen Demokratie, den Staat ideologiefrei zu betrachten, in ihm nicht den Träger einer metaphysisch verbrämten Hoheit zu sehen, sondern schlicht ein organisiertes Gemeinwesen, dessen Rechte und Aufgaben durch die Verfassung abgegrenzt werden 69 ." Bei einem demokratischen Staatsverständnis im Sinne des Schlagwortes „Der Staat sind w i r " ist demnach der Beamte nicht zur Treue gegenüber einer abstrakten Staatsidee, sondern konkret gegenüber der Gesamtheit der Bürger im Rahmen der Verfassung und ihrer Grundordnung verpflichtet 70 . 64
Gusy, AöR 105 (1980), 279 (300); Bulla, AöR 98 (1973), 340 (357ff.), es BVerfGE 39, 334 (347). 66 Röttgen (1), S. 76ff., 117, 119. e? Gerber (1), AöR 18 (1930), 1 (32). 68 Runge, S. 255 f. 69 Scheel, Der öffentliche Dienst in der freiheitlichen Demokratie, Bulletin der Bundesregierung 1975, S. 225; s. auch Dahrendorf, Die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, S. 8 und passim. 70 Rimminich (2), Extremisten im öffentlichen Dienst, S. 348 (354, 358).
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Damit wird angeknüpft an Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs eines Grundgesetzes durch den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen 7 1 ." Dieses bürgerbezogene Staatsverständnis wird auch in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, da der moderne Verwaltungsstaat für ein „menschenwürdiges Leben der Gruppen, Minderheiten und jedes Einzelnen" durch eine ihm verbundene Beamtenschaft Vorsorgen müsse; darauf sei „die Gesellschaft und ihr Staat" angewiesen, wobei der Staat hier nicht nur jede verfassungsmäßige Regierung, sondern gerade auch „die Bürger" insgesamt umfasse 72. Damit wird zugleich auf eine Staatszielbestimmung verwiesen, die sich auf das Wohl der Allgemeinheit im sozialen Rechtsstaat bezieht, ohne aber auf die frühere Lehre vom Staatszweck als einer vorgegebenen Ordnung aufzubauen 73 . Vielmehr wird das Gemeinwohl in der pluralistischen Demokratie nicht als etwas Fertiges, sondern als Ergebnis der politischen Auseinandersetzungen angesehen, bei der ein Interessenausgleich notwendig ist, um Chancengleichheit und Verfahrensgerechtigkeit zu gewährleisten 74 . Diese Ausgleichsfunktion des Staates ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wiederholt zum Ausdruck gekommen; dabei ist vorausgesetzt worden, daß die bestehende soziale und politische Ordnung im Rahmen der Grundordnung der Verfassung weitgehend veränderbar und nicht wie im totalen Staat auf eine bestimmte Ordnung festgelegt ist 7 5 . Im pluralistischen Staat wird dann das Berufsbeamtentum als eine Institution bezeichnet, die „einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen soll" 7 6 . Bei einem derartigen Verständnis des Staates und der Stellung des öffentlichen Dienstes verringern sich zwar die Bedenken gegen die betonte Bindung des öffentlichen Dienstes an den Staat in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wesentlich für die politische Treuepflicht ist dann die Verpflichtung des öffentlichen Dienstes auf das Gemeinwohl. Dies würde aber immer noch bedeuten, daß der Beamte nicht nur für die Grundlagen der Verfassung, sondern allgemein für das Wohl des Staates und seiner Bürger einzutreten hat. Daher ist zu fragen, ob diese Ergänzung der Verfassungstreue zur Staats- und Verfassungstreue notwendig und sachgerecht ist. 71
Herrenchiemseer Konvent, S. 61. BVerfGE 39, 334 (347, 349). 73 Scheuner (3), Staatszielbestimmungen, S. 325 (343). 74 Zippelius, Die Rolle der Bürokratie im pluralistischen Staat, S. 217 (218). 75 Badura, Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, S . l (6f.). 76 BVerfGE 7, 155 (162). 72
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Die Verpflichtung des Beamten, der Gesamtheit und dem Gemeinwohl zu dienen, ist allerdings unbestritten. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt wurde, war in Art. 130 Abs. 1 WV der Satz enthalten, daß der Beamte der Gesamtheit dient. Dieses schon vor der Weimarer Zeit traditionelle Verständnis des öffentlichen Dienstes bringt eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck 77 . Der Zusammenhang zwischen Staatsdienst und Dienst an der Gesamtheit ist auch heute ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, wie der schon genannte Art. 58 HV beispielhaft zeigt: „Wer im Dienste der Freien und Hansestadt Hamburg steht, dient der Gesamtheit 78 ." Die so verstandene Staatstreue wird beamtenrechtlich in § 52 BBG sowie in § 35 Abs. 1 BRRG und ihm folgend in den Landesbeamtengesetzen wie z.B. in § 57 HmbBG näher umschrieben mit der Verpflichtung, dem ganzen Volk zu dienen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Anschließend wird getrennt davon bestimmt, daß der Beamte für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten hat. Diese Pflichten sind demnach schon von ihrer Rechtsgrundlage her nicht identisch, sondern stehen nebeneinander. Sie haben sich aus dem Wesen des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtlichem Dienst- und Treueverhältnis als unterschiedliche Dienstpflichten ergeben 79 . Dieser Ausgangspunkt findet sich zwar auch in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach sich aus der einen umfassenden Treuepflicht, auf die Art. 33 Abs. 4 GG Bezug nimmt, verschiedene konkretere Beamtenpflichten entwickelt haben; als Kern der Treuepflicht wird dann aber undifferenziert die politische Treuepflicht als zusammenfassender Begriff für Staats- und Verfassungstreue genannt 80 . Dabei wird nicht genügend berücksichtigt, daß die Staatstreue im Sinne einer Gemeinwohlverpflichtung und die Verfassungstreue als Bindung an die Grundordnung nicht nur äußerlich in den genannten Bestimmungen nebeneinander stehen, sondern sich auch inhaltlich unterscheiden. Zunächst steht bei der Gemeinwohlverpflichtung als Staatszielbestimmung das Sozialstaatsprinzip im Mittelpunkt 8 1 , das bei der für die Verfassungstreue entscheidenden Grundordnung nur als zusätzliches Element vom Bundesverfassungsgericht 82 genannt und dann auch im Schrifttum 8 3 lediglich als Ergänzung angesehen worden ist. Außerdem bestehen zwischen der 77
Anschütz (2), Die Verfassung des Deutschen Reichs, Anm. 1 zu Art. 130 WV. HmbGVBl. 1952, 117. 79 Ule (6), Beamtenrecht, Randnr. 2 zu § 2 BRRG und Randnrn. 2 und 3 zu § 35 BRRG. 80 BVerfGE 39, 334 (346f.). 81 Scheuner (3), S. 328f.; Ipsen, Hans Peter (1), S.14. 82 BVerfGE 5, 85 (198, 206). 83 Lautner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, S. 5 und 61 f. (m.w.N.). 78
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Gemeinwohlverpflichtung und der Verfassungstreue auch erhebliche strukturelle Unterschiede. Bei der Verwirklichung des Gemeinwohls ist, wie bereits erwähnt wurde, kein bestimmtes Ergebnis vorgegeben. Vielmehr kann der Gemeinwohlbegriff inhaltlich unterschiedlich unter Berücksichtigung und Ausgleichung möglichst vieler Interessen von der Verwaltung ausgefüllt werden; die Gemeinwohlidee ist damit Ausdruck des Pluralismus 84 . Das Bundesverfassungsgericht hatte in diesem Sinne schon in seiner früheren Rechtsprechimg freiheitliche Demokratie, Rechts- und Sozialstaat auf den gemeinsamen Nenner eines prozessualen, pluralistischen Gemeinwohlverständnisses gebracht 85 und dabei die Zustimmung des Schrifttums gefunden 86 . Es ist nicht ersichtlich, daß das Gericht hiervon in seiner Grundsatzentscheidung über die politische Treuepflicht abweichen wollte 8 7 . Im Unterschied zu dieser weitgefaßten, ergebnisoffenen Zielbestimmung der Staatstreue als Gemeinwohlverpflichtung bezieht sich die Verfassungstreue auf die freiheitliche demokratische Grundordnung mit ihren Grundprinzipien, die als absolute Werte anerkannt und aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen herausgenommen sind 88 . Die Verfassungstreue ist auf den Einsatz für diese unabdingbaren Grundprinzipien beschränkt und betrifft nicht die soziale Struktur wie die Gemeinwohlidee 89 . Der Gegensatz zur Verfassungstreue ist daher die Verfassungsfeindlichkeit, während der Gegensatz zur Staatstreue als Gemeinwohlverpflichtung die Parteilichkeit ist 9 0 , die u.a. in einem Verstoß gegen die beamtenrechtlich gesondert geregelte Pflicht zur Zurückhaltung 9 1 aufgrund der dort ausdrücklich genannten Stellung des Beamten „gegenüber der Gesamtheit" bestehen kann. Zwischen Staats- und Verfassungstreue läßt sich also durchaus formal und inhaltlich differenzieren. Der Zusammenhang zwischen beiden besteht darin, daß erst einmal die Verfassungstreue als unverzichtbare Grundvoraussetzung gegeben sein muß, auf die dann die weitgefaßte Staatstreue bei der Verwirklichung des Gemeinwohls im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften 92 aufbauen kann. Diese Reihenfolge läßt sich nicht umkehren, auch wenn bei den Beamtenpflichten in § 52 BBG und § 35 BRRG zuerst die Gemeinwohlverpflichtung und dann die m 85 86 87 88 89
Thieme (5), S. 3 f. BVerfGE 5, 85 (198f.). Häberle, AöR 95 (1970), 86 (262) m.w.N. a.A. Denninger (1), S. 12 f. BVerfGE 5, 85 (139). BVerwGE 47, 330 (336). 90 Ule (6), Randnr. 2 zu § 2 BRRG und Randnrn. 2 und 3 zu § 35 BRRG. 91 § 53 BBG, § 35 Abs. 2 BRRG und dementsprechend die Landesbeamtengesetze wie z.B. § 58 HmbBG. 92 BVerfGE 39, 334 (348).
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Bindung an die freiheitliche demokratische Grundordnung genannt wird. Bei den Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis wird aber vorher in § 7 BBG und § 4 BRRG zutreffend die Gewähr für die Verfassungstreue als die entscheidende Anforderung genannt, von der es - anders als von den übrigen Voraussetzungen - keine Ausnahme gibt, während die Gemeinwohlverpflichtung dort nicht besonders erwähnt wird. Bei diesen Unterschieden ist es nicht angebracht, die Verfassungstreue zu ergänzen und auszuweiten um die Gemeinwohlverpflichtung, die an anderer Stelle unter den einzelnen beamtlichen Treuepflichten ihre Bedeutung hat. Es hat aber den Anschein, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß die Bindung des Beamten an den Staat im Sinne der Gemeinwohlverpflichtung mit herangezogen hat, um die Einschränkung von Grundrechten des Beamten aus Art. 5 und auch aus Art. 2, Art. 3, Art. 8 und Art. 9 GG bis hin zur Beschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG zu rechtfertigen 93 . Gleich zu Beginn der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts wird der Feststellung, daß der Beamte zugleich als Bürger seine Grundrechte gegen den Staat geltend machen könne, die Aussage entgegengestellt, daß der Beamte im Staat stehe und deshalb mit besonderen Pflichten gegenüber dem Staat belastet sei. Hier wird deutlich, daß die Auffassung vom Verhältnis Bürger-Staat und Beamter-Staat nicht nur von theoretischer Bedeutung ist, sondern sich bei den Anforderungen an die Treue des Beamten auswirkt 9 4 . Der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist entgegenzuhalten, daß der für die Staatstreue wesentliche Gemeinwohlvorbehalt keine Grundrechtsschranke darstellt; dazu ist die Gemeinwohlpflichtigkeit viel zu unbestimmt 9 5 . Der Gemeinwohlvorbehalt enthält auch dann keine verfassungsrechtlich vertretbare Grundrechtsschranke, wenn man ihn auf die unerläßlichen Forderungen des Gemeinwohls begrenzt. Gerade bei der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit oder Nützlichkeit für das Gemeinwohl nicht als Grundlage für Berufsbeschränkungen, sondern als deren Begrenzung angesehen96. Die Grundlagen für die Grundrechtseinschränkungen einschließlich der Berufsfreiheit müssen vielmehr konkret von der Verfassung oder im betreffenden Gesetz festgelegt sein. Daher ist es notwendig und ausreichend, sich hier auf die Eignungsanforderungen für den öffentlichen Dienst nach Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit den Beamtengesetzen zu beziehen, wie es das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesarbeitsgericht in ihren Entscheidungen zur Verfassungs93 94 95 96
BVerfGE 39, 334 (366ff.). Denninger (2), S. 26. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S.19. Bettermann, S. 17.
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treue getan haben 97 . Maßstab für die Abwägung ist dann wieder allein die freiheitliche demokratische Grundordnung als Gegenstand und Inhalt der Verfassungstreue 98. Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen unnötigerweise die Staatsbezogenheit und Gemeinwohlverpflichtung des Beamtentums als Kriterium für die Grundrechtseinschränkung mitverwendet. Dies spricht zusätzlich gegen die Ausweitung der Verf assungstreue zu einer politischen Treuepflicht der Beamten als Staats- und Verfassungstreue. Für die Erweiterung der Verfassungstreue um die Staatstreue könnte schließlich noch angeführt werden, daß ein Schutzgut der Verfassung neben der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder und damit die Staatlichkeit der Bundesrepublik ist 9 9 . Daß sich die Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht gegen den Bestand des Staates wenden dürfen, ist aber ersichtlich so selbstverständlich, daß dies nicht einmal unter den Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis z.B. in § 7 BBG und bei den Pflichten des Beamten z.B. nach § 52 BBG genannt wird. Erst bei den Ruhestandsbeamten und Beamten mit Versorgungsbezügen hat der Gesetzgeber diese Frage als regelungsbedürftig angesehen; neben der Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gilt gem. § 77 Abs. 2 Nr. 2 BBG und § 35 Abs. 1 Satz 3, § 45 Abs. 2 BRRG sowie den entsprechenden Landesbeamtengesetzen als Dienstvergehen, sich gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in bestimmter Weise zu wenden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzbeschluß auf diese zusätzliche Treuepflicht hingewiesen 100 und daraus den allgemeinen Schluß gezogen, daß es für jedes Beamtenverhältnis einen Verstoß gegen die Treuepflicht bedeute, an Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland teilzunehmen 101 . Das Gericht unterscheidet dabei wiederum nicht deutlich zwischen der Verfassungstreue und dieser Staatstreue, sondern ordnet Bestrebungen gegen den Bestand und die Sicherheit des Staates den Verstößen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu; die Gewähr, jederzeit für die Grundordnung einzutreten, biete nach seiner Meinung u. a. der Beamte nicht, der an derartigen Bestrebungen teilnehme. Mit anderem Ansatz, aber demselben Ergebnis hatte das Bundesverfassungsgericht früher angenommen, zum Bestand der Bundesrepublik gehöre auch die freiheitliche demokratische Grundordnung 1 0 2 ; konsequenterweise würde dann die Verfassungstreue sogar ein Unterfall der Staatstreue. 97
BVerwGE 47, 330 (336f.); BAG NJW 1976, 1708. Denninger (2), S. 26. 99 Klein (3), S. 61 f. und 111 - Leitsatz 1 - . 100 BVerfGE 39, 334 (350 f.). 98
101
BVerfGE 39, 334 (355). 102 BVerfGE 20, 162 (178). 3 Schräder
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Demgegenüber ist erneut daran festzuhalten, daß die Verfassungstreue das entscheidende Element der Treuepflicht des öffentlichen Dienstes unter der Geltung des Grundgesetzes ist. Der Nebenaspekt des Bestandsschutzes der Staatlichkeit von Bund und Ländern rechtfertigt es nicht, von Staatsund Verfassungstreue zu sprechen, da dann die Gewichtung allzuleicht auf die Staatstreue mit weitergehenden Einschränkungen verlagert werden kann. Die Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß das Gericht den Staat mit der Verfassung identifiziere 103 , sind nach allem nicht ganz abwegig. Diese Folgerungen werden nur vermieden, wenn die Staatstreue als integrales Element der Verfassungstreue und nicht umgekehrt angesehen wird. Damit wird anerkannt, daß es auch der Zweck der Verfassung ist, im Interesse der Bürger für eine funktionierende Staatlichkeit zu sorgen, da sonst die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht sicher zu erhalten ist 1 0 4 . Dies gilt im übrigen nicht erst seit dem Grundgesetz, sondern für jeden konstitutionellen Staat. Da die Verfassung kein Eigenleben unabhängig vom Staat führen kann, ist sie auf den Bestand des Staates angewiesen; ohne faktische staatliche Substanz bleibt sie sonst - wie die Frankfurter Reichsverfassung - eine wirkungslose Erscheinung der Normativität. Für den Staat, der als Herrschaftsordnung auf der Verbindung des Faktischen und des Normativen beruht, ist aber wiederum die staatsbestimmende Idee als legitimierendes Prinzip entscheidend 105 . Diese bestimmende Idee, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung vielfach gewandelt hat, ist im Verfassungsstaat nicht die Staatsbezogenheit als selbständiges und vorrangiges Element, sondern die Grundordnung der jeweiligen Verfassung. Unbeschadet der Notwendigkeit und Bedeutung der Staatlichkeit gilt insoweit der Satz: „Der Verfassungsstaat hat keine andere Raison als seine Verfassung 1 0 6 ." Im Begriff des Verfassungsstaates wird damit zugleich angemessen zum Ausdruck gebracht, daß nicht der Staat als solcher, sondern der Staat „ i n seiner freiheitlichen demokratischen Verfaßtheit" 1 0 7 das Schutzgut der Treuepflicht des öffentlichen Dienstes ist. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dies am Ende seiner Begründung zur Treuepflicht als die ratio des verfassungsrechtlichen Grundsatzes für die Bindung des Beamten gegenüber dem freiheitlichen demokratischen Staat und verwendet 103
Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 205. Klein (1), Bundesverfassungsgericht und Staatsraison, S. 33. 105 Huber (3) Band III, S. 678ff.; s. auch Scheuner (4) und Maihofer zur Legitimation des modernen Staates, Vortragsbesprechung von Wyduckel, NJW 1981, 28f. !06 Arndt, Adolf, NJW 1961, 897 (899). 107 BVerfGE 39, 334 (358). 104
I. Begriff der Verfassungstreue
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anschließend selbst den Begriff des Verfassungsstaats 108 , den auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang für richtig hält 1 0 9 . Unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur freiheitlichen demokratischen Grundordnimg ist es dann aber sachgerecht und geboten, unmißverständlich nur die Verfassung als Bezugspunkt der Treuepflicht im öffentlichen Dienst zu nennen und - mit den Worten des Grundgesetzes in Art. 5 Abs. 3 GG - von Treue zur Verfassung oder kurz Verfassungstreue zu sprechen 110 . Im Sinne einer klaren rechtlichen Abgrenzung wird es deshalb für zutreffend gehalten, auch den vielfältig ausdeutbaren und ausweitbaren Begriff der Staats- und Verfassungstreue zu vermeiden und wie das Bundesverwaltungsgericht vor und nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts lediglich den Begriff der Verfassungstreue zu verwenden 111 . Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Ausdrucksweise in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchsetzt, wie dies bereits bei einer der abweichenden Meinungen zu dem Grundsatzbeschluß geschehen ist 1 1 2 . Das Gericht könnte und sollte diese Begriffsverwendung im Ergebnis schon deshalb übernehmen, weil es bei der Entscheidung über die Ablehnung von Bewerbern oder über Dienstvergehen von Beamten letzten Endes nur auf deren Verhaltensweise gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ankommt 1 1 3 und nicht auf weitere Elemente. Der Begriff der Verfassungstreue kann demnach die grundlegende Verpflichtung des öffentlichen Dienstes am ehesten kennzeichnen. Er bezieht sich nicht auf die jeweilige gesamte Staatsordnung, die Regierung, die politischen Parteien, die Gesellschaft, das Gemeinwohl oder sonstige weitgefaßte, veränderbare Bereiche, sondern auf die unabänderlichen Grundlagen der Verfassungsordnung. Gegenüber den Bezeichnungen als politische Treuepflicht oder auch als Staats- und Verfassungstreue, die zu Fehldeutungen führen können, umschreibt der aus dem Grundgesetz abgeleitete und auf das Grundgesetz bezogene Begriff der Verfassungstreue zutreffend die Bindung des öffentlichen Dienstes an die freiheitliche demokratische Grundordnung als Voraussetzung für eine verfassungsgemäße Aufgabenerfüllung. Zugleich ist damit schon bei der Begriffsverwendung klargestellt, daß sich die Treueanforderungen an den öffentlichen Dienst auf diesen 108 BVerfGE 39, 334 (359). 109 BVerwGE 47, 330 (334). 110 Stern (1), S. 13. 111 BVerwGE 47, 330 (336) und 52, 313 (insbes. 321ff.); s. auch BAG NJW 1976, 1708. 112 Wand in BVerfGE 39, 334 (386ff.); s. inzwischen auch den Beschluß des Dreierausschusses des BVerfG DVB1. 1981, 1053 mit Verwendung nur des Begriffs der Verfassungstreue. 113 BVerfGE 39, 334 (349 f.). 3-
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Kernbereich beschränken, wie es einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit soviel Freiheit wie möglich und soviel Bindung wie nötig entspricht.
Π. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit 1. Verwendbarkeit des Begriffs
Als Gegensatz zur Verfassungstreue liegt der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit nahe. Um die damit leicht verbundene Emotionalisierung 1 zu vermeiden, würde an sich der Begriff der Verfassungsgegnerschaft ausreichen, um das Gemeinte zu kennzeichnen. Außer einer gelegentlichen Verwendung der Bezeichnung Verfassungsgegner 2 hat sich dieser Begriff aber nicht durchgesetzt. Statt dessen ist der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit schon vor der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 3 seit langem im Schrifttum 4 und in der Rechtsprechung auch außerhalb des Verfassungs- und Verwaltungsrechts 5 üblich. Allgemein wurde er seit der Verwendung im Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972 6 von Befürwortern 7 und Kritikern 8 des Beschlusses übernommen. An der Bezeichnung hat sich auch nichts geändert, seit der Ministerpräsidentenbeschluß durch die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im wesentlichen obsolet 9 und ζ. B. für den Bereich des Bundes durch die Grundsätze der Bundesregierung für die Prüfung der Verfassungstreue gegenstandslos wurde 1 0 . Der Begriff wird dabei als Kurzform für die - mehr oder minder intensive - Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Unvereinbarkeit 1 1 mit der Grundordnung verwendet. Nachdem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die grundlegenden Bestandteile der Grundord1
Dreier, Verfassung und Ideologie, S. 86 (110 f.). Kriele (1), ZRP 1971, 273; BVerfGE 33, 52 (67); s. auch BVerwGE 47, 330 (352) mit der Bezeichnung „Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung". 3 BVerfGE 39, 334 (370) mit der Bezeichnung „Verfassungsfeinde". 4 Scheuner (1), S. 65 (73); Koellreutter (1), DÖV1951, 467 (470); Ule (2), DVB1.1951, 340. 5 BGHSt 6, 318 (320). 6 Grundsätze (1), Bulletin der Bundesregierung vom 3.2. 1972,S.142ff., wiedergegeben z.B. bei Frisch, Extremistenbeschluß, S. 144ff. und bei Brandt, S. 162f. (Dokument 59). 7 Plümer, S. 5; Dicke, ZBR 1973, Iff.; Hönes, DöD 1972, 22Iff. 8 Maurer, S. 602; Azzola / Lautner (2), ZRP 1973, 243ff. 9 Antwort der Bundesregierung vom 22.1.1979, Bundestagsdrucksache Nr. 8/2481, S. 4. 10 Antwort der Bundesregierung vom 22.1.1979, Bundestagsdrucksache Nr. 8/ 2482, S. 3. 11 BVerwGE 47, 330 (360); BAG NJW 1976, 1708 (1710); ebenso wiederum BVerfG NJW 1981, 1359 (1360). 2
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
nung als „jene in den Art. 1, 20 GG enthaltenen elementaren Grundsätze, die gem. Art. 79 Abs. 3 GG selbst einer Verfassungsänderung entzogen sind" 1 2 , weitgehend präzisiert worden sind 13 , erscheint der Begriff „verfassungsfeindlich" auch hinreichend bestimmt für eine Verwendung im Rechtssinne. Im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG hat das Bundesverwaltungsgericht dazu betont, daß es hier nur um die obersten Grundwerte als unabdingbarer Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit innerhalb der staatlichen Gesamtordnung nur um dieses „fundamentale Kernstück" geht 14 . Wie begrenzt dieser Bereich ist, hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor bei der Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG klargestellt; danach werden diese Grundsätze erst berührt, wenn sie in ihrem Wesensgehalt - ähnlich wie nach der vergleichbaren Formulierung in Art. 19 Abs. 2 GG - angetastet würden 15 . In der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst ist daran im Ergebnis festgehalten worden, da es trotz aller weiterreichenden Umschreibungen letztlich auf das Verhalten des Beamten gegenüber diesen „zentralen Grundwerten" ankommt 16 . Im Anschluß an diese Entscheidung hat die Bundesregierung in den Grundsätzen für die Prüfung der Verfassungstreue vom 19.5.1976 in der Neufassung vom 17.1.1979 17 zwar den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit von Bewerbern und Bediensteten vermieden. Zur gleichen Zeit ist aber in Antworten der Bundesregierung auf Anfragen aus dem Bundestag erläutert worden 18 , daß unter verfassungsfeindlichen Zielen eine Zielsetzung zu verstehen sei, die sich gegen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richte. Die Umschreibung als verfassungsfeindlich ist jedenfalls gegenüber unklaren Begriffen wie radikal und extremistisch 19 vorzuziehen, die im Zusammenhang mit der Bezeichnung „Radikalenerlaß" oder „Extremistenbeschluß" häufig verwendet werden. Für den Begriff der Verfassungsfeind12 BVerwGE 52, 313 (324f.) erneut unter Hinweis auf BVerfGE 2, 1 (13) und 5, 85 (140). 13 Zweifelnd Gusy, S. 285 und 291, der aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts statt einer abgeschlossenen, systematischen Begriffsverwendung eher eine offene, pragmatische Ausdrucksweise entnimmt. 14 BVerwGE 47, 330 (335); ebenso insbesondere Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 46 ff. is BVerfGE 30, 1 (26ff.). 16 BVerfGE 39, 334 (349). 17 Grundsätze (2) - Neufassung - , Bulletin der Bundesregierung vom 19.1. 1979, S. 45 ff. 18 z.B. Bundestagsdrucksache Nr. 8/2481 vom 22.1.1979, S. 5; weniger klar dagegen noch Bundestagsdrucksache Nr. VI/2576 vom 17.9. 1971, S. 4f. is Hönes, S. 221.
II. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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lichkeit spricht insoweit, daß er - ebenso wie die Verfassungstreue - deutlich auf die Verfassung und ihre Grundlagen bezogen ist. Daneben wird im übrigen ersichtlich in Rechtsprechung und Literatur nicht auch noch von Staats- und Verfassungsfeindlichkeit gesprochen, so daß dieser Zusatz sich hier wiederum als entbehrlich erweist. Außerdem kann der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit im Rahmen einer rechtsgeschichtlichen Betrachtung zur Kennzeichnung einer ablehnenden Haltung gegenüber der jeweils geltenden Verfassung und nicht nur hinsichtlich des Grundgesetzes herangezogen werden. Die Verwendbarkeit des Begriffs der Verfassungsfeindlichkeit ist demgegenüber mit unterschiedlicher Begründung bezweifelt worden. Wegen der angeblichen Unbestimmtheit dieser Bezeichnung ist behauptet worden, daß keine rationalen, sondern nur subjektive Kriterien zur Bestimmung des Begriffs vorhanden seien 20 . Mit der Festlegung der Grundprinzipien der Verfassungsordnung wird jedoch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, was mit dieser Grundordnung unvereinbar und damit verfassungsfeindlich ist 2 1 . Der wiederholt geltend gemachte Einwand, daß jedes regierungs- oder nur gesellschaftskritische Verhalten als verfassungsfeindlich gekennzeichnet werden könnte 22 , ist aus dem gleichen Grunde nicht stichhaltig. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt und das Bundesverwaltungsgericht wiederholt hat, bezieht sich die Verfassungstreue und damit umgekehrt die Verfassungsfeindlichkeit nicht auf die Regierungspolitik 23 . Erst die Negation der Grundordnung der Verfassung führt dazu, begrifflich von Verfassungsfeindlichkeit sprechen zu können. Weiter ist darauf hingewiesen worden, daß das Grundgesetz und das Beamten-, Vereins-, Parteien- und Straf recht die Bezeichnung verfassungsfeindlich nicht kenne 24 . Die Begriffsverwendung erscheint jedoch als Kurzform gerechtfertigt, da in diesen Fällen in den einzelnen Bestimmungen jeweils mit verschiedenen Umschreibungen, aber in der Sache übereinstimmend von den Grundlagen der Verfassung die Rede ist 2 5 ; überwiegend wird dabei von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes gesprochen. Außerdem wird z.B. in der amtlichen Überschrift der §§ 88, 88a, 89 26 und 90b 2 7 StGB der Ausdruck verfassungsfeindlich verwendet; damit wird der Tatbestand umschrieben, daß man sich 20
Staff, Blätter für deutsche und internationale Politik 1972, 160f. Borgs-Maciejewski, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 27/73, S. 8 (9f.). 22 s. Nachweise bei Dicke, S. 5, Fußnote 35. 23 BVerfGE 39, 334 (347) und BVerwGE 47, 330 (336) sowie 52, 313 (325). 24 Azzola / Lautner (2), S. 243. 25 z.B. Art. 9, 18, 21 GG und § 3 Abs.l Vereinsgesetz. 26 s. dazu BVerfGE 47, 130 (Bestrafung auch ohne Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei nach Art. 21 GG). 27 BGH NJW 1979, 2572. 21
40
Erster Teil: Begriffliche Klärung
gegen Verfassungsgrundsätze im Sinne des § 92 Abs. 2 StGB einsetzt, die ähnlich wie in dem bekannten Katalog des Bundesverfassungsgerichts 28 die Grundordnung des Grundgesetzes ausmachen. Auch die Behauptung, daß das Bundesverfassungsgericht nicht den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit gebrauche 29 , ist nicht zutreffend. Das Gericht hat nicht nur bereits in seinen Parteiverbotsentscheidungen die Umschreibung gewählt, daß eine Partei sich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber feindlich verhalte 30 . Es hat später ausdrücklich von Verfassungsfeindlichkeit gesprochen, sei es als individuelle verfassungsfeindliche Tätigkeit oder als Verfassungsfeindlichkeit von Organisationen und Parteien 31 . In seinem Grundsatzbeschluß zur Verfassungstreue hat das Gericht dann eine nähere Erläuterung nicht mehr für nötig gehalten, sondern wiederholt den Begriff verfassungsfeindlicher Ziele einer politischen Partei erwähnt 32 . Das Bundesverwaltungsgericht hatte vor dieser Grundsatzentscheidung die Umschreibung vorgezogen, daß Ziele einer politischen Partei mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar seien 33 ; es hat sich inzwischen - ohne erkennbare inhaltliche Änderung - der Ausdrucksweise des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen34. In weiteren Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings davon gesprochen, „daß die begründeten Zweifel an der Verfassungstreue die Feststellung einer eindeutig feindseligen Haltung gegenüber der Verfassungsordnung („Verfassungsfeind") nicht erfordern" 35 . Gemeint war damit aber nur, daß keine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der Verfassungsordnung entsprechend den materiellen Verbotsvoraussetzungen im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG festgestellt werden müsse; es genüge, daß mit der Grundordnung unvereinbare Ziele verfolgt würden, indem tragende Prinzipien der Verfassungsordnung beeinträchtigt oder beseitigt werden sollen 36 . Der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit umfaßt dabei nicht nur eine intensive Ablehnung wie bei der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 GG, sondern nach dem Sprachgebrauch des Bundesverfassungsgerichts auch sonstige mit der Grundordnung unvereinbare Bestrebungen. Unter Verfas28
BVerfGE 2, 1 (12f.). 29 Battis (1), JZ 1972, 384 (386). 30 BVerfGE 5, 85 (140); 12, 296 (305). BVerfGE 25, 44 (56 und 59f.); 25, 88 (99f.); siehe auch Benda (1), S. 22f. 32 BVerfGE 39, 334f. - Leitsatz 8 - und 359. 33 BVerwGE 47, 330 (348). 34 BVerwGE 52, 313 (337) mit Hinweis auf BAG NJW 1976, 1708 (1710); BVerwG NJW 1980, 2145 (2146). 35 BVerwG NJW 1981, 1390 (1391). 36 BVerwG NJW 1981, 1392 (1393).
II. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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sungsfeindlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht demgemäß „die mehr oder minder ausgeprägte Unvereinbarkeit der Ziele und Bestrebungen" mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zusammenfassend verstanden 37 . Das Bundesarbeitsgericht hat ebenfalls allgemein angenommen, daß es für die Feststellung verfassungsfeindlicher Ziele im Rahmen der Verfassungstreueprüfung ausreiche, wenn sich der Bewerber „von den Grundwerten und Grundnormen der Verfassung entfernt hat"; die Beurteilung als verfassungswidrig setzt dagegen eine weitergehende Prüfung voraus 38 , die nachstehend gesondert erfolgt. Zunächst ist insoweit jedenfalls festzuhalten, daß in der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit dem Begriff der Verfassungsfeindlichkeit eine besonders intensive und eine weniger intensive Ablehnung der Grundordnung umfaßt ist, deren Abgrenzung im einzelnen allerdings noch klärungsbedürftig ist. Die weiteren Bedenken gegen den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit, daß die Verwendung des Feindbegriffs rechtsstaatlich problematisch sei 39 und den Integrationszielen des Grundgesetzes widerspreche 40 , wären schließlich nur berechtigt, wenn der Rechtsschutz und die Integrationsmöglichkeit beeinträchtigt wären. Verfassungsfeinde im obigen Sinne haben aber wie jeder andere Bürger vollen Rechtsschutz, wenn sie die Grenzen des rechtlich Möglichen oder Zulässigen überschreiten 41 . Es steht ihnen ohnehin frei, ohne Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst als Bürger mit allgemein erlaubten Mitteln die Verfassung abzulehnen und politisch zu bekämpfen 42 . Gerade bei dieser weiten Spanne möglicher Verhaltensweisen kann sich wie zutreffend bemerkt worden ist - demokratische Substanz bilden und der existenznotwendige demokratische Grundkonsens trotz aller Auseinandersetzungen immer wieder erleichtert werden 43 . Die gern zitierte Parole von Saint Just „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit" 4 4 trifft daher auf die heutige Verfassungslage nicht zu, die dem Bürger die Freiheit zur Ablehnung der Grundordnung läßt und im öffentlichen Dienst die Unterscheidung zwischen Verfassungstreue und Verfassungsfeindlichkeit nicht absolut und existentiell trifft, sondern wie auch sonst bei dem Unterschied zwischen Recht und Unrecht eine Reintegration offenhält 45 . Das Bundesarbeitsgericht hat dazu hinsichtlich verfassungsfeindlicher Bewerber gesagt, die 37 38 39 40 41 42 43
S. 15. 44 45
BVerfGE NJW 1981, 1359 (1360). BAG DöD 1980, 183 (185). Schlink, S. 335; weiterführend Roellecke, DÖV 1978, 457 (463f.). Gusy, S. 303 unter Hinweis auf den Feindbegriff bei Carl Schmitt. Klein (3), S. 72. BVerfGE 39, 334 (359). Denninger (3), Bremische Bürgerschaft, Drucksache Nr. 10/287 vom 4.8. 1980, z.B. Frisch, S. 24; dazu Denninger (2), S.16 (m.w.N.). Roellecke, S. 460 und 464.
42
Erster Teil: Begriffliche Klärung
Demokratie solle die Hoffnung nicht aufgeben, daß ihre Argumente letztlich doch überzeugen 46 . Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann nach allem auch bei kritischer Betrachtung begrifflich von verfassungsfeindlichen Zielen und verfassungsfeindlicher Betätigung gesprochen werden 47 .
2. Verhältnis zur Verfassungswidrigkeit
Im Interesse einer klaren Begriffsverwendung ist außerdem festzustellen, wie die Bezeichnungen Verfassungstreue und Verfassungsfeindlichkeit im Vergleich zur Verfassungswidrigkeit zu verstehen sind. Dabei geht es wiederum nicht allein um eine Begriffsklärung, sondern zugleich um die Frage, welche rechtlichen Auswirkungen mit den jeweiligen Begriffen verbunden sind. Im Hinblick auf Art. 21 GG ist betont worden, daß es nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht verbotene und damit verfassungsmäßige und andererseits verbotene verfassungswidrige Parteien gebe 48 . Eine möglicherweise denkbare Abstufung von einer verfassungsbejahenden über eine nicht verfassungsfreundliche und eine verfassungsfeindliche bis zu einer verfassungswidrigen Partei solle rechtlich nicht relevant sein 49 . Vor allem wurde hervorgehoben, daß die Zwischenstufe einer verfassungsfeindlichen Partei kein rechtlicher Anknüpfungspunkt sein könne, um gegen Anhänger solcher Parteien im öffentlichen Dienst vorzugehen 50 . Mit einem derartigen juristischen Kunstgriff 5 1 dürfe nicht die alleinige Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit politischer Parteien umgangen und eine Kompetenz der Exekutive und Justiz hinsichtlich der Verfasungsmäßigkeit der Parteien erschlichen werden 52 . Problematisch ist es in diesem empfindlichen Bereich sicherlich, wenn nicht durch eine gesetzlich festgelegte hochrangige Instanz - wie in den Fällen der Art. 18 und 21 GG durch das Bundesverfassungsgericht - für eine verantwortliche einheitliche Auslegung gesorgt wird. Gerade nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auf die Risiken hingewiesen worden, die sich aus der Definitionsherrschaft der Verwaltung 4
6 47 48 49 50 51 52
BAG NJW 1976, 1708 (1712). Ebenso BGH DöD 1980, 60 (61). Leibholz (1), Politische Vierteljahresschrift 1961, 174 (178). Maurer, S. 604; Rudolph, DVB1. 1967, 647 (650). Martin, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 50/73, S. 3 (11); Maurer, S. 604. Rudolph, S. 650. Azzola / Lautner (2), S. 243.
. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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und Gerichte über Verfassungsfeindlichkeit ergeben können 53 . Daher sind verschiedentlich Vorschläge gemacht worden, über die Verfassungsfeindlichkeit von Organisationen ohne Verbotsfolge in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden 54 . Als Möglichkeit wurde genannt, daß der Bundesinnenminister bei bundesweiten Organisationen und der Landesinnenminister bei landesbegrenzten Organisationen sowie anschließend das Bundesverwaltungsgericht diese Feststellung treffen könnte 5 5 oder daß Bund, Länder und Gemeinden eine derartige Qualifizierung vornehmen und damit den betroffenen Organisationen den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnen 56 . Im Bundestag ist ebenfalls erwogen worden, die Feststellung der verfassungsfeindlichen Zielsetzung von Parteien oder sonstigen Vereinigungen künftig aufgrund eines förmlichen, gesetzlich geregelten Verfahrens zu treffen 57 ; diese Überlegung ist dann aber - soweit ersichtlich - nicht weiterverfolgt worden. Durch den Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ist hinsichtlich dieser Problematik eindeutig und bindend entschieden, daß die Verwaltung bei der Prüfung der Verfassungstreue auch die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen unabhängig davon berücksichtigen kann und muß, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch Urteil des Gerichts festgestellt ist oder nicht 5 8 . Wenn dabei das verfassungsfeindliche Verhalten eines Bewerbers oder Bediensteten im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer Organisation entscheidend ist, steht ihm der Rechtsweg frei, der dann allerdings erst im Instanzenzug zu einer einheitlichen Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht bzw. Bundesarbeitsgericht und ggf. anschließend etwa im Wege einer Verfassungsbeschwerde zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt 5 9 . Offengeblieben ist auch nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts aber, in welchem Verhältnis Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit zueinander stehen, insbesondere ob sie sich inhaltlich decken oder ob Verfassungsfeindlichkeit der weiterreichende Begriff ist, der schon eine Vorstufe vor der Verfassungswidrigkeit mitumfaßt. Auf diese ungeklärte Problematik ist gleich in einer der ersten verwaltungsge53 Hoffmann-Riem (2), S. 371; s. auch BAG NJW 1976, 1708 (1710). 54 Kriele (2), ZRP 1975, 201 und 1976, 58f. sowie (4), Legitimationsprobleme der Bundesrepublik, S.146ff.; dagegen Wiese (2), ZRP 1976, 54 und Klein (3), S. 76f. 55 Stern (1), S. 57 f. 56 Kemper, DÖV 1975, 671 (672). 57 Bericht und Antrag des Innenausschusses des Bundestages vom 21.10. 1975, Bundestagsdrucksache Nr. 7/4183, S.l und 3. 58 BVerfGE 39, 334 (359); ebenso BAG NJW 1976, 1708 (1710) und BVerwG NJW 1981, 1392f. 59 Kriele (5), NJW 1979, 1 (3).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
richtlichen Entscheidungen nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen worden 60 . Da auch das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesarbeitsgericht in ihren Entscheidungen nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts die Begriffe verfassungsfeindliche und verfassungswidrige Ziele unterschiedlos nebeneinander stellen 61 , liegt die Annahme nahe, daß beide Begriffe gleichzusetzen sind 6 2 . In diesem Sinne ist schon früher die Auffassung vertreten worden, daß es sich bei einer verfassungsfeindlichen Partei um eine Organisation handele, die von der Exekutive für verfassungswidrig gehalten werde, vom Bundesverfassungsgericht aber noch nicht für verfassungswidrig erklärt worden sei 63 . Der begriffliche Unterschied würde dann nur noch darin bestehen, daß eine derartige Partei bis zum Verbot wegen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele materiell verfassungswidrig und erst mit dem konstitutiven Verbot auch formell verfassungswidrig ist 6 4 . Der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit wäre lediglich aus diesen Verfahrensgründen ein Notbehelf, weil die Partei vor dem Verbot nicht als verfassungswidrig bezeichnet und behandelt werden darf. Unter diesen Umständen wäre der Verdacht eines juristischen Kunstgriffes allerdings nicht mehr von der Hand zu weisen, da dann den Auswirkungen des verfassungsgerichtlichen Verbots jedenfalls faktisch vorgegriffen werden könnte. Dieses Ergebnis hat man dadurch vermeiden wollen, daß zwischen dem Tatbestand der Verfassungsfeindlichkeit und der Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit deutlich unterschieden wird 6 5 . Der Tatbestand der Verfassungsfeindlichkeit bliebe dann unabhängig von einem Verbotsverfahren nach Art. 21 GG bestehen und könnte als Anknüpfungspunkt nur in anderem Zusammenhang als dem Parteiverbot und damit insbesondere bei der Prüfung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst weiterverwendet werden; ob die Voraussetzungen dort im Einzelfall gegeben sind, wäre im Streitfall gerichtlich zu klären. Dabei würden dann aber Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit wieder inhaltlich als identisch behandelt. In Anlehnung an die Umschreibung der Verfassungswidrigkeit in Art. 21 Abs. 2 GG würde sich demnach verfassungsfeindlich verhalten, wer darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Dementsprechend ist behauptet worden, Verfassungsfeinde seien nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts lediglich 60
VG Stuttgart DÖV 1975, 673 (674). ei BVerwGE 52, 313 (337); BAG NJW 1976, 1708 (1710). 62 VG Stuttgart DÖV 1975, 673 (674). 63 Azzola / Lautner (2), S. 244. 64 Thieme (3), Politischer Radikalismus und öffentliches Dienstrecht, S. 71 (74). 65 Kriele (5), S. 2.
. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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Personen, die bereit und entschlossen seien, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen und zu beseitigen 66 . Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung allerdings nahegelegt, da es in seinem Grundsatzbeschluß bereits in den Leitsätzen als Gegensatz zur Verfassungstreue davon spricht, man dürfe nicht die „Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren" 67 . Das Bundesverwaltungsgericht hat aber frühzeitig deutlich gemacht, daß es bei der Beurteilung der politischen Ziele einer Partei und des Verhaltens ihrer Anhänger verschiedene Stufen unterhalb der Verfassungswidrigkeit gibt. Die Feststellung, daß sich eine Partei jedenfalls nicht für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetze, sei möglich und dabei anderen Inhalts als die vom Bundesverfassungsgericht zu treffende Feststellung, daß eine Partei verfassungswidrig sei 68 . An dieser Unterscheidung, die als spitzfindig kritisiert worden ist 6 9 , hat das Gericht in seiner neueren Rechtsprechung festgehalten 70 ; es hat zugleich darauf hingewiesen, daß es neben dieser zumindest verfassungsneutralen Zielsetzung auf einer weiteren Stufe politische Ziele gebe, die mit der Grundordnung unvereinbar seien 71 , ohne schon zu einem Parteiverbot zu führen. In der unmittelbar anschließenden Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht die Ausführungen des Berufungsgerichts hervorgehoben, daß dem Bewerber und seiner Partei nicht vorgeworfen werde, sie bekämpften die freiheitliche demokratische Grundordnung in dem für ein Parteiverbot notwendigen Maße; es sei aber feststellbar, daß die Parteiziele unvereinbar mit der Grundordnung seien 72 . Diese Unvereinbarkeit mit der Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes hat das Gericht in der ersten Entscheidung nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts dann als Verfassungsfeindlichkeit bezeichnet 73 , allerdings kurz vorher nebeneinander von „verfassungsfeindlichen Zielen" und „verfassungswidrigen Zielen" gesprochen 74. Auch wenn die Begriffe in der Rechtsprechung immer noch nicht deutlich auseinandergehalten werden, läßt sich jedenfalls feststellen, daß die Verfassungsfeindlichkeit der weiterreichende Begriff im Vergleich zur Verfassungswidrigkeit ist. Sie beginnt bereits als Verfassungsfeindlichkeit im wei66
Geiger, EuGRZ 1978, 533; ähnlich Klein (3), S. 71, Fußnote 66; s. auch BVerwG NJW 1981, 1390 (1391) und 1392f. 67 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 2 - . es BVerwGE 10, 213 (216). 69 z.B. Kriele (1), S. 274f. 7 ° BVerwGE 47, 330 (345). 71 BVerwGE 47, 330 (348). 72 BVerwGE 47, 365 (372 und 374). ™ BVerwGE 52, 313 (338f.). 74 BVerwGE 52, 313 (336f.).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
teren Sinne mit der Ablehnung der Grundordnung und setzt dabei nicht wie die Verfassungswidrigkeit eine aggressive Bekämpfung der Grundordnung voraus; sie umfaßt dann als Verfassungsfeindlichkeit im engeren Sinne ggf. auch die Stufe einer Bekämpfung der Grundordnung, die dann jeweils zu der Ablehnung hinzukommt. Diese verschiedenen Grade der Verfassungsfeindlichkeit hatte das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zu Art. 21 GG angedeutet mit der Wendung, „möge sich die Partei der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber auch noch so feindlich verhalten" 75 . Der Unterschied zwischen Verfassungsfeindlichkeit im weiteren Sinne und Verfassungsfeindlichkeit im engeren Sinne als Verfassungswidrigkeit zeigt sich z.B. bei den unterschiedlichen Voraussetzungen für ein strafbares Verhalten einerseits und ein Parteiverbot andererseits. Die Verfassungsfeindlichkeit im weiteren Sinne ist in den erwähnten strafrechtlichen Bestimmungen gemeint, da dort eine verfassungsfeindliche Tätigkeit nicht auf einer aggressiv kämpferischen politischen Haltung zu beruhen braucht; vielmehr genügt bereits der Einsatz gegen die dort genannten Verfassungsgrundsätze ohne kämpferische Haltung 7 6 . Für die Verfassungswidrigkeit einer Partei reicht dagegen eine verfassungsfeindliche Zielsetzung und Tätigkeit, die nur mit einer Ablehnung der Grundordnung verbunden ist, noch nicht aus. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, ist eine Partei „nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Grundprinzipien einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muß planvoll das Funktionieren dieser Ordnung ... beeinträchtigen wollen" 7 7 . Hier ist demnach die Verfassungsfeindlichkeit im engeren Sinne erforderlich. Die Unterscheidung zwischen Verfassungsfeindlichkeit im weiteren und im engeren Sinne ist auf Anfragen im Bundestag noch einmal von der Bundesregierung aufgegriffen worden. Nach dem Hinweis auf die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wurde hinzugefügt: „Eine gegen diese Prinzipien gerichtete Zielsetzung reicht für den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit aus, ohne daß zugleich ein aktiv kämpferisches, aggressives Verhalten vorliegen muß, wie es im KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als Voraussetzung für ein Parteiverbot gefordert w i r d 7 8 . " Zur Begründung ist darauf verwiesen worden, daß mit 75
BVerfGE 5, 85 (140); 12, 296 (305); 13, 123 (126); 17, 155 (166). Dreher / Tröndle, Strafgesetzbuch, Randnr. 13 zu § 87 StGB. 77 BVerfGE 5, 85 (141); so auch Azzola / Lautner (2), S. 247, Fußnote 40. 78 Antwort der Bundesregierung vom 22. 1. 1979, Bundestagsdrucksache Nr. 8/ 2481, S. 5. 76
II. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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der Bewertung als verfassungsfeindlich - insbesondere bei der Aufklärungsund Informationstätigkeit der Regierung über derartige Organisationen keine Rechtsfolgen verbunden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen die bereits in der Grundsatzentscheidung zur Verfassungstreue erwähnte Unbedenklichkeit derartiger Bewertungen 79 dadurch konkretisiert, daß diese Werturteile inhaltlich vertretbar und in der Form sachlich gehalten sein müssen 80 . Dadurch soll sichergestellt werden, daß ein Mißbrauch der Begriffsverwendung vermieden wird. Wie schwierig der Umgang mit diesen Kriterien ist, zeigt allerdings die uneinheitliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Verfassungsfeindlichkeit oder Verfassungswidrigkeit hinsichtlich einzelner Parteien. So ist z.B. nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts einerseits von einem Verwaltungsgericht (im vorläufigen Verfahren) entschieden worden, die Verfassungsfeindlichkeit der DKP sei nicht offensichtlich, selbst wenn man für die Verfassungsfeindlichkeit nicht eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der Grundordnung verlange und damit geringere Anforderungen als nach Art. 21 Abs. 2 GG stelle 81 . Von einer anderen Kammer desselben Gerichts ist dagegen (in einem Hauptsacheverfahren) festgestellt worden, daß die DKP verfassungsfeindliche Ziele verfolge 82 . In einer weiteren Entscheidung ist von einem Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die „einhellige Auffassung der Verwaltungsgerichte" angenommen worden, daß die Ziele der DKP verfassungsfeindlich und mit der Grundordnung unvereinbar seien; anschließend sind die „wesentlichen Gründe für die Verfassungswidrigkeit der DKP" hervorgehoben worden, ohne daß zwischen Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit unterschieden wurde 8 3 . Einem anderen Urteil eines Oberverwaltungsgerichts ist der Leitsatz vorangestellt worden, es sei „nicht erwiesen, daß die NPD verfassungsfeindliche Ziele im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfolge, d. h. daß sie aktiv kämpferisch, planvoll auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht" 84 . In der Begründung werden wieder Aussagen über die Voraussetzungen für verfassungswidrige Parteien und die Anforderungen an verfassungsfeindliche Ziele unterschiedslos nebeneinander gestellt; dabei wird hinzugefügt, ein Verhalten der Parteianhänger sei rechtlich unbeachtlich, wenn es insgesamt 79
BVerfGE 39, 334 (360). so BVerfGE 40, 287 (293); ebenso BVerfG NJW 1981, 1359 (1360). 81 VG Stuttgart DÖV 1975, 673 (674); s. auch BAG NJW 1983, 779 (781 einerseits und 782 andererseits) zu den verfassungsfeindlichen Zielen der DKP. 82 VG Stuttgart ZBR 1976, 281. 83 Hessischer VGH DVB1. 1977, 828 (830). 84 VGH Baden-Württemberg DVB1. 1978, 750.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
nur eine distanzierte und innerlich ablehnende Haltung der Partei gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erkennen ließe 85 . Im Ergebnis w i r d in diesem Urteil zwar festgestellt, daß die Annahme begründet sei, die NPD erkenne wesentliche Grundsätze der parlamentarischen Demokratie nicht an, sondern stelle sie in Frage und lehne sie innerlich ab. Diese Einstellung unterhalb der Verfassungswidrigkeit wird dabei aber nicht als erwiesene verfassungsfeindliche Zielsetzung, sondern mit einem neuen Begriff als „verschleierte verfassungsfeindliche Zielsetzung" bezeichnet. Die festgestellten verfassungsrechtlich bedenklichen Erscheinungen der Partei werden dann allerdings doch als Anlaß dafür angesehen, daß sich ein Bewerber auch von derartigen Erscheinungen einer Partei ausdrücklich distanzieren müsse 86 . Dieser komplizierte Umweg zu dem schließlich zutreffenden Ergebnis, daß eine Distanzierung eines verfassungstreuen Bewerbers oder Bediensteten von derartigen Zielsetzungen geboten ist, wäre bei einer klaren Begriffsbildung vermeidbar gewesen. Dazu hätte es nur der Feststellung bedurft, daß eine eindeutige Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterhalb der Intensität der Verfassungswidrigkeit bereits eine verfassungsfeindliche Zielsetzung ist, die mit verfassungstreuem Verhalten nicht vereinbar ist. Hier w i r k t sich aus, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß die Unterscheidung zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungsfeindlichkeit nicht deutlich genug gemacht hat 8 7 . In weiteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht zwar klargestellt, daß die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt; das Gericht hat dabei aber begrifflich nur vage von einer mehr oder minder ausgeprägten Unvereinbarkeit der Ziele der NPD mit dem Grundgesetz gesprochen 88. Die Revisionsentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in diesen beiden NPD-Fällen und in weiteren drei Fällen im linksextremen Bereich 89 haben auch nicht gerade zur Begriffsklärung beigetragen, wie die nähere Begründung der Urteile zeigt 90 . Zunächst werden Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit unterschiedslos nebeneinander gestellt mit der Aussage, zur Verneinung der Gewähr der Verfassungstreue sei die Feststellung nicht erforderlich, „daß der Bewerber ein ,Verfassungsfeind' ist und daß er darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnimg zu beeinträchtigen oder zu beseitigen" 91 . 85 86 87 88 89 90 91
VGH Baden-Württemberg DVB1. 1978, 750 (751 f.). VGH Baden-Württemberg DVB1. 1978, 750 (754f.). BVerfGE 39, 334 (359f.). BVerwGE NJW 1981, 1390 (1391). BVerwG NJW 1981, Heft 40 S. VI mit kurzer Zusammenfassimg. BVerwG NJW 1981, 1386 und 1390 sowie 1392. BVerwG NJW 1981, 1386 (1387).
. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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Aus der Begründung der ersten der beiden Entscheidungen in den NPDFällen ergibt sich dann, daß das Bundesverwaltungsgericht hier unter Verfassungsfeindlichkeit eine „eindeutig feindselige Haltung gegenüber der Verfassungsordnung" versteht 92 , also eine Verfassungsfeindlichkeit im engeren Sinne, die nicht erreicht zu sein braucht. In diese Richtung geht auch die zweite Entscheidung in den beiden NPD-Fällen, wonach für Zweifel an der Verfassungstreue nicht „materiell die Voraussetzungen (gem. Art. 21 Abs. 2 GG) für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit vorliegen" müssen 93 . Richtig ist daran entsprechend dem Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, daß nicht erst ein materiell verfassungswidriges Verhalten, sondern schon eine weniger intensive Verfolgung von Zielen, die mit der Grundordnung unvereinbar sind, zu begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue führt. Die gesicherte Annahme, daß derartige Ziele verfolgt werden, soll nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch „nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Feststellung erfordern, daß ... tragende Prinzipien der Verfassungsordnung beeinträchtigt und beseitigt ... werden sollen" 9 4 . Als Beispiele werden unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht ein gewaltsamer Umsturz und die Errichtung einer Diktatur genannt, die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ersichtlich als Fälle verfassungsfeindlichen Verhaltens im engeren Sinne mit materiell verfassungswidriger Zielsetzung angeführt werden 95 . Das Bundesverwaltungsgericht widerspricht sich also unnötigerweise in diesen Entscheidungen selbst, indem es im einen Fall für die Feststellung mangelnder Verfassungstreue zutreffend nicht ein Verhalten für notwendig hält, mit dem die Grundordnung beeinträchtigt oder beseitigt werden soll 9 6 , und dann im anderen Fall gerade nicht mehr und nicht weniger als ein solches Verhalten fordert 97 . Erklärbar ist dies im letzteren Fall nur dadurch, daß das Bundesverwaltungsgericht zu der berechtigten Feststellung hinführen wollte, die NPD verfolge mit der Grundordnung unvereinbare Ziele, während das Oberverwaltungsgericht Zweifel an der verfassungsfeindlichen Zielsetzung der NPD hatte 9 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber kurz darauf in den bereits erwähnten Entscheidungen unterstrichen, daß die Verfassungsfeindlichkeit der NPD auf einer „mehr oder minder ausgeprägten Unvereinbar92 BVerwG NJW 1981, 1390 (1391). BVerwG NJW 1981, 1392. 94 BVerwG NJW 1981, 1392 (1393). 95 BVerfGE 39, 334 (360). 96 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). 97 BVerwG NJW 1981, 1392 (1393). 98 BVerwG NJW 1981, 1392 (1393). 93
4 Schräder
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
keit der Ziele" mit dem Grundgesetz zu Recht von der Bundesregierung behauptet und belegt worden sei". Damit hat das Bundesverfassungsgericht immerhin einen Weg gewiesen, der den richtigen Ansatzpunkt des Bundesverwaltungsgerichts fortführt, wonach eine mit der Verfassungstreue unvereinbare Verhaltensweise schon ohne materiell verfassungswidrige Zielvorstellung gegeben ist und erst recht bei einer solchen Zielverfolgung feststeht. Die „mehr oder minder ausgeprägte Unvereinbarkeit" mit der Grundordnung entspricht dabei der Verfassungsfeindlichkeit im engeren oder im weiteren Sinne. Auf diese Weise ist eine nicht nur subtile 1 0 0 , sondern durchaus deutliche Differenzierung zwischen Verfassungsfeindlichkeit im weiteren Sinne mit ihren Mindestvoraussetzungen und Verfassungsfeindlichkeit im engeren Sinne als materieller Verfassungswidrigkeit mit ihren stärkeren Anforderungen möglich. Der Oberbegriff der Verfassungsfeindlichkeit umfaßt demnach auch die Verfassungswidrigkeit als besonders intensive Unvereinbarkeit mit der Grundordnung. Es wäre sinnvoll, wenn es auf dieser Linie zu einer einheitlichen Begriffsverwendung in der Rechtsprechung insbesondere der Bundesgerichte kommen würde.
3. Abgrenzung zur Verfassungstreue Zur begrifflichen Klarstellung ist außerdem die Abgrenzung der Verfassungsfeindlichkeit zur Verfassungstreue wichtig, zumal im Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972 die Verfassungsfeindlichkeit als Maßstab für mangelnde Verfassungstreue gewählt wurde 1 0 1 . Der Beschluß des Bundeskanzlers und der Regierungschefs der Länder ist allerdings - wie erwähnt - inhaltlich im wesentlichen durch die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts überholt 1 0 2 . Formal ist der Beschluß für den Bund durch die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue vom 19.5.1976 103 , inzwischen in der Neufassung vom 17.1.1979 104 ersetzt worden; die sozial-liberal regierten Länder hatten eine entsprechende Erklärung bereits vorher in der Bundesratssitzung vom 20.2.1976 abgegeben 105 und haben die Neufassung der Grundsätze des Bundes übernommen 106 . 99 BVerwG NJW 1981,1359f.; s. auch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts DVB1. 1981, 1053 zur Verfassungsbeschwerde in dem vorher vom Bundesverwaltungsgericht NJW 1981, 1390 entschiedenen NPD-Fall. 100 Borgs-Maciejewski, S. 9f. 101 Grundsätze (1), S. 142 (Grundsätze 2.1 und 2.2). !02 Lange, S. 1812. 103 Grundsätze (2), Bulletin der Bundesregierung vom 21.5. 1976, S. 553ff., bestätigt in den Antworten der Bundesregierung vom 22.1. 1979, Bundestagsdrucksachen Nr. 8/2481, S. 4 f. und Nr. 8/2482, S. 3 f. unter Hinweis auf die Neufassung der Grundsätze. 104 Grundsätze (2), - Neufassung - , S. 45 ff. 105 Bundesrat, Sten. Bericht S. 24, 31 f.
II. Begriff der Verfassungsfeindlichkeit
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Die Verfassungsfeindlichkeit ist aber ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst geblieben, da nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 107 auch die neuen Grundsätze des Bundes unter Bezug auf die „Darstellung des verfassungsrechtlichen Rahmens für die Verfassungstreue-Prüfung im öffentlichen Dienst" 1 0 8 darauf hinweisen, daß Beitritt und Zugehörigkeit zu einer Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen bei der Beurteilung der Verfassungstreue mitberücksichtigt werden 1 0 9 . Nach der obigen Begriffsumschreibung zur Verfassungstreue und Verfassungsfeindlichkeit läßt sich insgesamt sagen, daß es sich für die rechtliche Prüfung dabei um das für den öffentlichen Dienst maßgebliche Gegensatzpaar handelt, wonach nicht (mehr) verfassungstreu ist, wer sich verfassungsfeindlich verhält. Zwischen der Verfassungstreue als positiver Einstellung zur Grundordnung und der Verfassungsfeindlichkeit als negativer Einstellung würde demnach die - im Einzelfall festzustellende - Grenzlinie mit der Rechtsfolge einer Ablehnung bzw. einer dienstrechlichen Maßnahme bis hin zur Entlassung verlaufen. Ersichtlich würde dies aber eine idealtypische Begriffsbildung bedeuten, die in der Wirklichkeit häufig nicht weiterhelfen würde. Wie bei jeder anderen Eignungsprüfung wird auch die Verfassungstreue einerseits und die Verfassungsfeindlichkeit andererseits nicht im Sinne strikter Alternativität ohne weiteres feststellbar sein 110 , sondern individuell differenzierend ein Übergang von einer mehr oder weniger ausgeprägten Verfassungstreue über einen neutralen Bereich zu einer geringeren oder stärkeren Verfassungsfeindlichkeit vorhanden sein. Entsprechend der Relativität menschlicher und beruflicher Qualifikationen wird es den absolut Verfassungstreuen und den eindeutigen Verfassungsfeind jedenfalls als Bewerber oder Angehörigen des öffentlichen Dienstes verhältnismäßig selten geben 111 . Die Schwierigkeit einer angemessenen Entscheidung im Einzelfall beruht gerade darauf, daß die Bewertung bestimmter Verhaltensweisen als noch verfassungstreu oder schon verfassungsfeindlich oft nicht von vornherein eindeutig ist und deshalb immer wieder umstritten bleibt. Betrachtet man in diesem Zusammenhang Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungstreue nicht getrennt voneinander, sondern als unterschiedliche Einstellung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, 106
(20).
107
108
z.B. Hamburg gemäß Nr. 2 der W zu § 6 HmbBG vom 19.2. 1981, MittVw S. 19 BVerfGE 39, 334 (335). Darstellung, Bulletin der Bundesregierung vom 14. 11. 1978, S. 1221 f. (Punkt
1.4). 109 Grundsätze (2) - Neufassung - , S. 45. 110 111
4'
Jung, Der Zugang zum öffentlichen Dienst nach Art. 33 Abs. I I GG, S. 65. Jung, S. 66.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
ergibt sich eine mehrfach abgestufte Skala von Verhaltensweisen mit entsprechenden Rechtsfolgen 112 . Im Anschluß an die bisherige Darstellung ist eine möglichst klare Differenzierung zwischen den verschiedenen Begriffen und dazugehörigen Sachverhalten Voraussetzung für eine jeweils angemessene rechtliche Schlußfolgerung, die insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt 113 . Dazu ist das gesamte Bewertungsspektrum von sehr negativ bis sehr positiv einzubeziehen 114 ; für die Teilbereiche sind jeweils die maßgeblichen Kriterien herauszuarbeiten. Erst die Zuordnung zu einem bestimmten Bereich der Skala führt dann zu einer voraussichtlich besser abgesicherten und nachvollziehbaren Beurteilung, ob die Prüfimg der Verfassungstreue schließlich zu einem positiven oder negativen Ergebnis führt. Die verschiedenen Abstufungen sollen nachstehend im einzelnen behandelt werden. Zum Vergleich sollen dabei die Begriffsverwendungen und die Rechtsfolgen außerhalb des öffentlichen Dienstrechts wie z.B. im Partei- und Vereinsrecht mit betrachtet werden, wobei der verfassungsrechtlichen Bewertung als gemeinsamer Grundlage für die verschiedenen Rechtsgebiete besondere Bedeutung zukommt.
112 Dazu kritisch Denninger (1), S. 23f.; für Abstufungen auch Claußen, Jürgen (2), ZBR 1980, 8 (9). 113 Besonders hervorgehoben von BVerwG NJW 1981, 1386 (1388f.). 114 Jung, S. 66.
ΠΙ. Abstufungen der Verfassungstreue 1. Bekämpfung der Grundordnung
Eine aggressiv kämpferische verfassungsfeindliche Haltung als intensivste Ablehnimg der Grundordnung kann als Rechtsfolge zu einem Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 21 GG führen. Die verfassungsfeindliche Partei ist dann mit Abschluß des Verbotsverfahrens als verfassungswidrig mit allen rechtlichen Konsequenzen gekennzeichnet. I n diesem Fall wird zutreffend von Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit ohne inhaltlichen Unterschied gesprochen 1. Eine derartige verfassungsfeindliche Bekämpfimg der Grundordnung kann bei Vereinigungen ein Verbot nach Art. 9 GG i. V.m. §§ 3 ff. Vereinsgesetz auslösen2. Bei einem entsprechend intensiven verfassungsfeindlichen Verhalten Einzelner kann eine Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG ausgesprochen werden, wovon das Bundesverfassungsgericht aber bisher abgesehen hat 3 . Wird bei aggressiv verfassungsfeindlicher Einstellung einer Partei kein Verbotsverfahren nach Art. 21 GG durchgeführt, kann zwar von Verfassungswidrigkeit nicht gesprochen werden. Deshalb ist es ein unzutreffender Sprachgebrauch, wenn in höchstrichterlichen Entscheidungen wiederholt nicht verbotene Parteien als verfassungswidrig bezeichnet werden 4 . Ohne die konstitutive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen Verwaltung und Gerichte jedenfalls nicht gegen die Partei und ihre Anhänger einschreiten, wenn die Parteiziele mit allgemein erlaubten Mitteln vertreten werden. Deshalb darf Funktionären derartiger Parteien nicht Entschädigung unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG vorenthalten werden und sie durften nicht nach § 90 a StGB für ihre parteibezogene Tätigkeit bestraft werden 5 . Dagegen w i r d nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Bestrafung nach § 90b StGB ohne vorheriges Parteiverbot nunmehr als zulässig angesehen6. 1
BVerfGE 25, 88 (99). BVerwGE 55, 232 (2351); BVerwG DÖV 1981, 870. 3 s. die beiden bisher einzigen Verfahren BVerfGE 11, 282 und 38, 23. 4 BVerwGE 52, 313 (337); BAG NJW 1976, 1708 (1710) und auch BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). 5 BVerfGE 39, 334 (357 f.) unter Hinweis auf die früheren Entscheidungen, β BGH NJW 1979, 2572 (unter Aufgabe von BGHSt 20, 115). 2
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Auch ohne Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit kann aber die Überzeugung gewonnen und vertreten werden, daß eine Partei mit aggressiver Einstellung gegen die Grundordnung verfassungsfeindliche Ziele - hier im engeren Sinne - verfolgt; daher kann z.B. in Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder über die Entwicklung verfassungsfeindlicher Organisationen berichtet werden 7 . Die verfassungsfeindliche Zielsetzung reicht bei Parteien und auch bei Vereinigungen aus, um sie insgesamt als verfassungsfeindlich zu bezeichnen, wenn die Ziele nicht nur aufgestellt, sondern planmäßig verfolgt werden; die Zielsetzung ist das wichtigste Erkenntnismittel für die verfassungsfeindliche Grundtendenz einer Organisation und nicht nur eine von mehreren Verbotsvoraussetzungen 8. In anderem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung verdeutlicht, daß Meinungsäußerungen bereits feindselige Aktivitäten sein können, wenn es sich um Agitationen und Diffamierungen hinsichtlich der Grundordnung handelt 9 . Diese Grundsätze hat das Gericht auch auf die Regelung angewandt, die das Verbot der Einfuhr verfassungsfeindlicher Filme nach § 5 des Überwachungsgesetzes betrifft 1 0 . Nach dieser Bestimmung ist die Einfuhr von Filmen verboten, die nach ihrem Inhalt unter anderem dazu geeignet sind, als Propagandamittel gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wirken. Bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung mit Art. 5 GG ist das Gericht zu einer einschränkenden Auslegung dieser Regelung gekommen, wonach nur Filme unter das Verbot fallen, die über bloße K r i t i k hinaus eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegen die Grundordnung erkennen lassen; nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei die Verbotsregelung in dieser Weise verfassungskonform auszulegen und für einen wirksamen Staatsschutz erforderlich und ausreichend 11 . Ausdrücklich heißt es dabei, daß die Zielrichtung der verfassungsfeindlichen Filme eine Haltung ausdrücken müsse, wie sie das Gericht bei der Anwendung des Art. 21 Abs. 2 GG auf politische Parteien vorausgesetzt habe 12 . Das Eintreten eines Bewerbers oder Beamten für eine derartige aggressiv kämpferische Partei kann unabhängig von der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei als verfassungsfeindlich gekennzeichnet werden, wenn er entsprechend der Parteilinie tätig wird 1 3 . Ob die Mitgliedschaft in 7 BVerfGE 39, 334 (360); s. auch unter Berufung darauf z.B. Verfassungsschutz 1979, S. 5; erneut BVerfG NJW 1981, 1359f. 8 BVerfGE 5, 85 (141 f.) für Parteien; BVerwGE 1,184 (190) für Vereinigungen; a.A. wohl Borgs-Maciejewski, S. 17. 9 BVerfGE 39, 334 (351). 10 BVerfGE 33, 52. 11 BVerfGE 33, 52 (69); kritisch dazu die abweichende Meinung Rupp-von Brünneck und Simon in BVerfGE 33, 52 (84ff.). 12 BVerfGE 33, 52 (68). 13 BVerfGE 39, 334 (359 f.).
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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einer Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung ein verfassungsfeindliches Verhalten darstellt und deshalb zur Ablehnung des Bewerbers und zu dienstrechtlichen Maßnahmen bis hin zur Entlassung des Bediensteten führt, ist weiterhin umstritten, wie seinerzeit bereits die abweichenden Meinungen der Verfassungsrichter 14 und die Auseinandersetzung in der Literat u r 1 5 sowie zuletzt die widersprechenden Entscheidungen verschiedener Kammern des Bundesdisziplinargerichts 16 gezeigt haben. Soweit die Mitgliedschaft nicht mit Aktivitäten im obigen Sinne verbunden ist, liegt jedenfalls keine Bekämpfung der Grundordnung vor; auf die Bedeutung der bloßen Mitgliedschaft kann deshalb später gesondert eingegangen werden. Anerkannt ist seit den Grundsatzentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, daß die Parteianhänger nicht etwa bis zum Parteiverbot von den Behörden und damit den jeweiligen Dienstherren als verfassungstreu behandelt werden müssen. Die parteioffizielle Tätigkeit der Anhänger ist vor dem Verbot nur als rechtmäßig anzusehen und kann daher nicht als rechtswidrig im Sinne strafbaren oder politischen Unrechts bewertet werden 17 . Die früher häufig vertretene Auffassung, daß bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei nicht von der Verfassungsfeindlichkeit ihrer Anhänger ausgegangen werden dürfe 18 , beruhte demgegenüber auf Mißverständnissen bei der Auslegung des Art. 21 GG. Zum einen gibt es nach Art. 21 GG und dem Parteiengesetz nicht etwa erlaubte 19 und damit als verfassungsbejahend anerkannte Parteien, sondern nur in ihrer Gründung freie Parteien, die bis zu einer Verbotsentscheidung unabhängig von ihrer Zielsetzung und Betätigung nicht verfassungswidrig sind. Zum anderen enthält Art. 21 GG nicht die Vermutung, sondern nur einen Fiktion der Verfassungsmäßigkeit einer Partei bis zu ihrem Verbot 20 . Von der Feststellung, daß eine Partei nicht verboten und daher legal ist, ist deshalb die Bewertung der Zielsetzung der Partei zu trennen, die durchaus als verfassungsfeindlich beurteilt werden kann. Bei einer Bekämpfung der Grundordnung insbesondere durch Betätigung für eine derart verfassungsfeindliche Partei kann die Übernahme in die 14 Dagegen Seuffert in BVerfGE 39, 334 (376) und Rupp in BVerfGE 39, 334 (379f.); dafür Wand in BVerfGE 39, 334 (389f.). 15 Dagegen z.B. Denninger (2), S. 34 und wohl auch Klein (3), S. 87; dafür z.B. Claussen, Hans Rudolf, ZBR 1977, 307 ff. und daran anschließend Claußen, Jürgen (2), S.lOff. 16 Dagegen Bundesdisziplinargericht - Kammer I I I - DöD 1981, 229, anschließend BVerwG DVB1. 1983, 81 (Peter-Urteil); dafür - Kammer I X - ZBR 1980, 278. 17 BVerwGE 47, 330 (346f.) und BVerfGE 39, 334 (379f.). 18 z.B. Abendroth, Blätter für deutsche und internationale Politik 1972, 124ff. 19 z.B. Semler, ZBR 1971, 107; a. A. zutreffend Battis (1), S. 386. 20 Borgs-Maciejewski, S. 17 und 20; ebenso insoweit Rudolph, S. 650.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Juristenausbildung als Referendar außerhalb des Beamtenverhältnisses abgelehnt werden, wie das Bundesverfassungsgericht inzwischen entschieden hat 2 1 . Nachdem es sich i n seinem Grundsatzbeschluß zu den Voraussetzungen für die Aufnahme in diesen Vorbereitungsdienst noch nicht näher geäußert hatte 2 2 , hat es nun als Grenze für das Recht auf Berufsausbildung - unabhängig von der späteren juristischen Tätigkeit - die Voraussetzungen wie für ein Parteiverbot genannt; danach „verbietet es sich jedenfalls, Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen" - so der Wortlaut in Art. 21 Abs. 2 GG - , „ i n die praktische Ausbildung zu übernehmen" 23 . Bemerkenswerterweise ist dies in den Ausbildungsvorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen, sondern nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts „durch zwingendes Verfassungsrecht bereits geregelt" 24 . Damit ist nach dieser Entscheidung die Einstellung von Bewerbern untersagt, die sich verfassungsfeindlich im engeren Sinne betätigen 25 . Schon in dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts war außerdem festgestellt worden, daß ein Referendar aus dem Vorbereitungsdienst fristlos entlassen werden kann, wenn er sich verfassungsfeindlich betätigt 2 6 . Entsprechend der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, daraus gesetzlich die notwendigen Folgerungen zu ziehen 27 , hat das Land Schleswig-Holstein inzwischen eine Sonderregelung vorgenommen. Dort kann nun der Vorbereitungsdienst auch außerhalb des Beamtenverhältnisses durchgeführt werden, wenn diese Vorbildung auch für die Ausübung eines Berufes außerhalb des öffentlichen Dienstes Voraussetzung ist (sogenannte Monopolausbildung). Durch das Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 18.3.1977 ist mit einem neuen § 6a des Landesbeamtengesetzes die Möglichkeit eingeführt worden, auf Antrag den Vorbereitungsdienst in einem Praktikantenverhältnis ohne Geltung der beamtenrechtlichen Bestimmung über die Verfassungstreue abzuleisten; als Praktikant darf aber nicht eingestellt werden, wer sich gegen die Grundordnung betätigt, und der Praktikant darf sich während des Vorbereitungsdienstes nicht gegen die Grundordnung betätigen 28 . Vorher war bereits durch eine Gesetzesinitiative im Bundestag versucht worden, statt dieses sog. Antragsmodells ein sog. Einheitsmodell vorzuse21
BVerfGE 46, 43 (52) zu § 28 der hamburgischen Juristenausbildungsordnung. BVerfGE 39, 334 (372ff.). 2 3 BVerfGE 46, 43 (52). 2 * BVerfGE 46, 43 (55). 25 BVerfGE 46, 43 (53). 2 ® BVerfGE 39, 334 (374). 27 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 11 - und 371 ff. 28 Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 1977, S. 64. 22
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hen, bei dem der Vorbereitungsdienst für die Monopolausbildung einheitlich außerhalb des Beamtenverhältnisses in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis durchgeführt werden sollte 29 . An die Stelle der beamtenrechtlichen Vorschriften über die Verfassungstreue sollte dabei die Regelung treten, daß Bewerber nicht eingestellt werden dürfen, wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen. Dagegen sind Bedenken erhoben worden mit dem Hinweis, daß eine verfassungsfeindliche Betätigimg unabhängig von strafbarem Verhalten die oberste Schwelle für eine Einstellung bzw. Entfernung bei diesem Ausbildungsverhältnis sein müsse 30 . In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen in seinem erwähnten Beschluß zur Juristenausbildung entschieden 31 . Daraufhin ist mit einem Gesetzentwurf des Bundesrats erneut eine Lösung des Problems angestrebt worden, wobei den Ländern die Wahl zwischen dem Antrags- und dem Einheitsmodell offengehalten werden sollte; nach ablehnender Stellungnahme der Bundesregierung, die sich weiterhin für das Einheitsmodell aussprach, ist das Gesetz aber nicht zustande gekommen 32 . Für Ruhestandsbeamte und frühere Beamte mit Versorgungsbezügen gilt nach den Beamtengesetzen als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die Grundordnung betätigen, mit der Folge, daß das Ruhegehalt und die Versorgungsbezüge aberkannt werden können 33 . Das Bundesverfassungsgericht versteht dabei unter Betätigungen gegen die Grundordnung wiederum A k t i vitäten feindseliger A r t 3 4 . Bei einer Betätigung gegen die Grundordnung können schließlich auch Empfängern von Hinterbliebenenversorgung die Versorgungsbezüge entzogen werden; diese früher in § 187 BBG und § 90 BRRG enthaltene Regelung ist trotz der dagegen erhobenen Bedenken 35 in das neue bundeseinheitlich geltende Versorgungsrecht in § 64 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz übernommen worden. Bei aggressiv kämpferischem Verhalten gegen die Grundordnung ist außerdem für alle Beamtenverhältnisse eine Differenzierung der Verfassungstreue je nach Art der dienstlichen Obliegenheiten nicht mehr möglich, da dann jeder Beamte eine Gefahr für die Grundordnung darstellt 36 . Angestellte im öffentlichen Dienst dürfen ebenfalls den Staat und seine Verfassungsordnung nicht angreifen; sie können sonst nicht eingestellt werden 29
Bundestagsdrucksache Nr. 7/4187 vom 21. 10. 1975. Burandt, ZBR 1977, 137 (141). 31 BVerfGE 46, 43 (52 f.). 32 Bundestagsdrucksache Nr. 8/2680 vom 16. 3. 1979. 33 § 77 Abs. 2 Nr. 1 BBG i.V.m. §§ 2, 5 Abs. 2,12 Abs. 2 BDO und die Landesbeamtengesetze entsprechend § 45 Abs. 2 BRRG. 34 BVerfGE 39, 334 (351). 3 5 Finger, ZBR 1971, 237. 3 ® BVerfGE 39, 334 (355). 30
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
oder müssen wegen grober Verletzung ihrer Dienstpflichten entlassen werden 37 . Das Bundesarbeitsgericht hat diese Aussage dahin konkretisiert, daß es mit der „Grundpflicht eines jeden Arbeitnehmers nicht vereinbar wäre, wenn der Angestellte den Staat und seine Verfassungsorgane in unangemessener Weise angriffe, ihn verächtlich machte oder beschimpfte" 38 . Den Begriff der Grundpflicht hat das Bundesarbeitsgericht auch in späteren Entscheidungen verwendet 39 und in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht davon gesprochen, daß sonst Mindestanforderungen für jede Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht erfüllt sind 40 . Die auf diese Weise umschriebene Bekämpfung der Grundordnung stellt demnach die oberste Stufe der Verfassungsfeindlichkeit und damit zugleich mangelnder Verfassungstreue mit den dazugehörigen Rechtsfolgen dar. Auffällig ist dabei, daß dies in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes zugleich die untere Schwelle ist, um - bei Referendaren außerhalb des Beamtenverhältnisses - einen Bewerber abzulehnen oder gegen Beamte Ruhestandsbeamte und frühere Beamte - dienstrechtlich vorzugehen. Im übrigen ist damit die Grundpflicht für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes deutlich gekennzeichnet. 2. Aktive Ablehnung der Grundordnung
Verfassungsfeindlich sind auf der nächsten Stufe auch die Parteien, Vereinigungen und ihre Anhänger, die sich nach ihrer Zielsetzung gegen die Grundordnung richten, ohne sie zu bekämpfen. Nach der mehrfach erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Partei gem. Art. 21 GG nicht verboten werden, wenn eine aggressiv kämpferische Haltung fehlt 4 1 . Hier sind aber die Verfassungsschutzämter nach Art. 87 Abs. 1 GG i. V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und nach den Landesverfassungsschutzgesetzen berechtigt und verpflichtet, die Entwicklung einer Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen im weiteren Sinne zu einer verfassungsfeindlichen Partei im engeren Sinne zu beobachten. Fraglich ist, ob diese Erkenntnisse ohne weiteres bei der Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern und Beamten weitergegeben und verwertet werden dürfen. Das OVG Berlin hatte die Weitergabebefugnis auf Tatsa37 BVerfGE 39, 334 (355f.). 38 BAG NJW 1976, 1708 (1709); BAG DöD 1980, 183 (184). 39 BAG NJW 1981, 71. 40 BAG NJW 1981, 74; BVerfGE 46, 43 (53); ebenso erneut BAG NJW 1983, 779 (780f.) insofern in Übereinstimmung mit BAG NJW 1982, 2396 hinsichtlich der Mindestanforderungen. « BVerfGE 5, 85 (141).
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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chen eingeengt, die den Schluß auf ein aggressiv kämpferisches verfassungsfeindliches Verhalten zulassen 42 ; ein anderer Senat desselben Gerichts hatte kurz zuvor die Grenzen nicht so eng gezogen43. Zu diesem Problem der Amtshilfe hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr entschieden, daß die Verfassungsschutzbehörden zur Zusammenarbeit verpflichtet seien und daß die Weitergabe von Erkenntnissen nicht auf die Übermittlung von Tatsachen beschränkt sein müsse, die sich auf eine verfassungsfeindliche Betätigung des Beamten beziehen 44 . Das Bundesverwaltungsgericht hatte zu diesem Thema früher erklärt, es sei eine Frage des Einzelfalls, ob die Verwertung von Erkenntnissen aufgrund einer Anfrage beim Verfassungsschutz verhältnismäßig sei; dazu hatte das Gericht später erläutert, es sei dem Dienstherrn nicht verwehrt, bereits aus anderem Anlaß vorhandene Erkenntnisse der Staatsschutzbehörden einzuholen und zu verwerten 45 . Die neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden geht jedoch darüber hinaus, ohne die einschränkenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in dessen Grundsatzbeschluß in diesem Zusammenhang genügend zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte es insoweit jedenfalls im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst für richtig gehalten, daß sich die Einstellungsbehörde nähere Einzelheiten „nicht erst von anderen (Staatsschutz-)Behörden systematisch nach entsprechenden Erhebungen zutragen läßt"; das Gericht hat zur Klärung der Verfassungstreue wesentlich auf das übliche Vorstellungsgespräch abgestellt und sich ansonsten sehr zurückhaltend über zusätzliche Ermittlungen durch die Verfassungsschutzämter geäußert 46 . In einer der abweichenden Meinungen zum Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch geradezu eine Pflicht zur Regelanfrage angenommen worden 47 . Die Auseinandersetzung hat dazu geführt, daß ein Teil der Bundesländer auf die Regelanfrage als routinemäßiges und schematisiertes Verfahren verzichtet und nur auf konkret und nachweisbar verfassungsfeindliches Verhalten im engeren und weiteren Sinne abstellt, wie dies in den erwähnten Grundsätzen des Bundes vom 17.1.1979 vorgesehen ist. Den früheren 42 OVG Berlin - II. Senat - NJW 1978, 1644; ebenso im Ergebnis Bull (2), Erster Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Bundestagsdrucksache Nr. 8/2460 vom 10.1. 1979, S. 24; dagegen Steinbömer, DVB1. 1981, 340 (345) und näher Meyer-Teschendorf, ZBR 1979, 261 (267f.); s. auch Denninger (2), S. 40ff. und ausführlicher (3), S. 20ff. 43 OVG Berlin - IV. Senat - NJW 1978, 1648. 44 BVerwG 1 C 37/79 vom 21. 2. 1984. « BVerwG ZBR 1980, 90; dazu BVerwG DVB1. 1983, 504. 4 ® BVerfGE 39, 334 (354 und 356f.). 47 Wand in BVerfGE 39, 334 (390f.); ebenso insbesondere Kriele (5), S. 5ff.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Beschluß des Hamburger Senats vom 20.4.1976, bei Bewerbern um Aufnahme in eine Ausbildung für Berufe außerhalb des öffentlichen Dienstes von der Regelanfrage abzusehen, hat das Bundesarbeitsgericht inzwischen rechtlich gebilligt 4 8 . Auf der Stufe eines verfassungsfeindlichen Verhaltens im weiteren Sinne ist außerdem eine Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen Verfassungsgrundsätze nach den obenerwähnten Strafbestimmungen auch ohne aggressiv kämpferische Einstellung möglich 49 . Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann aber nur bei strafbarer Bekämpfimg der Grundordnung - unabhängig von der Durchführung eines Strafverfahrens - aufgrund von § 7 Nr. 6 BRAO versagt werden. Daneben kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht gemäß § 7 Nr. 5 BRAO bei straflosem verfassungsfeindlichem Verhalten mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Bewerber sich dadurch eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das ihn für den Beruf eines Rechtsanwalts unwürdig erscheinen lasse. Der Bundesgerichtshof hatte zwar angenommen, daß nach § 7 Nr. 5 BRAO ein aktives Eintreten eines Bewerbers für eine verfassungsfeindliche Organisation zur Versagung der Zulassung führen könne, auch wenn keine Straftatbestände im Sinne des § 7 Nr. 6 BRAO erfüllt sind 5 0 . Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin jedoch entschieden, daß einem Bewerber bei einem aktiven Eintreten für eine als verfassungsfeindlich angesehene Partei ohne strafbares Verhalten nicht die Zulassung als Rechtsanwalt nach der geltenden gesetzlichen Zulassungsregelung versagt werden dürfe 51 . Für die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst kann es dagegen nicht darauf ankommen, ob in strafbarer Weise gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen wird, obwohl diese Überlegung wiederholt zur Diskussion gestellt worden ist 5 2 . Erwägenswert könnte dies allenfalls für einen Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses sein, an den schon nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geringere Anforderungen gestellt werden dürften. Der entsprechende Gesetzentwurf, der für einen einheitlichen Vorbereitungsdienst auf ein strafbares Verhalten abstellte, wurde dann aber - wie erwähnt - zunächst im Zusammenhang mit der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorbereitungsdienst abgeändert und inzwischen in neuer Form eingebracht 53 . « BAG NJW 1981, 73 (75). 49 Dreher / Tröndle, Randnr. 13 zu § 87 StGB. so BGH NJW 1980, 2711; s. auch vorher BGHZ 68, 46 (48). 51 BVerfGE 63, 266. 52 Küchenhoff / Schimke, „Gewährbieten jederzeitiger Verfassungstreue" von Bewerbern für den öffentlichen Dienst und Rechtsstaatlichkeit, S. 23 (60f. und 68). 53 Bundestagsdrucksache Nr. 10/213 vom 27. 6. 1983, S. 4 und Begründung S. 8 unter Hinweis auf BVerfGE 39, 334 (371 ff.) und BVerfG NJW 1983, 1535.
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Immerhin könnte bei den Überlegungen zur Bedeutung strafbaren Verhaltens darauf verwiesen werden, daß das Bundesverwaltungsgericht früher in einem vergleichbaren Fall die Verübimg strafbarer Handlungen für maßgeblich gehalten hatte 5 4 . Danach sollte die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit nicht schon dann zu verneinen sein, wenn mit dem Grundgesetz unvereinbare Ziele verfolgt würden; das verfassungsfeindliche Verhalten ergebe sich vielmehr daraus, daß die Durchsetzung der Ziele mit Gewalt und durch strafbare Handlungen betrieben würde. In einer späteren Entscheidung zur - ausdrücklich so bezeichneten - Verfassungstreue 55 im Sinne des § 9 Abs. 1 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (JWG) hat das Gericht dagegen klargestellt, daß ein strafbares und gewalttätiges Verhalten nicht erst Voraussetzung für die Versagung der öffentlichen Anerkennung sei, sondern bereits für ein Verbot der Vereinigung ausreiche 56 . Strafbares und gewalttätiges Verhalten seien gemäß dem früheren sog. SDS-Urteil allerdings eindeutige Verstöße gegen die Grundordnung 57 . Die für eine staatliche Förderung in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung weitgesteckten Grenzen würden aber bei einer „qualifizierten Intensität negativen Verhaltens" 58 überschritten, wenn die Grundordnung eindeutig abgelehnt werde, indem sie z.B. offen als nicht erhaltenswert bezeichnet oder auch als praktisch untauglich und unerträglich diffamiert werde 59 . Maßgeblich ist demnach nicht bereits die Ablehnung als solche, sondern die intensive Art und Weise, in der die Ablehnung zum Ausdruck gebracht wird, ohne dabei eine Bekämpfung der Grundordnung darstellen zu müssen. Das Bundesverfassungsgericht hatte ebenfalls in seiner Grundsatzentscheidung deutlich gemacht, daß die Anforderungen an die Verfassungstreue unabhängig von strafbarem Verhalten sind. Nach dieser Entscheidung können Beamte auf Widerruf und Beamte auf Probe ohne Disziplinarverfahren entlassen 60 und Beamte auf Zeit sowie Beamte auf Lebenszeit im förmlichen Disziplinarverfahren aus dem Dienst entfernt werden 61 , wenn sie ihre verfassungsfeindliche Überzeugung nicht nur haben und mitteilen, sondern daraus konkrete Folgerungen für ihr Verhalten gegenüber der 54
BVerwGE 32, 217 (221) zu § 9 JWG. BVerwGE 55, 232 (237, 239, 244); kritisch dazu Zuleeg, JZ 1979, 294 (insbes. 296 ff.). 56 BVerwGE 55, 232 (235f.). 57 BVerwGE 55, 232 (235 und 242). 58 BVerwGE 55, 232 (244). 59 BVerwGE 55, 232 (239 f.). 60 § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 BBG und die Landesbeamtengesetze entsprechend § 23 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BRRG. 61 § 52 Abs. 2, § 77 Abs. 1 BBG, § 2 Abs. 1 BDO und die Landesbeamtengesetze entsprechend § 35 Abs. 1 Satz 3, § 45 Abs. 1, § 95 Abs. 2 BRRG. 55
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Grundordnung insbesondere durch entsprechende politische Aktivitäten ziehen 62 . Im Vergleich dazu sind erst die allgemeinen Strafgesetze als Grenze für politische Aktivitäten bei einer beruflichen Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes in der freien Wirtschaft maßgeblich 63 . Ein aktives verfassungsfeindliches Verhalten ist dagegen unabhängig von etwaigem strafbaren Verhalten mit der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst unvereinbar 64 . Das Bundesverwaltungsgericht ist mittlerweile zu einer kasuistischen Aufzählung von äußeren Verhaltensweisen gelangt, die zu begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue führen 65 . Dabei wird betont, daß die Zweifel auf Umständen beruhen müssen, die von hinreichendem Gewicht sind und objektiv ernsthafte Besorgnisse an der künftigen Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auslösen 66 . Ein schematisches Anknüpfen an die Feststellung bestimmter Verhaltensweisen ist nicht zulässig, wie schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß erwähnt hatte 67 . Allerdings können mehrere Verhaltensweisen, die jeweils für sich weniger bedeutsam sind, in ihrer Gesamtheit aufgrund des - laut Bundesverwaltungsgericht - „Summeneffekts" zu rechtlich erheblichen Zweifeln berechtigen 68 . In jedem Fall kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Persönlichkeit des Bewerbers oder Bediensteten an 6 9 . Bei dieser Gesamtbewertung bilden nach allem die feststellbaren und festgestellten äußeren Verhaltensweisen, aus denen auf eine nicht verfassungstreue Einstellung geschlossen werden kann, den Schwerpunkt der Einzelfallprüfung 70 . Anhaltspunkte für die mangelnde Verfassungstreue können sich dabei insbesondere aus der jeweiligen Art und Weise der Betätigung - über eine einfache Ablehnung der Grundordnung hinaus - ergeben, wie sie sich vor allem bei dem aktiven Eintreten für eine verfassungsfeindliche Partei oder Vereinigung zeigen kann.
62 BVerfGE 39, 334 (350f.). 63 BVerfGE 39, 334 (373). 64 BVerwGE 47, 330 (348) in Übereinstimmung mit BVerfGE 39, 334 (373); ebenso im Ansatz die wiedergegebenen Äußerungen bei Claußen, Jürgen (2), S. 8, Fußnote 4 und S. 17, Fußnoten 52 bis 55. es BVerwG NJW 1980, 2145 (2146); insbesondere BVerwG NJW 1981, 1386 (1387 und 1389); s. auch BAG DöD 1980, 183 (185). 66 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). e? BVerfGE 39, 334 (354f.). 68 BVerwG NJW 1981,1386 (1389) im Anschluß an BVerwG NJW 1980, 2145 (2146). 69 BVerfGE 39, 334 (353); BVerwG NJW 1981, 1386 (1387); ebenso BAG DöD 1980, 183 (184). 70 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387).
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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3. Bekenntnis gegen die Grundordnung
Nur geringfügig unterscheidet sich davon die nächste Stufe, auf der ein verfassungsfeindliches Bekenntnis eines Bewerbers zu begründeten Zweifeln an seiner Verfassungstreue und damit zu seiner Ablehnung führen kann. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dies mit den Worten zum Ausdruck gebracht, daß „bei gebotener Berücksichtigung der Einzelumstände des jeweils zu entscheidenden Falles schon allein das auf innerer Überzeugung fußende Bekenntnis des Bewerbers zu den mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarenden Zielen einer extremistischen politischen Partei linker oder rechter Prägung" berechtigte Zweifel an der Verfassungstreue auslösen kann 7 1 . Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts stimmt damit überein, indem die Einstellungsbehörde im Einzelfall aufgrund einer Vielzahl von Elementen und deren Bewertung zu der Überzeugung gelangen kann, daß der Bewerber seiner Persönlichkeit nach voraussichtlich nicht die Anforderungen an die Verfassungstreue erfüllen wird; dabei werden (verfassungsfeindliche) Äußerungen als erstes Beispiel in einer Reihe von Beurteilungselementen genannt 72 . Diese Auslegung der Pflicht zur Verfassungstreue ist konsequent und sachgerecht, da mit der Verpflichtung, sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen, ein Gegenbekenntnis gegen diese Grundordnung unvereinbar ist. Maßstab sind dabei wieder die vom Bundesverfassungsgericht genannten Elemente der Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes 73. Wer beispielsweise die Gewaltenteilung, das Mehrparteienprinzip und die Unabhängigkeit der Gerichte ablehnt, verhält sich nicht verfassungstreu. Zu dem „gesamten Verhalten" im Sinne des Beamtenrechts gehören dabei unstreitig nicht nur Handlungen, sondern auch Äußerungen. Die Ablehnung der Grundordnung kann durch Wort oder Tat zum Ausdruck kommen; sie ist bei konkreten Äußerungen häufig sogar deutlicher feststellbar und damit gerichtlich gesicherter nachprüfbar als bei bestimmten Handlungen, die erst als verfassungsfeindlich bewertet werden müssen. Maßgeblich ist hier die Feststellung, daß sich der Bewerber oder Bedienstete mit verfassungsfeindlichen Zielvorstellungen identifiziert 74 . Bei der Kennzeichnung von Äußerungen als verfassungsfeindlich sind aber Sorgfalt und Zurückhaltung geboten, um Überinterpretationen und Unterstellungen zu vermeiden 75 . Nur substantiierte Erkenntnisse dürfen " BVerwGE 47, 330 (338f.); BVerwGE 52, 313 (336); BVerwG DöD 1980, 84 (85). BVerfGE 39, 334 (352 f.). 73 BVerfGE 2, 1 (12f.); 5, 85 (140). 74 Erneut BVerwG NJW 1981, 1386 (1387) und 1390 (1391). 75 Jasper (2), DVB1. 1978, 725 (730) mit Beispielen für die unbegründete Annahme verfassungsfeindlicher Äußerungen. 72
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
dabei aufgrund von Anfragen durch die Verfassungsschutzämter vorgelegt und dann verwertet werden 76 , die eindeutig den Schluß auf ein verfassungsfeindliches Verhalten zulassen. Diese Beschränkung ist auch deshalb geboten, weil nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts die Einstellungsbehörde bereits über die Ablehnung entscheiden kann, ohne vorher den Bewerber zu ihren Zweifeln anzuhören 77 ; erst danach hat der Bewerber einen Anspruch auf Mitteilung der Umstände für die Ablehnung, wenn der Bescheid durch Anfechtungsklage angegriffen werden soll 78 . Die im Entwurf des Bundesrats und der Bundesregierung vorgesehene Regelung, wonach die Einstellungsbehörde vor einer Entscheidung dem Bewerber Gelegenheit zur Äußerung zu den erheblichen Tatsachen zu geben hat 7 9 , ist nicht Gesetz geworden, sondern nur als Verwaltungsvorschrift in den Verfahrensgrundsätzen des Bundes 80 und mehrerer Bundesländer enthalten 8 1 . Bei der Bewertung von Äußerungen aus früheren Jahren ist gerade bei jüngeren Bewerbern zu berücksichtigen, daß inzwischen eine Einstellungsund Verhaltensänderung erfolgt sein kann. Der Bundestag hat in seiner bereits erwähnten Entschließung vom 24.10.1975 betont, daß „Äußerungen und Handlungen eines jüngeren Menchen aus seiner Ausbildungs- und Studienzeit, insbesondere wenn sie längere Zeit zurückliegen, zur Begründung einer Einstellungsablehnung nur herangezogen werden, wenn sie nach Art und Schwere berechtigten Anlaß zu der Annahme geben, der Bewerber werde nach seiner Ernennung nicht die Gewähr bieten, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt" 8 2 . Ohnehin können einzelne Äußerungen nicht isoliert bewertet werden, sondern bilden nur eines von mehreren Beurteilungselementen, die insgesamt bei dem notwendigen prognostischen Urteil über die Persönlichkeit des Bewerbers einzubeziehen sind 83 . Für die Persönlichkeitsbeurteilung liegt außerdem der Schwerpunkt im Vorbereitungsdienst und in der Probezeit, so daß zunächst eine vorläufige Beurteilung ausreicht 84 . Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen hervorgehoben, daß Verhaltensweisen, aus denen Zweifel am künftigen verfassungstreuen Verhal76 OVG Berlin NJW 1978, 1644 und 1648 (II. und IV. Senat insoweit übereinstimmend). 77 BVerfGE 39, 334 (352). 78 BVerfGE 39, 334 (354). 79 Bundesratsdrucksache Nr. 125/74 vom 11. 2. 1974 und Bundesratsdrucksache Nr. 208/74 vom 8.3. 1974. 80 Grundsätze (2) - Neufassung - , S. 45ff., Abschnitt Π Nr. 5. 81 z.B. in Hamburg durch Übernahme der Bundesregelung gemäß Nr. 2 der W zu § 6 HmbBG, MittVw 1981, 19 (20). 82 Grundsätze (2), S.553. 83 BVerfGE 39, 334 (353); ebenso BVerwG NJW 1981, 1390 (1391) - Summeneffekt - . S4 BVerfGE 39, 334 (356); ebenso BVerfG DVB1. 1981, 1053.
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ten hergeleitet werden, von hinreichendem Gewicht und damit zur Auslösung von Zweifeln generell geeignet sein müssen 85 . Dies gilt ausdrücklich auch für das Bekenntnis zu Zielen linker oder rechter Prägung, die mit der Grundordnung nicht zu vereinbaren sind 8 6 . K r i t i k im Rahmen der Verfassung gehört dagegen nicht zu derartigen Umständen; erst bei unsachlicher, diffamierender K r i t i k besteht Anlaß zu Zweifeln 87 . Hier ist wieder zu unterscheiden zwischen weit zurückliegenden oder einmaligen Vorgängen, denen ein erheblich geringeres Gewicht zukommt, und andererseits einer jahrelangen und noch fortdauernden Ablehnung der Grundordnung. Das Bundesverwaltungsgericht ist mit vielen Hinweisen auf die verschiedenen denkbaren Kriterien ersichtlich um eine einzelfallbezogene Gewichtung bemüht und beruft sich dabei zu Recht auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 88 . Für Zweifel an der Verfassungstreue kann es demnach nur auf Äußerungen von einer bestimmten Intensität ankommen, die entsprechendes Gewicht und Belang haben. In diesem Zusammenhang wird zwar vom Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß sich der Inhalt der - vom Bewerber geforderten - Treuepflicht des Beamten nicht völlig mit dem Inhalt der disziplinär zu ahndenden Treuepflichtverletzung deckt, weil dazu ein Minimum an Gewicht und Evidenz der Pflichtverletzung gehört 89 . Dies könnte zu der Annahme führen, daß ein Bewerber schon aus weniger gewichtigen Gründen abgelehnt werden könnte. In einer der abweichenden Meinungen zu dem Grundsatzbeschluß ist aber insoweit gefragt worden, wie es zulässig sein könne, bei der Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers einen Sachverhalt zu dessen Nachteil zu bewerten, der bei einem aktiven Beamten nicht einmal ein Dienstvergehen darstelle 90 . Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht insoweit ausgeführt, daß der Dienstherr bei Bewerbern gerade deshalb die volle Gewähr der Verfassungstreue haben müsse, weil später ein Disziplinarverfahren gegen einen Beamten nur in schwerwiegenden Fällen und nur im Wege eines langwierigen förmlichen Verfahrens zur Entfernung aus dem Dienst führen könne 91 . Überzeugend ist diese Begründung nicht, da eine gemäß Beamtenund Disziplinarrecht später hinzunehmende Verhaltensweise nicht bei einem Bewerber, der sich außerdem in der Vorbereitungs- und Probezeit noch bewähren kann, schon zur Ablehnung ausreichen kann. Das Bundes85
BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). BVerwG NJW 1981, 1386 (1387) unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung. 87 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387) im Anschluß an BVerwGE 55, 232 (240). 88 BVerwG NJW 1981, 1386 (1389). 89 BVerfGE 39, 334 (350). 90 Rupp in BVerfGE 39, 334 (380). 91 BVerfGE 39, 334 (352). 86
5 Schräder
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Verwaltungsgericht hat es sogar umgekehrt für möglich gehalten, daß ein bei einem Beamten disziplinarrechtlich bedeutsames Verhalten für die Prognose der Verfassungstreue eines Bewerbers bedeutungslos sein könne, da der Bewerber bisher noch nicht der beamtenrechtlichen Treuepflicht unterlag 9 2 . Richtigerweise wird darauf abzustellen sein, daß bei einem Bewerber und einem Beamten hinreichend gewichtige Anhaltspunkte vorliegen müssen, die gegen deren Verfassungstreue sprechen, um die weitreichenden Folgen einer Ablehnung oder einer Disziplinarmaßnahme zu rechtfertigen. Die angemessene Gewichtung ist von den Verwaltungsgerichten wiederholt nicht zutreffend vorgenommen worden, wie eine Serie weiterer Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gezeigt hat; mehrere Fälle mußten zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen werden, weil Verhaltensweisen auch hinsichtlich angeblich bedenklicher Bekenntnisse überbewertet oder nicht hinreichend gewichtet worden waren 93 . Schließlich ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, „daß bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, daß man diese habe, ist niemals eine Verletzung der Treuepflicht, die dem Beamten auferlegt ist" 9 4 . Die Grenze w i r d hier erst überschritten, wenn aus der politischen Überzeugung Folgerungen gegenüber der Grundordnung durch besondere Aktivitäten gezogen werden 95 . Dies stimmt mit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts überein, daß Ideen, Ideologien, Weltanschauungen, Überzeugungen und politische Denkweisen noch nicht der Bewertung unterliegen, mit der Verfassungsordnung vereinbar oder unvereinbar zu sein; erst die daraus hergeleiteten konkreten politischen Zielsetzungen seien positiv oder negativ bewertbar 96 . Ein Bekenntnis ohne besondere Intensität führt deshalb nicht zur Ablehnung 97 , ebenso wie umgekehrt bloße Bekenntnisse zur Grundordnung nicht anderweitig objektiv begründete Zweifel an der Verfassungstreue ausräumen können 98 . Im Ergebnis ist wieder eine Gesamtbewertimg entscheidend ohne Schematisierung einzelner Verhaltensweisen 99 . Dabei ist unverkennbar, daß die Grenzziehung zwischen der bloßen Meinungsäußerung, die noch zu keinen dienstrechtlichen Folgerungen führt, und dem eindeutigen Bekenntnis gegen die Grundordnung im Einzelfall sehr schwierig sein kann.
92 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). 93 u.a. BVerwG DÖV 1982, 73 und RiA 1982, 18. 9 < BVerfGE 39, 334 (350). 95 BVerfGE 39, 334 (351). 9 ® BVerwG NJW 1981, 1392 (1393). 97 Geiger, S. 533ff. am Ende. 98 Roellecke, S. 461; ebenso BVerwG NJW 1981, 1386 (1389). 99 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387) m.w.N.
III. Abstufungen der Verfassungstreue
67
Verfassungsrechtlich verständlich wird diese Argumentation nur, wenn die Auswirkungen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG im Verhältnis zu Art. 33 GG berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich damit in seiner Grundsatzentscheidung zur Verfassungstreue unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung seit der Weimarer Zeit ausführlich auseinandergesetzt 100 . Es hat betont, daß der Beamte zwar besondere Pflichten habe, aber sich zugleich als Bürger auf seine Grundrechte berufen könne 1 0 1 . Der Ausgleich in diesem Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundgesetzbestimmungen bestehe darin, daß politische Meinungsäußerungen von Bewerbern und Beamten nur dann durch Art. 5 GG geschützt seien, wenn sie mit der Verfassungstreue nach Art. 33 Abs. 5 GG nicht unvereinbar seien 102 . Der Begriff der Unvereinbarkeit mit der Grundordnung kehrt hier wieder, der - wie bereits dargestellt wurde - als verfassungsfeindliches Verhalten im weiteren Sinne zu verstehen ist. Damit ist auf verfassungsrechtlicher Ebene geklärt, daß bei der notwendigen Konkordanz zwischen den beiden Grundgesetzbestimmungen die Meinungsfreiheit nicht etwa ganz zurückgedrängt wird. Infolgedessen bleiben schlichte Meinungsäußerungen grundsätzlich möglich und zulässig, auch wenn sie an sich der Grundordnung widersprechen. Ergänzend sind die Regelungen des Beamten- und Disziplinarrechts nach Art. 5 Abs. 2 GG als allgemeine Gesetze heranzuziehen 103 . Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert ähnlich hinsichtlich der Verfassungstreue nach § 9 JWG mit der Begründung, daß durch Art. 5 GG intensiv negative Äußerungen mit bewußt unwahrer Tatsachenmitteilung und verzerrter Darstellung als Pseudooperation der Meinungsbildung nicht geschützt werden 104 . Dabei ist festzuhalten, daß das maßgebliche Kriterium nicht allein die von der Grundordnung besonders abweichenden Ziele, sondern die besonders unverträglichen Mittel bei der Ablehnung der Grundordnung sind. Auf die Art und Weise der Meinungsäußerung stellt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls bei seinen neueren Entscheidungen zu Art. 5 Abs. 1 GG ab 1 0 5 . Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet hier jeweils zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen, wobei unwahre Tatsachenbehaup100 BVerfGE 39, 334 (360ff.). 101 BVerfGE 39, 334 (366); zum Verhältnis der Informations- und Meinungsfreiheit des Bürgers einerseits sowie der Belange des politischen Staatsschutzes andererseits s. auch die abweichende Meinung Rupp-von Brünneck und Simon in BVerfGE 33, 52 (84 ff.). 102 BVerfGE 39, 334 (367). los BVerfGE 39, 334 (367). 104 BVerwGE 55, 232 (241). 105 BVerfGE 47, 198 (232f.) - Rundfunkwahlwerbungs-Entscheidung - ; 54, 129 (137 ff.) - Kunstkritik-Entscheidung - ; 54, 149 (152 f.) - Eppler-Entscheidung - ; 54, 208 (219f.) - Böll-Entscheidung - . 5-
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
tungen mit Unterstellungen und Verfälschungen nicht der Meinungsbildung dienen und deshalb von Art. 5 GG nicht geschützt sind, während bei Werturteilen im Interesse der freien Meinungsbildung gerade bei öffentlicher Auseinandersetzung ohne Rücksicht auf den Inhalt die Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede einschließlich scharfer K r i t i k spricht 1 0 6 . Das Gericht weist allerdings darauf hin, daß die sehr weiten Grenzen bei öffentlicher K r i t i k nicht für Meinungsäußerungen über Gegenstände ohne allgemeines Interesse und für Auseinandersetzungen im privaten Bereich gelten 1 0 7 ; insoweit ist eine weitere Differenzierung erforderlich, die auch bei der Bewertung der Äußerungen von Bewerbern und Beamten zu erfolgen haben wird. Als Grundgedanke bei der Abwägung im Hinblick auf Art. 5 GG ist dabei die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, daß bei Eingriffen in diesen Grundrechtsbereich strenge Anforderungen an die Voraussetzungen und die Begründung des Eingriffs zu stellen sind; gerade eine präventive Kontrolle im administrativen Bereich muß gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Art und Umfang der tatsächlichen Gefahr angepaßt sein, der begegnet werden soll, so daß evidente und ins Gewicht fallende Verletzungen des geschützten Rechtsguts vorliegen müssen 108 . Diese Ausführungen zur Rundfunkwahlwerbung politischer Parteien mit verfassungsfeindlichen Äußerungen lassen sich durchaus auf die Entscheidungssituation der Verwaltung jedenfalls gegenüber Bewerbern übertragen, bei denen es um die präventive Fernhaltung vom öffentlichen Dienst wegen verfassungsfeindlicher Äußerungen zum Schutz der Grundordnung geht. Dies ergibt sich auch daraus, daß das Bundesverfassungsgericht die Grenzziehung für noch zulässige Meinungsäußerungen hier nicht aus dem Parteienprivileg, sondern aus den für alle geltenden allgemeinen Gesetzen ableitet 1 0 9 . Bestätigt wird dies im Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungstreue dadurch, daß nur „die für die Erhaltung eines intakten Beamtentums unerläßlich zu fordernden Pflichten" 1 1 0 die Wahrnehmung der Grundrechte einschränken. Der verfassungsrechtliche Ausgleich besteht darin, daß der grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 5 G G 1 1 1 Rechnung getragen wird, indem an die Gewähr der Verfassungstreue nur die zur Wahrung von Art. 33 GG unerläßlichen Anforderungen gestellt werden. Von Verfassungs wegen darf daher eine 106
BVerfG in ständiger Rechtsprechung seit BVerfGE 7,198 (212) - Lüth-Urteil io? BVerfGE 54, 129 (137). 108 BVerfGE 47, 198 (234). w® BVerfGE 47, 198 (230f.). BVerfGE 39, 334 (367). Iii BVerfGE 21, 271 (281).
. Abstufungen der Verfassungstreue
69
ablehnende Entscheidung nur ergehen, wenn der Betreffende nach abschließender Prognose nicht lediglich abgelehnt werden kann, sondern abgelehnt werden muß. Präziser als nach dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hier eine verfassungsrechtliche Rechtsschranke für den Ermessensgebrauch zu beachten, die eine Ablehnung nur in zwingenden Fällen zuläßt 1 1 2 . Eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit ergibt sich allerdings im öffentlichen Dienst aus dem Zurückhaltungs- und Mäßigungsgebot bei politischer Betätigung, das für Beamte in § 53 BBG und § 35 Abs. 2 BRRG geregelt ist und das für Angestellte über § 8 BAT entsprechend gilt. Dabei kommt es wieder wesentlich auf die Form der Meinungsäußerung an, deren Zulässigkeit entsprechend der Wechselwirkung zwischen einschränkendem Gesetz und eingeschränktem Grundrecht zu beurteilen ist 1 1 3 . Wie schwierig diese Abwägung sein kann, zeigen die gegensätzlichen Entscheidungen zur Frage, ob Lehrer in Schule und Unterricht die sog. Anti-Atom-Plakette tragen dürfen, wobei die Gerichte zum Teil Art. 5 G G 1 1 4 und zum Teil das Zurückhaltungsgebot 115 für vorrangig halten. Auf die Art und Weise der Meinungsäußerung hat das Bundesverwaltungsgericht auch hinsichtlich der Anforderungen an die Verfassungstreue unter Berücksichtigung der Lehrfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG abgestellt. Den Hochschullehrern ist durch diese Grundrechtsbestimmung eine weitgehende Unabhängigkeit gewährleistet; nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG entbindet aber „die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung". Dabei ist nicht die politische Überzeugung und Gesinnung sowie das Bekenntnis zu Lehrmeinungen entscheidend, sondern das daraus hergeleitete aktive politische Verhalten 116 . Das Gericht verweist dazu auf die Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat, bei denen Carlo Schmid anführte, daß Versuche unterbunden werden sollten, „die Republik wissenschaftlich zu unterlaufen" 1 1 7 . Bei dieser Gelegenheit hat er erklärt, daß Meinungsäußerungen mit der Verfassungstreue unvereinbar seien, mit denen die Grundordnung nicht kritisiert, sondern verächtlich gemacht werde 1 1 8 . 112
Seuffert, Walter (1), DVB1. 1981, 1037 (1038 und 1040). »3 BVerfGE 7, 198 (207f.); 20, 162 (176); zur Abwägung im Schulbereich BayVerfGH NJW 1982, 1089. 114 VG Bremen NJW 1979, 2629 und ArbG Hamburg 15 CA 70/78 (aufgehoben durch BAG NJW 1982, 2888) für Zulässigkeit der Plakette. us VG Hamburg NJW 1979, 2164 und BAG NJW 1982, 2888 gegen Zulässigkeit der Plakette; ebenso BVerwG DVB1. 1981, 1066 für Soldaten, aber offengelassen für Verwaltungsbedienstete, S. 1069. ne BVerwGE 52, 313 (331 f. und 335). h 7 BVerwGE 52, 313 (333). ne Wiedergegeben bei Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Kommentar, Randnr. 198 zu Art. 5 GG.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Nur intensive Äußerungen gegen die Grundordnung sind nach allem als verfassungsfeindliches Verhalten auch im weiteren Sinne anzusehen, wobei es auf die Form der Äußerung besonders ankommt. Damit stimmen die verschiedentlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Grundsatzbeschluß überein, wonach „verfassungsfeindliche Umtriebe" im öffentlichen Dienst vermieden werden müssen, die „Beeinflussung ... im Sinne einer verfassungsfeindlichen politischen Überzeugung" zu verhindern ist und zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung derjenige, der „dem Staat dienen will, nicht gegen den Staat und seine Verfassungsordnung aufbegehren und anrennen" darf 1 1 9 . Unbeschadet der am Anfang der Entscheidung genannten hohen Anforderungen an die Verfassungstreue 120 stellt das Gericht letztlich auf derartige Aktivitäten gegen die Grundordnung ab und macht davon die Prognose über die künftige Gewähr der Verfassungstreue abhängig. Zu den qualifizierten Meinungsäußerungen in diesem Sinne gehören insbesondere ausdrückliche und uneingeschränkte Bekenntnisse zu den verfassungsfeindlichen Zielen einer Partei. Übereinstimmend ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in mehreren - zum Teil unveröffentlichten 121 - Entscheidungen und aus den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts 122 , daß das klare Bekenntnis zu verfassungsfeindlichen Parteizielen zu begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue führen kann. Bei einer derartigen Identifikation ist es nicht erforderlich, daß eine zusätzliche aktive Betätigung gegen die Grundordnung nachgewiesen w i r d 1 2 3 . Der Bewerber oder Bedienstete muß sich dann die verfassungsfeindliche Zielsetzung der Partei als eigenes Verhalten zurechnen lassen und kann dies nur entkräften, wenn er sich von diesen Zielen glaubhaft - etwa aufgrund einer überzeugenden Einstellungs- und Verhaltensänderung - distanziert 124 . Diese Rechtsprechung ist inzwischen vom Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren eines Hochschullehrers, der sich zur Parteilinie der NPD durch entsprechende Äußerungen bekannt hatte, noch einmal bestätigt worden 1 2 5 . Darüber hinaus scheint noch das (nicht rechtskräftige) Urteil der Kammer I I I des Bundesdisziplinargerichts zu gehen 126 ; danach soll dem Beamten die Änderung einer verfassungsfeindlichen Überzeugimg beamtenrechtlich us BVerfGE 39, 334 (350, 355 und 371). 120 BVerfGE 39, 334 (346 bis 349). 121 Wiedergegeben vom Hessischen VGH DVB1. 1978, 828 (829). 122 BAG NJW 1976, 1708 (1710) m.w.N. 123 Hessischer VGH DVB1. 1978, 828 (829). 124 BVerfGE 39, 334 (348) und BAG NJW 1978, 69 (71). 125 BVerfG DVB1. 1981, 1053. 126 Bundesdisziplinargericht - Kammer I I I - DöD 1981, 229, s. anschließend BVerwG DVB1. 1983, 81 (84f.).
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71
nicht zumutbar sein, auch wenn sie einen Eignungsmangel begründet und z.B. die dienstliche Verwendbarkeit einschränkt. Das Gericht beruft sich dazu auf die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß das bloße Haben einer verfassungsfeindlichen Überzeugung und die entsprechende bloße Mitteilung niemals eine Verletzung der Treuepflicht darstelle. Daraus wird gefolgert, „daß es bei Beamten auf Lebenszeit hingenommen werden muß, daß sie die freiheitliche demokratische Grundordnung innerlich ablehnen und dies auch mitteilen, und daß - abgesehen von besonderen Umständen auch eine Distanzierung von derartigen Ideen oder Bestrebungen von ihnen nicht im Sinne einer mit disziplinarrechtlichen Sanktionen bewährten Pflicht verlangt werden darf". Die Ablehnung der Grundordnung wurde aber hierbei ohne konkrete Anhaltspunkte einfach aus der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei entnommen, die nach Meinung des Gerichts „die durchaus angemessene Form eines politischen Bekenntnisses und der sinnvolle Ausdruck einer entsprechenden politischen Überzeugung" sei 1 2 7 . Damit wird die Argumentation aber auf das Problem der Mitgliedschaft verlagert, das nachstehend gesondert zu behandeln ist.
4. Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei
Ob auf der nächsten Stufe ohne verfassungsfeindliche Aktivitäten und Bekenntnisse die bloße Mitgliedschaft in einer Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen zur Ablehnung eines Bewerbers und zu dienstrechtlichen Maßnahmen gegen Beamte und Angestellte führt, ist nach wie vor umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage in seinem Grundsatzbeschluß nicht klar entschieden, sondern nur die Vorfrage geklärt, daß das Parteienprivileg einer Berücksichtigung verfassungsfeindlichen Verhaltens nicht im Wege steht 1 2 8 . Es hat die frühere Auseinandersetzung zu dieser Frage endgültig durch die Bemerkung beendet, „es wäre geradezu willkürlich, dieses Element der Beurteilung einer Persönlichkeit auszuscheiden, also den Dienstherrn zu zwingen, die Verfassungstreue eines Beamten zu bejahen, weil eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit einer Partei aussteht" 129 . Der Ansatzpunkt im Ministerpräsidentenbeschluß hat insoweit seine Bedeutung behalten, wonach es unterhalb der nach Art. 18 und 21 GG festgestellten Verfassungswidrigkeit die Zwischenstufe der Verfassungsfeindlichkeit gibt; von der Anerkennung dieser Zwischenstufe hängt es auch ab, 127
Bundesdisziplinargericht DöD 1981, 229. BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 8 - und 357ff.); anders dagegen vorher z.B. der Richterdienstsenat beim Hans. OLG ZBR 1973, 22 und der I. Wehrdienstsenat beim BVerwG ZBR 1973, 276 in Übereinstimmung z.B. mit Ule (6), Randnr. 5 zu § 4 BRRG. 1 29 BVerfGE 39, 334 (359). 128
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
daß diejenigen vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden können, die im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Organisationen der Grundordnung selbst ablehnend gegenüberstehen 130 . Die weitere Annahme im Ministerpräsidentenbeschluß, daß die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Vereinigungen „ i n aller Regel zu einem Loyalitätskonflikt führen" w i r d 1 3 1 , ist aber einer der Hauptstreitpunkte geblieben 1 3 2 . Das Bundesverfassungsgericht hat dazu lediglich den auslegungsfähigen und -bedürftigen Hinweis gegeben, daß „ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein kann, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt" 1 3 3 . Zuvor hat das Gericht bereits deutlich gemacht, daß die „Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gruppen, Vereinigungen oder politischen Parteien" nur ein Beurteilungselement in einer „von Fall zu Fall wechselnden Vielzahl von Elementen" ist und daß es auf deren Bewertung ankommt, die dann erst das erforderliche „prognostische Urteil über die Persönlichkeit des Bewerbers" ergibt 1 3 4 . Damit ist sowohl die Möglichkeit offengehalten worden, daß sich aus der Mitgliedschaft als solcher allein noch keine Schlußfolgerungen ergeben, als auch die Möglichkeit, daß daraus bei entsprechender Bewertung entscheidungserhebliche Anhaltspunkte für die Beurteilung der Verfassungstreue zu entnehmen sind. In den abweichenden Meinungen zum Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts wird einerseits angenommen, daß die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsgerichtlich nicht verbotenen Partei und das Bekenntnis zu dieser Mitgliedschaft zu dem bloßen Haben einer Überzeugung und der Mitteilung darüber gehöre und deshalb keine Verletzung der Treuepflicht des Beamten sei 1 3 5 . Es wird sogar behauptet, daß dies „offenbar die Meinung der Mehrheit" des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts sei, wie sich aus den später vom Gericht angeblich zustimmend erwähnten Gerichtsentscheidungen der Weimarer Zeit ergeben soll, die eine disziplinare Bestrafung eines Beamten wegen des bloßen Bekenntnisses zu einer politischen Partei ausschlossen136. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedoch einer Bewertung der Rechtsprechung aus der Weimarer Zeit ersichtlich enthalten und die damaligen Urteile nur wiedergegeben 137 , um dann später von der 130
Borgs-Maciejewski, S. 20. Grundsätze (1), S. 142. 132 s. oben Fn. 14 bis 16. 133 BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 8 -). W4 BVerfGE 39, 334 (353 und auch 354f.). 135 Seuffert in BVerfGE 39, 334 (376). 136 Rupp in BVerfGE 39, 334 (379). "7 BVerfGE 39, 334 (362 ff.). 131
. Abstufungen der Verfassungstreue
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„bitteren Erfahrung mit dem Schicksal der Weimarer Demokratie" zu sprechen 138 . Die Konsequenzen, die das Gericht aus der bloßen Mitgliedschaft ziehen will, bleiben daher ungewiß und offen, wie in der weiteren abweichenden Meinung ausdrücklich betont w i r d 1 3 9 . Dort wird als eigene Auffassung hinzugefügt 140 , daß ein Bewerber, der Mitglied einer verfassungsfeindlichen Partei ist, sich „selbstverständlich entgegenhalten lassen muß, daß er sich mit den verfassungsfeindlichen Zielen seiner Partei identifiziere. Damit drängen sich der Natur der Sache nach Zweifel an der Verfassungstreue auf, die die Eignung für das erstrebte Amt regelmäßig ausschließen". Es soll nach dieser Auffassung dann Sache des Bewerbers sein, die Zweifel auszuräumen; insofern soll er gemäß den kurz vor dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 141 die Beweislast tragen. Daß dies aber keineswegs selbstverständlich ist, ergibt sich daraus, daß es laut Begründung des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatzbeschluß zur Verfassungstreue gerade keine Beweislast - für den Bewerber oder für die Einstellungsbehörde - gibt 1 4 2 . In der unterschiedlichen Bewertung der Beweislastfrage ist inzwischen eine Kontroverse zwischen Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht gesehen worden 1 4 3 . Hinsichtlich der Mitgliedschaft hatte die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts in der Tat bedeutet, daß der Dienstherr nur die materielle Beweislast für das Vorliegen von Umständen trägt, die geeignet sind, Zweifel ohne hinreichend sichere Überzeugung an der Verfassungstreue des Bewerbers auszulösen 144 ; dazu würde er unter Umständen allein die Tatsache der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Vereinigung zu belegen brauchen. Der Beamtenbewerber müßte dann abgelehnt werden, wenn er die auf diese Weise begründeten Zweifel nicht zerstreuen könnte, da er dafür die materielle Beweislast trüge 1 4 5 . Nach der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß es keine derartige Beweislastverteilung gibt, entfällt dagegen eine solche Argumentation. Das Bundesverwaltungsgericht hat dennoch - unabhängig von der Frage der Mitgliedschaft - in späteren Entscheidungen daran festgehalten, daß der 138 139 140 141 142 143 144 145
BVerfGE 39, 334 (368 f.). Wand in BVerfGE 39, 334 (389). Wand in BVerfGE 39, 334 (390). BVerwGE 47, 330 (339); 47, 365 (375f.). BVerfGE 39, 334 (352 f.). Seuffert, Walter (1), S. 1040. BVerwGE 47, 365 (376). BVerwGE 47, 365 (375).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Grundsatz der materiellen Beweislast hier maßgebend sei 1 4 6 . Zutreffend wird dabei wiederholt, daß es allerdings eine formelle Beweislast im Verwaltungsstreitverfahren mit der Untersuchungsmaxime nicht gibt. Fehlinterpretiert wird jedoch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung der Beweislast, da es nach Meinimg des Bundesverfassungsgerichts gerade keine Beweislast für die tatsächlichen Grundlagen der Prognose über die Verfassungstreue gibt 1 4 7 . Diese Auseinandersetzung zwischen den beiden Gerichten wird aber dadurch relativiert, daß es unbestritten gewichtige äußere Verhaltensweisen gibt, die prima facie deutlich auf eine entsprechende innere Einstellung hinweisen; dann müssen an einen Gegenbeweis hohe Anforderungen gestellt werden. Insofern sollte auch mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage gestellt werden, daß sich aus einem prima facieNachweis eine „materielle Beweislast" ergeben kann 1 4 8 . Wesentlich kommt es aber dem Bundesverfassungsgericht darauf an, daß einzelne konkrete Verhaltensweisen nicht bereits die Gewähr der Verfassungstreue ausschließen, sondern die Prognose der Gesamtpersönlichkeit entscheidend ist 1 4 9 . Ob dabei die Mitgliedschaft ein gewichtiger deutlicher Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Einstellung ist, ist gerade die - vom Bundesverfassungsgericht offengelassene - Frage. Der Streit um die Bedeutung der Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen beschäftigte vor und nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts auch eingehend Bundesrat und Bundestag. Aufgrund einer Initiative im Bundesrat 150 sollte mit einem § 122 a Abs. 2 BRRG folgende Bestimmung als unmittelbar geltendes Recht für Bundes- und Landesbeamte eingeführt werden: „Die Mitgliedschaft in einer Partei oder sonstigen Vereinigung, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, begründet in der Regel Zweifel daran, ob der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird, und zwar auch dann, wenn die Partei oder Vereinigung noch nicht verboten ist. Bleiben die Zweifel bestehen, so ist der Bewerber abzulehnen." In der Begründung wurde ausdrücklich darauf verwiesen, daß auf diese Weise einer der Hauptpunkte aus dem Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972 zur Konkretisierung der Verfassungstreuepflicht gesetzlich geregelt werden sollte. Durch eine derartige Regelung hätte ersichtlich die erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Gesetzeskraft erhalten. 146 BVerwG NJW 1981, 1386 (1389). ι4? Seuffert, Walter (1), S. 1040. 148 Seuffert, Walter (1), S. 1040. 149 BVerfGE 39, 334 (354f.). 1 50 Bundesratsdrucksache Nr. 125/74 vom 11. 2. 1974.
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften 1 5 1 machte die Bundesregierung dagegen den Vorschlag, keine Regelvermutung hinsichtlich der Mitgliedschaft aufzustellen, sondern nur auf die Umstände abzustellen, die in der Person des Bewerbers feststehen. In der intensiven Bundesratsdebatte vom 10.5.1974 wurde deutlich, daß die Bundesratsmehrheit nicht bereit war, von der Regelvermutung abzugehen. Es wurde dabei zwar eingeräumt, daß die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation ausnahmsweise in Einzelfällen „nicht gleich Verfassungsfeindlichkeit des Einzelmitglieds ist" ; der Bewerber müsse dann aber „glaubhaft machen, daß er sich trotz Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt", und sonst abgewiesen werden. Seitens der Bundesregierung wurde anerkannt, daß in beiden Gesetzentwürfen ein Automatismus hinsichtlich der Mitgliedschaft vermieden wird; es wurde jedoch hinzugefügt, daß gemäß dem Entwurf der Bundesregierung bei der Prüfung der in der Person des Bewerbers liegenden Umstände die Mitgliedschaft zwar mitzuberücksichtigen sei, aber jede pauschalierende und generalisierende Wertung unterbleibe und dadurch „jenes Quantum Rechtsstaatlichkeit mehr (erreicht wird), das unsere Ordnung und ihre freiheitliche und damit überlegene Qualität auszeichnet" 152 . Die gegenteiligen Auffassungen wurden in der Stellungnahme des Bundesrats und der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften 153 noch einmal bekräftigt. Der Bundesrat hielt daran fest, die Mitgliedschaft als gesetzlichen Vermutungstatbestand zu normieren; eine Regelung im Beamtenrahmenrecht wurde für unzureichend gehalten und eine Übernahme in das unmittelbar für Bund und Länder geltende Beamtenrecht verlangt. Die Bundesregierung stimmte nur zu, die vorgesehenen Regelungen ohne Vermutungstatbestand mit unmittelbar geltender Wirkung zu erlassen. In der ausführlichen Bundestagsdebatte vom 15.11.1974 154 stand - bei aller sonstigen Gemeinsamkeit der beiden Gesetzentwürfe - die unterschiedliche Bewertung der Mitgliedschaft im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Zur Begründung des Regierungsentwurfs wurde hinzugefügt, daß die Mitgliedschaft ein gewichtiger Umstand in der Person des Bewerbers sei und die Funktionärseigenschaft ein noch bedeutsamerer Umstand; die Bewertung dieser Kriterien sei aber Sache des Einzelfalls, bei dessen Prüfung der Bewerber die durch solche Tatsachen begründeten Zweifel ausräumen müsse, wobei ihm zunächst wie
151 152 153 154
Bundesratsdrucksache Nr. 208/74 vom 8. 3. 1974. Bundesratsdebatte vom 10. 5. 1974, Sten. Bericht, S.155 (156 und 158). Bundestagsdrucksache Nr. 7/2433 vom 31. 7. 1974, S. 7f. Bundestagsdebatte vom 15. 11. 1974, Sten. Berichte, S. 8959.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
jedem Bürger in einem freiheitlichen Staat ein Vertrauensvorschuß zugute komme 1 5 5 . In der Bundestagsdebatte stand bereits fest, daß man angesichts der Gegensätze „eigentlich nur noch auf die vereinheitlichende Kraft der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen k a n n " 1 5 6 . Deshalb wurden die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts Anfang 1975 abgewartet und besonders die Aussage des Bundesverfassungsgerichts beachtet: „Wenn also nur für den Einzelfall entschieden werden kann, ob der Bewerber nach seiner Persönlichkeit die Gewähr bietet oder nicht bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, ist es offenbar verfassungsrechtlich bedenklich, wenn ein Gesetz allgemein zwingend vorschreibt, daß einzelne konkrete Verhaltensweisen die Gewähr des Bewerbers, er werde jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten, ausschließen" 1 5 7 . Entscheidend sollte erst die Bewertung eines solchen Verhaltens im Zusammenhang mit anderen Gesichtspunkten sein und erst bei der Prognose am Ende insgesamt festgestellt werden, ob ein Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bietet oder nicht bietet. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts, bei der die Mitgliedschaft nicht einmal ausdrücklich genannt wurde, reichte aber - auch zusammen mit den übrigen Bemerkungen zum Parteiprivileg - nicht aus, um die Meinungsverschiedenheiten im Bundestag und später im Bundesrat zu beenden. Es wurde behauptet, daß mit dem eben erwähnten Hinweis des Bundesverfassungsgerichts nicht der Bundesratsentwurf gemeint sein könne, da er an die Mitgliedschaft lediglich eine widerlegliche Vermutung für mangelnde Verfassungstreue knüpfe 1 5 8 . Einvernehmen bestand nur darin, die ergänzenden Regelungen zur Verfassungstreue als unmittelbar geltendes Beamtenrecht für Bund und Länder vorzusehen. Der Bundestag beschloß daraufhin das Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften am 24.10.1975 ohne Vermutungstatbestand hinsichtlich der Mitgliedschaft und nahm den bereits genannten Entschließungsantrag an, wonach der freiheitliche demokratische Staat von der Verfassungsloyalität seiner Bürger ausgeht und daher zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst grundsätzlich die Vermutung der Verfassungstreue spricht 1 5 9 . Da der Bundesrat dem Gesetz aber nicht zustimmte und demgegenüber auf seinem Gesetzentwurf beharrte, erledigten sich beide Gesetzesvorhaben infolge Diskontinuität mit Ablauf der Legislaturperiode. 155
Bundestagsdebatte vom 15. 11. 1974, Sten. Berichte, S. 8962 f. Bundestagsdebatte vom 15. 11. 1974, Sten. Berichte, S. 8977. is? BVerfGE 39, 334 (354f.). 1 58 Bundestagsdrucksache Nr. 7/4183 vom 21. 10. 1975 (Bericht und Antrag des Innenausschusses), S. 4. 1 59 Bundestagsdrucksache Nr. 7/4183, S. 5. 156
. Abstufungen der Verfassungstreue
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Mangels gesetzlicher Regelung dauert der Streit über die Bedeutung der Mitgliedschaft in Rechtsprechung und Literatur unvermindert an, auch wenn übereinstimmend feststeht, daß es keine Automatik für die eine oder andere Bewertung aufgrund der Mitgliedschaft gibt. Immerhin wurde aufgrund der Rechtsprechimg des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, daß im Einzelfall eine Ablehnung erst begründet sein kann, wenn die Mitgliedschaft mit einer Bejahung der verfassungsfeindlichen Ziele der Partei oder Vereinigung und einem uneingeschränkten Bekenntnis zu diesen Zielen verbunden ist 1 6 0 . Gegenüber dieser zutreffenden Auffassung, die auch gemäß dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts auf die gesamte Wertung des persönlichen Verhaltens ohne Vermutungen abstellt, gibt es immer noch Urteile, die letzten Endes allein die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation für maßgeblich halten 1 6 1 . Für diese Ansicht hatte ursprünglich das Bundesverwaltungsgericht - wie erwähnt selbst einen Ansatzpunkt geliefert, da ein verfassungsfeindliches Bekenntnis des Bewerbers schon „sinnfällig durch die Zugehörigkeit zur Partei Ausdruck erlangt" habe und dann unter Umständen allein aus diesem Grunde Zweifel an der Verfassungstreue ausgelöst werden könnten 1 6 2 . Das Bundesverwaltungsgericht hat aber in einer späteren Entscheidung aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts entnommen, „daß nicht allein schon Beitritt und Zugehörigkeit zu einer Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen die Annahme eines Gewährbietens zwingend ausschließen. Vielmehr müssen auch nach Ansicht des erkennenden Senats in der Person des Bewerbers liegende Umstände hinzukommen, die im Zusammenhang mit einzelnen Beurteilungselementen einen Schluß darauf zulassen, ob der Bewerber die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Die Mitgliedschaft in einer Partei mit verfassungswidrigen Zielen kann Schlüsse auf eine fehlende Verfassungstreue rechtfertigen, sie muß es aber nicht. Hier ist ... im Einzelfall darauf abzustellen, wie weit das Verhalten einer Partei von dem jeweiligen Mitglied mitgetragen w i r d " 1 6 3 . Diese klare und überzeugende Aussage wird jedoch durch den nächsten Satz wieder eingeschränkt, wonach es auch eine zulässige Erwägung im Rahmen der Einzelfallprüfung darstellt, aus dem Wesen einer Partei als Kaderpartei Schlüsse auf die Verfassungstreue des Bediensteten zu ziehen. Gemeint ist damit „eine homogene Partei mit einem ideologisch fest umrissenen, inhaltlich hinsichtlich der Grundauffassungen nicht zur Diskussion 160 Claußen, Jürgen (1), Die Personalvertretung 1979, 92 (96); von Münch (2), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 65 f. 161 VGH Baden-Württemberg in ständiger Rechtsprechung, insbesondere DVB1. 1977, 582f. 162 BVerwGE 47, 330 (338f.). 163 BVerwGE 52, 313 (336f.).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
stehenden Programm" und einer strengen Verpflichtung der Mitglieder auf die Parteilinie. Verständlich wäre in diesen Fällen die Schlußfolgerung, daß dann ein verfassungsfeindliches Verhalten des Bewerbers oder Bediensteten besonders naheliegt, allerdings wiederum davon abhängt, wie weit das Verhalten der Partei von dem jeweiligen Mitglied mitgetragen wird. In dem bereits genannten Urteil des VGH Baden-Württemberg 164 wird aber ausdrücklich gesagt, daß „die freiwillige Mitgliedschaft - in diesem Fall in der DKP - in Kenntnis ihres Programms und ihres Statuts wegen der besonderen Mitgliedschaftsbedingungen und -pflichten ... nicht anders als eine volle Identifikation mit den wesentlichen verfassungsfeindlichen Zielen ... gewertet werden kann", so daß es nicht der Prüfung bedürfte, „auf welche Weise und in welchem Maße sich das einzelne Mitglied mit diesen Zielen identifiziert". Das Bundesdisziplinargericht hat dieser Ansicht in einer seiner Entscheidungen treffenderweise entgegengehalten: „Daraus, daß die DKP von ihren Mitgliedern aktives Verhalten fordert, folgt jedenfalls noch nicht, daß alle Mitglieder auch wirklich aktiv sind und daß die DKP zahlende, im übrigen aber passive Mitglieder sogleich aus ihren Reihen ausschließt 165 ." Anschließend wird angenommen, daß die Mitgliedschaft in einer politischen Partei und die damit verbundenen Beitragszahlungen ihrem Wesen nach dem Bereich des Habens einer Überzeugung und der Mitteilung, daß man diese habe, zuzurechnen sind und die Grenze zum Dienstvergehen nicht überschreiten. Demgegenüber hat eine andere Kammer des Bundesdisziplinargerichts wenig später entschieden, daß „die Mitgliedschaft in einer Partei mit der Verpflichtung, im gesellschaftlichen Leben aktiv deren verfassungsfeindliche Ziele zu vertreten, nicht mehr das bloße Haben einer Überzeugung" ist 1 6 6 . Beide Entscheidungen berufen sich für ihr gegenteiliges Ergebnis auf dieselbe Aussage des Bundesverfassungsgerichts, so daß die Ungeklärtheit dieses Problems besonders deutlich wird. Übereinstimmung besteht zwischen den beiden Urteilen aber insoweit, daß besondere Aktivitäten für eine verfassungsfeindliche Partei eindeutig Folgerungen aus der politischen Überzeugung und damit eine Pflichtverletzung darstellen, die dann zur Entfernung aus dem Dienst führen können 1 6 7 . Der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich nun bei seiner Entscheidung nicht die Auffassung des Bundesdisziplinaranwalts zu 164
VGH Baden-Württemberg DVB1. 1977, 582f. Bundesdisziplinargericht - Kammer I I I - DöD 1981, 229f.; s. auch Antwort der Bundesregierung vom 22.1.1979, Bundestagsdrucksache Nr. 8/2481, S. 5 zu Frage 6. 166 Bundesdisziplinargericht - Kammer I X - ZBR 1980, 278. 167 Bundesdisziplinargericht - Kammer I X - DöD 1981, 229 (230) und - Kammer I X - ZBR 1980, 278 (283f.); ebenso bereits OVG Bremen DVB1. 1978, 969. 165
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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eigen gemacht, daß die Mitgliedschaft in der DKP als verfassungsfeindlicher Kaderpartei bereits ein fortdauerndes Gegenbekenntnis zur Grundordnung sei und daß daher zwischen einfacher Mitgliedschaft und Aktivität nicht abgegrenzt zu werden brauche. Vielmehr hat das Gericht die Bedeutimg der bloßen Mitgliedschaft weiterhin offengelassen und darauf abgestellt, daß die jahrelangen Aktivitäten vor allem durch Veröffentlichungen und Kandidaturen für die DKP eine schwere Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue seien und im vorliegenden Fall nur zur Entfernung aus dem Dienst führen konnten (sog. Peter-Urteil) 168 . Bei dieser Gelegenheit hat das Gericht - unter Hinweis auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts - darüber hinaus deutlich gemacht, daß die Mitgliedschaft „nur ein Beurteilungselement" sei und daß „z.B. zusätzlich berücksichtigt werden müßte, unter welchen Umständen der betreffende Beamte die Mitgliedschaft erwarb, welche Kenntnisse er von den Zielen der Partei damals hatte und welche Kenntnisse er später ggf. auch noch in einem gegen ihn durchgeführten Verfahren - davon erlangte, inwieweit er Versammlungen besuchte oder sonst am Parteileben teilnahm, ob und mit welchem Ergebnis er aufgefordert wurde, sich für die Ziele der Partei einzusetzen, ob und warum er die Mitgliedschaft aufrechterhielt oder sie irgendwann später aufgab" 1 6 9 . Für eine sachgerechte Einzelfallprüfung nennt das Gericht auf diese Weise eine Reihe von Kriterien, die jeweils auf die Feststellung hinauslaufen, ob der Beamte nur formell Mitglied ist oder ob er sich als aktives Mitglied verfassungsfeindliche Ziele der Partei zu eigen gemacht hat und sich dadurch pflichtwidrig verhält. Da das Gericht diese zusätzlichen Feststellungen ersichtlich auch bei einer Mitgliedschaft in der DKP für notwendig hält, hält es zugleich die Annahme für unzureichend, daß bei der DKP als Kaderpartei in jedem Fall von einer aktiven Mitgliedschaft auszugehen sei. In jedem Einzelfall w i r d daher zwischen formeller und aktiver Mitgliedschaft zu unterscheiden sein. Nach der Mitgliedschaft prüft das Gericht als weiteren Punkt die Bedeutung einer Kandidatur für eine verfassungsfeindliche Partei und stellt fest, daß das Verhalten des Beamten in diesem Fall pflichtwidrig sei 170 . Dabei wird wiederum auf das Bekenntnis zu den verfassungsfeindlichen Zielen und auf den aktiven Einsatz hingewiesen; die Pflichtwidrigkeit wird darin gesehen, daß der Beamte die mangelnde Verfassungstreue nicht beseitigt, obwohl er diesen Eignungsmangel durch eigenes Verhalten beseitigen könnte 1 7 1 . 168 BVerwG DVB1. 1983, 81 (84f.). 169 BVerwG DVB1. 1983, 81 (84). 170 BVerwG DVB1. 1983, 81 (84). !7i BVerwG DVB1. 1983, 81 (84).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
In diesem Zusammenhang ist demnach auch die Kandidatur für eine verfassungsfeindliche Partei von Bedeutung. Dazu haben das Bundesverfassungsgericht 172 und das Bundesverwaltungsgericht 173 betont, daß weder Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG noch Art. 48 Abs. 2 GG es verbieten, die Kandidatur im Rahmen der Verfassungstreueprüfung zu berücksichtigen 174 . Zu bedenken ist dabei aber, daß auch die Kandidatur als solche nicht automatisch und zwingend die Verfassungstreue ausschließt. Es ist z.B. möglich, daß die Partei aus Publizitätsgründen auf bekannte Kandidaten Wert legt, auch wenn diese nicht unkritisch und uneingeschränkt hinter den Parteizielen stehen 175 ; je nach den Umständen des Einzelfalls kann es Gründe geben, die trotz Kandidatur dafür sprechen, daß es an einer Identifizierung mit den verfassungsfeindlichen Zielen fehlt. Deshalb erscheint die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts folgerichtig: „Mitgliedschaft und Kandidatur... sind für sich betrachtet kein sicherer Beweis für die mangelnde Eignung; das Bundesverfassungsgericht spricht zu Recht von »Beurteilungselementen'. Die allein maßgebliche persönliche Eignung hängt davon ab, wie weit sich der Kläger die verfassungsfeindlichen Ziele der DKP zu eigen gemacht hat. Unter diesen Voraussetzungen kann nicht nach formalen Kriterien entschieden werden, sondern nur aufgrund einer persönlichen Beurteilung des Bewerbers durch die Einstellungsbehörde 176 ." Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich erklärt, daß es sich insoweit in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sehe 177 . Dies bezieht sich ersichtlich auch auf die Begründung hinsichtlich der Mitgliedschaft, da in beiden Urteilen auf die vorangegangene Entscheidung des OVG Hamburg 1 7 8 Bezug genommen wird. In der Begründung wird durchaus anerkannt, daß ein Konflikt zwischen der verfassungsrechtlich gesicherten Betätigungsfreiheit der Partei und ihrer M i t glieder und dem ebenfalls verfassungsmäßig verankerten Grundsatz der Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst besteht. Dieser Konflikt ist entsprechend der Argumentation des OVG Hamburg dadurch lösbar, daß diejenige Verfassungsregelung, die nur in ihrer Randzone berührt wird, zurücktreten muß gegenüber der Verfassungsregelung, die in ihrem Kernbereich bedroht wird. Aus dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich dazu bereits - wenn auch nicht so deutlich wie in dem Urteil des BVerfGE 42, 312 (330). 1 73 BVerwG ZBR 1980, 119 (121). 1 74 Ebenso Bundesdisziplinargericht - Kammer I I I - DöD 1981, 229 (231) und Kammer I X - ZBR 1980, 278 (283). 1 75 Geiger, S. 533 ff. am Ende, jedenfalls hinsichtlich bekannter, aber kritischer Mitglieder. 1 76 BAG NJW 1976, 1708 (1712); ebenso BAG DöD 1980, 183 (185) und NJW 1981, 71 (72). 1 77 BVerwGE 52, 313 (337). 1 78 OVG Hamburg ZBR 1974, 187 (190).
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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Bundesarbeitsgerichts - , daß die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst Vorrang vor dem Parteienprivileg h a t 1 7 9 ; in den beiden Gesetzentwürfen von Bundesrat und Bundesregierung ist dieser Vorrang übereinstimmend herausgestellt worden 1 8 0 . Demnach läßt sich annehmen, daß das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts und des OVG Hamburg teilt, auch wenn es sich noch nicht abschließend zur Bedeutung der Mitgliedschaft geäußert hat. Das OVG Hamburg folgte im wesentlichen der Begründimg des Hamburger Senats, die bereits z.T. wortgleich Gegenstand eines vorangegangenen Verfahrens vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht w a r 1 8 1 , und bestätigte den dortigen Antrag des Senats auf authentische Auslegung des Beamtenrechts im Ergebnis als zutreffend. Der Senat hatte die Feststellung beantragt, die beamtenrechtlichen Bestimmungen über die Verfassungstreue seien dahin auszulegen, daß ein Bewerber nicht in das Beamtenverhältnis berufen werden darf und ein Beamter seine Dienstpflicht verletzt, wenn er in einer nicht verbotenen Partei oder anderen Organisation mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung über die bloße Mitgliedschaft hinaus politisch tätig ist oder die Organisation unterstützt, ohne Mitglied zu sein 1 8 2 . In der Begründung zu dem Antrag des Senats war ausgeführt worden, daß die Verfassungstreuepflicht Vorrang vor dem Parteienprivileg hat, da nur dessen Randbereich berührt ist, und daß nicht die formelle Mitgliedschaft, sondern das persönliche Verhalten des Bewerbers oder Beamten maßgeblich ist 1 8 3 . In einer weiteren Entscheidung in einer Personalvertretungssache hat das Bundesverwaltungsgericht zwar erklärt, daß der Bedienstete nicht die Gewähr der Verfassungstreue bietet, „weil er Mitglied der DKP ist, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt"; das Gericht sei nicht gehindert, „aufgrund der Zugehörigkeit des Beklagten zu dieser Partei dessen mangelnde Verfassungstreue anzunehmen" 184 . Weiter heißt es unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bundesverwaltungsgerichts und Bundesarbeitsgerichts, daß der freiwillige Beitritt zu einer derartigen Kaderpartei mit der Verfassungstreue nicht zu vereinbaren sei 1 8 5 . Anschließend wird dann aber festgestellt, „daß der Beklagte sich zu dieser Partei bekennt und sich mit ihren Zielen identifiziert" und daß es „danach ausgeschlossen (ist), ihn als ,bloßes' Mitglied anzusehen" 186 . Ausdrücklich BVerfGE 39, 334 (360). Bundesratsdrucksachen Nr. 124/74 und Nr. 208/74, jeweils Vorblatt, S.l. 181 HVerfG Hamburgisches Justizverwaltungsblatt 1973, 292. 182 HVerfG Hamburgisches Justizverwaltungsblatt 1973, 292 (293). 183 HVerfG Hamburgisches Justizverwaltungsblatt 1973, 292 (294). 184 BVerwGE 62, 364 (373). iss BVerwGE 62, 364 (374). 180
186
BVerwGE 62, 334 (374f.).
6 Schräder
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
wird schließlich hinzugefügt, daß nicht „die durch den Parteieintritt nach außenhin wirkende Manifestation seiner Gesinnung" maßgeblich sei, sondern die Unterstützung der Partei „durch seine aktive Mitarbeit" 1 8 7 . Demgegenüber gibt es keinen überzeugenden Grund, in der bloßen Zugehörigkeit zu einer verfassungsfeindlichen Partei bereits ein Dienstvergehen zu sehen; auch die fortdauernde Mitgliedschaft führt alleine noch nicht dazu, daß damit das notwendige Minimum an Gewicht und Evidenz für eine Pflichtverletzung gegeben ist 1 8 8 . Der Hinweis auf § 84 StGB als Strafvorschrift hinsichtlich Parteien, die für verfassungswidrig erklärt worden sind, führt darüber hinaus nicht selbstverständlich dazu, daß die bloße Mitgliedschaft in einer derartigen Partei bereits gegen die Verfassungstreue verstößt 189 . Bezeichnenderweise macht sich nach dieser Bestimmung nur strafbar, wer sich in einer derartigen Partei als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhang unterstützt; über die Mitgliedschaft hinausgehende Aktivitäten sind demnach selbst hier erforderlich. In einer verfassungsfeindlichen, aber noch nicht für verfassungswidrig erklärten Partei hat die Mitgliedschaft geringere Indizwirkung, da die verfassungsfeindliche Zielsetzung und deren Intensität noch nicht verfassungsgerichtlich abschließend feststeht. Die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei wird damit nicht etwa für bedeutungslos erklärt, sondern bleibt ein für die Verfassungstreue relevanter Umstand 1 9 0 . Sie gibt durchaus Anlaß zu näherer Prüfung, ob der Bewerber oder Beamte für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt; in dem erwähnten Verfahren vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht hatte der Senat daher eine entsprechende weitere Feststellung beantragt, daß die Mitgliedschaft zu klärungsbedürftigen Zweifeln an der Verfassungstreue führt 1 9 1 . Eine Ablehnung des Bewerbers oder disziplinarische Maßnahmen gegen Beamte kommen danach jedoch erst in Betracht, wenn die Prüfung ergibt, daß eine über die bloße Mitgliedschaft hinausgehende Tätigkeit mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung vorliegt. In der Darstellung des Bundeskabinetts zum verfassungsrechtlichen Rahmen für die Verfassungstreueprüfung 192 wird insoweit nichts Gegenteiliges ausgesagt. Auf die Frage, ob die Ablehnung eines Bewerbers allein auf die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Parteien einschließlich mitglied" 7 BVerwGE 62, 334 (375), s. auch (364) - Leitsatz am Ende - . 188 So aber Claussen, Hans Rudolf, S. 309; s. auch BVerwGE 18, 276 (280f.) im Fall eines Soldaten. 189 So jedoch Claußen, Jürgen (2), S. 12. 190 Klein (3), S. 87. 191 HVerfG Hamburgisches Justizverwaltungsblatt 1973, 292 (293). 1 92 Darstellung, S. 1221.
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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schaftsbezogenen Aktivitäten gestützt werden kann, heißt es nur, daß nicht auch noch außerhalb der Partei stattfindende verfassungsfeindliche Aktivitäten festgestellt werden müßten 193 . In der Tat genügen verfassungsfeindliche Betätigungen innerhalb der Partei und für die Partei. Unzulässig ist aber eine pauschale Beurteilung im Sinne eines „guilt by association" bei Mitgliedern verfassungsfeindlicher Organisationen einschließlich sog. Kaderparteien, da erst nach sorgfältiger Einzelfallprüfung festgestellt werden kann, ob die - übrigens auch bei demokratischen Parteien - satzungsmäßig verlangte Unterstützung der Partei tatsächlich zu einer Identifizierung des jeweiligen Mitglieds und ggf. zu entsprechenden Aktivitäten geführt hat 1 9 4 . Die Bedeutung der Mitgliedschaft, die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht klar und abschließend behandelt worden ist, hängt nach allem davon ab, ob nur eine formelle oder eine aktive Mitgliedschaft vorliegt. Im ersteren Fall ist kein Verstoß gegen die Verfassungstreue feststellbar, während im zweiten Fall die Mitgliedschaft im Zusammenhang mit dem sonstigen Verhalten unvereinbar mit der Pflicht zur Verfassungstreue ist. Die Mitgliedschaft als solche gibt daher zunächst nur Anlaß zu näherer Prüfung, ob das einzelne Mitglied verfassungsfeindliche Ziele vertritt oder nicht. 5. Neutrale Haltung gegenüber der Grundordnung Die nächste Stufe wird durch eine neutrale, formal korrekte und nicht ablehnende Haltung gekennzeichnet, die mit einer uninteressierten und innerlich gleichgültigen Einstellung verbunden sein kann 1 9 5 . Diese Einstellung entspricht zwar nicht den Anforderungen an die Verfassungstreue der Beamten, die sich mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung identifizieren 196 , jederzeit für sie aktiv eintreten 197 und deshalb innerlich mit ihr verbunden 198 sein sollen. Aus einem derartigen neutralen Verhalten werden aber nachteilige Schlußfolgerungen für Bewerber und Bedienstete nicht gezogen, da es an konkreten Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen die Verfassungstreue fehlt. Für Beamte ergibt sich dies nach dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts daraus, daß zu einem Dienstvergehen ein Minimum an 193
Wohl mißverstanden bei Claußen, Jürgen (2), S. 10. Denninger (2), S. 34f. (m.w.N.). i 9 * BVerfGE 39, 334 (348). BVerfGE 39, 334 (347 f.). 197 BVerwGE 47, 330 (338 und 343). 198 BAG NJW 1976, 1708 (1709). 194
6*
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Gewicht und an Evidenz der Pflichtverletzung gehört 199 . Dazu genügt allerdings außer Aktivitäten auch ein Unterlassen, das z.B. darin bestehen kann, verfassungsfeindliche Umtriebe innerhalb seines Verantwortungsbereichs geflissentlich zu übersehen und geschehen zu lassen 200 . Ein neutrales Verhalten stellt jedoch nicht ein derartiges Unterlassen dar. Bei einem Bewerber reicht zwar nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bereits eine fehlende positive Gewähr der Verfassungstreue aus, um zu einer Ablehnung zu führen; den für die Einstellung Verantwortlichen wird in diesem Falle aufgrund eines prognostischen Urteils anhand einer Vielzahl von Elementen und deren Bewertung die Überzeugung fehlen, daß der Bewerber jederzeit für die Grundordnung eintreten wird. Als Beurteilungselemente kommen hier jedoch wieder nur Aktivitäten und Unterlassungen im ebengenannten Sinne oder die Zugehörigkeit zu Organisationen mit der bereits beschriebenen Bewertung in Betracht 2 0 1 . Nach neueren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts müssen außerdem Verhaltensweisen, aus denen Zweifel am künftigen verfassungstreuen Verhalten hergeleitet werden, von hinreichendem Gewicht und damit zur Auslösimg von Zweifeln generell geeignet sein 2 0 2 ; negative Konsequenzen bei Bewerbern ergeben sich demnach erst unter ähnlichen Voraussetzungen wie bei Beamten. Bei der Verfahrensweise, die das Bundesverfassungsgericht bei Einstellungen für sachgerecht hält, w i r d sich jedenfalls regelmäßig kein Anlaß für eine Ablehnung bei neutralem Verhalten ergeben. Einmal genügt für das geforderte Persönlichkeitsurteil das auch sonst übliche Vorstellungsgespräch 203 . Außerdem reicht für die Übernahme in den Vorbereitungdienst eine nur vorläufige Beurteilung aus, bei der lediglich die Umstände zugrundegelegt werden, die ohne weitere zusätzliche Ermittlungen bekannt sind. Damit soll erklärtermaßen erreicht werden, daß Verhaltensweisen aus der Ausbildungs- und Studienzeit unberücksichtigt bleiben, falls sie sich nicht aus Personal- und Strafakten oder allgemein zugänglichen Berichterstattungen ergeben und hinreichend gewichtig und bedeutend sind 2 0 4 . Selbst wenn gewichtige Verhaltensweisen bekannt sind, muß im Wege der Prognose Anlaß zu der Annahme bestehen, daß die jetzige und künftige Verfassungstreue zweifelhaft ist. Es muß klar sein, daß frühere Umstände für die Prognose über das künftige Verhalten noch von Bedeutung sind 2 0 5 ; dies ist nicht der Fall, wenn sich der Bewerber aufgrund einer geänderten Einstel199 BVerfGE 39, 334 (350). 200 BVerfGE 39, 334 (350). 201 BVerfGE 39, 334 (353). 202 im einzelnen u.a. BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). 203 BVerfGE 39, 334 (353 f.). 204 BVerfGE 39, 334 (356). 205 BVerwGE 47, 330 (340) und BVerwG NJW 1981, 1386 (1389).
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lung nunmehr zumindest neutral verhält und künftige Zweifel an der Verfassungstreue nicht zu erwarten sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinzugefügt, daß sich der Dienstherr in diesen Fällen bewußt sein muß, daß die Beurteilungsgrundlage mangels eigener Beobachtungen besonders schmal ist, so daß die vorhandenen tatsächlichen Umstände mit großer Vorsicht zu würdigen sind 2 0 6 . Verhält sich der Bewerber unauffällig neutral, fehlen negative Anhaltspunkte, so daß er zunächst in das Beamtenverhältnis übernommen werden wird. Im Vorbereitungsdienst und anschließend bei dem Übergang in die Probezeit sowie noch einmal bei der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit kann der Dienstherr aufgrund der eigenen Kenntnisse feststellen, ob Anlaß zu begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue besteht. Dieses Vorgehen kann bedeuten, daß ein innerlich die Grundordnung ablehnender, aber äußerlich unauffälliger Bewerber, der sich in kritischen Zeiten offen gegen die Grundordnung wendet 2 0 7 , in den öffentlichen Dienst übernommen wird. Außerdem besteht die Möglichkeit, daß an der Grundordnung uninteressierte Bewerber eingestellt werden; nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts soll demgegenüber auch die Einstellung desinteressierter Mitläufer vermieden werden, die sich im Ernstfall nicht für die Grundordnung einsetzen, da eine unkritische Beamtenschaft nicht für den öffentlichen Dienst geeignet ist 2 0 8 . Konsequenterweise müßte dann eigentlich jeder Bewerber abgelehnt werden, der nicht sein aktives Eintreten für die Grundordnung glaubhaft macht. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kurz vor dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts war in diesem Sinne mit der Verpflichtung, sich durch Wort und sonstiges Verhalten in äußerlich erkennbarer Weise aktiv für die Grundordnimg einzusetzen, die materielle Beweislast des Bewerbers für seine Verfassungstreue verbunden worden 2 0 9 ; insoweit bezog sich das Gericht auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß die Unerweislichkeit von Tatsachen - in diesem Fall für die Verfassungstreue - zu Lasten des an der günstigen Rechtsfolge - hier der Einstellung interessierten Bewerbers geht, wobei der Grundsatz „ i n dubio pro reo" ausdrücklich nicht zugunsten des Bewerbers anwendbar sein soll 2 1 0 . Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in späteren Entscheidungen an dieser Auffassung festgehalten 211 . Es hat aber schon damals angenommen, daß die Zweifel des Dienstherrn an der Verfassungstreue auf Umständen beruhen 206
BVerwG NJW 1981, 1386 (1389f.). Geiger, S. 533ff. am Ende. 208 BVerfGE 39, 334 (348f. und 352). 209 BVerwGE 47, 330 (338) unter Hinweis auf BVerwGE 10, 213 (215 f.). 2 *ο BVerwGE 47, 330 (339) unter Hinweis auf BVerwGE 18, 168 (171). BVerwG NJW 1981, 1386 (1389f.). 207
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müssen, die geeignet sind, ernste Besorgnisse auszulösen; weiter wurde verlangt, daß diese Umstände vom Dienstherrn selbst darzutun und zu belegen sind 2 1 2 . Ein neutrales und äußerlich korrektes Verhalten rechnet das Bundesverwaltungsgericht nicht zu den Umständen, die ernste Besorgnisse an der Verfassungstreue auslösen können. Es hat inzwischen darauf hingewiesen, daß ein - vielfach schon auf fehlender Gelegenheit beruhender - mangelnder Nachweis bisherigen aktiven Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ablehnungsgrund nicht ausreicht, zumal dem Bewerber bisher noch keine gesteigerte Treuepflicht oblag 2 1 3 . Durch den Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ist darüber hinaus geklärt, daß es die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Beweislastverteilung nicht gibt 2 1 4 . „Zweifel an der Verfassungstreue" bedeutet danach nur, daß der für die Einstellung Verantwortliche nicht überzeugt ist, daß der Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bietet. Diese Zweifel dürfen nicht lediglich auf subjektiven Annahmen, persönlicher Meinung, möglicherweise Vorurteilen oder Unterstellungen beruhen, sondern müssen an konkrete, negativ zu bewertende Tatsachen anknüpfen 2 1 5 ; anderenfalls wäre die Persönlichkeitsprognose nach den verwaltungsrechtlichen Grundsätzen für Beurteilungen mangels eines festgestellten Sachverhalts willkürlich und der Ablehnungsbescheid aufzuheben 216 . Genaugenommen wird aber - unabhängig von der Frage der Beweislast in der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts und anschließend des Bundesverfassungsgerichts der Punkt übersprungen, daß ein Bewerber bei neutralem Verhalten an sich nicht genügend Umstände für eine positive Überzeugung des Dienstherrn hinsichtlich der Verfassungstreue hat erkennen lassen. Diese Lücke in der geforderten eindeutigen Überzeugung wird durch den Hinweis umgangen, daß menschliches Verhalten nicht sicher vorherbestimmbar ist und daher konkrete negative Umstände vorliegen müssen, die die künftige Erfüllung der Verfassungstreuepflicht zweifelhaft erscheinen lassen 217 . In der Tat ist ein neutraler Beamtenbewerber regelmäßig gar nicht in der Lage, bestimmte Verhaltensweisen als Anhaltspunkte für eine künftige dauerhafte Verfassungstreue anzuführen 218 . Die verbleibende Ungewißheit des Dienstherrn kann unter diesen Umständen folgerichtig nur dadurch ausgeräumt werden, daß er mangels entgegenstehender Gesichtspunkte von der Verfassungstreue des Bewerbers ausgeht. 212 BVerwGE 47, 330 (338). 213 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387); ebenso BVerwG DVB1. 1983, 1113 (1115). 214 BVerfGE 39, 334 (352f.); dazu wiederum BVerwG NJW 1981, 1386 (1389). 215 BVerfGE 39, 334 (353f.); dazu kritisch Hoffmann-Riem (2), S. 371. 216 BVerfGE 39, 334 (354). 2 7 1 BVerwGE 47, 330 (338). 218 Denninger (2), S. 33.
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Rechtlich bedeutet dies, daß zunächst doch von einer Vermutung der Verfassungstreue jedes Bewerbers ausgegangen w i r d 2 1 9 , da sonst ein nicht sicher verfassungstreues Verhalten anzunehmen wäre und zur Ablehnung des Bewerbers führen müßte. Deshalb muß an dieser Stelle geklärt werden, ob und in welcher Form eine Vermutung der Verfassungstreue besteht und wie sie sich für den Bewerber um Aufnahme in den öffentlichen Dienst auswirkt. Der Bundestag hat mit dem bereits erwähnten Entschließungsantrag erklärt, daß im freiheitlichen demokratischen Staat im Sinne des Grundgesetzes zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst grundsätzlich die Vermutung der Verfassungstreue spricht 2 2 0 . Da es laut Begründung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Grundsatzbeschluß aber keine Beweislast für oder gegen den Bewerber oder die Einstellungsbehörde gibt 2 2 1 , kann es sich dabei nicht um eine Rechtsvermutung im Sinne einer generell geltenden Rechtsfolge der Vermutung der Verfassungstreue handeln. Eine derartige generelle Rechtsvermutung ist ausgeschlossen, weil gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Bewerber nur eingestetllt werden kann, wenn die Einstellungsbehörde im Einzelfall zur Überzeugung von der Gewähr der Verfassungstreue gelangt ist 2 2 2 . In den Antworten der Bundesregierung auf zwei Große Anfragen ist daher eindeutig gesagt worden, daß die Entschließung des Bundestages „keine Rechtsvermutung im Sinne einer Beweislastregelung bedeutet " 2 2 3 . In der Bundestagsdebatte zu den beiden Gesetzesentwürfen über die Änderung dienstrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Verfassungstreue war aber schon zutreffend bemerkt worden, daß der Bewerber diese Einstellungsvoraussetzung in der Praxis normalerweise nicht näher zu begründen braucht und dafür keine Unterlagen vorlegen muß; es wurde betont, daß darin ein jedem „Bürger in einem freiheitlichen Staat gewährter Vertrauensvorschuß liegt, der auch dem Bewerber um eine Stelle im öffentlichen Dienst zunächst einmal zugute kommt" 2 2 4 . Die Entschließung des Bundestages knüpft daran ersichtlich an. Damit stimmt auch die Aussage des Bundesverfassungsgerichts überein, daß die Demokratie von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet 2 2 5 ; ebenso wird vom Beamten „erwartet, daß er den Staat und seine Verfassung als einen hohen 219
Denninger (2), S. 32 (mw.N.). Grundsätze (2), S. 553. 22 1 BVerfGE 39, 334 (352 f.). 222 Darstellung, S. 1221 ff., Nr. 2.2. 223 Bundestagsdrucksache Nr. 8/2481 vom 22.1.1979, S. 6 zu Frage 13 und Bundestagsdrucksache Nr. 8/2482 vom 22.1. 1979, S. 3 zu Frage 2. 224 Bundestagsdebatte vom 15.11.1974, Sten. Berichte, S. 8963. 22 5 BVerfGE 28, 36 (48). 220
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positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt" 2 2 6 . Dem entspricht es, daß dem Bürger und damit jedem Bewerber hinsichtlich seiner Verfassungstreue zunächst Vertrauen entgegengebracht w i r d und kein Mißtrauen 227 . Ergänzend ist in der Bundestagsdebatte darauf hingewiesen worden, daß vernünftigerweise im Normalfall kein Nachweis der Verfassungstreue verlangt werden kann und verlangt wird, weil es „doch in dieser Sache keinen regelmäßigen Kirchgang gibt, mit dem man seine Gesinnung äußerlich dokumentieren könnte" 2 2 8 . Auch bei dem ernannten Beamten w i r d regelmäßig vom Fortbestand der Verfassungstreue ausgegangen, da er sonst dauernd - bei wörtlicher Auslegung der Anforderungen in § 52 BBG und § 35 BERG zu jederzeitigem Bekenntnis und Eintreten - mit Treuebekundungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung hervortreten müßte. Der Dienstherr verlangt aber nicht derartige Manifestationen, sondern begnügt sich damit, daß der Beamte verfassungskonform und auch sonst vorschriftsmäßig seinen Dienst tut. Diese der Demokratie angemessene nüchterne Betrachtungsweise kommt im Diensteid zum Ausdruck, der - wie es in § 40 Abs. 1 BRRG schlicht heißt - „eine Verpflichtung auf das Grundgesetz zu enthalten hat". Die im einzelnen unterschiedlichen Formulierungen des Diensteides im Bundesbeamtengesetz und in den Landesbeamtengesetzen229 verdeutlichen im Ergebnis übereinstimmend, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Verfassungstreue und einer gesetzmäßigen Diensttätigkeit besteht und daß die Einhaltung des geltenden Rechts insoweit ausreicht 230 . Nach § 58 Abs. 1 BBG schwört der Beamte, „das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren und (seine) Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen". In den Landesbeamtengesetzen beschränkt sich der Diensteid teilweise darauf, Verfassung und Gesetze zu befolgen und zu beachten, wobei auch dies als Verpflichtung auf das Grundgesetz genügt 231 . Der Zusammenhang zwischen Verfassungstreue und gesetzmäßiger Diensttätigkeit bleibt bei weitergehender Formulierung des Diensteides wie in § 62 HmbBG erhalten, wonach der Beamte „Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung seiner 226
BVerfGE 39, 334 ( - Leitsatz 2 - und 348). Bundestagsdrucksache Nr. 8/2481, S. 1 Vorbemerkung, und Bundestagsdrucksache Nr. 8/2482, S. 3. 228 Bundestagsdebatte vom 15.11.1974, Sten. Berichte, S. 8978. 229 Ule (6), Randnr. 5 zu § 40 BRRG. "ο Damkowski, RiA 1976, 1 (2 f.). 231 Ule (6), Randnr. 5 zu § 40 BRRG. 227
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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Amtspflichten" schwört. Dies w i r d erkennbar, wenn er den Eid verweigert oder ihn später nicht mehr als verbindlich ansieht. Bei Eidesverweigerung wird er aus dem Dienstverhältnis entlassen unabhängig davon, auf welchen Teil des Eides sich seine Weigerung bezieht; bei späterer Ablehnung des Eides begeht der Beamte einen Pflichtverstoß. Während dies nach dem Beamtenrecht des Bundes und der Länder bei Beamten auf Lebenszeit regelmäßig kein Disziplinarverfahren nach sich zieht 2 3 2 , enthält Art. 75 Abs. 1 Satz 2 HV eine weiterreichende Sonderregelung; danach hat ein Beamter seine Entlassung zu beantragen, wenn er nach der Eidesleistung später glaubt, „ihn nicht aus innerer Überzeugung erfüllen zu können". Stellt der Beamte keinen Entlassungsantrag, ist ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst gegen ihn einzuleiten 233 . Nach der dazu ergangenen Entscheidung des OLG Hamburg ist „der Diensteid seinem Wesen nach unteilbar", da der Beamte nicht nur gelobt, „die tragenden Verfassungsgrundsätze, sondern die gesamte rechtliche Ordnung des Staates, dem er dient", einzuhalten 234 . Am Beispiel dieser Sonderregelung wird anschaulich, in welchem Verhältnis die innere Bindung an die Grundordnung mit der Bereitschaft, dafür ständig einzutreten, zu dem äußerlich korrekten, neutralen Verhalten steht, bei dem das Grundgesetz und die geltenden Gesetze beachtet werden. Materiellrechtlich erfordert die Verfassungstreue gemäß der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine innere Bindung an die Grundordnung mit einer entsprechenden Gesinnung und damit „mehr als eine nur formal korrekte, im übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung" 2 3 5 , wie bereits dargestellt wurde. Verfahrensmäßig kann aber bei der Prüfung der Verfassungstreue und der Überzeugungsbildung der Einstellungsbehörde notgedrungen nur auf das äußere Verhalten abgestellt werden 2 3 6 . Behält der Beamte im Fall des Art. 75 HV den inneren Überzeugungsmangel für sich, bleibt sein äußeres gesetzmäßiges Verhalten maßgeblich und reicht für die Verfassungstreue aus; erst wenn er seine Ablehnung hinsichtlich der Bindung an die Grundordnung anderen nachhaltig mitteilt, führt diese nach außen erkennbare Pflichtverletzung zu Konsequenzen. Wesentlich ist daher die Unterscheidung zwischen den materiell-rechtlichen und den verfahrensmäßigen Anforderungen 237 . In der Bundestagsdebatte ist das Verhältnis von innerer Bindung und äußerem Verhalten zutreffend mit dem Satz zusammengefaßt worden: „Die verfas232
Ule (6), Randnr. 4 zu § 40 BRRG. Bernzen / Sohnke, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Randnr. 3 zu Art. 75 HV unter Hinweis auf OLG Hamburg Bf. I 41/65 vom 28.1. 1966. 234 OLG Hamburg Bf. I 41/65, S. 23. 235 BVerfGE 39, 334 (348). 236 BVerwG NJW 1981, 1386 (1387). 237 Denninger (3), S. 21. 233
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
sungsmäßige Gesinnung kann doch nur dadurch nachgewiesen werden, daß man sich eben nicht verfassungsfeindlich betätigt 2 3 8 ." Auch wenn über das im Normalfall ausreichende Einstellungsgespräch hinaus eine Anfrage beim Verfassungsschutz erfolgt, bedeutet die Auskunft, daß keine Erkenntnisse vorliegen, genaugenommen wiederum nicht mehr als die Bescheinigung eines äußerlich korrekten Verhaltens. Über eine positive Verfassungstreuegesinnung können die Verfassungsschutzämter schon deshalb keine belegbaren Angaben machen, weil dies völlig außerhalb ihres gesetzlichen Aufgabenkreises zur Beobachtung verfassungsfeindlichen Verhaltens liegt 2 3 9 . Daraus ergibt sich im übrigen ein weiteres Argument dafür, daß die Regelanfrage nicht geeignet ist, um die Gewißheit der Einstellungsbehörde über die Verfassungstreue 240 zu erreichen. Daß die Einstellungsbehörde auf die Regelanfrage verzichten kann, wenn sie ihrer Entscheidung alle anderweitig bekannten Umstände zugrundelegt, hat das Bundesarbeitsgericht inzwischen anerkannt 241 . Demnach wird die Verfassungstreue zwar nicht in der Weise mit Rechtswirkung vermutet, daß eine Prüfung des Bewerbers insoweit ganz entfällt. Es greift aber nach einer vorläufigen Beurteilung insbesondere aufgrund eines sorgfältigen Vorstellungsgesprächs eine tatsächliche Anfangsvermutung zugunsten des Bewerbers ein, falls nicht später Tatsachen für eine verfassungsfeindliche Einstellung bekannt werden. Daher ist eine Vermutung der Verfassungstreue als de facto-Vermutung anzuerkennen und verfahrensgemäß bei der erforderlichen Prognose für die gesamte Dienstzeit letzten Endes unvermeidbar 242 . Auch diejenigen, die sich in dieser umstrittenen Frage kritisch zu einer Vermutung der Verfassungstreue geäußert haben, räumen ein, daß von der Verfassungstreue jedes Bundesbürgers zunächst einmal auszugehen ist 2 4 3 und jedenfalls verfahrensmäßig die Verfassungstreue jedes Bewerbers als gegeben anzunehmen ist, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen 244 . Bisher ist dementsprechend im Anschluß an die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein verwaltungsgerichtliches - bis auf eine Ausnahme 245 - oder auch arbeitsgerichtliches Urteil bekannt geworden, 238
Bundestagsdebatte vom 15.11.1974, Sten. Berichte, S. 8978. Denninger (3), S. 6. 24 ° BVerfGE 39, 334 (352 f.). 241 BAG NJW 1981, 73 (75). 242 Denninger (3), S. 4f. und S. 7 (m.w.N.). 243 Kriele (5), S. 1. 244 Stern (1), S. 29. 245 VG Ansbach vom 10.1.1978, kritisch erwähnt u.a. bei Jasper (2), S. 731, inzwischen aufgehoben vom VGH München am 1.10. 1981; s. aber auch VG Freiburg NJW 1981, 2829 mit ablehnender Anmerkung von Fertig, NJW 1981, 2830; andererseits BAG NJW 1983, 779, wonach für den Vorbereitungsdienst eine neutrale Haltung aus239
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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wonach ein Bewerber wegen eines nur neutralen Verhaltens abgelehnt werden könnte. Schon nach dem Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972 sollten die gegenüber der Grundordnung neutralen Bewerber nicht abgelehnt und formal korrekte Beamte nicht belangt werden; erst bei verfassungsfeindlichen Aktivitäten oder bei einer Mitgliedschaft in Organisationen mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung sollten nach näherer Prüfung Konsequenzen in Betracht kommen 2 4 6 . Das Bundesverfassungsgericht nennt als eigentlichen Grund für das Erfordernis der Verfassungstreue ebenfalls verschiedentlich, daß die Gefahr einer verfassungsfeindlichen politischen Einwirkung vermieden werden muß und daß sichergestellt werden soll, daß nicht Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst gelangen 247 . Außerdem geht das Gericht für den verfahrensmäßigen Ablauf davon aus, daß die Einstellungsbehörde in diesem Sinne negative Tatsachen für ihre Zweifel an der Verfassungstreue festzustellen hat 2 4 8 . Erst damit wird die Schwelle zwischen einer noch ausreichenden und einer mangelhaften Verfassungstreue jedenfalls verfahrensrechtlich überschritten, während eine neutrale Verhaltensweise noch hingenommen w i r d 2 4 9 . In diesem Zusammenhang liegt der Vergleich mit einer Notenskala nahe, so daß eine sehr gute bis ausreichende Verfassungstreue festgestellt werden kann und eine mangelhafte oder ungenügende Verfassungstreue erst bei erheblichen Mängeln oder völlig unbrauchbarem Verhalten anzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht stellt diesen Zusammenhang selbst her, da im Einstellungsverfahren dieselben Grundsätze gelten sollen, die für die Beurteilung von Prüfungsergebnissen oder für die dienstliche Beurteilung entwickelt worden sind; in den Vergleichsfällen für eine mangelnde Eignung bei der Einstellungsprüfung spricht das Gericht davon, daß die Ablehnung gerechtfertigt ist, wenn dem Bewerber ein Minimum der geforderten Befähigung fehlt 2 5 0 . Ähnlich wie bei Bewerbern ist auch insoweit die Rechtslage bei Beamten, bei denen für dienstrechtliche Maßnahmen ein Minimum an Gewicht und Evidenz der Pflichtverletzung hinsichtlich der Verfassungstreue erforderlich ist 2 5 1 . Für die Verfassungstreue ist daher ein unauffälliges, korrektes und neutrales Auftreten im Sinne von Verhaltenstreue ohne die Feststellung einer Gesinnungstreue ausreichend 252 . reicht; s. außerdem hinsichtlich des BVerwG unten Erster Teil, Abschnitt III.6. am Anfang. 246 Grundsätze (1), S. 142 (Grundsätze 2.1 und 2.2). 247 BVerfGE 39, 334 (350, 355 und 370). 24 ® BVerfGE 39, 334 (352f.); s. auch Kemper, S. 673, und Isensee (2), JuS 1973, 265 (271). 249 Lameyer, S. 62; a.A. insbesondere Klein (3), S. 84. 250 BVerfGE 39, 334 (353 f.). 251 252
BVerfGE 39, 334 (350). s. dazu auch Böckenförde (2), Der Staat als sittlicher Staat, S. 26f.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Bei der verbreiteten K r i t i k 2 5 3 an dem Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts werden diese verfahrensmäßigen Auswirkungen häufig übersehen 254 und statt dessen allein die vom Gericht genannten hohen materiellen Anforderungen an die Verfassungstreue hervorgehoben. Die Praxis richtet sich realistischerweise regelmäßig danach, ob jedenfalls ein äußerlich korrektes Verhalten feststeht, und schließt dann daraus auf die Verfassungstreue. Dem Erfordernis einer ausreichenden Klarstellung der Verfassungstreue wird dadurch entsprochen, daß z.B. in unterschiedlicher Weise durch Merkblätter, schriftliche Erklärungen usw. die Pflicht zur Verfassungstreue betont wird. So werden in Hamburg Bewerber durch ein „Merkblatt über die allgemeinen Pflichten und Rechte der hamburgischen Beamten" bzw. „der Arbeitnehmer der Freien und Hansestadt Hamburg" besonders darauf hingewiesen, daß jeder Beamte und Arbeitnehmer sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen muß. Da der Empfang des Merkblatts jeweils schriftlich bestätigt wird, ist verfahrensmäßig ein Anhaltspunkt gegeben, daß sich die Bediensteten bei einem entgegenstehenden Verhalten nicht auf eine fehlende Kenntnis ihrer Pflicht zur Verfassungstreue berufen können. Jede weitergehende Verfahrensweise, bei der etwa durch Intensivbefragungen die Kenntnisse der Beamten über die Grundordnung als Voraussetzung für die Verfassungstreue geprüft würden, könnten zu unabsehbaren Folgerungen führen. Nach neueren demoskopischen Befunden 255 haben kaum zwei Drittel der Beamten schon einmal den vollständigen Text des Grundgesetzes in der Hand gehabt. Daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und im Wege der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG ausgeübt wird, wissen ebenfalls nur etwa zwei Drittel der Beamten; daß zum Schutz der Grundordnung ein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG besteht, weiß sogar noch weniger als ein Drittel der Beamten. Die zuständigen Behörden stellen aber offensichtlich nicht auf bestimmte Verfassungskenntnisse, sondern lediglich auf das äußere verfassungskonforme Verhalten ab, da es sonst eine Vielzahl dienstrechtlicher Verfahren wegen Zweifeln an der Verfassungstreue geben müßte. Die Orientierung am äußeren neutralen Verhalten ist demnach nicht nur genügend, sondern allein wirklichkeitsnah. Dies gilt jedenfalls in sogenannten normalen Zeiten. Ob sich die wenigstens oberflächlich erkennbare Verfassungstreue in Krisenzeiten bewährt, ist nicht vorhersehbar und muß deshalb offenbleiben. Daher ist es auch nicht sinnvoll, besonders stark auf etwaige Krisensituationen abzustellen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß wiederholt für richtig gehalten hat 2 5 6 . 253
Däubler (2), S. 183f.; Damkowski, S. 2f.; Zuck, JuS 1975, 695 (697). Lange, S. 1811f. und 1815f. 55 Küchenhoff, RiA 1979, 181.
2
. Abstufungen der Verfassungstreue
93
Statt dessen ist der weitere Hinweis des Bundesverfassungsgerichts herauszustellen, wonach es wesentlich darauf ankommt, daß die Verfassungstreue ständig im Alltag verwirklicht w i r d 2 5 7 . Dafür ist zunächst einmal ein äußerlich korrektes, verfassungskonformes Verhalten die erste Voraussetzung. Insgesamt ist bei neutralem unauffälligen Verhalten zwischen den materiellrechtlichen Anforderungen an die Verfassungstreue und den verfahrensrechtlichen Konsequenzen zu unterscheiden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte wiederholt - ebenso wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß 258 - materiellrechtlich ein aktives Eintreten für die Grundordnung „durch Wort und sonstiges Verhalten, also in äußerlich erkennbarer Weise" gefordert 259 ; es wurde als unzureichend angesehen, wenn ein Bewerber „kein positives Verhältnis zu den unabdingbaren Grundprinzipien des Grundgesetzes hat ..., sondern ihnen bestenfalls neutral gegenübersteht" 260 . Bei der verfahrensmäßigen Anwendimg dieser allgemeinen Maßstäbe hat das Gericht aber im konkreten Fall wieder auf eindeutige verfassungsfeindliche Verhaltensweisen des Bewerbers abgestellt 261 . Da ein neutrales Verhalten diese Anhaltspunkte nicht hergibt, waren auch in der zwischenzeitlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumindest verfassungsfeindliche Bekenntnisse und häufig darüber hinausgehende Aktivitäten für rechts- oder linksextreme Parteien und Organisationen der Grund für die Ablehnung 2 6 2 .
6. Äußere Übereinstimmung mit der Grundordnung
Auf der nächsten Stufe reicht es für den Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses auch materiellrechtlich aus, daß der Referendar die Dienstpflichten erfüllt und die Grundordnung unabhängig davon respektiert, wie er innerlich zu ihr steht. Die zulässige Einstellung w i r d erst überschritten, wenn der Bewerber sich voraussichtlich während der Ausbildung verfassungsfeindlich im engeren Sinne betätigt 2 6 3 . Die Gewähr, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, wird durch die Gewähr, die Grundordnung nicht zu bekämpfen, als nicht 256
S. 371.
BVerfGE 39, 334 ( - Leitsatz 2 - und 348 sowie 358); kritisch Hoffmann-Riem (2),
257
BVerfGE 39, 334 (347) („Tag für Tag"). 258 BVerfGE 39, 334 (347 f.). 259 BVerwGE 47, 330 (338), erneut BVerwG NJW 1981, 1386. 260 BVerwGE 47, 330 (343). 281
BVerwGE 47, 330 (359f.). BVerwG-Entscheidungen wiedergegeben bei Claußen, Jürgen (2), S . l l , Fußnote 15; ebenso im einzelnen z.B. BVerwG NJW 1981, 1386. 263 BVerfGE 39, 334 (373f.) und BAG NJW 1981, 73 (74); so auch Wand in BVerfGE 39, 334 (388f.). 262
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
weiter einschränkbare Zulassungsvoraussetzung und verfassungsrechtliche Mindestanforderung ersetzt 264 . Schon der Wortlaut der für diesen Vorbereitungsdienst einschlägigen Bestimmungen zeigt, daß nur ein korrektes Verhalten mit Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht verlangt w i r d 2 6 5 . Auch für die Angestellten im öffentlichen Dienst sind die Anforderungen an die Verfassungstreue insgesamt weniger hoch als für die Beamten; sie sind von vornherein wie jeder andere Arbeitnehmer nur zur gewissenhaften Erfüllung ihrer dienstlichen Obliegenheiten verpflichtet und dürfen den Staat und seine Verfassungsordnung nicht in unangemessener Weise angreifen 2 6 6 , verächtlich machen oder beschimpfen 267 . Das Bundesarbeitsgericht hat den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungstreue der Angestellten im öffentlichen Dienst - wie erwähnt - dahin präzisiert, daß sich die Anforderungen im einzelnen aus dem jeweiligen Amt ergeben, also gegebenenfalls bei beamtengleicher Tätigkeit auch die Voraussetzungen wie bei entsprechenden Beamten erfüllt sein müssen 268 . Auffällig ist dabei, daß die generell geringeren Anforderungen aus einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT und der vergleichbaren Vorschriften für andere Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hergeleitet werden. Als Grund für die Abweichung von den weitgehend wörtlich übereinstimmenden beamtenrechtlichen Bestimmungen werden die Auswirkungen von Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 GG und der Parteibetätigungsfreiheit nach Art. 21 GG angegeben. Hier zeigt sich, daß bei den weiten Begriffen in den beamtenrechtlichen und den tarifrechtlichen Vorschriften ein erheblicher Spielraum für eine angemessene verfassungskonforme Interpretation besteht 269 und daß nicht die beamten- oder angestelltenrechtliche Regelung für sich, sondern der Zusammenhang mit der Verfassung entscheidend ist. Übereinstimmend wird in diesen Fällen angenommen, daß die für Beamte geregelten Anforderungen an die Verfassungstreue nicht ohne weiteres für jeden gelten, der im öffentlichen Dienst - gleichgültig in welchem Rechtsverhältnis - tätig werden w i l l oder tätig ist 2 7 0 . Bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst außerhalb des Beamtenverhältnisses ist nur dann von den gleichen Anforderungen wie für Beamte auszugehen, wenn die jeweilige 264
BVerfGE 46, 43 (52f.); BAG NJW 1981, 73 (74). s. § 28 Abs. 5 Satz 2 der hamburgischen Juristenausbildungsordnung. 266 BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 7 - und 355 f.). 267 BAG NJW 1981, 71. 268 BAG NJW 1976, 1708 (1709). 269 s. auch Wand in BVerfGE 39^ 334 (389). 270 So auch BVerwGE 52, 313 (321) für ein privatrechtliches Dienstverhältnis als Lehrbeauftragter. 265
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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öffentliche Aufgabe sonst regelmäßig von Beamten wahrgenommen w i r d 2 7 1 . Im Normalfall sind jedoch insoweit an die Angestellten im öffentlichen Dienst weniger hohe Anforderungen als an Beamte zu stellen 272 . Wesentlich ist dabei, daß der Beurteilungsspielraum erst dann eindeutig endet und in jedem Fall Bewerber abzulehnen und Angestellte zu entlassen sind, wenn sie „darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen" 273 . Während bei Beamtenbewerbern und Beamten ein verfassungsfeindliches Verhalten im weiteren Sinne zur Ablehnung bzw. zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen führt, ergibt sich diese Folge hier erst bei verfassungsfeindlicher Betätigung im engeren Sinne 2 7 4 ; eine sofortige Entlassung ist erst zulässig bei „grober Verletzung der Dienstpflichten" 2 7 5 . Die Unterscheidung zwischen den materiellrechtlichen Anforderungen - im Sinne einer zwar nicht sehr guten, aber doch guten Verfassungstreue - und den verfahrensmäßigen Folgerungen nicht schon bei mangelhafter, sondern erst bei ungenügender Verfassungstreue - besteht auch hier, wobei für die Anforderungen und Folgerungen in der beschriebenen Weise auf der Notenskala jeweils eine Stufe niedriger als bei Beamten maßgeblich ist. Für den öffentlichen Dienst ist damit zugleich nach der bisherigen Rechtsprechung die untere Grenze der Verfassungstreue umschrieben, auch wenn die Entscheidungen zum Teil ausdrücklich als noch nicht abschließend bezeichnet worden sind. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang von Grundpflichten des öffentlichen Dienstes gesprochen 276 . Das Bundesverwaltungsgericht hat die Möglichkeit offengelassen, daß die geringeren Anforderungen auch ausnahmsweise bei Ausbildungsverhältnissen mit Beamtenstatus angebracht sein können, wenn hoheitsrechtliche Befugnisse durch den Auszubildenden nur geringfügig selbständig wahrgenommen werden und das Ausbildungsverhältnis nur in den Bereich des Beamtenrechts im weiteren Sinne eingeordnet ist 2 7 7 . In der Begründung ist zum Ausdruck gekommen, daß derartige Ausnahmen wegen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht kommen und dann auf Art und Umfang der wahrzunehmenden hoheitsrechtlichen Aufgaben abzustellen ist 2 7 8 . Das Gericht w i l l diese Ausnahmefälle allerdings auf 271 BVerwGE 52, 313 (322f.) unter Berufung auf BAG NJW 1976, 1708 (1709f. und 1712 am Ende). 272 BVerfGE 39, 334 (335). 273 BVerfGE 46, 43 (52); BAG NJW 1981, 73 (74). 274 BVerfGE 46, 43 (53) im Anschluß an BVerfGE 39, 334 (374); BAG NJW 1981, 73 (74). 275 BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 7 - und 355). 276 BAG NJW 1976, 1708 (1709) und NJW 1981, 71; s. auch Denninger (3), S. 21 („Grundmaß"). 277 BVerwGE 47, 330 ( - Leitsatz 4 - und 340ff.). 278 BVerwGE 47, 330 (342).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
besondere Ausbildungsverhältnisse begrenzt wissen, während es bei Berufsbeamten eine Unterscheidung hinsichtlich der Verfassungstreue nach Funktionen ablehnt 2 7 9 . In der kurz darauf ergangenen Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts w i r d zwar betont, daß die Rechtslage hinsichtlich der Verfassungstreue für jedes Beamtenverhältnis gleich sei und die Verfassungstreuepflicht daher einer Differenzierung je nach Art der dienstlichen Aufgabe des Beamten nicht zugänglich sei 2 8 0 . Bemerkenswerterweise hat das Gericht aber zur Begründung angegeben, daß jeder Beamte eine Gefahr darstellt, der sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt oder an Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland teilnimmt. Demnach ist die Verfassungstreue auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts erst bei einer verfassungsfeindlichen Betätigung im engeren Sinne - wie bei den Voraussetzungen nach Art. 18 und 21 GG und wie bei den materiellrechtlichen Anforderungen an Ruhestandsbeamte 281 und der verfahrensrechtlichen Grenze für Referendare 2 8 2 - einer funktionsspezifischen Differenzierung unzugänglich 283 . Diese Mindestvoraussetzungen müssen im öffentlichen Dienst in der Tat durchgehend in allen Bereichen und Beschäftigungsverhältnissen eingehalten werden, da eine verfassungsfeindliche Betätigimg selbst bei geringsten Anforderungen mit der Verfassungstreue unvereinbar ist. Deshalb erscheint es nicht vertretbar, von einer Grundverpflichtung ganz abzusehen und die Anforderungen für jede Art von Tätigkeit gesondert zu konkretisieren. Bei einer weiteren Abstufung würde sonst auch noch ein verfassungsfeindliches Verhalten zulässig sein, wenn dadurch die Tätigkeit im öffentlichen Dienst nicht oder nur am Rande berührt w i r d 2 8 4 . Ein Mindestmaß von Verfassungstreue muß aber auch bei weiter Auslegung der Anforderungen etwa nach § 8 BAT gegeben sein. Wenn man davon absehen würde, wären die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung, bei der Sinn und Wortlaut einer Bestimmung nicht in das Gegenteil verkehrt werden dürfen, überschritten. Oberhalb dieses für den gesamten öffentlichen Dienst einheitlich geltenden Grundmaßes, sich jedenfalls nicht verfassungsfeindlich zu betätigen, ist eine Differenzierung nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Angestelltenrecht ist sie vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich anerkannt; die Anfor279
BVerwGE 47, 330 (340). BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 6 - und 355). 28 1 BVerfGE 39, 334 (351). 282 BVerfGE 39, 334 (374). 283 Denninger (3), S. 21; a.A. Jung, S. 63 (m.w.N.). 284 So aber BAG 6 AZR 431/78, S. 5ff., insbesondere S.lOf., abweichend von der sonstigen Rechtsprechung des BAG. 280
. Abstufungen der Verfassungstreue
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derungen müssen sich aus dem jeweiligen Amt ergeben und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen 285 . Hinsichtlich der Beamtenverhältnisse ist diese wichtige Frage im Anschluß an die obengenannten Ansatzpunkte des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abschließend geklärt. Das Bundesdisziplinargericht hält es inzwischen bei der Bemessung einer Disziplinarstrafe für möglich, „unter dem Gesichtspunkt individueller Verantwortlichkeit zu differenzieren, ob ein Beamter in leitender oder untergeordneter Stellung tätig i s t " 2 8 6 . Die weitere Behandlung dieses Themas aufgrund eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung unterblieb nach der Neuwahl des Bundestages 287 . Außerhalb des öffentlichen Dienstrechts finden sich im übrigen ebenfalls Fälle, in denen nicht ein Eintreten für die Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, sondern nur eine äußerlich übereinstimmende Einstellung verlangt wird. So ist nach § 15 des hamburgischen Bildungsurlaubsgesetzes Voraussetzung für die Anerkennung von Bildungsveranstaltungen, daß die Ziele der Veranstalter und die Bildungsveranstaltungen mit fter Grundordnung im Einklang stehen. In § 3 der Verordnung über die Anerkennung von Bildungsveranstaltungen heißt es dann, daß die Veranstalter auf Verlangen die Übereinstimmung mit der Grundordnung zu begründen haben; sie können sich dabei nicht allein darauf berufen, daß die Ziele von einer Partei oder Vereinigung verfolgt werden, die nicht verboten ist. Damit ist für diesen Bereich positiv geregelt, daß eine mit der Grundordnung konforme Einstellung unabhängig von einem Partei- oder Vereinigungsverbot festgestellt werden kann, ähnlich wie dies bei der Prüfung der Verfassungstreue nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zulässig ist 2 8 8 . Eine Ablehnung ist wiederum erst möglich, wenn sich die Ziele der Veranstalter oder die Bildungsveranstaltungen selbst gegen die Grundordnung richten. Die Sendegrundsätze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sprechen ihrem Wortlaut nach zum Teil ebenfalls dafür, daß nur eine Übereinstimmung mit der Grundordnung erforderlich ist. Nach den einschlägigen Gesetzen und Staatsverträgen 289 dürfen z.B. beim Hessischen Rundfunk und Radio Bremen die Darbietungen „nicht gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen"; sie haben sich beim WDR und Saarländischen Rundfunk „ i m Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung" zu halten, sollen aber auch „die demokratischen Freiheiten verteidigen". Im neuen Staatsvertrag 285 BAG NJW 1976, 1708 (1709). 286 Bundesdisziplinargericht - Kammer I X - ZBR 1980, 278 (284). 287 Bundesratsdrucksache Nr. 290/82 vom 27.8.1982; s. dazu unten Schluß, Abschnitt 1.2 am Anfang, und den Hinweis bei Battis (6), NJW 1983, 1768 (1770) mit Fußnoten 39 bis 41. 288 BVerfGE 39, 334 (335 - Leitsatz 8 -). 289 Lehr / Berg, Rundfunk und Presse in Deutschland, S. 4Iff. 7 Schräder
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
über den NDR heißt es außerdem, daß die Rundfunkanstalt „zur Verwirklichung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beiträgt"; nach der amtlichen Begründung wird dadurch aber nur „bestätigt, daß die Anstalt den von ihr betriebenen Rundfunk nicht für Angriffe gegen die Verfassungsordnung des Grundgesetzes nutzen darf" 2 9 0 . Von „demokratischer Gesinnung" ist in den Sendegrundsätzen des Bayerischen Rundfunks und von Radio Bremen die Rede, zu denen dann ausdrücklich nur beim Sender Freies Berlin die „Treue zu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung von Berlin" hinzugefügt wird. Hier gibt es also einen Übergangsbereich von nur äußerer Übereinstimmung bis hin zum Eintreten für die Grundordnung 291 . Es ist aber insbesondere wegen der Staatsfreiheit des Rundfunks davor gewarnt worden, die Rundfunkanstalten zur aktiven Verteidigung der Grundordnung zu verpflichten; im Interesse einer freien Meinungs- und Willensbildung soll der Freiheitsraum der Rundfunkanstalten erst dadurch begrenzt werden, daß sie nicht zum Kampf gegen die Grundordnung benutzt werden dürfen 2 9 2 . Angesichts der unterschiedlich formulierten Regelungen in den Rundfunkgesetzen und -staatsverträgen ist eine Zusammenfassung in den Grundsätzen für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm Deutsches Fernsehen vom 1.12.1982 versucht worden 2 9 3 . Dort heißt es unter Nr. I Abs. 3 der Grundsätze: „Die selbstverständliche Anerkennung der vom Grundgesetz festgelegten freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung schließt die kritische Auseinandersetzung mit dem geltenden Recht nicht aus. Keinesfalls darf jedoch durch das Programm zur gewaltsamen Veränderung dieser Verfassungsordnung oder zu strafbaren Handlungen aufgefordert werden." Dementsprechend wird angenommen, daß die Rechtsaufsicht nicht ein positives Eintreten für die Grundordnung durch Beanstandungen oder Anweisungen durchsetzen könne, sondern wiederum nur kämpferische Verstöße gegen die Grundordnung unterbinden könne 2 9 4 . Auch zu der in den Landespressegesetzen genannten und vom Bundesverfassungsgericht betonten öffentlichen Aufgabe der Presse im demokratischen Meinungsbildungsprozeß ist kritisch bemerkt worden, daß es sich dabei nur um eine idealtypische Beschreibung handeln kann 2 9 5 . Bei aller notwendigen demokratieorientierten Wachsamkeit der Massenmedien ist der Schutz der Medienfreiheit nicht dadurch bedingt, daß von ihnen eine 290 HmbGVBl. 1980, 349 (350), Bürgerschaftsdrucksache Nr. 9/2467 vom 19.8. 1980, S. 12; wiedergegeben auch von Kleinsteuber, Rundfunkpolitik, S.137 und 145. 291 s. auch Fuhr, ZDF-Staatsvertrag, S. 50, Anm. 5 zu § 2 des StaatsVertrages. 292 Bethge, AfP 1979, 286 (288f.). 293 Lehr / Berg, S. 225f. mit der bisherigen Fassung vom 9.7. 1971, Nr. 2 Abs. 2. 294 Berendes, DÖV 1975, 413 (420, Fußnote 79 m.w.N.). 29 5 Hoffmann-Riem (1), JZ 1975, 469 (470).
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positive Wirkung auf die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen muß 2 9 6 . Die Verpflichtung auf die Grundordnung reduziert sich im Ergebnis vielmehr darauf, daß die Presse gemäß Art. 18 GG nicht die Grundordnung bekämpfen darf 2 9 7 . Bei diesem Unterschied zwischen den gesetzlichen Anforderungen und den Voraussetzungen für negative Maßnahmen werden erneut Parallelen zur Rechtslage beim öffentlichen Dienst deutlich. 7. Eintreten für die Grundordnung
Auf der obersten Stufe wird nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von allen Beamten gefordert und erwartet, daß sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten 298 . Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor bereits betont, daß diese Pflicht einen aktiven Einsatz des Beamten „durch Wort und sonstiges Verhalten, also in äußerlich erkennbarer Weise" einschließt 299 . Damit w i r d dennoch kein ständiges aktivistisches Auftreten verlangt, so daß sich bei weniger intensivem Verhalten schon nachteilige Rechtsfolgen ergeben könnten. Insbesondere besteht wegen der Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten nach Art. 5 GG keine Pflicht zur Propaganda für die freiheitliche demokratische Grundordnung 300 . Die wenig beachtete Regelung in § 61 Abs. 4 BBG und entsprechend in den Landesbeamtengesetzen z.B. in § 65 Abs. 4 HmbBG weist darauf hin, daß es „die gesetzlich begründete Pflicht des Beamten" im Sinne des § 52 Abs. 2 B B G 3 0 1 bzw. der landesrechtlichen Bestimmungen zur Verfassungstreue ist, erst „bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für deren Erhaltung einzutreten" 302 . Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang zutreffend auf Gefahren und Beeinträchtigungen durch verfassungsfeindliche Betätigungen ab, denen durch verfassungstreues Verhalten entgegengetreten werden muß 3 0 3 . Über das äußere verfassungstreue Verhalten hinaus legt das Gericht zwar Wert auf den inneren Tatbestand einer Gesinnung der Beamten, da der moderne Staat auf eine der Verfassungsordnung „innerlich verbundene" Beamtenschaft angewiesen sei 3 0 4 . Da aber eine Prüfung der Gesinnung letzt296
Hoffmann-Riem (1), S. 472. s. dazu näher Erster Teil, Abschnitt III.7. in der Mitte. 298 BVerfGE 39, 334f. - Leitsätze 2, 4 und 6 - . 299 BVerwGE 47, 330 (338) im Anschluß an BVerwGE 10, 213 (215f.). 300 Böttcher, S. 118 f. 301 Ule (6), Randnr. 4 zu § 61 BBG. 302 Zum Zusammenhang zwischen Eintreten für die Grundordnung und Gefahrenabwehr insbesondere Schneider, Rechtsgutachten zur beamtenrechtlichen Treuepflicht, S. 41 ff. 303 BVerfGE 39, 334 (350 und 355). 304 BVerfGE 39, 334 (347); dazu einschränkend Seuffert, Walter (1), S. 1038. 297
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
lieh unmöglich i s t 3 0 5 oder rein subjektiv wäre, richtet sich die Verfassungstreue im Ergebnis nach äußerlich objektiv feststellbaren Verhaltensweisen. Gerade an dieser Stelle nennt das Gericht noch einmal als untere Grenze der Verfassungstreue, „daß der Staat, dessen verfassungsmäßiges Funktionieren von der freien inneren Bindimg seiner Beamten an die geltende Verfassung abhängt, nicht zum Staatsdienst Bewerber zuläßt und im Staatsdienst Bürger beläßt, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen" 306 . Innerhalb der Verfassungstreue als Voraussetzung und Eignungsmerkmal für den öffentlichen Dienst gibt es nach allem eine beträchtliche Bandbreite zwischen gerade noch ausreichender und besonders herausragender Eignung 3 0 7 ; die Vorstellung, daß ein Mittelweg zwischen der Bejahung der Grundordnung und deren Ablehnung naturgemäß unmöglich sei 3 0 8 , ist unzutreffend. Eine sehr gute Beurteilung, die den Idealvorstellungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Grundsatzentscheidung entspricht, wird nur für bestimmte Beamtenpositionen rechtlich bedeutsam, etwa bei der Ermächtigung, Zugang zu Verschlußsachen zu erhalten, oder bei sonstigen Vertrauensstellungen 309 . Bei politischen Beamten wird dann über die Verfassungstreue hinaus Regierungstreue mit der Folge verlangt, daß sie sonst in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können 3 1 0 . Hier hätte eigentlich allein der Begriff der politischen Treuepflicht seine volle Berechtigung, weil diese Beamten „ i n fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung" stehen müssen, wie es in § 31 BRRG heißt. Selbst auf dieser Ebene ist aber der Entscheidungsspielraum des Dienstherrn nicht unbegrenzt; es müssen vielmehr gegen die Fähigkeit oder Bereitschaft des Beamten, die fortdauernde Übereinstimmung zu gewährleisten, gerichtlich nachprüfbare Bedenken bestehen 311 . Bei den übrigen Beamten und den Beamtenbewerbern ergeben sich dagegen erst bei mangelhafter Verfassungstreue rechtliche Konsequenzen, wie bei der Erläuterung der verschiedenen Stufen zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungstreue dargestellt worden ist. Wenn die Mindestanforderungen nicht unterschritten sind, bleibt die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts umschriebene Erwartung einer intensiven 305 Böckenförde (2), S. 26 f. 306 BVerfGE 39, 334 (349). 307
Jung, S. 66. Kimminich (2), S. 361. 309 Denninger (3), S. 22. 310 § 36 BBG und die meisten Landesbeamtengesetze im Anschluß an § 31 BRRG; s. dazu die Zusammenstellung bei Ule (6), Randnr. 7 zu § 31 BRRG. BVerwG NJW 1977, 1355. 308
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verfassungstreuen inneren Haltung gleichsam nur eine Naturalobligation 3 1 2 . Die dann immer noch hohen materiellrechtlichen Anforderungen an ein äußerlich aktives verfassungstreues Verhalten werden begrenzt durch die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für Maßnahmen gegen Bewerber und Beamte bis zur Stufe der Verfassungsfeindlichkeit. Die materiellrechtlichen und verfahrensmäßigen Gesichtspunkte können dabei nicht isoliert jeweils für sich betrachtet werden, weil das Verfahren wiederum dazu dient, die Verfassungstreue zu gewährleisten. Erst das Ineinandergreifen beider Ansätze führt zu einem sachgerechten Ergebnis und bewirkt die unerläßliche Legitimation der Treuepflicht im demokratischen Verfassungsstaat 313 . Zur Bedeutung und den Rechtsfolgen aktiver Verfassungstreue lassen sich wieder ähnliche Regelungen in anderen Bereichen aufzeigen. Nach zwei neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs kann zum Notar nur bestellt werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit die verfassungsmäßige Ordnung wahren w i r d 3 1 4 . Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht zwar in seinem Grundsatzbeschluß bemerkt, daß für Berufe außerhalb des Staatsdienstes wie z.B. den Notar insbesondere im Hinblick auf Art. 12 GG nicht dieselben hohen Anforderungen während des Vorbereitungsdienstes wie für Beamte gestellt werden dürfen 3 1 5 . Der Bundesgerichtshof meint aber, daß sich das Bundesverfassungsgericht zu den Anforderungen an die Verfassungstreue von Notaren zumindest nicht abschließend geäußert habe 3 1 6 . Er räumt zwar ein, daß der Notar nicht zum öffentlichen Dienst im engeren Sinne gehöre, betont dann aber, daß er Träger eines öffentlichen Amtes und dabei dem öffentlichen Dienst sehr nahegerückt sei. Der Notar wird damit unter Berufung auf anderweitige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem öffentlichen Dienst im weiteren Sinne zugerechnet 317 mit der Folge, daß sich die Freiheitsrechte aus Art. 12 GG hier nicht voll auswirken. Vielmehr wird hier die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts herangezogen, „je näher ein Beruf durch öffentlichrechtliche Bindungen und Auflagen an den öffentlichen Dienst herangeführt wird, um so stärker können Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG die Wirkung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG tatsächlich zurückdrängen " 3 1 8 . Auffällig ist allerdings, daß es eine dem Beamtenrecht entsprechende Bestimmung über die Anforderungen an die Verfassungstreue in der Bun312
Schick (1), S. 2170; s. dazu auch Schluß, Abschnitt 1.2. Wyduckel, S. 29. 3 " BGH NJW 1979, 552 und BGH NJW 1983, 756. 315 BVerfGE 39, 334 (372f.). ™ BGH NJW 1979, 552 (553). 317 Jung, S. 13 f. 3 18 BVerfGE 7, 377 (398). 313
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
desnotarordnung gar nicht gibt. Nach Meinung des Bundesgerichtshofs war eine ausdrückliche Bestimmung überflüssig, weil „die Landesjustizverwaltungen ohnehin nur geeignete Personen zum Notar bestellen, also solche, die die Gewähr bieten, die verfassungsmäßige Ordnung jederzeit zu wahren" 3 1 9 . Aus der staatlichen Funktion des Notars im Rahmen der vorsorgenden Rechtspflege und den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege wird hergeleitet, daß an den Notar die gleichen Anforderungen an die Verfassungstreue wie bei Beamten zu stellen sind. Bei der Ablehnung eines Bewerbers werden dann konsequenterweise die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts entsprechend angewandt. K r i t i sche Äußerungen aufgrund der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 GG führen danach nicht zur Ablehnung; unvereinbar mit einer Tätigkeit als Notar ist erst „die Mißachtung des Legalitätsprinzips und damit der Rechtsstaatlichkeit" mit der Bereitchaft zu einer „systemverändernden Umwälzung mit oder ohne Gewaltanwendung" 320 . Dem Bewerber wird entgegengehalten, daß er zwar aus taktischen Gründen zunächst an einem legalen Verhalten festgehalten habe, aber nach seinen eigenen Äußerungen zum geeigneten Zeitpunkt in die Illegalität überzuwechseln bereit sei. Demnach würde er nicht jederzeit, insbesondere nicht in Krisen für die Grundordnung eintreten, so daß Zweifel an seiner Verfassungstreue bestünden 321 . Maßgeblich für die Ablehnung ist demnach erst eine zumindest durch deutliche Erklärungen festgestellte Verfassungsfeindlichkeit. Erwähnenswert ist auch, daß der Bundesgerichtshof auf den Amtseid des Notars gemäß § 13 BNotO verweist, wonach der Notar „die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren h a t " 3 2 2 . Mit diesem zunächst einleuchtenden Argument läßt sich aber unter Einschränkung von Art. 12 GG eine Verfassungstreuepflicht wie bei Beamten nicht belegen, wie der Vergleich zum wörtlich übereinstimmenden Eid des Rechtsanwalts nach § 26 BRAO zeigt. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege in einem freien Beruf gemäß §§ 1 und 2 BRAO hat der Rechtsanwalt nur dem „Recht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu dienen" 3 2 3 , aber keine Verfassungstreuepflicht wie Beamte und auch nicht wie Notare 3 2 4 ; er kann lediglich - wie bereits erwähnt - wegen strafbaren verfassungsfeindlichen Verhaltens abgelehnt werden 325 . 319
nung. 320
Β GHZ 53, 95 (100) unter Bezugnahme auf die Materialien zur Bundesnotarord-
BGH NJW 1979, 552 (553). 1 BGH NJW 1979, 552 (554). 322 BGH NJW 1979, 552 f. 323 BGH NJW 1980, 2711. 324 BGH NJW 1980, 2711 (2714); s. auch BVerfGE 39, 334 (372f.). 32 5 BVerfGE 63, 266. 32
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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Aus dem Bereich der Rechtspflege ist außerdem auf die Regelung der Verfassungstreue für Richter hinzuweisen. Nach § 9 Nr. 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) darf in das Richterverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Diese Bestimmung, die die gleiche hohe Zulassungsvoraussetzung wie für Beamte enthält, gilt für Richter im Bundesdienst und auch im Landesdienst, da sich für sie über die rahmenrechtlichen Bestimmungen der §§ 71 ff. DRiG in Verbindung mit den Richtergesetzen der Länder nichts anderes ergibt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts für Beamtenbewerber kann infolgedessen entsprechend für die Beurteilung der Verfassungstreue bei der Einstellung als Richter herangezogen werden 3 2 6 ; entscheidend für eine Ablehnung ist letztlich wiederum eine Identifizierung mit verfassungsfeindlichen Zielsetzungen 327 . Die Anforderungen an Berufsrichter werden landesrechtlich mit Verfassungsrang in Art. 63 Abs. 2 HV näher umschrieben. Demgemäß müssen sie „nach ihrer Persönlichkeit und nach ihren Fähigkeiten die Gewähr dafür bieten, daß sie ... insbesondere im Amte und außerhalb des Amtes nicht gegen die Grundsätze des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und dieser Verfassung verstoßen werden". Mit den Verfasungsgrundsätzen ist dabei die freiheitliche demokratische Grundordnung gemeint 328 . Hervorzuheben ist, daß nur ein voraussichtlicher späterer Verstoß gegen die Verfassungsgrundsätze für einen Ablehnung ausreicht, also zum Beispiel nicht schon eine neutrale Einstellung gegenüber der Grundordnung, so daß ein konkretes negatives Verhalten erforderlich ist. Dies stimmt überein mit der Regelung über das Vorgehen gegen im Bundes- oder Landesdienst befindliche Richter. Nach Art. 98 Abs. 2 GG i. V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 1 DRiG und zum Beispiel nach Art. 63 Abs. 3 HV ist eine Richteranklage nur zulässig, wenn ein Richter im Amt oder außerhalb des Amtes gegen die genannten Verfassungsgrundsätze verstößt, unter denen wieder die Grundordnung zu verstehen ist 3 2 9 . Nicht die Gesinnung und Weltanschauung, sondern das konkrete Verhalten des Richters ist maßgeblich, das einen objektiven Verstoß gegen die Grundordnung enthalten muß 3 3 0 . Im Einzelfall w i r d damit die Verfassungsfeindlichkeit wiederum die entscheidende untere Grenze bilden. Als weiteres Beispiel ist die bereits erwähnte staatliche Förderung der Jugendhilfe zu nennen. Gemäß § 9 Abs. 1 JWG dürfen Träger der freien 326 327 328 329 330
OVG Münster 12 A 397/77 vom 13.3.1980, S. 8. OVG Münster 12 A 397/77, S. 9ff. Drexelius / Weber, Die Hamburger Verfassung, Anm. 10 zu Art. 63 HV. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Randnr. 25 zu Art. 98 GG. Roellecke, S. 461.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Jugendhilfe nur staatlich unterstützt werden, wenn sie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten. Nach den dazu ergangenen Bundesrichtlinien setzt die Förderung ein Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Trägern der Jugendhilfe und das gebotene staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein des Trägers hinsichtlich der Verwendung der öffentlichen Mittel voraus 331 . Die Bestimmung ist daher zunächst dahin ausgelegt worden, daß die notwendige Gewähr für eine positive Einstellung gegenüber dem Grundgesetz schon nicht gegeben ist, wenn sachlich begründete Zweifel an einer verfassungsförderlichen Tätigkeit bestehen 332 ; für begründete Zweifel wurde als maßgeblich angesehen, daß eine gegenüber der Grundordnung ablehnende Haltung festgestellt wird, auch wenn die Voraussetzungen für eine Bekämpfung der Grundordnung,im Sinne der Art. 9, 18 und 21 GG nicht vorliegen 333 . Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber die Grenzen für die Förderungswürdigkeit noch weiter zurückgenommen. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs. 1 JWG hat es das Gericht mit Rücksicht auf eine staatsfreie Meinungs- und Willensbildung nach Art. 5 GG für bedenklich gehalten, eine staatliche Unterstützung schon wegen nicht verfassungsfreundlicher Anschauungen und Ziele eines Trägers auszuschließen. Erst wenn der Träger den Rahmen der Meinungsfreiheit überschreite, also sich nicht auf die Überzeugungskraft seiner Ziele beschränke, sondern sie mit Gewalt und durch strafbare Handlungen durchsetzen wolle, sei die Tätigkeit nicht den Zielen des Grundgesetzes förderlich 3 3 4 . Dies steht allerdings in gewissem Widerspruch zu der früheren Rechtsprechung des Gerichts zu Art. 9 GG, wonach die verfassungsfeindliche Zielsetzung einer Vereinigung auch ohne Bejahung einer gewaltsamen Änderung der Grundordnung maßgeblich für ein Verbot sei 3 3 5 . Jedenfalls wird hier erneut erkennbar, wie auslegungsfähig der Begriff „Gewähr bieten" ist und wie weit die Grenzen der Verfassungsfreundlichkeit oder -förderlichkeit reichen; eine angemessene Auslegung kann jeweils nur im Kontext mit den dazugehörigen Grundgesetzbestimmungen erreicht werden. Im übrigen wurde auch in diesen Urteilen angenommen, daß die staatliche Unterstützung unabhängig von der Durchführung eines Verbotsverfahrens hinsichtlich der Organisation versagt werden kann und daß bis zum Verbot nicht von einer grundgesetzförderlichen Zielsetzung der Vereinigung ausgegangen werden muß 3 3 6 . 331
BVerwG NJW 1969, 1784; s. dazu oben Erster Teil, Abschnitt III.2. OVG Münster DÖV 1968, 69 (70). 333 OVG Münster DÖV 1968, 69 (72). 334 BVerwG NJW 1969, 1784 (1786). 335 BVerwGE 1, 184 (190). 332
336
OVG Münster DÖV 1968, 69 (72) und BVerwG NJW 1969, 1784 (1786).
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Ein weiteres Beispiel ist die Regelung in § 1 der meisten Landespressegesetze, wonach die Presse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dient oder doch - so das Hamburgische Pressegesetz - dienen soll. Diese Aussage ist zum Teil dahin mißverstanden worden, daß die Presse eine an den Staat gebundene Dienerin der Grundordnung sei und ohne weiteres die ihr im Landespressegesetz eingeräumten Rechte verliere, wenn sie sich gegen die Grundordnung wende 3 3 7 . Im Hinblick auf die Pressefreiheit nach Art. 5 GG kann demgegenüber die Aussage, daß die Presse der Grundordnung dient, lediglich deklaratorischen Charakter haben, ohne Pflichten der Presse und Rechtsfolgen bei Verstößen festzulegen; negative Rechtsfolgen ergeben sich - außer bei strafbaren Handlungen - erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verwirkung der Pressefreiheit gemäß Art. 18 GG 3 3 8 . Das Gericht hat in seinem letzten, sehr knappen Beschluß zu Art. 18 GG darauf abgestellt, daß die Gefährlichkeit der gegenwärtigen individuellen Betätigung im Blick auf die Zukunft entscheidend sei; insoweit bedarf es auch im Verwirkungsverfahren einer Prognose, deren tatsächliche Grundlagen dargetan und festgestellt werden müssen 339 . Schließlich gehört in diesen Zusammenhang ein Blick auf die Anforderungen und Grenzen für die Verfassungstreue des Bürgers, die im Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst mit angesprochen wird; das Gericht hatte schon früher festgestellt, daß diese Demokratie von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet 3 4 0 . Das Bundesverwaltungsgericht spricht davon, daß es Aufgabe aller staatsbewußten Bürger sei, an der Gestaltung und Verwirklichung der freiheitlichen Demokratie zu arbeiten 3 4 1 . Auch ohne ausdrückliche Aussage im Grundgesetz läßt sich dies aus Art. 20 GG herleiten, demzufolge alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und nimmehr auch alle Deutschen ausdrücklich das Recht zum Widerstand gegen eine Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Ordnung haben. Richtig verstanden bedeutet dabei Widerstand nicht so sehr Kampf in einer außergewöhnlichen Situation, sondern Verteidigung des Rechts in vielen alltäglichen Situationen 342 . Entsprechend dieser Verfassungserwartung stellte der Bundestag in seiner Entschließung vom 24.10.1975 zu Recht fest: 337
Löffler, Presserecht, Band I, Randnrn. 270f. zu § 1 LPG. Löffler, Randnrn. 272 und 388ff. zu § 1 LPG; kritisch auch Bethge, S. 288, Fußnote 24 (m.w.N.). 339 BVerfGE 38, 23 (24f.). 338
340 BVerfGE 39, 334 (349 und 358f.) und früher BVerfGE 28, 36 (48); s. auch BVerfGE 48, 127 (161). 34 1 BVerwGE 47, 330 (343). 342 Kaufmann, Widerstandsrecht, S. XIV; s. auch hinsichtlich des öffentlichen Dienstes BVerfGE 39, 334 (347) mit dem Hinweis auf die Aufgabenerfüllung für den Bürger „Tag für Tag".
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
„Der freiheitliche demokratische Staat geht von der Verfassungsloyalität seiner Bürger aus 3 4 3 ." Auf die Verfassungstreue der Bürger sind auch die Regelungen über Ziel und Aufgabe des Bildungswesens ausgerichtet. Nach Art. 131 Abs. 3 der bayerischen Verfassung sind die Schüler im Geiste der Demokratie zu erziehen 3 4 4 . Ähnlich heißt es zum Beispiel in § 2 Abs. 2 Nr. 4 des neuen hamburgischen Schulgesetzes von 1977, daß die Schule in Erziehung und Unterricht den Schüler darauf vorbereiten soll, „politische und soziale Verantwortung zu übernehmen und im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken". Daran schließt § 9 Abs. 1 des Hamburgischen Hochschulgesetzes an, wonach die Hochschulfreiheit in Verantwortung vor der Gesellschaft auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung genutzt und bewahrt werden soll. Für die Juristenausbildung besagt zum Beispiel § 1 Abs. 2 der hamburgischen Juristenausbildungsordnung, daß das Leitbild für die Vorbereitung auf alle juristischen Berufe „der den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats verpflichtete Jurist" ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu erklärt, daß dieses mit dem Grundgesetz übereinstimmende Leitbild für alle Juristen auch außerhalb des Dienstes von der Verfassung vorgegeben sei 3 4 5 . Die hohe Bewertung der Verfassungstreue aller Bürger ergibt sich daraus, daß sie anerkanntermaßen „der beste und dauerhafteste Schutz der Verfassung i s t " 3 4 6 . Aus guten Gründen ist die erwartete Verfassungstreue des Bürgers aber in der offenen pluralistischen Staats- und Gesellschaftsform des Grundgesetzes nicht als verbindliche staatsbürgerliche Grundpflicht ausgestaltet worden. Im Grundgesetz ist der Begriff der Grundpflicht ohnehin anders als in der Weimarer Verfassung - vermieden worden. Selbst wenn man aus dem Grundgesetz dennoch einzelne konkrete Grundpflichten meint ableiten zu können, gibt es jedenfalls keine allgemeine Pflicht des Bürgers zur Verfassungstreue 347 . Aus den Materialien zum Grundgesetz ergibt sich bereits, daß die in Art. 19 des Herrenchiemsee-Entwurfs vorgesehene „Treue gegen die Verfassung" vom Parlamentarischen Rat als zu unbestimmt nicht übernommen wurde 3 4 8 . Außerdem ist mit der in Art. 4 und 5 GG garantierten Gesinnungs- und Meinungsfreiheit eine rechtliche Verpflichtung der Bürger zu aktiver Verfassungstreue unvereinbar 349 , da diese Grundrechte nicht durch andere Verfassungsbestimmungen wie Art. 33 GG für Beamte 343
Grundsätze (2), S. 553. BVerwGE 47, 365 (370). 34 5 BVerfGE 46, 43 (53 f.). 346 Denninger (2), S. 48 und 51 - Leitsatz 22 - . 347 Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 29f. (unklar dagegen S. 22). 348 Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 33. 349 Klein (3), S. 80f. und (2), Der Staat 14 (1975), 153ff. 344
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oder Art. 17 a GG für Soldaten eingeschränkt werden. Auch wenn im Hinblick auf die Verfassungstreuebestimmungen in einigen Landesverfassungen eine Rechtspflicht des Bürgers immerhin denkbar erscheint 350 , könnte es sich doch allenfalls um eine sanktionslose und nicht erzwingbare Rechtspflicht im Sinne einer „lex imperfecta" handeln 3 5 1 . Am ausgeprägtesten sind insoweit Regelungen in der hessischen Verfassung in einem eigenen Abschnitt X I „Der Schutz der Verfassung", wonach es gemäß Art. 146 Abs. 1 „Pflicht eines jeden (ist), für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebot stehenden Kräften einzutreten". Mit „Bestand der Verfassung" sind dabei die Grundentscheidungen der Verfassung im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemeint 352 . Die allgemeine immittelbare Rechtspflicht bedeutet, daß von jedem Bürger ein aktives Eintreten für die Erhaltung des verfassungsgemäßen Zustandes und nicht nur ein neutrales Verhalten verlangt wird; andererseits w i r d gleich eingeräumt, daß kein mit Zwangsmitteln durchsetzbarer Anspruch gegen den einzelnen Bürger besteht 353 . Außerdem wurde bald erkannt, daß diese Regelung zu weit und zu unbestimmt gefaßt ist, um bei einem Verstoß gegen die Widerstandspflicht ohne weiteres Konsequenzen durch eine Aberkennung von Grundrechten ziehen zu können. Deshalb ist gemäß § 33 des hessischen Staatsgerichtshofsgesetzes eine strafbare Handlung Voraussetzung für ein verfassungsgerichtliches Verfahren wegen Verletzung der Widerstandspflicht 354 . Bei mangelnder Verfassungstreue des Bürgers w i r k t sich demnach - ungeachtet der Rechtspflicht zur Verfassungstreue - erst ein strafbares Verhalten negativ aus. Daher sind im Ergebnis die Anforderungen an den Bürger durch Art. 146 der hessischen Verfassung nicht als überdehnt anzusehen 355 , da die materiellrechtlichen Pflichten durch die verfahrensrechtlichen Regelungen entscheidend begrenzt worden sind. Eine unmittelbar geltende Pflicht jedes Bürgers zur Verfassungstreue ist auch in Art. 20 der rheinland-pfälzischen Landesverfassung 356 und beschränkt auf Menschenrechtsverletzungen - in Art. 19 der Bremischen Verfassung 357 geregelt. Dabei handelt es sich aber wieder um sanktionslose Rechtspflichten, da bei Verstößen gegen die Treuepflicht keine negativen Rechtsfolgen vorgesehen sind. Die allgemeine Grundpflicht nach Art. 117 der bayerischen Verfassung, „daß alle ihre Treuepflicht gegenüber Volk und 350
Maunz / Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 22 I, S. 174. Denninger (2), S. 22 und 50 - Leitsatz 7 - ; Maunz / Zippelius, S. 175 f. 352 Zinn / Stein, Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, Zweiter Band, Anm. 4 zu Art. 146. 353 Zinn / Stein, Anm. 2. 354 Zinn / Stein, Anm. 9; s. auch Denninger (2), S. 22f. (m.w.N.). 355 So aber Schmitt Glaeser, S. 127, Fußnoten 233 und 282. 356 Süsterhenn / Schäfer, Kommentar der Verfassimg für Rheinland-Pfalz, S. 135. 357 Spitta, Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, S. 61 (63). 351
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Verfassung, Staat und Gesetzen zu erfüllen" und deshalb „die Verfassung und die Gesetze zu achten und zu befolgen haben", w i r d zwar als „einzige eigentlich rechtliche Grundpflicht" einer jeden Verfassung bezeichnet 358 ; zugleich wird aber darauf hingewiesen, daß diese Grundpflichten nicht rechtsstaatlich im einzelnen bestimmt und begrenzt werden, sondern nur programmatische und regulative Ankündigungen darstellen 359 . Die Grundpflicht der Verfassungstreue hat demnach hier nur den Sinn einer - allerdings sehr ernst zu nehmenden - Mahnung unabhängig davon, daß der Bürger die Freiheitsrechte auch ohne Erfüllung der Treuepflicht in Anspruch nehmen kann 3 6 0 . Dies kommt noch deutlicher in der zusätzlichen Aussage des Art. 117 der bayerischen Verfassung zum Ausdruck, daß alle „an den öffentlichen Angelegenheiten Anteil zu nehmen haben ..., wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert". Diese Aufgabe ist ebenfalls als Grundpflicht 3 6 1 mit Bezug auf die Grundlagen der Verfassung verstanden worden; eine derartige Pflicht läßt sich aber wiederum nicht eindeutig umschreiben und nur begrenzt durchsetzen. Zutreffend wurde deshalb betont, daß „hinsichtlich des rechtlich reicht faßbaren Bestes an Treuepflicht... die Verfassung ganz auf ihre Integrationswirkung beschränkt und auf die freie Bejahung durch die Öffentlichkeit angewiesen" ist 3 6 2 . Konsequenterweise ist deshalb in der Präambel der hamburgischen Verfassung nicht von einer Rechtspflicht zur Verfassungstreue die Rede, sondern von der „sittlichen Pflicht, für das Gemeinwohl zu w i r k e n " 3 6 3 . Die Verfassungstreue des Bürgers ist daher nicht dem Verfassungsrecht, sondern der Verfassungsethik zuzuordnen, ohne daß damit ihre Bedeutung gemindert w i r d 3 6 4 . Bereits in der Weimarer Zeit war die Entwicklung „eines sittlichen Berufs des Staatsbürgers" für notwendig gehalten worden und die Unentbehrlichkeit eines dauerhaften „Willens zur Verfassimg" als Existenzgrundlage der freiheitlichen Demokratie dargelegt worden 3 6 5 . Nachdem später in der beschriebenen begrenzten Weise versucht worden war, in einigen Landesverfassungen eine Rechtspflicht des Bürgers zur Verfassungstreue festzulegen, hat das Grundgesetz eine derartige rechtliche
358 Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Kommentar, Randnr. 4 zu Art. 117. 359 Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Randnr. 2. 360 Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Handkommentar, Anm. zu Art. 117. 361 Maunz / Zippelius, S. 174. 362 Nawiasky / Leusser / Schweiger / Zacher, Randnr. 5. 363
s. dazu Drexelius / Weber, Anm. 2 zur Präambel. Klein (3), S. 81 mit der Kennzeichnung als „Staatsethik". 365 Klein (3), S. 81 und Denninger (2), S. 24f. und 50 - Leitsatz 8 - unter Hinweis auf Smend, Heller und Schindler. 364
. Abstufungen der Verfassungstreue
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Grundpflicht des Bürgers nicht übernommen 366 . Es enthält aber durchaus Verfassungserwartungen an den Bürger als Aufruf zur freien Mitwirkung und zur Förderimg insbesondere der Grundordnung 367 . Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Sinne davon, daß die Demokratie von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung „erwartet" 3 6 8 . Auch wenn das Gericht später diese Erwartung als „Pflicht der Bürger eines demokratisch verfaßten Staates zur Sicherung dieser Verfassungsordnung" umschrieben hat 3 6 9 , hat es damit die Anforderungen an die Bürgertreue nicht überdehnt 370 , weil die Erfüllung dieser Verfassungserwartung nur freiwillig erfolgen und nicht erzwungen werden kann. Die Verfassungstreuepflicht des Bürgers als begrenzte rechtliche und auch als sittliche Pflicht ist demnach in der freiheitlichen Demokratie notwendigerweise und sinnvollerweise allenfalls eine lex imperfecta 371 . Für die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ist diese Beurteilung der Verfassungstreue des Bürgers in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zunächst ist bemerkenswert, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung den Gedanken der Verfassungserwartung wieder aufgreift, da vom Beamten „erwartet" werde, für die Verfassung einzutreten 3 7 2 . Gleich anschließend w i r d die Beziehung zwischen Bürger und Beamten dadurch hergestellt, daß die Bürger sich auf die Verfassungstreue der Beamten verlassen müßten; infolgedessen sei es ausgeschlossen, zum Staatsdienst Bewerber zuzulassen oder im Staatsdienst Bürger zu belassen, die die Grundordnung ablehnen und bekämpfen 373 . In diesem Spannungsverhältnis zwischen Verfassungserwartung und Schutz der Verfassung verweist das Gericht weitgehend auf dieselben Grundgesetzbestimmungen, wenn es um die Verletzung der Verfassungstreue durch einen Mißbrauch von Freiheitsrechten seitens der Bürger oder seitens der Beamten geht 3 7 4 . Die Verfassungserwartung der Verfassungstreue des Bürgers bedeutet demnach einerseits, daß von einem Vertrauen auf diese Verfassungstreue und daher auch von einer Vermutung für die Verfassungstreue des Bürgers ausgegangen wird. Der Bürger kann und muß dann seinerseits auf die Verfassungstreue der Mitbürger vertrauen, die dem öffentlichen Dienst angehö366
Stober, S. 29f.; Feldmann / Geisel, Deutsches Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, S. 595 (entgegen S. 19). 367 Krüger, Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, S. 285 (301 und 304). 368 BVerfGE 28, 36 (48). ses BVerfGE 48, 127 (161). 370 So aber Klein (3), S. 80 f. 371 Krüger, S. 285 (301 und 304). 37 2 BVerfGE 39, 334 (348). 373 BVerfGE 39, 334 (349). 374 Insbesondere Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 2, Art. 98 Abs. 2 GG.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
ren, so daß für sie ebenfalls eine derartige Vermutung der Verfassungstreue besteht 375 . In der freiheitlichen Demokratie hat der Bürger andererseits „die Freiheit, diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es ... mit allgemein erlaubten Mitteln t u t " 3 7 6 ; für ihn gelten nur die Schranken der allgemeinen Strafgesetze und der Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG 3 7 7 . Der Bürger kann sich also - unbeschadet der Erwartung der Verfassungstreue - auf verschiedenen Abstufungen gegenüber der Grundordnung neutral verhalten, sich von ihr innerlich distanzieren und sie auch ablehnen 378 ; Sanktionen ergeben sich ihm gegenüber abgesehen von einer noch nicht vorgekommenen Grundrechtsverwirkung erst bei strafbaren Handlungen gegen die Verfassung 379 . Gerade in dieser weiten Spanne zwischen dem, was eigentlich erwartet wird, und dem, was noch toleriert wird, bildet sich aber „demokratische Substanz" 380 . Das Bundesverfassungsgericht hat diesen nicht nur für die Bürger insgesamt, sondern auch für den öffentlichen Dienst als Teil der Bürgerschaft wesentlichen Grundgedanken noch einmal allgemein zusammengefaßt: „Die Demokratie des Grundgesetzes bedarf ... eines weitgehenden Einverständnisses der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung. Dieser Grundkonsens wird von dem Bewußtsein der Bürger getragen, daß der vom Grundgesetz verfaßte Staat... einen weiten Freiheitsraum zur Entfaltung im privaten wie im öffentlichen Bereich offenhält und gewährleistet 3 8 1 ." Demnach ist es mit dem Wesen der freiheitlichen demokratischen Grundordnimg vereinbar, daß bei aller Erwartung verfassungstreuen Verhaltens der Bürger insgesamt und des öffentlichen Dienstes durchaus sanktionslose Verfassungsverstöße zugelassen werden, auch wenn eine Verpflichtung zur Treue gegenüber der Verfassung besteht 382 . Maßnahmen bei einer Verletzung der Treuepflicht sind im Ergebnis erst nach mehreren Abstufungen bei einer Gefährdung der Grundordnung geboten, da das Grundgesetz bei jedem Bürger einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hinnimmt 3 8 3 und den öffentlichen Dienst „nicht in die Hand seiner Zerstörer geben darf" 3 8 4 . Dies läßt zwar nicht den Schluß zu, daß die Pflicht zur Verfassungstreue für den öffentlichen Dienst nur als Unterlassungspflicht - wie für den Bürger - ausgestaltet 375
Denninger (2), S. 30f. BVerfGE 39, 334 (359). 377 BVerfGE 39, 334 (373). 378 Stober, S. 29 und 52. 379 s. BVerfGE 47, 130ff. zu § 83 StGB und BGH NJW 1979, 2572 zu § 90 StGB. 380 Denninger (3), S. 15. 381 BVerfGE 44, 125 (147). 382 Stober, S. 34 f. hinsichtlich Art. 5 Abs. 3 GG. 383 BVerfGE 28, 36 (48). 384 BVerfGE 39, 334 (349). 378
III. Abstufungen der Verfassungstreue
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ist 3 8 5 . Das Bundesverfassungsgericht 386 und das Bundesverwaltungsgericht 3 8 7 gehen vielmehr übereinstimmend von einer aktiven Verfassungstreuepflicht aus; Maßnahmen sind aber erst geboten, wenn sonst die Funktionsfähigkeit des Staates gefährdet ist und die Abwehr zum Schutz der Grundordnung nötig ist 3 8 8 . Diese Konzeption der Abstufung zwischen den Anforderungen an die Verfassungstreue und den Voraussetzungen für Sanktionen ist bei anderen höchstrichterlichen Entscheidungen zur Treuepflicht der Bürger ebenfalls erkennbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen zu § 8 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) festgestellt, daß das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Voraussetzung für die Einbürgerung sei 3 8 9 . Im Rahmen des sehr weiten Ermessens nach § 8 RuStAG 3 9 0 beruhe eine derartige Anforderung auf sachgerechter und zweckentsprechender Erwägung der Frage, ob eine Einbürgerung im staatlichen Interesse liege. Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit könne daher wegen begründeter Zweifel daran, daß sich der Einbürgerungsbewerber zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekenne, abgelehnt werden. Diese Auslegung beruht auf den zwischen Bund und Ländern abgestimmten Einbürgerungsrichtlinien des Bundesinnenministeriums vom 1. 7. 1977 391 , die unter Nr. 3.1 unter anderem vorsehen: „Die Einbürgerung setzt ... ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraus ... Der Einbürgerungsbewerber ... muß nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart Gewähr dafür bieten, daß er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird. Personen, die in innerer Abhängigkeit zu totalitären Ideologien stehen, ist die Einbürgerung zu versagen." Das Spannungsverhältnis zwischen Anforderungen und Ablehnungsgründen wird hier bereits erkennbar, auch wenn die innere Abhängigkeit schwerlich feststellbar und rechtlich überprüfbar sein dürfte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem - wie es selbst sagt - Rechtsstreit von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung letzten Endes nicht darauf abgestellt, daß von dem künftigen Bürger die Gewähr einer aktiven Verfassungstreue - im Sinne der erwähnten landesverfassungsrechtlichen Vorstellung zur Verfassungstreue jedes Bürgers oder wie im Beamtenrecht - ver385 So aber Feldmann / Geisel, S. 59. 386 BVerfGE 39, 334 (348). 387 BVerwGE 47, 330 (338). 388 BVerfGE 39, 334 (370f.). 389 390 391
BVerwG NJW 1980, 1246; ebenso BVerwG NJW 1983, 73. BVerwGE 49, 44 (46). GMB1. 1978, 16.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
langt wird. Dies würde auch mit der eben erwähnten Aussage des Bundesverfassungsgerichts schwer vereinbar sein, wonach der Bürger die Freiheit zur Ablehnung der Grundordnung mjt allgemein erlaubten Mitteln hat. An den Bewerber um die Staatsangehörigkeit können insoweit keine höheren Anforderungen als an die Staatsbürger gestellt werden. Entscheidend für die Ablehnung des Einbürgerungsantrages war vielmehr, daß sich der Bewerber in den letzten Jahren weiterhin „ i n extremen politischen Organisationen betätigt" hatte 3 9 2 . Gegenüber den zunächst genannten hohen Anforderungen an die Verfassungstreue sind wiederum verfassungsfeindliche Aktivitäten für eine Ablehnung maßgeblich; aus der knappen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings nicht ersichtlich, ob es sich dabei um strafbare oder sonst rechtswidrige Aktivitäten handelte, wie es nach der Aussage des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungstreue des Bürgers erforderlich wäre. Der Bundesgerichtshof hatte bereits früher über die Zulässigkeit des Ausschlusses eines Gewerkschaftsmitglieds wegen aktiver Zugehörigkeit zu einer gewerkschaftsfeindlichen Partei entschieden 393 . Dabei war nach der Gewerkschaftssatzung davon ausgegangen worden, daß sich die Gewerkschaft und ihre Mitglieder in ihrer gesamten Tätigkeit von den Grundsätzen der Demokratie leiten lassen und totalitäre Bestrebungen jeder Art ablehnen. Aufgrund eines Unvereinbarkeitsbeschlusses hinsichtlich der Gewerkschaftszugehörigkeit und einer Mitgliedschaft in der NPD wurde ein Gewerkschaftsmitglied ausgeschlossen, das als NPD-Mitglied zum Landtagsabgeordneten gewählt worden war und aktiv für die Ziele der Partei eintrat. Das Gericht bestätigte daraufhin den Ausschluß als rechtmäßig, ließ aber ausdrücklich unentschieden, ob die bloße Zugehörigkeit zu der Partei schon den Ausschluß wegen gewerkschaftsfeindlicher Tendenzen rechtfertige. Es wurde statt dessen darauf abgestellt, daß das Gewerkschaftsmitglied nicht bereit war, sich von den mit den wesentlichen Gewerkschaftszielen unvereinbaren Parteizielen zu distanzieren, und sich im Gegenteil dafür in herausgehobener Funktion besonders aktiv einsetzte. Erst auf dieser Stufe wurde der Ausschluß zur „Selbstbewahrung der Gewerkschaft in ihrem Kernbereich" für vertretbar gehalten, während zum Beispiel kritische Stellungnahmen bei internen Diskussionen nicht als Verstoß angesehen wurden, solange dadurch nicht die tragenden Grundlagen der Gewerkschaft überhaupt in Frage gestellt wurden 3 9 4 .
392 Begründung S. 5 des nur mit dem Leitsatz wiedergegebenen Beschlusses des BVerwG NJW 1980, 1246. 393 BGH DÖV 1973, 459. 394 BGH DÖV 1973, 459 (460).
IV. Zwischenergebnis und Überleitung 1. Lösungsansatz zur Beurteilung der Verfassungstreue
Bei der Begriffsklärung hat sich insbesondere anhand der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung gezeigt, daß Verfassungstreue und Verfassungsfeindlichkeit geeignete Rechtsbegriffe sind, um das Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre Ablehnung zu umschreiben. Bei der Abstufung ist dann vor allem deutlich geworden, daß nicht Verfassungstreue und Verfassungswidrigkeit unmittelbar nebeneinander stehen, sondern daß diese beiden Begriffe die Endpunkte auf einer Skala von Zwischenstufen bilden. Dies entspricht dem Spannungsbogen, der zum Wesen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört, in erster Linie Freiheiten zu eröffnen, Mut zu machen zur Demokratie und die Hoffnung nicht aufzugeben, daß ihre Argumente letztlich doch überzeugen 1, andererseits im notwendigen Maße aber auch Grenzen zu ziehen und Einschränkungen vorzunehmen. Es wäre dagegen eine Fehlinterpretation der Grundordnung, wenn sie als Grundprinzip mit Absolutheitsanspruch verstanden würde, dessen strikte Durchsetzung jedenfalls im Staatsdienst schon um des Prinzips willen sichergestellt werden muß 2 . Das Grundgesetz hat sich vielmehr für den mittleren Weg einer inneren Ordnung entschieden, die Offenheit und Toleranz mit den notwendigen Vorkehrungen verbindet, um das Gemeinwesen so zu gestalten, daß ein zuverlässiger Rahmen für mannigfache Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger besteht 3 . In diesem Sinne ist auch die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, daß sich die Bürger auf die Verfassungstreue der Beamten verlassen müssen4. Neben den Regelungen für den öffentlichen Dienst ist wegen dieses Zusammenhanges wiederholt auf die Begriffsverwendung in anderen Rechtsgebieten eingegangen worden, um die Parallelen zwischen den Bestimmungen für den staatlichen und den gesellschaftlichen Bereich von Anfang an aufzuzeigen. Der öffentliche Dienst steht demnach nicht mit besonderen Anforderungen an die Verfassungstreue isoliert dem gesellschaftlichen Bereich gegenüber. Vielmehr sind hier vielfältige Wechselbe1 2 3 4
BAG NJW 1976, 1708 (1712). s. zum Verfassungsverständnis auch Ipsen, Jörn, NJW 1977, 2289 (2292f.). Dahrendorf, S. 16 und 23. BVerfGE 39, 334 (349).
8 Schräder
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Ziehungen erkennbar, die es erst möglich machen, daß ein Teil der Bürger im öffentlichen Dienst für diese Grundordnung tätig w i r d und dabei offene pluralistische Verhaltensweisen beibehält 5 . Nach dem Überblick über die Begriffsverwendung und -bedeutung der Verfassungstreue und Verfassungsfeindlichkeit im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich kann auch nicht mehr davon gesprochen werden, daß dem Bundesverfassungsgericht eine übergreifende Demokratietheorie fehlt 6 . Vielmehr stehen die Anforderungen und Grenzen für die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst in Verbindung mit den Erwartungen und Schranken für die Verfassungstreue des Bürgers. Sie kennzeichnen den Spielraum innerhalb der Grundordnung, die die Bezeichnung als freiheitlich und demokratisch beansprucht und dann auch rechtfertigt 7 . Unter Berücksichtigung dieser Abstufungstheorie - hinsichtlich der Anforderungen an die Verfassungstreue und der Voraussetzungen für Sanktionen - soll aufgrund der bisherigen Begriffserklärung und der dazugehörigen Auswertung der Rechtsprechung und Literatur zugleich eine vorläufige Antwort auf den Fragenkatalog versucht werden, der eingangs als Richtschnur für die anschließende Untersuchung der Rechtsentwicklung aufgeführt worden ist. Die einzelnen Fragen 8 sind danach vorbehaltlich der nachfolgenden Überprüfung anhand der geschichtlichen Entwicklung zunächst folgendermaßen zu beantworten: - Die Treuepflicht des öffentlichen Dienstes bezieht sich auf die freiheitliche demokratische Grundordnimg im Sinne des Grundgesetzes als unabdingbares Grundprinzip der Verfassung; sie bezieht sich nicht auf die gesamte Verfassung, nicht selbständig neben der Verfassung auf den Staat und nicht auf die jeweilige Regierung. - Die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst und die Verfassungstreue des Bürgers gehen im Ansatz von der übereinstimmenden Verfassungserwartung aus, daß alle Bürger innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes für den Schutz von Freiheit und Demokratie als obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft eintreten. Während die Verfassungstreue des Bürgers nur eine sittliche Pflicht oder allenfalls eine sanktionslose allgemeine Rechtspflicht darstellt, handelt es sich bei der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst um eine Rechtspflicht. - An die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst werden hohe materiellrechtliche Anforderungen über verfassungstreues äußeres Verhalten bis hin zur inneren Bindung an die Grundordnung gestellt. Dies gilt grund5 6 7 8
Hesse DÖV 1975, 437 (441). So aber Denninger (1), S. 23, danach allerdings abgeschwächt (2), S. 20ff. s. die neuere Auffassung von Denninger (3), S. 15. s. oben Einleitung, Abschnitt II.
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
115
sätzlich für alle Beamtenverhältnisse unabhängig von der jéweiligen Funktion und außerdem für Angestelltenverhältnisse im öffentlichen Dienst bei vergleichbaren wichtigen Aufgaben. - Eine neutrale Haltung gegenüber der Grundordnung, eine innere oder auch nach außen schlicht erklärte Ablehnung ist nicht schon unvereinbar mit der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst. Als Grund für die Ablehnung von Bewerbern oder für dienstrechtliche Maßnahmen kommt erst ein verfassungsfeindliches Verhalten im weiteren Sinne in Betracht, das bei einem klaren Bekenntnis gegen die Grundordnung beginnt. Unterste Grenze für alle Arten von Beschäftigungsverhältnissen im öffentlichen Dienst ist eine Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als verfassungsfeindliches Verhalten im engeren Sinne. Bei der Verfassungstreue des Bürgers wird die Freiheit zur Ablehnung der Grundordnung erst bei strafbarem oder sonst rechtswidrigem Verhalten überschritten; eine Bekämpfung der Grundordnung als intensivste verfassungsfeindliche Betätigung kann zur Verwirkung von Grundrechten führen. - Zweifel an der Verfassungstreue genügen für eine Ablehnung oder eine dienstrechtliche Maßnahme nur, wenn sie bei Bewerbern durch Verhaltensweisen von hinreichendem Gewicht und bei Beamten durch ein Minimum an Gewicht und Evidenz begründet sind. Eine Beweislastverteilung für oder gegen den Nachweis der Verfassungstreue gibt es nicht. - Beamte haben durch ihr gesamtes Verhalten innerhalb und außerhalb der dienstlichen Tätigkeit den Anforderungen an die Verfassungstreue zu genügen. Bei Angestellten ergeben sich die Anforderungen aus dem jeweiligen Aufgabenbereich; dienstrechtliche Maßnahmen wie insbesondere eine Kündigung dürfen nur getroffen werden, wenn das Arbeitsverhältnis konkret berührt wird. - Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, daß man diese habe, ist niemals eine Verletzung der Treuepflicht, die dem Beamten auferlegt ist; dies gilt ebenso für Angestellte und Arbeiter. Dieser Bereich ist erst überschritten, wenn aus der politischen Überzeugung und schlichten Meinungsäußerung, weitere Folgerungen für politische Aktivitäten gegen die Grundordnuiig gezogen werden. - Die Kandidatur für eine verfassungsfeindliche Partei und eine Mandatsübernahme können bei der Verfassungstreueprüfung nicht ausgeklammert werden; sie stellen für sich gesehen aber zunächst nur formale K r i terien dar. Entscheidend ist, ob der Bewerber oder Bedienstete sich die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen der Partei zu eigen gemacht hat und selbst verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Dieses Verhalten kann unabhängig davon berücksichtigt werden, ob die Verfassungswidrigkeit 8'
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
der Partei durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt worden ist. - Die Prüfung der Verfassungstreue darf sich nicht auf formale Merkmale wie die Mitgliedschaft in Parteien und Vereinigungen beschränken. Die Mitgliedschaft in Organisationen mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung ist aber Anlaß zu näherer Untersuchung der Verfassungstreue. Maßgeblich ist wiederum erst, ob sich dabei konkrete Verhaltensweisen des Bewerbers oder Bediensteten gegen die Grundordnung herausstellen. - Für jedes Beamtenverhältnis gelten grundsätzlich dieselben Anforderungen an die Verfassungstreue unabhängig von der jeweiligen Funktion; Ausnahmen kommen bei Ausbildungsverhältnissen mit geringen hoheitlichen Befugnissen für eine spätere Berufstätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes in Betracht. Bei Angestellten und auch Arbeitern ergeben sich die regelmäßig geringeren Anforderungen erst aus dem betreffenden Amt, so daß nach Funktionen zu differenzieren ist. Ein Grundmaß an Verfassungstreue, sich jedenfalls nicht verfassungsfeindlich zu betätigen, ist in jedem Fall einer funktionsspezifischen Differenzierung unzugänglich. Oberhalb dieser Grundpflicht kommt eine Differenzierung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht; dies wirkt sich zumindest verfahrensmäßig bei der Intensität der Verfassungstreueprüfung aus, die zum Beispiel bei dem Eintritt in den Vorbereitungsdienst geringer ist als bei der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit und die auch je nach Bedeutung der Funktion unterschiedlich ausfallen kann. Außerdem kann bei der Bemessung dienstrechtlicher Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit des jeweiligen Amtes differenziert werden. 2. Überprüfung anhand der hergebrachten Grundsätze
Wie die Gesamtkonzeption und die Einzelfragen im Rückblick auf den Wandel der Verfassungstreue bis zur jetzigen Rechtslage zu beurteilen sind, bedarf nun nach der Begriffsbestimmimg mit dem vorläufigen Überblick über die problematischen Punkte einer näheren Prüfung. Dafür spricht beispielhaft, daß der Ministerpräsidentenbeschluß vom 28.1.1972 als Ausgangspunkt für die neuere Behandlung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst mit den Maßnahmen aufgrund des Sozialistengesetzes von 1878 verglichen 9 und in eine Reihe mit dem nationalsozialistischen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 gestellt wurde 1 0 . Andererseits wurde hervorgehoben, daß es sich zur Zeit um eine ähnliche 9 Stuby, Blätter für deutsche und internationale Politik 1972, 59; Frister / Jochimsen, Wie links dürfen Lehrer sein?, S.12f. 10 Schmidt, Dieter, Vorwort zu „Radikale" im öffentlichen Dienst, S. 5.
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
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Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen wie in der Weimarer Republik handelt 11 . Der Versuch, zum Verständnis der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst mit einem historischen Rückblick beizutragen, ist zwar mit der Begründung kritisiert worden, daß eine geschichtliche Betrachtung die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts verkenne und bei einer Überbewertung negativer Tendenzen insbesondere in der Weimarer Republik zu Vorurteilen gegenüber der heutigen parlamentarischen Demokratie führe 12 . Mit einer Übersicht über die Entstehungsgeschichte der Verfassungstreue wird jedoch nicht in Frage gestellt, daß sich im Wechsel der Staatsformen auch die Verwaltung erheblich gewandelt hat 1 3 . Die Kenntnis der rechtlichen und tatsächlichen Entwicklung bedeutet nicht, daß Problemlösungen aus früherer Zeit unverändert übernommen werden, sondern läßt weiterführende Schlußfolgerungen für die heutige Rechtslage zu. Da die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG gerechnet wird 1 4 , ist eine historische Betrachtung unentbehrlich. Als hergebrachte Grundsätze gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Prinzipien des Berufsbeamtentums, die sich während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums insbesondere seit dem «Reichsbeamtengesetz von 1873 herausgebildet haben und mindestens unter der Weimarer Verfassung als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind 1 5 . Außerdem ist darauf hingewiesen worden, daß. sich wesentliche Grundsätze des Berufsbeamtentums lange vor 1873 entwickelt haben 16 , so daß mit der Untersuchung frühzeitig anzusetzen ist. Dabei ist durchaus nicht von vornherein selbstverständlich, daß ein hergebrachter Grundsatz der Verfassungstreue besteht. Einerseits ist angenommen worden, daß aus dem früheren Verfassungseid der Beamten kein Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG von der Rechtslehre hergeleitet wird 1 7 . Andererseits wird es als unbestritten bezeichnet, daß die Verfassungstreue Bestandteil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamten11
Wemhörner, Vorwort zu Verfassungsfeinde mit Pensionsanspruch?, S. 5. Berg, S. 186 und 190; ebenso Ramm, Das Koalitions- und Streikrecht der Beamten, S. 39ff.; Küster, Verhandlungen des 39. Deutschen Juristentages, S. D 100. 13 Hoffmann, Reinhard, AöR 91 (1966), 141 (154) m.w.N.; a.M. Isensee (1), Beamtenstreik, S. 49; s. auch Naumann, Verhandlungen des 39. Deutschen Juristentages, S. D lOlf. und Bachof, Verhandlungen des 39. Deutschen Juristerttages, S. D 104f. 14 BVerfGE 39, 334; BVerwGE 47, 330 (334) und 365 (367); BAG NJW 1976, 1708 (1709). 15 BVerfGE 8, 332 (343); 15, 167 (195f.). 16 Mayer, Möglichkeiten und Grenzen der Neugestaltung des Laufbahnsystems für den öffentlichen Dienst im Rahmen des Grundgesetzes, S. 335 (340). 17 Thieme (3), S. 80. 12
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
turns ist 1 8 . Dem Bundesverfassungsgericht ist aber auch entgegengehalten worden, daß sein auf Art. 33 Abs. 5 GG gestützter Beschluß nur auf einer petitio principii, einer Behauptung dieses Grundsatzes beruhe; der Beschluß sei hinsichtlich der historischen Auslegung enttäuschend, weil er trotz einer Fülle geschichtlicher Reminiszenzen kein Wort zu deren schlüssiger Bedeutung für die Konzeption des Grundgesetzes hinsichtlich der Verfassungstreue enthalte 19 . Die rechtsgeschichtlich unvollständige Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 33 Abs. 5 GG und damit zum Verfassungsrang der Verfassungstreue könnte noch hingenommen werden, wenn durch die sonstige Argumentation abgesichert wäre, daß es sich bei der Verfassungstreue um einen verfassungsrechtlichen Grundsatz handelt. Die Grundsätze des Berufsbeamtentums hatte das Bundesverfassungsgericht früher aus dem gesamten Art. 33 GG hergeleitet und dann festgehalten, daß sich auch die Treuepflicht aus der Funktion des öffentlichen Dienstes insbesondere nach Art. 33 Abs. 2 und 4 im Zusammenhang mit Abs. 5 GG in Anknüpfung an die deutsche Verwaltungstradition ergibt 20 . Das Bundesverfassungsgericht stellt jedoch in seinem Grundsatzbeschluß zur Verfassungstreue bereits in den Leitsätzen entscheidend auf Art. 33 Abs. 5 GG ab 2 1 , während Art. 33 Abs. 2 und 4 GG nur noch beiläufig als nachgeordnete Bestimmungen erwähnt werden 22 . Insofern besteht auch ein Unterschied zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts, die den Grundsatz der Verfassungstreue vor allem aus Art. 33 Abs. 2 GG ableiten, weil sie die Verfassungstreue als verfassungsmäßig vorgegebenes Eignungsmerkmal ansehen23. Die Bedeutung der Verfassungstreue als hergebrachter Grundsatz wird vom Bundesverfassungsgericht noch dadurch verstärkt, daß nach seiner Rechtsprechung besonders wesentliche Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten sind 2 4 . Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht gleich zu Beginn seines Grundsatzbeschlusses hervorgehoben, daß die Verfassungstreue „ein hergebrachter und zu beachtender Grundsatz des Berufsbeamtentums" ist 2 5 . Gegen die Unterscheidung zwischen einfachen hergebrachten und besonders wesentlichen is Stern (1), S. 13 (m.w.N.). 19 Esser, S. 557 f. 20 BVerfGE 7, 155 (162). 21 BVerfGE 39, 334f. - Leitsätze 1, 4, 6 und 9 22 BVerfGE 39, 334 (347 - Art. 33 Abs. 4 GG - und 351 f. sowie 354 - Art. 33 Abs. 2 GG -). 23 BVerwGE 47, 330f. - Leitsätze 2 und 5 - und 47, 365 - Leitsatz 1 - ; BAG NJW 1976, 1708 - Leitsätze 1 und 2 - . 24 BVerfGE 8, 1 (16f.); 11, 203 (210). 25 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 1 - .
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
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Grundsätzen ist allerdings geltend gemacht worden, daß dafür keine Anhaltspunkte im Grundgesetz selbst angelegt sind oder aus ihm abgeleitet werden können 26 . Dieses Bedenken greift aber jedenfalls dann nicht durch, wenn bestimmte Grundsätze im Grundgesetz selbst festgelegt sind, da dann ein Anknüpfungspunkt in der Verfassung für die besondere Bedeutung des Grundsatzes gegeben ist und nur durch den Verfassungsgesetzgeber eine Änderung des Grundsatzes möglich ist 2 7 . Wegen des engen Zusammenhangs mit Art. 33 Abs. 5 GG ist hierbei außer Art. 33 Abs. 2 GG vor allem Art. 33 Abs. 4 GG bedeutsam. Die Beschreibung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis gibt zusammenfassend die Grundlagen des Berufsbeamtentums wieder 28 , wobei als wichtigster Teil der Treuepflicht die Verfassungstreue angesehen wird 2 9 . Das Bundesverwaltungsgericht hat daher - neben der Hervorhebung von Art. 33 Abs. 2 GG - gleichrangig auf Art. 33 Abs. 4 und 5 GG abgestellt, durch die das Grundgesetz im Interesse einer ordnungsmäßigen Erfüllung der Staatsaufgaben sich für das Berufsbeamtentum als Institution entschieden habe; dazu konnte das Gericht auf die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweisen 30 . Im Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts wird aber das Verhältnis von Art. 33 Abs. 4 und 5 GG umgekehrt, da nun Art. 33 Abs. 5 GG nicht mehr zur Ergänzung von Art. 33 Abs. 4 GG herangezogen wird; statt dessen wird Art. 33 Abs. 5 GG als entscheidender Grundsatz herausgestellt, auf den in Art. 33 Abs. 4 GG durch die Erwähnung des Treueverhältnisses Bezug genommen werde 31 . In der Literatur wird dagegen zum Teil - unabhängig von Art. 33 Abs. 5 GG die Grundlage der Verfassungstreue in Art. 33 Abs. 4 GG und der dort angesprochenen Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes gesehen32. Zu dieser unterschiedlichen Betrachtungsweise ist gesagt worden, daß nicht weiter vertieft zu werden brauche, ob die Begründung für die Verfassungstreue mehr aus Art. 33 Abs. 5 GG oder aus Art. 33 Abs. 4 GG abgeleitet werde; entscheidend sei, daß die Treue zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung kraft Verfassungsrechts konstituierendes Element des öffentlichen Dienstes sei 33 . Richtig ist daran, daß in erster Linie das Verfassungsrecht für die Verfassungstreue maßgeblich ist und nicht erst das 26 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Randnr. 58 zu Art. 33 GG; von Münch (2), S. 39; Ule (7), Die Bedeutung des Beamtenversorgungsrechts für die Erhaltung des Berufsbeamtentums, S. 17. 27 Wiese (3), Beamtenrecht, S. 9. 28 BVerfGE 3, 162 (186). 29 BVerfGE 39, 334 (347). 30 BVerwGE 47, 330 (334). 31 BVerfGE 39, 334 (346f.). 32 Arndt, Gottfried, DÖV 1973, 584 (585f., Fußnote 13 hinsichtlich Art. 33 Abs. 5 GG und Fußnote 20 hinsichtlich Art. 33 Abs. 4 GG). 33 Stern (1), S. 73, Anmerkimg 55.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Beamtenrecht. Von diesem verfassungsrechtlichen Ansatz geht auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß aus, da die Verfassungstreue „eine von der Verfassimg (Art. 33 Abs. 5 GG) geforderte und durch das einfache Gesetz konkretisierte rechtliche Voraussetzimg für den Eintritt in das Beamtenverhältnis" ist 3 4 . Da Art. 33 Abs. 5 GG nicht nur eine Anweisung an den Gesetzgeber enthält, sondern unmittelbar geltendes Recht ist 3 5 und demgemäß auch von der Exekutive zu beachten ist 3 6 , wäre die Verfassungstreue durch das Grundgesetz verbindlich festgelegt. Ob eine Berufung auf Art. 33 Abs. 5 GG möglich und begründet ist, ist aber gerade die Frage. Zunächst stellt das Bundesverfasungsgericht darauf ab, zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehöre der Grundsatz, daß vom Beamten eine besondere Treuepflicht gegenüber der Verfassungsordnung zu fordern sei, auf die er vereidigt sei 37 . Diese allgemeine Aussago ist sicher zutreffend, allerdings noch wenig aussagekräftig. Unstreitig wurde von^len Beamten als Staatsdiener schon immer Treue zur Verfassung und ihren Grundlagen gefordert, da diese Treüepflicht von Anfang an zum Wesen des Berufsbeamtentums gehörte 38 . Die Verfassungstreue ist daher nach ihrer früheren und heutigen Bedeutung geradezu als identitätsbegründendes Merkmal des Beamtentums bezeichnet worden 39 . In der Monarchie war insoweit bereits als rechtsdogmatischer Grund für die Verfassungstreue angegeben worden, daß sich der Beamte schon deshalb nicht gegen die Grundlagen der Verfassung wenden dürfe, weil auf ihnen auch sein eigenes Amt beruhe 40 . Das Bundesverfassungsgericht kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß sich die Verpflichtung des Beamten auf die Grundlagen der Verfassung „aus der Natur der Sache" ergibt 41 . Die Annahme, daß die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ein entscheidender Grundsatz mit Verfassungsrang ist, kann deshalb als gesichert angesehen werden. Für einen Grundsatz, der sich bereits aus dem Wesen und der Natur des Beamtentums ergibt, hätte es dabei an sich nicht einmal der Berufung auf Art. 33 Abs. 5 GG bedurft. Um aber nicht ohne konkrete Rechtsgrundlage auf den sehr auslegungsfähigen und vieldeutigen Begriff der „Natur der Sache" angewiesen zu sein, ist eine Verrechtlichung der Ver34 BVerfGE 39, 334 ( - Leitsatz 4 - und 351 f.); ebenso Ramm, S. 40 und Hönes, S. 224. 35 BVerfGE 9, 268 (286); 15, 167 (195); s. auch Däubler (1), Der Streik im öffentlichen Dienst, S. 103 ff. 36 BVerfGE 3, 162 (186). 37 BVerfGE 39, 334 ( - Leitsatz 1 - und 346). 38 Schmidt, Johann, S. 59. 39 Isensee (2), S. 268. 40 Piloty, S. 23. 41 BVerfGE 39, 334 (369f.).
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
121
fassungstreue als hergebrachter Grundsatz i m Rahmen des Art. 33 GG durchaus vorzuziehen. Mit der generellen Anerkennimg der Verfassungstreue als hergebrachtem Grundsatz ist allerdings nur eine sehr begrenzte rechtliche Bedeutung verbunden. Die Aussage, daß der öffentliche Dienst an die jeweilige Verfassungsordnung gebunden ist, ist so allgemein gehalten, daß damit noch keine inhaltlichen Angaben über den eigentlichen Gehalt der Verfassungstreue gemacht werden können. Was Verfassungstreue konkret bedeutet, ergibt sich erst aus dem Verständnis der jeweiligen Verfassung 42 , die sich von den vorangegangenen und folgenden Verfassungen stark unterscheiden kann und auch in ihrer eigenen Weiterentwicklung und Interpretation beträchtlichen Veränderungen unterliegen kann. Daher ist kritisch zu prüfen, ob die Treuepflicht des Beamtentums wirklich „unbeschadet von Veränderungen . . . j e nach den wechselnden Verfassungsordnungen" bestanden hat und fortbesteht, wie das Bundesverfassungsgericht meint 4 3 . Zweifelhaft ist insbesondere, ob nach der wechselhaften Verfassungsentwicklung die jetzige Verpflichtung des öffentlichen Dienstes auf die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes überhaupt ein hergebrachter Grundsatz sein kann 4 4 . Die Treuepflicht gegenüber der heutigen Grundordnung ergibt sich notwendigerweise erst aus dem Grundgesetz selbst. Das Bundesverfassungsgericht nimmt dennoch über den erwähnten allgemeinen Grundsatz der Verfassungstreue hinaus an, es sei eine von der Verfassung (Art. 33 Abs. 5 GG) geforderte Voraussetzimg für den Eintritt in das Beamtenverhältnis, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten 45 . Da das Bundesverfassungsgericht für die Anerkennung eines hergebrachten Grundsatzes einen längeren traditionsbildenden Zeitraum verlangt, könnte dazu die Geltungsdauer des Grundgesetzes von inzwischen über 30 Jahren selbst als derartiger Zeitraum angesehen werden 46 . Richtig ist zwar daran, daß ein unter dem Grundgesetz seit 1949 entwickelter und anerkannter Grundsatz des Berufsbeamtentums von der Gesetzgebung zu berücksichtigen und bei wesentlicher Bedeutung zu beachten sein wird. Dafür kommt aber nur eine Berufung etwa auf Art. 3 GG in Betracht, nicht dagegen auf Art. 33 Abs. 5 GG, da das Bundesverfassungsgericht für einen bei Erlaß des Grundgesetzes schon bestehenden hergebrachten Grundsatz konsequenterweise voraussetzt, daß er bereits in der vorausgegangenen Zeit 42 43 44 45 46
Esser, S. 557f.; Rejewski, S. 11. BVerfGE 39, 334 (346). Böttcher, S. 57; Schmidt, Johann, S. 59. BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 4 - . Mayer, S. 340.
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
mindestens unter der Weimarer Verfassung als verbindlich anerkannt und gewahrt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht versucht in seinem Grundsatzbeschluß diese Anforderungen zu belegen, indem es hinsichtlich der Verfassungstreue u.a. auf die Weimarer Zeit verweist 47 und später im Zusammenhang mit Art. 5 GG die damalige Entwicklung näher schildert 48 . Die hergebrachte Treuepflicht des Beamten hat dann nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts unter der Geltung des Grundgesetzes ein besonderes Gewicht dadurch erhalten, „daß diese Verfassung nicht wertneutral ist, sondern sich für zentrale Werte entscheidet, sie in ihren Schutz nimmt und dem Staat aufgibt, sie zu sichern und sie zu gewährleisten (Art. 1 GG)" 4 9 . Damit entsteht der Eindruck, daß die Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes schon in der Weimarer Zeit im Wesentlichen vorgegeben war und mit dem Grundgesetz nur noch etwas verändert und verstärkt wurde. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, wonach „die Institution des Berufsbeamtentums im Sinne des Grundgesetzes nicht ganz die gleiche wie unter der Weimarer Reichsverfassung" 50 ist, "geht in dieselbe Richtung. Immerhin entnimmt das Bundesverwaltungsgericht daraus, daß „Umfang und Grenzen dieser Treuepflicht aus den hergebrachten Grundsätzen nicht genau zu bestimmen" sind und daher „der Umfang der Treuepflicht des Beamten dem sinngemäß einschlägigen weiteren Inhalt des Grundgesetzes zu entnehmen" ist 5 1 . Ob damit die Veränderungen unter dem Grundgesetz gegenüber der Weimarer Verfassung hinreichend gekennzeichnet sind, erscheint zweifelhaft und bedarf jedenfalls noch eingehender Prüfung. Ohne der späteren Untersuchung vorgreifen zu wollen, braucht dazu nur erwähnt zu werden, daß der Übergang von der Weimarer Demokratie zur Demokratie im Sinne des Grundgesetzes als „kopernikanische Wendung" bezeichnet worden ist 5 2 . Hinsichtlich der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ist dabei betont worden, daß in der Verpflichtung auf die freiheitliche demokratische Grundordnung „die entscheidende Abkehr von der Weimarer Verfassung liegt, die den nur äußerlich loyalen Beamten ermöglichte" 53 . Mit der gleichzeitigen Behauptung, daß die Verfassungstreue unbestritten ein hergebrachter Grundsatz sei 54 , ist eine derart wesentliche Veränderung kaum verein47
BVerfGE 39, 334 (346f.). BVerfGE 39, 334 (360 ff.). 49 BVerfGE 39, 334 (349). 50 BVerwGE 47, 330 (334). 51 BVerwGE 47, 330 (334). 52 Stern (2), S. 416, s. insoweit nunmehr 2. Aufl., S. 558 („fundamentale Wendung"). 53 Stern (1), S. 73, Anmerkung 55. 54 Stern (1), S. 13. 48
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
123
bar. Aus den hergebrachten Grundsätzen ließe sich eigentlich im Hinblick auf die Weimarer Zeit nur entnehmen, daß der Beamte zur Neutralität verpflichtet ist 5 5 . Infolgedessen sprechen gewichtige Gründe dafür, daß sich die Verpflichtung des öffentlichen Dienstes auf die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht aus den hergebrachten Grundsätzen nach Art. 33 Abs. 5 GG ableiten läßt, weil im Vergleich zur Weimarer Zeit eine wesentliche Erweiterung der Treuepflicht und entsprechend strengere Bindung an die Verfassungsordnung des Grundgesetzes erfolgt sein könnte 56 . Für den heutigen Inhalt der Verfassungstreue wäre dann erst das Grundgesetz maßgeblich, wobei sich die Bindung des öffentlichen Dienstes nach Art. 33 Abs. 2 und 4 GG an die Grundordnung letztlich aus Art. 1 und 20 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG ergeben würde, die die unabänderbare Verpflichtung des Staates und aller staatlichen Organe zur Verwirklichung der Grundlagen des Grundgesetzes enthalten 57 . Das Bundesverfassungsgericht geht dagegen von einer besonders engen Bindung an die freiheitliche demokratische Grundordnung als hergebrachtem Grundsatz des Berufsbeamtentums aus, wie bereits dargelegt worden ist 5 8 . Dabei käme als Begründung in Betracht, daß der allgemeine hergebrachte Grundsatz der Verfassungsstreue jeweils konkret aufgefüllt wird durch die Anforderungen der geltenden Verfassung, jetzt also des Grundgesetzes in Verbindung mit den heutigen Beamtengesetzen. Dazu kann sich das Gericht auf seine ständige Auslegung des Art. 33 Abs. 5 GG beziehen, wonach die hergebrachten Grundsätze nicht ungeprüft und ohne Rücksicht auf die heutige Verfassungsordnung zu übernehmen sind; das Berufsbeamtentum wird vielmehr nur gewährleistet, soweit es sich in seiner hergebrachten Form in den Rahmen des heutigen Staatslebens einfügen läßt und den Erfordernissen des freiheitlichen demokratischen Staates entspricht 59 . Auf diese Weise würde ein hergebrachter Grundsatz der Verfassungstreue allerdings stark formalisiert und inhaltsarm, wie oben schon eingewandt wurde. Die Verfassungstreue würde dann nur noch eine ganz allgemeine Aussage über die Bindung an die jeweilige Verfassung beinhalten und selbst grundlegende Veränderungen in der Verfassungsentwicklung mitumfassen. Der eigentliche Gehalt des hergebrachten Grundsatzes würde sich nicht aus der bisherigen Entwicklung der Verfassungen und des öffentlichen Dienstes ergeben, sondern in den wichtigen Einzelfragen erst aus der heutigen 55
Thieme (3), S. 80. Arndt, Gottfried, S. 585 (m.w.N.). 57 BVerwGE 47, 330 (334f.); Arndt, Gottfried, S. 586. 58 BVerfGE 39, 334 - Leitsätze 1, 2 und 4 - . 59 BVerfGE 3, 58 (137) und 8, 1 (16); ebenso Wilhelm, Bernhard (3), Die freie Meinung im öffentlichen Dienst, S . l l und Wiese (1), S. 22 f. 56
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Rechtslage. Unbeschadet der zutreffenden Annahme, daß sich früher feststellbare Grundsätze der heutigen Verfassungslage anzupassen haben, ist doch zu fragen, wie konkret die Verfassungstreue als überkommener Grundsatz des Berufsbearjitentums erst einmal nachgewiesen sein muß, um überhaupt als hergebracht bezeichnet werden zu können und dann gegebenenfalls verfassungskonform modifiziert zu werden. Erst nach Klärung dieser Vorfrage, welche Anforderungen an die Konkretisierung eines hergebrachten Grundsatzes zu stellen sind, läßt sich sagen, welche Anforderungen für die Bestimmtheit der Verfassungstreue nach Art. 33 Abs. 5 GG bestehen 60 . Nur dann kann später für die einzelnen problematischen Punkte im obigen Fragenkatalog hinsichtlich Inhalt, Umfang und Intensität der Verfassungstreue beantwortet werden, welche Bedeutung der Rechtsentwicklung im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG zukommt. Der Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts enthält keine Aussagen zur Bedeutung und Reichweite des Art. 33 Abs. 5 GG hinsichtlich der Frage der Bestimmtheit einzelner hergebrachter Grundsätze 61 . Dagegen ist diese Frage wenig später bei einer anderen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen und kontrovers behandelt worden 62 . Das Bundesverfassungsgericht stellt in dieser Entscheidimg in Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung zunächst fest, zu den hergebrachten und zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehöre der Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten als Korrelat zum Grundsatz der Treuepflicht des Beamten 63 . Weiter nimmt das Gericht an, es sei die Eigentümlichkeit von Grundsätzen der Verfassung, daß sie in summarischer Kürze formuliert seien, daß man ihnen infolgedessen „durch eine Vielzahl von Varianten des Sichverhaltens gerecht werden" könne und daß sie daher „nicht auf eine bestimmte, konkrete Leistung gehen"; dabei könnten den Grundsätzen - wie Art. 33 Abs. 5 GG - „unmittelbar im Wege der Auslegung Rechtsfolgen entnommen werden, die ihrerseits generellen Charakter haben, also auf eine Vielzahl von Fällen anwendbar sind", wobei dann „der durch Auslegung der Verfassungsvorschrift gewonnene konkretere Verfassungssatz" auf jeden entsprechenden Sachverhalt angewendet werden könne und müsse 64 . Dieser Gedankengang ist durchaus schlüssig, wonach die im allgemeinen Grundsatz - etwa der Verfassungstreue - enthaltenen konkreteren Grundsätze als Verfassungssätze - zum Beispiel hinsichtlich der Intensität der Bindung an die Verfassungstreue - zu beachten sind. Bemerkenswert im 60
Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, S. 17 ff. BVerfGE 39, 334. 62 BVerfGE 43, 154 (165ff.), mit abweichenden Meinungen (177ff.). 83 BVerfGE 43, 154 (165). 64 BVerfGE 43, 154 (168). 61
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
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Hinblick auf die oben dargestellte Abstufung von Verhaltensweisen ist insoweit die Aussage, daß eine Vielzahl von Varianten des Sichverhaltens dem hergebrachten Grundsatz gerecht wird, solange sich das jeweilige Verhalten noch im Rahmen des weitgefaßten Grundsatzes hält. Das Gericht erwähnt dazu außerdem, daß die Anwendung der Verfassungsvorschrift auf den Einzelfall gerade auch dann geboten ist, wenn der Verfassungsgrundsatz - wie im Fall der Treuepflicht des Beamten - vom einfachen Gesetzgeber nicht genauer, sondern in ähnlich summarischer Weise wie in der Verfassung geregelt ist 6 5 . Daraus ließe sich ableiten, daß außer dem allgemeinen Grundsatz der Verfassungstreue auch einzelne konkretere Grundsätze in diesem Bereich erst einmal als hergebracht festgestellt werden müßten, um daraufhin im heutigen Recht unabhängig von einer näheren Regelung in den Beamtengesetzen als Verfassungsgrundsätze Beachtung zu finden. Das Bundesverfassungsgericht kommt jedoch zu dem gegenteiligen Ergebnis, „daß zwar der in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltene hergebrachte Grundsatz (zum Beispiel... Treuepflicht ...) als hergebracht nachgewiesen sein muß, daß aber die durch Auslegung gewonnenen Konkretisierungen des Inhalts jenes hergebrachten Grundsatzes keineswegs als hergebracht erwiesen werden müssen. Im Gegenteil: Gerade die Auslegung eines hergebrachten Grundsatzes gestattet es, den Grundsatz in gewissem Umfang elastisch zu halten und veränderten Verhältnissen in beschränktem Umfang anzupassen" 66 . Demgegenüber hatten bereits die dissentierenden Verfassungsrichter angenommen, daß diese Schlußfolgerung die Grenzen einer zulässigen Auslegung des Art. 33 Abs. 5 GG überschreite und mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar sei 67 . Unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte dieser Verfassungsbestimmung und auf die ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung belegen sie zunächst, daß Art. 33 Abs. 5 GG das Berufsbeamtentum insoweit gewährleistet, als es sich in seiner hergebrachten Gestalt in den Rahmen des heutigen Rechtslebens einfügen läßt 6 8 . Es muß demnach erst einmal ein hergebrachter Grundsatz feststehen und dann geprüft werden, ob und wie er im Rahmen des Grundgesetzes gegebenenfalls zu modifizieren ist. Nur in diesem Sinne ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts haltbar, daß die Auslegung eines hergebrachten Grundsatzes es gestatte, ihn veränderten Verhältnissen anzupassen. Demgemäß wird dann in der abweichenden Meinung im Anschluß an die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechimg verdeutlicht, daß vom 65
BVerfGE 43, 154 (169). 66 BVerfGE 43, 154 (168). 67 Wand und Niebier in BVerfGE 43, 154 (178). 68 Wand und Niebier in BVerfGE 43, 154 (179f.).
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Erster Teil: Begriffliche Klärung
Bundesverfassungsgericht jeweils festzustellen ist, ob ein Grundsatz des früheren Beamtenrechts als verbindlich anerkannt und gewahrt worden ist und ob er zu dem durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbestand von Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums gehört 69 . Deshalb muß feststehen, daß der jeweilige Grundsatz zu irgendeinem Zeitpunkt während des traditionsbildenden Zeitraums vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Gegenstand einer beamtenrechtlichen Regelung gewesen ist oder wenigstens als ungeschriebener Rechtssatz des früheren Beamtenrechts gegolten hat 7 0 . Anderenfalls würde jeder heutige konkrete Rechtssatz des einfachen Beamtenrechts, der zu einem hergebrachten allgemeinen Grundsatz unter Einschluß der in Betracht kommenden Anwendungsfälle gehört, zu den hergebrachten Grundsätzen im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG unabhängig davon zählen, ob er jemals Bestandteil des früheren Beamtenrechts war; diese Auffassung der Mehrheit würde eine Überdehnung des Art. 33 Abs. 5 GG bedeuten 71 . Dieser überzeugenden K r i t i k der beiden dissentierenden Verfassungsrichter haben sich u.a. mehrere Bundesverwaltungsrichter angeschlossen, zumal das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung nicht einmal den Versuch gemacht hat, die von ihm angenommenen konkreten Grundsätze als hergebracht festzustellen, und eine derartige Nachprüfung eher das Gegenteil einer hergebrachten Regelung ergeben hätte 72 . Es ist jedenfalls im Rahmen des Art. 33 Abs. 5 GG nicht möglich, bisher ungeschriebene spezielle Grundsätze als hergebracht anzusehen, wenn sie als Konkretisierung allgemeiner Grundsätze nicht schon in der Vergangenheit anerkannt waren 73 . Wenn andererseits hergebrachte allgemeine Grundsätze heute vom Gesetzgeber weiterhin nur generalklauselartig wie bei der Treuepflicht geregelt werden, richtet sich der Inhalt der Verfassungstreuepflicht allerdings notwendigerweise jeweils nach den besonderen Umständen des konkreten Falles und bleibt insoweit auch bei neuen Fallgestaltungen immer noch innerhalb des Geltungsbereichs von Art. 33 Abs. 5 GG. Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht in diesem Sinne bei weiteren Urteilen zu klarstellenden Äußerungen hinsichtlich seiner zumindest mißverständlichen Entscheidung kommt 7 4 , die dann wegen der Abweichungen von der sonstigen Rechtsprechung des Gerichts nur die Bedeutung einer Einzelfallentscheidung hätte. 69 70 71 72 73 74
Wand und Niebier in BVerfGE 43, Wand und Niebier in BVerfGE 43, Wand und Niebier in BVerfGE 43, Niedermaier / Günther, ZBR 1977, Bender, DÖV 1977, 565 (566). Bender, S. 568.
154 154 154 238
(185). (187 f.). (188). (240f.); Becker (1), RiA 1978, 14 (16).
IV. Zwischenergebnis und Überleitung
127
Bezüglich der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst bedeutet die bisherige ständige Rechtsprechung, daß zunächst anhand der Rechtsentwicklung festzustellen ist, ob und in welcher Weise ein bestimmter Grundsatz innerhalb der generellen Treuepflicht als hergebracht zu ermitteln ist. Darüber hinaus ist jeweils klärungsbedürftig, ob und inwieweit sich die aus heutiger Sicht zum obigen Fragenkatalog genannten Konkretisierungen der Verfassungstreue aus hergebrachten konkreten Grundsätzen ableiten lassen; dafür ist Voraussetzung, daß sie sich auf entsprechende frühere geschriebene oder ungeschriebene Gesetze zurückführen lassen. Dagegen werden heutige konkrete Grundsätze nicht als hergebracht anzuerkennen sein, wenn sie zwar mit früheren allgemeinen Grundsätzen vereinbar sind, aber sich in der Vergangenheit nicht konkret herausgebildet hatten. Insoweit kann sich im Einzelfall durchaus ergeben, daß Grundsätze seit der Geltung des Grundgesetzes anerkannt sind und ebenso wie hergebrachte wichtige Grundsätze zu beachten sind, aber selbst keine hergebrachten Grundsätze im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG sind. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluß angenommen hat, daß die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ein hergebrachter Grundsatz gemäß Art. 33 Abs. 5 GG sei, ist diese Annahme nunmehr anhand der geschichtlichen Entwicklung zu überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht ist - wie erwähnt - auf die Bedeutung des Art. 33 Abs. 5 GG als Grundlage seiner Entscheidung nur mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen eingegangen und hat von einer näheren Begründung abgesehen 75 . In der Literatur liegt inzwischen eine Vielzahl von Untersuchungen zu einzelnen Aspekten und Zeitabschnitten der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst vor; eine eingehende Gesamtdarstellung fehlt insoweit aber nach wie vor. Die besondere Bedeutung des Art. 33 Abs. 5 GG für die Verfassungstreue führt nach allem dazu, daß auf eine historische Betrachtung nicht verzichtet werden kann 7 6 . Aus dem Gesamtbereich des öffentlichen Dienstes 77 w i r d die Prüfung der Rechtslage der Beamten den größten Raum einnehmen, während auf die Besonderheiten im Rechtsverhältnis der Soldaten 78 nicht eingegangen wird. Die Rechtslage hinsichtlich der Angestellten w i r d ebenfalls untersucht, weil sich für sie schon vor Erlaß des Grundgesetzes Grundsätze gebildet hatten, die bei der damals einsetzenden Neuregelung des öffentlichen Dienstes Beachtung verdienten 79 . Art. 33 Abs. 5 GG gilt zwar nach ständiger Recht75
BVerfGE 39, 334 (346f.). Thieme (1), Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 2; Suermann, ZBR 1965, 1. 77 Pfennig, Der Begriff des öffentlichen Dienstes und seiner Angehörigen, S. 40 ff. 78 Dazu Böttcher, insbesondere S. 30 ff. und 149 ff. ™ BVerfGE 43, 155 (180). 76
128
Erster Teil: Begriffliche Klärung
sprechung nicht für Angestellte und auch nicht für Arbeiter 8 0 . Gerade hinsichtlich der Verfassungstreue korrespondiert aber das Tarifrecht im wesentlichen mit den beamtenrechtlichen Bestimmungen, wie die Regelungen in § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT und § 9 Abs. 9 MTB/MTL I I zeigen 81 . Für diesen Bereich ist deshalb näher zu prüfen, inwieweit sich vergleichbare überlieferte Grundsätze zur Verfassungstreue wie bei den Beamten feststellen lassen 82 .
80 81 82
BVerfGE 3, 162 (186); BAG NJW 1976, 1708. Arndt, Gottfried, S. 586, Fußnote 3 (m.w.N.). Thieme (3), S. 8Iff.
Zweiter Teil
Rechtsgeschichtliche Entwicklung I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung 1. Ursprung i m Lehnswesen
In der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird angenommen, daß die Geschichte des deutschen Beamtentums seit der absoluten Monarchie gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine besondere Treuepflicht des Beamten kennt 1 . Die Entwicklung setzte jedoch erheblich früher ein und führte über verschiedene Vorformen zusammen mit der Entstehung einer modernen Staatlichkeit zum Treueverhältnis als Wesensmerkmal des öffentlichen Dienstes 2 . Die Rechtsgeschichte der Treuepflicht läßt sich zurückverfolgen bis zur germanischen Gefolgschaft, deren Grundlage die freiwillig übernommene Treueverpflichtung des Gefolgsmannes war 3 . Im Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis der Ämter nach römischem Recht war die germanische Gefolgschaft eher ein persönliches Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Der notwendigen Ordnung des Gemeinschaftslebens stand dabei das Freiheitsgefühl des Einzelnen gegenüber, so daß am Anfang der abendländischen Staatsentwicklung nur soviel Bindimg wie nötig und soviel Freiheit wie möglich angestrebt wurde 4 . Die Treuepflicht war zugleich keine Besonderheit des Gefolgschaftsverhältnisses und später des Amts Verhältnisses, sondern beruhte auf dem allgemeinen Treueverhältnis aller Gemeinschaftsangehörigen gegenüber dem König. Aus den Treueeiden seit der Zeit Karls des Großen wurde entnommen, daß die Treue dazu verpflichtete, „nach bestem Wissen und Vermögen nützlich zu sein mit Rath und That"; dies bedeutete negativ, alles zu unterlassen, was dem anderen schaden konnte, und positiv, alles zu tun, was dem 1
BVerfGE 39, 334 (346). Hattenhauer (2), S. Iff.; Lötz, Geschichte des deutschen Beamtentums, S. 3 und 7. 3 Laubinger, S. 91; Kimminich (1), Die Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Heranbildung des modernen Staates, S. 47 (54). 4 Werner, Zur Krise des modernen Staates, S. 118 (119 f.). 2
9 Schräder
130
Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
anderen nützte 5 . Die Bandbreite und Abstufung zwischen hohen positiven Anforderungen bis zur Grenze negativen Verhaltens deutet sich schon bei diesen ersten Anfängen der Treuepflicht an. Nur vorübergehend kam es dann im fränkischen Ämterwesen, in dem sich germanische und römische Vorstellungen verbanden, zu Dienstverhältnissen mit Merkmalen eines öffentlich-rechtlichen Beamtentums. Vom höchsten Beamten mit der Amtsbezeichnung Graf bis zum untersten Bediensteten waren die Amtsinhaber hierarchisch dem König untergeordnet und wurden von ihm ernannt und abgesetzt6. In den Ernennungsurkunden schon aus der Zeit vor dem 7. Jahrhundert wurde wesentlich auf die Treue abgestellt mit folgender Begründung: „Da wir deine Treue und Tüchtigkeit wohl erkannt haben, so haben wir demgemäß das Amt ... übertragen, so daß du jederzeit gegen unsere Herrschaft unverbrüchlich Treue bewahrst 7 ." Der germanische Gefolgschaftsgedanke setzte sich danach zunehmend durch und führte schon unter den Nachfolgern Karls des Großen dazu, daß das übertragene Amt als privatrechtliches Lehen beibehalten wurde und nur nach den dafür geltenden Vorschriften und Formen entzogen werden konnte 8 . Zu der germanisch-personalen Vasallität mit der Ämterleihe kam die römisch-reale Grundstücksleihe hinzu, so daß sich das Lehnswesen als Synthese aus germanischen und römischen Rechtsgedanken herausbildete; auf diese Weise wurde das Lehnswesen zur Grundlage des Verfassungsrechts im frühen Mittelalter 9 . Der lehnsrechtliche Ursprung der Treuepflicht des öffentlichen Dienstes 10 ist schon begrifflich daraus zu ersehen, daß der Lehnseid als „Treue" bezeichnet wurde 1 1 . Der Lehnsmann verpflichtete sich dabei gegenüber dem Lehnsherrn zum Frieden; der Kern der Friedenspflicht bestand in einer Unterlassungspflicht, zu der erst in zweiter Linie die Pflicht zu positivem Tun durch Unterstützung des Lehnsherrn hinzutrat. Dies wurde deutlich am üblichen Formular des Lehnseides, wonach die Treue mit den Pflichten verbunden war, den Lehnsherrn zu schützen, ihn zu schonen, seine Ehre zu bewahren, sein Bestes zu befördern und ihm alles leicht und möglich zu machen. Die an sich zum Handeln verpflichtenden Aufgaben zum Beispiel des Schutzes und des Beförderns wurden jedoch jeweils nur als Pflicht verstanden, den Lehnsherrn vor Schaden zu bewahren und ihn nicht zu benachteiligen 12 . 5 Laubinger, S. 92 unter Hinweis auf die Untersuchungen Ehrenbergs zur Treuepflicht. 6 Lötz, S. 10 f. 7 Hattenhauer (2), S. 5. 8 Kimminich (1), S. 54 und 56. 9 Hattenhauer (2), S. 6. 10 Wyluda, S. 161; Schmitt, Walter Oskar, S. 8. " Hattenhauer (2), S. 7.
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
131
Unter diesen Umständen ist eine Überbewertung der lehnsrechtlichen Treuepflicht als μmfassende persönliche Bindung 1 3 nicht gerechtfertigt 14 . Die spätere Verherrlichung der germanischen Lehns- und Gefolgschaftstreue als Nibelungentreue stimmte ohnehin nur wenig mit der geschichtlichen Wirklichkeit überein 15 . Die Kennzeichnung der Treue als umfassende Pflicht besagt an sich nur, daß sie sich auf alle wichtigen Bereiche des Dienstherrn bezieht, wobei die politische Treuepflicht den Kernbereich bildet. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht keine Bedenken, auch noch bei der heutigen Rechtslage von einer umfassenden Treuepflicht zu sprechen, zu deren Kern die politische Treuepflicht gehört 16 . Mit dem Hinweis, daß der Beamteneid lange Zeit mit dem Lehnseid identisch war, ist in diesem Zusammenhang sogar behauptet worden, daß der Treuegedanke des Beamtentums als wertvollstes Erbe des Lehnsstaates übernommen worden sei 17 . Als die Funktionsfähigkeit des Lehnswesen mit der Verdinglichung des Lehens im Laufe der Generationen über die Erblichkeit bis hin zum Übergang in freies Eigentum immer stärker beeinträchtigt wurde, entstand das sogenannte Dienstlehen 18 . Mit der Übertragung bestimmter Aufgaben an Ministeriale wurde durch den Dienstherrn ein einseitiges Pflichten- und Treueverhältnis begründet mit weitgehender Abhängigkeit der Dienstleute, die zunächst noch im 11. Jahrhundert ehemalige Unfreie waren und im 12. bis 16. Jahrhundert aus dem niederen Adel stammten 19 . Mit dem Aufstieg des Dienstadels erhielt insbesondere die Reichsministerialität zunehmende Bedeutung, und die Ministerialen wurden die Träger der spätmittelalterlichen Verwaltung. Vereinfacht könnte man deshalb annehmen, daß sich aus dem Lehen langsam ein Amt entwickelte, so daß aus dem Lehnsmann schließlich ein Beamter wurde 2 0 . Ein derartiger kontinuierlicher Entwicklungsgang ist jedoch nicht feststellbar, da neben den adligen Ministerialen, die das Lehen im eigenen Namen verwalteten und daraus Einkünfte zogen, seit dem 14. Jahrhundert vor allem in den einzelnen Territorialstaaten 21 Beamte aus dem Bürgertum eingesetzt wurden, die im Namen des Dienstherrn gegen ein ständiges Gehalt tätig waren 22 . Zugleich kam damit das ursprüngliche Prin12 Hattenhauer (2), S. 10. 13 Wyluda, S. 161; s. auch oben Erster Teil, Abschnitt 1.2. 14 Lecheler (1), S. 229f.; auch Werner, S. 120. 15 Hattenhauer (2), S. 242. 16 BVerfGE 39, 334 (347). 17 Liermann, ZBR 1960, 241. 18 Kimminich (1), S. 56ff. " Hattenhauer (2), S. 8. 20 Liermann, S. 241. 21 Lötz, S. 7. 22 Hattenhauer (2), S. 10. 9*
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
zip des fränkischen Ämterwesens, daß der Amtsinhaber ein Beamter und kein Vasall war, wieder zur Geltung 23 . Das Nebeneinander von Lehnsleuten und Beamten, deren Rechtsstellung mit besonderer Treuepflicht und entsprechendem Eid in vieler Hinsicht ähnlich war 2 4 , dauerte zum Teil noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts und endete erst mit dem Beginn des Absolutismus 25 . Da Ministeriale die Aufgaben aus einem Dienstlehnen auch als Beamte übernehmen konnten und umgekehrt Beamte zu ihrer Versorgung ein Lehen erhalten konnten, ist bei diesen Wechselbeziehungen die Abgrenzung der beiden Gruppen in der Entstehungszeit des Beamtentums schwierig 26 . Hinsichtlich der Treuepflicht kann jedenfalls angenommen werden, daß die im Treueeid bekräftigte Verpflichtung des Beamten dem Lehnseid nachgebildet worden war, wobei allerdings die Handlungspflicht des Beamten gegenüber der Unterlassungspflicht des Lehnsmannes verstärkt wurde 2 7 . Die übliche Formel bei der Eidesleistung eines mittelalterlichen Lehnsmannes, seinem Herrn „treu, hold und gewärtig zu sein" 2 8 , wurde in Preußen in Ernennungsurkunden noch um 1860 verwendet; in ausführlicher Umschreibung wurde unverbrüchliche Treue versprochen und weiterhin bekräftigt, daß man des Königs „Nutzen und Bestes überall suchen und befördern, Schaden und Nachteil aber verhüten, warnen und abwenden" werde 29 .
2. Anfänge in den Stadtrepubliken
Die Entwicklung einer selbständigen Verwaltung, die den Schutz des Gemeinwohls und der bürgerlichen Freiheiten gewährleisten sollte, hatte in den Stadtrepubliken im 13. Jahrhundert begonnen. In Hamburg wurden nach den Rezessen - den Vorläufern der Verfassungen - von 1483 und 1529 nur denjenigen Bewerbern Stadtdienste verliehen, die sich zu keinem anderen geistlichen oder weltlichen Dienst verpflichteten und sich für das gemeine Gut einsetzten, wobei die Stadtdienste noch im Rezeß von 1603 Herren-Lehen genannt wurden 3 0 . Neben den zunehmend juristisch ausge2
3 Lötz, S. 42. Hattenhauer (2), S. 9; s. aber auch zurückhaltend in dieser Bewertung Willoweit, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, S. 66 (140f.). 25 Kimminich (1), S. 61; s. auch Willoweit, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, S. 346 (347 f.). 26 Hattenhauer (2), S. 9. 27 Hattenhauer (2), S. 9. 28 Liermann, S. 241. 29 Ernennungsurkunden z.B. von 1855, 1860 und 1866 (in eigenem Besitz). 30 Westphalen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1. Band, S. 27f.; Seelig, Hamburgisches Staatsrecht, S. 125. 24
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bildeten Ratsherren 31 wurden seit dieser Zeit verstärkt rechtsgelehrte Kanzleibeamte verwendet, die als sogenannte „gemietete Doktoren" zunächst in den Städten den Beginn des modernen geldbezahlten Berufsbeamtentums bildeten 32 . Nach dem hamburgischen Hauptrezeß von 1712 sollten die Amtsherren „das edle Kleinod der bürgerlichen Freiheit nicht mit Füßen treten" 3 3 . Ergänzend wurde nach dem Rath- und Bürgerschluß von 1733 festgelegt, „daß zu allen Diensten ... ein Jeder ohne Ausnahme admittiert werde" 3 4 . Damit war im Ansatz ersichtlich, daß zu dem grundsätzlich allen Bürgern offenstehenden Verwaltungsdienst nur zugelassen wurde, wer für bestimmte Grundwerte des Gemeinwesens einzutreten bereit war. Der gleiche Zugang zum öffentlichen Dienst als Bürgerrecht wurde garantiert, bevor dieser Grundsatz in der französischen Erklärung der Bürger- und Menschenrechte von 1789 und danach in den Verfassungen der deutschen konstitutionellen Monarchien enthalten war 3 5 . Als Grundlage für die Treuepflicht im Staatsdienst spielte der Treuebegriff im Verhältnis von Bürger und Verwaltung eine Rolle, seitdem in den Städten im 15. Jahrhundert eine Ratsverfassung eingeführt worden war. Der Bürgereid, der in Hamburg zuerst im Rezeß von 1483 in Art. 70 gesetzlich normiert wurde, enthielt das Gelöbnis, dem Rath und dieser Stadt treu und hold zu sein; damit wurde zugleich das Prinzip einer über der Gesamtheit stehenden Obrigkeit durch jeden Einzelnen anerkannt und eine individuelle Beziehung ähnlich wie gegenüber dem Landesherrn hergestellt 36 . Die ziemlich unveränderte Fassung des Bürgereides führte schließlich laut Gesetz von 1860 zu dem Versprechen, der Freien und Hansestadt Hamburg treu und hold zu sein und die inzwischen eingeführte Verfassung und die Gesetze gewissenhaft zu beobachten. Vom bürgerschaftlichen Verfassungsausschuß wurde aber in einem Bericht von 1872 ein Gelöbnis gegenüber dem - nun an erster Stelle vor dem Rat genannten - gesamten Stadtstaat als farblos und unklar angesehen und die Zusicherung, zeitlebens die Verfassung einzuhalten, wegen der großen Unbestimmtheit für rechtlich wirkungslos gehalten 37 . Dies besagte jedoch nicht, daß das Treueverhältnis zwischen Bürger und Stadt für bedeutungs31 Bolland (2), Senat und Bürgerschaft, S. 14; s. auch Gabrielsson, Die Zeit der Hanse 1300 - 1517, S.101 (135f.). 32 Lötz, S. 58f.; Hattenhauer (2), S. 19f. und 28f. 33 Westphalen, S. 31. 34 Westphalen, S. 29. 35 Thieme (1), S. 1, Fußnote 2 und S. 4, Fußnote 20. 36 Lehr, Das Bürgerrecht im Hamburgischen Staate, S. 14 und 138. 37 Bericht des von der Bürgerschaft zur Prüfung des Berichtes der Commission von Senat und Bürgerschaft betreffend Revision der Verfassung niedergesetzten Ausschusses, S. 35.
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
los gehalten wurde. Vielmehr wurde in dem Bericht darauf hingewiesen, daß die - in Hamburg seit langem bestehende - Republik keines besonderen Treuebandes des Bürgers bedürfe, da sie keinen Argwohn hege, daß einer ihr treulos werden möchte, der ihr angehöre 38 . Das Treueverhältnis wurde dabei einfach aus dem Staatsangehörigkeitsverhältnis im Sinne des Bürgerrechtsverhältnisses hergeleitet 39 . Außerdem wurde in dem Bericht angenommen, daß man gegen schwerwiegende Verstöße gegenüber Stadt und Senat durch die strafrechtlichen Bestimmungen genügend gesichert sei 40 . Die Zusicherung, die Verfassung einzuhalten, wurde schon damals nur als ein staatsrechtliches Sicherungsmittel auf ethischer Grundlage angesehen41. Daraufhin wurde der Bürgereid in der zuletzt seit 1914 gültigen Fassung bis 1919 beibehalten. Die Senatsmitglieder und die Beamten waren zu getreuer Führung des Amtes verpflichtet und konnten entlassen werden, wenn sie durch ihre Amtsführung den Unwillen der Bürgerschaft erregt hatten, wie es wiederholt bis zum Langen Rezeß von 1529 hieß. In diesem Rezeß wurde konkret gesagt, daß ein Senatsmitglied bei Verfassungsverletzung entlassen werden konnte; das Entlassungsverfahren für Beamte wurde von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht und damit verrechtlicht 42 . Allgemein wurde im Rezeß von 1562 ausgesagt, daß die Ratsmitglieder und jede Person in ihrem Amt treu sein sollen in allem, was das Wort treu umfasse, also zunächst zu Gottes Ehren, Beförderung des Evangeliums und Vermehrung der Freiheiten, Gerechtigkeiten zum gemeinen Nutzen, Nahrung, Wohlfahrt und Gedeihen tätig zu sein 43 . In Art. 15 und 27 der Verfassung von 1860 wurde ergänzt, daß zur getreuen Amtsführung der Senatsmitglieder auch gehöre, daß die Verfassung nicht verletzt wird; dies galt entsprechend für die Beamten 44 . Der Zusammenhang zwischen Treuepflicht und Verfassung wurde also frühzeitig gesehen, allerdings nicht differenziert behandelt. Der Inhalt der Verfassungstreue wurde allgemein umschrieben, wobei die Treue zur Republik als Staatsform und der Schutz der Freiheit ihrer Bürger betont wurde, während die Bezeichnung der Verfassung als demokratisch noch 1872 für unzeitgemäß gehalten wurde 4 5 . 38
Bericht (Fn. 37), S. 5 und 7. Seelig, S. 27. 40 Bericht (Fn. 37), S. 6. 41 Lehr, S. 141 (m.w.N.). 42 Bolland (1), Die Hamburgische Bürgerschaft in alter und neuer Zeit, S. 145 ff. 43 Trümmer, Einige rechtshistorische Notizen über die Verantwortlichkeit der obersten Staatsbeamten in Hamburg, S. 495 f. 44 Bolland (1), S. 153 f. 4 * Bericht (Fn. 37), S. 3 und 5. 39
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Dabei darf nicht übersehen werden, daß zwischen den alten Rezessen und den Verfassungen nach den (später zu behandelnden) revolutionären Ereignissen von 1848 und 1918 wesentliche Unterschiede bestanden. Die in Hamburg mit der Reformation 1529 eingeführte Verfassung, die in ihren Grundzügen über 300 Jahre in Geltung blieb, behielt die politischen Rechte wie in den anderen Hansestädten der bürgerlichen Oberschicht vor 4 6 . Bei der Wiederherstellung der städtischen Unabhängigkeit nach 1813/14 traten die alten städtischen Verfassungen wieder in Kraft, ohne daß sich in den folgenden Jahren an dem verfassungs- und verwaltungspolitischen Traditionalismus etwas Grundlegendes änderte. Der Übergang zu einem konstitutionellen Repräsentativsystem war in den ständisch geprägten Stadtrepubliken durchaus ähnlich schwierig wie in den altständischen Monarchien 47 . Hamburgs Verfassung galt dennoch mit der Verbindung aristokratischer, demokratischer und repräsentativer Ansätze in der Form des Hauptrezesses von 1712, der als „ewiges, unveränderliches und unwiderrufliches Fundamentalgesetz" beschlossen worden war, für die damaligen Verhältnisse lange Zeit als vorbildlich 4 8 . Als dann seit 1833 mehrere Stadtbedienstete wie Lehrer und Richter gleichsam als öffentlich besoldete Oppositionelle die Verfassung als veraltet angriffen und grundlegende Reformen verlangten, konnten sie ihr Amt behalten und in staatlichen Räumen auftreten, weil die Senatoren als überzeugte Republikaner ein Vorgehen gegen sie nicht für angebracht hielten 49 . Die noch zu behandelnde Entwicklung nach 1848 und der oben bereits in großen Zügen dargestellte weitere Ablauf bestätigten, daß in der Tat wesentliche Veränderungen der Stadtverfassung geboten waren. 3. Ansätze in der absoluten Monarchie
Neben dem zahlenmäßig begrenzten Beamtentum in den Stadtrepubliken entwickelte sich das moderne Berufsbeamtentum vor allem in den monarchischen Territorialstaaten mit Beginn des Absolutismus in der Neuzeit, die etwa ab 1500 angesetzt wird und mit dem Westfälischen Frieden von 1648 am Ende des Dreißigjährigen Krieges endgültig das Mittelalter ablöste 50 . Das Beamtentum war aber nicht erst das Produkt des absoluten Staates, sondern der Absolutismus fand das Beamtentum in der Form vor, zu der es sich in der oben geschilderten Weise bereits entwickelt hatte. 4
® Huber (3) Band II, S. 544 f. Huber (3) Band II, S. 544 f. 48 Bolland (2), S. 17, 20 und 24. 49 Bolland (2), S. 24 f. 50 Kimminich (1), S. 51 und 62 (m.w.N.). 47
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Allerdings wurde das Beamtentum als geeignetes Mittel zur Verwaltung des Flächenstaates im Absolutismus weiterentwickelt; insofern läßt sich sagen, daß die Herausbildung des Berufsbeamtentums eine Leistung des modernen Staates ist, der in seiner ersten Phase überwiegend als absolute Monarchie auftrat 5 1 . Wie die Entwicklung in den Stadtrepubliken gezeigt hat, stand aber jede Staatsform in dieser Zeit vor den Aufgaben einer modernen Verwaltung. Die Entwicklung des Berufsbeamtentums wurde daher nicht allein durch die Wesensmerkmale des Absolutismus geprägt. Vielmehr bestand schon damals eine Wechselwirkung zwischen der Fortentwicklung des Staatswesens und des Beamtentums; beide waren aufeinander angewiesen und beeinflußten sich gegenseitig, wie sich gerade bei der Ausgestaltung der Treuebindung feststellen läßt. Die absoluten Fürsten konnten bis ins 18. Jahrhundert hinein die Verhältnisse der Bediensteten einseitig regeln und die Sanktionen festlegen, wenn das Verhalten eines Beamten nicht ihren Vorstellungen entsprach 52 . Neben der allgemeinen Treuepflicht der Untertanen, verdeutlicht durch den Treueeid, gab es zunächst keine besondere Treuepflicht der Beamten, sondern das Prinzip des Gehorsams gegenüber dem Monarchen 53 . Nach herkömmlicher privatrechtlicher Auffassung waren die Beamten Fürstendiener und nicht Diener des Staatsganzen mit öffentlich-rechtlichem Status 54 . Das umfassende Aufsichtsrecht des Monarchen entsprach seinem Selbstverständnis, da er sich mit dem Staat identifizierte und der alleinige, authentische Interpret des Gemeinwohls war 5 5 . Er hatte absolut zu bestimmen, was das Gemeinwohl verlangte und wie es von seinen Beamten zu verwirklichen war. Das Gemeinwohl war wiederum der allgemein gültige Staatszweck für die Ordnung des Gemeinwesens. Die Verantwortung für das Gemeinwohl bedeutete aber auch Pflichten des Monarchen, wie sie in Ν
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den Fürstenspiegeln umschrieben waren und in der reformatorischen Pflichtenlehre noch einmal betont wurden 5 6 . Von hier führt - bei allen Wandlungen über ein rational-empirisches und schließlich pluralistisches Gemeinwohlverständnis - eine geschichtliche Linie zum heutigen Staatsziel der Sozialstaatlichkeit 57 . s1 Kimminich (1), S. 68 f. 52 Brandt, S. 37; Steinbach, Die politische Freiheit der Beamten unter der konstitutionellen Monarchie in Preußen und im Deutschen Reich, S. 19ff.; Röttgen (2), Beamtenrecht, S. 8f. 53 Laubinger, S. 91. 54 Rejewski, S. 13; Seuffert, J. M., Von dem Verhältnisse des Staats und der Diener des Staats gegeneinander im rechtlichen und politischen Verstände, S. 5 f. 55 Leibholz (3), Rechtsgutachten zur Staatlichen Rechtsaufsicht über die Programmgestaltung, S. 8 f. 56 Scheuner (3), S. 344 f. 57 Ipsen, Hans Peter (2), S. 294 f.
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Die Bediensteten hatten in ihrer damaligen Stellung an der Staatszielverwirklichung noch keinen eigenverantwortlichen Anteil. Es konnte noch nicht einmal von einem öffentlichen Dienst oder von Staatsdienern gesprochen werden und auch nicht von Staatstreue oder gar Verfassungstreue. Erst im aufgeklärten Absolutismus mit dem neuen Selbstverständnis des Monarchen als Staatsorgan und erstem Bedienten seines Volkes, wie sich Friedrich der Große nannte, wurde aus dem Beamten als Fürstendiener der Träger eines öffentlichen Amtes des Staates 58 . Beachtlicherweise wurde schon damals zur Feststellung der Treue des Bewerbers, die „ i n größeren Staaten des Regenten erste Sorge" sein müsse, ein sorgfältiges Auswahlverfahren durch Prüfungskommissionen mit persönlicher Anhörung für angebracht gehalten; dabei sollten Zweifel im Einzelfall nicht durch Annahmen über „den moralischen Charakter" des Kandidaten, sondern anhand von „facta" geklärt werden 59 . Die Umstellung vom privatrechtlichen Fürsten- zum öffentlich-rechtlichen Staatsdienst erfolgte beispielhaft in Preußen durch das Allgemeine Landrecht von 1794 (ALR), das als Grundgesetz des friderizianischen Staates bezeichnet wurde und für das Beamtenrecht in mehrfacher Hinsicht grundsätzliche Bedeutung hatte 60 . Das ALR konnte mit seiner Konzeption einer zwar uneingeschränkten, aber aufgeklärten Monarchie nur unter Schwierigkeiten durchgesetzt werden und in Kraft treten 61 . Die erste geschlossene Normierung einiger zentraler Fragen des Beamtenrechts enthielt Teil I I Titel 10 ALR mit der Überschrift „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staats" 6 2 ; damit wurde erstmals der Begriff des Staatsdieners gleichbedeutend mit dem des Beamten verwendet, der seit dem 16. Jahrhundert ständig vorkam 6 3 . Diesem Sprachgebrauch folgte wenig später die bayerische Hauptlandespragmatik für die Dienstverhältnisse der Staatsdiener von 1805 als erstes selbständiges Beamtengesetz, das ebenfalls den Statuswandel des Beamten zum Ausdruck brachte 64 . Dort konnte daran angeknüpft werden, daß in Bayern bereits im 16. Jahrhundert der Amtseid der Beamten nicht nur auf den Landesherrn, sondern auch auf das Gemeinwesen geleistet wurde 6 5 .
58 Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Teil A, S.l; Seuffert, J. M., S. 35ff. 59 Seuffert, J. M., S. 50ff. 60 Thiele (2), S. 2Iff. ei Conrad (2), JZ 1969, 309 (310). 62 Rejewski, S. 15 f. 63 Gerber (1), S. 9. 64 Wiese (1), S. 62 mit Hinweis auf Gönner, Der Staatsdienst aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der Nationalökonomie betrachtet. 65 Wiese (1), S. 62, Fußnote 5.
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Im Norden und Süden Deutschlands entwickelte sich damit in den beiden größten deutschen Staaten das Beamten Verhältnis zum Staatsdienst; die Beamten waren dabei allerdings nach wie vor „königliche Beamte", aber nicht mehr nur unmittelbar wie bisher Diener des Königs, sondern zugleich Diener des Staates 66 . Diese Mischung personeller und institutioneller Züge blieb bis zum Ende der Monarchie für das Beamtentum inhaltsbestimmend 67 . Die Ausrichtung des Beamten auf den Staat wurde in den Allgemeinen Grundsätzen der §§ 1 bis 3 I I 10 ALR näher umschrieben. Nach § 1 I I 10 ALR waren neben dem Militär die Zivilbedienten bestimmt, für Sicherheit, Ordnung und Wohlstand des Staats zu sorgen; die Verantwortung des Monarchen für diese Teilbereiche des Gemeinwohls, die ihm bisher allein zugestanden hatte, wurde in ähnlicher Ausdrucksweise in §§ 2 und 3 I I 13 ALR unter der Überschrift „Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt" erwähnt. Die Beamtenschaft konnte sich daher zusammen mit dem Monarchen als Repräsentant des Staats und des Gemeinwohls verstehen, das seitdem für sie zum rechtsethischen Leitbild wurde 6 8 . In § 2 I I 10 ALR wurde anschließend erstmals ausdrücklich gesagt, daß die Beamten dem Monarchen als Staatsoberhaupt besondere Treue und Gehorsam schulden. Das Treueverhältnis, das ursprünglich nur zwischen dem Militär und dem König begründet worden war, wurde nun auf die Zivilbedienten ausgedehnt 69 . Das Bundesverfassungsgericht sieht hier den ersten Ansatz für eine besondere Treuepflicht als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums 70 . Die Treue- und Gehorsamspflicht wurde aber nur als Sonderfall der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten angesehen, die in der Pflicht zur Unterstützung des Gemeinwohls nach § 73 EinlALR und in der Pflicht zum Gehorsam gegen den Monarchen als Staatsoberhaupt bestanden 71 , und nicht als eigenständige Pflicht des öffentlichen Dienstes verstanden 72 . Ob über die Treuepflicht gegenüber dem Monarchen hinaus von einer Staatstreue der Beamten im Sinne des Treuepflichtverständnisses des Bundesverfassungsgerichts gesprochen werden kann, erscheint dabei noch nicht gesichert. Für die Staatstreue könnte auf § 3 I I 10 ALR verwiesen werden, wonach der Beamte dem Staat zu besonderen Diensten durch Eid verpflichtet ist. Nach der Eidesformel gemäß der preußischen Kabinettsorder von 66 67 68
Liermann, S. 242. Wiese (1), S. 63. Hattenhauer (1), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794,
S. 34. 69 Wilhelm, Bernhard (1), S. 222. ™ BVerfGE 39, 334 (346). 71 von Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 49. 72 Hattenhauer (2), S. 175 f. (mit Erläuterung der Schrift von Seuffert).
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1833 schwor der Beamte Treue und Gehorsam jedoch ausschließlich dem König als seinem „Allergnädigsten Herrn" 7 3 . Erklärbar ist dies damit, daß sich gemäß § 1 I I 13 ALR alle Rechte und Pflichten des Staats in dem Monarchen als Staatsoberhaupt vereinigten und daß ihm nach § 4 I I 13 ALR alle Rechte zur Erreichung der Staatszwecke gebührten. Nur bedingt und mittelbar kann daher von einer Staatstreue die Rede sein, da erst über die Bindung an den Monarchen die Bindung an den Staat vermittelt wurde. Der König war nun allerdings nicht mehr die Verkörperung des Staates, sondern nur noch sein Oberhaupt, worin sich wiederum der Übergang zum aufgeklärten Absolutismus zeigte 74 . Auch an Verfassungstreue kann bei der Treuepflicht nach §§ 1 bis 3 I I 10 ALR nicht gedacht werden, selbst wenn das ALR als Grundgesetz des friderizianischen Staates angesehen wurde. Die Ausrichtung der Beamtenschaft auf das Gemeinwohl war noch nicht mit einer Anerkennung der Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger verbunden. Während in der ersten Fassung des Gesetzes, dem Allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen Staaten von 1791, die Gewährleistung der natürlichen Freiheit der Bürger in § 79 der Einleitung vorgesehen war, blieb das ALR hinter den grundlegenden Forderungen nach Freiheit und Gleichheit zurück, die in der amerikanischen B i l l of Rights von 1776 und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 erfüllt worden waren 75 . Immerhin wurde dadurch, daß das ALR von „Bürger", „Mitbürger" und einmal von „freien Bürgern des Staates" sprach, das allgemeine Staatsbürgerrecht im Ansatz angesprochen 76. Die im ALR angelegte Rechtsstaatlichkeit führte außerdem über eine gleichmäßige Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung dazu, daß die Freiheit des Bürgers durch die Beamtenschaft mit gesichert wurde; die Stellung der Beamtenschaft wurde dabei durch das Amtsethos und das Staatsverständnis gestärkt, die durch Friedrich Wilhelm I. und Friedrich den Großen geprägt worden waren 77 . Zugleich wurde das noch vorherrschende alte Ständewesen durch das Beamtentum zunehmend zurückgedrängt. Der Einfluß des öffentlichen Dienstes konnte im Rahmen der feudalständischen Ordnung dadurch wachsen, daß die Staatsdiener einen eigenen Stand bildeten 78 . Unter den noch erhalten gebliebenen Rahmenbedingungen des monarchisch-ständischen Staatswesens war das ALR insgesamt kennzeichnend für die Übergangslage, die in dieser vorkonstitutionellen Zeit zwischen 73 74 75 76 77 78
Laubinger, S. 92. Hattenhauer (2), S. 173. Conrad (1), Das Allgemeine Landrecht von 1794, S. 20ff. Thiele (1), DVP 1981, 219 (221). Thieme (6), DVP 1981, 226 (228f.). Böttcher, S. 22; Ellwein / Zoll, Berufsbeamtentum, S. 24.
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überkommenen Zuständen und zukunftsgerichteten Zielsetzungen bestand. Es war aber auch eine Grundlage geschaffen worden, auf der die späteren Verfassungen mit ihren Freiheitsrechten aufbauen konnten 79 , wobei sich aus der bisherigen Treuepflicht die Verfassungstreue entwickelte. 4. Übergang zur konstitutionellen Monarchie Die Entstehung des Konstitutionalismus und die Fortentwicklung des öffentlichen Dienstes gingen in der Folgezeit nicht von Preußen aus, sondern von den Rheinbundstaaten unter dem Einfluß des französischen Verfassungsprinzips und des napoleonischen Verwaltungssystems 80 . In der Präambel der Rheinbund-Akte von 1806 als Vertrag zwischen Napoleon und dem bayerischen und dem württembergischen König sowie weiteren deutschen Fürsten hieß es im übrigen, daß sie diese Übereinkunft schlossen, da „die deutsche Reichsverfassung keine Art von Gewähr mehr leisten konnte" für den äußeren und inneren Frieden 81 ; hier erscheint erstmals eine - negative Gewährbieteklausel hinsichtlich der deutschen Verfassung, die es formell noch gar nicht gab. Napoleon leitete außerdem aus seiner Stellung als Protektor des rheinischen Bundes nach Art. 12 dieses Vertrages die Berechtigung ab, den Freiherrn vom Stein im Jahre 1808 zum Feind Frankreichs und des Rheinbunds („ennemi de la France et de la Confédération du Rhin") zu erklären sowie die Beschlagnahme seines Eigentums und seine Festnahme anzuordnen; diese Ächtung als Staats- und Verfassungsfeind war ersichtlich ein Übergriff in den preußischen Bereich außerhalb der Rheinbundsstaaten und ein reiner Willkürakt 8 2 . Beim Übergang zum Konstitutionalismus gibt es demnach ein historisch interessantes Beispiel für einen Mißbrauch bei den Anforderungen und Konsequenzen hinsichtlich der politischen Treuepflicht. Nach der Abdankung Napoleons wurde der Weg frei für den Deutschen Bund aufgrund der Deutschen Bundesakte von 1815. In Art. X I I I der Deutschen Bundesakte wurde als Auswirkung des französischen Verfassungswesens und der Befreiungskriege festgelegt, daß in allen Bundesstaaten „eine landständische Verfassimg stattfinden" sollte 83 . Nachdem in Bayern bereits 1808 nach französischem Vorbild eine Verfassung erlassen worden war, gaben die süddeutschen Könige und eine Reihe mitteldeutscher Fürsten ihren Ländern geschriebene Verfassungen. Die Verfassungen wurden über7
» Thiele (1), S. 225. 8° Thieme (6), S. 227; Hattenhauer (2), S. 179. ei Dürig / Rudolf, S. 1. 82 Huber (3) Band I, S. 118. 83 Dürig / Rudolf, S. 16.
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wiegend von den Monarchen einseitig festgelegt, während sie in Württemberg 1819 durch freie Übereinkunft mit den Ständen vereinbart wurde 8 4 . Zugleich hatte sich in diesen Ländern bereits ein zentralistisches Verwaltungswesen unter dem aufgeklärten Absolutismus als einer Herrschaftsordnung entwickelt, in der das Beamtentum zur staatstragenden Schicht wurde; die administrative Integration wurde nun durch die parlamentarisch-repräsentative Integration ergänzt 85 . Trotz der verfassungsmäßigen Beschränkungen der Fürsten beruhten diese Verfassungen aber auf dem monarchischen Prinzip. Die Staatsgewalt war dem Monarchen nach dem damaligen Verfassungsverständnis weiterhin unmittelbar von Gottes Gnaden und nicht etwa durch die Verfassung oder gar durch das Volk übertragen worden. Die Verfassung begrenzte den Herrscher nur in der Ausübung seiner Macht, indem die Landstände als nachgeordnetes Staatsorgan vom Monarchen an der Staatsgewalt beteiligt wurden. Deshalb blieb die Monarchie im Konstitutionalismus ihrer Entstehung und ihrem Wesen nach eigentlich vorkonstitutionell 86 . Bekräftigt wurde dies durch Art. L V I I der Wiener Schlußakte von 1820, wonach die gesamte Staatsgewalt in dem souveränen Fürsten als Oberhaupt des Staates vereinigt blieb und der Souverän durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte beschränkt sein konnte 87 . Der Sicherung dieses monarchischen Prinzips diente vor allem die „Gewähr der Verfassung", wie die gesamten Maßnahmen zum Schutze der Deutschen Bundesakte und der landständischen Verfassungen zum Teil ausdrücklich genannt wurden 8 8 . Der Bundesverfassungsschutz richtete sich gegen Verfassungsgegner aus der bürgerlichen Bewegung, die mit ihren nationalen, liberalen und demokratischen Ideen das konservative Bundessystem bedrohte 89 . Ein wesentliches Mittel des Verfassungsschutzes waren die Karlsbader Gesetze von 1819, die als Ausnahmegesetze des Deutschen Bundes bis 1848 bestehen blieben 90 . Als erstes dieser Bundesgesetze bestimmte das Universitätsgesetz, daß die Landesregierungen alle verfassungsfeindlichen Universitätslehrer und anderen Lehrer an öffentlichen Anstalten zu entlassen hatten. Entlassungsgrund war nach § 2 Universitätsgesetz, wenn sie „durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufs, durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch 84
Dürig / Rudolf, S. 21. Huber (3) Band I, S. 316f. 88 Huber (3) Band I, S. 337 und 653. 87 Dürig / Rudolf, S. 75. 88 Huber (3) Band I, S. 619 und Band III, S. 1007. 89 Huber (3) Band I, S. 619 und Band III, S. 1007. 9 Huber (3) Band I, S. 739. 85
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Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ruhe und Ordnung feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren ihre Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt" hatten 91 . Aufgrund dieser Bestimmung konnten unanfechtbare Verwaltungsentscheidungen ergehen, da ein disziplinarrechtliches oder sonstiges Verfahren zum Schutz der Betroffenen ausdrücklich nicht vorgesehen war 9 2 . Die Gründe für die Entscheidung brauchten sich auch nicht aus dienstlichem Verhalten zu ergeben, sondern konnten aus außerdienstlichem Verhalten hergeleitet werden. So wurde zum Beispiel Ernst Moritz Arndt während der Demagogenverfolgungen wegen sogenannter freiheitlicher Ideen in Privatäußerungen und Darstellungen in seinem Werk „Geist der Zeit" im Jahre 1820 als Universitätslehrer in Bonn amtsenthoben 93 . Ergänzend sah § 3 Universitätsgesetz gegenüber Studenten strenge Sanktionen bei einer Zugehörigkeit zu einer nicht genehmigten Verbindung vor. Die Mitglieder verbotener Verbindungen sollten von der Universität verwiesen werden und in keinerlei öffentlichem Amt angestellt werden, auch wenn sie nur vorübergehend einer solchen Verbindung angehört hatten 94 . Die Durchführung wurde in Preußen mit der Kabinettsordre vom 7.7.1821 noch dadurch verschärft, daß Studenten, die verdächtig waren, unerlaubte Verbindungen zu stiften, einzuleiten, zu befördern oder an ihnen teilzunehmen, sofort von der Universität zu entfernen waren. Diese weitreichenden Verwaltungsmaßnahmen konnten demnach schon auf einen Verdacht hin vorgenommen werden 95 . Als weiteres Gesetz führte das Untersuchungsgesetz dazu, daß eine zentrale Untersuchungskommission unter der Aufsicht der Bundesversammlung eingesetzt wurde. Nach Art. 2 des Untersuchungsgesetzes war es Aufgabe der Kommission als Verfassungsschutzeinrichtung, die „gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen" festzustellen 96 . Nach langjähriger gründlicher Tätigkeit kam die Kommission im Hauptbericht von 1827 unter anderem zu dem Ergebnis, daß Stein, Gneisenau und Hardenberg seit ihren Bestrebungen gegen Napoleon und den Rheinbund die Beschützer und Förderer der bürgerlichen Bewegung seien 97 . Damit wurden den Reformern, die sich insbe91
Huber (3) Band I, S. 740. Huber (3) Band I, S. 740. 93 Röhlke, Die rechtlichen Grenzen für die politische Betätigung der Beamten des Reichs und Preußens, S. 7. 94 Huber (3) Band I, S. 741. 95 Huber (3) Band I, S. 752. 96 Huber (3) Band I, S. 746 f. 97 Huber (3) Band I, S. 747 f. 92
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sondere für ein konstitutionelles Repräsentativsystem einsetzten 98 , verfassungsfeindliche Bestrebungen hinsichtlich der Deutschen Bundesakte unterstellt. Hier ergab sich ein schwer auflösbarer Widerspruch zwischen der Ablehnung einer repräsentativ-verfassungsrechtlichen Entwicklung, wie sie zunächst in den süddeutschen Verfassungen zum Ausdruck kam, und andererseits der Garantie der Einführung und Aufrechterhaltung landständischer Verfassungen, wie sie in Art. X I I I der Deutschen Bundesakte enthalten war und in Art. LIV und L V I der Wiener Schlußakte bekräftigt wurde 9 9 . Das Problem, wie die Bindung des Monarchen und der anderen Staatsorgane an die Verfassung zu beurteilen war, wurde besonders deutlich anhand der Verfassungstreue, die nun erstmals neben der Treue gegenüber dem Monarchen eingeführt wurde 1 0 0 und zu der Staatstreue - etwa im Sinne des ALR - hinzukam. Dies war einmal bei den Abgeordneteneiden von Bedeutung. In Bayern und Baden schworen die Abgeordneten Treue dem König, aber auch „Beobachtung und Aufrechterhaltung der Staatsverfassung", während in Württemberg die Treue zur Verfassung in der Eidesformel sogar mit den Worten „Ich schwöre, die Verfassung heilig zu halten" vorangestellt wurde und die treue Beobachtung des „Wohl des Königs und des Vaterlandes" anschließend versprochen wurde 1 0 1 . Außerdem sahen die Verfassungen zum Teil ausdrücklich eine Bindung der Beamten an die Verfassung vor. In § 45 der württembergischen Verfassung von 1819 102 und ähnlich in Art. 60 der kurhessischen Verfassung von 1831 wurde festgelegt, daß in den Diensteid der Staatsdiener gegenüber dem König die Verpflichtung aufzunehmen war, die Verfassung gewissenhaft zu wahren. Die Pflicht zur Wahrung und Aufrechterhaltung der Verfassung wurde teilweise dahin interpretiert, daß die Beamten gegebenenfalls die Rechte und Freiheiten des Volkes gegen Übergriffe des Monarchen und seiner Regierung zu verteidigen hatten; diese Auffassung setzte sich aber nicht allgemein durch 1 0 3 . Zum offenen Konflikt kam es in dieser Frage im Königreich Hannover, als der König die 1833 erlassene Verfassung im Jahre 1837 einseitig aufhob und den von den Beamten geleisteten Verfassungseid damit für erloschen hielt 1 0 4 . Demgegenüber erklärten die Göttinger Sieben - u. a. die Professoren Grimm - kurz nach Aufhebung der Verfassung, daß sie das Staatsgrundge98
Huber (3) Band I, S. 123. Huber (3) Band I, S. 646ff.; Dürig / Rudolf, S. 75. 100 Fürst / Finger / Mühl / Niedermaier, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, Band II, J 700, Randnr. 8. ιοί Huber (3) Band I, S. 343. 102 Dürig / Rudolf, S. 30. ι 0 3 Schmahl, S. 21 (m.w.N.). 104 Huber (3) Band II, S. 96; Röhlke, S. 7f. 99
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setz von 1833 weiterhin für gültig hielten und „sich durch ihren auf das Staatsgrundgesetz geleisteten Eid fortdauernd verpflichtet halten müssen" 1 0 5 . In der Tat war das Vorgehen des Königs ein Verstoß gegen den bereits erwähnten Art. L V I der Wiener Schlußakte, der eine Abänderung der landständischen Verfassungen nur auf verfassungsmäßigem Wege und nicht einseitig durch den Monarchen zuließ 106 . Die Verfassung galt daher weiter, und die Göttinger Sieben beriefen sich zu Recht auf ihre Pflicht zur Verfassungstreue. Der König ordnete aber umgehend wegen der „revolutionären, hochverräterischen Tendenz" der Erklärung der Professoren ihre Entlassung aufgrund des obengenannten § 2 Universitätsgesetz an; außerdem verfügte die Regierung gegen drei der Professoren die Landesverweisung 107 . Die Entlassungen waren jedoch nicht rechtmäßig, weil die Betroffenen nicht im Sinne von § 2 Universitätsgesetz die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergruben, sondern gerade für die Verfassung eintraten 108 . Das unterschiedliche Verfassungsverständnis aus der Sicht des bisher absoluten Monarchen und aus der Sicht der zumindest an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligten Bürger und Beamten trat hier besonders deutlich hervor. Selbst nach dem monarchischen Prinzip hätte sich der König an die Bindung durch die Verfassung halten müssen und nicht seinen Verfassungsbruch durch Aufhebung der Verfassung zum Anlaß nehmen dürfen, gegen verfassungstreue Beamte vorzugehen. Die Begründung der Entlassungen verkannte das Wesen des Diensteides in der konstitutionellen Monarchie. Sie stützte sich darauf, daß der Diensteid „einzig und allein" dem König als Dienstherrn geleistet werde und der König daher berechtigt sei, jeden Beamten vom Diensteid zu entbinden 109 . Demgegenüber besagte § 161 der hannoverschen Verfassung von 1833, daß bei allen Staatsdienern der Diensteid auf die getreuliche Beobachtung des Staatsgrundgesetzes auszudehnen sei 1 1 0 . Der konstitutionelle Eid war daher - auch wenn er nur dem König geschworen wurde - ein Doppeleid, einmal als Treueeid auf den Monarchen und zum anderen als Verfassungseid. Über den Verfassungseid der Beamten konnte aber der König, der selbst an die Verfassung gebunden war, nicht seinerseits verfügen 111 . Der Verfassungseid war seinem Wesen nach ein Legalitätseid, der den Beamten zur Beachtung der Verfassung verpflichtete; hinzu kam als dritter 105
Huber (3) Band II, S. 99. !°6 Huber (3) Band I, S. 649. i° 7 Huber (3) Band II, S. 101 f. 108 Huber (3) Band II, S. 103. 109 Huber (3) Band II, S. 103. 110 Huber (3) Band II, S. 97. 111 Huber (3) Band II, S. 97.
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
145
Teil des Eides der Amtseid, der das Versprechen zur getreuen Erfüllung der Amtspflichten enthielt 1 1 2 . Die Göttinger Sieben handelten daher als Beamte pflichtgemäß, wenn sie an ihrem Verfassungseid festhielten. Die Befolgung der Verfassimg bedeutete dabei gemäß § 161 des Staatsgrundgesetzes, daß die Staatsdiener verpflichtet waren, „bei allen von ihnen ausgehenden Verfügungen dahin zu sehen, daß sie keine Verletzung der Verfassung enthalten" 1 1 3 . Die an sich positive Verfassungstreuepflicht wurde demnach schon damals darauf begrenzt, nicht gegen die Verfassung zu verstoßen. Eine Anerkennung des Verfassungsbruchs des Königs und der Entbindung der Beamten von dem Verfassungseid wäre aber ein Verfassungsverstoß gewesen. Ob darüber hinaus der Verfassungseid als Widerstandseid angesehen werden kann, erscheint dagegen zweifelhaft. Wie bereits erwähnt wurde, war der Verfassungseid in anderen Ländern des Deutschen Bundes teilweise i n diesem Sinne ausgelegt" worden 1 1 4 . Auch für den Eid nach der hannoverschen Verfassung von 1833 ist angenommen worden, daß er den Beamten nicht nur verpflichtete, sich jeder gegen die Verfassung gerichteten Unternehmung zu enthalten, sondern jedem von anderer Seite einschließlich des Königs ausgehenden Verfassungsbruch zu widerstehen 115 . Bei einem königlichen Verfassungsbruch sollte infolgedessen der Verfassungseid des Beamten im Rang über seinem Treueeid gegenüber dem Monarchen stehen, wobei zugleich die Gehorsamspflicht gegenüber dem Staatsoberhaupt hinter der höheren Verfassungstreuepflicht zurücktreten sollte. Aus dem Wortlaut und Sinn des § 161 der hannoverschen Verfassung von 1833 läßt sich eine Verpflichtung zu aktivem Eintreten sogar bei verfassungsfeindlichem Verhalten Dritter aber noch nicht entnehmen. Insbesondere sollte die Verfassung unter Beachtung des monarchischen Prinzips nicht bewirken, daß sich Beamte unter Berufung auf die Verfassung gegen den König wenden konnten. Die Göttinger Sieben entwickelten demgegenüber entsprechend ihrem Verfassungsverständnis die Lehre von der Staatspersönlichkeit. Sie sahen den Verfassungsstaat als ein von der Person des Königs verschiedenes Wesen an, das sie als den unsterblichen König im Unterschied zum sterblichen König bezeichneten 116 . Damit stellten sie schon frühzeitig einen wichtigen Grundsatz zur rechtlichen Bedeutung der Verfassungstreue auf, bei der es nicht mehr allein auf die Treue gegenüber der Person des Königs ankam. Über den Entwicklungs112
Friesenhagen, Der politische Eid, S. 83 f. („dreiteiliger Eid"). Huber (3) Band II, S. 97. 114 Schmahl, S. 21. 115 Huber (3) Band Π, S. 97. "β Huber (3) Band II, S. 105. 113
10 Schräder
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
stand nach den frühkonstitutionellen Verfassungen griff dies aber hinaus. Die Treue gegenüber dem Landesherrn sollte nach dem Willen der Monarchen als Verfassungsgeber für das Treueverhältnis der Beamten kennzeichnend sein. Der Beamte verlor noch nicht mit dem Entstehen der konstitutionellen Monarchie, sondern nach überwiegender Meinung endgültig erst mit dem Ende der Monarchie den persönlichen Adressaten seiner Treuebindung, als die Organisation oder „Person" des Staates an die Stelle des Landesherrn trat 1 1 7 . Bis dahin stand der Eid auf den Monarchen im Vordergrund, so daß der Diensteid bezeichnenderweise bei einem Thronwechsel neu zu leisten war, um die Treuebindung an den jeweiligen Throninhaber zu gewährleisten 118 . Die Bedeutung der Verfassungstreue im Frühkonstitutionalismus war jedoch nicht davon abhängig, daß der Verfassungseid als Widerstandseid verstanden wurde. Es genügte, daß der Monarch seinerseits zur Verfassungstreue verpflichtet war, die nach einigen Verfassungen durch einen königlichen Verfassungseid oder ein Verfassungsgelöbnis bekräftigt wurde 1 1 9 , aber auch ohne eine derartige zusätzliche feierliche Erklärung ipso jure nach dem Wesen der Verfassung zumindest als Beschränkung der monarchischen Staatsgewalt bestand 120 . Der Beamte war dann aufgrund seiner Bindung an die Verfassung zur Treue gegenüber dem Monarchen nur verpflichtet, solange dieser sich selbst verfassungsgemäß verhielt. Bei einem Verfassungsbruch des Königs war seinen Befehlen der Gehorsam zu versagen, und es blieb die Verfassungstreuepflicht der Beamten bestehen. Die Berufung der Göttinger Sieben auf ihre Verfassungstreue war daher im Ergebnis konsequent und zutreffend. Mit ihrer Lehre von der Staatspersönlichkeit und dem unsterblichen König standen sie zugleich durchaus in Übereinstimmung mit den Vorstellungen überzeugter Monarchisten, die die Treue gegenüber dem ewigen Königtum über die Treue gegenüber dem zeitlichen König setzten und damit den Treueid nicht nur als personale, sondern als institutionelle Verpflichtung gegenüber der Einrichtung des Königtums verstanden 121 . Sie konnten außerdem auf die Entwicklung seit dem aufgeklärten Absolutismus verweisen, da sich die Monarchen seit Friedrich dem Großen zum Dienst am Staat und zur Treue gegenüber dem Königtum als Institution bekannt hatten 1 2 2 . Hinter diesem Staats- und Verfassungsverständnis standen aber auch die Bemühungen des Beamtentums, sich von der unbedingten Bindung an den 117 118 119 120 121 122
Lecheler (1), S. 229; Ule (4), DVB1. 1963, 1 (8). Everling (1), Der preußische Beamteneid, S. 24 und 31. Huber (3) Band I, S. 337. Huber (3) Band III, S. 1012. Huber (3) Band III, S. 1009. Huber (3) Band III, S. 1010.
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
147
jeweiligen Monarchen zu lösen und selbst zur staatstragenden Kraft zu werden 1 2 3 . Indem auf diesem Wege die Flächenstaaten wie Preußen zum Beamtenstaat wurden bis hin zur Herrschaft der Bürokratie, konnte das eigenständige Beamtentum selbst der Monarchie gefährlich werden 1 2 4 . Deshalb sah der hannoversche König mit einer gewissen Berechtigung in dem Verhalten der Göttinger Sieben eine „revolutionäre Tendenz" 125 . Die monarchische Ablehnung gegenüber der konstitutionellen Entwicklung ist auch aus diesem Zusammenhang zu erklären. Besonders ausgeprägt war die Zurückhaltung der preußischen Könige gegenüber den Bemühungen, in Preußen eine Verfassung einzuführen. Schon vor 1806 hatte Kant den Gedanken einer gewaltenteilenden Repräsentatiwerfassung entwickelt, indem er in mehreren Schriften die Auffassung vertrat, daß ein Volk als Akt des allgemeinen Willens einer Verfassung bedürfe und jede wahre Republik nichts anderes sei als ein repräsentatives System des Volkes 126 . Stein teilte diese Ansicht von einer Konstitution als notwendiger Grundordnung des Staates und nahm deshalb an, daß Preußen während des Absolutismus keine Staatsverfassung habe, weil die oberste Gewalt nicht zwischen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation getrennt sei 127 . Dabei ging es Stein - in Anlehnung an entsprechende Vorstellungen Montesquieu - zunächst um eine Beteiligung an der Administration und erst nach näheren Erfahrungen um eine Teilnahme an der Legislative, wobei statt einer strikten Gewaltenteilung durchaus ein wechselweises Zusammenwirken zwischen Exekutive und Legislative für sachgerecht gehalten wurde 1 2 8 . Die Vorstellung, daß die Freiheit sehr viel mehr auf der Verwaltung als auf der Verfassung beruhe, war damals weit verbreitet 129 . In der Folgezeit setzte sich aber die Auffassung durch, daß es wesentlich auf die Gewaltengliederung als wirksames konstitutionelles Prinzip ankomme und deshalb der Erlaß einer Verfassung entscheidend sei 130 . Dieser Entwicklung entsprach es, daß Friedrich Wilhelm III. nach einem ersten Verfassungsversprechen im Jahre 1810, das allerdings nur an ein Finanzedikt angehängt war, mit der Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volkes vom 22.5.1815 in aller Form die Einführung einer landständischen Verfassung versprach 131 . Damit berücksichtigte er 123 124 125 126 127 128
1 29
130 131
1
Hattenhauer (2), S. 174 f. und 203 f. Thieme (6), S. 228. Huber (3) Band II, S. 101. von Unruh (2), DVP 1981, 235 (236); Huber (3) Band I, S. 290. von Unruh (2), S. 236; Huber (3) Band I, S. 290. von Unruh (2), S. 236f. Hattenhauer (2), S. 201. von Unruh (2), S. 238. Huber (3) Band I, S. 302 f.
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
zugleich auf Vorschlag Hardenbergs, daß nach Art. X I I I der unmittelbar danach erlassenen Deutschen Bundesakte in allen Bundesstaaten eine landständische Verfassung stattzufinden hatte. Die Verpflichtimg zu einer Repräsentatiwerfassung kam besonders dadurch zum Ausdruck, daß nicht nur Provinzialstände gebildet werden sollten, sondern aus den Provinzialständen eine Landesrepräsentation mit Sitz in Berlin gewählt werden sollte. Die Widerstände seitens der Altkonservativen und die Bedenken gegenüber den demokratischen und nationalen Bestrebungen verstärkten sich jedoch derart, daß nach den bereits erwähnten Karlsbader Beschlüssen schließlich im Jahre 1821 der Verfassungsplan aufgegeben wurde. Nach Beratungen der Verfassungskommission unter dem Vorsitz des Kronprinzen entschied der König im Sinne der altständischen Vorschläge, daß nur noch Provinzialstände gebildet werden sollten und die „Zusammenberufung der allgemeinen Landstände der Zeit, der Erfahrung, der Entwicklung der Sache und Meiner landesväterlichen Fürsorge anheimgestellt" blieb 1 3 2 . Nachdem sich Friedrich Wilhelm IV. dann doch 1847 zur Einberufung der acht Provinziallandtage als Vereinigter Landtag bereitgefunden hatte, lehnte er in seiner Eröffnungsrede noch einmal ausdrücklich eine geschriebene Verfassung ab: „Es drängt mich zu der feierlichen Erklärung, daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein Conventionelles, constitutionelles umzuwandeln, und daß Ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns durch seine Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen 133 ." Schon ein Jahr später mußte der König jedoch nach der Revolution von 1848 den Vertretern „Unseres getreuen Volkes" den Entwurf der Verfassung zuleiten, die nach seinen Worten in der Tat „einen neuen Abschnitt in der Geschichte Preußens und Deutschlands" einleitete 134 . Mit Erlaß der preußischen Verfassung von 1848, mit der schließlich noch der Verpflichtung zum Verfassungserlaß der Bundesstaaten gemäß Art. X I I I der Deutschen Bundesakte von 1815 entsprochen wurde 1 3 5 , kam nun eine Verfassungstreue begrifflich in Betracht. I n Art. 107 dieser Verfassung hieß es - wie bereits in Art. 78 des Entwurfs vorgesehen 136 - , daß alle Staatsbeamten „dem Könige und der Verfassung Treue und Gehorsam zu schwören" hätten 1 3 7 . 132
Huber (3) Band I, S. 312 f. 133 Woeniger, Preußens Erster Reichstag, Erster Teil, S. 59. 134
Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung, Erster Band, S.l. 135 Proebst, Deutsche Verfassungen, S. 8. 136
Stenographische Berichte (Fn. 134), S. 4.
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
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An der Treuepflicht der Beamten änderte sich dennoch nur wenig, da das Allgemeine Landrecht mit den §§ 1 bis 3 I I 10 und die Kabinettsorder von 1833 über die Eidesformel zunächst weiter galten 1 3 8 . Der Treueeid wurde in Preußen ebenso wie in den anderen deutschen Monarchien weiterhin dem nun verfassungsrechtlich gebundenen - Fürsten geleistet, der als Staatsoberhaupt nach wie vor das Gemeinwohl repräsentierte 139 . Die Bindung an den Monarchen wurde dadurch bekräftigt, daß als Rechtsgrundlage für das Beamtenverhältnis nicht ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz als erforderlich angesehen wurde, sondern für den staatlichen Bereich ein gesetzesfreier Raum anerkannt wurde 1 4 0 . Es wurde angenommen, daß das Dienstverhältnis auf einem vertraglich begründeten besonderen Gewaltverhältnis beruhe, indem der Beamte eine besondere Dienstpflicht und Treue übernehme und der Staat durch den Monarchen dem Beamten dafür Schutz gewähre 141 . Seitdem wurde die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses zur Rechtfertigung von Rechtsbeschränkungen gerade auch hinsichtlich der politischen Staatsbürgerrechte der Beamten verwendet. Andererseits wurden die Rechte des einzelnen Beamten dadurch gestärkt, daß er in der konstitutionellen Monarchie nicht mehr nur treuer Staatsdiener war, sondern auch als Bürger wahlberechtigt war und zum Beispiel zum Abgeordneten in der Ständeversammlung gewählt werden konnte. Diese doppelte Stellung brachte ihn zugleich in die Konfliktsituation, nach seiner freien Überzeugung als Abgeordneter seine Meinung zu vertreten und in der Verwaltung weisungsgebunden als Beamter tätig zu werden 1 4 2 . Seit im Konstitutionalismus das Recht auf politische Betätigung der Beamten erstmals anerkannt wurde, besteht das Spannungsverhältnis zwischen diesem Recht und der Treuepflicht 143 .
5. Fortschritte in der Paulskirchenverfassung Die Entwicklung von der Landesherren- und Staatstreue zur Verfassungstreue fand ihre nach den.damaligen demokratischen Vorstellungen konsequente Fortsetzimg in der Reichsverfassung von 1849, der sogenannten Paulskirchenverfassung, an der als einziger deutscher Verfassung Volks137
Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1848, S. 375. Laubinger, S. 92 f. 139 BVerfGE 39, 334 (346). ι « Ellwein / Zoll, S. 27. 141 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band I, S. 413. 142 Lecheler (1), S. 229. ι 4 3 Azzola / Lautner (1), S. 125. 138
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
Vertreter des gesamten Deutschlands mitwirkten 1 4 4 . Die Debatte über die bürgerlichen Freiheiten hatte bei den Beratungen über diese liberalste deutsche Verfassung des 19. Jahrhunderts 145 im Vordergrund gestanden 146 und führte zum Katalog der Grundrechte, der noch 100 Jahre später Vorbild für das Grundgesetz war. Die Einleitungsbestimmung des Grundrechtskatalogs in § 130 der Reichsverfassung kann dabei mit der Regelung, daß „keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates" die Grundrechte „je aufheben oder beschränken können" sollte, als Vorläufer von Art. 79 Abs. 3 GG angesehen werden. Hinsichtlich des öffentlichen Dienstes war im Grundrechtsteil in § 137 der Reichsverfassung bestimmt worden, daß die öffentlichen Ämter für alle gleich zugänglich sein sollten. Gemäß den §§143 und 144 der Reichsverfassung wurde die Meinungs- und Gewissensfreiheit ohne Einschränkung für die Beamten gewährleistet; in § 163 der Verfassung wurde die Vereinigungsfreiheit aufgenommen. In ähnlicher Weise wurden die Grundrechte in den Jahren 1848/49 in fast alle deutschen Verfassungen übernommen 147 . Damit wurde zugleich die Konfliktgefahr für die politisch interessierten Beamten noch verstärkt 1 4 8 . In dem Abschnitt „Die Gewähr der Verfassung" hieß es dann in § 191 der Verfassung, daß die Reichsbeamten bei Amtsantritt einen Eid allein auf die Reichsverfassung zu leisten hatten. Die Verfassungstreue wurde auf diese Weise zum ersten Mal ausschließlich als grundlegende Verpflichtung des öffentlichen Dienstes festgelegt. Eine Eidesleistung nur oder auch auf den Kaiser als Reichsoberhaupt war nicht vorgesehen, während für den Fahneneid noch in § 14 der Verfassung die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung nebeneinander genannt wurden. Das Nähere zum Diensteid sollte die Dienstpragmatik des Reichs bestimmen, die aber nicht mehr zustande kam. Nach § 193 der Verfassung sollte mit der Verpflichtung auf die Reichs Verfassung jeweils die Verpflichtung auf die Landesverfassung verbunden werden, wobei die Verpflichtung auf die Reichsverfassung vorangestellt werden sollte. Im übrigen hatten die Abgeordneten beider Häuser des Reichstags nach § 113 der Verfassung einen Eid zu leisten, die deutsche Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrechtzuerhalten. Der Kaiser selbst sollte als Reichsoberhaupt nach § 190 der Verfassung vor Aufnahme von Regierungshandlungen verpflichtet sein, einen Eid auf die Reichsverfassung zu leisten und dabei zu schwören, die Reichsverfas144
Dürig / Rudolf, S. 95. Dürig / Rudolf, S. 95. 146 Proebst, S. 8. 147 Böttcher, S. 22 mit Quellenangaben. 148 Fürst / Finger / Mühl / Niedermaier, J 700, Randnr. 9.
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
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sung aufrechtzuerhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. Der Verfassungseid war demnach rechtsbegründend für das Recht zur Ausübung der Regierungsgeschäfte, während das kaiserliche Amt nach § 69 der Verfassung bereits mit Eintritt des Erbfalls erworben wurde. Die Regelung über den Verfassungseid enthielt damit eine Abkehr vom monarchischen Prinzip, demzufolge der Herrscher seine Rechte mit dem Erbfall vollständig erwarb und nachfolgende Akte wie die Eidesleistung nach Regierungsantritt nur rechtsbekräftigende Bedeutung hatten 1 4 9 . Nachdem die Verfassung am 18.5.1849 in Kraft getreten war, wurde sie aber nicht angewendet. Der preußische König lehnte das ihm von der Nationalversammlung angetragene Kaiseramt ab, da er einen solchen Titel nicht von einer verfassungsgebenden, vom Volk gewählten Versammlung entgegennehmen wollte 1 5 0 . Auch der Verfassungseid mußte für ihn, den man u. a. nach seiner erwähnten Thronrede nur als Verfassungsgegner bezeichnen kann, als Einschränkung des monarchischen Prinzips kaum annehmbar sein. Der Grundrechtsteil der Verfassung, der ursprünglich ein eigenständiges Gesetz gewesen war, wurde dann sogar durch Beschluß der Bundesversammlung vom 23.8.1851 aufgehoben 151 . Die Reichsverfassung trat im übrigen ohne förmliche Aufhebung wieder außer Kraft 1 5 2 . So blieb offen, wie sich die Bindung des Kaisers als Staatsoberhaupt und die Bindung der Beamten an die Reichsverfassung auf der Grundlage dieser freiheitlichen Verfassung ausgewirkt hätte. Die Reichsverfassung blieb aber für die weitere deutsche Verfassungsentwicklung von Bedeutung. Zunächst stimmte die kurze Zeit gültige Erfurter Unions Verfassung von 1849 äußerlich weitgehend - wenn auch mit wesentlichen Einschränkungen - mit der Reichsverfassung überein 1 5 3 . Später wurde der konstituierende Reichstag des Norddeutschen Bundes in den Jahren 1866/67 ausdrücklich aufgrund des von der Nationalversammlung 1849 beschlossenen Reichswahlgesetzes mit allgemeinem, gleichem und geheimem Wahlrecht gebildet, so daß eine normative Kontinuität des demokratischen Wahlverfahrens bestand 154 . Die Kontinuität des deutschen Parlamentarismus und der demokratischen Tradition wurde 1973 im Bundestag 125 Jahre nach dem Zusammentritt der Frankfurter Nationalversammlung besonders betont 1 5 5 . Zu dieser Tradition gehört auch das Verständnis der Verfassungstreue im Sinne der Paulskirchenverfassung. ι « Huber (3) Band II, S. 832. 1 50 Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 140 f. 151 Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. lOOf. 1 52 Proebst, S. 11, Fußnote 2. 1 53 Dürig / Rudolf, S. 95; zu den Abweichungen Huber (3) Band II, S. 888. ι 5 4 von Unruh (1), DVB1. 1981, 794. 1 55 Sten. Berichte des Bundestages 1973, S. 1850.
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung 6. Reaktion nach 1849
Nachdem 1851 im Zuge der Reaktion der Deutsche Bund wiederhergestellt worden war, blieben auch für die Stadtrepubliken Rückschläge in der Verfassungsentwicklung nicht aus. In Hamburg war Ende 1848 eine Konstituante nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht gebildet worden, die mit demokratischer Mehrheit im Jahre 1849 einen Verfassungsentwurf nach dem Vorbild der amerikanischen und schweizerischen Verfassungen erarbeitete 156 . Aufgrund des Bundesreaktionsbeschlusses von 1851, der eine Überprüfung der Landesverfassungen auf Übereinstimmimg mit den Bundesgesetzen vorsah, erhielt Hamburg eine Weisung des Reaktionsausschusses zur Änderung des Landesverfassungsrechts 157. Nach langwierigen Beratungen kam erst 1860 die neue Verfassung zustande, die zwar die bürgerlichen Grundrechte garantierte. Im Gegensatz zum Verfassungsentwurf von 1849 übertrug sie jedoch nicht der Bürgerschaft als - wenigstens zur Hälfte von allen Bürgern - gewähltem Organ die höchste Gewalt, sondern behielt sie entsprechend dem hergebrachten Grundgedanken des Hauptrezesses von 1712 gemeinsam Senat und Bürgerschaft vor 1 5 8 . Einer allzu weitgehenden Demokratisierung wurde dadurch mit den Auswirkungen auch hinsichtlich der Verfassungstreue vorgebeugt, die oben bereits geschildert worden sind 1 5 9 . Die preußische Monarchie paßte sich nach den Ereignissen von 1848/49 zwar zunächst der konstitutionellen Entwicklung ähnlich wie die anderen deutschen Monarchien an. Die in der Verfassung von 1848 vorgesehene Revision wurde fortgeführt mit dem Ziel, Grundrechte in Anlehnung an die Paulskirchenverfassung vorzusehen. Zugleich wurden aber die Beamten ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerrechte wieder voll für die Regierungsziele in Anspruch genommen 160 . Als Reaktion auf den Versuch einer demokratischen Weiterentwicklung bestimmte insbesondere § 20 Abs. 2 der Disziplinarverordnung vom 11.7.1849, daß der Beamte aus dem Dienst zu entlassen war, wenn er die Pflicht der Treue verletzte oder sich einer feindseligen Stellungnahme gegen die Staatsregierung schuldig machte 161 . Damit wurde versucht, die Beamten in ihrer politischen Betätigung eng auf die Regierungspolitik auszurichten 162 . Die Verfassung von 1850, die in der Präambel als Staatsgrundgesetz bezeichnet wurde 1 6 3 , brachte dann Fortschritte, aber auch Einschränkungen 156
Huber (3) Band Π, S. 546; Eckardt, Privilegien und Parlament, S. 21 ff. Huber (3) Band ΠΙ, S. 135f.; Eckardt, S. 26. iss Bolland (2), S. 25; Eckardt, S. 27. 1 59 s. oben Zweiter Teil, Abschnitt 1.2. ie° Brandt, S. 51. κ» Fürst / Finger / Mühl / Niedermaier, J 700, Randnr. 9. 162 Böttcher, S. 23 (m. w.N.); Zwirner, Politische Treuepflicht des Beamten, S. 76 f. 157
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
153
gegenüber der bisherigen Rechtslage. Nach Art. 4 der Verfassung sollten entsprechend dem Gleichheitsgrundsatz Standesvorrechte nicht mehr bestehen und alle Staatsbürger gleichen Zugang zu den öffentlichen Ämtern haben. In Art. 5 der Verfassung wurde die persönliche Freiheit gewährleistet, in Art. 27, 29 und 30 der Verfassung die Meinungs-, Versammlungsund Vereinigungsfreiheit vorgesehen. Schon Art. 30 Abs. 3 der Verfassimg zeigte aber restriktive Tendenzen, da politische Vereine Beschränkungen und vorübergehenden Verboten unterworfen werden konnten, während nach Art. 162 der Paulskirchenverfassung die Vereinigungsfreiheit durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden sollte. Bei der Verfassungsrevision wurde besonders intensiv die Umschreibung der Treuepflicht der Beamten erörtert 1 6 4 . In Art. 108 der Verfassung hieß es im Ergebnis, daß alle Staatsbeamten ebenso wie die Mitglieder der beiden Kammern dem Könige den Eid der Treue und des Gehorsams leisten und die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung beschwören. Auf Intervention des Königs wurde dabei die Bezeichnung „Treue der Verfassung" aus der Verfassung von 1848 - angeblich nur aus sprachlichen Gründen - durch die Worte „gewissenhafte Beobachtung der Verfassung" ersetzt. Von der konservativen Mehrheit wurde diese Änderung auch damit begründet, daß die Verfassung nicht wie eine Person oder ein Grundsatz, dem man zur Treue verpflichtet sei, sich selber allezeit gleich und unverändert bleiben müsse. Wegen möglicher Verfassungsänderungen wurde demnach der Begriff der Verfassungstreue für ungerechtfertigt gehalten. Die Vorstellung, daß sich die Verfassungstreue auf die unveränderlichen Grundlagen der Verfassung beziehen könnte - etwa auf die Grundsätze nach Art. 43 und 53 der Verfassung, wonach die Person des Königs unverletzlich und das Königtum erblich war - , war bei Erlaß der Verfassung nicht allgemein verbreitet. Die Rechtsauffassung des preußischen Liberalismus hatte sich noch nicht durchgesetzt, daß die Grenze der Treuepflicht der Beamten nur darin bestand, die Grundprinzipien der Verfassung zu achten und nicht auf einen Wechsel der Staatsform hinzuarbeiten 165 . Immerhin wurde in diesen Jahren vereinzelt die Auffassung vertreten, daß sich der Beamte nicht jeder Opposition gegen die Regierung enthalten müsse, solange die dauernden Grundprinzipien der Staats- und Gesellschaftsordnung nicht angegriffen würden 1 6 6 ; hier wurde im übrigen unterschieden, daß nicht schon die abweichende oder sogar feindliche Gesinnung eines Beamten, sondern erst die Betätigung dieser Gesinnung gegen die Treuepflicht verstoße 167 . 163
Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, S.17. 164 Schmahl, S. 46, Fußnote 14. 65 ι Insbesondere von Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, S. 311, Anmerkung 10. 166 Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, S. 425. 167 Bluntschli, S. 432 f.
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Zweiter Teil: Rechtsgeschichtliche Entwicklung
Die Umstellung von der Verfassungstreue nach der Verfassung von 1848 auf die Verpflichtung zu gewissenhafter Beobachtung der Verfassung wurde später als bemerkenswerter und gewollter Gegensatz zu dem früheren Verfassungstext und damit als Zeichen der Reaktion auf die Ereignisse von 1848/49 verstanden 168 . In dieser Umformulierung muß jedoch nicht von vornherein ein Rückschritt gesehen werden, da auch nach § 190 der Paulskirchenverfassung der Eid lauten sollte, die Reichsverfassung aufrechtzuerhalten und gewissenhaft zu vollziehen. Bei beiden Verfassungen war damit - aus durchaus unterschiedlichen politischen Gründen - das Bemühen unverkennbar, statt einer Treuepflicht mit innerer Bindung nur eine äußere Befolgung der Verfassung zu verlangen 169 . Der preußische König hatte schließlich nach Art. 54 der Verfassung von 1850 unter größten Bedenken 170 das eidliche Gelöbnis geleistet, die Verfassung fest und unverbrüchlich zu halten. Welche Folgerungen sich aus der Verfassung für die Beamten ergeben hätten, wenn das Verhalten des Königs der Verfassung widersprach, wurde nicht gesetzlich geklärt. Es war aber schon in der Verfassung keine Möglichkeit vorgesehen, den König bei einer Verfassungsverletzung in irgendeiner Weise zur Rechenschaft zu ziehen 171 . Der in Art. 98 und auch Art. 117 der Verfassung vorgesehene Erlaß eines Staatsdienergesetzes unterblieb 1 7 2 . Nach Art. 98 der Verfassung sollten die Rechtsverhältnisse der Staatsbeamten durch ein Gesetz geregelt werden, das ihre Rechtsstellung angemessen schützen sollte, ohne die Regierung in der Wahl der Beamten zweckwidrig zu beschränken. Dabei hätten Inhalt und Grenzen der Treuepflicht näher umschrieben werden müssen. Mangels einzelner gesetzlicher Bestimmungen konnte generell auf Art. 45 Satz 1 der Verfassung verwiesen werden, wonach dem König allein die vollziehende Gewalt zustand. Der Monarch war demnach oberster Träger der Regierung und Verwaltung, so daß alle Beamten im Auftrag und Namen des Königs handelten und ihm bereits von Verfassungs wegen zu Treue und Gehorsam verpflichtet waren 1 7 3 . Für die Minister, die keinen besonderen Ministereid, sondern nur den allgemeinen Beamteneid nach Art. 108 der Verfassung leisteten, war die Rechtslage allerdings anders. Der König konnte aufgrund der Treuepflicht nicht von den Ministern die Billigung seiner Regierungsakte fordern. Vielmehr waren die Minister durch ihre Treuepflicht gehalten, durch Gegenzeichnung der Regierungsakte des Königs nach Art. 44 Satz 2 der Verfas168 wiese (1), S. 63, Fußnote 9. Dazu grundsätzlich Huber (3) Band III, S. 1010. 170 Huber (3) Band III, S. 52 f. 171 Huber (3) Band III, S. 55. 172 Waldecker, AöR 46 (1924), 129 (141). 173 Huber (3) Band III, S. 57. 169
I. Ausgangslage bis zur Reichsgründung
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sung nur dann die Verantwortung zu übernehmen, wenn sie die jeweilige Maßnahme für rechtmäßig - insbesondere verfassungsmäßig - und sachgerecht hielten. Zur Verfassungsverantwortung der Minister sah Art. 61 Abs. 1 der Verfassung eine Ministeranklage u.a. „wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung" vor. Die näheren Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, das Verfahren und die Strafen, die nach Art. 61 Abs. 2 der Verfassung einem besonderen Gesetz vorbehalten wurden, wurden wiederum nicht erlassen; für die späteren Verfassungskonflikte bestand dadurch eine bedeutsame Rechtslücke 174 . Auch ohne nähere gesetzliche Regelung war deutlich erkennbar, daß die Verfassungstreue der Beamten und entsprechend der Minister durch die erwähnte Umformulierung beim Übergang von der Verfassung von 1848 zur Verfassung von 1850 zwar nicht beseitigt, aber der persönlichen Treuepflicht gegenüber dem Monarchen nachgeordnet war 1 7 5 . Zur Begründung wurde angeführt, durch den Beamteneid sei dem Monarchen gegenüber ein persönliches Treueverhältnis begründet worden; wenn daneben noch Verfassungstreue gelobt werde, habe dies nur sekundäre Bedeutung 176 . Dies galt auch für die süddeutschen Länder, in denen bereits früher Verfassungen erlassen worden waren 1 7 7 und die Beamten zum Beispiel nach dem badischen Gesetz über den Diensteid von 1849 ausdrücklich Treue dem Monarchen und der Verfassung und Gehorsam den Gesetzen schworen 178 . In Preußen wurde schließlich sogar der Standpunkt vertreten, der Beamte verletze seine Treuepflicht und müsse im Falle eines Konflikts den Staatsdienst verlassen, wenn er einseitig für die Verfassung eintrete und nicht vorbehaltlos auf Seiten des Monarchen stehe 179 . Die noch restriktivere Regelung in Art. 20 Abs. 2 der Disziplinarverordnung von 1849, mit der die Treue gegenüber dem Monarchen auf die von ihm eingesetzte Staatsregierung ausgedehnt wurde und eine Entlassung bei feindseliger Stellungnahme gegen die Staatsregierung möglich wurde 1 8 0 , wurde allerdings in die preußische Beamtendisziplinarordnung aus demselben Jahr und in das preußische Disziplinargesetz von 1851 für Beamte und 1852 für Richter nicht übernommen 181 . Diese Gesetze enthielten keine besonderen Bestimmungen über die Treuepflicht, sondern besagten nur allgemein, daß ein Beamter, der seine Amtspflichten verletze oder sich durch
174
Huber (3) Band III, S. 66. Hattenhauer (2), S. 241 ff. Röttgen (1), S. 118. 177 Schmahl, S. 21. 178 Schmahl, S. 202 f. (Anhang Nr. 3). 179 Brater, Der politische Eid, S. 295. 180 Fürst / Finger / Mühl / Niedermaier, J 700, Randnr. 9. 181 Fürst / Finger / Mühl / Niedermaier, J 700, Randnr. 10. 175
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sein Verhalten seines Berufes unwürdig erwies, disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wurde 1 8 2 . An den strengen Anforderungen an die Treuepflicht mit einer Treuebindung der Beamten an die Staatsregierung änderte sich damit aber nichts. In einem Zirkularerlaß des Innenministers von 1850 wurde die „Treue und Hingebimg der Beamten" anerkannt und die Entschlossenheit betont, „rücksichtslos alle Beamten, welche die Treue verletzen oder den Mut, den ihr Beruf erfordert, nicht betätigen, oder einer feindlichen Parteinahme gegen die Staatsregierung sich schuldig machen, im gesetzlichen Wege aus ihren Ämtern zu entfernen" 183 . Die Unterscheidung zwischen positivem, neutralem und negativem Verhalten ist bereits frühzeitig erkennbar 184 , verbunden mit der Trennung zwischen hohen materiellrechtlichen Anforderungen und verfahrensmäßigen Folgen erst bei deutlich ablehnender Einstellung der Bediensteten. Die rechtlich bedenkliche Ausdehnung der Treuepflicht auf die Regierungstreue wurde dadurch gemildert. In einem weiteren Zirkularerlaß Anfang 1851 wurden die Grundsätze des früheren Erlasses ausdrücklich bekräftigt mit der Begründung, „Ein Geist, Ein Wille muß die gesamte Administration durchwehen und beleben" 185 . Disziplinarmaßnahmen wurden zwar wiederum nicht schon bei jedem Verstoß gegen diese Prinzipien angedroht, sondern bei „einer systematischen Opposition, sei sie offen oder versteckt" 1 8 6 . Bezeichnend für die damalige Situation war aber, daß sich das preußische Abgeordnetenhaus vergeblich gegen einen „Mißbrauch der Regierungsgewalt" wandte, weil „verfassungstreue Beamte ... mit drückenden Maßregeln heimgesucht" würden 1 8 7 . Dieses Vorgehen entsprach dem ebengenannten Erlaß des Innenministers, der sich „vornehmlich auf die lautere, treue Gesinnung für des Königs Majestät unerschüttert durch die politischen Verirrungen der Zeit - " verließ 188 . In der Praxis wurde insbesondere ein regierungstreues Verhalten bei Wahlen verlangt. Während die Beamten nach der Verfassung das gleiche aktive und passive Wahlrecht wie die übrigen Staatsbürger hatten, wurde ihre Abstimmung bei den öffentlichen Wahlen und im Parlament als Abgeordnete überprüft und reglementiert. Anläßlich der Wahlen in den Jahren 1852 und 1855 wurde durch Erlaß des Innenministers eindringlich darauf hingewiesen, daß die konservative Regierungspartei möglichst zu unterstützen sei, allenfalls aus Gewissensgründen Stimmenthaltung zulässig sei, eine 182
Brand (1), Die preußischen Dienststrafordnungen, S.Iff. Lötz, S. 435; Brandt, S. 57f. (Dokument 9). 184 Weiß (1), ZBR 1974, 81. 18 5 Brandt, S. 62 f. (Dokument 10). 186 Brandt, S. 62 f. (Dokument 10). 187 Hattenhauer (2), S. 234. 188 Brandt, S. 62 f. (Dokument 10). 183
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Unterstützung und Stimmabgabe für oppositionelle Parteien aber als Auftreten gegen die Regierung den Dienstpflichten widerspreche 189 . So setzte sich die Auffassung durch, daß Beamte bei der Stimmabgabe entgegen der verfassungsrechtlichen Regelung nicht die gleiche Freiheit wie die übrigen Staatsbürger hätten 1 9 0 . Diese Tendenzen stimmten mit der bis zuletzt verfassungsfeindlichen Einstellung Friedrich Wilhelm IV. überein. Bereits 1851 erklärte er, daß er „diesen Wisch" - die Verfassung von 1850 - ganz beseitigen würde, wenn die Kammern des preußischen Abgeordnetenhauses dies beantragen würden 1 9 1 . Den Vorstellungen der Ultrakonservativen, die Verfassung durch einen Königlichen Freibrief mit Berufung einer Ständevertretung und Abschaffung jedes Verfassungseides zu ersetzen, stand er aufgeschlossen gegenüber; nur der dazu notwendige Bruch seines Wortes, eine konstitutionelle Monarchie einzuführen, und seines eigenen Verfassungseides hielten ihn davor zurück 1 9 2 . I n seinem Testament forderte er aber seinen Nachfolger auf, den Verfassungseid entgegen Art. 54 der Verfassung abzulehnen und die Verfassung zu ändern 193 . Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. leisteten jedoch verfassungsgemäß den Eid, und Wilhelm II. vernichtete 1888 eigenhändig das Testament Friedrich Wilhelm IV., damit dieser Beleg mangelnder Verfassungstreue nicht erhalten blieb 1 9 4 . Nur während der sogenannten Neuen Ära von 1858 bis 1862 unter der Regentschaft Wilhelm I . 1 9 5 wurde vorübergehend die Einstellung erkennbar, die politischen Rechte der Beamten stärker zu beachten. Es wurde den Beamten gestattet, sich außerdienstlich gegen die Regierungspolitik zu wenden und bei Wahlen frei abzustimmen 196 . Wenigstens Regierungstreue wurde von ihnen nicht verlangt, während die Treue gegenüber dem Monarchen und dem Staat schon wegen des weitergeltenden ÄLR uneingeschränkt blieb. Diese wechselhafte Beurteilung war möglich, weil allein die Staatsregierung den gesetzlich nicht näher geregelten Inhalt der Treuepflicht der Beamten bestimmte, dem Parlament Eingriffsbefugnisse gegenüber der Regierung insoweit fehlten und eine unabhängige Gerichtsbarkeit für die Beamten nicht bestand 197 . Mit der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten i m Jahre 1862 hatte sich Wilhelm I. für ein königliches Regiment und gegen eine Parla189 190
1 91 192
193 194 195 196 197
Brandt, S. 51 f. und S. 64f. (Dokument 11) sowie S. 68 (Dokument 14). Rottmann, S. 72 f. Huber (3) Band III, S. 163. Huber (3) Band III, S. 164. Huber (3) Band ΠΙ, S. 10. Huber (3) Band ΠΙ, S. 165. s. dazu Lötz, S. 443 ff. Rejewski, S. 81. Rottmann, S. 79.
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mentsherrschaft entschieden 198 . In einem Erlaß des preußischen Innenministers wurde 1863 wieder bekräftigt, daß die Beamten von ihrem Treueid gegenüber dem König weder als Wähler noch als Gewählte entbunden seien 199 . Es wurde zwar nicht mehr von allen Beamten aktive Regierungstreue verlangt 2 0 0 . Für die Beamten wurde aber insgesamt die Gehorsamspflicht betont, wenn der König den - nach seinem Verständnis - verfassungsmäßigen Weg vorgezeichnet hatte 2 0 1 . Ihm wurde also die authentische Verfassungsinterpretation eingeräumt, der gegenüber es nicht mehr um Treue, sondern nur noch um Gehorsam ging. Darüber hinaus wurden die politischen Beamten zu tatkräftiger Unterstützung der Regierung verpflichtet. Bismarck richtete im gleichen Jahr an alle Beamten seines Ressorts entsprechend der Erwartung des Königs die Aufforderung, die Treue bei den Wahlen durch Stimmabgabe für die konservativen Elemente zu bekunden und dadurch die Staatsregierung zu unterstützen 202 . Hier wurde die wechselnde Intensität bei den Anforderungen an die Treue der Beamten wieder deutlich. Durch die Verordnung vom 6.5.1867 wurde im Anschluß an Art. 108 der Verfassung schließlich der Wortlaut des Beamteneides festgelegt. Wie vor der Verfassungsgebung wurde zunächst die Eidesformel aus dem Jahre 1833 zugrundegelegt und geschworen, dem König als Allergnädigsten Herrn untertänig, treu und gehorsam zu sein und alle Amtspflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen; gleichsam beiläufig wurde das Versprechen angefügt, auch die Verfassung gewissenhaft zu beobachten 203 . Damit wurde in den Vordergrund gestellt, daß der Beamte dem König als Staatsoberhaupt Treue schulde, nicht aber der Verfassung.
7. Zwischenergebnis
Rückblickend läßt sich sagen, daß sich nach den Vorformen der germanischen Gefolgschaft, des Lehnswesens und der Ministerialität schließlich seit dem 14. Jahrhundert mit der Entstehung einer selbständigen Verwaltung die Treuepflicht der Beamten aus der allgemeinen Treuepflicht der Bürger entwickelte. Die Treuepflicht der Bürger und der Beamten, deren Amtsverhältnis lange Zeit als privatrechtlicher Vertrag verstanden wurde, bestand als personale Bindung gegenüber dem Rat der Stadt in den Stadtrepubliken 198
Huber (3) Band III, S. 303. Brandt, S. 70ff. (Dokument 16); s. auch Lötz, S. 436. 200 Schmahl, S. 22; Scheuner (2), Erfahrungen und Probleme des geltenden Beamtenrechts, S. 15 insoweit undifferenziert. 201 Brandt, S. 70ff. (Dokument 16). 202 Brandt, S. 73 (Dokument 17). 203 Laubinger, S. 93. 199
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und gegenüber dem Fürsten in den Monarchien, die ihrerseits auf das Gemeinwohl verpflichtet waren. Daneben bestand in den Stadtrepubliken wie Hamburg schon nach dem Rezeß von 1483 eine Treuepflicht gegenüber der Stadt als Gemeinwesen, während in den Monarchien wie Preußen erst im aufgeklärten Absolutismus nach dem ALR von 1794 einen Verantwortung gegenüber dem Staat angenommen wurde. Der Übergang vom Ratsbediensteten und Fürstendiener zum Staatsdiener kam dabei nicht zu einem endgültigen Abschluß; es blieb eine Mischung personaler und institutioneller Züge des Beamtenverhältnisses bestehen, auch wenn die institutionelle Seite der Bindung an den Staat zunehmend stärker betont wurde 2 0 4 . Die personale Treuepflicht gegenüber dem Rat oder dem Monarchen verbunden mit der Gehorsamspflicht - war rechtlich und faktisch vorrangig gegenüber der eher mittelbaren Staatstreue, vermittelt durch den Rat oder den König als Staatsoberhaupt. Dabei sollen die Auswirkungen nicht übersehen werden, die sich aus dem gewandelten Staatsverständnis mit der Selbstbindung des Rats durch die Ratsverfassungen und zum Beispiel des preußischen Königs durch das ALR als friderizianischem Grundgesetz ergaben. Die damit zusammenhängende Ausbildüng des Rechtsstaatsgedankens als Bindung an das gesetzte Recht führte staatsrechtlich dazu, daß der Staat zur juristischen Person wurde und diese Personifizierung des Staates eine Treuepflicht auch ihm gegenüber ermöglichte. Beamtenrechtlich bewirkte die Verrechtlichung, daß die Bediensteten nicht mehr einfach vom Unwillen der Bürgerschaft oder vom absoluten Willen des Monarchen abhängig waren, sondern sich auf die staatliche Rechtsordnung insbesondere bei der Frage der Entlassung berufen konnten. Dennoch blieb die Bedeutung der Staatstreue begrenzt. Zwischen der Rechtslage, derzufolge die Beamten von Fürstendienern zu Staatsdienern geworden waren, und der Praxis, die an einer engen Bindung der Beamten an den Monarchen bis hin zur Regierungstreue festhielt, blieb eine unübersehbare Differenz. Vor allem wurde die Staatstreue als generelle Treuepflicht verstanden, die sich nicht auf bestimmte staatliche Grundlagen, sondern ganz allgemein auf das Gemeinwohl bezog. Das Bundesverfassungsgericht konnte dementspechend in seiner Grundsatzentscheidung auch nur eine umfassende Treuepflicht des Beamtentums seit dem ALR feststellen, die dem Monarchen und zugleich dem Staat galt 2 0 5 . Zu dieser Treuepflicht soll als Kern die politische Treuepflicht mit der Bereitschaft gehören, sich mit der Idee des Staates, nicht dagegen mit den Regierungszielen zu identifizieren 206 . Die geschichtliche Entwicklung zeigt aber, daß zusammen mit der Staatstreue nach dem ALR in ständiger Praxis 204 W i e s e (1), S . 62 f.
205 BVerfGE 39, 334 (346). 206 BVerfGE 39, 334 (347).
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seit der vorkonstitutionellen Zeit von einer Treuebindung der Beamten an die Regierung ausgegangen wurde. Daran änderte sich kaum oder nur vorübergehend etwas, als schon früh mit Einführung der Ratsverfassungen und später mit Beginn der konstitutionellen Monarchie vor etwa 150 Jahren eine Verfassungstreue begrifflich möglich wurde. Gerade die Treueeide, die das Bundesverfassungsgericht als sichtbaren Ausdruck der Treuepflicht erwähnt 2 0 7 , führten die Verfassungstreue nur als zweitrangige Verpflichtung auf, zugleich überwiegend mit der Abschwächung, die Verfassung gewissenhaft zu beobachten. Diese Tendenz stimmte in den Stadtrepubliken und den Monarchien überein. Die in Preußen besonders deutliche Zurückhaltung gegenüber der Verfassung wurde dabei auch nach 1848 in der Zeit der Reaktion zugunsten eines königs- und regierungstreuen Beamtentums beibehalten. Es ist daher nicht möglich, einen hergebrachten und zu beachtenden Grundsatz, daß der Beamte für die Verfassungsordnung als eigenständigen vorrangigen Wert einzutreten hat, seit dem ALR oder jedenfalls seit den ersten Verfassungen festzustellen. Verallgemeinernd läßt sich zwar sagen, daß für die Beamten seit dieser Zeit eine Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung besteht und daß dies seitdem ein ständiger Grundsatz des Berufsbeamtentums ist 2 0 8 . Diese Aussage ist aber ersichtUch selbstverständlich, da jeder Staatsdienst dem Staat und seiner jeweiligen Verfassimg dient, und zugleich inhaltslos, da damit nichts über den Gehalt der Treuepflicht gesagt wird. Die politische Treuepflicht stellt sich daher eigentlich eher als unpolitische Pflicht dar, dem Staat „unbeschadet von Veränderungen je nach den wechselnden Verfassungsordnungen" 209 zu dienen, auch wenn die Veränderungen in diesem Zeitraum seit der absoluten Monarchie noch so gravierend sind. Als ständiger Grundsatz ist nur die allgemeine Verpflichtung auf das Gemeinwohl feststellbar. Da für den Vollzug des Gemeinwohls der Monarch mit der Staatsregierung verantwortlich war, lief dies wieder auf eine Staatsund-Regierungstreue hinaus. Eine Bindung der Beamten an die Grundlagen der Verfassung wurde dagegen erst vereinzelt im Schrifttum angenommen. Eine freiheitliche Grundordnung, für die die Beamten aufgrund ihrer Verfassungstreue verantwortlich sein konnten, bestand in den Monarchien ohnehin nur sehr beschränkt; auch in den Stadtrepubliken wurde eine demokratische Ordnung noch nicht als zeitgemäß angesehen. Immerhin gab es aber einige Anhaltspunkte für eine freiheitliche Verfassungsentwicklung 207
BVerfGE 39, 334 (346). 208 BVerfGE 39, 334 - Leitsatz 1 - . 209 BVerfGE 39, 334 (346).
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und eine entsprechend liberale Auslegung der Verfassungstreue in den Stadtrepubliken und in der Neuen Ära vorübergehend in Preußen. Als Vorläufer für die heutige Verfassungstreue des öffentlichen Dienstes kann eigentlich nur und gerade die Paulskirchenverfassung mit ihrem Verfassungsverständnis herangezogen werden. Hier bezog sich die Verfassungstreue auf eine freiheitliche und auch schon demokratische Grundordnung, die grundsätzlich mit der heutigen Substanz der Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes vergleichbar ist. Diese für eine freiheitliche demokratische Entwicklung überzeugende Konzeption von 1848 konnte sich aber gerade nicht durchsetzen, nachdem der preußische König das ihm von der Nationalversammlung angetragene Kaiseramt abgelehnt hatte. Während der Reaktion wurde vielmehr der Deutsche Bund wiederhergestellt, für dessen Verfassungslage das monarchische Prinzip maßgeblich war, das zunächst nach der Zwischenlösung des Norddeutschen Bundes bis zur Reichsgründung bestehen blieb. In den Stadtrepubliken wurden ebenfalls die demokratischen Bestrebungen zurückgedrängt. Bei aller Anerkennung der verschiedenen Ansätze für die Entwicklung der Treuepflicht im öffentlichen Dienst kann demnach im Zeitraum bis zur Reichsgründung von einem hergebrachten Grundsatz der Verfassungstreue jedenfalls im Sinne des Grundgesetzes nicht gesprochen werden. Die Verfassungstreue beschränkte sich außerdem - auch nach den Regelungen in der Paulskirchenverfassung - darauf, daß die Verfassung zu beachten war. Es bestand demnach nur eine Pflicht zu äußerlich verfassungsmäßigem Verhalten, die nach dem monarchischen Prinzip noch nachrangig gegenüber der Königstreue war. Im übrigen ist schon für diesen ersten Zeitabschnitt festzuhalten, daß die Anforderungen an die politische Treuepflicht und dann an die Verfassungstreue innerhalb der Bandbreite möglicher Verhaltensweisen beträchtlichen Schwankungen unterlagen, so daß keine gradlinige Entwicklung erfolgte. Auffällig ist allerdings, daß der Begriff der Treue und andere relevante Begriffe wie die Gewähr der Verfassung schon frühzeitig verwendet werden; dies gilt insbesondere auch für den Grundgedanken, daß wesentliche Grundlagen der Verfassung unaufhebbar sein sollen. Die Antworten auf den eingangs genannten Fragenkatalog sind für diesen Zeitabschnitt entsprechend dem vorläufigen Entwicklungsstand erst teilweise möglich: - Die politische Treuepflicht dçs öffentlichen Dienstes blieb in der Grundtendenz eine personale Treue gegenüber dem Rat beziehungsweise dem Monarchen. Die institutionelle Treue gegenüber Stadt oder Staat wurde mehr als Treue gegenüber dem Staatsoberhaupt oder sogar der Regierung 11 Sehradjsr
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verstanden. Nach Einführung der Verfassungen wurde die Verfassungstreue nur mit Zurückhaltung als zweitrangige Pflicht vorgesehen. Entsprechend dem ursprünglich umfassenden Treuebegriff ist eine Begrenzung auf die verfassungsmäßige Grundordnung nur in ersten Ansätzen erkennbar. - Die Treuepflicht war zunächst eine allen Bürgern gemeinsame Verpflichtung, die in den Bürgereiden zum Ausdruck kam. Während die Bedeutung der Bürgereide rückläufig war und die Treuepflicht hier als Rechtspflicht schließlich in Frage gestellt wurde, wurde die Treuepflicht im öffentlichen Dienst in Verbindung mit der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses stärker betont. Für die Beamten ergab sich lange Zeit eine Sonderstellung bei der Ausübung des Wahlrechts, die auf der verlangten Regierungstreue beruhte und mit der Verfassungsrechtslage nicht vereinbar war. - Über eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung hinaus wurde eine treue Gesinnung für den Monarchen ohne Schwanken und Unsicherheit erwartet. Der Satz „Ein Geist, ein Wille muß die gesamte Administration durchwehen und beleben" war insofern bezeichnend. Staatsoberhaupts-, Staats- und Regierungstreue gingen dabei wieder ineinander über. Ein derart innerlich engagiertes Eintreten wurde dagegen hinsichtlich der Verfassungstreue nicht verlangt, die auf eine gewissenhafte Beobachtung der Verfassimg beschränkt war. - Andererseits wurde es zwar als Ziel angesehen, schon Schwanken und Unsicherheit in der Treue gegenüber dem Monarchen, die bei der Beamtenschaft um 1848 vielfach wahrgenommen wurden, zu beseitigen. Rechtliche, insbesondere disziplinare Folgen wurden aber nicht schon bei neutralem Verhalten, sondern erst bei Treueverletzung, systematischer Opposition und feindlicher Stellungnahme gegen die Regierung vorgesehen. Auch in den Stadtstaaten wurde konkret auf eine Verletzung der Verfassung und nicht schon auf ein unzureichendes Eintreten für die Verfassung als Pflichtverstoß abgestellt. Diese Unterscheidung zwischen erwartetem positiven Verhalten und Konsequenzen erst bei konkreten Verstößen reicht bis zum Lehnswesen zurück. - Dementsprechend ist nicht erkennbar, daß schon Zweifel an der Treuepflicht für rechtliche Maßnahmen ausreichten. Vielmehr mußten mit der Treuepflicht unvereinbare Verhaltensweisen feststehen. Dies schließt nicht aus, daß beim Zugang zum Beamtenstand schon Zweifel an der Treuepflicht im Sinne der verlangten Regierungstreue zur Ablehnung führten. Zweifel an der Verfassungstreue wurden dagegen eher hingenommen, zumal es auf der Linie der Regierungstreue lag, die 1848/49 erreichten Verfassungsbestimmungen erheblich einzuschränken.
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- Bei dem umfassenden Verständnis der Treuepflicht wurde auch das außerdienstliche Verhalten bei der Beurteilung der Treue des Beamten mitberücksichtigt. Eine Abgrenzung zur Privatsphäre erfolgte nicht ausdrücklich; mit Einführung der Grundrechte wurde aber ein geschützter Privatbereich anerkannt. Durch die rechtsstaatliche Entwicklung wurde der Schutz gegen eine willkürliche Amtsentziehung verstärkt. - Bei politischer Betätigung wurde jedoch auch außerhalb des Dienstes überwiegend Regierungstreue verlangt, so daß die Freiheit während der Neuen Ära, sich außerdienstlich gegen die Regierungspolitik zu wenden, eine Ausnahme blieb. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit bei k r i t i schen Äußerungen zu Fragen der Verfassungstreue war dagegen nicht ersichtlich; statt dessen wurde sogar ein Eintreten für die Verfassung entgegen Monarch und Regierung als pflichtwidrig angesehen. - Die Ausübung des Wahlrechts für staats- oder verfassungsfeindliche Parteien kam schon deshalb nicht in Betracht, weil vor und nach 1848 politische Vereine - abweichend von der Paulskirchenverfassung beschränkt und verboten werden konnten. Unter diesem Druck kam es zunächst neben den Regierungsparteien nur zur Bildung oppositioneller Parteien im Rahmen der Verfassungsordnung. Bei den strengen Anforderungen an ein regierungstreues Wahlverhalten war allenfalls Stimmenthaltung zulässig, während die Stimmabgabe für oppositionelle Parteien dienstpflichtwidrig war. - Die Unterstützung oppositioneller Parteien war gleichfalls dienstpflichtwidrig. Die Bewertung einer schlichten Parteimitgliedschaft wurde noch nicht erörtert, wohl weil i n dieser Anfangsphase der Parteien eine M i t gliedschaft regelmäßig mit entsprechenden Aktivitäten verbunden war, so daß an das äußere politische Verhalten angeknüpft werden konnte. - Eine Unterscheidung hinsichtlich der Anforderungen an die Beamten je nach ihrer amtlichen Stellung wurde nicht getroffen. Es wurde allgemein von hingebungsvoller Erfüllung der dienstlichen Tätigkeit als Aufgabe für den gesamten öffentlichen Dienst gesprochen. Betont wurde darüber hinaus, daß die Beamten in herausgehobener Position - vergleichbar den heutigen politischen Beamten - zu besonders tatkräftiger Unterstützung verpflichtet waren.
Π. Weiterentwicklung im Deutschen Reich 1. Änderungen durch die Reichs Verfassung
In Art. 18 der Reichsverfassung von 1871 (RV) war nur vorgesehen, daß der Kaiser die Reichsbeamten „für das Reich vereidigen" ließ 1 ; von Verfassungstreue war nicht mehr die Rede. Andererseits war die person^nbezogene Erneuerung des Treueeides bei jedem Thronwechsel nicht mehr für die Beamten des Reichs gegenüber dem Kaiser als Staatsoberhaupt vorgesehen 2. Durch die kaiserliche Verordnung, betreffend den Diensteid der unmittelbaren Reichsbeamten vom 29.6.1871 3 wurde in der Eidesformel aber festgelegt, daß der Reichsbeamte „Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser treu und gehorsam sein, die Reichsverfassung und die Gesetze des Reichs beobachten ..." müsse. Diese Eidesformel galt bis zum Ende des Kaiserreichs. Die Beamtengesetze enthielten jedoch keine ausdrückliche Bestimmung über die Treuepflicht. In § 3 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31.3.187 3 4 , der unverändert in die Neufassung des Reichsbeamtengesetzes vom 18.5.1907 übernommen wurde 5 , war lediglich festgelegt, daß jeder Reichsbeamte vor dem Dienstantritt „auf die Erfüllung aller Obliegenheiten des ihm übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten" war. I n § 10 des Gesetzes wurde dann hinzugefügt, daß jeder Beichsbeamte die Verpflichtimg habe, „das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrzunehmen" 6 . Aus dem Reichsbeamtengesetz ergab sich demnach nur eine Legalitätspflicht gegenüber der Verfassung 7. Infolgedessen stellte sich die Frage, ob durch den Diensteid eine weitergehende Treuepflicht als nach dem Beamtengesetz auferlegt werden konnte und ob der Eid demnach konstitutive Wirkung hatte. Vom Schrifttum wurde dies ganz überwiegend abgelehnt 8 , während die Rechtsprechung eine besondere Treuepflicht der Beamten annahm. Der Kaiserliche Disziplinarhof ging ι RGBl., S. 64; s. auch Durig / Rudolf, S. 154 (160). Schulze, Pas Reichsbeamtengesetz, S. 46. 3 BGBl., S. 303. 4 BGBl., S. 61; s. auch Brandt, S. 79 (Dokument 19). s RGBL, S. 245. 6 Näher dazu Hattenhauer