Realismus und Apriorismus in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie: Mit einer Bibliographie der seit 1952 über Hartmann erschienenen Arbeiten 9783110832150, 9783110032345


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VORWORT
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HAUPTTEIL
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Realismus und Apriorismus in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie: Mit einer Bibliographie der seit 1952 über Hartmann erschienenen Arbeiten
 9783110832150, 9783110032345

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REALISMUS UND IN NICOLAI H A R T M A N N S

APRIORISMUS ERKENNTNISTHEORIE

Q U E L L E N U N D S T U D I E N ZUR GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE H E R A U S G E G E B E N VON

PAUL W I L P E R T

B A N D VIII

1965

WALTER

DE

G R U Y T E R

&

CO.

/

B E R L I N

VORMALS G. J. G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G · J . G U T T E N T A G , VERLAGSBUCHHANDLUNG · G E O R G REIMER · KARL J. TRÜBNER · VEIT & COMP.

REALISMUS U N D

APRIORISMUS

IN N I C O L A I H A R T M A N N S ERKENNTNISTHEORIE

VON

INGEBORG

WIRTH

Mit einer Bibliographie der seit 1952 über Hartmann erschienenen Arbeiten

1965

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

&

CO.

/

B E R L I N

VORMALS G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G · J . G U T T E N T A G , VERLAGSBUCHHANDLUNG · G E O R G REIMER · K A R L J. T R Ü B N E R · VEIT & COMP.

Archiv-Nr. 3 496 651

© 1965 by W a l t e r de Gruyter Sc. Co., vormals G . J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsb u c h h a n d l u n g — G e o r g R e i m e r - K a r l J. Triibner — Veit & C o m p . , Berlin 30 Printed in G e r m a n y O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch o d e r Teile daraus auf photomechanischem W e g e ( P h o t o k o p i e , M i k r o k o p i e , X e r o k o p i e ) zu vervielfältigen. Satz u n d D r u c k : Paul Funk, Berlin 30

MEINER U N D DEM

MUTTER ANDENKEN

M E I N E S VATERS

VORWORT Vorliegende Untersuchung entspringt dem Interesse am Erkenntnisproblem. Ihr Gegenstand aber ist die Erkenntnislehre Nicolai Hartmanns. Dieser geht in seiner Erkenntnismetaphysik von der Grundthese der Bewußtseinsunabhängigkeit der Realität aus, behauptet aber zugleich die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis der ansichseienden Gegenstandswelt. Im Nachvollzug der Hartmannschen Bemühungen um Vereinbarkeit dieser beiden Grundpositionen stellt sich schließlich die Frage, was Hartmann unter Realismus einerseits und apriorischer Erkenntnis andererseits versteht und ob er das Zusammenbestehen von Realismus und Apriorismus zu erklären vermag. Vollendet werden konnte diese Untersuchung allein durch die zahlreichen sachkundigen Anregungen und das ständige Interesse meines verehrten Lehrers, Herrn Professor Dr. Paul Wilpert. Für alle Förderung während meines Studiums und alle Hilfe bei dieser Arbeit gilt ihm meine tiefempfundende Dankbarkeit. Herzlichen Dank sagen möchte ich nicht zuletzt für die Ehre, daß er diese Arbeit in eine von ihm herausgegebene Reihe aufgenommen hat. Zu Dank verpflichtet bin ich weiterhin der Philosophischen Fakultät der Universität Köln und dem Kultusministerium Nordrhein-Westfalen für die großzügige Unterstützung, sowie dem Verlag Walter de Gruyter & Co. für die Drucklegung dieses Buches. Köln, den 5. Mai 1965 Ingeborg

Wirth

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort

VII EINLEITUNG

Aufweis der Problematik

l HAUPTTEIL

I. Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis 1. Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretisdien Bemühungen Hartmanns 2. Die ontisdie Bedingung apriorischer Erkenntnis 3. Die Methode apriorischer Erkenntnis 4. Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis . . . .

II. Erkenntnis und Wahrheit 1. 2. 3. 4.

Das Die Das Das

Problem der objektiven Gültigkeit Erkennbarkeit der Prinzipien Problem der Idealerkenntnis apriorische Erkenntnisgebilde

III. Das Problem des Relativismus

6 6 17 27 32

42 42 54 64 76

99

1. Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung 99 2. Das Zweiinstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium 110 3. Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß 123

SCHLUSSTEIL Ergebnis der Untersuchung

132 ANHANG

Ubersicht über den Gebrauch des Terminus ,a priori', seine Ontologisierung und Relativierung

134

Literaturverzeichnis Bibliographie Namenverzeichnis Sachverzeichnis

138 141 149 150

EINLEITUNG Aufweis der Problematik Diese Arbeit hat zur Aufgabe, die erkenntnistheoretische Position Nicolai Hartmanns zu untersuchen und gleichzeitig zu fragen, was Hartmann unter einer apriorischen Erkenntnis versteht, ob dem von Hartmann aufgewiesenen ,erkenntnistheoretischen Apriori' diese Bezeichnung mit Recht zukommt und ob sich die erkenntnistheoretische Position Hartmanns mit einem Erkenntnisapriorismus verträgt. Das Anliegen vorliegender Untersuchung ist somit kein philosophiegeschichtliches, sondern vielmehr ein systematisches, d. h. die Analyse der Hartmannschen Erkenntnistheorie erfolgt im Hinblick auf die Problematik von Realismus und Erkenntnisapriorismus 1 Die Themenstellung ist also eine Problemstellung, was besagt, daß für uns der erkenntnistheoretische ,Realismus' Hartmanns und sein Aufweis einer apriorischen Erkenntnis zunächst durchaus fragwürdig sind und eben durch unsere Ausführungen in ihrer Berechtigung bestätigt oder widerlegt werden sollen. Unsere systematische Untersuchung ist an der Frage interessiert, ob und inwieweit es Hartmann gelungen ist, eine realistische Erkenntnistheorie vorzulegen, die gleichzeitig das Vorhandensein einer Erkenntnis a priori zu rechtfertigen vermag. Nun bedarf die Untersuchung der Problematik des erkenntnistheoretischen Realismus noch einer besonderen Rechtfertigung, da bereits eine Anzahl namhafter Arbeiten über die Hartmannsche Erkenntnistheorie vorliegen, die u. a. auf Hartmanns Theorie der apriorischen Erkenntnis eingehen, darunter eine Dissertation, die sich gerade dieses Problem als Thema stellt2. Inwiefern ist unsere Arbeit dennoch gerechtfertigt? Nicolai Hartmann macht im ersten Satz der Einleitung zur „Metaphysik der Erkenntnis" die Ansicht geltend, „daß Erkenntnis nicht ein 1

Wir verstehen den Terminus systematisch' im Sinne Hartmanns. Hartmann will Systematiker sein, und zwar unter der Voraussetzung, daß „das systematische Denken von heute . . . nicht mehr Systemdenken", sondern „weit eher . . . Problemdenken" darstellt. Vgl. HARTMANN, Kleinere Schriften, Bd. I, S. 2; vgl. auch Anm. 8, Kap. 11,1 dieser Arbeit.

* Bei den Zitaten beschränken wir uns auf die Angabe von Verfasser, Titel und Seitenzahl. Die genauen Angaben finden sidi im Literaturverzeichnis. Für das Werk Hartmanns, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis steht die Abkürzung Metaph. 2

KUHAUPT, Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus manns Metaphysik der Erkenntnis, Würzburg 1938. 1 Wirth

in Nicolai

Hart-

1

Aufweis der Problematik

Erschaffen, Erzeugen oder Hervorbringen des Gegenstandes ist, wie der Idealismus alten und neuen Fahrwassers uns belehren will, sondern ein Erfassen von etwas, das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von ihr vorhanden ist" 3 . Hartmann nimmt mit dieser Äußerung eine klare Absetzung vom erkenntnistheoretischen Idealismus vor, und gemäß dem Realismusbegriff der traditionellen ,Erkenntnislehre' 4 müßte die Hartmannsche Erkenntnistheorie also von vornherein als Realistisch' festgelegt werden. Dem Erkenntnisvermögen steht eine res per se existens entgegen, Erkenntnis ist das Ergebnis eines Aktes durch den ein Subjekt ein subjektunabhängiges Objekt erfaßt. Mit welchem Recht können wir dennoch den Hartmannschen Realismusbegriff als problematisch bezeichnen? Zunächst scheint doch Alois Guggenberger im Recht zu sein, wenn er schreibt, „Hartmann ist unentwegter Anhänger des Realismus" 5 . Ebenso ordnet Wolfgang Stegmüller in seiner historisch-kritischen Einführung „Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie" 6 , die bei ihrer Auswahl der zu behandelnden Denker besonders „auf die Gegensätzlichkeit der Standpunkte Bedacht genommen"' hat, Nicolai Hartmann unter das Schlagwort „Kritischer Realismus" 8 ein. Joseph Geyser charakterisiert in seiner Rezension zur „Metaphysik der Erkenntnis" Hartmann als einen Jünger des Begründers der Phänomenologie, der in derselben „das Sprungbrett gefunden" hat, „das ihn von Kant weg und zum Realismus hinführt" 9 . Johannes Thyssen bezeichnet die Hartmannsche Erkenntnistheorie ebenfalls „als realistische Abbiegung von der Phänomenologie Husserls" 10 . In diesem Sinne schreibt auch Joaquín Aragó: „Einer der entschlossensten Vorkämpfer in dieser Bewegung hin zu Realismus und Metaphysik war ohne Zweifel Nicolai Hartmann" 1 1 . 3 4

5

6 7 8

9 10 11

2

Metaph., Einleitung, S. 1. Die Unterscheidung, von Realismus und Idealismus hängt in der traditionellen E r kenntnistheorie' allein an der Beantwortung der Frage, ob die Außenwelt dem Subjekt vorgegeben oder aufgegeben ist. Wenn wir im Einleitungskapitel nodi wiederholt vom .Realismus' Hartmanns sprechen, so ist der Begriff zunächst in diesem Sinne gemeint. GUGGENBERGER, Zwei Wege zum Realismus, S. 78; vgl. derselbe, Der Menscbengeist und das Sein, S. 18, S. 21 f., S. 24 u. a. Die Universität, Bd. 32, Wien-Stuttgart 1952. ebd. Vorwort, S. 10. ebd. S. 241. Literarischer Handweiser, Jg. 58, H. 9/10 (1922). S. 407. THYSSEN, Zur Neubegründung des Realismus, S. 147. ARAGÓ, Die antimetaphysische Seinslehre Nicolai Hartmanns, S. 179.

Aufweis der Problematik

Ebenso spricht Käte Friedemann 12 von dem Realisten Hartmann und Joseph Klosters13 geht in seiner Dissertation von eben dieser Ansicht aus. Demgegenüber nimmt aber Hinrich Knittermeyer in seinem Aufsatz „Zur Metaphysik der Erkenntnis" 14 eine andere Beurteilung der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns vor und schreibt, daß es zu bedauern sei, »daß Hartmann nicht den wirklichen idealistischen Standpunkt zu überwinden gesucht hat" 15 . In diesem Sinne argumentiert auch Hermann Kuhaupt in seiner Dissertation16, indem er herausstellt, daß Hartmann dadurch, „daß e r . . . eine . . . Spontaneität gegen das Bild behauptet, daß er Erkennen wesentlich als Repräsentation f a ß t , . . . seine realistische Intention zum Scheitern" 17 bringt. Gottlieb Söhngen spricht in seinem Buch „Sein und Gegenstand" verschiedentlich von Hartmanns Erbstücken aus der Marburger Schule und von seiner Nahstellung zu Kant 18 . Hans Wagner weist darauf hin: „Es wäre nicht ganz richtig, Hartmanns Position als Realismus zu bezeichnen"19. Diese gegensätzliche Stellungnahme veranlaßt uns zum Versuch einer Klärung des Problems des erkenntnistheoretischen Realimus in der Erkenntnislehre Nicolai Hartmanns. Für unsere Arbeit wird die Fragestellung dringend, ob wir es bei Hartmann mit erkenntnistheoretischem Realismus oder mit erkenntnistheoretischem Idealismus zu tun haben oder ob hier ein hybrides Mischgebilde vorliegt, d. h. daß zwar die Absicht einer realistischen Erkenntnistheorie zugrunde liegt, daß aber in der Explikation der Bedingungen ihrer Möglichkeit immer wieder transzendentalphilosophisch idealistische Elemente auftreten, die mit einem Realismus schwer vereinbar sind. So erweisen sich die bereits häufig erfolgten Stellungnahmen zur erkenntnistheoretischen Position Hartmanns nicht als eine Vorwegnahme unserer Untersuchung, sondern die gegensätzlichen Meinungen hinsichtlich des Standortes der Hartmannschen Erkenntnistheorie zwingen geradezu zu einer nochmaligen, systematisch kritischen Auseinandersetzung. 1 2 1 3

14 15 18 17

18 19

FRIEDEMANN,

N. Hartmanns ,Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis', S . 6 2 . Die kritische Ontologie Nicolai Hartmanns und ihre Bedeutung für das Erkenntnisproblem, S. 32 f. Kant-Studien 30 (1925) S. 495—514. ebd. S. 497. Vgl. Anm. 2 dieses Kapitels. K U H A U P T , Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus in Nicolai Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis, S. 95. S Ö H N G E N , Sein und Gegenstand, vgl. S . 4 4 , S . 9 3 , S . 1 0 8 . W A G N E R , Apriorität und Idealität, S . 3 2 1 . KLOSTERS,

1'

3

Aufweis der Problematik

Für eine solche spricht außerdem noch die Tatsache, daß das philosophische Werk Hartmanns heute abgeschlossen vor uns liegt20; Hartmann selbst fordert im Vorwort zur dritten und vierten Auflage der „Metaphysik der Erkennntis", seine Erkenntnistheorie „im Zusammenhang mit den ontologischen Arbeiten" 21 zu sehen, um zu einem rechten Verständnis derselben zu gelangen. Nun darf die Thematik dieser Arbeit nicht so aufgefaßt werden, als könne zunächst eine Behandlung des Realismusproblems und anschließend eine solche des Aprioritätsproblems erfolgen. Vielmehr werden beide Phänomene von Hartmann in Zusammenhang gebracht; denn nach Ansicht Hartmanns läßt sich „von apriorischer Erkenntnis . . . nur angesichts soldier gegenstände' sprechen, die ein Ansichsein haben" 22 . Die Auffassung von der Subjektunabhängigkeit der Außenwelt wird bei Hartmann zur Voraussetzung der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis gemacht. Ein — zunächst im Sinne der Tradition — realistischer Erkenntnisbegriff und ein erkenntnistheoretischer Aprioritätsbegriff treten bei Hartmann in Wechselbezug. Wo immer das Aprioritätsproblem in erkenntnistheoretischer Absicht aufgegriffen wird, geschieht es mit der Tendenz, einen Beweis zu liefern, daß und auf welche Weise es eine erfahrungsunabhängige Erkenntnis gibt. Der Versuch Hartmanns, ein erkenntnistheoretisches Apriori herauszuarbeiten, ist nun gerade darum besonders interessant, weil er innerhalb eines erkenntnistheoretischen ,Realismus' geschieht; denn sogleich wird die Frage dringend, was das Subjekt, sobald ihm eine von ihm selbst unabhängige Erfahrungswelt gegenübersteht, als eine allgemeine und notwendige, d. h. aber als eine erfahrungsunabhängige Erkenntnis ausgeben will. Hartmann selbst spricht hinsichtlich dieser Verbindung von erkenntnistheoretischem ,Realismus' und Apriori von einem „Wunder". „Das Wunder der apriorischen Erkenntnis ist eben gerade, daß sie ohne direkte Beziehung auf gegebene Fälle ein Ansichseiendes erfaßt" 23 . Wie wird Hartmann dieses Wunder erklären? Eine transzendentalphilosophische Ausdeutung des erkenntnistheoretischen Aprioritätsproblems wie sie von 20

Die

erwähnten

Arbeiten

von

GEYSER,

SÖHNGEN, GUGGENBERGER (außer Der

21 22 23

4

KNITTERMEYER, FRIEDEMANN,

Menschengeist

und

das Sein

KLOSTERS,

v o n 1942) u n d

KUHAUPT sind bereits zwischen 1922 und 1939 erschienen und stützen sich hauptsächlich auf die Metaphysik der Erkenntnis. Der erste und zweite Band der Ontologie (1934 und 1937 erschienen) lag erst für Guggenberger und Kuhaupt vor. Ebenso die Arbeiten Zum Problem der Realitätsgegebenheit und Das Problem des geistigen Seins (1931 und 1932). Der dritte Band der Ontologie erschien 1939. Metaph., S. VI. ebd. 63. Kap. c) S. 490. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 51. Kap. a) S. 319.

Aufweis der Problematik

Kant vorgenommen wird, ist verbunden mit der Konstitutionsproblematik, d. h. das Apriori wird von Kant als eine von Seiten des Subjekts geleistete Funktion als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung bei Gelegenheit derselben — aber eben von ihr unabhängig — hervorgebracht und den Wahrnehmungsinhalten aufgeprägt, wobei diese bereits durch apriorische im Subjekt angelegte Formen eine erste Bestimmung erfahren haben. Die Möglichkeit auf Grund der Verbindung der Konstitutionsproblematik mit dem Erkenntnisproblem ein erkenntnistheoretisches Apriori zu schaffen, fällt innerhalb des erkenntnistheoretischen ,Realismus' fort; denn gemäß dieser Position verhält sich das Subjekt im Erkenntnisakt rezeptiv, und das Erkenntnisgebilde ist ein in die subjektiven Auffassungsformen eingegangenes ,Abbild' des Objektes. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Frage, ob sich bei einer Verbindung von erkenntnistheoretischem ,Realismus' und Apriorismus niciit entweder der Anspruch des ,Realismus' oder aber der des Apriorismus aufheben muß oder ob vielleicht beide fragwürdig werden oder ob von Hartmann wirklich eine brauchbare Synthese beider Anliegen geleistet wird. Wird es Hartmann gelingen, die Ansicht, die auch Max Scheler vertritt, daß ein Apriorismus „auf keinen F a l l . . . zum Idealismus" 24 führt, als stichhaltig zu erweisen? Hartmann glaubt die Schwierigkeit durch eine „Neugestaltung des Aprioritätsbegriffs" 25 lösen zu können, indem er denselben „aus jener . . . bislang fast für unlöslich geltenden Verschmelzung mit rationalistischen und idealistischen Motiven" 24 herauszulösen „und in seiner metaphysischen Grundbedeutung zu erfassen" 27 sucht. Hartmann beabsichtigt also eine Fassung des Aprioritätsbegriffs, die ihrerseits aus einer reaktiven Tendenz gegen die von den rationalistischen und idealistischen Systemen geleisteten Beiträge zum Problem des Apriorismus erwächst. Aus dem Anspruch Hartmanns, eine „Neugestaltung des Aprioritätsbegriffs" 28 vorzunehmen und innerhalb eines erkenntnistheoretischen ,Realismus' das Vorhandensein apriorischer Erkenntnis zu erklären, ergibt sich also die Fragestellung dieser Untersuchung: Gelingt es Hartmann einerseits trotz der realistischen', für ein erkenntnistheoretisches Apriori zunächst aussichtslos erscheinenden Ausgangsbasis eine Möglichkeit apriorischer Erkenntnis zu eröffnen und sie in den Bedingungen ihrer Möglichkeit zu erklären, und ist andererseits trotz einer Explikation der Bedingungen der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis der Realistische' Ansatz sauber durchgeführt? 24

25 28 27 28

SCHELER, Idealismus — Realismus, S. 278. Metaph., Einleitung, S. 9. ebd. S. 9 ebd. S. 9. Vgl. Anm. 25 dieses Kapitels.

5

HAUPTTEIL I. D i e Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

1. Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Hartmanns

Bemühungen

In einem Aufsatz von Ulrich Schöndorfer heißt es: „Einen Realismus eigener Prägung vertrat der Begründer der kritischen Ontologie, Nicolai Hartmann" 1 . Wir stellen uns in unserer Untersuchungn die Aufgabe, die eigene Prägung, die dem Hartmannschen Realismus zugehört, herauszuarbeiten und ihren Zusammenhang mit der Aprioritätsproblematik zu verdeutlichen. Alle Erkenntnis resultiert aus einer Subjekt-Objekt-Relation. Auch die apriorische Erkenntnis setzt eine Relation zwischen einem erkennenden Subjekt und einem a priori erkannten Objekt voraus. Bezüglich dieser Relation erhebt sich die Frage, ob dieselbe eine dem Subjekt immanente oder eine ihm transzendente Beziehung darstellt. Wird die Erkenntnisrelation als eine dem Bewußtsein des Subjekts immanente angesehen, so ergibt sich für das zweite Glied der Relation, das Objekt, daß es in irgendeiner Weise dem Subjekt aufgegeben ist, daß es erst vom Subjekt und seinen Erkenntnisakten konstitutiert wird. Wird dagegen die Erkenntnisrelation als eine dem Subjekt transzendente Beziehung aufgefaßt, so ist das Objekt als ein vom Subjekt völlig unabhängiges Ansichsein vorhanden. In der Philosophiegeschichte pflegt man die beiden Standpunkte in die Termini,erkenntnistheoretischer Idealismus' und ,erkenntnistheoretischer Realismus1 zu fassen. Welche Ausgangsposition begegnet uns nun bei Nicolai Hartmann? Zur Beantwortung unserer Fragestellung verweisen wir auf ein bereits im Einleitungskapitel unserer Arbeit angeführtes Zitat der „Metaphysik der Erkenntnis", wo Erkenntnis als „ein Erfassen von etwas, das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von ihr vorhanden ist" 2 , festgelegt wird. In einem Vortrag Hartmanns „Zum Problem der Realitätsgegebenheit" findet sich eine ähnliche Formulierung: „Erkennen kann man nicht Beliebiges, wie man sich Beliebiges denken oder vorstellen 1 2

6

SCHÖNDORFER, Der philosophische Realismus unserer Zeit, S. 340. Vgl. Einleitung dieser Arbeit Anm. 3; vgl. Metaph., 61. Kap. b) S. 475: „Erkenntnis ist und bleibt unter allen Umständen Erfassen eines gnoseologisch Transzendenten, d. h. eines vom Erfassen selbst unabhängig Bestehenden". Vgl. Wie ist kritische Ontologie überhaupt möglichS. 269; vgl. ¡Categoriale Gesetze, S. 205; vgl. Ästhetik, 2. Kap. a) S. 50.

Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Bemühungen Hartmanns

kann. Erkennen kann man nur was ,ist'; und das heißt: was auch unabhängig vom Erkennen besteht, also was ,an sich' ist" 3 . Aus diesen Zitaten wird für die erkenntnistheoretische Position Hartmanns dreierlei einsichtig: 1. Hartmann konstatiert das Vorgegebensein einer real ansichseienden Welt. „Die Welt der Dinge an sich i s t . . . Hartmann unumstößliche Uberzeugung" 4 . 2. Hartmann proklamiert das Vorgegebensein einer real ansichseienden Welt als conditio sine qua non aller Erkenntnis. „Wenn es kein Ansichseiendes gibt, so gibt es auch keine Erkenntnis" 5 . 3. Erkennen heißt für Hartmann ,Erfassen'. Was das Vorgegebensein der Welt als solches anbetriift, so wird es in unserem Problemzusammenhang lediglich als Faktum hingenommen, d. h. wir diskutieren keineswegs die Frage, ob sich diese ,Realitätsgegebenheit' vom Erkenntnisphänomen her erweisen läßt oder ob sie einer Bestätigung durch die emotional-transzendenten Akte bedarf und ob „das Gewicht der emotionalen Realitätsgegebenheit auf die Erkenntnisgegenstände"6 überhaupt übertragbar ist. Wir haben lediglich als schlechthinige Basis für die erkenntnistheoretischen Untersuchungen Hartmanns folgendes zur Kenntnis zu nehmen: „die weit ausschauende philosophische Erkenntnis hat, gerade sofern sie sich zur strengen Form einer logisch gefügten Theorie erheben muß, dennoch den festen Boden einer Realitätsgewißheit unter sich, der dem Erkennen vorausliegt und in ihm schon vorgegeben ist" 7 . Bedeutsam für unsere Untersuchung ist also die Uberzeugung Hartmanns, daß die Realitätsgegebenheit, d. h. ein vom Subjekt selbst unabhängig Gegebenes Grundvoraussetzung der Möglichkeit der Erkenntnis ist. Erkenntnis ist in ihrer natürlichen Einstellung, der intentio recta, immer auf eine res extra mentem gerichtet. Vom Begriff des Ansichseins her wird für Hartmann der notwendige Wechselbezug von Erkenntnistheorie und Ontologie bedeutsam. „Es gibt keine Erkenntnisfrage ohne Seinsfrage. Denn es gibt keine Erkenntnis, deren ganzer Sinn nicht darin bestünde, Seinserkenntnis zu sein. Erkenntnis ist eben ein Bezogensein des Bewußtseins auf ein Ansichseiendes"8. Die Sphäre des ontisch Ansichseienden liefert dem Subjekt das ihm Entgegenstehende, das Objekt, auf das alles subjektive Bemühen hinS

HARTMANN,

4

GUGGENBERGER,

Zum Problem der Realitätsgegebenheit, S . 9 . Zwei Wege zum Realismus, S . 4 9 . Zur Grundlegung der Ontologie, 24. Kap. a) S. 162. Zum Problem der Realitätsgegebenheit, S . 2 8 .

5

HARTMANN,

6

HARTMANN,

7

ebd. S. 31. HARTMANN, Wie ist kritische Ontologie überhaupt möglichf, S- 269.

8

7

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

tendiert. „Auf den Gegenstand kommt es der Erkenntnis an, auf ihn ist sie gerichtet; er soll erfaßt werden, von ihm zeugt alle Gegebenheit, und in ihn sucht alles wissenschaftliche Verstehen einzudringen" 9 . Um ein Mißverständnis zu vermeiden, müssen wir näher erläutern, was Hartmann unter dem Objekt der Erkenntnis versteht, d. h. wir müssen ontologisches und gnoseologisches Ansichsein gegeneinander abgrenzen. Die Realitätsgegebenheit, die Welt des vom Subjekt unabhängigen real Seienden darf nicht schlechthin mit der Welt der Erkenntnisgegenstände identifiziert werden. „Denn keineswegs ist es so, daß alles Seiende von vornherein Gegenstand wäre; es besteht gemeinhin auch, ohne Objekt eines erkennenden Subjekts zu sein, d. h. ohne erkannt zu werden... Das bedeutet anders ausgedrückt: der Erkenntnisgegenstand ist von Hause aus übergegenständlich, er geht als seiender in seinem Gegenstandsein nicht auf, sondern besteht unabhängig von ihm und indifferent gegen sein eigenes Gegenstandwerden für ein Subjekt"10. Der Begriff des Gegenstandes wird von Hartmann auf den Begriff des Subjekts relativiert. „,Gegenstand' eben kann ein Seiendes nur im ,Gegenstehen' sein"". Auf welche Weise wird das Seiende, das von sich aus gegen alle Erkenntnisintention indifferent verharrt, zum Gegenstehen veranlaßt? — Das Seiende qua Seiendes wird durch die spontan intentionale Zuwendung des Erkenntnissubjekts erst zum Gegenstand der Erkenntnis, d. h. es gerät durch den Vollzug des Erkenntnisaktes erst in den Stand eines Objektes. Vom Subjekt wird die ontische Gegebenheit „zum Gegenstehen g e b r a c h t . . . . . . . zum Gegenstande (objectum) der Erkenntnis gemacht"12. „Das Zum-Objekt-Werden der Dinge ist die Funktion einer besonderen Einstellung des Bewußtseins auf sie, eine eigene Art Hingabe an sie. Diese Funktion ist die Erkenntnis" 13 . „Erkenntnis i s t . . . ein Erfassen oder Zum-Objekt-Machen dessen, was an sich besteht"14. Wenn Hartmann in den Zitaten, von denen wir ausgingen15, das Telos der Erkenntnisintention als dasjenige charakterisiert, was an sich ist, so 9

HARTMANN, Die Erkenntnis im Liâte der Ontologie, S. 126. Der Aufsatz gibt den teilweise veränderten und bedeutend erweiterten Text eines Vortrags in der Mündiener Kant-Gesellschaft wieder, der am 26. 4. 49 gehalten wurde.

10

ebd. S. 130; vgl. audi Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 8: „ . . . daß Erkennen Erfassen heißt und daß der Gegenstand der Erkenntnis ein von seinem Gegenstandsein unabhängiges, übergegenständlidies Sein hat." " HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 22. Kap. b) S. 153. 1 2 HARTMANN, Die Erkenntnis im Liâte der Ontologie, S. 130. 3 3 HARTMANN, Das Problem des geistigen Seins, 10. Kap. a) S. 116. 14

ebd. 10. Kap. b) S. 117; vgl. Möglichkeit

15

Vgl. Anm. 2 und 3 dieses Kapitels.

8

und Wirklichkeit,

57. Kap. a) S. 439.

Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Bemühungen Hartmanns

meint er ein; gnoseologisches Ansichsein, das seinerseits als ein Gegenstehendes oder als ein Fiir-ein-Subjekt-Seiendes im ontologischen Ansichsein als der allumfassenden Seinssphäre als solcher aufgehoben ist. Das gnoseologische Ansichsein, das dem Erkenntnisgegenstand zugehört, bedeutet einerseits seine „Unabhängigkeit vom Subjekt und speziell vom Erkanntwerden durch das Subjekt" 16 , insofern sein gnoseologisches Ansichsein gleichzeitig ein ontologisches Ansichsein darstellt, andererseits aber das Angewiesensein des Erkenntnisgegenstandes auf das Subjekt, insofern er erst durch einen auf das ontologische Ansichsein gerichteten Bewußtseinsakt zustande gebracht wird. Es fragt sich jedoch, ob die sich hinsichtlich des Erkenntnisgegenstandes stellende Alternative von ontologischem und gnoseologischem Ansichsein in Korrelation zu Subjektunabhängigkeit und Subjektabhängigkeit von Hartmann als mit einem erkenntnistheoretischen Realismus vereinbar durchgeführt wird. Die Beantwortung dieser Frage bedarf einer genaueren Analyse der Formulierung: „Erkenntnis i s t . . . ein . . . Zum-Objekt-Machen" 17 . Hartmann sucht einen aus dieser Behauptung ableitbaren erkenntnistheoretischen Idealismus auszuschließen, indem er die Alternative von Schaffen und Machen ins Spiel bringt. „Was objiziert werden soll, muß zunächst etwas an sich sein; es wird von der Objektion nicht erst geschaffen, sondern eben nur zum Objekt eines Subjekts gemacht"18. Es muß untersucht werden, ob mit dieser Alternative von Schaffen und Machen für die Erkenntnistheorie der transzendentale Ansatzpunkt überwunden ist oder ob die ontische Realitätsgegebenheit als Grundvoraussetzung aller möglichen Erkenntnis sich lediglich mit der Gegebenheit deckt, die auch Kant als Ausgangsbasis seiner Theorie möglicher Erkenntnis anerkennt, wobei für die Erkenntnistheorie Hartmanns der transzendentale Ansatz möglich bleibt. Auf diese Frage, die wir hier nur andeuten, müssen wir in den weiteren Kapiteln unserer Arbeit zurückkommen. Für den Anfang unserer Untersuchung können wir zunächst nur die Auffassung Hartmanns hinnehmen, daß das Erkenntnisobjekt trotz der Bedingung der intentionalen Zuwendung von Seiten des Subjekts in völliger Isolierung vom erkennenden Bewußtsein steht, und diese „Urgeschiedenheit"19 der beiden Relate Subjekt und Objekt fordert die Erkenntnisrelation als transzendente Beziehung und den Erkenntnisakt als einen transzendenten Akt. „Die Erkenntnisrelation . . . i s t . . . eine trans16

HARTMANN, Zur Grundlegung 5. Kap. e) 1. S. 51.

der

Ontologie,

22. Kap. b) S. 153; vgl.

Metaph.,

" Vgl. Anm. 14 dieses Kapitels. 18

HARTMANN, Das Problem

Μ

Metaph.,

des geistigen

Seins, 10. Kap. b) S. 118.

5. Kap. a) 1. S. 44.

9

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

zendente Relation" 20 . „Die Erkenntnis... geht nicht darin auf, Bewußtseinsakt zu sein; sie ist ein transzendenter Akt" 21 . Wir haben bisher das Grundverhältnis aller Erkenntnis in der Form einer intentio recta von Seiten des Subjekts auf eine extramentale Realitätsgegebenheit wie es für Hartmann als phänomenologischer Befund vorfindlich ist, generell zu verdeutlichen gesucht, sind aber berechtigt, das gleiche Verhältnis auch für den Spezialfall der apriorischen Erkenntnis als kompetent hinzunehmen; denn „hinsichtlich d e r . . . allgemeinen Wesenszüge der Erkenntnisrelation b e s t e h t . . . kein Unterschied zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis" 22 . Hartmann macht das gnoseologische Ansichsein, das im ontologischen Ansichsein aufgehoben ist, sofern die ratio essendi für die ratio cognoscendi Grund gebend ist23, zur Voraussetzung der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis. „Von apriorischer Erkenntnis kann man also nur angesichts solcher gegenstände' sprechen, die ein Ansichsein haben" 24 . Die Kühnheit dieser Behauptung muß in Erstaunen versetzen, insofern sie die von den idealistischen und rationalistischen Systemen geleisteten Beiträge zum erkenntnistheoretischen Aprioritätsproblem keineswegs als Lösungen desselben anerkennt und sogar für völlig unmöglich erachtet, daß eine Theorie, in der der Gegenstand der Erkenntnis in irgendeiner Weise ein der Erkenntnis aufgegebener ist, überhaupt dem Problem eines Erkenntnisapriorismus gerecht zu werden vermag. Demgegenüber richtet Hartmann nunmehr sein Bemühen darauf, die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit von Erkenntnissen zu erklären und in ihrem Vorhandensein zu beweisen, ohne dabei die Voraussetzung zu machen, daß im Subjekt selbst die Faktoren liegen, die den Gegenstand in seinem Sein erst konstituieren und auf diese Weise den Allgemeinheitscharakter einer Erkenntnis bedingen. An dieser Stelle wird für die Lösung der Problematik unserer Untersuchung die Frage dringend, ob wir aus der erkenntnistheoretischen Grundvoraussetzung Hartmanns, daß alle Erkenntnis nur als transzendent apriorische möglich ist, die Berechtigung zu der These, daß Hartmann den erkenntnistheoretischen ,Realismus' geradezu zur Bedingung der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis macht, herleiten dürfen. Es gilt zu fragen, ob es überhaupt die Absicht Hartmanns ist, das Wesen eines Erkenntnisapriorismus im Gesamthorizont eines noetischen .Realismus' zu diskutieren und zu erklären oder in welchem Sinne Hartmann das 20

ebd. 43. Kap. d) S. 326; vgl. Zum Problem der Realitätsgegebenheit, S. 9. Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. c) S. 159; vgl. Zum blem der Realitätsgegebenheit, S. 10.

21

HARTMANN,

22

Metaph., 5. Kap. d) 1. S.49. Vgl. ebd. 23. Kap. S. 185. ebd. 63. Kap. c) S. 490.

23 24

10

Pro-

Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Bemühungen Hartmanns

„Grundgesetz der Erkenntnis" 25 im Hinblick auf seine erkenntnistheoretische Position interpretiert wissen will. Nachdem Hartmann im ersten Satz der „Metaphysik der Erkenntnis" seine Ansicht dargetan hat, nach der es sich bei der Erkenntnis eines Gegenstandes um das Erfassen eines Ansichseienden handelt, weist er darauf hin, daß diese „an sich einfache und für den Unvoreingenommenen keineswegs mehrdeutige These dieses Ausgangspunktes vor Mißverständnissen zu bewahren" 26 sei, damit sie nicht eine oberflächliche Einordnung in „das Register geschichtlich fertiger Standpunkte" 27 und eine „geschwinde Abstempelung und Erledigung durch eine dieser fertigen, sich bequem darbietenden, sachlich überwundenen Leitbegriffe" 27 erfahre. Hartmann protestiert also dagegen, daß seiner Erkenntnistheorie von ihrem Grundgesetz her sogleich eine Einreihung in die Kategorie eines geschichtlichen Standpunktes zuteil werde. Was zunächst nach dem Ansatz Hartmanns klar feststeht, ist, daß seine Erkenntnistheorie sich von der Auffassung des extremen Idealismus der Marbuger Schule, für den der Gegenstand durch die Οττόδεσις erzeugt, d. h. als Setzung des reinen Denkens in seinem Sein erst konstituiert wird, deutlich distanziert. Aber ist mit der Kennzeichnung der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses schon die darauf gründende Theorie als Ganzes als eine realistische' festgelegt? Hartmann weist ausdrücklich darauf hin, daß seine These vom Erkennen als Erfassen eines Ansichseienden, die eindeutig den Standpunkt des logischen Idealismus sprengt, audi nach der Seite der realistischen Standpunkte hin „erst zu sichern"28 sei. Hartmann hält also eine völlige Identifizierung seiner Erkenntnistheorie mit irgendeinem Grundtypus einer realistischen Theorie — sei es natürlicher, wissenschaftlicher oder metaphysischer Realismus — 2 9 für unberechtigt und nicht haltbar. Es fragt sich also, in weldiem Sinne die Hartmannsche Ausgangsposition verstanden werden will. Wir gehen zur Lösung dieser Frage von einem Zitat „Zur Grundlegung der Ontologie" aus. Dort heißt es: „Dieses unmittelbare Wissen 25

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 22. Kap. d) S. 154: „Was Gegenstand der Erkenntnis ist, das hat vielmehr ein übergegenständliches Sein, es ist an sich. Dieser Satz spricht das Gesetz des Erkenritnisgegenstandes aus. Er ist eben damit das Grundgesetz der Erkenntnis selbst. Und das will heißen: ein Bewußtseinsakt, der nicht ein Ansidiseiendes erfaßt, mag Denken, Vorstellen oder Phantasieakt — vielleicht audi Urteilsakt — sein, ein Erkenntnisakt ist er nicht."

26

Metaph.,

27

ebd. Einleitung S. 1.

Einleitung S. 1.

28

ebd. Einleitung S. 2.

29

Vgl. Hartmanns Diskussion der realistischen Theorien: Metaph., bis 144.

Kap. 13 ff. S. 133

11

Die Grundlagen der Theorie apriorisdier Erkenntnis

um das Ansichsein ist identisch mit dem Grundphänomen des natürlichen Realismus. Im Unterschied zu anderen Formen des Realismus — sowie überhaupt zu anderen Standpunkten' — ist der natürliche Realismus nicht eine Theorie, eine Doktrin, eine These, sondern eine Basis, auf der sich alles menschliche Weltbewußtsein von Hause aus vorfindet. Alle abweichenden Weltauffassungen müssen sich erst durch besondere Thesen von ihm abheben, wobei sie aber ihn als Grundphänomen nicht aufheben können, sondern erklären müssen. Sie sind keine Phänomene, sondern Theorien; müssen sich also mit ihm als dem durchgehenden Grundphänomen auseinandersetzen"30. Hartmann identifiziert seine These vom Ansichsein mit der Einstellung des natürlichen Realismus, der als ein Grundphänomen aller Theoriebildung vorausliegt, d. h. sofern erkenntnistheoretisch Erkennen als Erfassen eines Ansichseienden charakterisiert wird, handelt es sidi lediglich um die natürliche Explikation eines Erkenntnisphänomens 31 , das die Anerkennung aller Theoriebildung, die im Ansatz nicht bereits dem Vorwurf der Fehlleistung ausgesetzt sein will32, erfordert. Was Hartmann ,natürlicher Realismus' nennt, darf nicht mit dem natürlichen oder naiven Realismus als Standpunkt verwechselt werden; denn die Ontologie, auf die alle Erkenntnistheorie nach Hartmann rückbezogen werden muß, nimmt „vom natürlichen Realismus nur die Realitätsthese selbst auf, keineswegs dagegen die Adäquatheitsthese. Jene besagt nur, daß die Gegenstände ein von der Erkenntnis unabhängiges Sein haben . . . "33. In diesem Sinne wird der Realitätsthese von Hartmann als einer natürlichen Weise des Weltergreifens Apriorität zugesprochen. „Der natürliche Realismus ist nicht aus Erfahrung abstrahiert, seine These ist keine aposteriorische, sondern gerade eine eminent apriorische, auf der alle Objekterfahrung schon f u ß t . . . Der natürliche Realismus darf unbedenklich als die allgemeine apriorische Form des konkreten Gegen30

HARTMANN, Zur Grundlegung

31

Vgl. audi HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, S. 53 : „Der natürliche Realismus ist nicht eine philosophische Theorie. Er gehört zum Phänomen der Erkenntnis und ist in ihm jederzeit aufzeigbar. Er ist identisch mit der uns lebenslänglich gefangenhaltenden Uberzeugung, daß der Inbegriff der Dinge, Personen, Geschehnisse und Verhältnisse, kurz die Welt, in der wir leben und die wir erkennend zu unserem Gegenstande madien, nicht erst durdi unser Erkennen geschaffen wird, sondern unabhängig von uns besteht."

32

Vgl. Metapb., 13. Kap. b) S. 135: „Die natürliche Realitätsthese ist das wahre exemplum crucis der Theorie, an dem sich die Standpunkte in haltbare und unhaltbare scheiden." Vgl. Wie ist kritische Ontologie überhaupt möglich?, S. 269: „Vielmehr kann eine . . . Theorie sich selbst nur halten, wenn sie es mit dem Problem des Ansichseins von vornherein aufnimmt."

33

HARTMANN, Die Erkenntnis

12

der Ontologie,

24. Kap. a) S. 163.

im Lichte der Ontologie,

S. 137.

Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Bemühungen Hartmanns

standsbewußtseins überhaupt gelten" 34 . „Die empirische Realität der Dinge ist Phänomen 35 , sie gehört mit zum Faktum der Erkenntnis; es gibt kein naives Bewußtsein, das seine Gegenstände nicht für real gegeben, selbständig auftretend hielte" 36 . Diese unreflektierte Einstellung zur Welt nimmt Hartmann als eine allgemein notwendige, von aller Deutung freie Ausgangsbasis für das ontologisch erkenntnistheoretische Bemühen, insofern sie zugleich auch die Einstellung der Wissenschaften und der kritischen Ontologie ist37. Der natürliche Realismus ist für Hartmann der Standort „diesseits von Idealismus und Realismus" 38 , „durchaus nur ein vorgefundener Ausgangspunkt" 39 , von dem aus die Erkenntnistheorie ihrer Arbeit als Theorie erst zu beginnen hat40. Die Erkenntnistheorie qua theoria muß die natürliche Einstellung, die inentio recta auf die res per se existens im ontologischen Sinne notwendigerweise aufgeben und zur intentio obliqua als der reflexiven Einstellung auf die Erkenntnis selbst überwechseln, wobei dann der Seinscharakter des Gegenstandes aus dem Blickfeld gerät. Desto wesentlicher ist es aber „gerade für die richtige Anlage der Erkenntnistheorie, obgleich diese sich notwendig in der intentio obliqua bewegen muß, dodi zuerst einmal auf die intentio recta" 41 zurückzugreifen, d. h. zunächst die natürliche Sehweise des Erkenntnissubjektes auf ein Seiendes als phänomenologischen42 Befund der Theorie zugrundezulegen, um ihren fundamenta54

36

39 37

88

39 40

41 42

Metaph., 13. K a p . b) S. 135; vgl. hierzu die kritische Stellungnahme von JOSEPH KLOSTERS, Die kritische Ontologie Nicolai Hartmanns und ihre Bedeutung für das Erkenntnisproblem, § 3, S. 20 ff. Es darf keineswegs behauptet werden, daß „die empirische Realität der Dinge . . Phänomen" der Erkenntnis sei. Vielmehr gehört der Glaube an die Realität der Welt zweifelsohne zum Phänomen der Erkenntnis und eignet weitgehend dem wissenschaftlich orientierten als auch dem nicht wissenschaftlich ausgerichteten Bewußtsein, aber die Realität der Welt selbst ist keineswegs Phänomen. HARTMANN, Diesseits von Idealismus und Realismus, S. 177. Vgl. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, S. 53: „Und hier nun ist der Punkt, in dem die Ubereinstimmung sich erst voll bewährt. Denn das ist das eigentlich Wesentliche, an ihr, daß die natürliche wie die wissenschaftliche Einstellung, ganz ebenso wie die ontologische ihren Gegenstand als einen selbständigen, an sich seienden verstehen." Vgl. Metaph., Einleitung, S. 3, S. 8; vgl. Anm. 36 dieses Kapitels: Titel des Aufsatzes zum Kantjubiläum. Metaph., 25. K a p . e) S. 199. Wir verzichten jedoch in dieser Untersuchung darauf, näher auf die Frage einzugehen, inwiefern der .natürliche Standpunkt' als Ausgangsbasis einer Erkenntnistheorie doch bereits eine Deutung des Seins darstellt. Wir verweisen auf die zu diesem Problem geleistete Überlegung von JOSEPH GEYSER in seiner Arbeit Zur Grundlegung der Ontologie, in: Philos. Jahrb. (49) S. 297 f. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 137. Wir deuteten an, daß es sich vielmehr um ein Deutungsphänomen handelt. Vgl. Anm. 35 dieses Kapitels.

13

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

len Zusammenhang mit der Ontologie bewußt zu machen. „Es geht also nicht an"43, den in diesem Sinne verstandenen Ausgangspunkt der Ontologie und der mit ihr in notwendigem Wechselbezug stehenden Erkenntnistheorie „von vornherein als Realismus abzustempeln" 43 . Hier wird deutlich, daß Hartmann es jedenfalls ablehnt — und das muß aus der philosophiegeschichtlichen Situation seiner Zeit verstanden werden —, im Ausgang seiner Untersuchung, der Erkenntnis als Erfassen eines Ansichseienden feststellt, die Vorentscheidung zu einer realistischen Theorie zu sehen. „Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß man sich damit schon auf realistischen Boden stelle, und alle weitere Deutung vorwegnehme" 44 . Das Problem einer realistischen Theorie liegt also für Hartmann erst jenseits des Phänomens der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses. Hartmann spricht hinsichtlich des Ausgangspunktes lediglich von einer natürlichen Tendenz der Erkenntnis, die sich zugleich als eine realistische erweist45. Wir können also bisher als Ergebnis unserer Untersuchung nur sagen, daß aller apriorischen Erkenntnis eine realistische Tendenz innewohnt, insofern sie in ihrer natürlichen Einstellung als intentio recta ihr Objekt als ein ontisch Ansichseiendes in den Blick nimmt. „Das Ansichsein des Objekts ist der springende Punkt im . . . Erkenntnisproblem. Aber es ist zunächst nur Phänomen. Es besagt nur, daß das natürliche Bewußtsein das Wesen seiner Erkenntnis in der Bezogenheit auf ein Ansichseiendes erblickt"46. Mit der Voraussetzung, daß apriorische Erkenntnis nur von Gegenständen möglich ist, denen ein Ansichsein zukommt, darf also die erkenntnistheoretische Position Hartmanns noch keineswegs als realistische festgelegt werden, es kann vielmehr nur gesagt werden, daß die Theorie, die eben diese apriorische Erkenntnis in ihrem Wesen und in den Bedingungen ihrer Möglichkeit zu erklären hat, nach Hartmann von einem natürlichen Weltbewußtsein ausgehen muß, das als ein realistisches Grundmoment oder als realistische Basis der Theorie der apriorischen Erkenntnis vorausliegt. Nunmehr begegnet aber in den vier Untersuchungen „Zur Grundlegung der Ontologie" eine Äußerung Hartmanns, die Kuhaupt in seiner Dissertation als ein Bekenntnis zum Realismus hinnimmt 47 . Im Zusammenhang mit dem Problem der Interpretation des Begriffs des gnoseologischen und ontologischen Ansichseins schreibt Hartmann: „Vielmehr 43 44

45

46 47

14

Metaph., 25. Kap. e) S. 199. Zur Grundlegung der Ontologie, 1 . Kap. a) S . 4 0 . Metaph., 25. Kap. d) S. 198: „Am tiefsten greift in der Ontologie die natürliche Tendenz der Erkenntnis, die realistische." ebd. 7 Kap. a) S. 79; vgl. Anm. 42 dieses Kapitels. Vgl. K U H A U P T , Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus in Nicolai Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis, S. 7 f. HARTMANN,

Die Ausgangsposition der erkenntnistheoretischen Bemühungen Hartmanns

wird es klar, daß wir hier an dem Punkte stehen, wo die Ontologie ihre neutrale Diesseitsstellung gegen Idealismus und Realismus nicht länger aufrechterhalten kann. Nur die Anfänge konnten neutral sein. Mit der Frage nach dem Ansichsein wird in dieser Alternative 48 die Entscheidung herausgefordert. Nach dem Voraufgegangenen ist es nicht schwer, zu sehen, daß sie für den Realismus ausfallen muß" 49 . Das Verhältnis von gnoseologischem und ontologischem Ansichsein — auf das wir bereits eingingen (vgl. S. 8 f.) — liegt nicht als Phänomen offenbar, sondern läßt sich ja gerade in die Form einer Aporie bringen, insofern das ontologische Ansichsein im gnoseologischen Ansichsein nicht aufgeht, oder anders ausgedrückt, insofern das Seiende umfangmäßig nicht mit dem Gegebensein für das Subjekt identisch ist; „denn das Vorhandene ist als solches noch nicht gegeben" 50 . Diese Aporie bedarf der Diskussion und Klärung durch die Theorie, die ihrerseits das ihr von Phänomenologie und Aporetik Gegebene als ein Aufgegebenes begreift und das scheinbar Unlösbare in höchst möglichem Maße zu lösen sucht. Die Theorie als Weg der Lösung der Probleme erweist sich als Bildung des Standpunktes, der „zur Deutung des Gegebenen erdacht wird" 51 , wobei der Terminus .erdenken' nicht im Sinne von fingere verstanden werden darf, sondern ein intellegere meint; die Lösung eines Problems soll im Problem selbst eingesehen werden52. Auf diese Weise soll die Ontologie wie die Erkenntnistheorie „den Standpunkt der Untersuchung an der Sache zu gewinnen suchen"53. Aus der Einleitung der „Metaphysik der Erkenntnis" wird auch deutlich, warum Hartmann zu Anfang seiner Untersuchungen auf die Festlegung des Standpunktes verzichtet. „Die Ausgangsstellung diesseits von Idealismus und Realismus s o l l . . . die Metaphysik des Standpunktes vermeiden" 54 , d. h. es soll zu Beginn eine voraussetzungslose Darlegung der 48

Gemeint ist gnoseologisches Ansichsein einerseits und ontologisdies Ansichsein andererseits.

49

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 22. Kap. a) S. 151 f.; vgl. ebd. 10. Kap. a) S. 84: „Der Ausgang der Ontologie ließ sich in einer gewissen Diesseitsstellung gegen die weltanschaulichen Theorien halten, auch gegen Idealismus und Realismus. Diese Stellung aber kann im Fortgang der Untersuchung nicht bleiben. Es muß einen Punkt geben, von dem ab eine Entscheidung in dieser Alternative fällt . . . Die Entscheidung über sie liegt bei der Art, wie man mit dem Immanenzphänomen zurechtkommt. . . . wenn dieses Phänomen sich nicht in Schein auflöst, wenn also der subjektive Idealismus Recht behält, so ist alle weitere Bemühung im ontologischen Felde gegenstandslos."

50

HARTMANN, Möglichkeit

61

Metaph.,

und Wirklichkeit,

53. Kap. d) S. 421.

13. Kap. a) S. 133.

52

Diese Haltung bezeichnet Hartmann als .kritische'. Vgl. Metaph.,

53

Metaph.,

M

ebd. Einleitung, S. 3.

Einleitung, S. 8.

11. Kap. S. 125.

15

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

Phänomene und Formulierung der Aporien geleistet werden und erst die theoretische Behandlung derselben soll an der Sache selbst das Minimum an unbeweisbarer Voraussetzung gewinnen, das den Standpunkt als notwendig metaphysisches Korrelat kennzeichnet. Das auf diese Weise einem jeden erkenntnistheoretischen Standpunkt zugehörige Metaphysische soll durch die weitgehende Zuriickdrängung der standpunktlichen Festlegung auf ein Minimum beschränkt werden. Die für den Ansatz betonte Indifferenz gegen Idealismus und Realismus mag insofern als „eine gewisse Restriktion des Forschungszieles aus Vorsicht und Kritik" 1 " aufgefaßt werden. Der Standpunkt aber, der sich für Hartmann von der Sache selbst her ergibt, ist für die Ontologie und damit ebenfalls für die Erkenntnistheorie hinsichtlich des Problems von ontologischem und gnoseologischem Ansichsein der eines Realismus. Wir werden in unserer weiteren Untersuchung noch zeigen, daß es auf Grund der angeführten Äußerung in der „Grundlegung der Ontologie" 58 nicht berechtigt ist, die Position Hartmanns — wie Kuhaupt es macht — als eine realistische festzulegen und dabei unter Realismus bereits ein vorgegebenes erkenntnistheoretisches Schema zu verstehen. Kuhaupt ist bei seiner Diskussion der Repräsentationstheorie Hartmanns stets auf einen Vergleich mit der Funktion des Erkentnnisbildes in der Thomistischen Philosophie bedacht, die als mustergültiges Bezugsschema fungiert. Hier ist also bereits gewußt, daß eine realistische Erkenntnistheorie möglich ist und sogar wo sie vorbildlich geleistet ist. Demgegenüber scheint uns Hartmann mit Recht anzunehmen, daß diese Aufgabe immer noch oder neu dem Denken gestellt ist. Wir sind also, wenn wir die Vorsicht, die Hartmann hinsichtlich der Festlegung des Standpunktes walten läßt, mitmachen, anfangs nur zu der Aussage berechtigt, daß die Theorie der apriorischen Erkenntnis, die Hartmann darlegen will, in bezug zu seinem realistischen Grundgesetz aller Erkenntnis tritt. Die realistische Grundthese vom Ansidiseinscharakter des Erkenntnisgegenstandes ist Bedingung der Möglichkeit apriorischer Erkennntnis überhaupt. Von dieser Basis her soll durch eine unvoreingenommene Analyse und Diskussion des erkenntnistheoretischen Aprioritätsproblems der Standpunkt erst gewonnen werden; „im Ausgang der Untersuchung läßt sich eine Vorentscheidung nicht treffen" 37 . Hartmann erstrebt „eine Art des Vorgehens, das ohne vorausgesetztes Weltbild rein vom Stande der Probleme ausgeht und sich den Standpunkt der Zusammenschau erst durch seine Arbeit zu erringen sucht"58. 55 68 57 58

16

GADAMER, Metaphysik der Erkenntnis, S. 342. Vgl. Anm. 49 dieses Kapitels. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 1. Kap. a) S. 40. HARTMANN, Buchbesprechung in Kant-Studien (1933), in: Kleinere Schriften, Bd. I I I , S. 373. Was Hartmann als positives Moment an der Arbeit Sesemanns hervorhebt, strebt er methodisch für seine eigenen Arbeiten an.

Die ontisdie Bedingung apriorischer Erkenntnis

Ob dieser Standpunkt nun als Variante eines erkenntnistheoretischen Realismus anzusprechen ist, was Hartmann offenbar intendiert, oder ob er einer idealistischen Position gleichkommt, muß sich erst im Laufe unserer Untersuchung herauskristallisieren. Insofern stellt sich uns die Aufgabe, an Hand der Untersuchung des Problems der apriorischen Erkenntnis und ihrer realistischen Grundbedingung die eigene Prägung der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns herauszuarbeiten und zu beurteilen.

2. Die ontische Bedingung

apriorischer

Erkenntnis

Wir haben im voraufgegangenen Kapitel einsichtig zu machen versucht, daß wir es bei der apriorischen Erkenntnis im Sinne Hartmanns mit dem Erfassen von ansichseienden Gegenständlichkeiten zu tun haben und daß diese Auffassung als Ansatzpunkt für die zur Erklärung der Bedingungen der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis herauszuarbeitende Theorie als ein realistisches Moment anzusehen ist, daß aber die Theorie als Ganzes einen eigenständigen Standpunkt, und zwar einen realistischen zur Geltung bringen soll, den wir im Laufe unserer Untersuchung klarstellen müssen. Auf diese Weise steht das Problem der Bildung des erkenntnistheoretischen Standpunktes und die Behandlung der Aprioritätsproblematik bei Hartmann in Wechselbezug. Durch die Lösung der Fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit, nach dem Wahrheitskriterium und dem Erkenntnisprogreß apriorischer Erkenntnis entwickelt Hartmann vom Grundgesetz aller Erkenntnis her die Position seiner Erkenntnistheorie. Demgemäß muß unsere Fragestellung nunmehr eine doppelte sein: Es gilt einerseits zu fragen, auf welche Art das erkenntnistheoretische Apriori innerhalb des von der Ausgangsposition her angelegten Realismus gedeutet wird und andererseits, welche Eigenheiten sich für den letzteren von dieser Deutung her ergeben, ob diese Eigenheiten überhaupt noch erlauben, von einem Realismus zu sprechen. Grundvoraussetzung Hartmanns ist, daß „mit der Tatsache apriorischer Erkenntnis als einem gesicherten Phänomen" 1 von vornherein zu rechnen ist. Hartmann schreibt in der „Metaphysik der Erkenntnis", daß „der Nachweis" für die Erkenntnis a priori „oft genug geführt worden" sei, um in seiner Untersuchung „vorausgesetzt werden zu dürfen" 2 . Hartmann beruft sich auf den Nachweis Kants, der als ein „klassischer" und „streng phänomenologischer" 3 von der idealistischen Theorie unabhängig und folglich auch nicht anfechtbar sei. 1 2 3

WAGNER, Apriorität und Idealität, Metaph., 5. Kap. d) 11. S. 51. ebd. 5. Kap. /d) 11. S. 51. 2

Wirth

S. 299.

17

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

Nun enthalten aber die Kantischen Überlegungen zum Problem des Erkenntnisapriorismus keineswegs einen Beweis für das Vorhandensein einer apriorischen Erkenntnis, sondern dieselbe wird von Kant, dessen Denken vom Stand der klassischen Naturwissenschaften seinen Ausgang nimmt, als Faktum vorausgesetzt und auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin untersucht. Damit bleibt auch Hartmanns Behauptung vom Vorhandensein apriorischer Erkenntnis eine bloße Voraussetzung. Falls Kant einen Beweis für das Vorhandensein einer apriorischen Erkenntnis geleistet hätte, wäre derselbe für Hartmann dennoch wertlos; denn es wird sich zeigen, daß Hartmann etwas völlig anderes unter einer Erkenntnis a priori versteht als Kant, und es dürfte ausgeschlossen sein, zwei verschiedene Phänomene, wenn auch unter dem gleichen Namen, durch ein und denselben Beweis zu verifizieren. Uns interessiert demnach, ob es Hartmann gelingen wird, das, was er voraussetzt, durch die Erklärung der Bedingungen seiner Möglichkeit nachträglich in seiner Berechtigung zu erweisen. Bei Kant und bereits vor Kant gelten die Kriterien der Allgemeinheit und Notwendigkeit als Wesensmerkmale der apriorischen Erkenntnis. Diese Kennzeichen werden von Hartmann als Charakteristika apriorischer Einsicht beibehalten. „Alle apriorische Erkenntnis des Realen ist ,objektiv allgemein'. Das will heißen: sie spricht in jedem Urteil, zu dem sie führt, von einer Totalität möglicher Realfälle, . . . Was Kant mit der .Allgemeinheit und Notwendigkeit* der synthetischen Urteile a priori meinte, entspricht genau dieser Totalität. In diesen beiden Momenten charakterisierte er die Kennzeichen echter Apriorität" 4 . Der Grundsatz der Hartmannschen Erkenntnistheorie, der Erkenntnis als ein Transzendenzverhältnis auffaßt, soll demnach mit der Ansicht vereinbar sein, daß vom transzendenten Gegenstand eine allgemein notwendige Einsicht möglich ist. Was nach dem Urteil Kants für die bisherigen Richtungen realistischer Erkenntnistheorie in offenkundigem Widerspruch zu stehen scheint, will Hartmann mit seinem „Realismus eigener Prägung" 5 in Einklang bringen oder treffender ausgedrückt, soll sich aus der Behandlung der Sachproblematik als miteinander vereinbar ergeben. „Die Neugestaltung des Aprioritätsbegriffs" 6 , die Hartmann leisten will, hält sich also zunächst an die traditionelle Definition der apriorischen Erkenntnis als einer allgemein notwendigen Sacheinsicht. Bevor wir näher erörtern, was Hartmann unter einer allgemein notwendigen Erkenntnis versteht und auf welche Weise ihr doch von der eigenen Deutung des Apriori her ein neuer Sinngehalt beigelegt wird, 4

HARTMANN, Zur Grundlegung

5

Vgl. Anm. 1 Kap. I, 1.

6

Vgl. Anm. 25, Einleitungskapitel dieser Arbeit.

18

der Ontologie,

44. Kap. a) S. 277.

Die ontisdhe Bedingung apriorischer Erkenntnis

haben wir zu fragen, welche Gegenstandsgebiete für Hartmann a priori faßbar sind. Hartmann geht von der Voraussetzung aus, daß apriorische Erkenntnis als „Tatsache auf wissenschaftlichem Gebiet außer Zweifel steht und überdies in aller naiven Erkenntnis nachweisbar ist" 7 . Diese Voraussetzung enthält zweierlei: a) Die Aussagen im Bereich der Wissenschaften garantieren die Einsicht in allgemeine Verhältnisse und notwendige Zusammenhänge. b) Auch diejenige Sacherkenntnis, die nicht den Anpruch einer wissenschaftlichen Aussage erhebt, ist keineswegs in dem, was sie aussagt, nur auf das hic et nunc beschränkt, sondern involviert immer schon allgemeingültige und notwendige Einsichten. Hier zeigt sich, daß die Grenzen des Möglichkeitsbereichs der Erkenntnis a priori im Vergleich zu Kant von Hartmann beträchtlich erweitert werden. Die Annahme der Erkenntnis a priori auf wissenschaftlichen Gebiet — als das eminente Beispiel eines wissenschaftlichen Apriorismus wird die Mathematik herausgestellt8 — und die Erklärung ihres Zustandekommens steht bereits vor Kant im Mittelpunkt philosophischen Bemühens; sie bildet das zentrale Anliegen Kants und auch des Neukantianismus der Marburger Schule. Anders steht es mit der Einbeziehung der naiven Sacherkenntnis in die philosophische Betrachtungsweise und die ihr von Hartmann zugeschriebene erkenntnistheoretische Gleichberechtigung. In aller Erkenntnis sollen apriorische Erkenntniselemente vorhanden sein, d. h. jeder Erkenntnisakt soll — abgesehen von miterfaßten individuell konkreten Gegebenheiten — auch einen von der Erfahrung unabhängigen Sachverhalt in das Bewußtsein einholen; denn »alles, was als streng allgemeingültig und notwendig eingesehen wird, kann eben nicht aus erfahrbaren Einzeltatsachen stammen" 9 . Damit stellt sich Hartmann für seine Erkenntnistheorie eine äußerst schwierige Aufgabe. E r muß nunmehr zu beweisen versuchen, daß und inwiefern die völlige Skepsis im Hinblick auf ein allgemeines Erkennen von Ansichseiendem unbegründet ist und der Annahme der Unsicherheit menschlichen Erkennens einen zu breiten Raum gewährt. Gelingt es und auf welche Weise gelingt es Hartmann diese seine Überzeugung von der Möglichkeit allgemein notwendiger Erkenntnisse beweiskräftig zu belegen?

8

Metaph., 45. Kap. b) S. 339. Vgl. H A R T M A N N , Philosophie der Natur, 33. Kap. e) S. 400: „Die Vollkommenheit der Mathematik ist ihre Exaktheit und reine Apriorität."

9

Metaph.,

7



45. Kap. b) S. 339.

19·

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Eikenntnis

An die obige Voraussetzung anknüpfend, erhebt sich die Frage, worum es sich bei diesem Apriori handelt, das als ein gemeinsames Kriterium sowohl der wissenschaftlichen als auch der naiven Erkenntnis angesehen wird. Die Auffassung Hartmanns wird aus den Stellen seiner Arbeiten am besten deutlich, an denen er eine Gegenüberstellung von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis vornimmt. Daher gehen wir zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage von einer Äußerung Hartmanns in seinem Aufsatz »Diesseits von Idealismus und Realismus" 10 aus. Zunächst wird hier der aposteriorischen Erkenntnis eine Zuständigkeit für Sinnesdaten eingeräumt. Dann heißt es hinsichtlich der apriorischen Erkenntnis: „Das andere aber, das apriorische Element, ist mit Unrecht auf Form, Gesetzlichkeit und Synthesis beschränkt, mit Unrecht in Funktionen des Subjekts verlegt, mit Unrecht audi innerhalb der letzteren wiederum vorwiegend auf Denken und Urteil bezogen; mit Recht dagegen auf eine selbständige, autonome Erkenntnisquelle überhaupt zurückgeführt" 11 . Zunächst wird also eine negative Bestimmung eines erkenntnistheoretischen Apriori vorgenommen, die eindeutig gegen das Apriori Kants und des Neukantianismus polemisiert. Das Apriorische will Hartmann nicht als im Subjekt angelegte Formen und Gesetzlichkeiten (reine Anschauungsformen und Kategorien) verstanden wissen, die beim Erkenntnisakt in Funktion treten und eine erfahrungsunabhängige Synthesis mit Erkenntniswert garantieren, wobei die Synthesis ihrerseits eine Funktion des Verstandes darstellt und das Apriorische infolgedessen ein Charakteristikum des Urteilsaktes ausmacht und auf das Denken bezogen ist. Nach Hartmann ist das Apriorische nicht eine Wesenseigenschaft des Urteils, sondern Erkenntnis a priori wird als Bestandteil »auch der keineswegs in Urteilen geformten" 12 Erkenntnis angesehen. Was meint Hartmann, wenn er von „keineswegs in Urteilen geformten" 1 3 Erkenntnissen spricht, denen Aprioritätscharakter zukommen soll? Hier wäre zu fragen, ob nicht jede Erkenntnis bereits eine Urteilsfunktion involviert. Heißt nicht urteilen erkennen und erkennen urteilen? Nicht nur der realisierte, d. h. in die sprachliche Ausdrucksform eingegangene Bewußtseinsinhalt ist als Urteil zu betrachten, sondern jedes Erkenntnisgebilde tritt bereits in der Form eines Urteils, d. h. mit dem Anspruch, den einem Objekt zugehörigen Sachverhalt auszusagen, in das Bewußtsein des Subjekts ein. Bei Hartmann dagegen erfahren die Be10

In: Kant-Studien

11

ebd. S. 179.

12

Metaph., 5. Kap. d) 12. S.51.

13

Vgl. Anm. 12 dieses Kapitels.

20

X X I X (1924), S. 160—207.

Die ontische Bedingung apriorischer Erkenntnis

griffe Erkenntnis und Urteil eine Einschränkung. Für ihn sind Erkenntnisakt und Urteilsakt keineswegs identisch. „Erkenntnis ist ein transzendenter Akt; sie hat mit dem Urteil direkt nichts zu tun, sie bewegt sich in anderer Dimension" 14 . „Urteil und Begriff sind logische Fassungen des Erkannten, nicht selbst Erkenntnis. Erkenntnis ist Einsicht, Erfassen, Schau" 15 . Eine Erkenntnis a priori meint lediglich die vom Subjekt geleistete, von der Erfahrung unabhängige Einsicht in einen transzendenten Sachverhalt, die ihrerseits noch keine Urteilsformung erfahren hat. Letztere erfolgt erst in einem sekundären Akt logischer Reflexion. Das Apriorische liegt für Hartmann somit als zum transzendenten Erkenntnisakt gehörig, dem bewußtseinsimmanenten Akt der Urteilsprägung immer schon voraus18. Doch kommen wir auf die Kennzeichnung der apriorischen Erkenntnis in Hartmanns Aufsatz „Diesseits von Idealismus und Realismus" 17 zurück! Zugestanden wird von Hartmann im angeführten Zitat, daß die apriorische Erkenntnis auf einer eigenständigen Erkenntnisquelle beruht, daß sie neben der auf die Sinnesdaten bezogenen aposteriorischen Erkenntnisinstanz ein erkenntnistheoretisches Eigenrecht behaupten darf 8 . In diesem Sinne wird auch in der „Metaphysik der Erkenntnis" der Unterschied zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis als Konsequenz ihrer heterogenen Erkenntnisquellen — sinnliche Wahrnehmung einerseits und innere Anschauung andererseits — als „ein Unterschied des Erfassens selbst, der Einsicht oder der Gegebenheitsweise" 19 herausgearbeitet. Auf diese Weise wird deutlich, daß der Unterschied von a priori und a posteriori für Hartmann ein Charakteristikum bildet für die Art und Weise, wie ein Erkenntnisgebilde ins Bewußtsein eingeholt wird. Das Erfassen des Gegenstandes ist bei apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis ein jeweils methodisch eigentümliches. Zugleich entspricht aber dem Unterschied des Erfassens ein Unterschied in der Gegebenheitsweise, d. h. der Erkenntnisgegenstand wird durch den apriorischen Erkenntnisakt im Bewußtsein auf andere Weise repräsentiert als es beim aposteriorischen Erfassen der Fall ist. Es handelt sich bei der apriorischen bzw. der aposteriorischen Erkenntnis darum, „daß zwar nicht am Ob14

15

le

17 18 19

HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, 18. Kap. c) S. 175; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 18. HARTMANN, Das Problem des geistigen Seins, 41. Kap. d) S. 382; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 62. Kap. a) S. 475; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. c) S. 160. Vgl. Metaph., 7. Kap. a) S. 77: „Das alte Vorurteil, daß nur Empirisches .gegeben' und nur Geurteiltes a priori sein könne, ist also hier fallen gelassen". Vgl. Anm. 11 dieses Kapitels. Vgl. audi Kap. III, 2 dieser Arbeit. Metaph., 5. Kap. d) 5. S. 49.

21

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Eikenntnis

jekt selbst, wohl aber am Bilde des Objekts einzelne Züge oder Elemente a priori resp. a posteriori »sind'"20. Das Wörtchen ,sindc betrifft hier nicht das Sein des Erkenntnisgebildes als solches, sondern bezieht sich auf seine »Gegebenheitsweise", d. h. es bezieht sich darauf, ob bestimmte Züge des Objektbildes im Subjekt vor oder erst bei Gelegenheit des empirisch anschaulichen Gegebenseins erfaßt werden, wobei das ,vor' kein zeitliches Vorhergehen meint, sondern eine erkenntnistheoretische Antizipation von Objektbestimmtheiten. Ein Apriori von erkenntnistheoretischer Relevanz, das dem Erkenntnisgebilde zugehört, liegt nach Hartmann also dort vor, wo das Subjekt durch einen Erkenntnisakt Objektgegebenheiten ganz unabhängig von dem für die aposteriorische Erfasssensweise notwendigen sinnlichen Gegebensein antizipiert. Die apriorische Gegebenheitsweise, d. h. die Art, in der der ansichseiende Gegenstand in Absehung von seinen erfahrbaren Zügen dem Bewußtsein immanent geworden ist, ist durch die allgemein notwendigen Eigentümlichkeiten des Gegenstandes gekennzeichnet. „Der apriorische Einschlag der Erkenntnis . . . gibt nur das Allgemeine"21. Folglich läßt sich „im ganzen Gebiet der Realerkenntnis niemals rein a priori einsehen . . . , ob etwas wirklich ,ist' oder nicht ,ist', sondern immer nur ,wiec ein bereits als real Bezeugtes beschaffen ist"22. Auf die Frage, wodurch der geforderten apriorischen Erkenntnis der Charakter einer allgemeinen und notwendigen Erkenntnis zukommt, antwortet Hartmann in der „Metaphysik der Erkenntnis": „A p r i o r i . . . ist alles Erfassen, bei welchem ein einzelner realer Fall nicht vorliegt, von welchem her die Gegebenheit stammen könnte, resp. ein Erfassen, bei dem das Erfaßte den Einzelfall, selbst wo er vorliegt, inhaltlich überschreitet, und folglich in seiner Gegebenheit nicht mitgegeben ist. Apriorische Einsicht wartet nicht auf das reale Vorkommen des Gegenstandes, sie weiß zum Voraus wie er (in bestimmter Hinsicht) beschaffen sein muß. Was in ihr zur Gegebenheit kommt, ist eben der allgemeine Wesenszug ohne Rücksicht auf sein Vorliegen im realen Fall. Sofern aber ontologisch solche Wesenszüge das Primäre dem Einzelfall gegenüber sind, bilden sie das essentielle Prius. In diesem Sinne ist Erkenntnis, die an diesem Prius gewonnen ist und erst von ihm aus sich auf den Fall erstreckt, in der Tat .Erkenntnis a priori'" 23 . Die Erkenntnis a priori 20 21 22 23

22

ebd. 5. Kap. d) 4. S. 49. HARTMANN, Zum Problem der Realitätsgegebenheit, S. 13. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 38. Kap. a) S. 242. Metatph., 5. Kap. d) 7. S. 50; vgl. Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 145; vgl. Das Problem des Apriorismus in der Platonischen Philosophie, S. 5: „Im Gesamtbefunde der Erkenntnis ist dann a priori das, was auf Grund der allgemeinen Wesenheit, a posteriori das, was auf Grund der Gegebenheit des Einzelfalles erfaßt wird".

Die ontische Bedingung apriorischer Erkenntnis

richtet sich also auf diejenigen Elemente des Objekts, die die empirische Anschauung desselben nicht in den Blick bekommen kann; sie zielt auf diejenigen Strukturen, die über die empirische Daseinsweise des Gegenstandes hinausliegen. „Alle strenge Erkenntnis des Allgemeinen, alle Gesetzeserkenntnis" gehört zu dem „Typus des Wissens, der sich auf das Sosein allein erstreckt und das Dasein offenläßt" 24 . Das Sosein oder das Wesenhafte eines Gegenstandes, das seine überempirischen Strukturen ausmacht, weist den Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit auf und kann als seine Wesensgesetzlichkeiten bezeichnet werden. „Apriorische . . . Erkenntnis . . . erfaßt nur das Allgemeine, das Gesetz, die durchgehende Bestimmtheit möglicher Gegenstände, niemals aber einen wirklichen Gegenstand als solchen"25. Hier zeigt sich, daß der Erkenntnis a priori der Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht primär als ein erkenntnistheoretischer zukommt, sondern als ein ontisch bedingter; denn die allgemeinen Gesetzlichkeiten sind bei Hartmann als ein ontisches Prius bedeutsam, und apriorische Erkenntnis erweist sich nunmehr als diejenige Erkenntnis, die ein ontisch Allgemeines und in seiner Allgemeinheit Notwendiges erfaßt. Nur diese reine Gesetzeserkenntnis, die von der „Gesetzlichkeit und Allgemeinheit einer Erkenntnis" 38 , die auch der aposteriorischen eignen kann, streng zu unterscheiden ist, darf die Bezeichnung apriorische Erkenntnis führen. „Die Allgemeinheit der Einsicht ist nicht die einer Kollektivaussage, sondern nur die einer Wesensaussage"27. Die Erkenntnis a priori trägt also bei Hartmann ihren Namen nach dem, was erfaßt wird, und dies ist auf Grund seiner Seinsweise ein Uberempirisches und Allgemeines. Das Apriori Hartmanns erweist sich also nicht mehr wie das Apriori bei Kant als ein erkenntnistheoretisches, das durch die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der Urteilsaussage gekennzeichnet ist, sondern das Apriori ist bei Hartmann zu einem Inhaltsmoment der Erkenntnis geworden. Die apriorische Erkenntnis intendiert einen bestimmten Ausschnitt des Seins, der sich im Aristotelischen Sinne als das ττρότερον φύσει erweist, das dem πρότερον προς ή μας in seiner individuellen Konkretheit seine Wesensstruktur verleiht. Wenn der Unterschied zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis von Hartmann zunächst als ein Unterschied des Erfassens und 24

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 12. Kap. b) S. 96; vgl. ebd. 13. Kap. b) S. 104: „Erkenntnis a priori erfaßt nur das Sosein".

25

HARTMANN, Diesseits von Idealismus und Realismus, S. 181; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, 13. Kap. b) S. 103: „Die Erkenntnis a p r i o r i . . . hat eben die Form des Allgemeinen. Sie ist Gesetzeserkenntnis . . .

28

Metaph., 54. Kap. b) S. 410. Die aposteriorische Erkenntnis kann auf Gesetzlichkeit beruhen und ein Allgemeines beinhalten. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 44. Kap. a) S. 277.

23

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

der Gegebenheitsweise herausgestellt wurde, so erweist sich nunmehr ganz deutlich, daß dieser Unterschied ontisch bedingt ist, je nachdem ob das Erfassen auf das ontische Prius oder Posterius gerichtet ist und ob das Erkenntnisgebilde das Sosein oder das Dasein des realen Gegenstandes repräsentiert. Ein Erkenntnisakt ist für Hartmann ein apriorischer, wenn er ein ontisches Apriori intendiert. Die Apriorität hängt am Sein und nicht am Erkenntnisakt selbst. Die von Hartmann für möglich erachtete apriorische Erkenntnis ist einzig durch ihre „liaison . . . à l'être" 23 als apriorische begründet. Das Apriori Hartmanns erweist sich als „ein Gegenständliches, das überall, wo wir es antreffen, nur als Objektbestimmtheit vorkommt" 29 . Das Apriori wird als Gegebenheit anerkannt und ist damit nicht nur völlig verschieden von dem funktionalen Apriori Kants, sondern steht auch im Gegensatz zu dem Apriori Husserls, das durch das transzendentale Bewußtsein und seine intentionalen Akte als ein ideales Seinsapriori konstitutiert wird. Es sei nodi besonders darauf verwiesen, daß der Begriff der Gegenständlichkeit hier nicht mißdeutet werden darf. Er besagt für Hartmann lediglich, daß das Apriori ein der Erkenntnisintention des Subjekts Entgegenstehendes, d. h. ein Ansichseiendes, ist. Der Begriff hat hier also keineswegs die Sinnbedeutung, die ihm innerhalb der Phänomenologie eignet, wenn das phänomenologische Apriori, das Eidos, als ein Gegenständliches bezeichnet wird. Aus dem Voraufgegangenen wird deutlich, daß bei Hartmann der Aprioritätsbegriff und damit im Zusammenhang die Problematik einer apriorischen Erkenntnis in den Gesamthorizont einer Ontologie aufgenommen wird. Das Apriori, das eine Erkenntnis zu einer apriorischen macht, ist ein Prius in der Form ontischer Gesetzlichkeit, das als Erkenntnisgebilde vom erkennenden Bewußtsein erfaßt wird. Insofern wird es für Hartmann sinnvoll von einem „seienden a priori" 30 zu sprechen. Dem Apriori eignet ein Sein, „nämlich das Wesen von etwas zu sein"31. Das Etwas, dessen Wesensgesetz das Apriori darstellt, ist einerseits der individuell konkrete Gegenstand, andererseits das durch den auf diese Wesenhaftigkeit gerichteten Erkenntnisakt zustande gekommene Erkenntnisgebilde, d. h. die Repräsentation des ontischen Prius im Bewußtsein. Allgemeinheit und Notwendigkeit sind für Hartmann Kennzeichen der Apriorität, die aber „als solche gar kein Erkenntnisphänomen ist", sondern „es vielmehr erst dort wird, wo sie einem Erkenntnisgebilde als solchem anhaftet, wo sie einer wirklichen Seinsrepräsentation im Bewußt28

VIDAL, Connaissance a priori et connaissance a posteriori selon Nicolai S. 4 0 6 .

29 30 81

24

HARTMANN, Diesseits von Idealismus und Realismus, S. 168. HARTMANN, Über die Erkennbarkeit des Apriorischen, S. 301. ebd. S. 3 0 1 .

Hartmann,

Die ontische Bedingung apriorischer Erkenntnis

sein, dem ,Bilde' eines realen oder idealen Ansichseins, zukommt" 32 . Der Erkenntnis kommen also diese Kriterien erst in sekundärem Sinne zu. Erkenntnis a priori „ist ,objektiv allgemein'"33, d. h. sie ist allgemein, weil ihr von ihrem intentionalen Objekt her ein Allgemeines vorgegeben ist. Die »Neugestaltung des Aprioritätsbegriffs" 34 , die Hartmann intendiert, liegt also in einer Ontologisierung des Apriori. Inwiefern kann Hartmann nun das ontologisierte Apriori als das Apriori „in seiner metaphysischen Grundbedeutung" 35 bezeichnen? Um das zu verstehen, müssen wir kurz den MetaphysikbegrifF Hartmanns explizieren. Hartmann spricht von einer „Metaphysik der Probleme"36. Metaphysisch ist ein Problem, das zwar behandelt und bis zu einem gewissen Grade gelöst werden kann, das aber zugleich ein unendliches, nicht auflösbares Restmoment enthält 37 . Von dieser Art sind die Erkenntnisprobleme, also auch die der Erkenntnis a priori anhaftenden Probleme. Wir müssen fragen, warum die Erkenntnisprobleme und somit das erkenntnitheoretische Aprioritätsproblem unlösbare Problemreste enthalten. Diese These Hartmanns hängt mit seiner Ausgangsposition zusammen, wonach „,Erkenntnis' . . . überhaupt nur das Erfassen eines Ansichseienden"38 ist. Wenn nun eine ansichseiende Apriorität erfaßt werden soll, so muß eine Uberbrückung des Chorismos zwischen den heterogenen Korrelaten Subjekt und Objekt stattfinden. Die Erkenntnistheorie hat herauszufinden, auf welche Weise das geschieht. Sie stößt also bei ihrer Aufgabe auf das transzendente Seiende und „geht im Verfolg ihres eigenen Problems geradlinig in Seinstheorie über"39. Die Erkenntnisprobleme sind nach Hartmann Seinsprobleme und ihre Durchschaubarkeit findet an der Undurchschaubarkeit des Seins eine Grenze. Die Ontologie gibt demnach „die metaphysischen Fundamente der Erkenntnistheorie her" 40 . Erkenntnistheorie ist daher für Hartmann Erkentnismetaphysik oder Erkenntnisontologismus41. Die ,metaphysische 32

Metaph.,

33

Vgl. Anm. 4 dieses Kapitels.

34

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit, Anm. 25.

63. Kap. b) S. 489.

35

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit, Anm. 27.

36

Metaph.,

37

Vgl. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, Einleitung, S. 36 : „ . . . der metaphysische (d. h. der nicht bis zu Ende lösbare) Einschlag

1. Kap. a) S. 12.

38

Metaph.,

39

HARTMANN, Zur Grundlegung

40

Metaph.,

41

Das Verhältnis von Erkenntnistheorie und Ontologie wird in dieser Arbeit nidit eingehend diskutiert. Zu diesem Thema hat neuerdings Katharina Kanthack Stellung genommen: KATHARINA KANTHACK, Nicolai Hartmann und das Ende der

63. Kap. a) S. 48. der Ontologie,

Einleitung, S. 19.

Einleitung, S. 6.

25

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

Grundbedeutung' des Aprioritätsbegriffes ist also für Hartmann mit der Festlegung des Apriori als eines ontischen Gebildes gegeben. Unsere Untersuchung des Aprioritätsproblems in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie hat bisher zu dem Ergebnis geführt, daß die apriorische Erkenntnis im Sinne Hartmanns eine ontisch bedingte ist. Es sei nunmehr erlaubt, ein erstes Bedenken gegen die von Hartmann für möglich erachtete apriorische Erkenntnis zu äußern, das sich im Laufe der weiteren Untersuchung als berechtigt oder unberechtigt erweisen möge. Infolge der Rückführung der Erkenntnis a priori auf eine ontische Bedingung scheint uns bei Hartmann ein direktes Abweichen von der erkenntnistheoretischen Problemshandlung vorzuliegen. Die erkenntnistheoretische Fragestellung nach dem Wesen der apriorischen Erkenntnis wird hier von Hartmann durch die Reflexion auf das ,Was' des Erfaßten beantwortet. Für die von Hartmann geforderte apriorische Erkenntnis ist von Bedeutung, welche „Züge oder Elemente"42 am Objekt a priori erfaßbar sind. Die eigentlich erkenntnistheoretische Fragestellung müßte sich aber auf das ,Wie' des Erfassens richten. Für die weitere Untersuchung des Apriorischen im Rahmen der Hartmannschen Erkenntnistheorie wird daher u. a. die Frage dringend, inwieweit der von Hartmann auf die ontische Basis reduzierte Aprioritätsbegriff noch in erkenntnistheoretischer Bedeutung fruchtbar gemacht wird. Wir stehen nunmehr an einem Punkte unserer Untersuchung, an dem wir die Frage nach der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns wieder aufgreifen müssen. Wir erinnern uns an den Hinweis Hartmanns, daß sich seine Theorie für einen Standpunkt entscheiden wird, der an der Sache selbst gewonnen ist. Dieser Standpunkt weist aber vom Grundgesetz aller Erkenntnis und des Erkenntnisgegenstandes her in die Richtung eines Realismus. Das realistische Grundgesetz soll mit der Tatsache apriorischer Erkenntnis vereinbar sein und umgekehrt. Die Vereinbarkeit beider Elemente versucht Hartmann durch eine Ontologisierung der apriorischen Erkenntnis zu erlangen. Das erkenntnistheoretische Apriori erfährt zugunsten der realistischen Ausgangsposition Hartmanns eine Umgestaltung. Was Wilhelm Grebe generell herausarbeitet, trifft für die Erkenntnistheorie Hartmanns zu: „Das Phänomen des Apriori ist, dies muß der Realismus betonen, in der Argumentation von vornherein in einer Weise gedeutet, die seinem originären Bestand durchaus nicht ge-

42

26

Ontologie, Berlin 1962. Kanthack geht von der Hartmannsdien ,Entdeckung' der Erkenntnis als eines Seinsverhältnisses aus und versucht zu zeigen, daß durch die Konstatierung der Erkenntnis als Seiendes jeglidie Reflexion über das Wesen des Seins unmöglich und somit alle Ontologie aufgehoben wird. Metaph., 5. Kap. d) 4. S. 49.

Die Methode apriorischer Erkenntnis

maß ist"43. Die Allgemeinheit und Notwendigkeit, die das Wesen des Apriori ausmachen, werden zunächst vom Subjekt und seinem Erkenntnisvermögen getrennt und in das Ansichseiende selbst verlagert, indem es als das Sosein der Sachwelt begriffen wird. „Apriorität erfahren wir so, daß wir sehen: die Sachwelt kann nicht anders als so und so sein"44. Für eine Erkenntnistheorie ist aber mit dieser Ontologisierung des Apriori noch nichts geleistet, sondern es gilt das ontologisierte Apriori erkenntnistheoretisch bedeutsam zu machen. Die apriorische Erkenntnis geht in der intentio recta auf das Sosein, das Wesenhafte des Ansichseienden als eines Vorgegebenen. Sie muß aber selbst gerade als Erkenntnis eine apriorische werden. Dieses geschieht für Hartmann, indem die Erkenntnis ein Erkenntnisgebilde als Repräsentanten ontisdier Apriorität in das Bewußtsein einholt, und zwar in Absehung vom empirisch vorliegenden Fall. Damit stellt sich für die realistisch ausgerichtete Erkenntnistheorie Hartmanns das Problem, den Chorismus von apriorischer Seinsgegebenheit und Erkenntnisvermögen ohne Rückgriff auf die empirische Gegebenheit zu überwinden. Wir müssen daher in den weiteren Kapiteln unserer Arbeit untersuchen, auf welche Weise Hartmann die in der angedeuteten Weise konzipierte Theorie apriorischer Erkenntnis durchführt, ob ihm die Aufhebung des Chorismos gelingt, ob apriorische Erkenntnis und realistische Tendenz bei der weiteren Erklärung in Einklang bleiben und sich nicht gegenseitig aufheben. Es handelt sidi um die erkenntnistheoretische Fragestellung wie unter der Voraussetzung der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses apriorische Erkenntnis, d. h. Soseinserkenntnis möglich wird. 3.

Die Methode

apriorischer

Erkenntnis

Nachdem wir verdeutlicht haben, daß die apriorische Erkenntnis für Hartmann von ihrem Inhaltsmoment — der Repräsentation des Soseins eines Ansichseienden — her bestimmt ist und daß sie im Gegensatz zur aposteriorischen Erkenntnis durch eine eigene Weise des Erfassens gekennzeichnet ist, wird die Aufgabe dringend, eben diese eigene Weise des Erfassens, die der Erkenntnis a priori eigentümlich ist, herauszuarbeiten, d. h. nach dem Charakter der für diese Erkenntnisart zuständigen Erkenntnismethode zu fragen. Das Subjekt vermag unter der Voraussetzung der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses einen Gegenstand nur zu erkennen, wenn es sich eine Methode zu eigen macht, durch die es gelingt, einen objektiv ansichseienden Gehalt in die subjektive Sphäre des Bewußtseins einzuholen. 43

44

GREBE, Der natürliche Realismus, S. 175. ebd. S. 175.

27

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

Wir stehen also hinsichtlich der apriorischen, bzw. ontische Aprioritäten intendierenden Erkenntnis vor dem Problem, den methodischen Weg ausfindig zu machen, der den Einblick in diese allgemein notwendigen Sachverhalte gewährt. Folglich lautet bezüglich der Erkentnismethode unsere Ausgangsfrage: Auf welche Weise wird das ontologische Apriori, die Wesensgesetzlichkeit des transzendent realen Gegenstandes, für das Subjekt faßbar? Wie ist das Wesen derjenigen Erkenntnisart beschaffen, die das Allgemein-Notwendige eines Seienden erfaßt? Da Hartmann sein Anliegen, einen Erweis für die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis zu erbringen, durch eine Theorie, die von ihrer Ausgangsbasis her in die Richtung eines Realismus weist, auszuführen sucht, muß er berücksichtigen, daß abgesehen von der grundsätzlichen „Urgeschiedenheit"1 von Subjekt- und Objektsphäre, die Relation zwischen Subjekt und Objekt in der apriorischen Realerkenntnis die höchste Spannweite ihrer Transzendenz erreicht; denn, da das Subjekt gerade die Wesensgesetzlichkeiten des Objekts, d. h. „das Sosein einer unendlichen Reihe von Fällen" 2 intendiert, bietet sich ihm noch nicht einmal das Phänomen unmittelbarer Gegebenheit dar, sondern das Erkenntnisvermögen muß, sobald es auf das Sosein gerichtet ist, „vor aller Erfahrung rein bei sich selbst etwas über den realen Gegenstand" ausmachen, „von dessen Zutreffen auf den letzteren es nichtsdestoweniger vollkommen überzeugt ist" 3 . Dieses Problem bezeichnet Hartmann als die „Aporie der Erkenntnis a priori" 4 : „Was in der Erkenntnis a priori so paradox i s t , . . . das ist die Tatsache, daß in ihr dasBewußtsein gerade von den konkreten Gegenständen absieht und sich gleichsam in sich selbst zurückzieht, um in dieser Zurückgezogenheit nichtsdestoweniger das ,wahre Wesen' eben jener äußeren Gegenstände zu erfassen" 5 . Auf welche Weise kann nun das subjektive Bewußtsein eine solche Antizipation von Objektbestimmtheiten vornehmen? Dem Subjekt eignet nach Hartmann die Fähigkeit der „transzendenten Apriorität", d. h. „die F ä h i g k e i t . . . , die Wesenszusammenhänge des Realen rein in sich zu erschauen, ohne sie sich durch die Präsenz des Einzelfalles direkt geben zu lassen" 4 . In diesem Zusammenhang kommt der Begriff der transzendenten Apriorität bei Hartmann in einer zweiten Bedeutung zur Geltung. Zu1

Metaph.,

2

HARTMANN, Zur Grundlegung

5. K a p . a) 1. S. 44.

s

Metaph.,

der Ontologie,

13. Kap. a) S. 101.

6. Kap. c) 2. S. 65.

* ebd. 6. Kap. c) S. 65. 5

ebd. 50. Kap. a) S. 3 8 0 ; vgl. ebd. 6. K a p . c) 6. S. 6 6 : „Das Bewußtsein antizipiert hier Bestimmungen eines Realen mit Uberspringung der Gegebenheit".

6

ebd. 46. Kap. a) S. 346.

28

Die Methode apriorischer Erkenntnis

nächst war uns der Ausdrude transzendente Apriorität' zur Bezeichnung des ontischen Prius als derjenigen Bedingung, die eine auf es gerichtete Erkenntnis zu einer apriorischen macht, begegnet. Nunmehr wird mit dem Begriff der transzendenten Apriorität dasjenige subjektive Vermögen benannt, das zum Erfassen jener transzendenten Apriorität im ontischen Sinne befähigt. Der Begriff der transzendenten Apriorität als erkenntnistheoretische Größe kennzeichnet die Erkenntnismethode als diejenige Fähigkeit des Subjekts, durch die es in einer von empirischen Daten absehenden Schau die Wesensstrukturen eines ansichseienden Gegenstandes zu erfassen vermag. Das Apriori hat hier die Bedeutung — vor aller Erfahrung. Vor aller Erfahrung eines individuell Konkreten empfängt das erkennende Bewußtsein seine Erkenntnisgebilde als Repräsentationen der im Konkretum liegenden Wesensstrukturen und Gesetzlichkeiten. Der Begriff der transzendenten Apriorität meint also die Disposition des Subjekts, sich die Wesensgesetzlichkeiten des transzendent realen Gegenstandes, unabhängig von dem direkten Vorliegen desselben in einem konkreten Fall, anschaulich zur Gegebenheit zu bringen; es handelt sich um das subjektive Vermögen der antizipierenden Anschauung der Objektbestimmtheiten. Die Art und Weise des Rezipierens ist also bei der apriorischen Erkenntnis ein Erschauen. Soseinserkenntnis fordert die Fähigkeit der inneren Schau. »Erkenntnis a priori zeigt, an sich betrachtet, unverkennbar den Charakter innerer Anschauung"7. „Apriori kann immer nur eine ,Einsicht* sein" 8 . Was versteht Hartmann unter der inneren Schau? Wie rechtfertigt er den Charakter seiner Erkenntnismethode als innere Anschauung? Der Begriff der inneren Anschauung bezeichnet als Methode der apriorisch realen Gegenstandserkenntnis das unmittelbare Ergreifen der überempirischen Strukturen des Seienden. Das apriorische Erkennen ist „ein Schauen höherer Ordnung . . . , in dem das Bewußtsein direkt in Fühlung mit dem Gegenstande kommt" 9 . Es muß sich also um eine nichtsinnliche Anschauung handeln; denn von der unmittelbaren Gegebenheit sieht die apriorische Erkenntnis ab und zugleich bedeutet „dieses ,Wegschauen' . . . die Aufhebung der Anschauung"10, d. h. der das Dasein erfassenden, sinnlichen Anschauung. Eine nähere Kennzeichnung der Methode der nichtsinnlichen Anschauung gewinnen wir durch den Hinweis Hartmanns, daß der Unterschied von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis nicht „mit dem von Denken und Anschauung"11 zusammenfällt. T 8 9

10 11

ebd. 7. Kap. c) S. 82. H A R T M A N N , ¡Categoriale Gesetze, S. 210. H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 43. Kap. a) S. 273. Metaph., 6. Kap. c) 6. S. 66. ebd. 7. Kap. c) S. 81.

29

Die Grundlagen der Theorie apriorisdier Erkenntnis

»In der apriorischen Realerkenntnis kann die Anschauung so wenig wie das Denken erklären" 12 . Die apriorische Erkenntnis „ i s t . . . nicht eine spezifische Sache des ,Denkens', sie ist ein inneres Erfassen von Sachverhalten . . . Man bezeichnet es mit Recht seit Piatons Zeiten als inneres Schauen"13. Die Schau des Apriorischen geht also nicht im Denken auf; die unsinnliche Anschauung ist nicht identisch mit dem, was man gemeinhin im Gegensatz zur empirischen Anschauung unter Denken versteht. Andererseits wird aber der Verstand 14 von Hartmann als das Zentrum genannt, von dem die Schau der überempirischen Strukturen ihren Ausgang nimmt. An anderer Stelle der „Metaphysik der Erkenntnis" heißt es: „Man kann Erkenntnis a priori als innere oder logische Rezeptivität bezeichnen"15. Das innere Erfassen wird hier als ein logisches Erfassen gekennzeichnet. Diese Aussagen weisen offenbar darauf hin, daß sowohl nichtsinnliche Anschauung als auch Denken am Zustandekommen der apriorischen Erkenntnis beteiligt sind. Wenn Hartmann hinsichtlich der apriorischen Erkenntnis den Kantischen Dualismus von Denken und Anschauung überwinden möchte, so ist das vermutlich nur möglich, wenn er die Tätigkeit des Verstandes selbst immer schon als eine synthetische Einheit von unsinnlichem Anschauen und logischem Rezipieren voraussetzt. Diese Vermutung findet durch die ontologischen Thesen Hartmanns eine Stütze. Die überempirischen Strukturen setzen sich zusammen aus logischen und aus alogischen Elementen. Nur eine zugleich denkende und anschauende Funktion könnte das logisch-alogische Seiende erfassen. Die apriorische Erkenntnismethode wird von Hartmann mit den Ausdrücken „Anschauung, Intuition, Wesensschau"16 umschrieben. Es wurde deutlich, daß der Vorgang apriorischer Erkenntnis, wenn Hartmann ihn gelegentlich als Wesensschau bezeichnet, nichts mehr mit dem die ,Bedeutung' konstituierenden Akt Husserls zu tun hat, für den letzterer die Bezeichnung Wesensschau benutzt. Bei Hartmann werden in der Wesensschau die realexistenten Wesensgesetzlichkeiten in das Bewußtsein eingeholt. Die Erkenntnismethode in das Bild der Schau gefaßt, soll die Unmittelbarkeit ausdrücken, durch die das Subjekt einen Sachverhalt „rein bei 12

ebd. 6. Kap. c) 6. S. 66; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, 12. Kap. b) S. 95 t.: „Die Erkenntnistheorie madit den Unterschied apriorisdier und aposteriorischer Erkenntnis. Es ist nicht nötig, ihn in Kantisdier Weise auf Anschauung und Denken zu beziehen." Vgl. ebd. 20. Kap. d) S. 145.

13

ebd. 45. Kap. c) S. 340.

14

Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 356.

15

ebd. 7. Kap. c) S. 82.

16

HARTMANN, Über die Erkennbarkeit

30

des Apriorischen,

S. 302.

Die Methode apriorischer Erkenntnis

sich selbst" 17 zur Gegebenheit bringt. Die Methode der inneren Schau hat nach Hartmann den Charakter unmitelbarer Evidenz, die im Gefühl subjektiver Uberzeugtheit ihren Ausdruck findet, aber für das Wahrheitsproblem irrelevant ist. Wenn wie im Zusammenhang mit der Methode, die das Subjekt anwendet, um zu apriorischen Einsichten zu gelangen, auf das Realismusproblem zurückkommen, so müssen wir sagen, daß Hartmann die Methode apriorischer Erkenntnis im Einklang mit seiner realistischen Grundthese zu erklären sucht. Der bei der apriorischen Einsicht in größtmöglicher Spannweite auftretende Chorismos zwischen Erkenntnisvermögen und Soseinsdeterminanten eines Ansichseienden soll durch die subjektive Fähigkeit einer transzendierenden Schau überbrückt werden. Nachdem Hartmann das Apriori vom Verstand und seinen funktionalen Akten getrennt hat, deutet er die von aller Erfahrung unabhängige Erkenntnis nicht mehr im Sinne der Tradition als einen Akt der Konstitution, sondern als einen Akt der Schau transzendenter Objektbestimmtheiten. Die Leistung des Subjekts bei der Erkenntnis a priori liegt für Hartmann nicht in der Erzeugung von Erkenntnisgegenständlichkeiten, sondern in seiner Fähigkeit die eigene Sphäre durch innere Anschauung zu transzendieren und die der Erkenntnis vorgegebenen Gegenständlichkeiten durch Antizipation zu perzipieren. Ob Hartmann bei der Umgestaltung des Apriori und der Methode der erfahrungsunabhängigen Erkenntnis zugunsten seines Realismus überhaupt nodi von einem Erkenntnisapriorismus sprechen darf, soll durch die weitere Untersuchung entschieden werden. Es gilt nun zu fragen, ob und auf welche Weise Hartmann eine Rechtfertigung seiner apriorischen Erkenntnismethode als einer inneren Schau vornimmt. Die von Hartmann herausgearbeitete Erkenntnismethode bedarf einer Rechtfertigung, um den Erkenntniswert der durch sie erlangten Einsichten zu bestätigen, d. h. um die subjektive Evidenz als zugleich objektive Evidenz zu entdecken. Eine solche Rechtfertigung wird geleistet, indem die Erkenntnismethode als auf allgemeingültigen Prinzipien gründend erwiesen wird. Wie geschieht diese Rechtfertigung, d. h. die Zurückführung der Erkenntnismethode auf allgemeingültige Prinzipien innerhalb der Erkenntnistheorie Nicolai Hartmanns? Im Zusammenhang mit dieser Frage drängt sich das für alle Erkenntnistheorie wesentliche und von Kant in den Vordergrund gestellte Problem der objektiven Gültigkeit oder das Problem der Geltung — um es mit dem Terminus Lotzes zu umschreiben — in den Vordergrund. Bei diesem Problem geht es für Hartmann um die Auflösung der Aporie der 17

Metaph.,

6. K a p . c) 2. S. 65.

31

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

transzendent apriorischen Realerkenntnis: „Wie ist es möglich, daß dasjenige, was das Bewußtsein bei sich selbst am immanenten Vorstellungsund Gedankengebilde erschaut, Gültigkeit f ü r ein Reales habe, welches ihm unaufhebbar transzendent ist?" 18 Die Rechtfertigung der Erkenntnismethode besteht also darin, daß einerseits gezeigt wird, auf welchen Prinzipien sie beruht und andererseits bewiesen wird, daß sie in den auf ihr gründenden Akten ein objektiv geltendes Erkenntnisgebilde veranlaßt. 4. Die subjektiven

Bedingungen apriorischer

Erkenntnis

Im Bisherigen haben wir die Ansicht Hartmanns, daß es im Einklang mit der Auffassung der Erkenntnis als einer transzendenten Relation zwischen Subjekt und Objekt, eine apriorische Einsicht gibt, hingenommen und uns bemüht, die Berechtigung dieser Voraussetzung zu erkennen. Dabei zeigte sich zunächst, daß die von Hartmann geforderte apriorische Erkenntnis auf ontischer Bedingung beruht. Anschließend stellten wir die Frage nach der Erkenntnismethode, die eine auf ontischer Bedingung beruhende apriorische Erkenntnis ermöglicht und erkannten dieselbe als eine synthetische Einheit einer unsinnlich anschaulichen und einer logischen Funktion. Diese Erkenntnismethode verlangt jedoch ihrerseits eine Rechtfertigung, die durch die Stichhaltigkeit und Beweiskraft der Prinzipien, auf denen sie gründet, geleistet werden kann. Diese Prinzipien können allein im Subjekt oder im Objekt vorliegen, sie können aber auch sowohl auf Seiten des Subjekts wie auf seiten des Objekts angenommen werden. Letztere Annahme entspricht der Auffassung H a r t manns. Zunächst wird die Frage nach den auf der Subjektseite liegenden Bedingungen der apriorischen Erkenntnis dringend, die Hartmann mit dem Begriff der „immanenten Apriorität" 1 umschreibt. Was versteht Hartmann unter immanenter Apriorität? Inwiefern ist der Begriff der Apriorität in diesem Zusammenhang gerechtfertigt? Was besagt der Terminus,immanent'? Nachdem in Hartmanns Aufsatz „Systembildung und Idealismus" der Gedanke von der Wirksamkeit von Prinzipien im Erkenntnisakt bereits anklingt 2 , setzt sich in der Arbeit „Uber die Erkennbarkeit des Apriorischen" der Gedanke durch, daß die Repräsentation des Objekts im Subjekt nur durch das Vorhandensein von Prinzipien oder Aprioritäten sowohl auf seiten des Gegenstandes, als audi auf Seiten des Subjekts ermöglicht wird. Hartmann macht „das in aller Erkenntnis ,a priori 18

Metaph.,

6. Kap. c) 3. S. 65.

1

Vgl. Metaph.,

2

In: Kleinere

32

45. Kap. d) S. 344. Schriften,

Bd. III, S. 60—78, Berlin 1958; vgl. hier S. 67 ff.

Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis

Feststehende', das Bestehen oder Funktionieren verborgener Prinzipien in der Gegenstandserkenntnis" 3 zur Voraussetzung ihrer Möglichkeit. Auf diese Weise wird von Hartmann der Kantische Gedanke der Erkenntnis durch Prinzipien aufgegriffen, der in allen folgenden Arbeiten beibehalten wird. Der apriorische Bestandteil der Erkenntnis gründet also zunächst auf Prinzipien, die auf seiten des Subjekts vorliegen. „Das apriorische Element der Erkenntnis beruht auf gewissen allgemeinen Prinzipien, welche das Subjekt m i t b r i n g t . . . Man ist seit Kant gewohnt, sie Kategorien zu nennen" 4 . Es fragt sich nun, ob und auf welche Weise die These vom Vorhandensein subjektiver Erkenntnisprinzipien bei Hartmann ihre Rechtfertigung erhält. Eine solche Rechtfertigung wird von Hartmann in der „Metaphysik der Erkenntnis" vorgenommen und nimmt ihren Ausgang von dem phänomenologisch aufzeigbaren Befund. Es ist phänomenologisch aufweisbar, daß das menschliche Erkennen innerhalb einer bestimmten Variationsbreite ein gemeinsames ist, so daß eine Vielzahl von Individuen in der Lage ist, sich über einen bestimmten Sachverhalt zu verständigen. Es gibt „eine sachliche Basis der Verständigung ( ομολογία ) in der Meinungsverschiedenheit" 5 . Hartmann bezeichnet diesen Phänomenbestand als „intersubjektive Ubereinstimmung der Erkenntnis" 8 . „Intersubjektiv ist das am Geiste, was . . . von vornherein allen gemeinsam ist als die alle verbindende Struktur und Gesetzlichkeit des Geistes" 7 . Hieraus folgt, daß in der Vielzahl der Individuen eine gemeinsame Ausgangsbasis zugrunde liegen muß, die den gemeinsamen objektiven Grundzug in aller individuellen Erkenntnis gewährleistet. Diese gemeinsame Ausgangsbasis scheint in der allen die Erkenntnis intendierenden Subjekten eigentümlichen Disposition zur Repräsentation der gemeinsamen Seinssphäre gegeben zu sein. „Die . . . Kategorien, unter denen wir Reales auffassen, sind gemeinsam... Indem wir das gleiche Inventar von Formmodellen der Vorstellung, der Anschauung, des Begreifens besitzen, tauchen auch notwendig anläßlich gleicher Gegebenheit die gleichen geformten Gestalten am objektiven Inhalt auf" 8 . Die Analyse des Erkenntnisphänomens weist freilich auch noch eine andere Seite nach, welche zu einer Einschränkung der These von der gemeinsamen reaktiven Disposition der Subjekte zwingt: die den Subjekten gemeinsame Welt des Seienden wird nur zum Teil in gleicher Weise 3

HARTMANN,

4

HARTMANN,

5

HARTMANN,

β 7

8

Über die Erkennbarkeit des Apriorischen, S . 2 9 2 . Die Erkenntnis im Lióte der Ontologie, S. 145. Das Problem des geistigen Seins, 16. Kap. d) S. 182.

Metaph., 45. Kap. a) S. 337. Das Problem des geistigen Seins, 16. Kap. d) S. 182. ebd. 16. Kap. d) S. 183 f.

HARTMANN,

3

Wirth

33

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

verbildlicht, während im übrigen die Reaktion keine homologe darstellt. Hartmann umschreibt diesen Sachverhalt mit der Formel der „Exzentrizität der sich partial deckenden Vorstellungswelten" 9 , d. h. die von den Subjekten repräsentierte Welt des Seienden ist nur teilweise eine identische Welt, während sie teilweise voneinander abweichende Züge zeigt. Auf Grund der jedenfalls partialen Deckung der Repräsentationen eines Seienden sieht Hartmann sich berechtigt, von den allen Subjekten gemeinsamen Gesetzen der Repräsentation zu sprechen. Die intersubjektive reaktive Disposition zur Repräsentation der Seinssphäre beruht also auf subjektiver Gesetzmäßigkeit. Diese das Abbilden der Objektbestimmtheiten im Subjekt ermöglichenden Gesetzesmäßigkeiten sind nach Hartmann sowohl mit der Exzentrizität, dem Abweichen, als auch der Identität, dem Ubereinstimmen, der Repräsentation durch eine Vielzahl von Subjekten vereinbar. Die Exzentrizität erklärt sich dadurch, daß das jeweilige Quale der Repräsentation von Hartmann von den äußeren Bedingungen und Aspekten des Subjekts im jeweiligen Augenblick der Repräsentation abhängig gemacht wird. Hartmann geht in seiner Behauptung sogar soweit, zu erklären, daß diese Gesetze »einen gewissen Spielraum lassen, der eine Verschiedenheit der Auffassung auch bei gleichen äußeren Bedingungen zuläßt" 10 . Auf diese Weise wird die Gesetzlichkeit der Repräsentation zu einer Gesetzlichkeit aus Freiheit gemacht und der Sphäre des spezifisch Menschlichen zugeordnet. Damit rekurrieren die erkenntnistheoretischen Überlegungen Hartmanns auf den Bereich der Psychologie, vermutlich unbeabsichtigt. Es handelt sidi also in den fraglichen Gesetzen um identische allgemeine Charaktere der Repräsentation inmitten mannigfacher Abweichungen"11. Sie fungieren als Bedingungen der Möglichkeit intersubjektiv übereinstimmender Erkenntnisse. Sie bilden das Prius der Erkenntnis und erhalten insofern von Hartmann die Bezeichnung eines Apriori. Das Epitheon der Immanenz kommt dieser Apriorität insofern zu, als sie der Subjektsphäre eingegliedert ist. Bedingungen der Möglichkeit werden seit Kant als Kategorien bezeichnet, sofern sie auf seiten des Subjekts liegen als Erkenntniskategorien. Hier wäre die Frage anzuschließen — die jedoch aus unserem Zusammenhang hinaus in die Kategorialanalyse führt —, ob die Erkenntniskategorien bei Hartmann darin aufgehen, daß sie Gesetzlichkeiten des Erkennens darstellen oder ob ihnen darüber hinaus noch andere Momente als Wesenseigenschaften zukommen. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der Gesetzlichkeitscharakter nach Hartmann das aufdringMetaph., 45. K a p . a) S. 337. ebd. 45. K a p . a) S. 338. " ebd. 45. Kap. b) S. 338. 9

10

34

Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis

lichste Moment der subjektiven Erkenntnisbedingungen darstellt. Doch zeigt die komplexe Struktur der Kategorien audi dimensionale Elemente (vgl. Anschauungskategorien des Raumes und der Zeit), die für Hartmann Substrat- und nicht Gesetzescharakter tragen und somit ebenfalls innerhalb der Sphäre der immanenten Apriorität vorliegen. Die Ansicht Hartmanns wird aus den Textstellen deutlich, an denen Wesenheiten und Kategorien gegeneinander abgegrenzt werden. »Für das ideale Seiende ist es charakteristisch, daß es inhaltlich in Formen, Gesetzlichkeiten und Relationen aufgeht. Für die Kategorien als solche dagegen ist das nicht charakteristisch. Sie enthalten auch Momente anderer Art. Unter diesen sind die dimensionalen und subtratartigen Momente die wichtigsten"12. Aus eben diesem Grunde löst sich Hartmann von der Bezeichnung „Erkenntnisgesetze" und bevorzugt die Termini Erkenntniskategorien oder Erkenntnisprinzipien. In diesem Zusammenhang sehen wir uns auf ein grundsätzlich der immanenten Apriorität anhaftendes Problem geführt, das auf die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Realismus verweist. In einer realistischen Erkenntnistheorie wäre es durchaus berechtigt, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß die Intersubjektivität von Erkenntnissen durch das Ansichsein des Gegenstandes bereits garantiert wäre. Es bedürfte dann keiner auf subjektive Erkenntnisprinzipien zurückgeführten Intersubjektivität mehr. Es muß grundsätzlich zu der Frage Stellung genommen werden, ob nicht jede Erkenntnistheorie, die den Anspruch erhebt, eine realistische Erkenntnislehre zu bieten, eine Garantie der Intersubjektivität durch das ansichseiende Objekt anerkennen muß oder ob eine dem Phänomen menschlichen Erkennens gerecht werdende realistische Theorie in diesem Punkte dem erkenntnistheoretischen Idealismus ein Zugeständnis machen muß oder darf und die Intersubjektivität als durch Subjektkategorien bedingte zu akzeptieren hat. Auf Hartmann bezogen würde die Fragestellung folgendermaßen lauten: Ist die Hartmannsche Theorie einer apriorischen Erkenntnis, deren Intersubjektivität durch auf der Subjektseite vorliegende Gesetzlichkeiten garantiert wird, noch eine rein realistische Erkenntnislehre oder zeigt sie an dieser Stelle einen idealistischen Einschlag? Wir werden diese Frage beantworten müssen, wenn wir bei der Analyse des Erkenntnisgebildes auf die Funktion der Erkenntniskategorien näher eingehen. Dabei wird auch zu fragen sein, ob dieser idealistische Einschlag — wenn er vorhanden ist — aus der sachlichen Analyse des Erkenntnisphänomens heraus begründet und als notwendig erwiesen ist oder ob er Hartmann aus der durch Kant inaugurierten erkenntnistheo12

HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, 2. Kap. a) L.S. 48; vgl. fCategoriale Gesetze, S. 207, S. 224.



35

Die Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

retischen Tradition zufließt. In diesem Fall wäre durch Hartmann die Möglichkeit der Begründung der Intersubjektivität der Erkenntnis durch die Gesetzlichkeiten des Gegenstandes nicht genügend geprüft und damit die Grenzen und Möglichkeiten einer realistischen Erkenntnistheorie nicht hinreichend abgesteckt. An diesem Punkte unserer Untersuchung stellen wir lediglich fest, daß die Annahme von Subjektkategorien ein von anderen Typen realistischer Erkenntnistheorie abweichendes Moment bedeutet. Im Gegensatz zur Erkenntnis a priori, wo das Apriori primär nur angibt, daß diese Erkenntnisart ein Apriorisches, d. h. ein allgemeines Seinsmoment erfaßt und der Begriff der Erkenntnis a priori insofern in seiner erkenntnistheoretischen Funktion aufgehoben wird, handelt es sich bei der immanenten Apriorität um ein Prius dieser Erkenntnis selbst, um eine Voraussetzung der Möglichkeit der apriorischen Erkenntnis und insofern um eine zunächst erkenntnistheoretische Bedingung. Wenn im Voraufgehenden das Vorhandensein von Erkenntniskategorien verdeutlicht wurde, so folgt daraus zunächst die Frage, ob und auf welche Weise die Beziehung dieser Prinzipien zu der dem Subjekt heterogenen Objektsphäre zustande kommt. Trotz aller Heterogenität der Sphären hält Hartmann eine Erklärung der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt für möglich. Die Analyse des Erkenntnisphänomens führt nach Hartmann zunächst auf das Grundphänomen einer Relation zwischen Subjekt und Objekt". Die Tatsache menschlicher Erkenntnis setzt das Phänomen einer Beziehung zwischen Subjekt und Objekt voraus. In der folgenden aporetischen Sicht wird diese Relation als in sich paradox herausgearbeitet14. Einerseits muß die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis vorhanden sein, andererseits stehen sich Subjekt und Objektsphäre in völliger Heterogenität gegenüber. In unserem Zusammenhang stellt sich nun die Frage nach der von Hartmann vorgetragenen Theorie, die die „allgemeine Aporie der Erkenntnis"15 als ein nur scheinbares Paradoxon entlarvt. Die erkennende Funktion des Subjekts, d. h. seine Ausrichtung auf ein Objekt in der Absicht es zu erkennen, erweist sich als nur eine unter vielen Leistungen eines ansichseienden Subjekts. Ebenso geht das Objekt nicht im Objektsein für ein Subjekt auf, sondern besteht als ein ansidiseiendes ganz gleichgültig, ob ein Subjekt vorhanden ist, das seine Intention auf es richtet. Der Blick, der Subjekt und Objekt in ihrem Ansichsein betrachtet, und somit die Peripherie der erkenntnistheoretischen 13

Vgl. Metaph.,

14

Vgl. ebd. 6. Kap. a) S. 61 fi.

15

ebd. 6. Kap. a) S. 61.

36

5. Kap. a) S. 44 f.

Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis

Funktion von Subjekt und Objekt durchbricht, sichtet aber damit zugleich das Sein als den umfassenden Beziehungshorizont, in den Subjektund Objektsphäre eingelagert sind. „Subjekt und Objekt g e w i n n e n . . . einen gemeinsamen Grundzug, der sie verbindet, das Sein. Sie stehen einander als Seiende gegenüber"16. Die Koexistenz von Subjekt und Objekt im Seinszusammenhang läßt eine die Heterogenität ihrer Sphären überbrückende Relation zwischen den intersubjektiven Erkenntniskategorien und den Objektbestimmtheiten zu. Die Erkenntnisrelation ist nur eine der im Seinszusammenhang wirksamen Beziehungen17. Den Vertretern der Marburger Schule gilt das Sein als ein Geflecht logischer Relationen; Hartmann hat diesen logischen Relationalismus als einen ontologischen übernommen. Mit diesen Überlegungen hat Hartmann die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis überhaupt auf ontologische Basis zurückgeführt, und nunmehr erfordert es die innere Folgerichtigkeit seines ontologischen Ansatzes, daß auch die subjektiven und objektiven Gesetzesmäßigkeiten apriorischer Erkenntnis eine Verankerung im Seinszusammenhang erfahren. Hartmann sieht das ausschlaggebende Moment darin, daß den Erkenntnisprinzipien eine Seinsweise eignet, daß sie also mit dem Objekt, zu dessen Repräsentation im Subjekt sie die Vorbedingung bilden, in einer gemeinsamen Seinssphäre liegen. Wenn bisher die immanente Apriorität als ein rein erkenntnistheoretischer Faktor konzipiert wurde, so zeigt sich nunmehr, daß Hartmann nicht bei der erkenntnistheoretischen Funktion derselben stehenbleibt, sondern das in Form von Erkenntniskategorien vorliegende Apriori wiederum zu einem ontologischen Apriori macht. Die Erkenntnisgesetze „gehören dem Sein der Erkenntnis an und sind insofern selbst seiende Gesetze"18. Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis stellen die in allen Subjekten vorhandenen gemeinsamen Seinsgesetze dar. Die Erkenntnis selbst wird von Hartmann als eine Art Sein betrachtet, die in ihrem Sein nur auf Gesetzen gründen kann, denen ebenfalls ein Sein eignet. „Erkenntnis a priori" muß „auf seienden Erkenntnisgesetzen beruhen"19. Das erkennende Bewußtsein als der Inbegriff dieser Erkenntnisgesetze wird als das Bewußtsein eines seienden Subjektes angesehen, dem insofern selbst wiederum gerade das Sein als wesentlicher Faktor für den Erkenntnisprozeß zugesprochen wird. Auf diese Weise wird das Sein zur wesentlichen Voraussetzung der auf der Subjektseite liegenden Erkenntnisbedingungen und der durch sie ermöglichten Erkenntnis gemacht. 16 17 18 19

ebd. Vgl. ebd. ebd.

43. Kap. b) S. 320—323. ebd. 43. Kap. b) S. 320. 45. Kap. c) S.341. 45. Kap. c) S.341.

37

D i e Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

Ist diese Rücksicherung der immanenten Apriorität als einer Seinsweise im Sein des Subjekts für eine Erkenntnistheorie überhaupt erforderlich? Oder kann sie vielleicht sogar zu einem Verfehlen der eigentlich erkenntnistheoretischen Fragestellung führen? Wie wirkt sie sich in der Hartmannschen Erkenntnistheorie aus? Die Feststellung der Koexistenz von Subjekt und Objekt im gemeinsamen Seinszusammenhang und die Ontologisierung des gesamten Erkenntnisverhältnisses vermag eine Erkenntnisrelation zwischen zwei heterogenen Seienden — Bewußtsein und Gegenstand — weder zu beweisen noch zu widerlegen. Die ontische Sachlage ist für die von einer Erkenntnistheorie geforderte Erklärung des Erkenntnisverhältnisses völlig irrelevant. Daher ist die von Hartmann vorgenommene Interpretation der immanenten Apriorität als ontischer Gesetzmäßigkeit — insofern sie dem Subjekt als einem Seienden zugehört — für die Erkenntnistheorie überflüssig. Falls Hartmann für das Zustandekommen der Erkenntnisrelation keine andere Erklärung hat als ihre Ontologisierung und die Behauptung ihres Vorliegens mit Subjekt und Objekt in ein- und derselben Seinssphäre, so müssen wir den Vorwurf machen, daß es der Hartmannschen Erkenntnistheorie nicht gelingt, die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu erklären, daß der Chorismos zwischen Erkennendem und Zu-Erkennendem erkenntnistheoretisch keine Überbrückung findet. Joseph Klosters macht Hartmann in seiner Dissertation über „Die ,kritische Ontologie' Nicolai Hartmanns und ihre Bedeutung für das Erkenntnisproblem" 20 hinsichtlich des Begriffs der immanenten Apriorität den Vorwurf des Psychologismus. Für Klosters fallen »alle Theorien, die die Geltung von Prinzipien auf das Sein des Subjekts, auf die reale Konstitution des menschlichen Erkenntnissubjektes reduzieren,... unter den Begriff des Psychologismus" 21 . Dagegen ist zunächst einzuwenden, was auch Klosters berücksichtigt, daß Hartmann sich strengstens gegen eine Psychologisierung des Erkenntnisproblems verwahrt 22 . Darüber hinaus scheint aber die von Hartmann vorgenommene Ontologisierung des Erkenntnissubjektes noch keine Psychologisierung einzuschließen, die die Individualität der Person in Rechnung stellen müßte. Hartmann wird vielmehr das Subjekt in jeder ihm möglich zugehörigen Funktion ontologisieren. Die immanente Apriorität erscheint vielmehr als eine Projektion der für die apriorische Erkenntnis zuständigen Funktion des Kantischen transzendentalen Subjekts in die Ebene des Seins, insofern sie die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis bildet, ohne die transzenden20

Diss. München 1927; Druck: F u l d a 1928.

21

ebd. S. 71.

22

Vgl. Metaph.,

38

2. K a p . S . 17 ff.

Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis

tale Funktion der spontanen Konstitution der Gegenstände der Erkenntnis. Der Vorwurf einer Psychologisierung wurde von uns an anderer Stelle erhoben23. Bevor wir die durch den Beziehungskonnex zwischen Subjekt und Objekt im Sein ermöglichten apriorischen Erkenntnisse in der Problematik ihrer objektiven Gültigkeit im Rahmen der Hartmannschen Erkenntnistheorie diskutieren, müssen wir noch ein weiteres Problem aufgreifen, das der immanenten Apriorität anhaftet. Auf der immanenten Apriorität können nach Hartmann apriorische Erkenntnisgebilde beruhen, die intersubjektive Allgemeingültigkeit zeigen, jedoch keine Gültigkeit für einen real transzendenten Gegenstand zu besitzen brauchen. „Die allgemeingültigen Erkenntniskategorien können selbst ungültig für das transzendente Reale sein"24. Ein solcher Fall zeigt sich für Hartmann in der Form eines Vorurteiles. Obwohl Hartmann diese Unterscheidung nicht ausdrücklich vornimmt, lassen sich zwei Arten von Vorurteilen herausstellen. Unter den Vorurteilen gibt es für Hartmann solche, die sich nachträglich als Irrtümer und Täuschungen erweisen, aber auch solche, „denen der Mensch generell unterliegt" 25 . Die letzteren sind allgemein herrschend und notwendig; »denn der Irrtum selbst in ihnen kann ja ein unvermeidlicher, undurchschaubarer sein"2*. In diesem Falle besagt der Begriff der immanenten Apriorität, daß Vorurteile ganz unabhängig vom Hinblicken auf einen transzendenten Gegenstand sich bilden können, daß sie allein durch ein In-Funktion-treten der Erkenntniskategorien entstehen können. Auf diese Weise wird den Erkenntniskategorien von Hartmann ein Moment der Spontaneität beigelegt, durch die ein Erkenntnisgebilde konstituiert wird. Die Erkenntniskategorien vollziehen einen Konstitutionsakt, sie konstituieren ein Entgegenstehendes, das nicht Repräsentation eines transzendent ansichseienden Gegenstandes ist, sondern ein Vorurteil, da sie keine ihnen entsprechenden Seinsprinzipien vorfinden, d. h. „nicht alles Apriorische, das die Form eines Gegenstandsbewußtseins hat, ist eben apriorische .Erkenntnis'" 27 . Bei dieser These der auf immanenter Apriorität beruhenden Vorurteile scheint bei Hartmann ein transzendentales Restmoment wirksam zu werden. Hier wird deutlich, daß der Begriff der immanenten Apriorität bei Hartmann in doppelter Bedeutung vorkommt. Er bezeichnet sowohl die intersubjektiven Erkenntniskategorien, das Prius der Erkenntnis, als 23

Vgl. S. 34 dieser Arbeit.

24

Metaph., 46. Kap. a) S. 345. ebd. 61. Kap. b) S. 476. ebd. 46. Kap. a) S. 345. ebd. 61. Kap. b) S. 476.

25 26 27

39

D i e Grundlagen der Theorie apriorischer Erkenntnis

auch die durch diese Kategorien ohne Ausrichtung auf ein transzendentes Objekt hervorgebrachten ,'Vorurteile*. Im zweiten Fall zeigt sich das Apriorische als ein konstituiertes, spontan hervorgebrachtes. Aber wiederum ist dieses Apriori nicht Kriterium der es hervorbringenden Funktion, sondern meint ein Inhaltsmoment, eben das Hervorgebrachte selbst und erweist sich somit wiederum als ein nicht erkenntnistheoretisches Apriori. Die Vorurteile sind keine Erkenntnisurteile, sondern »gerade die Lücken der Erkenntnis" 28 . Damit behauptet Hartmann aber, daß es allgemeingültige Erkenntniskategorien geben kann, die für das Reale nicht zutreffen, denen die Möglichkeit der Verwirklichung in Form apriorischer Erkenntnis fehlt29. Angesichts dieser Bepauptung stellt sich nun die Frage, wie die Erkenntniskategorien in das Bewußtsein des Subjekts gelangen, und in diesem Zusammenhang wird hauptsächlich die Teilfrage nach der Erklärung des Vorhandenseins der für die Objektwelt nicht zuständigen Kategorien im Bewußtsein wesentlich. An dieser Stelle sei nur die Problematik herausgestellt, die sich für die Kategorien ergibt, die keine Entsprechung im Sein haben. Die These vom Vorhandensein von Erkenntnisprinzipien, die nicht für das transzendent Reale zutreffen, steht offenbar im Widerspruch mit der Hartmannschen Annahme, daß die Seinsprinzipien erst „im Ringen der Wissenschaft um ihre obersten Grundbegriffe, Gesetze oder Prinzipien" eine „Erhebung zu Erkenntniskategorien" 30 erfahren. Wie kann es aber Erkenntnisprinzipien geben, denen keine Seinsprinzipien entsprechen, wenn erstere erst durch das Gerichtetsein des Subjekts auf das Sein zu Erkenntniskategorien erhoben werden? Ihr Vorhandensein ist also umso unerklärlicher, als Hartmann die Erkenntniskategorien selbst als Kategorien eines Seinsbezugs, eben der Erkenntnis, bezeichnet. Sollte der Aufweis von Wirkungsweisen der Erkenntniskategorien, durch die keine ,Erkenntnis' geliefert wird, durch das Phänomen des Vorurteils erzwungen sein, so wäre hier ein unerklärbarer Problemrest im Erkenntnisphänomen aufgewiesen. Vorerst bleibt die Frage: Auf welche Weise kommen die für das Seiende ungültigen Prinzipien in das Bewußtsein des Subjekts? Wir kommen bei der Behandlung der Frage nach der Entstehungsweise der Erkenntnisprinzipien auf dieses Problem zurück31. Im Sinne des Problemzusammenhangs müssen wir nunmehr auf diejenigen Prinzipien zurückkommen, die für das transzendent Reale zu28

ebd. 61. Kap. b) S. 476.

29

Im dritten Band der Ontologie umgeht Hartmann dieses Problem: „Ob es auch . . . Erkenntniskategorien gibt, die nicht zugleich Seinskategorien sind, mag hier aut sich beruhen bleiben". Der Aufbau der realen Welt, 12. Kap. e) S. 136.

30

Metaph.,

31

Vgl. Kapitel III, 1 dieser Arbeit.

40

49. Kap. e) S. 379.

Die subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis

treffen und fragen, wodurch dieses Zutreffen gewährleistet wird. Das Zutreffen der subjektiven Prinzipien auf ein transzendent Reales äußert sich dadurch, daß die immanente Apriorität zu einer Apriorität mit Erkenntniswert wird. „Erkenntniswert gewinnt ein apriorisches Gebilde erst durch eine besondere, mit der bloßen Apriorität keineswegs zusammenfallende Dignität, die von Kant so benannte ,objektive Realität' oder ,objektive Gültigkeit'" 32 . Die immanente Apriorität besagt aber zunächst nur eine intersubjektive Übereinstimmung der durch sie bestimmten Erkenntnisgebilde, „an der die ,objektive Gültigkeit' — d. h. der eigentliche Erkenntniswert — nodi in Frage steht" 33 . Die immanente Apriorität, die zugleich apriorische Erkenntnis darstellt, die Gültigkeit für einen ansichseienden Gegenstand, d. h. für eine transzendente Apriorität besitzt, ist der eigentlich wesentliche Faktor, der über die Lösung der Frage nach der Möglichkeit und dem Zustandekommen einer apriorischen Erkenntnis entscheidet. Apriorische Erkenntnis kann also da statthaben, wo eine immanente Apriorität sich als eine transzendenter Apriorität anhaftende erweist.

32

HARTMANN, Wie ist kritische

33

HARTMANN, Zur Grundlegung

Ontologie

überhaupt

der Ontologie,

möglich?,

S. 269.

40. Kap. a) S. 258.

41

II. Erkenntnis und Wahrheit 1. Das Problem der objektiven

Gültigkeit

Unsere Bemühungen, die Hartmannsdien Erörterungen über einen erkenntnistheoretischen Apriorismus nachzuvollziehen und zugleich den von Hartmann beabsichtigten erkenntnistheoretischen Realismus herauszuarbeiten, haben bisher folgendes ergeben: Hartmann geht bei seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen von der Grundthese aus, daß Erkennen ein Erfassen eines von diesem Erfassen unabhängigen Objektes bedeutet. Das apriorische Erkennen meint das Erfassen der überempirischen Bedingungen eines ansichseienden Gegenstandes. Die somit auf ontischer Bedingung beruhende apriorische Erkenntnis wird vom Subjekt auf dem Wege der inneren Anschauung vollzogen, insofern diese Anschauung ihrerseits durch immanente Apriorität, d. h. durch intersubjektive Formen der Schau, ermöglicht wird. Die Erörterungen zur immanenten Apriorität zeigten, daß die subjektiven Bedingungen zwar notwendig, aber noch nicht hinreichend sind, um das Objekt selbst zu erreichen und objektive Gültigkeit zu beanspruchen, daß vielmehr ein weiteres Moment gefordert ist, das ein Zusammenspiel von subjektiven und objektiven Bedingungen, von immanenter und transzendenter Apriorität ermöglicht. Mit dem Begriff der transzendenten Apriorität wird also das Problem der objektiven Gültigkeit, das bei Kant den Kernpunkt der transzendentalen Deduktion bildet, bedeutsam. Außerdem muß sich im Zusammenhang der Erörterungen des Problems der objektiven Gültigkeit die bereits aufgeworfene Frage entscheiden, ob es dem Hartmannsdien Realismus gelingt, die Erkenntnisrelation zwischen Subjekt und Objekt zu erklären, ob er den Durchstoß der immanenten Apriorität auf eine transzendente Apriorität plausibel zu machen weiß. Was versteht Nicolai Hartmann unter objektiver Gültigkeit? Es geht offenbar um das Gelten der vom Subjekt bewußtgehabten Erkenntnisgebilde für das Objekt, d. h. es geht darum, ob die Repräsentation eines Seienden im Subjekt mit dem Seienden übereinstimmt, ob ein erkannter Sachverhalt auf den vom Subjekt intendierten Gegenstand zutrifft. Auf welche Weise kann es Hartmann gelingen, das Zutreffen der subjektiven Erkenntnisgebilde auf den objektiven Sachverhalt zu erklären? Wie erlangt die immanente Apriorität für das transzendente Apriori 42

Das Problem der objektiven Gültigkeit

eine Gültigkeit, die als eine erkenntnistheoretisdi völlig gerechtfertigte dasteht? Die Lösung dieses Problems glaubt Hartmann durch die Annahme von Identitätsmomenten in Denken und Sein zu finden. So vertritt er bereits in seiner Schrift »Systembildung und Idealismus" die Ansicht, daß das Erkenntnisproblem zu seiner Lösung eine Identität von subjektiven und objektiven Momenten geradezu erfordert: „wenn nämlich nichts identisch ist in Denken und Sein, so ist Erkenntnis unmöglich"1. Folglich müssen „in der Erkenntnis wie im Seienden dieselben kategorialen Momente wiederkehren" 2 . Die Möglichkeit der Erweiterung der immanenten Apriorität, d. h. die Ausweitung der intersubjektiven Prinzipien zu einer auf den objektiven Sachverhalt zutreffenden Ubereinstimmung vollzieht Hartmann also durch Erweiterung der Identität der immanenten Kategorien zur Identität von Subjekt- und Objektkategorien. Apriorische Erkenntnis ist für Hartmann einzig und allein an den Grundsatz der Identiät von Erkenntnis- und Seinsprinzipien gebunden. Das Verhältnis von Seins- und Erkentnisprinzipien belegt Hartmann mit dem Terminus „kategoriale Grundrelation" 3 . In der Erkenntnistheorie Nicolai Hartmanns wird die kategoriale Grundrelation zur Bedingung der Möglichkeit nicht der Erkenntnis überhaupt, sondern speziell der apriorischen Erkenntnis. »Diese I d e n t i t ä t . . . b e d e u t e t . . . das Grundgesetz der Erkenntnis oder die allgemeine Bedingung, unter der überhaupt der menschliche Gedanke, sofern er mehr als Wahrgenommenes enthält, auf reale Gegenstände zutreffen und Wahrheitswert haben kann" 4 . Die großartige Formulierung seiner Identitätsthese findet Hartmann in dem obersten Grundsatz Kants: »Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt, sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteil a priori" 5 . Die Identität der Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis einerseits und ihres Gegenstandes andererseits garantiert die objektive Gültigkeit der vom Subjekt geleisteten apriorischen Erkenntnis. Die Identitätsformel »drückt genau die Bedingung aus, unter der die rätselhafte Tatsache der apriorischen Erkenntnis verständlich wird" 6 . Hartmann sieht in dem 1

HARTMANN, Systembildung

2

Metaph., 49. Kap. b) S. 374. ebd. 48. Kap. S.361. H A R T M A N N , Der Aufbau der realen Welt,

3 4

5 Β

und Idealismus, S. 67.

12.

Kap. b)

S. 132.

Metaph., 46. Kap. d) S. 351; vgl. K A N T , Kritik der reinen Vernunft, A 158; Β 197. H A R T M A N N , Der Aufbau der realen Welt, 12. Kap. c) S. 133; vgl. Philosophie der Natur, Einleitung, S. 35.

43

Erkenntnis und Wahrheit

Grundsatz Kants eine überstandpunktliche Formel, ein „diesseits von Idealismus und Realismus" 7 stehendes Prinzip, das allein die Erklärung der objektiven Gültigkeit der apriorischen Erkenntnis zu leisten vermag. Wenn der Grundsatz für Hartmann auch speziell die Bedingungen der Möglichkeit der apriorischen Erkenntnis aussagt, so kann er ihn dodi mit Kant als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ,überhaupt' bezeichnen, da es für Hartmann keine vollgültige Erkenntnis gibt, die nicht schon apriorische Erkenntniselemente involviert. In diesem Sinne gilt die Identitätsformel auch für Hartmann als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ,überhaupt'. An dieser Stelle scheint eine grundsätzliche Bemerkung zum Hartmannschen Philosophieren geboten zu sein. Das Eigentümliche des philosophischen Gesamtwerkes Hartmanns liegt darin, daß es eine große systematische Synthese der voraufgegangenen philosophischen Problemstellungen und ihrer Lösungsversuche vornimmt. Aus diesem Grunde wird man dem Hartmannschen Werk nicht gerecht, wenn man den philosophiegeschichtlichen Bestandteil seiner Arbeiten nach historischen Gesichtspunkten im Hinblick auf die Berechtigung seiner jeweiligen Interpretation eines Gedankenganges oder Begriffes befragt, sondern im Hartmannschen Werk liegt die Aufforderung einen systematischen Gedankengang nachzuvollziehen und kritisch zu würdigen. Hartmann erhebt den Anspruch, Systematiker und nicht Historiker zu sein8; die philosophiegeschichtlichen Fakten dienen ihm lediglich als Anregung und werden ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Bedeutungsgehalt für seine eigenen Gedankengänge fruchtbar gemacht. Gustav Söhngen weist darauf hin, daß Hartmann mit diesem Verfahren »aus seiner Marburger Schule ein Erbstück von recht zweischneidigem Werte übernommen hat" 9 . In dieser Tatsache scheint auch ein Grund zu liegen, der einer Auseinandersetzung mit der Hartmannschen Kantinterpretation Grenzen setzen würde. Es geht Hartmann nicht in erster Linie um ein historisches Verständnis Kants, sondern um Anregungen, die in sein eigenes Denken hineinpassen und es den Phänomenen entsprechend zu vervollständigen scheinen. Es scheint uns daher beispielsweise bezüglich der Aufnahme des Kantischen obersten Grundsatzes in den Rahmen seiner Erkenntnistheorie unangebracht, Hartmann den Vorwurf der Mißdeutung zu machen. Wir nehmen daher die Formulierung des obersten Grundsatzes als in den Sinnzusammenhang der Hartmannschen Erkenntnistheorie gehörig hin und 7 8

Β

44

Metaph., 46. Kap. d) S. 352 f. Durdi ein Gespräch mit Herrn Professor DR. WILPERT wurde mir bekannt, daß Hartmann seine Notizen zur Gesdiidite der Philosophie verbrannt hat, um sich nicht von seiner systematischen Aufgabe durdi Verarbeitung des historischen Materials ablenken zu lassen. SÖHNGEN,

Sein und Gegenstand,

S. 108.

Das Problem der objektiven Gültigkeit

gehen in dieser Arbeit nicht auf eine Auseinandersetzung Hartmanns mit Kant ein. Für Hartmann ist die Ubereinstimmung eines apriorischen Erkenntnisgebildes mit dem ansichseienden Gegenstand innerhalb der Bereiche vorhanden, in denen eine Identität der im Subjekt und der im Objekt liegenden Kategorien gegeben ist. Mit den Worten Hartmanns: »Die gleichen Determinanten müssen das gleiche Determinatum ergeben"10, d. h. wenn die subjektiven und objektiven Bestimmungskomponenten, die Kategorien, Äquivalenz aufweisen, so muß das durch sie Bedingte, die Repräsentation des Objekts im Subjekt, ein ihm Adäquates darstellen. Es kann also „nur das an einem Gegenstande... a priori erkannt werden, was an ihm durch dasselbe Prinzip determiniert ist wie am Erkenntnisgebilde" 11 und umgekehrt. Es gilt nun zu fragen, in welchem Ausmaß eine Identität von Seinsund Erkenntnisprinzipien besteht. Hartmann postuliert keineswegs eine absolute Übereinstimmung12. Er sieht sich zu einer Restriktion der Identität genötigt. Innerhalb welcher Grenzen ist die Identität vorhanden und wodurch wird ihre Restriktion gerechtfertigt? Wenn bisher deutlich wurde, daß die kategoriale Grundrelation die Bedingung der Möglichheit apriorischer Erkenntnis bildet, so begegnet uns nunmehr bei Hartmann eine Formulierung, die die Identität auf einen bestimmten Bereich eingrenzt. Es heißt in der „Metaphysik der Erkenntnis": „Die Grenzen der Rationalität des Gegenstandes müssen zugleich die Grenzen der transzendenten Identität der Kategorien sein"13. Was versteht Hartmann unter den „Grenzen der Rationalität des Gegenstandes"13, die die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis unterbinden? Wir stoßen hier auf eine Grundvoraussetzung aller Hartmannschen Erkenntnistheorie, auf die wir in diesem Zusammenhang kurz eingehen müssen. Das vom Subjekt intendierte Seiende, das Objiciendum, teilt sich nach Hartmann in zwei Bereiche, das Objizierte, d. h. das erkannte Seiende einerseits und das Transobjektive, d. h. das jenseits des Erkannten liegende Seiende andererseits. Zwischen dem objizierten Seienden, dem Objectum, und dem Transobjektiven liegt die gnoseologische Grenze der Objektion, die verschiebbar ist und der Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses Raum gibt. Der entscheidende Schritt Hartmanns liegt nun darin, daß er das Transobjektive wiederum in zwei Bereiche unterteilt, in das 10

Metaph.,

11

ebd. 48. Kap. c) S. 365.

12

Vgl. HARTMANN, Philosophie der Natur, Einleitung, S. 35: „Aber damit ist keineswegs gesagt, daß alle unsere Erkenntniskategorien mit den entsprechenden Gegenstandskategorien schlechthin identisch wären."

48. Kap. a) S. 361.

" ebd. 48. Kap. c) S. 365.

45

Erkenntnis und Wahrheit

noch intelligible oder rationale Seiende einerseits und transintelligible oder irrationale Seiende andererseits, die durch eine absolut festliegende Grenze unterteilt, den endlichen erkennbaren Ausschnitt des Erkenntnisgegenstandes von einem unendlichen nicht erkennbaren Rest desselben trennt. Das heißt aber, daß das Subjekt einen Gegenstand nur partial zu erkennen vermag, indem am Objekt selbst eine absolute Grenze seiner Erkennbarkeit vorhanden ist. Diese Grenze der Irrationalität ist keine ontologische Grenze, sondern eine rein erkenntnistheoretische14, d . h . sie begrenzt keinen ontischen Irrationalitätsbereich, sondern die gegen Rationalität und Irrationalität gleichgültige Seinssphäre wird durch diese Grenzsetzung lediglich für das die Erkenntnis intendierende Subjekt in einen objizierbaren und einen transintelligiblen Bereich aufgespalten. „Es gibt kein an sich Unerkennbares" 15 , aber es gibt »sehr wohl ein ,für uns Irrationales"' 18 . Da wir noch öfters in anderem Fragezusammenhang auf die Voraussetzung einer partialen Irrationalität des Erkenntnisgegenstandes stoßen werden, müssen wir hier kurz auf diese Voraussetzung eingehen. Es stellt sich sofort die Frage nach einer Rechtfertigung dieser Irrationalitätsgrenze. Welche Gründe gibt Hartmann als Beweis für das Vorhandensein einer absolut feststehenden Grenze der Erkennbarkeit an? In der „Metaphysik der Erkenntnis" führt Hartmann die „aktuale Unendlichkeit" 17 des Gegenstandes als Beweis eines erkenntnistheoretisdien Bereichs der Irrationalität an. In welchem Sinne kommt dem Gegenstand eine „aktuale Unendlichkeit" 18 zu? Hartmann weist darauf hin, daß wissenschaftliche Problemstellungen ins Unbegrenzte gehen, daß die Lösung des einen Problems jeweils wieder auf eine neue vorerst nur hintergründige Problematik hinführt, wobei sich jede neu eröffnende Problemschicht als erkenntnisfremder erweist als die voraufgehende. Die nicht begrenzbare Problemkette, die sich bezüglich eines gegenständlichen Sachverhalts stellt, wertet Hart14

Vgl. HARTMANN, Möglichkeit und Wirklichkeit, 3. Kap. d) S. 52: „Alle jeweiligen (beweglichen) Erkenntnisgrenzen sind von dieser Art und nicht weniger audi jede echte (unverrückbare) Erkennbarkeitsgrenze. Es sind alles bloß gnoseologische Grenzen, keine ontologisdien." Vgl. ebd. 46. Kap. c) S. 362; vgl. Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 155: „Jede Grenze dieser Art ist eine bloß gnoseologisdie, keine ontologisdie". JOSEF STALLMACH wirft in seinem Aufsatz Die Irrationalitätsthese Nicolai Hartmanns. Sinn, Gründe, Fraglichkeit (Scholastik, 32, H. 4 [1957] S. 481—497) die Frage auf, ob diese „nur gnoseologisch gesetzte Rationalitätsgrenze nidit schließlich doch auch zu einer ontologisdien Grenze wird" (S. 492).

15

HARTMANN, Zur Grundlegung ebd. 2 6 . Kap. b) S. 1 7 2 .

18

" 18

46

Metaph., 32. Kap. c) S. 243. Vgl. Anm. 17 dieses Kapitels.

der Ontologie, 26. Kap. a) S. 172.

Das Problem der objektiven Gültigkeit

mann als einen offenbaren Beweis für die „aktuale Unendlichkeit" 19 Gegenstandes der Erkenntnis und folgert daraus eine nur partiale kennbarkeit desselben. »Aus dem Anwachsen der Probleme" 20 ergibt für Hartmann „die Unerkennbarkeit des Gegenstandes als Ganzen. Totalität des Gegenstandes erweist sich als aktuale Unendlichkeit, zu durchlaufen dem endlichen Verstände unmöglich ist"21.

des Ersich Die die

Dementsprechend handelt es sich bei der Erkenntnis immer nur um einen endlichen objizierten Teilaspekt des Objekts, während sich ein unendlicher Rest infolge der Endlichkeit des erkennenden Geistes der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt entzieht. »An dieser Unendlichkeit wird es einleuchtend, daß das Unerkannte ein Unerkennbares birgt" 22 . Auf Grund des perennierenden Problemcharakters des Gegenstandes schließt Hartmann auf dessen Unendlichkeit und aus seiner Unendlichkeit auf seine nur partiale Rationalität für ein an die Dimension der Endlichkeit gebundenes Erkenntnisvermögen. Diesbezüglich wäre jedoch zu sagen, daß aus der Tatsache einer für das Subjekt nicht übersehbaren Problemkette hinsichtlich eines Gegenstandes nicht ohne weiteres auf seine Unendlichkeit, d. h. auf seine nur partiale Erkennbarkeit für den endlichen Verstand, geschlossen werden kann. Die Erfahrung einer stets sich erneuernden Problematik berechtigt lediglich zu der Aussage, daß im endlichen Bereich noch keine Totalitätserkenntnis eines Gegenstandes aufgezeigt werden kann, aber sie erlaubt keineswegs einen Schluß auf eine »aktuale Unendlichkeit" 23 desselben. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß der Erkenntnisakt immer tiefer in die Eigenheiten eines Gegenstandes vorstößt, wobei fraglich bleiben kann, ob er wirklich einmal in seiner Totalität erkannt wird, aber es ist nicht berechtigt, die Möglichkeit einer Totalerkenntnis von vornherein auszuschließen. Auf Grund der Beweisführung in der „Metaphysik der Erkenntnis" bleibt die Berechtigung der Irrationalitätsthese fragwürdig 24 . 19

Vgl. Anm. 17 dieses Kapitels.

20

Metaph.,

31

ebd. 32. Kap. c) S. 243; ebenso wird in Der Aufbau der realen Welt die Irrationalität als eine nur gnoseologische auf die beschränkte menschliche Fassungskraft zurückgeführt. Vgl. 12. Kap. f) S. 129.

22

ebd. 32. Kap. c) S. 244.

23

Vgl. Anm. 17 dieses Kapitels.

24

Eine eingehendere Untersuchung der Irrationalitätsthese hat JOSEF STALLMACH in seinem Aufsatz Die Irrationalitätsthese Nicolai Hartmanns. Sinn, Gründe, Fraglichkeit geleistet (vgl. auch Anm. 14 dieses Kapitels). Vgl. auch JUAN D . GARCIA

32. Kap. c) S. 243.

BACCA, Hartmann

KANTHACK, Nicolai

o Los

Límites

Hartmann

de

racionalidad,

S. 2 5 7 — 3 1 6 ; v g l . KATHARINA

und das Ende der Ontologie,

S. 110 ff.

47

Erkenntnis und Wahrheit

Für unseren Fragezusammenhang ist nodi wesentlich, wie sich die Irrationalitätsthese zu Hartmanns erkenntnistheoretischer Position verhält. Stallmach betont bei seinen Überlegungen über die Gründe für die These der Irrationalität, daß dieselbe eine „entscheidende R o l l e . . . bei der Hartmannschen Wende zum Realismus spielt"25. Hartmann behauptet entgegen der Auffassung des Marburger Idealismus immer wieder die Subjektunabhängigkeit des Gegenstandes und die Ubergegenständlichkeit des Seins. Wenn es nun zu beweisen gelingt, daß es Seinsbestände, »die überhaupt nicht ,Gegenstand für' ein erkennendes Bewußtsein zu werden vermögen"26, gibt, so wird dadurch die Unabhängigkeit des Seins vom Subjekt am deutlichsten offenbar. Aus diesem Grunde versteht Stallmach die Hartmannsche Lehre vom Vorhandenseins eines transintelligiblen Seinsbereiches „als eine extreme Gegenthese gegen jeglichen Idealismus und damit als letzte Sicherung seines eigenen (gemeint ist: Hartmanns) Realimus"27. Die von uns bereits herausgestellte Fragwürdigkeit der Irrationalitätsthese hebt diese Sicherung der erkenntnistheoretischen Position allerdings wieder auf. Im übrigen ist fraglich, ob eine realistische Deutung der Erkenntnisproblematik überhaupt einer solchen Sicherung bedarf. Die Irrationalitätsthese interessiert uns hier nur insofern, als Hartmann auf Grund seiner Ansicht von einer nur partialen Rationalität des Gegenstandes der Erkenntnis den Identitätsbereich von Erkenntnisprinzipien und Seinsprinzipien abzustecken versucht. Eine völlige Identität von Seins- und Erkenntnisprinzipien würde der Hartmannschen Voraussetzung widersprechen, daß der Gegenstand vom Subjekt nicht völlig erkannt werden kann, sondern einen unendlichen irrationalen Rest aufweist. Das Moment der Irrationalität beweist Hartmann, daß es offenbar Seinsprinzipien gibt, die auf der Subjektseite keine Entsprechung haben24. Nach Hartmann kann also eine Identität von Erkenntniskategorien und Seinskategorien unter der Voraussetzung eines für die Erkenntnis transintelligiblen Seinsbereichs nur statthaben, sofern die Seinsprinzipien auch im Bereich möglicher Erkennbarkeit des Seienden liegen. Hartmann faßt sein Ergebnis formelhaft zusammen: „Die Grenzen der Ratio25

STALLMACH, Die Irrationalitätsthese

26

ebd. S. 488.

Nicolai

Hartmanns,

S. 492.

27

ebd. S. 487 f.

28

„So weit führt . . . die allgemeine efkenntnistheoretische Überlegung. Was diese nicht leisten kann, ist die ins Einzelne gehende Untersuchung, an welchen Kategorien die Nichtidentität hängt, und in welchen besonderen inhaltlichen Momenten denn die Abweichung der Erkenntniskategorien von den Seinskategorien besteht. Diese Aufgabe fällt der ontologisdien Kategorialanalyse zu." Vgl. HARTMANN, Philosophie der Natur, Einleitung, S. 36.

48

Das Problem der objektiven Gültigkeit

nalität des Gegenstandes müssen zugleich die Grenzen der transzendenten Identität der Kategorien sein"29. Hartmann übersieht mit der Fragwürdigkeit seiner Irrationalitätsthese zugleich das Problematische seiner Rechtfertigung einer Restriktion der Identitätsthese auf Grund partialer Irrationalität des Seienden. Der zweite Grund, eine absolute Identität der Kategorien auszuschließen, ergibt sich für Hartmann aus der Tatsache des Vorhandenseins der aposteriorischen Erkenntnis; denn die völlige Identität würde dieselbe ausklammern und den alleinigen Bestand apriorischer Erkenntnis belegen30. Das Subjekt würde, sobald es über ein den Seinsdeterminanten koextensives Erkenntnisvermögen verfügte, die Totalität der das Seiende bestimmenden Bedingungen erfassen und einer Rücksicherung seiner apriorischen Einsichten durch unmittelbare Anschauung gar nicht mehr bedürfen. Da es aber eine Tatsachen-Erkenntnis gibt und diese sich sogar für das endliche Erkenntnisvermögen des Subjekts als notwendig erweist, um neben der Erkenntnis des Soseins der Gegenstände auch zur Daseinsgewißheit derselben zu gelangen — denn »Dasein ist nur a posteriori erkennbar" 31 —, muß das apriorische Erfassen offenbar ein begrenztes sein, d. h. die kategoriale Identität kann nur eine partiale sein. In diesem Zusammenhang stoßen wir auf ein neues Problem. Woher nimmt Hartmann, der doch eine Erkenntnistheorie auf der Grundthese der Bewußtseinsunabhängigkeit des Seins aufbauen möchte, die Berechtigung, das Sein einfach unter Kategorien einzureihen, so daß eine totale Identität von Seinskategorien und Erkenntniskategorien der aposteriorischen Erkenntnis, die das Sein in den Griff zu bekommen sucht, nichts mehr übrig ließe? Hartmann bezeichnet apriorische und aposteriorische Erkenntnis als zwei isolierte Erkenntnisinstanzen oder Erkenntnisquellen, die auf jeweils eigenständigen Bedingungen ihrer Möglichkeit beruhen, nämlich die apriorische Einsicht auf kategorialer Identität, die aposteriorische auf psychophysischer Grundrelation. Die erstere erfaßt das Sosein, die letztere das Dasein eines Seienden. Bei einer derartigen Trennung der apriorischen und aposteriorischen Erkenntnis, sowohl nach Funktionen als nach Bedingungen ihrer Möglichkeit, kann das Vorhandensein aposteriorischer Erkenntnis eine bloß partiale Identität von Seinsprinzipien und Erkenntnisprinzipien keineswegs beweisen. 29

Metaph.,

30

Vgl. ebd. 48. Kap. b) S. 363: „Wenn alle Seinskategorien mit Erkenntniskategorien zusammenfielen, so wäre nicht nur alles Seiende überhaupt erkennbar, sondern auch a priori erkennbar."

W

H A R T M A N N , Zur

4

Wirth

48. Kap. c) S. 365.

Grundlegung

der

Ontologie,

2 0 . K a p . d ) S. 1 4 4 .

49

Erkenntnis und Wahrheit

Unsere letzten Erörterungen dienten zur Beantwortung der im Problemzusammenhang sich stellenden Frage, inwieweit von einer Identität von Erkenntnisprinzipien und Seinsprinzipien gesprochen werden kann. Unser Ergebnis ist folgendes: Die Identität von Erkenntniskategorien und Seinskategorien ist für Hartmann eine nur partiale Identität. Um dieses Resultat zu beweisen, bedient sich Hartmann der These der nur partialen Rationalität des Seienden und des Phänomens des Vorhandenseins aposteriorischer Erkenntnis. Beide Argumente zeigen sich als nicht beweiskräftig. Nun ergibt sich nodi ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit der kategorialen Grundrelation steht und ihre partiale Identität noch weiter beschränkt. D a im Hinblick auf das Sein reales und ideales Sein unterschieden werden muß, so besteht die Möglichkeit, daß es Idealkategorien gibt, die als Determinanten des idealen Gegenstandes gelten, deren Gültigkeit für den realen Gegenstand jedoch fraglich und in vielen Fällen unzutreffend ist. Aus diesem Grunde ergibt sich als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis ontisch realen Seins die Forderung der doppelseitig partialen Identität. Ein Ausschnitt der Kategorien des ontisch realen Seins ist mit einem Teil der Erkenntniskategorien identisch, während es einerseits Subjektkategorien gibt, die im ontisch realen Sein keine Entsprechung finden, denen eben ein ideales Sein entspricht, und andererseits Seinskategorien, deren zugehörige Determinanten auf der Subjektseite fehlen32. Die doppelseitig partiale Identität macht die Grenzlinie, die den Bereich der identischen Kategorien einfaßt, für Hartmann in zweifacher Hinsicht bedeutsam: a) Sie stellt die Grenze möglicher Objektion dar, d. h. sie bildet hinsichtlich der apriorischen Erkenntnis die Grenze möglicher Erkennbarkeit eines real Seienden überhaupt. Auf die Fragwürdigkeit dieser Grenzsetzung wurde hingewiesen (S. 45 ff.). b) Sie stellt die Grenze objektiver Gültigkeit dar, d. h. sie umfaßt den Bereich innerhalb dessen es zu apriorischen Erkenntnissen kommen kann, die auf reale Gegenstände zutreffen. Die ontologische Kategorialanalyse weist dann auf, daß das Identitätsverhältnis ein noch differenzierteres ist, insofern »auch einzelne Kategorien nur teilweise in beiden Bereichen identisch sind, d. h. daß sie als Erkenntnisprinzipien nur teilweise mit den entsprechenden Seinsprinzipien identisch sind, teilweise aber von ihnen abweichen. Anders ausgedrückt: die Grenze der kategorialen Identität geht mitten durch sie hindurch"33. 32

Vgl. Schematische Darstellung: Metapb., 48. Kap. d) S. 365, Figur 3, III.

33

HARTMANN,

50

Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S . 146; vgl. Der Aufbau der realen Welt, 14. Kap. b) S. 145 f.: „Die partiale Identität kehrt also voll und ganz

Das Problem der objektiven Gültigkeit

Mit dieser Feststellung kategorialer Gleichheiten im Sein und Bewußtsein ist nach Hartmann »das, was dem apriorischen Element der Gegenstandsvorstellung den Erkenntniswert gibt"34, aufgewiesen. „Sofern es Erkenntnis a priori von realen Gegenständen gibt, muß wenigstens ein Teil der Seinskategorien mit Erkenntniskategorien zusammenfallen" 35 . »Hängt doch an der Divergenz von Erkenntnis- und Seinskategorien die Grenze des apriorischen Faktors" 36 . In diesem Zusammenhang erhebt Joseph Klosters gegen die Hartmannschen Ausführungen Einspruch. Klosters erscheint eine Trennung in immanente und transzendente Apriorität, in Erkenntnisprinzipien einerseits und Seinsprinzipien andererseits, äußerst problematisch. Nach Klosters, der den Standpunkt des Neuthomismus vertritt, darf eine solche Unterscheidung nicht vorgenommen werden, da bereits der Beziehungszusammenhang zwischen Subjekt und Objekt in seiner Unmittelbarkeit eine objektive Evidenz als Tatsache erweist. Klosters versucht Hartmanns Auffassung mit dem Standpunkt der Phänomenologie zu konfrontieren, der nach seiner Meinung den Vorzug verdient, da er auf Grund der in der apriorischen Erkenntnis vorliegenden objektiven Evidenz, in der »ein unmittelbarer Konnex zwischen Objekt und Subjekt" 37 sich bezeugt, keiner »eigens die Gültigkeit der apriorischen Gesetze auf das Sein des Subjektes"38 zurückführenden Überlegungen bedarf. Klosters spricht hier zwar von einer objektiven Evidenz als einer in unmittelbaren Konnex zwischen Subjekt und Objekt erwiesenen Tatsache, versäumt jedoch die Erklärung, inwiefern sie sich als solche bezeugt und bezeugen kann. Die Hartmannsche Trennung von immanenter und transzendenter Apriorität ist durch die bloße Andersartigkeit des Standpunktes noch nicht widerlegt. Nachdem wir nunmehr den Ausführungen Hartmanns über die Möglichkeit objektiv gültiger apriorischer Erkenntnisse gefolgt sind, sehen wir uns genötigt, ein grundsätzliches Bedenken gegen die Hartmannschen Erörterungen zu erheben. Wir erkannten, daß die apriorische Erkenntnis nach Hartmann auf kategorialer Grundrelation beruht. Hinsichtlich dieser These Hartmanns ist die Frage zu stellen: Was berechtigt Hartmann zum Setzen der kategorialen Grundrelation, zur Annahme einer Identität von Seins- und Erkenntnisprinzipien? Hartmann, der diese an den einzelnen Kategorien wieder . . . Jede Kategorie hat vielmehr ihre eigene Identitätsgrenze. Und an dieser hängt die Reichweite ihrer objektiven Gültigkeit als Prinzip apriorischer Erkenntnis." 34

HARTMANN, Wie ist kritische Ontologie

35

Metaph.,

38

HARTMANN, Philosophie

der Natur,

37

KLOSTERS, Die ,kritische

Ontologie'

38

ebd. S. 69.

überhaupt

möglich?, S. 269.

48. Kap. d) S. 367; vgl. Neue Wege der Ontologie,

S. 210.

2. Kap. C) S. 54. Nicolai

Hartmanns

. . . S. 70.

51

Erkenntnis und Wahrheit

Frage durchaus gesehen hat, nimmt hier seine Zuflucht in die Ontologie und spricht von einem nicht lösbaren ontologischen Problem. „Diese durchaus metaphysische Frage wendet sich an die Ontologie; die aber sieht hier die Grenzen ihres analytischen Vordringens weit überschritten und ist deswegen durchaus nicht in der Lage, sie zu beantworten" 39 . Hartmann versucht seine Annahme dadurch wahrscheinlicher zu machen, daß er einerseits immer wieder die Identitätsthese in ihrer philosophiegeschichtlichen Bedeutung herausstellt und ihr Vorkommen von Heraklit bis zur Gegenwart nachweist40, und daß er andererseits behauptet, daß die kategoriale Identität als „eine Art Sein" mit dem Subjekt und dem transzendenten Gegenstand zugleich in die »allumfassende Seinssphäre eingebettet" 41 sei und dadurch die Überbrückung der Heterogenität von Subjekt- und Objektsphäre bilde. Mit ihrer Ontologisierung wird die Kategoriale Grundrelation den Möglichkeiten und Grenzen der Seinserkenntnis unterstellt und somit gilt auch für diese Relation die von Hartmann angenommene nur partiale Erkennbarkeit der Gegenstände. Die Identitätsmomente der Erkenntnis- und Seinsprinzipien werden eben als das für die Erkenntnis gerade Irrationale erklärt. Mit dieser Flucht ins Ontologische und zur Irrationalitätsthese steht die kategoriale Grundrelation als eine völlig unmotivierte, willkürliche Annahme da; denn die Frage, wo und wie diese Identität feststellbar ist, bleibt völlig offen. Kant konnte mit dem innerhalb seines Systems zwingend hervorgewachsenen obersten Grundsatz die objektive Gültigkeit der synthetischen Urteile a priori erklären. Hartmann bezieht mit dem Aufgreifen der Identitätsthese einen metaphysischen, in sich fragwürdigen Faktor in sein System ein. Hartmann selbst hält seine Identitätsthese von seinem Metaphysikbegriff42 her begründbar. Er führt die These einer doppelseitig partialen Identität ein, um innerhalb der apriorischen Erkenntnisinstanz die Uberbrückung des Transzendenzverhältnisses zwischen Erkenntnisvermögen und ansichseiender Apriorität zu erklären. Mit ihrer Erklärung verläßt die Erkenntnistheorie jedoch den Boden der „Phänomenologie der Erkenntnis . . . und geht in Metaphysik der Erkenntnis über" 43 , d. h. die Begründung für die apriorische Erkenntnisrelation gilt als eine »ontologische Hypothese der Erkenntnistheorie" 44 , die sowohl selbst einen unlösbaren Problemrest enthält, als auch das Phänomen als dessen Bedin39

Metaph.,

40

Beispielsweise: Metaph., 47. Kap. c) und d) S. 3 5 6 — 3 6 1 ; und: Das Problem Apriorismus in der Platonischen Philosophie, S. 31 ff.

49. Kap. b) S. 374.

41

Metaph.,

42

Vgl. Kap. I, 2, S. 25 dieser Arbeit.

43

HARTMANN, Zur Grundlegung

44

Metaph.,

52

49. Kap. b) S. 374.

43. Kap. c) S. 323 f.

der Ontologie,

Einleitung, S. 18.

des

Das Problem der objektiven Gültigkeit

gung der Möglichkeit sie auftritt, nur partiell zu deuten vermag. Hartmann glaubt sich somit gegen den Vorwurf metaphysischer Spekulation dadurch gesichert, daß er „die Identität der Prinzipien des Subjekts und des Objekts" als „ein . . . kritisches Minimum an metaphysischer Hypothese" bezeichnet, „welches notwendig und zugleich ausreichend ist, um die Tatsache der apriorischen Gegenstandserkenntnis verständlich zu machen" 45 . Es wird deutlich, daß der Vorwurf, der Hartmann bezüglich der kategorialen Grundrelation zu machen ist, sich bereits gegen seinen Metaphysikbegriff zu richten hat. Hartmann intendiert mit seiner M e t a physik der Probleme' einen kritischen Metaphysikbegriff; aber ein solcher wäre so zu definieren, daß als metaphysisch jeweils das Problemhafte, vorläufig noch ungelöste Phänomen gilt. Bei Hartmann ist der Metaphysikbegriff jedoch sogleich spekulativ-dogmatisch, insofern er einerseits als metaphysisch die „nie ganz durchdringbaren Grundbestände der Problemgehalte" 46 , „das Undurchdringliche" 47 definiert, ohne einen Rechtsgrund dafür angeben zu können, daß es für die Erkenntnis ein völlig Undurchdringliches überhaupt gibt und andererseits von diesem Metaphysikbegriff her sich berechtigt glaubt, mit nicht beweisbaren Hypothesen zu arbeiten. Die Fragwürdigkeit der kategorialen Grundrelation, die Hartmann von einem ebenso fragwürdigen Metaphysikbegriff her als erkenntnistheoretisch berechtigt hält, vermag die objektive Gültigkeit apriorischer Erkenntnis nicht zu erweisen. Die Überbrückung des Chorismos zwischen Subjekt und transzendenter Seinsapriorität läßt sich auf diese Weise nicht erklären. Die Identitätsthese kann offenbar nur im transzendentalen, keineswegs aber im erkenntnistheoretisch realistischen System als stichhaltiges Prinzip zur Erklärung der objektiven Gültigkeit apriorischer Erkenntnis dienen. Es ist aber nicht Hartmanns Anliegen, eine Transzendentalphilosophie aufzubauen, sondern eine Erkenntnistheorie, die mit einer Bewußtseinsunabhängigkeit des Seienden rechnet. Seine Erörterung der Realgeltung apriorischer Erkenntnis geht jedoch bereits vom Vorhandensein apriorischer Einsicht aus und stellt die transzendentale Frage nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit, die Hartmann in der partialen Identität von Erkenntniskategorien und Seinskategorien gegeben sieht. Hartmann behält also die Methode der Transzendentalphilosophie bei. Soll apriorische Erkenntnis im Rahmen eines erkenntnistheoretischen Realismus möglich sein, so muß eine Identität von Seinskategorien und Erkenntniskategorien bestehen. 45

ebd. 47. K a p . b) S. 355 f.

48

ebd. 1. K a p . b) S. 13.

47

ebd. 1. K a p . b) S. 13.

53

Erkenntnis und Wahrheit

Wollte Hartmann diese Identität selbst wieder transzendental erklären, so würde er zugleich die realistische Grundvoraussetzung von der bewußtseinsunabhängigen Vorhandenheit des Seienden aufheben. Insofern muß die kategoriale Grundrelation als ein nicht bewältigbares Faktum, als ein Irrationales, stehen bleiben. Für eine realistische Erkenntnistheorie nach Kant sollte jedoch die Möglichkeit apriorischer Realerkenntnis selbst in Frage stehen, und vor der Frage nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit müßte der Versuch einer neuen Sicherung der Möglichkeit apriorischer Realerkenntnis überhaupt unternommen werden. Diese problemgeschichtliche Aufgabe hat Hartmann nicht ins Auge gefaßt 48 . Wir müssen an diesem Punkt unserer Ausführungen nodi auf ein anderes Problem rückverweisen. Wir haben bei der Behandlung der Methode apriorischer Erkenntnis die Frage nach der Rechtfertigung derselben aufgeworfen und betont, daß diese Rechtfertigung in der Rückführung der Erkenntnismethode auf allgemeingültige Prinzipien liegt. Inzwischen haben wir die von Hartmann in seiner Erkenntnistheorie behauptete Identität von subjektiven und objektiven Prinzipien als Grundlage der apriorischen Erkenntnismethode kennengelernt, können sie aber noch nicht als befriedigende Lösung der Fragestellung anerkennen. Mit der Fragwürdigkeit der kategorialen Grundrelation ergibt sich also gleichzeitig, daß die Erkenntnismethode als die einer transzendierenden inneren Schau eben durch die Fragwürdigkeit ihrer Basis, auf der sie nach Hartmann gründen soll, keine hinreichende Rechtfertigung erhalten hat. Die objektive Gültigkeit einer auf kategorialer Grundrelation beruhenden apriorischen Erkenntnis ansichseiender Objekte ist für uns nicht erwiesen. Wir sehen uns weiterhin genötigt, nach einer vielleicht in anderem Zusammenhang von Hartmann geleisteten Erklärung der objektiven Gültigkeit der von ihm geforderten apriorischen Erkenntnis und einer Rechtfertigung seiner apriorischen Erkenntnismethode zu fragen. 2. Die Erkennbarkeit

der Prinzipien

Wir haben uns in den beiden voraufgehenden Abschnitten mit den Erörterungen Hartmanns über Subjekt- und Objektkategorien und ihrem Zusammenspiel bei dem auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebenden apriorischen Erkenntnisakt befaßt. Sobald aber von der Wirksamkeit von Prinzipien beim Zustandekommen des apriorischen Erkenntnisaktes die Rede ist, stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Erkennbarkeit dieser Prinzipien oder Aprioritäten überhaupt und die daraus resultierende Frage nach der Bedeutung der Erkanntheit oder Unerkanntheit der Kategorien für das Problem der apriorischen Erkenntnis. 48

54

Vgl. Kap. I, 2, S. 17 dieser Arbeit.

Die Erkennbarkeit der Prinzipien

Zunächst fassen wir die Auffassung Hartmanns im Hinblick auf die apriorische Erkenntnis der Seinsprinzipien zusammen. Wenn von Prinzipien die Rede ist, so „geht es nicht um die Seite der Daseins am Seienden, sondern um die Seite des Soseins" 1 . Dasjenige, was das Sosein transzendenter Gegenstände ausmacht, ist aber gerade das spezifische Objekt der apriorischen Erkenntnis. Insofern richteten sich unsere bisherigen Erörterungen auf das Problem der apriorischen Erkenntnis von Seinskategorien. Es hat sich inzwischen folgendes ergeben: Die Stellungnahme Hartmanns zum Problem der Erkenntnis der objektiven Kategorien muß im Einklang stehen mit der natürlichen Realitätsthese, d. h. mit der Behauptung einer gänzlichen Urgeschiedenheit von Subjekt und Objekt. Die Prinzipien eines subjektunabhängigen Seienden müssen ihrerseits der dem Subjekt externen Sphäre angehören, und da sie seiende Prinzipien darstellen, muß ihre Erkenntnis und Erkenntnismöglichkeit den Möglichkeiten der Gegenstandserkenntnis adäquat sein. Diese Voraussetzung wird in der »Metaphysik der Erkenntnis" deutlich herausgearbeitet: „Prinzipienerkenntnis verhält sich zum seienden Prinzip nicht anders als Gegenstandserkenntnis zum transzendenten Gegenstande. Prinzipien des Gegenstandes sind nicht subjektiver, nicht weniger transzendent und gegenständlich, als das Konkretum, welches sie bestimmen" 2 . Insofern nun die Seinskategorie im gleichen Verhältnis zum Subjekt steht wie der Gegenstand, dessen Prinzip sie darstellt, so gilt von ihr notwendigerweise auch Hartmanns Grundsatz einer partialen Irrationalität. „Die Kategorie selbst bildet für die Erkenntnis auch durchaus eine unendliche Aufgabe. Sie ist nicht weniger ansichseiend als das Konkretum und kann deswegen sehr wohl auch ebenso irrational sein" 3 . Daher ist nur eine partielle Einsicht der Seinsprinzipien möglich, d. h. das apriorische Erkenntnisgebilde repräsentiert die kategorialen Momente, die das jeweils intendierte Konkretum determinieren, nur inadäquat. Die Möglichkeit, die Seinskategorien überhaupt durch einen Erkenntnisakt in die bewußtseinsimmanente Sphäre einzuholen, ergibt sich durch die kategoriale Grundrelation. Insoweit den Seinsprinzipien entsprechende Erkenntnisprinzipien vorhanden sind, wird apriorische Erkenntnis der ersteren möglich. Nun kann aber die apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände nur theoretisch von der aposteriorischen Erkenntnis eben dieser 1

HARTMANN, Der Aufbau

2

Metapb.,

der realen Welt, Einleitung, S. 15.

3

ebd. 34. Kap. b) S. 260; vgl. Der Aufbau der realen Welt, 11. Kap. f) S. 127: „Darüber hinaus aber läßt sich auch zeigen, daß die Kategorien — und zwar sowohl der Erkenntnis als auch die des Seienden — einen erheblichen Einschlag des Unerkennbaren haben." Vgl. auch Philosophie der Natur, Einleitung, S. 33.

34. Kap. b) S. 260.

55

Erkenntnis und Wahrheit

Gegenstände isoliert werden 4 . In Wirklichkeit erhält das Bewußtsein bei jedem Erkenntnisakt ein Erkenntnisgebilde, das aus apriorischen und aposteriorischen Elementen zusammengesetzt ist, und was es erfährt ist ein Gesamteindrudi des intendierten Objekts, aber keine direkte Erkenntnis der das Objekt als Ansichseiendes determinierenden Seinsprinzipien. Die Seinsprinzipien können also „nicht unmittelbar a priori erkannt werden . . . Sie werden also, soweit sie überhaupt der Erkenntnis zugänglich sind, auf anderem Wege erfaßt werden müssen"5. Auf welchem Wege werden nun die Seinsprinzipien für das Subjekt faßbar? Die Antwort auf diese Frage können wir nur kurz andeuten, da sie aus unserem Problemzusammenhang hinaus in die ontologische Kategorialanalyse führt. Der Weg, der zum Erkennen der Seinskategorien beschritten werden muß, ist eben der Weg der Kategorialanalyse, „ein Verfahren, das weder in Induktion noch in Deduktion aufgeht, weder aus rein aposteriorischer noch aus rein apriorischer Erkenntnis bestritten wird" 6 . Es war uns wesentlich, dennoch auf das Problem der Erkennbarkeit der Seinsprinzipien einzugehen, um zu verdeutlichen, daß die von Hartmann für möglich erachtete apriorische Erkenntnis, deren Inhaltsmoment zwar eine ontische Apriorität repräsentiert, dennoch nicht dem Bewußtsein zugleich eine Erkenntnis dieser Seinsprinzipien vermittelt. Soseinserkenntnis eines transzendent realen Gegenstandes ist noch keine Kategorienerkenntnis. Für unsere erkenntnistheoretisch interessierte Untersuchung richtet sich die Frage nach der Erkennbarkeit der Prinzipien und deren Bedeutung für den apriorischen Erkenntnisakt allein auf die Erkenntniskategorien. Gibt es überhaupt eine Erkenntnis von Erkenntnisprinzipien, und in welchem Ausmaße ist dieselbe möglich? Wenn Hartmann von den Erkenntniskategorien als Aprioritäten spricht, so geschieht das in dem Sinne, daß sie für die Gegenstandserkenntnis „zweifellos ihre ersten Bedingungen, aber nicht ihr erstes Erkanntes" 7 darstellen.„Mit ihrer Apriorität ist also über ihre eigene Erkennbarkeit nicht vorentschieden"8. Die Erkenntnisprinzipien stellen nicht eine Apriorität im Sinne einer Erkenntnis a priori dar, sondern sie bilden das Prius durch das erkannt wird, „sie sind eben ihrer Natur 4 5

6 7

8

56

Vgl. Metaph., 5. Kap. d) 10. S. 51. H A R T M A N N , Neue Wege der Ontologie, S . 2 1 0 . ebd. S. 214. Metaph., 34. Kap. c) S. 261; vgl. Der Aujbau der realen Welt, Einleitung, S. 12; 11. Kap. d) S. 124; 14. Kap. a) S. 144; vgl. Neue Wege der Ontologie, S. 212. ebd. 34. Kap. c) S.261.

Die Erkennbarkeit der Prinzipien

nach . . . das eigentlich Erkennende im erkennenden Subjekt" 9 . Ihre Apriorität liegt in ihrer Funktion als erste Bedingungen der Möglichkeit apriorischer Gegenstandserkenntnis überhaupt 10 . Auf welche Weise gelingt nun dem Subjekt eine Erkenntnis dessen, wodurch es erkennt? In diesem Punkte bringt Hartmann die erkenntnistheoretischen Überlegungen vor ein Problem von äußerster Schwierigkeit. Das erkennende Bewußtsein soll in sich selbst reflektieren und ein Gültiges über die Erkennbarkeit derjenigen Prinzipien ausmachen, die es bei jedem Erkenntnisakt ins Werk setzt. Die Erkenntniskategorien sollen sich selbst zum Erkenntnisobjekt machen. Die beiden Pole der Erkenntnisrelation kollidieren in demjenigen Punkt, in dem das erkennende Subjekt den Blick auf sich selbst zurücklenkt und sich in den Bedingungen seiner erkennenden Funktion zu erkennen trachtet. Auf diese Weise „wird die natürliche Richtung der Erkenntnis auf ihr Objekt unterbrochen und gegen ihren Ursprung zurückgebogen, gleichsam in sich selbst reflektiert" 11 . Bei dem Bemühen um die Erkenntnis der Erkenntnisprinzipien muß das Subjekt methodisch den Weg einer reflexio in se einschlagen, und es fragt sich, ob die Erkenntnisprinzipien, die das Subjekt im Rückgang in sich selbst erfaßt, in Form einer apriorischen oder einer aposteriorischen Erkenntnis ergriffen werden und ob diese Erkenntnis im Hinblick auf die Erkenntniskategorien eine totale oder wie bei den Seinskategorien eine nur partiale Erkenntnis darstellt. In bezug auf diese Frage behauptet Hartmann, daß es von den Erkenntnisprinzipien „sowohl apriorische als aposteriorische"12 Erkenntnis gibt. Wir versuchen uns zunächst die Behauptung, daß es von den Erkenntniskategorien eine aposteriorische Erkenntnis geben soll, zu verdeutlichen. In welcher Hinsicht wird es möglich, ein überempirisch Seiendes a posteriori zu erfassen? Ausgeschlossen ist jedenfalls die unmittelbare Erfahrung dieser überempirischen Strukturen, d. h. in unserem Falle, daß das Ansichtigwerden der Erkenntnisprinzipien für die Wahrnehmung ausgeschlossen ist. Wie wird es aber dennoch möglich, von ihnen als einem seiner Seinsweise nach Apriorischen eine aposteriorische Erkenntnis zu erlangen? Zur Beantwortung unserer Fragestellung versuchen wir zuerst folgende Äußerung Hartmanns auszuwerten: „Unter .aposteriorischer Er8

ebd. 34. Kap. c) S. 263.

10

Vgl. HARTMANN, Der Aufbau der realen Weh, 11. Kap. d) S. 124: „Das prius, das ihnen (gemeint sind die Erkenntniskategorien) zukommt, ist ein solches der Funktion . . . ; es geht darin auf, daß sie erste Grundlagen der Erkenntnis sind . . . "

11

HARTMANN, Uber die Erkennbarkeit

12

ebd. S. 302.

des Apriorischen,

S. 293.

57

Erkenntnis und Wahrheit

kenntnis des a priori' ist hierbei die rückläufige Einsicht der Bedingung aus dem Bedingten, des Prinzips aus dem von ihm determinierten Spezialfall zu verstehen"13. Um die im Zitat ausgesprochene Auffassung Hartmanns zu verdeutlichen, greifen wir zu einem Beispiel. Wir versuchen uns die aposteriorische Erkenntnis eines Apriori am Beispiel der Erkenntnis des Kausalprinzips als Erkenntnisprinzip einsichtig zu machen. Das Kausalprinzip als Erkenntniskategorie kann durch einen rückläufigen Erkenntnisgang als Determinante aus dem Determinatum erkannt werden. Das Bedingte, das die Erkenntniskategorie der Kausalität als Bedingung enthält, ist ein Erkenntnisgebilde, das zwei ansichseiende Sachverhalte in kausaler Verknüpfung repräsentiert. Vorbedingung für die Erkenntnis der Kausalkategorie ist also das Vorhandensein eines ein ontisches Kausalverhältnis darstellenden Erkenntnisgebildes14. Dieses Erkenntnisgebilde kommt zustande durch aposteriorische Auffassung vorliegender Fakten und apriorische Einsicht der zwischen diesen Fakten waltenden kategorialen Verhältnisse. Das Subjekt beurteilt beispielsweise einen Sachverhalt als A, indem es zwei Wahrnehmungsinhalte χ und y durch einen Kausalnexus verbunden erkennt15. Aus diesem repräsentierten Sachverhalt A muß dem Subjekt die Erkenntniskategorie der Kausalität einsichtig werden; denn die „Einstellung der Erkenntnis . . . auf die Prinzipien i s t . . . sekundär und stellt notwendig einen Rückgang dar, indem sie vom relativ Bekannten (eben dem concretum) ausgeht und zum Unbekannten, dem Prinzip, aufsteigt" 16 . Indem sich das Erkenntnisvermögen in unserem Beispiel in einem sekundären Akt auf den Bewußtseinsinhalt A rückwendet, erschließt es in demselben das Vorliegen einer überempirischen Komponente — eben des Kausalprinzips — die das Bewußtsein selbst beim Aufbau des Erkenntnisgebildes A eingesetzt hat. 13

ebd. S. 302.

14

Vgl. HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 9 f.: „ . . . daß wir von den Kategorien der Erkenntnis direkt gar nichts wissen können, daß vielmehr alles, was wir von ihnen erfahren, am Gegenstande der Erkenntnis (am Seienden, soweit es erkannt wird) erfahren wird und erst von ihm aus auf die Erkenntnis rückübertragen wird." Vgl. ebd. 14. Kap. a) S. 144: „Soweit Kategorien überhaupt erfaßt werden, müssen sie stets zunächst am Gegenstande erfaßt werden; und erst vom Gegenstande aus können sie nachträglich, im Einsetzen der intentio obliqua, auch im Erkennen als soldiem wiedergefunden werden."

15

Beispiel: (A) Die Sonne erwärmt den Stein. (x) Die Sonne scheint, (y) Der Stein ist warm.

18

HARTMANN, Die Frage der Beweisbarkeit

58

des Kausalgesetzes,

S. 279.

Die Erkennbarkeit der Prinzipien

Inwiefern kann Hartmann diese Einsicht des Vorhandenseins des Kausalprinzips als eines Erkenntnisprinzips als eine aposteriorische Erkenntnis bezeichnen? In einem bereits angeführten Zitat" sagt Hartmann, daß das a posteriori in diesem Falle die Erkenntnis eines Prius aus einem Posterius meint; denn »in der Prinzipienerkenntnis ist immer das posterius (der Gegenstand) das Bekannte, und das prius das Unbekannte" 18 . Das bedeutet in die Bewußtseinsebene übertragen: Die Bewußtseinskategorie der Kausalität ist das Prius, die Bedingung der Möglichkeit, daß das Erkenntnisgebilde, das Posterius, überhaupt zustande kommen kann, aber die Erkenntnis der Bewußtseinsdeterminante ist nur aus dem Determinatum möglich. Unter der aposteriorischen Erkenntnis des Erkenntnisprinzips der Kausalität versteht Hartmann also eine Erkenntnis ex posteriori. Nicht die Erkenntnisart des Prinzips ist eine aposteriorische, sondern »das Wissen um das apriorische Element in der Erkenntnis ist ein a posteori bedingtes Wissen"19. Wenn Hartmann also behauptet, daß es von den Erkenntnisprinzipien „sowohl apriorische als aposteriorische"20 Erkenntnis gibt, so ist gemeint, daß die Erkenntnisprinzipien durch einen apriorischen Erkenntnisakt eingesehen werden, der aber sein intentionales Objekt nur rückläufig in einem Erkenntnisgebilde, d. h. a oder ex posteriori findet. Das .sowohl . . . als' verbindet die Termini a priori und a posteriori in verschiedenem Sinne: die Erkenntnisprinzipien werden a priori erkannt; sie werden ex posteriori erkannt. Das ,a priori' bezieht sich auf den Erkenntnisakt und das Inhaltsmoment, das ,a posteriori' meint das vermittelnde Schema aus dem heraus das Erkenntnisprinzip erschaut werden muß. ,Aus dem Späteren' ist eine Erkenntnis, deren Inhaltsmoment ein ,an sich Früheres' repräsentiert, möglich. Der Erkenntnisakt, in dem die Erkenntnisprinzipien erfaßt werden ist ein apriorischer Akt, der seinen Erkenntnisinhalt ex posteriori einsieht. Wir fassen das Wesentliche im Hinblick auf die Erkennbarkeit von Erkenntnisprinzipien mit Hartmanns eigenen Worten zusammen: „Die Rücklenkung der Erkenntnis auf ihre eigenen Bedingungen ist ein Verfahren von höchster Schwierigkeit und Reflektiertheit. Nur am konkreten Erkenntnisgebilde wird das Prinzip als dessen Wesensgesetz einsichtig"21. Nun sei noch kurz ein erläuternder Gedanke dem apriorischen Erkenntnisakt der Erfassung der Erkenntnisprinzipien ex posteriori gewidmet. 17 18 19

30 21

Vgl. Anm. 13 dieses Kapitels. Uber die Erkennbarkeit des Apriorischen, S. 3 0 8 . H A R T M A N N , Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 12. Vgl. Anm. 12 dieses Kapitels. Metapb., 34. Kap. c) S.262.

HARTMANN,

59

Erkenntnis und Wahrheit

Als Faktor im Problemzusammenhang der Hartmannsclien Erkenntnistheorie ist die apriorische Erkenntnisart als Erfassensweise der Erkenntniskategorien einleuchtend. Die Erkenntnisprinzipien erweisen sich als überempirische Instanz aller Erkenntnis, sie müssen durch eine apriorische Schau erfaßt werden. Diese apriorische Schau ergreift die Bewußtseinskategorien zwar nicht mit der gleichen Unmittelbarkeit wie die Seinskategorien, sondern erkennt sie mittelbar durch einen mit ihr verbundenen Akt der reflexio in se. Mit der Feststellung einer Erkenntnis der Bewußtseinsprinzipien auf dem Wege einer reflexio in se ist aber die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Erfassens der Erkenntniskategorien nodi keineswegs gelöst. Eine Schwierigkeit liegt für Hartmann in der Tatsache, daß man „niemals ,durch' dasjenige" erkennt, „,was* man in eben dieser Erkenntnis erkennt" 22 . „Denn das, was erkannt wird, ist niemals das, wodurch es erkannt wird" 23 . Es muß demnach ein neues ,Wodurch-erkannt-wird' in Funktion treten. Nach Hartmann kommt erst durch das Aktivwerden neuer Erkenntniskategorien der auf das Bewußtsein zurückgebeugte Erkenntisakt zustande. Die Erkenntniskategorien „setzen . . . für ihr Erkanntwerden . . . das Einsetzen eines höheren Erkenntnismodus mit höheren Erkenntniskategorien" 24 voraus. Die neuen Erkenntniskategorien, die zum Erfassen von Erkenntniskategorien in Funktion treten, werden beim Erkenntnisakt wiederum nicht miterkannt, sondern verhalten „sich zu den durch sie erkannten Erkenntnisprinzipien . . . wie diese zum Gegenstand" 25 , d. h. sie bilden Bedingungen der Möglichkeit zu dessen Erkenntnis, ohne selbst erkannt zu sein. Sie müssen ihrerseits wiederum durch eigene, ihnen angemessene Kategorien erfaßt werden. „So eröffnet sich hier ein regressus infinitus, der das Gesetz seiner Unabschließbarkeit in sich trägt" 28 . Wir müssen nun noch fragen, in welchem Ausmaße von den Erkenntnisprinzipien eine Einsicht möglich ist. Hartmann äußert in der „Metaphysik der Erkenntnis", daß bei der Prinzipienerkenntnis „im Grunde nichts als eben dieses Enthaltensein der Kategorie im konkreten Gebilde"27 einsichtig gemacht werden könne. Soll diese Aussage bedeuten, daß die Erkennbarkeit der Erkenntnisprinzipien auf die Erkenntnis ihres Enthaltenseins in den Repräsentationsgebilden der Gegenständlichkeiten im Bewußtsein beschränkt ist, 22

23 24 25

26 27

60

Über die Erkennbarkeit Vgl. Anm. 22 dieses Kapitels. Metaph., 34. Kap. c) S. 263. H A R T M A N N , Uber die Erkennbarkeit ebd. S. 325. Metaph., 34. Kap. c) S. 262.

HARTMANN,

des Apriorischen,

S. 326.

des Apriorischen,

S. 325.

Die Erkennbarkeit der Prinzipien

daß zwar das Vorhandensein dieser Prinzipien im Erkenntnisgebilde erkannt wird, aber keine Einsicht in ihr Wesen als solches möglich ist? Inwiefern ist der Erkennbarkeit der Erkenntnisprinzipien überhaupt eine Grenze gesetzt? Letztere Frage wurde bereits im Zusammenhang mit den Seinsprinzipien beantwortet, indem wir auf die Hartmannsche Auffassung vom Ansichsein der Prinzipien hinwiesen, die wie das Konkretum ein Unendlichkeitsmoment in sich tragen, das für den endlichen Verstand nach Hartmann die Setzung einer Irrationalitätsgrenze rechtfertigt 28 . Jetzt müssen wir aber speziell die Erkenntnisprinzipien als in ihrer Rationalität noch weit begrenzter als die Seinsprinzipien zu verstehen suchen. „ . . . die Erkenntnisprinzipien sind vielleicht noch . . . irrationaler als die Prinzipien des Erkenntnisgegenstandes" 29 . »Die Erkenntnisprinzipien sind der Subjektsphäre immanent, aber diese Immanenz macht sie nicht, wie zu erwarten, erkennbarer als das Transzendente, sondern nur um so schwerer erkennbar, weil sie sich ihrer Natur nach dem Erkanntwerden widersetzen" 30 . Die Erkenntnisprinzipien widersetzen sich insofern dem Erkanntwerden, weil die natürliche Einstellung auf das Objekt hierbei in einen Akt der Reflexion in sich selbst umgewendet werden muß. Aus der größeren Kompliziertheit des Erkenntnisaktes schließt Hartmann auf die geringere Rationalität der vom rückläufigen Erkenntnisgang intendierten Prinzipien (ein Schluß, der durchaus in Frage gezogen werden darf). Einen zweiten Grund einer gesteigerten Irrationalität bei den Erkenntnisprinzipien gegenüber den Seinsprinzipien glaubt Hartmann darin sehen zu dürfen, daß die Erkenntnisprinzipien einer höheren und komplexeren Seinsstufe angehören als die Prinzipien der Gegenständlichkeiten. Für Hartmann nimmt also die Rationalität des Seienden mit der Zugehörigkeit zu einer jeweils höheren Seinsstufe ab. (Für diese These muß in der Ontologie Nicolai Hartmanns eine Begründung gesucht werden.). In dem Aufsatz „Über die Erkennbarkeit des Apriorischen" wird von Hartmann der „allgemein hypothetische Zug, den unsere Erkenntnis von Prinzipien zeigt" 31 , als „eins der stärksten Argumente ihrer partialen Irrationalität" 31 bezeichnet. Die Erkenntnis der Bewußtseinskategorien ist insofern für Hartmann eine hypothetische als sie nur aus einem Erkenntnisgebilde als einem Einzelfall einsichtig wird, und „der vollen Gewißheit am Einzelfall entspricht immer am Allgemeinen nur die Hypothese" 32 . 28 29 30 31 82

Vgl. S. 55 dieses Kapitels. Metaph., 34. Kap. c) S. 262. ebd. 34. Kap. c) S. 263. HARTMANN, Über die Erkennbarkeit ebd. S. 3 0 7 .

des Apriorischen,

S. 307.

61

Erkenntnis und Wahrheit

Hier läßt sich jedoch einwenden, daß der hypothetische Charakter einer Erkenntnis aber dennoch kein Kriterium dafür abgibt, daß der von ihr intendierte Gegenstand ein grundsätzlich irrationales Moment in sich birgt. Wir stoßen in diesem Zusammenhang wiederum auf die Schwierigkeiten, die uns bei der Behandlung der Irrationalitätsthese im Kapitel über das Problem der objektiven Gültigkeit bereits begegneten33. Nachdem wir gesehen haben, daß für die Erkenntnisprinzipien hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit nach Hartmann die Grenze der Gegenstandserkenntnis Gültigkeit besitzt, kehren wir zu unserer Frage nach der Möglichkeit einer Erkenntnis der Bewußtseinskategorien zurück. Wie steht es mit der Möglichkeit einer Erkenntnis der Erkenntnisprinzipien, die unser Zitat aus der „Metaphysik der Erkenntnis" ausschließt34? Wir dürfen diese Formulierung, daß von den Erkenntnisprinzipien „nichts als eben dieses Enthaltensein der Kategorie im konkreten Gebilde" 35 erkannt werde, wohl nicht zu apodiktisch nehmen, denn Hartmann spricht im gleichen Abschnitt von „dem Wege eines unendlichen Annäherungsprozesses"36, auf dem die Erkenntnis das Wesen der Bewußtseinskategorien zu fassen und in Kategorienbegriffen ( = Versuche eine Kategorie zu fassen) zu formulieren sucht. Außerdem verweist Hartmann selbst in einer Anmerkung zum Kapitel über „Das Irrationale im Sein der Prinzipien" 37 zur Verdeutlichung seiner Überlegungen auf seine Arbeit „Uber die Erkennbarkeit des Apriorischen", wo wir eine weniger einschränkende Ansicht finden, wenn es heißt: „Es läßt sich aber in diesem Zusammenhang audi zeigen, daß es inmitten der partial erkannten auch solche Erkenntnisprinzipien geben muß, deren spezifisches Quale gar nicht erkannt werden kann, von denen wir also bloß das nackte Vorhandensein einsehen können" 38 . An dieser Stelle wird also unterschieden zwischen Erkenntnisprinzipien, von denen eine partiale Erkenntnis der Wesensqualitäten möglich ist und solchen, die nur ihr Vorhandensein der Einsicht preisgeben. Wir müssen uns in unserem erkenntnistheoretischen Zusammenhang mit der Feststellung begnügen, daß nach Hartmann Gesetzes-, Form- und Relationsmomente der Erkenntnisprinzipien eine partiale Durchdringung der Erkenntnisintention zulassen, während der besonders den Kategorien der höheren Schichten zugehörige Substratcharakter der Erkenntnis unzugänglich ist. Nähere Erläuterungen zum Problem der Erkenntnis der Bewußtseinsprinzipien würden einen Ex33

Vgl. Kapitel II, 1, S. 45 ff. dieser Arbeit.

34

Vgl. Anm. 27 dieses Kapitels.

35

Vgl. Anm. 27 dieses Kapitels.

36

Metaph.,

34. Kap. c) S. 262.

37

Anmerkung zu Metaph.,

38

HARTMANN, Über die Erkennbarkeit

62

34. Kap. a) S. 259. des Apriorischen,

S. 325.

Die Erkennbarkeit der Prinzipien

kurs in die Kategorialanalyse notwendig machen, worauf wir im Rahmen dieser Arbeit verzichten müssen. Wir sind nunmehr der Auffassung Hartmanns über die apriorische Erkenntnis von Seins- und Erkenntnisaprioritäten nachgegangen, und stießen dabei auf die Frage nach dem Umfang der Möglichkeit des Erfassens der Erkenntnisprinzipien. Aus diesen Erörterungen ergibt sich jetzt die Fragestellung, die zum Hauptproblem unserer Arbeit, zum Problem einer apriorischen Erkenntnis transzendent realer Gegenständlichkeiten zurückführt: Ist es eine Vorbedingung für die apriorische Erkenntnis eines real Ansichseienden, daß das Subjekt die diese Erkenntnis a priori ermöglichenden Erkenntniskategorien wenigstens als partial erkannte im Bewußtsein hat, oder ist die Erkanntheit der subjektiven Bedingungen apriorischer Erkenntnis für die apriorische Sacherkenntnis unwesentlich, so daß das Subjekt einen Erkenntnisakt von objektiver Gültigkeit setzen kann, bei dem es unter Umständen Erkenntniskategorien aktiviert, um deren Vorhandensein es überhaupt nicht weiß? Eine Antwort auf diese Frage steckt schon in unseren bisherigen Ausführungen zur Prinzipienerkenntnis. Der Akt des Erfassens der Erkenntniskategorien wurde als ein sekundärer rückläufiger Erkenntnisakt gekennzeichnet, der nur aus dem Erkenntnisgebilde, ex posteriori, die zu seinem Zustandekommen aktivierten Prinzipien erkennt. Die Erkenntnis des Objekts liefert also ihrerseits mit dem Erkenntnisgebilde, d. h. mit der Repräsentation der Gegenständlichkeiten im Bewußtsein, erst eine Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis der Erkenntniskategorien. Insofern erweist sich die Erkennbarkeit des Gegenstandes konsequenterweise als von der Erkanntheit der Erkenntnisprinzipien unabhängig. „Konkrete Gegenstandserkenntnis gibt es ganz offenkundig auch ohne Prinzipienerkenntnis" 39 . Die Rücklenkung der Erkenntnisintention auf die das Erkennen ermöglichenden Prinzipien vermag für die Gegenstandserkenntnis nichts zu leisten, sondern gehört dem Bereich philosophischen Bemühens an40. »Alle Gegenstandserkenntnis ist sicherlich unabhängig vom Wissen um die in ihr steckenden Prinzipien. Um so mehr aber ist sie abhängig vom 38

Metaph., 49. Kap. d) S. 377; vgl. Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 11: „Was die Erkenntniskategorien im Bewußtsein zustandebringen, ist der breite apriorische Bestandteil aller naiven und wissenschaftlichen Erkenntnis. Dieser aber besteht unabhängig von aller Kategorienerkenntnis und geht ihr zeitlich weit vorher." Vgl. ebd. 11. Kap. d) S. 124; vgl. Metaph., 60. Kap. a) S. 463.

40

Vgl. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 164: „Die Kategorien . . . funktionieren im V e r s t ä n d e . . . auch ohne begriffliche Fassung. Das aber bedeutet, daß sie in der Regel schon vor aller .Fassung' da sind, sei es in der alltäglidien Gegenstandserkenntnis, sei es in der wissenschaftlichen. Wie denn ihre bewußte Erfassung stets erst vom philosophischen Bewußtsein . . . vollzogen wird."

63

Erkenntnis und Wahrheit

Verhalten dieser Prinzipien, und zwar nicht von ihrem Verhalten zur Erkenntnis, sondern von ihrem Verhalten zueinander" 41 . Damit sehen wir uns rückverwiesen auf die kategoriale Grundrelation als dem allein wesentlichen Verhältnis zwischen Seins- und Erkenntnisprinzipien, auf das wir bereits ausführlich eingingen. 3.

Das Problem der

Idealerkenntnis

Die bisher von uns nachvollzogenen Ausführungen Hartmanns zum Problem eines erkenntnistheoretischen Apriorismus im Zusammenhang mit einem erkenntnistheoretischen Realismus reichen noch nicht hin, um die apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände zu erklären und den Hartmannschen Realismus in seinen Eigenheiten klarzulegen. Dazu bedarf es erst einer Erörterung des Problems der Idealerkenntnis, die im erkenntnistheoretischen Bereich „dem Problemgebiet des Apriorischen einen Abschluß gibt" 1 . Bisher hatten wir gefunden, daß die Erkenntnis sofern sie ein ontisches Prius intendiert, diesen ihren Gegenstand durch eine innere Anschauung, die auf kategorialer Grundrelation basiert, erfaßt. Dabei war das Augenmerk stets auf das Sein in der Form eines transzendent real Seienden gerichtet. Nunmehr muß beachtet werden, daß das Sein auch in Form eines transzendent ideal Seienden dem Subjekt entgegensteht. Inwiefern wird nun das ideal Seiende für das Problem des Apriori in Nicolai Hartmanns Erkenntnisrealismus bedeutsam? Dem idealen Sein wird von Hartmann ein eigenständiges Ansichsein zuerkannt, und somit wird neben den Bereich der realen Gegenständlichkeiten ein ontisch gleichberechtigter idealer Gegenstandsbereich gestellt, der ebenfalls in erkenntnistheoretischer Hinsicht ein Eigenrecht behauptet. Wenn Hartmann die Uberzeugung geltend macht, daß die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der Idealerkenntnis „dem Problemgebiet des Apriorischen einen Abschluß gibt" 2 , so meint er es nicht in dem Sinne, daß hier neben die Behandlung der apriorischen Realerkenntnis ein von dieser völlig isolierter Problembereich tritt, sondern er weist der Idealerkenntnis gerade eine letzte und entscheidende Funktion für die Möglichkeit apriorischer Realerkenntnis zu. Es fragt sich also zunächst, wodurch Hartmann sich veranlaßt sieht, die Idealerkenntnis zur Lösung der Problematik, die der apriorischen Realerkenntnis anhaftet, heranzuziehen. Der Grund, der Hartmann hier41

HARTMANN, über

die Erkennbarkeit

1

Metaph.,

2

Vgl. Anm. 1 dieses Kapitels.

64

Vorwort zur II. Aufl. S. V.

des Apriorischen,

S. 304.

Das Problem der Idealerkenntnis

zu bestimmt, ist ein ontologischer; er liegt in der on tischen Verflochtenheit der realen und idealen Seinsstrukturen und wird von Hartmann als „Grundgesetz im Verhältnis der Seinsweisen"3 formuliert: „Ideales Sein findet sich als Grundstruktur in allem Realen, aber weder ist alles ideale Sein deswegen schon von sich aus Realstruktur, noch besteht alle Realstruktur in idealem Sein" 4 . Das gegenseitige Verhältnis der Seinsweisen zueinander wird von Hartmann im Sinne eines Aristotelischen Universalienrealismus gedacht: Das Allgemeine ist im Einzelnen enthalten5. Abgesehen von der .anhangenden Idealität' 6 , die „nur als Wesenheit eines Realen" 7 vorkommt, gibt es eine ,freie Idealität' 8 , die zwar als Grundstruktur eines Realen auftauchen kann, aber nicht notwendig einem real Seienden anhaften muß9. Uns interessiert in dieser Arbeit das ideale Sein lediglich insofern es anhangende Idealität darstellt und für die apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände von Bedeutung ist. Das Enthaltensein der Idealstrukturen im Realen ist die ontische Voraussetzung dafür, daß „in aller realapriorischen Erkenntnis... idealapriorische schon enthalten"10 ist. Das ontische Verhältnis von realem und idealem Sein ist also durch das „Ineinanderstecken"11 der Seinsstrukturen gekennzeichnet. „Die reale Welt ist durchformt und durchwaltet von idealen Wesensverhältnissen"12. Das erkenntnistheoretische Verhältnis von Realerkenntnis und Idealerkenntnis erweist sich als ein durch die ontische Strukturiertheit des Seienden bedingtes Verhältnis. Durch eben diese Verflochtenheit der realen und idealen Seinsstrukturen gilt auch das ontologisch wie gnoseologisch bewußtseinsunabhängige Sein des Idealen als erwiesen. Was im Realen als Wesensstruktur waltet, muß ebenso Ansichsein besitzen wie das Reale selbst. „Gibt es S

4

5

6

7

8 9

10

11 1 2

Zur Grundlegung der Ontologie, 50. Kap. b) S. 313. ebd. 50. Kap. b) S. 313; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 47. Kap. c) S. 367: „Denn eben ideales Sein ist als Wesensstruktur in allem Realen enthalten." Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 365. Mit dem Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen bei Nicolai Hartmann befaßt sich ein Aufsatz von H E R M A N N H E R R I G E L , Der philosophische Gedanke Nicolai Hartmanns, in: Kant-Studien, Bd. 51 [1959/60] S. 34—66. Vgl. Metaph., 62. Kap. b) S. 482 ff.; Zur Grundlegung der Ontologie, 46. Kap. c) S. 290 f. H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 46. Kap. C) S. 290. Vgl. Anm. 6 dieses Kapitels. Von dieser Art sind z. B. die mathematischen und logischen Gebilde und die Werte. Metaph., 61. Kap. c) S. 477; vgl. Der Aufbau der realen Welt, 19. Kap. a) S. 181: „ . . . daß in aller Realerkenntnis audi ein Stück Idealerkenntnis enthalten ist." ebd. 61. Kap. c) S. 477. H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 44. Kap. c) S. 280. HARTMANN,

5

Wirth

65

Erkenntnis und Wahrheit

. . . ein ideales Geflecht von Wesenheiten, das sich schon in der Art seiner Gegebenheit als dem Realen immanent erweist, das also schon immer vor unserem Erfassen und Dafürhalten in ihm als seine Bestimmtheit enthalten ist, so ist eben damit auch seine gnoseologische Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Indifferenz gegen die Objektion — kurz sein Ansichsein — gewährleistet" 13 . Das Vorkommen des Idealen im Realen wird als Erweis seines Ansichseins gewertet. Es wäre nun zu fragen, worin der Grund dafür liegt, daß Hartmann der Idealerkenntnis bei der apriorischen Realerkenntnis eine Vermittlerstellung einräumt. Die Ursache liegt für Hartmann in der den idealen Gegenständlichkeiten zugehörigen „Nahstellung zum Bewußtsein" 14 . Die ideale Seinssphäre gilt Hartmann als eine der realen Sphäre im erkenntnistheoretischen Transzendenzverhältnis vorgelagerte und dem Bewußtsein näherstehende. „Die unmittelbare oder ,innere' Gegebenheit" 15 , die den idealen Gegenständen eignet, hat eine „Vergeringerung der Distanz zum Bewußtsein" 18 zur Folge, die aber keineswegs eine Aufhebung des Transzendenzverhältnisses bedeutet. Die innere Gegebenheit der idealen Gegenständlichkeiten bringt für das Erkenntnisvermögen kein unmittelbares Haben derselben mit sich, sondern das ideale Sein muß wie das reale erst in einem Erkenntnisakt erfaßt werden. Der Erkenntnisakt zum Erfassen der idealen Gebilde ist von den erkenntnistheoretischen Bedingungen, die für das in stärkerer Transzendenz zum Bewußtsein liegende reale Sein gelten, unabhängig. Das Erfassen der Idealstrukturen geschieht nach Hartmann durch penetrative und konspektive Schau. Die Auffassung von „der eigenartigen Zwischenstellung, welche die idealen Gebilde zwischen dem Erkenntnisgebilde und dem Realen einnehmen"17, veranlaßt Hartmann der Idealerkenntnis eine vermittelnde Stellung zur apriorischen Erkenntnis des realen Seins zuzuweisen. „Es gibt wohl unmittelbare apriorische Erkenntnis, aber nicht im Felde der Realerkenntnis. Darum ist alles .Begreifen' des Realen ein vermitteltes. Die Wesenssphäre ist zwischengeschaltet"18. Also erst da, wo zu den bereits klargelegten Bedingungen realapriorischer Erkenntnis die vermittelnde Erkenntnis der im intendierten Gegenstand liegenden Idealstrukturen hinzutritt, ist die apriorische Erkenntnis eines transzendent real Seienden gewährleistet. „Durch die ideale Seinssphäre hindurch wird 13

14

15

ebd. 47. K a p . a) S. 294. Metaph., 61. K a p . d) S. 478; Zur Grundlegung der Ontologie, 43. K a p . a) S. 273; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 60. K a p . a) S. 463 f. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 51. Kap. a) S. 319.

18

ebd. 51. K a p . a) S. 319.

17

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 43. K a p . a) S. 273.

18

HARTMANN, Möglichkeit und Wirklichkeit, 47. Kap. b) S. 366.

66

Das Problem der Idealerkenntnis

erst die reale a priori erkannt" 19 . Durch die idealen Wesensverhältnisse „greift das E r k e n n e n . . . hindurch ins Reale" 20 . Idealerkenntnis und Realerkenntnis wird von Hartmann in ein einseitiges Bedingungsverhältnis gebracht; die Idealerkenntnis wird zur Voraussetzung der Möglichkeit apriorischer Realerkenntnis gemacht, aber nicht umgekehrt. Bevor wir also die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten apriorischer Realerkenntnis endgültig beantworten können, müssen wir vorerst auf die Probleme der Idealerkenntnis eingehen. Es gilt zu fragen, was Hartmann unter Idealerkenntnis versteht, worauf sie sich richtet und auf welchen Bedingungen sie beruht. Die reale Apriorität als intentionales Objekt der apriorischen Realerkenntnis wurde bereits als eine ontische herausgearbeitet; wir erkannten sie als ein Prius in der Form ontischer Realstruktur. Die ideale Apriorität als intentionales Objekt der Idealerkenntnis meint entsprechend die ontische Idealstruktur oder die idealen Wesenszüge eines Seienden oder auch ein selbständiges ideales Gebilde21. Für unseren Zusammenhang ist wesentlich, daß das ideale Sein keine Einzelfälle aufweist, daß es niemals zur einmalig konkreten Gegebenheit gebracht werden kann und somit niemals Gegenstand aposteriorischer Erkenntnis wird 22 . »Alle Erkenntnis des Idealen ist apriorisch"23. „Erkenntnis idealer Gegenstände... fällt also dem Umfang nach zusammen mit,idealer Apriorität'" 24 . Es fragt sich nun, was reale und ideale Wesenszüge voneinander unterscheidet, worin der Wesensunterschied zwischen realer und idealer Apriorität liegt, der seinerseits eine Ursache dafür bildet, daß es vom idealen Sein nur apriorische, vom realen Sein aber sowohl apriorische als aposteriorische Erkenntnis gibt. Der Unterschied ist nach Hartmann ein ontologischer und eben durch die bei realem und idealem Sein bestehende Verschiedenheit der Seinsweisen (nicht: Seinsmodi!) bedingt. Reale Apriorität meint real ontische Gesetzmäßigkeit, d. h. die den Einzelfall in seiner raum-zeitlichen Existenz bedingenden Wesenszüge. Die ideale Apriorität dagegen hat nichts mit der Konstitution der Einzelfälle als solchen zu tun. „Das Ideale ist eben indifferent gegen die Quantität der Fälle. Fälle gehören dem Rea19 20

21 22

23 24

Metaph., 73. Kap. c) S. 565. Zur Grundlegung der Ontologie, 43. Kap. a) S. 274 . Vgl. Anm. 6 und Anm. 9 dieses Kapitels. „Alle Wesenserkenntnis eben steht auf der Höhe des Begreifens, ist rein apriorisch; eine der Wahrnehmung verwandte Gegebenheit gibt es hier nicht, denn das ideale Sein kennt kein Individuelles. Anschauung und Begreifen klaffen hier nirgends auseinander." Möglichkeit und Wirklichkeit, 50. Kap. e) S. 391.

HARTMANN,

Metaph., 67. Kap. a) S. 511; vgl. ebd. 63. Kap. c) S. 492. ebd. 61. Kap. c) S. 477.



67

Erkenntnis und Wahrheit

len an. Sie existieren für die Seinsweise des Idealen als solchen gar nicht" 25 . Im Bereich des idealen Seins gibt es keine Individualität, sondern nur Allgemeinheit. Die ideale Apriorität als ideal ontische Gesetzmäßigkeit ist ein iiberraum-zeitliches Wesensgesetz, das für alle möglichen, nicht nur für die wirklichen Fälle Geltung hat. „Alle Besonderungen des Idealen — auch solche, die wirklich nur an einem einzigen Realen auftreten — sind . . . noch allgemein . . . der Sinn dieser Allgemeinheit besteht nur im Hinblick auf mögliche reale Fälle, keineswegs auf wirkliche. Sie besteht auch zu Recht, wo kein einziger realer Fall vorkommt" 26 . Nun wird verständlich, daß es vom idealen Sein keine aposteriorische Erkenntnis geben kann, weil der Einzelfall, der allein eine Gegebenheit a posteriori darstellt, in der idealen Sphäre gar nicht vorhanden ist. Im realen Bereich richtet sich die aposteriorische Erkenntnis auf die Außenseite der Spezialfälle, die apriorische Erkenntnis auf die die äußere Gegebenheit konstituierende Innenseite, d. h. auf die Wesensstrukturen des Gegenstandes. Im idealen Bereich ist nur Wesenserkenntnis möglich. Das Vorhandensein eines ideal Seienden, dessen Ansichseinscharakter „ d u r c h . . . sein Enthaltensein im Realen belegt" 27 ist, wird für das Subjekt in Form einer apriorischen Erkenntnis zugänglich und macht die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Idealerkenntnis dringend. Die Lösung, die Hartmann für das Problem der Idealerkenntnis vorlegt, ist eine der Erklärung der apriorischen Realerkenntnis analoge. Bei der Erkenntnis idealen Seins stößt das Erkenntnisvermögen auf die von Hartmann gesetzte Irrationalitätsgrenze, hinter der das ideal Transintelligible liegt. Für Hartmann erübrigt es sich, die Irrationalitätsgrenze im Idealen eigens aufzuweisen; denn mit dem Nachweis eines ontologischen Ansidiseins des Idealen stellt sich seiner Objektion die gleiche Schranke entgegen wie dem Erkennen des realen Seins. Das Ideale stellt eine in sich „aktuale Unendlichkeit" 28 dar, woraus für Hartmann seine nur partiale Rationalität für die endliche Erkenntnisfähigkeit des Subjekts folgt 29 . Der rationale Bereich des idealen Seins wird „in der mittleren Höhenschicht des Idealen" 30 angesetzt. Das Fehlen der aposteriorischen Gegen25

ebd. 64. Kap. d) S. 498; vgl. Zur Grundlegung

26

ebd. 64. Kap. d) S. 498; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 55. Kap. a) S. 430.

27

HARTMANN, Zur Grundlegung

28

Vgl. Kap. II, 1 Anm. 17 dieser Arbeit.

29

Vgl. Metaph., 64. Kap. b) S. 495; vgl. audi Zur Grundlegung Kap. c) S. 320 ff.

30

Metaph.,

68

64. Kap. b) S. 496.

der Ontologie,

der Ontologie,

45. Kap. S. 282 ff. 50. Kap. c) S. 314 f.;

45. Kap. c) S. 285. der Ontologie,

51.

Das Problem der Idealerkenntnis

instanz in der Idealerkenntnis — es gibt kein Ideales, das individuelle Existenz aufweist — wird von Hartmann konstruktiv überbrückt, indem er die Behauptung setzt, daß die Erkenntnis idealer Gegenständlichkeiten aus einem Zusammenspiel von stigmatischer und konspektiver Intuition erwächst. »Wohl unterscheidet sich eine mehr isolierende Schau von der zusammenfassenden... Beide sind begreifende Schau, nur in verschiedener Ausdehnung der Überschau"31. Unter der stigmatischen Intuition versteht Hartmann die „auf isolierte Wesenszüge gerichtete Anschauung"32, d. h. durch die stigmatische Intuition wird eine ideale Struktur als solche, völlig unabhängig von ihren Beziehungen zu anderen Idealstrukturen anschaulich erfaßt. Demgegenüber steht die konspektive Intuition als eine „relationale Anschauung"33, die die „Einordnung in die Zusammenhänge des bereits Eingesehenen"34 vornimmt. Die konspektive Intuition ist „das apriorische Erfassen der idealen Relationen, Abhängigkeiten, Zusammenhänge und Gesetzlichkeiten (Widersprüche) — und zwar sowohl des Bedingenden im idealen Sein als auch des Bedingten" 35 . Die konspektive Intuition ist also nichts anderes als die apriorische Zusammenschau der einzelnen in stigmatischer Schau erfaßten Wesensgesetzlichkeiten des idealen Seins. Die in stigmatischer Intuition zur Anschauung gebrachten idealen Wesenszüge werden durch die konspektive Intuition begriffen, insofern das Begreifen über die bloße Anschauung hinausgeht und die Relationen und Bedingungen, in denen ein zur Anschauung Gebrachtes auftritt, miterfaßt. Die konspektive Intuition begegnet als eine Funktion reinen Denkens. Da es sich bei der Idealerkenntnis wie bei der Realerkenntnis um ein Transzendenzverhältnis handelt — nur daß die Distanz zwischen Erkenntnisvermögen und idealer Seinsgegebenheit eine geringere ist als im Falle der Erkenntnis realer Gegenständlichkeiten —, besteht eine ursprüngliche Geschiedenheit zwischen idealen Seinsprinzipien und den Prinzipien des Denkens. Folglich stellt sich das Problem der objektiven Gültigkeit. Die objektive Gültigkeit des durch konspektive Intuition — die über das bloß anschauende Moment hinausführt — Ergriffenen wird durch die transzendente Identitätsthese garantiert, denn „die Gesetze des reinen Denkens müssen zugleich Gesetze des idealen Seins sein"38. Auf Grund der angenommenen Irrationalitätsgrenze wird auch in der Idealerkenntnis die Identität auf eine partiale beschränkt. Hart31

HARTMANN, Möglichkeit

32

Metaph.,

und Wirklichkeit,

50. Kap. e) S. 391.

65. Kap. b) S. 500.

33

ebd. 65. Kap. b) S. 500.

34

ebd. 65. Kap. b) S. 500.

35

ebd. 68. Kap. a) S. 519.

38

ebd. 68. Kap. c) S. 523.

69

Erkenntnis und Wahrheit

mann setzt zur Lösung des Problems der Idealerkenntnis als Analogon zur Realerkenntnis eine kategoriale Grundrelation als allgemeine Bedingung und Gewähr der objektiven Gültigkeit der konspektiven Intuion". Die stigmatische Intuition wird von Hartmann als eine der konspektiven Funktion heterogene Instanz angesehen, die der aposteriorischen Erkenntnisart der Realerkenntnis nahekommt. Genau wie die Wahrnehmung erfaßt die stigmatische Intuition ihren Gegenstand als einen einmaligen, d. h. das Subjekt ist sich in der Methode der stigmatischen Intuition nicht bewußt, daß dieser von ihr ergriffene Wesenszug für die Vielzahl möglicher Fälle Gültigkeit besitzt und gerät außerdem nicht in den Stand, ihn in den Gesamtzusammenhang der Erkenntnis einzuordnen. Im Unterschied zur Wahrnehmung erfaßt die stigmatische Schau ihre Gegenstände nicht durch Vermittlung von Symbolsystemen, sondern, da ihr Objekt als ein ideal Seiendes in „Nahstellung zum Bewußtsein"38 steht, erfaßt sie diese in unmittelbar penetrativer Schau. Wie diese unmittelbar auf den Gegenstand durchstoßende Intuition möglich wird, ob sie auf kategorialer Grundrelation beruht oder nicht, läßt Hartmann als »Irrationalität im Innenwesen gewisser Phänomene unerörtert bestehen"39. Wesentlich ist Hartmann genau wie bei der Erklärung der Realerkenntnis so auch innerhalb der Idealerkennnis zwei heterogene Erkennntinstanzen zu gewinnen. Von der Bedeutung eines Zweiinstanzensystems innerhalb der apriorischen Realerkenntnis und der Idealerkenntnis wird bei der Behandlung des Wahrheitskriteriums noch zu sprechen sein. Es scheint uns für unsere Aufgabe unfruchtbar, eine eingehendere Untersuchung der von Hartmann zur Idealerkenntnis gemachten Aussagen vorzunehmen. Grundsätzlich gilt für den Bereich der Idealerkenntnis das bei der Behandlung der Realerkenntnis bereits kritisch Gesagte. Im übrigen sind wir der Ansicht, daß es sidi bei den Erörterungen zur Idealerkenntnis um eine Konstruktion handelt, bei der ein systematisches — gemeint ist nunmehr ein konstruierendes und stilisierendes — Bedürfnis beherrschend in den Vordergrund drängt und die Offenheit für die Problematik überdeckt. Das Systemdenken, das von Hartmann im Sinne eines Problemdenkens konzipiert wird 40 , schlägt hier in sein Gegenteil um. Nach der Einbeziehung der Erörterungen Hartmanns über die Erkenntnis idealer Gegenstände, wird für uns endgültig die Frage nach der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis transzendent realer Gegenstände 37

Vgl. ebd. 68. Kap. g) S. 528.

38

Vgl. Anm. 7 dieses Kapitels.

39

Metaph.,

40

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit Anm. 1.

70

69. Kap. d) S. 535.

D a s Problem der Idealerkenntnis

beantwortbar. Beim Zustandekommen der Erkenntnis a priori eines real Ansichseienden ist ein Zusammenspiel folgender Erkenntniskomponenten zu berücksichtigen: 1. Erkenntniskomponente: Apriorische Erkenntnis der im realen Gegenstand liegenden realontischen Strukturen (Realkategorien); sie beruht auf kategorialer Grundrelation (Identität von Erkenntnisprinzipien und Seinsprinzipien); die ihr zugehörige Erkenntnismethode zeigt den Charakter innerer Anschauung. 2. Erkenntniskomponente: Apriorische Erkenntnis der im realen Gegenstand liegenden idealontischen Strukturen (Idealkategorien); sie gründet auf zweifacher Basis: a) auf einem irrationalen Grundverhältnis und der ihr zugehörige Erkenntnisgang ist der der stigmatischen Intuition; b) auf kategorialer Grundrelation (Identität von Denkprinzipien und Idealkategorien); methodisch erfaßt sie ihre Gegenständlichkeiten in konspektiver Intuition. Auf Grund der Hartmannschen These, daß die ideale Seinssphäre im erkenntnistheoretischen Transzendenzverhältnis von Subjekt und Objekt der realen Seinssphäre vorgelagert ist, d. h. daß bei aller apriorischen Realerkentnis der Erkenntnisakt nur durch die ideale Seinsschicht auf das ontisch Reale durchstößt, wird apriorische Realerkenntnis durch ein dreifach sich überlagerndes Kategoriensystem möglich. Nur innerhalb desjenigen Bereichs ist Erkenntnis a priori der realen Gegenständlichkeiten möglich, in dem Realkategorien mit Idealkategorien übereinstimmen, die ihrerseits mit Erkenntniskategorien identisch sein müssen. Damit wird zugleich sichtbar, daß einer apriorischen Erkenntnis die Realdeterminanten eines Seienden nur als allgemeine faßbar werden, aber nicht in ihrer einen Spezialfall auszeichnenden Besonderung; denn die Forderung der dreifachen kategorialen Identität impliziert die Realkategoiren nur insofern, als sie unter Idealkategorien als ihrem Genus stehen. Da die Prinzipien für Hartmann auch im Rahmen der Erkenntnistheorie als seiende Prinzipien bedeutsam sind41, wird apriorische Realerkenntnis durch das Zusammenstimmen ontischer Determinanten möglich. Die Identität der drei Kategorienschichten, die ihrerseits in der ihnen jeweils eigenen Sphäre, das ontische Prius darstellen, insofern sie die all41

Audi die Erkenntniskategorien sind für die Hartmannsdie Erkenntnistheorie — wie bereits herausgestellt wurde — nur insofern bedeutsam, als sie seiende Erkenntnisgesetze darstellen; denn die erkenntnistheoretisdie Grundaporie, die das Problem der Urgesdiiedenheit von Subjekt und Objekt beinhaltet, ist nach Hartmann nur autlösbar durch die Einbettung von Subjekt und Objekt in die gemeinsame Seinssphäre.

71

Erkenntnis und Wahrheit

gemeine und notwendige Struktur, das Zugrunde des Seienden bilden, läßt im Bewußtsein des Subjekts eine Repräsentation dieses ,Zugrunde', d. h. der ideal-realen Seinsstrukturen entstehen und diesem Erkenntnisgebilde wird auf Grund seiner Darstellung einer ontischen Apriorität eine erkenntnistheoretische Apriorität zugesprochen. Dem Erfassen transzendenter ideal-realer Wesenszüge des Seienden kommt in der Erkenntnistheorie Nicolai Hartmanns die Bezeichnung Realerkenntnis a priori zu. Daß auf diese Weise aber ein Verfehlen der eigentlich erkenntnistheoretischen Problematik vorliegt, wurde bereits angedeutet. Die Erkenntnisrelation zwischen Subjekt und Objekt ist nicht gerechtfertigt, indem sie als eine der Seinsrelationen begriffen wird, und das Problem einer apriorischen Erkenntnis ist nicht gelöst durch die Konstatierung des Zusammenstimmens ontischer Prioritäten und deren dadurch ermöglichte Repräsentation im Bewußtsein. Vom Erkenntnisvermögen des Subjekts aus gesehen, wäre der Erkenntnisgang folgender: In penetrativer Intuition, d. h. in reiner unsinnlicher Anschauung, stößt das erkennende Bewußtsein unmittelbar auf die Idealstrukturen eines real Seienden und nimmt in direkter Anschauung jede einzelne Idealstruktur als isolierte auf. Durch die Fähigkeit der konspektiven Intuition, d. h. des reinen Denkens, werden die isoliert zur Anschauung gebrachten idealen Wesenszüge untereinander in einen Beziehungszusammenhang gebracht und begriffen. Das nun hinzutretende Vermögen der inneren Anschauung, das als eine synthetische Funktion aus unsinnlichem Anschauen und logischem Rezipieren verstanden werden muß, erkennt die nunmehr begriffenen Idealzusammenhänge in einem real Seienden als zugleich realontische Wesensgesetze, aber noch nicht als Wirklichkeitsgesetze; denn der Erkenntnis a priori ist „nur das Allgemeine direkt zugänglich . . . Sie kann den realen Einzelfall stets nur insoweit treffen, als er seiner Artung nach unter das Allgemeine fällt" 4 2 . Zur Erkenntnis eines real Seienden als eines wirklichen Gegenstandes kommt es dann durch das Hinzutreten der aposteriorischen Erkenntnisinstanz und ihrer Wahrnehmungsinhalte 43 . Insofern kann auch die N a turwissenschaft, obgleich es ihr um die Erkenntnis von allgemeinen Gesetzlichkeiten geht, nicht auf Tatsacheneinsichten verzichten und bedarf der Bestätigung durch die Empirie 44 . Im zweiten Band der Ontologie, in dem Hartmann die Stufen der Modalität als „die allgemeinsten und fundamentalsten Kategorien so42

HARTMANN, Möglichkeit und Wirklichkeit, 50. K a p . e) S. 392.

43

Ontologisch gesehen ist das ständige Miteinander von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis durch das nie zu trennende Miteinander von Sosein und Dasein bedingt.

44

Vgl. HARTMANN, Philosophie der Natur, 31. K a p . d) S. 381.

72

Das Problem der Idealerkenntnis

wohl des Seienden als audi der Erkenntnis des Seienden"45 behandelt, wird die apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände und die vermittelnde Rolle der Idealerkenntnis am Beispiel eben dieser Modalitätsstufen noch einmal deutlich herausgearbeitet. Die apriorische Erkenntnis oder das Begreifen richtet sich auf Möglichkeit und Notwendigkeit eines Seienden48. Nun ist es aber keineswegs so, daß die Erkenntnis a priori unmittelbar auf Realmöglichkeit und Realnotwendigkeit durchstößt, sondern zunächst kommen nur Wesensmöglichkeit und Wesensnotwendigkeit in den Blick; und erst durch deren Vermittlerstellung werden die Realmodi faßbar 47 . Nun ist aber ein vollständiges Erkennen der Realmöglichkeit und der Realnotwendigkeit ausgeschlossen, da dieselben eine Einsicht in die Totalität der Möglichkeitsbedingungen und des zureichenden Grundes eines Seienden voraussetzt. Die Wesensmöglichkeit jedoch, die dem Subjekt faßbar wird, stellt dem der Realität angehörenden Spezialfall gegenüber stets ein Allgemeines dar, das die Fülle der Besonderungen des Einzelnen nicht einbegreift, und ebenso ist die Erkenntnis der Wesensgesetze noch keine Einsicht in die Realnotwendigkeit 48 . Die Einsicht in die Notwendigkeit impliziert ihrerseits die Einsicht in die Möglichkeit, insofern der zureichende Grund des real Seienden zugleich die totale Reihe der Möglichkeitsbedingungen einschließt49. Da es dem endlichen Erkenntnisvermögen schwerlich gelingt, des zureichenden Grundes, also der gesamten Fülle der Bedingungen ansichtig zu werden, das Bewußtsein seinerseits aber auf Totalität hindrängt, geschieht die Einsicht in die Notwendigkeit auf Grund kate45

HARTMANN, Möglichkeit

46

Vgl. ebd. 24. Kap. d) S. 198: „ . . . wogegen Möglichkeit und Notwendigkeit derselben Sache nur mit H i l f e der . . . apriorischen Erkenntnisart eingesehen werden können." Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 365.

47

Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 366: „Alles Wissen um Möglichkeit und Notwendigkeit der Realgegenstände macht . . . den Umweg über das Begreifen der Wesensmöglichkeit und Wesensnotwendigkeit. " Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 365; vgl. ebd. 50. Kap. e) S. 392.

48

Vgl. ebd. 47. Kap. b) S. 366: „Das ist der Grund, warum audi für den apriorischen Einschlag der E r k e n n t n i s . . . die eigentliche volle Realmöglichkeit und Realnotwendigkeit gemeinhin unerreicht bleiben und nur annähernd erfaßt werden. Diese Realmodi hängen an der Totalität der Realbedingungen; und . . . diese Bedingungen . . . können . . . nur a priori erschlossen werden, und zwar auf Grund von Wesenseinsicht, also stets auf Grund eines Allgemeinen, das sich an Besonderheit und Inhaltsfülle mit dem Realfall nicht decken kann."

49

Vgl. ebd. 52. Kap. b) S. 405 : „Das Begreifen der N o t w e n d i g k e i t . . . setzt Begreifen der Möglichkeit v o r a u s ; . . . Die Bedingungskette im Realzusammenhange . . . , auf Grund deren etwas real möglich ist, ist dieselbe, auf Grund deren es real notwendig ist."

und Wirklichkeit,

Vorwort S. VI.

73

Erkenntnis und Wahrheit

gorialer Formgleidiheiten durch apriorische Antizipation50. In den apriorischen Akten der Antizipation werden die allgemeinen Wesensstrukturen erfaßt, und der Realfall wird in seiner Typenzugehörigkeit zum Idealen als notwendig begriffen, und zwar als real notwendig, obgleich nicht die individuelle Realnotwendigkeit einsichtig geworden ist51. Daher hat die Einordnung des Spezialfalles unter das Genus eines Wesensnotwendigen nur einen hypothetischen Gewißheitsgrad52; denn „ein .allgemeines' Begreifen vom Gesetz aus, genügt... nicht zur Realnotwendigkeit des Einzelfalles"53. Die hypothetische Subsumption des Spezialfalles unter Wesensgesetze erfährt jedoch eine nachträgliche Verifizierung durch die unmittelbare Gegebenheit dieses Falles. Die apriorische Erkenntnis bedarf der Rücksicherung durch die aposteriorische Erkenntnis51. Die apriorische Erkenntnis leistet von sich aus eine Einsicht der Möglichkeitsbedingungen eines transzendent real Seienden; die aposteriorische Erkenntnis erfaßt das Realwirkliche; im Zusammenspiel beider Erkenntnisarten wird ein transzendent Reales als ein in sich Notwendiges begriffen65. Auf diese Weise spielt sich „im Begreifen der Möglichkeit und der Notwendigkeit, sofern es zum Begreifen der Wirklichkeit f ü h r t , . . . der eigentliche Prozeß der Realerkenntnis ab"56. 50

Vgl. ebd. 51. Kap. d) S. 399: „Notwendigkeit begreift man erst aus der Totalität der Bedingungen heraus. Man kann sie wohl auf Grund einer apriorischen Einsicht antizipieren, aber die Antizipation ist kein Durchdringen des gegebenen Falles." Vgl. ebd. 52. Kap. b) S. 405.

51

Vgl. ebd. 50. Kap. e) S. 393: „Wo wir die ungeheure Fülle der einmaligen Kollokation von Realbedingungen nicht annähernd fassen, da können wir deswegen doch sehr wohl das Allgemeine eines typenhaftwiederkehrenden Realzusammenhanges fassen . . . "

52

Vgl. ebd. 52. Kap. c) S. 408 f. ebd. 52. Kap. d) S. 409.

53 54

Vgl. ebd. 52. Kap. d) S. 409 f.: „ . . . wo zu diesem Begreifen des Allgemeinen die unmittelbare Gegebenheit eben dessen tritt, was auf Grund des Allgemeinen erschlossen wurde. Dann nämlich tritt für die fehlende Vollständigkeit des begriffenen Realzusammenhanges unmittelbar das Bewußtsein der Wirklichkeit des Resultats ein und dieses überhebt das Begreifen der weiteren Vervollständigung... ; aber das unvollständige Begreifen . . . wird durch die ihm entgegenkommende Gegebenheit dennoch zu einem gewissen Begreifen der Wirklichkeit erhoben." Vgl. Philosophie der Natur, 31. Kap. d) S. 381: „Das Begreifen kann sich der Totalität wohl nähern, nicht aber sie erreichen. Darum muß audi die exakte Wissenschaft jederzeit auf empirische Bestätigung aus sein."

55

Vgl. ebd. Einleitung; S. 18: „Darauf kommt es an, ob ein Erkenntnisinhalt mit dem Apriorischen der Erkenntnis übereinstimmt, oder mit dem Aposteriorischen, oder mit beiden. Im ersteren Falle ist es als möglich, im zweiten als wirklich, im dritten als notwendig erkannt."

56

ebd. 48. Kap. a) S. 372.

74

Das Problem der Idealerkenntnis

Was jetzt als besonderes Ergebnis zutage tritt, ist, daß es im Grunde bei Hartmann überhaupt keine apriorische Realerkenntnis gibt; denn sie bleibt in der Wesenssphäre stecken, und nur die Wesenheit kann beim Akt der Rücksicherung mit dem auf aposteriorischen Wege Eingesehenen in Einklang stehen oder nicht, aber das, was das reale Sosein nun eigentlich ausmacht, kann audi durch die aposteriorische Erkenntnis nicht hinzugefügt werden. Diesbezüglich kann auch der Annäherungsprozeß aller Erkenntnis nichts ausrichten; denn das, was das reale Sosein eigentlich ausmacht, fällt überhaupt nicht in den Identitätsbereich der Kategorien, und insofern liegt es jenseits der von Hartmann gesetzten Grenze der Irrationalität. Das reale Sosein wird nur faßbar wie es im Spiegel idealen Seins erscheint, aber nicht wie es an sich ist. Durch die Zwischenschaltung der idealen Seinssphäre wird die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis transzendent realer Gegenstände aufgehoben und nur die Erkenntnis eines Apriorischen im Realen gesichert. „Der Einschlag des Apriorischen" in der Realerkenntnis „hängt an den im Realen enthaltenen Idealtstrukturen" 57 . Nunmehr wird jedoch fraglich, warum Hartmann überhaupt eine dreifache kategoriale Identität fordert; denn es kommt schließlich nur darauf an, daß die Erkenntniskategorien mit denjenigen des idealen Seins partiell kongruent sind. Die typischen Eigenheiten der Realstrukturen, die gerade nicht aus idealem Sein bestehen, können auch nicht ausschnittsweise mit Idealstrukturen kollidieren. Apriorische Realerkenntnis ist nichts anderes als Erkenntnis von anhangender Idealität. Die als Grundstruktur in einem Realen enthaltene Idealität ist in dem Maße rational als ihr Erkenntniskategorien entsprechen, d. h. ihre Erkennbarkeit wird auf die kategoriale Kapazität des Subjekts restringiert. Auf dieses Problem werden wir aber noch näher eingehen58. Abschließend müssen wir sehen, welche Eigenheit des Hartmannschen Realismus sich neuerdings ergeben hat. Hartmann diskutiert in seiner realistischen Erkenntnistheorie das Problem des idealen Seins, stellt dessen Ansichseinscharakter heraus, behauptet dementsprechend das Eigenrecht der Idealerkenntnis als einer Weise des Erfassens von bewußtseinsunabhängigen Gegenständlichkeiten und mißt letzterer eine entscheidende Rolle bei jeglichem Erkenntnisakt überhaupt zu. In diesem Zusammenhang wird deutlich, warum Wagner es nicht für angemessen hält, „Hartmanns Position als Realismus zu bezeichnen"59. Wagner sieht völlig richtig, wenn er unter der Voraussetzung, daß Rea57

HARTMANN, Zur Grundlegung

58

Vgl. Kap. II, 4 und III, 1 dieser Arbeit.

59

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit, Anm. 19.

der Ontologie,

45. Kap. c) S. 286.

75

Erkenntnis und Wahrheit

lismus eine Theorie ist, die nur von der Möglichkeit einer Erkenntnis real ansichseiender Gegenständlichkeiten handelt, schreibt: »Die gnoseologische Stellung Hartmanns geht in einem Realismus nicht auf" 6 0 . Nun ist es ja — wie wir anfangs sahen — 6 1 gerade das Anliegen Hartmanns, eine eigene realistische Theorie zu entwickeln, die sich mit den bisherigen Typen realistischer Theorien nicht deckt. Hartmann sieht die Behandlung des Problems der Idealerkenntnis gerade als für einen erkenntnistheoretischen Realismus unumgänglich an, weil Realstrukturen und Idealstrukturen ineinanderstecken und es insofern vom real Seienden nur ein Miteinander von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis gibt. Wir möchten feststellen, auch wenn wir den auf ontologischer Basis gründenden erkenntnistheoretischen Versuch Hartmanns nicht ohne weiteres akzeptieren, daß eine moderne realistische Erkenntnistheorie gezwungen ist, das Problem der Idealerkenntnis als einer die Bewußtseinssphäre transzendierenden Erkenntnisart in ihre Erörterungen einzubeziehen. Der Begriff ,Realismus' zur Bezeichnung einer erkenntnistheoretischen Position darf nicht in einer bestimmten Weise festgelegt werden, sondern ist als ein offener, undefinierbarer Begriff zu benutzen, der lediglich die Voraussetzung der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses in sich birgt. Die Bezeichnung .Realismus' gilt dann für alle Theorien, die die Grundvoraussetzung vom Vorhandensein ansichseiender Gegenständlichkeiten machen, aber in ihrer Deutung und Klärung des Erkenntnisphänomens völlig offen stehen für Möglichkeiten einer Deutung überhaupt. Wir sind daher, wenn der Begriff ,Realismus' nur in diesem Sinne angewendet wird, nicht wie Wagner der Ansicht, daß „Realismus überhaupt keine geeignete Bezeichnung für eine erkenntnistheoretische Position" 62 sei und allein den ontologischen Theorien, insofern sie nur das Real-Seiende anerkennen, zukomme.

4.

Das apriorische

Erkenntnisgebilde

Durch die Behandlung des Problems der objektiven Gültigkeit und der Idealerkenntnis konnten wir die Frage beantworten, wie nach Hartmann apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände möglich ist. Dabei wurde sichtbar, daß es sich bei apriorischer Realerkenntnis lediglieli um die Erkenntnis eines Idealen im Realen handelt. Sobald nun das Bewußtsein die Wesensverhältnisse im Realen in den Blick faßt, ergibt sich einerseits die Möglichkeit, daß durch den intentionalen Bewußtseinsakt eben diese Idealverhältnisse als Gegenständlichkeiten kon60

WAGNER, Apriorität und Idealität, S. 322.

61

Vgl. Kap. 1,1 dieser Arbeit.

62

WAGNER, Apriorität und Idealität, S. 322.

76

Das apriorische Erkenntnisgebilde

stituiert werden; andererseits kann im Erkenntnisvermögen eine Repräsentation der Wesensstrukturen eines real Seienden entstehen. Die zweite Möglichkeit entspricht der Ansicht Hartmanns, der — wie wir gleich zu Anfang unserer Untersuchung herausstellten — den Erkenntnisgegenstand in seinem Sein als vom Erkenntnisakt unabhängig ansieht. Im intentionalen Akt des Bewußtseins entsteht eine Repräsentation eines ansichseienden Gegenstandes. Es stellt sich daher die Aufgabe, den Bildcharakter der Erkenntnis und das Zustandekommen des Erkenntnisgebildes zu erörtern und zu sehen, welche Aufschlüsse wir aus dieser Untersuchung für das Problem der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns gewinnen. Wie sieht die Hartmannsche Repräsentationstheorie aus? Ist sie mit der realistischen Grundtendenz Hartmanns vereinbar? Das erkennende Subjekt als Reflexionspunkt des Seins in sich selbst läßt durch eben diese Rückbiegung auf das Seiende als ein Seiendes eine „Sphäre der Repräsentation entstehen" 1 , d. h. die Erkenntnis, insofern sie eine apriorische ist, leistet eine Repräsentationswelt apriorischer Seinsgebilde. Zwischen Subjekt und Objekt tritt also nach Hartmann die Repräsentation 2 als »notwendiger Wesensbestandteil der Erkenntnisrelation" 3 . „Das Verhältnis wird auf diese Weise ein dreigliedriges: Subjekt — Erkenntnisgebilde — Gegenstand" 4 . Max Scheler, der wie Husserl hinsichtlich des Objektbewußtseins nur Erkenntnisakt und Erkenntnisgegenstand unterscheidet, weist die Lehre Hartmanns von dem zwischen Akt und Gegenstand tretenden Bild als Rückgang „auf eine der primitivsten Formen aller Erkenntnistheorie (Bildertheorie)" 5 ab, wobei Scheler seinerseits das eigentliche Anliegen Hartmanns und die Erörterungen der scholastischen Philosophie um das Erkenntnisbild zu verkennen scheint. Es ist keineswegs so, daß Hartmann das ,Bild' als adäquates ,Abbild' des Objekts versteht; das würde auch seiner Irrationalitätsthese widersprechen: nicht das objiciendum, das intendierte Seiende, sondern nur das objectum, das Seiende, insofern es erkennbar ist, kann im Bewußtsein als ,Bild' auftreten. Allerdings wird damit die Inadäquatheit von Erkenntnisgebilde und Gegenstand mit einer nicht bewiesenen Voraussetzung begründet. An Scheler bleibt die grundsätzliche Frage zu richten, ob eine realistische Erkenntnistheorie 1 2

3 4

5

Metaph., 40. Kap. S. 308. Hartmann wählt den von Leibniz benutzten Begriff der Repräsentation, um seine Lehre vor der falschen Ansicht, das Erkenntnisgebilde sei adäquates ,Abbild' des Objektes, zu bewahren. Metaph., 5. Kap. b) 7. S. 47. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 130; vgl. Möglichkeit Wirklichkeit, 46. Kap. b) S. 360. SCHELER, Idealismus — Realismus, S. 276.

und

77

Erkenntnis und Wahrheit

eine kritisch verstandene Bildtheorie vermeiden kann. Wir müssen im Zusammenhang dieser Arbeit untersuchen, ob diejenige Hartmanns, die seiner apriorischen Erkenntnis zugehört, seiner auf der realistischen Grundthese vom Ansichseinscharakter des Erkenntnisgegenstandes aufbauenden Erkenntnistheorie entspricht. Nun ist das Subjekt sich des Vorhandenseins eines Erkenntnisgebildes in keiner Weise bewußt, sondern hält seine Bewußtseinsinhalte unmittelbar für Gegenstandsbewußtsein®. Als phänomenologischen Beweis dafür, daß sich das Erkenntnisverhältnis nicht in der Zweiheit von Erkenntnisakt und Erkenntnisobjekt erschöpft, verweist Hartmann auf die Möglichkeit einer Täuschung, die alle Erkenntnis involviert. Das Bewußtsein des Erkenntnisgebildes »setzt überall in der Erfahrung des Alltags ein, wo Irrtümer oder Täuschungen durchschaut werden"'. Das Subjekt erkennt beim Täuschungsphänomen, daß seine Intention auf das Erkenntnisobjekt nur ein Bild desselben im Bewußtsein erreichen kann. „In der durchschauten Täuschung wird das ,Bild* als solches sichtbar"8. „Da bei der Täuschung (Was-Täuschung) das Sosein des Gegenstandes selbst sicher nicht in mente ist, sondern nur ein auf es hinweisendes Etwas — nämlich der intentionale Gegenstand —, da ferner die Möglichkeit der Täuschung stets als mitgegeben zugestanden werden muß, schließt Nicolai Hartmann, müsse also auch im Falle stattfindender Erkenntnis ein solches Etwas, das im Verhältnis zu dem vom Bewußtsein unabhängig Seienden nur ,Bild' ist, vorhanden sein"9. Auf diese Weise nimmt Hartmann das Vorhandensein des Erkenntnisgebildes, das primär vom absoluten Objektbewußtsein verdeckt ist, als einen sekundär phänomenologisch bewiesenen Befund an. An dieser Annahme des notwendigen Vorhandenseins eines Objekt,Bildes' im Bewußtsein bei jeglicher Erkenntnis wird von Paul Linke10 und Max Scheler11 Kritik geübt. Wir verzichten darauf, die kritischen β

Vgl. H A R T M A N N , Möglichkeit und Wirklichkeit, 4 6 . Kap. b) S . 3 6 1 : „Denn ein Bewußtsein des Inhalts — resp. des Erkenntnisgebildes — ist neben dem Bewußtsein des Gegenstandes normalerweise gar nicht vorhanden. Der Inhalt vielmehr ist selbst Bewußtsein des Gegenstandes; er ist die Form, in der der Gegenstand dem Bewußtsein gegeben ist". Vgl. Zur Grundlegung der Ontologie. 42. Kap. c) S. 270; ebd., 42. Kap. d) S. 271 ff.

7

Metaph., 5. Kap. b) 3. S. 46; vgl. Zur Grundlegung S. 270.

8

ebd. 5. Kap. b) 5. S. 46.

9

SCHELER,

Idealismus — Realismus,

S.

der Ontologie,

42. Kap. c)

276 f.

10

Vgl. P A U L F . L I N K E . Bild und Erkenntnis. Ein Beitrag zur Gegenstandsphänomenologie im kritischen Anschluß an Nicolai Hartmanns Lehre vom Satz des Bewußtseins, in: Philos. Anzeiger I, 2 (1926) S. 299—358.

11

Vgl.

78

SCHELER,

Idealismus — Realismus,

S. 2 7 5

ff.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

Gedankengänge hier auseinanderzulegen, sondern verweisen auf die Abhandlungen der Philosophen selbst12. Selbst wenn nun der phänomenologische Beweis Hartmanns für das Vorhandensein der Repräsentation als eines notwendigen Wesensbestandteils der Erkenntnisrelation 13 sich als nicht stichhaltig erweist — so wenigstens nach Linke und Scheler —, so hindert das nicht, die Möglichkeit einer zwischen Erkenntnisakt und Gegenstand tretenden Repräsentation ernst zu nehmen und zu sehen, auf welche Weise von Hartmann das Zustandekommen dieses Erkenntnisgebildes und sein eigentliches Wesen charakterisiert wird. Wir müssen außerdem untersuchen, ob die Überlegungen zum Erkenntnisgebilde die Hartmann durch seine ontologische Argumentation nicht gelungene Herstellung der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt noch zu schaffen vermögen oder welche Folgen der nicht überwundene Chorismos zwischen Subjekt und transzendentem Objekt für das apriorische Erkenntnisgebilde und damit für die gesamte Erkenntnistheorie Nicolai Hartmanns ergibt. Das eigentlich Wesentliche aller Erkenntnis liegt also für Hartmann gerade in ihrem Zustandebringen von Bildern im Bewußtsein, die ihrerseits einen ansichseienden Gegenstand repräsentieren sollen. Die Erkenntnisgebilde müssen »dem Inhalte nach, den sie repräsentieren,... .objektiv' sein"14. Die von uns untersuchten subjektiven und objektiven Bedingungen möglicher apriorischer Erkenntnis gaben die Voraussetzungen an, unter denen die Objektivität des apriorischen Erkenntnisinhaltes als eines ,Bildes' vom transzendenten Objekt gewährleistet sein soll. Wir kamen aber zu dem Ergebnis, daß die objektive Gültigkeit apriorischer Erkenntnisgebilde, wie Hartmann sie auf Grund kategorialer Identität zu beweisen sucht, keineswegs bewiesen ist. Wir müssen also durch eine eingehendere Betrachtung des apriorischen Erkenntnisgebildes und seines Zustandekommens zu erkennen suchen, ob seine Objektivität von Hartmann noch wahrscheinlich gemacht wird oder ob wir ihre Möglichkeit innerhalb des Hartmannschen Realismus endgültig negieren müssen. Wir müssen fragen, „wie eigentlich das Subjekt auf die Bestimmtheiten des Objekts reagiert, ,wie' die Repräsentation vor sich geht"15. 12

Vgl. Anm. 10 und 11 dieses Kapitels; vgl. die Erwiderung Hartmanns auf P. F. Linkes Einwände: Metaph., 10. Kap. S. 106—124. Vgl. KUHAUPT, Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus in Nicolai Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis, S. 51 ff.

13

Vgl. Anm. 3 dieses Kapitels.

14

Metaph., 17. Kap. b) S.208; vgl. audi Metaph., 10. Kap. c) S. 111: „Erkenntnis findet erst statt, w o dem intentionalen Gebilde . . . ein ansidiseiendes .entspricht', d. h. von ihm inhaltlich .getroffen' wird."

15

ebd. 45. Kap. a) S. 336.

79

Erkenntnis und Wahrheit

Wir haben bereits gesehen, daß von Hartmann, gemäß seiner realistischen Grundkonzeption, alles Erkennen — audi das apriorische — als ein ,Erfassen' charakterisiert wird. »Das Erkennen eben ist das Erfassen"16. Die „Erkenntnis a priori e r f a ß t . . . das Sosein"17. Es fragt sich nun, was unter diesem Erfassen eigentlich zu verstehen ist. Der Terminus .Erfassen' wird von Hartmann in Gegensatz gebracht zu den Ausdrükken „Erschaffen, Erzeugen oder Hervorbringen" 18 . Erfaßt werden kann nur das, was vor dem Erfassen schon vorhanden ist, und das ist für Hartmann eben die Welt der ansichseienden Objekte. Nun kann die Bezeichnung ,Erfassen', obgleich sie gegen das Erzeugen eines Gegenstandes abgesetzt ist, dennoch doppeldeutig sein; sie kann einerseits ein rein aufnehmendes Erfassen meinen, andererseits aber auch ein Erfassen mit gleichzeitiger Bildung und Umbildung des Erfaßbaren durch das erfassende Subjekt. „Der Terminus ,Erfassen' spiegelt freilich Spontaneität des Subjekts vor" 19 . Hartmann macht also selbst auf diese Zweideutigkeit aufmerksam. Darum betont er immer wieder, daß alles Erfassen, auch das der Soseinsdeterminanten, einen rein aufnehmenden Akt darstellt, daß die Grundeinstellung des Subjekts zum ansichseienden Objekt „auch in der Erkenntnis a priori, eine rein rezeptive" 20 ist und »nur unter Voraussetzung subjektivistischer Deutung als Spontaneität charakterisiert werden" 21 kann. „Die Erkenntnis ist ihrem Wesen nach ein a u f nehmender' Akt, sie bildet den Gegenstand nicht um, läßt ihn unverändert wie er ist"22. Jede Erkenntnis setzt zwar die subjektive Bereitschaft zur Erkenntnis und die spontane Hinwendung zum Objekt voraus, aber „das Erfassen hört nicht auf Empfangen zu sein, wenn es auf innerer spontaner Empfangseinstellung beruht" 23 . Erfassen meint also im Zusammenhang der Hartmannschen Erkenntnistheorie Rezeptivität auf seiten des Subjekts gegenüber dem ansichseienden Gegenstand, und das bedeutet Aufnehmen und Empfangen. Dasjenige, was beim Akt des Erfassens vom Subjekt aufgenommen wird, ist ein ,Bild' des intendierten 18

HARTMANN, Der Aufbau

17

HARTMANN, Zur Grundlegung

18

Metaph.,

19

HARTMANN, Zur Grundlegung

20

Metaph., 5. Kap. d) 3. S. 49; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. d) S. 161: „Unter den transzendenten Akten . . . zeichnet sich der Erkenntnisakt durch den reinen Charakter des Erfassens aus. Das Verhältnis des Subjekts zu seinem ansichseienden Gegenstande ist hier ein vollkommen einseitiges, rezeptives".

der realen Welt, 18. Kap. a) S. 173. der Ontologie,

13. Kap. b) S. 104.

der Ontologie,

23. Kap. D) S. 161.

Einleitung, S. 1.

21

Metaph.,

22

HARTMANN, Die Erkenntnis im Lióte der Ontologie, S. 132; vgl. Metaph., 5. Kap. g) 9. S. 55, w o Hartmann von der ^prinzipiellen Rezeptivität' des Subjekts gegen das Objekt" spridit.

23

Metaph.,

80

50. Kap. d) S. 387.

5. Kap. g) 9. S. 55.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

Objekts; »im Erfassen" entsteht „ein Bewußtseinsinhalt (das Bild des Gegenstandes)"24. Das Objekt selbst wird beim Erkenntnisakt keineswegs dem Bewußtsein immanent, sondern bleibt ihm völlig unangetastet gegenüber, während vielmehr das Subjekt eine Veränderung erfährt, indem es ein „Wissen um den Gegenstand" 25 empfängt, indem die Objektbestimmtheiten „an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem ,Bilde' des Objekts" 28 wiederkehren. Wenn sich der Erkenntnisakt nun zunächst als ein rein rezeptiver Akt in seinem Verhalten gegenüber dem ansichseienden Gegenstande erweist, so wird gegenüber dem Erkenntnisgebilde eine entgegengesetzte Haltung von Seiten des Subjekts bedeutsam. Wenn Hartmann eine Spontaneität gegenüber dem Erkenntnisgegenstand immer wieder zurückweist, so wird ebenso eindeutig eine solche Spontaneität gegenüber dem Erkenntnisgebilde verteidigt. „Rezeptivität gegen das Objekt und Spontaneität gegen das Bild schließen einander nicht aus"27. Das Subjekt ist „am Aufbau des Bildes, d. h. an seinem eigenen ,objektiven' I n h a l t . . . sehr wohl schaffend beteiligt"28. Die Spontaneität des Subjekts gegenüber dem Erkenntnisgebilde wird also als ein Schaffen von seiten des Subjekts bezeichnet. Wir müssen, wenn wir nun die Funktion der Spontaneität innerhalb der Hartmannschen Theorie apriorischer Erkenntnis klarlegen wollen, zunächst darauf hinweisen, daß für Hartmann Spontaneität und Apriorität keineswegs wesenskongruent sind, daß Spontaneität nicht einmal ein alleiniges Kennzeichen der Erkenntnis a priori ist, sondern auch der Erkenntnis a posteriori eignet wie andererseits das Grundverhalten der apriorischen Erkenntnis genau wie das der aposteriorischen durch Rezeptivität ausgezeichnet ist29. „Die Gegensätze ,spontan — rezeptiv' und ,a priori — a posteriori' überschneiden sich vielmehr, ohne sich zu decken"30. 24

25 24

27

28 29

30

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. D) S. 161. ebd. 23 Kap. d) S. 161. Metaph., 5. Kap. a) S. 45; vgl. Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 130: „In diesem Verhältnis bleibt das Subjekt nicht nur dem Objekt gegenüber selbständig, sondern audi völlig unverändert und gleichsam unberührt, während im Subjekt sich etwas verändert, ein neues Etwas entsteht: die Vorstellung oder allgemein das Erkenntnisgebilde." ebd. 5. Kap. c) 6. S. 48; vgl. Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. d) S. 161: „Der Terminus ,Erfassen' spiegelt freilich Spontaneität des Subjekts vor. Und eine solche gibt es im Erkennen auch. Aber sie ist keine Aktivität gegen den Gegenstand. Sie erschöpft sich in der Synthese des Bildes." Vgl. auch Der Aufbau der realen Welt, 18. Kap. e) S. 178. ebd. 5. Kap. c) 6. S. 48. Vgl. ebd. 7. Kap. c) S. 81: „Der Unterschied von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis fällt weder mit dem von Denken und Anschauen noch mit dem von Spontaneität und Rezeptivität zusammen." ebd. 7. Kap. c) S. 82. 6

Wirth

81

Erkenntnis und Wahrheit

Wir stehen nunmehr an einem wesentlichen Punkt unserer Untersuchung, an dem wir entscheiden müssen, ob die Hartmannsche Repräsentationstheorie mit einem aus der Behandlung der Sachproblematik sich ergebenden Realismus vereinbar ist oder ob die von Hartmann behauptete „innere Spontaneität im Aufbau des Erkenntnisgebildes" 31 einem idealistischen Faktor Raum gewährt, der der realistischen Tendenz widerstreitet und sie vielleicht sogar aufhebt. Dazu wird eine Auseinandersetzung mit der Arbeit von Söhngen32 und der sich hinsichtlich der Auffassung des Hartmannschen Repräsentationsbegriffs daran anlehnenden Dissertation von Kuhaupt 33 notwendig. Wir müssen vorerst gemäß den von uns angeführten Zitaten Söhngen und Kuhaupt zugestehen, daß „Hartmann die Spontaneität — kantisch — als Produktivität faßt" 34 , und zwar als ein produktives Tätigsein des Subjekts beim Aufbau des Erkenntnisgebildes. Wenn diese Auffassung von Spontaneität sich in der „Metaphysik der Erkenntnis" und der „Grundlegung der Ontologie" durch Interpretation von Textstellen ergibt, so weist Hartmann in dem Söhngen und Kuhaupt noch nicht vorliegenden Aufsatz „Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie" darauf hin, daß er Spontaneität kantisch versteht, daß die von Kant geforderte Spontaneität der Erkenntnis durch „die ontologische Sehweise... erst . . . zu ihrem vollen Recht"35 gelangt. Hier wird die Bedeutung des Spontaneitätsbegriffs bei Hartmann aber bereits problematisch. Es muß sich im Laufe dieses Kapitels erst zeigen, ob die Spontaneität in ontologischer Sicht in ihrer Funktion noch der kantischen Spontaneität gleichkommt. Es wird also fraglich, ob der Hartmannsche Spontaneitätsbegriff mit dem Kantischen so völlig übereinstimmt, daß der Schluß Kuhaupts, daß „der Erkenntnisbegriff N . Hartmanns seinem innersten Wesen nach mit dem Kantischen übereinkommt" 36 , berechtigt ist. Wir gehen bei unserer weiteren Untersuchung von den Stellen der „Metaphysik der Erkenntnis" aus, die Kuhaupt als Rechtfertigung seiner These, „daß Hartmann in seiner Auffassung der Spontaneität über Kant wesentlich nicht hinausgekommen ist"37 und den Kantischen Erkenntnisbegriff beibehält, anführt. Hartmann bezeichnet hier die Spontaneität Die Erkenntnis

im Lichte der Ontologie,

81

HARTMANN,

32

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit Anm. 18.

33

Vgl. Einleitungskapitel dieser Arbeit Anm. 2.

34

SÖHNGEN,

Sein und Gegenstand,

35

HARTMANN,

36

KUHAUPT,

37

ebd. S. 64.

82

Die Erkenntnis

S. 132.

S. 31.

im Lichte der Ontologie,

Das Problem des erkenntnistheoretischen manns Metaphysik der Erkenntnis, S. 66.

S. 131.

Realismus

in Nicolai

Hart-

Das apriorische Erkenntnisgebilde

des Subjekts beim Erkenntnisakt als „ein freies inneres Schaffen repräsentierender Gebilde"38 als ein „Erschaffen vom Subjekt" 39 . Gehen wir zunächst auf die von Kuhaupt aufgegriffene Bestimmung der Spontaneität als „Erschaffen vom Subjekt" 40 ein. Es heißt in der „Metaphysik der Erkenntnis": „Erkenntnis a priori z e i g t . . . unverkennbar den Charakter innerer Anschauung. Ihr Gegenstand ist nicht weniger ansichseiend wie der der empirischen Anschauung. Er wird nicht spontan erschaffen vom Subjekt (oder gar vom Denken), sondern wird ,erfaßt c und ist selbst unabhängig von diesem Erfaßtwerden" 41 . Hartmann spricht hier zwar von Spontaneität als einem subjektiven Erschaffen, aber die Textstelle dürfte deutlich genug zeigen, daß Hartmann diesen Spontaneitätsbegriff — wie ihn in extremer Form die Marburger Kantschule vertritt — gerade für seine Erkenntnistheorie ablehnt. Die Formel „Erschaffen vom Subjekt"42 ist demnach für die These Kuhaupts eine schlechte Stütze, sobald sie nicht ohne Rücksicht auf den Textzusammenhang ausgewertet wird. Das freie Walten mit einem Zitat, das Kuhaupt sich hier erlaubt, geht dodi wohl zu weit. Sehen wir zu, was aus der anderen, von Kuhaupt zitierten Textstelle für den Spontaneitätsbegriff Hartmanns, dessen negative Grenze hier sichtbar wurde, zu entnehmen ist. Wir müssen zunächst die Definition der Bewußtseinsspontaneität als ein „freies inneres Schaffen repräsentierender Gebilde" 43 wiederum im Zusammenhang des Hartmannschen Textes betrachten. Hartmann nimmt diese Formulierung im Rahmen seiner Überlegungen über die „Spontaneität der Methode" 44 vor, und es heißt dort: „Eben diese Anpassung an das Seiende ist eine eminent spontane, ein aktives Tendieren und Vordringen, ein freies inneres Schaffen repräsentierender Gebilde"45. Spontaneität ist also charakteristisch für eine Methode, und zwar für die Methode des Subjekts gegenüber dem von ihm unabhängigen Seienden, auf dessen immer tiefer gehende Erkenntnis oder Objektion es hintendiert. Nunmehr wird ersichtlich, daß Hartmanns Auffassung von der spontanen Selbsttätigkeit des Subjekts beim Erkenntnisakt zunächst in Verbindung mit dem Erkenntnisprogreß gesehen werden will. Hartmann weist denn auch in der „Metaphysik der Erkenntnis" darauf hin, daß der spontane Aktcharakter der 38

Metaph., 36. Kap. d) S.295; vgl. KUHAUPT, S. 64.

39

e b d . 7. K a p . c) S. 8 2 ; v g l . KUHAUPT, S. 6 4 .

40

Vgl. Anm. 39 dieses Kapitels. Metaph., 7. Kap. c) S. 82. Vgl. Anm. 39 dieses Kapitels. Vgl. Anm. 38 dieses Kapitels. Metaph., 36. Kap. d) S. 294 ff. ebd. 36. Kap. d) S. 295.

41 42 43 44 45

6*

83

Erkenntnis und Wahrheit

Erkenntnis „am lichtvollsten... im dynamischen Zuge des Erkenntnisprogesses"48 hervortritt. Das Subjekt wendet sich immer von neuem seinem Gegenstande zu, erfaßt ihn von verschiedenen Seiten, so daß das ,Bildr des Objekts, das dem Bewußtsein bei diesem Prozeß immanent wird, sich ständig umbildet und erweitert, und eben dieses beständige Sich-wandeln und Erweitern der Repräsentation ist bedingt durch die geistige Aktivität des Subjekts. In diesem Sinne ist es zunächst zu verstehen, wenn Hartmann dem Subjekt eine spontan schaffende Beteiligung „am Aufbau des Bildes"47 zuschreibt. Das Subjekt ist produktiv, indem es ein immerwährendes Neuschaffen und ständiges Umbilden eines immer schon vorhandenen Erkenntnisgebildes veranlaßt. Seine Spontaneität meint gerade sein „fortschreitendes Empfänglichwerden . . . und sich Bestimmenlassen"48 durch die Bestimmtheiten des Objekts. Diese, den Erkenntnisprogreß antreibende Spontaneität des Subjekts, die in der von Kuhaupt angeführten Textstelle deutlich mitgemeint ist, wird von letzterem überhaupt nicht berücksichtigt. Diese Spontaneität, die der Erkenntnisdynamik des Subjekts entspringt, die dem Erkenntnisgebilde im Sinne einer laufenden Anpassung an das Seiende zugute kommt, ist durchaus einem erkenntnistheoretischen Realismus gemäß; sie verträgt sich mit der Grundkonzeption Hartmanns, die das Erkenntnisobjekt als ansichseiendes auffaßt. Es gilt aber zu fragen, ob die Funktion der Spontaneität von seiten des Subjekts sich in der Beförderung des Erkenntnisfortsdiritts, so wie wir ihn bisher dargelegt haben, erschöpft. Das ist offenbar nicht der Fall. Als wir das Grundverhalten der Erkenntnis als ein rezeptives schilderten, führten wir ein Zitat aus der „Grundlegung der Ontologie" an, wo es heißt, daß „im Erfassen ein Bewußtseinsinhalt (das Bild des Gegenstandes) entsteht"49. Nunmehr gilt es den komplexen Sinngehalt dieser Aussage aufzudecken. Wir wiesen bereits darauf hin, daß das Erfassen im Sinne von Rezeptivität nicht die alleinige Leistung der Erkenntnis ist, daß ihr repräsentierter Inhalt, der Anspruch auf Erkenntniswert erhebt, nicht ein schlechthin Aufgenommenes ist50. „Repräsentation braucht weder bloß rezeptiv noch bloß spontan zu sein, sie kann audi aus Elementen beider Art zusammengesetzt sein: Und dieses ist der Fall, der auf das Phänomen der Objekterkenntnis zutrifft" 51 . 46

47 48 49 60 51

84

ebd. 7. Kap. c) S. 82; vgl. ebd. 5. Kap. g) 9. S. 55: „Am erkennenden Subjekt deckt das Phänomen des Progresses . . . ein Moment eigenster, aktiver Dynamik auf, eine spezifische Erkenntnis-Spontaneität des Bewußtseins." ebd. 5. Kap. c) 6. S. 48. ebd. 5. Kap. g) 9. S. 55. Vgl. Anm. 24 dieses Kapitels. Vgl. S. 80 f. dieser Arbeit. Metaph., 45. Kap. b) S. 339.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

Sowohl .Erfassen' als auch ,Bild' hat bei Hartmann also einen doppelten Sinn. Erfassen meint: a) Empfangen in bezug auf das ansichseiende Objekt, b) Schaffen in bezug auf das Erkenntnisgebilde. Wo Hartmann Erkennen mit Erfassen gleichsetzt52, da ist Erfassen immer in seinem zweifachen Bedeutungsgehalt gemeint. Es ist nicht wie Söhngen meint, „der Grundirrtum Nicolai Hartmanns" 53 , daß er in der „Rezeptivität unseres Erkennens a l l e i n . . . die erfassende Tätigkeit" 54 sieht, oder daß Hartmann — wie Kuhaupt ihm vorwirft — bereits „in der Rezeptivität... das Erkennen selbst"55 geleistet glaubt. Vielmehr gehört für Hartmann ein Akt der Spontaneität durchaus mit zum Erfassen. Es gilt daher näher zu erläutern, inwiefern die Spontaneität und ihre Leistung bei Hartmann dennoch ein Erfassen darstellt. Vorerst gehen wir noch auf die Textstelle aus der „Metaphysik der Erkenntnis" ein, die Söhngen als Beweis für seine Behauptung, daß Hartmann „aufnehmendes und erfassendes Verhalten" 58 identifiziere, anführt. Hartmann schreibt: „Das Subjekt verhält sich in der Erkenntnisrelation prinzipiell rezeptiv zum Objekt. Es braucht deswegen nicht passiv zu sein. Sein Erfassen des Objekts kann Spontaneität enthalten. Aber diese erstreckt sich nicht auf das Objekt als solches, dessen Erfaßtwerden an ihm ja nichts ändert, sondern zielt auf das Bild im Subjekt zurück:. Am Aufbau des Bildes, d. h. an seinem eigenen ,objektiven' Inhalt, kann das Bewußtsein sehr wohl schaffend beteiligt sein. Darüber läßt sich im Tatbestand des Phänomens nichts vorentscheiden. Aber sein Verhalten zum Gegenstande selbst ist ein rein aufnehmendes, d. h. eben ein ,erfassendes'. Das Subjekt bestimmt in keiner Weise ihn, sondern nur er das Subjekt. Aber Rezeptivität gegen das Objekt und Spontaneität gegen das Bild schließen einander nicht aus"57. Hartmann unterscheidet also bei der Analyse des Erkenntnisphänomens die Haltung des Subjekts gegenüber dem Objekt einerseits und gegenüber dem rezipierten Bild vom Objekt andererseits. Er schildert das Verhalten des Erkennenden gegenüber dem ansichseienden Gegenstand als „ein rein aufnehmendes, d. h. eben als ein ,erfassendes'"58. Hier liegt in der Tat eine Äußerung vor, wo Hartmann Auf52 53

54 ! 5

5 6

67 58

Vgl. Anm. 16 dieses Kapitels; Metaph. 63. Kap. b) S. 488. S Ö H N G E N , Sein und Gegenstand, S . 2 0 7 . ebd. S. 207. K U H A U P T , Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus manns Metaphysik der Erkenntnis, S. 57. S Ö H N G E N , Sein und Gegenstand, S . 208. Metaph., 5. Kap. c) 6. S. 48. ebd. 5. Kap. c) 6. S . 48.

in Nicolai

Hart-

85

Erkenntnis und Wahrheit

nehmen und Erfassen gleichsetzt, womit aber keineswegs gesagt ist, daß der Bedeutungsumfang des Begriffs .Erfassen' mit dem von .Aufnehmen' identifiziert wird. Vielmehr sagt Hartmann gerade in dem von Söhngen als Beleg angeführten Zitat, daß das „Erfassen des O b j e k t s . . . Spontaneität enthalten" 59 kann 80 , die sich zwar nicht auf das Gegebene, sondern auf den rezipierten Bewußtseinsinhalt bezieht. Es wird also sichtbar, daß der Terminus ,Erfassen' vielmehr den von uns aufgezeigten Doppelcharakter besitzt; denn wenn auch die Spontaneität auf das Erkenntnisgebilde zielt, so gehört sie mit zum „Erfassen des Objekts" 61 , d. h. zu seiner Erkenntnis. Es stimmt also nicht, daß Hartmann „Rezeptivität und Erfassen völlig ineinssetzt" 62 . Nachdem wir den doppelten Bedeutungsgehalt von ,Erfassen' im Sinne von Erkennen aufgewiesen haben, verdeutlichen wir den entsprechenden zweifachen Sinn des Hartmannschen Begriffs ,Bild'. Bild meint: a) das aufgenommene Schema eines ansichseienden Objekts b) das vom Subjekt spontan nachgebildete und aufgebaute Erkenntnisgebilde, d. h. das aufgenommene Schema eines gegebenen Seienden in seiner Umbildung und Nachbildung durch das Subjekt. Das Erkenntnisgebilde ist also offenbar ein synthetisches Gebilde aus empfangenen und aus geschaffenen Elementen. Es muß offenbar erst eine spontane Nachbildung durch das Subjekt erfahren, um Erkenntnisgebilde zu werden. Eben diese Nachformung meint Hartmann, wenn er schreibt: „Es ist nicht Spontaneität gegen das Erfaßte, sondern nur Spontaneität im Nachbilden des Erfaßten" 6 3 , die selbsttätige Aktivität des Subjekts liegt nicht vor bei derjenigen Aktkomponente, die das Erkenntnisgebilde empfängt, d. h. sie liegt nicht vor gegen das ansichseiende Objekt — denn dieses meint ja zunächst das beim Erkenntnisakt ,Erfaßte' —, sondern sie richtet sich auf die Nachbildung des im gleichen Akt Rezipierten 64 . Diese Nachbildung des Erkenntnisinhaltes meint Hartmann — abgesehen von der ständigen progressiven Bildung von Repräsentatio56

ebd. 5. Kap. c) 6. S. 48.

60

Hartmann spricht im Potentialis, da in der Phänomenologie der Erkenntnis noch keine theoretische Ausdeutung vorgenommen werden soll. 5. Kap. c) 6. S. 48.

61

Metaph.,

62

KUHAUPT, Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus in Nicolai Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis, S. 65; vgl. SÖHNGEN, Sein und Gegenstand, S. 2 0 8 .

5. Kap. g) 9. S. 55.

63

Metaph.,

64

Der Begriff das ,Erfaßte' meint im angeführten Zitat zunächst das, was erfaßt wird, dann das, was erfaßt ist.

86

Das apriorische Erkenntnisgebilde

nen —, wenn er in dem von Kuhaupt angeführten Zitat „die erkennende Spontaneität des Bewußtseins" 65 als ein „freies inneres Schaffen repräsentierender Gebilde" 66 bezeichnet. Der Aufbau des Erkenntnisgebildes wird in der Bewußtseinssphäre geleistet, aber er hat seine regulativen Prinzipien einerseits im Erkenntnisgebilde, insofern es eine Rezeption von Objektgegebenheiten darstellt, d. h. bei der apriorischen Erkenntnis in rezipierten Wesensstrukturen eines Seienden und andererseits in den Erkenntniskategorien, die nach Hartmann j a mit Seinsprinzipien identisch sind. Für Hartmann ist Spontaneität nur gerechtfertigt, insofern sie das Grundphänomen der Gegebenheit des Erkenntnisgegenstandes anerkennt und selbst zum Nachbilden dieses Gegebenen beiträgt. Hartmann kann diese Spontaneität als „freies . . . Schaffen" 67 bezeichnen, da die Auswahl der Verstandeskategorien nicht automatisch vollzogen wird68, sondern in das freie Ermessen des Subjekts gestellt ist. Es zeigt sich also, daß Hartmann keineswegs — wie Kuhaupt glaubt — den Kantischen Spontaneitäts- und Erkenntnisbegriff beibehalten hat. Die Spontaneität, die Hartmann dem erkennenden Bewußtsein zugesteht, soll zu Erkenntnisgebilden verhelfen, die ansichseiende Gegenstände approximativ vermitteln. Es handelt sich um Spontaneität — wie Hartmann sagt — in ontologischer Sehweise69; eine solche bedeutet Produktivität, der jedoch vom ansichseienden Objekt die Richtung vorgegeben ist. Allerdings ist es wiederum die fragwürdige kategoriale Grundrelation mit der die mögliche Gültigkeit der spontanen Komponente des Erkenntnisaktes steht und fällt. Unsere Überlegungen über den jeweils doppelten Bedeutungsgehalt von ,Erfassen' und ,Bild' in der Hartmannschen Erkenntnislehre offenbaren den komplexen Sinngehalt der Behauptung, daß »im Erfassen ein Bewußtseinsinhalt (das Bild des Gegenstandes) entsteht" 70 . Der Erkenntnisakt ist ein rezeptiver und zugleich ein spontaner Akt. Das Subjekt rezipiert ein Bild des intendierten Gegenstandes, um gleichzeitig dieses aufgenommene Bild sua sponte nachzubilden. In einem synthetischen Akt wird ein Erkenntnisgebilde vom ansichseienden Gegenstand zugleich empfangen und geschaffen. Dem doppelten Sinngehalt von Erfassen entspricht also eine doppelte Funktion des Erkenntnisaktes: 36. Kap. d) S. 295.

65

Metaph.,

66

Vgl. Anm. 38 dieses Kapitels.

67

vgl. Anm. 65 dieses Kapitels.

68

HARTMANN, Philosophie der Ontologie, S. 172.

ββ

Vgl. Anm. 35 dieses Kapitels.

70

Vgl. Anm. 48 dieses Kapitels.

der Natur, 2. Kap. a) S. 51; vgl. Die Erkenntnis

im

Lichte

87

Erkenntnis und Wahrheit

a) Empfangen des ansidiseienden Objektes, b) NachschafFen des zunächst Empfangenen. Dem entspricht die apriorische Erkenntnismethode als einer synthetischen Methode aus rezeptiv unsinnlichem Anschauen und spontan logischem Verarbeiten des Angeschauten. Wenn Hartmann seiner Erkenntnistheorie die Behauptung zugrunde legt — »Erkennen . . . i s t . . . Erfassen" 71 — so ist diese Ausgangsthese mit der Aussage „Erkenntnis . . . ist . . . nachbildende Repräsentation" 72 identisch. Die zweite Formulierung setzt für Hartmann den rezeptiven Akt des Subjekts schon voraus, da die Bildung der Repräsentation eine Nachbildung ist. Der spontane Akt der Nachbildung ist seinerseits mit durch den Terminus ,Erfassen' charakterisiert, insofern die Spontaneität des erkennenden Bewußtseins für Hartmann durchaus Transzendenzbezug besitzt, insofern ihrem Schaffen einerseits ein ansichseiender Gegenstand vorgegeben ist und andererseits Erkenntniskategorien mit möglicher transzendenter Geltung die Bedingungen ihrer Möglichkeit darstellen, so daß sie ein Erkenntnisgebilde eines ansichseienden Gegenstandes aufzubauen vermag. Wir fassen die Rolle der Spontaneität des erkennenden Bewußtseins beim apriorischen Erkenntnisakt noch einmal zusammen. Dem Subjekt wird in primärer und sekundärer Weise ein Gegebenes zuteil: einerseits die aller Erkenntnis vorgegebene Welt der ansichseienden Wesensstrukturen, der gegenüber sich das Bewußtsein im apriorisdien Akt des Erfassens aufnehmend oder rezeptiv verhält, andererseits der bei Empfangseinsteilung in das Bewußtsein eingegangene Inhalt, den das Subjekt bildet in der Intention des Nachbildens. Die Spontaneität des Subjekts beim Aufbau des apriorischen Erkenntnisgebildes ist von Hartmann also gedacht als eine Nachbildung. Diese Nachbildung soll eine objektive sein, d. h. sie muß als eine Bildung nach dem Seienden selbst geschehen und kann bei der apriorischen Erkenntnis vom Subjekt gemäß seinen Kategorien geleistet werden. „Das apriorische Element der Erkenntnis beruht auf gewissen allgemeinen Prinzipien, welche das Subjekt mitbringt und in seiner Verarbeitung des Gegebenen einsetzt"73. Der empfangene Bewußtseinsinhalt bedarf einer kategorialen Verarbeitung durch das Subjekt, um Bewußtseinsinhalt mit Erkenntniswert a priori oder um apriorisches Erkenntnisgebilde von ansichseienden Gegebenheiten zu werden; denn Erkenntnis a priori gibt es eben nur „genau in dem Maße, als das Subjekt auf Grund seiner Kategorien innerlich imstande ist", sich das Seiende „,zu objizieren'" 74 . 71 72 73 74

88

Vgl. Anm. 16 dieses Kapitels. Metaph., 36. Kap. d) S. 295. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S . H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, Einleitung,

145. S. 17.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

Es mag zunächst dahingestellt bleiben, ob dem Phänomen, das Nicolai Hartmann als apriorische Erkenntnis beschreibt, diese Bezeichnung überhaupt zusteht. Jedenfalls ist es bei ihm nicht bloßes Entgegennehmen von Seiten des Subjekts, sondern schließt ein nicht nur tätiges, sondern inhaltlich formendes Tätigsein des Subjekts ein. Es stellt sich deshalb die Frage, ob dieser Gedanke von der spontan nachbildenden Funktion der Bewußtseinskategorien ein realistisches Moment im Gesamtzusammenhang der Hartmannschen Theorie der apriorischen Erkenntnis ausmacht oder ob hier der Durchbruch eines transzendentalphilosophisch idealistischen Faktors vorliegt. Müssen wir der Meinung Kuhaupts zustimmen, daß das Bemühen Hartmanns, das Sosein eines real Ansichseienden »zu erfassen, . . . in den Kategorien des Subjekts, in bloßen Repräsentationen gefangen" 75 bleibt, d. h. daß die von Hartmann geforderte apriorische Erkenntnis aus lediglieli innersubjektiven Gebilden besteht und daß bei Hartmann nur „genau der Kantische ,Realismus"" 6 erhalten bleibt? Bei der apriorischen Erkenntnis geschieht die Verarbeitung bzw. erfassende Nachbildung des Erkenntnisinhaltes durch die spontane Bestimmung durch Erkenntniskategorien. Wird damit der eigentliche Erkenntnisakt bei Hartmann genau wie bei Kant zu einer Leistung des Subjekts im Sinne eines konstituierenden Aktes? Auch Kant kennt eine Rezeptivität beim Erkenntnisakt, ein Erfassen im Sinne von Aufnehmen oder Empfangen. Es handelt sich um die Fähigkeit durch Affektion der Sinne einen Gegenstand als gegeben zu empfangen. Der Effekt wird von Kant Empfindung genannt77. Hartmann bezeichnet die Wirkung des Empfangenen als „das Wissen um den Gegenstand" 78 . Ein Unterschied zwischen Kant und Hartmann liegt darin, daß Kant diese Rezeptivität lediglich für die Sinnlichkeit gelten läßt, während sie für Hartmann auch das fundamentum eines Aktes bildet, der sich auf überempirische Strukturen richtet und der Sinnlichkeit erst als Rücksicherung bedarf. Der Vergleich mit Kant macht jedenfalls zunächst deutlich, daß Hartmanns Ansicht, „alles ,Empfangen' involviert den Realismus"79 nicht ohne weiteres für eine Erkenntnistheorie zutrifft. Die Alternative Realismus — Idealismus wird offenbar erst jenseits des empfangenden Aktes bedeutsam; denn alles schlechthin Empfangene, „das Wissen um den Ge75

KUHAUPT,

76

ebd. S. 66. Vgl. KANT, Kritik der reinen Vernunft, A 19; Β 33 f. H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. d) S. 161. Metaph., 7. Kap. c) S. 82.

77 78

79

Das Problem des erkenntnistheoretischen manns Metaphysik der Erkenntnis, S. 69.

Realismus

in Nicolai

Hart-

89

Erkenntnis und Wahrheit

genstand"80 oder Kantisch gesprochen — die „Empfindung" 81 ist noch nicht Erkenntnis, sondern lediglich die materiale Bedingung der Möglichkeit aller Erkenntnis. Erst die Lösung der Frage, auf welche Weise das Empfangene 2um Erkannten wird, entscheidet über Realismus oder Idealismus einer Theorie der Erkenntnis. Insofern war denn auch die Hartmannsche Auffassung von der Verarbeitung des Erkenntnisinhaltes entscheidend für die Abweisung der Ansicht Kuhaupts, daß der Hartmannsche Erkenntnisbegriff mit dem Kantischen übereinstimmt82. Die These Kuhaupts, daß bei Hartmann „genau der Kantische ,Realismust"S3 vorliegt und der „Repräsentationsbegriff . . . einen noetischen Idealismus zum Gefolge" 84 hat, dürfte mit unseren obigen Ausführungen zur Repräsentationstheorie Hartmanns gleichzeitig als von Hartmann nicht beabsichtigt aud auch nicht vertreten erwiesen sein. Dennoch gehen wir nochmals näher auf die Hartmannsche Repräsentationstheorie und ihre Subjektgebundenheit ein und halten eine Auseinandersetzung mit den Einwänden Söhngens für wesentlich. Offenbar hält Söhngen — und mit ihm sein Gefolgsmann Kuhaupt — alle inhaltlich formende Tätigkeit des Subjekts für Kantianismus und übersieht, daß bei Hartmann die Spontaneität des Subjekts durchaus Komponente eines erfassenden Aktes ist und keine konstitutive Selbsttätigkeit des Subjekts. Bei Hartmann stellt das Subjekt nicht wie bei Kant das punctum saliens der Erkenntnisrelation dar, sondern der Schwerpunkt liegt im ansichseienden Objekt. Dennoch bleibt das Subjekt für das Bilden des Erkenntnisinhaltes bestimmend, aber in diesem Bilden erfaßt es den ansichseienden Gegenstand wie er ihm auf Grund seiner mit Seinsprinzipien identischen Kategorien und des gleichzeitig rezipierten Schemas erscheint. Diese Subjektgebundenheit der Hartmannschen Erkenntnistheorie läßt sich noch eingehender aufzeigen und verdeutlichen. Wir haben bei der Behandlung der ontischen Bedingung apriorischer Erkenntnis gesehen, daß Hartmann zwischen Erkenntnis und Urteil trennt, daß die Erkenntnis dem Urteil als einer logischen Funktion immer schon vorausliegt. Nun ist es aber so, daß ein großer Teil aller Einsichten, vor allem die wissenschaftlichen, die „nachfolgende Formprägung des Erkannten" 85 , d. h. die logische Fassung in Urteile, erfährt. In dem erst 1949 entstandenen Aufsatz Hartmanns „Die Erkenntnis im Lichte 80 81 82 83 84

85

90

Vgl. Anm. 78 dieses Kapitels. KANT, Kritik der reinen Vernunft, A 20; Β 34. Vgl. S. 87 dieses Kapitels. Vgl. Anm. 76 dieses Kapitels. K U H A U P T , Das Problem des erkenntnistheoretischen manns Metaphysik der Erkenntnis, S. 107 f. HARTMANN,

Das Problem des Apriorismus

Realismus

in Nicolai

in der Platonischen Philosophie,

HartS. 4.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

der Ontologie" wird der „Aufbau des Erkenntnisgebildes"86 und die Formung der Einsichten in Urteilen als „das transzendentale Problem" 87 vorgestellt, das „vom ontologischen nicht verdunkelt oder auch nur zurückgeschoben, sondern im ganzen Umfange aufgegriffen und der Lösung zugeführt" 88 wird. Dabei wird zunächst der Begriff .Erkenntnisgebilde' weitergefaßt. Er meint nicht nur das unmittelbar beim Erkenntnisakt Erfaßte 89 , sondern auch das in die logische Form des Begriffs und des Urteils eingegangene Erkannte. Der in Form einer Theorie sich darbietende Gesamtaspekt der Welt ist Erkenntnisgebilde90, und folglich ist das Subjekt an seinem Aufbau spontan beteiligt. Die Beteiligung des Subjekts an „der Synthese des Bildes"91 ist demnach eine zweifache. Zunächst werden beim Erkenntnisakt die ansichseienden Gegenständlichkeiten vom Subjekt rezipiert und gleichzeitig durch seine Kategorien spontan determiniert. Dann werden die entstandenen Erkenntnisgebilde bzw. die apriorischen Sacheinsichten durch spontan subjektive Verstandessynthesis noch weiter verarbeitet, d. h. sie werden zu einem Gesamtaspekt von einer real ansichseienden Welt zusammengefügt. Hartmann bringt nunmehr die hinsichtlich des Erkenntnisaktes, des Urteilsaktes und der Theoriebildung gemeinte Spontaneität beim Aufbau des Erkenntnisgebildes in direkten Zusammenhang mit derjenigen Kants. „Diese letztere Spontaneität ist es, von der Kant gesprochen hat: in ihr werden die Synthesen des Verstandes vollzogen, die Urteile gefällt, die Begriffe und ganze Theorien aufgebaut" 92 . Erkenntnisakt und Urteilsakt wird also bei Hartmann wie bei Kant als eine vom Subjekt geleistete spontane Synthesis gedeutet93. Dadurch, daß die apriorischen Sacheinsichten von real ansichseienden Gegenständen im Erkenntnisakt, in Urteilsform und Theoriebildung zu einem Gesamtbild der in der realen Welt waltenden Relationen vom Subjekt gestaltet werden, „kommt die Kantische ,Synthesis' und alle an sie knüpfende Deutung der inhaltlich aufbauenden Bewußtseinstätigkeit zu ihrem vollen Recht"94. Dieses spon86

87 88 89 90

91 92

83

94

Die Erkenntnis im Liebte der Ontologie, S . 1 3 2 . ebd. S. 131. ebd. S. 131. Erfassen ist hier in seinem doppelten Sinngehalt gemeint. Vgl. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S . 1 5 5 : „ . . . audi das Gesamtbild ist und bleibt Erkenntnisgebilde im Bewußtsein." H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 23. Kap. d) S. 161. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S . 1 3 2 . Wir wollen die Frage, ob und inwieweit die von Hartmann in seinen früheren Arbeiten vorgenommene Trennung zwischen Erkenntnis und Urteil hier aufgehoben ist, in dieser Arbeit auf sich beruhen lassen. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Liebte der Ontologie, S . 1 3 1 . HARTMANN,

91

Erkenntnis und Wahrheit

tane Bilden von Repräsentationen, Urteilen und Theorien gesdiieht auf Grund der Erkenntnisprinzipien. „Alles .geistige Bilden' und ,Umbilden' im Bereich der Vorstellung ist Sache der Synthesen, die auf Grund eines Apriori vollzogen werden, während das Gegebene für diese nur eine Ausgangsebene bildet" 95 . Die real ansidiseiende Welt, die Hartmann im Sinne eines natürlichen Realismus als das .Gegebene' annimmt, stellt „nur eine Ausgangsebene"96 dar, während „der ganze Bildungsprozeß im Bewußtsein spielt"97. Der Gesamtaspekt der real ansichseienden Welt ist folglich eine Repräsentationswelt, eine Welt, wie sie sich das Subjekt auf Grund seiner Kategorien bildet. Neben die real ansichseiende Welt tritt auf diese Weise eine Welt, die sich „nach dem Subjekt und seinen Auffassungen" 98 richtet. Das Erkenntnisgebilde oder „die Vorstellung des Gegenstandes, der Begriff, die Theorie wird vom Subjekt geleistet, vollzogen, und in diesem Vollzuge kommen die Synthesen zustande, die schließlich das Gesamtbild ergeben"99. Zwischen Subjekt und ansichseiende Gegenstandswelt tritt bei Hartmann eine vom Subjekt selbst gestaltete und von der ansichseienden Welt abweichende Repräsentationswelt 100 , aber diese Repräsentationswelt ist nicht eine bloße Erscheinungswelt, sondern eine Welt, die die ansidiseiende Gegenstandswelt approximativ darstellt, da die subjektiven Prinzipien, die die Synthesen vollziehen, nach Hartmann gemäß der kategorialen Grundrelation Gültigkeit für eine vorgegebene Welt besitzen. Den Vorwurf Kuhaupts, daß das Subjekt in seinen eigenen Kategorien, „in bloßen Repräsentationen gefangen"101 bleibt, kann Hartmann also zurückweisen, da er den Subjektprinzipien Erkenntniswert für ein Ansichseiendes zuspricht. Allerdings hängt die Gültigkeit der Subjektkategorien — wie wir gesehen haben — an einer zweifelhaften Voraussetzung. Unsere Erörterungen zeigen, daß die apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenstände keineswegs das reale Sosein in seinem Ansichsein zu fassen vermag, sondern daß dasselbe lediglich in seiner typischen Zugehörigkeit zum idealen Sein und dann wiederum in der Weise wie es durch das Medium subjektiver Kategorien zugänglich ist, in den 85

ebd. S. 145.

M

Vgl. Anm. 95 dieses Kapitels.

97

HARTMANN, Die Erkenntnis

98

ebd. S. 133.

99

ebd. S. 155.

im Lichte der Ontologie,

S. 132.

100 Yg] Metaph., 49. Kap. b) S. 372: „Die Erkenntniskategorien bringen am Erkenntnisgebilde dodi nidit genau dieselben Bestimmtheiten hervor wie die Seinskategorien am Seienden, sondern gerade sehr wesentlich abweichende, unvollständige, ungenaue, kurz solche, die es auch qualitativ v o m Seienden unterscheiden." 101

92

Vgl. Anm. 75 dieses Kapitels.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

Blick kommt. Zwischen das transzendent reale Sosein und das Subjekt tritt somit ein Erkenntnisgebilde als »notwendiger Wesensbestandteil der Erkenntnisrelation" 102 . Söhngen weist — indem er den Gegensatz der Hartmannschen Bildoder Repräsentationsthese zur scholastischen Repräsentationstheorie darzulegen sucht — darauf hin, daß für die Hartmannsche Repräsentationsthese »die Wörter ,notwendig' und ,wesentlich' die entscheidende Bedeutung haben"103, d. h. daß die Repräsentation „notwendig zum Wesen der Erkenntnis als solcher (d. h. als Erfassung) gehöre, daß sie das Wesen der Erkenntnis ausmache"104, »während die Thomisten die Kennzeichnung des .Wesentlichen' an der Erkenntnis durch Repräsentation ablehnen"105. Nach Ansicht Söhngens ist es jedoch nicht möglich, daß das Bild als »notwendiger Wesensbestandteil der Erkenntnisrelation" 106 angesehen wird, da es „rein als Bild . . . überhaupt nicht das Erfassen, welches aber das innerste Wesen der Erkenntnis ausmacht"107 leistet. Söhngen scheint somit den Unterschied zwischen der Hartmannschen und der AristotelischThomistischen Repräsentationstheorie darin zu sehen, daß für Hartman der Erkenntnisinhalt medium quod ist, während er für AristotelesThomas ein medium quo darstellt. Aber läßt sich der Unterschied wirklich so fassen? Es dürfte durch unsere Ausführungen vielmehr deutlich geworden sein, daß Hartmann durchaus die Meinung vertritt, daß das Erkenntnisgebilde Wesenszüge eines Ansichseienden wiederzugeben vermag, und das nur, weil „Erkenntnis . . . ihrem Wesen nach ein aufnehmender' Akt"108 ist, d. h. weil sie sich gegenüber dem ansichseienden Objekt rezeptiv verhält. Aber Hartmann bezeichnet das Erkenntnisgebilde ebenfalls als „Wesensbestandteil der Erkenntnisrelation" 109 , weil durch den Aufbau des Bildes der Akt des Erfassens des ansichseienden Objekts gerade erst vollendet und zugleich der aller Erkenntnis notwendig zugehörige subjektive Bestandteil erklärt wird. Das heißt aber: das Erkenntnisgebilde „ist nur ein Medium der Gegenstandserfassung"110, oder anders ausgedrückt, das Erkenntnisgebilde ist Medium durch das der objektive Sachverhalt in die Form des erkennenden Bewußtseins eingeht. 102

Vgl. Anm. 3 dieses Kapitels. S Ö H N G E N , Sein und Gegenstand, S . 6 5 . 104 ebd. S. 66. 105 ebd. S. 66. ιοβ Vgl Anm. 3 dieses Kapitels. 10T S Ö H N G E N , Sein und Gegenstand, S . 1 3 2 . 108 H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S . 1 3 2 . loo Vgl. Anm. 3 dieses Kapitels. 110 H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 42. Kap. c) S. 271. 103

93

Erkenntnis und Wahrheit

Wenn Söhngen feststellt, „Erkennen ist wesentlich kein Erzeugen eines gegenstandsähnlichen Bildes, sondern ein den Gegenstand erfassender Akt"111, so behauptet Hartmann, daß Erkennen wesentlich beides ist: Gegenstandserfassung und Erzeugung eines gegenstandsähnlichen Bildes, wobei dieses Erzeugen — das bei Hartmann zugleich Erfassen und Hervorbringen bedeutet — immer schon an einen zugleich rezipierten Erkenntnisinhalt gebunden ist und auf Grund der Identität von Seins- und Erkenntnisprinzipien geschieht, aber zugleich dem Subjekt und seiner freien Auswahl der Verstandeskategorien untersteht. Wird nun durch diese Subjektbestimmtheit der Hartmannschen Erkenntnistheorie ihre realistische Tendenz wieder aufgehoben? Vertritt die Hartmannsche Erkenntnistheorie mit der These einer subjektiven Verarbeitung des Erkenntnisinhaltes einen erkenntnistheoretischen Realismus? Kuhaupt ist der Ansicht, daß der Hartmannsche Realismus sich auf „die Behauptung vom Dasein ansichseiender Objekte, ohne daß uns aber ihr Sosein . . . zugänglich wäre"112, beschränkt und folgert: „es ist also genau der Kantische ,Realismus"'113. Dazu ist grundsätzlich zu sagen, daß dasjenige, was man als Kantischen Realismus bezeichnen müßte, mit der formelhaften Vereinfachung Kuhaupts gar nicht erfaßt wird. Wo ein Ansichseiendes als vorhanden angenommen, dem Erkenntnisinhalt aber subjektive Prägung zugesprochen wird, liegt noch nicht ohne weiteres ein Kantischer Realismus vor, sondern kann noch wesentlich von letzterem abweichende Züge aufweisen. Wir braudien als Beispiel nur auf die Position des Nominalismus hinzuweisen, wo eine Welt von ansichseienden Gegenständlichkeiten angenommen wird, der Erkenntnisinhalt eine Leistung des Subjekts darstellt, wo aber dennoch nicht von einem Realismus im Sinne Kants gesprochen werden kann. Kuhaupt operiert mit einem Schlagwort das weder Kant noch Hartmann gerecht wird. Außerdem wird von Kuhaupt übersehen, daß Hartmann trotz der Subjektbestimmtheit seiner Erkenntnistheorie die Folgerung Kants, nach der das Wesen der Dinge an sich für den menschlichen Verstand jeglicher Einsicht entzogen ist, nicht zieht114, sondern — wie wir deutlich zu machen suchten — den Anspruch der Möglichkeit der approximativen Erkenntnis a priori des Ansidiseins stellt. Ausgeschlossen von einer möglichen Erkenntnis überhaupt bleibt allein das reale Sosein. Nach M SÖHNCEN, Sein und Gegenstand, S. 205. KUHAUPT, Das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus in Nicolai Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis, S. 66. 113 ebd. S. 66. 114 Diese Tatsache wird von JOSEPH GEYSER richtig gesehen. Vgl. Philosophisches Jahr-

112

buch 49 (1936) S. 463.

94

Das apriorisdie Erkenntnisgebilde

Hartmann bleibt in aller Erkenntnis »ein Realitätskern zurück"115, den die „kategoriale Uberformung durch die Auffassungsart des Subjekts"118 nicht betrifft. Der Hartmannsche Realismus läßt sich also offenbar nicht auf „die Behauptung vom Dasein ansichseiender Objekte" 1 " beschränken, vielmehr muß die Repräsentationstheorie Hartmanns als mit seiner realistischen Grundtendenz durchaus vereinbar bezeichnet werden. Im ersten Abschnitt des ersten Kapitels unserer Arbeit haben wir herausgestellt, daß Hartmann von einer realistischen Tendenz seiner Erkenntnistheorie spricht, daß er in der »Grundlegung zur Ontologie" bei der Interpretation von ontologischem und gnoseologischem Ansichsein einen Punkt sieht, wo die theoretische Deutung die Entscheidung für den Realismus fordert, daß er aber andererseits die Festlegung der gesamten erkenntnistheoretischen Position aus der Sachproblematik selbst gewinnen möchte. Rückblickend wird für uns wesentlich, daß Hartmann außerdem betont, daß sein Erkenntnisontologismus bereit ist, seine realistischen Elemente »mit einem ebenso gewichtigen idealistischen"118 zu verbinden, falls »sich ein zwingender Grund dafür einstellt"119. Dieser zwingende Grund hat sich für Hartmann bei der Behandlung des Problems der Entstehung des Erkenntnisgebildes ergeben. Das transzendentale Problem scheint sein Redit zu fordern. Wir zitieren die dafür ausschlaggebende Textstelle: „Wie aber steht es mit dem ,geistigen Bilden', mit der ,Synthesis', die der Verstand vollzieht, und mit dem .Umbilden' eines gegebenen Mannigfaltigen der Sinne? Auch in diesen Begriffen steckt etwas richtig Gesehenes, ein Teilbestand des Erkenntnisphänomens, der nicht bestritten werden kann. Nur daß in diesem Falle das Phänomen für die idealistischen Theorien zu sprechen scheint. Was also fängt die ontologische Auffassung damit an? Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier versage nun die ontologische Sehweise. Und doch ist es gerade umgekehrt, erst hier kommt die Kantische ,Synthesis' und alle an sie knüpfende Deutung der inhaltlich aufbauenden Bewußtseinstätigkeit zu ihrem vollen Redit. Das transzendentale' Problem der Erkenntnis wird vom ontologischen nicht verdunkelt oder auch nur zurückgeschoben, sondern im ganzen Umfange aufgegriffen und der Lösung zugeführt" 120 . 115 119 117 118 110 120

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, ebd. 35. Kap. b) S. 223. Vgl. Anm. 112 dieses Kapitels. Metapb., 25. Kap. e) S. 199. ebd. 25. Kap. e) S. 199.

35. Kap. b) S. 223.

HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 131; vgl. Metapb., 25. Kap. b) S. 196: „ . . . behält man vom Begriff des transzendentalen Idealismus' nur das Moment des .Transzendentalen' ohne das der ,Idealität' bei, so steht man mitten in der kritisdien Ontologie, deren Bedingungen der Möglichkeit von den Kantisdien lediglich durch ihren Seinscharakter unterschieden sind."

95

Erkenntnis und Wahrheit

Hartmann nimmt also ganz bewußt einen idealistischen Faktor in seine Erkenntnistheorie auf. Die realistische Tendenz ist zwar diejenige, die „am tiefsten greift" 121 , insofern sie mit der natürlichen Tendenz' identisdi ist, die die zu erkennende Welt als eine immer schon vorgegebene ansieht, aber sie reicht nach Hartmann nicht aus, um das Erkenntnisphänomen zu erklären; sie ist „durchaus nur ein vorgefundener Ausgangspunkt, dessen Auffassung nicht weiter bindend sein kann, als sie sachlich zureichend ist"122. Das realistische Moment muß sich „mit einem ebenso gewichtigen idealistischen vereinigen"123, um der Erkenntnisproblematik gerecht zu werden. Hartmann hat also erkannt, daß die Kantische These von der subjektiven Prägung aller Erkenntnisinhalte, auch von einer Erkenntnistheorie, deren Grundkonzeption eine realistische ist, akzeptiert werden muß. Obgleich das Schwergewicht innerhalb der Erkenntnisrelation dem Objekt zugesprochen wird, kommt dem Subjekt die Funktion des inhaltlich formenden Tätigseins beim Erkenntnisprozeß zu. Wenn also Hartmann einerseits behauptet, daß „das Erkenntnisgebilde . . . .objektiv' ist, „sofern es die Züge des Objekts trägt" 124 und andererseits darlegt, daß das Subjekt „am Aufbau des Bildes . . . schaffend beteiligt"125 ist, so zeigen unsere Ausführungen, daß diese Aussagen keineswegs — wie Arnulf Molitor meint — miteinander in Widerspruch stehen126. Hartmann anerkennt vielmehr — und das mit Redit — die Subjektgebundenheit alles Erkennens, und der Terminus ,objektiv' wird von ihm bezüglich des Erkenntnisgebildes niemals in absolutem Sinne benutzt. Hartmann ist nicht mit dem naiven Realismus der M e i n u n g . . . , das Reale wäre auch inhaltlich (dem Sosein nach) genau so beschaffen, wie die Wahrnehmung es zeigt"127. „Die Auffassungsart des Subjekts"128 leistet vielmehr durch seine kategoriale Kapazität eine „inhaltliche Überformung" 126 . Wenn wir uns an die Frage rückerinnern, die wir im Zusammenhang mit der Behandlung der subjektiven Bedingungen der apriorischen Erkeineswegs — wie Arnulf Molitor meint — miteinander in Widerspruch kenntnis stellten, ob nämlich Hartmann mit der Annahme von Erkenntnisprinzipien lediglich der von Kant inaugurierten Tradition folge130, 121 122 123 124 125 128 127

128 128 130

96

Metaph., 25. Kap. d) S. 198. ebd. 25. Kap. e) S. 199. ebd. 25. Kap. d) S. 199. ebd. 5. Kap. c) 5. S. 48. ebd. 5. Kap. c) 6. S. 48. M O L I T O R , Bemerkungen zum Realismusproblem bei Nicolai Hartmann, H A R T M A N N , Zur Grundlegung der Ontologie, 3 5 . Kap. b) S. 223. ebd. 35. Kap. b) S.223. ebd. 35. Kap. b) S.223. Vgl. Kap. I, 4 dieser Arbeit.

S. 602.

Das apriorische Erkenntnisgebilde

so ist jetzt deutlich geworden, daß ihr Vorhandensein aus der Analyse des Erkenntnisphänomens erwächst, um den subjektiven Einschlag in aller Erkenntnis zu erklären. Ob deswegen für eine realistische Erkenntnistheorie auch geboten ist, die Intersubjektivität der Erkenntnis von den Subjektkategorien abhängig zu machen, bleibt fraglich. Günter Jacoby schreibt in einem Aufsatz über „Subjektfreie Objektivität" 131 , daß Hartmann, „obwohl theoretisch subjektfrei objektiv gerichtet, praktisch subjektgebunden"132 arbeite. Hier zeigt sich, daß Hartmann für den Erkenntnisakt überhaupt keine Subjektfreiheit postuliert, daß er die subjektfreie Einstellung lediglich gegenüber dem ansichseienden Objekt fordert. Alle Erkenntnis ist für Hartmann — um in den Begriffen Jacobys zu sprechen — „subjektgebunden objektiv" 133 . Eine „subjektfrei objektiv" 134 gerichtete Erklärung des Erkenntnisvorganges, die Jacoby zwar für noch nicht geleistet, aber doch für möglich erachtet, dürfte dem Erkenntnisphänomen kaum gerecht werden. Es wird jetzt deutlich, daß Kuhaupt Hartmann nicht gerecht wird, wenn er die Textstelle aus der „Grundlegung zur Ontologie" 135 als ein Bekenntnis Hartmanns zum Realismus hinnimmt138, unter Realismus aber den Aristotelisch-Thomistischen Typus einer Erkenntnislehre versteht, um Hartmann dann im Laufe seiner Untersuchung den Vorwurf zu machen, daß er mit seiner Repräsentationslehre „seine realistische Intention zum Scheitern"137 bringe. Was Hartmann vielmehr beabsichtigt, ist eine Lösung der erkenntnistheoretischen Problematik, wie sie •von den Erkenntnisphänomenen selbst gefordert ist, und diese liegt für Hartmann in einer Synthese, in der der Gegensatz Idealismus — Realismus aufgehoben ist138. Hartmann glaubt diese Synthese durch seinen Erkenntnisontologismus geleistet zu haben. 131

In: Zeitschrift

132

ebd. S. 220.

133

ebd. S. 221: „Subjektgebunden objektiv heißt: Zentrum ist zwar die erfaßte Sache, aber nur so, wie wir sie erfassen, abhängig von Bewußtseinsbedingungen in der Subjekt-Objekt-Relation."

134

ebd. S. 221.

135

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 22. Kap. a) S. 152: „Mit der Frage nach dem Ansichsein wird in dieser Alternative die Entscheidung herausgefordert. Nach dem Voraufgegangenen ist es nicht schwer zu sehen, daß sie für den Realismus ausfallen muß." Vgl. auch Kap. 1,1 dieser Arbeit.

138

KUHAUPT, Das Problem des erkenntnistheoretischen manns Metaphysik der Erkenntnis, S. 8.

137

ebd. S. 95.

138

Vgl. Metaph., 25. Kap. c) S. 197: Hartmann intendiert „die . . . Einheit von Idealismus und Realismus, in welcher die großen standpunktlichen Gegensätze koinzidieren." 7

Wirtb

f . Philos. Forsch. 9 (1955) S. 219—228.

Realismus

in Nicolai

Hart-

97

Erkenntnis und Wahrheit

Daher wird auch verständlich, daß Hartmann, als er im erwähnten Zitat139 hinsichtlich der Interpretation von ontologischen und gnoseologischem Ansichsein eine Entscheidung für notwendig erklärt, sogleich darauf hinweist, »daß der Ausdruck ,Realismus' keineswegs wirklich zupaßt auf die Position der Ontologie; wie denn audi keiner der hergebrachten Typen realistischer Systematik sich mit ihr deckt"140. Die scharfe Kritik Hartmanns am Idealismus der Marburger Schule darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hartmann selbst durchaus dem Idealismus bewußt verbunden bleibt. So hat Joseph Geyser durchaus richtig geurteilt, wenn er einerseits vom Realismus Hartmanns spricht141, andererseits aber feststellt, daß die Hartmannschen Anschauungen „in die Richtung des Phänomenalismus und Idealismus, nicht aber des Realismus"142 weisen. Der Hartmannschen Repräsentationstheorie kommt das Verdienst zu, daß sie den Versuch unternommen hat, die Kluft zwischen Objektivismus und Subjektivismus, die im Laufe des philosophischen Bemühens um das Erkentnisproblem aufgebrochen ist, zu überwinden. Allerdings handelt es sich um einen Versuch, der in sich selbst fragwürdig ist. Hartmann glaubt, die Synthese von Realismus (unter Ausschluß der Adäquationsthese) und einer Repräsentationslehre, die das Moment der Subjektivität einschließt, durch die kategoriale Grundrelation rechtfertigen zu können. Dem Erkenntnisgebilde wird trotz subjektiver Überformung auf Grund der Identitätsmomente von Erkenntnisprinzipien und Seinsprinzipien objektive Gültigkeit für ansichseiende Sachverhalte zugesprochen. Da aber die kategoriale Identität, auf die Hartmann sich beruft, in keiner Weise bewiesen ist und audi schwerlich beweisbar sein dürfte, klafft in der Hartmannschen Erkenntnislehre ein Hiatus zwischen einer dem Erkennen vorgegebenen Welt und einer die Subjektgebundenheit aller Erkenntnis anerkennenden Repräsentationstheorie.

139 140 141 142

98

Vgl. Anm. 127 dieses Kapitels. HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 22. Kap. a) S. 152. Vgl. Anm. 11 Kap. I dieser Arbeit; vgl. auch Philos. Jahrb. 50 (1937) S. 54. Philos. Jahrbuch 49 (1936) S. 449.

III. Das Problem des Relativismus 1. Die Relativierung

der apriorischen Erkenntnis und ihre

Aufhebung

Unsere Erörterungen über das apriorische Erkenntnisgebilde haben hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns zu einem wesentlichen Ergebnis geführt. Trotz ihrer Subjektbestimmtheit erweist sich die Repräsentationstheorie Hartmanns als mit seiner realistischen Grundtendenz vereinbar. Im Erkenntnisakt werden vom Subjekt zunächst die Objektbestimmtheiten als der Erkenntnisintention vorgegeben empfangen und dann vom Subjekt selbst auf Grund seiner mit Seinsprinzipien identischen Kategorien nachgebildet. Durch den Akt des Erfassens, der zugleich rezeptiv und spontan ist, entsteht ein Erkenntnisgebilde, das die Idealstrukturen eines transzendent real Seienden approximativ vermittelt. Wir müssen nunmehr das von Hartmann als apriorische Erkenntnis bezeichnete Phänomen noch entschiedener zu fassen suchen, um zu sehen, inwieweit es Hartmann gelungen ist, innerhalb seines Erkenntnisontologismus ein Erkenntnisapriori aufrechtzuerhalten. Steht die Bezeichnung ,Erkenntnis a priori' dem von Hartmann beschriebenen Phänomen überhaupt zu? Wir stellten zu Anfang unserer Untersuchung bereits fest, daß Hartmann eine völlig andere Auffassung vom Wesen einer apriorischen Erkenntnis geltend macht als die Tradition sie von jeher vertrat. Für Hartmann steht das Inhaltsmoment einer Erkenntnis im Blick, und es handelt sich um eine Einsicht a priori, sobald dieses Inhaltsmoment ein ontisches Prius, d. h. Strukturelemente, von denen aus der intendierte Gegenstand begriffen werden kann, repräsentiert. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß Hartmann damit den eigentlich erkenntnistheoretischen Sinn des Apriori aufgibt und stellten für unsere weitere Untersuchung die Frage, auf welche Weise es Hartmann gelingen werde, den auf die ontologische Basis reduzierten Aprioritätsbegriff in erkenntnistheoretischer Bedeutung fruchtbar zu machen1. Es zeigte sich, daß das apriorische Erkenntnisgebilde ein synthetisches Gebilde darstellt, das aus rezipierten Objektgegebenheiten und aus spontan vom Subjekt geleisteten inhaltlichen Aufbauelementen komponiert ist. Der Erkenntniswert einer Repräsentation apriorischer Züge eines transzendent real Seienden ist nach Hartmann durch die These der doppelseitig partialen kategorialen Identität si citer gestellt. Da sich die Seins1

Vgl. Kap. I, 2, S. 26 dieser Arbeit.



99

Das Problem des Relativismus

kategorien in ihrem Ansichsein völlig indifferent gegenüber der Erkenntnisintention des Subjekts verhalten 2 , können wir einen letzten Aufschluß der Problematik der real apriorischen Sacheinsicht nur durch eine weitere Betrachtung der Erkenntniskategorien gewinnen. Daher wird die Frage nach der Entstehungsweise der Erkenntniskategorien im Bewußtsein aktuell. Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten, das Sein der Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein zu erklären: 1. die Kategorien werden vom Bewußtsein selbst erschaffen, 2. sie sind mit dem Bewußtsein angeboren, 3. sie kommen von außen in das Bewußtsein, 4. sie sind in potentia im Bewußtsein angelegt und treten bei Gelegenheit der Erfahrung in Funktion. Die erste Möglichkeit können wir sofort abtun, da Hartmann ausdrücklich betont, daß der „Verstand sie (gemeint sind die Erkenntniskategorien) nicht erst erschafft, sondern eben vorfindet" 3 . Diese Negation einer bewußtseinsimmanenten Erzeugung der Erkenntniskategorien verleitet Josef Junker sogleich zu der Behauptung, die Hartmannschen Erkenntnisprinzipien seien als mit dem Bewußtsein »angeboren"4 zu denken. Daß Junker hier ein Irrtum unterlaufen ist, dürfte selbst aus der „Metaphysik der Erkenntnis" deutlich werden, wo Hartmann zwar zu dieser Frage nicht direkt Stellung nimmt, wo er aber ein Angeborensein beispielsweise für die Raum-Zeit-Vorstellung und für die natürliche Realitätsthese ausdrücklich ablehnt 5 . Außerdem würde eine nativistische Deutung der Erkenntniskategorien die Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses ausschließen, der nach Hartmann — wie wir noch verdeutlichen werden — ja gerade von den sich wandelnden Erkenntniskategorien abhängt. Die entscheidende Textstelle hätte Junker in dem Aufsatz „Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie" finden können. Dort heißt es hinsichtlich der Erkenntniskategorien, daß „der Mensch... nicht mit ihnen geboren" wird; denn „sie sind keine ideae innatae" 6 . Da die erste und zweite Möglichkeit eindeutig fortfällt, stellt sich hinsichtlich der Entstehungsweise der Hartmannschen Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein nur noch die Alternative, daß diese Kategorien durch die Erfahrung selbst in das Erkenntnisvermögen des Subjekts ge2

Vgl. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 161: „Die letzteren (gemeint sind die Seinskategorien) liegen fest, sie bilden das invariante Gegenglied der Erkenntniskategorien."

3

Metaph.,

4

JUNKER, Nicolai

5

Vgl. Metaph.,

6

HARTMANN, Die Erkenntnis Natur, 8. Kap. b) S. 115.

100

49. Kap. e) S. 379. Hartmann

als Erkenntnistheoretiker,

S. 205.

14. Kap. b) S. 135 f. im Lichte der Ontologie,

S. 161; vgl. Philosophie

der

Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung

langen oder daß sie potentiell im Bewußtsein vorliegen und lediglich einer Aktivierung durch Erfahrung bedürfen. Zunächst scheint die dritte Möglichkeit, nach der die Erkenntnisprinzipien von außen in das Bewußtsein gelangen, der Auffassung Hartmanns zu entsprechen. Die Kategorien des Seienden müssen eine »Erhebung zu Erkenntniskategorien"' erfahren. Diese Erhebung einer Seinskategorie ins Bewußtsein vollzieht sich mit der Erfahrung. Die Erkenntniskategorien können „erst mit der Erfahrung sich im Bewußtsein entfalten" 8 . Sie müssen durch die immer wieder auf den ansichseienden Gegenstand gehende Erkenntnisintention und den aus dieser Intention ständig aufs neue resultierenden Erkenntnisakt, der dem Subjekt Erfahrungen zuteil werden läßt, „der Erkenntnis erst als Prinzipien erarbeitet" 9 werden. Das heißt aber, daß die Erkenntnisprinzipien nicht feststehen oder positiv mit den Worten Hartmanns ausgedrückt, daß es eine „kategoriale Entfaltung des menschlichen Weltbewußtseins" 10 gibt, also eine „fortschreitende Anpassung von Erkenntniskategorien an Seinskategorien" 11 . Die Erkenntnisprinzipien als das vom Subjekt benutzte Werkzeug zur Verarbeitung des Erkenntnisinhaltes zu einem apriorischen Erkenntnisgebilde müssen erst mit fortschreitender Erfahrung erschaffen, erfunden, verbessert und zurecht gefeilt werden 12 , und das geschieht unter Anleitung durch die Seinskategorien. Diese These Hartmanns, daß die Prinzipien des Seienden im Laufe der Erfahrung als Erkenntnisprinzipien ins Bewußtsein gelangen, braucht nicht, wie Junker meint, einen Widerspruch zu der These Hartmanns zu bedeuten, daß Erkenntnis von der Erkanntheit der Prinzipien unabhängig ist. Es ist nicht notwendig, die Erhebung einer Seinskategorie zu einer Erkennnistkategorie als einen Akt der Erkenntnis zu deuten13. Zu einer solchen Deutung der Entstehungsweise der Erkenntniskategorien durch einen Erkenntnisakt gibt Hartmann an keiner Stelle seiner Arbeiten Anlaß. Er betont vielmehr, daß es von der transzendenten „Anpassung der Erkenntniskategorien an die Seinskategorien" 14 „im allgemeinen gar kein direktes Bewußtsein" 15 gibt, daß sie sich nur „an gewissen Einzelfällen . . . ausnahmsweise aufzeigen" 18 läßt. Diese einzel7 8

9 10

11 12 13

14

Metaph., 49. K a p . e) S. 379. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 160. Metaph., 49. K a p . e) S. 379. HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, S. 39. Metaph., 49. K a p . e) S. 379. Vgl. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 160. Vgl. JUNKER, Nicolai Hartmann Metaph., 49. K a p . e) S. 378.

als Erkenntnistheoretiker,

S. 205.

1 5 ebd. 49. K a p . e) S. 379. »« ebd. 49. K a p . e) S. 379.

101

Das Problem des Relativismus

nen Fälle, an denen die Anpassung von Erkenntnisprinzipien an Seinsprinzipien sichtbar wird, müssen folglich näher betrachtet werden. Es muß sich erweisen, daß die »Erhebung' der Seinsprinzipien zu Erkenntniskategorien wirklich stattfindet und zugleich ein transzendierender Prozeß ist und nicht nur eine bloß bewußtseinsimmanente Aktivierung von bereits vorhandenen Bewußtseinsprinzipien darstellt. Wenn Hartmann von einer Entfaltung der Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein mit der Erfahrung spricht, so scheint er jedoch kein Einspringen der Seinsprinzipien in mentem zu meinen; denn er behauptet auch wiederum, daß die Erkenntniskategorien schon als Bedingungen der Möglichkeit eben dieser Erfahrung, mit der sie sich entfalten, fungieren; sie sind die „bereits als Erkenntniskategorien von jeher waltenden Wesensgesetze"". „So greifen" die Erkenntniskategorien der Erfahrung „doch auch wieder in rätselhafter Weise vor; denn die fortschreitende Erfahrung setzt sie schon voraus" 18 . Die Fragestellung nach der Entstehungsweise der Erkenntniskategorien im Bewußtsein führt uns also zunächst in ein Dilemma. Die Erkenntniskategorien sind einerseits auf eine Entfaltung im Bewußtsein mit der Erfahrung, d. h. unter Anleitung durch die Seinskategorien, angewiesen, andererseits liegen sie im Bewußtsein vor als Bedingung der Möglichkeit eben dieser Erfahrung, mit der sie sich erst an Seinskategorien anpassen müssen. Die Lösung dieser Aporie finden wir in den Äußerungen Hartmanns über die Entstehung der Anschauungskategorie des Raumes. Hartmann weist darauf hin, daß die philosophische Auseinandersetzung um die Bewußtseinsform des Raumes eine gänzlich „falsche Alternative" 19 aufgestellt habe, die mit den Begriffen Nativismus und Genetismus charakterisiert ist. In Wirklichkeit aber sei die Raumkategorie weder angeboren, noch „im Fortschreiten der Erfahrung allmählich"20 entstanden. „Es könnte vielmehr so sein, wie mit manchen anderen Erkenntniskategorien auch: es könnte ein apriorisches und in aller Erfahrung schon enthaltenes Element im Fortschreiten der Erfahrung erst nach und nach sich entfalten" 21 . Hartmann sucht also offenbar das Vorhandensein von Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein durch eine Synthese von nativistischer und genetischer Deutung zu erklären. Im Erkenntnisvermögen liegt immer schon ein kategoriales Element vor, das sich jedoch gerade dadurch, daß es dem Subjekt zu Sacheinsichten verhilft, selbst entwickelt und sich im 17 18 19

20 21

ebd. 49. Kap. e) S. 379. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lióte der Ontologie, H A R T M A N N , Philosophie der Natur, 8. Kap. b) S. 115. ebd. 8. Kap. b) S. 115. ebd. 8. Kap. b) S. 115.

102

S. 160.

Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung

Laufe einer Vielzahl von Erfahrungen der entsprechenden Realkategorie (bzw. Idealkategorie) immer stärker anzugleichen sucht. So verfügt das Bewußtsein beispielsweise a priori über Grundelemente der Anschauungsform des Raumes, d. h. eine ursprüngliche Anlage der räumlichen Auffassungsart des Subjekts „ist somit nicht von den Realgegenständen der Wahrnehmung, Vorstellung, Erfahrung hergenommen, sondern irgendwie vom Bewußtsein selbst aufgebracht" 22 . Andererseits ist auch das Moment der Entwicklung der Form der Raumanschauung anhand der Erfahrung deutlich aufweisbar. Im frühkindlichen Stadium fallen Sehraum und Tastraum noch keineswegs zusammen, sondern müssen erst durch Erfahrung zu einer einheitlichen Raumauffassung verschmelzen. Der Raumhorizont, der dem Anschauungs- und Vorstellungsraum zugehört „stuft sich . . . ab als der des Kindes, des Gereiften und des wissenschaftlich Sehenden"23. Es wird also hinsichtlich der Frage nach der Entstehungsweise der Anschauungskategorie des Raumes folgendes Ergebnis sichtbar: „Die kategoriale Form der Raumanschauung setzt sich im Bewußtsein allmählich durch und ist keineswegs mit einem Schlage da. Aber sie kann nicht den Sinnesdaten allein entnommen werden, denn sie ist in ihnen schon als Bedingung enthalten" 24 . Den doppelten Ursprung, den Hartmann für die Anschauungskategorie des Raumes aufweist, hat diese „mit manchen anderen Erkenntniskategorien" 25 gemeinsam. Es fragt sich also mit welchen und warum nicht mit allen. Wir lassen jedoch in dieser erkenntnistheoretisch interessierten Untersuchung diese Differenzierung, die Hartmann in der „Philosophie der Natur" vornimmt und die Frage nach ihren Gründen auf sich beruhen, da sie einen Exkurs in die ontologische Kategorialanalyse notwendig machen würde. Für die erkenntnistheoretische Untersuchung begnügen wir uns mit den Aussagen Hartmanns in dem Aufsatz „Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie", wo die Differenzierung unterblieben ist und es von den Erkenntnisprinzipien schlechthin heißt, daß „ s i e . . . erst mit der Erfahrung sich im Bewußtsein entfalten" 26 , daß aber andererseits »die fortschreitende E r f a h r u n g . . . sie schon"27 voraussetzt. ebd. 8. Kap. b) S. 115. Dieser Satz darf jedoch nicht, wie durch andere Äußerungen Hartmanns audi bereits deutlich wurde (vgl. Anm. 3 dieses Kapitels), als eine Selbstschöpfung der Erkenntnisprinzipien durch das Bewußtsein aufgefaßt werden. So wählt Hartmann an anderer Stelle den Terminus .mitbringen' anstatt .aufbringen'. Vgl. Die Erkenntnis im Lióte der Ontologie, S. 145. 23 24 25 28 27

ebd. 9. Kap. d) S. ebd. 8. Kap. b) S. ebd. 8. Kap. b) S. HARTMANN, Die ebd. S . 1 6 0 .

129. 116. 115. Erkenntnis im Lióte

der Ontologie, S. 160

103

Das Problem des Relativismus

Mit dieser Explikation der Seins- und Entstehungsweise der Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein sucht Hartmann zugleich dem apriorischen Element der Erkenntnis und auch ihrem Transzendenzbezug gerecht zu werden. „Das apriorische Element der Erkenntnis beruht auf gewissen allgemeinen Prinzipien, welche das Subjekt mitbringt" 28 . Die Erkenntniskategorien liegen als ein Apriori im Subjekt aller Erfahrung voraus, und insofern kann Hartmann beispielsweise hinsichtlich des Raumes als einer Bewußtseinskategorie den Kantischen Satz, daß „der Raum . . . kein empirischer Begriff" 29 sei, aufrechterhalten. Aber es tritt bei Hartmann ein zweites, von Kant abweichendes Moment hinzu. Die im Bewußtsein angelegte Bewußtseinskategorie ist kein statisches Prinzip, sondern trägt in sich die Tendenz einer Entfaltung, um sich der ihr entsprechenden Realkategorie (bzw. Idealkategorie) anzunähern und anzupassen. Beim Vollzug der Erkenntnissynthesen, d. h. mit der Erfahrung, geschieht eine Wandlung der Bewußtseinskategorie im Sinne einer „fortschreitenden A n p a s s u n g . . . an Seinskategorien" 30 . Durch die zweiseitige Deutung der Erkenntniskategorien — Apriorität einerseits und ,Erhebung' einer Seinskategorie in das Bewußtsein durch Erfahrung andererseits — ist zugleich der subjektive Einschlag im Erkenntnisgebilde als auch seine approximative Vermittlung von apriorischen Strukturen eines Ansichseienden bedingt. Die These der apriorischen Vorhandenheit aber gleichzeitigen Entfaltung der Bewußtseinskategorien unter Anleitung durch Seinskategorien ist also mit der Hartmannschen Anerkennung des inhaltlich formenden Tätigseins des Subjekts einerseits und mit der realistischen Grundthese von der Erkenntnis als einem Erfassen transzendenter Gegenstände andererseits durchaus vereinbar. Wenn zunächst die Anlage und Entfaltung einer Anschauungskategorie — nämlich der Raumvorstellung — verdeutlicht wurde, so müssen wir jetzt fragen, wie es mit den Verstandesprinzipien steht, ob sich in diesem Kategorienbereich an weiteren Beispielen eine ,Erhebung' von Seinskategorien zu Erkenntnisprinzipien aufzeigen läßt. Wenn Hartmann die Entwicklung der Raumkategorie mit der Erfahrung beispielsweise dadurch für erwiesen hält, daß der Mensch im frühkindlichen Stadium zu einem einheitlichen Raumaspekt erst durch Verarbeitung von Tast- und Sehvorgängen gelangt und nach und nach den Horizont der Raumform erweitert, so läßt sich ein Ähnliches, zwar nicht im Ablauf eines Lebensstadiums, wohl aber im Verlauf größerer Geschichtsepochen für einzelne Verstandeskategorien nachweisen. Der Wandel und die Entfaltung mit dem Ablauf des Geschichtsprozesses 28

ebd. S. 145.

29

HARTMANN, Philosophie Vernunft, A 2 3 ; Β 38.

30

Metaph.,

104

der Natur,

49. Kap. e) S. 379.

8. Kap. b) S. 116; vgl. KANT, Kritik

der

reinen

Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung

unterscheidet die Verstandesprinzipien von den Anschauungskategorien. „Die Anschauungsformen verändern sich nicht, unterliegen keinem geschichtlichen Wandel, können auch nicht durch irgendwelche anderen Formen ersetzt werden; oder anthropologisch gesprochen, sie sind uralte, schon im geistlosen Bewußtsein verwurzelte Sehweisen, sind schon in der Wahrnehmung enthalten (als deren Bedingungen) und funktionieren im Bewußtsein ganz unwillkürlich" 31 . In dieser Anerkennung der Geschichtlichkeit der Verstandeskategorien liegt der gegenüber Kant wesentlich fortschrittliche Gedanke Hartmanns. So wird der Prozeß einer laufenden Anpassung von Erkenntnisprinzipien an Seinskategorien „im Ringen der Wissenschaft um ihre obersten Grundbegriffe, Gesetze oder Prinzipien" 32 sichtbar. Der Unendlichkeitsbegriff der höheren Mathematik, der Substanz-, Funktions- und Kausalitätsbegriff wurden erst im Laufe der Geschichte menschlicher Erkenntnis zu kategorialer Bedeutsamkeit erhoben33. Es stellt sich daher die Aufgabe, die Äußerungen Hartmanns über die Entstehungsweise der Erkenntniskategorien wie sie sich geschichtlich darstellt zu verfolgen und zu beachten, ob wir dadurch hinsichtlich des Problems der apriorischen Erkenntnis zu einem weiteren Ergebnis gelangen. Der von Hartmann behauptete Prozeß der allmählichen Entfaltung der kategorialen Kapazität des Geistes vollzieht sich innerhalb einer geschichtlichen Welt, und jeder Mensch „übernimmt, bevor er mit eigener Denktätigkeit beginnt, die geschichtlich herrschenden Auffassungsformen seiner Zeit" 34 . Hartmann bezeichnet diese traditionell herrschenden und zeitlich sich wandelnden „Formen des welterfassenden Bewußtseins" 35 als Denkformen. Nun ist Hartmann der Ansicht, daß diese „Denkformen nämlich wesentlich in der Vorherrschaft einzelner Kategorien oder Kategoriengruppen" 36 bestehen. Im Laufe der Geschichte erlangt der Geist die Reife und Aufnahmefähigkeit für neue Kategorien, die dann in das Bewußtsein durchbrechen, die bisher herrschenden kategorialen Elemente zurückdrängen und ihrerseits eine dominierende Stellung einnehmen. Hier läßt sich der Wechsel von der teleologischen zur kausalen Betrachtung des Naturgeschehens als Beispiel anführen. Die teleologische Naturbetrachtung, die in der Antike und im Mittelalter herrschte, wurde in der Neuzeit mit dem Aufblühen der mathematischen Naturwissen31

32 33 34 35

36

HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 161. Metaph., 49. Kap. e) S. 379. Vgl. ebd. 49. Kap. e) S. 379. Vgl. HARTMANN, Selbstdarstellung, in: Philosophen-Lexikon, Bd. 1, Berlin 1949. H A R T M A N N , Der Aufbau der realen Welt, S . 2 1 . ebd. S. 32.

105

D a s Problem des Relativismus

schaft durch eine kausale ersetzt. So war die Kausalität „die längste Zeit eine verdrängte und selbst bei ihrem Durchdringen ins Bewußtsein noch lange um die ihr zukommende Stellung ringende Kategorie" 37 . Die jeweils durch das Auftauchen neuer Kategorien in ihrer Funktion reduzierten Prinzipien gehen der Erkenntnis nicht wieder verloren, sondern rücken gerade durch ihre Beschränkung «an den ihnen zukommenden, .natürlichen' Platz innerhalb des sich entfaltenden Denk- und Erkenntnisapparates" 38 . So bleibt im Falle des Durchbruchs der Kausalität zu einer Bewußtseinskategorie das Prinzip der finalen Determination durchaus in Funktion, aber es wird aus seiner hybriden Vormachtstellung verdrängt. Das bedeutet aber nicht, daß das teleologische Erkenntnisprinzip durch den Auftrieb kausalen Denkens endgültig auf den Kompetenzbereich seiner gültigen Anwendungsmöglichkeit restringiert ist. Vielmehr dürfte das ständige Auftreten von Elementen anthropomorphistisch teleologischer Weltdeutung auch nach dem Durchbrudi der Kausalauffassung beweisen, daß der kategoriale Entfaltungsprozeß noch nicht „endgültig ausgependelt hat" 39 . Ebenso ist die Bewußtseinskategorie der Kausalität mit ihrem Durchbrudi keineswegs automatisch auf ihren Anwendungsbereich festgelegt. Sie wurde nach ihrem Auffinden zunächst überbewertet und führte zu einer mechanistischen Weltdeutung, um dann wieder in ihrem Gebrauch restringiert zu werden. Das bedeutet allgemein ausgedrückt, daß die kategoriale „Tendenz fortschreitender Annäherung an den Gegenstand" 40 „den Weg der Uberspannung und des Zurückgebrachtwerdens auf strenge Beschränkung" 41 beschreitet. Die heutige Diskussion der Frage nach dem Vorhandensein kausaler Determination im mikromolekularen Bereich zeigt, daß der geschichtliche Entfaltungsprozeß der Erkenntniskategorie der Kausalität noch keineswegs abgeschlossen ist. Die ,strenge Beschränkung' einer Kategorie bedeutet noch nicht ihre endgültige, d. h. der Welt des Ansidiseienden gemäße Beschränkung. Im Laufe der Geschichte, die für das Erkenntnisvermögen eine Fülle von Erfahrungen zeitigt, entfalten sich auf diese Weise die apriorischen Grundansätze der subjektiven Auffassungsformen. Die Erkenntniskategorien sind „vom geschichtlichen Geiste" abhängig und werden durch denselben erst „ins Licht gerückt oder verdeckt" 42 . Es fragt sich nur, ob es sich bei diesem ,Durchbruch' neuer kategorialer Elemente in das Bewußtsein wirklich um eine Erhebung von Seinskate37 38 39 40 41 42

HARTMANN, HARTMANN, HARTMANN, HARTMANN, HARTMANN, ebd. S. 22.

106

Philosophie der Natur, 31. K a p . a) S. 376. Der Aufbau der realen Welt, S. 35. Philosophie der Natur, 31. K a p . a) S. 377. Die Erkenntnis im Liebte der Ontologie, S. 164 Der Aufhau der realen Welt, S. 35.

Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung

gorien handelt oder letztlich um den ,Durchbrach' wiederum reiner Subjektkategorien in den Bereich möglicher Anwendbarkeit. Die Geschichte der Wissenschaft offenbart sich als Geschichte fortlaufender Entdekkung von Anthropomorphismen der Weltdeutung und es dürfte keinen Grund dafür geben, diesen Prozeß heute als abgeschlossen zu betrachten. Es liegt also nicht ohne weiteres fest, ob und wann es sich jeweils um eine Erhebung von Seinsprinzipien zu Erkenntnisprinzipien handelt. Der Prozeß der kategorialen Entfaltung des Bewußtseins kann auch eine bewußtseinsimmanente Ablösung der Herrschaft von anthropomorphen Denkformen darstellen. Auf dieses Problem der Legitimation der Kategorien werden wir im Kapitel über das Wahrheitskriterium zurückkommen. Wir erinnern uns an dieser Stelle noch an ein anderes Problem, das wir bei der Behandlung der immanenten Apriorität berührten. Wir stellten die Frage, wie diejenigen Erkenntniskategorien, denen keine Seinskategorien entsprechen, wie die immanente Apriorität ohne möglichen Erkenntniswert entsteht43. Inzwischen wurde deutlich, daß die Erkenntprinzipien nicht allein aus der Erfahrung stammen, daß vielmehr ein apriorischer Kern durchaus immer schon im Bewußtsein vorfindlich und in der Erfahrung wirksam ist. Wenn Hartmann von Erkenntniskategorien spricht, die nicht zugleich Seinsprinzipien sind, so bedeutet das, daß es im Bewußtsein kategoriale Elemente gibt, die beim Erkenntnisakt angewendet werden und somit ein Erkenntnisgebilde determinieren können. Solche Bewußtseinsprinzipien ohne Bezug auf eine vorgegebene Welt sind vor allem in den mythischen und religiösen Versuchen einer Weltdeutung in Funktion. Diese Prinzipien ohne Erkenntniswert »sind . . . vom Geiste her genommene und dann auf die ganze ,Welt' übertragene Kategorien"44, die anstatt zu Erkenntnisurteilen zu Vor-urteilen führen. An dieser Stelle wird somit deutlich, daß das Phänomen der immanenten Apriorität ohne Erkenntniswert weder mit der Entstehungsweise der Erkenntnisprinzipien durch die Erfahrung im Widerspruch steht, noch durch das Vorhandensein von Vorurteilen bloß erzwungen ist. Es gilt nun zu fragen, was diese Überlegungen über ein vom geistesgeschichtlichen Prozeß abhängiges Auftreten der Erkenntnisprinzipien für die von Hartmann als möglich erachtete apriorische Erkenntnis bedeuten. Hartmann selbst hat die Konsequenzen für den erkenntnistheoretischen Apriorismus in gewissen Grenzen gesehen und formuliert. Aus den Hartmannschen Erörterungen der ,Erhebung' von Seinskategorien zu Erkenntniskategorien und den zugehörigen Voraussetzungen ergibt 43

Vgl. Kap. I, 4, S. 40.

44

HARTMANN, Die Erkenntnis

im Lióte

der Ontologie,

S. 162.

107

Das Problem des Relativismus

sich, „daß jene Kategorien, auf denen der Apriorismus beruhen sollte, . . . durchaus nicht unwandelbar feststehen"45, und die Folge »ist die weitgehende Auflösung des ,festen' a priori überhaupt" 46 . Wir konnten bisher nachweisen, daß das apriorische Erkenntnisgebilde dem Subjekt, das eine Einsicht in die ontisch notwendigen und allgemeinen Realstrukturen intendiert, lediglich insoweit eine Repräsentation jener Realstrukturen vermittelt, als dieselben mit Idealstrukturen als ihren Genus koinzidieren 4 '. Nunmehr zeigt es sich, daß die im apriorischen Erkenntnisakt in das Blickfeld des Subjekts tretenden Idealverhältnisse im Realen nur gemäß den der augenblicklich geschichtlichen Situation entsprechenden Auffassungsarten des subjektiven Geistes faßbar werden; und „was den Anspruch auf Allgemeinheit und Notwendigkeit erhebt, braucht deswegen noch nicht einmal ,objektive Gültigkeit' zu haben" 48 ; denn es bleibt fraglich, ob die den vom Subjekt intendierten ansichseienden Gegenstand determinierenden kategorialen Formen in den Denkformen, die dem geschichtlich-geistigen Stand der Zeit entsprechen, bereits verfügbar sind. Die apriorische Erkenntnis, so wie Hartmann sie versteht, erfährt durch die an den Geschichtsprozeß gebundene Entfaltung der Bewußtseinsprinzipien eine Relativierung auf den geschichtlich geistigen Stand der Zeit und büßt dadurch jegliche Notwendigkeit und Gewißheit ein. Wir müssen doch fragen: was soll hier noch die Bezeichnung ,Erkenntnis a priori'? Die eigentliche Problematik der erkenntnistheoretischen Frage nach einer Einsicht a priori lag von jeher gerade in dem Anliegen, zu zeigen, ob und auf welche Weise das menschliche Erkenntnisvermögen zu allgemeingültigen, unumstößlich feststehenden Erkenntnissen durchzustoßen vermag. Hartmann hat mit seiner „Auflösung des ,festen' a priori" 49 das eigentliche Anliegen, das im Bemühen um einen erkenntnistheoretischen Apriorismus steckt, völlig beiseite geschoben. Als wir die Grundlagen der Hartmannschen Theorie apriorischer Erkenntnis darlegten, zeigte sich sogleich, daß diese Einsicht a priori ihre Bezeichnung nur auf Grund ihres intentionalen Objektes führt. Wir stellten die Frage, ob und auf welche Weise es Hartmann gelingen werde, den ontologischen Begriff einer apriorischen Erkenntnis erkenntnistheoretisch fruchtbar zu machen. Jetzt hat unsere Untersuchung deutlich gemacht, daß Hartmann eine Erkenntnis a priori im Sinne einer allgemeingültigen und notwendigen Einsicht unter den drängenden Problemen einer modernen Analyse der Realerkenntnis nicht aufrecht erhalten konnte, daß vielmehr die Beschränkung des Erkenntnis45 46 47 48

49

ebd. S. 173. ebd. S. 173. Vgl. Kap. II, 3 S. 75 dieser Arbeit. H A R T M A N N , Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 173. Vgl. Anm. 46 dieses Kapitels.

108

Die Relativierung der apriorischen Erkenntnis und ihre Aufhebung

apriorismus auf Inhaltsmomente des erkennenden Bewußtseins, sofern sie ideale Seinsstrukturen repräsentieren, für Hartmann einen Ausweg darstellt, um überhaupt noch von einer ,apriorischen Einsicht' sprechen zu können. Erkenntnis bedeutet für Hartmann gemäß seiner realistischen Grundtendenz eine laufende „Anpassung des Geistes an die schon vorbestehende Welt" 5 0 . Diese Anpassung geschieht „im geschichtlichen Prozeß des Geisteslebens" 51 , und zwar bei der Erkenntnis a priori durch den Wandel der Erkenntnisprinzipien und das Durchdringen neuer Kategorien in das Bewußtsein. Dementsprechend werden die Erkenntnisgebilde, die jeweils ein ontisch.es Prius repräsentieren, immer wieder überholt und „hinfort andere Seiten am Gegenstande a priori (d. h. vom Prinzipiellen her) erfaßbar" 52 . Von einem erkenntnistheoretischen Apriori bleibt bei Hartmann also nichts übrig als der irreführende Begriff ,Erkenntnis a priori'. Wenn Hartmann betont: „vor allem eines: die Auflösung des ,festen Apriori' ist nicht Auflösung des Apriori überhaupt. Das letztere ist ganz gleichgültig dagegen, ob es ewig besteht oder nicht" 53 , so ist hier wiederum nur von einem ontischen Prius die Rede, das in seinem Ansidisein in völliger Indifferenz gegen zeitliche Abhängigkeitsverhältnisse verharrt. Daß es aber ein ττρότερον φύσει gibt, das braucht uns Hartmann nicht zu lehren. „Dem rechtverstandenen Problem" eines erkenntnistheoretischen Apriorismus genügt es offenbar keineswegs, „wenn man an die Stelle des zeitlosen Bestehens ein langfristiges setzt" 54 , selbst wenn die Möglichkeit offen gelassen wird, daß der Wandel der Verstandeskategorien „wahrscheinlich . . . einer fortschreitenden Verfestigung" 55 unterliegt. Als Endergebnis müssen wir also sagen, daß wir infolge der Relativierung der Aktivierung der Verstandeskategorien auf die geschichtliche Situation des Geistes die vollständige Entleerung und Aufhebung dessen, was das Wesen einer apriorischen Sacheinsicht ausmacht, erfahren. Bei den Anschauungskategorien ist zwar nach Hartmann kein geschichtlicher Wandel feststellbar, aber auch sie zeigen eine Entfaltung, die auf die Lebensstadien und den jeweiligen geistigen Bildungsstand der Subjekte relativiert ist. Hartmann hätte also den jetzt nur noch irreführenden Begriff einer .Erkenntnis a priori' fallen lassen sollen. 50

HARTMANN,

51

ebd. S. 175.

52

ebd. S. 174.

53

ebd. S. 174.

M

ebd. S. 174.

55

ebd. S. 174.

Die Erkenntnis im Lióte

der Ontologie,

S. 162.

109

Das Problem des Relativismus

2. Das Zweiinstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium. Unsere Bemühungen, das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus und des Apriori in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie im Nachvollzug seiner Gedanken herauszuarbeiten, ist nunmehr bereits zu einem wesentlichen Abschluß gelangt. Den Ausgangspunkt unserer Untersuchungen bildete die Erörterung der Äußerungen Hartmanns zu seiner erkenntnistheoretischen Ausgangsposition, die sich als diejenige eines natürlichen Realismus' herausstellte und eine apriorische Erkenntnis nur von ansichseienden Objekten zuließ. Diese Erkenntnis a priori erwies sich als eine ontisch bedingte, die auf dem methodischen Wege einer synthetischen Einheit von unsinnlichem Anschauen und logischem Rezipieren möglich wird. Im Sinne des Problemzusammenhangs stellte sich die Frage, nach den subjektiven und objektiven Bedingungen dieser Erkenntnis und dem damit verbundenen Problem der objektiven Gültigkeit. Es zeigte sich, daß die subjektiven Bedingungen durch die der Bewußtseinssphäre immanenten Erkenntnisprinzipien erfüllt werden, die ihrerseits mit einem Teil der objektiven Bedingungen, die sich als Wesensgesetzlichkeiten des Seienden und damit als das Objekt der apriorischen Erkenntnis darstellen, nach Hartmann identisch sein müssen. Eine Grundrelation in Form einer partialen Identität von Erkenntniskategorien und Seinskategorien gilt als Bedingung der Möglichkeit der Ubereinstimmung von erkanntem Sachverhalt und intendiertem Gegenstand. Die Beteiligung subjektiver Prinzipien am apriorischen Erkenntnisakt machte die Frage nach der Erkenntnismöglichkeit und der Bedeutsamkeit der Erkanntheit dieser Kategorien für den apriorischen Erkenntnisakt dringend. Die Erkenntnis a priori erwies sich jedoch als von der Erkanntheit dieser Prinzipien unabhängig. Mit diesen Überlegungen war aber das Problem einer transzendent apriorischen Realerkenntnis noch keineswegs gelöst, sondern geriet vor die Schwierigkeit, die die ontische Verflochtenheit von Realstrukturen und Idealstrukturen einer apriorischen Erkenntnis entgegensetzt. Die ideale Seinssphäre wurde von Hartmann auf Grund der eigentümlichen Bewußtseinsnähe ihrer Gegenständlichkeiten als die im gnoseologischen Transzendenzverhältnis der realen Sphäre vorgelagerte befunden, so daß die Erkenntnis a priori eines transzendent real Seienden nur durch die Idealsphäre hindurch möglich wird. Als endgültiges Ergebnis für die Möglichkeit einer objektiv gültigen, transzendent apriorischen Erkenntnis eines realen Gegenstandes zeigte sich die Forderung einer Identität von Realkategorien mit Idealkategorien, die ihrerseits mit Erkenntniskategorien identisch sein müssen. 110

D a s 2weininstanzcnsystem und das relationale Wahrheitskriterium

Das Phänomen, daß Hartmann als apriorische Erkenntnis transzendent realer Gegenständlichkeiten bezeichnet, offenbarte sich durch diese Bedingung seiner Möglichkeit als eine Erkenntnis von Aprioritäten im Realen, und zwar von Aprioritäten, insofern sie anhangende Idealitäten darstellen. Das Erkenntnisgebilde, das beim apriorischen Erkenntnisgang zustande kommt und die einem Realen anhängenden Idealstrukturen repräsentiert, erwies sich als eine Zusammensetzung aus rezipierten Objektbestimmtheiten und spontan vom Subjekt geleisteten Elementen. Aber trotz der vom Subjekt zum Erkenntnisgebilde hinzugefügten inhaltlichen Aufbauelemente mußten wir — entgegen anderen Ansichten — die Hartmannsche Repräsentationstheorie als eine realistische bezeichnen. Die Erörterung der einerseits a priori vorhandenen und andererseits doch mit der Erfahrung sich im Bewußtsein entfaltenden Erkenntnisprinzipien machte die Relativierung der apriorischen Realerkenntnis auf die jeweilig geschichtlich geistige Situation, in der das Erkenntnissubjekt steht und die daraus folgende Aufhebung einer feststehenden apriorischen Einsicht überhaupt, sichtbar. Mit diesen Untersuchungen ist jedoch das Problem der erkenntnistheoretischen Position Hartmanns und das eines erkenntnistheoretischen Apriori noch keineswegs erschöpft. Zwei wesentliche Faktoren fordern noch in die erkenntnistheoretischen Erörterungen einbezogen zu werden: einerseits die Frage nach einem Kriterium der Wahrheit der von Hartman geforderten apriorischen Erkenntnis und andererseit das Problem eines Erkenntnisprogresses. Durch die erkenntnistheoretische Reflexion wird das Subjekt sich bewußt, daß es das intendierte Seiende, das objiciendum, immer nur gemäß seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten erfaßt. Die subjektunabhängige Gegenstandswelt wird zwar in ihrem Ansichsein unmittelbar intendiert, aber sie wird nur mittelbar, d. h. der Art und Weise des erkennenden Subjektes gemäß, erkannt. Einen Gegenstand erkennen heißt aber, nach Hartmann, daß im Bewußtsein des Subjektes ein Gebilde entsteht, an dem die Bestimmtheiten des intendierten Gegenstandes wiederkehren. Die Tatsache, daß selbst das gleiche Subjekt vom gleichen intendierten Gegenstand verschiedene Erkenntnisgebilde erhalten kann, die einander widersprechen, macht das Subjekt darauf aufmerksam, daß das von ihm erkannte Seiende mit dem von ihm intendierten Seienden nicht ohne weiteres übereinstimmt. Um sich jeweils vergewissern zu können, ob zwischen dem erkannten Seienden und dem objiciendum Übereinstimmung besteht oder nicht, ist das Subjekt auf der Suche nach einem Wahrheitskriterium, d. h. nach einem Merkmal, das die Ubereinstimmung von intendiertem Gegenstand und erkanntem Sachverhalt garantiert; denn Hartmann versteht „unter Wahrsein schlicht das Zu111

Das Problem des Relativismus

treffen der Vorstellung (der Meinung, des Urteils) auf die gemeinte Sache"1. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob und in -welcher Weise es Hartmann in seiner Erkenntnistheorie gelingt, ein Merkmal dafür anzugeben, wann ein subjektives Erkenntnisgebilde mit dem objektiven Sachverhalt übereinstimmt. Es ist keineswegs so, daß Hartmann der Frage nach einem Wahrheitskriterium dadurch entgeht, daß er der apriorischen Erkenntnis als einem erschauten überempirischen Sachverhalt den Charakter unmittelbarer Wahrheit, d. h. Ubereinstimmung mit dem ansichseienden Objekt, zuspricht, sondern in der Hartmannschen Erkenntnistheorie stehen „Wahrheit und Apriorität . . . ganz indifferent zueinander" 2 ; denn „was in der Erkenntnis unabhängig von der Wahrnehmung einsichtig ist, braucht deswegen noch lange nicht unumstößlich zu sein. Was den Anspruch auf Allgemeinheit und Notwendigkeit erhebt, braucht deswegen noch nicht einmal .objektive Gültigkeit' zu haben" 3 . Darum wird in unserem Problemzusammenhang die Frage dringend, ob und in welchem Sinne sich das Subjekt der von ihm erkannten apriorischen Wesenszüge als solchen, die dem intendierten Objekt wahrhaftig zukommen, vergewissern kann. Im Zusammenhang mit dem Problem der inneren Anschauung wurde von der subjektiven Evidenz der Erkenntnismethode gesprochen4; nunmehr stellt sich das Problem der objektiven Evidenz 5 . Gibt es ein Kriterium für die adäquatio des apriorischen Erkenntnisgebildes mit den intendierten Wesensgesetzlichkeiten des Objektes? Ein absolutes Wahrheitskriterium wird von Hartmann für unmöglich erachtet: »Ein direktes Kriterium von Wahrheit und Irrtum gibt es im Bereich menschlicher Erkenntnis nicht"6. Der Grund dafür liegt bei Hartmann in der Repräsentationstheorie. Da dem Subjekt die ansichseienden Objekte nur vermittels der Repräsentationen, an deren 1 2 3 4 5

6

HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 133. Metaph., 63. Kap. b) S. 490. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 173. Vgl. Kap. I, 3, S. 31 dieser Arbeit. Eine Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver Evidenz findet sich in der Metaphysik der Erkenntnis, 65. Kap. d) S. 503 f.: „.Subjektive Evidenz' . . . ist nur die Uberzeugtheit des erkennenden Subjekts von der Gewißheit einer Einsicht, ohne zureichende Gewähr der Wahrheit." „.Objektive Evidenz' ist ein Gewißheitsbewußtsein, welches wirklich die zureichende Gewähr für das Wahrsein einer Einsicht leistet." Vgl. auch Zur Grundlegung der Ontologie, 47. Kap. c) S. 295 f. HARTMANN, Neue Wege der Ontologie, S. 306; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 59. Kap. e) S. 460; Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 134; Der philosophische Gedanke und seine Geschichte, S. 25.

112

Das Problem des Relativismus

Aufbau das Subjekt selbst beteiligt ist, zugänglich werden7, liegt ein Vergleich der jeweiligen Repräsentation mit dem ansichseienden Objekt, welches repräsentiert werden soll, außerhalb der Möglichkeiten des Subjekts. Aber erst der Vergleich zwischen Repräsentation und ansichseiender Sache würde ein absolutes Wahrheitskriterium ermöglichen8. So bleibt für die Hartmannsche Erkenntnistheorie nur die Möglichkeit eines relativen Kriteriums9. Dieses relative Wahrheitskriterium ist nach Hartmann „von komplex relationaler Struktur"10. Wenn wir nun fragen, was die Hartmannsche Konzeption eines Wahrheitskriteriums für seine erkenntnistheoretische Position besagt, so zeigt sich, daß der Anspruch, den Hartmann an ein Kriterium der Wahrheitssicherung stellt, seiner realistisch angelegten Erkenntnistheorie entspricht. Unter Wahrheit versteht Hartmann die Übereinstimmung von Erkenntnisinhalt und ansichseiendem Objekt. »Wahrheit i s t . . . also eine die Immanenz transzendierende Relation" 11 . Das Wahrheitskriterium — auch das relative und zugleich relationale Merkmal — soll das Zutreffen eines Erkenntnisgebildes auf ein transzendentes Objekt anzeigen. Es ist nun zu überlegen, was Hartmann unter seinem relativen und zugleich relationalen Wahrheitskriterium versteht12. Die Frage nach einem Kriterium zur Möglichkeit der Wahrheitssicherung entspringt bei Hartmann nicht aus dem methodischen Zweifel an der Zulänglichkeit der subjektiven Bewußtseinsinhalte für den transzendenten Gegenstand, sondern aus der Reflexion über das alle Erkenntnisbegleitende Wahrheitsbewußtsein, das mit dem Anspruch objektiver Ge7

Vgl. Metaph., 57. Kap. d) S. 443: „Das Bewußtsein kann nur die Repräsentationen der Objekte umschließen, und diese bewegen sich ganz und gar in den verschiedenartigen nur dem Bewußtsein eigentümlichen Symbolsystemen, Zeichensprachen oder wie man sie sonst nennen will."

8

Vgl. ebd. 56. Kap. b) S. 430: „Erst ein absolutes Erfassen . . . würde . . . ein wirkliches Kriterium des relativen Erfassens ergeben. Und zwar wäre ein soldies dann selbst ein absolutes Kriterium." „Relative Kriterien echter Einsicht gibt es dagegen . . . " . Vgl. Der philosophische Gedanke und seine Geschichte, S. 25. Das nur relative Kriterium der Wahrheitssicherung darf nicht mit einer Relativierung der Wahrheit selbst verwechselt werden. Hartmann spricht sich eindeutig gegen eine solche aus und betont die „Absolutheit der Wahrheit". Vgl. Metaph., 55. Kap. b) S. 423; ebd. 56. Kap. d) S. 434; Der philosophische Gedanke und seine Geschichte, S. 25, Anm. 1. Metaph., 56. Kap. d) S. 433; vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 59. Kap. e) S. 462. ebd. 55. Kap. a) S.421. Zum Unterschied von Relationalität und Relativität vgl. Möglichkeit und Wirklichkeit, 7. Kap. a) S. 71 : „Was .relational' ist, das ,besteht' in Relation, hat die Struktur der Relation. Es braucht also nicht relativ zu sein. Was aber .relativ' ist, das steht in Relation zu einem anderen, ist also abhängig von diesem oder .relativ auf dieses'. Es braucht deswegen in sich nicht wiederum die Struktur der Relation zu haben, d. h. relational zu sein."

9

10 11 12

8

Wirth

113

Das Zweininstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium

wißheit auftritt. Dieses Wahrheitsbewußtsein, das Hartmann streng von dem psychologischen Gefühl der Uberzeugtheit unterscheidet, ist offenbar durch ein Kriterium, das den Wahrheitsanspruch befriedigt, verursacht und muß durch die philosophische Reflexion in eben dieser seiner Ursache aufgedeckt werden. Das Wahrheitskriterium ist demnach nichts anderes als „die Bedingung der Möglichkeit desjenigen Wahrheitsbewußtseins, das von aller positiven Erkenntnis gar nicht abzutrennen ist" 13 . Das Wahrheitsbewußtsein ist dasjenige Bewußtsein, das von der Übereinstimmung von Erkenntnisinhalt und dem intendierten gegenständlichen Sachverhalt zeugt. Das Kriterium, das dieses Wahrheitsbewußtsein bedingt, muß, um dem Subjekt als Index dienen zu können, dem Bewußtsein immanent sein. Zugleich muß es aber eine transzendente Beziehung zwischen Repräsentation und Repräsentiertem enthalten, um als Ausdruck der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung zwischen Bewußtseinsinhalt und objektivem Sachverhalt fungieren zu können. Es handelt sich also bei dem Hartmannschen Wahrheitskriterium um »ein bewußtseinsimmanentes Kriterium, aber mit transzendentem Schwergewicht" 14 . In Form einer einfachen Relation würde das Wahrheitskriterium dem Bewußtsein noch nicht faßbar sein und insofern für das Subjekt noch nichts leisten. Die Relation zwischen dem Erkenntnisgebilde und dem erkannten Objekt kann dem Bewußtsein nodi keinen „objektiven Vergleichspunkt" als „Korrektiv des Erkenntnisgebildes" 15 liefern. Es fragt sich also, wie das Wahrheitskriterium beschaffen ist, das zu einem vorhandenen Erkenntnisinhalt als Korrektiv zu dienen vermag. Um ein solches Kriterium aufzufinden, muß die Forderung auf ein relatives Kriterium restringiert werden. Sicher ist jedenfalls, daß dieses relative Kriterium auf das Vorhandensein einer Relation zwischen Bewußtseinsinhalt und objektivem Sachverhalt angewiesen ist. Um aber für das Bewußtsein die Möglichkeit eines Korrektivs für ein vorhandenes Erkentnisgebilde zu eröffnen, muß neben der transzendenten Relation zugleich eine bewußtseinsimmanente Relation zwischen zwei Erkenntnisinhalten vom gleichen objektiven Sachverhalt vorliegen. Vorbedingung ist dabei, daß beide Erkenntnisgebilde durch verschiedene Art des Erfassens im Bewußtsein zustande gekommen sind, um gleiche Fehler in der Repräsentation weitgehend auszuschließen. Das Wahrheitskriterium liegt in der dem Bewußtsein immanenten Beziehung zwischen zwei durch verschiedene Erkenntnisart geformten Erkenntnisinhalten. „Ein Wahrheitskriterium dieser A r t . . . hat für das Bewußtsein die Form einer rein innersubjektiven Relation zwischen Inhalt und Metaph., 56. Kap. a) S. 427. SÖHNGEN, Sein und Gegenstand, " Metaph., 56. Kap. a) S. 427. 13

14

114

S. 159.

Das Problem des Relativismus

Inhalt, d. h. zwischen den Inhalten zweier Erkenntnisinstanzen" 16 . Das Ausschlaggebende dieses Kriteriums liegt jedoch darin, daß die dem Bewußtsein immanente Relation zwischen zwei Erkenntnisinhalten sich »ihre transzendente Sachbezogenheit... in ihrer innerbewußten Beziehung . . . erhält" 17 , d. h. die immanente Relation besitzt transzendente Geltung, insofern ihre Relate, die Repräsentationen, auf Grund transzendenter Relationen zustande gekommen sind. „Die relationale Struktur des Kriteriums besteht dann in einer Relation zwischen zwei Relationen, d. h. in einer immanenten Relation der ins Bewußtsein fallenden Glieder zweier transzendenter Relationen" 18 . Das Wahrheitskriterium zeigt somit komplex relationale Struktur und hat zugleich eine Relativierung erfahren. Nun stellt sich — wie oben angedeutet wurde — hinsichtlich der Erkenntnisgebilde die Bedingung, daß sie auf gänzlich verschiedene Weise im Bewußtsein zustande gekommen sein müssen. Es ergibt sich also die Frage nach zwei Formen des Erfassens von Gegenständen, die „genügend heterogen und unabhängig voneinander sind, damit die eine als Gegeninstanz und Korrektiv der anderen dienen kann" 19 . Zur Lösung dieser Frage müssen wir mit Hartmann von der Voraussetzung ausgehen, daß apriorische Erkenntnis einerseits und aposteriorische Erkenntnis andererseits zwei völlig autonome Erkenntnisinstanzen darstellen. „Der Autonomie des Logischen und Apriorischen tritt in" der Empfindung „eine ganz greifbare Autonomie des Sinnlichen und Aposteriorischen gegenüber"20. „Das einzige Kriterium der Wahrheit, das wir in der Realerkenntnis h a b e n , . . . wurzelt in der Selbständigkeit und Heterogenität der beiden Erkenntnisquellen, der apriorischen und der aposteriorischen"21. Hier wäre zu fragen, ob diese scharfe Trennung in zwei Erkenntnisinstanzen eine Rechtfertigung besitzt oder ob sie nicht vielmehr eine rein theoretisch konstruktive ist. Die Begründung Hartmanns führt in die Ontologie. Hartmann verweist auf die gegenseitige Heterogenität der idealen und realen Seinsart, der die apriorische Erkenntnis einerseits und die aposteriorische Erkenntnis andererseits entspricht. Es wäre zu fragen, ob die Unterscheidung einer realen von einer idealen Seinsweise erkenntnistheoretisch eine völlige Trennung in zwei einander heterogene Erkenntnisinstanzen zu rechtfertigen vermag. 16 17 18

ebd. 56. Kap. c)S. 431. ebd. 56. Kap. c) S.431. ebd. 56. Kap. c) S.431; vgl. ebd. S. 432, Figur 4.

19

ebd. 56. Kap. c) S. 430. '•"> ebd. 50. Kap. b) S. 382. 21

HARTMANN,

8*

Möglichkeit und Wirklichkeit, 59. Kap. e) S. 462.

115

Das Zweininstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium

Hans Georg Gadamer zieht in seinem Aufsatz über die „Metaphysik der Erkenntnis" den Wert des Hartmannschen relationalen Wahrheitskriteriums in Frage, insofern er die von uns bereits angezweifelte, völlig isolierte Eigenständigkeit der apriorischen Erkenntnis einerseits und der aposteriorischen Erkenntnis andererseits für eine nur scheinbare hält und somit durchaus mit der Möglichkeit rechnet, daß „beide den gleichen Deutungstendenzen und damit den gleichen Fehlerquellen ausgeliefert"22 sind. Ebenso wendet Gottlieb Söhngen ein, daß die „Heterogenität der Erkenntnisquellen . . . noch nicht ohne weiteres Unabhängigkeit oder ,vollkommene Selbständigkeit'", sondern „zunächst höchstens eine relative Selbständigkeit" 23 besagt, daß aber gerade „mit der Selbständigkeit oder Unabhängigkeit oder dem Unbeeinflußtsein der beiden Zeugen und Zeugnisse . . . der Wert des Zwei-Instanzen-Zeugnisses"24 steht und fällt. Söhngen weist dann gemäß dem Hartmannschen kategorialen Grundgesetz nach, daß die Erkenntnis a priori in einem kategorialen Abhängigkeitsverhältnis von der Erkenntnis a posteriori steht2". Zur weiteren Untersuchung des Wahrheitskriteriums müssen wir diese Voraussetzung, daß apriorische und aposteriorische Erkenntnisart einander als Ergänzung und Kontrollinstanz dienen kann, zunächst hinnehmen. „Die Sinneserkenntnis liefert fertige, unverrückbare Gegebenheit, eine ,Materie' der Erkenntnis; apriorische Einsicht aber liefert Formen Relationen, Abhängigkeiten, in denen sie jene Daten interpretiert, ordnet und bewertet" 26 . Die apriorische Erkenntnisinstanz „steht der gebenden als die suchende Instanz gegenüber, sie hat für sich nur die Funktion des Begreifens, ohne Daseinsgewißheit, während jene (die aposteriorische Erkenntnisinstanz) nur Daseinsgewißheit ohne Begreifen hat" 27 . Durch die apriorische Erkenntnis wird „das Sosein einer unendlichen Reihe von Fällen erfaßt, nicht aber ihr Dasein"28. „Erkenntnis des Daseins gibt es nur a posteriori"29. Das Wirklichkeitsbewußtsein wird als Leistung der Erkenntnis a posteriori gedeutet, während das Begreifen des Wirklichen durch Einsicht in seine Möglichkeit und Notwendigkeit der Erkenntnis a priori zugewiesen wird 30 . Die apriorische wie die aposteriorische Erkenntniskomponente richtet sich also beim Er22 23

24 25 26 27 28

29 30

Metaphysik der Erkenntnis, S. 358. Sein und Gegenstand, S . 1 6 1 . ebd. S. 161. Vgl. ebd. S. 161 f. Metaph., 57. Kap. b) S. 439. GADAMER,

SÖHNGEN,

ebd. 57. Kap. b) S. 440. Zur Grundlegung der Ontologie, 13. Kap. a) S. 101. ebd. 13. Kap. b) S. 103. Vgl. audi Möglichkeit und Wirklidokeit, 47. Kap. b) S. 364 ff.

HARTMANN,

116

Das Zweininstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium

kenntnisakt jeweils auf ein und dasselbe Objekt, aber beide Komponenten bringen verschiedene Seiten des Objekts zur Geltung. An dieser Stelle geraten wir vor ein neues Problem. Die apriorische und die aposteriorische Erkenntnisart bieten völlig verschiedene Eigenheiten des Objekts dar, sie ergänzen sich insofern sie nur zusammen zugleich die Wirklichkeit eines Gegenstandes erfassen und das Begreifen dieser Wirklichkeit leisten. Aber gerade in dieser Tatsache, daß beide Erkenntnisinstanzen „Grundverschiedenes geben und grundverschiedene Gesetzlichkeit zeigen" 51 , sieht Hartmann die Bedingung der Möglichkeit eines Wahrheitskriteriums, das so geartet sein soll, daß es als Relation zwischen den grundverschiedenen Bewußtseinsinhalten einerseits und in seiner transzendenten Sachbezogenheit andererseits im Vergleich ein Zusammenstimmen beider Erkenntnisinhalte als Übereinstimmung mit dem intendierten Gegenstand wertet. In dieser Diallele besteht das relative Wahrheitskriterium in seiner komplexen Relationalität. Wir geben der sich hier zeigenden Schwierigkeit in einer Frage Ausdruck: Inwiefern können die apriorische und die aposteriorische Erkenntnis sich bei der Heterogenität der jeweils vom Objekt gewonnenen Aspekte in der Gewißheit der Ubereinstimmung der von ihr dargebotenen Erkenntnisgebilde mit dem intendierten Objekt gegenseitig bestätigen? Eine Bestätigung der Gewißheit liegt für Hartmann offenbar darin, daß eine Ergänzung des apriorischen und aposteriorischen Erkenntnisproduktes zu einem in sich einstimmigen Gesamtbild als objektiv verifiziertes Erkenntnisgebilde gewertet werden kann. „Alle Bewahrheitung l i e g t . . . im Zusammenstimmen apriorischer und aposteriorischer Gegebenheit" 32 . Das Wahrheitskriterium Hartmanns findet seinen Ausdruck in der Harmonie des Gesamterkenntnisgebildes oder der Erfahrung (wenn man Erfahrung als das Miteinander von apriorischen und aposteriorischen Erkenntniselementen definieren will). D . h. da, wo das auf apriorischem Wege Gesichtete mit dem a posteriori gewonnenen Bewußtseinsinhalt Ubereinstimmung zeigt, soll eben diese Ubereinstimmung zwischen den beiden R e k t e n ein Wahrheitskriterium darstellen, das die Gewißheit des Erkannten, d. i. sein Zutreffen auf den objektiven Sachverhalt verbürgt 33 . Hartmann nimmt also die Möglichkeit, daß eine 31

Metaph.,

32

HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, 12. Kap. d) S. 135. Vgl. HARTMANN, Neue Wege der Ontologie, S. 3 1 1 : „Gibt es ihrer aber zwei (gemeint sind Erkenntnisinstanzen) und stehen sie einander genügend heterogen und selbständig gegenüber, so ist die Übereinstimmung dessen, was sie geben, sehr wohl ein Zeugnis des Zutreffens." Vgl. HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 135 f.: „Denn beide Erkenntniselemente . . . bauen . . . erst gemeinsam das Erkenntnisgebilde auf. Sie treffen also in ihm zusammen, und was sich da nicht miteinander reimt, schaltet von selbst aus."

33

57. Kap. b) S. 438.

117

Das Problem des Relativismus

Einsicht in Wesensdeterminanten (apriorisches Erkenntnisgebilde) zusammen mit einem Tatsachenbewußtsein vom gleichen ansichseienden Objekt (aposteriorisches Erkenntnisgebilde) ein harmonisches Gesamterkenntnisgebilde ergeben, für »ein positives Kriterium von relativ hoher Gewißheit" 34 für die Übereinstimmung mit dem von beiden Erkenntnisinhalten intendierten gegenständlichen Sachverhalt. Nachdem wir gesehen haben, inwiefern sich die Verschiedenartiges bietenden Erkenntnisarten für Hartmann dennoch in der Gewißheit ergänzen können, müssen wir fragen, welche Vorteile sich für die Hartmannsche Art einer Wahrheitssicherung dadurch bieten, daß die beiden Relate der bewußtseinsimmanenten Beziehung auf verschiedenen Erkenntniswegen zustande gekommen sind. Hartmann ist der Uberzeugung, daß „Sinneszeugnis und apriorische Antizipation dank der Heterogenität ihrer Funktion und Gesetzlichkeit schwerlich beide denselben Fehler enthalten" 35 ; »ihre Fehler und Irrtümer kompensieren sich, weil die der einen sich nicht leicht mit denen der anderen decken"36. Aus diesem Grunde sieht Hartmann sich gerechtfertigt, die Konsonanz der heterogenen Inhaltsmomente der beiden Erkentnisarten als „ein zwar relatives, aber doch positives Kriterium" der Wahrheit „von relativ hoher Gewißheit" 37 annehmen zu dürfen. Wir lassen nun die bereits in Frage gezogene absolute Selbständigkeit der apriorischen und aposteriorischen Erkenntnisinstanz bei Hartmann gelten und versuchen, das Wesen des relationalen Kriteriums näher zu erläutern. Es wäre zu fragen, wie Hartmann sich das Funktionieren der Wahrheitssicherung konkret vorstellt. Wir müssen versuchen, die theoretischen Ausführungen Hartmanns zu konkretisieren. Angenommen, das Bewußtsein verfügt über ein Erkenntnisgebilde, dem man gemeinhin die Bezeichnung ,Baum' beilegt, so stellt sich hinsichtlich dieses bestimmten Erkenntnisgebildes die konkrete Frage, wann das Subjekt die Gewißheit hat, daß sein Bewußtseinsinhalt von einem Baum auch auf den ansichseienden Baum, von dem das Erkenntnisgebilde gewonnen werden sollte, zutrifft. Durch die aposteriorische Erkenntnisinstanz nimmt das Subjekt die anschaulichen Gegebenheiten des Baumes wahr, die äußere Konstitution seines Stammes, die Anordnung der Zweige und Blätter, seine Farbnuancen etc. Der Erkenntnis a priori fällt das Erfassen der überempirischen Strukturen des Baumes zu, das 34

Metaph., 56. Kap. d) S. 433; vgl. ebd. 58. Kap. c) S. 448: „Im Wesen positiver gesicherter Sacherkenntnis liegt es, daß sie an beide Pole der Erkenntnis gebunden ist. Denn in der Zusammenspannung dieser beiden liegt das einzig mögliche Kriterium der Wahrheit."

35

ebd. 57. Kap. c) S. 441.

36

HARTMANN, Möglichkeit

37

Metaph.,

118

und. Wirklichkeit,

57. Kap. c) S. 441.

59. Kap. e) S. 462.

D a s Zweininstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium

Begreifen der Wesensgesetzlichkeiten und Idealstrukturen, die das vom Subjekt intendierte Seiende zu einem Baum machen. Im Sinne Hartmanns soll das Subjekt durch das im bewußtseinsimmanenten Vergleich festgestellte Zusammenstimmen des Wahrnehmungsbildes des Baumes mit der Einsicht in die Möglichkeits- und Notwendigkeitsbedingungen des Baumhaften ein Wahrheitskriterium gewinnen, das das Zutreffen des Gesamterkenntnisgebildes ,Baum' auf den intendierten transzendenten Baum garantiert. Auf diese Weise eröffnet sich für Hartmann zunächst die Möglichkeit mit Hilfe dieses relationalen Wahrheitskriteriums einen Sachverhalt nach dem Satz des Widerspruchs zu falsifizieren. Wenn die apriorische Einsicht mit dem rezipierten individuell konkreten Sachverhalt oder der individuelle Sachverhalt mit der Einsicht in den Möglichkeits- und Notwendigkeitszusammenhang im Widerspruch steht, so ist die Annahme berechtigt, daß innerhalb der apriorischen oder der aposteriorischen Erkenntnisrelation ein Fehler vorliegt. Das relationale Wahrheitskriterium erweist sich somit zunächst als ein negatives Kriterium. Die immanente Wahrheit, d. i. in unserem Falle die Widerspruchslosigkeit zwischen zwei Bewußtseinsinhalten, wird zur Bedingung der transzendenten Wahrheit, d. h. der Ubereinstimmung von Erkenntnisinhalt und gegenständlichem Sachverhalt. Wir müssen nunmehr auf das Problem einer Verifizierung eines Erkenntnisinhaltes durch das Hartmannsche Kriterium eingehen. Es erhebt sich die Frage, wie ein empirisches Phänomen, d. h. eine in ihrer Einmaligkeit und Konkretheit zur Anschauung gebrachte Seite des Seienden — in unserem Falle das Wahrnehmungsbild eines Baumes — überhaupt als Korrektiv dienen soll, um eine allgemein notwendige Wesensgesetzlichkeit, die für eine Vielzahl empirischer Phänomene Gültigkeit besitzt — gemäß unserem Beispiel diejenige, die das Baumhafte ausmadit — bei Widerspruchslosigkeit zu verifizieren, zwar nicht im Sinne einer absoluten Verifizierung, wohl aber einer hypothetischen von relativ hoher Gewißheit. Mit Berücksichtigung dieser Einschränkung lautet unsere Frage hinsichtlich des Hartmannschen Kriteriums der Wahrheitssicherung: Kann das Zusammenstimmen eines individuellen Sachverhaltes mit einer Einsicht der Wesens- und Realdeterminanten (insoweit letztere mit Idealdeterminanten zusammenfallen) zu einem widerspruchsfreien Gesamterkenntnisgebilde als hypothetisches, aber doch relativ ziemlich gewisses Kriterium der Ubereinstimmung mit dem intendierten gegenständlichen Sachverhalt gewertet werden? Hartmann sieht sich hinsichtlich der Möglichkeit einer Verifizierung zu einer weiteren Einschränkung veranlaßt. Das Zusammenstimmen einer apriorischen und einer aposteriorischen Repräsentation besagt in seinem isolierten Bestand nodi nicht unbedingt ein Zutreffen des Er119

Das Problem des Relativismus

kenntnisgebildes auf den intendierten Gegenstand. Es „braucht noch nicht alles, was zusammenstimmt, auf den Gegenstand zuzutreffen. Aber bei größeren Zusammenhängen im Fortschreiten der Erkenntnis nähert sich die Chance des Zutrefïens dodi der Gewißheit" 38 . Die Möglichkeit der Verifizierung steigt nach Hartmann also mit der Häufung vorliegender Erkenntnisgebilde, zu denen eine Einzelrepräsentation in einem Vehältnis der Zuordnung steht. Hartmann behauptet, daß das relative Wahrheitskriterium auf diese Weise »sehr wohl Kriterium absoluter Wahrheit sein kann" 39 , d. h. ein „positives Kriterium" 40 für das Zutreffen eines Erkenntnisinhaltes auf einen intendierten ansichseienden Sachverhalt. Das Zusammenstimmen von apriorischem und aposteriorischem Erkenntnisinhalt zu einem harmonischen Gesamterkenntnisgebilde macht Hartmann als ein hypothetisches Gewißheitskriterium geltend, wobei der Gewißheitsgrad mit zunehmendem Repräsentationsmaterial steigt. Wir müssen fragen, ob das relative Kriterium, das nach Hartmann eine hypothetische Verifizierung und mit zunehmendem Erkenntnismaterial eine absolute Sicherung zu leisten vermag, wirklich als Signum möglicher Verifizierung — sei es nun einer bloß hypothetischen oder gar einer absoluten — gewertet werden kann oder ob es lediglich eine ,Noch-nicht-Falsifizierung' garantiert, die mit einer vorläufig wechselseitigen Vereinbarkeit von apriorischem und aposteriorischem Erkenntnisinhalt, also durch Erfüllung der Forderung des Widerspruchsprinzips, gegeben ist. Falls ein Vergleich des apriorischen mit dem aposteriorischen Erkenntnisprodukt einen Widerspruch beider aufdeckt, oder keine Einordnung in den Erkenntniszusammenhang zuläßt, muß offenbar ein Fehler vorliegen. Man muß aber durchaus die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß sowohl in der apriorischen als in der aposteriorischen Erkenntnisrelation Fehler vorliegen, die sich in der Weise in der immanenten Relation zwischen ihren Erkenntnisgebilden kompensieren, daß ein akzeptables Gesamtgebilde entsteht, das aber keineswegs dem intendierten Objekt adäquat ist. Dieses mit der ansichseienden Gegebenheit nicht übereinstimmende, aber doch in sich harmonische Erkenntnisgebilde kann, sobald das Subjekt ihm einen besonderen Wert beimißt, sodaß es für den Erkenntniszusammenhang nur Erkenntnisinhalte zuläßt, die mit eben diesem vom ansichseienden Sachverhalt abweichenden Bewußtseinsinhalt zusammenstimmen, zunächst ein falsches System erzwingen. Auf diese Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie,

58

HARTMANN,

39

Metaph., 56. Kap. d) S. 434. ebd. 56. Kap. d) S. 433; ebd. 57. Kap. c) S. 441.

40

120

S. 136.

Das Zweininstanzensystem und das relationale Wahrheitskriterium

Weise zeigt sich, daß selbst die Widerspruchslosigkeit zwischen apriorischem und aposteriorischem Erkenntnisgebilde und ihre Einordnungsmöglichkeit in einen Erkenntniszusammenhang noch kein Zeichen für die Verifizierung eines Bewußtseinsinhaltes abgibt. Das Hartmannsche Wahrheitskriterium ist insofern nicht Kriterium für eine hypothetische Verifizierung eines Sachverhalts, sondern lediglich Kriterium für einen nochnicht-falsifizierten Sachverhalt. Wir zeigten gerade den Fall auf, daß sich ein Fehler bei der Einsicht in die realideale Struktur eines Gegenstandes mit einem Fehler bei der Wahrnehmung seiner individuell konkreten Gestalt kompensieren könnte, und leiteten daraus das Ergebnis ab, daß das relationale Kriterium nicht als Möglichkeit einer hypothetischen Verifizierung angesehen werden sollte, sondern — vielmehr vorsichtiger formuliert — nur als Möglichkeit einer vorläufig nicht nachgewiesenen Falsifizierung gelten kann. Wir müssen nun fragen, ob das Hartmannsche Wahrheitskriterium die ihm bisher zugestandene Möglichkeit der Falsifizierung eines Sachverhaltes wirklich zu leisten vermag. Ein Widerspruch zwischen dem apriorischen und dem aposteriorischen Erkenntnisgebilde eines und desselben Gegenstandes soll als Kriterium für einen Fehler innerhalb einer der Erkenntnisrelationen gewertet werden. Wie bei der Verifizierung, so setzt Hartmann auch bei der Falsifizierung für ein Funktionieren seines Kriteriums voraus, daß es sich »nicht um isolierte Einzelerkenntnisse, sondern um größere Zusammenhänge, die letztlich in einen einzigen großen Erkenntniszusammenhang eingefügt werden" 41 , handelt 42 . Gadamer negiert die Ansicht Hartmanns, daß das Subjekt das Wahrheitsbedürfnis niemals einem isolierten Erkenntnisphänomen gegenüber geltend macht, sondern stets innerhalb eines Erkenntniszusammenhanges seine Einsicht zu verifizieren sucht. Hinsichtlich dieser Auffassung weist Gadamer darauf hin, daß das Subjekt keineswegs gewohnt ist, bei der Verifizierung eines Einzelphänomens auf den Einklang desselben mit dem Gesamthorizont der Erkenntniswelt zu achten, sondern, »daß sich eine ganz isolierte Einsicht, der eine besondere subjektive Uberzeugtheit zukommt, auch im Widerspruch zu einer Gesamtheit früherer Einsichten zu erhalten vermag, ja, oft durchsetzt und alles Frühere durchstreicht" 43 . Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand besteht die Möglichkeit, daß ein Erkenntnisgebilde zu einem Erkenntniszusammenhang zu41 42

43

ebd. 56. Kap. d) S. 433. Insofern ist die Konkretisierung des Funktionierens des Hartmannschen Wahrheitskriteriums durch unser Beispiel nur von schematischem Wert und dient der Verdeutlichung, ohne daß das Subjekt in diesem Falle einer isoliert vorliegenden Repräsentation über Wahrheit oder Falschheit derselben schon etwas ausmachen kann. GADAMER, Metaphysik der Erkenntnis, S. 358.

121

Das Problem des Relativismus

nächst durchaus im Widerspruch zu stehen scheint, daß aber ein tieferes Eindringen der Erkenntnis in eben diesen partiell erkannten Sachverhalt eine Vervollständigung des Erkenntnisgebildes mitsichbringt, die seine ursprüngliche Widersprüchlichkeit zum Erkenntniszusammenhang, der seinerseits einem ständigen Erkenntnisfortschritt unterliegt, erklärt, rechtfertigt und damit aufhebt. In diesem Falle wäre der Widerspruch kein Zeichen der Nichtübereinstimmung des in Frage stehenden Erkenntnisgebildes mit dem ansichseienden Gegenstand, sondern lediglich durch eine Unvollständigkeit sowohl in der Einzelrepräsentation wie im gesamten Erkenntniszusammenhang verursacht. Der Satz des Widerspruchs reicht demnach auch nicht hin, um einen Sachverhalt zu falsifizieren. Nun wäre durchaus denkbar, daß das Subjekt im Vollzug der Relationen, die das Wahrheitskriterium konstituieren, zwischen dem apriorischen und dem aposteriorischen Erkenntnisgebilde einen Widerspruch zu erkennen vermeint, der aber in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Man müßte nunmehr noch ein Kriterium verlangen, das angibt, wann ein erkannter Widerspruch zwischen zwei Erkenntnisinhalten wirklich ein solcher zwischen apriorischer und aposteriorischer Einsicht ist und nicht eine Täuschung, die allein im Akt des Vergleichens dieser Inhalte liegt. Solange hier nicht ein absolutes Kriterium gefunden wird, geht aber die Forderung nach Gewißheitskriterien in infinitum. Diesem Einwand entgeht Hartmann dadurch, daß er den Akt des Vergleichens, den sein Wahrheitskriterium involviert, nicht als einen neuen Erkenntnisakt auffaßt. Das transzendente Wahrheitskriterium „kann kein Erfassen neben dem Erfassen bedeuten, sondern muß in den vorhandenen Formen des Erfassens selbst schon enthalten sein" 44 . Dennoch ist das Kriterium ein relationales und kein punktuelles Gebilde. Wie nun die Relation als eine vergleichende zwischen den Erkenntnisgebilden zustandekommt und auf welche Weise sie — wenn nicht durch einen Erkenntnisakt — in bezug auf die Widerspruchslosigkeit oder die Widersprüchlichkeit ihrer Relate ausgewertet wird, und worauf die Unmöglichkeit, daß sie einen Fehler involviert, gründet, läßt Hartmann offen. Das von Hartmann für möglich erachtete relative Wahrheitskriterium „von komplex relationaler Struktur" 4 5 basiert somit wie die übrigen Hauptthesen der Hartmannschen Erkenntnistheorie auf einer nicht begründeten Voraussetzung, mit deren Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit es steht oder fällt 48 . 44

Metaph.,

45

Vgl. Anm. 9 dieses Kapitels.

48

Letztlich hängen alle Schwächen der Hartmannschen Erkenntnistheorie mit seinem Metaphysikbegriff zusammen, von dem wir bereits zeigten, daß er nicht .kritisch', sondern vielmehr spekulativ-dogmatisch ist (vgl. Kap. II, 1, S. 53 dieser Arbeit).

122

56. Kap. c) S. 430.

Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß

Abgesehen von dieser Voraussetzung und dem Einwand gegen das Zweiinstanzensystem sahen wir uns aber dennoch genötigt, gegen das komplex relationale Wahrheitskriterium Hartmanns Einwände zu erheben, die zeigten, daß es weder eine Falsifizierung noch eine Verifizierung eines Erkenntnisinhaltes zu leisten vermag. Auf das Wahrheitskriterium in der Idealerkenntnis brauchen wir natii diesem Ergebnis nicht mehr einzugehen, da es für Hartmann auf ähnliche Weise zustande kommt wie das Kriterium der Wahrheitssicherung im Bereich der Realerkenntnis. 3. Das relationale Problembewußtsein

und der

Erkenntnisprogreß

Für eine erkenntnistheoretische Untersuchung ist die Frage nach der Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses wesentlich. Der extreme Idealismus kann diese Frage schnell beantworten, indem er alle Erkenntnis als einen Fortgang logischer Operationen und ständige Konstruktion und Neukonstruktion von Gegenständen im Bewußtsein deutet. Einer realistischen Erkenntnistheorie — wie Hartmann sie intendiert — bereitet die Frage nach dem Erkenntnisfortschritt größere Schwierigkeit, weil es sich nur dann um einen Progreß handelt, wenn der Erkenntnisgang Approximation an einen bewußtseinstranszendenten Sachverhalt darstellt. Es wird daher in unserem Problemzusammenhang die Frage dringend, ob und auf welche Weise es Hartmann gelungen ist, die Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses innerhalb der auf kategorialer Grundrelation beruhenden apriorischen Erkenntnis ansichseiender Objektbestimmtheiten aufrechtzuerhalten und zu erklären. Der Erkenntnisprogreß gründet nach Hartmann in dem eigentümlichen Bewußtsein des Subjekts, daß sein Erkenntnisinhalt dem von ihm intendierten Objekt inadäquat ist, d. h. er gründet in der Tatsache, daß das erkennende Subjekt darum weiß, daß sein Erkenntnisgebilde den von seiner Erkenntnisintention angestrebten Gegenstand nur unvollständig repräsentiert 1 . Der Gegenstandsbegriff läßt sich — wie wir im ersten Kapitel unserer Arbeit darlegten — 2 „nicht auf das Erkannte einschränken, er erstreckt sich weiter hinaus ins Unerkannte" 3 . Das ständige Bewußtsein der Inadäquatheit zwischen Erkenntnisinhalt und transzendentem Objekt bezeichnet Hartmann mit dem Terminus des Sokrates als ein „Wissen des Nichtwissens" 4 . Dieses Wissen des Nicht1

Vgl. Metaph., 59. Kap. S. 455 ff.; vgl. Möglichkeit S. 3 7 5 ; vgl. ebd. 46. Kap. c) S. 361 f.

2

Vgl. Kap. I, 1, S. 8 f. dieser Arbeit.

3

HARTMANN, Die Erkenntnis

4

Metaph.,

im Lióte

der Ontologie,

und

Wirklichkeit,

48. Kap. c)

S. 130.

58. Kap. a) S. 444.

123

D a s Problem des Relativismus

wissens ist das Problembewußtsein, „daß der Gegenstand mehr ist, als das Erkannte an ihm" 5 . „Das Problembewußtsein weiß um ihn als um ein Transobjektives. Im Problembewußtsein ist „der Gegenstand der Frage zum Voraus in gewisser Bestimmtheit erfaßt" 7 . Auf welche Weise das Problembewußtsein zur Triebfeder für die Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses wird, muß im folgenden näher erläutert werden. Wir müssen zunächst fragen, wie das Subjekt zu seinem Wissen um das Nichtwissen von Objektbestimmtheiten gelangt. Die Existenz des Problembewußtseins ist selbst ein Problem. Wie kann das Subjekt um das Vorhandensein von Objektbestimmtheiten wissen, um die es ja gerade nicht weiß? Das ist die Aporie des Problembewußtseins, die einer Lösung bedarf. Das Problemwissen darf offenbar nur ein formales, aber kein inhaltliches Wissen sein, es darf nur um das bloße Vorhandensein von etwas völlig Unbekannten wissen. Das Wissen um noch unerkannte Objektgegebenheiten setzt jedenfalls eine Relation zwischen dem Subjekt und dem intendierten Objekt in seiner Totalität voraus. Eine solche Beziehung ist aber die Erkenntnisrelation. Wenn bisher nur gezeigt wurde, wie durch dieselbe nach Hartmann ein Erfassen des Ansichseienden möglich wird, und wie sie ihre Bedeutung in dem in Form einer Diallele sich darstellenden relativen Wahrheitskriterium behauptet, so wird hier deutlich, daß ihre Funktion eine viel umfassendere ist. Die Erkenntnisrelation vermittelt dem Subjekt ein Wissen um die noch nicht objizierten Züge des intendierten Objekts. Sie vermag als eine Seinsrelation ihre Sphäre zu transzendieren, d. h. sie greift über die Grenze des Objizierten hinweg und hat ihren Schwerpunkt nicht einmal im Rationalen des Transobjektiven, sondern im Transintelligiblen; „der natürliche Schwerpunkt des Totalgegenstandes (des objiciendum) liegt . . . im Transintelligiblen" 8 . Aus dieser auf das Transintelligible zielenden Erkenntnisponderanz erklärt sich der Wunsch des Subjekts in jedem Erkenntnisakt den intendierten Gegenstand in seiner Totalität zu erfassen. Das Verlangen nach Vollständigkeit als Desiderat aller Erkenntnis resultiert aus der Bindung der Erkenntnisrelation an das Objekt in seinem übergegenständlichen Sein. Die Erkenntnisrelation involviert durch ihren Bezug auf das 5

ebd. 58. Kap. a) S. 444.

6

HARTMANN, Zum Problem

7

ebd. S. 13; Hartmann faßt an dieser Stelle das Vorhandensein des Problembewußtseins als Zeugnis für die Realität des Erkenntnisgegenstandes auf.

8

HARTMANN, Zur Grundlegung 32. Kap. c) S. 244 f.

124

der Realitätsgegebenheit,

der Ontologie,

S. 13.

26. Kap. c) S. 175; vgl.

Metaph.,

Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß

Unerkennbare die Tendenz einer Adäquation zwischen Erkenntnisinhalt und intendiertem Seienden aus der sich der Erkenntnisprogreß ergibt. „C'est l'irrational qui est source de dynamisme pour la connaissance"0. Diese Erklärung des Erkenntnisdynamismus setzt einen „Zusammenhang des Erkannten mit dem Unerkannten, der offenbar im Sein der Sache selbst liegt"10, voraus. Hartmann fordert denn auch zum Verständnis der Funktion der Erkenntnisrelation beim Problembewußtsein und beim Erkenntnisprogreß eine Rückbesinnung auf die ontische Strukturiertheit der Erkenntnisobjekte. Das Sein zeigt — wie wir bereits gesehen haben —11 nach Hartmann durchweg relationale Struktur. Das äußert sich für das Erkenntnisproblem in der Weise, daß die Strukturen des objizierten Seienden mit denen des Transobjektiven verflochten sind und dem Subjekt durch den Erkenntnisakt auch ein Bewußtsein des Vorhandenseins der transobjektiven Relationsglieder vermittelt wird. „Die Seinszusammenhänge überschreiten jede Erkenntnisgrenze, und sie verbinden Erkanntes und Unerkanntes" 12 . Das Problembewußtsein als Kenntnis von inhaltlich nicht erfüllten Relationszusammenhängen des Seienden kann aber nur apriorischen Charakter zeigen; denn es handelt sich im Problembewußtsein um eine Antizipation des Vorhandenseins von noch unerkannten Seinsaprioritäten. Insofern die apriorische Einsicht auf die fundamentalen Kategorien gerichtet ist, bedeutet eben das „Begreifen der Teilmöglichkeit . . . gleichzeitig ein apriorisches Antizipieren der Totalmöglichkeit"13. Das kann noch näher verdeutlicht werden. Die Sphäre logischer und mathematischer Gebilde ist ein Beweis dafür, daß die apriorischen Einsichten nicht in gegenseitiger Isolierung dastehen, sondern einander implizieren. Auf Grund der vorliegenden Relationszusammenhänge in der Sphäre logisch-mathematischer Geltung, die eine gegenseitige Implikation ihrer Aprioritäten, d. h. der reinen Denkkategorien einerseits und der Idealkategorien andererseits, beweist, ist ein Rückschluß auf das gegenseitige Sich-Einbegreifen der realen und idealen Seinsprinzipien erlaubt; denn die Prinzipien des Logischen und Mathematischen haben nach Hartmann durch Bewährung nachgewiesene Gültigkeit für das real Seiende und nur eine dreifache Identität der Kategorien kann hier zu apriorischen Einsichten führen. Der Gedanke, daß die Gültigkeit der Prinzipien doch nur für das Denken über das Realseiende zutrifft, wird von Hartmann überhaupt nicht erwogen, da er die kategoriale Grundrelation als ein evidentes Faktum hinnimmt, 9

10 11

VIDAL, Connaissance S. 424.

a priori et connaissance

a posteriori

HARTMANN, Zum Problem der Realitätsgegebenheit, Vgl. Kap. I, 4, S. 37 dieser Arbeit.

selon Nicolai

S. 13.

12

HARTMANN, Zur Grundlegung der Ontologie, 3. Kap. b) S. 47.

13

HARTMANN, Möglichkeit

und Wirklichkeit,

Hartmann,

49. Kap. d) S. 382 f.

125

Das Problem des Relativismus

wonach die Kategorien des Subjekts eben für das transzendente real Seiende Geltung besitzen. »Die immanente Implikation, soweit sie sich inhaltlich auf Repräsentation realer Gegenstände erstreckt, hat unmittelbar objektive Gültigkeit in bezug auf die letzteren" 14 . Die kategoriale Grundrelation wird von Hartmann dazu benutzt, um eine zunächst nur „immanente Implikation" 15 — nämlich das phänomenologische Sichdarbieten des gegenseitigen Sich-einbeziehens der Erkenntniskategorien (was gerade in der Sphäre der Geltung der Denkkategorien besonders deutlich wurde) zu einer » transzendenten Implikation" 16 zu erweitern. Das Relationssystem „greift über aus der Ebene der Erkenntniskategorien in die der Seinskategorien"17. Dementsprechend müssen dem Subjekt beim Erkenntnisakt, bei dem jeweils nur ein Teilaspekt des intendierten Objekts in das Bewußtsein eingeholt wird, auf Grund der sich implizierenden Relationen im Kategoriensystem immer auch die noch nicht objizierten und auch die nach Hartmann nicht objizierbaren relationalen Strukturen, die die Totalität des Gegenstandes involviert, mit in den Blick kommen. Die Prinzipien erweisen in diesem Zusammenhang, daß sie nicht nur für die jeweils verwirklichte Erkenntnis Gültigkeit haben, sondern daß sie in jeder verwirklichten Erkenntnis in ihrer Funktion als Bedingung aller möglichen Erkenntnis tätig sind. Das Problembewußtsein, „d. h. ein gegenständlich bezogenes Wissen des Nichtwissens ist dann einfach die Form, in der jene apriorischen Relationen zum Bewußtsein kommen, und in der sie alles transzendente Gegenstandsbewußtsein begleiten"18. Die apriorische Einsicht erfaßt das unauflösbare ontische Gefüge der Relationszusammenhänge, die sich für das erkennende Subjekt in rationale und irrationale Relationen aufspalten, wobei ein dunkles Bewußtsein um das Vorhandensein der letzteren stets wach ist. Das Problembewußtsein ist daher sowohl auf das noch nicht objizierte rationale Seiende wie auf das irrationale Seiende ausgerichtet, es vermag die Grenze der Rationalität zu transzendieren. Da die vollwertige Gegenstandserkenntnis für Hartmann das untrennbare Miteinander apriorischer und aposteriorischer Erkenntniselemente ausmacht, ist das Problembewußtsein ebenso wie das Wahrheitskriterium nur unter Berücksichtigung des Wechselbezuges beider Erkenntnisarten zu verstehen. Es gibt beispielsweise die Erkenntnis von Einzelphänomenen, deren Einordnung in allgemein notwendige Sinnzusammenhänge noch nicht gelungen ist, oder es gibt umgekehrt die Vermutung von Strukturzusammenhängen, die keine Erfüllung durch eine 14 15 16 17 18

Metaph., 58. Kap. c) S. 451. ebd. 58. Kap. c) S. 450. ebd. 58. Kap. c) S. 450. ebd. 58. Kap. c) S. 450. ebd. 58. Kap. c)S. 451.

126

Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß

eindeutige Einordnung individueller Sachverhalte erfahren hat. Das beweist offenbar eine Exzentrizität von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnissphäre. Damit wird deutlich, daß das Problembewußtsein als Bewußtsein der Inadäquatheit des erkannten Sachverhalts mit dem objektiven Sachverhalt „in einer gegenseitigen Inadäquatheit der beiden Elementarsphären der Erkenntnis" 19 wurzelt. Das Problembewußtsein zeigt also wie das Wahrheitskriterium komplex relationale Struktur. Es besteht in einer bewußtseinsimmanenten Relation zwischen der apriorischen transzendenten Erkenntnisrelation einerseits und der aposteriorischen transzendenten Erkenntnisrelation andererseits. Das Nichtübereinstimmen zwischen den Erkenntnisgebilden als Gliedern der immanenten Relation wird als positives Kriterium gewertet; denn „die immanente Adäquatheit ist das Anzeichen der transzendenten" 20 . „Die Diskrepanz zwischen dem" apriorischen und dem aposteriorischen Erkenntnisgebilde „ist die Spannung der Erkenntnistendenz . . . Das gegenständliche Bewußtsein der Gespanntheit ist das Problembewußtsein, d. h. das Wissen um das Unbegriffene am Gegebenen" 21 . Aus dem auf diese Weise von Hartmann erklärten Problembewußtsein resultiert also die Tendenz des Subjekts nach Adäquation, d. h. nach einem vollständigen Erfassen des intendierten Gegenstandes. Das Subjekt ist bemüht, die Divergenz zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis abzugleichen; „stets ist die Tendenz vorhanden, unmittelbar Angeschautes in Begriffenes umzusetzen. Und stets ist diese Tendenz im Erkenntnisprogreß die treibende Kraft" 2 2 . Aber nach Hartmann ist das nicht möglich, da die Heterogenität der den beiden Erkenntnisinstanzen jeweils zugehörigen Gesetzlichkeiten eine völlige Konvergenz ausschließt. Die Exzentrizität von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis ist für Hartmann eine „perennierende Exzentrizität" 23 . Die Tendenz zur Adäquation treibt zwar den Erkenntnisprogreß an, sie ist Voraussetzung der Spontaneität der Methode des Subjekts gegenüber dem objiciendum 24 , aber sie stellt selbst noch keinen Erkenntnisfortschritt dar. Daher stellt sich jetzt die Frage, auf welche Weise der Erkenntnisprogreß, der sicii dadurch auszeichnet, daß neue objektive Sachverhalte in das subjektive Bewußtsein eingeholt werden, möglich wird. Im Problembewußtsein selbst ist immer schon die Richtung, in der die 19

ebd. 59. Kap. d) S. 454.

20

ebd. 59. Kap. d) S. 454.

21

HARTMANN, Möglichkeit

22

ebd. 50. Kap. a) S. 384.

und Wirklichkeit,

48. Kap. a) S. 373.

60. Kap. c) S. 468.

23

Metaph.,

24

In Kapitel II, 4 S. 83 f. dieser Arbeit haben wir die Spontaneität des Subjekts beim Erkenntnisprogreß bereits dargelegt.

127

Das Problem des Relativismus

Lösung des Problems zu suchen ist, mit angegeben; denn ein Problem stellt sich in jeweils eigentümlichen Sinnzusammenhängen. Insofern ist das »Wissen des Nichtwissens"25 „schon beginnendes Begreifen. Es greift dem Erfassen vor im Wissen darum, daß am gegebenen Wirklichen ein Realzusammenhang haftet, aus dem heraus es sich begreifen lassen muß. Darum involviert das Problembewußtsein den Erkenntnisprogreß"2®. Auf Grund dieser ausschlaggebenden Bedeutung des Problembewußtseins27 für den Erkenntnisprogreß scheint letzterer auf eben derselben Relationalität zu gründen wie das Bewußtsein der Inadäquatheit. Diese Relation ist einerseits eine immanente Beziehung zwischen erkanntem Sachverhalt (Konvergenz von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis) und den Leerformen möglicher Erkenntnisinhalte (Divergenz von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis) und andererseits eine transzendente Beziehung zwischen der Repräsentation des intendierten Gegenstandes im Subjekt und dem ansichseienden Gegenstand in seiner Totalität, d. h. eine transzendente Relation zwischen objizierten und transobjektiven Objektbestimmtheiten. Die erste Relation läßt das Erkenntnisstreben des Subjekts niemals zur Ruhe kommen; die zweite Relation ist Bedingung der Möglichkeit des Erkenntnisfortschrittes. Uns interessiert in dieser Arbeit in der Hauptsache der Erkenntnisfortschritt innerhalb der apriorischen Erkenntnis. Die apriorische Erkenntnis hat — wie herausgearbeitet wurde — die Bedingung ihrer Möglichkeit in einem Identitätsverhältnis von Erkenntnisprinzipien und Seinsprinzipien. Ein apriorischer Erkenntnisfortsdiritt muß dementsprechend die Bedingung seiner Möglichkeit in einer fortschreitenden Identifikation von Erkenntniskategorien und Seinskategorien finden. „Wenn nun aber jede Erkenntnis a priori die Identität eines kategorialen Moments zur Voraussetzung hat, so muß offenbar das Verhältnis der Erkenntniskategorien zu den Seinskategorien selbst ein bewegliches sein; ihre partiale Identität muß in fortschreitender Erweiterung begriffen sein und gewissermaßen die Tendenz haben, totale Identität zu werden" 28 . Es fragt sich nun, wie diese Tendenz der Erweiterung im Identitätsverhältnis erklärt werden kann. Die Seinskategorien sind in und mit dem Sein vorhanden; neue Seinskategorien können nicht auftauchen. 25

Vgl. Anm. 4 dieses Kapitels.

26

HARTMANN, Möglichkeit

27

MICHAEL LANDMANN weist darauf hin, daß es „etwas gewaltsam berührt . . . , daß Hartmann den Progreß fast exklusiv an das Vorangegangensein eines Problembewußtseins knüpfen will." Problematik, S. 339. Wir sind durchaus der Ansicht, daß der wissenschaftliche Forsdiritt sidi häufig einstellt, ohne daß ein Problem bewußt und gewollt angegangen wird.

28

Metaph.,

128

und Wirklichkeit,

49. Kap. e) S. 378.

48. Kap. a) S. 373.

Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß

Offenbar hängt das Fortschreiten im Identitätsverhältnis nur mit den Erkenntniskategorien zusammen. An dieser Stelle unserer Untersuchung wird ein Rückgriff auf die Erörterung der Entstehungsweise der Erkenntnisprinzipien notwendig29. Es zeigte sich, daß Hartmann die Ansicht vertritt, daß Elemente der Erkenntnisprinzipien im Bewußtsein a priori vorliegen und sich — nunmehr gedenkt Hartmann seines Realismus — im Laufe der Erfahrung erst entwickeln, daß neue Erkenntniskategorien mit dem geschichtlichen Reifungsprozeß des Bewußtseins in dasselbe durchbrechen und aktiviert werden. Der Gebrauch der Erkenntnisprinzipien — d. h. der Verstandeskategorien (nicht der Anschauungskategorien) — ist in die Willkür des Subjekts gestellt3", »sie können angewandt oder auch nicht angewandt werden" 31 und so erklärt es sich, daß trotz durchgehender wechselseitiger Implikation der Kategorien, die einzelnen Prinzipien erst „ins Licht gerüdkt"32 werden müssen und nicht immer schon in Funktion treten 33 . Der Erkenntnisprogreß wird also mit seiner Abhängigkeit von der Aktivierung und Anwendung der Erkenntnisprinzipien ebenfalls auf den Geschichtsprozeß, den der Geist durchläuft, relativiert. Nur in den Dimensionen des Zeitgeistes wird es dem endlichen Erkenntnisvermögen möglich, sich an das Sein anzupassen. Mit diesen Erörterungen zum Problem der Möglichkeit eines Erkenntnisprogresses ist zwar erklärt, wie ein Erkenntnisfortschritt auf Grund eines beweglichen Kategoriensystems zu denken ist, aber es ist nicht grundsätzlich bewiesen, daß eine solche Tendenz fortlaufender Anpassung von Erkenntnisprinzipien an Seinsprinzipien überhaupt vorhanden ist. Hartmann begnügt sich mit dem Hinweis, daß es kein Erkenntnisphänomen gäbe, „daß ihr widerspräche, wohl aber eines, dem sie streng entsprechen dürfte" 34 . Mit dem einem Fortschreiten im Identitätsverhältnis entsprechenden Erkenntnisphänomen meint Hartmann eben den Erkenntnisprogreß, der auf diese Weise eine dem Gesamtsystem seiner Erkenntnistheorie angemessene Erklärung findet. Diese Erklärung des Erkenntnisfortschritts zeigt den Charakter einer hypothetischen Annahme, deren Wahrscheinlichkeit in negativer Hinsicht durch ihre Wider29

Vgl. Kap. III, 1 S. 100 ff.

30

HARTMANN, Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, S. 161: „Verstandeskategorien . . . werden .angewandt' . . . Ihr Gebrauch ist in gewissem Grade in die Willkür des Menschen gestellt."

31

ebd. S. 161.

32

HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 22.

33

Wir haben im Kapitel III, 1 dieser Arbeit ebenfalls dargelegt, daß dieser Prozeß von Hartmann von der geschichtlich kulturellen Situation, in der das Subjekt steht, abhängig gemacht wird. Vermutlich liegt hier ein Ejnfluß Diltheys auf Hartmann vor.

34

Metaph., 9

Wirth

49. Kap. e) S. 378.

129

Das Problem des Relativismus

spruchslosigkeit zu anderen Erkenntnisphänomenen, in positiver Hinsicht durch den phänomenalen Aufweis eines tatsächlichen apriorischen Erkenntnisfortschrittes bewiesen wird. Die Grundvoraussetzung der Hartmannschen Erklärung eines Erkenntnisprogresses innerhalb der apriorischen Erkenntnis bleibt dabei das Vorhandensein der kategorialen Grundrelation, die in ihrer Fragwürdigkeit herausgestellt wurde. Da Hartmann dem Erkenntnisgegenstand nur eine partíale Rationalität zuerkennt, kann der Erkenntnisprogreß niemals das Objekt in seiner Totalität erfassen, bzw. der Progreß der apriorischen Erkenntnis stößt niemals bis auf die Totalität der Möglichkeits- und Notwendigkeitsbedingungen eines Seienden durch, sondern es gelingt nur eine annähernde Erkenntnis der ansidiseienden Gegebenheiten. »Dem Irrationalen gegenüber ist alle Erkenntnis nur Näherungswert, Verendlichung seiner Unendlichkeit. Ihr Progreß ist ein Näherungsprozeß . . ."35. Innerhalb der Hartmannschen apriorischen Erkenntnis gibt es also einen auf die Geschichtlichkeit der Kategorien relativierten Erkenntnisprogreß, dem durch die These von der nur partialen Rationalität des Erkenntnisgegenstandes Grenzen gesetzt sind. Für Hartmann besteht also überhaupt kein Zweifel, daß der Erkenntnisprogreß, der auf den Zeitgeist und die ihm jeweils entsprechenden Kategorien relativiert wird, eine fortschreitende Annäherung an die Realität bedeutet36, sondern ihm gilt »die unbeirrbare Tendenz des Erkenntnisprogresses" als „Annäherung an das Reale" 37 . So fällt für Hartmann die Möglichkeit, daß beispielsweise der Fortschritt der Physik nur ein stimmiger werdendes Deutungssystem von zweifelhaftem Realitätsbezug sein könnte, von vornherein fort, und die fortschreitende Approximation der Physik an die reale Welt ist Hartmann unumstößliche Uberzeugung, allerdings mit der Einschränkung, daß Erkenntnisinhalt und ansichseiender Sachverhalt niemals zur absoluten Ubereinstimmung gelangen können. Die von Hartmann als Ursache und Triebfeder des Problembewußtseins und des Erkenntnisprogresses dargelegte Erkenntnisponderanz auf die für das Subjekt irrationalen Elemente des Objekts ist zweifelsohne ein „Zentralbegriff" 38 der Hartmannschen Erkenntnistheorie, der bei der Charakterisierung seines Realismus beachtet werden muß. Aber es scheint uns doch nach unserer gesamten Untersuchung problematisch, wenn Alois Guggenberger glaubt, auf Grund der Hartmannschen Orientierung der 35 36

37 38

ebd. 32. Kap. c) S. 246. M I C H A E L L A N D M A N N wirft Hartmann vor, daß er hinsichtlich des Wissens „einen nicht progreßhaften Prozeß nicht in Erwägung zieht." Vgl. Problematik, S. 341. HARTMANN, Der Aufbau der realen Welt, Einleitung, S. 33. GUGGENBERGER, Zwei Wege zum Realismus, S . 7 7 .

130

Das relationale Problembewußtsein und der Erkenntnisprogreß

Erkenntnis auf ein Irrationales und dem daraus gefolgerten Argument „für die Realität des Erkenntnisgegenstandes"3" von einem „unentwegten Realismus"40 Hartmanns sprechen zu können. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß eine Entscheidung über die erkenntnistheoretische Position Hartmanns nicht allein auf Grund seiner Äußerungen über den Erkenntnisprogreß erfolgen darf, sondern daß derselben eine Untersuchung der Repräsentationstheorie voraufgehen muß, die durch die Aufnahme des ,Transzendentalen' den Realismus Hartmanns zunächst problematisch werden läßt.

39

HARTMANN, Zum Problem

40

GUGGENBERGER, Das Weltbild



der Realitätsgegebenheit, Nicolai

Hartmanns,

S. 13. S. 21.

131

SCHLUSSTEIL Ergebnis der Untersuchung Wir haben in der vorliegenden Arbeit den Versuch unternommen, das Problem des erkenntnistheoretischen Realismus im Zusammenhang mit dem Problem einer apriorischen Erkenntnis in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie zu untersuchen und müssen nun in knappen Zügen das Hauptergebnis zusammenfassen. Die erkenntnistheoretische Position, die Hartmann, ausgehend von der natürlichen' Auffassung der Erkenntnis als eines Transzendenzverhältnisses, im Laufe der Diskussion des Problems der apriorischen Erkenntnis entwickelt, muß als Realismus bezeichnet werden, und zwar unter der Voraussetzung, daß der Realismusbegriff eine neue inhaltliche Erfüllung erfährt. Das hervorstechendste Merkmal des Hartmannschen Erkenntnisrealismus ist die Aufnahme des ,Transzendentalen'. Hartmann stellt die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis und sucht das Moment der Subjektgebundenheit allen Erkennens durch ein inhaltlich formendes Tätigsein des Subjekts beim Aufbau der Repräsentation zu erklären. Hartmann kommt auf diese Weise das Verdienst zu, den Versuch unternommen zu haben, die Kluft, die zwischen den traditionellen Formen des erkenntnistheoretischen Realismus und des erkenntnistheoretischen Idealismus aufgebrochen ist, zu überbrücken. Wir sind der Ansicht, daß eine moderne realistische Erkenntnistheorie nicht umhin kann, das Moment des »Transzendentalen' in ihre Erörterungen einzubeziehen1. Insofern stellt sich von der Hartmannschen Erkenntnistheorie her dem Realismus die Aufgabe, „sich selber neu zu bestimmen, sofern er sich überhaupt als ,Realismus' festhalten und mit solch einer Standpunktbezeichnung genannt sein will" 2 . Ein weiteres wesentliches Moment, das den Hartmannschen Erkennt1

Die Art und Weise, in der Hartmann diese Einbeziehung vornimmt, ist allerdings unzulänglich, da er zur Erklärung der Bedingung der Möglichkeit der apriorischen Erkenntnis einige Voraussetzungen trifft, die nur von einem selbst wiederum fragwürdigen Metaphysikbegriff her gerechtfertigt werden.

2

KRINGS,

Die Wandlung des Realismus in der Philosophie der Gegenwart, S . 6. Für Krings ist die Notwendigkeit einer Neubestimmung des Realismusbegriffs nicht von der Erkenntnistheorie, sondern durdi das Hervortreten der Seinsfrage gefordert, von der her „sich ein neues Verhältnis von Transzendentalphilosophie und Ontologie herausgebildet hat" (vgl. S. 16).

132

Ergebnis und Untersuchung

nisrealismus auszeichnet, ist die Annahme einer apriorischen Erkenntnis transzendent realer Gegenstände. Gegen Hartmann muß der grundsätzliche Vorwurf erhoben werden, daß er versäumt hat, einen Beweis dafür zu liefern, daß es überhaupt apriorische Erkenntnis gibt. Eine moderne Erkenntnistheorie, zumal wenn sie realistisch ausgerichtet ist, sollte vor der Frage nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit, zunächst ernstlich die Frage diskutieren, ob es überhaupt apriorische Erkenntnis gibt. Die Ausführungen, die Hartmann zum Problem eines Erkenntnisapriorismus macht, zeigen, daß die Neugestaltung des Aprioritätsbegriffs, d. h. seine Ontologisierung, die durch die realistische Position Hartmanns erzwungen ist, einem erkenntnistheoretischen Apriori von vornherein nicht gerecht wird. Durch die Relativierung der Erkenntniskategorien auf die geschichtlich geistige Situation des Bewußtseins geschieht die Auflösung eines ,festen* Apriori überhaupt, d. h. die vollständige Aufhebung dessen, was den Sinn einer apriorischen Einsicht ausmacht. Das Beispiel der realistisch orientierten Erkenntnistheorie Hartmanns läßt deutlich werden, daß der Begriff der Erkenntnis a priori innerhalb eines erkenntnistheoretischen Realismus sinnlos wird und konsequenterweise aufgegeben werden sollte.

133

ANHANG Ubersicht über den Gebrauch des Terminus a priori, seine Ontologisierung und Relativierung Wir geben eine Übersicht über die vielfältige Verwendung des Aprioritätsbegriffs in Nicolai Hartmanns Erkenntnistheorie und werden die einheitliche Grundbedeutung aufzeigen, die in der 'Vielfalt seiner Bedeutungsgehalte nachweisbar ist. Zugleich soll die Ontologisierung und Relativierung des erkenntnistheoretischen Apriori bei Hartmann noch einmal sichtbar werden. Terminus Hartmanns immanente

Apriorität

Bedeutungsgehalt a) Bezeidinung für die intersubjektiv übereinstimmenden Erkenntniskategorien, die das allgemein notwendige Prius, d. h. das .Zugrunde' aller Erkenntnis darstellen. Diese Erkenntnisprinzipien „gehören dem Sein der Erkenntnis an und sind insofern selbst seiende Gesetze" 1 . Das der Subjektsphäre angehörige ,Zugrunde' ist also ein ontisches Prius. Die immanente Apriorität, insofern sie die Verstandeskategorien meint, ist in ihrer Entfaltung von dem jeweilig geschichtlichen Stand der Zeit abhängig. b) Apriorität ohne Erkenntniswert (Vorurteile). Es handelt sich um ein durdi die Erkenntniskategorien konstituiertes, spontan hervorgebrachtes Gebilde im Subjekt. Dieses gehört mit dem Subjekt der allumfassenden Seinssphäre an.

transzendente

Apriorität

45. Kap. c) S. 341.

1

Metaph.,

2

HARTMANN,

134

a) Die Fähigkeit des Subjekts die Wesensgesetzlichkeiten eines transzendenten Objekts in innerer Anschauung zu antizipieren. Diese Fähigkeit gehört einem seienden Subjekt zu und ist selbst eine Art Sein. Sie stellt ein im Subjekt liegendes ,Zugrunde' dar, das in einer apriorischen Erkenntnismethode seinen Ausdruck findet. Dieser Fähigkeit liegen die Kategorien als „Formen einer Schau" 2 zugrunde, die in ihrer Aktivierung an den geschichtlichen Reifeprozeß des Bewußtseins gebunden sind. Die Methode apriorischer Erkenntnis ist somit eine jeweils auf die geschichtliche Situation des Geistes relative.

Die Erkenntnis

im Lichte der Ontologie,

S. 161.

Ubersicht über den Gebrauch des Terminus ,a priori' b) Die antizipierten Gesetzesstrukturen, die das Z u grunde' eines Seienden bilden und insofern selbst seiende Gesetze sind. c) Die intersubjektiven Erkenntniskategorien, d. h. die immanente Apriorität, sofern sie vom Subjekt zum O b j e k t seiner Erkenntnis gemacht wird; denn die im Subjekt selbst liegenden Kategorien sind für seine E r kenntnisintention ein transzendent Ansichseiendes.

Die transzendente Apriorität als das ,Zugrunde' eines Seienden teilt sich in reale und ideale Apriorität. reale

Apriorität

ideale

Apriorität

Apriori der

Wahrnehmung

a priori

Apriorische

Das ,Zugrunde' eines realen Gegenstandes, d. h. seine realontischen Strukturen. Das .Zugrunde' einer idealen Gegenständlichkeit, d. h. ihre idealontischen Strukturen. Ein auf der Subjektseite vorliegendes .Zugrunde' als Bedingung der Möglichkeit aposteriorischer Erkenntnis. Es erfährt mit dem Subjekt seine Ontologisierung. vor aller Erfahrung eines individuell konkreten Falles; bei Gelegenheit der Erfahrung eines ontischen Prius; vom Prinzipiellen her, vom Prius aus (erfassen);

Erkenntnis

= antizipierende Anschauung a) die auf die Wesensgesetzlichkeiten eines Objektes, d. h. auf das .Zugrunde' eines Seienden gerichtete E r kenntnisart, die selbst eine A r t Sein darstellt; denn apriorische Erkenntnis ist Reflexion der Seinsgründe in sich. A u f Grund ihrer Bedingungen, der Erkenntnisprinzipien, keine feststehende Erkenntnis, sondern eine auf den jeweiligen geschichtlich geistigen Stand der Zeit relativierte Erkenntnis. b) D e r sich gemäß der apriorischen Erkenntnismethode vollziehende Erkenntnisgang, der an die jeweils in Funktion befindlichen Kategorien gebunden bleibt. Dieser Erkenntnisgang realisiert eine Erkenntnisrelation, die in einer Ebene mit dem seienden Subjekt und dem seienden O b j e k t liegt und sich insofern als Seinsrelation erweist. c) Bezeichnung für das durch die apriorische Erkenntnismethode hervorgebrachte Erkenntnisgebilde, die R e präsentation des ,Zugrunde' eines Seienden im Subjekt. Das Repräsentationsgebilde ist selbst wiederum ein Seiendes. Es repräsentiert das Sosein des Seienden wie es jeweils in den Kategorien, die dem geschichtlichen Reifegrad des Bewußtseins entsprechen, erscheint (was nach Hartmann allerdings laufende Annäherung an den ansichseienden Sachverhalt bedeutet). d) Das Problembewußtsein als Wissen des Nichtwissens ist eine Form apriorischer Erkenntnis. Es entspricht der jeweilig geschichtlich geistigen Reife der Zeit.

135

Übersicht über den Gebrauch des Terminus ,a priori' Apriorische

Prinzipienerkenntnis

1. der Seinskategorien

Ist die Aufgabe der ontologischen Kategorienanalyse und kann nicht auf apriorischem Wege allein gelöst werden (vgl. Kap. II, 2, Anm. 6 dieser Arbeit).

2. der Erkenntniskategorien

Die rückläufige Einsicht einer Erkenntniskategorie aus einem Erkenntnisgebilde.

Aus dieser Ubersicht wird noch einmal deutlich, daß der Aprioritätsbegriff für Hartmann ein rein ontologischer Begriff ist. Wo derselbe in erkenntnistheoretischem Sinne gemeint ist, ζ. B. da, wo es sich um die Bezeichnung ,Erkenntnis a priori' handelt, ist. er durch ein ontisches Apriori als sein intentionales Objekt bestimmt. Daher läßt sich die formale Grundbedeutung des in verschiedenem Sinnzusammenhang verwendeten Aprioritätsbegriffs als ein ,Zugrunde' festlegen3. Diese Auffassung, daß das Apriori ein Grundgebendes ist, kommt aber schon in Hartmanns Erstlingswerk „Piatos Logik des Seins", das eine Piatoninterpretation im Sinne des Denkens der Marburger Schule bietet, zum Ausdruck. Der Platonische Begriff des προειδέναι wird von Hartmann in Zusammenhang mit dem Begriff der ύττόδεσις, einem Grundbegriff der Cohenschen Philosophie, gebracht. Hartmann vertritt die Ansicht, daß »das ττροειδέναι . . . der reine Ausdruck für das apriorische Element der Erkenntnis" 4 ist; denn dasjenige, was in einem Vorherwissen verfügbar ist, ist zugleich ein Vorausgesetztes5 oder Zugrundegelegtes0. Insofern »ist das a priori zum ,Zugrunde' geworden — das ,ττρο-' zum 'ύττο-'"7. Diese neukantianische Auffassung, die das Apriori als ein ,Zugrunde' versteht, hat Hartmann nie aufgegeben. Als Hartmann unter dem Einfluß Husserls die These von der das Sein erzeugenden Funktion des Logos aufgab, wurde ihm der logische und zugleich ontologische Sinn des ύπόδεσίξ zu einem allein ontologischen. Die Kategorie als eine Seinsapriorität versteht Hartmann nunmehr »als Grund des Gegebenen"8, und zwar im Sinne eines Vorgebenenen, und die Leistung der apriorischen Erkenntnis besteht darin, jeweils „den zureichenden Grund" 8 zu begreifen. 3

Eine Ausnahme bildet lediglich die immanente Apriorität ohne Erkenntniswert, bei deren Behandlung die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntniskategorien ohne das Vorhandensein von ihnen entsprechenden Seinskategorien offen blieb.

4

HARTMANN, Piatos

5

Vgl. ebd. S. 232: „Vorauswissen und Voraussetzen muß im Grunde eins sein."

6

Hartmann versucht nachzuweisen, wie sich der Begriff ύττόδεσις bei Piaton von der Bedeutung Voraussetzung' zu derjenigen von .Grundsetzung' entwickelt. Vgl ebd. S. 227 ff.

Logik

des Seins, S. 219.

' ebd. S. 258. 8

HARTMANN, Der Aufbau

9

HARTMANN, Möglichkeit

136

der realen Welt, 63. Kap. c) S. 585. und Wirklichkeit,

49. Kap. b) S. 380.

Übersicht über den Gebrauch des Terminus ,a priori'

Das πρώτον φεΟδος Hartmanns ist, daß er dann glaubt, dieses ontologische Apriori erkenntnistheoretisch allein dadurch fruchtbar machen zu können, daß er es der Erkenntnis als intentionales Objekt vorgegeben sein läßt. Die obige Übersicht verweist zum anderen noch einmal auf die Auflösung einer ,festen' Erkenntnis a priori überhaupt.

137

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