Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde: Band 1 A - K [2., verm. u. umgearb. Aufl., Reprint 2021] 9783112413609, 9783112413593


173 35 68MB

German Pages 678 [686] Year 1917

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde: Band 1 A - K [2., verm. u. umgearb. Aufl., Reprint 2021]
 9783112413609, 9783112413593

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

REALLEXIKON DER INDOGERMANISCHEN ALTERTUMSKUNDE

ALLE RECHTE, BESONDERS DAS DER ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN

REALLEXIKON DER IND O GERMANISCHEN ALTERTUMSKUNDE GRUNDZÜGE EINER KULTUR- UND VÖLKERGESCHICHTE ALTEUROPAS VON

O. SCHRÄDER ZWEITE, V E R M E H R T E UND UMGEARBEITETE A U F L A G E

ERSTER BAND A—K HERAUSGEGEBEN VON

A. NEHRING MIT 59 TAFELN UND 61 ABBILDUNGEN IM TEXT

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & CO. BERLIN UND LEIPZIG

Pruck von Walter de Gruyter & Co,, Berlin W. io

HERRN GEHEIMRAT PROF. DR.

FRIEDRICH KLUGE GEWIDMET

INHALT Seite

I. Vorrede II. Reallexikon.

IX—X A—K

i—672

VORWORT DES HERAUSGEBERS.

F

ünf Jahre waren erforderlich, den ersten Band von Schräders Reallexikon der idg. Altertumskunde zum Abschluß zu bringen. Der Verfasser hat ihn nicht mehr erlebt; während der Drucklegung der zweiten Lieferung hat der Tod seinem Schaffen ein Ziel gesetzt. So muß denn auch das Werk ohne ein Geleitwort seines Verfassers hinausgehen. Gern hätte ich wenigstens die Vorrede zur ersten Auflage wieder abgedruckt. Sie ist heute noch lesenswert und für die methodischen Ansichten und Grundsätze Schräders von Interesse. Aber auch davon mußte bei der Ungunst der gegenwärtigen Wirtschaftslage Abstand genommen werden. Das Erbe, das Schräder der Wissenschaft hinterlassen hat, muß also für sich selbst sprechen. Und es ist gewiß kein Erbe von geringem Wert, wenn der Mann, dessen Name mit der idg. Altertumskunde unlösbar verknüpft ist, die reife Ernte seines arbeitsreichen und arbeitsfrohen Lebens vor uns• ausschüttet, ein zielbewußter Führer und doch zugleich ein Suchender, der niemals 'abgeschlossen hatte, der vielmehr in unermüdlicher Schaffenskraft an der Verfeinerung der Methoden und der Vermehrung der Resultate arbeitete, der sich dabei aber, stets bewußt blieb, daß eine monumentale Zusammenfassung des Erreichten, wie sie das Reallexikon bedeutet, letzten Endes doch nur eine Grundlage darzustellen vermag, auf der die Forschung um so sicherer weiter bauen kann. Die rastlose Arbeit Schräders zeigt sich wohl so ziemlich auf jeder Seite der neuen Auflage. Kaum ein Artikel findet sich, der nicht im Großen oder Kleinen die bessernde Hand zeigte. Ganz neu hinzugekommen sind die ethnographischen Artikel und ein reiches archäologisch-kulturgeschichtliches Abbildungsmaterial. Gerade auf dieses hat Schräder großen Wert gelegt und hat die Auswahl mit liebevoller Sorgfalt getroffen. Besonders die aus slavischem Kulturbereich beigebrachten Abbildungen, für die Schräder seine umfangreiche Kenntnis russischer Werke und seine eigenen, auf mehreren Reisen in Rußland erworbenen Sammlungen zu Gute kamen, dürften, zumal] in der heutigen Zeit, dem Leser willkommen sein. Das Interesse und die Sorge gerade für das Reallexikon, die Schräder bis in seine letzten Leidenstage hinein am Schreibtisch festgehalten hat, bestimmte ihn auch, über das Leben hinaus für seinen wissenschaftlichen Nachlaß zu sorgeil. Schon lange vor seinem Tode übertrug er mir die Fortführung des Werkes für den Fall seines Ablebens. Ich habe mich bemüht, trotz teilweise recht ungünstiger Arbeitsbedingungen, die Arbeit nach Kräften in seinem Sinne weiterzuführen. Da das Manuskript im großen und ganzen abgeschlossen vorlag, so war es für mich eine selbstverständliche Ehrenpflicht, so wenig wie möglich zu verändern, um die Einheitlichkeit und die persönliche Note des Ganzen möglichst unversehrt zu erhalten. Wo Zusätze nötig waren, habe ich sie durch O. S c h r ä d e r , Reallexikon.

2. A.

b

X

VORWORT.

eckige Klammern und, besonders bei größeren Zusätzen, durch ein beigefügtes N gekennzeichnet. Die Zusätze beschränken sich aber auf das Allernotwendigste. Ganz vermeiden ließen sie sich nicht. Wenn sie in den letzten Lieferungen etwas häufiger geworden sind, so liegt das teilweise an gewissen Stoffgebieten, wo gerade seit Schräders Hingang die Forschung in raschem Aufblühen begriffen ist Überhaupt ist natürlich in den langen Jahren seit Abschluß des Manuskripts die Wissenschaft fortgeschritten und hat Arbeiten und Ergebnisse zutage ge fördert, an denen nicht gut vorüber gegangen werden konnte. Freilich erhebt sich dabei immer die Frage, welche Stellung der Verfasser selbst eingenommen hätte und was er verwertet hätte Aber ich glaube, in den Jahren, in denen ich Schräder naher gekommen bin, und zuletzt in beinahe täglichem Zusammen arbeiten mit ihm habe ich ihn immerhin so gut kennen gelernt, daß im allgemeinen die Entscheidung einigermaßen in seinem Sinne erfolgt sein dürfte. Wo es mir möglich und angängig erschien, habe ich von Zusätzen oder Änderungen ganz abgesehen und statt dessen wichtigere, besonders neuere Literatur angegeben, die dem Benutzer des Werkes die erste Handhabe bieten soll, sich das Bild selbst zu ergänzen. Ganz kann ja der Herausgeber nie den Verfasser ersetzen, am allerwenigsten einen Gelehrten von der Eigenart und Vielseitigkeit des Wissens wie Schräder. Wenn es mir trotzdem einigermaßen gelungen sein sollte, das Werk in seinem Sinne und Geiste fortzuführen und damit einen Teil von der Dankesschuld des Schülers an den Meister abzutragen, so verdanke ich es nicht zum kleinsten Teil der treuen und jederzeit hilfsbereiten Unterstützung, die mir von verschiedenen Seiten zuteil geworden ist. In erster Reihe sei hier dem Verlage der gebührende Dank dafür ausgesprochen, daß er 111 diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten keine Mühe und keine Kosten gescheut hat, um das Werk ungekürzt und in würdiger Form herauszubringen. Besonders herzlich danke ich den Herren Prof. D i e l s , Dr v d. H a g e n , Prof. H e r b i g , Prof. M e i ß n e r , Dr. M e r t e n s , Dr. N e i ß e r , Prof. S c h ü c k i n g , Prof Sieg, die dem Werke ihre wertvolle Unterstützung durch Lesen der Korrekturen und Belehrungen aus ihren Spezialgebieten in reichem Maße angedeihen ließen. Vor allem aber sei Herr Geheimrat K l u g e mit herzlicher Dankbarkeit genannt. Seine tatkräftige Mitarbeit erstreckt sich nicht nur auf die Drucklegung. Was Schräder dem Gedankenaustausch mit dem langjährigen treuen Freunde für sein Werk verdankt, vermöchte er nur selbst zu sagen. Nur in einem kann ich seinen Gefühlen Ausdruck verleihen, indem ich seinen Wunsch zur Ausführung bringe, das Werk dem Freund zu widmen. Möge Herr Geheimrat Kluge diese Widmung als den Dank des Verfassers über das Grab hinaus gütigst entgegennehmen und dann die Versicherung, daß die Ausführung dieses Wunsches des verstorbenen Autors für mich mehr als die formelle Pflicht des Testamentsvollstreckers bedeutet. B r e s l a u , im Dezember 1922

Alfons Nehring.

A. Aal (Anguilla fluviatilis). § i. Die europäischen Namen dieses Fisches: griech. Ef^eXuc (daneben "¡xß^pis * sy^eXu?. Mr(öu(uvatot Hes.), lat. anguilla, lit. ungurys (*angurias, woraus finn. ankerias), altpr. angurgts, russ. ugort haben sichere, aber im einzelnen noch nicht bestimmbare Beziehungen zu den ldg. Wörtern für Schlange gnech. e/i? = scrt. ähi- und lat. unguis = lit. angis, slav *onzi, poln. wq,z, russ. nzü (s. weiteres u. S c h l a n g e ) , so daß schwer zu entscheiden ist, ub schon in der Ursprache neben den Wörtern für Schlange ein besonderer Ausdruck für den Aal bestand. Sicher ist lr. esc-ung, eigentl. l '!sumpfschlange' (-ung = lat. anguis), dann 'Aal', li.nd, wenn (bei Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 319) aus kymr. y-slywen, slowen 'Aal' und bret. stlaonenn 'petite anguille' ein urkeltisches *slangw 'Aal' mit Recht erschlossen wird, so dürfte auch dies nicht von ahd. slango, altn. slange getrennt werden können. Das gemeingerm. ahd. al (*ela-s; Vermutungen darüber bei Hirt I. F. X X I I , 68, Uhlenbeck P.Br.Beitr. X X X V , 162, Feist Kultur der I. S. 187), sowie korn. selli, arem. sili (Zeuß Gr. Celt. s S. 1074) sind dunkel. § 2. Bemerkenswert ist, daß bei Homer die Aale sichtlich noch nicht zu den Fischen gerechnet werden, wie der Ausdruck If^eXos; Ts xat fyöus? (II. X X I , 203) zeigt. Dieser Auffassung begegnet man noch heute im nördlichen Rußland, wo dem Verfasser versichert wurde, daß die Bauern von Aalen dort nichts wissen wollen, da sie d i e s e l b e n für S c h l a n g e n h a l t e n . „Aale", sagt man auch an anderen Orten Rußlands, „darf man erst dann essen, wenn man m sieben Städten keinen Fisch finden kann" (vgl. A. Jermolov Die landwirtschaftliche Volksweisheit, russ. III, 365). Auch ist bekannt, daß die Aale oft aus dem Wasser

O. Schräder, Reallexikon. 2. A.

herauskriechen und, ganz wie die Schlangen, weite Strecken im feuchten Grase dahinschleichen. Alles dies läßt vom sachlichen Standpunkt eine frühe sprachliche Unterscheidung zwischen Aal und Schlange nicht erwarten. Im Gegensatz zu dem slaI vischen ist dagegen im germanischen Nor • den, besonders m England, der Fisch frühzeitig beachtet und geschätzt worden (vgl. Hoops R.L. I, 3). § 3. Als von Wichtigkeit ist die Frage, ob der Aal schon in der Urzeit bekannt gewesen sei, für die Bestimmung der U r h e i m a t der I n d o g e r m a n e n (s. d.) deswegen angesehen worden, weil der Fisch in den Stromgebieten des Kaspischen und des Schwarzen Meeres nach Brehms Tierleben Fische 3 S. 399 nicht vorkommen soll. Diese Anschauung ist aber nach neueren zoologischen Untersuchungen (vgl. darüber Vf. Sprchvgl. u. Urg. 113, 147) für die Gegenwart sicher, für die Vergangenheit höchst wahrscheinlich falsch. Auch versteht man nicht, wie, wenn der Aal in den Gewässern des südlichen Rußland von alters her gefehlt hätte, der urslavische Name des Fisches (russ. ugori, poln. w(gorz, cech. iihor usw.) sich auch im Kleinrussischen (uhor) hätte e r h a l t e n können. Die kleinrussischen Fischer kennen aber den Fisch unter seinem alten Namen sehr wohl, und gerade die ruthenische Bevölkerung (vgl. Jermolov aaO.) zeigt sich aufs innigste mit seinen Lebensgewohnheiten vertraut. § 4. Somit steht also die Sache so, daß, selbst wenn aus Gleichungen wie griech. E'iyehj; = lat. anguilla oder griech. ijipTjpic = lit. ungurys fertige, urverwandte Wörter zu folgern sein sollten, und selbst wenn für diese nicht die Bedeutung 'Schlange', sondern die von 'Aal' angenommen werden müßte, dies alles für die Urheimatsfrage aus den genannten tiergeographischen

2

ABEND—ABGABEN

Gründen gleichgültig wäre. — S. u. F i s c h , Fischfang. Abend. § I. In der Benennung des Abends gehen die idg. Sprachen in Gruppen auseinander. Es decken sich scrt. dosha 'Abend, Dunkel' und a\v. daosa- (vgl. griech. 8uo[iat 'gehe unter', ouap.^ Untergang'), griech. - ä sarcspa, 7j eaiispa und lat. vesper, altsl. vecerü und lit. wäkaras. Die beiden letztgenannten Gleichungen scheinen untereinander und mit dem lr. fescor, kymr. ucher, sowie mit armen, giser ('Nacht') zusammenzuhängen, ohne daß dieses Verhältnis bis jetzt lautlich aufgeklärt wäre. Die Silbe *ves- könnte mit got. wis 'Meeresstille' verwandt sein (Abendstille). § 2. Die gemeingermanische Gruppe ahd. dband, agls. cefen, altn. aptann (got. sagqs, eigentl. 'Sinken der Sonne') ist dunkel. Altn. kveld 'Abend', agls. cwyldseten eigentl. 'Abendsetzung' ahd. chwilti-werch 'Abendarbeit', nhd. kilt, kiltgang (alem.) scheinen den 'Tod' des Tages (agls. cwelan 'sterben') zu bedeuten. Dagegen sind wiederum dunkel: altpr. bitai 'abends', bitas-ldin 'Abendessen, Abendmahl' und alb. mbreme, brems. Vgl. noch das merkwürdige engl.-nord. glade '(Sonnen)Untergang' bei Murray N. E. Dict. § 3. Eine umschreibende Bezeichnung ist hom. ßouXotös, ßouXtuovos 'die Zeit zum Stierausspannen' wie scrt. sam-gavd- 'die Zeit, wann die K ü h e zusammengetrieben werden', 'Vormittag' oder ir. imbüarach 'beim Anbinden der Kühe', 'morgens' (Zimmer K . Z. X X X , 17). Eigentlich die A b e n d m a h l z e i t meint die Gleichung alb. darke 'Abendessen','Abend' = griech. Boprcov 'Abendmahlzeit' (G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 61). Neben darke liegt alb. dreke 'Mittagessen', 'Mittagzeit'. Es gleicht dies dem Verhältnis von scrt. pitü-, aw. pitu'Nahrung' einerseits zu lit. piltüs 'Mittag', andererseits zu scrt. pra-pitvä- 'Vormittag' und abhi-pitvä- 'Abend'. § 4. Der späte zum Abend neigende N a c h m i t t a g heißt im Griechischen SeiXv¡, oeieXov rjuctp (Homer: tju»?, (xsaov r^ap, 0 siXr,), vielleicht aus *6scT-tsXic: scrt. däsyati 'geht aus, verlischt' (H. Güntert Über arische Reimwortbild. Heidelberg 1913 S. 39). Vgl. Od. V I I , 289, wo Aristarch 8eiXs-o r(sXto; statt Suasxo las. Ein idg.

Ausdruck für das Dunkel des Abends ist scrt. rdjas-, armen, erek ('Abend'), griech. spsßof, got. riqis. Weiteres bei E. Liden Vermischtes z. Wortkunde usw. Aus Upsala Universitets Ärsskrift 1894 S. 10 ff. und Wiedemann Einige Wörter für Abend Bezz. Beitr. X X V I I I , 67. § 5. Da in der idg. Urzeit nach Nächten gezählt wurde, und der T a g mit der Nacht begann (s. u. T a g ) , wird ursprünglich auch der Abend dem folgenden Tage zugerechnet worden sein, was besonders noch auf germanischem Boden (agls. Frigdceg 'Freitag', aber Frigecejen 'Donnerstag abend', s. u. W o c h e ) hervortritt (vgl. Hoops R. L. I, 4). — S. u. Z e i t t e i l u n g . Über Abend = Westen s. u. H i m m e l s g e g e n d e n . Aberglaube, s. Z a u b e r und Aberglaube. Abgaben. § 1. Die älteste Form der S t e u e r n oder öffentlichen Abgaben besteht in der f r e i w i l l i g e n Darbrmgung von Naturalerzeugnissen an den Häuptling oder K ö n i g des Stammes. Diesen Zustand schildert Tacitus in der Germania (Cap. 15) mit vollkommener Deutlichkeit: Mos est civitatibus ullro ac virilim conferre principibus vel armentorum vel jrugum quod pro honore aeeeptum etiam necessitatibus subvenit (vgl. weiteres bei J. Grimm R. A. 4 S. 341 ff.). A u c h bei Homer bestehen die Einkünfte der Könige noch aus freiwilligen Gaben (oiuzivcti) des Volkes, wozu sich aber hier bereits die {)sfiia-s?, 'gesetzte' (: -rtiiirj ¡j.t) Abgaben gesellen. Vgl. II. IX, 154. ev o'a'vopsi vaiouoi -oXüppjjVEi, TroXußou-ai, O? •/.£ E OtDTlVflCJl ftsiv tu? ttiaf5II'>u3l v.ii oi u-ö a-/.Vj"p

, ahd. mä-

8

ACKERBAU

jan; griech. ¿¡j.r(xo? 'Ernte' = ahd. mdd\ vgl. auch l a t . meto und ir. meithel, methel 'a p a r t y of reapers', altkymr. medel id.; beachte ferner got. asans, ahd. aran, altpr. assanis, altsl. jeseni .Herbst': im Germanischen erhaltene Grundbedeutung 'Erntezeit' (got. asneis 'Tagelöhner'). S i c h e l : griech. apnr), lat. sarpere, ir. serr (K. Z. X X X V , 264), altsl. srüpü, lett. sirpe. M a h l e n : griech. ¡xuXi), lat. molere, ir. melim, got. malan, altsl. melja, lit. mälti, alb. miel 'Mehl'. H a n d m ü h l e : got. qairnus, ir. brö, lit. girna, altsl. zrünüvü — armen, erkan (scrt. grävan- 'Stein zum Auspressen des Sornas'). S i e b - lat. cribrum, ir criathar, ahd. ritera. T e n n e : griech. akiuc, *dXa>FVj, c/J.or^ = a l t schwed. 16 (s. o. finn. luuva). D r e s c h e n : griech. xptßio, got. priskan. W o r f e l n : griech. veixXov• Xixvov Hes. = lit. nekdju 'schwinge Getreide in einer Mulde'; lat vannus = ahd. wanna. Ä h r e : (Spreu) griech. äyyau, lat. acus, got. ahs, ahana. H a l m : griech. xotX.ocjj.oc, lat. culmus, ahd. halm, altsl. slama. F u r c h e : lat. porca, ahd. furuh, altbret rec — armen, herk(i). F u r c h e : lat. sulcus 'Furche', agls. sulh 'Pflug'. B e e t : lat. lira, lit. lyse, altsl. lecha (mhd. leis 'Spur'). B r a c h l a n d : gall. olca (bei Gregor v . T o u r s nach W . Meyer-Lübke Rom. et. Wb.), agls. fealg, engl, jallow etc. (F.Kluge). Hierzu tritt noch eine ziemlich große Zahl übereinstimmender Benennungen von F e l d f r ü c h t e n , wenngleich bei dem zuweilen starken Auseinandergehen der Bedeutungen innerhalb der einzelnen Reihen die älteste und ursprüngliche festzustellen nicht immer möglich, und wenngleich gerade hierbei das alte E r b g u t v o n altem L e h n g u t abzusondern oft schwierig ist. Es sind die folgenden: G e r s t e : griech. xpi, xpiö^, lat. hordeum, ahd. gersta (ob auch armen, gart und pehl. ]urtak,\bal. zurt hierhergehören, ist zweifelhaft). W e i z e n : griech. itupo?, lit. pürai 'Winter-

weizen', lett. püri id. (aber altsl. pyro wird mit far, miliurn wiedergegeben, nsl. pira 'Spelz', russ pyréj 'Quecke', agis, fyrs id.; ob sert, pûra 'Kuchen' hierher zu stellen ist, bleibt zweifelhaft). H i r s e : griech. fisXivv), lat. miliurn, lit. •malnos, letzteres 'Schwadengrütze'. ? : lat. far, jams aus *farsis 'Spelt', got. bariz-cins 'aus Gerste', altn. barr, agis. bere 'Gerste', altsl. brasïno aus *borslno 'Speise' H a f e r , lat. avéna, altsl. ovisü, lit. awizà, altpr. wyse. M o h n : griech. ¡¿i^xiov, ahd. mago, altpr. moke, altsl. makü. Flachs: griech. Xivov, Xitt', KIT A, lat. linum, linteum, ir. lin, kymr. Hin, ahd. lln neben ahd. lîna 'Leine', lit. linas, linaz, altsl. Itnü (Urverwandtschaft und Entlehnung scheinen sich in dieser Sippe zu kreuzen). B o h n e : lat. faba, altsl. bobü, altpr. babo (alb. ba&e oder letzteres = griech. oaxoç 'Linse') E r b s e : lat. cicer 'Kichererbse', griech. xpto;id., altpr. keckers 'Erbse' (armen. sisern 'Erbse'?). Z w i e b e l ( ? ) : griech. xpôfiuov aus *xpo(jiosov, russ. ceremsd, lit. kermuzse', agis. hramsa (die letzteren drei bedeuten 'Bärenlauch' oder 'wilder Knoblauch', so daß an einen ursprünglichen A n b a u k a u m zu denken ist). R ü b e - lat. râpa, griech. poreuî, alb. repe altsl. repa, lit. rope, ahd. ruoba (mit noch unaufgeklärten Lautverhältnis • sen). Eine

C u c u r b i t a c e e : griech. aixuç, oexoua, atxuo; 'Gurke' = altsl. tyky 'Kürbis' (*tvek- : tûk-). Die weitaus meisten der hier genannten Kulturpflanzen lassen sich nach dem obigen bereits im steinzeitlichen Europa prähistorisch nachweisen. Ausnahmen machen der H a f e r , dessen Vorhandensein erst in der Bronze- und Eisenzeit zu belegen ist, sämtliche C u c u r b i t a c e e n a r t e n und die R ü b e , deren Kerne oder Samen bis j e t z t überhaupt nicht gefunden sind. Hinsichtlich der Zwiebelgewächse (vgl. Hoops aaO. S. 330), die in der Regel durch Knollen, nicht durch Samen fortgepflanzt werden,

ACKERBAU

9

ist eine prähistorische Bewahrung nicht zu obwohl die Gleichung lautlich nicht f ü r sicher gelten kann. — S. u. R o d u n g . erwarten. § 4. Alle im bisherigen genannten sprach§ 5- Welche Schlüsse dürfen wir nunlichen Gleichungen haben, wie schon be- mehr aus der bis hieher geschilderten geomerkt, miteinander gemein, daß sie sich auf graphischen Verbreitung der idg. AckerZunächst ohne die Europäer [bezüglich Europäer und die baugleichungen ziehen? von diesen in vorhistorischer Zeit losgelösten Zweifel den, daß ein gewisser Grad von A r m e n i e r s. d.) beschränken u n d selbst Feldbau neben der V i e h z u c h t (s. d.) in den wenigen Fällen, wo sie zu den Ariern schon zur Zeit des ältesten Zusammenhinübergreifen (vgl. sert. djra- bei A c k e r , lebens der idg. S t ä m m e niemals und nirgrävan- bei H a n d m ü h l e ) hier eine nicht gends ganz gefehlt haben kann. Die schwieagrarische Bedeutung zeigen. Immerhin rige Frage aber ist die, wie das so starke fehlt es auch zwischen den europäischen Hervortreten der agrarischen Terminolound arischen Sprachen doch nicht ganz an gie speziell bei den Europäern zu beurteilen Ubereinstimmungen, welche sich auf Land- sei. Und zwar ist diese Erscheinung um so bau und Feldfrüchte beziehen. Hierher augenfälliger, wenn wir bedenken, daß die gehören vor allem die beiden Reihen sert. Terminologie der Viehzucht, vor allem die yäva- 'Getreide, Gerste', aw. yava- (npers. Namen der Haustiere im Gegensatz zu den }6 'Gerste', osset. yeu, yau 'Hirse', Pamird. Termini des Ackerbaus gleichmäßig bei yogj 'Mehl'), griech. Cea, lit. jawat 'Ge- Europäern u n d Ariern gelten. Von einem Zufall kann hier keine Rede sein. Um treidV, lr. eörna 'Gerste' und sert. pish, diese merkwürdige Erscheinung zu ergriech. iraacrtu, lat. pinso, eine Verbalklären, h a t t e der Verf. in der ersten Aufwurzel, die in zahlreichen idg. Sprachen lage dieses Buches a n zwei neuerdings mit der Verarbeitung des Getreides in unterschiedene, chronologisch verschiedene engstem Zusammenhang steht (aw. pistraStufen in der Entwicklungsgeschichte des 'Zerstampfung des Getreides', npers. pist Ackerbaus angeknüpft, und eine ältere 'farina tosta tritica', altn. fis 'Spreu', altsl. | urindogermanische, auf der die Arier mit ptseno 'Mehl', altpr. som-pismis 'grobes den Europäern noch ein Volk bildeten, und Brot'; s. auch u. M a h l e n , M ü h l e ) . Vgl. eine jüngere europäische n a c h Ausscheiden ferner sert. lavl- = griech. XaTov, altn. le der Arier unterschieden. Auf j e n e r h ä t t e n 'Sichel' und sert. palava- = lat. palea, lit. ' die Indogermanen unter der WirtschaftspelaT, altpr. pelwo, altsl. pleva 'Spreu'. Ge- form des H a c k b a u s gestanden, der noch ringere geographische Verbreitung zeigen heute über weite Teile des Erdballs verdie Gleichungen lit. diina ' B r o t ' = sert. breitet, noch in kein festes Verhältnis den dhäna im PI. 'Getreidekörner', aw. dana- Haustieren gegenüber getreten ist, nicht (npers. dane, Pamird. pin}-dänd 'Hirse'); mit dem Pfluge, sondern mit der Hacke lit. dirwä 'Furche' (mittelndd. terwe, tarwe arbeitet und meistens Knollengewächse und 'Weizen') = sert. durvd 'Hirse'; griech. TE\- Gemüse, aber auch bereits Getreidegräser tliö^xb, tr(v Tru-ff^ s^cuv2). Das Wort ist noch unerklärt. Schwerlich ist es (vgl. Solmsen Rhein. Mus. L I I I , 137) mit lat. foedus, häßlich zu vergleichen. Eher könnte man an eine Verstümmelung aus (xa)mÖ7)'/.oi denken: sert. kapi- 'Affe" (s. u.). Vgl aber auch ttvjöujv • 7:iör(xo? Hes. Sehr viel später (zuerst bei Aristoteles) ist im Griechischen xijßo?, xr(iro? (auch xsßXos Hes.), woraus lat. cephus, nachweisbar. Diese Wörter gehören zu einer Gruppe v o n Benennungen des Tieres: sert. kapl(schon im Rig- und Atharvaveda bezeugt, woraus durch iranische Vermittlung armen. kapik), hebr. koph, assyr. ukupu und a l t ägypt. qephi 'der Affe des Landes Punt', die zwar sicher untereinander zusammenhängen, deren Ausgangspunkt aber noch nicht ermittelt ist. Der Austausch muii auf den uralten Handelswegen erfolgt sein, die Indien mit dem Wunderlande Ophir, dem ägyptischen P u n t im südlichen Arabien oder östlichen Afrika verbanden. Das. ") „Es ging einmal ein Affe abseits von den anderen Tieren am Rande des Waldes spazieren. Da begegnete ihm ein schlauer Fuchs listigen Sinnes." J ) „Oh, Affe, einen solchen Steiß hast du."

AFFE

17

ist. Lat. simia endlich wäre nach Kretsch mer K . Z. X X X I I I , 563 identisch mit dem § 2. Frühzeitig erfuhren die Griechen auch griechischen Sklavennamen 2i|xias (: griech. von m e n s c h e n a r t i g e n Affen, und zwar aiixöc, lat. simus 'stumpfnasig') und urdurch den Karthager Hanno, welcher um sprünglich ein volkstümlicher Seherzname 500 den Kolonien an der Westküste Afrikas des Affen (ähnliches s. u. H a h n , H u h n ) . neue Mannschaften zuführte und darüber Über die Bedeutung des Affen bei Griechen einen Bericht verfaßte, der ins Griechische und Römern vgl. Keller Tiere des kl. Altertums S. 1 ff., Die antike Tierw. I, 3 ff. übersetzt wurde: os -o5 fiu^M-* § 4. Auf verschiedenen Wegen ist der YjV soixuia ~r¡ ~po>TY| Xí¡xvr¡v syoum. xoti sv -«túi-fl víjao; r(v sxépct, ¡j.E(uíj ávílpúimov A f f e z u d e n N o r d v ö l k e r n gelangt. Hesych oqpíuiv. mlb o s t t X e í o d í T j ö a v -(uvaíxs?, 8a- bietet die Glosse aßpa'vac * KsXxot -oüs Liest man hierfür mit asta1. aúijjLaai, as ni spu^vÉs? sxaXouv xspxo7ui)/(xoui. einer alten Emendation (Reinesius) *äßß entweder als 'das nach anderem', sc. forschen ([iexa und äXXoi 'der andere'), oder sie ziehen zur Vergleichung das griechische ¡¿a-sui 'ich suche' oder auch ein lettisches Zeitwort meklet 'suchen, forschen' heran (vgl. die Literatur bei Muss-Arnolt Transactions of the American phil. ass. X X I I I , 134, H. Lewy aaO., W. Prellwitz Et. Wörterbuch der griech. Sprache 3 p. 291, Boisacq Dict. 6t. de I. 1. Grecque S. 630). Vom rein kulturhistorischen Standpunkt aus könnte die Herleitung des griech. ¡xsxaXXov aus dem Semitischen befriedigen; denn derselbe Herodot, der dieses Wort zuerst in der Bedeutung von 'Bergwerk' überliefert, ist es, wie wir oben (§ 2) sahen, zugleich, der von der Eröffnung großer Goldbergwerke auf der Insel Thasos durch die Phönizier berichtet. Allein abgesehen von gewissen Schwierigkeiten der Lautund Wortbildungslehre, die hier nicht erörtert werden sollen, liegt doch, namentlich bedeutungsgeschichtlich, die Erklärung des Wortes aus dem Griechischen selbst erheblich näher. Aus homerisch ¡j.sxaXXaui 'ich forsche nach' kann man nach der Analogie von ßpovxa'u) : ßpovrij, 'donnere' : 'Donner',

BERGKULT—BERNSTEIN

94

•ysvetdm : -fsvStov, 'ich b e k o m m e einen Bart' : 'Bart', Xtxpaci) : Xixjio?, 'ich worfele' : 'Worfschaufel' und zahlreichen andern, ein vorhomerisches *\iz.-rj)X-q \ ' N a c h f o r s c h u n g ' , (xETaUov ' O r t der N a c h - | f o r s c h u n g ' m i t S i c h e r h e i t folgern. Die F r a g e w ä r e d a h e r nur die, o b sich der B e deutungsübergang : 'Nachforschung', 'Ort d e r N a c h f o r s c h u n g ' z u ' B e r g w e r k ' durch A n a l o g i e n aus a n d e r n S p r a c h e n belegen läßt. D i e s ist n u n allerdings der F a l l , i n d e m d a s bis j e t z t m diesem Z u s a m m e n h a n g n o c h n i c h t b e a c h t e t e russische j p r i i s k ü g e n a u dieselben E r s c h e i n u n g e n d e s B e d e u t u n g s w a n d e l s wie die f ü r g n e c h . (jitaXXov v o r a u s g e s e t z t e n a u f w e i s t . Das r u s s i s c h e W o r t g e h ö r t zu russ. i s k a t i 'suc h e n ' = a h d . e i s e ö n , u n s e r e m 'heischen' u n d b e d e u t e t also u r s p r ü n g l i c h 'das N a c h suchen', 'den Ort, w o n a c h g e s u c h t wird'. D e s w e i t e r e n ist es d a n n eine d u r c h a u s volkstümliche Bezeichnung für 'Bergw e r k ' g e w o r d e n : r ü d n y j e p r i i s k i sind 'Kupfer'-, z o l o t ^ j e p r i i s k i 'Goldbergw e r k e ' (vgl. D a h l W ö r t e r b u c h der lebenden g r o ß r u s s i s c h e n Sprache). A b e r a u c h im D e u t s c h e n w i r d mitten, eigentl. 'begehren, n a c h s u c h e n ' im B e r g b a u in B e z i e h u n g auf die A n l e g u n g einer F u n d g r u b e g e b r a u c h t ( v g l . W e i g a n d - H i r t s. v . m u t e n ) . E b e n s o h a t also im Griechischen in v o r h o m e r i s c h e r Z e i t ein W o r t pixaM.ov ' N a c h s u c h u n g , O r t der N a c h s u c h u n g ' , ' G r u b e ' (in der m a n n a c h E r z e n etc. sucht) b e s t a n d e n , d a s später, v i e l l e i c h t u n t e r phönizis c h e m K u l t u r e i n f l u ß , die B e d e u t u n g ' B e r g w e r k ' a n g e n o m m e n h a t . D i e bis j e t z t noch nicht mit Sicherheit zu beantwortende F r a g e , wie der S t a m m ¡jlstoXXo — e t y m o l o g i s c h z u e r k l ä r e n sei, k a n n hierbei auss c h e i d e n . — Ü b e r d a s A l t e r u n d die R e i h e n f o l g e des B e k a n n t w e r d e n s der einzelnen M e t a l l e in E u r o p a ist in b e s o n d e r e n A r t i k e l n g e h a n d e l t w o r d e n , in denen a u c h n ä h e r e s ü b e r ihre F u n d s t ä t t e n g e s a g t ist. S . a u c h u. M e t a l l e . B e r g k u l t , s.

Höhenkultus.

Bernstein. Verbreitung

des

Bernsteins

bernsteinartiger K ö r p e r §

I.

und

anderer

Ostbaltikum und

Westbalticum.

Verhältnis v o n G o l d und Bronze

zum

des

Bernstein

Westbaltikums.

D e r Bern-

stein in G r i e c h e n l a n d (fp.exxpov) u n d in Italien (sucintim) baltikum: weg,

§ 2,

Handelswege

aus dem W e s t -

i . D e r S e e w e g , 2. w e s t l i c h e r L a n d -

3. östlicher

Germ, glcsiim

Landweg

§ 3.

baltikums. YXt.gentaras

oder

D e r Bernstein § 4.

Elbstraße. des

Zurückweisung

Ostder

Ansichten H e d i n g e r s , M. M u c h s u n d G . K o s s i n nas § 5 — 6 .

W e i t e r e B e z e i c h n u n g e n des Bern-

steins.

§ I. Harzige, dem Bernstein ähnliche Körper kommen außer an der n o r d d e u t s c h e n M e e r e s k ü s t e n o c h in v i e l e n andern Teilen Europas und außerhalb desselben, z B . in O b e r i t a l i e n , Sizilien, R u mänien, B ö h m e n , a m D n i e p r , a m L i b a n o n usw , in n a t ü r l i c h e m Z u s t a n d v o r . Doch h ä t t e , n a c h O. H e l m C h e m i s c h e U n t e r s u c h u n g e n v o n B e r n s t e i n p e r l e n (Z. f. E t h nologie X X X V I ) , die C h e m i e d e n N a c h weis g e f ü h r t , d a ß der echte, d u r c h einen erheblichen G e h a l t v o n B e r n s t e i n s ä u r e u n d andere Eigenschaften charakterisierte S u c c i n i t ausschließlich nördlicher H e r k u n f t sei. W o d a h e r a u s d i e s e m h e r g e s t e l l t e O b j e k t e in p r ä h i s t o r i s c h e n F u n d e n b e g e g n e ten, wiesen dieselben auf den N o r d e n E u r o p a s als ihren A u s g a n g s p u n k t hin. Artef a k t e aus s ä u r e f r e i e m o d e r - a r m e m B e r n stein seien a b e r a u s f r ü h e n E p o c h e n so g u t wie n i c h t n a c h g e w i e s e n w o r d e n . H i e r g e g e n ist v o n A . H e d i n g e r (Die v o r g e s c h i c h t l i c h e n Bernsteinartefakte u n d ihre Herkunft, S t r a ß b u r g 1903) E i n s p r u c h e r h o b e n w o r d e n . N a c h ihm sei in d e m R o h b e r n s t e i n a u c h anderer F u n d o r t e B e r n s t e i n s ä u r e v o r h a n den, und j e d e n f a l l s m ü ß t e n die d e r s p ä t e r e n V o r g e s c h i c h t e u n d der g e s c h i c h t l i c h e n Z e i t a n g e h ö r i g e n B e r n s t e i n a r t e f a k t e den „ j e d e m F u n d o r t a m n ä c h s t e n liegenden Gegenden" zugeschrieben werden. Im O r i e n t h a t der B e r n s t e i n in a l t e r Z e i t niemals eine h e r v o r r a g e n d e Rolle gespielt, a b g e s e h e n v o n d e n G r ä b e r n des K a u k a s u s z u K o b a n u n d S a m t h a w r o , in denen Virchow das Vorhandensein von Bernstein nachgewiesen hat. D o c h gehören dieselben erst der v e r h ä l t n i s m ä ß i g s p ä t e n Hallstattzeit an. Über den nach Jeremias G e i s t e s k u l t u r S 2 3 1 , M t t l g . d. D e u t s c h e n Orientges. L I V , 4 8 a u c h in d e n A u s g r a b u n g e n d. D . O r i e n t g e s . in A s s u r gef u n d e n e n B e r n s t e i n sind w e i t e r e N a c h richten a b z u w a r t e n .

BERNSTEIN § 2. M a n h a t es a l s o b e i d e m B e r n stein mit einer eminent europäis c h e n K u l t u r e r s c h e i n u n g zu t u n . Im Norden Europas hat man nun nach Maßgabe der Funde z w e i große Bernsteingebiete zu unterscheiden, ein o s t b a l t i s c h e s (Samland) und ein w e s t b a l t i s c h e s , von der Westküste der kimbrischen Halbinsel, also von der N o r d s e e ausgehend und sich über die Küstenländer der

95

die zahlreichen Bernsteinfunde aus dem Gräberfeld von Hallstatt Fig. 7 und in den Nekropolen von Villanova) erhält. Die Ursachen dieses Umschwungs liegen klar zutage. Es kann nicht wohl bezweifelt werden (so auch F. Kauffmann D. A. I, 1 1 9 ff. „Bernsteinhandel"), daß es der Austausch des Bernsteins g«gen Gold und Bronze war, welcher denselben dem Norden entführte oder wenigstens als Schmuck-

5

d

6

F ' g . 5 — 5 d. Stücke eines

Bernsteinhalsbandes.

A u s S . Müller N o r d i s c h e A l t e r t u m s k u n d e I, S. 5 1 .

F i g . 6.

Bernsteinhalsbandes.

Aus S. Müller N o r d i s c h e A l t e r t u m s k u n d e I, S. 53.

a

Mittelstuck

eines

westlichen Ostsee (das Gebiet links der mittel entfremdete und dem Süden Oder bis über die Elbmündung, Schleswigzubrachte. In letzterem sind seine GeHolstein, Schweden und Dänemark) erschicke fernerhin schwankende gewesen. streckend. In diesen beiden Gruppen bilDie Griechen der klassischen Zeit verwarfen det der Bernstein den hervorragendsten die Verwendung des Bernsteins im KunstSchmuck Fig. 5 a — d 6 der jüngeren Steinzeit, gewerbe, und dasselbe ist der Fall überall, während derselbe in den steinzeitlichen wo griechischer Einfluß vorherrschte, bis Pfahlbauten der Schweiz nur äußerst selten, dann in dem Anfang der römischen Kaiserzeit aus unten näher zu erörternden Grünin der neolithischen Epoche Oberitaliens gar nicht nachzuweisen ist. Das angegebene den das leuchtende Harz wieder in aufVerhältnis ändert sich, sobald das G o l d steigendem Maße zu Ansehen kam. So ist und die B r o n z e 111 Europa auftreten. In es geschehen, daß die griechischen Autoren demselben Maße, in welchem diese beiden I des Bernsteins nur gelegentlich als einer Metalle nach dem Norden vordringen, beseltsamen Naturerscheinung gedenken, und ginnt der Bernstein in dem Bereich des daß der lat. Name des Bernsteins (süciWestbaltikums zu verschwinden und dafür num), obwohl doch die Sache selbst seit in Mittel- und Südeuropa aufzutreten, wo alters in Italien bekannt war, von älteren er bereits in den Schachtgräbern von MyAutoren wie Plautus, Terenz, Cato gar nicht kenae und in den Pfahlbauten der Poebene, genannt, sondern erst von Phnius erwähnt beide der reinen Bronzezeit angehörig, vorwird (erst von Vergil das griech. electrori). kommt und sich in seiner Bedeutung als Ob dieses sücinum eine einheimische BilSchmuckmittel bis in die Eisenzeit (vgl. dung von sücus ' S a f t ' sei (man wußte im

96

BERNSTEIN

Süden frühzeitig, daß der Bernstein eine Ausschwitzung v o n Bäumen sei), oder ob man in ihm ein Fremdwort (s. u.) unter Anlehnung an sücus zu erblicken habe, läßt sich nicht entscheiden. § 3. A n H a n d e l s w e g e n , welche von dem westbaltischen Bernsteingebiet nach dem Süden führten, lassen sich d r e i unterscheiden. 1. Der durch Müllenhoff (Deutsche Altertumskunde I) ermittelte S e e w e g aus der Nordsee durch den Ozean, eröffnet von den Phöniziern und in ihren Gleisen noch von P y t h e a s von Massilia befahren.

Fig. 7. Bernsteinschmuck von Hallstatt. Nach v. Sacken Das Grabfeld von Hallstatt. Taf. X V I I , 26, 27, 28.

Jedenfalls sind es P h ö n i z i e r , die bei Homer (Od. X V , 459) als Händler mit Bernsteinschmuck (-jj^exTpov) erscheinen. Leider h a t auch dieser ältestüberlieferte N a m e des Bernsteins noch keine sichere Erklärung gefunden. Wahrscheinlich kann er aber nicht v o n 0 fJXexTpos 'Goldsilber' und TjXey.Twp 'Sonne' getrennt werden. Andere haben an eine Ableitung von otXexu) 'wehre ab' gedacht, als ob der Bernstein v o n A n f a n g an als cpuXaxTijptov oder A m u l e t t (s. d.) a u f g e f a ß t worden wäre, in welchem Sinne er später gebraucht wird. 2. Ein w e s t l i c h e r L a n d w e g v o n der Nordseeküste entweder quer durch Gallien direkt zur Rhone oder durch die

Rheinlande erst zum Oberlauf des Stromes und dann einerseits zur Rhone, andrerseits, zum Po führend. Diese Straße scheint zuerst in den von Aeschylus (Plin. X X X V I I , 31) und Eurípides genannten Mythen v o n dem schon von Hesiod erwähnten Flusse Eridanos (Rhone, dann Po), hervorzutreten, an dessen Ufern die Heliaden in Pappeln verwandelt Tränen vergießen, die sich in Bernstein umsetzen. Doch äußert sich Herodot (III, 115) sehr skeptisch gegenüber der Existenz eines solchen Flusses, der sich nach ihm in das Nordmeer ergießt (Rhein?). Nur das sei gewiß, daß. der Bernstein wie das Zinn v o m äußersten Norden Europas kämen. Genauere K u n d e über diese Bernsteinstraße h a t dann P y theas auf seiner Nordlandsfahrt gewonnen, die sich in dem Bericht des Diodorus Siculus. V, 23 erhalten h a t : -rjí 2xoöias tr,í uirep T7¡v raXatíotv xa-ravtixpu v9¡aó; ¿an íreXoqía xaxä TOV luxsavov f¡ irpoaoqopsuo¡iiv7] B a a í X s i a . eis Taú~r(v ó xXúocnv IxßaXXet SatptXéí to xaXoújisvov Y j X e x T p o v , ou8a¡¿oü 8L ir,? ofxoulaávY¡? cpaivó¡J.svov xb f á p •JjXsxTpov auváfsxat fisv Iv - y Trpoeip7jfj.ávfl, VLJATU, XOFN'CsTCH OS Ú T C O Ttüv If^UjpítUV TtpÓC TY)V ávTlirépa; Tjirstpov, 81' VJÍ tsspstai upoítou? xaft' Yjfiötc TÓttouí, x a & Ó T I u p O E Í p T j T O t i 1 ) Es ist aber in dem vorhergehenden Kapitel v o m Zinnhandel v o n der gallischen Nordküste zur Rhone die Rede (su. Z i n n ) . Vgl. dazu Plinius Hist. nat. X X X V I I , 35: Pytheas Guionibus (Gutonibus; Müllenhoff: Teulonts) Germaniaegenti. accoli aestuarium oceani Metuonidis (.Meconomon; Mhff.: Mentonomon) nomine spatio stadiorum sex milium, ab hoc diei navigatione abesse insulam Abalum (vgl. R. Much bei Hoops R L . I, 3), illo (electrum) per ver fluctibus advehi et esse concreti mans purgamentum, Íncolas pro ligno ad ignent uti eo proxinvisque Teutonis vendere. liuic et Tiviaeus (der Gewährsmann des Diodoruss. o.) credidit, sed insulam Basiliam vocaviL ") „Gegenüber dem über Gallien hinaus sich erstreckenden Skythenland liegt eine Meeresinsel, die Basileia heißt. A u f diese spült die B r a n d u n g oft den sogenannten Bernstein, der sonst nirgends auf der Erde vorkommt Dieser Bernstein, wird auf der genannten Insel gesammelt und von den Eingeborenen auf das gegenüberliegende Festland geschafft, durch das hindurch er bis zu unsgebracht wird, wie ich schon vorher erzählt h a b e . "

BERNSTEIN D a ß das Ligurerland, wo nach T h e o phrast (De lapid. § 53) auch einheimischer Bernstein gegraben worden wäre, ein wichtiger Depotplatz des Bernsteinhandels war, scheint auch aus einer bisher noch nicht genannten gnech.-Iat. Benennung des Bernsteins hervorzugehen: Xtfupiov, dann volksetymologisch verdreht, Xu-fxoüpiov, XuY'foupiov, ligurius, langurium, lagurium etc., vorausgesetzt, was keineswegs sicher ist, daß die Deutung des Wortes als Bernstein und als 'ligurische' (Ware) das R i c h tige trifft. Endlich läßt sich auch an der H a n d der Funde, die aber im Rheingebiet erst der Hallstatt- und L a Tene-Periode anzugehören scheinen, die angegebene Straße verfolgen, wenn auch nicht so deutlich, wie dies bei dem ohne Zweifel ä l t e s t e n und bedeutendsten W e g des Bernsteinhandels, 3. dem ö s t l i c h e n L a n d w e g oder der E l b s t r a ß e der Fall ist. Diese läßt sich nach Maßgabe der Funde als v o n der Elbmündung zunächst bis B ö h men und Mähren führend erweisen, w ä h rend der weitere Verlauf nach dem Süden bei dem Umstände, daß in Ungarn und Niederösterreich ältere Bernsteinfunde fehlen, noch nicht feststeht. Nach Plinius X X X V I I , 43 wäre der Bernstein v o n den Germanen nach Pannonien und v o n da durch die Veneter ans Adriatische Meer gebracht worden, wo noch zur Zeit des Plinius Bauernweiber Bernsteinschmuck als Halsbänder trugen. Hier wäre Rheinund Elbstraße zusammengeti offen. Doch v e r m u t e t Olshausen (s. u.), daß dieser v o n Plinius genannte W e g nur für die Römerzeit gegolten habe und früher nicht sowohl durch Pannonien als durch Noricum (vgl. die Bernsteinfunde (Fig. 7) der allerdings verhältnismäßig späten Hallstätter Ansiedlung) geführt habe. A u f der Elbstraße, an die Olshausen auch den Eridanosmythus (s. 0.) anzuknüpfen geneigt ist, läßt sich auch am deutlichsten das Vorrücken gewisser Goldspiralen (s. u. G o l d ) aus den südlichen Ländern in der Richtung auf die kimbrische Halbinsel (zum Eintausch des Bernsteins) verfolgen, auf der sie a m zahlreichsten an der Westküste J ü t lands, dem wichtigsten Ursprungsort des westbaltischen Bernsteins (vgl. S. Müller auaO. S. 323), nachgewiesen sind. Auf O. S c h r ä d e r , Reallexikon,

s. A.

97

einer der beiden zuletzt genannten Straßen ist der germanische, an der Nordseeküste geltende Name des Bernsteins glesum, glaesum (agls. glcere) den Römern bekannt geworden. Das W o r t k o m m t zuerst bei Plinius X X X V I I , 42 v o r : Certum est gigni in insulis septentrionalis oceani et ab Germanis appellari glaesum, itaque et ab nostris ob id unam insularum Glaesariam appellatam Germanico Caesare res ibi gereute classibus Austeraviam a barbaris dictam (vgl. auch IV, 97), und wird dann v o n Tacitus, der nur das Samland als Bernsteinland kennt (Germ. Cap. 45), irrtümlich auf den Bernstein der Ostsee angewendet. GUsum steht in A b l a u t zu der gemeingerm. Sippe ahd. glas, altn. gier (vgl. auch l r . glain, gloin 'Glas', 'Kristall' aus *glas-in-), die, da das Glas im Norden eine verhältnismäßig junge Erscheinung ist, ebenfalls ursprünglich 'Bernstein' bedeutet haben muß (s. u. Glas). In u n s e r e m W o r t e ,,Glas" ist also der uralte germanische N a m e des B e r n s t e i n s e r h a l t e n . Der dabei anzunehmende Bedeutungswandel wiederholt sich in mehreren nordöstlichen Sprachen (vgl. liv. el'mas 'Bernstein', finn. keimt 'Glasperle'; russ. jantari, magy. gyantär 'Bernstein', gydnta 'Harz', ceremissisch janddr 'Glas'). S. auch über skythischsuali ternicum u. G l a s . § 4. Noch offen ist die Frage, wann zuerst der Bernstein des O s t b a l t i k u m s , also der samländische Bernstein, in die Kulturgeschichte Europas eintritt. Für den frühen Zusammenhang des Südens, j a schon der griechischen Pontusstädte, namentlich Olbias,« mit Ostpreußen h a t man sich früher auf eine Reihe v o n Münzfunden aus der Zeit v o r Kaiser Augustus im K ü s t e n g e b i e t der Ostsee berufen. Doch haben sich dieselben bei näherer Untersuchung (vgl. Olshausen Zeitschrift f. Ethnologie 1891, Verhandl., S. 223) als hierfür nicht beweisfähig herausgestellt. A u c h ist zu bemerken, daß das G o l d (s. d.), dieses im Norden sonst überall in Zusammenhang mit dem Bernsteinhandel auftretende Metall, gerade in Ostpreußen v o r der römischen Kaiserzeit nicht gefunden worden ist. Schließlich zeigt sich v o n den (im übrigen dunklen) baltisch-slav. Benennungen des Bernsteins: lit. gintäras, altpr. gentars, lett. 7

98

BERNSTEIN

sihtars, dsinters (nach Nesselmaim), russ. jantari nicht, wie von germ. glesum, irgendeine Spur im Süden. Sichere Kunde des ostbaltischen Bernsteinlandes beweist daher erst Tacitus Germ. Cap. 45, wo er von den gentes Aestiorum, d. h. von den Litauern und Preußen, folgendes erzählt: Sed et mare scrutantur, ac soli omnium sucinum, quod ipsi glaesum (s. 0.) vocant-, inter vada atque in ipso litore legunt. nec quae natura quaeve ratio gignat, 11t barbaris quaesitum compertumve; diu quin etiam inter cetera eiectamenta maris iacebat, donec luxuria nostra dedit nomen. ipsis in nullo usu : rude legitur, informe perjertur, pretiumque mirantes accipiunt. Auch in diesem Bericht mischt sich freilich, ganz abgesehen von der Annahme des Schriftstellers, daß glSsum ein Bernsteinname der A e s t u e r (s. u. B a l t e n § 4) sei, Wahres und Falsches. Tatsächlich wurde auch in Ostpreußen dier Bernstein seit uralter Zeit als Schmuckgegenstand verwendet (s. 0.). Sogar menschenähnliche Idole aus Bernstein (T. I X Fig. 2) sind hier zutage gekommen. Handelsartikel mag er dagegen erst kurze Zeit vor Tacitus geworden sein. Man bringt damit in Verbindung den schon oben angezogenen Bericht des Plinius X X X V I I , 42—45 von der Reise eines römischen Ritters unter Nero nach dem Bernsteinlande: DC M. p. fere a Carnunto Pannoniae abesse litus id Germaniae, ex quo invehitur {sucinum), percognitum est nuper, vidit eques R. ad id comparandum missus ab Juliano cur ante gladiarium munus Neronis principis, quin et commercia exercuit et litora peragravit, tanta copia invecta ut etc. Allerdings ist hier nur von der Küste G e r m a n i e n s die Rede; aber die ungeheure Menge des heimgebrachten Bernsteins dürfte auf e i n e neue B e z u g s q u e l l e desselben hinweisen. Umgekehrt werden nun auch große und reiche Funde aus der römischen Periode an der östlichen Bernsteinküste häufig (vgl. S. Müller aaO. S. 326). § 5. Diese in kurzen Zügen geschilderte Geschichte des alteuropäischen Bernsteinhandels würde einer teilweisen Modifizierung bedürfen, wenn die oben erwähnte Anschauung Hedingers von der ganz verschiedenartigen Herkunft der antiken Bernsteinartefakte sich bewahrheiten sollte.

Allein gerade die Arbeit des genannten Gelehrten zeigt, daß die Naturwissenschaft für sich allein weder aus dem Vorhandensein oder Fehlen der Bernsteinsäure in den vorhistorischen Bernsteinartefakten und in den gegenwärtigen Arten des Rohbernsteins, noch aus der Beobachtung ihrer a n d e r n natürlichen Eigenschaften, wie ihrer Farbe und Durchsichtigkeit, irgendwelche sicheren Schlüsse auf die Herkunft eines bestimmten Artefaktes aus einer bestimmten Fundstelle ableiten kann, so daß die Forschung doch im wesentlichen in der Frage der Herkunft des Bernsteins auf die l i n g u i s t i s c h - h i s t o rischen Tatsachen angewiesen ist. Diese bieten aber vor allem die klare und fast einstimmige Überlieferung des Altertums seit Herodot über die Herkunft des wunderbaren Harzes von den Gestaden der n ö r d l i c h e n Meere trotz aller Fabeln, die daneben über den Ursprung und die Beschaffenheit des B.'s erzählt wurden, und die man bei Plinius (vgl. Waldmann auaO.) gesammelt findet. Auch Plinius aber schließt seinen Bericht mit den Worten: „Nur eins ist sicher: er kommt auf den Inseln des nördlichen Ozeans vor." Selbst noch die Araber (s. u.) wissen anscheinend nur von dem Bernstein des Nordens, der Ostsee. § 6. Nicht zu billigen ist auch die Anschauung M. Muchs Die Heimat der Indogermanen 2 S. 137 ff., nach welcher der Bernstein schon ein Besitz des idg. Urvolks gewesen sei, das ihn durch seine angebliche Auswanderung von den Ufern der Nordund Ostsee nicht nur in die Länder nördlich vom Harz und vom Erz- und Riesengebirge, sondern auch nach Mykenae (T. I X Fig. 1) und weiter getragen habe. Dieser Anschauung fehlt jede ausreichende Begründung; denn weder ist ein urverwandter Name des Bernsteins, auf den sich M. Much stützen könnte, auch nicht zwischen Germanen und Litauern, wo man seine Bewahrung erwarten müßte, bei den idg. Völkern vorhanden, noch läßt sich dieses angeblich urindogermanische Gut bei den asiatischen oder auch nur den osteuropäischen Indogermanen, mit Ausnahme der Litauer, nachweisen. Speziell in Rußland ist er in vorskythischen Schichten nirgends

Tafel IX.

Bernstein. Fig. i .

Bernsteinkugeln

Fig. 2.

Bernsteinfiguren von Schwarzort.

1878.

S. 252. —

von Halsbändern aus dem IV. Grab.

Fig. 3.

Aus H. Schliemann Mykenae S. 282.

Aus M. Hoernes Urgeschichte der bildenden Kunst.

Bernsteinperlen aus Kiew.

Aus Khanenko Antiquités de

la

Wien

région

Dniepre, Heft V, Pl. X X X V I , Nr. 1294.

Schräder,

ReallexiLon.

2. A.

V e r l a g von Karl J. Trübner in Straßburg.

7*

du

BERNSTEIN—BESPRECHEN gefunden worden. Selten erscheint er unter den skythischen, etwas häufiger unter den großfürstlichen Altertümern (T. IX Fig. 3). Mutatis mutandis gelten diese Einwände auch hinsichtlich der neusten Lehre G. Kossinnas, der in Widerspruch mit seinen früheren Ausführungen (Z. f. Ethnologie 1902 S. 178, 182), in denen er g e g e n M. Much f ü r einen alten Bernsteinhandel eingetreten war, jetzt (vgl. Mannus 1909 S. 64 f.) m i t Much die Verbreitung der Bernsteinartefakte mit den Wanderungen der Nordindogermanen oder „Centumvölker" verbindet. Alles in allem wird der Bernstein wohl auch fernerhin als eine alte Handelsware, im wesentlichen ausgehend von den Ufern der Nord- und Ostsee, anzusehen sein. § 7. Die B e z e i c h n u n g e n des Bernsteins in den europäischen Sprachen sind im Vorstehenden mitgeteilt worden; doch bleibt noch einiges zu erwähnen übrig. Zunächst ein skythisches sacrium (Plin. X X X V I I , 40), das einerseits an lat. silcinum (s. o.) und hl. sakai 'Harz, Gummi', andrerseits an ägypt. sacal (Plin.; im Ä g y p tischen selbst hat sich keine Benennung des Bernsteins gefunden) anklingt. Im Germanischen hat neben glesum-glas noch ein zweiter alter Name des Bernsteins bestanden: nordfries. reaf, altn. rafr, schwed. ra], dän. rat), der aber bis jetzt jeder Erklärung spottet. Neuere germanische Namen sind mhd. agetstein, eüstein, wohl identisch mit ahd. agatstein 'Achat', 'Magnet' (denn auch der Bernstein zieht an), und nhd. bernstein ' B r e n n s t e i n ' (aus dem niederd. bornsten, in einem norwegischen Ausfuhrverbot anno 1316: brennusstein; vgl. Jacob auaO. S. 362; klruss. burstyn). In den k e l t i s c h e n Sprachen bestehen neben vielfachen Entlehnungen aus lat. electrum. und rom. ambra (s. u.) einige einheimische, aber noch ganz dunkle Bernsteinnamen, wie kymr. gwefr (*vebr-) und bret. goularz, die eine eigene Untersuchung verdienten. Vielleicht weisen sie im Zusammenhang mit gewissen archäologischen Tatsachen auf das Bestehen eines d r i t t e n nordischen Bernsteinreichs, eines b r i t a n n i s c h e n , hin. In den r o m a n i s c h e n Sprachen hat weder lat. sücinum noch electrum. Fuß ge-

IOI

faßt. Der Bernstein heißt hier vielmehr ital. ambra, sp. pg. ambar, al-ambar, frz. ambre (mhd. amber, ämer), entlehnt aus arab. dnbar, ursprünglich ein animalisches harziges Produkt (der Nierenstein) v o m Pottfisch, während der eigentliche arabische Ausdruck für den baltischen Bernstein kahrubä ist. Doch führen diese Ausdrücke bereits zu den von K . G. Jacob (Neue Studien den Bernstein im Orient betreffend, Z. D. m. G. X L I I I , 353 fr.) behandelten m i t t e l a l t e r l i c h e n Beziehungen der Araber zu den Erzeugnissen des hohen Nordens. — Vgl. F. W a l d m a n n Der Bernstein im Altertum, Fellin 1883 und besonders O l s h a u s e n Über den alten Bernsteinhandel der kimbrischen Halbinsel und seine Beziehungen zu den Goldfunden (Zeitschrift für Ethnologie, Verhandlungen 1890 S. 270 fr. und 1891 S. 286 fi.), wo auch die ungemein große Literatur über die Bernsteinfrage verzeichnet ist. Ferner: P . Moldenh a u er Das Gold des Nordens. Ein Rückblick auf die Geschichte des Bernsteins, Danzig 1894, S. M ü l l e r Nordische Altertumskunde I, 316 fi"., H. B l ü m n e r Artikel Bernstein in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie, A . H e d i n g e r Die vorgeschichtlichen Bernsteinartefakte und ihre Herkunft, Straßburg 1903, K . Wessely Über den Bernstein in s. kulturhist. Bed., Wien 1903, M. M u c h Die Heimat der Indogermanen 2 , Jena 1904 Absch. IV, M. H r u ä e v s k y Geschichte des ukrainischen Volkes, I. Leipzig 1906 S. 280 (Literatur über das Vorkommen des Rohbernsteins in Rußland), F . K a u f f m a n n Deutsche Altertumskunde I, München 1913 S. 119 ff. Beryll, s.

Edelsteine.

Beschreiten des Ehebetts, s.

Heirat.

Beschwörung, s. A r z t , Dichtkunst, Eid, Priester, Religion. Besitz, s.

Eigentum.

Besprechen, s.

Arzt.

102

BESTATTUNG

Bestattung. E i n l e i t u n g § i . I. B e g r a b e n und Verbrennen 1. bei den Griechen § 2, 2. bei den Italikera § 3, 3- b e i Kelten und Germanen § 4, 4. b e i Litauern, Preußen, Slaven, Thrakern, D a k e r n § 5, 5. bei d e n Ariern § 6. 6. S c h l ü s s e auf die idg. Urzeit § 7. II. D e r G r u n d g e d a n k e des Begräbnisses und der Feuerbestattung, s o w i e d i e Frage nach der Herkunft der letzteren. 1. D a s Grab als W o h n u n g § 8. 2. Hockerbestattung § 9. 3. D i e Feuerbestattung § 10. 4. V e r m i s c h u n g von A n s c h a u u n g e n des Begräbnisses und der Feuerbestattung § 11. 5. Herkunft der Feuerbestattung § 12. III. Zur T e r m i n o l o g i e des Verbrennens und Begrabens. 1. Verbrennen § 1 3 . 2. B e g r a b e n § 14.

§ I. Ob sich eine Zeit durch prähistorische Denkmäler belegen läßt, in der m a n den Toten noch keinerlei pietätvolle Fürsorge zuwendete, steht dahin. Früher h a t t e man dies für die p a l ä o l i t h i s c h e Epoche unseres Erdteils vermutet (vgl. S. Müller N. A k . I, 22 ff., 368 f., Urgeschichte Europas S. 12). Neuerdings aber scheinen sich die Anzeichen dafür zu mehren, daß man wenigstens im A u s g a n g dieser Epoche den Verstorbenen bereits sorgfältige Gräber errichtete (vgl. M. Much Trugspiegelung orientalischer K u l t u r usw. S. 133 ff.). Ja, sogar der diluviale Schädel v o n L e Moustier in der Dordogne soll einem Begräbnis mit beigegebenen Werkzeugen (zB. Schabern) entstammen (hierüber zuletzt Otto Hauser in der Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte in Berlin nach der Vossischen Z. 1915 Nr. 247 V . Beilage). Solange wir jedenfalls I n d o g e r m a n e n kennen, ehren sie ihre Toten mit einer dauernden Wohnung, und seit grauer Vorzeit bis auf den heutigen T a g ringen bei ihnen zwei Formen der Bestattung, B e g r a b e n u n d V e r b r e n n e n (altn. haugsöld und brennöld), m i t abwechselndem Glück um die Vorherrschaft. Ihnen gegenüber treten andere Bräuche, wie der v o n den Zoroastriern, den persischen Magiern (Herod. I, 140), den Parthern (Justinus X L I , B, 5) geübte, vielleicht dem wilden B e r g v o l k der Oreiten in Balutschista.il (Diod. Sic. X V I I , 105) oder hochasiatischen Nomadenvölkern (vgl. Inostranzev auaO.) entlehnte, die T o t e n v o r der Beerdigung Hunden, Vögeln und reißenden Tieren zum Fräße auszusetzen, oder die Sitte meer-

anwohnender Germanen, die Leiche im K a h n auf das offene Meer hinaustreiben zu lassen, an Bedeutung gänzlich zurück. Die Hauptfrage ist daher, ob das angegebene schwankende Verhältnis zwischen Verbrennen und Begraben v o n jeher dasselbe bei den Indogermanen gewesen sei, oder ob sich für das eine oder das andere ein historisches prius erweisen lasse. Hierüber soll im folgenden zuerst (I.) gehandelt werden. Hieran wird sich (II.) eine Erörterung der Grundgedanken des Begräbnisses einer-, des Leichenbrandes andrerseits sowie der Frage schließen, v o n w o der letztere seinen Ausgang genommen hat. D e n Abschluß wird (III.) eine Besprechung der Terminologie des Begrabens und V e r brennens bilden. I. B e g r a b e n u n d V e r b r e n n e n . I. § 2. Das homerische G r i e c h e n l a n d kennt nur den Leichenbrand, zu dem als ein notwendiger Bestandteil die Beisetzung der Urne mit dem verbrannten Gebein des Verstorbenen im Hügel gehört; Ocoiteiv 'begraben' wird daher auch gebraucht, w o xa'eiv 'brennen' gemeint ist. Anders aber ist es in dem v o r h o m e r i s c h e n Hellas gewesen, in das uns die Ausgrabungen in Mykenae, Tiryns, in A t t i k a und sonst einen Blick verstattet haben. In den Schachten, K a m m e r n und Gewölben, welche hier zutage getreten sind (T. X Fig. 1), wurden die Toten unverbrannt beigesetzt, wenn sich auch Spuren einer teilweisen Verbrennung der Leichen gefunden haben, die entweder v o n dem im Grabe selbst vollzogenen Opferbrand herrührten, dessen heiße Asche über den Leichnam geschüttet wurde (vgl. Schliemann Mykenae passim und dazu Naue Die Bronzezeit in Oberbayern S. 50 1 , sowie Olshausen Zeitschrift für Ethnologie 1892 Verh. S. 129 ff. über Leichenverbrennung, S. 163 ff. über Teilverbrennung) r oder davon, daß man die Leiche durch Feuer räuchern und dadurch haltbar machen wollte (s. darüber u.). Will man gegenüber diesen auf griechischem Boden uns somit begegnenden Zeugen für einst hier herrschende Beerdigungssitte den E i n w a n d erheben, daß alle diese Gräber der mykenischen und prämykenischen Epoche vielleicht noch nicht den Hellenen selbst zugesprochen werden dürften, so sind derartige

BESTATTUNG Zweifel ausgeschlossen bei den hart an der Schwelle der Geschichte liegenden Gräbern der sogenannten „Dipylonepoche", die auf dem großen Friedhof von Athen im Norden der Stadt seit 1891 (vgl. A. Brückner und E. Pernice Ein attischer Friedhof, Mittig. des Kaiserl. Deutschen Archäol. Instituts, Athen Abt. X V I I I ) bloßgelegt worden sind. Unter diesen 19 Dipylongräbern enthielt nur ein einziges eine Urne mit verbrannten Knochen, „und diesem Verhältnis entsprechen die Versicherungen griechischer Lokalantiquare, welche keinen irpoiatopf/o? tacso? mit verbrannter Leiche gesehen haben wollen". Aber auch die Ausgrabungen in Eleusis von Gräbern dieser Epoche führen zu dem Ergebnis, daß „damals die Beerdigung und nicht die Verbrennung der herrschende Brauch in Hellas war". Des genaueren sind in Eleusis (vgl. F. Poulsen Die Dipylongräber, Leipzig 1905, S. 15) 86 Beerdigungen neben 29 Fällen von Verbrennung nachgewiesen worden, wobei in 19 Brandgräbern die Leiche im Grabe selbst verbrannt worden war. Aus diesen Umständen ergibt sich, daß, wenn im h i s t o r i schen Griechenland Begraben und Verbrennen nebeneinander vorkommen (vgl. Göll Privataltert. S. 157, Rohde Psyche II 2 , 225+), eben dieser erstere Brauch als der ursprünglichere anzusehen ist (vgl. auch Mau Artikel Bestattung in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie und A. Engelbrecht Erläut. z. hom. Sitte der Totenbestattung, Festschrift f. 0. Benndorf. Wien 1898 S. 1 ff.). Die Anschauung Dörpfelds (Über Verbrennung und Bestattung der Toten im alten Griechenland, Z. f. Ethnologie 1905 S. 538 ff.), daß man in Griechenland niemals die Bestattungsart geändert, sondern von Anfang an bis in späte Zeiten die Toten zuerst, wie in Mykenae, geräuchert (angebrannt) und dann begraben habe, so daß von einer eigentlichen Leichenverbrennung überhaupt nicht gesprochen werden könne, ist schwerlich haltbar (vgl. auch E. Meyer Geschichte d. A. I 2 , 2 S. 172). 2. § 3. Es stimmt hiermit überein, daß im alten R o m eine feste Überlieferung bestand, nach welcher dem „Brennalter" das Begraben voraufging. Vgl. Plinius Hist. nat. VII, 187: Ipsum cremare apud Romanos non fuit veteris instituti; terra

103

condebantur et tarnen multae jamiliae priscos servavere ritus, sicut in Cornelia nemo ante Sullam dictatorem traditur crematus (vgl. auch Cicero De leg. II, 22, 56). Auf dasselbe weisen verschiedene alte Bräuche, wie vor allem der, bei der Verbrennung von Leichen ein Glied des Körpers abzuschneiden und besonders zu begraben, und endlich stimmen hiermit auch die Ergebnisse der Ausgrabungen insofern überein, als die Nekropole an der Porta Esquilina in ihrer untersten Schicht in Felsen gehauene Grabkammern mit unverbrannten Leichen enthielt (vgl. Marquardt Privatleben I, 330 ff.). Freilich muß auch die Sitte des Verbrennens in Rom und Latium sehr alt sein. Zwar bestand eine alte lex regia (vgl. M. Voigt Leges regiae S. 627) über den Kaiserschnitt, welche lautete: Negat lex regia mulierem, quae praegnans mortua sit, humari, anteqnam partus ei excidatur, die also Beerdigung voraussetzt; aber schon von Numa (Plutarch Cap. 22) wird berichtet, daß er die Verbrennung seines Leichnams verboten hätte, wonach diese Bestattungsart jedenfalls bekannt gewesen sein muß. Die X I I Tafeln (ed. Schoell) lassen beides zu, wie die Bestimmungen der tabula X zeigen: 1. hominem mortuum in urbe ne sepelito neve urito (vgl. Cicero De leg. II, 23, 58), 2. hoc plus ne facito : rogum ascea ne polito, 8., 9. neve aurum addito. cui auro dentes iuneti escunt, ast im cum illo sepeliet uretve, se fraude esto et. Aschenurnen zeigt auch bereits die zweite Bodenschicht des oben genannten Gräberfelds am esquilinischen Tore ebenso wie die Nekropole von Alba Longa (über die näheres bei Heibig Die Italiker in der Poebene, passim). Vor allem aber haben die Ausgrabungen Boni's auf dem römischen Forum einen spätestens dem VI. Jahrh. v. Chr. angehörigen Friedhof entdeckt, der überwiegend der Sitte der Leichenverbrennung angehörte; denn es fanden sich (nach dem ersten Bericht, den Chr. Hülsen Mittig. d. Archäol. Instituts, Rom. Abt. X X , 95 ff. hierüber veröffentlicht hat) 1 1 Brandgräber gegenüber 2 Bestattungsgräbern für Erwachsene und 9 für Kinder, wobei zu bemerken ist, daß auch nach der römischen Ü b e r l i e f e r u n g (Plinius Hist. nat. VII,

i04

BESTATTUNG

16, 72) K i n d e r , ehe sie einen Zahn hatten, überhaupt nur begraben und nicht verbrannt wurden. Früher und einheitlicher als in R o m wäre bei den U m b r e r n der Leichenbrand durchgeführt worden, wenn 0 . Montelius L a civilisation primitive en Italie mit Recht die großartigen, der späten Bronze- und älteren Eisenzeit angehörigen Brandnekropolen bei Bologna diesem Volke zuschreibt, während die ebendort und besonders bei dem unfern v o n Bologna gelegenen Marzobotto befindlichen Skelett gräber nach seiner Meinung den später in diese Gegenden vordringenden Etruskern angehörten. Diese scheinen im allgemeinen ihre T o t e n begraben zu haben; doch begegnen auch auf altetruskischem Boden große Verschiedenheiten: im Museo civico von Orvieto z. B. sieht man nur Skelettgräber, in Chiusi, dem alten Clusium, nur Urnen. Ein sicheres Bild der prähistorischen Verhältnisse Italiens mit Rücksicht auf Begraben und Verbrennen läßt sich noch nicht geben. Vgl. darüber auch M.'*Hoernes K u l t u r der Urzeit I I I (1912) und F. v. D u h n Das voretruskische und etruskische Bologna, Prähist. Z. V (1913), 472 ff. 3. § 4. Bei K e l t e n und G e r m a n e n kennen die ältesten römischen Autoren n u r den Leichenbrand. Vgl. für die G a l l i e r Caesar De bell. Gall. V I , 19: Funera sunt pro cultu Gallorum magnifica, et sumptuosa-, omniaque, quae vivis cordi fuisse arbitranlur, in ignem inferunt, etiam animalia, ac paulo supra hanc memoriam servi et clientes, quos ab iis dilectos esse constabat, iuslis funeribus confectis una cremabantur (vgl. dazu Pomponius Mela III, 2, 3 und Diodorus Siculus V, 28 sowie über die späteren irischen Zustände O' Curry Manners and customs I, C C C X I X ff.), für die G e r m a n e n Tacitus Germ. Cap. 27: Funerum nulla ambitio : id solurn observatur, ut corpora clarorum virorum certis lignis crementur. struem rogi nec vestibus nec odoribus cumulant : sua cuique arma, quorundam igni et equus adicitur. sepulcrum caespes erigit. Diese Nachricht des Tacitus wird bestätigt sowohl durch reichliche literarische Zeugnisse (gesammelt v o n J . Grimm Über das Verbrennen der Leichen K l . Sehr. II, 211 ff.), namentlich aus dem skandinavischen Norden, wie auch

durch zahlreiche Gräberfunde mit verbrannten Leichenresten. Die metallischen Beigaben dieser letzteren bestehen aus Bronze und Eisen. A b e r v o r ihnen liegen auf demselben Boden ältere Gräber, Dolmen, Ganggräber und Steinkisten (T. X Fig 2 und T . X I Fig. 3 u. 4) mit unverbrannten Leichen, die nach ihren Beigaben entweder in die Steinzeit oder eine ältere Epoche der Bronzezeit gehören. Der Übergang v o m Begraben zum Verbrennen scheint überall ein ganz allmählicher gewesen zu sein und findet i m a l l g e m e i n e n (s. u.) erst statt, nachdem der Gebrauch der Bronze (s. u. E r z ) festen Fuß gefaßt hat. So begegnen an vielen Orten zuerst große Steinkisten von Mannes länge mit der unverbrannten Leiche, dann treten ebenso große Kisten auf, die aber nur ein kleines Häuflein verbrannter Knochen enthalten, und erst nach und nach werden die Gräber kleiner, dem neuen Bedürfnisse der Leichenverbrennung angepaßt. In M i t t e l e u r o p a ist, wie die Untersuchungen der Hügelgräber zwischen Ammer- und Staffelsee und m der Nähe des Starnbergersees (vgl. J. Naue Die Bronzezeit in Oberbayern) gezeigt haben, die Leichenbegrabung (hier meist in gewölbartig gebauten Grabhügeln) während der älteren Bronzezeit noch in ausnahmslosem Gebrauch, und erst während der jüngeren Bronzezeit wird die Verbrennung der Leichen zur Regel, die aber noch immer der Ausnahmen nicht entbehrt. Ohne Zweifel ist also auf dem in historischer Zeit von Germanen und Kelten besetzten Boden ursprünglich begraben und nicht verbrannt worden; aber die Frage, v o n w a n n an dieser Boden von Indogermanen, d. h. v o n Kelten und Germanen oder ihren Voreltern, besetzt ist, kann nicht ohne weiteres und nicht nur in diesem Zusammenhang beantwortet werden (s. u. K e l t e n und u. G e r manen). 4. § 5 . Im O s t e n Europas begegnen beide Bestattungsarten anscheinend v o n der ältesten Zeit an. Dies gilt zunächst von den heidnischen Litauern und P r e u ß e n , hinsichtlich deren noch ein Vertrag mit dem Deutschen Orden v o m Jahre 1249 (vgl. Dreger Cod. Pomeran. diplom. Nr. 191) berichtet: promiserunt

Tafel X.

Bestattungswesen a. Fig. i .

Kuppelgrab bei Mykenae. Fig. 2.

S c h r ä d e r , Reallexikon.

2.A.

Aus S . Müller Urgeschichte Europas.

Steingrab.

S. 74.

Fundtafel Hannover.

V e r l a g von K a r l J . Trübner in Straßburg.

io6

BESTATTUNG

quod ipsi et heredes eorum in morluis comburendis vel subterrandis . . . vel etiam in aliis quibuscunque ritus gentilium de cetero non servabunt. Andrerseits werden v o n G e w ä h r s m ä n n e r n wie Peter v o n D u s b u r g und dem K a n o n i k u s S t r y i k o w s k i j aber a u c h ausführliche Beschreibungen v o n Verbrennungsfeiern angesehener Personen gegeben. Bei den S l a v e n (vgl. K o t l j a revskij Uber die B e g r ä b n i s b r ä u c h e der heidnischen Slaven, S b o r n i k X L I X , 241) wird im V I I I . J a h r h u n d e r t v o n Bonifacius hinsichtlich der W e n d e n V e r b r e n n u n g bez e u g t : Winedi, quod est foedissimum et deterrimum gervus hominum, tarn magno zelo matrimonii amorem mutuum servant, ut mulier, viro proprio mortuo, vivere recuset-, et laudabilis mulier inter illas esse iudicalur, quae propria manu sibi mortem intulit, ut in una strue pariter ardeat cum viro suo (s. auch u. W i t w e ) . Im I X . — X . J a h r hundert berichtet der A r a b e r I b n - D o s t a v o n Begräbnis bei den R u s s e n : „ W e n n ein angesehener Mann unter ihnen stirbt, so graben sie für ihn ein G r a b in der A r t eines geräumigen Zimmers. Dorthin legen sie den T o t e n , seine Kleider, goldene Ringe, die er einst trug, viele Nahrungsmittel, K r ü g e mit G e t r ä n k e n und andere leblose Gegenstände v o n W e r t . D a s Weib, das er liebte, wird lebendig in dem Grabe unterg e b r a c h t ; dann schließen sie die T ü r und sie stirbt d o r t " . Im X . J a h r h . erzählt der A r a b e r I b n - F a d h l a n ausführlich v o n der V e r b r e n n u n g eines russischen K a u f m a n n s bei den B u l g a r e n (s. u. T o t e n h o c h z e i t ) , und in Nestors A n n a l e n K a p . X h e i ß t es: „ D i e Radimiäen, V j a t i c e n und Severer h a t t e n einerlei B r a u c h W e n n einer gestorben war, m a c h t e n sie ein Leichenfest (trizna) über ihm, dann m a c h t e n sie einen großen Scheiterhaufen, legten den T o t e n auf diesen Scheiterhaufen und v e r b r a n n t e n ihn. D a n n sammelten sie die K n o c h e n in ein kleines G e f ä ß und stellten dies auf eine Säule (?) an den W e g e n " , wobei es die N i c h t e r w ä h n u n g anderer S t ä m m e vielleicht w a h r scheinlich m a c h t , d a ß bei diesen Beerdig u n g herrschte. A b e r a u c h aus den A u s g r a b u n g e n in den südlicheren Teilen R u ß l a n d s scheint hervorzugehen, daß Leichenbrand und B e e r d i g u n g hier seit uralter Zeit nebeneinander liegen. So sind '

einerseits im westlichen W o l h y n i e n h ä u f i g steinerne K i s t e n g e f u n d e n worden, die neben zweifellos steinzeitlichen A r t e f a k t e n primitive Gefäße m i t L e i c h e n b r a n d enthielten (vgl. A n t o n o v i c ü A r b e i t e n des X I . arch. Kongresses in K i e w , Moskau, 1901, russ., I 146 fr.). Andrerseits finden sich im galizischen Podolien u n d in W o l h y n i e n gleichartige K i s t e n mit S k e l e t t e n und S t e i n w e r k z e u g e n (vgl. HruSevskij Geschichte des ukrainischen Volkes I, 33). A m interessantesten, aber auch rätselhaftesten sind u n t e r den Ansiedlungen m i t Leichenbrand, die dem A u s g a n g der j ü n g e r e n Steinzeit zugerechnet werden, die sog. „ T e n n e n " oder „ P l ä t z c h e n " (plosiadki) — d. h. L e h m b a u t e n mit Begräbnisurnen (T. X I I Fig. 5) und einer hoch entwickelten T ö p f e r technik, v o n der u. G e f ä ß e einige P r o b e n gegeben sind. Ebenso wie die Litauer und Slaven, kennen endlich die T h r a k e r beide Bestattungsweisen (vgl. H e r o d o t V , 8 : raoai 8s Toìot sòSaifiooi aùttùv etaì aiòs • xpEii ¡lèv rjULSpa? irpoTiüstat TÒV vexpóv, xaè iravToìa v uilas saOXoüs ^aXxtü Sijioaiv xaxa 8s cppsai jit^sto fpfa*). (II. X X I I I , 164 ff.) E s ist dasselbe Bild, das sich im Norden n o c h im J a h r e 1341 n. Chr. bei dem Leichenbegängnis des litauischen Großf ü r s t e n Gedimin entrollt: „ E s w u r d e ein Scheiterhaufe v o n Fichtenholz errichtet und darauf der L e i c h n a m gelegt, m den K l e i dern, die der L e b e n d e a m meisten geliebt h a t t e , m i t d e m Säbel, d e m Speer, d e m K ö c h e r , dem B o g e n . D a n n w u r d e n j e zwei F a l k e n und J a g d h u n d e , ein gesatteltes lebendiges P f e r d und der getreuste L i e b lingsdiener unter W e h k l a g e n der umstehend e n Kriegerschar m i t v e r b r a n n t . In die *) „ S i e machten einen Scheiterhaufen, 100 F u ß i m Geviert, o b e n darauf l e g t e n sie betrübten Herzens den T o t e n . V i e l e w o h l g e n ä h r t e Schafe und s c h l e p p f i i ß i g e , gehörnte Rinder häuteten sie vor d e m Scheiterhaufen a b und richteten sie her. Und in das F e t t , das er a l l e n e n t n a h m , hüllte der h o c h g e s i n n t e A c h i l l e u s den T o t e n v o n K o p f bis zu Fuß. R i n g s herum häufte er die gehäuteten Leiber. K r ü g e v o n H o n i g u n d Fett setzte er darauf, an die Bahre sie l e h n e n d . Vier starkn a c k i g e P f e r d e warf er mit K r a f t a u f den Scheiterh a u f e n , laut a u f s t ö h n e n d . 9 H a u s h u n d e hatte der H e r r s c h e r ; auch v o n diesen warf er zwei auf den Scheiterhaufen, ihnen die K e h l e d u r c h s c h n e i d e n d , ferner 12 treffliche S ö h n e der h o c h g e s i n n t e n Troer, mit dem Schwerte sie t ö t e n d ; B ö s e s sann er im Herzen."

Flamme wurden Luchs- und Bärenkrallen geworfen sowie ein T e i l der dem Feinde a b g e n o m m e n e n B e u t e , endlich auch drei gefangene deutsche R i t t e r lebendig v e r b r a n n t " ( S t r y j k o w s k i , K r o n i k a polska, E n d e des X I . Buchs). § 4. Die A r t , wie diese B e i g a b e n d e m T o t e n mitgegeben w u r d e n , ist verschieden. W o B e e r d i g u n g s t a t t f a n d , w u r d e n sie m i t der Leiche ins Grab g e l e g t ; w o V e r brennung üblich war, w u r d e n sie e n t weder unversehrt neben der A s c h e n urne beigesetzt oder, w a s der spätere B r a u c h zu sein scheint, m i t auf d e m Scheiterhaufen v e r b r a n n t . A u s den literarischen Nachrichten ist für letzteres die E r z ä h l u n g des H e r o d o t (V, 92) v o n P e n a n d e r , dem T y r a n n e n v o n K o r i n t h , charakteristisch, der die K l e i d e r sämtlicher K o r i n t h i e n n n e n durch die F l a m m e des Scheiterhaufens der G a t t i n Melissa n a c h schickt, weil sie im Jenseits friert. S c h w e r ter und L a n z e n w u r d e n h ä u f i g z u s a m m e n ; gebogen, um mit in der U r n e u n t e r g e b r a c h t werden zu können (T. X V Fig. 15). § 5. Der G r u n d g e d a n k e aller dieser T o t e n b e i g a b e n v o n der ältesten Z e i t bis auf den heutigen T a g , wo, w i e wir sahen, der weißrussische B a u e r ein T a s c h e n t u c h m i t b e k o m m t , „ u m sich im Jenseits die Nase z u p u t z e n " , ist ohne Z w e i f e l z u n ä c h s t der, dem Verstorbenen e t w a s m i t z u g e b e n , was ihm im L e b e n nach d e m T o d e n ü t z l i c h und angenehm sein könnte, gleichviel, o b m a n sich dieses L e b e n n a c h d e m T o d e i m Grabe oder in einem fernen T o t e n r e i c h sich abspielen d e n k t (s. u. B e s t a t t u n g u n d u. T o t e n r e i c h e ) . In j e d e m Falle aber n i m m t bei der A u s w a h l der B e i g a b e n die v o n den V ä t e r n u n d V o r v ä t e r n e r e r b t e S i t t e einen wichtigeren P l a t z ein als klare Ü b e r l e g u n gen der Hinterbliebenen, w o und in welcher Weise diese Dinge d e m T o t e n v o n N u t z e n sein könnten. A u c h l ä ß t sich a n vielen Orten die B e o b a c h t u n g machen, d a ß , w a s ursprünglich ohne Z w e i f e l ernst g e m e i n t war, die N e i g u n g zeigt, sich später in S y m bole der Liebe und E r i n n e r u n g z u v e r wandeln. Besonders deutlich z e i g t sich dies bei den G r ä b e r n des v o n B r ü c k n e r und Pernice (Mittig. des K a i s e r l . D e u t s c h e n Inst., athen. A b t . X V I I I ) beschriebenen athenischen Friedhofs, der v o n prähistori-

BESTATTUNGSBEIGABEN s e h e n Zeiten bis ins I V . J a h r h . v . Chr. in Geb r a u c h w a r . In den G r ä b e r n d e r „ D i p y l o n e p o c h e " ( s . o . S. i 0 3 a ) mit f a s t ausschließlich S k e l e t t g r ä b e r n sind die reichlichen T o t e n beigaben (Waffen und Gefäße allerhand Art, T ö p f e m i t Speise und T r a n k , K n o c h e n v o n Stieropfern) ohne Zweifel f ü r den w i r k l i c h e n G e b r a u c h des T o t e n b e s t i m m t . In den s p ä t e r e n G r ä b e r n aber, B e e r d i g u n g s - w i e B r a n d g r ä b e r n , erhalten die M ä n n e r k a u m m e h r als einige wertlose G e f ä ß e , w ä h r e n d m a n den F r a u e n ihren S c h m u c k , d e n K i n d e r n ihr S p i e l z e u g beilegt (S. 189 ff.). In d e n B e r e i c h symbolischer A n d e u t u n g geh ö r t a u c h die in den A u s g r a b u n g e n s e i t der älteren B r o n z e z e i t v i e l f a c h n a c h w e i s b a r e S i t t e (vgl. S. Müller N. A k . I, 418 f.), dem T o t e n s t a t t eines wirklichen G e g e n s t a n d s eine M i n i a t u r n a c h b i l d u n g desselben ins G r a b m i t z u g e b e n (T. X V Fig. 16 a, b). Im B r i t i s c h e n M u s e u m in L o n d o n w e r d e n a u s römischen und angelsächsischen G r ä b e r n a u c h M i n i a t u r w e r k z e u g e (Säge, P f l u g usw.) gezeigt, die vielleicht den gleichen S i n n haben. § 6. E n t s p r i n g e n so die T o t e n b e i g a b e n in erster Linie der Fürsorge der H i n t e r bliebenen f ü r das W o h l b e f i n d e n des T o t e n , dessen F r e u n d s c h a f t sich zu erhalten sie alle U r s a c h e haben (s. u. A h n e n k u l t § 7), so m i s c h t sich hiermit noch ein z w e i t e r Ged a n k e . In dem germanischen R e c h t ist die Idee des T o t e n t e i l s ein w e i t v e r b r e i t e t e r Begriff, d. h. des Anteils, der d e m T o t e n v o n R e c h t s w e g e n a n seinem N a c h l a ß gebührt, und der nach B r u n n e r (Z. der S a v i g n y S t i f t u n g f. R e c h t s g e s c h i c h t e X I X , Germ. A b t . S. 107 ff.; v g l . d a z u S. Rietschel D e r „ T o t e n t e i l " in germanischen R e c h t e n , ebend a X X X I I , 297 ff.) ursprünglich aus der Fahrnis, dem ältesten persönlichen E i g e n t u m (s. d.) des Menschen, b e s t a n d , die m i t d e m V e r s t o r b e n e n ursprünglich b e g r a b e n oder v e r b r a n n t w u r d e . S p ä t e r h a t sich die K i r c h e diesen T o t e n t e i l als „ S e e l g e r ä t " oder „ S e e l s c h a t z " angeeignet. A u f griechis c h e m B o d e n h a t m a n vielleicht hierher d e n homerischen A u s d r u c k xtspsa xispsi£etv zu stellen, ' j e m a n d e m die l e t z t e n E h r e n erweisen', eigentlich aber ' i h m sein E i g e n t u m , d. h. das, w a s er e r w o r b e n h a t (xTspea: XTao|iat), darbringen'. Demnach w ü r d e n die T o t e n b e i g a b e n zugleich das

121

älteste P r i v a t e i g e n t u m der mit ihnen ausg e s t a t t e t e n darstellen, und w e n n wir uns das G r a b i n v e n t a r e t w a einer der alten H o c k e r leichen v o n R e m e d e l l o (T. X I V F i g . 1 1 ) im M u s e u m K i r c h n e r i a n u m z u R o m v e r gegenwärtigen, so steht nichts im W e g e , die B e i g a b e n derselben, nämlich drei steinerne Pfeilspitzen, einen k u p f e r n e n Dolch und k u p f e r n e K n ö p f e oder Perlen als das e i n z i g e der V e r w e s u n g entronnene, persönliche E i g e n t u m des V e r s t o r b e n e n aufzufassen. A n d e r e G r a b i n v e n t a r e dieser A r t sind das des S t e i n k i s t e n h o c k e r s aus d e m D e r f l i n g e r H ü g e l bei K a l b s r i e t h in der E n k l a v e A l l s t e d t (Großh. Sachsen) im s t ä d t i s c h e n M u s e u m z u W e i m a r : 1 großes T o n g e f ä ß und 1 flache Trinkschale, I Feuersteinbeil, 3 K n o c h e n n a d e l n , drei S c h m u c k s t ü c k e aus Schweinezähnen, 2 Schinkenknochen, 3 Schweinsfüße, I U n t e r k i e f e r v o m Hausschwein, o d e r das eines andern S k e l e t t s aus der G e g e n d der Z u c k e r f a b r i k in A l l s t e d t (ebenda): 1 H i r s c h h o r n a x t , 1 Feuersteinmesser, 1 Löffel aus einer F l u ß muschel, ein Schlagstein z u r R o h f a b r i k a tion v o n Beilen oder ähnlichen W e r k z e u g e n , ein a n g e f a n g e n e s Beil (ganz w i e in W e i ß rußland (s. 0. § 1) ein angefangener Schuh), eine A r t K n e b e l , vielleicht z u m Z u s a m m e n halten eines Gewandes, eine H a n d m ü h l e usw. A n d e r e L e i c h e n sind freilich noch viel ärmer a u s g e s t a t t e t , so d a ß jedenfalls sehr f r ü h eine V e r f l ü c h t i g u n g des g a n z e n G e d a n k e n s eingetreten sein m u ß , die in dem begreiflichen E i g e n n u t z der H i n t e r bliebenen ihren A u s g a n g s p u n k t h a t t e ; denn a u c h im Süden, w o das reichste ü b e r h a u p t b e k a n n t e G r a b i n v e n t a r wohl das I V . der auf der K ö n i g s b u r g in M y k e n ä durch H. S c h l i e m a n n bloßgelegten G r ä b e r enthielt, sind die griechischen und römischen G e s e t z g e b u n g e n f r ü h z e i t i g darauf gerichtet, dieser u n w i r t s c h a f t l i c h e n V e r w e n d u n g des Besitzes z u steuern (vgl. z B . die B e s t i m m u n g der zwölf T a f e l n : neve aururn addito, s. u. B e s t a t t u n g § 3). Ihren letzten A u s l ä u f e r e r b l i c k t E . R o h d e ( P s y c h e I 2 , 30 A n m . 3) in der kleinen Geldgabe, die m a n vielerorts d e m T o t e n m i t g i b t u n d die n a c h ihm eine A b l ö s u n g der V e r p f l i c h t u n g der Hinterbliebenen darstellt, d e m V e r s t o r b e n e n sein E i g e n t u m ins G r a b m i t z u g e b e n . Bei den Griechen

Bestattungswesen f . F i g . 14.

Graburne Vi.

Aus

S. Müller Nordische Altertumsk. I. — Fig. 1 5 .

Tenezeit. Aus Forrer Reallexikon S. 274. — Fig. 1 6 a und b.

Gerollte Waffen der

Schwertnachahmung und wirkliches Schwert.

Aus S. Müller Nordische Altertumsk. I. S c h r ä d e r , Realle.tikon.

2.A.

Verlag von K a r l J . Trübner in Strafiburg.

BESTATTUNGSBEIGABEN—BESTATTUNGSBRÄUCHE sei dieser Obolus als „Charonsgroschen", d. h. als Fährgeld für den Totenfährmann Charon, umgedeutet worden, während wir oben sahen, daß die Weißrussen die offenbar gleichartige Geldgabe als „Preis für eine Stelle irn Jenseits" auffassen. In Jena versicherte dem Verf. eine der Leichenfrauen, daß die Mitgabe eines Fünf- oder Zehnpfennigstücks die einzige Totenbeigabe sei, die noch in niederen Kreisen vorkomme, und daß man bei ihrer Verabreichung die (charakteristischen) Worte spreche:

II, 1 79 ff.) ausgegangen und gezeigt werden, inwieweit diese im Süden, bei den G r i e c h e n (vgl. Rohde Psyche I2, 218 ff., 1. v. Müller Privataltertümer®, K. F. Hermann Lehrbuch der griech. Privataltertümer3) und R ö m e r n (vgl. Gallus, ed. Becker III, 481 und Marquardt Das Privatleben der Römer I, 330fr.) wiederkehren. Die a l t i n d i s c h e n Toten- und Bestattungsbräuche sind von W. Caland in den Verhandelingen der koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam I. Nr. 6, Amsterdam 1896, dargestellt worden. Im „Hier hast du deinen Zehrpfennig, 1 allgemeinen ist heranzuziehen Sartori L a ß mir meinen Nährpfennig." Die Speisung der Toten, Programm des S. auch u. W i t w e (Witwenverbrennung) Gymnasiums zu Dortmund 1903 und E. und T o t e n h o c h z e i t . Samter Geburt, Hochzeit und Tod, Leipzig • und Berlin 1911. Es lassen sich sechs Bestattungsbräuche. Hauptakte einer rituellen Bestattung unVergleichung der bei den idg. Völkern beterscheiden: 1. die Ausstellung der Leiche, gegnenden Bestattungsbräuche, besonders der 2. die Leichenklage, 3. der Leichenzug, slavischen und litauischen mit den griechischen. 4. die eigentliche Bestattung, 5. das Die Quellen § i . i . Die Ausstellung der Leiche Leichenmahl, 6. die Leichenspiele. Zum § 2. 2. Die Leichenklage § 3. 3. Der LeichenSchluß soll dann noch 7. von den Grabzug § 4. 4. Die Bestattung selbst § 5. 5. Das Leichenmahl § 6. 6. Die Leichenspiele § 7. hügeln berichtet werden, die an vielen 7. Der Grabhügel § 8. Orten über dem Grab oder der Urne errichtet werden. § I. Ob nun in der idg. Urzeit der I. §2. D i e A u s s t e l l u n g d e r L e i c h e Tote begraben oder verbrannt wurde, Bei den Weißrussen: in jedem Fall muß seine B e s t a t t u n g II (griech. irpoilcatc). In funeribus hic servatur ritus a rusticanis. (s. d.) schon damals von einer langen Defunctorum cadavera vestibus et calceis inReihe feierlicher Bräuche begleitet geduuntur et erecta locantur super sellam, cui wesen sein, die sich durch eine Verassidentes illorum. propinqui perpotant ac gleichung der idg. Einzelvölker zum Teil helluantur (Menecius S. 391). „ M i t dem noch ermitteln lassen. Eine solche VerErscheinen der Hausleute und der Vergleichung soll hier unternommen werden, wandten erfolgte die Aufbahrung des Toten indem die wichtigsten Analogien hervorauf dem kutü, worunter man in diesem gehoben werden sollen, die sich auf dem Fall nicht die Ecke unter den HeiligenGebiete des Bestattungswesens besonders bildern, sondern die Bank gegenüber der bei den Indogermanen Europas finden. Eingangstür verstehen muß. Nebst andern Dabei soll von den n o r d e u r o p ä i s c h e n , Wünschen bezüglich eines „anständigen namentlich von den in reicher Menge überTodes" — z B . daß in der Todesstunde alle lieferten b a l t i s c h e n u n d s l a v i s c h e n Verwandten anwesend sein möchten, daß Bräuchen (vgl. J. Menecius De Sacrificiis der Sohn dem Toten die Augen schließen, et Idolatria veterum Borussorum etc. in die Tochter die Totenklage anstimmen Scriptores Rerum Livonicarum II, 389; möchte — wünscht der weißrussische Kotljarevskij Über die Begräbnisbräuche Bauer nach dem Tode auf seiner eigenen der heidnischen Slaven, Sbornik X L I X ; Bank zu liegen: er ist nicht „anständig" P. V . Sejn Materialien zur Kenntnis des gestorben, wenn er auf dem kutü in einem Lebens und der Sprache Weißrußlands, fremden Hause gelegen h a t " (Sejn 1 ). „Jeden Sbornik LI, 3 = S e j n 1 und Der Großrusse Toten kleideten sie in reine, weiße, im in seinen Liedern, Bräuchen usw., St PeHause hergestellte Kleidung sowie in neue tersburg 1898, 1900 II, 777 ff. = Sejn 2 ; Bastschuhe, an deren Stelle in reicheren M. Murko Das Grab als Tisch, W. u. S.

124

BESTATTUNGSBRÄUCHE

Familien Stiefel t r a t e n " (Sejn ibid.). „ D e m T o t e n die Augen zu schließen, sind die nächsten Verwandten unweigerlich verpflichtet, wobei sorgfältig darauf geachtet wird, jede mögliche Verletzung v o m Leichnam fernzuhalten, den sie alsbald waschen, solange er noch nicht erkaltet ist." „ M a n kleidet den T o t e n in eine vollständige Sommerkleidung, d. h. über der Unterwäsche ist eine Sommerbluse, die auch gegürtet wird; auf den Kopf setzt man ihm in der Regel einen H u t " ( S e j n 1 S. 518). „ M a n legt den Toten auf eine lange, breite Bank oder auf ein eigens dazu hergestelltes Gerüst mit dem K o p f nach dem „schönen W i n k e l " , d. h. den Heiligenbildern" (5. 1 S. 531). „ M a n legt den T o t e n in die Mitte der izba, mit den Füßen zur T ü r " ( § . 1 S. 5 5 1 ) . „ A m Fenster, hinter dem der T o t e liegt, wird zum Zeichen der Trauer ein Handtuch aufgehängt oder eine Stange mit einem Flachsbündel (?) aufgestellt" (S. 1 S. 520, 509). A l l e diese Züge kehren mutatis mutandis auch bei G r i e c h e n und R ö m e r n wied e r : Nachdem der letzte H a u c h entwichen ist, werden Augen und Mund dem Verstorbenen von den nächsten Verwandten geschlossen; dann wird die L e i c h e gewaschen, in reine weiße Kleid e r gehüllt und mit den Füßen zur Tür gewendet (ävä irpöOupov TSTpa|i(XEVO?, II. X I X , 212), feierlich aufgebahrt. Kypressenzweige, a n der Haustür befestigt, verkünden, daß hier ein Toter ruht. Mehrere Vasen der Dipylonepoche (s. o. S. i 0 3 a ) bringen die upobEaic mit dem an sie anschließenden üpijvos und der lxva£ 'Drohne', ecvSp^vi} 'Waldbiene', russ. meli, smelï 'Hummel, Erdbiene', mhd. hummen 'summen', ahd. humbal, lit. kämme 'Feldbiene', altpr. camus 'Hummel' usw. (vgl. Berneker Slav. et. W b . I, 167 und 552). L a t . apis, gall. am(p)ella''Bienensug' (eine Pflanze) erinnern an das oben genannte ägyptische W o r t (eine Verknüpfung mit npers. eng 'Biene' versucht P . Horn Grundriß der npers. Et. S. 254 ff.); ahd. imbi ist entweder = griech. Iritis 'Stechmücke' oder entspricht nach Lidén Studien z. altind. und vergl. Sprachgeschichte S. 71 dem ir. imbed 'multitudo' („Schwärm"). Griech. xijtpr/V 'Drohne' dürfte mit altsl. capü 'Biene' v e r w a n d t sein. § 3. Die Honigbiene k o m m t spontan in dem größten Teil Europas, namentlich auch im südlichen R u ß l a n d , vor, wo östlich v o n dem Mittellauf der W o l g a zwischen Orenburg und P e r m das ,, Honigl a n d " der heutigen Baschkiren, größtenteils Steppengebiet, sich erstreckt (vgl. über dasselbe F. W. Gross Das neue Ausland I. Jahrg. H. 1 7 — 1 9 ) . In Asien ist die Honigbiene dagegen nur in einer schmalen Zone zu Hause, die v o n West nach Ost über Kleinasien, Syrien, Nordarabien, Persien, Afghanistan, das Himalayagebirge, Tibet und China läuft. Als nicht ursprünglich soll sie in Turkestan, also in den Oxus- und Jaxartesländern, nachgewiesen worden sein, wo v o n J. G. R h o d e an (vgl. V f . Sprachvergleichung

und Urgeschichte Is, S. 9) bis heute die Ursitze der Indogermanen v o n zahlreichen Gelehrten gesucht worden sind, und jenseits des Ural, in Sibirien, wo sie j e t z t zwar ebenfalls verbreitet, aber erst seit dem Jahre 1775 eingeführt worden sei (vgl. F r . T h . K o p p e n Ein neuer tiergeographischer Beitrag zur Frage über die Urheimat der Indoeuropäer und Ugrofinnen Ausland 1890 Nr. 51). Den Mittelpunkt der beachtenswerten Ausführungen dieses Naturforschers bildet die merkwürdige Übereinstimmung des oben besprochenen idg. *medhu- mit der finnischugrischen Benennung des Honigs (nicht Metes), finn. mesi, St. mete-, mordv. med, 6er. my, syrj. ma, ostj. mag, wog. mau, ung. mez, eine Übereinstimmung, die nach W . Thomsen Über den Einfluß d. germ. Sprachen S. 2, Berönnger S. 200 n i c h t auf späterer Entlehnung des Finnischen aus einer idg. Einzelsprache beruhen kann, so daß hier ein gemeinsamer, prähistorischer Besitz der Indogermanen und Finnen oder nach dem Obigen (S. I39 b ) eine prähistorische Entlehnung des Indogermanischen aus dem Finnischen ( . ^ v o r z u liegen scheint. S. u. U r h e i m a t . § 4. Eigentliche B i e n e n z u c h t ist erst nach Trennung des idg. Urvolks, das seinen Honigbedarf noch aus den natürlichen Höhlungen der W a l d b ä u m e gedeckt haben wird, aufgekommen, im Norden Europas zunächst die Waldbienenzucht an künstlich hergerichteten Z e i d e l b ä u m e n , im S ü d e n die zahme Bienenzucht in B1 e n e n s t o c k e n , die dann allmählich auch nach dem Norden vorgedrungen ist. Bei Homer läßt sich noch keine Spur derselben nachweisen, obgleich sie in Ä g y p t e n , wo das Bild der Biene als Hieroglyphe für den K ö n i g gebraucht wird, in Assyrien und Babylonien (vgl. B. Meißner Assyr. Stud. V, 25) uralt ist. Erst in der hesiodeischen Theogonie, wo auch die Arbeitsbienen (¡jiXwsai) und Drohnen (jojorjvs;) zuerst unterschieden werden, treten die künstlichen Bienenkörbe, die S^VY) und sijißXot (: ahd. seim 'Honigseim', altn. hunangsseimr ' W a b e ' ? vgl. P o t t Beitr. z. vergl. Sprachf. II, 277) hervor, die Xenophon A n a b . IV, 8, 20 auch im Lande der Kolcher vorfand. Ihr Honig machte trunken, j a

BIENE, BIENENZUCHT

141

(vgl. got. triu, *trewa-), eigentl. ' B a u m ' , gemeinslav. russ. usw. borii (zuerst in der zweiten Redaktion der russischen Pravda), eigentl. „ d i e Höhlung, die in einem lebendigen B a u m zur W o h n u n g für die Bienen ausgemeißelt i s t " (Aristov a. u. a. 0.), wohl zu der Sippe von ahd. borSn, lat. forare gehörig, russ. dèli (vgl. R . Gauthiot aaO. S. 275): lett. déjele ' B a u m , in den ein Bienenstock hineingebohrt werden kann', und in seiner Wurzelsilbe vielleicht zu ahd. zidal in zldaläri, zidalweida gehörig (mndd. iil-bere 'Honigbär'). Vgl. noch altpr. caltestislokis 'czidelber': äech. kldt (*kolt-) 'Klotz, Bienenstock'. Später m a c h t man K l ö t z e mit Höhlungen, die man an den Bäumen aufhängt, und schließlich stellt man diese Klötze, zunächst senkrecht, dann wagerecht auf dem Erdboden in Waldgärtchen auf. D a diese w a g e recht aufgestellten K l ö t z e eine große Ähnlichkeit mit Holztrögen usw. haben, erklären sich hieraus Benennungen des Bienenstocks wie ahd. biutta 'Beute, Backtrog, Bienenkorb', agls. hyf, engl. hive = lat. cüpa, litauisch und slavisch awilys - ulej : lat. alveus 'Trog', das auch selbst 'Bienenkorb' bedeuten kann (vgl. A. Bielenstein Die Holzbauten und Holzgeräte der Letten I, 184 ff.: Bienenstöcke, Aristov Gewerbewesen des alten Rußland, russ., Petersburg 1866, S. 31, A. Jermolov Landwirtschaftliche Volksweisheit III, 219 ff.). Vgl. noch ahd. binikar, mhd. imbenvaz, beide eigentl. 'Bienengefäß' und elsäss. bungst, eigentl. 'Baumkasten'. Auf südliche Einflüsse weist ahd. kafteri aus spätlat. capisterium 'Behälter' (frz. chatoire 'Bienenkorb'). § 6 . Zwei n o c h n i c h t a u f g e k l ä r t e B e zeichnungen des Honigs sind gemeingerm. ahd. konang (vgl. sert. kdnaka- 'Gold'?) und altsl. strüdü (stridii, stradai). Vielleicht darf letzteres mit mhd. strutzel, struzel, kärnth. strutz, unserem „ S t r i e z e l " verglichen werden, das sich dann als ein mit Honig angemachtes Gebäck verriete. Die kulturhistorische Bedeutung des Honigs als des hervorragendsten Versüßungsmittels der Speisen und Getränke ist im A l t e r t u m und Mittelalter eine außer' ) „ H i e r kommt auch Weizen und Honig vor, ordentliche, bis sie durch den allmählich aus denen man den Trank bereitet."

halb wahnsinnig. W i e alt im N o r d e n , auf keltischem und germanischem Boden, die Waldbienenzucht sei, l ä ß t sich nicht sagen. Nachrichten wie die des Strabo IV, p. 201 über das hochnordische Thüle: irap' oi? 8s aixoc xai fjisXi ft'-fve-at xal to 7:o(jta ¿vxsuöev E/etv J) oder die des Plinius Hist. nat. X I , 33, nach der man in Germanien eine W a b e (mhd. räze, das schon in der Reichenauer Glossenhandschrift als frata mellis bezeugt ist) von 8 F u ß Länge gefunden habe, können sich auch auf das Erzeugnis wilder Bienen beziehen. Jedenfalls nehmen aber die leges barbarorum v o n A n f a n g an sowohl auf die Zeidelweide, wie auch auf die Bienenzucht in ordentlichen Bienenhäusern eingehende Rücksicht (vgl. darüber A n t o n Deutsche Landwirtschaft I, 163 ff.). § 5. V o r allem aber ist der O s t e n E u r o p a s von jeher das gelobte Land der Bienenzucht gewesen. Schon v o m Anheben der Uberlieferung an bilden Honig und Wachs den Hauptreichtum des alten R u ß land, mit denen es seinen Bedarf an westlichen K u l t u r p r o d u k t e n bezahlte. Schon nach dem Bericht A b r a h a m Jakobsens v o m Jahre 973 zeichneten sich die Slavenlande durch Überfluß an Korn, Fleisch, H o n i g und Fischen aus, und aus den Jahren 155g und 1616 (vgl. A . Brückner Archiv f. slav. Phil. X X I X , 434) besitzen wir ein hochaltertümliches polnisches Zeidlerrecht. Im Osten Europas, vor allem in den baltischen Provinzen, kann man denn auch heute noch die E n t w i c k lungsgeschichte der Bienenzucht studieren. Dem Gange der N a t u r folgend, beginnt man damit, W a l d b ä u m e in ziemlicher Höhe v o n der Erde für die Bienen auszuhöhlen, so daß der Imker zunächst einfache, dann verwickeitere Mittel anwenden muß, um sich zu seinen Bienenstöcken zu erheben. Daher rühren für den Imker der altrussische Ausdruck drevolazecü, eigen tl. 'Baumkletterer' (: russ. Idziti 'klettern') und der litauische bitkopis, eigentl. 'Bienenkletterer' (lit. köpti 'klettern'). Derartige Bienenstöcke selbst heißen altpr. drawine, lit. drawis, lett. drawa

BIER

142!

aufkommenden Z u c k e r (s. d.) eingeschränkt wird. — Allgemeines über Bienen und Bienenzucht s. bei E. Hahn Die Haustiere S. 379 ff. Über die an den Besitz von Waldbienen sich knüpfenden Rechtsfragen vgl. A. J. Hildebrandt Eigentumsrecht an Bienenschwärmen, betrachtet in Verbindung mit dem Eigentumsrecht an Tieren überhaupt, Utrecht 1908 (holl.). Bier. Linguistische Spuren eines ureuropäischen Biers § J. Geschichtliche und sprachliche Zeugnisse für den Genuß des Bieres in Alteuropa, Vorderasien und Ägypten § 2. Es fehlt ursprünglich der Hopfen; andere Ingredienzien § 3. Die Kunst des Malzens. Übergang vom Met zum Bier § 4. Bereitungsstellen des Bieres § 5. Die Arier § 6.

§ I. Mit dem A c k e r b a u (s. d.) und dem Anbau der wichtigsten Getreidearten waren die Voraussetzungen für die Herstellung eines bierartigen Getränkes an Stelle des urzeitlichen M e t e s (s. u. B i e n e ) gegeben. Ob die ersten Anfänge eines solchen bereits in die Zeit vorhistorischer Zusammenhänge zurückgehen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Immerhin weisen Gleichungen wie gemeingerm. ahd. briuwan, agls. breowan, altn. brugga ' b r a u e n ' : thrak.-phryg. ßpüxov 'gebrautes', ßpoöxo;' EX xpi&ojv IRÖFIA

Hes.

(vgl. a u c h

lat.

de-

fru-tu-m 'eingekochter Most'), ferner anscheinend urverwandte Ausdrücke für Hefe und Treber (Trester): lat. fermentum 'Hefe, Gärungsmittel, Bier' = agls. beorma 'Bärme' (Bierhefe), alb. brume 'Sauerteig' und lat. fracss 'Ölhefe' (von anderen zu mir. mraich 'Malz' s. u. gestellt) = ahd. trestir aus *trehstir, agls. dcerste, sowie alb. drd 'Bodensatz des Öls' aus *draga = altpr. dragios, lit. drage, altn. dregg aus *drag]a 'Hefe' (über altsl. drozdijz vgl. Berneker Slav. et. Wb. I, 228) darauf hin. Vgl. auch die auf den germanisch-slavischen Norden beschränkte Übereinstimmung von agls. ealu, ealod, altn. öl, lit. aliis (woraus finn. olüt) 'Bier', altsl. olü 'Bier', 'sicera', altpr. alu 'Met', St. *alut- (das E t y m o n s. u. A l a u n , wonach *alut- „das bittere" Getränk ist). Die Annahme (E. Schröders bei Hoops R. L. I, 279), daß es sich bei dieser Reihe um eine E n t l e h n u n g aus

dem Germanischen handle, ist unbegründet (vgl. Thomsen Beröringer S. 158). — Waren aber von den Indogermanen in vorhistorischer Zeit Anfänge der Bierbereitung gemacht worden, so hatten jedenfalls G r i e c h e n und R ö m e r , in ihrer neuen Heimat mit dem W e i n e (s. d.) bekannt geworden, dieselben längst vergessen, ganz ähnlich, wie die schon in der Urzeit bekannte B u t t e r (s. d.) im Süden hinter der Gabe des Ö l b a u m s (s. d.) zurückgetreten ist. Doch haben sie uns zahlreiche Nachrichten hinterlassen, welche von der Bekanntschaft mit einem aus Getreide hergestellten Trank im ganzen übrigen Europa und dem angrenzenden Kleinasien sowie im alten Ägypten zeugen. Die wichtigsten derselben nebst den betreffenden Namen des Bieres in den einzelnen Ländern sind folgende. § 2. Die älteste K u n d e von dem Genuß eines „ B r ä u s " bei P h r y g e r n und Thrakern gibt der parische Dichter Archilochus (Athen. X p. 447): «Sarap 81' aüXoü ßpötov t) öpijiS avrjp fj Opu£ IßpuCs, xußoa 5' -Jjv uovsujiEvrj *) (vgl. dazu Vf. K . Z. N. F. X , 5, 470 f.; s. auch u.). Das in diesen Versen zuerst erwähnte ßpüxov 'Bräu' wurde schon erklärt. Die auf Pfählen wohnenden P ä o n i e r tranken nach Hekataeus (b. Athen. 1. c.) ebenfalls ßpüxov an0 xüiv xptöscuv, dazu TzapaßirjV d m •/.¿•¡ypou (Hirse) xa't xovuirji (d. h. mit Zutat des stark duftenden Krautes xovu£a). In I l l y r i e n und P a n n o n i e n wurde ein Bräu getrunken, das die Römer sabaja, sabajum. nannten; später tritt in diesen Gegenden ein zuerst im Maximaltarif des Diocletian (ed. Blümner S. 70) genanntes camum-y.d\*ov auf. Von den drei zuletzt genannten Ausdrücken scheint nur bei dem illyrisch-pannonischen sabaja (vgl. die Stellen bei V. Hehn Kulturpflanzen 8 , S. 148) eine Anknüpfung möglich zu sein, insofern es naheliegt, mit ihm den Namen des thrakisch-phrygischen Dionysos, Sabazios, zu verbinden (vgl. u. altgall. Braciaca 'Gott des Malzes'). Wohl gleichfalls ' ) „Gleichwie durch eine Röhre der Thraker oder Phryger sein Bräu hinuntergurgelt, also mit vorgebeugtem Kopf duldete sie . . . "

BIER «ine nordische Bezeichnung des Bieres ist •das von Aristoteles (b. Athen. 1. c.) in seiner verlorenen Schrift irspt fxsOyjC genannte mvov, an slav. pivo 'Getränk, Bier', altpr. piwis 'Bier' (s. u.) erinnernd. Die Bekanntschaft der alten D e u t s c h e n mit dem braunen Tranke bezeugt Tacitus •Germ. Cap. 23: Potui humor ex hordeo aut frumento, m quandam similitudinem, vini corruptus, wobei man unter frumenlum nach ital. formento, altfrz. jrument, frz. froment am wahrscheinlichsten Weizen zu verstehen haben wird. Ein altgermanischer Name für das Bier wird aber v o n den Römern nicht überliefert. Neben agls. ealu, altn. öl (s. 0.) besteht ahd. bior, agls. beor (woraus altn. bjorr entlehnt ist), das eine Erklärung noch nicht gefunden hat; •denn weder die A n n a h m e einer Entlehnung v o n ahd. bior aus mlat. bibere, *biver (so zuletzt M. Heyne Nahrungswesen S. 341), oder aus altsl. pivo, altpr. piwis (E. K u h n K . Z. X X X V , 313 f.), noch die Verbindung mit lat. fernere, fermenium {so E. Schröder bei Hoops R. L . I, 280), noch endlich die A n k n ü p f u n g an agls. beo, altn. bygg 'Gerste' (so Kögel P. Br. Beitr. I X , 537, K l u g e 8 s. v . Bier) sind Iaut•oder wortgeschichtlich überzeugend. Einen neuen Erklärungsversuch s. u. § 4. Überaus häufig sind ferner die Nachrichten der Alten über das k e l t i s c h e Bier, deren älteste in dem bei Strabo (IV, p. 201) aufbewahrten Bericht des P y t h e a s hinsichtlich der britischen Kelten enthalten ist. Der altgallische Name des Getränkes lautete xopjxct, xoüp[u; er ist noch in ir. cuirm usw. erhalten. Ein zweiter weitverbreiteter keltischer N a m e des Bieres liegt in ir. lind, kymr. llynn vor = *lendu, noch unaufgeklärt. In Zusammenhang aber mit y.op|xa, xoupjit steht offenbar das v o n Plinius X X I I , 164 aus Spanien gemeldete cerea, das in Gallien nach demselben A u t o r cervesia (so mlat. u. rom.) lautete. V g l . noch Plinius X I V , 149: Est et occidentis populis sua ebrietas fruge madida pluribus modis per Gallias Hispaniasque, nominibus aliis sed ratione eadem. Hispaniae iam et vetustatem ferre ea genera docuerunt. Über mlat. camum, camba, cambariiis = Gambrinus (?) vgl. A l o y s Schulte a. d. § 3 a. E. ange-

143

führten Orte. — Wie der Gebrauch des Bieres im Osten zu Thrakern, P h r y gern und Armeniern (s. u.) übergeht, so l ä ß t er sich im Westen v o n Spanien hinüber nach Afrika verfolgen. Im alten Ä g y p t e n war Bier neben dem Wein der Vornehmen das gewöhnliche Volksgetränk; doch gehört der von den A l t e n für das ägyptische Bier gebrauchte Ausdruck Cu&o? k a u m dem Ägyptischen selbst an, welches das Bier vielmehr hekt nennt, sondern entstammt eher dem Griechischen (C59oc 'Bier' : Cup.7) 'Sauerteig'; vgl. oben lat. fermenium). Jenes ägyptische hekt aber scheint v o n babylonisch Jiiftu abzustammen, das ein mit Wasser gemischtes Bier bezeichnet, wonach also dieser T r a n k auch im ältesten Mesopotamien nicht unbekannt war. Vgl. F. Hrozn^ Über das Bier im alten Babylonien und Ä g y p t e n (Anz, d. k. A k . d. W. zu Wien, phil.-hist. K l . 1910 Nr. X X V I , S und Das Getreide im alten Babylonien I). Interessante Nachrichten über die spätere ägyptische Bierbrauerei aus der Ptolemäerzeit enthält der A u f satz Karl Wesselys Zythos und Z y t h e r a ( X I I I . Jahresb. d. k. k. Staatsgymnasiums in Hernais. Wien 1887). § 3. Hinsichtlich der B e s c h a f f e n h e i t des ältesten europäischen Bieres muß man den Gedanken an unser modernes Getränk ziemlich beiseite lassen. Zunächst fehlte ihm der H o p f e n . Über diese K u l t u r pflanze ist in einem besonderen Artikel gehandelt worden, in dem gezeigt worden ist, daß der A n b a u und die Verwendung des Hopfens beim Bierbrauen sich erst im Mittelalter durch slavische Vermittlung v o n finnischen und tatarischen Völkern her in Europa verbreitet hat. Indessenist, wie die Erklärung der schon oben (S. I42 a ) angeführten nordeuropäischen Reihe *alut-zeigt, der Hopfen in Europa nicht das erste Ingredienz gewesen, welches man verwendete, um dem Biere einen aromatischen und bitterlichen Geschmack zu geben. Schon oben lernten wir bei den Päoniern die xovuCa kennen. In Ä g y p t e n verwendete man hierzu nach Columella X , 114 (vgl. Wessely S. 39) siser (Siurn Sisarum L.), Assyria radix (Rettig) und Wolfsbohne (Lupinus kirsutus und anguslifolius L.). In Deutschland kommen

144

BIER

neben anderen Zutaten noch der Gagel das gleiche spielen die oben genannten [Myrica gale) und der Sumpfporst (Ledum, Verse des Archilochus an, und dieselbe palustre) namentlich für das Grutbier in Trinkweise wird durch chetitische, b a b y Betracht (vgl. M. Förster Archiv f. das lonische und ägyptische Funde (vgl. E . Studium der neueren Spr. u. Lit. C I X , Meyer Reich und K u l t u r der Chetiter, 323 f., A l o y s Schulte V o m Grutbiere, A n Berlm 1914) bezeugt (Fig. 9). Vielnalen des hist. V e r leicht wird die eins für d. Nieder von Xenophon berhein H e f t L X X X V schriebene A r t zu und E. Schröder trinken auch durch aaO. S. 282). A u c h Grabfunde aus an Eichenrinde, Gordion (Fig. 10) Fichtensprossen, erläutert. Doch Schafgarbe u. dgl. wurde bei den K e l als Bieringredienten nach Posidozen kann man dennius (bei Athen. Fig. 9. Durch ein Rohr saugender Biertrinker. ken (vgl. O'Curry IV p. 152) das Aus E. Meyer Reich und Kultur der Chetiter. Manners and cusBier bereits aus toms of the ancient Irish I, C C C L X X I I I ) . xuaOoi und bei den Germanen und an§ 4. Z w e i t e n s hat sich die K u n s t des deren Völkern aus Hörnern (s. u. H o r n ) M a l z e n s offenbar erst ganz allmählich in getrunken. Heute wurde jenes alteuropäiEuropa entwickelt. In der ältesten Zeit sche Bier zubereitet und morgen schon wird man das gequollene Getreide unvertilgt. So beschreibt es Lasicius D e mittelbar zur Bierbereitung benutzt haben. diis Samagitarum S. 44 bei den Litauern:

Fig. 10. Schöpfgefäß.

Grabfund aus Gordion.

Jahrbuch des Instituts,

Athenische Abteilung X V I , 7.

So k o m m t es, daß bei den Armeniern nach Xenophons Anabasis (IV, 5, 26) in den •/p£i8^s 'luftartig' (vom Meere gesagt), «XiTcopcpupo? 'dunkelblau wie das Meer' (von Wolle und Gewändern), ioei; 'violenfarbig' (vom Eisen), ioSvEtp^; 'dunkel wie Violen' (von der Wolle der Widder des Polyphem), iosiSii? 'violenartig' (von der Färbung des Meeres). Der Sprache des gewöhnlichen Lebens gehört das seltene laaxtliorfi 'blau wie Waid' (vgl. ahd. weitin 'waidfarbig') an. Ebenso das gewöhnliche Wort für blau im Lateinischen: caeruleus aus *caeluleus : caelum 'Himmel' (so schon nach den Alten). Lat. lividus, livor, liveo können von lit. slywä, altsl. sliva ' P f l a u me' (s. d.) abgeleitet sein, so daß mit lividus 'bleifarbig, bläulich, blau' ursprünglich die Farbe der wilden Schlehe gemeint wäre (vgl. auch nsl. sliv 'bläulich'), doch ist auch die Ansetzung eines ursprünglichen Farbenadjektivums *slivo- möglich (vgl. Solmsen K . Z. X X X V I I , 598). Vgl. noch alb. kältere 'blau' eine Weiterbildung von lat. caltha, calta, callum, das verschiedene blaue, aber auch gelbliche Blumen bezeichnet (vgl. G. Meyer Et. W. S. 170, G. Goetz Thes. Gloss. I, 170). § 3. Hierher wäre auch das vielbesprochene homerische v.uavoü? zu stellen, als von xuavog abgeleitet. Da aber dieses letztere Wort etymologisch und seinem Sinne nach noch unerklärt ist (einige denken an Zusammenhang mit russ. svinecü 'Blei'?), so fehlt die Möglichkeit, den Ausgangspunkt dieser Farbenbezeichnung zu bestimmen. In nachhom. Zeit wurde xuavs? sicher im Sinne des ägyptischen chesbet 'Lasurstein' (daneben auch ägypt.

149

uknü 'Lasurstein'), Ultramarin, Kupferlasur, Bergblau' (vgl. Lepsius Die Metalle in den ägypt. Inschriften Abh. d. Berl. A k . d. W., phil.-hist. K l . 1871 S. 117), also im Sinne einer eminent blauen Farbe gebraucht. So erklärt sich das späte •fj xuavoc 'Kornblume' und anderes. Für das homerische xoavoöc ist aber anzumerken, daß es niemals von unzweifelhaft blauen Gegenständen (vielmehr von Augenbrauen, Haar und Bart, Wolken, dunklen heranziehenden Scharen usw.) gebraucht zu werden scheint. § 4. Noch nicht sicher erklärt ist auch das lat. venelus 'blau', bei Goetz Thesaurus I, 399, 419 außer mit violacium ( : viola) auch mit •/aXXaivo? (von v.ahhaia 'Hahnenkamm'), einmal auch mit agls. geolu 'gelb' übersetzt. Man könnte an das gallische seeberühmte Volk der V eneti denken. Vegetius De re militari III, 37 berichtet nämlich folgendes: Ne tarnen exploratoriae naves (die den Liburnerschiffen beigegeben zu werden pflegen) candore prodantur, colore Veneto (qui marinis est fluetibus similis) vela tinguntur, et funes : cera etiam, qua unguere solent naves, inficitur. nautae quoque vel milites Vene tarn ve stein induunt, ut non solum per noctem, sed etiam per diem facilius lateant explorantes. Es zeigt sich also, daß unser „Marineblau" schon im Altertum bekannt war, und man könnte vermuten, daß es ursprünglich bei den Venetern (s. auch u. S e g e l ) aufgekommen wäre, so daß color Venetus eigentlich 'venetische Farbe' hieße. — S. u. Farbe. Blei. § I. In M i t t e l - u n d N o r d e u r o p a tritt das Blei erst in der HallstattPeriode auf. Nur in Britannien scheinen Spuren der Bekanntschaft mit ihm schon in der Bronzezeit vorzuliegen (vgl. Hoops R. L. I, 293). In Hallstatt selbst kommt das Metall in Gestalt von dünnen Stäbchen oder Draht zu verschiedenen Gebrauchszwecken, nicht aber zu selbständigen Geräten verarbeitet vor (v. Sacken S. 119). In dieselbe Zeit gehören die zahlreichen bleiernen Reiterfigürchen der Tumuli vonRosegg in Kärnten (Fig. n a , 11b). Eine Zusammenstellung nördlicher Bleifunde vgl. in der Zeitschrift für Ethno-

r

BLEI



logie, Verhandlungen X V , 1883 S. 107 ff. Dagegen findet sich das Metall im S ü d e n E u r o p a s schon in M y k e n a e (Schliemann S. 87), also in der reinen Bronzezeit (vgl. auch die bleierne Statue v o n K a m p o s in Lakonien), und auf dem Bürghügel v o n Hissarlik ist es nach Schliemann sogar in allen Schichten nachweisbar. A u c h ein merkwürdiges Idol aus Blei (Fig. 12) ist i n T r o j a gefunden worden. Einen bleiernen, ringartigen Gegenstand

versehen, in Menge gefunden worden (vgl. K . B. H o f m a n n Das Blei bei den Völkern des Altertums, Berlin 1885 S. 10). A u c h in der Schweiz sind derartige, offenbar als Handelsware dienende Bleiklumpen bereits in der Bronzezeit nachgewiesen worden. § 3. Stammen also die älteren Bleifunde im wesentlichen, v o n Kleinasien abgesehen, aus dem Süden, Westen und Nordwesten unseres Erdteils, so weisen

Fig. 11 a

Fig. 11 b Fig. 1 1 a und b.

Fig. 12

Bleifiguren aus den Grabhügeln von Frög.

bildenden Kunst. Atlas T . X V . — Fig. 12.

Idol aus Blei.

versucht Schliemann (Ilios S. 563) als Haarschmuck zu deuten. § 2. Schon frühzeitig scheint das Blei als H a n d e l s a r t i k e l gedient zu haben, der in der Form v o n Ziegeln, K u c h e n oder Barren verschickt wurde. Solche Bleiziegeln mit der Aufschrift teht, tehfi, tehj.11 (kopt. 'Blei') kommen schon im alten Ä g y p t e n vor. Namentlich aber sind aus späterer Zeit in Spanien, Frankreich und England solche Bleikuchen, mit Stempeln und den Namen römischer Kaiser usw.

Nach M. Hoernes Urgeschichte der

Nach H. Schliemann Ilios (doppelte Größe).

auf dieselben Gegenden die v o n Blümner Termin, u. Techn. IV, 88 ff. gesammelten historischen Nachrichten über Bleigewinnung in den an diesem Metall reichen Landschaften Britanniens, Galliens und besonders Spaniens. Hier werden die B e wohner der lusitanischen L a n d s c h a f t Medubriga ausdrücklich Plumbari (Plin. IV, 118) genannt, und eine S t a d t MoXoßBiVrj gab es im Gebiet der Mastarnen bei den Säulen des Herkules. § 4. Näheres über das Alter und die Her-

BLIND—BLUMEN, BLUMENZUCHT kunft des Bleis sollte man von der S p r a c h w i s s e n s c h a f t erwarten; doch ist man bis jetzt durch sie nur zu wenigen sicheren Ergebnissen gekommen. Deutlich zieht sich eine K e t t e übereinstimmender Bleinamen durch das nördliche Europa von den Kelten bis zu den Slaven: lr. luaide, mhd. 16t, agls. lead, russ. ludd (polüda, ludilz), welches letztere aber Zinn bedeutet (vgl. Schachmatov Archiv f. slav. Phil. X X X I I I , 90). Gewiß ist es eine alte, vom Westen ausgehende Entlehnungsreihe. Die hier hervortretende Verwechslung des Bleis mit dem ihm äußerlich ähnlichen Zinn tritt auch in der lituslavischen Reihe: altpr. alwis 'Blei', lit. aiwas 'Zinn', russ. ölovo usw. 'Blei' und 'Zinn' hervor (s. u. Z i n n ) , während russ. svinecit, lit. szvAnas (dunkel) nur 'Blei' bedeuten (beide Metalle bezeichnet auch mordv. kivä und öeremiss.

vulna).

§ 5. Die übrigen e u r o p ä i s c h e n Bleinamen: 1. das schon durch die Verschiedenartigkeit seiner Formen, auf ein Fremdwort deutende griech. fioXtßoc, [toXußoe, (jioXußSo? ([AoXußSaivrj, alle drei schon bei Homer), rhod. ßoXißoj (iröptßoXißiuaai), epidaur. ßoXijAo; (vgl. J.Schmidt Sonantentheorie S. 28ff.), 2. lat. plumbum, pl. nigrurn 'Blei', pl. album 'Zinn', 3. das gemeingerm. ahd. blio, bliwes, altn. blfi (*bliwa) werden von den Forschern bald (und dann wieder in verschiedener Weise) miteinander verbunden, bald voneinander getrennt. Auf jeden Fall ist die Verschiedenheit der Laute und Wortbildungen so erheblich, daß es unmöglich ist, aus ihnen mit Hoops aaO. S. 294 ein indogermanisches Wort für Blei zu erschließen. A m wahrscheinlichsten ist, daß (iöXußoc und plumbum eine gemeinschaftliche Entlehnung aus einer nichtidg. Mittelmeersprache darstellen, während sich über urgerm. *bliwa zurzeit kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es vermutlich (wegen des Suffixes -vo, vgl. Kluge Stammbildungsl. 2 S. 90) ursprünglich ein Farbenname war und daher dem u. B l a u § 1 behandelten *blawa- nahezuliegen scheint. In zigeun. molliwo, hindost, mulwa wird eine Entlehnung aus griech. [ioXußo;, ngriech. ¡wXtjßi zu erblicken sein. § 6. Im O r i e n t begegnen bei den

151

Ariern wie Semiten alte, aber ebenfalls nicht weiter anknüpfbare Namen für das Blei: scrt. si'sa- (Atharvaveda), aw. sru(npers. surb usw.; vgl. Horn Grundriß S. 161); hebr. bferet, bab.-assyr. abaru, sum. abar (oder 'Magnesit' ? vgl. aber Zimmern Akad. Fremdwörter S. 59). Die letzteren klingen merkwürdig an das baskische berun 'Blei' (vgl. bask. urhe 'Gold' : assyr. AuräfuT) an. Armen, kapar. Weiteres bei Vf. Sprachvergl. und Urgeschichte 113, 98. — S. u. M e t a l l e . Blind, s. K r a n k h e i t . Blindschleiche, s.

Eidechse.

Block, s. S t r a f e . Blockbau, s. H a u s und M a u e r . Blond, s.

Farbe.

Blondheit der Indogermanen, p e r b e s c h a f f e n h e i t d. I.

s. K ö r -

Blumen, Blumenzucht. § 1. Von allem, was Feld und Garten hervorbringt, ist die Pflege der Blumen die letzte Errungenschaft der europäischen Menschheit. Der Realismus der Urzeit hat noch kein Verhältnis gefunden zu diesen Lieblingen der Dichter und Frauen, wie ihr Ohr auch dem Gesänge der Lerche oder der Nachtigall (s. u. S i n g v ö g e l ) verschlossen war. Das hat sich erst geändert, als die Blumendüfte des Orients nach Europa herüberwehten, und das Verhältnis des Menschen zur Natur, wenigstens in den höheren Kreisen, ein sentimentalisches zu werden anfing. § 2. Noch bei H o m e r findet sich keine Spur von Blumenzucht. Einzelne Blumen, Xsipiov in Xcipwstc, -xpö-xoc, uaxiv&oc, lov, poSov in poSoSaxxuXo? und poooeic, — ausschließlich fremde, meist kleinasiatische Namen — werden zwar genannt; aber an den Stellen, wie in der Beschreibung der Gärten des Alkinoos, an denen wir eine Erwähnung ihrer Kultur erwarteten, schweigt der Sänger (vgl. E. Buchholz Die hom. Realien II, I i i ff.). Erst nachdem der Homer noch unbekannte und zweifellos

152

BLUT—BLUTRACHE

d e m Orient, v o r allem Ä g y p t e n , e n t s t a m mende G e b r a u c h der K r ä n z e bei Gelagen und zur E h r u n g v o n L e b e n d e n wie T o t e n (vgl. Wönig Die Pflanzen Ägyptens2 S. 234 ff. und L e n z B o t a n i k S. 154 ff.) a u f g e k o m m e n war, wird m a n v o n einer B l u m i s t i k der Griechen sprechen können (vgl. I. v. Müller P r i v a t a l t e r t . 5 S. 239). Großgriechenland ist a u c h hier das V o r bild für I t a l i e n gewesen, w i e die E n t lehnungen v o n lat. slruppus aus griech. axpotpoj, v o n Corona aus griech. xoptuvif), •/.opmvis (vgl. Plinius X X I , 3: Tenuioribus utebantur antiqui, stroppos appellantes-, das gewöhnliche W o r t f ü r ' K r a n z ' , griech. crxecpavo;, ist m e r k w ü r d i g e r W e i s e nicht ins Lateinische übergegangen, xoptoW] ist in der B e d e u t u n g ' K r a n z ' erst spät, axpoepo? gar nicht überliefert), v o n rosa, lilium, crocus, narcissus, iris, hyacinthus usw. zeigen. § 3. Immer aber ist der K r e i s der a n t i k e n B l u m e n k u l t u r ein v e r h ä l t n i s m ä ß i g b e s c h r ä n k t e r gewesen (vgl. a u c h B e c k e r Göll Gallus III, 75 ff.). A l s solcher h a t er seinen E i n g a n g in die G ä r t e n der christlichen K l ö s t e r und nach ihrem Muster in das Capitulare K a r l s des Großen de villis vel curtis Imperatoris (70) und in die deutschen B a u e r n g ä r t e n gefunden. D o c h wird b e z w e i f e l t (vgl. A . K e r n e r Die F l o r a der B a u e r n g ä r t e n in D e u t s c h l a n d , in den Verhandl. des zool.-bot. Vereins in W i e n V , 791), ob K a r l der Große, w e n n er in seinem Capitulare z B. den A n b a u der Lilie an erster Stelle vorschreibt, dazu durch ästhetische und nicht vielmehr durch praktische R ü c k s i c h t e n , d. h. in diesem Falle durch den U m s t a n d b e s t i m m t wurde, d a ß die B l u m e n b l ä t t e r der w e i ß e n Lilie als H a u p t b e s t a n d t e i l eines als V o l k s m i t t e l b e r ü h m t e n Öles b e n u t z t w u r d e n (vgl. besonders v o n Fischer-Benzon Deutsche Gartenflora I. Zierpflanzen S. 33 ff.) Die ersten Blumen, deren Schönheit als Sinnbilder der J u n g f r a u Maria zu b e w u n d e r n , die K i r c h e die nordischen B a r b a r e n lehrte, sind Lilie und Rose gewesen (vgl. M. H e y n e D a s deutsche N a h r u n g s w e s e n § 91). S s h r selten ist aber charakteristischer W e i s e im M i t t e l h o c h d e u t s c h e n der A u s d r u c k bluomengarten, an dessen Stelle v i e l mehr wurzgarte ' W u r z e l g a r t e n ' steht. —

V o n einzelnen B l u m e n sind behandelt worden: H y a z i n t h e , I r i s , L i l i e , N a r zisse, Nelke, Rose, Safran, Veil c h e n . — S. a u c h u. G a r t e n , Gartenbau. B l u t , s.

Körperteile.

Blutrache. D i e B l u t r a c h e eine S i p p e n i n s t i t u t i o n

§ 1.

Die

homerische Zeit §2. Die altgermanischen Verhältnisse § 3 . | D i e s l a v i s c h e n § 4. D i e a l b a n e s i s c h e n § 5 Ü b e r b l e i b s e l d e r B l u t r a c h e in R o m . detta Die

§ 6. idg.

Wergeids

Die

Terminologie § 8.

rakteristischer an

altarischen der

D i e i t a l . Ven-

Verhältnisse Blutrache

und

Über das A l t e r einzelner Züge

ihr b e t e i l i g t e

der Institution

Verwandtenkreis

§ 7. des cha-

§ 9.

Der

§ 10.

All-

mähliches Aufgehen der B l u t r a c h e im S t a a t § 11.

§ I. Die S ü h n u n g gewollter oder ungewollter T ö t u n g — denn beide Begriffe werden ursprünglich nicht geschieden (s. u. M o r d ) — liegt in alter Zeit n i c h t dem S t a a t oder der Gemeinde, sondern ausschließlich der S i p p e (s.d.) ob, die für den erschlagenen Genossen gegen den T ä t e r und dessen S i p p e auftritt. Dasselbe gilt hinsichtlich schwerer V e r w u n d u n g (s. u. K ö r p e r v e r l e t z u n g ) . Dieser Z u s t a n d l ä ß t sich bei allen Indogermanen teils in lebendigem, zuweilen bis in die G e g e n w a r t hereinragendem B r a u c h , teils in mehr oder weniger d e u t lichen Spuren einstiger Gepflogenheit n a c h weisen. § 2. Die h o m e r i s c h e Anschauung schildern die V e r s e der O d y s s e e ( X X I V , 433 ff-): Xo)ßr( f ä p xocSe ¿axl xat Itjarofievoicri Tru&saöat, ei 07) [at| •rcatSeov xe xaai'p'rjxujv xe ciovrjac x 1 a 0 ¡j. e & ' I ) . T r a u e r n d g e h t (II. X I I I , 643 ff.) K ö n i g P y l a i m e n e s hinter der L e i c h e erschlagenen Sohnes her:

der des

TtO IVTj o' OUXIS IKXiSo? EYl'l'VEXO XSOVTjWXO?1). r ) „ S c h a n d e i s t es a u c h b e i z u k ü n f t i g e n Menschen, w e n n wir uns a n den M ö r d e r n v o n K i n d e r n u n d Brüdern nicht rächen werden."

genen

„Keine Sohn."

Rache

ward

ihm

für den

erschla-

BLUTRACHE A b e r die TOHVIJ b r a u c h t nicht der T o d des Mörders zu sein. E s ziemt sich v i e l mehr, an seiner S t a t t die dargebotene S ü h n s u m m e anzunehmen: y.al [iiv Tic x£ xaai-fv-qTOio (povrjo; TtOlVYjV OU LIAISÖI l 0 s £ a - 0 TsOvTjiÖTO?, xai p' 0 [ASV ¿v 615p.0) ¡ISVEI aikou, uoXX' ÄTCOTI A A C ,

xpaoiT) xai Ssja^lvou (II. I X ,

TOU BS T' ¿PRJTUSTOU

rcotvijv

d-fqvwp 632ff.)').

DOFIOC

Ilias X V I I I , 497 ff. wird auf dem Schilde des Achilleus der Streit zweier Männer geschildert: ouo «vops; svstxsov sivsxa avSpos

dir0 Sevo(püiv (sagt der T h r a k e r f ü r s t Seuthes), xal ÖuYaxEpa otuotu xal sixts p 'Dieb', so schon Sprachvergl. u. Urg. 2 S. 544)§ 6. In den E i n z e l s p r a c h e n werden, abgesehen von den schon angeführten Ausdrücken, Ehemann und Ehefrau häufig kurz als M a n n (s. d.) und F r a u (s. d.) bezeichnet, wie es bei ^ovij und seiner Sippe sicher schon in der Urzeit der Fall war. Bemerkenswertere Bezeichnungen anderer A r t (vgl. die Sammlung bei Delbrück aaO. S. 408—440) sind aus dem S a n s k r i t : bhártar- und bhäryä 'Erhalter' und 'zu erhaltende' (letzteres im Sinne v o n 'Ehefrau' früher bezeugt als ersteres), aus dem G r i e c h i s c h e n : Sdfxctp (Horn.: tochar. A. täm 'gebären') und oap (Horn., vgl. oapo? 'vertrauter Umgang', öapiiu) 'sich vertraulich unterhalten'; Vermutungen bei Meringer Z. f. österr. Gymn. 1903, V. H e f t S. 6 S.-A.), aus dem L a t e i n i s c h e n : marita neben maritus: scrt. márya 'junger Mann', mulier (dunkel, vgl. Walde Lat. et. W b . 1 ; im Plural der 'Stand der Ehefrauen'), aus dem K e l t i s c h e n : altkymr. priawt 'verheiratet' aus lat. privatus, gegenüber den im ältesten Britannien herrschenden polygamischen und polyandrischen Gebräuchen das monogamische Verhältnis betonend, aus dem G e r m a n i s c h e n : ahd. hiwo 'Gatte', hiwa 'Gattin', Mun 'beide Gatten' ( got. heiwa- 'Haus', also eigentl. 'familiares') und got. aba 'Ehemann' (Gen. PI. abné, Dat. abnam; dunkel), aus dem A l b a n es i s c h e n : bür desgl., aus dem L i t a u i s c h e n : móté 'Ehefrau' (s. u. M u t ter) u. a. — Über den Eingang einer Ehe Raubehe, s. u. B r a u t k a u f , H e i r a t ,

21 8

EHEBRUCH

über die Stellung des Mannes und der Frau in der Ehe s. u. F a m i l i e . S. auch hinsichtlich der ältesten ehelichen Verhältnisse die Artikel: A b t r e i b u n g d e r Leibesfrucht, Adoption, Alte Leute, Amme, Aussetzungsrecht, Beis c h l ä f e r i n , E h e b r u c h , E h e l i c h und unehelich, Ehescheidung, Erbtochter, Frau, Heiratsalter, Junggeselle, Mann, M i t g i f t , Mutterrecht, Polyandrie, Polygamie, Verwand tenehe, Witwe, Zeugungshelfer. Ehebruch. S t r a f l o s i g k e i t des E h e m a n n s , T ö t u n g s r e c h t gegenüber der schuldigen E h e f r a u und ihrem B u h l e n als S t a n d p u n k t der Urzeit § i . Abl ö s u n g der T ö t u n g der schuldigen E h e f r a u durch s c h i m p f l i c h e B e s t r a f u n g § 2. Milderung des Loses des B u h l e n § 3. A l l m ä h l i c h e grundsätzliche Gleichstellung v o n M a n n und F r a u § 4. Die Terminologie des E h e b r u c h s § 5. Ä l t e s t e strafrechtliche A u f f a s s u n g des Ehebruchs § 6.

§ 1. Die bezüglich der Reinhaltung der Ehe in der älteren Zeit herrschende Anschauung ist die, daß dem E h e m a n n mit Nebenfrauen und Kebsen em uneingeschränkter Geschlechtsverkehr freisteht, daß hingegen die E h e f r a u an die strengste eheliche Treue gebunden ist. Bricht sie diese, so trifft sie zusammen mit dem Ehebrecher, wenn er auf frischer T a t ertappt ward, der Tod. Am reinsten ist dieser Standpunkt in der r ö m i s c h e n Rechtsauffassung aufbewahrt, über die sich Cato bei Gell. X, 23 so äußert: In adulterio uxorern tuam si prehendisses, sine iudicio impune necares: illa te, si adulterares sive tu adulterarere, digito non änderet contingere, neque jus est. Dazu vgl. fr. 24 pr. ad. i. Jul. de Adult. X L V I I I , 5: Marita quoque adulterum uxoris suae occidere permittitur usw. Ebenso war es bei einem So großen Teil der alten G e r m a n e n . berichtet Bonifazius von den Sachsen (Monum. Moguntina ed. Phil. Jaffe S. 172): Nam in antiqua Saxonia, si virgo paternam domum cum adulterio maculaverit vel si mulier maritata, per dito joedere matrimonii, adulterium perpetraverit, aliquando cogunt eam, propria manu per laqueum suspensam, vitam finire; et super bustum illius, incensae et concrematae, corruptorem

eius suspendunt, und die L. Wisigoth. (W.) III, 4, 4 bestimmte: Si adulterum cum adultera maritus vel sponsus occiderit, pro homicida non teneatur. Treffend äußert sich über diesen Gegenstand auch Roeder Die Familie bei den Angelsachsen (Studien z. engl. Phil. IV, 133 ff.): „ W i e die Fassung der älteren Gesetze zeigt, versteht man u r s p r ü n g l i c h unter E h e b r u c h nur die U n t r e u e der v e r h e i r a t e t e n Frau. Sie allein kann die Ehe brechen, indem sie sich einem anderen als ihrem Ehemann überläßt, während von ihrem Gatten keine strenge Enthaltsamkeit verlangt wird Man sieht im Ehebruch zunächst nicht einen sittlichen Fehler, sondern die Verletzung eines persönlichen Rechts." Über den in flagranti ertappten Ehebrecher bestimmen Aelfreds Gesetze 42, 7: „ U n d jemand darf fechten, ohne Fehde [auf sich zu laden], wenn er einen anderen trifft bei seinem ehelichen Weibe, bei verschlossenen Türen oder unter einer D e c k e " , wozu, ganz wie im griechischen Recht (s. u.), hinzugefügt wird, „oder bei seiner ehelich geborenen Tochter oder bei seiner ehelich geborenen Schwester oder bei seiner Mutter, die seinem Vater zum ehelichen Weibe angetraut worden w a r " . Auch nach südslavischem Gewohnheitsrecht darf der gekränkte Mann den Buhlen und die Ehebrecherin auf der Stelle töten (vgl. K r a u ß Sitte und Brauch der Südsl. S. 511, '566). Das Anrecht des Mannes hingegen auf unbehinderten Geschlechtsgenuß mit anderen Frauen ergibt sich aus der Abwesen heit jeder ihn beschränkenden Bestimmung und aus den tatsächlich bestehenden Gebräuchen (s. u. P o l y g a m i e und B e i schläferin). § 2. Eine Milderung dieser urzeitlichen Anschauungen trat in der Weise ein, daß man zwar an dem Recht der Tötung des Buhlen noch festhielt, hingegen das Leben d e r F r a u zu schonen anfing, indem man sich damit begnügte, über sie den moralischen Tod, die A t i m i e , zu verhängen. So ist es bei I n d e r n und G r i e c h e n . Uber die ersteren stehen uns aus .vedischer Zeit freilich keine sicheren Nachrichten zu Gebote. Aber noch in den Rechtsbüchern wird der, welcher eines andern Weib entführt, oder der, welcher verbotenen U m -

EHEBRUCH gang mit eines andern Mannes Weib hat, zu den „ A n g r e i f e r n " bzw. „Mördern" gerechnet, deren man sich durch straflose T ö t u n g erwehren kann (vgl. Leist A l t a r . Jus gent. S. 309). Die Ehebrecherin verstößt man, reicht ihr nur die notdürftigste Nahrung, schert ihr das Haar, kleidet sie schlecht und hält sie zur niedrigsten Sklavenarbeit an (vgl. Jolly Über die Stellung der Frauen bei den alten Indern § 12, Sitzungsb. d. phil.-hist. K l . d. Münchener A k . 1876). Doch kommt auch die Todesstrafe der Ehebrecherin noch vliches Kind' (dunkel). Dabei beachte man potios 'der draußen', Eurip. Frgm. 491, 2) die häufige Verwendung des Suffixes(i'Z)i«g« gegenüber. Ersteres, aus *fV7]t-io-; : scrt. (auch in ahd. huoriling, kebisiling, altn. jfidli- 'Verwandter' (vgl. auch griech. fvwskeptingr u. a.), welches sonst der Beto? 'Blutsverwandter', got. kndßs, ahd. zeichnung der Familienzugehörigkeit dient chnuot 'Geschlecht'), bezeichnet den 'im (vgl. F. Kluge Stammbildungslehre 2 S. 12), Geschlecht geborenen', ganz wie der eheund also ebenfalls darauf hinweist, daß liche Sohn ahd. adalerbo, altn. adalborinn die Bastarde mit zu der Familie gerechnet (vgl. J. Grimm R.-A.4 S. 655, Rietschel in wurden. Vgl. noch langob. threus: ahd. Hoops R. L. s. v. Eltern und Kinder): drigil 'Knecht'. adal 'Geschlecht' heißt. Auch lat. liberi und ahd. kind sind von Haus aus nur die ehelichen, d. h. eben stammhaften Kinder (s. näheres u. K i n d und ü. S t ä n d e ) . Über griech. voOoj sieht man nur soviel, daß es mit dem von Hesych bewahrten

§ 3. Je fester bei den idg. Völkern Europas sich die monogamische Ehe setzte, um so mehr mußte jedes von einem E h e mann nicht mit der einen Ehefrau erzeugteKind als unehelich betrachtet werden.

222

EHELOSIGKEIT—EHESCHEIDUNG

Hierbei werden zahlreiche rechtliche und sprachliche Unterscheidungen gemacht. So unterscheidet man bei den Nordgermanen zwischen Kindern, die aus offenem Konkubinat mit einer Freien, aus heimlichem Umgang mit einer Freien und aus Beischlaf mit einer Unfreien hervorgegangen sind (vgl. Amira in Pauls Grundriß II, 2, S. 146, Rietschel aaO.). Im Lateinischen ist nothus (aus griech. voöo;) der von einem g e w i s s e n Vater mit einer Beischläferin erzeugte, spurius (unerklärt; ob zu dem spät bezeugten spurium aus griech. CTcopä 'weibliches Geschlechtsglied' ? vgl. den Eigennamen Spurius) der von einem ungewissen Vater mit einer Buhldirne erzeugte Sohn usw. Vgl. noch bei G. Goetz Thesaurus I, 677: manser (vel mansyr) 'filius meretricis', manzir 'de scorto natus' aus hebr. mameb' 'der unehelich (ex iröpvvjs) geborene' (Roensch Rhein. Mus. X X X , 454). — S. u. B e i s c h l ä f e r i n .

(s. d.) ergriffene Frau, aber er kann sein Weib auch ohne Grund entlassen, nur daß er dann zu einem Schadenersatz verpflichtet ist, ursprünglich aber nicht der Frau, sondern ihren Verwandten gegenüber. Umgekehrt kann die Ehe unter keinen Umständen von der Frau oder deren Verwandten einseitig gelöst werden, auch nicht bei Untreue, Krankheit, Impotenz oder Verweigerung der ehelichen Pflicht von Seite des Mannes. Die Lex. Burg. (W.) X X X I V , 1 bestimmte: Si qua mulier maritum suum, cui legitime iuncta est, dimiserit, necetur in luto (vgl. auch Weinhold Deutsche Frauen II 3 , 43 ff.). Altgermanische Ausdrücke für S c h e i d u n g sind got. afstass 'Abstand' oder afsateins 'Absetzung', ahd. danairip, sceitunga, agls. hiw-geddl, eigentl. 'Eheteilung', hiw-geflit, hiw-gessid, eigentl. 'Ehestreit' und hiw-dsyndring 'Ehe-Absonderung' u. a. (vgl. J . Grimm R.-A. 14, 625 und Roeder Stud. z. engl. Phil. IV, 138).

§ 3. Überaus konform sind die ältesten j r ö m i s c h e n Zustände. Über Romulus beEhemann, E h e f r a u , s . E h e , M a n n , F r a u . 1 richtet Plutarch Cap. 22: s'Ö7jxe os zal vojjlou; Tiva'?, ? 06s o l v o ; , auxüiv xal xexeu>v, akoyoi 0' äXXom oajisTsv 3). *) „Wisse es Zeus nun zuerst, der höchste und beste der Götter, die Erde, die Sonne und die Erinyen, die bis unter die Erde die Menschen strafen, wer immer einen Meineid schwört" „wenn aber etwas von dem (Gesagten) trügerisch, dann mögen die Götter mir viele Leiden geben, wie sie solche dem geben, der sie mit seinem Eide betrügt." ') Vater Zeus, vom Ida her waltend, ruhmreichster, größter, Sonnengott, der du alles siehst und alles hörst, Flüsse und Erde, und die ihr drunten die Toten straft, wer immer einen Meineid schwört, ihr seid Zeugen, beschützet den Treueid." 3) „Ruhmreicher und großer Zeus und ihr

EID Auch B e r ü h r u n g e n seitens der Schwör e n d e n sind bei den Griechen von Homer an ganz gewöhnlich. So soll II. X X I I I , 580 ff. Archilochos dem Menelaos schwören, d a ß er ihn beim Wagenrennen nicht vorsätzlich übervorteilt habe. E r soll dabei vor sein Gespann treten, die Peitsche in die H a n d nehmen, die Pferde b e r ü h r e n und bei Poseidon den Eid leisten. Der zugrunde liegende Gedanke ist gewiß auch hier, daß im Falle des Meineids Unheil auf die H ä u p ter der Pferde herabgeleitet werden soll, oder daß sie ihrem Besitzer Verderben bringen mögen (etwas anders Hirzel aaO. S. 30 Anm.). Auch bei seinen Waffen, seiner Lanze, seinem Schwert schwört der griechische Held wie der germanische und indische und in dem gleichen Sinne (vgl. Sittl Gebärden der Griechen und Römer S. I39 4 )§ 6. Nicht weniger wird in den a l t r ö m i s c h e n Eidesformulierungen J u p i t e r ständig als Zeuge und Vollstrecker der von den Göttern verhängten Strafe des Eidbruches herbeigerufen. Vgl. zB. Liv. I, 24, 8: Juppiter populum Romanum sic ferito, ut ego hunc porcum hic hodie feriam tantoque magis ferito, quanto magis potes pollesque. Indessen ist gerade auf römischem Boden eine weitaus ältere Eidesformel bezeugt. Aus Anlaß der Handelsverträge zwischen K a r t h a g e r n und Römern teilt Polybius III, 25, 6 ff. (vgl. dazu C. Wunderer Philologus N. F. X, 189 ff.) die Eide mit, welche dabei gesprochen wurden: Tòv 3È opxov òjxvueiv s8st xotouxov, K a p / r r Boviou? ¡lèv xob? fteouc -tobe Trcrtpoiouc, ' Poi[JLatOUC 8s ÌKÌ ¡XSV "ÜJV TtptOXiUV auvövp.üiv 8 l à Xt'&iov (so die besten Handschriften) xctTot xt ircrAaiòv e & o ; , luì 8s xouxtuv tòv "Aprjv xat 'EvuaXtov. s a u Se xò Sta Xt'&iov xotoùxov. X a p à v e i s X7)v x E ' P a Xtdov 6 Ttoioufisvo; xà opxia Tròpi, xiöv ouv{bjxtüv, IitEiSàv òiióa-fl Srjixoota maxet, Xé-fet xctSs . sòopxoùvxt ¡xbv ¡101 sa) x' ct-faüa . ei 8' äXXtus 8tavoi]&£Ì7)v xi t) Ttpoiiai[it, tox'vxiuv xtuv äkXtüv (jtoCofiévtuv Iv xaì; lState -axpisiv, èv xot? fStot? V0[J.01S, ¿Tüt xaiv f8i(l)V ßt(l)V, andern unsterblichen Götter, wer von uns beiden den Eid bricht, dessen Gehirn soll w i e d i e s e r W e i n ausströmen zur Erde, das seine und das seiner Kinder, und seine pattin werde von andern bezwungen."

'

1 '

I '

229

iepcüv, xoitptov, lys 08s Xi&oe vöv. x a l x a t i x ' e i ttXov 'Glied' ?), ya).•/.'.,r(c i'jv.zkio'x y.ovTiü rspr/etfiEvrjV avr/ojv" ¡ict-

FAHNE •viuXa - a u t a Aailvoi xaXoüaiv J ). Immerhin k o m m t ein solcher Ersatz der eigentlichen F a h n e auch in neuerer Zeit, zB. bei B a u e r n a u f s t ä n d e n , gelegentlich v o r . Auf den Begriff des späteren T u c h e s a n der F a h n e weist hingegen die Bezeichnung vexillum v o n s'"vexlo-m = velum (vgl. ir. figim 'ich webe'). Ü b e r die G e r m a n e n berichtet T a c i t u s •Germ. Cap. 7: Effigiesque et Signa quaedam deiracta lucis in proelium ieriint u n d H i s t . IV, 22: Inde depromptae silvis lucisve feraj-um imagines, 11t cuique genii inire proelium mos est. Der altgermanische N a m e f ü i •solche Feldzeichen war ahd., alts. cumbal,

Fig. 25.

auf diesen Stoff als H a u p t b e s t a n d t e i l des Feldzeichens hinweisend) wie auch das g e r m . - m l a t . bandum (vexillum quod bandum appellant bei P a u l . Diac. = göt. bandwS 'Zeichen', ' S y m b o l ' : bindan 'binden', e i g e i j t l . ' B a n d ' , vgl. § 3 g r i e c h . Tatvia} sind in die romanischen Sprachen ^frz. gonfalon, it. gonfalone und frz. bannibe, it. bandiera) entlehnt' worden. Von germanischem Boden scheint auch das l a t . tüfa (schon bei Vegetius I I I , 5 bezeugt) 'genus vexilli a p u d Romanos ex confertis p l u m a r u m globis' zu s t a m m e n . Vgl. a g l s . ß u f , sige-ßüf Siegfahne' f/zi/: altn./rf/i, lit. iübä 'Filz' ?). Nördliche H e r k u n f t v e r -

Dakische Festung mit Drachenfahne im Hintergrund, Trajansäule ed. Cichorius.

agls. cumbol, cumbor (Jieorocumbol 'Schwertzeichen', eoforcumbol 'Eberzeichen'). Dazu gehört auch ahd. chumbarra, cumpurie 'tribus', d. h. die Sippe oder der S t a m m , der u n t e r einer gemeinsamen«//i£iMkämpft. Eine sichere Erklärung f ü r dieses W o r t ist noch nicht gefunden (vgl. R. Meringer und R. Much 1F. X I X , 445). Von germanischem Boden aus sind dann Beeinflussungen in der Bezeichnung der F a h n e in den r o m a n i s c h e n Sprachen ausgegangen. Sowohl das westgermanische ahd. gundfano, agls. güßfana, eigentl. ' K a m p f t u c h ' (: got. fanar 'Tuch', also, wie vexillum, deutlich *) „ J e d e ein Bündel -emporhielt.

2 77

Hundertschaft führte ein Mann, der von Heu und Holz an einer Stange Das nennen die Latiner Manipeln."

m u t e t man endlich auch f ü r das unerklärte, spät bezeugte labarum(bandusvel sceplrum; agls. segn, forte signa sunt et vexilla, Goetz Thesaurus s. v.). Am b e k a n n t e s t e n ist das labarum mit dem Christuszeichen Kaiser K o n s t a n t i n s (Versuch einer E r k l ä r u n g bei B. Schremmer L a b a r u m u n d Steinaxt, Tübingen 1911). Dagegen a u s dem lat. Signum e n t l e h n t : agls. segn 'Feldzeichen'. Auch in der a l t g a l l i s c h e n Kriegf ü h r u n g spielen Feldzeichen, die nach dem T r i u m p h b o g e n von Orange," nach Münzen und a n d e r n Denkmälern auf Stangen getragene Eberbilder waren (Fig. 22 und 23) eine wichtige Rolle. Nach Caesar De bell, gall. VII, 2 eröffnen im J a h r e 51 die Carnuten die Feindseligkeiten collatis militaribus si-

278

FAHNE

g»is, quo more eorum gravissima caerimonia continetur, ne facto initio belli ab reliquis deserantur. Eine irische Bezeichnung der Fahne ist merge (*mergiä), was an altn. merkt 'Kennzeichen' (vgl. russ. znamja 'Fahne': znati wissen und armen, nsan aus npers. nisan 'Kennzeichen') und ebenfalls 'Fahne' erinnert. Vgl. noch ir. bratach 'Fahne' : brat 'Mantel' (wie oben ahd. fano und lat. vexülum). Südöstlich an die Germanen stoßen die D a k e r (s. d.). Über sie haben wir zwar

Fig. 26.

II, 268 vermutete, nichts als griech. iroprov uiv vuv xtji.5>ut, xai uijiavxa? Int aaoviiov cpopsiv toi»; ijYsjiova;'). Der Grundgedanke der Fahne liegt, so scheint es, hier noch unverhüllt vor uns: Es

280

FÄHRE—FALKE,

hätten, diese Annahme ist chronologisch sehr unwahrscheinlich. Sowohl bei den Römern wie auch bei den Nordvölkern mochte aber der Einführung der orientalischen Sitte der Umstand entgegenkommen, daß, wie andere Völkerstämme, auch alle idg. Völker (s. u. R e l i g i o n ) sich die Götter gern in Tiergestalt vorstellten. § 3. Einer Bemerkung bedarf noch die Fahne des Schiffes, die F l a g g e . Im Gegensatz zu dem altgriechischen Landheer (s. o.t hat die griechische Flotte unzweifelhaft von ihr Gebrauch gemacht. Vgl. Poll. On. I, 90: toi 8s axpa TT)i irpu;jtv7j; a'cpXaaia (daraus lat. apltistre) xakehat, a>v Ivtos fuXov op&ov irs •jev, 8 xaXoöat otuXt'Sa ('Flaggenstock'), ou t ö Sit (isaoo xps(j,a'(jtevov pdxoc T « i v i a ( ' F l a g g e ,

Wimpel', eigentl. 'Band') Svojj.aCeTatJ). Signal- und Nationalflaggen hießen schon in guter Zeit orjjista (vgl. Breusing Nautik S. 87). Indessen ist es zweifelhaft, ob mit diesen Ausdrücken Flaggen im eigentlichen Sinne, d. h. g r o ß e , am Hinterteil des Schiffes oder auf der Spitze des Mastes befestigte viereckige Fahnen gemeint sind oder nicht vielmehr das, was die heutigen Seeleute als „ F l ü g e i " (nd. vlugher) (sehr k l e i n e F a h n e n am Mastbaum zur K e n n t lichmachung der Windrichtung, aber auch zur Bezeichnung der Nationalität) und „ W i m p e l " (lange, schmale Fahnen zum Schaugepränge etc.; ahd. wimpal noch 'Schleier') bezeichnen. Nur solche Fahnen sind an den mittelalterlichen Schiffen, wie sie die Teppiche von B a y e u x (Fig. 28), die ältesten Stadtsiegel etc. zur Darstellung bringen, nachweisbar. In deutschen Quellen treten sie zuerst im X I I I . Jahrh. auf. Die heutige Flagge begegnet erst spät (etwa im Zeitalter der Entdeckungen) im Französischen unter dem Namen pavillon aus lat. päpilio (von den auf großen Schiffen ei richteten Pavillons, auf denen die Fahne aufgesteckt wurde? oder direkt von dem flatternden Schmetterling?), in den germanischen Sprachen unter dem noch dunklen Worte dän. flag, engl, ftag usw. Vorläufer unserer Flaggen waren auch die Standarten (it. stendardo, mhd. sta.nth.art), ') „Das Ende des Schiffsspiegels heißt acpXowJTa. Hier ist eine gerade Stange befestigt, die man utuXii nennt. Das an ihrer Mitte hängende T u c h heißt raivfa."

FALKENJAGD die in früheren Zeiten auf dem Verdecke des Schiffes aufgepflanzt wurden. Eine solche Kampffahne wird schon in der älteren Edda genannt. Vgl. Lappenberg Z. d. Ver. f. hamb. Gesch. III, 164 und K . Lehmann bei Hoops R. L. s. v . Flagge. — S. u. Heer. Fähre« § 1. Neben Furt und B r ü c k e (s. d.) dient als Mittel zum Überschreiten der Flüsse die F ä h r e . Sie wird von besonderer Bedeutung gewesen sein, da wo ein Fluß zugleich die Grenze verschiedener Völker bildete und es so in der Hand des Fährmanns lag, Fremde zuzulassen oder abzuweisen. Einen Fall dieser Art schildern die Nibelungen 25. A v . : Die betreffende Fähre, verbunden mit einer Herberge, liegt an der Donau und vermittelt den Verkehr nach dem Lande Etzels durch das Gebiet Gelpfräts, des ,,voget in Beyerlande". § 2. Natürlich hat die Fähre in den breiteren und ruhigeren Strömen des Nordens eine größere Bedeutung gehabt als im Süden, zB. in Griechenland Eine germano-slavische Gleichung für sie liegt in ahd. farm = altruss. poromü, pramü, welche letztere Form ins Altnordische {prdrftr), Englische (prame), unser,,Prahm", entlehnt ist. Vgl. auch finn. lautta 'Fähre' aus ahd. fldz. In Gallien fand Caesar De bell. Civ. III, 29 eine Art von Fähren, die ponto. pontones hießen: quod est genus navium Gallicarum. Falls dies, wie es nach Caesar scheint, ein gallisches Wort ist, könnte es nicht wohl mit lat. pons 'Brücke' zusammenhängen, dessen anlautendes p im Altgallischen verloren gegangen sein müßte. Fahrnis, s. E i g e n t u m . Fahrstraße, s. S t r a ß e . Fahrzeuge,s. S c h i f f , S c h l i t t e n , S t r e i t wagen, Wagen.

Falke, Falkenjagd. Erste Spuren der Falkenjagd bei Babyloniern, Assyrern und Chetitern. Unbekanntschaft der Griechen mit ihr § 1. Erstes Auftreten bei den Romanen durch germanische Einflüsse § 2. W o her erhielten die Germanen die neue Jagdweise r § 3. Vielleicht von den Steppen Turkestans. woher sie auch nach Byzanz und zu den slavischen Völkern kam § 4. Die Falkenjagd im westlichen Europa während des Mittelalters § 5. Ihr Niedergang § 6. Weiteres zur Terminologie des Habichts § 7.

FALKE,

FALKENJAGD

§ 1. Die ersten Nachrichten über die B e n u t z u n g v o n R a u b v ö g e l n zu J a g d zwecken finden sich vielleicht schon in assyrischen Keilinschriften, die der Mitte •des V I I . vorchristlichen Jahrhunderts angehören (vgl. B. Meißner F a l k e n j a g d e n bei den Babyloniern und Assyriern, B e i t r ä g e zur Assyriologie etc., herausg. v o n F. D e litzsch und P. H a u p t S. 418 ff., dazu A s s y r . Jagden, L e i p z i g 1911 S. 13 f.). „ W e n n ein F a l k e " heißt es hier u. a., „ j a g t und seine Beute im Schnabel zerknickt und v o r den

F i g . 29.

Falkenjagd

in A s s y r i e n .

A u s Garstang,

281

benutzen, ist die v o n Oppian 'lisuxixa III, 5 geschilderte, nach welcher Habicht oder Falke, an einen B a u m angebunden, dazu dient, die auf dem Baume sitzenden Vögel v o r Schreck starr zu machen. § 2. Erst im I V . oder V . Jahrh. n. Chr., bei Paulinus v. Pella und Apollinaris Sidonius, ist die Falkenjagd unzweifelhaft eine bekannte Sache. D a ß es germanische Völker waren, welche dieselbe in die romanischen Länder verpflanzten, macht die Sprache wahrscheinlich. Aus

E x c a v a t i o n s at S a k j e - G e w z i in North Syria, Preli-

minary Report for 1908 Pl. X L , a b g e d r u c k t in University of L i v e r p o o l , A n n a l s of A r c h , and Anthrop. etc. ( 1 9 0 8 ) I, 97 ff.

K ö n i g fliegt, wird der K ö n i g seine Feinde vertreiben" Der Name des F a l k e n ist assyr. surdü, sum. surda. A u c h auf chetitischen Denkmälern scheinen aus dem V I I . - V I I I . Jahrh. Belege für die B e k a n n t schaft mit der F a l k e n j a g d nachzuweisen zu sein. V g l . A n n a i s of A r c h . and Anthrop Vol. I 1908 U n i v . of Liverpool (I, 97 ff : Mann mit F'alken auf der Hand, Fig. 29). Weitere Nachrichten geben Kte»sias (Ind. Cap. 11) und Aristoteles (Hist. ä n i m . I X , 36, 4) aus Indien, bezüglich Thrakien. Den Griechen und Römern w a r die Kunst, Jagdvögel auf kleineres Wild stoßen zu lassen, in der guten Zeit unbekannt. Die einzige Art, den Upa£ zur Jagd zu

dem ahd. sparwari (eigentl. 'Sperlingsadler', speruarius L e x . Sal.) stammen: it. sparaviere, fr... épervier, aus altn. geirfalki (Falco islandicus) 'Sperfalke' it. gerfalco, span. gerifalte, prov. girfalc, frz. gerfaut, aus ahd. smirl, nhd. schmerl 'ein Zwergfalke' it. smerlo, prov. esmirle, it. smeriglione, aus mhd. luoder 'Lockspeise': it. logoro, frz. leurre. Hinsichtlich des mlat. falco, it. /aleone, frz. faueon (nur im R u m ä nischen nicht bezeugt) ist man zweifelhaft, ob es v o n lat. falx 'Sichel' (so jetzt wieder Suolahti Vogelnamen S. 327) abzuleiten sei, oder ob in den romanischen Namen E n t lehnung, und zwar aus ahd. falcho, altn. falki (letzteres spät bezeugt), zu erblicken

282

FALKE, FALKENJAGD

sei, die man ihrerseits entweder zu nhd. fallen (accipitres praedas persequuntur, jalcones ab alto feruntur) stellt oder als die „ f a h l e n " (oberd. jalch) Vögel erklären möchte. A m wahrscheinlichsten ist aber falco, wie nach A . Fick K . Z. X L I V , 345 aus Festus ed. T h e w r e w k de Ponor p. 63 (falcones dicuntur, quorum digiti pollices in pedibus intro sunt curvati a similüudine falcis) hervorgeht, ein gutes altlat. Wort, das in der T a t , wie griech. apitT) 'Weihe': aprnr) 'Sichel', v o n falx abzuleiten ist. Merkwürdig bleibt dabei aber, daß Falco in mehreren altgerm. Dialekten auch als Eigenname verwendet wird, was eher auf germanisches Indigenat schließen lassen könnte. § 3. W o h e r die Germanen die neue Jagdweise, die weder Caesar noch Tacitus noch Plinius bei ihnen kennen, die aber sowohl in den legibus Barbarorum, wenigstens in den späteren (si quis acceptorem de arbore furaverit der L e x . Sal. könnte noch auf die oben geschilderte oppianische J a g d weise gehen, doch L e x . Alem. h a t bereits: acceptor qui aucatn mordet), wie auch bei den nordischen Germanen (vgl. Weinhold A l t n . Leben S. 64 ff.) bezeugt ist, dürfte schwer zu sagen sein. Nicht v o m W e s t e n , v o n den K e l t e n her, auf welche die Bedeutung dieses Volkes auf andern Gebieten' des Jagdsportes hinweisen könnte (s. u. J a g d ) . Hier ist erst im X . Jahrh. in wallisischen Rechtsquellen die Jagd mit Habicht, Falke und Sperber, und zwar ganz in der späteren mittelalterlichen Weise, zu belegen, und a l t k y m r . hebauc, altir. sebocc ' H a b i c h t ' sind nicht, wie man früher gemeint hat, die Quelle v o n , sondern E n t lehnung a u s agls. heajoc, engl, hawk (ahd. Iiabuh, ältn. haukr, finn. havukka). Vgl. (nach K . Meyer V . Sb. d. kgl. preuß. A k . d. W . 19x4) auch ir. speröc 'Sperber' aus mengl. sperhauk. § 4. Wahrscheinlicher ist es, daß die ersten Vorstöße der Germanen nach dem Südosten Europas sie, vielleicht auf thrakischem Boden, zuerst mit der Benutzung gewisser V ö g e l zu Jagdzwecken bekannt machten, und die Stürme de.' Völkerwanderung alsdann die Falkenjagd selbst aus dem Innern Asiens nach dem Okzident herüber brachten. In T ü r k e -

st a n , dem Stammland der Türken, b e i denen diese Jagdweise, wie es scheint, seit ältester Zeit bekannt ist (vgl. V ä m b e r y Primitive K u l t u r S. 100), sind die edelsten. Falken- und Habichtsarten noch heute einheimisch. Auch kann man sich die J a g d mit Vögeln eher auf der unendlichen Steppe Zentralasiens als in dem begrenzten W a l d land Europas entstanden denken. Jedenfalls ist v o n dort aus die s l a v i s c h e W e l t und, durch persische Vermittlung, B y z a n z beeinflußt worden. Schon in sehr früher Zeit ist das türkische karagu, kergu 'Sperber' in sämtliche slavische Sprachen eingedrungen: altsl. kraguj, bulg. kargo, russ. (lautlich auffallend) kraguj usw. (vgl. M i klosich T ü r k . Eiern. S. 91). V g l . a u c h russ. sarycü (Falco Buteo) aus nordtürk. sareca 'Jagdfalke'. Unter den b y z a n t i n i s c h e n Ausdrücken für Jagdvögel, die das Orneosophion, rcsp. Hierakosophion des Kaisers Michael angibt, sind einheimisch: iepa£ 'Habicht', ueTpiT7je 'Edel-, T a u b e n - und Wanderfalke' und ¿fuTtTEpo? 'Sperber'; drei Ausdrücke a b e r sind orientalischen Ursprungs: nämlich Ccqavos aus türk. sagen 'Weihe' oder aus arab.-pers. sähin, Pamird. säin, kurd. sin 'Königsfalke', au^y-oupiov aus npers. sonkur 'Gerfalke' und xioupaxiov 'Sorrak, Falco candicans' wohl aus npers. cary, P a m i r d . tsär, tsdrgh. A n den altrussischen Fürstenhöfen bereits hatte die Falkenjagd eine außerordentliche Bedeutung, und schon im Slowo 0 polky Igorja werden die 10 Finger des Sängers, die über die Saiten gleiten, mit zehn F a l k e n verglichen, die sich auf eine Schwanenherde stürzen, obgleich man dabei a u c h an wilde Falken denken könnte. Die wichtigsten J a g d v ö g e l sind, neben dem schon genannten türkischen kraguj, der sökolü 'Falke', lit. säkalas (kaum : scrt. gakund- 'Vogel'),, der krecetü 'eine Falkenart' (schon im Slowo 0 polky Igorja genannt und vielleicht zu der schallnachahmenden Wurzel krik- gehörig; v g l . griech. xipxos 'Habicht' oder 'Falke', auch xepxvo?, xspxaS, xspxa?, xepxis, nach A . F i c k K . Z. X L I V , 345: xpixe 8s Cu^öv, 'es kreischte das Joch') und der jästr^bü ' H a b i c h t ' (von Miklosich E t . W . : slovak. jastriti 'scharf blicken' gestellt; anders Meillet Mem. de la soc. ling. X I , 185). M a n

FALKE, FALKENJAGD

283

j a g t mit ihnen nicht nur Vögel, sondern Gunst des Zaren Alexej Michailowitsch die auch größeres Wild und hängt ihnen verErlaubnis zuteil, seine Jagdvögel ( K r e t goldete Glöckchen an. Die Falkennestel schets, s. 0.) zu besichtigen, deren einen gehören dem Landesherrn und sind gesetznach der Zeichnung eines Begleiters Meyerlich geschützt (vgl. N. Aristov Gewerbe bergs Fig. 30 darstellt (vgl. Augustin wesen im alten Rußland, Petersburg 1866 Freiherr v . Meyerberg und seine Reise nach S. 8 f. russ.). Ebenso w a r in Preußen und R u ß l a n d v o n F. Adelung, Petersburg 1827 Litauen die Jagd mit Vögeln das LieblingsS. 2 H ff.). In Moskau bewahrt der schöne vergnügen der Fürsten (vgl. P. D a h m s Die Park v o n Sokölniki (sökolü 'Falke') noch B e i z j a g d in Altpreußen, Archiv t. K u l t u r g e heute die Erinnerung a n diese fürstliche schichte II, 1 ff.). Jagdlust. § 5 . Aber auch im w e s t l i c h e n E u r o p a § 7. Zu erwähnen bleiben einige weitere wuchs die Bedeutung der F a l k e n j a g d immer Bezeichnungendes H a b i c h t s , des ältesten mehr, so daß sie im V I . Jahrh. auf verschiedenen Kirchenversammlungen der Geistlichkeit verboten werden mußte. Ihren Höhepunkt erreichte sie im X I I . und X I I I . Jahrh., in dem Friedrich II. ein eigenes Werk über sie schrieb. Auch damals noch kamen neue Verbesserungen auf diesem Gebiet aus dem Orient. So wird z B . im Buche des Kaisers Friedrich die Erfindung der Falkenhaube (capella) als eine arabische bezeichnet. Einen s p r a c h l i c h e n Beleg für diese spätorientalischen Beziehungen bietet mlat. sacer, it. sagro, frz., span. sacre, mhd. sackers 'der Sackerfalk'. Die Meinung, daß diese verhältnismäßig spät bezeugte Sippe nichts sei als das lat. sacer 'heilig', eine Übersetzung v o n ?epa£, kann jetzt wohl als aufgegeben gelten. Auch ahd. wie ' W e i h e ' ist v o n ahd. wiko 'heilig' zu trennen und auch in iepctS ist, wie Hesychs ßetpaxss F i g . 30. E i n großfürstlicher G e r f a l k e . S a m m l u n g lehrt, iepos 'heilig' = scrt. ishird- erst volkstümlich hineingetragen worden. Die oben | der Z e i c h n u n g e n zur Reise des Freiherrn von. M e y e r b e r g , Petersburg 1 8 2 7 . genannte Sippe von mlat. sacer etc. ist | vielmehr eine Entlehnung aus dem arab. Jagdvogels, die im Bisherigen keine B e saqr (vgl. auch npers. sikere 'Jagdhabicht'), das vielleicht seinerseits wieder aus türk. sprechung gefunden haben. tschakir entstellt ist. W e i t verbreitet ist das lat. accipiter. Es § 6. Mit der Erfindung des Schießpulvers wird gewöhnlich aus *acupiter (vgl. lat. acubeginnt der Verfall der Falkenjagd. Die pedius 'schnellfüßig' und griech. totojigu Namen der Jagdvögel werden nun zum Teil 'fliege') hergeleitet und als der 'schnellauf die neuen Schießwaffen übertragen: fliegende' (vgl. 0. griech. oSuirtspos ' H a vgl. it. jalconetto 'Feldschlange', moschetto, bicht', schon in der Septuaginta) gedeutet. eigentl. 'der Sperber', terzeruolo eigentl. Andrerseits (vgl. Holthausen I. F. V . 274) 'das Männchen des Habichts', sagro, eigentl. hat man an eine Grundform *aci-piter (aco'Sackerfalk', alles zugleich Ausdrücke für : got. ahaks 'Taube' und lat. petere 'auf Schießwaffen. A m längsten hat sich das etwas losgehen') gedacht und das W o r t alte Jagdvergnügen an den Höfen der etwa als „ T a u b e n s t ö ß e r " aufgefaßt, ganz. russischen Zaren erhalten. Als in den J a h - 1 wie das schon oben genannte ahd. habuh ren 1661/62 der Freiherr v . Meyerberg in I v o n Uhlenbeck Beiträge X X I , 98 auf eine Moskau weilte, wurde ihm als höchste Grundform *kapo-ghno- (*kapo- 'Huhn' i n

284

FAMILIE

scrt. kapinjala- 'Haselhuhn' etc., -ghno- = scrt. -ghna- z B . in brahma-ghna- 'Brahmanentöter') zurückgeführt und als „ H ü h nertöter" aufgefaßt worden ist (doch vgl. auch mlat. capus, das schon allein 'Habicht' bedeutet, und russ. kobecü, das man ebenfalls zur Erklärung von ahd. habuh herangezogen hat). Wie nun auch immer das zweifellos durch lat. accipere beeinflußte lat. accipiter entstanden zu denken sei, jedenfalls ist es durch die Rücksichtnahme auf dasselbe Verbum noch weiter beeinflußt worden.. Daher zunächst lat. acceptor ^schon bei Lucilius, vgl. auch F. Schramm Sprachliches zur Lex. Salica, Diss. Mamburg 1911 S. 63 f.;. — Aus acceptor oder volksmäßig noch weiter entstelltem *auceptor (: auceps) gingen die romanischen Formen span. azor, prov. austor, frz. autour, it. astore hervor. Vielleicht hatte auf ihre Bildung auch das zuerst von Firmicus Maternus gebrauchte •astur 'Sperber' Einfluß (Astir ein röm. Gladiatorenname, v g l . O. Keller Lat. Volkset. S. 314), dunkeln Ursprungs und kaum zu dem Aristotelischen dtJTspi«; 'eine Art Raubvogel' gehörig. Noch ist mit accipiter alb. k'ift 'Sperber' und ngr. Supxspt 'epervier' zu verbinden. Im Litauischen heißt der Habicht wänagas. Nach J. Grimm (s. u.), dem V. Hehn (s. u.) hierin folgt, läge eine Entlehnung aus dem Germanischen vor. Hier bedeute ahd. wanno-weho einen kleinen für heilig gehaltenen Raubvogel, dem Wannen (lat. vannus) an den Häusern errichtet würden, um darin zu nisten. Wort und Sitte stammten aus Italien, wo letztere schon Columella V I I I , 8 und Plinius X , 109 erwähnten. W e r indessen diese Nachrichten der Alten prüft, nach denen der tinunculus (von ¿¿wa 'Gefäß') in den Columbarien gerade zum S c h u t z g e g e n den Habicht gehalten wurde, wird die angegebene Erklärung für lit. wSnagas schon deswegen nicht glaublich finden. Eher könnte man für dasselbe an lr. fang 'Geier' denken. Vgl. B e c k m a n n Beyträge II, 2 S . 2 5 7 f f . , H a m m e r - P u r g s t a l l Falknerklee Wien 1840 (das türkische Falkenbuch, das byzantinische Hierakosophion, Kaiser Maximilians Buch über die Falknerei), J.

G r i m m Geschichte d. deutschen Sprache S. 43 ff., V. H e h n Kulturpflanzen 8 S. 374 ff., B a i s t Z. f. deutsches A . 1883, F. K l u g e Et. W. 8 s. v. Falke, F. R o e d e r in Hoops R. L. s. v. Falkenbeize. Familie. D i e idg. V c r w a n d t s c h a f t s n a m e n .

Die Sippe

des Mannes u n d die S i p p e der F r a u § 1 . A g a a t e n , Kognaten, Affinen. begriff a g n a t i s c h des

D e r idg. V e r w a n d t s c h a f t s -

§ 2 u. 3.

Hausherrn

zu

I.

Frau

Ehemann und Ehefrau § 4

Die und

Stellung Kindern

S t e l l u n g des W e i b e s

ü b e r h a u p t § 5. F r a g e der O p f e r g e m e m s c h a f t v o n M a n n u n d F r a u § 6.

D i e K i n d e r § 7.

Ausdehnung

idg.

der

f a m i l i e u n d Sonderfamilie § 8. bei Indern,

Armeniern,

II. D i e

Familie.

Groß-

Die G r o ß f a m i l i c

S l a v e n u n d K e l t e n § 9.

Ü b e r b l e i b s e l der G r o ß f a m i l i e bei Griechen, R ö mern, G e r m a n e n § 10. tumsverhältnisse Benennungen

R e g i e r u n g s - und E i g e n -

der G r o ß f a m i l i e

§ n.

der idg. Familie

§12.

Die Lat.

vindteare, vindex, vindiciae § 13. Die Weiterentw i c k l u n g der idg. F a m i l i e

§ 14.

§ 1. Aus den idg. Verwandtschaftsnamen ergibt sich, daß für die engste FamilienZusammengehörigkeit, für V a t e r , M u t ter, Sohn, T o c h t e r , B r u d e r , Schwes t e r (s. s. d. d.) urzeitliche Benennungen vorhanden waren. Außerdem gab es ein Wort für den B r u d e r des V a t e r s (s. u. O h e i m ) , für den G r o ß v a t e r und E n k e l (s. s. d. d.). Was die Heiratsverwandtschaft anbetrifft, so gab es eine Bezeichnung für die S c h w i e g e r t o c h t e r und für ihre Beziehungen zu den Verwandten des Mannes, also für dessen Vater, Mutter, Bruder, Schwester. Auch ein zusammenfassender Name für die Frauen vorf Brüdern war vorhanden (s. u. S c h w i e g e r - ) . Hingegen lassen sich k e i n e urzeitlichen Bezeichnungen für die Beziehungen des j u n g e n M a n n e s zu den Angehörigen seiner Frau und wohl auch keine für den Begriff des Schwiegersohnes selbst nachweisen. Der Schluß, der aus diesen Tatsachen gezogen werden muß, ist zunächst der, d a ß d e r G e d a n k e d e r A f f i n i t ä t im h e u t i g e n ' Sinne der U r z e i t noch nicht a u f g e g a n g e n s e i n k a n n . Die Sippe der^Fräu mochte schon damals als eine „befreundete" (südsl. prijateljstina 'die ganze Verwandtschaft der Frau'- altsl. prijateli 'Freund'; mhd. vriuntschaft 'Verschwägerung, Freundschaft'; griech. xy)5sotrj? 'jeder durch Heirat

FAMILIE V e r w a n d t e ' , ' 'Schwiegersohn, Schwiegerv a t e r , S c h w a g e r ' , xi]8e[iov£C - oi xaxa iiri•¡apiav ofxsloi H e s . , xr^EUiia ' V e r s c h w ä g e r u n g ' — w ä h r e n d im G e s e t z v o n G o r t y n xaoecruac B l u t s v e r w a n d t e v o n M ä n n e r n und namentlich v o n Frauen bezeichnet — : ¡oijSsios, xTjSiaxos ' l i e b ' ; s. ü b e r diese S i p p e a u c h u . A h n e n k u l t u s §20) g e l t e n ; a b e r a l s durch V e r w a n d t s c h a f t betrachtete man s i c h n o c h n i c h t m i t ihr v e r b u n d e n . „ M i t d e r E h e t r a t ein W e i b a u s d e m K r e i s i h r e r A n v e r w a n d t e n in d e n des M a n n e s ü b e r , w a s sie a b e r m i t d i e s e m v e r e i n i g t e , z e r r i ß z u gleich ihre bisherigen Familienbande, k n ü p f t e n i c h t n e u e z w i s c h e n ihrer u n d des Mannes Sippe an. Das W e i b verschwand, s o z u s a g e n , i m H a u s e des Ehemannes" (Sprachvergleichung und Urgeschichte). D i e d e u t l i c h s t e E r i n n e r u n g a n diesen e i n s t m a l i g e n S t a n d der D i n g e h a t das russische V o l k s l i e d b e w a h r t , in d e m die F a m i l i e , in die ein Mädchen einheiratet, als die „ F r e m d e " , ciizdja storond, b e z e i c h n e t w i r d im G e g e n s a t z z u d e m rodii oder rodüplemja, d e m das M ä d c h e n selbst a n g e h ö r t . E b e n s o w i r d der B r ä u t i g a m in der F a m i l i e des M ä d c h e n s Hiieninü 'der F r e m d e ' g e n a n n t , und es g e h ö r t z u d e m H-ochzeitsn t u a l des T r a u u n g s t a g e s , d a ß der B r ä u t i g a m v o n dem M ä d c h e n u m s t ä n d l i c h n a c h Namen und Herkunft gefragt wird. § 2. W e n n a b e r j e m a n d den B r u d e r seiner F r a u n i c h t als V e r w a n d t e n b e t r a c h tet, so ist es v o n v o r n h e r e i n n i c h t w a h r scheinlich, daß s e i n e K i n d e r den Bruder ihrer M u t t e r als solchen a n s e h e n w e r d e n , und tatsächlich können indogermanische N a m e n für lediglich durch Frauen verm i t t e l t e V e r w a n d t s c h a f t s b e z i e h u n g e n , im b e s o n d e r e n f ü r den M u t t e r b r u d e r (s. u. O h e i m ) , n i c h t nachgewiesen werden. W i e die A f f i n e n , w e r d e n daher a u c h die K o g n a t e n nur i m a l l g e m e i n e n als „ F r e u n d e " oder „ V e r b u n d e n e " b e z e i c h n e t w o r d e n sein, wie d e n n B i l d u n g e n v o n der W u r z e l bhendh ' b i n d e n ' i m g r i e c h . irsvöspo? d e n S c h w i e g e r v a t e r (des Mannes), i m scrt. bdndhu- v o r w i e g e n d den K o g n a t e n , n a m e n t l i c h d e n Mutterbruder (vgl. Jolly Sitte u. R e c h t S. 85 f.) b e z e i c h n e n . N i m m t m a n hierzu, d a ß die a u s d e r E r w e i t e r u n g der F a m i l i e s c h o n in der U r z e i t h e r v o r g e g a n g e n e S i p p e (s. d.) als a g r a r i s c h e und militärische E i n -

285

heit s c h l e c h t e r d i n g s n i c h t v e r s t a n d e n w e r den k a n n , w e n n m a n f ü r die Z u g e h ö r i g k e i t z u einer solchen S i p p e a u ß e r der V e r wandtschaft durch Männer a u c h noch die verwandtschaftlichen Beziehungen durch die F r a u e n m a ß g e b e n d sein l a s s e n w o l l t e , so ergibt sich a u s a l l e d e m , d a ß d e r F a milienbegriff der idg. Urzeit ein durchaus agnatischer_ gewesen sein muß.

, , j 1 !

, [ I 1

§ 3. Z u diesem E r g e b n i s w a r F . B e r n h ö f t , f r e i l i c h ohne s e i n e M e i n u n g , w a s erst d u r c h die S p r a c h v e r g l e i c h u n g m ö g l i c h war,, eigentlich beweisen zu können, schon im J a h r e 1882 g e l a n g t , i n d e m er ( S t a a t u n d R e c h t der r ö m i s c h e n K ö n i g s z e i t S. 202) sehr r i c h t i g s a g t : „ D a s P r i n z i p der V e r w a n d t s c h a f t im M a n n e s s t a m m e ist s c h o n in der g e m e i n s c h a f t l i c h e n V o r z e i t der I n d o germanen durchgedrungen. Die A n n a h m e , als o b u r s p r ü n g l i c h n o c h V e r w a n d t s c h a f t im W e i b e r s t a m m e g e g o l t e n h ä t t e und hieraus sich bei j e d e m e i n z e l n e n V o l k e d a s a g n a t i s c h e P r i n z i p m e h r o d e r w e n i g e r rein e n t w i c k e l t h ä t t e , ist z u v e r w e r f e n . " L e i d e r ist er später, n a m e n t l i c h in e i n e m A u f s a t z E h e - und E r b r e c h t d e r g r i e c h i s c h e n H e roenzeit (L. f. v e r g l . R e c h t s w . X I , 321 ff.), aus nicht ausreichenden Gründen von dieser richtigen E r k e n n t n i s w i e d e r a b g e w i c h e n . p f i n g e g e n h a t R . S c h r ö d e r seit der z w e i t e n A u f l a g e seiner Deutschen R e c h t s g e s c h i c h t e (1894) S. 62 ( f ü n f t e A u f l . S. 65) den schon in S p r a c h v e r g l e i c h u n g u n d Urgeschichte1 vertretenen Standpunkt ohne Einschränkung angenommen: „ D e r A u f b a u der arischen [ i n d o g e r m a n i s c h e n ] Familie w a r ein d u r c h a u s a g n a t i s c h e r , die B l u t s freunde v o n mütterlicher Seite wurden nicht als V e r w a n d t e , s o n d e r n n u r a l s Freunde angesehen" (vgl. auch Brunner Deutsche R e c h t s g e s c h i c h t e Iz, m f f . ) . D a s selbe t u t O. L o r e n z in s e i n e m H a n d b u c h der G e n e a l o g i e (Berlin 1898) S . 81 ff., d e r auf diesem W e g e z u g l e i c h die E r s c h e i n u n g erklärt sieht, d a ß „ d i e G e n e a l o g i e n d e r a l t e n V ö l k e r in der A s z e n d e n z i m m e r n u r die v ä t e r l i c h e R e i h e b e r ü c k s i c h t i g e n " . D i e E i n w e n d u n g e n L e i s t s ( A l t a r . J u s c i v i l e 1, 265 f.) g e g e n diese i m m e r m e h r d u r c h d r i n genden Anschauungen v o n dem C h a r a k t e r der ä l t e s t e n F a m i l i e sind n i c h t s t i c h h a l t i g . E r w e i s t d a r a u f hin, „ d a ß die a l t e S p r a c h e

286

FAMILIE

nicht einmal ein Wort für Agnation habe", •ohne zu bedenken, daß in einer Zeit, in der es nur e i n e A r t der Verwandtschaft, die agnatische, gab, natürlich jedes Wort, welc h e s V e r w a n d t e r , Verwandtschaft usw. bezeichnete, ausschließlich in diesem Sinne gemeint war. Gegensätze wie lat. agnatus und cognatus, scrt. sapinda- und bándhu-, •deutsch Germagen und Spindelmagen, altnorw. bauggildimapr 'Agnat', nefgildimaßr ' K o g n a t ' , námágar' Verschwägerte' gehören erst den Einzelsprachen an. W e n n er dann ferner zugunsten eines ursprünglich kognatischen Familiengedankens auf „ d i e hohe Wichtigkeit des A v u n k u lats, die bis zu den Germanen reiche" und auf die „ b e i Griechen wie Indern bestehende Erbberechtigung irpöc fiYjTpo?" hinweist, so ergibt sich die geringe Tragweite dieser A r g u m e n t e aus den Ausführungen u. Oheim, Erbschaft und Mutterrecht. § 4. Hiernach bleibt das W e s e n d e r i n d o g e r m a n i s c h e n F a m i l i e noch nach einer d r e i f a c h e n Seite zu bestimmen. Es ist erstens über die S t e l l u n g des Hausherrn der Frau und den Kindern gegenüber und über die der beiden letzteren selbst zu handeln. Es ist zweitens die A u s d e h n u n g •der Familie in der Urzeit zu bestimmen, und es sind drittens die ältesten B e z e i c h n u n g e n des Familienbegriffes zu erörtern. I. D i e S t e l l u n g d e s H a u s h e r r n z u F r a u u n d K i n d e r n usw. An der Spitze der i d g . Familie steht der V a t e r (s. d.), der der Frau und dem ganzen Hause gegenüber als „ H e r r " , eigentlich , , E r selbst" (*poti-, s. u. E h e ) bezeichnet wird. Er h a t die Frau, durch Kauf (s. u. B r a u t k a u f ) in seine „ H a n d " gebracht, wie die Vergleichung von ahd. munt, altn. •alts. agls. mund 'mundium' (auch 'Hand') mit lat. manus in mancipium, manumissio, iixor in manu usw. und vielleicht mit altir. muntar, montar 'Familie' (s. u.) zeigt, eine wohl schon idg. Ausdrucksweise, die ursprünglich ohne Zweifel auf jedes familien- wie sachenrechtliche Eigentumsverhältnis angewendet wurde. Die Frau ist dadurch mit allem, was sie hervorbringt, das E i g e n t u m des Mannes geworden. Ihre Sippe gilt dem Manne noch nicht als «ine i h m verwandtschaftlich verbundene

(s. 0.). Auf demselben W e g e des K a u f s kann er sich eine zweite und dritte Frau (s. u. P o l y g a m i e ) erwerben; außerdem kann er sich (was aber wohl erst nach A u f kommen eines Sklavenstandes üblich wird) zur Befriedigung seiner L u s t eine unbestimmte Z a h l v o n K e b s e n (s. u. B e i s c h l ä f e r i n § 1) halten, während der Ehebruch (s. d.) der Frau bis in späte Zeiten mit dem T o d e geahndet wird. Uneingeschränktes Z ü c h t i g u n g s recht (s. d.) steht dem Ehemanne zu. Er kann die Frau verstoßen, die ihrerseits m i t unauflöslichen Banden (s. u. E h e s c h e i d u n g ) , die nur der Tod zerschneiden kann (s. u. M o r d ) , an den Mann gebunden ist. Ist er selbst nicht imstande, sich den erflehten Sohn, der dereinst für die Ruhe seiner Seele (s. u. Ahnenkultus § 20, S. 38b) sorgen soll, zu erzeugen, so k a n n er dies bei seinem W e i b e durch einen Z e u g u n g s h e l f e r (s. d.) besorgen lassen, wie er gelegentlich auch nicht ansteht, seine Frau einem besonders geehrten Freund (s. u. G a s t f r e u n d s c h a f t ) zur Verfügung zu stellen. So ungleichartig war die Stellung v o n Mann und Frau, daß die sprachliche Ausbildung v o n Begriffen wie E h e (s. d.), G a t t e n (s. u. E h e ) , j a v i e l leicht v o n E l t e r n (s. d.) in der Urzeit noch unmöglich gewesen zu sein scheint. A u c h ein W o r t für d e n W i t w e r fehlte in der Ursprache noch, aus d e m einfachen Grunde, weil ein Mann, der seine Frau eingebüßt hatte, ein bedeutungsloser Begriff war, etwa wie ein Mann, der eine K u h oder dergleichen verloren h a t t e (s. u. W i t w e ) . § 5. Niedrig wie die Stellung des Eheweibes ist natürlich auch die der Frau überhaupt gewesen. Während die Männer die Tage des Friedens mit Trinken, Spielen (s. u. S p i e l ) und Schlafen hinbringen, liegen der Frau die schwersten Arbeiten (s. u. A c k e r b a u § 9) ob, noch schwerer gemacht durch die zahlreichen Geburten ixs. u. K i n d e r r e i c h t u m ) , denen sie ausgesetzt ist. Erst ganz allmählich wird sie zum E i g e n t u m und zur Erbschaft (s. s. d. d.) zugelassen. Bei den M a h l z e i t e n (s. u. T i s c h o r d n u n g ) speisen die Weiber getrennt v o n den Männern und erhalten, was diese übrig lassen. Töchter zu

FAMILIE h a b e n , gilt allen altidg. Völkern für ein J a m m e r , v o n dem man sich häufig durch A u s s e t z u n g derselben befreit (s. u. A u s setzungsrecht). Noch heute z ä h l t der L i t a u e r , wenn er die Zahl seiner Kinder a n g i b t , die Töchter überhaupt nicht mit. Zur Jungfrau herangewachsen, ist das Mädc h e n ein Tauschobjekt für den Vater, der sie verheiratet, ohne nach ihrem Willen zu fragen (s. u. H e i r a t ) . Der allgemeine Satz •der Völkerkunde (vgl. E. Große Die Formen der Familie und d. F. d. Wirtschaft S. 171, 181), daß Frauenkauf und Vaterfolge übera l l zunächst mit einer niedrigen Stellung des Weibes verbunden sind, bewahrheitet sich also durchaus auch auf idg. Boden, und es ist schwer zu begreifen, wie Leist in seinen Büchern Altarisches Jus gentium und Altarisches Jus civile (passim) zu der V o r s t e l l u n g v o n einer p a r e n t a l r e c h t liehen S t e l l u n g der idg Frau dem Manne gegenüber gelangen konnte. § 6. D i e O p f e r g e m e i n s c h a f t (s. d.) der E h e g a t t e n , wie sie uns bei Indern und R ö m e r n entgegentritt, kann man für eine frühzeitige Gleichstellung der Frau mit dem Manne den oben angeführten Tatsachen gegenüber nicht geltend machen; denn es steht nichts im Wege, worauf Fustel de Coulanges L a cité antique schon längst hingewiesen hat, die Frau auch hierbei ursprünglich nicht als eine dem Manne gleichberechtigte Teilnehmerin am Opfer, sondern als seine D i e n e r i n und G e h i l f i n aufzufassen.- Auch fehlt es weder in Italien noch i n Indien an Opfern, bei denen die A n wesenheit der Frau streng untersagt ist, Erscheinungen, die man nach dem obigen a l s survivais eines Zustandes auffassen muß, in dem die Frau überhaupt nicht zum Opfer zugelassen war (weiteres a. o. a. 0.). Über die ursprüngliche Bedeutung des neben idg. '"poti- liegenden *potnî- s. u. E h e . § 7. Gleichwohl wird das Los der Frau, dem auch einige lichtere Seiten schon in der U r z e i t nicht fehlen (s. u. A r z t § 6 und u. O r a k e l § 8), frühzeitig durch die Anteilnahme der Sippe, Welcher sie angehörte, gemildert worden sein. Um so länger und schroffer t r i t t die ganze Strenge der v ä t e r lichen G e w a l t den K i n d e r n gegenüber zutage. U b e r die I n d e r äußert in dieser B e z i e h u n g Jolly aaO. S. 78: „ N a c h Nârada

287

I, 32—42 herrscht der Hausvater {gfhin-) über seine Familie wie ein König über seine Untertanen, ein Lehrer über seine Schüler. Seine Frauen und Diener sind ihm unbedingten Gehorsam schuldig, und selbst seine Söhne bleiben abhängig v o n ihm, solange er lebt, selbst wenn sie mit 16 Jahren volljährig geworden sind. . . . Über die Söhne kann er unbedingt verfügen, sie v e r schenken, verkaufen oder verstoßen (Vas. 15, 2); doch wird der Verkauf schon Ap. 2, 13, II verboten. . . . Der Erwerb der Söhne gehört im allgemeinen dem Vater, sie stehen in dieser Hinsicht mit Sklaven und Frauen auf gleicher Stufe (Närada 5, 41);" • F ü r das alte G a l l i e n haben wir den kurzen, aber bedeutsamen Satz des Caesar De bell. Gall. V I , 19: Viri in uxores sicut in liberos vitae necisque habent potestatem. D a s selbe gilt bei den alten P r e u ß e n (nach Hartknoch Das alte und neue Preußen S. 208), und auf ihrer vollen Höhe steht die patria poteslas in der a l t r u s s i s c h e n F a milie, wie sie das Volkslied oder die K o m ö dien Ostrovskij's aus dem Leben der K a u f leute uns schildern. W i e die Stellung der Frau als Sklavin dem Manne gegenüber aus der uralten Hochzcitssitte des razuvdti, d. h. der Entschuhung des Bräutigams durch die Braut vor Vollziehung des Beilagers hervorgeht, so stehen die Söhne, auch wenn sie erwachsen sind, noch unter der vollen Gewalt des Vaters und müssen, selbst wenn sie a u s w ä r t s arbeiten, ihr Verdienst in die väterliche Kasse abliefern. Zahlreiche, abstoßende Züge dieses samodtirstvo, d. h. der Selbstherrlichkeitsraserei des Familienoberhaupts gegen Frau und Kinder, treten uns bis an die Schwelle der Gegenwart entgegen (vgl. Sprachvergl. u. Urg. II 3 , 35off.). Über die a l t g e r m a n i s c h e n Zustände berichtet R. Schröder aaO. S. 64 ( = 5 67): „ V o n der außerordentlichen Strenge, m i t der die Gewalt des Hausherrn (*poti-) in der idg. Zeit ausgestattet gewesen sein muß, haben sich in den germanischen Rechten noch manche, zum Teil bis in das Mittelalter verfolgbare Spuren erhalten [vgl. auch Brunner D. Rechtsg. I 2 , 102]. Die Töchter unterlagen, teilweise noch in der fränkischen Zeit, dem unbedingten Heiratszwange des Vaters. In Fällen der Not konnte m a n Frau und Kinder in die Knechtschaft v e r -

288

FAMILIE

kaufen [ l a c . ann. IV, 72]. Beide waren der strengsten Z u c h t - und Strafgewalt des Hausherrn unterworfen. . . , Man hat die W e h r h a f t m a c h u n g der Söhne mehrfach für einen die väterliche Gewalt aufhebenden E m a n z i p a t i o n s a k t erklärt. Aber indem T a c i t u s [Germ. Cap. 13: Haec apud illos toga, hic primus tuventae honos\ ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae] den A k t m i t der A n l e g u n g der toga virilis bei den R ö m e r n gleichstellte (bei den Germanen bestand die A b l e g u n g der Kindertracht in dem Scheren der bis dahin unverkürzt getragenen Haare), g a b er zu verstehen, daß es sich nur um die Einräumung der politischen Selbständigkeit, keineswegs aber um die Entlassung aus der patria potestas handelte". Im G r i e c h i s c h e n weist der U m stand, daß ÖESTröTTjs (s. u.), das ursprünglich nichts anderes wie ldg. *poti- bedeutete, allmählich den Sinn v o n 'unumschränkter Herrscher', z B . v o m Perserkönig gesagt, angenommen h a t , auf die Fülle der Macht hin, über w e l c h e der Hausherr einst auch in Hellas gebot. Später scheint sich dieselbe gerade hier verringert zu haben, und die familienrechtliche Mündigkeit trat wenigstens in A t h e n gleichzeitig mit der bürgerlichen (2 Jahre nach erfolgter Mannbarkeit) ein. Nur in solchen Fällen, in denen die Hausgemeinschaft unaufgelöst blieb (s. u.), wird die väterliche Gewalt fortgewirkt haben (vgl. Jevons K i n and custom Journal of philology X V I , 103 ff., wo überhaupt wertvolles Material für die A n n a h m e einer größeren Bedeutung der patria potestas in Griechenland beigebracht wird). Auf uraltem idg. Rechtsboden aber befinden wir uns wieder in R o m . Auch hier h a t dem V a t e r das volle Verfügungsrecht über seine K i n d e r zugestanden. E r durfte sie aussetzen, verkaufen, töten (vgl. die Belege hierfür und für die späteren Einschränkungen bei Marquardt Privatleben I, 3). Erst mit dem Tode des Vaters erlischt seine Gewalt über die Kinder. Es kann daher nicht bezweifelt werden, daß, sobald man das W e s e n und nicht die F o r m der Sache ins A u g e faßt, der altrömische Begriff der patria potestas, ebenso wie der der A g n a tion (s. o.), nicht, wie Leist Altar. Jus civile I, 77 meint „partikularrechtliches, lateinisch-römisches ius civile", sondern, wenn

auch in seinen letzten Konsequenzen erst in Rom juristisch ausgebaut (s. u.), uraltes gemeinsames Besitztum der idg. Völker (Jus gentium) ist. II. D i e A u s d e h n u n g d e r i n d o g e r manischen Familie. § 8. Bei den idg. Völkern begegnen uns inGeschichte und Gegenwart z w e i Formen der Familie, die wir mit E. Große (s. 0.) als die S o n d e r f a m i l i e und die G r o ß f a m i l i e bezeichnen können. Bei der ersteren tritt der Sohn mit seiner Verheiratung aus dem väterlichen Hause aus, entzündet ein eigenes Herdfeuer und führt eine eigene Wirtschaft, bei der letzteren bleiben die Söhne auch nach ihrer Verheiratung und oft auch nach dem Tode des Vaters (gewöhnlich unter der Herrschaft des ältesten Bruders) in dem väterlichen Erbe sitzen und bilden eine H a u s - und Wirtschaftsgemeinschaft. A u c h Delbrück hebt (Verwandtschaftsnamen S. 4) diese Verschiedenheit hervor und f ü g t hinzu: „ E s liegt, wie mir scheint, kein Grund zu der A n n a h m e vor, daß diese Verhältnisse in der Urzeit einförmiger gewesen seien, als diejenigen, die wir j e t z t beobachten". Indessen wird man doch zugeben müssen, daß die beiden genannten Formen der Familie zwei soverschiedene soziale und wirtschaftliche Ordnungen darstellen, daß sie zwar, wie es tatsächlich der Fall ist, die eine als untergehendes, die andere als aufsprießendes Gebilde, bei gewissen Einzelvölkern eine Zeitlang nebeneinander gelegen haben, aber nicht nebeneinander entstanden sein kön nen. Die Frage l ä ß t sich daher nicht u m gehen, welche der beiden Familienformen die ältere sei. Es läßt sich abei unschwer wahrscheinlich machen, d a ß f ü r d i e i d g . Urzeit die F o r m der Großfamilie a n z u s e t z e n , und auf idg. Boden also überall die Sonderfamilie aus der Großfamilie hervorgegangen ist. Dasselbe ist die Ansicht E. Hermanns in seinem eben erschienenen Aufsatz Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen Großfamilie (Nachrichten von der K . Gesellschaft der W . zu Göttingen, phil.-hist. K L 1918). § 9. Die F o r m der Hausgemeinschaft tritt uns unter den idg. Völkern mit besonderer Deutlichkeit in Asien bei I n d e r n

FAMILIE

289

so wird der älteste Sohn der Beherrscher und A r m e n i e r n , in Europa bei S l a v e n des Hauswesens, und so noch ferner in der und K e l t e n entgegen. Die bei den drei dritten Generation". Die s ü d s l a v i s c h e zuerst genannten Völkern in dieser B e Hausgemeinschaft (zadruga) besteht nach ziehung herrschenden Zustände sollen z u der Schilderung v o n K r a u ß Sitte und nächst in einigen charakteristischen Zügen Brauch der Südslaven S. 64 ff. aus einer dargestellt werden. ,,Die i n d i s c h e GeVereinigung v o n an Zahl bis zu 60—70 Mits a m t f a m i l i e " , sagt Jolly Sitte und Recht gliedern, die untereinander Blutsverwandte S. 76, „ b e r u h t auf der Gemeinsamkeit der 2.—3. Grades , , s e l b s t v e r s t ä n d l i c h n u r Wohnung, der Mahlzeiten, des Gottesin m ä n n l i c h e r L i n i e " s i n d . Siewohnen dienstes und des Eigentums. Die gemeinin demselben Gehöft, besitzen ein gemeinsame Bereitung der Nahrung und das Z u sames Vermögen und sind untereinander sammenspeisen ist das sichtbarste äußere gleichberechtigt. A n der Spitze steht ein Zeichen der Zusammengehörigkeit, und die Hausverweser (domacin), der zwar die geMitglieder der Familie werden daher geradezu als' die Gesamtheit der eüapäMha 'vasa-' meinschaftlichen ' Afigelegfenheit'en" lditet, aber nicht Eigentümer des Familienvertarn, d. h. „gemeinsam kochenden" bezeichnet [vgl. u. griech. ofioaiituoi]. Der l mögens ist, das, wie schon bemerkt, sämtlichen männlichen erwachsenen HausgeP a t r i a r c h , der an der Spitze der Familie nossen gemeinschaftlich gehört. Hausstand, konnte in der Regel zu einer Teilung verweser wird der verständigste Familiendes Vermögens nicht gezwungen werden, vater. Eine eigentliche W a h l findet aber und so mußte bis zu seinem Tode die Zahl selten statt. Häufig folgt vielmehr der Sohn der mit ihm in Gütergemeinschaft lebenden Familienglieder stetig anschwellen, zumal ' oder Bruder (vgl. S. 81). Die Hausgemeinschaft wohnt so, daß das eigentliche Haus da der männliche Deszendent schon in [ognjisle 'die Feuerstätte') allein v o n dem jugendlichem Alter eine Schwiegertochter Hausverweser und seiner Familie bewohnt m daä Haus brachte. . . . Starb der p a t e r wird, um das sich dann in hufeisenförmigem f a m i l i a s , ohne selbst eine Teilung v o r g e Halbkreis die Wohnungen der übrigen Mitnommen zu haben, so ging seine Würde auf glieder (nur Schlafkammern) herumgrupseinen ältesten Sohn über, der entweder pieren; die Mahlzeiten werden v o n den Mängeradezu als der Erbe oder wenigstens als nern gemeinsam eingenommen (vgl. die freider Haushaltungsvorstand betrachtet lich nicht genau entsprechende Abbildung wurde, der wie ein V a t e r f,ür seine jüngeren T . X X I , Fig. 5). Allerdings hat man neuerBrüder und Verwandten sorgen sollte". dings den Nachweis versucht, daß diese V o n der a r m e n i s c h e n Hausgemeinschaft serbische .Zadruga keine altertümliche, son berichtet Dr. Barchudarian (bei Leist A l t dern eine verhältnismäßig junge Erscheiarisches Jus civile I, 497): „ D a s Haus nung darstelle, beruhend auf einem v o n bildet eine festgeschlossene Gemeinschaft, B y z a n z ausgehenden bini ac terai-System, und z w a r wird diese nicht dadurch gelöst, d. h. der zwangsweisen Zusammensiedelung daß die Söhne heiraten und ein eigenes zweier oder dreier verheirateter, nicht einHaus gründen. Vielmehr geht die absolute mal notwendig verwandter Männer zum Herrschaft des Haushalters fort auf die v o n Zweck leichterer Steuererhebung (vgl. J. den Söhnen und Enkeln gegründeten F a Peisker Die serbische Zadruga, Z. f. Sozialmilien. Alles lebt zusammen nach dem und Wirtschaftsgeschichte VII, 211 ff.). keinen Widerspruch duldenden Willen des Allein so wahrscheinlich derartige SteuerHausherrn. Die Verfügungen desselben sind Verhältnisse auf die E r h a l t u n g der Zaunwidersprechlich. W a s die Söhne erwerdruga v o n Einfluß gewesen sind, so unben, k o m m t in die gemeinsame Kasse, aus wahrscheinlich ist es, daß sie dieselbe ins der die z u m Hause gehörigen Frauen erLeben gerufen haben, z u m a l auch in nährt werden Es gilt noch ganz der Satz, Rußland die patriarchalische Großdaß die Mädchen keine Mitgift erhalten; sie familie (patriarchdlinaja bolisäja semijd) im werden m i t Kleidern und Schmuck ausgebäuerlichen Leben einstmals der herrstattet. Sie treten durch die Verheiratung schende T y p u s gewesen ist (vgl. über die aus dem Hause aus. Stirbt der Hausherr, O. S c h r ä d e r

Reallcxikon.

2. A.

19

290

FAMILIE

P l u t a r c h A e m . P a u l . V: ijaav f a p exxaioExa

so-ftEvsts, Al'Xioi -aviEj — also Agna ten —• ' otxi'Siov ol Travu ¡¿ixpov r(v autoic xal )jtupiotov sv fjpxst wtai ¡i(av eaxtav v£(j.ouai \iE\a 7.aiötuv noXXtüv xal -fuvatxuiv -). Oft scheint in solchen Hausgemeinschaften e i n e r der älteren Frauen die Beaufsichtigung aller Kinder zugefallen zu sein (Tacit. , Dial. Cap. 28). Stellt man zu diesen sich so ergebenden Zügen einer altrömischen Hausgemeinschaft, dem Zusammenwohnen mehrerer Generationen, den gemeinsamen Mahlzeiten, der gemeinsamen Kindererziehung, die in Rom selbstverständlichen des gemeinsamen Gottesdienstes (der Laren und Penaten) und der gemeinsamen Abhängigkeit von der patna potestas, so hat man in den römischen Verhältnissen das ziemlich getreue Ebenbild der idg. Gesamtfamilie vor sich. Auch in G r i e c h e n l a n d tritt uns die alte Form der Hausgemeinschaft noch in Poesie und Wirklichkeit entgegen. Homerische Beispiele bieten das Haus des Priamos in Troja und das mythische des Aiolos (Od. X, 5), vielleicht auch das des Nestor und das des Alkinoos (vgl. K. Koch Die Stellung der Frau bei Homer, Progr. Eisenach 1909 S. 10). Charakteristisch ist ferner, daß der homerische Held sein Weib nicht in sein eigenes Haus, sondern in das des Vaters führt. Vgl. 11. IX, 147. wo Agamemnon dem Achilleus seine Tochter anbietet: tpi'Xijv dvasBvov äflaOtu -päc oTxov rivjX^os. Besonders zwang in Sparta die Unteilbarkeit des xXrjpos mehrere Brüder, vereinigt in dem ungeteilten Erbe sitzen zu bleiben. Aber auch in Athen müssen solche Fälle noch in späterer Zeit häufig vorgekommen sein (vgl. besonders F. B. Jevons aaO. S. 102 ff.). Endlich dürften auch Bezeichnungen der Familienmitglieder wie ojjLosrauot 'Brotkorbgenossen' (v "¡mimv Ciovxu>v . x a l iravxe? im ty)V aoxrjv

i(Bohtov xpaite£av J ). Ferner erwähnt Valerius Maximus von der Familie der Aelier (IV, 8): Quid Aelia familia, quam locuplesl Sedecim eodem tempore Aelii fuerunt, quibus una domuneula erat . . . et unus in agro Vejente fundus, minus multo cultores desiderans, quam dominos habebat (dazu vgl.

291

FAMILIE Ober die G e r m a n e n stehen uns aus der ältesten Zeit keine direkten Nachrichten zur Verfügung; doch fehlt es in den späteren Rechtsquellen, namentlich im dänischen Recht und in den Nachrichten über das weitverbreitete Ganerbentum (vgl. Rietschel bei Hoops R . L . s. v. Familie § 9 und s. v. Ganerbschaft § 2 u. 3) nicht an Spuren, die das Bestehen der patriarchalischen Großfamilie auch auf germanischem Boden wahrscheinlich machen. Sehr charakteristisch ist auch der Ausdruck got. gadauka 'Hausgenosse', wenn er mit Feist und Kauffmann (W. u. S. II, 2i5) mit got. daühts • 'Gastmahl' zu verbinden ist, .also Speisegenosse bedeutet. Vielleicht waren aber die Germanen unter den Nordvölkern die ersten, die, gemäß dem ihnen eingeborenen Selbständigkeitstrieb, zur Sonderfamilie übergingen. § I I . Wenn nach dem Bisherigen demnach die a g n a t i s c h a u f g e b a u t e G r o ß f a m i l i e als indogermanisch anzusetzen ist, so ergibt sich Näheres über ihre Ausdehnung und soziale Bedeutung aus den u. E r b s c h a f t angestellten Erörterungen über den Begriff einer idg. N a h v e r w a n d t s c h a f t . Es hat sich daselbst gezeigt, daß diese scheinbar so abstrakte Vorstellung in den konkreten Verhältnissen der idg. agnatischen Hausgemeinschaft wurzeln muß, die sich oft vom Urgroßvater bis zum Urenkel mit den dazu gehörigen Seitenverwandten erstreckt haben wird. Die besonderen Rechte und Pflichten, namentlich die des A h n e n k u l t e s , der B l u t r a c h e (s. s. d. d.) und der N a c h f o l g e im E r b e (s. u. E r b s c h a f t ) , welche später mit jener N a h v e r w a n d t s c h a f t verknüpft sind, werden daher von Haus aus an den einzelnen Großfamilien oder H a u s g e n o s s e n s c h a f t e n gehaftet haben, die noch mit Rücksicht auf die in ihnen herrschenden R e g i e r u n g s - und E i g e n t u m s v e r h ä l t nisse eine kurze Besprechung nötig machen. Es liegt in der oben geschilderten Natur der väterlichen Gewalt, daß sich dieselbe über alle Mitglieder der Hausgenossenschaft in ihrer ganzen Strenge erstreckte und erst mit dem Tode des Paterfamilias erlosch. Doch ist dabei zu bedenken, daß es sich hier um Zeiten handelt, in denen ein starres, von einem Staat geschütztes R e c h t noch

!

|

i '

nicht regiert und alle Ordnung von der naturgemäß mannigfachen Schwankungen unterworfenen S i t t e abhängt. Es wird daher auch vorgekommen sein, daß gelegentlich der Paterfamilias, der nicht mehr durch die Kraft seines Armes oder seines Geistes die Hausgemeinschaft regieren konnte, von dem aufstrebenden Sohne, der im Falle des Todes und des Zusammen bleibens der Verwandten der gegebene Nachfolger war, entthront und, wie etwa Laertes in der Odyssee, auf das Altenteil gesetzt wurde, wenn er nicht zu noch schlimmerem Los verurteilt wurde (s. u. A l t e L e u t e und. vgl. .Jhering .Vorgeschichte. S,. 53). Wir müssen uns alle diese^urzeitlichen Verhältnisse in einem gewissen Fluß begriffen und nicht von römischen Juristen ausgeklügelt vorstellen. Das E i g e n t u m der idg. Hausgenossenschaft gehörte allen männlichen Mitgliedern derselben gemeinschaftlich. Es könnte scheinen, als ob dieser Satz dem von der unumschränkten Gewalt des Paterfamilias widerspräche. Und dem wäre so, wenn man eben für die Urzeit mit scharf geschliffenen juristischen Begriffen rechnen dürfte. Man wird aber das Verhältnis am besten so ausdrücken: das Eigentum wurde von den Familienmitgliedern als Gesamteigentum betrachtet, über das ein schrankenloses Verwaltungsrecht dem Paterfamilias zustand. D e r G e d a n k e , daß er d i e s e s G u t an F r e m d e weggeben könnte, lag dem Familiensinne dieser Zeit fern. Im r ö m i s c h e n Recht hat eine leise Verschiebung dahin stattgefunden, daß der Paterfamilias nun wirklich Eigentümer des Familiengutes geworden ist. Ob ihn auch d a s V o l k in der ältesten Zeit als solchen ansah, mag dahingestellt bleiben. Die S p u r e i n e r E p o c h e , wo a u c h in R o m das E i g e n t u m als F a m i l i e n g u t a u f g e f a ß t w u r d e , l i e g t in l a t . vindicare (s. u. § 13) v o r . III. D i e B e n e n n u n g e n d e r idg. Familie. §12. Der odereinidg. Name der Familieergibt- sich mit Sicherheit aus der Gleichung: scrt. ddmpati-'Hausherr' = griech. Ssairóxr(c (s. o.). Diese Wörter sind aus einem idg. "dem-s-poti- hervorgegangen, das *poti- des *dem- = scrt.dam-'Haus' [Gen. PI. damam), 19*

292

FAMILIE

aw. dam-, armen, tun (vgl. Hübschmann Armen. Gr. S. 498) bedeutet. In vollerer Form liegt jenes *dem- in dem ebenfalls schon indogermanischen : scrt. däma-, griech. o6[ios, lat. domus, altsl. domü, sowie wohl auch in aw. nmdna-aus *ddmäna- (vgl. auch altpers. maniya-, n.pers. man und lit. nämai}) vor, die fast alle, wie ldg. *aem-, im Griechischen und Litauischen namentlich im Plural, zugleich im Sinne von ' F a m i l i e ' gebraucht werden können. Im Laufe der Zeit sind dann an die Stelle des alten Wortes vielfach n e u e Ausdrücke für Familie getreten, die zum Teil ebenfalls von dem Haus, der Wohnstätte ausgehen. Dies gilt von scrt. gfhä- (gfhdpaii- 'Hausherr') = aw. gereda- 'tjöhle, unterirdische Behausung' (s. u. Haus § 8), für griech. olxoc, oixsTsia (vgl. Aristoteles Politik I, 2, 6: 7) [j.Ev ouv ei; -äactv vjjispav auveaxnjxuta xoivuma xaxa tpuatv oix6< eaxtv, ou? 6 [iev Xap(uv8a? xataT 6(j,oötJtuous, 'Emusvi'Srjs 8e o Kpijs o i i o x a T o u ? 1 ) : X?)TCO; 'Hufe, Garten' s. o.), für ahd. hüs (wie auch noch für nhd. „Haus") u. a. Recht eigentlich die in einem Haushalt vereinigte Mannschaft, namentlich auch in ihrer Verwendung im Kriege (s. u. Heer), meint das urkelüsche Kompositum *tego-slougo-s : ir. teglach 'Hausgenossenschaft', altkymr. telu 'Haushalt, Familie', korn. teilu gl. familia : ir. teg, tech 'Haus' und slög 'Schar, Zug, Heer' (vgl. Zeuß Gr. Celt.s p. 140, Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 321). Etwas verwickelter ist. die Bedeutungsgeschichte von lat. familia. Das uritalische Wort (vgl. umbr. famerias) ist zunächst eine Ableitung von osk. famel, lat. famulus, die, wie osk. faamat 'er wohnt' zu zeigen scheint, ursprünglich 'Hausbewohner' bedeutet haben. Zu vergleichen ist wahrscheinlich scrt. dhäman' Wohnstätte, Heimat, bes. die Stelle des heiligen Feuers, die Angehörigen, zusammengehörige Schar'. Der eigentliche Sinn von familia ist demnach 'Hausbewohnerschaft', paterfamilias (vgl. oben idg. '"dem s-poti-) ist der Vater oder Herr der Hausbewohnerschaft. In der historisch bezeugten Sprache bedeutet aber familia zuerst nur das Hausv e r m ö g e n und das Gesinde, ' ) „ D i e tägliche Gemeinschaft ist ihrem W e s e n nach der ofy.o;. D i e Teilnehmer nennt Charondas orxojinuoi, Epimenides von Kreta

und erst später wird es, aber doch wohl in Anknüpfung an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, als Komplexbegriff für •einen Teil der Geschlechtsgenossen und für das Geschlecht selbst gebraucht (vgl. M. Breal Dict. etym. lat. S. 84, Mommsen Rom. Staatsrecht III, I; io*, B. Delbrück bei Leist Altar. Jus civ. II, 1692, Walde Lat. et. Wb.*, H. Reichelt K . Z. X L V I , 344 f.; nur wenige haben andere Erklärungen für lat. familia versucht und es zB. dem lit. gimine 'Verwandtschaft' gleichsetzen wollen). In paterfamilias ist die ursprüngliche Bedeutung von familia immer bewahrt geblieben. Die „in der Hand' L (•manus) eben dieses pater familias befindlichen Personen bedeutet vielleicht das schon oben genannte altir. muntar, montar (vgl. darüber Jubainville La famille celtique S. 4; anders freilich Thurneysen Handbuch des Altirischen S. 517, der Entlehnung aus lat. monasterium annimmt). Anderer Herkunft ist der germanische Stamm *hiwa-, *hiwa- in got. heiwa-frauja 'Hausherr', agls. hi-rid 'Familie', ahd. hi-rät 'Vermählung', hiwiski 'Hausgesinde', 'Familie', altn. hyske 'Familie', agls. Mwan pl. 'Diener', ahd. hiwo 'Gatte, Hausgenosse', hiwa 'Gattin' usw. Derselbe entspricht genau dem scrt. givd-, qeva- 'lieb'. Die Hausgenossen sind also als die ' L i e b e n ' , die 'Freunde'bezeichnet (s.u. F r e u n d u n d F e i n d ) . Von derselben Wurzel, aber mit anderem Suffix ist wohl auch die weit verbreitete litu-slavische Sippe *sei-mi- abgeleitet: altsl. semija 'persona', semija'mancipia', siminü 'mancipium', klruss. semja 'Familie', russ. semija 'Mann und Weib', .Familie', semijaninü 'Oberhaupt der Familie', altpr. seimins, lit. szeimyna 'Gesinde' usw. (vgl. Milclosich Et. W.). Die Grundbedeutung ist i m m e r ' d i e L i e b e n ' , ' V e r ein der L i e b e n ' (über die Stellung der Sklaven s. u. S t ä n d e ) . Endlich werden auch Wörter, die ganz allgemein ' A b s t a m m u n g ' , ' N a c h k o m menschaft', 'Verwandtschaft' bedeuten, für die Hausgemeinschaft gebraucht. So altpers. tauma, aw. taokhman: scrt. tue- 'Nachkommenschaft' (s. u. Enkel), so scrt. jäs- (: jänas-) in jds-pdti'Familienvater', so griech. ndxpa 'die unter der Gewalt eines TOrrrjp stehende Vereini-

FAMILIE gung', so slavisch rodü 'partus, generatio, gens' (vgl. Ewers Ältestes Recht d. Russen S. 12 und Krauß aaO. S. 73: „In der Hercegovina, Crnagora und der Bocca nennen die Mädchen, solange sie im Elternhause weilen, dasselbe dem1, und, nachdem sie ausgeheiratet, rod, das neue Heim dagegen dorn"). Hierher wäre auch lat. prosàpia 'Sippschaft, Geschlecht' zu stellen, wenn es richtig von sópio = sert. sdpas (vgl. Osthoff Paul u. Braunes Bei'tr. X X , 93, Archiv f. Religionsw. VIII, 2) abgeleitet wird, wenn man für dieses von der Bedeutung „penis" ausgeht, während im Gegensatz' dazu das spate 'mhd.' gelihter ''Sippe, Familie' : ahd. léhtar 'uterus, matrix' gehört. An letzteres anschließen Würde sich aw. nàfa- I. 'Nabel' ('Nabelschnur'?), 2. 'Verwandtschaft, Familie' (auch nafah und näjya- 'familienangehörig'). Vereinzelt ist schließlich die walisische Rechtsbezeichnung gwely 'Bett' = Familie (Jubainville aaO. S. 50). Da die Hausgemeinschaften sich im Verlauf der natürlichen Entwicklung zu Sippen und die Sippen zu Stämmen erweitere die sich von einem und demselben (hier natürlich toten) Stammvater wie die Hausgemeinschaft ableiten, so ist es begreiflich, daß namentlich diejenigen Benennungen der Großfamilie, die dieselbe als 'Freundschaft' oder 'Verwandtschaft' bezeichnen, auch für die weiteren Begriffe gebraucht werden können (s. u. Sippe und Stamm). § 13. Es dürfte hier der geeignete Ort sein, in ausführlicherer Erörterung auf eine Gruppe bisher noch nicht zusammengestellter Wörter einzugehen, die, wenn richtig miteinander verglichen, in hohem Maße geeignet sind, den Charakter der einstigen Großfamilie namentlich mit Rücksicht auf das v o r h i s t o r i s c h e Rom noch näher zu bestimmen. Es handelt sich um die Gruppe; lat. vindex, vindicere, vindiciae, vindicta, vindicare, vindicatio : ir. fine 'Großfamilie', 'joint femily1 (Sept) aus *venio- und altgall. Veni-cärus 'seiner Familie wert', ir. fin-gai 'Mord eines Familiengenossen' (*veni-), ahd. mini aus *veni 'Wer zur Familie gehört', ' Freund'. Die lateinische Wortsippe tritt uns schon

293

• in der ältesten Überlieferung in einer drei fachen Bedeutung entgegen. Wer nach der ersten der X I I Tafeln in ins vocatwr, muß unter allen Umständen Folge leisten, es sei denn, daß er an seiner Stelle einen vindex stellt, und das Gesetz bestimmt: Assiduo (d. h. dem reichen Manne) vindex assiduus esto, proletario iarn civi quis volet vindex esto. In der dritten Tafel werden sodann die Schuldverhältnisse abgehandelt. Nach Ablauf der 30 dies iusti kann der Gläubiger die Hand an den Schuldner legen und ihn vor den Richter führen. Ni iudicatum facit aut quis endo eo in iure vindicit, securn ducito, 'd. h. 'der Gläubiger kann den Schuldner mit nach Hause nehmen und dort gefesselt in Gewahrsam halten, wenn nicht der Schuldner sich einen vindex verschafft. Vindex sein (vindicere) bedeutet also zunächst „vor Gericht für jemanden eintreten". Ein deutsches, sich genau deckendes Hauptwort ist für die Übersetzung des spezifisch römischen Rechtsbegriftes vindex natürlich nicht vorhanden. Am nächsten würde unser „Bürge" kommen, doch nicht in dem rein juristischen Sinne, nach dem der Bürge neben einen andern tritt, wohl aber in dem Sinne, in dem etwa Schiller das Wort in der „Bürgschaft" gebraucht: „So muß er statt deiner erblassen, und dir ist die Strafe erlassen." Eine zweite für das altrömische Rechtsleben nicht minder wichtige Bedeutung der lateinischen Wortsippe liegt vor in dem von vindex abgeleiteten vindicare 'eine Person und Sache als. sein Eigentum in Anspruch nehmen'. Hierzu stellen sich das ebenfalls schon in den X I I Tafeln bezeugte vindicia, vindiciae 'der vom Praetor für die Dauer eines Rechtsstreits einem der streitenden Teile zugesprochene Besitz des Streitobjekts', 'die Eigentumsklage und das Streitobjekt selbst', sowie vindicatio 'Verfolgung eines Anspruchs' und ebenfalls 'Eigentumsklage'. Drittens heißt vindex 'Rächer', vindicare 'rächen', vindicta 'Rache'. Daß auch diese Bedeutung, und zwar ursprünglich in dem technischen Sinne der im historischen Rom erloschenen Blutrache, sehr alt ist, dürfte aus einer merkwürdigen Stelle des Trinummus (v. 642 ff.) gefolgert werden können. Der junge Lysiteles macht 'hier

294

FAMILIE

dem leichtsinnigen Lesbonicus die heftigsten Vorwürfe: „ H a b e n dir", sagt er, „ d e i n e Vorfahren deshalb den guten Ruf hinterlassen, damit du das durch ihre T ü c h t i g k e i t Erworbene schimpflich verdürbest, Atque honori posterorwm tuorum ul vindex fieresi", eine Stelle, die Ritsehl (Opusc. II, 526) ohne Zweifel richtig mit den Worten übersetzt: „ d a m i t du z u m Henker (vindex) würdest an der Ehre deiner K i n d e r " . Die Bedeutung ' Henker' aber setzt eine frühere Bedeutung 'Bluträcher' voraus; denn aus einer solchen ergibt sich der Sinn v o n 'Henker' ohne weiteres, wenn m a n bedenkt, daß die ursprünglich auf Selbst-, beziehungsweise Familienhilfe beruhende Institution der Blutrache in R o m wie anderwärts vom Staate übernommen wurde, so daß der die nunmehr als S t r a f e , nicht als R a c h e gedachte T ö t u n g des Schuldigen vollziehende B e a m t e , dessen Gewerbe in der ältesten Zeit nirgends etwas Verächtliches hatte (s. u. S t r a f e ) , sehr wohl als 'Bluträchei' (vindex) bezeichnet werden konnte. Zur e t y m o l o g i s c h e n Erklärung unserer Wortsippe waren bisher im wesentlichen d r e i Versuche gemacht worden. Den Alten schien es sicher, und vielen unserer Juristen scheint es sicher, daß der erste Teil des Wortes vindex den A k k u s a t i v von vis 'Gew a l t ' enthalte, eine Auffassung, die K . O. M ü l l e r (Rhein. Museum für Jurisprudenz V, 190) näher zu begründen versucht hat. Zu den Formen des Vindikationsprozesses gehört es nämlich, daß beide Parteien, die um einen S k l a v e n oder ein anderes Gut streiten, einen Stab, eine jesluca in der Hand haben, die auch selbst vmdicta genannt wird, mit dieser den streitigen Gegenstand berühren, und, wenn es sich zB. um einen Sklaven handelt, nacheinander sagen: Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio secundum suam causam sicut dixi. Ecce tibi vindictam imposui. Da nun an Stelle der jestuca nach Gaius (Institutiones IV, 16) ehemals eine hasta als Signum quoddam iusti dominii stand, auch der Vorgang v o n den A l t e n selbst durch in iure manurn conserere bezeichnet wurde (vgl. Gellius Noct. A t t . X X , 10), so meint K . 0 . Müller, dafr dieser Brauch die symbolisch bewahrte

! I j |

Erinnerung a n eine Zeit darstelle, in der man um sein E i g e n t u m nur mit den W a f f e n stritt. Vin-dicia ist ihm daher nichts anderes als das ,,an den T a g legen v o n G e w a l t , wenn der Gegner der Forderung nicht n a c h | geben w i l l " . Gleich hier k a n n hervorgehoben werden, daß es seltsam erscheint, wenn die lateinische Sprache, vor die A u f g a b e gestellt, die Inanspruchnahme eines Eigentums auf dem Wege des R e c h t s auszudrücken, dafür kein anderes Mittel gehabt haben sollte, als auf die G e w a l t hinzuweisen. Auch hat sich die neuere Sprachforschung mit jener Erklärung nicht zufrieden gegeben, sondern zwei weitere Deutungen versucht. Zunächst h a t W . C o r s s e n (Aussprache und Voc. II 2 . 272 f.) vindex aus *veno-dex hergeleitet, den ersten Bestandteil desWortes, *veno- zu sert, van 'gern haben', 'wünschen' gestellt, und vindex als d e n gedeutet, „ d e r sein Begehren ausspricht",, „einen Rechtsanspruch erhebt". Ferner hat M. B r é a l (Mém. de la soc. de lingu. I I f 318), ohne zu bemerken, daß seine E r klärung schon in dem Etymologicon des alten Vossius sich verzeichnet findet, f ü r vindex ein *vêno-dex angesetzt, dieses ''venoin vêneo, vendere, vénumdare, also in einem alten *vênum 'der Preis' wiederzufinden geglaubt und demzufolge vindex als den erklärt, „ d e r den Preis nennt", w a s soviel heißen soll als „ u n homme qui déclare donner caution". Alle drei Erklärungen finden sich b e i P o t t (Et. F. II, 4, 141 und 520 ff.) b e s p r o c h e n , der aber selbst zu einer festen Entscheidung nicht kommt. Es läßt sich zeigen, daß alle drei Deutungen nicht h a l t bar sind. Allerdings lassen sich f o r m e l l e Bed e n k e n — und auch schwerlich mehr a l s solche — nur gegen die Herleitung unserer Sippe aus vim dicere geltend machen. D a vindicare und vindiciae offenbar A b l e i t u n gen aus vindex sind, wie iûdicare und iûdicium v o n iudex, so wäre die Annahme einer alten Zusammenrückung nur für das einmalige vindicere nahe liegend. Wie aber vindex selbst direkt aus einer Z u sammenschiebung v o n vim und -dex e n t standen sein sollte, ist sprachgeschichtlich schwer einzusehen.

FAMILIE Der entscheidende Gesichtspunkt liegt jedoch auf dem Gebiete der B e d e u t u n g s lehre. Alle drei Erklärungen kranken nämlich an demselben Fehler, daß sie immer nur e i n e Seite des oben als dreispaltig erwiesenen Bedeutungskerns unserer Sippe erklären. W i e kann man v o n der Bedeutung „ G e w a l t a n den T a g legen", angenommen, daß sie der Ausgangspunkt für die Termino logie des Vindikationsprozesses gewesen sei, ohne gewaltsame Sprünge zu der Bedeutung ,,für jemanden als Bürge eintreten" gel a n g e n ? W o ist die Brücke, auf der man von ,,ein Begehren aussprechen" zu „ R a c h e ü b e n " oder v o n ,eine K a u t i o n stellen" zu sein „Eigentumsrecht geltend machen" hinüberkommen könnte? In der T a t ist den älteren Etymologen diese Diskrepanz der Bedeutungen so groß erschienen, daß sie für unsere Sippe zwei ganz verschiedene Stammverba, ein vindicare und ein vendicare annahmen. D a dies gegenwärtig niemand befürworten wird, zumal wir wissen, daß vindicare überall die ältere, vendicare die jüngere Schreibung ist, so muß derjenige, welcher eine neue Erklärung vorzuschlagen beabsichtigt, vor allem sein Augenmerk darauf richten, hinter jener historischen Dreispaltigkeit des Bedeutungskernes eine vorhistorische Einheit nachzuweisen. Oder mit andern Worten: der Begriff, den der erste Bestandteil v o n vin-dex enthält, muß ein derartiger sein, daß der feierliche Hinweis auf ihn, wie er in -dex : deico, ost'y.vujii ausgesprochen ist — in beiden Sprachen sind mit dieser Wurzel schon juristische Vorstellungen verknüpft—•, den Gedanken d e s f ü r j e m a n den als B ü r g e E i n t r e t e n s , der Inanspruchnahme eines Eigentums und d e s R ä c h e n s hervorrufen kann. Ein solcher Begriff ist nur einmal vorhanden. Es ist die alte ldg. F a m i l i e , d . h . die in mehreren Generationen beieinander bleibende G r o ß f a m i l i e . Die Mitglieder einer solchen Familiensippe sind untereinander solidarisch verbunden, indem sie in jeder Weise füreinander einstehen, einander schützen und rächen. Ein Sondereigentum des einzelnen ist noch rficht vorhanden. Es gibt lediglich ein Gesamteigentum der einzelnen Hausgemeinschaften, das zunächst nur aus fahrender Habe besteht. 1

295

D a ß diese altidg. Großfamilie auch aut r ö m i s c h e m Boden noch, lebendig war, geht aus dem Obigen zur Genüge hervor. Sollte sich daher in dem ersten Bestandteil v o n vin-dex ein alter idg. Ausdruck für den Begriff der Großfamilie wieder finden lassen, so würde dies die Möglichkeit eröffnen, einen Ausweg aus den obwaltenden Schwierigkeiten zu finden. Und in der T a t läßt sich ein solches Wort nachweisen, und zwar in denjenigen Sprachen, an die man sich zur Aufhellung des l a teinischen Wortschatzes nächst dem L a teinischen selbst in erster Linie zu wenden berechtigt ist, im K e l t i s c h e n und G e r manischen. Es gibt einen gemeinkeltischen Stamm *vemo-, welcher in lr. •fine vorliegt, das genau den auf altirischem Boden noch lebendigen Begriff der Großfamilie, joint faimly oder Sept bezeichnet. Finechas ist das gemeinsame der Familie gehörigeEigentum, Erbschaft, Nachfolge, Recht der F a milie usw. Daneben findet sich ein Stamm *veni- für das Mitglied einer Großfamilie, der in altgall. Veni-cärus 'seiner Familie wert' und jn ir. fm-gal 'Mord eines Familiengenossen', ftn-galach 'one who has killed a tribesman', fin-galcha 'parricidalia arma' (ygl. lat. päriclda 'Sippenmörder' u. S i p p e ) vorliegt. A u s dem Germanischen aber gehört hierher ahd. winiaus *veni-s, eigentlich 'Lieber' (vgl. Maine Lectures on the early history of institutions 2 S. 105, H. d'Arbois de Jubainville Mem. de la soc. lingu. V I I , 294, Windisch Irische T e x t e Wörterb. s. v . , Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 270). Hier ist also das lat. vindex anzugliedern. Es ist ein echtes Kompositum, aus *venideics (*vendex, vindex wie indu aus endo) entstanden und bezeichnet einen „ d e r auf die Familie hinweist", etwa v o r dem K ö n i g e (s. d.), dessen A m t vielleicht schon in der Urzeit ein schiedsrichterliches war. Dieser Hinweis auf die Familie kann in einem dreifachen Sinne erfolgen. E r s t e n s in d e m , daß man jemanden als zu den *veni- gehörig hinstellt, wodurch man f ü r ihn e i n t r i t t , ihn s c h ü t z t , v e r t e i d i g t , f ü r i h n b ü r g t (vgl. hinsichtlich der altkymrischen Familienverbände Gualter Mapes De nugis curialium Dist. II. Cap. 22 p. 96 bei Walter Das alte Wales S. 135

296

F A M I L I E N B E G R Ä B N I S — F AEIBE

Anm. I: Ut moris est, vadem se offert pro iuvene tota cognatio, et cavere ludicio sisti). Z w e i t e n s in dem Sinne, daß man eine Person oder eine Sache als den *veni- und damit sich selber gehörig bezeichnet, wodurch man dieselben als sein E i g e n t u m beansprucht. So bedeutet vindicare geradezu etwas als zur Hausgemeinschaft gehörig bezeichnen (s. u. E i g e n t u m und vgl. Leist Altar. Jus civ. II, 298). Es ist die Rechtsformel aio meurn esse ex iure Quiritium in der Sprache einer früheren Kulturstufe (vgl. hinsichtlich des Gesamteigentums der altirischen fine Jubainville Familie celtique S. 41 und die hier angeführten altirischen Gesetze, vor allem den Settchus M6r). D r i t t e n s endlich ist *venideics einer, der auf die Familie hinweist in d e m Sinne, daß er die Verfolgung einer Untat als Sache der *veni- hinstellt, wodurch er die F a m i l i e n - oder B l u t r a c h e proklamiert. Vindicia und vindicta sind die Substantivierungen des in vindex zunächst partizipial gedachten Begriffs und bedeuten ursprünglich ganz allgemein 'Hinweisung auf die Familiensippe', 'Geltendmachung des Sippenrechts' usw. Vindicere, wenn richtig überliefert, kann in formeller Beziehung eine Zusammenrückung aus *venim dicere sein. Vindicta aus *veni-dic-td (vgl. mulc.-ta.-. mulcare) bedeutet ursprünglich abstrakt „Hinweis auf die Familie", dann auch konkret das Symbol dieses Hinweises (die festuca). Als Grundbedeutung des Stammes *veni- kann man, mit Corssen an die Sanskritwurzel van 'gern haben' anknüpfend, und in Analogie zu dem oben besprochenen Stamme *Mwa- 'Familie', einen Begriff wie 'Freundschaft' oder 'Freunde' ansetzen. In jedem Falle dürfte die vorgetragene Erklärung den Vorzug verdienen vor der neuerdings von A. Döhring Archiv f. lat. Lex. XIV, 136 f. gegebenen, wo vindex zu di-videre gestellt und als der Teilende, Trennende, Scheidende gedeutet wird (vgl. dazu Walde Lat. et. W b . » S. 838 f.). §14. Auf die W e i t e r e n t w i c k l u n g der i d g . F a m i l i e kann und soll hier nur in einigen ihrer Hauptzüge hingewiesen Werden. Je fester die Ansiedelungen und je stabiler die Wohnungsverhältnisse der Menschen werden, je mehr Wird die agnatische

Struktur der idg. Familie durch die Berücksichtigung der Verwandtschaft mit der Mutter durchbrochen. Die Heiratsverwandtschaft und der Kognationsgedanke treten jetzt hervor. Die wichtigste Rolle bei diesen Vorgängen spielt naturgemäß der M u t t e r b r u d e r (s. u. Oheim). Er bildet gleichsam die Brücke zwischen der Vater- und Mutterfamilie. Namen für ihn kommen daher nunmehr in den Einzelsprachen auf. Besonders angesehen gestaltet sich seine Stellung bei den Germanen: Sororum filiis, sagt Tacitus Germ. Cap. 20, idern apud avunculum qui apud patrern honor. Doch geht bei der E r b s c h a f t (s. d.) der patruus noch immer dem avunculus vor. Nicht ausgeschlossen ist auch die Möglichkeit, daß auf das Hervortreten des Kognationsgedankens der Einfluß des M u t t e r r e c h t s (s. d.) Vorindogermanischer Bevölkerungsschichten mit von Bedeutung gewesen ist. Je enger aber die Beziehungen der in ein fremdes Haus eingetretenen Frau und ihrer Kinder zu ihrer heimatlichen Sippe sich gestalten, desto größer wird der Einfluß dieser letzteren auf die Gestaltung der S t e l l u n g der F r a u in dem Hause des Mannes sein. In der allmählichen Annäherung der väterlichen und mütterlichen Verwandtschaft liegt nämlich ein Hauptgrund für die allmähliche Steigerung der Würde der Frau. Der durch den Kultus und die Priesterschaften geförderte Gedanke, daß Mann und Frau Glieder eines Leibes seien, wirkt in derselben Richtung. Die Monogamie schreitet siegreich Vorwärts. Wörter für die Begriffe Ehe, Gatten, wohl auch Eltern werden jetzt möglich. Gleichzeitig führen wirtschaftliche, soziale und politische Umwälzungen auf weiten Völkergebieten die Sprengung der alten verwandtschaftlichen Verbände herbei: an die Stelle der Sippe und der Großfamilie treten Staat und Sonderfamilie. — S. u. E h e , S i p p e , Stamm, Staat, Volk. Familienbegräbnis, s. F r i e d h o f . Familienfeste, s. Z e i t t e i l u n g . Familienrecht, s. R e c h t . Farbe. Terminologie für den Begriff der Farbe § 1 — 3 . Fülle von Bezeichnungen füi Farbennuancen im

FARBE

297

barva etc.), das andere Mal aus dem Slavischen (krösas, s. o.). § 3. So weist alles daraufhin, daß ein Wort für Farbe in der U r z e i t überhaupt nicht vorhanden war, eine Erklärung, die m den Untersuchungen von H . Magnus über § 1. Obgleich es sicher ist, daß m a n den Farbensinn der Naturvölker (Preyer schon in der Urzeit v o n Farben Gebrauch Sammlung physiol. A b h a n d l . II) ihre E n t g e m a c h t h a t (s. u . Farbstoffe und sprechung findet. „ D i e A u f f a s s u n g der T ä t o w i e r u n g ) , so ist doch eine idg. BeFarbe", heißt es daselbst S. 14 f., „als eines zeichnung f ü r den B e g r i f f d e r F a r b e abstrakten Begriffes, wie wir sie bei zivilinicht ermittelt worden. Auf das Arische sierten Nationen finden, dürfte der Mehrbeschränkt sich scrt. ranga- = npers. reng zahl der in unserem Interesse untersuchten (armen, erang), auf d a s L i t u - S l a v i s c h e Volksstämme fehlen. Es scheint so, als ob a l t p r woapis = altsl. vapü; doch ist in die philosophische Isolierung, die Ablösung, beiden Fällen auch ein Entlehnungsverdes Abstraktum, der Farbe, v o n dem K o n hältnis nicht ausgeschlossen, zumal das kretum, dem gefärbten Gegenstand, für slavische W o r t im Verdacht steht, seinereine große A n z a h l der Naturvölker eine viel seits aus dem griech. $ars>~q übernommen zu schwierige geistige Operation sei, und zu sein. A u s dem Toch. A ist yok bekannt sie deshalb lieber darauf verzichten, die geworden. Vorstellung der Farbe begrifflich und sprachlich selbständig zu entwickeln und § 2. D i e e i n z e l s p r a c h l i c h e n Bezeichnungen fassen die Farbe meist a l s H ü l l e 1 es vorziehen, den Begriff „ F a r b e " mit o d e r H a u t auf: so scrt. värna- (auch • andern ihrer geistigen Sphäre adäquateren und bequemeren Vorstellungen zu ver' K a s t e ' ) : var- 'bedecken', lat. color: occulere, schmelzen." Ähnlich äußert sich R. Findeis griech. jfpföfxa : XP 'fließe') ab. So sert. -sravâ in girisravâ 'Bergstrom', griech. por, (*srovâ), lit. srioivé (vgl. auch altsl. estroviï 'Insel'), so griech. pîùfjia, îr. sruaim, ahd. slroum, so sert, srô'tas-, altp. rautah-, npers. rod (vgl. auch îr. sruth 'Fluß' und Vielleicht armen, aru 'Kanal' aus *sruti-s Wie npers. jol, jô 'Kanal' : altp. yawiayd-, sert, yavyä 'in Strömen'). Andere E n t sprechungen sind: sert, ap-, aw. ap-} altpr. ape, lit. ùpè; lat. aqua, got. ahwa.

-¡ûszc,

FLUSZ a h d . ouwa (zu der Bedeutung 'Insel' v g l . •oben altsl. ostrovü); sert. dmbu- 'Wasser', gall. ambe 'rivo', inter ambes 'inter rivos'; lr. abann, aub 'Fluß' (über die nordwestdeutschen Orts- und Flußnamen auf -apa, •afa, -afia vgl. Müllenhoff D. A . - K . II, 227 ff.), lat. amnis (*abm-). In den meisten dieser Reihen wechselt die allgemeine B e deutung 'Wasser' mit der von 'Fluß'. Im tocharischen A . heißt der Fluß ysan, B. •cke\ auch A . einfach war 'Wasser'. § 2 U r a l t e Bezeichnungen hierfür stecken aber auch m einer großen Zahl v o n E i g e n n a m e n asiatischer wie europäischer Flüsse W i e der 'Ivoo (durch iranische Vermittlung aus dem Indischen entlehnt) nichts Weiter als Strom (sert. sindhu-; Vgl. auch ir. Sinann, aus *Sindhanä — Shannon) bedeutet, so gehört der makedonische ü-pu[j.ov 'Zwiebel', Trpaaov 'Lauch' strömung erst in c h r i s t l i c h e r Z e i t (wohl zu erschließen aus jrpacuai 'Gemüse- durch die Küchengärten der Klöster, nabeete') und (j/ijÄtov 'Mohn'. Allmählich mentlich der Benediktinermönche(vgl. den aber wächst die Zahl der angebauten Ge- Entwurf eines Klostergartens im „Bauriß würzpflanzen, Gemüse und Salate ins un- | des Klosters St. Gallen vom Jahre 820"). gemessene. Ja, man kann sagen, daß die . Diese wurden dann wieder vorbildlich für Verwendung derselben im Altertum eine j die Anordnungen auch der weltlichen Bemannigfaltigere und intensivere als in | hörden (vgl. das Capitulare Karls des neueren xxitläuften war. Der Grund die- Großen de villis Cap. LXX), wie fiir die ser Erscheinung liegt darin, daß dieselben I Anlage der Gärten der Bevölkerung. auf der einen Seite moderne Volksnah- \ So ist es gekommen, daß die deutschen rungsmittel, wie die Kartoffel, und da- Bauerngärten bis in dieses Jahrhundert mals noch nicht oder nur wenig bekannte ] hinein im ganzen einheitlich noch den orientalische Gewürze, wie den P f e i f e r I Charakter repräsentieren, welchen die er(s. d.) ersetzen mußten, auf der andern I sten nach antikem Muster auf deutschem Seite aber an ihnen die Vorstellung von ' Boden gegründeten Gärten hatten (aus-

GARTEN, GARTENBAU fiihrlich hierüber R.v. Fischer-Benzon Altd. Gartenflora Kiel 1894). Vgl. Weiteres über den deutschen Gemüsegarten (agls. wyrttün, altn. grasgardr, mhd. krutgarte) bei M. Heyne Das deutsche Nahrungswesen S. 87, D. Lauenstein Der deutsche Garten des Mittelalters (Göttingen 1900) und (besonders) Hoops R. L. s. v. Gartenbau, ebenda Fuhse s. v. Gemüse. § 6. Von germanischem Boden sind auch auf diesem Gebiet wichtige Kultureinflüsse auf die benachbarten S l a v e n ausgegangen. Hinsichtlich des altsl. vrütü 'hortus', vrutogradü allerdings zweifelt man, ob es eine Entlehnung aus dem oben genannten got. aiitrigards (vielleicht mit Anlehnung an *vtrq, verli 'schließen') sei oder anders erklärt werden müsse (vgl. darüber Peisker Die älteren Beziehungen S. 83). Eine sichere Entlehnung aus dem deutschen obas 'Obst', agls. ofet aber ist altsl. ovosit'iructus' usw., das im heutigen Russisch (övoscü) ausschließlich den Sinn von 'Gemüse' angenommen hat. Auch in dem einheimischen russ. sadtt 'Garten' ist, ebenso wie in dem altruss. grürnit id., der Ausgangspunkt der Bedeutung 'Baumpflanzung'. Mit den germanischen Einflüssen kreuzen sich die byzantinischen. Schon von Oleg wird unter dem Jahre 907 berichtet, daß er u. a. ovosci aus Byzanz mitbrachte. Wie im Westen waren es auch hier die Mönche, die sich zuerst mit Gartenbau beschäftigten, so in dem Kiewer Kloster schon im 1 1 . Jahrh. (vgl. Aristov Das Gewerbewesen im alten Rußland S. 65 ff); doch ist in Rußland von den Klöstern eine viel geringere Einwirkung auf die bäuerliche Bevölkerung als in Westeuropa ausgegangen, und eigentliche Bauerngärten sucht man noch heute in vielen Gegenden Rußlands vergebens. § 7. Im einzelnen werden die Einflüsse, welche auf diesem Gebiet in Europa geherrscht haben, sich am besten in der nachfolgenden T a b e l l e übersehen lassen, welche an einer Reihe wichtiger Gartenp f l a n z e n einerseits die s p r a c h l i c h e Abhängigkeit Italiens von Griechenland, andererseits die des europäischen Nordens vom Süden zur Anschauung bringen soll. Die zahlreichen hier zur Sprache kommenden Entlehnungsreihen lehren das-

343

selbe, worauf vom Vf. schon in der Einleitung zur 6. Auflage von V. Hehns Kulturpflanzen und Haustieren S. X V I hingewiesen wurde, nämlich daß die Entlehnung eines Pflanzennamens keineswegs auch die Annahme einer Entlehnung der P f l a n z e selbst bedingt, sondern daß sie nur, wo es sich um eine Kulturpflanze handelt, auf die Richtung hinzudeuten pflegt, aus der die Anregung zur ersten I n - K u i t u r - N a h m e der b e t r e f fenden Pflanze erfolgte. Die Entlehnung z. B. von ahd. latluh aus lat. laciüca (Nr. 20). wird von der Entlehnung der Pflanze selbst begleitet gewesen sein, während z.B. lat. foeniculum (Nr. 10) auf eine einheimische wilde und dann kultivierte Fenchelart übertragen worden sein wird. Welche von beiden Möglichkeiten jedesmal vorliegt, kann nur durch die Naturwissenschaft und etwaige geschichtliche Nachrichten erwiesen werden. Der erste Ursprung der hier zu nennenden Pflanzennamen ist in einigen Fällen deutlich: griech euCcujmiv 'Rauke' wird wirklich 'Brühwürze' (Cwjxö? 'Brühe'), griech. "/.opiavvov 'Koriander' wirklich 'Wanzenkraut' (v.6ßi( 'Wanze'), griech. ßijXtov 'Lattich' wirklich 'Hustwurz' (ßij£ 'Husten'; vgl. auch lat. litsstlägo 'Lattich' = „was den Husten aufhören [griech. Xvj-fEtv] macht" und nir. casachdaighe\ casachdagh 'Husten') bedeutet haben. In den meisten Fällen aber ist er in völliges Dunkel gehüllt, und es hat keine große Uberzeugungskraft, etwa Svtjöov 'Dill' als 'duftendes' (: avsu.o? 'Hauch') oder (j-apadov 'Fenchel' als 'hochgewachsenes' (: ßXcüfrpös 'hoch', *mrddkro-s) oder asXwov 'Eppich' als 'Ringblume' (: tjjsXiov 'Armband') zu deuten. Von derartigen Erklärungsversuchen ist daher hier abgesehen worden. 1. A m a r a n t fAmarantus Bliiuin L.j. Spinatpflanze. Heimat: Südeuropa und östliche Mittelmeerländer. Griech. (Theophr.) ßXitov (vielleicht urverwandt mit ahd. mulda, mhd. melde 'Melde' s. d.), woraus lat. (Plaut.) blitum, Capit. blidas. Ahd. stur, sture (E. Björkmann Z. f. d. Wortf. III, 277). Vgl. auch G. Goetz Thes. 1,146. Später verdrängt durch den eigentlichen S p i n a t (s. d.).

344

GARTEN,

2. Anis (PwipinellaÄnisumL.).

GARTENBAU

Arz-

nei- und Gewürzpflanze. Heimat: Orient. Griech. (Diosk.) avvjaov, avtoov (: ävnjGov, s. u. Dill), woraus lat. (Cato) anisum, Cap. antsum (Thes. I, 71), mhd. anis, russ. anäsü, bulg. anason. Anis und Koriander wurden auf der griechischen Insel Therasia angeblich bereits vorhistorisch nachgewiesen 1 (vgl. M. Much Kupferzeit 2 S. 146). 3. A r t i s c h o k e (Cynara Scolymnus L.j. Die echte Artischoke, die im Altertum als Heil- und Nahrungsmittel diente, stammt nach De Candolle Ursprung der Kulturpfl. S . i i S von der in Südeuropa einheimischen C. Cardunculus ab. Die Geschichteder Artischoke behandelt außer Schuch aaO. S. 20 ff. und von FischerBenzon aaO. S. 121 f. noch Beckmann Beyträgell, 195 ff. Griech.xovdfcpa(Athen.), woraus lat. (Col.) cinara. Vgl. ferner griech. (Epicharm., Theophr.) xäy.to?, woraus lat. (Plin.) cacius. Lat. Carduus, Cap. cardones (?) (Thes. I, 182: cardus, agls. thistit). Der moderne Ausdruck artischoke, nordit. arliciocco geht zuletzt auf arab. al-harsaf zurück.

4. Bete (Beta vulgaris 5. B o h n e s. d.

L.) s. d.

6. Dill (Anetkum graveolensL

j. Hei-

mat: Südeuropa. Heil- und Gewürzpflanze. Griech. (Aristoph.) &7]&ov (Herod.: ävvjoov, avwov; s. auch o. u. A n i s ) , woraus lat. (Verg.) anethum., Cap. anetum. Ahd. Ulli, agls. dille (vgl. Hoops Waldbäume S. 602), altsl. koprü (vgl. Rostafinskij Symbola I, 256). 7. E n d i v i e (Cichorium Endivta L.j. Salatpflanze. Nach De Candolle aaO. S. 120 ff. eine Varietät des in der Mittelmeerregion wildwachsenden Cichorium pumilum Jaquin. Griech. (Epicharm.) aspt?, woraus lat. (Varro) seris. Lat. (Plin.)

iniubus (Thes. I, 565: indivia),

das nach

Lagarde (vgl. Muss-Arnolt Semitic and other glosses to Kluges Et. W . S. 25) aus dem arab. hindab stammt. Im Deutschen ist endivie erst spät. In den romanischen Sprachen gilt neben endivia\ it. scariola, frz. scarole aus lat. escarius 'zur Speise dienend*. 8. E p p i c h ( S e l l e r i e ; Apium graveolens L.). Im Altertum Gemüse- und Schmuckpflanze. Heimat: gemäßigtes

und südliches Europa. Griech. (Homer, bei dem aber nur an die wilde Pflanze gedacht werden kann; Theophr.) oéXtvov, woraus lat. (Apul.) selinum. Lat. apium (vgl. Walde Lat. et Wb. 2 ), Cap. apium, woraus ahd. e p f i , altmfrk. eppi, mndl. eppe, cech., poln. opich. 9. E r b s e s. d. 10. F e n c h e l (Anethum FoeniculumL.). Heil- und Gewürzpflanze. Heimat: Europa. Griech. (Epicharm., Theophr.) ¡j.ápa6ov, [AapaÖpov, woraus lat. (Ovid) marathrus und altsl. molotrü, sowie alb. maráj. Lat. foeniculum, Cap. feniculum, woraus ahd.

fenahhal, finahhal, mndl. venekel (Thes. I, 443 : finiculus, agls. finugl). Vgl. noch

altsl. moraci 'Fenchel' aus ngriech. ¡j.apáv.'.v, «¡j-apámov, ¿¡xápaxo? (G. Meyer Et. W . d. alb. Sprache S. 259, Vas.mer Griech.-slav. Studien II, 258) und altpr.

kamato.

11. K a p e r (Cappans Spinosa L.j. Gemüse- und Gewürzpflanze. Heimat: Südeuropa. Griech. (Theophr.) xdwnrapcc, woraus lat. (Plautus) capparis (Thes. 1,178). 12. K e r b e l (Anthriscus Cerefohum). Gemüsepflanze. Heimat: Südöstl. Rußland, Westasien. Lat. (Col., Plin.) caerefoItitm, chaerephyllon, Cap. cerfolium (Thes. I, 201, 216) aus einem nicht nachweisbaren griech. *x