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German Pages 600 Year 2013
Claudie Paye »Der französischen Sprache mächtig«
Pariser Historische Studien Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris Band 100
Oldenbourg Verlag München 2013
Claudie Paye
»Der französischen Sprache mächtig« Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen (1807–1813)
Oldenbourg Verlag München 2013
Pariser Historische Studien Herausgeber: Dr. Stefan MARTENS Redaktion: Veronika VOLLMER Anschrift: Deutsches Historisches Institut (Institut historique allemand) Hôtel Duret-de-Chevry, 8, rue du Parc-Royal, F-75003 Paris
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, D-81671 München Tel: 089 / 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlagbild: C. G. H. Geißler, Der Huth, 1813/14, Radierung/Karikatur, 19,5×16,8 cm, Beschriftung unten: Der Huth./Ein Huth allhier ein Haupt bedeckt./Alle sollten werden darunter gesteckt./Für alle war er eine schwere Last/Drum weg mit ihm, weil er keinem passt! Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, VS 1796. Einbandgestaltung: hauser lacour Lektorat: Dr. Ulrike Voigt, Stuttgart Satz: PTP-Berlin Protago-TEX-Production GmbH, www.ptp-berlin.eu Druck und Bindung: Memminger MedienCentrum, Memmingen Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-71728-0 E-ISBN 978-3-486-71729-7
Inhalt Dank und Dedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung 1. Problemstellung und Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sprachpolitisches Erbe der Französischen Revolution und des Empire – Aufbruch in das Zeitalter der Nationen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Themenkomplexe und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Sprachpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Sprach- und Kommunikationspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Sprachreflexionen, Sprachkontakt und Sprachkonflikt . . . . . . . 4. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Nationalbewusstsein und Nationsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Soziolinguistische und historische Sprachforschung . . . . . . . . . 4.3. Rheinbundforschung und Modellstaat Westphalen . . . . . . . . . . 4.4. Kommunikations- und Mediengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Kulturtransferforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Quellengrundlage, Methode und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen 1. Staatliche Überlegungen zum Sprachgebrauch in Verwaltung und Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Umgang der Staatsbeamten mit der verordneten Zweisprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt der offiziellen westphälischen Sprachpolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Einführung und Intensivierung des Französischunterrichts . . 3.2. Französischunterricht in den Schulen der Hauptstadt Kassel . 3.2.1. Einschulung der französischsprachigen Einwandererkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Weiterführende Schulreformen an den Kasseler Schulen als Merkmal der Französisierung? . . . . . . . . . . . 4. Fazit: Schulpolitik versus Sprachpolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
17 17 22 24 24 26 27 27 27 29 33 40 42 44 49 59 61 67 73 73 74 74 78 93 99
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber – Die Suche nach den Übersetzungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
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Inhalt
1. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber . . . . . . . . . . . 100 1.1. Im Auftrag des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1.1.1. Cerfberr genannt Medelsheim: Übersetzer und commis d’ordre im Außenministerium . . . . . . . . . . . . . . . 100 1.1.2. Stübing und Beinter: Militärs, Übersetzer und Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1.1.3. Pfeiffer und Osburg: Juristen und Übersetzer . . . . . . . . 112 1.1.4. Dzondi: Mediziner und Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1.1.5. Decherf: Übersetzer in der Postadministration . . . . . . . 118 1.1.6. Perier und Provençal: secrétaires-interprètes im westphälischen Finanzministerium . . . . . . . . . . . . . . . 118 1.1.7. Van Baerll: Übersetzer und Generalsekretär der Präfektur des Werradepartements . . . . . . . . . . . . . . . 119 1.1.8. Léonnard: Dolmetscher und Sprachlehrer . . . . . . . . . . . . 122 1.1.9. Turgeniev und Kaverin: Dolmetscher und Studenten . 123 1.2. Im Auftrag der administrés. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1.2.1. Landgrebe: Übersetzer und Sprachlehrer . . . . . . . . . . . . . 124 1.2.2. Deligny: Küster der königlichen Kapelle und Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1.2.3. ›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . 125 1.3. Doppelauftrag Mierzinskys: Dolmetscher, Übersetzer und Zensor bei der kaiserlich-französischen Verwaltung . . . . . . . . . 129 1.4. In besonderem Auftrag: Rau – Domestik, Abschreiber und Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1.5. Fazit aus den verschiedenen Übersetzerprofilen . . . . . . . . . . . . . 136 2. Übersetzungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2.1. Mündliche und schriftliche Übersetzungsprozesse . . . . . . . . . . 137 2.1.1. Generaldirektion der Hohen Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2.1.2. Polizeipräfektur zu Kassel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2.1.3. Justizministerium und Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 143 2.1.4. Gefängnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.1.5. Staatssekretariat und Ministerium des Äußeren . . . . . . 145 2.2. Übersetzungen als Hürde für die administration und als Chance für die Administrierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.2.1. Ungewissheiten und undichte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.2.2. Widerspruch zwischen französischem Originaltext und deutscher Übersetzung im »Westphälischen Moniteur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.2.3. Erschwerte und verlangsamte Verwaltungsvorgänge . . 152 3. Schlussbetrachtung: Offizielle wie ›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher zwischen Wirklichkeit und Metapher . . . . . . . . . . . . . 153
Inhalt
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II. Spracherwerb: von französischen Sprachlehrern und -lehrbüchern zu russischen Dolmetschern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Französischer Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1.1. Französische Sprachlehrer im Königreich Westphalen . . . . . . . 158 1.1.1. Stand der französischen Sprachlehrer . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.1.2. Besondere Lebenshintergründe einiger Sprachlehrer . . 162 1.2. Kurzlebiger oder anhaltender Enthusiasmus für die französische Sprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1.3. Französische Sprachlehrbücher und -wörterbücher . . . . . . . . . . 170 1.3.1. Unterrichtsmethoden für Kinder und Jugendliche . . . . 171 1.3.2. Französische Sprachlehrbücher und Hilfsbücher zum Selbstunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Russische Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2.1. Charakteristika, Verbreitungswege, Lesepublikum und Vorläufer der russischen Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.1.1. Die Duldung der russischen Dolmetscher und die obrigkeitliche Diskussion über ihre Funktion und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.1.2. Charakteristische Angaben zu den russischen Dolmetschern aus den Polizeiberichten . . . . . . . . . . . . . . 184 2.1.3. Verbreitungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2.1.4. Adressaten und Lesepublikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2.1.5. Weitere russische Dolmetscher aus dem Jahre 1813 zur Dialogisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2.1.6. Vorläufer der Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2.2. Zensurmaßnahmen gegen die russischen Dolmetscher: Affäre Dreyssig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2.3. Andere Vorfälle zur eingehenden Kontextualisierung der russischen Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.3.1. Geißlers »Hand- und Hülfsbuch« und sonstiges Werk 206 2.3.2. Die Affäre Harckwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2.3.3. Begegnung mit den Kosaken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Fazit und Zusammenführung: Sprachpolitik ›von unten‹ . . . . . . . . . 220 III. Bittschriften à la française: von französisierten Bittschriften und professionellen Bittschriften in französischer Sprache . . . . . 228 1. Bittschriftenschreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1.1. Lehmann als Bittschriftenschreiber und vielseitiger Bürger . . 228 1.2. Weitere Bittschriftenschreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Staatliche Perspektive und Regulierungsversuche des Bittschriftenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Strategisches Handeln, Sprachbilder und Sprachgestus . . . . . . . . . . . 253
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Inhalt
4. Bittschriften als Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 IV. Karikaturen: Interdependenz von Bild, Schrift und Erzählung . 269 1. Universelle, länder- und sprachspezifische antinapoleonische Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Karikaturen im Gespräch und in den westphälischen Polizeiberichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2.1. Affäre Blumenthal oder die ausgedehnte mediale Vernetzung der Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2.2. Affäre Mathusius oder die Steigerung der kritischen Inhalte aus den Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Verknüpfte Bildlichkeit, Schriftlichkeit und Mündlichkeit . . . . . . . . 279 4. Karikaturen auf Alltagsgegenständen oder die zeitkritische materielle Kultur der Westphalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Weitere staatskritische und satirische Darstellungen und ihre Gemeinsamkeiten mit den Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 6. Erzählte Karikaturen und die innere kollektive Bild(referenz)welt der Westphalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 V. Die verbotene »Handlung« des Zinngießers Taberger oder der kleine Sarg des »Anstoßes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Vorspann zur Affäre Taberger im Februar 1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Interpretation der Sarginszenierung im Schaufenster des Zinngießers Taberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2.1. Ort des Geschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2.2. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2.3. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2.4. Anschuldigungen und Verteidigung Tabergers . . . . . . . . . . . . . 302 3. Zum Umgang der westphälischen Gesellschaft mit dem Tod . . . . . 304 3.1. Begräbnisse unter Polizeiüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 3.2. Gedenk- und Erinnerungskultur: Schills Tod 1809 und Auferstehung 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3.3. Schwarze Husaren des Herzogs von Braunschweig-Oels in Totengestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3.4. Todesnachrichten aus Russland und gefälschte Totenscheine 314 3.5. Vermeintliche Attentate auf Jérôme und Napoleon . . . . . . . . . 317 4. Der Sarg, die Mamelucken und der »escadron sacré« im Schaufenster des Zinngießers Taberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 5. Tabergers Perspektive und die Wahrnehmung des Sarges durch die Hannoveraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 6. Vom Schaufenster Tabergers zu den pluralen kommunikativen Strategien der Westphalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Inhalt
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VI. Königlich-westphälische Wappen zwischen Aneignung und Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Wappen als Identifikationsangebot für die Westphalen und ihre Aneignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Hohn und Spott auf die westphälischen Wappen . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. 1809: Ab- und Anmontieren westphälischer Wappen . . . . . . . . . . . . 341 4. Demonstrativer Angriff auf die königlich-westphälischen Wappen an Herrschaftsgebäuden im Jahr 1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 5. Weitere Eskalation in den Angriffen der Westphalen auf die westphälischen Wappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 6. Schlussakt: Zerstörung des Napoleonstandbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 7. Umgang mit Wappen zwischen tradiertem Muster und ungekannter Eskalation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 C. Sprachbewusstein, Verständigungsschwierigkeiten, Sprachdominanz und -konflikt 353 1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1.1. Unzulängliche Übersetzungen und Sprachverständigungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1.1.1. Bewusstsein für Übersetzungsbedarf und Qualitätsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1.1.2. Verständigungsschwierigkeiten bei polizeilichen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1.2. Umgang mit Fremdwörtern und Französisierung des deutschen Sprachgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1.3. Hemmungen, sich in der Fremdsprache auszudrücken . . . . . . 363 1.4. Bedauern über unzureichende Fremdsprachenkenntnisse . . . . 365 1.5. Bewusstsein für verschiedene Niveaus der Sprachbeherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1.5.1. Sprachbeherrschung der »fremden« Sprache . . . . . . . . . 368 1.5.2. Beherrschung der eigenen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1.5.3. Handschriftenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1.5.4. Idealfall: Vollkommenheit in der Fremdsprache . . . . . . 378 1.6. Umgang mit den Sprachen vom Feind und Wertungen über die Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1.7. Zugang zur Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Von der Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche . . 384 2.1. Offener Sprachkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2.2. Tilgung der deutschen Sprache oder Korrekturen am deutschen Sprachgebrauch nach den neuen Herrschaftsprinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 2.3. Sprachliche Gegenoffensive der Deutschsprachigen . . . . . . . . . 393
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2.4. Deutsch als Gegensprache und als Nische für subversive Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 2.5. Sprachfertigkeiten und Akzente in der Aussprache als Überführungs- und Tarnungsmittel der Polizei . . . . . . . . . . . . . 398 2.6. Von den Vorzügen der Beherrschung der französischen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 2.7. Beredsamkeit und Redekultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2.8. Französisierung des öffentlichen Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 2.8.1. Offizielle Straßen- und Ortsumbenennung . . . . . . . . . . . 409 2.8.2. Umbenennungen auf Privatinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . 412 2.8.3. Französisierung der Personennamen und der Amtstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2.8.4. Eindeutschung von Personennamen und Persiflage . . . 416 2.9. Bereitschaft zur Aneignung der französischen oder deutschen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 2.10. König Jérôme und seine deutschen Sprachkenntnisse . . . . . . . 421 3. Von Sprachbarrieren und sprachlich bedingten Konfliktsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 3.1. Deutsche und französische Sprachgemeinschaften in Kassel . 433 3.1.1. Streit um die Sprache der Bücher in der königlichen Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 3.1.2. Kasseler Streit- und Theaterkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 3.1.3. Von den Sprachkonflikten in der administration . . . . . 455 3.1.4. Sprachkonflikte am Hof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 3.2. Sprachenfrage aus der Sicht der Sprachreiniger, Memorialisten und Historiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 4. Fazit: die soziokulturelle und politische Relevanz der Sprachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 D. Schlusswort – »Der französischen Sprache mächtig«, mit der russischen gewappnet 501 1. Merkmale des kommunikativen Spektrums der westphälischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 1.1. Mündlichkeit/Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 1.2. Zeichenhafte Kommunikation und visuelle Medien . . . . . . . . . 502 1.3. Medienvielfalt, -vernetzung und -vermischung . . . . . . . . . . . . . 503 1.4. Desinformation – Informationspolitik ›von unten‹ – Informationsnetzwerke: Politisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 1.5. Kommunikationsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 1.6. Soziokulturelle Schranken – Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 1.7. Identität(en) und Verstellungskünste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
Inhalt
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2. Befunde zur westphälischen Sprachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 2.1. Sprachpolitik ›von oben‹ und Einflüsse auf Gesellschaft und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 2.2. Sprachpolitik ›von unten‹ und Wechselwirkungen mit der Staatspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 2.3. Entdeckung von »außerordentlich normalen« Zwei- und Mehrsprachigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 2.4. Sprachkonflikt ohne sprachliches Verständigungsproblem . . . 515 2.5. Reale und empfundene Sprachdominanz der französischen Prestigesprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 2.6. Deutsch-französische versus deutsch-deutsche Sprachbarrieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 2.7. Adaptationen der Kommunikationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . 517 2.8. Nationale und sprachliche Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 3. Anbindung an den Forschungsstand zum Königreich Westphalen 519 4. Fazit: »Der französischen Sprache mächtig«, mit der russischen gewappnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Archiv- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 1. Archivverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 3. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
Dank und Dedikation Dem vorliegenden Buch ging ein langer Entstehungsprozess voraus: Nach meinem baccalauréatin Frankreich kam ich mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen zum Studieren nach Deutschland und erfuhr täglich die Mühen und Freuden des Spracherwerbs. Diese Erfahrung beeinflusste zweifellos die Problem- und Fragestellung, aus der ich nach meiner Magisterarbeit zu dem wichtigen Quellenkorpus der Polizeiakten des Königreichs Westphalen ein Exposé für die Dissertation entwickelte. Über den gesamten langen Zeitraum der Entstehung der 2007/08 eingereichten und verteidigten Arbeit begeisterte mich das Thema und der Untersuchungskontext, und ich denke durchaus, dass mich die Thematik noch weiterhin begleiten wird. Dass diese Arbeit fertig gestellt werden konnte, verdanke ich vielfältiger Unterstützung: Meinem Saarbrückener Doktorvater Prof. Dr. Rainer Hudemann danke ich ganz besonders für sein konstantes Vertrauen in das Gelingen des Projekts, für seinen Rat und seine unermüdliche Geduld. Bei meinem Berliner Doktorvater Prof. Dr. Étienne François, den ich für die cotutelle de thèse mit der Universität Paris I Sorbonne-Panthéon hinzugewinnen konnte, bedanke ich mich sehr für seine stets konstruktive Kritik und seinen Zuspruch. Die Förderung im Rahmen des Graduiertenkollegs »Interkulturelle Kommunikation in kulturwissenschaftlicher Perspektive« der Universität des Saarlandes schuf mir mit gut ausgestatteten Archivreisestipendien eine wesentliche Grundlage. Ferner geht mein Dank an meine akademischen Lehrerinnen aus Berliner Zeit, Prof. Dr. Claudia Ulbrich und Prof. Dr. Michaela Hohkamp, die mir den Weg in die Archive zeigten. Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink, ehemals Sprecher des Saarbrückener Graduiertenkollegs, danke ich ebenfalls herzlich für seine zahlreichen interdisziplinären Anregungen. Den Gremiumsmitgliedern meiner Verteidigung, Prof. Dr. Gabriele Clemens und Prof. Dr. Jean-Clément Martin, danke ich sehr für die interessante Diskussion und alle Hinweise und Einladungen zu Tagungen, die mir seitdem ihrerseits zuteil wurden. Trotz zahlreicher Archivreisen konnte ich nicht mehr alle in Frage kommenden Archive besuchen und schließe die Arbeit heute so mit einem Stück ungestillter Archivsehnsucht ab. Die Reisen wurden außer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über das Saarbrückener Graduiertenkolleg auch von der Union-Stiftung und von der ASKO Europa-Stiftung gefördert, vom Deutschen Historischen Institut Paris sowie vom französischen Bildungs- und Forschungsministerium mit einer aide à la mobilitéim Rahmen der cotutelle de thèse. Die Verteidigung wurde von der DeutschFranzösischen Hochschule unterstützt, der ich darüber hinaus die Verlei-
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Dank und Dedikation
hung des Dissertationspreises der besten binationalen Dissertation 2008 verdanke, den die Association pour l’emploi des cadres (Apec) finanzierte. Meinem Arbeitgeber, dem Deutschen Historischen Institut Paris (DHIP), und drei seiner Direktoren verdanke ich die Förderung von der ersten Stunde meiner Doktorarbeit an – bei der Themensuche im Rahmen eines DHIP-Praktikums, durch die bereits erwähnten Reisestipendien, die ideelle Unterstützung, insbesondere durch Prof. Dr. Gudrun Gersmann, und die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Pariser Historischen Studien. Nach allen Verzögerungen, die das Manuskript hinnehmen musste, fällt die Veröffentlichung meiner Forschungsergebnisse nun mit einem Jahrestag und einem Jubiläum zusammen: 200 Jahre nach Auflösung des Königreichs Westphalen und dem Ende der napoleonischen Ära erscheint meine Dissertation als 100. Band der Reihe, wofür ich dem DHIP ebenfalls sehr verbunden bin. Für ihre Umsicht und Sorgfalt bedanke ich mich ganz herzlich bei meiner Pariser Kollegin Veronika Vollmer sowie bei der Lektorin meiner Arbeit, Dr. Ulrike Voigt. Vor der Einreichung des Manuskripts haben sich mit Korrekturarbeiten drei Personen hervorgetan, die ich, da Deutsch meine Zweitsprache ist, für ihre Ausdauer sehr bewundere: mein Mann, Dr. Berthold Rutz, meine frühere Kollegin, Dr. Beatrice Herrmanns, und Annemarie Kordecki. Darüber hinaus danke ich allen Freunden und Verwandten, die sich das eine oder andere Kapitel korrigierend und kommentierend angeschaut und die Freude an der Quellenauslegung mit mir geteilt haben: Dr. Claire Gantet, Dr. Dieter Janssen, Dr. Thomas Leber, Ulrich Müller, Hélène Pialoux, Dr. Andreas Rutz, Brigitte Schuster und Christine Voigt. Für ihre Unterstützung vor Ort bedanke ich mich bei allen Mitarbeitern der bereisten Archive, insbesondere bei Dr. Ingeborg Schnelling-Reinicke vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin und Natal’ja Alekseevna Elagina von der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg sowie bei Prof. Dr. Sergej Iskjul’. Dank gebührt ebenfalls meinen Gastgebern an den verschiedenen Archivstandorten, überwiegend aus dem weit verzweigten Freundes- und Verwandtschaftskreis der Familie meines Mannes, für ihre freundliche Aufnahme: Margarita Pjeskarewa und Marina Burova (St. Petersburg), Familie Kraag (Marburg), Familie Ecke (Magdeburg), Familie Förster (Wernigerode), Familie Külpmann (Hannover), Michael Nolting (Berlin), Familie Kaltwasser (Berlin), Hélène Pialoux und David Faure (Paris). In Saarbrücken war die Herberge bei meiner Kommilitonin und Freundin Gudrun Ziegler stets ein Ort von methodischen und begrifflichen Grundsatzgesprächen, an die ich mich beim Schreiben gern erinnert habe. Für ihre Hilfe bei der Bildrecherche bedanke ich mich besonders bei Detlev Richter, Anna Lamprecht von der Richard Borek Stiftung, Alfred
Dank und Dedikation
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Umhey, Dirk Hoffmann, Dr. Angela Klein, Dr. Erhard Schraudolph, Dr. Axel Heimsoth, Prof. Dr. Benjamin Schenk, Yuri Basilov und Dr. Gudrun Wirtz. Mein größter Dank (posthum) in Sachen Abbildungen geht nach Leipzig an den Zeitgenossen und scharfsinnigen Beobachter seiner Zeit, Christian Gottfried Heinrich Geißler, den ich kurzerhand zum Hauptillustrator meiner Arbeit gewählt habe. Für die Übernahme der Kosten für Reproduktions- und Bildrechte danke ich der Richard Borek Stiftung (Braunschweig). Zuletzt ein Hinweis: Beim Überarbeiten der Qualifikationsschrift habe ich sehr bald den Schwerpunkt auf sinnvolle Ergänzungen statt auf Kürzungen gelegt und entschieden, zwei Kapitel auszulagern und diese, gleichwohl sie eindeutig zur Monographie gehören, online als Open-Access-Veröffentlichung im französischen Repositorium Hal-SHS, archives ouvertes »Hyper Article en Ligne – Sciences de l’homme et de la société« (http://halshs. archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON) zu veröffentlichen. Dies sind ein Kapitel über das westphälische Postwesen, die Briefkultur und den Stellenwert der Soldatenbriefe in der westphälischen Gesellschaft sowie ein Kapitel über das Medium »Gerücht«. Ich hoffe, dass beide Teile der Arbeit, der gedruckte wie der online publizierte, gleichermaßen Interesse finden. Für ihren Rat in Bezug auf digitales Publizieren bin ich meinem Münchner Kollegen Gregor Horstkemper, Referatsleiter des Zentrums für Elektronisches Publizieren an der Bayerischen Staatsbibliothek, sowie meiner Pariser Kollegin, Dr. Mareike König, Initiatorin der Blogplattform für die Geisteswissenschaften de.hypotheses.org, sehr dankbar. Zuallerletzt: Grand merci aux miens, Berthold, Léo et Gustav, d’avoir supporté la longue gestation de ce manuscrit, dure à bien des étapes et parfois si peu compatible avec la vie de famille. Merci également à mes parents pour leur constant soutien. Et puis, toute recherche historique impliquant que l’on se rapproche du vécu de ses aïeux, dans le moment de conclure, c’est à mes grands-pères, celui à qui ses cinq années de captivité dans le sud de l’Allemagne valurent certainement d’acquérir des notions d’allemand, et celui qui savait si bien, d’un simple »Grüßgott«, se faire passer pour un vieux Bavarois de souche au bord du Walchensee, que se portent mes pensées. München, im Juli 2012
Claudie Paye
Einleitung 1.
Problemstellung und Ausgangslage
Er habe eine »kurze ergreifende Grabrede [gehalten], zwar in Französisch, doch ›sprach er wie ein Deutscher‹«, schrieb ein Deutschsprachiger in einem Brief aus dem Jahre 1809 anerkennend über die Rede eines Französischsprachigen anlässlich des ersten zeremoniell inszenierten Staatsbegräbnisses des noch jungen Königreichs Westphalen1 . Als napoleonische Staatsgründung in der deutschen Staatenwelt wurde das Königreich Westphalen von Jérôme, dem Bruder Napoleons, vom Jahr 1807 bis zu seiner Auflösung 1813 regiert. Es war infolge des Friedens von Tilsit von Napoleon nicht zuletzt als Modellstaat mit Vorbildcharakter für die übrigen Rheinbundstaaten zur Einführung von Rechts-, Gesellschafts- und Staatsreformen gegründet worden2 . Das Königreich Westphalen war durch einen Verwaltungsapparat, der teils auf Französisch und teils auf Deutsch arbeitete, und durch eine verstärkte Einwanderung von französischsprachigen Migranten geprägt 3 . Insgesamt resultierte daraus eine neuartige Situation des deutsch-französischen Sprachkontakts in einer Gegend, die traditionell nicht durch breite deutschfranzösische Zweisprachigkeit geprägt war4 . 1
Reinhard, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 146. Vgl. KLEINGeschichte des Königreichs Westfalen, S. 267. Vgl. Brief Reinhards an Villers, 7. 6. 1809, in: ISLER (Hg.), Briefwechsel. Vgl. ferner Le Moniteur westphalien, Nr. 65, 1. Juni 1809, S. 281f. Es wurde auch eine Lobrede auf Latein von Prof. Mitscherlich auf J. von Müller gehalten, vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 68, 8. Juni 1809. Vgl. MÜLLER, Briefwechsel und Familienbriefe, S. 400. Im Folgenden wird von »Westphalen« und »westphälisch« in dieser Schreibweise die Rede sein: Damit ist die territoriale Unterscheidung zur preußischen Provinz Westfalen und zu der westfälischen Region impliziert, vgl. OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 80. Das Königreich Westphalen war geographisch in Mittel- bis Norddeutschland gelegen und setzte sich mit mehreren Gebietsveränderungen aus preußischen Gebieten Ostwestfalens, dem Osnabrücker Land, kurhessischen, hannoverischen und braunschweigischen Territorien zusammen. Es zählte circa zwei Millionen Einwohner. Kassel, die Hauptstadt, hatte circa 20 000 Einwohner. Vgl. BAIL, Statistique générale; HASSEL, Geographisch-statistischer Abriß; DERS., Statistisches Repertorium. Die westphälische Herrschaft war zudem durch einen Verschriftlichungsschub in ihrer Verwaltung charakterisiert. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 97; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 92, 139. Zu Beginn der westphälischen Herrschaft bereits anwesende deutsch-französische Zweisprachige sind u.a. die Hugenottennachkommen. Die Territorien, aus denen das Königreich Westphalen zusammengesetzt war, waren zuvor teilweise preußische und hessen-kasselanische Gebiete gewesen, in denen französische réfugiés seit dem 17. Jh. Aufnahme gefunden hatten. Deren Nachkommen, die zum Teil in Landkolonien lebten, aber auch in Kassel und Magdeburg, pflegten die französische Sprache sowohl mündlich als auch schriftlich, manche bis zur SCHMIDT,
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Einleitung
Der Verstorbene, dem die kommentierte Grabrede galt, war Johannes von Müller, Schweizer von Geburt und Historiker von Beruf 5 . Nach kurzem Wirken als Innenminister und daraufhin als Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts im Königreich Westphalen war er gestorben, manchen Zeitgenossen zufolge aus Sorge um das Schicksal der Universitäten in dem neuen napoleonischen Staat 6 . Der Grabredner, Joseph Jérôme Siméon, war ebenfalls eine hohe Persönlichkeit des westphälischen Staates. Er hatte als Jurist an der Ausarbeitung des napoleonischen Code civil mitgewirkt und stellte als Justizminister und aus Frankreich importierter Amtsträger des Grand Empire sozusagen einen Grundpfeiler der westphälischen Regierung dar7 . Der Kommentator der Grabrede war der fünfsprachige Karl Friedrich (von) Reinhard, Vertreter des französischen Kaiserreichs am westphälischen Hof und gebürtiger Württemberger8 , dem manche französischen Zeitgenossen nachsagten, selbst ein »Allemand forcé«, ein »gezwungener Deutscher«, zu sein9 . Der Adressat des Kommentars war Charles François Dominique de Villers, ab 1811 Professor in Göttingen und vollkommen zweisprachig, ein ehemaliger émigré der Französischen Revolution, der sich in die deutschen Verhältnisse als Gelehrter rasch integrierte und Müllers Leidenschaft
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westphälischen Zeit. Vgl. u.a. TOLLIN, Geschichte der Französischen Colonie von Magdeburg; FISCHER, Die französische Kolonie zu Magdeburg; DREUSICKE, Die französischen Gemeinden in Kassel; KADELL, Die Hugenotten in Hessen-Kassel; DESEL, Hugenotten und Waldenser in Hessen-Kassel; 300 Jahre Hugenotten in Hessen; FRANÇOIS, Die Traditions- und Legendenbildung im deutschen Refuge; THADDEN, MAGDELAINE (Hg.), Die Hugenotten; LICHTENTHAL-MILLÉQUANT, Französische Sprachinseln; ESCHMANN (Hg.), Hugenottenkultur in Deutschland; DESEL (Hg.), 100 Jahre Deutscher Hugenotten-Verein; KIEFNER, Glaubensflüchtlinge; HÖPEL, MIDDELL (Hg.), Réfugiés und Émigrés; LICHTENTHAL, Die Sprache der Hugenotten und Waldenser; KEIM, »Savoir vivre«, S. 129; BRAUN, LACHENICHT (Hg.), Hugenotten und deutsche Territorialstaaten; NIGGEMANN, Konflikt oder Konsens? Der Übergang zur westphälischen Herrschaft wurde sprachlich gesehen insofern geebnet, als u.a. beim Adel die französische Sprache als lingua franca und die französische Lebensart des 18. Jh. längst Einzug gehalten hatten. Vgl. SCHLOBACH, Der Einfluß Frankreichs; BÖDEKER, Strukturen der Aufklärungsgesellschaft; KRAMER, WINKELMANN (Hg.), Das Galloromanische; KRAMER, Das Französische in Deutschland; SAUDER, Die französische Sprache in Deutschland; KEIM, »Savoir vivre«, S. 132. Vgl. u.a. JAMME, PÖGGELER (Hg.), Johannes von Müller; BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 246. Vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 41; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 266, ferner S. 35, 160, 267; MÜLLER, Briefwechsel und Familienbriefe, S. 392, 394 f., 398 f. Vgl. ROBERT u.a. (Hg.), Dictionnaire des parlementaires français, Bd. 5, S. 319 f.; TULARD, Siméon; BERDING, Napoleonische Herrschaft zwischen Okkupation und Staatsneubildung. Vgl. LANG, K. Fr. Reinhard; DELINIÈRE, K. Fr. Reinhard; BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 250. Reinhard wurde Ende 1809 zum baron de l’Empire ernannt und nannte sich danach »von Reinhard« (de Reinhard). ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 12.
1. Problemstellung und Ausgangslage
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für die deutschen Universitäten teilte10 . Manche Westphalen sagten ihm sogar nach, aufgrund seiner Assimilation sei er kein wahrer Franzose mehr11 . Aus dem Quellenzitat und den biographischen Hintergründen der mit ihm verbundenen Zeitgenossen lassen sich wesentliche Indizien zur damaligen Wahrnehmung von Sprachen ableiten, die deren zentralen Stellenwert für die Kommunikation in der westphälischen Öffentlichkeit nahe legen: Über die Thematisierung der Sprachen erfolgte offensichtlich eine Stereotypisierung von Nationalcharakteren, somit eine Abgrenzung. Der Kommentar beurteilte die Qualität der von Siméon gehaltenen Rede und suggerierte, ein Deutscher könne den würdevollen Charakter, den ein Staatsbegräbnis erfordere, sprachlich eigentlich besser ausdrücken als ein Franzose. Siméon habe jedoch die ehrenvolle Aufgabe – obwohl in französischer Sprache – mit dem Glanz und der Größe eines Deutschsprachigen vollbracht 12 . Die Sprachen wurden offensichtlich als monolithische Gebilde angesehen, wobei ihre Sprecher wiederum gelegentlich in der Lage waren, die vermeintlich nationalen Eigenheiten zu überwinden, die den einzelnen Sprachen anhafteten. Schließlich wurden anlässlich der staatsmännischen Trauerminute Deutsche und Franzosen beziehungsweise Deutschsprachige und Französischsprachige in dieser neuen westphälischen Gesellschaft als vereint dargestellt. Das Quellenzitat drückt prägnant die gleichzeitige Nähe und Distanz zwischen verschiedenen Sprach- und Nationalgemeinschaften aus der Sicht eines Diplomaten aus. Die vier Persönlichkeiten, die in Verbindung mit dem Quellenzitat stehen, waren alle Repräsentanten einer Elite, weswegen vorläufige Schlussfolgerungen über vermeintliche zeitgenössische 10
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Vgl. ISLER (Hg.), Briefe; DERS., Briefwechsel. Einige Schriften Villers aus der westphälischen Zeit sind: vgl. VILLERS, Érotique comparée; DERS., Coup d’œil sur les universités; DERS., Coup d’œil sur l’état actuel de la littérature ancienne. Im Jahre 1806 war Villers Autor von zwei antifranzösischen Flugschriften, die sich gegen die Übernahme Lübecks durch die Franzosen wandten, vgl. Combat de Lübeck; Lettre à Madame la Comtesse F[anny] de B[eauharnais]. Vgl. darüber ISLER (Hg.), Briefe, S. XIV; SANDER, Artikel »Charles François Dominique de Villers«, in: ADB, Bd. 39, S. 709–714; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 146; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 431. Von Villers wurde auch 1814 ein anti-napoleonisches Pamphlet veröffentlicht: vgl. [VILLERS, JACOB], Hundert und etliche Fanfaronaden. Über Villers als Gelehrten und über seine Schriften, vgl. WURM, Beiträge zur Geschichte der Hansestädte; ULRICH, Charles de Villers; EGGLI, L’»Érotique comparée« de Charles de Villers; DELON, Clivages idéologiques et antagonismes nationaux. Vgl. ferner über die deutschfranzösischen Intellektuellen in der napoleonischen Ära: DUFRAISSE, Adelbert von Chamisso et Louis de La Foye. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 100 f. Reinhards Urteil war ansonsten kritisch über Siméon, der »kein Wort deutsch [verstehe] und […] weit entfernt [sei], sich in seinen Gedanken und Gewohnheiten dem deutschen Geiste irgendwie genähert zu haben«. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 69 f.
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Einleitung
Wahrnehmungen von Sprachen vorerst auf diesen Kreis einzuschränken sind. Dieses Beispiel kann dennoch exemplarisch aufzeigen, dass Sprachen im Königreich Westphalen einen zentralen Stellenwert in der Fremdwahrnehmung sowie in der Konstituierung von Selbst- und Fremdbildern einnahmen. Zum Hintergrund des Kommentars kann sicherlich auch die an Nachhaltigkeit gewinnende Debatte um den Zusammenhang von Sprache und Nation im Europa des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts gerechnet werden. Mit dem Aufstieg des modernen Nationalismus im späten 18. Jahrhundert erhielt die Sprachenfrage zentrale Bedeutung. Die Entstehung von sprachlicher Einheit sollte ein entscheidendes Kriterium bei der Gründung von Nationalstaaten und für die Verbreitung des Nationskonzepts werden. Nicht selten stigmatisierten sich Zeitgenossen gegenseitig als »Franzosenfreunde«13 , »Franzosendiener«14 , »Allemand forcé«15 , »deutsche Ausländer«16 , »deutsche Franzosen«17 , »westphälische Franzosen«18 , »Nationale«19 , »Französlinge«20 , »Neu-Französische«21 , »Transrhenaner«22 , »Kolonisten«23 , »Westphälinger«24 oder als »Zweideutige«25 , wenn nicht gar als »veränderliche Mensch[en]«26 . Diese nationalen Markierungen verbin13
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GStA PK, I. HA, Rep. 91 C, Nr. 1360, Akten des Zivilgouvernements zwischen Elbe und Weser: Untersuchungsakte gegen Professor Zinserling, ehemaliger Lehrer der Geschichte am westphälischen Hof wegen Franzosenfreundlichkeit; ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 79; HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 46, 65; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 66; LOSCH, Kfm. Hessen, S. 50. BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 251. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 12. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 68, 77, 89; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 40 f.; vgl. ferner ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 137. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 65, 68, 72, 75, 93, 98; ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 279; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 40; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 87. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 23. BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 245. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 636; WEIDEMANN, Fr. W. A. Murhard, S. 20. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 90. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 101. Ibid., S. 25. [Kriegsrath von CÖLLN], Vertraute Briefe über die innern Verhältnisse am Preußischen Hofe, 1807–1809, in: BUCHNER, Anno Dazumal, S. 275; CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 114; [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 77; NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 95; LOSCH, Kfm. Hessen, S. 66; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 82. SCHELLER, Jeromiade, S. 8; WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 14; HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 44 f. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 116.
1. Problemstellung und Ausgangslage
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den wechselhaft und diffus Sprache, geographische Herkunft und politische Parteizugehörigkeit beziehungsweise -anhängerschaft in diversen Kombinationen27 . Die Thematisierung von Sprachen durch die Zeitgenossen bildet offensichtlich einen Kristallisationspunkt, der als Gegenstand einer Untersuchung daher besonders relevant erscheint. Die Untersuchung der Wahrnehmung und des Stellenwertes von Sprachen in der westphälischen Gesellschaft, vor dem Horizont der beginnenden Bildung von Nationalstaaten am Anfang des 19. Jahrhunderts, die sich unter Bezugnahme auf vermeintlich dezidierte Sprachgemeinschaften konstruierten, verspricht besonders aufschlussreich zu sein. Die Sprachenfrage führte zumindest bei einigen zeitgenössischen Reflexionen zu einer Polarisierung in Bezug auf die Wahrnehmung des Fremden und auf die Ablehnung der neuen Herrschaft. Neben den Stigmatisierungen, die teilweise unter Rekurs auf die sprachlichen Kompetenzen entstanden, lässt sich in den Quellen ein erstaunliches Phänomen beobachten: Im Gegenzug zur bewussten Thematisierung von Sprachen fällt eine Art mysteriöse sprachliche Eintracht auf 28 . Teilweise werden mögliche sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zwischen Deutsch- und Französischsprachigen gänzlich ausgeblendet, so dass der Eindruck einer quasi magischen Verständigung entsteht, die scheinbar die Kommunikation selbst zwischen Verschiedensprachigen ermöglichte; oder es scheint die Verständigung trotz der sprachlichen Differenzen so selbstverständlich gewesen zu sein, dass dies beispielsweise in Polizeiakten gar nicht sichtbar wird. An anderen Stellen jedoch werden die sprachlichen Differenzen als grundlegendes Problem thematisiert und mit Nachdruck hervorgehoben, als resultiere das Scheitern der westphälischen Herrschaft vor allem aus diesem Verständigungsproblem. Zwischen diesen beiden Extremen bestehen wenig Hinweise auf intermediäre Situationen und Wahrnehmungsmuster. Einerseits wird also in einigen Quellen das »Sprachproblem«, nämlich die Schwierigkeit von Deutschund Französischsprachigen, miteinander zu kommunizieren, ignoriert oder erscheint nicht existent, wo eigentlich Verständigungsschwierigkeiten zu erwarten gewesen wären. Andererseits bekräftigen andere Quellen, dass die deutsch-französischen Sprachbarrieren und -hindernisse das Zusammenleben massiv erschwert hätten. Dieses Paradoxon um zeitgenössisches Sprachbewusstsein und tatsächliche sprachliche Möglichkeiten der westphälischen Staatsbürger zu ergründen ist Aufgabe der vorliegenden Unter27
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Über den Nationsbegriff zu Beginn des 19. Jh., der mit dem Ende des 19. Jh. geläufigen Nationsbegriff nicht viel gemein hatte, vgl. JEISMANN, Das Vaterland der Feinde, u.a. S. 19; PALLUEL-GUILLARD, L’idée de nation, S. 27. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 16; MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 34.
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Einleitung
suchung. Möglicherweise ergibt sich ein Zusammenhang mit dem um 1800 aufkommenden sprachlichen Einheitsideal. Als Ausgangshypothese kann formuliert werden, dass die deutsch-französische Sprachbarriere von den Zeitgenossen bewusst hochstilisiert worden sein könnte, obwohl die Verständigung und die Kommunikation sich eigentlich bewerkstelligen und die Sprachenvielfalt innerhalb der westphälischen Gesellschaft sich im Alltag bewältigen ließ29 . Der Widerspruch zwischen der überspitzten Thematisierung einerseits und dem Verschweigen der Sprachenvielfalt sowie der daraus resultierenden Verständigungsprobleme andererseits wird zum Anlass für die Frage genommen, wie sich die Wahrnehmungen der Sprachen konstituierten und wie sich die kommunikative Alltagspraxis durch die Präsenz des Deutschen wie des Französischen in der westphälischen Gesellschaft neu organisierte.
2. Sprachpolitisches Erbe der Französischen Revolution und des Empire – Aufbruch in das Zeitalter der Nationen Die bereits erwähnte aufkommende Debatte um den Zusammenhang von Sprache und Nation im Europa des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts steht in besonderer Verbindung mit dem Erbe der Französischen Revolution. Denn ausgerechnet im Zuge der Französischen Revolution wurde eine plötzliche Wende im Umgang mit den Regionalsprachen und Dialekten herbeigeführt. Während noch in den Jahren 1790 bis 1793 die Tendenz vorherrschend war, für Übersetzungen zu sorgen, die die Verbreitung des revolutionären Gedankengutes in den Provinzen sichern sollten30 , wurde ab 1794 jegliche sprachliche Abweichung von der französischen National-sprache gerügt und konsequent propagiert, die Sprachenvielfalt stelle eine Bedrohung der nationalen Einheit und der Republik dar und daher müsse die sprachliche Einheit für die Verankerung der französischen Nation und des Staates dringend herbeigeführt werden31 . Mit dieser sprachpolitischen Umkehr wurde die Entstehung von sprachlicher Einheit als 29 30 31
Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 8. Vgl. u.a. LANG, K. Fr. Reinhard; ZANDER, Französische Sprachpolitik, S. 122. Vgl. u.a. CERTEAU, JULIA u.a. (Hg.), Une politique de la langue; GUILHAUMOU, SCHLIEBEN-LANGE (Hg.), Langue et révolution; GUILHAUMOU (Hg.), Langages; DERS., La langue politique et la Révolution française; PELZER, Sprachpolitik; JEISMANN, Vaterland der Feinde, S. 146–150; STEIN, Einheit der Nationalsprache, S. 109 f.; THIESSE, La création des identités nationales, S. 70. Die Bibliographie zur jakobinischen Sprachpolitik ist durch ihre verstärkte Erforschung in den letzten dreißig Jahren recht umfangreich, während die napoleonische Sprachpolitik noch kaum erforscht worden ist. Vgl. CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 12; vgl. auch PABST, Französisch in Verwaltung und Schule, S. 149; ZANDER, Französische Sprachpolitik.
2. Sprachpolitisches Erbe der Französischen Revolution
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ein entscheidendes Kriterium bei der Gründung von Nationalstaaten definiert. Die sprachpolitischen Projekte im Rheinland liefen zunächst auf eine Oktroyierung der französischen Sprache hinaus, auch wenn sie ihr Ziel weitgehend verfehlten32 . Zeitgenössische Schriften zeigen, wie spannungsgeladen die Sprachenfrage in diesem Kontext besprochen wurde33 . Auch in der Helvetischen Republik war im Zeitalter der Französischen Revolution und des Empire die Sprachenfrage Kern einer Debatte über die Beziehung von Sprache und Nation34 . In Deutschland wurde die Sprachenfrage bereits am Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt thematisiert. Seit den 1770er Jahren wurde die Vormachtstellung des Französischen als dominierende Kultursprache Europas in den verschiedensten Bereichen immer deutlicher in Frage gestellt 35 . Die enge konzeptuelle Verbindung zwischen Sprache und Nation und die Frage der Nationalsprachen bildet eine der zentralen europäischen Angelegenheiten ab Ende des 18. Jahrhunderts36 . In der untersuchten Zeitspanne setzte zudem eine Mythologisierung der Sprachen durch die Befürworter der späteren Staats- und Kulturnationen ein37 . Frankreich als Staatsnation im Werden wurde dabei vornehmlich über seine natürlichen Grenzen und die Staatsbürgerschaft definiert 38 , während für Deutschland als Kulturnation die Einheitssprache im Laufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich an Bedeutung gewann39 . Die Sprachfrage hat einen zentralen Stellenwert bei Johann Gottfried Herder. Für ihn liegt im Sprachgenie die Seele der Nation40 . Demgegenüber nahm in der jakobinischen Sprachpolitik die Einheitssprache Französisch zwar auch einen zentralen Stellenwert im Kampf gegen die Dialekte ein, allerdings mehr als unabdingbares Mittel der Verständigung und somit der Verbreitung der revolutionären Ideen, weniger als ideologischer Grundsatz. In diesem Gefüge entstand nun 1807, wenn auch nur für kurze Zeit, die »westphälische Nation« mit neuen, wechselhaften Grenzen, mindestens zwei Sprachen und einer Staatsbürgerschaft.
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Vgl. u.a. HARTWEG, Langue esclave et langue de la liberté, S. 80–83; STEIN, Französisches Verwaltungsschriftgut in Deutschland, S. 6; SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 93–95. Vgl. STEIN, Einheit der Nationalsprache; vgl. ferner REBMANN, Blick auf die vier neuen Departements; DERS., Bescheidene doch freimüthige Andeutung. Vgl. ZIMMER, Wie viele Sprachen braucht die Nation? Vgl. STOROST, Langue française – langue universelle?; LÜSEBRINK, REICHARDT, Einführung, in: DIES., »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 20. Vgl. THIESSE, La création des identités nationales, S. 69 f. Vgl. ibid. Vgl. STEIN (Hg.), Untertan, Citoyen, Staatsbürger; THIESSE, La création des identités nationales, S. 38–42; vgl. ferner JEISMANN, Vaterland der Feinde, S. 151 f.; GOSEWINKEL, Einbürgern und Ausschließen. Vgl. HARNIER, Bildet der Rhein; OWZAR, Der alte Schein des neuen Reichs, S. 160. Vgl. THIESSE, La création des identités nationales, S. 37, vgl. S. 38.
24
Einleitung
3.
Themenkomplexe und Fragestellung
Die Untersuchung geht in drei Schritten vor, die eingehend im untenstehenden Abschnitt über den Aufbau der Arbeit erläutert werden, jedoch zum besseren Verständnis der Fragenkomplexe vorweg erwähnt werden sollen. In einem ersten Teil (A) wird die Sprachpolitik berücksichtigt. Darauf aufbauend werden in einem zweiten Teil (B) die Sprach- und Kommunikationspraktiken behandelt, um schließlich in einem dritten Teil (C) auf zeitgenössische Reflexionen über die Sprachen einzugehen, die aus Situationen des Sprachkontakts oder gar -konflikts entstanden. Die Sprachenfrage und die Kommunikation mit den Sprachen und jenseits der Sprachen in der westphälischen Herrschaft und Gesellschaft steht im Mittelpunkt der Arbeit, die sich in erster Linie als kultur- und sozialgeschichtliche Untersuchung versteht, unter Berücksichtigung des politischen Kontextes. Die napoleonische Ära war durch einen starken Eingriff der europäischen Politik in die Alltagswirklichkeiten der Europäer geprägt 41 : Deswegen kann die politische Dimension der Sprachenfrage schwerlich ausgeblendet bleiben. Die kommunikativen Praktiken der westphälischen Bevölkerung in einem durch Zensur und politische Konflikte geprägten Zeitalter gewähren unweigerlich einen Einblick in die politische Kultur breiterer Bevölkerungsschichten42 . 3.1.
Sprachpolitik
Mit der Einführung eines ministerial-bürokratischen Verwaltungsapparats nach französischem Vorbild, der Französisch in der oberen und Deutsch in der unteren Verwaltungsebene als Amtssprache verwendete, ergibt sich die Frage nach der Bedeutung des Französischen als Herrschaftsinstrument innerhalb der Verwaltung und in deren Interaktion mit der westphälischen Gesellschaft 43 . Mit der Machtübernahme durch König Jérôme wurde ein französischsprachiger Monarch zum Herrscher über Deutschsprachige. Inwieweit bedeutete die Definitionsmacht der westphälischen Obrigkeit über die Verwaltungssprachen und die Verwaltungsbereiche, die in der einen oder der anderen Sprache zu führen waren, eine Herrschaft über die Sprachen44 ? 41 42 43
44
Vgl. PETITEAU, OLIVIER, CAUCANAS (Hg.), Les Européens; PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 24. Das Königreich Westphalen erhielt acht Departements mit 27 Distrikten, die wiederum in Kantone und Munizipalitäten unterteilt waren. Sunderbrink dazu: »Eine derartige administrative Durchdringung, die jeden Bewohner erreichen sollte, hatte es in den Vorgängerstaaten nicht gegeben«. SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 104. Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 6, 34.
3. Themenkomplexe und Fragestellung
25
Im Kern geht es um die Frage, welche Sprachpolitik der westphälische Staat verfolgte und wie der Bezug zwischen den beiden Amts- und Öffentlichkeitssprachen im Königreich Westphalen und dem ambivalenten Konstrukt der »westphälischen Nation« staatlicherseits hergestellt wurde. Plante man auch eine neue sprachliche Einheit zu schaffen, die als Mittel staatlicher Einheit fungiert hätte, im Sinne der angedachten »westphälischen Nation«45 ? Gab es kurzfristige und langfristige Pläne in Hinsicht auf die Sprachausbildung im Königreich Westphalen46 ? War es eine dringende Staatsaufgabe, die Kommunikation zwischen französisch- und deutschsprachigen Untertanen durch die Oktroyierung der französischen Sprache oder durch eine Sprachpolitik, die die Zweisprachigkeit förderte, zu ermöglichen? Wie ging man im westphälischen Staat, der sich gern auch als »Staat ohne Vergangenheit« präsentierte, mit den Sprachfertigkeiten der Staatsbürger als Erbe aus vorwestphälischer Zeit um47 ? Vor dem Hintergrund der bereits genannten Implikation der Sprachenfrage in die nationalen Projekte in Europa erscheint es besonders zentral zu 45
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47
In einem Pro Memoria zum neuen westphälischen Staat und zu seiner Vorgeschichte wurde die westphälische Nation gefeiert, indem bspw.Wedekind und Karl der Große als westphälische Nationsbrüder miteinander versöhnt wurden. Vgl. SHAT Vincennes, Akte 1 M 1526: Notice historique sur la Westphalie, par Wermuth, de Minden, le 22 août 1807 (43 Seiten). Eine Bestandsaufnahme der bei Staatsgründung bereits vorhandenen Möglichkeiten des französischen Spracherwerbs in den Territorien des Königreichs Westphalen liefert u.a. BAIL, Statistique générale. Die einprägsame Losung des »Staates ohne Vergangenheit«, die mehrere Generationen von Historikern fasziniert hat, stammt aus einer Rede des westphälischen Staatsrats und Generaldirektors der Steuern und späteren Finanzministers, K. A. Malchus von Marienrode, vor den Reichsständen, datiert vom 14. 7. 1808: »In einem Staate, der wie unserer auf den Sieg gegründet ist, giebt es keine Vergangenheit«. Zitiert nach: KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 176. Vgl. auch CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 179 f., 191. J. von Müller bediente sich ähnlicher Argumente in einer Rede: »Das Alte ist vorüber; lasst uns den Blick auf die Gegenwart heften, um in ihr die Keime der Zukunft zu entwickeln«. Zitiert nach: CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 266. Diese Rhetorik der Stunde Null und des neuen Lebens wurde unter der westphälischen Herrschaft fortgeführt. In der Ankündigung des Periodikums »Westfalen unter Hieronymus Napoleon I.« wurde im Dezember 1811 die Entstehung des westphälischen Staates so gewürdigt: »Es war die Geburt zu einem neuen Leben«. Le Moniteur westphalien, Nr. 307, Beilage, 25. Dezember 1811. Zu den Kommentaren der Historiker vgl. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 23; TULARD, Siméon, S. 558; BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 248 f. Knöppel schreibt bspw.: »Jedes Zugeständnis an die Vergangenheit war in diesem Kunststaat eine Existenzfrage«. KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 22. Bemerkenswert ist, dass diese Staatsrhetorik im Widerspruch zur Traditionskontinuität etwa beim Festkult und den Festpredigten stand, vgl. KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«, u.a. S. 532 f.
26
Einleitung
hinterfragen, wie im Königreich Westphalen die Sprachenfrage seitens des Staates behandelt wurde. 3.2.
Sprach- und Kommunikationspraktiken
Der Historiker Heinrich von Treitschke schrieb einst provokativ über die napoleonische Ära in Deutschland: »Wie sollte der Bauer Vertrauen fassen zu Beamten, deren Sprache er nicht verstand?«48 Sollte die westphälische Gesellschaft, zusammengesetzt aus französischsprachigen Einwanderern und deutschsprachigen Einheimischen, unter denen auch Zweisprachige nachweisbar sind, sich wirklich nicht auf die neuen Herrschaftsverhältnisse in ihrer Kommunikationsweise eingelassen, eingestellt und sich ihnen angepasst haben? Wie gestaltete sich die neue Herrschaftssituation für ein breites Spektrum der Gesellschaft in Bezug auf Sprachen und Kommunikation? Nahmen die westphälischen Staatsbürger wahr, dass sie von einem »prince français« regiert wurden und dass ein Teil der Verwaltungsgeschäfte von nun an auf Französisch abgehandelt wurde49 ? Registrierte die Mehrzahl der westphälischen Staatsbürger eine Veränderung ihres administrativen und sprachlichen Umfelds? Inwieweit fand Französisch als die Sprache der Macht Verbreitung, Resonanz, Akzeptanz oder Ablehnung50 ? Wie wurden die deutsch-französischen Sprachbarrieren überwunden und inwiefern ergaben sich aus ihnen besondere Handlungsspielräume für die westphälische Bevölkerung, wie beispielsweise Möglichkeiten der ungestörten Kommunikation? Wie adaptierten die Westphalen ihre kommunikativen Strategien im neuen mehrsprachigen Kontext 51 ? Wie gestaltete sich die Kommunikation im Königreich Westphalen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Sprach- und Sozialfertigkeiten52 , aber auch unter Hinzuziehung von außersprachlichen Kommunikationselementen? Welche zentralen Dynamiken können im gesamten Kommunikationsspektrum der Westphalen erkannt werden, welche ermöglichen es, die Relevanz der sprachlichen Problematik und speziell der deutsch-französischen Sprachbarriere einzuordnen? Wie war es beispielsweise um die Gewichtung zwischen Schrift-, Bildund »leibgebundenen« Medien bestellt 53 ? Welchen Stellenwert nahmen das 48 49 50 51 52 53
Treitschke, zitiert nach: KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37. Vgl. BOUDON, Le roi Jérôme, S. 123. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 127. Vgl. HENNE, Innere Mehrsprachigkeit. Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 6, 34. Mit den »leibgebundenen« Medien sind diejenigen Kommunikationsformen gemeint, die einem direkt körperlich vorhandenen Gegenüber basierend auf Sprache, Mimik und Gestik eine Nachricht übermitteln. Gerüchte werden bspw. als leibgebundene Medien verstanden. Vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 138 f.
4. Forschungsstand
27
Medium »Sprache« sowie die deutsche und die französische Sprache für die Kommunikation in der westphälischen Öffentlichkeit ein? 3.3.
Sprachreflexionen, Sprachkontakt und Sprachkonflikt
Bei aller selbstverständlichen Alltagsbewältigung der Sprachenvielfalt beziehungsweise der Verständigungsschwierigkeiten aufgrund der Sprachen: Wie wurde der Sprachkontakt wahrgenommen? Wie reflektierten die Zeitgenossen aus dieser neuen Situation des Sprachkontakts heraus über die Sprachen? Nahmen gesellschaftliche Konflikte ihren Ursprung in einem Ungleichgewicht zwischen den Sprachen? Wurde im Sprachkontakt der französisch- und deutschsprachigen Gemeinschaften die französische Sprache als Herrschaftsinstrument und damit als dominierend empfunden? Wurde die französische Sprache zum Katalysator sozialen Aufstiegs? Welche Rolle und Funktion spielten Sprachen in der Erkennung und Stigmatisierung des Anderen, des Fremden und in der Konstituierung von Selbstund Fremdbildern? Stellte sich die Sprachfrage oder Sprachwahl – die Entscheidung für das Französische oder für das Deutsche in einem bestimmten Gesellschaftsbereich und in bestimmten Situationen – den Zeitgenossen stets als Herrschafts- und Dominanzfrage? Wurden Tendenzen zum Sprachpurismus, zum Festhalten an der deutschen Sprache als Moment der Auflehnung gegen die Herrschaft sichtbar54 ? Wurde die deutsche Sprache bewusst als »Gegen-Sprache«, als Sondersprache genutzt, die den französischsprachigen Mitbürgern entging55 ? Was bedeutete es für die Zeitgenossen, »der französischen Sprache mächtig« zu sein? War ihnen das Machtgefälle bewusst, das die Metaphorik dieses Ausdrucks verbirgt 56 ?
4. 4.1.
Forschungsstand Nationalbewusstsein und Nationsbildung
Zwei Aspekte der neueren Forschung zum Nationalbewusstsein und zur Nationsbildung im 19. Jahrhundert sind für diese Arbeit relevant: Zum einen wird – nachdem Arbeiten zum Frühnationalismus lange Zeit in Verruf standen, unbedingt Grundzüge von Nationalbewusstsein bereits sehr frühzeitig ausmachen zu wollen –, nun anerkannt, dass die Untersuchung von Nationalismus nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts ansetzen kann. »Die Formulierung nationaler Vorurteile [ist] keineswegs ein Spezifikum des 19. oder gar nur des 20. Jahrhunderts, sondern sie entsteht – aufbauend auf mittelalterlichen Vorleistungen – am Beginn der Moderne. Sie hängt 54 55 56
Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 16, 20; KIRKNESS, Zur Sprachreinigung. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 20. Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes.
28
Einleitung
ganz eng zusammen mit der Entstehung nationaler Identitäten«57 . In neueren Forschungsarbeiten geht man davon aus, dass das Nationskonzept zwar erst im Laufe des 19. Jahrhunderts europaweit Konjunktur erfährt, dass aber bereits in früheren Jahrhunderten ein »Nationsverständnis« beobachtet werden kann58 . Die Forschung zum Nationalbewusstsein in den deutschen Territorien unter der napoleonischen Ära geht eher von patriotischer Mobilisierung lokal-chauvinistischer Prägung bei den Zeitgenossen aus als vom breiten Anschluss an einen Nationalismus, dem ein Reichsgedanke zugrunde gelegen hätte59 . Nationalismus beziehungsweise Nationalbewusstsein am Anfang des 19. Jahrhundert wird weitgehend als eine Angelegenheit einer kleinen intellektuellen und »wortgewaltigen« Elite beschrieben60 . Zum anderen wird jedoch in der laufenden historischen Forschung zunehmend dafür plädiert, neben der gängigen These, wonach die Verbreitung des Nationalismus ausschließlich eine Angelegenheit der europäischen Eliten im 19. Jahrhundert gewesen sei 61 , auch die Frage nach der Rezeption des Konzepts »Nation« durch ein weites Spektrum der Gesellschaft zu stellen62 . Die Frage nach der engen Verknüpfung der Sprachen- und Nationalfrage in ihrer Relevanz für ein breites Spektrum der westphälischen Gesellschaft erscheint deswegen am Rand der vorliegenden Untersuchung angezeigt. Bewusst soll daher der Fokus nicht auf die Schriften der kleinen intellektuellen Elite gelenkt werden, welche die national-kulturelle Identität mit der deutschen Sprache verband63 , da diese Minderheit bereits aufgrund ihres Schrifttums in der Historiographie überrepräsentiert ist. Der Blick soll hingegen auf die Bedeutung der Sprachenfrage für ein weites Bevölkerungsspektrum gerichtet werden64 .
57
58 59 60 61 62 63 64
SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 35; vgl. ferner BABEL, MOEGLIN (Hg.), Identité régionale et conscience nationale; vgl. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 42. Vgl. ferner FRANÇOIS, SIEGRIST, VOGEL, Die Nation, S. 13; LÜSEBRINK, Historische Semantik, insb. S. 853. Vgl. u.a. HAGEMANN, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 564. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 44. Vgl. THIESSE, La création des identités nationales; HAUPT, TACKE, Die Kultur des Nationalen; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 91. Vgl. u.a. PLANERT, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur, S. 60. Vgl. KUMMER, Sprache und kulturelle Identität, S. 274; LÜSEBRINK, Ernst Moritz Arndt. Über die Wichtigkeit einer Berücksichtigung des Alltagslebens und der unteren Schichten bei der Untersuchung der Sprachenfrage vgl. PABST, Mehrsprachigkeit im Rheinland, insb. S. 123. Über den »Eigensinn« der kleinen Leute als Erkenntnisinteresse der Alltagsgeschichte vgl. LÜDTKE (Hg.), »Sicherheit« und »Wohlfahrt«, S. 13, 26 f.
4. Forschungsstand
4.2.
29
Soziolinguistische und historische Sprachforschung
Eine Sozial- und Kulturgeschichte der Sprache, des Sprechens und der Kommunikation stellt ein Desiderat der bisherigen historischen Forschung dar65 . Dabei birgt die Frage, »wer, wann und in welcher Situation wie sprach«, ein großes Potential 66 . Denn lange Zeit sei, so Peter Burke, eine Sprachgeschichte ohne soziale Dimension als Gelehrtenspezialität geschrieben worden, welche die Sprache als eine vollkommene Leistung von ihren Varietäten abstrahierend betrachtete und außerdem die Sprachenvielfalt ignorierte aufgrund einer ideologischen Voreingenommenheit für sprachliche Einheit als Basis der nationalen Einheit. Tatsächlich zeigte sich lange Zeit die Sprachgeschichtsschreibung ideologisch geprägt, indem sie vornehmlich darauf ausgerichtet war, ihren Beitrag zur Konstituierung der Nationalstaaten durch ihre Untersuchung von klar unterscheidbaren Nationalsprachen zu leisten67 . Bei der Lehnwortforschung wurden zum Beispiel vordergründig segmentierte Entlehnungen recherchiert und herauspräpariert, beispielsweise aus dem Französischen, losgelöst von den Menschen, über die diese sprachlichen Leistungen zustande kamen beziehungsweise ›eingewandert‹ waren. Die Sprachgeschichtsschreibung beschränkte sich zeitweilig vorwiegend auf eine historische Semantik und war in erster Linie durch ein wort- und begriffgeschichtliches Interesse motiviert 68 . Sie begrenzte sich auf die »kanonisierte ›Höhenkammliteratur‹« und vernachlässigte die Dimension der Alltagspraxis69 . Mit dem Projekt »Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820«, das sich als Kritik an Reinhart Kosellecks »Geschichtlichen Grundbegriffen« verstand, wurde die soziale Dimension zumindest teilweise berücksichtigt 70 . In der französischen Geschichtswissenschaft bemächtigten sich die Histo65
66 67
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69 70
BURKE, Küchenlatein, S. 8; vgl. ferner SPILLNER, Vorwort: Französisch-deutsche Sprachkontakte, S. 8; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 9; BURKE, Wörter machen Leute; vgl. LACHENICHT, Mehrsprachigkeit, kultureller Austausch und Multikulturalität. BURKE, Küchenlatein, S. 10; vgl. auch SCHLIEBEN-LANGE, Traditionen des Sprechens, S. 123 f.; SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 72. Die propagandistische Art mit Langzeitwirkungen bis in den Nationalsozialismus, mit der sich z. B. die völkische Bewegung für die Bewahrung der deutschen Sprache in der wilhelminischen Zeit stark machte, zeigt, welche Ideologie am Werk war. Vgl. PUSCHNER, Die völkische Bewegung, insb. S. 27–42; DOERINGMANTEUFFEL, Informationsstrategien, S. 361 f. Vgl. u.a. BRUNNER, CONZE, KOSELLECK (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe; GUMBRECHT, LÜSEBRINK, REICHARDT, Histoire et Langage; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 24 f., 53. Ibid., S. 32; vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 8; vgl. auch SCHMITT, Zur Lehre der französischen Sprache, S. 47. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 28–32, 35 f.; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 67–69; REIMANN, Semantiken der Kriegserfahrung, S. 174 f.
30
Einleitung
riker der Nouvelle Histoire zum Teil linguistischer Methoden und legten ihren Schwerpunkt auf eine Quantifizierung von Wörtern und Begriffen, auf die Lexikometrie71 . Gegen das Diktat der Nationalgeschichtsschreibungen und der Untersuchung der dazugehörigen Nationalsprachen konnten ab den 1980er Jahren Arbeiten aus dem Bereich der historischen Soziolinguistik deutlich herausarbeiten, wie viele Formen der Mehrsprachigkeit in den frühneuzeitlichen Gesellschaften auftreten konnten: Demnach gab es in frühneuzeitlichen Gesellschaften in weit stärkerem Maße als in neuzeitlichen Viel- und Mehrsprachigkeit, was die Forschung aufgrund der teleologischen Perspektive und der Hegemonie der Nationalstaaten lange Zeit nicht wahrgenommen hatte72 . Die bisherigen Versuche einer sozialgeschichtlichen Behandlung der Sprachenfrage, beispielsweise für die »Franzosenzeit« in den deutschen Territorien, bleiben allerdings oft auf der Ebene von Einzelbelegen, Anekdoten und Indizien stehen73 oder berücksichtigen vornehmlich die aktenkundige Ebene der Verwaltung beziehungsweise den Bildungsbereich74 . Wenn in der historischen Forschung die »sprachliche Entwicklung der Jahre zwischen 1792/94 und 1814, zwischen dem Einmarsch französischer Revolutionstruppen und dem Ende der Herrschaft Napoleons durch den Sieg der Alliierten [im Linksrheinischen], immer noch etwas im Schatten des historischen Interesses« steht, mag dies nicht zuletzt »daran liegen, dass wir es hier mit einem Grenzgebiet zwischen Historie und Sprachwissenschaft zu tun haben, für das sich keiner der beiden Wissenschaftszweige so ganz 71
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Vgl. JÜTTE, Moderne Linguistik; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 53 f.; vgl. ferner BURKE, Offene Geschichte; MIDDELL, SCHÖTTLER (Hg.), Alles Gewordene hat Geschichte; RAPHAEL, Die Erben von Bloch und Febvre; REICHARDT, Historische Semantik. Vgl. SCHLIEBEN-LANGE, GESSINGER (Hg.), Sprachgeschichte und Sozialgeschichte; KIMPEL (Hg.), Mehrsprachigkeit; SCHLIEBEN-LANGE, Soziolinguistik; ULBRICH, Die Bedeutung der Grenzen, S. 155; NEVALAINEN, RAUMOLIN-BRUNBERG (Hg.), Sociolinguistics and Language History; GOEBL, Le rappel de l’histoire: le plurilinguisme; MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?; SCHULZE, zitiert nach: HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler, S. 296; MAASS, VOLMER (Hg.), Mehrsprachigkeit in der Renaissance; HÄBERLEIN, KEESE (Hg.), Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler. Vgl. eine kritische Anmerkung dazu bei SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 74. Vgl. WINDISCH, Französischer Wortschatz; GREIVE, Französische Wörter in der Kölner Stadtmundart; SCHMITT, Über Gurken und Visematenten; CORNELISSEN, Das Faible für Fisimatenten. Auf der Tagung L’Empire: une expérience de construction européenne? (Brüssel, 20.–22. 10. 2011) referierte allerdings Todorov über »Le langage comme indicateur du brassage culturel sous l’Empire, l’exemple de l’Allemagne«, vgl. L’Empire: une expérience de construction européenne?, colloque, in: Calenda, [10. 10. 2011], http://calenda.revues.org/ nouvelle21054.html (21. 3. 2012). Vgl. u.a. CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 2; STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln.
4. Forschungsstand
31
verantwortlich fühlt«75 . Obwohl bereits einige Arbeiten den Umgang mit der Sprachenfrage im Rheinland im Zeitalter der Französischen Revolution und unter der napoleonischen Ära untersucht haben76 , so sind die Sprachpolitik, die Sprach- und Kommunikationspraktiken und das Sprachdenken für den Untersuchungskontext des Königreichs Westphalen bisher noch nicht als eigenständiges Thema behandelt worden77 . Von Interesse sind für die vorliegende Untersuchung jedoch die Arbeiten, die die Sprachsituation, den Sprachwechsel und das Sprachbewusstsein sowie die sprachliche Assimilation von Hugenottennachkommen im deutschen Refugium behandeln78 . Auch Arbeiten über mehrsprachige beziehungsweise deutschfranzösische Grenzregionen bieten wesentliche Anregungen, wobei in der mehrsprachigen Schweiz, im Elsass, in Belgien oder Luxemburg jeweils ganz andere Situationen bestanden, da eine weit höhere Anzahl von Zweisprachigen das Sprach- und Kommunikationsspektrum prägte als im Königreich Westphalen79 . 75 76
77
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PABST, Französisch in Verwaltung und Schule, S. 133. Vgl. HANSEN (Hg.), Quellen zur Geschichte des Rheinlandes; PABST, Mehrsprachigkeit im Rheinland; KRAMER, Straßennamen in Köln; DERS., Französische Straßennamen; HARTWEG, Langue esclave et langue de la liberté; KRAMER, Zur französischen Sprachpolitik im Rheinland; DERS., Sprachfehler und vaterländische Gesinnung; DERS., Französische Personen- und Ortsnamen; BEERWERTH, Französische Sprachpolitik; STEIN, Französisches Verwaltungsschriftgut in Deutschland; CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik; PABST, Französisch in Verwaltung und Sprache; SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«; STEIN, Einheit der Nationalsprache; DERS., Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln; ZANDER, Französische Sprachpolitik. Vgl. ferner Beiträge zur Schul- und Bildungsgeschichte im Rheinland: FRITZ, Zur Lage und Umgestaltung des öffentlichen Unterrichts; LEYHAUSEN, Das höhere Schulwesen; ZIMMERMANN, Die Anfänge und der Aufbau des Lehrerbildungs- und Volksschulwesens am Rhein; MALLMANN, Französische Juristenausbildung im Rheinland; PABST, Bildungs- und Kulturpolitik der Franzosen im Rheinland. Vgl. ferner DIPPEL, Möglichkeiten und Grenzen des sozialen Aufstiegs. SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 95. Die »sprachlichen und bildlichen Zeichen« im staatlichen Festkult und höfischen Zeremoniell der westphälischen Herrschaft finden allerdings zunehmend Beachtung, vgl. KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«; SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 103. Vgl. HARTWEG, Zur Sprachsituation der Hugenotten; DERS., Französisch als Kultsprache?; YON, Das Refuge auf dem Lande; WILKE, Hugenotten in Berlin; BERGEFURTH, Sprachbewußtsein und Sprachwechsel; BÖHM, Akkulturation und Mehrsprachigkeit; DIES. (Hg.), Hugenotten zwischen Migration und Integration; DIES., Sprachenwechsel. Vgl. LÉVY, Histoire linguistique d’Alsace et de Lorraine; DENECKERE, Histoire de la langue française dans les Flandres; JONGEN, DE KNOP u.a. (Hg.), Mehrsprachigkeit und Gesellschaft; GRILLI, Sprache und Recht in den französischen Rheinlanden; VOGLER, Histoire culturelle de l’Alsace, S. 98–101, 152 f., 171–178, 201–204; PABST, Französisch in Verwaltung und Schule; SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 95. In linguistischer synchroner Perspektive vgl. NELDE, Volkssprache und Kultursprache; DERS. (Hg.), Sprachkonflikt und Sprachkontakt. Im
32
Einleitung
Die historische Sprachforschung hat noch einige wesentliche Felder zu erschließen, die von der Linguistik nicht ausreichend beachtet wurden: Bei den linguistischen Untersuchungen überwiegt die synchrone Perspektive, während die diachrone Perspektive vernachlässigt wird, mit Ausnahme von Arbeiten zur Geschichte der Sprachwissenschaft und der Sprachbewertung sowie im Bereich der Soziolinguistik80 . Auch die bereits genannte sozialgeschichtliche Dimension und die Mündlichkeit 81 sind eher sekundäre Themenbereiche. Die Einbeziehung der außersprachlichen Kommunikationsmittel und -vorgänge ist ebenfalls ein Desiderat. Sprache wird von den Linguisten als Handlung, als Sprechakt, angesehen82 ; weniger beachtet wurden bisher spezifische und intendierte Handlungen, die – symbolisch beladen – eine Botschaft transportieren, was einer Zeichensprache, einem Sprachgestus nahe kommt. Man denke nur an Proteste und Aufruhr gegen die Obrigkeit, die oft besonders symbolhaft ausfielen. Solche intendierten Handlungen, »rituelle Sprechhandlungen« oder »Symbolhandlungen«83 , waren aussagekräftiger und wurden unter Umständen im besonderen gesellschaftlichen Kontext der westphälischen Herrschaft intensiviert, da sie sich über vermeintliche oder reale deutsch-französische Sprachbarrieren und Verständigungsschwierigkeiten hinwegsetzen konnten. In dieser Hinsicht überrascht es wenig, dass König Jérôme im Gegenzug äußerst genau auf die öffentliche Inszenierung seiner Staatsgewalt und seines Königtums achtete84 . Außerdem wurde in linguistischen Arbeiten lange Zeit die Herrschaftsproblematik vernachlässigt, obgleich das ambivalente Verhältnis von Sprachbeherrschung und Herrschaftsausübung sicherlich einen wesent-
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Folgenden kann nicht näher auf die Diglossieforschung in der Linguistik eingegangen werden. Eine einschlägige Arbeit dazu bleibt: FISCHMAN, Bilingualism with and without Diglossia. Vgl. ROMAINE, Socio-historical Linguistics; SCHLIEBEN-LANGE, Überlegungen zur Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung; BERKENBUSCH, BIERBACH (Hg.), Soziolinguistik und Sprachengeschichte; SCHLIEBEN-LANGE, Die Traditionen der Diskurse über Sprache, http://www.uni-graz.at/fszeafww/fszeafww_glm/fs zeafww_glm_11.htm (15. 2. 2012); NEVALAINEN, RAUMOLIN-BRUNBERG (Hg.), Sociolinguistics and Language History; SCHLIEBEN-LANGE, DRÄXLER, Die Französische Revolution und das deutsche Sprachdenken. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 51. Vgl. jedoch SCHLIEBEN-LANGE, Schriftlichkeit und Mündlichkeit; DIES. (Hg.), Verschriftlichung; MOOS (Hg.), Zwischen Babel und Pfingsten. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 44, 10, 100. RÖSENER, Ergebnisse und Probleme, S. 401. Vgl. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 12. In den deutschen Territorien unter Napoleon soll besonders Wert auf symbolische Kommunikation gelegt worden sein, um den emotionalen Anschluss der Bevölkerung an die politischen Erneuerungen zu ermöglichen: vgl. OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches, S. 155–157. Über den französischen Staatskult vgl. ferner BUCHHOLZ, Französischer Staatskult.
4. Forschungsstand
33
lichen Aspekt der Fremd- und Selbstwahrnehmung darstellt und den Stellenwert der Sprachenfrage maßgeblich prägt 85 . Unter dem anhaltenden Einfluss von Ferdinand de Saussure stand der Untersuchung von Sprache durch die Geschichtswissenschaft eine »Enthistorisierung, -sozialisierung und -politisierung der Untersuchung von Sprache« entgegen86 . Erst im Zuge einer Re-historisierung der Sprachwissenschaft wurde in den 1970er und 1980er Jahren die Sprachpolitik als Bestandteil der Sprachgeschichte angesehen und avancierte zu einem ernst zu nehmenden Forschungsgegenstand87 . Im Spannungsfeld der napoleonischen Ära ist insbesondere die politische Dimension der Sprachenfrage von zentraler Relevanz: »Die Geschichte der Sprache erweist sich […] als ein Bereich, in dem politische, Sozial- und Kulturgeschichte mit vereinten Kräften arbeiten« können88 . 4.3.
Rheinbundforschung und Modellstaat Westphalen
Die »Franzosenzeit«, wie die napoleonische Ära in der deutschen Staatenwelt mit negativer Konnotation von den Historikern lange Zeit genannt wurde89 , und die westphälische ›Fremdherrschaft‹ sind im 19. Jahrhundert und zu Anfang des 20. Jahrhunderts vorwiegend unter politischen Gesichtspunkten, zudem oft polemisierend und parteiisch untersucht worden, wobei häufig der Okkupationscharakter besonders betont wurde90 . So wurde der Akzent insbesondere auf die Widerstandsbewegungen und Aufstände
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Vgl. FABIAN, zitiert nach: BURKE, Küchenlatein, S. 27; REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 4 f.; SCHLIEBEN-LANGE (Hg.), Sprache und Kolonialismus; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 28, 97. Ibid., S. 50, vgl. auch S. 51, 89. Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 5. BURKE, Küchenlatein, S. 24. Zur Herkunft der Bezeichnung »Franzosenzeit« vgl. STUBBE DA LUZ, Le maréchal Davout, S. 183 f. Einen sehr differenzierten Überblick über die Wandlungen und die verschiedenen Deutungen der Geschichtsschreibung zur Franzosenzeit, zur napoleonischen Ära in der deutschen Staatenwelt und speziell zum Königreich Westphalen, der die unterschiedlichen Funktionalisierungen der Franzosenzeit in der Historiographie besser nachzeichnet als hier in der gebotenen Kürze möglich, liefert Owzar: Vgl. OWZAR, Fremde Herrschaft, passim und insb. S. 82. Die aktuellsten umfassenden monographischen Werke über das Königreich Westphalen datieren aus dem ausgehenden 19. Jh. Die disparate Quellenlage und sicherlich nicht zuletzt auch das schillernde Wesen des Königreichs Westphalen zwichen Reformen und Ausbeutung erklären diese Sachlage. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen; HOLZAPFEL, Das Königreich Westfalen; vgl. ferner auch THIMME, Die inneren Zustände. Aktuellere regionalgeschichtliche Untersuchungen zu den westphälischen Territorien: WELCK, Franzosenzeit im Hannoverschen Wendland; HERMANN (Hg.), Die Braunschweigische Landschaft in der Westphalenzeit; TODOROV, L’administration du royaume de Westphalie.
34
Einleitung
gegen die westphälische Herrschaft gelegt 91 . Die westphälische Bevölkerung wurde teilweise aufgrund des Dörnberg-Aufstands und der Insurrektionen von 1809 als die aufrührerischste aller Rheinbundstaaten überhaupt dargestellt 92 . Diese Tendenzen wurden in teleologischer Perspektive mit Blick auf die nationalstaatliche Entwicklung interpretiert und die Aufstandsbereitschaft der Westphalen mündete wie selbstverständlich in ein Erwachen des Patriotismus im Kontext der Befreiungskriege93 . Als einziger geschichtlicher Zweck der Staatsschöpfungen des Großherzogtums Berg und des Königreichs Westphalen wurde gern die Erweckung des deutschen Nationalbewusstseins angesehen94 . Die spätere Forschung revidierte allerdings die Überbewertung der aktiven Partizipation der westphälischen Bevölkerung an den Freiheitskriegen95 . Auch entstanden im Sinne der traditionellen Politikgeschichte einige Beiträge zur Geschichte des Königreichs Westphalen, die auf König Jérôme fokussiert waren – beziehungsweise auf seine »Demontage«96 . In den 1970er Jahren allerdings, als sich Nachkriegs(west)deutschland und der ehemalige französische Erbfeind auf vielen Ebenen annäherten, war die Zeit für eine Umdeutung der Franzo91
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Vgl. insb. HEITZER, Insurrectionen zwischen Weser und Elbe; KEINEMANN, Volksstimmung; vgl. ferner für die Rheinländer: SMETS, Les pays rhénans (1794– 1814). Vgl. u.a. HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 50. Vgl. ferner und kritisch dazu SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 149; SEVERIN-BARBOUTIE, Für das »Vaterland«. Historiker wie Speitkamp relativierten den Wirkungsradius und die Bedeutung dieser Aufstände, Widersetzlichkeiten und Proteste: Die Anschlussbereitschaft blieb gering; ihnen fehlte eine intellektuelle Trägergruppe; als Ziel der Unruhen kann wenig Inhaltliches ausgemacht werden; die Proteste waren meist doch mehr antibürokratisch als antifranzösisch und sie stehen teilweise in einer langen frühneuzeitlichen Tradition der bäuerlichen Proteste. Vgl. SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 144, 148; vgl. ferner STRAUSS, »Franzosenzeit«, S. 706. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen; THIMME, Die inneren Zustände. Vgl. kritisch zu dieser Auffassung OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 76. Wie Owzar bemerkte, wurden in der Historiographie die beiden Rheinbundstaaten, die von Franzosen regiert wurden, das Großherzogtum Berg und das Königreich Westphalen besonders scharf gerügt und beurteilt. Vgl. ibid., S. 75 f. Vgl. AKALTIN, Die Befreiungskriege, S. 40 f.; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 85 f.; DERS., Eine Nation auf Widerruf, S. 67. Über den Mythos vom Befreiungskrieg vgl. PLANERT, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur, S. 60, 63 f.; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 87 f.; PLANERT, Wessen Krieg?; DIES., Auf dem Weg zum Befreiungskrieg. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig; FABRE, Jérôme Bonaparte. Die jüngste Biographie, die im Gegenzug bemüht ist, Jérôme Bonaparte in den sozialen und gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit einzuordnen, lieferte: BOUDON, Le roi Jérôme. Mehr Literaturangaben über die jahrzehntelange Disqualifizierung Jérômes als Monarch in der französischen und deutschen Historiographie: OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 77 f.; vgl. CLEMENS, Fürstendiener – Kollaborateure?, S. 124.
4. Forschungsstand
35
senzeit in der deutschen Historiographie reif 97 . Historiker wie Elisabeth Fehrenbach und Helmut Berding richteten den Fokus auf die verfassungspolitischen Errungenschaften und den modernen Reformcharakter der napoleonischen Modellstaaten auf der Ebene der Staats-, Gesellschafts- und Rechtsordnungen und erkannten die langfristigen positiven Impulse für die moderne Entwicklung des 19. Jahrhunderts98 . Seitdem werden in Bezug auf das Königreich Westphalen in vielen Bereichen verstärkt Neuerungen gewürdigt und diskutiert. Zuvorderst wird das Königreich Westphalen als erster Verfassungsstaat in der deutschen Staatenwelt anerkennend erwähnt, das heißt in der Form eines konstitutionellen Monarchismus, wobei kontrovers bleibt, ob die westphälische Herrschaftspraxis die westphälischen Stände nicht zu maßgeblich in ihren Kompetenzen beschnitt und ob die grundlegenden Prinzipien des Konstitutionalismus geachtet wurden99 . 97
98
99
Einige Arbeiten, die den Fokus auf die Verwaltungsgeschichte im Königreich Westphalen legten, waren diesen vorausgegangen: WEIDEMANN, Neubau eines Staates; KOHL, Verwaltung der östlichen Departements. Vgl. u.a. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik; DERS. (Hg.), Napoleonische Herrschaft und Modernisierung; DERS., Le royaume de Westphalie; DERS., Das Königreich Westfalen als Modellstaat; vgl. u.a. FEHRENBACH, Der Kampf um die Einführung des Code Napoleon; DIES., Traditionelle Gesellschaft und revolutionäres Recht; DIES., Verfassungs- und sozialpolitische Reformen und Reformprojekte, 1979; DIES., Verfassungs- und sozialpolitische Reformprojekte, 1981; DIES., Verfassungsstaat und Nationsbildung; DIES. (Hg.), Politischer Umbruch; DIES., Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress. Vgl. dazu ferner SEIER, Restauration; SEVERIN, Modellstaatspolitik; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 46; PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 188 f.; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 37. Über die Revision der Rheinbundforschung vgl. OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 44. Eine positivere Behandlung in der Historiographie erfuhren zuerst schon im Zuge der Weimarer Republik die Rheinbundstaaten, die nicht von französischen Herrschern regiert wurden. Die von dieser Tendenz zunächst ausgelassene Historiographie zu den bergisch-westphälischen Gebieten schloss sich verzögert an. Die Aufwertung Preußens trug ihrerseits auch zur strengen und länger anhaltenden Aburteilung Bergs und Westphalens bei. Vgl. OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 75 f., 80. Zur These eines »Schein-Konstitutionalismus« vgl. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, S. 88. Vgl. ferner OBENAUS, Die Reichsstände des Königreichs Westfalen, u.a. S. 299, 313; LENGEMANN, Parlamente in Hessen 1808–1813; ROB (Hg.), Regierungsakten des Königreichs Westphalen; FRANZ, MURK (Hg.), Verfassungen in Hessen 1807–1946; SEIER, Wahlrecht und Wahlen in Kurhessen 1807–1866, S. 106 f., 109; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 75, 80, 105; DERS., Schlendrian; HAM, Die Constitution für das Königreich Westphalen; HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland, u.a. S. 19, 152– 165; GROTHE, Model or Myth?; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 44; JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 16; PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 194; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 22, 28; SIEBENEICKER, Parlament, S. 119; OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches, S. 159; LAGATZ (Hg.), Königreich Westphalen.
36
Einleitung
Im Bereich der Justiz werden neben der Einführung des Code Napoléon, der Herstellung von Rechtseinheit auf den Gebieten des Zivil-, Straf- und Prozessrechts, des wachsenden Öffentlichkeitscharakters von Gerichtsurteilen und der Beschleunigung der Gerichtsverfahren auch die klare »Trennung der exekutiven von der judikativen Gewalt« und die Rechtsgleichheit gelobt 100 . Als begrüßenswerte gesellschaftliche Neuerungen werden die Beseitigung der alten Privilegien, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz und die Gleichstellung der verschiedenen Religionen genannt, obwohl es für eine wirkliche Befreiung der Bauern von Frondiensten an wesentlichen Prämissen fehlte101 . Die Verwaltung wurde in einen transparenteren bürokratisch-zentralistischen Apparat umgewandelt 102 . Die Regierung war nach einem modernen Büro- und Ressortsystem organisiert 103 . Selbst in der Finanzverwaltung, die aufgrund der Dauerfinanzkrise im Königreich Westphalen lange als Faktor für das Scheitern der westphälischen Herrschaft angeführt wurde, werden inzwischen auch positive Errungenschaften festgestellt, da sie zentralistisch geregelt war, Adel, Kirche und Städte als Verwalter weitgehend ausgeschaltet, die Gewerbefreiheit eingeführt und funktionsfähige Budgetkreisläufe geschaffen worden waren104 . Das Gesamturteil über die kurzlebige Erscheinung des Königreichs Westphalen reicht vom »widerspruchsvollen Modellstaat«, der trotz der – der napoleonischen Expansionspolitik geschuldeten – menschlichen und materiellen Opfer einen anhaltenden Modernisierungsschub herbeiführte105 , 100
101
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103 104
105
JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 14; vgl. KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 29; 31–35; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 67; vgl. ZUR NEDDEN, Strafrechtspflege im Königreich Westphalen. Vgl. ROB, Napoleonische Bauernbefreiung; DERS., Das Königreich Westphalen und die politisch-gesellschaftliche Modernisierung; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 43; JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 15 f.; TODOROV, Vaincre la résistance administrative, S. 32, 40–48. Über die Judenemanzipation vgl. BERDING, Die Emanzipation der Juden. Vgl. KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 22, 29. Knöppel schreibt (S. 29): »Der französische Reformimpuls des Musterstaats gedieh am weitesten in der Modernisierung der Verwaltung«. Vgl. ibid., S. 26. Vgl. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 15, 17; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 22, 35. Mit der »Domänen- und Dotationsfrage« ist die Belohnung von napoleonischen Militärangehörigen mit Gütern in Westphalen gemeint. Napoleon belohnte sie mit der Vergabe von Domänen im Königreich Westphalen und somit entgingen dem westphälischen Staat wichtige Staatseinnahmen. PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 188 f.; vgl. ferner BOUDON, L’exportation du modèle français; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 22. Owzar stellt dar, dass zunehmend Kritik gegenüber der Rheinbundforschung laut werde, da die Tendenz bestehe, die negativen Erscheinungen der napoleonischen Ära als historische Notwendigkeit anzusehen, die von den gleichzeitig herbeigeführten Modernisierungsimpulsen aufwogen werden: »Diese von der neueren Rhein-
4. Forschungsstand
37
oder vom »Reformstaat«106 beziehungsweise vom »Musterkönigreich«107 auf der einen Seite bis zum »französischen Satellitensystem«108 oder gar »Vasallenstaat«109 und »napoleonischen Protektorat«110 , das es nicht zuletzt als »Polizeistaat«111 aufzufassen gilt, auf der anderen Seite – wobei einige Historiker die Entwicklung des Königreichs Westphalen von einem viel versprechenden Modellstaat 1807 bis zu einem ausbeuterischen Satellitenstaat 1813 nachzeichnen112 . Bei dem allmählichen Umschwung in der Historiographie über das Königreich Westphalen von der Fremdherrschafts- zur Modellstaatsthese ist die Frage nach der tatsächlichen Staatssouveränität des westphälischen Staates und seiner Emanzipation gegenüber dem napoleonischen Kaiserreich als zentrale Bedingung für das Urteil über die Erfolgschancen der neuen Staatsgründung in den letzten beiden Jahrhunderten eigentlich stets konstant geblieben113 . Während die jüngere Rheinbundforschung der napoleonischen Ära positive Züge im Bereich der verfassungspolitischen Reformen zuzuschreiben geneigt ist, wird in der Nationalismusforschung hervorgehoben, die Franzosenzeit habe maßgeblich zur »Herausbildung eines deutschen Nationalbewusstseins« im 19. Jahrhundert beigetragen114 . Der These von einer Politisierung der Gesellschaft ist zumindest für den untersuchten Zeitrahmen
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bundforschung vertretene, teleologisch anmutende Deutung stößt daher zunehmend auf Kritik, etwa bei Helmut Stubbe da Luz, der die Frage aufgeworfen hat, ob ›Krieg und Okkupation‹ stets ›Vater aller Dinge‹ sein müßten, und ob ›die Entwicklung und Modernisierung der betroffenen Gebiete nicht auch ohne die hohen Besatzungs-Kosten (im weitesten Sinne) hätten erreicht werden können‹«. OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 45; vgl. STUBBE DA LUZ, Occupants – occupés, S. 233. Vgl. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen. Vgl. SCHMIDT, Musterkönigreich. PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 193; vgl. OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 67. Vgl. HÖLZLE, Das napoleonische Staatssystem in Deutschland; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 21 f. Vgl. BOCK, Das Königreich Westphalen; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 23, 29. SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 149. Eine Doktorarbeit von Maike Bartsch entsteht derzeit an der Universität Kassel zum Thema »Macht und Ohnmacht. Hohe Polizei und lokale Herrschaftspraxis im Königreich Westphalen (1807–1813)«, in der die Auswertung des wesphälischen Quellenbestands der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg, der für die vorliegende Untersuchung zentral war, weitergeführt wird. Vgl. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 109; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 45; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 67. Vgl. FRANZ, MURK, zitiert nach: KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 35; ibid., S. 29; PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 188 f. Kritisch über diese Tendenz: OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 46, vgl. ferner S. 71; vgl. ferner HAGEMANN, Heldenmütter, S. 174; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 76; PLANERT, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur, S. 60. Vgl. als Bei-
38
Einleitung
beizupflichten115 . Im Gegensatz zur begeistert gepflegten Frankophilie von 1807 zeigte sich im Jahr 1813 eine offen zu Tage tretende Frankophobie, die sich nicht zuletzt in Sprachreinigungstendenzen ausdrückte116 . Vor dem Hintergrund dieser Forschungstraditionslinien ist es also nicht ganz verwunderlich, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in dem Historiker nach Wegen zum Schreiben einer länderübergreifenden europäischen Geschichte suchen117 , die Globalgeschichte oder das Verhältnis von global und lokal verstärkt Interesse findet 118 , das gute Einvernehmen zwischen den Nachbarn Deutschland und Frankreich als selbstverständlich erscheint und die napoleonische Ära in der deutschen Staatenwelt jenseits von Fremdherrschafts- oder Modernisierungs-Paradigmata untersucht wird, ohne dass jedoch den Besatzungscharakter und den modernistischen Charakter des westphälischen Staates verleugnet wird119 . Die hessische Landesausstellung
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spiel für diese historiographische Interpretation: DANN, Nation und Nationalismus, S. 56–72. Vgl. SIEMANN, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«, S. 2 f., 4; vgl. ferner VIERHAUS, zitiert nach: JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 7; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 29 f.; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 71. Owzar vertritt die These, das westphälische Intermezzo habe auf das politische Bewusstsein und Handeln von weiten Teilen des städtischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums eine katalytische Funktion ausgeübt. Vgl. OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 47; vgl. ferner LANGEWIESCHE, Reich, Nation und Staat, S. 355; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 88. Vgl. KIRKNESS, Zur Sprachreinigung; FLAMM, Eine deutsche Sprachakademie, S. 126 f. passim; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 47. Allerdings kann auch bei den Zeitgenossen der napoleonischen Ära bis Mitte des 19. Jh. von einer anhaltenden Faszination und Anhängerschaft für Napoleon gesprochen werden. Vgl. DERS., Fremde Herrschaft, S. 86. Vgl. HUDEMANN, KAELBLE (Hg.), Europa im Blick der Historiker; vgl. ferner das neue deutsch-französische Geschichtsschulbuch: BERNLOCHNER (Hg.), Europa und die Welt seit 1945. Mehrere Tagungen mit diesem Erkenntnisinteresse fanden in letzter Zeit statt oder sind in Planung: Les Européens dans les guerres napoléoniennes (Carcassonne, 4.–5. 6. 2010), inzwischen veröffentlicht siehe oben Anm. 41; L’Empire: une expérience de construction européenne? (Brüssel, 20.–22. 10. 2011) (siehe oben Anm. 73); Napoleon’s Empire: European Politics in Global Perspective (Paris, 18.–20. 4. 2012), vgl. Napoleon’s Empire: European Politics in Global Perspective, colloque, in: Calenda, [6. 3. 2012], http://calenda.revues.org/ nouvelle23034.html (21. 3. 2012); Panel »Imperiale Ordnung – Lokale Aneignung. Reformpolitik und Reformen in napoleonischer Zeit« auf den 3. Schweizerischen Geschichtstagen (Freiburg, 7.–9. 2. 2013); Français et Allemands à l’époque napoléonienne (Saarbrücken, 11.–13. 4. 2013). Vgl. ferner OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 80 f., 105; JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 19. Ferner wendet sich die neuere Militärgeschichte den Kriegszuständen und den Belastungen für die Zivilbevölkerung und die Kriegsvölker zu, die jenseits der Ereignisgeschichte als Forschungsdesiderat erkannt worden sind. Vgl. PETITEAU, Pour une anthropologie historique des guerres; CRÉPIN, Nouvelles tendances; ECHTERNKAMP, »Wo jeder Franzmann
4. Forschungsstand
39
Abb. 1: Schnupftabakdose mit einer »Carte des Routes, des Couriers et des Diligences du Royaume de Westphalie« auf dem Deckel, Manufaktur Stobwasser, Braunschweig, nach 1808, 1,8×10 cm, Städtisches Museum Braunschweig, St. 83121 . Foto: Jakob Adolphi.
»König Lustik?!« versuchte 2008 diesen Balanceakt zwischen Würdigung des Modernisierungsansatzes und Urteil über den ausbeuterischen Charakter zu realisieren120 . Der Fokus der vorliegenden Arbeit wird zunächst auf die kultur-, alltagsund sozialgeschichtlichen Aspekte der Sprach- und Kommunikationsproblematik gerichtet, um von dort aus die politische Dimension der Thematik wieder miteinzubeziehen. Dieses Vorgehen schließt nicht aus, dass am Ende auch eine Aussage über den fremdherrschaftlichen oder toleranten Charakter des westphälischen Staates in Bezug auf seine Sprachpolitik und die Praktiken der Kommunikation in der westphälischen Gesellschaft getroffen werden kann.
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heißet Feind…«?, S. 418; PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 49; PETITEAU, Die französische Geschichtsschreibung, S. 36. Zu den Erneuerungen der Forschung zum Premier Empire vgl. DERS. (Hg.), Voies nouvelles. König Lustik!? Weitere Tagungsbände und Ausstellungskataloge sind im Zuge des Jubiläumsjahrs 2007 entstanden, die einen ausgewogenen historiographischen Umgang mit dem Gegenstand Modellstaat Westphalen/französische Okkupation zeigen, vgl. VELTZKE (Hg.), Napoleon; HEDWIG, MALETTKE, MURK (Hg.), Napoleon und das Königreich Westphalen; FLEMMING (Hg.), Fremdherrschaft und Freiheit; SAVOY, POTIN u.a. (Hg.), Napoleon und Europa. Im Inneren der Dose finden sich zwei weitere Darstellungen, zum einem vom Königsplatz in Kassel, zum anderen die Legende zur Karte auf dem Deckel. Vgl. RICHTER, Stobwasser, Kat. 96.
40
Einleitung
4.4.
Kommunikations- und Mediengeschichte
Die vorliegende Untersuchung ist im weiten Feld der Kommunikationsund Mediengeschichte angesiedelt. Von Interesse bei den neuesten Entwicklungen innerhalb der Kommunikations- und Mediengeschichte erscheint insbesondere der Fokus auf die komplexen Kommunikationsprozesse und die Bedeutung der Kommunikationsräume für die Kommunikation, die »Medialität von Kommunikationsräumen« sowie generell der Blick auf den kommunikativen Charakter von Herrschaft und sozialen Praktiken122 . Lange Zeit wurde – vor allem von Forschungen zur Sozialdisziplinierung – Kommunikation als einseitig von Herrschenden zu Beherrschten orientiert beschrieben123 . In Abgrenzung dazu wird in jüngeren Forschungsarbeiten die Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen sehr viel stärker als bisher als interaktiver Prozess verstanden, bei dem beide Seiten aktiv handeln, indem sie Nachrichten interpretieren, darauf reagieren und mit eigenen Zielen und Wertsetzungen versehen. »Damit wird auch die Durchsetzung von Herrschaft als kommunikativer Prozess des Aushandelns von Möglichkeiten und Grenzen sowohl der Obrigkeit als auch der Untertanen verstanden«124 . Forschungen im Bereich der Kommunikationsund Mediengeschichte legen inzwischen Wert auf die Rekonstruktion der unterschiedlichen Handlungsspielräume und des Handlungsrepertoires aller Akteure einer Gesellschaft 125 . Dabei wird des öfteren das Verständnis von Kommunikation in der historischen Forschung nicht allein auf schriftliche Kommunikation in Form beispielsweise von Verordnungen und Bittschriften reduziert, sondern schließt nicht-schriftliche, symbolische, zeichenhafte und mündliche Formen der Kommunikation mit ein126 . Durch die jahrzehntelange Präferenz der Historiker für die gut erfassbaren Schriftund Druckmedien, die unter anderem zu einer »Mystifizierung des Buchdrucks« geführt hat, welche selbst wiederum eine ungünstige Ausgangslage 122
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SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 143, vgl. S. 139; vgl. LÜDTKE (Hg.), Herrschaft als soziale Praxis; BUSCHMANN, CARL, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, S. 21. Vgl. SCHULZE, Gerhard Oestreichs Begriff »Sozialdisziplinierung«; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 3 f.; vgl. kritisch zum Forschungsansatz der Sozialdisziplinierung HOHKAMP, Herrschaft in der Herrschaft, S. 16 f. ESSER, Rezension von: PRÖVE, WINNIGE (Hg.), Wissen ist Macht. Über Handlungsspielräume vgl. WUNDER, »Er ist die Sonn’, sie ist der Mond«; GERSMANN, Im Schatten der Bastille, u.a. S. 19–57; HOHKAMP, »Auf so ein erlogenes Maul gehört eine Maultaschen«; DIES., Herrschaft in der Herrschaft; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 186 f. Zum Handlungsrepertoire vgl. ALGAZI, Kulturkult; SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 442. Über die zunehmende Berücksichtigung von zeichenhafter Kommunikation und von nonverbalen Elementen der Kommunikation seit den 1990er Jahren vgl. SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 451.
4. Forschungsstand
41
für die Sichtbarmachung von Kommunikationsrevolutionen darstellte, entstand gerade in Bezug auf die Frühe Neuzeit eine deutliche Untergewichtung der mündlichen Kommunikationsformen127 . Als programmatisches Pendant herrscht jedoch inzwischen in der Kommunikations- und Mediengeschichte die Tendenz vor, die frühneuzeitliche Gesellschaft als maßgeblich durch mündliche Kommunikationsformen geprägt zu betrachten, das heißt durch Kommunikation von »Angesicht zu Angesicht«. Einer linearen Entwicklung hin zur Neuzeit, in der schriftliche Kommunikationsformen die Oberhand bekamen, wird teilweise beigepflichtet 128 . Die vorliegende Untersuchung über eine Gesellschaft an der Schwelle zwischen Früher Neuzeit und Neuzeit könnte unter anderem zeigen, dass der Rückgriff auf mündliche Kommunikationsformen zur Nachrichtenbeschaffung durch die westphälische Bevölkerung in von Zensur geprägten Informationsverhältnissen durchaus nicht mit der skizzenhaften kontinuierlichen Entwicklung von Oralität hin zur Schriftlichkeit für alle europäischen Gesellschaftskontexte übereinstimmt 129 . Das 19. Jahrhundert wurde zudem bisher in Bezug auf die Medien- und Informationsgesellschaft nicht ausreichend gewürdigt 130 . Eine Berücksichtigung der Kommunikationspraktiken der Westphalen unter Rekurs auf eine Medienvielfalt schriftlicher, mündlicher und außersprachlicher Typen erscheint besonders relevant, um eine Charakterisierung der westphälischen Medialität zu erlauben und den Stellenwert der Sprachen darin zu erkennen. Als weiterer Engpass der Forschungen zur Kommunikations- und Mediengeschichte werden die Sender-Empfänger-Dichotomie und die Produzent-Rezipient-Dichotomie angesehen, die einerseits verschränkten, vielfältigen und komplexen Deutungs- und Produktionsverhältnissen kaum gerecht werden können und andererseits positivistisch fast ausschließlich von den Fällen einer gelungenen Kommunikation ausgehen und 127
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Vgl. den Aufruf von Gersmann zur »Entmystifizierung des Buchdrucks«: Begann die Neuzeit mit dem Buchdruck? Podiumsdiskussion, S. 30; SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 440. Über die Kommunikationsrevolutionen vgl. u.a. NORTH (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Vgl. BURKHARDT, WERKSTETTER, Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 2; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 184. Vgl. kritisch zu dieser Tendenz: ULBRICH, Shulamit und Margarete, S. 176; RÖSENER, Einleitung, S. 17 f.; SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144. Über die Notwendigkeit zur Dekonstruktion der Annahme eines vereinheitlichenden oder gar einheitlichen historischen Prozesses im Übergang zur Moderne aus der Sicht eines Mikrohistorikers vgl. MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 102. Tagung am Deutschen Historischen Institut in Paris im Juni 2007: Das 19. Jh. als Mediengesellschaft. Zur Wechselwirkung medialer und gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland und Frankreich, in: H-Soz-u-Kult [15.5.2007], http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=7279 (3. 3. 2012).
42
Einleitung
häufig intendierte Kommunikationsvorgänge als Prämisse setzen131 . Das Ausblenden von misslungenen Kommunikationsprozessen gerade für ein Untersuchungsfeld, in dem politische und kulturelle Spannungen anzunehmen sind, wäre verfehlt. Da die sprachliche Problematik im Königreich Westphalen in das gesamte kommunikative Spektrum der Westphalen einzuordnen ist, ist die vorliegende Untersuchung auch ein Beitrag zur Medien- und Kommunikationsgeschichte dieser Gesellschaft. 4.5.
Kulturtransferforschung
Erkenntnisse der Kulturtransferforschung132 werden ebenfalls in die Arbeit eingehen. Die Kulturtransferforschung blickt in Bezug auf den deutschfranzösischen Sprach- und Kulturtransfers auf eine reichhaltige Forschungslage zurück. Im Kern beinhaltet diese Forschungsrichtung, die ursprünglich von der französischen Germanistik ausging, das Aufspüren von französischen Lebensentwürfen diesseits des Rheins und von deutschen Lebensentwürfen jenseits des Rheins, vornehmlich für das 19. und 20. Jahrhundert 133 . Den herausragenden kulturellen (Ver-)Mittlern, wie etwa Heinrich Heine im Exil in Paris, galt anfänglich das besondere Interesse der Kulturtransferforschung134 . Dieser Fokus auf die Vermittler zwischen den deutschen und französischen Kulturen, wobei später auch weniger prominente berücksichtigt wurden135 , wurde in der Folge um den Transfer von Begriffen oder von Schriften als Kulturgüter erweitert. Im Rahmen des deutsch-französischen Kulturkontakts sind auch Werke jenseits der Kanonbildung, die in die jeweilig andere Sprache insbesondere in der Zeit von 1770–1815 übersetzt wurden, als Merkmal des deutsch-französischen 131
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Über die Gewichtung von Scheitern und Gelingen von Kommunikationsvorgängen vgl. SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 440 f. Gerade das Scheitern von Kommunikationsvorgängen als Teil eines weiteren Kommunikationsprozesses erscheint sehr zentral, wenn man um die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires und um die Rezeptionsgeschichte in Folge missverstandener Kommunikationsakte bemüht ist. Vgl. LÜSEBRINK, Formen und Prozesse kultureller Vermittlung; ESPAGNE, WERNER, Deutsch-französischer Kulturtransfer als Forschungsgegenstand; ESPAGNE, Bordeaux-Baltique; DERS., Französisch-sächsischer Kulturtransfer; DERS., MIDDELL (Hg.), Von der Elbe bis an die Seine; MIDDELL, MIDDELL, Forschungen zum Kulturtransfer; MIDDELL, »In Grenzen unbegrenzt«; ESPAGNE, GREILING (Hg.), Frankreichfreunde; DMITRIEVA, ESPAGNE (Hg.), Transferts culturels triangulaires; ESPAGNE, Die Rolle der Mittler; WERNER, Dissymetrien; FRANÇOIS, HOOCK-DEMARLE u.a. (Hg.), Marianne – Germania; ESPAGNE, Les transferts culturels franco-allemands; WERNER, ZIMMERMANN, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Vgl. ESPAGNE, WERNER, La construction d’une référence culturelle allemande. Vgl. WERNER, Genius und Geldsack. Vgl. KÖNIG (Hg.) Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris.
4. Forschungsstand
43
Kulturtransfers untersucht worden136 . In jüngerer Zeit wurde die Perspektive rückwärtsgerichtet auf das Ancien Régime ausgedehnt 137 . In der vorliegenden Untersuchung wird eine Recherche zu den Zweisprachigen unter den Westphalen erfolgen, diese werden jedoch weniger als kulturelle Vermittler als vielmehr als sprachliche Mittler und Verständiger betrachtet 138 . Zusätzlich sollen insbesondere diejenigen aufgespürt werden, die als Übersetzer oder Dolmetscher in den wenig gebildeten Kreisen der Gesellschaft tätig waren. Das Königreich Westphalen als Gesellschaft, die sich unter dem Zuzug von französischsprachigen Zuwanderern, aber auch zum Beispiel von osteuropäischen Juden, neu konstituierte und deren vormalige Territorien verschiedene Wellen der Zuwanderung erlebt hatten, darunter die réfugiés der französischen Religionskämpfe, die émigrés der Französischen Revolution und die zurückgebliebenen Söldner verschiedener Herkunft aus früheren europäischen kriegerischen Auseinandersetzungen, stellt einen Untersuchungskontext dar, der Anregungen aus der Migrationsforschung übernehmen kann139 . Fragen der Assimilierung oder der so genannten Akkulturation und der (räumlichen und sozialen) Mobilitätsbereitschaft sind hier von Interesse140 . Das 19. Jahrhundert, in der Sekundärliteratur häufig als das »Jahrhundert der Auswanderung« interpretiert, ist für die deutschen Territorien unter der napoleonischen Ära vor allen Dingen durch Einwanderung geprägt, nicht zuletzt in das Königreich Westphalen141 . 136
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Über das Forschungsprojekt »Französisch-deutsche Übersetzungsbibliothek, 1770–1815« vgl. u.a. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 10–14; LÜSEBRINK, NOHR, REICHARDT, Kulturtransfer im Epochenumbruch. Die im Rahmen dieses Projektes angelegte Übersetzer- und Übersetzungsdatenbank soll in das 2011 gestartete und durch die ANR-DFG geförderte Projekt »TRANSNAT: une histoire de l’intraduction dans les espaces germanophone et francophone, des années 1750 aux années 1900« einfließen. Vgl. BERGER (Hg.), Französisch-deutscher Kulturtransfer. Die Blickerweiterung führte außerdem von der kanonisierten Literatur weg, um auch die Untergrundliteraten zu berücksichtigen, die nicht ausschließlich »im Schatten der Bastille« ambivalent zwischen Opfern und Agenten der Polizei lebten, sondern auch ins Exil gingen. Vgl. GERSMANN, Von Paris nach London und Kleve; vgl. zuerst DIES., Im Schatten der Bastille. Für die hier kritische Position zur nationalkulturellen Prämisse der Kulturtransferforschung vgl. unten auf S. 55 zum Kulturbegriff. Vgl. BADE (Hg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland; CORNELISSEN, Wanderer zwischen den Welten; HÖPEL, MIDDELL (Hg.), Réfugiés und Émigrés; GAJO, Minorisation, identité bilingue et acquisition d’une nouvelle langue; GESTRICH (Hg.), Migration und Grenze; MIDDELL, MIDDELL, Migration; EBERT, Willkommene und ungebetene Gäste; BADE, Europa in Bewegung; SCHÖNPFLUG, VOSS (Hg.), Révolutionnaires et Émigrés. Vgl. BÖHM, Sprachenwechsel. Neben der Einwanderung von Französischsprachigen aus dem Kaiserreich Frankreich wird der Zuzug von osteuropäischen Juden bzw. von jüdischen Zu-
44
Einleitung
5.
Aufbau der Untersuchung
Die Untersuchung beginnt mit der Analyse der offiziellen Sprachpolitik im Königreich Westphalen. Dabei sollen die durch staatliche Sprachpolitik vorgegebenen Bedingungen für die Kommunikation und Wahrnehmung von Sprachen in der westphälischen Gesellschaft ermittelt werden. Insgesamt soll dieser Einstieg in die Sprachthematik den Strukturen gelten, welche die Sprachpolitik den Sprach- und Kommunikationspraktiken aufzuerlegen intendierte. Über die Sprachregelung in den westphälischen Behörden und die Schulpolitik sollen die Grundzüge der offiziellen Sprachpolitik analysiert werden. Die Haltung des westphälischen Staates zu den gebürtigen Franzosen in Hinsicht auf ihre französischen Sprachfertigkeiten wird ebenso als Indiz für die staatliche Sprachpolitik thematisiert 142 . Die politische Relevanz der Sprachenfrage lässt sich jedoch nicht allein auf die staatliche Sprachpolitik beschränken143 . Aufgrund der bereits erwähnten Politisierung der Gesellschaft im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ist zu überlegen, ob die Sprachenfrage auch für ein breites Spektrum der Gesellschaft eine politische Konnotation erlangte. Um das weite Bedeutungsspektrum der Sprachen zu erfassen und nicht allein die Momente aufzunehmen, in denen diese durch die Zeitgenos-
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züglern aus Nachbarterritorien häufig genannt. In den zeitgenössischen Schriften und in den historischen Beiträgen aus dem 19. Jh. werden in einem judenfeindlichen Gestus nicht zuletzt die »Juden des Elsasses« hervorgehoben: LYNCKER, Historische Skizzen, S. 81; vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 11. Die Untersuchung von Minninger für die Fulda- und Weserdepartements zeigt, dass die jüdische Einwanderung bei weitem nicht so breit erfolgte, wie bisher angenommen und von den Zeitgenossen rezipiert, vgl. MINNINGER, Gleichberechtigte Bürger? Interessante Gruppenauswanderungen aus dem Königreich Westphalen nach Russland, die von den westphälischen Behörden streng beobachtet wurden, sind jedoch auch verzeichnet, vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1204, Akte über die intendirt werdende Auswanderung mehrerer Schmalkalder Familien nach Russland, 1809. Vgl. STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 284. Auf die Symbolhaftigkeit der Herrschaftsrepräsentation, auf die zeremoniellen Handlungen, ferner auf die architektonische Erneuerung konnte nicht mehr eingegangen werden. Die Frage, inwieweit der Rekurs auf die symbolische Kommunikation seitens des westphälischen Staates bewusst als Ausweg aus den Sprachverständigungsschwierigkeiten mit den Untertanen im Bereich der diskursiven Kommunikation konzipiert wurde, wäre jedoch neben dem Schwerpunkt auf Sprach- und Schulpolitik berechtigt. Die Forschung zu den symbolischen Praktiken der westphälischen Herrschaft erfährt derzeit Aufschwung. Vgl. u.a. OWZAR, Schlendrian, S. 307; KNAUER, Politik mit und gegen die Tradition; OWZAR, Zwischen Gottesgnadentum und Verfassungspatriotismus, u.a. S. 135; KNAUER, Monarchischer Festkult; DERS., Herrschereinzug als Herrschaftspraxis, u.a. S. 75; OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches; FENNER, »Das kleine teutsche Paris«?, u.a. S. 82; SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 127–131. Über diese neue Tendenz der Forschung vgl. CLEMENS, Fürstendiener – Kollaborateure?, S. 133.
5. Aufbau der Untersuchung
45
sen als identitätsstiftend definiert wurden144 , werden im Teil B die Sprachund Kommunikationspraktiken im Allgemeinen in den Blick genommen, wobei Sprache in erster Linie als Medium, als Vehikel und Kommunikationsmittel betrachtet wird145 . Es sollten aber auch außersprachliche Wege der Kommunikation aufgezeigt werden. Einzelne Medienarten werden analysiert, wobei der Schwerpunkt weniger auf die einzelne Quellensorte gelegt wird als auf ihre Verbreitung, die Verbreitungsbedingungen, die Träger und Adressaten sowie ihre Rezeption. Es geht unter anderem darum, die spezifischen Eigenschaften herauszukristallisieren, welche die untersuchten Medientypen charakterisieren, unter Rücksicht auf ihre soziale und räumliche Verankerung. Auf die Vernetzung und Verflechtung der verschiedenen Medien zum einen und ihre Artikulation gegenüber der Obrigkeit zum anderen wird ein besonderes Augenmerk gerichtet 146 . Entscheidend wird also sein, die enge Verzahnung oder Interdependenz der verschiedenen Medientypen zu rekonstruieren, um Kommunikationsprozesse quer durch die Gesellschaftsschichten aufzudecken147 . Auf der Basis einer praxisorientierten Ermittlung der Realität von Sprache und Kommunikation sollen mögliche Spezifitäten von Kommunikationspraktiken, -strategien und -räumen sowie der Nachrichtenverbreitung in der »Franzosenzeit« herausgearbeitet werden. Zentral wird es sein, das Verhältnis beziehungsweise die Überlagerung von Sprache-Bild-Handlung anhand einzelner Fallstudien auszumachen148 , 144 145 146 147
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Vgl. KUMMER, Sprache und kulturelle Identität, insb. S. 273 f. Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 14. Vgl. MAUELSHAGEN, Netzwerke des Nachrichtenaustauschs, S. 411–413. Dieses Erkenntnisinteresse kommt der Aufforderung von Welskopp nach, stärker eine praxeologische Sprachtheorie zu betreiben, welche die Spirale von so genannten »Primär- und Sekundärpraktiken« und das Phänomen der Redundanz durch die verschiedenen Medien als Untersuchungsobjekte definiert. Vgl. unveröffentlichtes Skript von Welskopp zu seinem Vortrag im Rahmen des Sommerkurses »Nach dem linguistic turn: Sprache, Begriffe und Perspektivität als methodische Probleme komparativer Geschichtswissenschaft« vom Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas (BKVGE) (28. 8. 2005–4. 9. 2005). Einschränkend könnte allerdings gefragt werden, ob diese starke Hierarchisierung sinnvoll und möglich ist – die Synergieeffekte sind eventuell zu komplex, um auszumachen, welche Inhalte über welche Medien zuerst transportiert wurden, um dann über andere Medien weitere Verbreitung zu finden. Über die Komplementarität verschiedener Medien vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 95. Es wird ebenfalls nach der Klassifizierung von Pross zwischen »primären Medien« oder »leibgebundenen Medien« für Sprache, Mimik und Gestik und »sekundären (Druck)medien« unterschieden. Vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 138 f. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 115; TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 96; BURKHARDT, WERKSTETTER, Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 2; FÜSSEL, Klassische Druckmedien, S. 60. Schwerhoff spricht vom »Medien-Mix«. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144. Über die Berücksichtigung von »zeichenhaften Handlungen« in der Kommunikations- und Mediengeschichte vgl. FREITAG, Die Kirche im Dorf, S. 147.
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Einleitung
wobei auch die Gewichtung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit eine wichtige Rolle spielen wird149 . Speziell für die außersprachlichen Kommunikationspraktiken wird vorrangig der Bereich der politischen Kultur berücksichtigt 150 . In diesem Teil B sollen die Kommunikationsbedingungen und -formen, sowohl sprachliche als auch kulturelle, im Mittelpunkt stehen, unter Berücksichtigung des Einflusses der Zuwanderer aus Frankreich. Die alltägliche Bewältigung der Sprachproblematik, nämlich die Überwindung von Sprachbarrieren bei mangelnder zweisprachiger Kompetenz, soll dadurch anschaulich werden. Die Strategien, welche die westphälischen Staatsbürger entwickelten, um die aus den Kommunikations- und Verständigungsschwierigkeiten hervorgehenden Kommunikationshindernisse zu überwinden, werden thematisiert. Die Gruppe der zwei- bis mehrsprachigen »Schriftsässigen« und Sprachvermittler, nämlich die Übersetzer und Dolmetscher, welche die Kommunikation zwischen den Sprachgemeinschaften in dieser Gesellschaft bewerkstelligten, soll so weit wie möglich rekonstruiert werden151 . Einige außersprachliche Möglichkeiten der Vermittlung, Verständigung und Stellungnahme zwischen Anderssprachigen werden außerdem berücksichtigt. Dabei sollen nicht nur die am häufigsten untersuchten Französisierungsfelder, nämlich wie im ersten Teil das Verwaltungshandeln und der Schulbereich, berücksichtigt werden. Da die Alltagswirklichkeit von Kommunikation das Hauptfeld für die Beurteilung von Sprachpolitik, in der Betrachtung nämlich ihrer Umsetzung und Auswirkung, darstellt, wird im zweiten Teil ein weit gefasstes kommunikatives Spektrum der Westphalen Beachtung finden. Die Schwerpunktsetzung erfolgt aus der Überzeugung heraus, dass es die normativen Quellen zur Sprachpolitik allein nicht ermöglichen, auf die Praxis von Kommunikation zurückzuschließen. Darüber hinaus wird dieser zweite Teil, der die alltäglichen Kommunikationspraktiken beziehungsweise ihre Adaptationen aufgrund der neuen Herrschaftskonstellation und unter der Zensur rekonstruiert, auch einen Einblick in die
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Vgl. Überblick über die Forschungslage zum Themenkomplex Oralität und Literalität von Reinhard innerhalb seines Kapitels über die Kommunikationswelten: REINHARD, Lebensformen Europas, S. 510–550; RÖSENER (Hg.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft; SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144; FREIST, Wirtshäuser, S. 212. Vgl. VIERHAUS, Die Deutschen und ihre Nachbarn; HUNT, Symbole der Macht. Macht der Symbole; SUTER, Regionale und politische Kulturen; LIPP, Politische Kultur oder das Politische und Gesellschaftliche in der Kultur; SCHWERHOFF, Öffentliche Räume und politische Kultur. Über die zeitgenössische Bezeichnung »Schriftsässige« als Untersuchungsterminologie vgl. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 12, 30, 35, 275, 298, 330.
5. Aufbau der Untersuchung
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Prozesse öffentlicher Meinungsbildung ermöglichen und in die »vie politique hors de la sphère des penseurs et des gestionnaires de l’État«152 . Nach den Feldern der Sprachpolitik im Teil A und den Sprach- und Kommunikationspraktiken im Teil B sollen im Teil C die bewussten zeitgenössischen Thematisierungen der aus dem Sprachkontakt resultierenden Veränderungen sowie die ausgesprochenen Wertungen über die Sprachen und über die Situationen, in denen ein Sprachkonflikt auftrat, analysiert werden. Das Sprachbewusstsein, die Sprachcharakterisierungen, die Reflexionen über die Verständigungsschwierigkeiten, die Erfahrungen einer latenten Sprachdominanz und die über die Sprachen erfolgenden Stereotypisierungen werden hier behandelt. Während im Teil über die Sprach- und Kommunikationspraktiken der Schwerpunkt eher auf die Routine der alltäglichen Kommunikationsvorgänge gelegt wird, soll der dritte Teil die bewussten Thematisierungen von Sprachen durch die Zeitgenossen selbst analysieren. Die Neigungen der Westphalen für eine bestimmte Sprache sollen hier Beachtung finden: Welche Sprachen erlangten im Königreich Westphalen den Status einer Prestigesprache, welche Verschiebungen im Ansehen erfuhren eventuell einige Sprachen im Verlauf der westphälischen Herrschaft? Vollzog sich mit der westphälischen Herrschaft eine Verlagerung der sprachlichen Statussymbole153 ? Als Ergänzung zu den Angaben über die offizielle Sprachpolitik aus dem ersten Teil werden hier nochmals indirekte Aspekte der Französisierung beleuchtet, die auf eine latente Dominanz der französischen über die deutsche Sprache hinweisen könnten, wie die Straßenumbenennungen in Kassel oder der Umgang der französischsprachigen Staatsbeamten mit den für sie fremdsprachigen Lauten der Orts- und Personennamen. Der Rolle der Sprachkompetenzen und Sprachfertigkeiten für die Bevorzugung bei der Anstellung von Beamten und employés in der Verwaltung des westphälischen Staatsapparates wird ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt. Die Sprachwahl und der Sprachenwechsel innerhalb der Amtskorrespondenzen der westphälischen Beamten und employés, die von den staatlichen Vorgaben abwichen, werden außerdem punktuell behandelt, um Fälle auszumachen, in denen die deutsche und die französische Sprache miteinander konkurrierten. Situationen, in denen sich der Kontakt zwischen den verschiedenen Sprachgemeinschaften konflikthaft gestaltete, sollen herangezogen werden. Insbesondere soll die Analyse von Situationen des Sprachkontakts und -konflikts und ihre Thematisierung durch die Zeitgenossen mit der an Nachhaltigkeit gewinnenden Debatte um den Zusammenhang von Sprache und Nation im Europa des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts verknüpft werden. Die mög152 153
PETITEAU, Les Français et l’Empire, S. 18. Vgl. MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 35; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 74.
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Einleitung
lichen Übereinstimmungen oder Gegensätze zwischen dem intellektuellen Diskurs über den Zusammenhang von Sprache und Nation und den Erklärungen über Sprachen eines weiten Spektrums der westphälischen Gesellschaft sollen aufgezeigt werden154 . Wurden die alltäglichen Erfahrungen aus dem Sprachkontakt in tendenziöser Weise in die antifranzösische Kritik integriert? Welche kulturellen, sozialen, nationalen und identitären Zuschreibungen erfolgten bei der Thematisierung der Sprachen? Wurden Sprachen zu einem besonderen Kriterium der politischen, regionalen, kulturellen und nationalen Identitätsprozesse? Der Fokus gilt den Sprachen und Konfliktsituationen im gesamten Königreich Westphalen, welche die kommunikativen Strategien der Westphalen besonders offensichtlich machen. Kassel als Residenz- und Hauptstadt des Königreichs Westphalen, in der sich viele der französischen Einwanderer niederließen und wo sich ansonsten auch ein Migrationsstrom aus allen benachbarten deutschen Territorien einstellte, soll dabei besondere Beachtung finden155 . Um den Hof des Königs Jérôme und um die Verwalter des neuen Staates versammelten sich in der Hauptstadt viele französischsprachige beziehungsweise frankophone deutsche Einwanderer156 . Kassel als Anziehungspunkt für diejenigen, die aufgrund ihrer Französischkenntnisse oder ihrer politischen Überzeugung im neuen Staatsapparat eine Anstellung suchten, bildet im Hinblick auf den Sprachkontakt zwischen Französischund Deutschsprachigen einen besonderen Untersuchungskontext 157 . Diese Stadt baute zudem auf eine bereits etablierte frankophone Tradition auf, da das einstige Fürstentum Hessen-Kassel ein Refugium für hugenottische Glaubensflüchtlinge gewesen war und sich auch bereits im Zuge der Aufklärung Anzeichen einer Französisierung bemerkbar gemacht hatten158 . Kassel war in der westphälischen Zeit ein interessanter Sammelplatz, der insgesamt für die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung zahlreiche Situationen des Sprachkontakts und des Sprachkonflikts zu liefern verspricht. 154 155 156 157
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Vgl. LÜSEBRINK, Historische Semantik, S. 872. Über die Migration von Spitzenbeamten nach Kassel vgl. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 312. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 31; OWZAR, Nation auf Widerruf, S. 49; KEIM, »Savoir vivre«, S. 146. In Kassel brach mit der westphälischen Regierungszeit für Handwerk und Handel eine goldene Zeit an, die zusätzlich anziehend wirkte. Vgl. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 14, 19; KEIM, »Savoir vivre«, S. 134, 145. Vgl. BÖDEKER, Strukturen der Aufklärungsgesellschaft. Bödeker spricht u.a. von einem französischen Theater (S. 58) und einer französischen Buchhandlung (S. 70). Vgl. auch BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 42; VOLMER, Antikerezeption im 18. Jh.; DIES., Zwischen Kassel und Gotha. Vgl. auch weitere Literaturangaben hierzu u.a. in Anm. 4.
6. Quellengrundlage, Methode und Begriffe
6.
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Quellengrundlage, Methode und Begriffe
Mit dem Fokus auf die sprachlichen Belange einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich in mindestens zwei Sprachen verständigten, ist ein Thema gewählt, das im überlieferten Quellenmaterial auf der einen Seite allgegenwärtig ist, andererseits durch den ausschließlich schriftlichen Charakter der Überlieferungen eine Lesart zwischen den Zeilen erfordert, um dem nicht direkt überlieferten Teil der mündlichen und außersprachlichen Kommunikation gebührend Rechnung zu tragen159 – dies umso mehr, als gelegentlich in den Quellen die Verständigungsschwierigkeiten wie magisch aufgehoben zu sein scheinen160 . Nach Auflösung des Königreichs wurden die Akten der westphälischen Behörden auf viele Territorien verteilt, was eine Herausforderung bezüglich der Quellenlage darstellt 161 . Bei der Quellensichtung wurden systematisch weite Bestände der westphälischen Polizeiakten nach Indizien zur Thematik der Sprachenfrage162 und nach den Kommunikationsstrategien der Westphalen durchsucht 163 . Außerdem wurden auch Sondierungen in Akten des westphälischen Justiz- und Innenministeriums und der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts durchgeführt. Auch Akten des französischkaiserlichen Innenministeriums, welche die westphälischen Verhältnisse betreffen, konnten einbezogen werden. Der Fokus auf die Polizeiakten ist gewählt worden, da darin häufiger über besonders signifikante Situationen des Sprachkontakts im Zusammenhang mit Konfliktsituationen berichtet 159
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Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 104; vgl. ferner CORBIN, Les cloches de la terre; RÖSENER, Einleitung, S. 17; BURKHARDT, WERKSTETTER, Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 1 f. Der außersprachliche Bereich der Kommunikation stellt einen sehr wesentlichen konstitutiven Aspekt dar, bspw. bei Protokollen von Zeugenanhörungen vor Gericht oder bei Verhörprotokollen. Weiterführend vgl. HOHKAMP, Frauen vor Gericht; GLEIXNER, Geschlechterdifferenzen und die Faktizität des Fiktionalen; ULBRICH, Zeuginnen und Bittstellerinnen; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 178 f. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 16; MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 34. Vgl. HEDWIG, Das Königreich Westphalen, S. 13–16. Es erfolgten Erhebungen in folgenden Archiven: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Außenstelle Wernigerode, Stadtarchiv Magdeburg, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Russische Nationalbibliothek St. Petersburg, Archives nationales Paris, Service historique de l’armée de terre, Vincennes. Insbesondere der westphälische Bestand der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg erlaubte bisher von der Forschung kaum berücksichtigtes Quellenmaterial einzubeziehen. Vgl. ISKJUL’, Das Westfälische Archiv in der Staatlichen ˇ Öffentlichen M. E. Saltykov-Scedrin-Bibliothek. Über den Stellenwert der »Indizien« bei mikrohistorischen Fallstudien, wie sie von Ginzburg angeregt worden sind, vgl. GINZBURG, Spurensicherungen; SCHLUMBOHM, Mikrogeschichte–Makrogeschichte, S. 22. Zum »Indizienparadigma« vgl. ferner ULBRICHT, Mikrogeschichte, S. 19, 22 f.
50
Einleitung
wird164 . Außerdem finden sich in den Polizeiakten Berichte über Protesterscheinungen gegen den westphälischen Staat, die der politischen Kultur der Westphalen zugerechnet werden können165 . Um die Realität von Sprache und Kommunikation praxisorientiert nachzuvollziehen, wurden außerdem aus verschiedenen westphälischen Verwaltungsbereichen Bittschriften, Pro Memoria, Beschwerden, Anstellungsgesuche und Staatsbeamtenkorrespondenzen oder Briefwechsel von administrateurs und administrés herangezogen166 . Die Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts wurden insbesondere nach Hinweisen zur Schulpolitik gesichtet. Im Teil B über die Sprach- und Kommunikationspraktiken werden einzelne Quellenkorpora gesondert behandelt. Es sollen sowohl klassische Schriftmedien in Betracht gezogen als auch in ihrer Bedeutung weniger beachtete und zudem mündliche Kommunikationsformen untersucht werden. Dabei werden folgende Medien in einzelnen Fallstudien behandelt und beispielhaft in den Kontext des umfas164
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Da die Sprachenfrage im Mittelpunkt der Arbeit steht, ist entschieden worden, die Quellenzitate in ihrem Originalzustand zu belassen, weitgehend ohne Hinweise auf fehlerhafte Rechtschreibung und unter Verzicht auf Übersetzung. Im Fall einer Verwendung von französischen Termini innerhalb eines deutschen Textes, die sich im Schriftstück durch die lateinische Schrift auch visuell absetzen, erfolgt generell die Wiedergabe dieser Wörter in kursiver Schrift. Die Problemstellung der Arbeit entsprang einer Magisterarbeit über die Polizei im Königreich Westphalen, aus der die Sprachproblematik als sehr exponierter Themenkomplex hervorging. Diese Arbeit ist im Wintersemester 1998/1999 bei Frau Prof. Dr. Claudia Ulbrich an der Freien Universität Berlin eingereicht worden. Für die vorliegende Untersuchung musste z.T. auf Quellenkorpora verzichtet werden, da bspw. die Denunziationen nicht in dem Maße überliefert sind wie erhofft. Diese Quellenlücke ist schwer zu erklären, da die westphälische Obrigkeit sich teilweise die Denunziationspraktiken ihrer Staatsbürger zunutze machte und bspw. der Sitz der Generaldirektion der Hohen Polizei in Kassel über einen Denunziationsbriefkasten verfügte. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 15 f. Die beobachtete staatliche Förderung von Denunziation steht im Widerspruch zur tatsächlichen Überlieferung dieses Quellenkorpus. Kohl schreibt zu den Denunziationspraktiken im Königreich Westphalen: »Denunziationen waren im Königreich häufig und hatten immer den Erfolg, daß der Gang nutzbringender Unternehmungen unterbrochen wurde«. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 48, vgl. S. 67, 99, 104; vgl. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 15, 45; ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 12; GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 38 f., 70 f.; [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 32; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 69 f.; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 247, 494; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 150 f. Polizeiagentenberichte von vereidigten Agenten sind hingegen reichlich überliefert, so im St. Petersburger Bestand. Die Akten zu den Gerichtsprozessen im Königreich Westphalen gehören ebenfalls zu den weitgehend verschollenen Aktenbeständen. Vgl. u.a. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. IIIf. Über die Verwendung des Begriffs »administrés« für die westphälischen Staatsbürger vgl. MOLITOR, Vom Untertan zum administré.
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51
senden Kommunikationszusammenhangs der westphälischen Gesellschaft eingeordnet 167 : Als klassische Schriftmedien werden die Briefe und die Bittschriften einer Relektüre für den westphälischen Gesellschaftskontext unterzogen168 . Als bewährtes und doch von der Geschichtswissenschaft lange herablassend behandeltes mündliches Medium werden die Gerüchte als »Sprachgesten« berücksichtigt 169 . Als ein neu aufkommendes Medium werden die so genannten russischen Dolmetscher, russische Sprachlehr- und -wörterbücher, gedeutet 170 . Von den Bildmedien wird den Karikaturen ein Kapitel gewidmet, während für die außersprachlichen Kommunikationsformen die Handlung eines Einzelnen als möglicher Protest gegen die napoleonische Herrschaft untersucht wird171 . Die westphälischen Wappen werden ebenfalls in ihrer Annahme und Ablehnung durch die Westphalen – mit den daraus resultierenden eindeutigen Handlungen – berücksichtigt. Jeder Quellentypus, der einen bewussten Kommunikationsvorgang zwischen Untertanen und Obrigkeit oder innerhalb der westphälischen Gesell-
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Über den entscheidenden methodischen Grundsatz, einen »umfassenden Kommunikationszusammenhang in den Blick zu nehmen« und die einzelnen Medien »nicht jeweils isoliert zu betrachten«, um sie »vielmehr in Beziehung […] zu all jenen medialen Äußerungen, auf die sie explizit oder implizit rekurrieren« zu setzen: TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 99 f. Das Kapitel zum Medium »Brief« ist online veröffentlicht unter: http://halshs. archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Über die lange Zeit herablassende Haltung in der Geschichtswissenschaft gegenüber dem Medium der Gerüchte und ihre Rehabilitation als »Sprachgesten« vgl. RAULFF, Clio in den Dünsten, S. 110 f. Das Kapitel »Gerücht« ist ebenfalls online veröffentlicht unter: http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Eine weitere Fallstudie über einen in der Westphalenzeit ebenfalls neu besetzten Medientyp, die Volkskalender, konnte im Rahmen einer Tagung zur »Französischen Almanachkultur im deutschen Sprachraum (1700–1815)« vorgestellt werden. Vgl. PAYE, »Almanach royal de Westphalie«. Die Berücksichtigung von Protesterscheinungen als Kommunikationsvorgang wird nicht von allen Forschungsrichtungen der Kommunikations- und Mediengeschichte geleistet. Der Sammelband von Burkhardt und Werkstetter, der auf den Beiträgen im Rahmen der 4. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Deutschen Historikerverband zum Thema »Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit« von 13. bis 15. September 2001 zurückging, ließ bspw. die Protestforschung und die außersprachlichen Protesterscheinungen als Kommunikationsvorgang ganz außen vor. Vgl. BURKHARDT, WERKSTETTER (Hg.), Kommunikation und Medien. In Abkehr von der Überbewertung der Aufstände in der Geschichte des Königreichs Westphalen aus der Sicht der Historiographen ist bewusst keine kollektive Protesterscheinung gewählt worden. Für eine prägnante Untersuchung über Protesterscheinungen mit dort ausgewiesener weiterführender Literatur vgl. SUTER, Regionale und politische Kulturen; DERS., Informations- und Kommunikationsweisen aufständischer Untertanen.
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Einleitung
schaft repräsentiert, wird zunächst einzeln untersucht 172 . Durch das Vorgehen nach Medientypen wird eine Vergleichsbasis zwischen Dokumenten oder Vorgängen gleichen Typs geschaffen, die ermöglicht, die Entstehungsbedingungen und die mögliche kulturelle Kodierung dieser spezifischen Formen von Schriftlichkeit oder Mündlichkeit zu berücksichtigen173 . Für jeden Quellentypus – oder jeden Medientyp, so beispielsweise die Gerüchte – zeichnet meist eine bestimmte soziale Gruppe verantwortlich: Autorschaft oder Adressatenkreis weisen gewisse Spezifizitäten auf, die zum Verständnis des analysierten Dokumententyps beitragen174 . Zuerst wird für jedes Quellenkorpus und jeden spezifischen Kommunikationsvorgang an einem exemplarischen Quellenauszug eine quellen- und textnahe – ja zunächst textimmanente – Interpretation erfolgen; daraufhin wird schrittweise der Verständnishintergrund und der Kreis der Interpretation erweitert und durch die Dialogisierung der eingangs vorgestellten und für sich exemplarisch interpretierten Hauptquellen mit weiteren Quellenmaterialien anderer Herkunft eruiert und kontextualisiert. Der Stellenwert des einzelnen Mediums im gesamten Kommunikationsspektrum der Westphalen wird ein weiteres Kontextualisierungsmoment darstellen. Darüber hinaus wird die Rekonstruktion der Interdependenz, der Vernetzung und Verflechtung der verschiedenen Medien, ihrer spezifischen Dynamiken und ihrer Funktion angestrebt 175 . Zur Kontextualisierung sollen unter anderem die Traditionslinien und Vorläufer eines spezifischen Medientyps oder einer Quellensorte erkannt werden176 . Der Vergleich ist dabei zentral und wird durch die Dialogisierung mit anderen Quellenmaterialien bewerkstelligt. Dieses Vorgehen ermöglicht auch eine multiperspektivische Analyse des Quellenmaterials, die sowohl die Pluralität der gesellschaftlichen Akteure berücksichtigt als auch die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, die Charakteristika und Funktion der Medien untersucht und die Vernetzung der Medien untereinander zutage fördert 177 . 172
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Weitere Fallstudien zu den westphälischen Vorkommnissen in anderen Medien – wie Zeitungen, Gnadengesuche, Predigten, Lieder, Pamphlete, Proklamationen, Gedichte, Injurien und Staatsblasphemie, zeichenhafte Kleidung, Porträts sowie Mimik und Gestik – mussten aus Platz- und Zeitgründen unterbleiben. Vgl. CERTEAU, JULIA u.a. (Hg.), Une politique de la langue, S. 9; BURKE, Küchenlatein, S. 17. Vgl. als Bestätigung zu diesem Vorgang: BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 15. Über eine Medien- und Kommunikationsgeschichte, die mehr Funktionsgeschichte wäre als Gattungsgeschichte, vgl. MAUELSHAGEN, Netzwerke des Nachrichtenaustauschs, S. 419. Über die Grenzen einer Mediengeschichte, die auf die Eruierung von Vorläuferschaft ihren Schwerpunkt setzt, vgl. ibid., S. 413. Über das Prinzip des Vergleichens vgl. MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 102–104. Zum multiperspektivistischen Ansatz in der Kommunikations- und
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Die Untersuchung des weiten Kommunikationsspektrums der Westphalen wird den umfangreicheren Teil der Arbeit ausmachen: Um die Reflexionen der Zeitgenossen über die Sprachen einzuordnen und ihren Erklärungscharakter aufzudecken, der sich dem direkten Realitätsbezug entzieht, ist es gerade zentral, auf die kommunikativen Alltagspraktiken der Westphalen näher einzugehen. Übergreifend eröffnet sich in diesem zweiten Teil die Möglichkeit, die Relevanz der deutsch-französischen Sprachbarrieren im Diskurs und in der Alltagspraxis der Westphalen besser auszuloten. Für den dritten Teil, der auf die bewussten Reflexionen und Repräsentationen der Zeitgenossen über die Sprachen, den Sprachkontakt und die Sprachwahl sowie auf die Sprachkonflikte eingeht und somit die diskursive Ebene betrifft, werden gedruckte Quellen herangezogen, insbesondere die Memoirenliteratur aus der Restauration178 . Als Druckmedien sind auch verschiedene Zeitungen der Zeit gesichtet worden, wie der »Westphälische Moniteur«179 . Mit der gewählten schrittweise erweiterten Quelleninterpretation – Dialogisierung, Rekonstruktion und Kontextualisierung – erfolgt eine klare Anlehnung an mikrohistorische Ansätze und Methoden180 . In der Auslegung des Materials soll zudem das »außerordentlich Normale« aufgespürt werden. Durch die Zuspitzung auf die Thematik der Sprache und der Kommunikation aus verschiedenen Perspektiven wird in mikrohistorischem Vorgehen eine Relektüre der Quellenbestände zur Erschließung einer (scheinbar) peripheren oder auch entlegenen Thematik der Ge-
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Mediengeschichte vgl. FREITAG, Die Kirche im Dorf, S. 147. Diese Untersuchung erfolgt nach Mediensorten, ein besonderes Augenmerk gilt jedoch den Orten der Kommunikation. Vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 139. Über die Vorzüge des gattungs- und mediengeschichtlichen Zugangs vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Informationsstrategien, S. 365. Die Memoirenliteratur ist durch die Historiker aufgrund ihrer Subjektivität und ihrer Sättigung an Topoi lange Zeit als historische Quelle vernachlässigt worden. Über das Problem der Authentizität und Subjektivität solcher Quellen vgl. u.a. BUSCHMANN, CARL, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, S. 13 f.; vgl. PETITEAU, Écrire la mémoire. Im Fall des »Westphälischen Moniteur« konnte der Anzeigenteil leider nicht berücksichtigt werden, obgleich er sehr interessantes Material hätte liefern können. Dieser ist offensichtlich von früheren Bibliothekarsgenerationen als irrelevant ausgesondert worden, wohingegen heute kulturgeschichtlich interessierte Historiker darin eine Fundgrube sehen würden. Für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 1811 sind in der Bayerischen Staatsbibliothek einige Beilagen des »Westphälischen Moniteur« vorhanden. Vgl. Le Moniteur westphalien. Vgl. ferner über das Desiderat der Forschung in Bezug auf die Intelligenzblätter: BÖNING, Weltaneignung, S. 131; vgl. ferner GREILING, »Intelligenzblätter«. Vgl. MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 97 f.; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 180, 183. Über die Bedeutung der Kontextualisierung innerhalb der historischen Diskursanalyse vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 109, 166 f.
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Einleitung
schichtswissenschaft erforderlich181 . Als Prämisse gilt, dass Sprache als eines der elementarsten sozialen Bindungselemente angesehen wird und die Rahmenbedingung für Kommunikation darstellt. Da sie sowohl Teil der Kultur ist als auch Mittel, kulturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten auszudrücken, werden folgende Postulate als Anregung herangezogen: »Die Sprache reflektiert oder reproduziert die Gesellschaft«, und »die Sprache formt die Gesellschaft, in der sie gebraucht wird«182 . Der dieser Arbeit zugrundeliegende Öffentlichkeitsbegriff orientiert sich zum Teil an den »Teilöffentlichkeiten«, die von Esther-Beate Körber für die Frühe Neuzeit herausgearbeitet wurden183 , und an den »situativen Öffentlichkeiten«, wie sie Adelheid von Salbern für die Neuzeit vorgeschlagen hat 184 . Diese Anlehnung erfolgt, da für das Wirken eines bestimmten exemplarisch exponierten Quellenkorpustyps, dem Ort seiner Veröffentlichung und Öffentlichmachung, dem mitprägenden und niemals neutralen, bedeutungslosen oder bedeutungsarmen Raum, in dem sich Öffentlichkeit konstituierte, ein zentraler Stellenwert beigemessen wird185 . Die Feststellung, die 181
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Zum heuristischen Prinzip des »außerordentlich Normalen« in der Mikrohistorie vgl. GINZBURG, Mikro-Historie, S. 191; MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 97, 101 f. Vgl. auch kritisch zu den zentristischen Sichtweisen der Geschichte und zur Hierarchisierung der historischen Phänomene durch die Historiker, über die an den Rand geschobenen und die ins Zentrum des Erkenntnisinteresses gesetzten Themen und über die konzeptuellen und methodologischen Fallen, »die auf eine voreilige Selektion und Bedeutungszuweisung historischer Phänomene hinauslaufen«: ibid., S. 94 f. BURKE, Küchenlatein, S. 19 f. Vgl. ferner LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 56; PLANERT, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur, S. 58; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 71. Diese Postulate übertragen auf die Geschichtswissenschaft eine linguistische Diskussion, die schon bei den Sprachtheoretikern des 18. Jh. im Mittelpunkt stand, von Saussure aufgenommen wurde und bis heute noch unentschieden ist: Formt Sprache das Denken oder wird Sprache vom Denken geformt? Diese offene Frage aus der Linguistik bedeutet für die vorliegende Untersuchung, dass noch zu zeigen sein wird, ob eine »aktive Rolle der Sprache bei der Schaffung und Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit« für das Königreich Westphalen gegeben war. BURKE, Küchenlatein, S. 23. Vgl. SCHLIEBEN-LANGE, DRÄXLER, Die französische Revolution und das deutsche Sprachdenken, S. 16 f.; LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 53, 61; BUSCHMANN, CARL, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, S. 19. Vgl. KÖRBER, Öffentlichkeiten der Frühen Neuzeit. Vgl. ferner SCHWERHOFF, Kommunikationsraum, S. 141; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 187; LANZINNER, Kommunikationsraum Region und Reich, S. 232. Insgesamt sind die neueren Forschungen zur Medien- und Kommunikationsgeschichte bemüht, sich vom Öffentlichkeitsbegriff von Habermas zu emanzipieren. Vgl. MAUELSHAGEN, Netzwerke des Nachrichtenaustauschs, S. 420. Vgl. »Stadt und Öffentlichkeit«. Vgl. ferner LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 16; HUDEMANN, HAHN, KREBS (Hg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung. Eine ähnliche Konzeptualisierung von Öffentlichkeit, die an spezifische Räume gebunden ist und die
6. Quellengrundlage, Methode und Begriffe
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historische Wissenschaft habe die sozialräumliche Dimension vernachlässigt und die Geschichten hätten oftmals keinen Ort, wurde im letzten Jahrzehnt mehrfach bestätigt 186 . Gerade bei einem mikrohistorischen Ansatz der Untersuchung ist die Kategorie »Raum« von zentraler Bedeutung187 . Hinsichtlich des Kulturbegriffs lassen sich folgende Feststellungen treffen: Im Titel der Untersuchung wird das Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen als Spektrum für die Untersuchung der Kommunikationspraktiken genannt; dies setzt die Prämisse voraus, dass die Bedeutung von Sprachen sehr stark situationsabhängig ist, nicht immer mit einer kohärenten Bildung von Identität zu tun hat und auch nicht nur Ausdruck der Kultur des sprechenden Subjekts ist. Sprache wird nicht selbstverständlich als Teil der Kultur subsumiert, sie gilt mitunter schlicht als Medium. In Bezug auf den Kulturbegriff ist, obwohl Erkenntnisse der Kulturtransferforschung in die Arbeit miteinfließen188 , auch eine deutliche Abgrenzung davon zu verzeichnen. Der verwendete Kulturbegriff orientiert sich maßgeblich an der Geertzschen Definition, die Kultur als von »Menschen […] selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe« betrachtet 189 . Unter Kultur wird ein dynamisches, sich stets erneuerndes Bedeutungs- und Orientierungssystem verstanden, das vom kulturellen Eigensinn der Zeitgenossen ausgeht. Der Untersuchung liegt ein umfassender Kulturbegriff zugrunde, im Gegensatz zum zuvor geläufigen engen Kulturbegriff, der auf kulturellen monumentalen Leistungen aufbaute und sich auf die materielle oder intellektuelle Kultur beschränkte190 . Ein solcher Kulturbegriff setzt voraus, dass in Bezug auf
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Kommunikationsräume mitbedenkt, vertreten auch Rau und Schwerhoff, vgl. RAU, SCHWERHOFF (Hg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne; TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 98; vgl. auch ULBRICH, Einleitung. Geortete Herrschaft(en); GERSMANN, Orte der Kommunikation. Vgl. »Stadt und Öffentlichkeit«; SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 142. Als deutlicher Beweis dafür steht auch der 45. Historikertag 2004 in Kiel mit seinem Themenschwerpunkt auf Kommunikation und Raum. Vgl. ferner die komplexe Diskussion über den Charakter frühmoderner Öffentlichkeit: HOFFMANN, »Öffentlichkeit« und »Kommunikation«. Vgl. HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 178. Vgl. u.a. ESPAGNE, WERNER, Deutsch-französischer Kulturtransfer; MIDDELL, MIDDELL, Forschungen zum Kulturtransfer; LÜSEBRINK, Les concepts de »culture« et d’»interculturalité«. Vgl. GEERTZ, Dichte Beschreibung; vgl. ferner über die Bemühung der Subjekte der Geschichte, ein »sinnfälliges Netz symbolischer Kommunikation zu weben«: SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 140. Zur Kritik am Kulturkult vgl. ALGAZI, Kulturkult. Seine Kritik kulminiert darin, dass der umfassende Kulturbegriff – wie in Anlehnung an Geertz allgemein von den »kulturalistischen« Forschern übernommen – wesentlich mehr an den engen Kulturbegriff gebunden ist, als gerne vorgegeben. Damit finde eine Übertragung der Monumentalisierung und der Wertung des engen Kulturbegriffs auf den jüngeren, allumfassenderen statt. Die Tendenz, die Algazi zurückhaltend beurteilt, sei, alles als Kultur überzubewerten. Algazi wendet sich gegen den Schwerpunkt
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Einleitung
Kulturtransfer nicht allein deutsch-französische Kulturtransfersituationen gemeint sind. Das Problem eines lange Zeit national bestimmten Kulturbegriffs im Gebrauch der historischen Wissenschaft soll vermieden werden191 . Prinzipiell nimmt die Untersuchung Abstand vom Kulturbegriff, der entweder, vom nationalen Paradigma noch stark eingenommen, mit Kulturen latent Nationalkulturen verbindet oder in einer Gesellschaft kulturelle Gemeinschaften systematisch nur aufgrund von sozialer Schichtung oder konfessioneller oder ethnischer Zugehörigkeit wahrnimmt oder rekonstruiert. Konkret soll darauf verzichtet werden, wenn Kulturen erwähnt werden, das Kulturkonzept ausschließlich mit deutscher oder französischer Kultur zu assoziieren. Damit würde ein Gegensatz zwischen deutscher und französischer Kultur impliziert, obwohl sich ihr Verhältnis möglicherweise nicht auf diese Frontstellung reduzieren und vereinfachen lässt. Ferner werden weitere Scheidelinien der Geschichtswissenschaft, wie die dichotome Einteilung der Gesellschaft in Eliten- und Volkskultur, vermieden192 . Nur so erscheint es möglich, die vielfältigen kulturellen Bedeutungssysteme der untersuchten Subjekte zu rekonstruieren. Ein ähnliches erkenntniserschwerendes Problem stellt das Konzept der »interkulturellen Kommunikation« dar. Der Interkulturalität liegt die Prämisse einer kulturellen Differenz zugrunde und Fremdheit wird somit induziert. Zudem ist das Konzept der »interkulturellen Kommunikation« für den vorliegenden Untersuchungsrahmen eindeutig zu positiv konnotiert, weil es auf der Annahme einer gelungenen Kommunikation aufbaut. Da der Sprachkontakt im Königreich Westphalen durchaus das Potential barg, in Ablehnung, Konfrontation und Abgrenzung auszuarten, würde die Verwendung des Arbeitskonzeptes »interkulturelle Kommunikation« eine zu positive Voreinstellung zum behandelten Herrschaftskontext evozieren. Wie bereits oben dargestellt, zeigt sich die Geschichtsschreibung zum Königreich Westphalen gespalten zwischen antifranzösischer Historiographie, die vornehmlich auf den Besatzungs- und Zwangscharakter der Fremdherrschaft abhebt, und der Gegentendenz, die den innovativen verfassungsrechtlichen Reformcharakter der neuen Staatsgründung betont. In diesem Kontext für das Königreich Westphalen von unterschwellig positiv konnotierter interkultureller Kommunikation zu sprechen, verleugnet we-
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auf die Bedeutung von Handlungen und betont stattdessen, wie wichtig es ist, ihre »Wirkungen« zu untersuchen, um das Dynamische am Kulturellen zu erfassen. Algazi lehnt einen Kulturbegriff ab, der Kultur auf Texte oder Symbole reduziert, und spricht für einen Kulturbegriff, der als »heterogenes und offenes System von Handlungsoptionen« gemeint ist (ibid., S. 112). Zum Entstehungshintergrund des dominierend nationalbeschränkten Kulturbegriffs in der Geschichtswissenschaft vgl. DANIEL, Kompendium Kulturgeschichte, S. 11 f., 303. Weiterführend vgl. u.a. LÜSEBRINK, Volkskultur und Elitenkultur.
6. Quellengrundlage, Methode und Begriffe
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sentliche Aspekte der Geschichtsschreibung über die napoleonische Ära in der deutschen Staatenwelt 193 . Abgesehen von dieser Reflexion der Begrifflichkeiten soll die gesamte Untersuchung in einem heuristischen Prozess rekonstruieren, wie die Zeitgenossen in ihrer Alltagspraxis mit Sprachen umgingen und trotz und jenseits der Sprachen miteinander kommunizierten. In Bezug auf Sprache schließt die Untersuchung drei Ebenen ein: die Ebene der geschriebenen und gesprochenen Sprachen, die der sozialen Praktiken und schließlich die der Diskursanalyse, die beschreibt, wie sich der Sinn über Sprachen und ihre Wirklichkeiten und Kontexte konstituierte194 . Die einzelnen mikrohistorischen Fallstudien sollen stufenweise in den makrohistorischen Kontext eingeordnet werden195 . Die Arbeit versucht somit, Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte miteinander zu verknüpfen196 . Ziel ist es, einen Beitrag zur Sozial- und Kulturgeschichte der Sprache, des Sprechens und der Kommunikation zu liefern, der nicht zuletzt die politische Dimension der Dominanz über und durch eine Sprache berücksichtigt.
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Für die Kritik an der kulturalistischen Forschung vgl. u.a. FRANCESCHINI, Interkulturalität als Deutungsangebot, u.a. S. 136; vgl. ferner LÜSEBRINK, Les concepts de »culture« et d’»interculturalité«. Zur Verschränkung des Themenkomplexes »Kommunikation« mit der Macht- und Herrschaftsfrage vgl. PRÖVE, WINNIGE (Hg.), Wissen ist Macht. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 12, 131, 167 f. Landwehr definiert die historische Diskursanalyse wie folgt: Sie »interessiert sich daher für den Wandel und die Kontinuität dessen, was gesagt werden kann. Sie fragt nach der Geschichte des Sagbaren«. Ibid., S. 13. Im Rahmen des Sommerkurses »Nach dem linguistic turn: Sprache, Begriffe und Perspektivität als methodische Probleme komparativer Geschichtswissenschaft« vom Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas (BKVGE) (28. 8. 2005–4. 9. 2005) machte Welskopp auf die weiterhin bestehende unzweckmäßige Dualisierung von Sprache und Praxis von Seiten der Praxistheorie aufmerksam. Das Verhältnis von Diskurs und Praxis systematisch zu durchdenken, hält auch Reckwitz für ein Desiderat. Es gebe noch keine »praxeologische […] Diskursanalyse«. RECKWITZ, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken, S. 298. Von den neueren Bestrebungen, die zeitweilig paradigmatisch oder gar dogmatisch gegeneinander artikulierten Richtungen der Geschichtsschreibung stärker miteinander zu verknüpfen, zeugen Veröffentlichungen wie MERGEL, WELSKOPP (Hg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft; BUSCHMANN, CARL (Hg.), Die Erfahrung des Krieges; MERGEL, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik; FREVERT, HAUPT (Hg.), Neue Politikgeschichte. Vgl. ferner PLANERT, Einleitung: Krieg und Umbruch, S. 15.
A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen Sprachpolitik als Teil eines politischen Programms impliziert, dass die politischen Machthaber die Organisation der Gesellschaft nachhaltig zu prägen beabsichtigen. Wie in der Einleitung erwähnt, vollzog sich während der Französischen Revolution in Bezug auf die Sprachpolitik eine Wende von einer zunächst ausgeprägt toleranten und die Vielfalt regionaler Sprachen und Dialekte akzeptierenden Politik, die aufwändige Übersetzungsprozesse auf sich nahm, hin zu einer repressiven Sprachpolitik gegenüber den Dialekten und der Sprachenvielfalt mit der Absicht der Etablierung einer Nationalsprache1 . Im annektierten Rheinland wurde die französische Sprache zu einem Instrument der Integration der Bevölkerung, zunächst in die französische Republik und dann in das Kaiserreich2 . Selbst wenn dieses Projekt teilweise sein Ziel verfehlte, so war doch zumindest die Intention vorhanden3 . Diese beiden sprachpolitischen Modelle waren dem 1
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Vgl. u.a. CERTEAU, JULIA u.a. (Hg.), Une politique de la langue; SCHLIEBENLANGE, Das Übersetzungsbüro Dugas; DIES., Die Sprachpolitik der Französischen Revolution; DIES., Die Französische Revolution und die Sprache; DIES., La politique des traductions; GUILHAUMOU, SCHLIEBEN-LANGE (Hg.), Langue et révolution; GUILHAUMOU (Hg.), Langages; DERS., La langue politique et la Révolution française; JEISMANN, Das Vaterland der Feinde, S. 146–151; STEIN, Einheit der Nationalsprache, S. 109 f.; THIESSE, La création des identités nationales, S. 70. Vgl. HARTWEG, Langue esclave et langue de la liberté, S. 80; S. 82: »Dans les territoires de la rive gauche du Rhin qui de 1792/94 à 1814 furent occupés puis intégrés à la République et à l’Empire, le français proclamé instrument de libération des peuples devint moyen d’intégration pour asseoir et perpétuer la domination française«; vgl. ferner PABST, Mehrsprachigkeit im Rheinland, S. 124; STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln; CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, passim, S. 19; ZANDER, Französische Sprachpolitik. Stein und Spillner sprechen für die Rheinbundstaaten vom Versuch, das Französische zunächst als Verwaltungssprache durchzusetzen, obgleich sie bei der Beurteilung der tatsächlichen Umsetzung der entsprechenden Verordnungen Vorsicht empfehlen, vgl. SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 93–95; STEIN, Französisches Verwaltungsschriftgut in Deutschland, S. 6; DERS., Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 286; CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 1, 73. Spillner betont zu Recht, dass die Sprachenfrage für die rechtsrheinischen Gebiete unter der napoleonischen Herrschaft noch mangelhafter von der historischen Forschung berücksichtigt worden ist als für die linksrheinischen Departements: »Noch ungeklärter ist der historische Befund in den rechtsrheinischen Gebieten unter französischem Einfluß, insbesondere im Großherzogtum Berg. Hier galt die sprachenpolitische Gesetzgebung Frankreichs nicht; die Praxis scheint sich jedoch den Verhältnissen der linksrheinischen Gebiete langsam angenähert zu haben«. SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 95.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Abb. 2: C. G. H. Geißler, Alexanders und Napoleons erste Schritte zum allgemeinen Frieden, 1807, Radierung, 22,2×27 cm, SML, Gei IV/31 a. Viele Lithographien dieses Zweiherrscher-Floß-Treffens auf der Memel am 25. Juni 1807, im Rahmen dessen die Absprachen zur Gründung des Königreichs Westphalen getroffen wurden, fokussieren allein auf Napoleon und Alexander I. Der Zeichner Christian Gottfried Heinrich Geißler hat hier in seinen Blickwinkel auch die Begleitungen beider Staatsoberhäupter miteinbezogen. Seine Malperspektive nimmt er hinter dem Rücken eines Mamelucken, eventuell Rustan, ein (siehe Kapitel B V.).
Königreich Westphalen, als es 1807 mit dem Frieden von Tilsit gegründet wurde, vorangegangen4 . Welchen Weg betrat nun der westphälische Staat, eventuell vorbereitet durch diese Vorläufer, in der Frage der Sprachpolitik? Wie verhielt sich die westphälische Sprachpolitik zum Leitkonzept klassischer Sprachpolitik, nämlich der Sprachdominanz? Nahm die westphälische Sprachpolitik Bezug auf die Erfahrungen mit vergleichbaren Modellen anderer gesellschaftlicher Situationen? In seiner Eröffnungsrede vor der Ständeversammlung hatte der Innenund Justizminister Siméon im Juli 1808 noch hohe Ziele gesteckt: »Dank der neuen Verfassung seien die früheren Völker in einem ›Staat‹ zusammen4
PAYE, Vous avez dit Lustik ?
1. Staatliche Überlegungen zum Sprachgebrauch
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gefasst worden, was Stärke und Reichtum erhöhe, die Barrieren bei Kommunikation und Kommerz fallen lasse und eine ›Nation‹ schaffe«5 . Zur Beseitigung der Kommunikationsbarrieren stellt man sich somit eine Sprachpolitik vor, die um die sprachliche Verständigung in der westphälischen Gesellschaft bemüht war. Die offiziellen Angaben über die Sprachpolitik sollen zum Einstieg in die Untersuchung dargelegt und erläutert werden, weil sie den Kontext, das heißt die strukturellen Vorgaben, abstecken, in dem sich die sprachliche Verständigung und die Kommunikationsprozesse der Westphalen entfalteten. Da im Entscheidungsbereich eines Staates das eigene Walten und Verwalten prioritär ist, wird zunächst nach der Festlegung der Sprachenfrage in der administration gefragt. Der Sprachgebrauch in der westphälischen administration ermöglicht eine Aussage über die Sprachpolitik im Königreich Westphalen. Der innerhalb der Verwaltung definierte Verhaltenskodex bezüglich der Sprachen zeigt an, welches Ziel langfristig für die gesamte Umstrukturierung der Gesellschaft in sprachlicher Hinsicht verfolgt wurde. In einem weiteren Schritt wird die Schulsprachpolitik hinterfragt: In welcher Sprache oder in welchen Sprachen ließ der westphälische Staat seine Kinder unterrichten? Wegen der langfristigen Perspektive, die die Bildungspolitik für den Aufbau des westphälischen Staates und seiner Gesellschaft bedeutete, könnte die Schulsprache ein Indiz sein für die Sprachpolitik des westphälischen Staates und seinen Umgang mit der Sprachenfrage. Was 1807 in Sachen Sprachpolitik unternommen wurde, weist auf die Zukunft hin, die der Obrigkeit des »Staates ohne Vergangenheit« für ihr Land vorschwebte6 .
1. Staatliche Überlegungen zum Sprachgebrauch in Verwaltung und Regierung Noch bevor Jérôme sein Land betrat, wurde ihm von allen Seiten die Sprachenfrage als ein für sein Land sensibles Thema angetragen: Die Delegierten, die ihm in Paris ihre Aufwartung machten, wollten von ihm das Versprechen erhalten, er werde die Verwaltungsposten nur mit »Landeskindern« versehen. Er versprach ihnen, da sie sich um eine sprachlich gut funktionierende Kommunikation in der Verwaltung sorgten, er werde bin-
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SIMÉON, zitiert nach: PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 193; vgl. auch Le Moniteur westphalien, Nr. 84, 9. Juli 1808, S. 338–344. Zum »Staat ohne Vergangenheit« vgl. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 179 f., 191, 266; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 176; BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 23.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
nen drei Jahren Deutsch lernen7 . Die vier französischen Regenten, die 1807 in Kassel auf Jérômes Machtübernahme warteten, unterbreiteten ihm ebenfalls ihre dezidierten Vorstellungen für die Regelung der Sprachenfrage im neu gegründeten Königreich. Dazu führt Jacques-Olivier Boudon aus: »Les commissaires chargés de la régence avaient suggéré à Jérôme, dès son arrivée, l’unification de la langue, notant que pour les classes aisées le Français était familier dans les anciens États de Brunswick et pas entièrement étranger ailleurs«8 . Die Regenten lobten eine linguistische Einheit und gingen davon aus, Französisch sei am geeignetsten, die Einheit im Rheinbund und längerfristig in Europa zu realisieren: La Confédération du Rhin hâtera l’accomplissement de cette prédiction. La langue française sera parlée par les diètes et conséquemment cette langue deviendra celle du nouveau droit public d’Allemagne ainsi que la langue latine l’était de l’ancien. Mais comme le français aura sur le latin l’avantage d’être une langue vivante, et celle d’un peuple voisin, et du peuple dominant en Europe, il ne se peut pas que la langue admise pour le droit public ne descende au droit civil et ne refoule insensiblement la langue allemande parmi les dialectes qu’on retrouve partout en Europe, et même en France9 .
Als herausragendes Argument führten die Regenten darüber hinaus an, die sprachlichen Bedingungen im Königreich Westphalen 1807 unterschieden sich nicht grundsätzlich von denjenigen im Mutterland Frankreich, insbesondere was die noch herbeizuführende Verdrängung der dialektalen Vielfalt anbetreffe. An alle diese Empfehlungen – der Delegierten und der Regenten – sollte sich jedoch der König letztlich wenig halten. In den Akten des westphälischen Staatssekretariats findet sich, datiert auf März 1808, »Das Dekret des Königs Jérôme über den Gebrauch der deutschen und französischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen«10 . Der königliche Beschluss bestand aus drei wesentlichen Punkten, die beiden Sprachen Platz einräumten. So entschied der König: 1◦ que la langue allemande restera en usage dans les Tribunaux, les Justices de paix, et les actes des notaires; 2◦ qu’elle sera parlée devant l’assemblée des Etats; 3◦ que la langue française continuera d’être employée dans ses conseils d’Etat et privé, à la trésorerie, dans les bureaux des quatre ministères et dans ceux des conseillers d’Etat chargés de la Direction de quelques parties de l’administration publique11 . 7 8 9 10
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Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 10; vgl. ferner LYNCKER, Historische Skizzen, S. 82; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 73. BOUDON, L’exportation du modèle français, S. 112. AN Paris, 40 AP 4, Rapport des commissaires au roi de Westphalie, s.d., Bl. 12 f. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 571, Das Dekret des Königs Jérôme über den Gebrauch der deutschen und französischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen, März 1808. Ibid., Beschluss Nr. 33 vom König Jérôme, 21. 3. 1808.
1. Staatliche Überlegungen zum Sprachgebrauch
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Interessant ist, dass dem Entscheidungsprozess in Bezug auf den Sprachgebrauch in der administration ein rapport au roi vorausgegangen war, der von einem Mitglied des Ministerkabinetts stammte. Dieser rapport au roi enthält eine kurze Bestandsaufnahme der verschiedenen im Königreich Westphalen vorhandenen Sprachgemeinschaften und wägt Vor- und Nachteile des Gebrauches der deutschen und französischen Sprache in der administration ab. Der Verfasser stellt zunächst fest, dass die deutsche Sprache in den Territorien, die das Königreich Westphalen bilden, sehr uneinheitlich war und dass mindestens fünf Dialekte existierten. Die französische Sprache war ihrerseits im Braunschweigischen, im Hessischen und in den preußischen Territorien seit längerem präsent 12 . Der Autor zählt zunächst Argumente auf, die für die französische Sprache sprechen: Votre Majesté m’a répété, que le principal objet, qu’elle se proposait, était, de fondre sous une Loi, et un gouvernement unique des peuples soumis à des Loix et à des Gouvernemens divers, et de faire qu’il n’y eût dans son royaume de Westphalie, ni Hessois, ni Brunswikois, ni Prussiens, mais des Westphaliens13 .
Der Vorteil einer Einheitssprache zur Förderung eines einheitlichen Geistes unter den westphälischen Staatsbürgern sei demnach nicht zu unterschätzen. Ein weiteres Argument politischer Natur war: [L’]intérêt de Votre Majesté est de distraire insensiblement ces peuples du souvenir de la Constitution germanique, de ses formes, et de ses usages, et de les rapprocher de la fédération du Rhin par leurs habitudes, comme ils y seront unis par la Politique14 .
Der Autor des Berichts schließt: »L’adoption de la langue française pour les actes du Gouvernement me semble un moyen puissant de seconder ces deux intérêts. L’Expérience de tous les tems a prouvé, qu’un langage commun est entre les peuples le plus fort des liens«15 . Der Autor des Berichts kennzeichnet den Wirkungsradius der französischen Sprache in der Verwaltung wie folgt: »en adoptant dès à présent la langue française pour les actes de son Gouvernement, Votre Majesté n’aura fait qu’avancer de quelques années à l’avantage de ses peuples, une sorte de révolution, que la situation de Westphalie rend indispensable«16 . Die sofortige und konsequente Durchsetzung der französischen Sprache in der Verwaltung setzt der Autor mit einer Art Revolution gleich. Um die Vorteile der französischen Sprache in der administration zu bekräftigen, zitiert er eine 12 13 14 15 16
Vgl. ferner SCHLOBACH, Der Einfluß Frankreichs; BÖDEKER, Strukturen der Aufklärungsgesellschaft; KEIM, »Savoir vivre«, S. 132. GStA PK, V. HA, Nr. 571, Bericht an den König Jérôme, 19. 3. 1808. Ibid. Ibid. Ibid.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
von der Berliner Akademie der Wissenschaften 20 Jahre zuvor prämierte Arbeit, die die französische Sprache als die zukünftige lingua franca Europas vorhersagt 17 . Für die französische Sprache im Staatsrat und in den Ministerien spreche, dass nur so der König den Verhandlungen folgen könne. Im entgegengesetzten Fall der Verwendung der deutschen Sprache im Staatsrat und in den Ministerien würden Deutschsprachige den Vorzug haben und König Jérôme »éleverait ainsi entre son Gouvernement & le Systême français une barrière difficile à franchir«18 . In diesem Zusammenhang scheut sich der Autor nicht, von unüberwindlichen Sprachbarrieren als Schreckensvorstellung für das Staatsoberhaupt zu sprechen. Allerdings bezieht sich diese Angst vor sprachlichen Verständigungsproblemen auf das Verhältnis des Königreichs Westphalen zum Kaiserreich Frankreich, dem Westphalen seine Gründung politisch verdankte. Gegen die Entstehung von innerwestphälischen Sprachbarrieren durch einen Verwaltungsapparat, der sich auf die französische Sprache und die Rekrutierung von Französischsprachigen gründet, äußert er hingegen keine Bedenken. Trotz aller genannten schwerwiegenden Argumente, die für die französische Sprache sprechen, geht der Autor des Berichts ebenfalls auf die Einwände der Befürworter der deutschen Sprache ein. Einige Staatsräte sähen gern die deutsche Sprache in einigen Zweigen der Verwaltung, wogegen der Autor des Berichts große Vorbehalte hat. Die Befürworter der deutschen Sprache räumten ein, dass das Kriegsministerium und das Ministerium des Äußeren sich weiterhin der französischen Sprache bedienen sollten, während sie für die Ressorts des Inneren, der Justiz und der Finanzen die Notwendigkeit der deutschen Sprache betonten. Dazu äußert der Autor des Berichts: Cependant il me semble, que, puisque la langue française est seule admise dans vos conseils, elle doit être seule employée par Vos ministres et que s’il y avait entr’eux une différence aussi prononcée que celle qu’on propose, les Ministres qui parleraient allemand, paraîtraient les seuls nationaux et qu’ils auraient trop d’avantage sur les deux autres. Ceux-ci, par cela même qu’ils employeraient la langue française sembleraient étrangers et seraient chargés de toute la défaveur attachée à cette circonstance19 .
Der Autor zeigt, dass er durchaus von der Sorge motiviert ist, eine nationale Einheit zu schaffen, und dass er die Sprachenfrage als entscheidenden Motor dafür ansieht. Im Wesentlichen sollte nach Empfehlung des Berichts die Verwendung der französischen Sprache in der oberen Verwaltung überwiegen. Für die 17 18 19
Über die Berliner Preisfrage der Akademie der Wissenschaft von 1784 vgl. SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«, S. 74. GStA PK, V. HA, Nr. 571, Bericht an den König Jérôme, 19. 3. 1808. Ibid.
1. Staatliche Überlegungen zum Sprachgebrauch
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Art und Weise, wie die französische Sprache allmählich die deutsche dominieren sollte, gibt der Autor allerdings recht vorsichtige Anweisungen: Cependant, Sire, Je ne puis pas dissimuler, avec quelles précautions doit être traité un peuple sur lequel on établit une domination nouvelle. Le grand sécret consiste à lui faire perdre ses habitudes, sans paraître les contrarier, et il n’y a pas d’habitude, à laquelle le peuple soit plus justement attaché, qu’à son langage naturel 20 .
Der Berichterstatter schlägt vor, kein Gesetz über die Sprachenfrage zu verabschieden, was das Vorhaben der Obrigkeit öffentlich machen würde, sondern lediglich ein »simple règlement d’administration« herauszugeben, das weniger Aufregung hervorrufen würde21 . Er rät auch dazu, mildernde Maßnahmen vorzusehen: Celles de publier dans les deux langues les Loix et les actes du gouvernement, de laisser l’usage de la langue allemande devant l’assemblée des Etats, dans les Tribunaux et les actes pardevant notaire, enfin d’amener la Révolution dans le langage par des moyens insensibles et doux, qui ne contrarient que fort peu vos sujets, et surtout, qui ne les irritent jamais22 .
Mit dieser vorsichtigen Haltung schließt der Autor des Berichts seine Empfehlungen ab. Nach den Erläuterungen des Berichts zum Sprachgebrauch in der administration habe sich der König nicht für die eine oder die andere Sprache zu entscheiden, »mais à adopter celle qui lui est indiquée par la politique«23 . Die Empfehlungen des Berichts sind von Pragmatismus geprägt, wobei der entscheidende Stellenwert der Sprachen für eine neue Staatsgründung wie das Königreich Westphalen nicht unterschätzt wird. Ferner zeigt sich deutlich, dass sich der Autor der Emotionen bewusst ist, die überstürzte Beschlüsse in Bezug auf den Sprachgebrauch wecken könnten. Aus der gleichen Rücksichtnahme wurde vermutlich ein Dekretsentwurf fallen gelassen, der sich an die katholischen Geistlichen auf dem Land richtete und ihnen Empfehlungen zur Führung der Zivilstandsregister erteilen sollte. Im Register der Berichte, die der Justizminister an den König richtete, findet sich folgender Eintrag: Les curés catholiques doivent rédiger en langue latine les actes de l’état civil. Cependant il y en a plusieurs dans la campagne qui rédigent en langue vulgaire. Les actes ne peuvent être nuls, mais il serait bon de décréter que ces curés peuvent également rédiger en allemand, ou même en français s’ils jugent convenables24 .
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Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. GStA PK, V. HA, Nr. 1304, Sammlung der von dem Justizminister an den König gerichteten Berichte, 1. 1. 1809–31. 12. 1812: hier Nr. 251 vom 28. 2. 1810.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Abschließend findet sich der Vermerk: »NB. Le projet n’a pas été présenté«25 . Wie aus dem oben erwähnten Beschluss zur Sprachregelung vom 21. März 1808 ersichtlich, folgte der König weitgehend diesen Empfehlungen. Bezeichnenderweise sollten die königlichen Entscheidungen in Bezug auf die Sprachpolitik einen verwaltungsinternen Charakter behalten: Deswegen sucht man auch vergeblich nach einem entsprechenden Gesetz in den Gesetzbulletins26 . Darin folgte König Jérôme ganz dem Rat seines Kabinettsmitglieds. Die Geheimhaltung seiner Entscheidungen zum Sprachgebrauch in der administration ist für die Qualität der Sprachpolitik Jérômes27 bezeichnend. Die Sprachrevolution, die die Einführung der französischen Sprache als Einheitssprache im Königreich Westphalen bringen sollte, war schleichend und peu à peu geplant und sollte auf keinen Fall die Gemüter erregen. Nach und nach sollten offensichtlich die Bedingungen für den Wechsel von der langue naturelle zu einer langue nationale geschaffen werden. Die Einführung eines Verwaltungsapparats französischen Typs wurde von der westphälischen Regierung als ein entscheidender Faktor in der Umsetzung dieses Plans angesehen. Als Jérôme sich von seinem Justizminister die Folgen des kaiserlichen Dekrets vom 26. August 1811 darstellen ließ, das die westphälischen Staatsdiener französischer Herkunft verpflichtete, einen kaiserlichen Patentbrief für die Anstellung im Königreich Westphalen zu beantragen oder sich für die Naturalisation als westphälische Staatsbürger zu entscheiden, erklärte der Minister dem König Jérôme, der offensichtlich um die Beeinträchtigung seiner Souveränität durch den Kaiser Napoléon fürchtete: Outre les affections particulières du Roi, sa politique et le succès de l’introduction de la législation, de l’administration françaises, de la conscription et de la formation de l’armée exigeoient qu’il employat des Français et qu’en les mêlant avec des Westphaliens il facilita l’adoption des institutions qui devaient substituer de nouvelles habitudes à d’anciennes, dégermaniser en quelque sorte les Westphaliens pour en faire des alliés et des frères des Français, non seulement par les liens de la confédération du Rhin, mais par les Loix, les mœurs et même le langage28 .
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Ibid. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 148 f. Zum Themenkomplex Geheimhaltung und Propaganda vgl. »Informationsstrategien: Propaganda, Geheimhaltung, Nachrichtennetze« im Sammelband: BURKHARDT, WERKSTETTER (Hg.), Kommunikation und Medien, S. 357–425. GStA PK, V. HA, Nr. 1427, Akte des Justizministeriums über die Franzosen in Westfälischen Diensten, 1811–1812 – Correspondance générale, Bl. 5–14: Bericht von J. J. Siméon, Justizminister, an den König über das kaiserliche Dekret vom 26. 8. 1811, 12. 9. 1811. An der Selbstdarstellung von König Jérôme lässt sich ebenfalls die Sorge um Selbständigkeit und Bewahren seiner Souveränität gegenüber Napoleon ablesen. Vgl. OWZAR, Nur ein Satellitenstaat ?
2. Zum Umgang der Staatsbeamten mit der verordneten Zweisprachigkeit
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Der Minister versuchte seinem König zu beteuern, dass er auf die Anstellung französischer Staatsbürger als westphälische Staatsdiener angewiesen sei, um die Herrschafts- und Gesellschaftsreformen im Königreich Westphalen voranzutreiben und dass die westphälische administration selbst zur Assimilation und zur »Degermanisierung« der Westphalen beitragen könne, unter anderem durch die Sprache. Das Quellenzitat zeigt: So wenig die Sprachpolitik offiziell bekundet wurde, so viel blieb die Sprachfrage ein Kernelement im Gedankensystem der oberen Staatsbeamten. Auf die sprachpolitischen Projekte des westphälischen Staates, durch die dieser sich für eine konsequente Französisierung einsetzte, kann hier nicht näher eingegangen werden, dies soll jedoch im Teil C erfolgen: Die Umbenennungspolitik bei Straßen und Landstrichen stellt dabei einen Aspekt dar, der Versuch, vermeintlich überkommenen Jargon und Begriffe zu beseitigen, einen weiteren. Mit dem Beschluss vom 21. März 1808 wurden jedenfalls die Präfekten an die Schnittstelle zwischen den Geschäftssprachen der administration gesetzt. In ihren Schreiben an die Ministerien und Generaldirektionen sollten die Präfekten die französische Amtssprache benutzen, während sie mit den untergebenen Behörden die deutsche Sprache verwenden sollten29 .
2. Zum Umgang der Staatsbeamten mit der verordneten Zweisprachigkeit Die Empfehlungen des Berichts kommen de facto einem Kolinguismus nahe30 . So sollten Gesetze und Staatsakte immer in beiden Sprachen veröffentlicht werden. Einige Hinweise dazu lassen sich aus den Archiven zitieren: In den Korrespondenzregistern der Verwaltung der Hohen Polizei findet sich ein Schreiben vom 24. November 1811 an den Kasseler Polizeikommissar Carl. A. Gauthier, welches das Bemühen der administration um ihren öffentlichen Auftritt in beiden Sprachen, also um Zweisprachigkeit, zeigt. Das Schreiben erwähnt die »ordonnance du 22 de ce mois pour la police du marché aux volailles« und fügt hinzu: »Aussitôt que la traduction allemande de l’ordonnance en question sera faite je vous en adresserai des copies dans les 2 langues pour être affichées aux portes de la vielle et sur la 29
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Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 473, Acta enthaltend das Ministerialschreiben daß in den höheren Conseils französisch die Geschäftssprache bleiben soll, 1808; Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 353, Akte der Präfektur des Elbdepartements, den Geschäfts-Styl betr., 1808. Im Rheinland war die Schnittstelle für die Verwaltungssprachen bei den Maires angelegt: Selbst auf Ortsebene sollte Französisch zur Verwaltungssprache werden. An diesem maßgeblichen Unterschied sieht man auch, dass die westphälische Sprachpolitik weit gemäßigter war. Vgl. STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 274. Zur Definition von Kolinguismus vgl. STEIN, Einheit der Nationalsprache.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
place royale«31 . Bekanntmachungen wurden, selbst wenn dies den Verwaltungsprozess verlangsamte und eindeutig mit zusätzlichem Aufwand und Mühe verbunden war, prinzipiell in beiden Sprachen veröffentlicht 32 . Auch für das Jahr 1812 bestätigt ein Fund aus dem Quellenmaterial die Beachtung dieser Grundregeln. Ein Schreiben von Jean François Marie de Bongars, als Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, an den Präfekten des Elbdepartements vom August 1812 bittet um einen Eintrag im Departementalblatt und fügt hinzu: »et pour qu’elles soient bien connues de tout le monde, il faudra qu’elles soient imprimées dans les deux langues«33 . Der Inhalt des Eintrags hatte zudem für den westphälischen Staat eine besondere Aufgabe fast propagandistischer Art zu leisten: Es war die idealtypische und staatskonforme Antwort eines deutschsprachigen Westphalen auf eine russische Proklamation. Die russischen Proklamationen waren Appelle an die Adresse der deutschen Bevölkerung, um sie zur Unterstützung des Kampfes gegen Napoleon aufzurufen34 . Die westphälische Antwort darauf sollte die Westphalen in ihrer Loyalität zu ihrem Staat bestärken. Dieser konkrete Fall zeigt, dass Pragmatismus herrschte und die Einsicht, dass die Verwendung der deutschen Sprache eine breitere Öffentlichkeit erreichte. Allerdings könnte die Erinnerung an den Grundsatz der systematischen Übersetzung zu dieser späten Stunde der westphälischen Herrschaft auch als Hinweis darauf gedeutet werden, dass in den Provinzen – weitab von der vorbildlichen Hauptstadt – die Staatsvertreter sich gelegentlich nicht so streng an die Vorgaben hielten. Im Elbdepartement, in dem einige korrupte Staatsangestellte sich für die Ausfertigung von Reisepässen widerrechtlich hatten bezahlen lassen, griff Bongars auf eine zusätzliche Maßnahme zurück: In Zukunft sollten für alle sichtbar angebrachte Schilder in beiden Sprachen auf die unentgeltliche Auslieferung von Reisepässen hinweisen35 . Die Generalinspektion der Gendarmerie, die mit der Hohen Polizei beauftragt war, stellte dem Innenminister für das Jahr 1810 eine Bilanz ihrer Tätigkeit vor: »un travail de bureau qui n’offre pas moins de 3000 interro-
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GStA PK, V. HA, Nr. 690, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 10. 11. 1810–9. 5. 1811: Schreiben Nr. 3911 von C. A. Gauthier, Polizeikommissar in Kassel, an den Polizeipräfekten in Kassel, 24. 11. 1810. Vgl. WILKE, Medien- und Kommunikationsgeschichte um 1800, S. 47. Lha S-A, Wernigerode, B 18 II. 123. I. a., Bl. 149: Schreiben von J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, an J. C. A. Legras de Bercagny, Präfekt in Magdeburg, Elbdepartement, 20. 8. 1812. Vgl. ISKJUL’, Russische Flugblätter. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 II. 123 I. a., Bl. 167 f.: Schreiben von J. F. M. de Bongars an J. C. A. Legras de Bercagny, 23. 7. 1812.
2. Umgang mit der verordneten Zweisprachigkeit
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gatoires ou Procès verbaus, et l’expédition de plus de 12 000 autres pièces, souvent dans les deux langues«36 . Mehrere Hinweise aus dem Quellenmaterial zeigen, dass seitens der administration auf die Zweisprachigkeit in den »öffentlichen Blättern«, den Zeitungen, Wert gelegt wurde. Ein Schreiben vom 15. März 1809 an Herrn Winhold, Redakteur des Departementalblatts des Fuldadepartements, stellt fest: Je vous adresse, Monsieur, copie de mon Ordce du 15 mars relativement aux enfant que l’on promène dans de petite voitures. Je vous prie de la faire inserer dans la feuille qui sortira dimanche 19 du mois Cour. Je vous informe que ce sont les paroles de Sa Majesté et qu’à cet égard elle doivent être insérées premièrement en langue française suivis de celle allemande et que généralement tout ce que je vous adresserai à ce sujet devra suivre cette marche contre la coutume que vous avéz jusqu’aujourd’huy37 .
Bekanntmachungen in den Zeitungen sollten in beiden Sprachen veröffentlicht werden, wenn auch französische Texte vor den deutschen platziert werden sollten, um damit eine klare Hierarchie sichtbar zu machen. Der »Westphälische Moniteur«, die offizielle Zeitung des Königreichs Westphalen, war über die gesamte Zeit der westphälischen Herrschaft zweisprachig und in zwei Spalten gegliedert 38 . Eine Maßnahme gegen das »Journal des Districts de Minden, Bielefeld et Rinteln«, das im März 1809 eingestellt wurde, zeigt, dass die Zweisprachigkeit der »öffentlichen Blätter« seitens der westphälischen administration zur Norm geworden war. Die Obrigkeit ging in ihrer Forderung zur Französisierung der Zeitungen im Königreich Westphalen sogar noch weiter: Dem Redakteur Derchenhoem wurde vorgeworfen, noch keine französischen beziehungsweise lateinischen Drucklettern angeschafft zu haben: On doit trouver sans doute fort étrange qu’une étendue considérable de pays régi par des loix et décrets dont le texte original et officiel est en français, soit encore dépourvu de caractères français; surtout lorsque l’intérêt de l’imprimerie, dans ce même pays, réclame ces caractères39 .
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GStA PK, V. HA, Nr. 690: Schreiben Nr. 4140 von J. F. M. de Bongars an G. A. von Wolffradt, Innenminister, 21. 12. 1810. GStA PK, V. HA, Nr. 685, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 16. 1.–21. 7. 1809, Bl. 58: Schreiben Nr. 330 von J. C. A. Legras de Bercagny, Generaldirektor der Allgemeinen und Hohen Polizei, an Winhold, Redakteur des Departementalblatts des Fuldadepartements, 15. 3. 1809. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 684, Korrespondenzregister der Präfektur der Hohen Polizei zu Cassel, 7. 3.–31. 8. 1809: Schreiben Nr. 942 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, Justizminister, 6. 4. 1809. GStA PK, V. HA, Nr. 684: Schreiben Nr. 816. von J. C. A. Legras de Bercagny an Derchenhoem, Redakteur des Journals der Distrikten von Minden, Bielefeld und Rinteln in Minden, 14. 3. 1809.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Das Erscheinungsbild der französischen Textspalte war demnach in den Augen der Staatsvertreter keine Nebensächlichkeit 40 . Obgleich großer Wert auf die Zweisprachigkeit von Bekanntmachungen und öffentlichen Blättern gelegt wurde, zeigt sich deutlich die Priorität der französischen Sprache. Die angeführten Quellenbelege zeigen, dass man bei gleichzeitiger enormer Zunahme der Produktion von Aktenstücken durch den westphälischen Verwaltungsapparat, im Vergleich zu vorherigen Herrschaften, nicht die Mühe scheute, die mit der systematischen Übersetzung verbunden war41 . Vielmehr nahm man sogar das Risiko in Kauf, die Geschäftsgänge beträchtlich zu verlangsamen, ehe man die westphälische Bevölkerung mit Edikten, Gesetzesauszügen und Zeitungsmeldungen ausschließlich in französischer Sprache gegen die neue Obrigkeit aufbrachte. Die Praxis der systematisch zweisprachig verfassten öffentlichen Anschläge scheint sich auch im weiteren Verlauf der westphälischen Herrschaft gehalten zu haben, folgt man der überraschten Reaktion der Kasselaner auf die letzte einsprachige Mitteilung des Königs vom Oktober 1813: An den Straßenecken fand sich folgendes Bülletin angeschlagen. ›Weißenfels, am 16. Oktober. Der Feind ist auf allen Punkten geschlagen. Der Kaiser befindet sich wohl‹. Mit so wenigen Worten war noch keinmal ein Sieg verkündigt. Auch fiel die äußere Form des Plakats auf. Anstatt, wie bisher, auf einen großen Bogen in Deutsch und französischer Sprache gedruckt, hatte es nur die Größe eines Quartblattes und es fehlte der französische Text. Darüber gab es allgemeines Kopfschütteln. Jedermann frug, wo liegt Weißenfels, und was soll diese lakonische Kürze bedeuten?42
Diese Bekanntmachung rief Verwunderung hervor und stimmte die Westphalen misstrauisch, weil sie nicht nur einsprachig verfasst war, sondern zudem in deutscher Sprache und in einem ungewohnten Format, dazu noch äußerst einsilbig und knapp. Die Nachricht ließ die Kasselaner den bevorstehenden Machtwechsel erahnen und ihre Reaktion darauf zeigt, dass sie sich an die zweisprachige Ausführung von Bekanntmachungen gewöhnt hatten und diese als ein Stück Normalität in ihrem Alltag ansahen. Die Bemühung um Zweisprachigkeit bei öffentlichen Verlautbarungen und anderen Anlässen sollte jedoch keinesfalls verdecken, dass Französisch die offizielle Sprache im Königreich Westphalen war. So waren die ver40
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Die Tendenz, selbst das Erscheinungsbild von Sprachen zum Streitfall oder als Kampfanlass zu nehmen, ist nicht auf den untersuchten Zeitrahmen beschränkt. Im Übergang vom 19. auf das 20. Jh. legte auch die völkische Sammelbewegung von radikalen Nationalisten und Sprachregulierern außer auf die Eindeutschung von Fremdwörtern großen Wert auf den Kampf gegen die Schrift Antiqua, die ›undeutschen‹ lateinischen Buchstaben und auf eine Festlegung auf ›deutsche‹ Schrifttypen (Fraktur) für die Druck- und Maschinenschrift. Vgl. PUSCHNER, Die völkische Bewegung, S. 27–42; DOERING-MANTEUFFEL, Informationsstrategien, S. 361 f. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 97. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 71.
2. Umgang mit der verordneten Zweisprachigkeit
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waltungsinternen Schriftwechsel gelegentlich Anlass für Erinnerungen und Tadel. Ein Schreiben des Generaldirektors der Hohen Polizei an den Präfekten des Fuldadepartements lädt diesen ein, sich zukünftig in französischer Sprache an ihn zu wenden und erläutert das Verhältnis beider Sprachen: Tous MM. les Préfets correspondent avec moi, en français, sauf les pièces originales qu’ils me font l’honneur de me transmettre et qui sont écrites en Allemand, a raison de la non-connoissance de la langue française soit de la part des agens du Gouvernement qui ont écrit ces mêmes pièces, soit de la part des commis qu’ils pourroient employer. Vous reconnoitrez sans doute Mr. le Préfet que la correspondance entre les agens supérieurs du gouvernement doit être dans la langue officielle. La traduction allemande n’ayant lieu que pour l’intelligence des gens le moins instruits43 .
Ein Schreiben des Polizeipräfekten an den Kasseler Polizeikommissar des zweiten Kantons Gauthier vom 13. Februar 1811 stellt ebenfalls die Rangordnung zwischen der deutschen und der französischen Sprache klar: Veuillez lire, Mr., puisqu’il vous reste quelques doute sur le texte exclusif des lois, veuillez lire la lettre de S. E. le ministre de la Justice, consignée dans le N◦ XV. du moniteur Westphalien en date du 19 janvier 1811, Vous y verrez que le ministre de la justice rappelle aux tribunaux que le texte français fait seul la loi. D’où suit que ce qui s’y trouve est seul applicable44 .
Weiter empört sich der Polizeipräfekt über die Missachtung des Vorrangs des französischen Gesetzestextes vor dem deutschen durch Gauthier und den Friedensrichter: Comment se fait-il qu’un employé du gouvernement depuis plusieurs années, ignore que le seul texte officiel des lois, est le texte français ? Je ne puis d’ailleurs qu’être aussi étonné que Monsieur le Juge de paix n’ait pas connaissance de la lettre du ministre qui s’est obligé, d’après l’erreur de quelque Juge, de rappeler les principes et la loi même. Veuillez donc désormais ne provoquer d’autre application du texte de la loi, que du Texte français; notre Institution est française; elle est comme les lois et décrets, traduite en allemand pour la commodité du public, s’il existe entre le texte et la traduction des différences, c’est au texte français qu’il faut recourir45 .
Deutlicher konnte der Vorrang der französischen Sprache vor der deutschen nicht zum Ausdruck gebracht und der Grund für die Existenz einer deutschsprachigen Version, nämlich die »Bequemlichkeit des Publikums«, explizit genannt werden. Bei Unstimmigkeiten zwischen dem französischen Text und der deutschen Übersetzung galt das französische Original als Maßstab. Die deutsche Übersetzung erfolgte aus reinem Pragmatismus zur Verbreitung des Gesetzes und der staatlichen Verordnungen selbst bei den ausschließlich Deutschsprachigen unter den westphälischen Staatsbürgern, 43 44 45
GStA PK, V. HA, Nr. 684: Schreiben Nr. 1156 von J. C. A. Legras de Bercagny an G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 21. 5. 1809. GStA PK, V. HA, Nr. 690: Schreiben Nr. 4534 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an C. A. Gauthier, 13. 2. 1811. Ibid.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
somit aus vorübergehender Duldung ihrer Unkenntnis der französischen Sprache. Es war nicht das erste Mal, dass Gauthier den Generaldirektor in Bezug auf die Wahl der Verwaltungssprache verärgerte. Am 12. November 1810 hatte der Polizeipräfekt den Polizeikommissar bereits ermahnt: Je remarque que Chaque fois que vous me faites un rapport sur une pétition écrite en allemand votre dit avis est également redigé en langue allemande. La langue française étant la langue officielle, c’est en français que doievent être rédigés tous les Rapports que vous me faites quand même ils seraient les suites de demandes présentées en allemand46 .
Auch sein Kollege, der Kasseler Polizeikommissar des ersten Kantons, Hünersdorff, rief mehrfach die Empörung seiner Vorgesetzten hervor: »Vous me ferez votre rapport en Langue française & c’est de cette langue que je vous prie de vous servir désormais dans toutes vos rélations officielles avec moi«47 . Am 1. Juli 1811 wurde Bongars noch deutlicher: J’ai l’honneur de vous renvoyer ci-joint quatre rapports hebdomadaires que vous m’avez remis hier rédigés en langue allemande et je vous invite à me les renvoyer dans ce jour rédigér en langue française. Permettez-moi d’insister définitivement sur mes demandes réitérées que vous correspondrez en langue française avec Moi, par les motifs détaillés dans mes lettres précédentes à ce sujet que je vous prie de réléver48 .
Damit erhöhte Bongars den Druck, denn er forderte vom Kasseler Polizeikommissar die Übersetzung von vier ausstehenden wöchentlichen Polizeiberichten ins Französische noch am selben Tag. Er ging auf die Beweggründe Hünersdorffs ein, die er nicht hinnehmen wollte, und stellte klar, es komme ihm nicht auf einen Bericht in perfektem Französisch an, da Hünersdorffs französische Sprachfertigkeiten ihn vollkommen befriedigten, so dass der Polizeikommissar seine Hemmungen, in französischer Sprache zu schreiben, endlich ablegen könne: Vous vous êtes constamment excusé sur votre prétendu Défaut de connaissance suffisante de la langue française; Je veux bien croire que vous la parlez avec difficulté, que vous ne la comprenez même pas aisement lorsque des français la parlent vite en votre présence. Mais j’ai sous les yeux plusieurs rapports rédigés en langue française par vous, ils sont clairs et intelligibles. En consequence et puisque dans des cas particuliers Vous pouvez rédiger en français, je vois donc avec peine votre obstination à ne point generaler l’usage de cette 46 47
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Ibid., Schreiben Nr. 3784 von J. C. A. Legras de Bercagny an C. A. Gauthier, 12. 11. 1810. GStA PK, V. HA, Nr. 691, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 9. 5.–4. 9. 1811, Schreiben Nr. 5388 von J. F. M. de Bongars an Hünersdorff, Polizeikommissar in Kassel, 28. 5. 1811. Ibid., Schreiben Nr. 5718 von J. F. M. de Bongars an Hünersdorff, 1. 7. 1811.
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt
73
langue dans vos relations écrites avec moi et je vous invite à vous conformer sans hesitation à mes intentions à cet egard49 .
Es zeigt sich folglich deutlich, dass die französische Sprache die deutsche in der Verwaltung dominierte und wie sehr sich die Beamten bemühten, diese Dominanz durchzusetzen und ihr Nachdruck zu verleihen.
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt der offiziellen westphälischen Sprachpolitik? Ein weiterer Bereich, der möglicherweise eine Aussage über die Qualität der Sprachpolitik im Königreich Westphalen ermöglicht, ist die Schulpolitik. In Anbetracht der Tatsache, dass der erste Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts im Königreich Westphalen, J. von Müller, die Schulen als »Grundfeste aller Nationalkultur« ansah50 , verspricht die Schulpolitik von besonderer Relevanz zu sein. Lassen sich beispielsweise staatliche Maßnahmen zu einer intensiveren Unterrichtung des Französischen erkennen? Wurde daran gedacht, über das Sprachfach Französisch hinaus weitere Schulfächer in französischer Sprache zu unterrichten? 3.1. Einführung und Intensivierung des Französischunterrichts Zunächst lässt sich lediglich an einzelnen Schulen eine Verstärkung des Französischunterrichts verzeichnen. So beinhalten etwa die Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts für das Pädagogium in Marburg den Vermerk, bisher seien die Hauptgegenstände des philologischen Unterrichts die lateinische und griechische Sprache gewesen. »Ein wesentlicher Mangel ist es, dass die französische Sprache ordentlicher Weise in dem Pädagogium nicht gelehrt wird. Sechs Stunden wöchentlichen Unterrichts würden, wenn einem Privatlehrer die Arbeit […] bezahlt werden sollte, eine Ausgabe von 50 Rthlr. etwa verursachen«51 . Zur Einführung der französischen Sprache als Unterrichtsfach am Pädagogium zu Marburg wurde an die Beschäftigung eines Privatlehrers gedacht und nicht in etwa an einen festangestellten Sprachlehrer. Es bleibt offen, wie dies auszulegen ist: Ein Privatlehrer könnte als mangelnde Bereitschaft seitens des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts gedeutet werden, Französisch als Fach langfristig am Pädagogium zu institutionalisieren. Der Rückgriff auf eine Notlösung könnte aber auch symptomatisch für den noch weitgehend unpro49 50 51
Ibid. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 253. StA MR, Best. 75 Nr. 1292, Das Pädagogium zu Marburg, 1812–1813: Bericht von A. F. Arnoldi, Direktor des Pädagogiums in Marburg, an J. von Müller, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 23. 2. 1808.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
fessionalisierten Stand der Sprachlehre um 1800 in deutschen Territorien sein52 . Im Etat des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts scheint zumindest kein spezifisches Budget für die Einführung von Französischunterricht vorgesehen gewesen sein, wenn er die relativ niedrigen Kosten für die gewünschte Einführung von Französisch als Unterrichtsfach am Marburger Pädagogium derart aufschlüsseln musste: Sie belasteten offenbar die Schule selbst oder gar die Eltern. Aus den Dokumenten der Akte zum Marburger Pädagogium geht schließlich hervor, dass die Anregungen des Generaldirektors offensichtlich gefruchtet hatten und so Ende 1808 doch französischer Unterricht am Pädagogium erteilt wurde53 . Die Lehrer Ernest Philipp Amelung und Christian Koch teilten sich die Aufgabe; obwohl die Schulleitung des Pädagogiums sich sehr erfreut über die Mitarbeit von Amelung äußerte, stellte seine Besoldung von 1808 bis 1811 ein fortwährendes Problem dar, das Amelung dazu veranlasste, sich mehrfach mit Gesuchen an die Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts zu wenden54 . 3.2. Französischunterricht in den Schulen der Hauptstadt Kassel 3.2.1. Einschulung der französischsprachigen Einwandererkinder Die Situation in Kassel, wo viele französische Einwanderer sich niederließen, erfordert eine gesonderte Betrachtung55 . Die Einschulung der fran52
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Über das Selbstverständnis der Sprachlehrer als »maître de langue« vgl. ESPAGNE, LAGIER, WERNER, Le maître de langues; vgl. ferner HÜLLEN, KLIPPEL u.a. (Hg.), Sprachen der Bildung. Interessant wäre sicherlich noch eine systematische Bestandsaufnahme der Schulen, die Französischunterricht anboten. Dies würde sich anbieten, u.a. über: BAIL, Statistique générale; Adreßkalender des Fulda-Departement für das Jahr 1809; Adreß-Buch für das Departement der Werra; Almanach royal de Westphalie pour l’an 1810, 1811, 1812; Adress-Kalender des Fulda-Departements für das Jahr 1810; Adreßbuch für das Königreich Westfalen auf das Jahr 1812; AdressKalender des Fulda-Departements für das Jahr 1812. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 1292; StA MR, Best. 75 Nr. 156, Université de Marburg, Objets généraux. Eine Namensangabe aus dem »Almanach royal« lässt sich nicht im Quellenmaterial überprüfen: Kühne wird als französischer Sprachlehrer im Marburger Gymnasium für das Jahr 1812 angeben; vgl. Almanach royal de Westphalie, 1812, S. 360. Er könnte der Autor eines Sprachlehrbuchs gewesen sein, vgl. KÜHNE, Neue Materialien. Weitere Einzelfunde von französischen Sprachlehrern, die nicht als Privatlehrer, sondern an Schulen im ganzen Königreich tätig waren, lassen sich u.a. über den »Almanach royal de Westphalie pour l’an 1811« ermitteln. Vgl. Almanach royal de Westphalie, 1811; Almanach royal de Westphalie, 1812; Almanach royal de Westphalie, 1813. Vgl. ferner StA MR, Best. 75 Nr. 185, Die Schulanstalten im Werradepartement, 1809–1813. Léon war offensichtlich noch in den Jahren 1811 und 1812 französischer Sprachlehrer im Kasseler Lyceo; Almanach royal de Westphalie, 1811, S. 341; Almanach royal de Westphalie, 1812, S. 355. Dihm und
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt
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zösischsprachigen Einwandererkinder hätte dem westphälischen Staat die Chance geboten, Schulen in Kassel zu gründen, die Französisch nicht nur als Unterrichtsfach anboten, sondern weitgehend als Unterrichtssprache hätten verwenden können56 . Die Kinder von katholischen französischen Einwanderern sollten jedoch lediglich den Katechismus in französischer Sprache erlernen. Die Einrichtung einer katholischen französischen Schule in Kassel scheiterte unter anderem daran, dass kein passender Lehrer gefunden werden konnte, der beide Sprachen genügend beherrschte57 . Die differierenden Vorstellungen des Weihbischofs Wendt und des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts Justus Christoph von Leist zeigen außerdem, dass auch der finanzielle Aspekt ein Hindernis für das Projekt darstellte. Der Weihbischof hatte bereits im Jahre 1808 gegenüber dem Vorgänger Leists, J. von Müller, festgestellt, nicht ohne dabei Sinn für Humor zu zeigen: Die histigen Katholischen Kinder gehörten fast allgemein gebildete und ausgezeichneten Aeltern an, vorzüglich französischen Familien, ihre Erziehung erfordere die Sorgfalt eines Lehrmeisters, welcher die beyden Sprachen verstehe und einen gebildeten, aufgeklärten Verstand habe; von einem solchen katholischen Schullehrer sey aber hier nicht einmal ein Schatten zu finden58 .
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Lehmann waren französische Sprachlehrer am Domgymnasium in Magdeburg. Bosold war französischer Sprachlehrer am Gymnasium in Heiligenstadt, Schulenberg im Pädagogium in Ilfeld (Harzdepartement). Fischer war französischer Sprachlehrer am Gymnasium in Mühlhausen (Harzdepartement), Manikowsky am Gymnasium in Göttingen, Bock am St. Martin-Gymnasium in Braunschweig, Piland am Gymnasium St. Joseph in Hildesheim (Ockerdepartement). Kraushaar war französischer Sprachlehrer am Gymnasium in Hersfeld (Werradepartement), Masnier am Pädagogicum in Halle. Vgl. Almanach royal de Westphalie, 1813, S. 366–371; Adreß-Buch für das Departement der Werra, S. 57. De la Chapelle, bereits unter dem Landgraf von Hessen-Kassel im Karolinum in Kassel über mehrere Jahrzehnte tätig, dann in der Kadettenschule des Kurfürsten von Hessen-Kassel, fand unter der westphälischen Herrschaft ab 1809 eine Wiederanstellung als französischer Sprachlehrer in der Militärschule in Braunschweig. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 180, Unterrichtsanstalten im Fuldadepartement, 1812: Schreiben Nr. 372 von J. von Müller an G. A. von Wolffradt, 30. 3. 1809. Vgl. ferner THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 267–272. Möglicherweise geht diese Sicht der Dinge aus einem neuzeitlichen Verständnis der Chance von kindlicher Mehrsprachigkeit hervor. Vgl. PAYE, ZIEGLER, Von »encore bitte« zu »agua finito«! Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 194, Die katholische Schule zu Cassel, 1808–1810. Westerburg nennt einen weiteren Grund: »In Kassel galt prinzipiell, dass die bestehenden konfessionellen Schulen erhalten bleiben durften, ein gemischt konfessioneller Schulbesuch also nicht erzwungen werden sollte. Freilich legte das Ministerium Wert darauf, keine neuen, ausschließlich einer Konfession vorbehaltenen Schulen zuzulassen. Deshalb scheiterte Bischof Wendt 1810 mit seiner Bitte, der katholischen Gemeinde in Kassel eine eigene Schule zu gestatten«. WESTERBURG, Für die bürgerliche Gesellschaft von Nutzen?, S. 130. Ibid., Schreiben Nr. 197 von J. C. von Leist, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, an G. A. von Wolffradt, 11. 9. 1809. In diesem Schreiben zitiert Leist einen Antrag des Weihbischofs an J. von Müller.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Außerdem beklagte sich Wendt, er habe noch keine Anweisung der Behörden erhalten, wieviel Besoldung den Anwärtern auf eine solche Stelle in Aussicht gestellt werden könne. Er schlug vor, eine »nicht weniger nothwendig[e] Mädchen-Schullehrerin« anzustellen und veranschlagte für die Besoldung des Lehrers und der Lehrerin »außer der Miethe für eine angemessene Schulwohnung« 1000 Reichstaler oder 4000 Franken59 . Der Innen- und Justizminister, der vor dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts den Schriftverkehr mit dem Weihbischof Wendt geführt hatte, erkannte die Notwendigkeit der Bestellung eines Schullehrers für die katholische Gemeinde zu Kassel, antwortete jedoch im Sinne einer Kostenminderung am 17. Oktober 1808, »zur Verminderung der Kosten […], jene Stelle einem Individuo zu geben, welches bereits andere Schüler gegen ein Honorar unterrichte, und folglich gegen eine jährliche Entschädigung die ärmeren Kinder der katholischen Gemeinde in seine Schule aufnehmen würde«60 . Aus dieser Antwort geht einerseits hervor, dass die Kinder der wohlhabenderen französischen Immigranten meist französischen Privatunterricht erhielten. Andererseits wird deutlich, dass die öffentlichen Mittel zur Einrichtung einer französischen Schule, wie vom Weihbischof empfohlen, fehlten. Auch bezüglich der Miete für die Schulwohnung wurde staatlicherseits an kostensenkende Maßnahmen gedacht, was Leists Standpunkt im September 1809 deutlich zeigt: Ich halte es zwar für nöthig, dass durch Anstellung eines Lehrers und einer Lehrerin, welche auch der französischen Sprache einigermassen mächtig sind, den Kindern der hiesigen täglich anwachsenden Katholischen Gemeinde Gelegenheit zur Erlangung des erforderlichen Religions-Unterrichtes verschafft werde; allein ich bin keinesweges der Meinung, daß der ganze übrige Unterricht in der elementar- und höhere Schulkenntnissen von dem anzustellenden Lehrer zu ertheilen sey, indem Knaben sowohl als Mädchen denselben in den hier bereits bestehenden Lehranstalten sich verschaffen können: Auch finde ich es überflüssig, zum Besuch der Kinder katholischer Religion zu gebunden Unterrichtes für ein besonderes Schulgebäude zu sorgen61 .
Vielmehr sollte es nach Leists Ansicht möglich sein, den Knaben den Religionsunterricht im Lyceum zu erteilen und die Lehrerin sollte statt einer ganzen Schulwohnung lediglich ein Zimmer in der Stadt mieten, damit sich der Kostenaufwand reduzierte62 . Zur Frage der Besoldung bemerkte er, dass beide Lehrer nicht ganztags, sondern lediglich für ein paar Stunden Religionsunterricht beschäftigt werden sollten: »Beyde würden sich mit einer mäßigen Besoldung begnügen müssen und können, da sie noch so viel Zeit 59 60 61 62
Ibid. Ibid. An einer Stelle seines Berichts zitiert Leist die Antwort des Innen- und Justizministers Siméon auf Wendts Vorstellungen. Ibid. Ibid.
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt
77
übrig behalten, dass sie durch Ertheilung von Privatunterricht ihre Einnahme beträchtlich vermehren können«63 . Leist sah also keine Notwendigkeit, die französischsprachigen katholischen Kinder abgesehen vom Religionsunterricht noch in anderen Fächern in französischer Sprache zu unterrichten. Während Wendt zwei ausgezeichnete zweisprachige Lehrer vorschwebten, schien dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts zu genügen, dass die gesuchten Personen »einigermassen der französischen Sprache mächtig« waren. Als Entgelt für den erteilten Religionsunterricht setzte der Generaldirektor 200 Reichstaler Besoldung für den Lehrer und 150 Reichstaler für die Lehrerin an, wofür sie zwei Stunden täglich Unterricht erteilen sollten. Der Generaldirektor war der Ansicht, »dass die Kinder der hisigen katholischen Gemeinde den übrigen Schulunterricht, in so fern er nicht Religions-Unterricht ist, in den schon bestehenden Schul- und Lehr-Anstalten sich zu verschaffen suchen müssten, wenn auch gleich dieses in Rücksicht der Französischen Sprache anfänglich mit einigen Schwierigkeiten verbunden seyn dürfte«64 . Die aus diesem Beispiel ersichtliche Schulpolitik ist weder eine, die auf die besondere Förderung des französischen Unterrichts Wert legte, noch eine, die die Zweisprachigkeit in den Vordergrund stellte: Von den Kindern französischer Einwanderer wurde eher die Assimilation an die westphälischen Gegebenheiten erwartet, als dass die in der Verwaltung geltende französische langue officielle im Schulwesen ebenfalls an die erste Stelle gestellt worden wäre. Der Schriftverkehr und die zu vermutenden mündlichen Auseinandersetzungen des Weihbischofs mit dem Generaldirektor liefen darauf hinaus, dass Ersterer letzten Endes nur noch um die Lehre des Katechismus in französischer Sprache für diese Kinder kämpfte: Jeder von ihnen sah wohl damit seine Prioritäten gerettet. Der Geistliche konnte davon ausgehen, dass den Kindern zumindest die religiöse Erziehung leicht verständlich in ihrer französischen Erstsprache erteilt wurde65 ; Leist hatte seinerseits unter dem Vorwand eines Mangels an geeigneten Kandidaten Ausgaben gespart.
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Ibid. Ibid. Interessanterweise verhält es sich beim Unterricht der westphälischen Pagen genau andersherum: »Der Unterricht ward mit Ausnahme der Religion französisch erteilt«. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 4. Dies wurde so gehandhabt, obwohl einige der Lehrer das Französische nicht so gut beherrschten wie manche ihrer Schüler aus dem Kaiserreich Frankreich. Dieses Beispiel würde die These unterstützen, dass insbesondere in Religionssachen die Sprache, mit der man mit seinem Gott kommunizieren lernen sollte, als Unterrichtssprache toleriert wurde.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
3.2.2. Weiterführende Schulreformen an den Kasseler Schulen als Merkmal der Französisierung? 3.2.2.1. Von der Suche nach französischen Schullehrern Neben dem Lyceum befanden sich in Kassel noch sechs Freischulen, die Kinder aus ärmlicheren Verhältnissen aufnehmen sollten, nämlich drei Knaben- und drei Mädchenschulen, eine Garnisonsschule, die bereits erwähnte katholische Schule, die so genannte Anternenstädter Schule und schließlich die Israelitische Consistorialschule. Außer am Lyceum wurde an der Israelitischen Consistorialschule, auch Napoleonsschule genannt, französischer Unterricht erteilt 66 . Zudem waren seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts bereits eine private französische Mädchenschule einer Madame Lachapelle in Kassel vorhanden sowie weitere solcher Privatschulen »für die jungen Damen der Gesellschaft […] von Französinnen geleitet«, die in Kassel ab 1807 aufblühten67 . »Madame Bonnafond eröffnete ein französisches Erziehungsinstitut ›nach der Methode der Madame Campan‹. Demoiselle Courbet und Madame l’Eveque richteten eine französische Schule ein. Unterrichtet wurde in Religion, französischer Sprache, Schreiben, Sticken und Stricken, auf Wunsch auch in Musik [und Tanz]«68 . Bemerkenswert ist, dass sich hierdurch ein geschlechtsspezifischer Schwerpunkt im Zugang zu schulischem Fremdsprachenerwerb ergab, der in der Tradition der höheren Mädchenbildung des 18. Jahrhunderts stand und offensichtlich im Königreich Westphalen durch die Privatschulen fortgeführt wurde69 . 66 67 68 69
Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 180: General-Tableau über die Lage und den Zustand sämmtlicher Gymnasien, Lyceen und Bürgerschulen im Fuldadepartement. KEIM, »Savoir vivre«, S. 147, vgl. S. 129 f. Ibid., S. 147; vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 85, 92; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 42 f.; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. Die tendenziösen Angaben von Zeitgenossen, wonach insbesondere die Frauen den Kontakt zu den Franzosen pflegten und die französischen kulturellen Einflüsse verinnerlichten, finden hier eventuell ein Erklärungsmoment: Mädchen aus Oberschichten erhielten eher Französischunterricht bzw. Französischkonversationsstunden als Jungen und wurden dadurch eher dazu veranlasst, den Kontakt zu Franzosen zu pflegen. Vgl. u.a. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 27 f. Es wäre ferner in Bezug auf die französischen Privatschulen in Kassel, die von Französinnen geleitet wurden, zu fragen, ob ein Zusammenhang bestand zwischen dem Stereotyp der verweiblichten Franzosen und dem Topos der Verfehlungen der Mädchenbildung durch die französischen Privatschullehrerinnen im kollektiven Bewusstsein der Zeitgenossen. Die enge Verschränkung von Geschlechts- und Nationalcharakteren wurde bereits in der Forschungsliteratur festgestellt: Vgl. FLORACK, »Weiber sind wie Franzosen geborne Weltleute«, S. 338; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 78 f. Eventuell wurden die Privatmädchenschulen, von Französinnen geleitet, im Nachhinein deswegen so kritisiert, weil eine enge Verbindung von National- und Geschlechtscharakteren im zeitgenössischen Diskurs parallel dazu existierte. Über
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Was die staatlichen Schulen angeht, so zeigt sich bei Betrachtung der Schulreformen in Kassel, Hauptstadt des Königreichs und erste Anlaufstelle für die französischsprachigen Einwanderer, dass erst im Jahre 1811 allmählich Reformpläne für die Schuleinrichtungen umgesetzt wurden70 . Eine genauere Analyse dieser Reformen zeigt, dass das Französische lediglich als ein Unterrichtsfach vorgesehen war. Die Reorganisation des Schulwesens in Kassel wurde sogar für alle sichtbar, als das bereits bestehende Lyceum und die dazu gehörige Bürgerschule umzogen und das Lehrpersonal erneuert wurde71 . Der Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts schrieb dem Innenminister zur Notwendigkeit von Reformen: »Daß mit dem in der That in einen tiefen Verfall gerathenen Lyceo zu Cassel und der damit verbundenen Bürgerschule eine gänzliche Reform vorgenommen werden müsse, darüber dürfte wohl nur Eine Stimme seyn«72 . Kassel »soll[te] nämlich […] Lehranstalten haben, welche der Hauptstadt des Königreiches würdig sind und allen gerechten Anforderungen Genüge leisten«73 . Das Lyceum, eine Schuleinrichtung, welche im Jahre 1779 vom Landgrafen Friedrich II. errichtet worden war, war eine höhere lateinische Schule. Nach Ansicht des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts verfehlt [leider] bey weitem der größte Theil der jetzigen Lyceen und Gymnasien seinen Zweck, indem gerade das, was das Hauptfach ausmacht, nämlich alte und neue Sprachen, Geschichte und Mathematik theils vernachlässigt, theils höchst oberflächlich behandelt […] wird74 .
Zur Reform der höheren lateinischen Schulen wurde eine Verlagerung der üblichen Lehrgegenstände vorgesehen. Der Unterricht sollte unter anderem auf folgende Fächer ausgedehnt werden: die alten Sprachen, insbesondere
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73 74
den Zusammenhang zwischen Patriotismus und Kritik am Französischspracherwerb der Mädchen um 1800 vgl. KALTZ, Der Fall Beaumont, S. 248. Vgl. auch HAGEMANN, Heldenmütter, S. 185 f. Vgl. ferner IRIGARAY, Parler n’est jamais neutre; DIES. (Hg.), Le sexe linguistique. Vor dem Einleiten der Reformpläne holte Leist, wie J. von Müller vor ihm, die Expertise bewährter Schulmänner ein, vgl. dazu GStA PK, V. HA, Nr. 2277, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts, Vorschläge und Gedanken über die Verbesserung der Einrichtung der höheren Schulanstalten, 1808–1811. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 182, Schulanstalten in Cassel. Acta die Eintauschung des Gräflich von Malsburgschen Hauses zum Lyceum und dessen Ausbau, 1810– 1812; StA MR, Best. 75 Nr. 1298: Acta betr. die Einrichtung und den Ausbau der Halle am Napoleonsplatz für die Bürgerschule, 1812–1813. Vgl. COQUERY, L’espace du pouvoir. StA MR, Best. 75 Nr. 183, Organisation des Schulwesens zu Cassel und die Erneuerung des Lehrerpersonals an dem Lyceo und der Bürgerschule im Fuldadepartement betr., 1811–1813: Schreiben Nr. 1470 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 22. 7. 1811. Ibid. Ibid.
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die lateinische, die griechische und die hebräische – letztere allein für die künftigen Theologen –, und »die neueren Sprachen, unter denen jedoch nur die teutsche und französische öffentlich brauchen gelehrt zu werden. Dagegen ist bey den anzustellenden Lehrern darauf zu sehen, dass sie im Stande sind, Privatissima im Englischen und Italiänischen zu geben«75 . Die deutsche und französische Sprache werden hier in einem Zug genannt und ihnen wird lediglich der Vorzug vor der englischen und italienischen Sprache gegeben. In Anbetracht der zuvor praktizierten Beschränkung des Unterrichts auf Latein in solchen Lateinschulen, unter Ausschluss selbst der deutschen Sprache, stellte diese Regelung somit eine deutliche Erneuerung und Anpassung an die Zeiterfordernisse dar. Möglicherweise lassen sich hier auch konkurrierende Auffassungen über das Ziel von Schulpolitik herauslesen. Der Innenminister Gustav Anton von Wolffradt schrieb beispielsweise noch im August 1811, ihm erscheine »der Unterricht in der französischen Sprache gegenwärtig von höchster Wichtigkeit«76 . Leist vertrat vielleicht insgesamt einen gemäßigteren Kurs. Der Sprachunterricht beinhaltete auch das Verfassen von Aufsätzen. Ein weiterer Reformpunkt betraf die »Übung im öffentlichen Reden und Disputiren, welches jetzt bey veränderten Staatsverfassung um so nothwendiger ist«77 . Im Dekretsentwurf »relatif à l’organisation d’un Lycée et d’une école secondaire à Cassel« werden folgende Unterrichtsfächer genannt: Il sera établi dans notre bonne ville de Cassel un Lycée destiné à l’enseignement des langues anciennes; des langues allemande et françoise; de l’histoire et de la géographie; des sciences mathématiques et physiques; des élemens de la philosophie; de la morale et de la réligion; de la rhétorique78 .
Französisch war also lediglich als ein Unterrichtsfach unter anderen vorgesehen und rangierte in der Aufzählung sogar hinter der deutschen Sprache. Ähnliches galt für die Bürgerschule: Il sera également établi dans Notre bonne ville de Cassel une école sécondaire, dans laquelle on enseignera: Les langues allemande et française; La calligraphie et
75 76
77 78
Ibid. HStAH, Hann. 52, Nr. 435, Gehalt des französischen Sprachlehrers A. H. Léonnard an der Schule zu Uelzen, 1811–1812, Bl. 3: Schreiben von G. A. von Wolffradt an J. F. C. von Düring, Unterpräfekt in Uelzen, Werradepartement, 15. 8. 1811. Ibid.; SIMÉON, zitiert nach: ANONYMUS, Regierungs-Geschichte, S. 230. Vgl. auch CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 160 f. StA MR, Best. 75 Nr. 183, Organisation des Schulwesens zu Cassel und die Erneuerung des Lehrerpersonals an dem Lyceo und der Bürgerschule im Fuldadepartement, 1811–1813: Projet de Décret relatif à l’organisation d’un Lycée et d’une école secondaire à Cassel.
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l’orthographie; Le calcul et les élemens des mathématiques; L’histoire naturelle et les élemens de la science des arts et métiers; La morale et la réligion79 .
Das Lyceum in Kassel avancierte mit diesem Lehrprogramm zum »Vorbildlyzeum«80 . Bei der Erneuerung des Lehrpersonals wurde besonders auf einen passenden, dem Reformcharakter der neuen westphälischen Gesellschaftsordnung zugeneigten Direktor Wert gelegt, wobei vom Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts ausdrücklich betont wurde, dass nicht allein die philologischen Kenntnisse der Kandidaten von Wichtigkeit seien81 . Zum Amt eines Direktors des Lyceums und der Bürgerschule in Kassel wurde Professor Theodor August Suabedissen aus Lübeck ausgewählt 82 . Neben einer Karriere als Lehrer im philologischen und historischen Fach hatte dieser Kandidat die Gründung einer Schulanstalt für die reformierte Gemeinde in Lübeck vorzuweisen83 . Was den Unterricht der französischen Sprache angeht, sollten das Lyceum und die Bürgerschule je einen Sprachlehrmeister erhalten84 . Als besonders aufschlussreich erweisen sich die geplanten Einnahmen und Ausgaben des Lyceums und der Bürgerschule. Für den französischen Sprachlehrer des Lyceums wurde eine Besoldung von 1550 Francs vorgesehen – während die anderen Lehrer 1750 Francs erhielten –, für den französischen Sprachlehrer der Bürgerschule waren ebenfalls 1550 Francs Besoldung eingeplant 85 . Die finanzielle schlechtere Stellung der Sprachlehrer gegenüber ihren Kollegen ist eindeutig86 . In einem Schreiben vom 16. Juli 1812 an den Innenminister ordnet der Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts die Ernennung eines Lehrers der französischen Sprache an der Bürgerschule an87 . Leist schlägt seinen Wunschkandidaten vor:
79 80 81 82
83 84 85 86 87
Ibid. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Schreiben Nr. 1382 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 4. 5. 1812. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 1382 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 4. 5. 1812; ibid., Dekretentwurf »portant organisation du Lÿcée et de l’école secondaire«, 28. 6. 1812; SUABEDISSEN, Allgemeine Gedanken von dem Unterrichte. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Schreiben Nr. 1382 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 4. 5. 1812. Vgl. ibid., projet de Décret relatif à l’organisation d’un Lycée et d’une école secondaire à Cassel. Vgl. ibid., Einnahme und Ausgabe des Lycei, der Bürgerschule und des Seminars. Dies könnte eventuell dem Sprachlehrerstand geschuldet sein, vgl. SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«; HÜLLEN, KLIPPEL (Hg.), Sprachen der Bildung. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Schreiben Nr. 2001 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 16. 7. 1812.
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So schwer es auch fällt, einen in jeder Hinsicht qualificirten Lehrer der französischen Sprache zu finden, so glaube ich dennoch gegenwärtig im Stande zu seyn, einen für den Zweck einer Bürgerschule geeigneten französischen Sprachlehrer in der Person des Professors Thierry von Colmar E. E. vorschlagen zu können88 .
Zur Eignung dieses Kandidaten führt er aus: Dieser Mann hat bereits achtzehn Jahre hindurch Privatunterricht in der französischen Sprache ertheilt. Seine Kenntnisse in dieser Sprache haben durch eine von ihm herausgegebene Anleitung zur Erlernung der französischen Sprache zur Genüge bewährt. Auch lässt sich von seiner Lehrmethode des Beßte erwirken, da er bereits so lange zeit hindurch unterrichtet hat 89 .
Er schränkt zwar seine positive Beurteilung in Bezug auf die Aussprache Thierrys ein, über die er sich offensichtlich eine eigene Meinung bilden konnte, fügt jedoch hinzu, dass die Wahl Thierrys den Vorzug habe, da er zweisprachig sei: Zwar besitzt er, als ein gebohrener Elsasser eine nicht vollkommen gute Aussprache, allein auf der anderen Seite kommt ihm doch auch das wieder zu statten, dass er zugleich der teutschen Sprache mächtig ist, welches bey Ertheilung des Elementarunterrichtes von großer Wichtigkeit und bey nahe unentbehrlich ist 90 .
Ein Argument, das Leist von Gewicht erschien, war die Motivation Thierrys, einen guten Lehrer in Kassel abzugeben, weil jener seine Existenzgrundlage in Colmar nicht mehr genügend gesichert sehe. Seine pecuniaire lage [lässt] erwarten […], dass er alle seine Kräfte aufbieten werde, um falls er ernannt werden sollte, dem Amte eines französischen Sprachlehrers mit Nutzen und zur Zufriedenheit seiner Oberer vorzustehen91 .
Leists Schreiben geht sogar so weit vorzuschlagen, dass die Entscheidung für Thierry schnell herbeigeführt werden müsse, denn der Mann führe Empfehlungen seines Präfekten aus Colmar und des Herrn von Hedonville bei sich und habe den festen Vorsatz, in Hamburg Anstellung zu suchen. Zu seiner Begegnung mit Thierry schreibt er abschließend: Bey seiner Durchreise durch Cassel meldete er sich bey mir, und, da ich gerade für die beiden neuen Schulanstalten in Cassel Lehrer der französischen Sprache suchte, so trat ich, nachdem ich zuvor seine Zeugnisse und Empfehlungen geprüft hatte, mit ihm in Unterhandlung worauf er sich bereitwillig erklärte, die Stelle eines Lehrers der französischen Sprache bey der Bürgerschule in Cassel […] anzunehmen, wenn er dazu würde ernannt werden92 .
Zu unterstreichen bleiben die Schwierigkeiten, die dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts die Suche nach zwei passenden französischen 88 89 90 91 92
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
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Sprachlehrern für das Lyceum und die Bürgerschule bereiteten. Er suchte möglichst nach zweisprachigen Kandidaten, die über eine gute Aussprache verfügten. Man beachte, wie Leist seinen Wunschkandidat rhetorisch einführt: Fast durch Zufall sei er auf den Sprachlehrer Thierry gestoßen. Seine Schwierigkeiten bei der Suche nach einem französischen Sprachlehrer für das Lyceum legte Leist bereits in einem früheren Schreiben vom 13. Juli 1812 dar, in dem er über die sonstige erfolgreiche Rekrutierung von Lehrern für die anderen Fächer der neuen Schuleinrichtung berichtet: Was die Anstellung eines Lehrers der französischen Sprache anbetrifft, so befinde ich mich, aller angewandten Mühe ungeachtet, gegenwärtig noch nicht im Stande, zu dieser Stelle ein passendes Subject E. E. in Vorschlag zu bringen. Die Wahl eines Professors auf einer Universität, mit Ausnahme einiger Fächer, hält kaum so schwer, als einen für eine höhere Schulanstalt in jeder Hinsicht passenden Lehrer der französischen Sprache zu finden. Zwar gibt es Männer genug, die sich Lehrer der französischen Sprache nennen, und auch wohl Fähigkeit und Kenntnisse besitzen, den Elementarunterricht in dieser Sprache zu ertheilen, allein Sprachlehrer, welche die französische Sprache eigentlich studirt haben und in den Geist derselben eingedrungen sind, welche mit dieser gründlichen Kenntniß der Sprache selbst eine gute Aussprache und die Gabe des Unterrichts verbinden, welche außerdem das für einen jeden Lehrer nothwendig erforderliche Achtung und Liebe einfloßende, Äußere besitzen, und einen unbescholtenen Ruf haben, diese Sprache lehren, sage ich, sind äußerst schwer zu finden, oder sie machen, wenn man sie findet, zu übertriebene Forderungen, als dass man auf sie Rücksicht nehmen könnte93 .
Dieses Schreiben des Generaldirektors verrät seine wachsende Verärgerung über den Stand der Sprachlehrer und den Dilettantismus manch eines so genannten französischen Sprachlehrers. Der Sprachlehrer Barathier scheint zu denjenigen gezählt zu haben, die Leists Suche nach zwei passenden Sprachlehrern erschwert haben94 . Von ihm ist ein Schreiben an den Präfekten des Werradepartements August Heinrich Freiherr von Trott zu Solz überliefert, in dem er versucht, Leists Entscheidung gegen ihn wieder rückgängig zu machen: Veuillez bien je vous prie, pardonner mon étonnement de la Lettre que Monsieur le Conseiller d’Etat Baron de Leist adressa au Maire de Schmalkalden, et dans laquelle il m’exclut de la Concurrence d’une Place de maitre de langue au Lycée, parcequ’il se dissoit quelques fautes de sintaxe à la Lêttre que j’eus l’honneur de vous écrire95 . 93 94
95
Ibid., Schreiben Nr. 2032 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 13. 7. 1812. Weitere Anstellungsgesuche von Sprachlehrern für die Stellen der französischen Sprachlehrer am Lyceum und an der Bürgerschule finden sich in der Akte: GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Ansuchen um Anstellung als Lehrer der französischen Sprache, 1810–1813. Auf sie wird noch im Kapitel B II. (Spracherwerb) eingegangen. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Gesuche um Erlaubnis die französische Sprache lehren zu dürfen, 1809, Bl. 10: Schreiben von Barathier, Sprachlehrer in Schmalkalden, an A. H. von Trott zu Solz, Präfekt in Marburg, Werradepartement, 7. 9. 1810.
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Barathiers Strategie war es, die Fehler einzugestehen und um Nachsicht zu bitten: Je ne m’émanciperai pas de protester l’existence de ces fautes; cependant je ne puis dompter mon amour propre blessé, et passer en silence un jugement que je compare à la figure de l’Eloquence, nomée Syneedoch laquelle comprend la partie pour le tout; Si Monsieur le Conseiller d’Etat avait daigné jetter un coup d’œil attentif à la Traduction que j’eus l’honneur de lui envoyer; la Censure relativement à ma Lettre eût éclipsé, vu que cette brochure pouvoit servir d’admittatur; […] D’ailleurs quel est le Savant même qui ne fait point de fautes, et ne sait qu’il est des moments où la source intellectuelle est tarie? Et cette secheresse augemente dès que l’ame se trouve accablée d’inquiétudes […]. Tel est, et fut le cas avec moi 96 .
Sein verletztes Ehrgefühl verkleidet er rhetorisch und betont auch, dass diese kleinen vorübergehenden sprachlichen Verfehlungen eigentlich auf die Zukunftssorgen zurückzuführen seien, die ihn plagten. Zu den in seinen Augen nötigen Qualitäten eines französischen Sprachlehrers am Lyceum bemerkt er: Il me semble aussi qu’un maitre de langue au Lycée, n’est pas chargé de former des Bourdaloues, des fléchiers, des Garrers modeles de l’Eloquence; son devoir est d’instruire la jeunesses seulement dans les Principes de la langue, et lui former l’organe à une bonne Prononciation; Devoir que je me pique de remplir fut ce même en presence de Voltaire. Meidingue est bien fautif dans ses écrits, il n’est pas moins bon Grammairien97 .
Barathier, der mit seinem offenen Eingeständnis einiger Fehler um Sympathie warb und eine Milderung des Urteils herbeizuführen wünschte, scheute sogar nicht davor zurück, sich in Voltaires Nähe zu rücken und die Sprachbeherrschung des Sprachlehrers Johann Valentin Meidinger in Zweifel zu ziehen98 . Er bat außerdem den Präfekten, sich eine halbe Stunde Zeit zu neh96 97 98
Ibid. Ibid. Die unvollständige Bibliographie von Meidinger zeigt, dass Barathier sich mit einem anerkannten Sprachlehrer verglich, der zudem Autor von Werken zur französischen, italienischen und deutschen Sprachlehre war, vgl. Johann Valentin MEIDINGER, Praktische italienische Grammatik, o.O. 1799; DERS., CELLARIUS, Praktische italienische Grammatik, wodurch man d. Sprache auf eine ganz neue und sehr leichte Art in kurzer Zeit gründliche erlernen kann, Neue, nach JAGEMANN u. FILIPPI umgearbeit. u. durchaus verb., mit neuen Regeln u. Aufgaben bereicherte Ausg., Leipzig [1803]; J. V. MEIDINGER, Französische Grammatik, durchaus umgearbeitet, und mit neuen Aufgaben versehen von J. F. SANGUIN, Coburg 1805; DERS., Unterhaltungen in freundschaftlichen Briefen zum Uebersetzen aus dem Deutschen ins Französische und Italiänische ganz umgearbeitete Auflage von CELLARIUS, Augsburg 1805; DERS., Praktische französische Grammatik, o.O. 1807; DERS., Erster Unterricht in der französischen Sprache für Kinder, Leipzig 9 1809; DERS., Erster Unterricht, Köln 1810; DERS., Grammaire allemande pratique ou méthode nouvelle et amusante pour apprendre l’allemand par Jean Valentin MEIDINGER, Köln 7 1810; DERS., Traits d’histoires et Contes moraux à l’usage de ceux qui apprennent le français par J. V. MEIDINGER, Professeur à Francfort, Köln 1811; DERS., Praktische französische Grammatik: wo-
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men, seine vorzügliche Übersetzung des »grand Echec« genauer anzuschauen und diese auch an Leist weiterzuleiten, damit der ungute Eindruck, den sein vorheriger »Lettre Censurée« gemacht habe, ausgeglichen werde99 . Er tauchte jedoch in den Akten Leists nicht wieder auf: Seine Bemühungen um Wiedererlangung seines Ansehens als zwar nicht ganz fehlerfreier, so doch rechtschaffener Sprachlehrer waren offenbar vergeblich gewesen. Zwischenzeitlich glaubte Leist in der Person eines ehemaligen Pfarrers namens Mausbendel einen geeigneten Sprachlehrer für das Lyceum gefunden zu haben: Der als Secretair bey Sr. E. dem vormaligen Herrn Großmarschall Grafen von Wellingerode angestellt gewesener vormalige Pfarrer Mausbendel, über dessen Ernennung zum Lehrer der französischen Sprache bey dem nun organisirten Lyceo hierselbst E. E. sich mündlich gegen mich geäußert haben, scheint nach den mit demselben gehabten Unterredungen und den Nachrichten, welche ich über ihn eingezogen habe, die zu einem Lehrer der französischen Sprache bey dem neuen Lyceum nöthigen Sprachunterrichte und wissenschaftliche Bildung allerdings zu besitzen100 .
Bei Pfarrer Mausbendel schienen seine Fertigkeiten für seine Eignung zu sprechen, allerdings war es um seinen Ruf weniger gut bestellt: [Ich] habe […] von dem Herrn Staatsrathe Grafen von Schulenburg, welcher gedachten Mausbendel von Magdeburg her kennt, manches Nachtheilige über ihn gehört, welches die Veranlassung zum Verluste seiner Pfarrstelle gegeben haben soll, und wo durch dessen Anstellung als Lehrer bey einer Schulanstalt in der That sehr bedenklich werden könnte101 .
Leist bat den Innenminister, genauere Angaben über die Magdeburger Vorgeschichte Mausbendels im Archiv des Innenministeriums zu ermitteln und ihm mitzuteilen, ob Wolffradt daraus die Überzeugung gewinnen könne, dass »Mausbendels Ernennung auch [für] den Ruf der Schulanstalt keinen nachtheiligen Einfluß habe«102 .
99 100
101 102
durch man diese Sprache auf eine ganz neue und sehr leichte Art in kurzer Zeit gründlich erlernen kann, Leipzig 28 1812; DERS., Praktische französische Grammatik. Mit neuen Aufgaben versehene Ausgabe von J. F. SANGUIN, Coburg 7 1813; DERS., Nouvelle lecture amusante et instructive: avec l’explication des mots et des phrases en allemand/Neues Französisches Lesebuch zum Nuzzen und Vergnügen. Text franz., dt., Frankfurt/M. 5 1818. Über das lukrative Geschäft des Sprachmeisters Meidinger, der in Frankfurt unterrichtete, berichtet Christ, dass allein von seiner »Praktischen französischen Grammatik« 37 Auflagen und zusätzlich acht unerlaubte produziert wurden. Vgl. CHRIST, Rekonstruktion von Fremdsprachenlehrmethoden, insb. S. 127 f., 145. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 10: Schreiben von Barathier an A. H. von Trott zu Solz, 7. 9. 1810. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Schreiben Nr. 2554 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 17. 8. 1812: »Die Ernennung von französischen Sprachlehrern für die neuen Schulanstalten in Cassel betr.« Ibid. Ibid.
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Im gleichen Schreiben bat der Generaldirektor um eine schnelle Entscheidung bezüglich des Professors Thierry, der die Stelle des Lehrers der französischen Sprache an der Bürgerschule erhalten sollte, bevor dieser anderweitig eine Anstellung suchte.103 Die Antwort des Innenministers, die sich auf das königliche Dekret vom 28. Juni 1812 über die Neueinrichtung des Lyceums und der Bürgerschule bezog, leitete die Anstellung von Thierry als »Lektor der französischen Sprache in der Bürgerschule zu Cassel« ein104 . Für die Stelle am Lyceum scheint sich der Kandidat Mausbendel letzten Endes nicht als geeignet erwiesen zu haben, da Anfang September 1812 ein neuer Name im Schriftwechsel zwischen dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts und dem Innenminister auftauchte. Zur Person des Abbé Saugier führte Leist aus: Dieser Mann hat mit vielen Beyfalle früherhin in Mannheim hierauf in Göttingen und zuletzt in Heidelberg Unterricht in der französischen Sprache ertheilt. Mit allgemeinen wissenschaftlichen Kenntnissen verbindet er eine reine gründliche Kenntniß der französischen Sprache und eine gute Aussprache; wozu noch der für ihn als Lehrer sehr erhebliche Umstand kommt, daß er gänzlich der teutschen Sprache mächtig ist 105 .
Außerdem konnte Saugier im Gegensatz zu Mausbendel ein »völlig tadelfreyes« Betragen während seines Aufenthaltes in Göttingen vorweisen106 . Im Fall von Saugier wird wieder deutlich, dass Leist großen Wert auf die Zweisprachigkeit und die gute Aussprache der französischen Sprachlehrer legte. Saugier kam sicherlich auch zugute, dass er gegen ein Gehalt von 1500 Francs bereit war, die Stelle des französischen Sprachlehrers am Lyceum anzunehmen, was für den Generaldirektor im Vergleich zum angesetzten Budget eine Einsparung bedeutete. Der Beschluss des Innenministers, mit dem Abbé Saugier zum Lehrer der französischen Sprache am Lyceum ernannt wurde, folgte am 17. September107 . Die Sorgen des Generaldirektors um die Besetzung der Stellen der französischen Sprachlehrer am Lyceum und an der Bürgerschule hielten jedoch an. Schon Ende November 1812 schied der französische Sprachlehrer Thierry wegen Schwerhörigkeit aus seinem Amt – aufs Sprechen konnte er sich schließlich beim Sprachunterricht nicht beschränken108 . Damit war die Stelle des französischen Sprachlehrers an der Bürgerschule wieder frei und neu 103 104 105 106 107 108
Vgl. ibid. Vgl. ibid., Konzept eines Schreibens von G. A. von Wolffradt an J. C. von Leist, 21. 8. 1812. Ibid., Schreiben von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 3. 9. 1812. Ibid. Vgl. ibid., Konzept des Beschlusses von G. A. von Wolffradt, 17. 9. 1812. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 3773 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 18. 11. 1812.
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zu besetzen. Diesmal fand Leist einen Anwärter in der Person des Kandidaten Christian Ludwig Bauermeister: Aller angewandten Mühe ungeachtet, hat es mir nicht gelingen wollen, einen Franzosen, der zugleich der teutschen Sprache etwas kundig wäre, für diese Stelle zu finden. Aber es ist mir gelungen, einen Teutschen zu finden, welcher der Stelle völlig gewachsen ist 109 .
Leists Anstrengungen bei seiner Suche hatten ihn offensichtlich so weit gebracht, sein ursprüngliches Ziel, einen Kandidaten mit der vollendeten Aussprache eines Muttersprachlers zu finden, teilweise aufzugeben oder einzuschränken. Bauermeisters französische Aussprache war im Übrigen vorzüglich, was die Strategieänderung Leists erklären mag: Er hat seine Bildung auf der Universität Göttingen empfangen, und in der letzten Zeit daselbst in der griechischen, lateinischen und französischen Sprache Unterricht ertheilt. Seine gründlichen Kenntnisse in der Französischen Sprache, seine vorzüglich gute Aussprache und seine Fertigkeit und Gewandtheit so wohl im Reden als Schreiben der französischen Sprache bezeugen die Franzosen, namentlich die Professoren von Villers und d’Artaud in Göttingen und die Teutschen, welche der französischen Sprache kundig sind. Auch ich habe mich von der Wahrheit dieses Urtheiles bey einer Probe Lection, welche der Candidat Bauermeister in meiner Gegenwart im Lyceum hat halten müssen, vollkommen zu überzeugen Gelegenheit gehabt 110 .
Es fiel dem Generaldirektor offenbar schwer, Franzosen zu finden, die auch der deutschen Sprache kundig waren, deswegen fiel seine Wahl auf einen Deutschen, der das Französische vorzüglich beherrschte. Dieser Umstand wirft ein erstes Licht auf das Verhältnis beider Sprachen im Königreich Westphalen und lässt das Ungleichgewicht zwischen den einsprachigen französischen Einwanderern und den zum Teil zweisprachigen Einheimischen erkennen. Schon am 26. November 1812 bestätigte der Innenminister Bauermeister als französischen Sprachlehrer am Lyceum111 . Der Generaldirektor war damit jedoch noch nicht am Ende seiner Bemühungen angelangt und sollte sich noch einmal vor der Auflösung des Königreichs Westphalen mit der Wiederbesetzung der französischen Sprachlehrerstelle am Lyceum beschäftigen: Der […] am hiesigen Lyceum angestellten Abbé Saugier, zieht es vor, durch Ertheilung von Privat-Unterricht seinen Unterhalt sich zu erwerben, und hat daher auf das am Lyceum von ihm bekleideten Amt eines französischen Sprachlehrers resignirt 112 . 109 110 111 112
Ibid. Ibid. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183, Konzept des Beschlusses Nr. 5641 von G. A. von Wolffradt, 26. 11. 1812. Ibid., Schreiben Nr. 214 von J. C. von Leist an G. A. von Wolffradt, 30. 1. 1813.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
In diesem Schreiben ließ Leist seine Enttäuschung über die Kündigung von Saugier nicht durchscheinen: Dabei hatte Abbé Saugier, dem die Erteilung von Privatunterrichtsstunden in der Stadt für sein Auskommen einträglicher erschien, seine Zeit am Lyceum sicher gut zur Akquise von Schülern nutzen können und ließ so den Generaldirektor mit der vakanten Stelle und zudem mit der Aussicht auf abwandernde Schüler zurück. Leist reagierte schnell und schlug im gleichen Schreiben einen Ersatz vor: Um nun den so wichtigen Unterricht in der französischen Sprache durch diesen Abgang auf keine Weise in gerathen zu lassen, habe ich mich so gleich, wie ich von des Saugiers Absichten unterrichtet würde, bemüht, ein zu dieser Stelle qualificirtes Subject ausfindig zu machen und glaube dasselbe in der Person des Sprachlehrers d’Houteville gefunden zu haben, welcher bisher in Lübeck angestellt war, und gegenwärtig in dem hiesigen Lyceum der Unterricht in der französischen Sprache mit meiner Genehmigung besorgt 113 .
Zum Profil des neuen Kandidaten führte Leist, in der Absicht, dem Mann die Stelle definitiv zu übertragen, aus: Er ist aus Paris gebürtig, hat während der französischen Revolution, dem Vaterland verlassen und sich nach Lübeck begeben, wo er an verschiedenen UnterrichtsAnstalten und namentlich an derjenigen, welche dem Director Suabedissen anvertraut war, arbeitete. Dieser verdiente Schulmann hat daher Gelegenheit gehabt, gedachten d’Houteville genauer kennen zu lernen, und glaubt, dass er der französischen Sprachlehrerstelle am Casselschen Lyceum mit gutem Erfolge vorzustehen im Stande sey114 .
D’Houteville war, wahrscheinlich ähnlich wie sein Vorgänger Abbé Saugier, einer der vielen französischen Emigranten, die vor der Französischen Revolution geflohen waren und ihren Lebensunterhalt auf neue Weise, hier als französische Sprachlehrer, bestritten115 . D’Houteville wurde bereits am 8. Februar 1813 offiziell zum französischen Sprachlehrer ernannt und Leist war nun mit dieser letzten Stellenbesetzung am Ende seiner Suche nach geeigneten französischen Sprachlehrern angelangt 116 , die sich von Juli 1812 bis Februar 1813 erstreckt hatte. Seine Schwierigkeit, die Stellen zu besetzen, mögen zum einen daran gelegen haben, dass er sehr kritisch gegenüber den Sprachfertigkeiten der Kan113 114 115
116
Ibid. Ibid. Vgl. RANCE, L’identité collective, S. 27 f.; vgl. ferner VEDDELER, Französische Emigranten; HÖPEL, MIDDELL (Hg.), Réfugiés und Emigrés; HÖPEL, L’attitude des rois de Prusse. Ein weiterer adliger émigré der Französischen Revolution, der als französischer Sprachlehrer im Königreich Westphalen tätig war, ist Jean Baptiste Queignard de Valdené, französischer Sprachlehrer der Pagen des Königs Jérôme (1810–1812) und an der École royale d’artillerie et de génie (von März 1811 an). Vgl. AN Paris, BB11 71, Dossier Queignard Devaldenée; [LEHSTENDINGELSTÄDT], Am Hofe Königs Jérôme, S. 4. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Konzept des Beschlusses Nr. 655 von G. A. von Wolffradt, 8. 2. 1813.
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt
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didaten war. Zum anderen zeigten die Kandidaten – und die Ausführungen Leists lassen vermuten, dass es viel mehr gab, als die von ihm dem Innenminister vorgeschlagenen Personen – entweder nicht die nötige Eignung für die Aufgabe hatten, unmöglich zu erfüllende finanzielle Forderungen stellten oder sich wieder zurückzogen, so wie Abbé Saugier, dem die Erteilung von Privatstunden lukrativer erschien. Die hier exemplarisch dargelegten Schwierigkeiten, die die Suche nach zwei Sprachlehrern allein für das Kasseler Lyceum und die Bürgerschule bereiteten117 , demonstrieren, wie illusorisch die Ausdehnung eines solchen Unternehmens auf die Schulen des gesamten Königreichs Westphalen oder auch nur auf die Departementshauptorte mit Präfektursitz gewesen wäre. Die Qualität der Sprachlehrer war sehr gemischt. Manche mochten noch auf langjährige Erfahrungen als Schulmänner zurückblicken oder aus Regionen stammen, die durch ausgeprägte Diglossie (wie im Elsass) gekennzeichnet waren, und daher weitgehend bilingual sein: Leist hatte hohe Erwartungen und Standards, die zu dieser Zeit kaum einer erfüllen konnte118 . 3.2.2.2. Die Reform der Lehrpläne als Teil der Französisierungsmaßnahmen Neben den personellen Veränderungen ist sicherlich auch der Inhalt der Lehrpläne von Relevanz, um den Umfang der Reformen beurteilen und damit die Bedeutung der Schulsprachpolitik für die Sprachpolitik im Königreich Westphalen einschätzen zu können. Der »Allgemeine Lehrplan für das Lyceum und die Bürgerschule in Cassel« wurde von der königlichen Buchdruckerei in Kassel schon 1812 veröffentlicht 119 . Demnach sollte der französische Unterricht in der Elementarklasse der Bürgerschule mit nachstehenden Lehrwerken beginnen: »Der 117
118
119
Weitere Kandidaten für die französischen Sprachlehrerstellen und private Sprachlehrer werden im Kapitel B II. (Spracherwerb) genannt. Es waren Devoluet, Flamant, Barbieux und Virion. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 8: Schreiben von Flamant, Besitzer einer Porzellanmanufaktur in Bernburg im Herzogtum Anhalt, an J. C. von Leist, 26. 11. 1811; ibid., Bl. 9, Schreiben von Barbieux, französischer Sprachlehrer in Montabaur (Großherzogtum Nassau-Weilburg), an J. C. von Leist, 6. 9. 1812; ibid., Bl. 17–19, Schreiben von Devoluet, Sprachlehrer in Kassel, an J. C. von Leist, 14. 1. 1813; ibid., Bl. 15, Schreiben von Virion, Druckleger in der Königlichen Buchdruckerei in Kassel, an J. C. von Leist, 2. 11. 1812. Es ist auffällig, dass Bewerbungen auch von außerhalb des Königreichs Westphalen eintrafen. Entweder hatte Leist aktiv dafür geworben oder die Information zirkulierte auch im Ausland. Die Ausführungen Leists über die Bewerbungen um eine Anstellung als Sprachlehrer lassen bereits zu diesem Anfangsstadium der Untersuchung eine Vielzahl von Wertungen über Sprachbeherrschung und Sprachfertigkeiten erkennen, die im Teil C nochmals eingehend thematisiert wird. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Allgemeiner Lehrplan für das Lyceum und die Bürgerschule in Cassel.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Anfang des Unterrichts in der französischen Sprache z. B. nach Seidenstücker’s Elementarbuche zur Erlernung der französischen Sprache, und dem Lesebuche von Hecker oder Gedicke, wobey zugleich die Uebungen im Sprechen beginnen«120 . Vier Stunden französischen Sprachunterrichts wöchentlich, von insgesamt 28 Lehrstunden, waren hierzu eingeplant 121 . Für die mittlere Klasse der Bürgerschule war folgendes geplant: »Der Lehrer der französischen Sprache soll nach Mozin die Regeln der französischen Sprache lehren, Gespräche auswendig lernen, nach dem Lesebuche von Hecker oder Gedicke, Fenelons Schrift: les Aventures de Télémaque übersetzen lassen, und die Uebungen im Sprechen fortsetzen«122 . Auf diesem Niveau waren sechs Stunden französischer Sprachunterricht vorgesehen, von insgesamt 34 Lehrstunden123 . Für die obere Klasse der Bürgerschule sah der Lehrplan folgendes vor: Der Lehrer der französischen Sprache soll schwerere Schriftsteller, zum Beyspiel die Histoire de Charles XII, la Bruyère, Molière und Racine lesen lassen, und die Uebungen im Uebersetzen aus dem Teutschen ins Französische (etwa aus der Sammlung von Wiedemann) so wie die im Schreiben und Sprechen fortsetzen124 .
Hier waren ebenfalls sechs Stunden französischer Sprachunterricht angesetzt 125 . Was den Unterricht im Lyceum betrifft, so waren »die Gegenstände des Unterrichtes in der untersten Classe [die] griechische, lateinische, teutsche und französische Sprache«126 . »Der Unterricht in der französischen Sprache wird in dieser Classe wie in der untern Classe der Bürgerschule 120
121 122
123 124
125 126
Ibid., S. 3; vgl. A. J. HECKER, Französisches Lesebuch. Nebst einer kurzgefaßten Sprachlehre für Anfänger, u. einer Chrestomathie zur Uebung im Uebersetzen, 1r Thl., Berlin 8 1813; DERS., Kurzgefaßte französische Sprachlehre für Anfänger, Berlin 1811; DERS., Französisches Lesebuch, Bd. 1, Berlin 7 1810. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Allgemeiner Lehrplan für das Lyceum und die Bürgerschule in Cassel, S. 4. Ibid., S. 7; vgl. Abbé Dominique Joseph MOZIN, Abrégé complet etc., oder vollständiger Auszug aus der französischen Sprachlehre, Tübingen 3 1813; DERS., Französische Sprachlehre: (grammaire française) in einer neuen und faßlichen Darstellung der auf die einfachsten Grundsätzen zurückgeführten Regeln, durch viele Beyspiele erläutert, Tübingen 8 1813; DERS., Französische Sprachlehre, Stuttgart 1805; DERS., Französisches ABC-Buch, Tübingen 1805. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Allgemeiner Lehrplan für das Lyceum und die Bürgerschule in Cassel, S. 7. Ibid., S. 9; vgl. Julius Wilhelm WIEDEMANN, Französisches Lesebuch für Anfänger, mit einem Wortregister. Neue verb. und vermehrte Auflage, Halle 1805; DERS., Leichte Aufgaben, zur Uebung der Jugend im Französischschreiben, mit den dazu gehör. Wörtern und Redensarten. Neue verb. u. m. e. kurzgefaßten französ. Sprachlehre verm. Auflage, Halle 1805. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183: Allgemeiner Lehrplan für das Lyceum und die Bürgerschule in Cassel, S. 9. Ibid., S. 10.
3. Schul(sprach)politik als Langzeitprojekt
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ertheilt«127 , auf einer Basis von fünf Stunden Unterricht von insgesamt 34 Lehrstunden128 . Der Unterricht in der mittlern Classe des Lyceums unterscheidet sich nicht durch die Gegenstände, welche mit Ausschluss der Naturgeschichte, dieselben blieben, sondern dadurch, dass er sich theils, wie in den Sprachen und der Geschichte, auf eine höhere Stufe erhebt, theils, wie in der Mathematik, zu schwerern Lehren fortschreitet129 .
In dieser mittleren Klasse sollten folgende Inhalte im Mittelpunkt stehen: Der Lehrer der französischen Sprache wird Voltaire’s historische Schriften, la Bruyère und andere nicht zu leichte französische Schriftsteller lesen lassen, und im Uebersetzen aus dem Teutschen in das Französische, wie auch im französisch Schreiben und Sprechen üben130 .
Hier waren wieder fünf Lehrstunden eingeplant 131 . »Die Gegenstände des Unterrichts in der ersten Classe des Lyceums sind die griechische und die lateinische Sprache, […] die teutsche und die französische Sprache, die hebräische Sprache nebst der griechischen des neuen Testaments«132 . Die Schwierigkeitssteigerung ergab sich aus dem Lehrplan: Der Lehrer der französischen Sprache soll seine Schüler in Uebersetzen des Molière, Corneille, Racine und anderer vorzüglicher Schriftsteller üben, beym Lesen des Cours de litérature von Noël mit der französischen Literatur bekannt machen, und sie zur Fertigkeit im Schreiben und Sprechen dieser Sprache zu bringen suchen133 .
Diese Reformen zu bewerkstelligen war ein finanzielles Problem. Zur Finanzierung der neuen Schuleinrichtung wurde entschieden, das Schulgeld zu erhöhen134 . Um dies auszugleichen, sollte der Brauch eines Neujahrsgeschenkes an das Lehrpersonal von nun an ausbleiben135 . Die westphälische Obrigkeit scheute also nicht davor zurück, mit kulturell fest verankerten Bräuchen zu brechen. Die Erhöhung des Schulgeldes erschien dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts außerdem damit aufgewogen, dass die Investition der Eltern in Privatunterrichtsstunden entfiel, die zuvor 127 128 129 130
131 132 133
134 135
Ibid., S. 13. Vgl. ibid., S. 13. Ibid. Ibid., S. 15. Die Übung des Übersetzens, die einen sehr wichtigen Aspekt des Sprachunterrichts darstellte, legt nahe, dass das Lernprinzip der alten Sprachen wie Latein und Griechisch zu dieser Zeit noch weitgehend auf die modernen Sprachen übertragen wurde. Vgl. ibid., S. 16. Ibid. Ibid., S. 19; vgl. François-Joseph NOËL, Nouvelle grammaire française, sur un plan très méthodique, avec de nombreux exercices d’orthographe, de syntaxe et de ponctuation, par NOËL, et C. P. CHAPSAL, Paris 45 1852. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 183, Schreiben von J. C. von Leist an den König, 23. 5. 1812. Vgl. ibid., Reglement über das von den Zöglingen des Lycei und der Bürgerschule in Cassel von Michaelis 1812 an jährlich zu bezahlende Schulgeld.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
das schlechte Niveau der öffentlichen Schulen auszugleichen hatten136 . In seinem Bericht an den König schrieb der Innenminister dazu: le haussement de l’honoraire (Schulgeld) à payer par les écoliers, que les péres payeront volontiers attendu qu’il leur en coute maintenant beaucoup plus, étant obligés par le mauvais état des établissements publics, de pourvoir á l’instruction de leurs enfans par des instituteurs particuliers et d’une manière beaucoup plus couteuse137 .
Möglicherweise bewirkte die neue Einrichtung des Lyceums und der Bürgerschule in Bezug auf den französischen Sprachunterricht einen Verlust an Schülern für die privaten französischen Sprachlehrer in der Stadt Kassel. Der Bedarf an privaten Sprachlehrern war allerdings mit den neuen Schuleinrichtungen sicherlich nicht ganz aufgehoben138 . So entschied Abbé Saugier für sich, er könne als Privatlehrer seinen Unterhalt besser verdienen als mit einer Anstellung am Lyceum. Letzten Endes lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Quellen nicht eindeutig feststellen, ob die Reformen des Schulwesens in Kassel einen Zuwachs an französischem Sprachunterricht herbeiführten, da sich die Nachfrage nach privaten Stunden dadurch womöglich anders regulierte. Insgesamt bedeutete die Schulreform in Kassel wahrscheinlich ein Mehr an französischem Sprachunterricht, dennoch erscheint die Bemerkung von Friedrich Thimme weiterhin sehr richtig: Auffällig muss es erscheinen, dass während der westfälischen Regierung nicht mehr Wert auf den Unterricht in der französischen Sprache gelegt wurde. Bei der Neuorganisation der Kasseler Schulen wurde derselbe freilich verstärkt, auf den übrigen Schulen ward er aber nach wie vor sehr stiefmütterlich behandelt139 .
Vor diesem Hintergrund und der nüchternen Bilanz über das wenige, was in den westphälischen Schulen mit der französischen Sprache geschah, kommen die Verse aus der »Jeromiade« von Carl Friedrich Scheller über eine Visitation seiner Schulen durch König Jérôme der Wirklichkeit wohl sehr nahe: Auch zeigt’ er in den Schulen sich, Examinirte meisterlich Mit zuvor eingelernten Fragen, Um selbst den Ruhm davon zu tragen, Noch andre Dinge zu verstehn, Als mit der Elle um zu gehen140 .
136 137 138 139 140
Vgl. ibid., Konzept eines Berichtes von G. A. von Wolffradt an den König, 23. 5. 1812. Ibid. Vgl. u.a. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. Ibid.; vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 41 f. SCHELLER, Jeromiade, S. 175. Das Maß »Elle« steht hier als Anspielung auf die Biographie Jérômes, der zeitweilig in einem comptoir in Boston auch als Händler
4. Fazit: Schulpolitik versus Sprachpolitik?
93
Aus dieser fiktiven Schilderung geht nicht hervor, ob die Schüler ihre Antworten, wie ihr König seine Fragen, zum Einstudieren ebenfalls zuvor auf Französisch erhalten hatten.
4.
Fazit: Schulpolitik versus Sprachpolitik?
Stellt man den Empfehlungen zum Sprachgebrauch in der administration und den ihnen vorausgegangenen Überlegungen im Ministerkabinett die Schulpolitik gegenüber, so überrascht eine gewisse Diskrepanz. Erwartungsgemäß hätte die Einführung des Französischen als Unterrichtssprache, da es doch die erste offizielle Sprache war, auf der Hand liegen sollen. Es zeigt sich jedoch ein weit zurückhaltenderer Umgang. Wenn der Bogen gespannt wird von den offiziellen Angaben zum Sprachgebrauch in Verwaltung und öffentlichem Leben zur Schulpolitik, so könnte das Ergebnis verkürzt lauten: Dem westphälischen Staat war es wichtiger, in die Übersetzungen seiner Verordnungen und Gesetzesauszüge zu investieren als in eine französischsprachige Schulbildung. Außerdem ist es frappierend, wie wenig Wert der westphälische Staat offensichtlich darauf legte, den bereits französischsprachigen Einwandererkindern als zukünftigen westphälischen Staatsbürgern ihre Kenntnisse der französischen Sprache durch eine adäquate Schulbildung zu erhalten141 . 141
tätig gewesen war, zur Verärgerung Napoleons und zur allgemeinen Belustigung seiner späteren Untertanen. Vgl. u.a. KLEINSCHMIDT, Elisa Bonaparte-Paterson. Auch in Bezug auf das französische Sprachpotential, das die französisch-reformierten Gemeinden darstellten, würde der Umgang der westphälischen Herrschaft mit den Hugenottennachkommen eine eingehendere Untersuchung erfordern: In ihrem Fall unterließ die westphälische Herrschaft jegliche Bemühung, ihnen über ihren Kult, der eng mit der Sprachpflege verbunden war, den Erhalt der französischen Sprache zu erleichtern. Die reformierte Gemeinde in Kassel musste ihr Kirchengebäude aufgeben und um die Zuweisung eines neuen sakralen Obdachs kämpfen. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 196, Die Dotierung des Casselschen Schulfonds mit einem Teile des Vermögens der aufgehobenen Hofund Garnisons-Kirche zu Cassel, 1810–1813. Vgl. auch GStA PK, V. HA, Nr. 72, Décrets relatifs au Culte et à l’Instruction publique, 1813, hier: Décret concernant la suppression des églises réformées de l’ancienne cour électorale et de la garnison de la ville de Cassel, Nr. 342, 9. 1. 1813. In Halberstadt hatte die französisch-reformierte Gemeinde unter der westphälischen Herrschaft ebenfalls versucht, unter Verweis auf den wünschenswerten Erhalt ihrer französischen Sprache, Forderungen anzumelden, die allerdings kaum Berücksichtigung fanden. Vgl. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 91. Auf die wenig zuvorkommende Behandlung der Kirchenvorsteher der reformierten Gemeinde zu Magdeburg durch die Staatsvertreter wird noch im Teil C zurückzukommen sein. Vgl. auch in der Sammlung von Dekreten bezüglich des öffentlichen Unterrichts und des Kultus, weitere Hinweise auf Zusammenlegung von französischreformierten und reformierten Kirchengemeinden: GStA PK, V. HA, Nr. 64–72, Décrets relatifs au Culte et à l’Instruction publique, 1808–1813. Zum Thema der Fortsetzung der Säkularisation durch Napoleon in Deutschland, die weder die
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Wie das Quellenmaterial zur Suche Leists nach passenden »Subjekten« für die Stellen als Französischlehrer am Lyceum und an der Bürgerschule darlegt, wäre eine systematischere Einführung von Französisch als Schulfach, geschweige denn als Unterrichtssprache, im gesamten Königreich Westphalen, selbst wenn dies das erklärte Ziel der Obrigkeit gewesen wäre, daran gescheitert, dass nicht genügend geeignete Lehrkräfte dafür zur Verfügung standen: Insofern ist es nicht sehr erstaunlich, dass auch keine Bestrebungen des westphälischen Staates in dieser Richtung bezeugt sind. Konzentriert man sich auf die Schul(sprach)politik und fragt nach dem Stellenwert des Französischunterrichts, fällt die Bilanz dürftig aus. Dies stellt einen wichtigen Befund dar, denn damit stand die Schul(sprach)politik in Kontrast zu den Erklärungen zur Sprachpolitik. Trotzdem wäre es verfehlt, den über die sprachlichen Aspekte hinausgehenden Französisierungscharakter, den die 1811 in Kassel angesetzten Schulreformen innehatten, zu verkennen142 . Die erwähnten Lehrpläne sind der Punkt, an dem sich der höhere Französisierungscharakter der westphälischen Schulpolitik zeigt, mehr als durch eine tatsächliche Umstellung des gesamten oder eines Teils des Schulbetriebs auf die französische Sprache. In seinem Reformcharakter und seinem Willen, die Gesellschaftsverhältnisse umzustellen, war dem westphälischen Staat eine Schulpolitik, die dem Prinzip der Gleichheit – Gründung der neuen israelitischen Consistorialschule in Kassel bei gleichzeitiger Bemühung um eine konfessionell neutrale Schulpolitik, staatliche Mädchenschulbildung143 – entsprach, wichtiger als eine Schulpolitik, die die deutschsprachigen angehenden westphälischen Staatsbürger par force in französischkundige, bilinguale oder französischsprachige westphälische Staatsbürger umwandeln würde. Weitsichtig war der westphälische Staat in dieser Sache allemal und er beging auch nicht die Fehler aus dem Linksrheinischen, wo mit der Sprachenfrage unwiderruflich die annektierte Bevölkerung brüskiert wor-
142
143
katholischen noch die reformierten Kirchen bevorzugt behandelte, vgl. weiterführend SCHIEDER (Hg.), Säkularisation und Mediatisierung; DERS., Napoleon im Rheinland; HOFFMANN, Besatzungserfahrung; DYLONG, Das Verhältnis der napoleonischen Modellstaaten in Westfalen zur katholischen Kirche; VAN NORDEN, Zwischen traditionaler und legaler Herrschaft. Unter ›Französisierung‹ wird nicht nur die Verbreitung und Übernahme der französischen Sprache verstanden, sondern in einem weiteren Sinne die Einführung von französischen Verwaltungsstrukturen und Unterrichtsmethoden. Vgl. STEIN, Französisches Verwaltungsschriftgut; DERS., Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln. Vgl. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 17; WESTERBURG, Für die bürgerliche Gesellschaft von Nutzen?, S. 133; KRAUSE-VILMAR, Schul- und Bildungswesen, S. 186. Vgl. ferner BERDING, SCHIMPF, Assimilation und Identität.
4. Fazit: Schulpolitik versus Sprachpolitik?
95
den war144 . Hier war dem westphälischen Staat eine Verinnerlichung des reformerischen Gedankenguts durch seine Kinder wichtiger als eine durch aufgezwungene Französisierung via Schulsystem und Bildung scheinbar assimilierte Bevölkerung. Die ab 1811 in Kassel begonnenen Reformen der Schulen zeigen, dass die westphälische Herrschaft in Bezug auf ihre Schulpolitik nicht planlos war und außerdem aufgrund der Einführung von Schulpflicht, Klassenunterricht, Geschlechtertrennung, Differenzierung des Schulangebots, konsekutiver Klassen- und Stoffvermittlung, Mathematik- und Rechenunterricht und des Fokus auf die »Realien« – Naturkunde, Geographie usw. – durchaus modern. Im Wesen der neuen Kasseler Bürgerschule ist bereits ein »unbekanntes Lehrinstitut der Zeit voraus« gewürdigt worden145 . Sie kann als Vorläuferin der späteren Realschulen gelten146 . Heinrich Keim lobt die Unterrichtsinhalte nach französischem Vorbild, welche die Schülerinnen und Schüler auf das praktische Leben vorbereiteten, und das didaktisch-methodische Konzept 147 . Das Projekt wurde trotz aller sonstigen Brüche mit der westphälischen Zeit nach 1813 fortgeführt: Die Bürgerschule, unter Jérôme in Kassel eingeführt, bestand weiterhin nach 1814. Sie verfolgte auch in Zukunft das Ziel, die Kenntnisse zu vermitteln, die im bürgerlichen Leben nötig sind und auf ein Gewerbe vorbereiten. Das Praktisch-Nützliche […] blieb der Gegenstand des Unterrichts148 .
Das Angebot einer pragmatischeren Ausbildung, die den gesellschaftlichen Erfordernissen besser angepasst war, war im Kern die eigentliche Französisierungsmaßnahme, die sich die westphälische Regierung in Bezug auf ihre Schulpolitik zum Programm gemacht hatte. Die Vermittlung von Fachwissen und die Befähigung zum Erlernen eines Berufs waren dem westphälischen Staat, sicherlich auch im eigenen Interesse, weit wichtiger als der Erwerb von bilingualen Sprachkompetenzen. 144
145 146 147
148
Vgl. u.a. CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 73 f. Einen besonderen Plan zur sozialen Reintegration der Veteranen der Grande Armée und zur Französisierung der autochthonen Bevölkerung entwickelte Napoleon ab 1802 für Jülich: 405 verletzte Soldaten sollten »soldats laboureurs« werden und möglichst vor Ort heiraten, um u.a. zur Verbreitung der französischen Sprache beizutragen. BERTAUD, Quand les enfants, S. 148–151. KEIM, »Savoir vivre«, S. 146 f. Vgl. auch MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 41. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 146 f. Vgl. ibid., S. 147; vgl. auch MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 40. Über die napoleonische Bildungspolitik, die mitunter durch die verstärkte Technologisierung und das Ingenieurwesen und die Einführung von praxeologischen Aspekten bei den Unterrichtsinhalten charakterisiert war, vgl. u.a. HARTEN, Das niedere Schulwesen. Vgl. ferner PABST, Bildungs- und Kulturpolitik der Franzosen im Rheinland; KRAUSE-VILMAR, Schul- und Bildungswesen, S. 181. KEIM, »Savoir vivre«, S. 148.
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A. Sprachpolitik im Königreich Westphalen
Die Integration und Anbindung der Schulkinder an das westphälische gesellschaftliche Unternehmen wurde auf subtilere Weise verfolgt als durch eine pauschale Französisierung mit Hilfe eines französischen Sprachunterrichts. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass der westphälische Staat beispielsweise auf die Herausgabe eines Schulbuchs wie »Der kleine Westphale« viel mehr Wert legte als auf die flächendeckende Erteilung von Französischunterricht 149 . Die Beschlagnahmung von unerwünschtem Unterrichtsmaterial hatte für die westphälische Polizei Priorität 150 . Als weiteres Zeichen können die Einzugszeremonien gelten: In sie wurden die Schüler miteinbezogen und erhielten eine fest zugeordnete Rolle151 . Die Kürze der Zeitspanne, in der sich die westphälische Herrschaft entfaltete, mag zudem teilweise erklären, dass nur wenige Bestrebungen sichtbar wurden, den Französischunterricht zu intensivieren. Für das Hannoversche, das 1810 zu den westphälischen Gebieten hinzukam, wurde beispielsweise eine Bestandserhebung durch die Gelehrten Cuvier und Noël über den Stand des französischen Unterrichts durchgeführt 152 . Diese Enquete dürfte als Signal dafür aufgefasst werden, dass eine weitgehendere Reform durchaus geplant war, aber die Zeit dafür schließlich fehlte. Zudem sollte bei der Beurteilung der Schulpolitik und der Schulreformen im Königreich Westphalen angeführt werden, dass die Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts zunächst mehr mit den Reformen, also der Zusammenlegung und Auflösung der westphälischen Universitäten, befasst war153 , versprachen diese doch, als Erste männliche Staatsbürger für die wachsenden Bedürfnisse des Verwaltungsapparats und auch für sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens Mündige zu liefern154 . Ganz abschließend lässt sich an dieser Stelle der Untersuchung nicht ergründen, ob die dürftige Schulsprachpolitik angesichts der Aufwertung der französischen Sprache zur langue officielle im Verwaltungs- und Staatshandeln mehr auf Planlosigkeit, Pannen oder eine ganz andere Schwer149 150
151 152 153 154
Vgl. REINHARDT, Der kleine Westphale; vgl. darüber OWZAR, Eine Nation auf Widerruf, S. 60. Der »Grundriß einer Geschichte der merkwürdigsten Welthändel neuerer Zeit. In einem erzählenden Vortrage« von Gabriel G. Bredow missfiel den Zensurinstanzen und wurde manchen Schulmännern und ihren Schülern entzogen, vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 692, Akten der Polizeipräfektur in Kassel, Sept. 1811–Juni 1812: Schreiben Nr. 7546 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 27. 3. 1812. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 49. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 277 f. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 86. Im Widerspruch dazu vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 40. Zinserling, Geschichtslehrer der Pagen am Hof des Königs Jérôme, bemerkt in seinen »Denkwürdigkeiten«, dass im Ressort des öffentlichen Unterrichts in der Anfangszeit des Königreichs Stillstand herrschte. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 171.
4. Fazit: Schulpolitik versus Sprachpolitik?
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punktsetzung des westphälischen Staates zur Umsetzung der Gesellschaftsreformen zurückging. Der These einer gewissen Planlosigkeit oder erhöhten Anfälligkeit für Pannen wäre sicherlich zuzurechnen, dass die westphälische Regierung trotz ihrer Überlegungen von 1808 über den allgemeinen Sprachgebrauch schnell von den Nöten der Zeit überholt wurde und ihr zwischen Kriegskontributionen und -partizipation, inneren Aufständen, Konflikten mit Napoleon usw. wenig Zeit und Finanzen für Zukunftsperspektiven wie die Schulpolitik übrig blieben. Die Bilanz in Bezug auf die Sprachpolitik ist also gemischt, um mit Berding zu sprechen, möchte man fast sagen: ebenso »widersprüchlich« wie der Modellstaat Westphalen insgesamt 155 . Der geringe Grad von Französisierung durch Französischunterricht in den Schulen ist ein Aspekt, der nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es dem westphälischen Staat vielleicht dennoch durchaus um den Aufbau der »westphälischen Nation« in den Köpfen der Westphalen ging, wie dies in der eingangs zitierten Eröffnungsrede von Siméon vor der Ständeversammlung zum Tragen kommt. Dieses nationale Projekt war vielleicht nur zweitrangig an den Themenkomplex der Sprachen gekoppelt. Eine systematische sprachliche Französisierung der Westphalen benutzte der westphälische Staat zumindest nicht als Mittel zum Ziel und sah es schon gar nicht als Zweck des gesamten Unternehmens an. Im Fall der westphälischen Sprachpolitik hat man es weder mit einer konsequenten Französisierung zu tun noch mit einem bewussten Kolinguismus, der der deutschen Sprache offiziell eine ebenbürtige Stellung neben der französischen einräumte. Wie Boudon urteilt: »La Westphalie devient aussi un des hauts lieux de la culture française en Allemagne, en même temps qu’est encouragé par le roi l’essor de la culture allemande« – dies nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung größerer editorischer Projekte wie Wiederauflagen der Werke von Goethe und Schiller oder das Wörterbuch von Joachim Friedrich Campe, Sprachreiniger par excellence, auf den im Teil C eingegangen wird156 . Nachdem die Annahme einer hegemonial und eingleisig ausgerichteten Sprachpolitik durch die obigen Ausführungen korrigiert werden musste, erscheint die Frage berechtigt, ob die Aushandlung der sprachlichen Kommunikationsbasis in weiten Gesellschaftsbereichen stets im Zeichen einer Fremdherrschaft stand und wie sie sich im Einzelnen gestaltete. 155 156
Vgl. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 51. BOUDON, Le roi Jérôme, S. 255. Die Imprimerie royale in Kassel – und mit ihr die französischsprachigen Editionsprojekte – erhielt auch materiell Unterstützung vom westphälischen Staat: Die Zuweisung neuer Räumlichkeiten auf Kosten anderer Pächter konnte an anderer Stelle untersucht werden: vgl. PAYE, »Almanach royal de Westphalie«.
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber – Die Suche nach den Übersetzungspraktiken Wenn man nach den sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten der westphälischen Bürger fragt und dabei sowohl von einer Mehrzahl deutschsprachiger Staatsbürger, die zunächst der französischen Sprache nicht kundig waren, als auch von nicht wenigen Staatsbeamten ausgeht, die zumindest anfänglich lediglich über einige französische Sprachkenntnisse verfügten, kommt man nicht umhin, die Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachigen Schreiber im Dienste des Verwaltungsapparats sowie im Auftrag der Administrierten näher zu betrachten. Diese Frage scheint umso relevanter, als die Analyse der Sprachpolitik auf eine sehr umfassende Übersetzungspolitik hindeutet, die einer Art Kolinguismus in der Regierungspraxis nahe kam. Ferner war die Einführung eines Verwaltungsapparats französischen Typs damit verbunden, dass die staatlichen Behörden insgesamt auch mehr Akten produzierten als zuvor1 . Am Beispiel der Polizeipräfektur in Kassel im Jahr 1810 ist das Ausmaß an Übersetzungsprozessen bereits zu erkennen: Neben annähernd 3000 Verhören waren in dieser Behörde »l’expédition de plus de 12 000 autres pièces, souvent dans les deux langues« erledigt worden2 . Wer übernahm aber die sich anbahnende mühselige und breitflächige Übersetzungsarbeit zur allgemeinen Verständigung der Westphalen und setzte damit den Grundsatz des westphälischen Staates um, durch Übersetzungen die Kommunikation mit den Staatsbürgern zu sichern? Wer in dieser Gesellschaft führte in umgekehrter Richtung auch den Schriftverkehr der administrés mit den Staatsvertretern3 ? Wie festigten sich die Übersetzungspraktiken? In Anlehnung an mikrohistorische Arbeiten ist hier ein biographischer Zugang über einzelne Personen, welche die Funktion von Übersetzern und Dolmetschern übernahmen, gewählt worden, der im Folgenden einen Ein1 2
3
Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 97. GStA PK, V. HA, Nr. 690, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 10. 11. 1810–9. 5. 1811: Schreiben Nr. 4140 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an G. A. von Wolffradt, Innenminister, 21. 12. 1810. Über die Verwendung des Begriffs »administré« für die westphälischen Staatsbürger vgl. MOLITOR, Vom Untertan zum administré.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
blick in die facettenreichen Übersetzer- und Dolmetschertätigkeiten im Königreich Westphalen gewährt 4 . Bei der exemplarischen Darstellung der Laufbahn einiger ausgewählter Personen, die als Vermittler zwischen den Sprachgemeinschaften der westphälischen Gesellschaft fungierten, wird der Schwerpunkt auf die Herkunft und Genese ihrer mehrsprachigen Kompetenz gelegt und der Weg zu ihrer Funktion als Dolmetscher und/oder Übersetzer zurückverfolgt sowie nach ihrem Selbstverständnis in dieser Funktion gefragt. Dabei geht es auch um den Stellenwert der Übersetzer- und Dolmetschertätigkeit während ihres gesamten Lebens, damit diese in ihrer Gewichtung nicht über- oder unterbewertet wird. Außerdem stellt sich die Frage nach den Erfahrungswelten der Übersetzer und Dolmetscher, die besonders in Verknüpfung mit ihren Sprachkompetenzen zu sehen sind. Das Interesse richtet sich auf die gesamte Biographie dieser Personen, soweit diese zu ermitteln ist, um möglicherweise spezifische Übersetzer- und Dolmetscherprofile herauszufiltern. Bei dem Versuch, die vermeintliche Fülle an Übersetzern und Dolmetschern im Quellenmaterial ausfindig zu machen und vorzustellen, wird eine klare Trennung vorgenommen zwischen Übersetzern im Dienste des Staates und solchen, die eher informell die gleiche Funktion für die Staatsbürger ausübten. Diese dichotomisierende Trennung und Betrachtungsweise vollzog in erster Linie der westphälische Staat selbst. Es wird noch zu ermitteln sein, inwieweit diese jedoch eher Wunschdenken der Verwaltungsbeamten blieben oder sich der Wirklichkeit annäherten. Der Einfachheit halber wird zunächst diese Klassifizierung für die Darlegung der Archivfunde übernommen und gegebenenfalls später revidiert werden.
1. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber 1.1.
Im Auftrag des Staates
1.1.1. Cerfberr genannt Medelsheim: Übersetzer und commis d’ordre im Außenministerium Ein französisch-kaiserliches Dekret vom 26. August 1811 machte es für die französischen Auswanderer, die im Ausland Anstellung gefunden hatten, notwendig, beim französischen Justizminister um die Erlaubnis zu bitten, weiterhin im Ausland dienen zu dürfen. Patent- beziehungsweise Natura4
Vgl. DAVIS, Women on the Margins; ULBRICH, Shulamit und Margarete. Siehe zudem die Egodokument- und Selbstzeugnisforschung über die Vorzüge der Einbeziehung von autobiographischen Zeugnissen in die historische Forschung: SCHULZE (Hg.), Ego-Dokumente; ELIT, KRAFT, RUTZ (Hg.), Das ›Ich‹ in der Frühen Neuzeit; GREYERZ, MEDICK, VEIT (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich; JANCKE, ULBRICH (Hg.), Vom Individuum zur Person.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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lisationsbriefe, die diese Erlaubnis gewährten, wurden ihnen daraufhin in den meisten Fällen erteilt. Der überlieferte Antrag von Samson Cerfberr genannt Medelsheim vom 30. Juli 1812 gibt mit seiner umfangreichen biographischen Notiz Auskunft über den Werdegang dieses Straßburger ehemaligen Militärs als Übersetzer beim Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten im Königreich Westphalen. Aufschlussreiche Ergänzungen von Cerfberr lassen sich zudem aus der »Notice sur l’auteur« seiner »Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, pendant le gouvernement d’Ali-Pacha« gewinnen, die er 1827 unter seinem Namen als zum Islam konvertierter Jude, Ibrahim Manzour Efendi, veröffentlichte5 . Samson Cerfberr stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Straßburger Familie, die ursprünglich aus Pfalz-Zweibrücken kam6 . Sein Großvater war Heereslieferant im Bereich der Verproviantierung unter Ludwig XV. Sein Vater setzte dieses Geschäft fort und er selbst versuchte sich zeitweilig in dieser Branche zu betätigen7 . Von März 1811 bis Mai 1813 war Cerfberr »employé au Ministère des Relations extérieures, en qualité de traducteur et commis d’ordre« in Kassel 8 . Zu dieser Anstellung war er durch die Vermittlung von einflussreichen Verwandten gekommen, die sich seit Anfang der westphälischen Herrschaft in Kassel niedergelassen hatten: à Cassel, […] où j’arrivai en 1811, je trouvai des parens qui y étaient venus depuis que ce pays se trouvait au pouvoir des Français. Ces parens assez puissans, et ayant une grande influence, me firent obtenir un emploi9 .
Seinen Abschied musste er im Mai 1813 nehmen, weil er im Rahmen einer Abendgesellschaft bei Herrn Duviquet, dem Direktor der Pulver- und Salpeterbereitung, über Vorkehrungen berichtet hatte, die Archive seines Ministeriums vor feindlichen Angriffen in Sicherheit zu bringen. Diese Eröffnung, die die westphälische Bevölkerung in Alarm versetzen konnte, kostete ihn seine Anstellung. Über seine tatsächlichen Aufgaben als Übersetzer im westphälischen Außenministerium berichtet Cerfberr leider wenig. Es dürfte anzunehmen sein, dass seine Haupttätigkeit das Übersetzen deutscher und französischer Texte war. Seine Sprachkompetenzen reichten allerdings weit über diese beiden Sprachen hinaus. Die Notiz zu den »Mémoires sur la Grèce et l’Albanie« 5 6
7 8 9
Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie; SITZMANN, Dictionnaire de biographie, S. 10. Vgl. EIMER, Ibrahim Mansur Effendi, S. 80 f.; WININGER, Große jüdische National-Biographie, Bd. 1, S. 494; Sigilla veri, Bd. 1, S. 367; Encyclopaedia Judaica, Bd. 5, S. 609. Vgl. EIMER, Ibrahim Mansur Effendi, S. 80; vgl. ferner über die napoleonischen Armeelieferanten CLEMENS, Napoleonische Armeelieferanten. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XXIII.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
beinhaltet einen Vorfall im Mittelmeer, 1799, als Cerfberr General Bonaparte im Auftrag von Talleyrand vertrauliche Nachrichten nach Ägypten überbringen sollte. Cerfberr bemerkte dank seiner englischen Sprachkenntnisse den Verrat des Kapitäns an die englische Flotte rechtzeitig, um seine geheimen Botschaften noch vor seiner Verhaftung über Bord werfen zu können. Le capitaine de notre aviso […] prit le porte-voix: un grand silence se fit sur leur vaisseau et le nôtre; ce traître en profita pour crier, en anglais, qu’il ne demandait pas mieux que de se rendre; […] mais que tous les autres qui se trouvaient à son bord, surtout les militaires de terre, s’y opposaient tellement que sa vie était en danger, et qu’il avertissait le capitaine anglais qu’il y avait sur son navire des dépêches trèsimportantes destinées pour l’Égypte. Je comprends l’anglais, c’est ce que le traître ignorait, et je me tus exprès, afin de connaître ce qui se tramait contre nous; […] je jetai [finalement] mes dépêches à la mer, dans des sacs de toile cirée, ayant des boulets de canon au fond10 .
Als er infolgedessen mit anderen Franzosen in Palermo in englische Gefangenschaft geriet, machte er sich, nach eigener Aussage, aufgrund seiner englischen Sprachkenntnisse zum Sprecher seiner Mitgefangenen11 . Neben der englischen beherrschte er außerdem die türkische Sprache. Er erlernte sie unter der Anleitung von Professor Ortis bereits zur Zeit seiner Kasernierung in Paris von 1798 bis 179912 . Vertiefen konnte er diese Kenntnisse im Jahr 1803, als er nach Konstantinopel ging und dort Militärdienste unter dem Befehl des Sultans Selim annahm. Während dieses Aufenthalts verkehrte er mit dem elsässischen Orientalisten Jean-Daniel Kieffer, der dort von 1798 bis 1803 als Sekretär und Dolmetscher der französischen Vertretung selbst in Gefangenschaft des Sultans geraten war. Kieffer wurde für kurze Zeit sein Lehrer13 . Nach seiner westphälischen Tätigkeit folgte ein Aufenthalt in Serbien im Jahre 1813, der seinen türkischen Sprachkenntnissen zugute kam. Er avancierte zu dieser Zeit sogar zum türkischen Sprachlehrer und Dolmetscher eines ehemaligen preußischen Militärs, eines Grafen von Taxis, der in Belgrad Unterschlupf gefunden hatte und mit dem er Freundschaft schloss14 . In der Folgezeit führten ihn seine Wege – mit dem eigentlichen Ziel, nach Frankreich zurückzukehren – über Hydra, Nauplia, Argos, Korinth und Lepanto nach Janina im Osmanischen Reich, wo ihm erneut seine türkischen Sprachkenntnisse nützlich wurden15 . Da sich Cerfberr zur Zeit seines Italienaufenthalts bereit erklärte, zu diplomatischen Zwecken 10 11 12 13 14 15
Ibid., S. IX–X. Vgl. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XXVII. Vgl. ibid., S. XX–XXI, XXVII; CANTON, A History of the British and Foreign Bible Society, Bd. 1, S. 389 f. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XXXVIII–XXXIX. Vgl. ibid., S. LXX–LXXV.
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nach Marokko zu reisen, ist anzunehmen, dass er weitere orientalische Sprachen beherrschte16 . Hebräisch half ihm sicherlich in mehreren Situationen, um sich mit Juden zu verständigen oder sie als seine Dolmetscher einzusetzen17 . Mehrere Aufenthalte in Italien legen die Vermutung nahe, dass er ebenfalls Italienisch sprach, zumindest in Ansätzen, obgleich dies nicht eindeutig aus seinen biographischen Notizen hervorgeht 18 . Unklar ist zudem, ob er je Portugiesisch, die Sprache seiner Mutter, erlernt hat. Elsässisch konnte er ebenfalls: »Né à Strasbourg, je savais dès mon enfance l’idiome alsacien qui est pour ainsi dire un allemand défiguré«19 . In seinen biographischen Notizen erklärt er sich hingegen als der serbischen und der russischen Sprache unkundig20 , obgleich er sich von Mitte 1813 an über ein Jahr in Serbien aufhielt und sich zuvor, 1810, um russische Dienste in St. Petersburg bemüht hatte21 . Diese Informationen legen nahe, dass je nach sonstiger Qualifikation spezielle Sprachkenntnisse in bestimmten Situationen sekundär waren. Bevor er seine Anstellung im Königreich Westphalen antrat, hatte sich Cerfberr in mehreren europäischen Staaten ohne Erfolg um militärische Dienste bemüht. So erfährt man, dass er außer in St. Petersburg auch in Stockholm und Kopenhagen vorstellig geworden war22 . Zum Schluss seiner biographischen Selbstdarstellung in den »Mémoires sur la Grèce et l’Albanie« entschuldigt er sich für seine mangelhafte Sicherheit im Französischen, die wahrscheinlich auf die vielen Sprachen, die er beherrsche, zurückgehe, sowie auf seine lange Abwesenheit von Frankreich: Il ne me reste qu’à solliciter l’indulgence de ceux qui voudront bien me lire, en les priant de remarquer que je n’ai aucune prétention au titre d’auteur; que j’ai été trop long-temps absent de la France, pour être en état d’écrire, non-seulement avec éloquence, mais même avec pureté. […] je déclare d’avance que je ne répondrai à aucune critique relativement au style et à la composition de ces Mémoires23 .
Seine vielseitigen Sprachkenntnisse weiß Cerfberr dennoch selbst als besondere Befähigung einzuschätzen, wenn er zu seinen Bemühungen um eine 16 17 18
19 20 21 22 23
Vgl. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. LV, LVIII. Er diente u.a. unter dem Befehl von General Bonaparte im Italienfeldzug von 1796/1797. Vgl. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note; IBRAHIM-MANZOUREFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. III–IV [Piemont; Genua]; S. X–XI [Palerme]; S. XXII [Trieste], S. LXI, LXIII [Trieste], S. LXIV–LXV [Messine]. CERFBERR, zitiert nach: HAARSCHER, Un aventurier alsacien, S. 121. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XLI. Vgl. ibid., S. LV; AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. Vgl. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. LXXVf.
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Anstellung beim französischen Staat Anfang 1809, noch vor seiner Anstellung im Königreich Westphalen, schreibt: Je recommençai à faire une grande quantité de démarches infructueuses, pour obtenir un emploi, soit dans le Militaire, soit dans le Civil, soit enfin pour me faire charger de quelque mission dans le Levant, où j’aurois pû être employé utilement, par ma connaissance des langues Orientales et autres, la connaissance que j’ai du pays, des mœurs et du génie des Orientaux, mes associations religieuses, les nombreux amis que j’ai dans le Levant, et surtout à cause du gout décidé que j’ai pour ces sortes d’affaires, pour lesquelles je sens que je suis fait 24 .
Vor diesem Hintergrund und dem Bedauern Cerfberrs, kein besseres Angebot erhalten zu haben, wird verständlich, dass seine Funktion als Übersetzer und Dolmetscher im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten im Königreich Westphalen ihn ebenfalls nicht erfüllte: J’avoue que je me sens fait pour une meilleure place, qui exigerait un travail de tête et non machinal, mais S. M. le Roi de Westphalie saura tôt ou tard, me mettre à portée de le servir d’une manière plus active et plus analogue à mon goût«25 .
Wie aus seinen Memoiren hervorgeht, strebte Cerfberr danach, diplomatische Aufgaben zu übernehmen, jedoch wurde er, wie bereits erwähnt, stattdessen im Jahre 1813 von seinen Diensten entbunden. Eine quellenkritische Anmerkung erfordert die Aussage, dass er aus seiner Anstellung in Kassel heraus nach anspruchsvolleren Aufgaben strebte: Cerfberr sah offensichtlich in der ihm auferlegten Pflicht, beim französischen Justizministerium um einen Patentbrief für seine westphälische Tätigkeit zu bitten, die Chance einer vorteilhaften Selbstdarstellung. Diese, so mag er gehofft haben, hätte zu seiner Entdeckung durch Napoleons Beamte führen können, als Person, deren Qualitäten und Sprachkompetenzen zu etwas Besserem als zum commis d’ordreund Übersetzer in einem Ministerialbüro des Königs Jérôme taugten. Dies mag die Länge der Notiz erklären und verständlich machen, warum Cerfberr, zumindest zu diesem Zeitpunkt, geneigt war, einige biographische Daten zu verbergen oder vertuschen. Eine quellenkritische Gegenüberstellung der autobiographischen Notizen von 1812 und 1827 ergibt Verschiebungen und entscheidende Auslassungen in den von Cerfberr gemachten Angaben. Die Unzufriedenheit mit seiner Anstellung als Übersetzer und Dolmetscher im Königreich Westphalen, die er noch 1812 betont, ist 1827 nicht mehr zu spüren, als er darüber schreibt: »Cette place [était] aussi honorable que pleine d’attraits pour moi«26 . Ferner stellt er sich 1812 noch als Anhänger Napoleons dar, während er 1827 seine Gegnerschaft zu Napoleon ab dem Staatsstreich vom 18. Brumaire 1799 betont. Das Dilemma seines Lebens bestand sicherlich 24 25 26
AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note. Ibid. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XXIIJf.
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darin, während der Restauration befürchten zu müssen, für einen Geheimagenten Napoleons gehalten zu werden und deswegen Schwierigkeiten zu haben, wieder nach Frankreich zu gelangen, obwohl er sich zur Zeit der napoleonischen Herrschaft als Napoleons Opponent und Anhänger der monarchischen Partei verstanden hatte. Napoleon nennt er jedoch noch 1812 »mon adoré souverain«, während er 1827 bekennt, sich gegen ihn als »usurpateur« erklärt zu haben27 . Dieser Versuch, sich 1812 als Napoleonverehrer darzustellen, erklärt sich aus der Natur des biographischen Dokuments, das ihm die Erteilung eines Patentbriefs ermöglichen sollte. Es sollte den Verdacht von ihm ablenken, als Gegner Napoleons aus Frankreich ausgewandert zu sein. Vielmehr versprach er sich davon wahrscheinlich, als Napoleonanhänger leichter die beantragte Erlaubnis zu erhalten, im Königreich Westphalen in Anstellung verbleiben zu können. Letztendlich lässt sich nicht mehr ausmachen, ob der Napoleonopponent den Napoleonanhänger in Cerfberrs Identitätsgefüge übertrumpfte oder umgekehrt – oder ob sich in Cerfberrs politischen Ansichten ein Wandel vollzogen hatte. In der biographischen Notiz von 1812 erwähnt er weder seine Hochzeit in Konstantinopel noch seine Konvertierung zum Islam. Über beides verliert er kein Wort 28 , während er 1827 über seine Situation im Jahre 1803 schreibt: Comme j’avais embrassé l’islamisme, que de plus j’étais militaire, d’un grade supérieur, et marié avec une femme turque, d’une famille distinguée, car son père avait été ambassadeur à Vienne, et son premier mari tchorbadgi (colonel) de janissaires, il y avait donc beaucoup d’obstacles qui s’opposaient à mon retour en Europe29 .
Diese unbestreitbaren Beweise von familiären Banden im Orient und Zeichen von kulturellen Bindungen machen Cerfberr zu einem ›Grenzgänger‹ zwischen der islamischen und der judeo-christlichen beziehungsweise europäischen Kultur. Diese Umstände, die für seine Qualitäten als sprachlicher und kultureller Vermittler sprechen, verschweigt er 1812 lieber, weil er 27 28
29
AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note; vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XV. Zum Thema der Konversionen vom Judentum zum Islam konnten bisher nur wenige Hinweise gefunden werden. Dies könnte daran liegen, dass diese Konversionen aufgrund der ausgeprägten Feindseligkeiten zwischen Islam und Judentum gesellschaftlich noch weit weniger akzeptiert wurden als jüdisch-christliche Konversionen. Ein Beispiel ist jedoch der selbst ernannte Messias Sabbatai Zwi, der nach seiner Enttarnung als Betrüger im Jahr 1666 zum Islam übertrat, nachdem man ihn vor die Alternative »Bekehrung oder Tod« gestellt hatte. Vgl. BEUYS, Heimat und Hölle. Über die jüdisch-christlichen Konversionen vgl. CARL, Zwischen zwei Welten? IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. XXJf.; vgl. S. XXVJ–XXVIJ, XXIX–XXXJ, XXXIIJ, XXXIX, XLIIJ, XLVJ–XLVIIJ. In seinen Memoiren von 1827 schildert er seine Konversion als eine für ihn pragmatische Lösung und äußert sich teilweise herablassend über die moslemischen »fanatiques«. Ibid., S. XXVJ.
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wahrscheinlich vermutete, sie könnten die Bewilligung seines Antrags nur erschweren30 . 1813 heißt es im lapidaren Vermerk des Justizministeriums zum Antrag von Cerfberr: »Il paraît avoir mené une vie agitée«31 . Der Kommentar fällt knapp, einprägsam und verdächtigend aus, insbesondere angesichts der sechs Bogen langen biographischen Selbstdarstellung Cerfberrs, die damit quittiert wurde. Ein ähnliches Urteil über das bewegte Leben Cerfberrs fällen die Historiker Roger Levylier, Manfred Eimer und André M. Haarscher, die in ihren Aufsätzen Cerfberr sogar als »Abenteurer« charakterisieren32 . Tatsächlich spiegelt die Biographie Cerfberrs einige Elemente wider, die den zeitgenössischen Diskurs über das Abenteurertum konstituieren. Seine biographischen Vorbemerkungen in den »Mémoires sur la Grèce et l’Albanie« enden zum einen mit sporadischen Angaben über weitere Reisen in Asien, Afrika und Amerika für den Zeitraum von 1819 bis 1824, zum anderen scheint er mehrfach mit dem Exotismus seiner Bekleidung gespielt zu haben33 . So rief er beispielsweise, als Moslem gekleidet, in Wien Misstrauen hervor34 . Im Osmanischen Reich trat er dagegen, obgleich zum Islam konvertiert, zeitweilig als Christ gekleidet auf 35 . Er scheint also nicht immer so verschleiernd mit seiner »Hybridität« umgegangen zu sein wie in der überlieferten biographischen Notiz von 1812. Vielmehr nutzte er oft Attribute des Islam, um sich vor Europäern zur Schau zu stellen oder aber Attribute des Christentums, um sich in der islamischen Welt hervorzuheben. Aus seinen Erinnerungen geht hervor, dass er dieses Spiel und die Provokation dabei genoss. Zudem suchte er mehrfach in seinem Leben sein Glück im Ausland: Seine Reisen führten ihn sogar nach Afrika und Asien. Beide Elemente, der Exotismus und das Reisen, bestimmen maßgeblich den Diskurs über die Abenteurer36 . Hinzu kommen die Konvertierung zu einer anderen Religion und die Neigung zur Verstellung als weitere Konstanten unter Abenteurern37 . Auch der Hang, sich in diplomatische Verhandlungen einzuschalten, gilt nach Daniel Roche als bevorzugte Tätigkeit von Abenteurern38 . Cerfberr wies auch diese Tendenz auf, obgleich er darin zu seinem Leidwesen ohne Erfolg blieb. Nicht zuletzt der 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Vgl. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler. AN Paris, BB11 72, Notes et renseignements sur plusieurs Français qui demandent l’autorisation d’entrer ou de rester au service du roi de Westphalie. Vgl. EIMER, Ibrahim Mansur Effendi; HAARSCHER, Un aventurier alsacien; [LEVYLIER], Biographie. Vgl. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler. Vgl. IBRAHIM-MANZOUR-EFENDI, Mémoires sur la Grèce et l’Albanie, S. LX. Vgl. ibid., S. XXVJf., XXVIIJ. Vgl. ROCHE, Humeurs vagabondes, S. 892 f. Vgl. ibid., S. 897. Vgl. ibid., S. 908.
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Abb. 3: Napoleon als Hussein Pacha, unbekannter Zeichner, vor 1813, Lithographie/Karikatur, 26,5×18,9 cm, SML, VS 1780.
Selbstmord, mit dem er 1827, enttäuscht über das Fiasko, das seine Memoiren erfahren hatten, aus dem Leben schied, wirft einen Schatten auf sein abenteuerliches Leben39 . Jedenfalls scheint Cerfberr noch vor der Positivierung des Diskurses über Abenteurer Mitte des 19. Jahrhunderts selbst das Leben eines solchen geführt zu haben40 . Die westphälischen Dienste, in denen Cerfberr stand, scheinen nur eine von vielen Stationen in seinem abenteuerlichen Leben gewesen zu sein. Diese weitläufigen Ausführungen über den Lebenswandel, die Erfahrungen, Vorkommnisse und sogar Empfindungen Cerfberrs lassen seine westphälische Tätigkeit wie eine kurze Episode erscheinen. Sie tragen jedoch dazu bei, diese Etappe im Leben Cerfberrs, des unbefriedigten Übersetzers von Verwaltungsschriftstücken, der nach größeren Aufgaben trachtete, besser in seinen gesamten Lebenskontext einzuordnen. So wird die Vielschichtigkeit der Person Cerfberrs erfasst, die geprägt ist von erlittenen und angestrebten Veränderungen und vom geschickten Einsatz seiner Sprachkompetenz, 39 40
Weiterführend vgl. SIGNORI (Hg.), Trauer, Verzweiflung und Anfechtung; CARL, Umwege, Irrwege, Auswege. Vgl. VENAYRE, La gloire de l’aventure, S. 17 und passim.
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aus der er immer wieder Kapital zu schlagen versuchte und die ihm auch gelegentlich zum Nachteil gereichte. Die verschiedenen subjektiven Selbstdarstellungen Cerfberrs zeigen, welche Vielschichtigkeit ein Menschenleben in seinen eigenen Möglichkeiten der Objektivierung, Subjektivierung und Fiktionalisierung birgt. Es scheint, als habe Cerfberr mehrere Parallelleben geführt: als Moslem in Europa, als Europäer im Osmanischen Reich, als Weltreisender und nicht zuletzt als Jude mit französischer Staatsbürgerschaft im Königreich Westphalen. 1827 setzte er seinen Memoiren eine »Notice sur l’auteur« voran – die Bezeichnung »Notice« deutet einen noch nicht abgeschlossenen Charakter an und zeigt, wie wenig Cerfberr bereit war, sich auf einzelne Aspekte seiner Biographie reduzieren zu lassen. Die Bezeichnung seiner einrahmenden biographischen Daten als »Notice« öffnet den Blick für die vielfältigen Erfahrungen im Leben Cerfberrs. Zusammenfassend sollte an dieser Stelle überlegt werden, welche Erkenntnisse und ungeschriebenen Gesetze über die Sprachen, das Sprachverständnis, den Umgang mit Sprachfertigkeiten aus diesem einen exemplarischen Übersetzerleben hervorgehen. Unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Sprachen soll Cerfberrs Leben nochmals aufgerollt und analysiert, ja in gewisser Weise bewusst fiktionalisiert werden41 . Cerfberr gelang es regelmäßig, aufgrund seiner Sprachkompetenzen und seiner Mobilität gesellschaftlich voranzukommen. Die Familien- und Freundschaftsnetzwerke bildeten in Verbindung mit seiner Mehrsprachigkeit eine wichtige Komponente in seinem Leben – wegen der Familientradition als Heereslieferant könnte sogar Klientelismus hinter mancher seiner Verbindungen vermutet werden. In Kassel jedenfalls wurde er 1813 als einfacher commis d’ordre und Übersetzer in die Gesellschaft integriert und scheint zu gesellschaftlich bedeutenden Abendgesellschaften Einladungen erhalten zu haben. Es sei nur an das für ihn verhängnisvolle Abendessen bei Herrn Duviquet erinnert. Die ausgeprägte Mobilität war offensichtlich eng mit seiner Mehrsprachigkeit verbunden. Unklar dabei ist jedoch die Gewichtung: Hatte er seine Mehrsprachigkeit seiner Flexibilität, Mobilität und Reisefreudigkeit zu verdanken – oder wies er dank seiner Mehrsprachigkeit eine außergewöhnlich hohe Mobilität auf? Jedenfalls zeigte er sich offen für neue Situationen des Spracherwerbs: Außer in St. Petersburg bemühte er sich um Anstellungen in Stockholm und Kopenhagen. Seine Mehrsprachigkeit war gepaart mit 41
Zur Fiktion von historischer Darstellung vgl. WHITE, Tropics of Discourse. Ferner über die Autoritätsfrage als Problem der historischen Quellenauswertung vgl. MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 95, 98; ALGAZI, Kulturkult, S. 111, 117; BACHMANN-MEDICK, Einleitung [Kultur als Text], S. 33–35. Vgl. ferner HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 183.
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der Bereitschaft, weitere Sprachen zu erlernen, wenn ihm dies zu einer angemessen erscheinenden Stellung verhelfen konnte. Im Umgang mit seinen Sprachkompetenzen sind die Wechselbeziehungen sehr ausgeprägt: Mal war er Sprachlernender, mal Übersetzer und Dolmetscher, mal wurde er zum Sprachlehrer eines anderen, der sein Freund wurde, oder diesem ein Mentor, wie es im Fall seiner Beziehung zum Grafen von Taxis anklingt. Zum angesehenen Orientalisten Kieffer, einem Elsässer, der ihm ermöglichte, seine türkischen Sprachkenntnisse zu vervollkommnen, entwickelte er selbst eine ähnlich enge Mentorbeziehung. Ein Professor Ortis wird für die Anfangsstunde seines türkischen Spracherwerbs zitiert. In jedem Fall existiert ein offenes Austauschprinzip mit viel Potenzial, das soziale Flexibilität und Mobilität nicht ausschloss: Sprachkompetenzen, und dies war sicherlich keine auf Cerfberr beschränkte Spezifizität, erwarb man in einem lebenslangen Prozess und gab sie weiter. Mehrsprachigkeit war zudem für Cerfberr selbstverständlich; über Italienisch, Portugiesisch und Arabisch verlor er kein Wort, obwohl er höchstwahrscheinlich mindestens über Grundkenntnisse in diesen Sprachen verfügte. Die Zweischneidigkeit der Sprachkompetenzen ist freilich ein wiederkehrendes Motiv in der Autobiographie: Weil er Englisch konnte, erkannte er rechtzeitig den Verrat an die Engländer durch den Kapitän des Schiffes, das ihn mit seiner geheimen Botschaft zu General Bonaparte nach Ägypten bringen sollte. Darüber hinaus inszenierte er damit, oder suggerierte es zumindest, dass das spätere Schicksal Frankreichs und Europas womöglich in seinen Händen gelegen habe und/oder er somit an den höheren politischen Staatsgeschäften beteiligt gewesen war. Durch seine englischen Sprachfertigkeiten wandte er einen Teil des durch den Verrat drohenden Unglücks ab – die Geheimbotschaft wurde ›gerettet‹ und blieb durch ihre Versenkung ins Mittelmeer für alle Zeiten geheim. Dies stellte einen glorreichen Moment im Leben Cerfberrs dar. Im nächsten Augenblick kam er in Gefangenschaft, der wiederum eine weitere glorreiche Stunde folgte: Cerfberr sprach im Namen seiner Mitgefangenen vor dem englischen General Horatio Nelson. Aufgrund seiner vielen Sprachkenntnisse verwickelte sich einerseits sein Leben immer weiter in abenteuerliche Umstände, wobei anderseits seine Sprachkenntnisse auch immer wieder zur treibenden Kraft für glückliche Lösungen verfahrener Situationen wurden. Seine Sprachfertigkeiten stellen in seiner Darstellung eine wichtige Antriebskraft beziehungsweise die Grundmotorik von Cerfberrs Leben dar. Gerade aber seine Mehrsprachigkeit wirkte über Jahre nach: Man ließ ihn nach der Restauration zwar nach Frankreich zurückkehren, aber nicht vor den 1820er Jahren, weil er mit seinen Fähigkeiten suspekt erschien und man in ihm einen Geheimagenten des einstigen französischen Kaisers vermutete. Wegen seiner Sprachtalente begegnete man ihm mit Skepsis und verdäch-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
tigte ihn des Verrats an der französischen Monarchie. Als Verräter wurden schon vor ihm viele Grenzgänger mit Übersetzer-, Dolmetscher- und Vermittlerauftrag in anderen gesellschaftlichen Kontexten beschuldigt 42 . Seine Entlassung aus seiner Tätigkeit als Übersetzer in Kassel erfolgte schließlich, weil er Interna über seinen Dienstherrn verbreitet und die Brisanz und Vertraulichkeit der Informationen falsch eingeschätzt hatte. Die Sprachen sind der Hauptmotor seiner Mobilität, seiner Glückssträhnen – in Serbien erlebte er nach seiner Entlassung aus dem Königreich Westphalen eine angenehme Zeit, die er sicherlich seinen türkischen Sprachkenntnissen verdankte –, doch führten ihn seine vielen Sprachen aber auch in gewisser Hinsicht ins Unglück. Durch seine Mehrsprachigkeit und seine lange Abwesenheit aus Frankreich war Cerfberr nach eigenen Angaben unsicher in seiner Ausdrucksfähigkeit im Französischen. Dabei fühlte er sich eigentlich zu etwas Besserem berufen als zum Dolmetscher und Übersetzer in westphälischen Diensten – ihm schwebten höhere diplomatische oder militärische Aufgaben vor. Seine Bewerbungen nach St. Petersburg, Kopenhagen und Stockholm machen dies deutlich. Er schreibt es auch 1812, und seine Wiedergabe der Lebensepisode 1799 am Mittelmeer, in der er sich als geheimer Nachrichtenträger für den zukünftigen Kaiser Frankreichs darstellt, beweist es gleichfalls: Cerfberr lebte auf, wenn er geheime und schwierige staatspolitische Aufträge und Missionen zu bewältigen hatte. Seine Eignung für eine höhere Mission im Orient, »dans le Levant«, fasst er 1812 für Napoleons Beamte selbst so zusammen: où j’aurois pû être employé utilement, par ma connaissance des langues Orientales et autres, la connaissance que j’ai du pays, des mœurs et du génie des Orientaux, mes associations religieuses, les nombreux amis que j’ai dans le Levant, et surtout à cause du gout décidé que j’ai pour ces sortes d’affaires, pour lesquelles je sens que je suis fait 43 .
In dieser formelhaften Auflistung seines Könnens sind offensichtlich alle Zutaten zum Erfolg enthalten: Sprachkompetenzen, kulturelle Kenntnisse, geographische Kenntnisse, religiöse Verbindungen, ausgebaute Freundschaftsnetze und persönliche Neigungen. Was also fehlte Cerfberr, um mit seinen Sprachkompetenzen den Durchbruch in seiner beruflichen Karriere zu schaffen und diese erfolgreich einsetzen zu dürfen? Zum Gelingen fehlte ihm offensichtlich schlicht die Anerkennung. Angesichts seines Freitods zeigt das nachgezeichnete Leben Cerfberrs das Lebensdrama eines Menschen, dem seine eigenen mehrsprachigen Fähigkeiten und seine vermeintliche Berufung zu Höherem zum Verhängnis wurden. Das Dilemma seines Lebens blieb wahrscheinlich der Mangel an An42 43
Vgl. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note.
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erkennung für seine Fähigkeiten über das Übersetzen und Dolmetschen hinaus. 1.1.2. Stübing und Beinter: Militärs, Übersetzer und Dolmetscher Philipp Leopold Stübing war als ehemaliger hessischer Leutnant im Büro des Generalsekretariats der Präfektur des Werradepartements im September 1809 schon über ein dreiviertel Jahr tätig, als ihn Friedrich Ludwig von Berlepsch, der Präfekt des Werradepartements, an den Kriegsminister weiter empfahl. Stübing »qui touche un traitement provisoire annuel de 365 frcs a travaillé depuis trois quart ans dans le Bureau du Secrétariat général de la Préfecture du Département de la Werra, comme translateur avec succés«, heißt es in seiner Empfehlung. Und weiter: »Il a fait des progrés dans la langue française & est parfaitement initié dans le travail des bureaux«44 . Hier, wie auch bei Cerfberr, fällt auf, dass durchaus das Verständnis vorhanden war, Spracherwerb als einen Lernprozess zu begreifen, der Verbesserungsmöglichkeiten bei entsprechender Motivation ermöglichte. Über den weiteren Werdegang Stübings als Übersetzer und Dolmetscher konnten keine sicheren Angaben ermittelt werden. Ein anderer Soldat, der französische Sprachkenntnisse besaß, taucht in den Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts auf, als diese die Aufwärterstelle bei der Bibliothek in Kassel besetzen wollte. Der 3te [Kandidat] endlich ist der concierge des Stände-Saales Beinter, ehemaliger Soldat, nachmals Tagelöhner, späterhin von Herrn Grandjean wegen eines Jargons von Französisch, das er gelernt hat, zum Aufseher über die Tagelöhner beim Bau des Stände-Saales und zum Dollmetscher zwischen ihm und diesen erwählt und zuletzt von dem diesem Herrn Grandjean zu der Stelle vorgeschlagen, die er gegenwärtig bekleidet. Das Französische, auf dessen Kenntniß er sich beruft, ist von der Art, dass man ihn kaum versteht und einen gewissen Grad von Bildung wird man um so weniger von ihm erwarten, da er weder als gemeiner Soldat noch als Tagelöhner Gelegenheit hatte, sich diese zu verschaffen45 .
Das Urteil des Bibliothekars Friedrich Murhard lässt vermuten, dass Beinter die ersehnte Anstellung als Aufwärter bei der Bibliothek nicht erhalten hat. Aus Murhards Ausführungen wird die Tätigkeit Beinters als Dolmetscher zwischen dem Architekten des Königs, Auguste-Henri-Victor Grandjean de Montigny, und den Bauarbeitern sowie die Unzulänglichkeit seiner französischen Sprachkenntnisse deutlich. Einige Schlussfolgerungen lassen sich 44
45
StA MR, Best. 75 Nr. 260, Die Ernennung der Polizeikommissare im Werradepartement, 1809–1813: Schreiben von F. L. von Berlepsch, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an J. B. Éblé, Kriegsminister, 7. 9. 1809. StA MR, Best. 75 Nr. 1285, Aufwärterstelle bei der Bibliothek zu Kassel, 1809– 1812: Schreiben von F. Murhard, Bibliothekar in Kassel, an J. C. von Leist, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 8. 2. 1812.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
daraus ziehen: Zum einen legt der disqualifizierende Kommentar Murhards nahe, dass es nicht unwichtig war, auf welche Bildung man zurückblickte und in welchem Kontext man seine französischen Sprachkenntnisse erworben hatte, wenn man um eine Anstellung als Übersetzer ersuchte. Wenn man sich diese beispielsweise als Soldat und Tagelöhner durch die Kommunikation von »Angesicht zu Angesicht«, womöglich ohne Sprachführer oder -lehrer, angeeignet hatte, erschien das manch einem, der sich Kenntnisse durch Studium und Befassung mit der Sprachlehre erworben hatte, ungenügend und nicht ernst zu nehmen46 . Murhard sprach Beinter ab, sich in seinen Sprachfertigkeiten entwickeln zu können, ganz entgegengesetzt zu dem, was Berlepsch von Stübing annahm. Interessant ist auch, dass selbst mangelhafte französische Sprachkenntnisse offensichtlich reichten, um als Dolmetscher engagiert zu werden. Beinter hatte bei Bauprojekten dolmetschend gewirkt: Dabei war es sicherlich für die Ausführung wichtiger, mit den Bauarbeitern den richtigen Ton zu treffen, als mit dem Architekt in einem gediegenen Französisch zu kommunizieren. Es könnte jedoch für eine gewisse Not an zweisprachigen Personen im Königreich Westphalen sprechen, wenn sogar Sprecher mit mangelhaften Kenntnissen gefragt waren. Allerdings lässt sich auch quellenkritisch fragen, ob Beinter so schlecht Französisch sprach, wie Murhard es gern glauben lassen wollte: Wenn Beinter wirklich nur unverständlich Französisch gesprochen hätte, wäre es um viele Bauten aus der westphälischen Zeit schlecht bestellt gewesen. Vielleicht beherrschte Beinter einen besonderen Dialekt, der für den Austausch mit Grandjean de Montigny und den Bauarbeitern genügte und allein Murhard entging. Es ist davon auszugehen, dass er das Französisch des Architekten so übersetzen konnte, dass es die Bauarbeiter verstanden. Aber dieses Französisch entsprach wahrscheinlich nicht den besonderen Anforderungen der Bibliothek. 1.1.3.
Pfeiffer und Osburg: Juristen und Übersetzer
Wie aus den Akten des Innenministeriums hervorgeht, ging die Übersetzung des Code Napoléon im Jahre 1808 auf den Juristen Burkhard Wilhelm Pfeiffer zurück, der dafür eine Bezahlung vom Staat erhielt 47 . Eine solche Übersetzung war offenkundig notwendig, obgleich bereits zu diesem Zeitpunkt zwei Übersetzungen aus dem Französischen auf dem Buchmarkt vorhanden waren: 46 47
Vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 138 f. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1977, Akte des Ministeriums des Innern, Buchhändler und Buchdruckereien, 1807–1811, Bl. 49: Schreiben Nr. 698 von B. W. Pfeiffer, Substitut des Generalprokurators des Appellationsgerichts in Kassel, an G. A. von Wolffradt, 5. 9. 1808.
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Eine deutsche Übersetzung erschien ›bei der noch zum größten Theil im Lande herrschenden Unkunde der französischen Sprache‹ als höchst nothwendig. Auf eine dahin an den Minister Simeon gerichtete Anfrage machte derselbe auf zwei Uebersetzungen von Daniels und Lassaux aufmerksam. Beide könnten nach Belieben gebraucht werden, doch solle derjenigen im einzelnen Falle der Vorzug gegeben werden, welche nach der Kenntniß des Richters von der französischen Sprache ihm am getreuesten den Sinn des Originaltextes im Deutschen wiederzugeben schiene. Eine offizielle Uebersetzung, welche unter Aufsicht Simeons von westphälischen Rechtsgelehrten, von Leist u.a., verfertigt und bei Levrault in Straßburg gedruckt wurde, erhielt durch königliches Dekret vom 21. September 1808 alleinige Rechtsgültigkeit neben der französischen Ausgabe48 .
Als Modellstaat fühlte sich das Königreich Westphalen offensichtlich verpflichtet, eine eigene Übersetzung zu besorgen49 . Das Zitat belegt auch, wie wichtig die Rechtsordnungsreform für den westphälischen Staat war50 . Als Pfeiffer die Übersetzung des Code Napoléon anfertigte, war er der erste Stellvertreter des Generalprokurators des Appellationsgerichtshofs in Kassel. Zuvor war er von 1799 an kurfürstlicher Hessischer Hofund Regierungsarchivar in Kassel gewesen51 . Pfeiffer stammte aus einer Gelehrtenfamilie, sein Vater war Professor der Theologie in Marburg52 . Neben der erwähnten Übersetzung des Code civil zeichnete Pfeiffer für eine Reihe juristischer Schriften verantwortlich, die den westphälischen Staatsbürgern das französische Rechtssystem nahe bringen sollten53 . Seine Laufbahn als angesehener Jurist setzte er nach 1813 fort 54 . Zur selben Zeit, als Pfeiffers juristische Schriften erschienen, wurden unter der westphälischen Herrschaft außerordentlich viele erläuternde ›dolmetschende‹ Schriften publiziert, die eigentlich in den wenigsten Fällen auf 48 49 50
51 52 53
54
GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 96 f. Vgl. Code Napoléon, 1808; Napoleons Gesetzbuch, 1808–1811. In diesem Zusammenhang wäre eine Angabe über den Stellenwert der Übersetzung von juristischen Schriften innerhalb des Forschungsprojekts »Französischdeutsche Übersetzungsbibliothek, 1770–1815« von Relevanz, vgl. u.a. LÜSEBRINK, REICHARDT, Einführung, in: DIES., »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche...«, S. 10– 14; LÜSEBRINK, NOHR, REICHARDT, Kulturtransfer im Epochenumbruch. Vgl. HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 15; STRIEDER, Grundlage, Bd. 19, Artikel »Pfeiffer, Burkhard Wilhelm«. Vgl. STRIEDER, Grundlage. Vgl. Anweisung für Prediger; Vollständige Unterweisung; Napoleons Gesetzbuch, 1808; Die Vermögensrechte der Ehegatten; Berichtigung des Schraderischen Aufsatzes; Rechtsfälle, entschieden nach dem Gesetzbuche Napoleons; Ueber die Anwendung eines neuen Gesetzbuchs; Ueber das Amt der StaatsAnwälde; Rechtsfälle zur Erläuterung der Gerichtsverfassung und Prozessordnungen Westphalens. Nach dem Ende der westphälischen Verhältnisse wurde er 1814 kurfürstlicher Regierungsrat in Kassel, darauf ab 1817 Oberappellationsgerichtsrat, für kurze Zeit in der gleichen Funktion in Lübeck und ab 1821 erneut kurfürstlicher Oberappellationsgerichtsrat in Kassel. Vgl. HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 19.
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eine französische Originalschrift zurückgingen, also keine wörtliche ›Übersetzung‹ darstellten, aber als Verständnishilfe für die Anwendungen der neuen Gesetzesbücher und Prozeduren in der Verwaltung dienten. Diese Veröffentlichungen waren vornehmlich für die lokalen Amtsträger in den Departements gedacht und weniger für den Laien55 . Allerdings waren auch manche für den normalen Staatsbürger vorgesehen – ob sie von außergewöhnlich tüchtigen Staatsbürgern auch gelesen wurden, ist eine nicht mehr zu beantwortende Frage56 . Bemerkenswert ist, dass der Titel »Unterricht in dem Französischen Civil-Gesetz-Buche oder dem Code Napoléon für den Bürger und Landmann« über ein Sprachbild suggerierte, der westphälische Staatsbürger benötige als eigentlichen ›französischen Unterricht‹ eine Einführung in seine neuen Rechte. Bei diesen vielen Schriften, die Hilfestellungen für Verwaltungsbeamte darstellten und nur im übertragenen Sinne Übersetzungen waren, lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen, was mit finanzieller oder lediglich ideeller Unterstützung aus Kassel entstand und was allein auf die Initiative engagierter Juristen zurückging. Das Beispiel des Stendaler Autors von »Für den Friedensrichter bei ihren Amtsgeschäften« zeugt von Ambivalenz: Auf der einen Seite wurde das kleine Handbuch Siméon, dem Justizminister, gewidmet, was durchaus nicht ausschließt, dass dieser das Buch ideell oder sogar finanziell gefördert hatte. Andererseits stand im Vorwort, der Autor wolle nicht als Opportunist gelten und habe auch nicht vor, ein lukratives Geschäft aus seinem Werk zu ziehen57 . Ein weiterer Jurist, der sich mit der Übersetzung von französischen Gesetzestexten ins Deutsche befasste, ist [Christoph August] Osburg, der 55
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57
Eine umfangreiche Bibliographie kann hier nicht geliefert werden, vgl. u.a. BÜLOW, Erläuternde Bemerkungen über das Verfahren in Strafsachen; GERBER, Handbuch für die Mairien, Munizipal- und Polizeybeamten; KULENKAMP, Darstellung des Executionsverfahrens; DERS., Beyträge zu der Lehre von dem Verhältnisse der Rechts-Pflege zur Verwaltung; OESTERLEY, Praktische Erläuterung der westphälischen Prozeßordnung; DERS. (Hg.), Magazin für das Civilund Criminal-Recht; DERS., SPANGENBERG, Ausführlich theoretisch-praktischer Commentar über das französische und westphälische Gesetzbuch; SAALFELD, Handbuch des westphälischen Staatsrechts; SPANGENBERG, Commentar über den Code Napoleon; DERS., Handbuch für Greffiers; STROMBECK, Prozeßordnung; DERS., Handbuch des Westphälischen Civilprocesses; DERS., Rechtswissenschaft des Gesetzbuches Napoleons; TITTMANN, Ueber Geständniß und Widerruf; Handbuch für westphälische Notarien; VEZIN, Handbuch für Friedensrichter; WANGEMANN, Der Advocatenstand. In den »Wernigerödischen Intelligenz-Blättern« aus dem Jahr 1807 findet sich folgendes Inserat: »Bei dem Post-Kommissar Mittag hieselbst ist der Unterricht in dem Französischen Civil-Gesetz-Buche oder dem Code Napoleon für den Bürger und Landmann u. geheftet für 9 Ggr. zu haben«. Vgl. Wernigerödische Intelligenz-Blätter vom Jahr 1807, 42stes Stück, 19. Oktober 1807. Vgl. Für den Friedensrichter, 1810; vgl. ferner Nachtrag zu dem Buche für Friedensrichter, 1811.
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sich beim Innenministerium auf eine Stelle als Friedensrichter oder als Richter beim Zivilgericht in Duderstadt bewarb. In seinem Bewerbungsschreiben von 1808 heißt es: »j’ai travailler à Heidelberg et à Goettingue depuis trois ans pour les Sciences, en traduisent le droit civil et criminel et la procedure«58 . Ob Osburg aufgrund seiner Verdienste als Übersetzer die Stelle eines Prokurators beim Zivilgericht in Duderstadt erhielt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, jedenfalls war er Anfang 1813 noch im Amt, zum Leidwesen seines Dienstherrn, denn Osburg ließ sich unter der Landbevölkerung seines Distrikts als Prophet feiern, der nicht weniger als das baldige Ende der westphälischen Herrschaft versprach59 . Damit initiierte er für die Obrigkeit bedrohliche Nachrichten von antiwestphälisch gesinnten ländlichen Zusammenkünften. Im Fall Osburgs wird deutlich, dass die Übersetzungstätigkeit zu Beginn der westphälischen Herrschaft und der damit vollzogene Anschluss an das französische Reformprojekt durchaus noch wandlungsfähig war und eine politische Umorientierung vertrug60 . Die Übersetzungen, im wörtlichen oder übertragenen Sinn, als anhaltende Loyalitätsbekundung für die neue Herrschaft zu deuten, ist nur begrenzt möglich. Unter den Gelehrten gehörten die Übersetzungen außerdem zu einer Art Pflichtübung, zum »admittatur«, wie der Sprachlehrer Barathier seinem Präfekten nahelegte61 . Angefangen mit Pfeiffer über den Stendaler Autor, der sich nicht namentlich ausweist, bis zu Osburg konnten in Auszügen drei Juristenbiographien skizziert werden, die sich unter der westphälischen Herrschaft hervorgetan hatten, teilweise mit wirklichen, also mit wörtlichen Übersetzungen, und teilweise auch mit solchen, die in erster Linie zum Transfer von französischem Gedankengut ins Deutsche beitrugen. Alle drei Persönlichkeiten entwickelten im Laufe der Zeit eine sehr ausgeprägte loyale, ambivalent distanzierte oder sich auflehnende Beziehung zur westphälischen Obrigkeit, deren Teil sie selbst waren.
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59 60
61
HStAH, Hann. 52, Nr. 144, Anstellungsgesuche für die Verwaltung in den bisher hannoverschen Landen, 1810: Schreiben von Osburg, Doktor in Jura, Übersetzer in Heidelberg und Göttingen, an J. J. Siméon, Innen- und Justizminister, Mai 1808. Vgl. RNB St. Petersburg, F. 993 Arch. Westf., K. 20, Nr. 12 410–12 464, Affäre Osburg. Über die Haltung der administrateurs zwischen »résistance passive« gegenüber der westphälischen Reformpolitik und Verrat vgl. TODOROV, Vaincre la résistance administrative, S. 53–55, 58. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Gesuche um Erlaubnis die französische Sprache lehren zu dürfen, 1809, Bl. 10: Schreiben von Barathier, Sprachlehrer in Schmalkalden, an A. H. von Trott zu Solz, Präfekt in Marburg, Werradepartement, 7. 9. 1810.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
1.1.4.
Dzondi: Mediziner und Dolmetscher
Der Mediziner Karl Heinrich Dzondi, vor 1806 Schundenius genannt, war seit 1811 Professor für Medizin und Chirurgie in Halle und zeichnete sich dort durch seine Hilfsbereitschaft gegenüber französischsprachigen Westphalen und Soldaten aus62 . Im Juli 1813 schreibt er selbst darüber: loin de m’eloigner pendans les jours du danger, je fus le premier sur le champ de bataille, sur la place, et dans les rues pour porter du secours aux blessés; J’ai eu la satisfaction de sauver plusieurs des blessés /surtout français/ du pillage et des mains rudes de la populace; je les fis porter dans les maisons et les salles voisines; je fis appéler des chirurgiens pour m’aider à faire le pansement, et après les avoir fait porter à l’hôpital, je me suis chargé /autorisé par Mr. le sous-préfet/ du prémier arrangement du traitement surtout des blessés français, vû que les chirurgiens employés dans cet hôpital ne savaient pas le français et ne semblaient pas assés instruit pour être capables d’arranger tout ce qui est necessaires dans des cas extraordinaires63 .
Diese Wohltaten erwähnt er, um sich die »inspection du service medical de cet hôpital« zu erbitten, da er sonst an einer Belohnung nicht interessiert sei 64 . Durch die Schilderung seiner Hilfsbereitschaft versuchte Dzondi davon zu überzeugen, er habe sich mit seinen Sprachkompetenzen, seinem medizinischen Wissen und seiner Einsatzbereitschaft als Schutzschild der verletzten französischen Soldaten vor der angriffsbereiten Bevölkerung besonders verdient gemacht. Er versuchte, überspitzt formuliert, ohne Rücksicht auf eigene Gefährdung, aus seinen Sprachkompetenzen sowie aus seinem fachlichen Können und seiner spontanen Parteiergreifung für die Franzosen, Kapital zu schlagen und Anerkennung für seine Verdienste zu ernten. Medizin stellte sein Zweitstudium dar, sein erstes war ein philologisches, was erklären mag, dass Dzondi beispielsweise im Jahre 1808, als er erstmals zum Außerordentlichen Professor für Arzneikunde in Wittenberg ernannt wird, seine weiterhin schlechten finanziellen Verhältnisse durch die
62
63
64
Vgl. HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 17, Artikel »Dzondi«; Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 13. 1835 (1837), Artikel »Dzondi«. Wenzel spricht von einer »Gleichbehandlung von deutschen und französischen Verwundeten«. WENZEL, 200 Jahre Hochschulchirurgie in Halle, S. 11. GStA PK, V. HA, Nr. 704, Akte des Justizministeriums und des Generalinspektors der Gendarmerie, Direktors der Hohen Polizei zu Cassel betr. politische Berichte des Generalkommissars der Hohen Polizei Moisez zu Magdeburg und Halberstadt, 1809–1813, Bl. 14: Schreiben von K. H. Dzondi, Medizinprofessor und Chirurg in Halle, an J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 5. 7. 1813. Interessant ist bei diesem Quellenzitat auch, dass man es ausnahmsweise nicht mit einer unter dem Krieg leidenden Zivilbevölkerung zu tun hat, die von Soldaten geplündert und misshandelt wird, sondern umgekehrt. Ibid. Vgl. SCHRADER, Geschichte der Friedrich-Universität zu Halle, Bd. 2, S. 40 f.
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Erteilung von Sprachunterricht an wohlhabende Bürger aufbessert 65 . Erworben oder perfektioniert hatte Dzondi seine französischen Sprachkenntnisse außerdem in den Jahren 1806 und 1807, als »er anfänglich Chirurgien und später médecin en chef an einem großen französischen, oft an 800 Kranke fassenden Militär-Hospitale [war], in welchem er unter sich 20 Chirurgen reichlich beschäftigte«66 . Seit 1811 in Halle, trat er unter anderem »durch seine Geläufigkeit in der französischen Sprache auch mit den damals daselbst und in der Nähe angestellten französischen Beamten in nahe Verbindung«67 . Im März 1813 erbat sich er sogar einen mehrmonatigen Urlaub, »um im Gefolge der französischen Armee bei den in der Nähe zu erwartenden Schlachten Erfahrungen sammeln zu können, da ihm der französische Generalarzt Larrey hierzu Aussichten gemacht habe«68 . Diese Einsatzbereitschaft an der Kriegsfront soll den Verdacht der Franzosenfreundschaft auf ihn gelenkt haben. Nach 1813 wurde gegen ihn als »Franzosenfreund« ermittelt 69 . Sicherlich wäre es verkürzt, zu behaupten, seine französischen Sprachkenntnisse hätten Dzondi im Nachhinein diesen Prozess beschert; allerdings waren sie zweifelsfrei ein entscheidender Faktor für seine Karriere in der Franzosenzeit. Seine Beherrschung der französischen Sprache wurde ihm nach 1813 indirekt zum Verhängnis. Seine bekundete Anhängerschaft für die neue Herrschaft hatte er sich in gewisser Weise als Etikett angehängt: 1806 ließ er seinen Namen von Schunde zu Dzondi umwandeln, nach einer Ableitung von der wendischen Namensform seiner Vorfahren, Schundenius70 . Diese Umwandlung mutet fast wie eine Französisierung an; es ist nicht auszuschließen, dass er damit seine Verbundenheit mit den Franzosen bekräftigen wollte. Auch daraus mag das Etikett des Franzosenfreundes nach 1813 für Schundenius-Dzondi resultiert haben, das sogar zu einem Prozess gegen ihn führte. Seine edlen menschenrettenden Handlungen als Arzt, der Kriegsverletzte in der Not versorgte, wurden dabei offenkundig außer acht gelassen. Besonders brisant erscheint sein Fall, weil er sich über Jahre hinweg für die Milderung der Leiden vieler Soldaten eingesetzt hatte. Wenn unter den westphälischen Ver-
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67 68 69
70
Vgl. WENZEL, 200 Jahre Hochschulchirurgie in Halle, S. 10. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 13. 1835 (1837), Artikel »Dzondi«; vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 704, Bl. 14; HIRSCH (Hg.), Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte, S. 517. Gemeint ist das französische Militärhospital zu Wittenberg. Vgl. WENZEL, 200 Jahre Hochschulchirurgie an der Saale, S. 10. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 13. 1835 (1837), Artikel »Dzondi«. SCHRADER, Geschichte der Friedrich-Universität zu Halle, 2. Theil, S. 28. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 13. 1835 (1837), Artikel »Dzondi«; BADER, Lexikon deutscher Bibliothekare, S. 359; HIRSCH (Hg.), Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte, S. 517. Vgl. WENZEL, 200 Jahre Hochschulchirurgie in Halle, S. 9 f.
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hältnissen Französisch sein Startkapital gewesen war, so wurde es ihm nun zum Verhängnis71 . 1.1.5.
Decherf: Übersetzer in der Postadministration
Jean Joseph Decherf war vor seiner Anstellung 1809 als »chef de bureau traducteur dans l’administration des postes du royaume de Westphalie« in Kassel in der französischen Kriegsadministration im Bereich der Verproviantierung der Grande Armée tätig72 . Wie er zu seinen deutschen Sprachkenntnissen gekommen war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Mit ihm wird erneut die starke Verbindung von Heereslieferanten, Militärdiensten und Sprachkenntnissen und daraus resultierenden Übersetzertätigkeiten ersichtlich.73 . 1.1.6. Perier und Provençal: secrétaires-interprètes im westphälischen Finanzministerium Amable Marie Noël Perier wurde 1807–1808 vom damaligen Finanzminister Jacques Claude Beugnot ins Königreich Westphalen geholt, um als secrétaire-interprète für diesen zu arbeiten. Später wurde er Generalkassierer beim Staatsschatz des Königreichs Westphalen. Aus seinem Antrag auf einen Patentbrief von März 1812 geht hervor, dass er, Jahrgang 1784, aus Rouen stammte und in Deutschland erzogen wurde74 . Es könnte sein, dass die Verbindung zwischen Perier und Beugnot, selbst einst Sekretär Voltaires, aus der Zeit Beugnots als Präfekt in Rouen herrührte, obwohl wegen des Altersunterschieds zwischen den beiden eventuell eine klientelistische Übertragung – von einer Generation Perier auf die nächste – vermutet werden könnte. Perier ist ein Beispiel eines aus Frankreich eingewanderten Generalsekretärs, der offensichtlich zu den émigrés der Französischen Revolution gerechnet werden kann75 . Mit ihm zeigt sich die enge Verbindung der Übersetzertätigkeit mit der Funktion eines Sekretärs76 . Eine ähnliche Doppelfunktion als Generalsekretär und Übersetzer-Dolmetscher hatte nach ihm Bernard Provençal inne, als das Finanzministerium unter der Führung von Ludwig Friedrich Victor Hans Graf von Bülow stand. In den »Denkwürdigkeiten« des westphälischen Pagenlehrers August 71 72 73 74 75 76
Vgl. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler. Vgl. AN Paris, BB11 68, Dossier Decherf; AN Paris, BB11 72, Eintrag Decherf. Siehe zu Decherf das Online-Kapitel über das Medium »Brief«, http://halshs. archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Vgl. AN Paris, BB11 70, Dossier Perier. Vgl. u.a. RANCE, L’identité collective. Über Engelhard, Bürochef im Innenministerium im Großherzogtum Berg und aufgrund seiner Zweisprachigkeit auch Übersetzer des bergischen Staatsrats, vgl. SEVERIN-BARBOUTIE, Französische Herrschaftspolitik und Modernisierung, S. 155.
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Ernst Zinserling ist die Rede von einem »Herrn P***«, »der vorher Prediger an der Französischen Kirche zu Magdeburg gewesen, während der Okkupation von den Preussischen Behörden als translateur gebraucht, und Bülow zum General-Sekretair des Finanz-Ministeriums ernannt worden war« und der 1810 plötzlich seine Anstellung verlor77 . Ohne Zweifel handelt es sich bei »Herrn P***« um Provençal, der als Generalsekretär gleichzeitig die Funktion eines Übersetzers versah, so wie Perier für Beugnot. Provençal war ein Hugenottennachkomme und machte offenbar aufgrund seiner familiär bedingten Kenntnisse der französischen Sprache zeitweilig Karriere in der westphälischen administration. Seine bilingualen Sprachkompetenzen halfen ihm wenig: Gegen seinen Dienstherrn wurde intrigiert und infolge einer unglücklichen Formulierung in einem Brief Provençals an Bülow, der auf Dienstreise in Paris weilte, mit der er diesen als Messias ansprach, fiel Bülow in Ungnade und Provençal, eng verbunden mit dem Schicksal seines Vorgesetzten, wurde ebenfalls verabschiedet.78 Es dürfte anzunehmen sein, dass Perier seinem Dienstherrn ins Großherzogtum Berg folgte, wo dieser 1808 als Verwalter von Napoleon eingesetzt wurde. Perier wie Provençal übernahmen ähnliche Funktionen bei den jeweiligen Finanzministern und besaßen damit Posten nahe bei einem mächtigen Entscheidungsträger. Diese Stellungen implizierten eine enge Verbindung ihres Schicksals mit dem ihrer Dienstherren: Sie genossen mit diesen Ruhm oder fielen in Ungnade. 1.1.7. Van Baerll: Übersetzer und Generalsekretär der Präfektur des Werradepartements Theodor van Baerll, geboren in Venlo und 1812 50 Jahre alt, gehört ebenfalls zu den Antragstellern auf einen Patentbrief beim französischen Justizministerium79 . Als Generalsekretär der Präfektur des Werradepartements war er häufig als Übersetzer gefragt 80 . Hier ist ebenfalls der Zusammenhang zwischen Übersetzer und Generalsekretär, deren Funktionen in einer Person vereinigt waren, ersichtlich. Van Baerll war vor seinen westphälischen Diensten »dans la partie judiciaire, administrative et financiere dans la cidevant Gueldre prussienne, maintenant partie integrante du département de la Roer« als »Conseiller des guerres et des domaines – membre de la chambre administrative du duché 77 78
79 80
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 50. Nach Tollin soll allerdings Provençal im Frühjahr 1812 chef du secrétariat général de l’intendance du Trésor public in Kassel gewesen sein. Vgl. TOLLIN, Geschichte der Französischen Colonie von Magdeburg, S. 286, vgl. auch S. 281 f. Vgl. AN Paris, BB11 71, Dossier van Baerll. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 157, Universität Marburg, Anstellungen, Gehälter und Ausgaben,1808.
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de Gueldre – et […] Directeur du collège de santé et de la deputation de la justice de la chambre« tätig. Zusätzlich versah er die »direction de la récrue nationale«81 . Bei der Auflösung des Herzogtums von Geldern wurde er 1806 vom preußische König in die westphälischen preußischen Provinzen nach Minden berufen und bald darauf von den französischen Behörden übernommen. Er arbeitete unter Joseph Victorien Sicard, »alors intendant du 2e gouvernement«, und mit François-Jean »Grenier, colonel de la gendarmerie, chef de l’état major de Mr le Général Gobert gouverneur du 2e gouvernement«82 . Jacques Nicolas Gobert schrieb über die Tätigkeit van Baerlls bei seiner Anstellung: La nécessité d’établir aupres de mon Etat major un emploié au fait du service et sachant bien l’allemand et le français, me fait ordonner que Monsieur van Baerll ancien conseiller de la chambre de Gueldre, emploié aujourd’hui par la chambre de Minden, sera attaché à Mr. Le Chef d’escadron Grenier, chef de mon Etat major83 .
Aus den Unterlagen, die van Baerll seinem Antrag auf einen Patentbrief beilegte, geht hervor, wie sich die Behörden aufgrund seiner zweisprachigen Kompetenz um ihn bemühten. Die »chambre des guêrres et des domaines« schrieb dem Generalgouverneur Gobert: si on nous prive du travail du dit Conseiller, […] nous serons forcés de faire notre correspondance en langue allemande, et cépendant l’administration imperiale royale générale des finances a Berlin, exige et nous a ordonné tres expressement, de lui présenter tout compte, rapport, Etat, et bordereau mensuel etc. et tout ce qui a trait aux affaires en langue française84 .
Die Tatsache, dass zwei Behörden um die Kompetenzen eines Zweisprachigen konkurrierten, zeigt nochmals, wie wertvoll die Beherrschung der beiden Sprachen in den Rheinbundstaaten war. Die Kriegs- und Domänenverwaltung versuchte sich van Baerll zu sichern, indem sie drohte, ihre Verwaltungsschriften nur noch in deutscher Sprache an die französischkaiserliche Finanzbehörde zu Berlin herauszugeben. Schon als secrétaire-interprète bei der »commission de liquidation du 2e gouvernement, etablie en vertu de l’arreté du 1er sept. 1807 des membres composant la régence du Royaume de Westphalie« zeichnete van Baerll außerdem für eine Reihe von Memoiren verantwortlich: »une multitude de mémoires réposant dans les archives du gouvernement sont de ma plume«85 . Zu seiner Tätigkeit als Generalsekretär der Präfektur des Werradepartements schreibt er: 81 82 83 84 85
AN Paris, BB11 71, Dossier van Baerll. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
121
Lors de l’établissement des préfectures, je fus nommé secrétaire général de celle de Marbourg, j’y arrivai le premier jour ou elle entra en fonction, et y étant seul au courant de la langue française, je crois avoir été son principal organisateur comme Son Excellence s’en est certainement convaincu par les rapports successifs presentés au ministêres86 .
Hier liefert van Baerll die wesentliche Information, dass es mancherorts im Königreich Westphalen 1807 an Zweisprachigen mangelte und diesen damit besondere Chancen offen standen. Es zeigt sich aber auch, dass der Beruf des Übersetzers Gefahren barg, insbesondere wenn der Übersetzer mit seinem Dienstherrn, dem Staat, identifiziert wurde. Van Baerll bemerkt dazu, er habe während der Unruhen des Jahres 1809 Schwierigkeiten mit den Aufständischen bekommen87 . Die Beschäftigung van Baerlls als Übersetzer lässt außerdem Rückschlüsse auf alle weiteren Generalsekretäre von Präfekturen im Königreich Westphalen zu, die wahrscheinlich ebenfalls in ihrem Amt die Funktion von Übersetzern übernahmen. Der westphälische Staat war offensichtlich bemüht, in seiner Verwaltung so viel Zweisprachige wie möglich einzustellen. Damit konnten viele der Übersetzungsvorgänge verwaltungsintern bewältigt werden. Nicht selten waren die Zweisprachigen übersetzende Generalsekretäre, die in ihrer subalternen Rolle beide Ämter versahen. Obgleich sie oft ein Schattendasein führten, traten sie jedoch zuweilen als Organisatoren hervor und stellten sicherlich ein wichtiges Bindeglied zwischen ihrem Vorgesetzten (Präfekt) und der Bevölkerung dar. Unter den Generalsekretären der westphälischen Präfekturen finden sich eine ganze Reihe, die sicher zweisprachig waren88 . Auch unter den Polizeikommissaren scheint es viele Zweisprachige gegeben zu haben89 . In ihrem Fall war es üblich und in ge86 87 88
89
Ibid. Vgl. ibid. Um nur einige zu nennen: Eschenburg, Generalsekretär der Präfektur der Ocker und der Präfektur der Fulda; Franz Hass, Generalsekretär der Präfektur des Nordens und der Präfektur der Fulda; Heise, Generalsekretär der Präfektur der Aller; Nicolas Paul Hugot, Generalsekretär des Staatssekretariats und des Ministeriums des Äußern; Gustav Adolph von Nordenflycht, Generalsekretär der Präfektur der Fulda; Savagner, Generalsekretär der Generaldirektion der Hohen Polizei; Karl Wilhelm August von Stralenheim, Generalsekretär der Präfektur der Fulda. Z. B. Louis Marie Antoine Berger, Polizeikommissar in Kassel (2. Kanton) von Juli 1811 bis 1813; Clarens, Polizeikommissar in Celle und später in Halberstadt; Firnhaber, Polizeikommissar in Hildesheim; Friese, Polizeikommissar in Magdeburg; Frömbling, Polizeikommissar in Rodenberg und in Hannover; Fuss, Polizeikommissar in Halle; Carl August Gauthier, Polizeikommissar in Kassel (2. Kanton) von April 1810 bis Juni 1811; Gottlieb Ludwig Friedrich Grahn, Polizeikommissar in Hannover von August 1810 bis 1813; Haas, Polizeikommissar in Münden von 1808 bis Juli 1813, daraufhin Polizeikommissar in Celle; Hünersdorff, Polizeikommissar in Kassel (1. Kanton) von Januar 1809 bis Februar 1813; Frederic Kautz, Polizeikommissar in Kassel (2. Kanton) von Januar 1809 bis April 1810; H. Lang, Polizeikommissar in Kassel von
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
wisser Weise selbstverständlich, dass sie beim Verfassen von procès verbaux mehrere Übersetzungsprozesse gleichzeitig übernahmen – sei es vom Dialekt der Landbevölkerung ins Hochdeutsche, vom Mündlichen ins Schriftliche und zudem vom Deutschen ins Französische90 . 1.1.8.
Léonnard: Dolmetscher und Sprachlehrer
Der französische Sprachmeister in Uelzen, Augustin Henry Léonnard, der wie Perier zur Gruppe der émigrés gezählt werden kann91 , bezieht sich im Januar 1813 in seinem Anstellungsgesuch für das Amt des Polizeikommissars an Bongars, den Generalinspektor der Gendarmerie und zuständig für die Hohe Polizei, auf seine Dolmetscherdienste während des Aufenthalts kaiserlicher Truppen in Uelzen. Er schreibt: des témoignages par Écrit des Commandants de notre nation, qui ont été ici en garnison, peuvent Vous convaincre, que j’ai fait pour les troupes de Sa Majesté l’Empereur et Roi, tout ce qui a dépendu de moi pour Concourir à leur bienétre et satisfaction; Les Magistrats eux mêmes me donnerent une marque de leurs Contentements, et me chargeront de les représenter, et d’ordonner pour le bien Général. J’ai rempli leurs Vue loyalement en satisfaisant tout le monde, un Certificat signé de leurs mains peut vous en Convaincre92 .
Léonnards Dolmetscherdienste erwuchsen, wie diejenigen von Dzondi, aus der Versorgung und Verpflegung von französisch-kaiserlichen Militärs im Zusammenhang mit Truppendurchmärschen und -stationierungen in Uelzen93 . Für seine Hilfestellung, die zur allgemeinen Verständigung und zur Vermeidung von sich anbahnenden Konflikten zwischen Bevölkerung und französischem Militär aktiv beitrug, waren ihm die lokalen Amtsträger dankbar – und zu Recht, denn anderswo konnten ähnliche Situationen ohne die Hilfe eines sprachlichen Vermittlers durchaus eskalieren und zu Gewaltausschreitungen führen94 . Dennoch erhielt Léonnard nicht die ersehnte Anstellung als Polizeikommissar, sondern musste sich weiterhin als
90
91 92
93 94
November 1812 bis 1813; Dr. Carl Christian Lüntzel, Polizeikommissar in Hildesheim; Mertens, Polizeikommissar in Schmalkaden von April 1809 bis Dezember 1811; Müller, Polizeikommissar in Braunschweig; Jean Charles Muscas, Polizeikommissar in Mühlhausen; Chretien Frederic Guillaume Ulrich, Polizeikommissar in Göttingen. Vgl. HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 177. Über die besondere Konstellation bei Zeugenverhören vgl. u.a. ULBRICH, Zeuginnen und Bittstellerinnen; DIES., Shulamit und Margarete, S. 179. Vgl. AN Paris, BB11 69, Dossier Léonnard; RANCE, L’identité collective. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858, hier Nr. 9857: Schreiben von A. H. Léonnard, Französischer Sprachlehrer in Uelzen, an J. F. M. de Bongars, 27. 1. 1813. Léonnard tat sich in Uelzen auch als französischer Sprachlehrer hervor. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 13, 53, 83 f.; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 385–393, 419 f., Bd. 2, S. 24.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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französischer Sprachlehrer durchschlagen95 . Daraus kann gefolgert werden, dass Zweisprachigkeit nicht zwangsläufig zu beruflichem Erfolg führte – zumindest nicht pauschal für alle. Ein sehr ausgeprägtes zeitgenössisches Bewusstsein für Niveauunterschiede in der Beherrschung einer (fremden) Sprache, eventuell auch die politische Eignung von Zweisprachigen für die Belange des Staates oder die soziokulturelle Zugehörigkeit innerhalb der Gesellschaftsschichten könnten dafür als Erklärung dienen. 1.1.9. Turgeniev und Kaverin: Dolmetscher und Studenten Schon im Jahr 1808 wurden in Marburg »trois étudians natifs de la Pologne Russe, qui avoient servi d’interprêtes aux prisonniers Russe qui passèrent par cette ville« inhaftiert und nach Frankreich gebracht, weil die besagten russischen Gefangenen geflohen waren und vermutet wurde, dass die Studenten ihnen bei der Flucht behilflich gewesen waren96 . Im Jahr 1812 gerieten erneut zwei russische Studenten in Göttingen aufgrund ihrer Übersetzer- und Dolmetscherdienste in Schwierigkeiten mit den westphälischen Behörden. Die Herren Turgeniev und Kaverin wurden als »employé[s] en qualité de translateur[s] dans le ministère [russe] des affaires extérieures« streng überwacht 97 . Sprachliche Vermittler konnten offensichtlich leicht des Verrats verdächtigt werden, insbesondere wenn die Sprache, in der sie vermittelnde Tätigkeiten übernehmen konnten, die eines erklärten Feindes der westphälischen Herrschaft war98 . Auf den Zusammenhang zwischen Sprachkompetenzen und unterstellter Verräterrolle wurde bereits bei den Ausführungen über Cerfberr mehrfach hingewiesen99 . Übersetzer und/oder Dolmetscher zu sein bedeutete somit ein gewisses Risiko für die Wahrung der eigenen Integrität.
95 96
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98
99
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858. GStA PK, V. HA, Nr. 1338, Akte des Justizministeriums zu Kassel über den öffentlichen Geist in den Departements, 1808, Bl. 6–17: Schreiben von G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an J. J. Siméon, 16. 7. 1808. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 8, Nr. 3723–3748, Nr. 3743: Schreiben Nr. 115 von Mertens, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, an J. F. M. de Bongars, 28. 7. 1812; vgl. ferner RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 3, Nr. 442–495, Berichte von J. F. M. de Bongars an den König, 20. 7. 1812–Juli 1813: Bericht Nr. 1069, 23. 10. 1812. Gleichermaßen war es im Königreich Westphalen nicht besonders positiv angesehen, wenn man über englische Sprachkenntnisse verfügte. Die politische Polizei vermutete gern voreilig einen englischen Geheimagenten oder Werber. Vgl. u.a. LÜNSMANN, Die Armee des Königreichs Westfalen, S. 38. Vgl. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
1.2.
Im Auftrag der administrés
Schwierig genug ist es, die Übersetzer und Dolmetscher im Dienst des Staates im Königreich Westphalen zu ermitteln, und nur einige wenige Persönlichkeiten konnten hier exemplarisch Erwähnung finden. Doch erweist sich die Aufgabe in Bezug auf diejenigen, die den administrés dienten, als noch komplizierter. Dabei waren es, wenn man von den Verhältnissen im Rheinland ausgeht, sicherlich nicht wenige, die ihre Dienste anboten: überall im Lande [stand] eine große Schar von Vermittlern zur Verfügung, die als Übersetzer oder Schreiber der Bevölkerung, die der französischen Sprache und den französischen Verwaltungsbräuchen unkundig war, ihre Dienste anbot und zu festen Zeiten selbst in den kleinsten Verwaltungssitzen anzutreffen war100 .
Für das Königreich Westphalen ist es schwierig, ihre übersetzende Hilfstätigkeit zu rekonstruieren und sie namentlich zu identifizieren101 , obgleich sie auch von Zeitgenossen als zahlreich angegeben werden102 . Aus welchen Gründen blieben sie anonym? 1.2.1.
Landgrebe: Übersetzer und Sprachlehrer
Der französische Sprachmeister Landgrebe zu Kassel taucht in den eingesehenen Akten zweimal als Übersetzer auf: Zum einen in denen des Finanzministeriums, wo eine Bittschrift des Papierhändlers Schreiber mit einem »Pour la traduction conforme Landgrebe« versehen ist 103 , zum anderen wird er in einem Verhörprotokoll erwähnt: so habe er nach dem im gestrigen Verhör überreichten Pro Memoria bei dem hiesigen französischen Sprachmeister Herrn Landgreben eine Petition von einem Bogen stark machen lassen, und solche durch den Portier am Kriegsminister überreicht, aber noch bis diese Stunde keine Resolution darauf erhalten104 .
Der französische Sprachmeister Landgrebe scheint neben dem Unterrichten in französischer Sprache außerdem französische Bittschriften für die administrés verfasst zu haben. Es dürfte daher anzunehmen sein, dass vielerorts im Königreich Westphalen französische Sprachlehrer als Nebentätigkeit das Übersetzen von Schriftstücken, die für den Verkehr mit der westphälischen administration bestimmt waren, für Bürger übernahmen. 100 101 102 103
104
STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 303. Zur Biographie des Magdeburgers H. L. Lehmann, der neben seinem Bittschriftenbüro auch Übersetzungen erledigte, siehe Kapitel B III.1.1. Vgl. Cramer, zitiert nach: THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 119; LYNCKER, Historische Skizzen, S. 87. GStA PK, V. HA, Nr. 2774, Akte des Finanzministeriums zu Kassel über dem Könige zugestellte und von diesem dem Minister zurückgereichte Bittschriften, 1807–1809. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 041–13 052, hier Nr. 13 049: Verhörprotokoll von G. Göhns, 17. 4. 1813.
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1.2.2. Deligny: Küster der königlichen Kapelle und Übersetzer Der Küster der königlichen Kapelle, Deligny, war vor seiner Anstellung in der Hauptstadt als Übersetzer tätig. In einer Bittschrift führt er seine Schwierigkeiten mit dem Generaldirektor der Domänen und Geistlichen Güter, Peter Heinrich Freiherr von Coninx, aus. Er habe im Namen des Präfekten Georg Johann Gerhard August von Reimann und einer »grand nombre d’autres protestans et prussiens« um Anstellung in der Zeit gebeten, als das Paderbornische dem Königreich Westphalen einverleibt wurde. »Ce crime est cette demande que je n’ai faite en mon nom, mais que j’ai faite comme interprete«105 . Hier zeigt sich, dass sich die Dienste als Übersetzer und Dolmetscher für die betroffenen Zweisprachigen nicht immer vorteilhaft für ihre Laufbahn auswirkten. Sie wurden zum Teil mit ihrem Auftraggeber identifiziert und an deren Statt benachteiligt. Deligny war wahrscheinlich wie Léonnard und Perier ein émigré der Französischen Revolution, der in deutschen Territorien Unterschlupf gefunden hatte106 . 1.2.3.
›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher
Mit der hier vorgeschlagenen Kategorie der ›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher werden alle jene bezeichnet, die zwar französische und deutsche Sprachkenntnisse besaßen und dadurch zu übersetzenden und dolmetschenden Tätigkeiten in der westphälischen Zeit herangezogen wurden, diese jedoch nicht beruflich ausübten. Diese gelegentlichen Übersetzer verstärkten die Gruppe der Sprachlehrer durch alltägliches Aushelfen bei der Bewältigung der Sprachbarrieren der westphälischen Bevölkerung, aber nicht nur der deutsch-französischen, wie noch zu zeigen sein wird. Im Allgemeinen kamen diese Übersetzungsprozesse spontan und unkompliziert zustande107 . Beispielsweise konnte ein Nachbar oder Fremder als Interpret dienen. Der Polizeikommissar Hoffmann zu Braunschweig brachte am 2. April 1813 einen Vorfall zu Protokoll, der in dieser Hinsicht aufschlussreich ist. Auf der Suche nach einem französischen cuirassier, der einen Anschlag abgerissen hatte, vernahm er den Gärtner Johann Heinrich Gebhardt Oppermann: den Tags Befehl d. 29.sten März a.c. in welchen bekannt gemacht worden, daß mehrere Russen getödtet und zu Gefangnen gemacht worden, und welches an die Ecken 105 106 107
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 1, Nr. 36: Bittschrift von Deligny, Küster der königlichen Kapelle in Kassel, 22. 3. 1809. Vgl. RANCE, L’identité collective. Die Memoirenliteratur der Soldaten der Grande Armée ist, besonders wenn sie den Russlandfeldzug betrifft, voller solcher Anekdoten über spontan entstehende Übersetzer- und Dolmetschertätigkeiten vom untersten bis zum obersten Dienstgrad. Vgl. u.a. MEYER, Erzählung der Schicksale und Kriegsabenteuer, 3 1838.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 4: Schnupftabakdose »Kosakenangriff«, vermutlich von Stockmann, 1. Viertel 19. Jahrhundert, 2,1×9,5 cm, Privatsammlung. Die russische Kavallerie vertreibt französische Soldaten in einer Schneelandschaft. Im Vordergrund ein um Gnade bittender Franzose, der von einem reitenden Kosaken, der eine Lanze trägt, gepeitscht wird.
der Gaßen angeschlagen worden war, [ist] in der Gegend des August Thors abgerissen [worden]. Oppermann [deklarierte gemerkt zu haben, wie] mehrere Leute an der Ecken gestanden, und den Tags Befehl gelesen hätten, er sei ebenfalls hinzu getreten, um denselben zu lesen. Ein Französischer Cuirassier habe ebenfalls unter diesen Leuten gestanden, habe im gebrochenen deutsch gefragt, was da angeschlagen sei. Es sei denselben hierauf gesagt, daß 200 Mann Russen getödtet und 17 zu Gefangenen gemacht worden, der Franzose habe hierauf erwiedert. ›Spricht man die 200 Mann Russen todt, 17 Cosacken Gefangen, aber man sagt nicht wie viel Franzosen todt und gefangen genommen wurden. Ich bin in Moscau gewesen, und weiß die Russen zu schätzen, und noch hinzugesagt S. V. Scheiss, und habe in 2 malen von der Ecken den Tags Befehl abgerißen‹.108
Der französische cuirassier, ein Rückkehrer vom Russlandfeldzug, äußerte mit dieser Aktion und seinem Wutausbruch zugleich seine Desillusion über die Kriegszüge Napoleons und die Informationspolitik der französischkaiserlichen und westphälischen Macht, die mehr eine propagandistische Desinformationspolitik war. Er sprach zwar nur gebrochen Deutsch, aber seine Zweisprachigkeit genügte, um die versammelten deutschsprachigen Menschen auf der Straße vor dem Anschlag anzusprechen und mit ihrer Hilfe den Inhalt des Anschlags zu erschließen. Auf der Grundlage allein dieses Polizeiprotokolls ist nicht klar, ob der Anschlag nur auf Deutsch verfasst war und der cuirassier vielleicht die deutsche Schrift nicht entziffern konnte, oder ob der Anschlag in beiden Sprachen vorlag und der cuirassier ihn nicht lesen konn108
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 507: Abschrift einer Deklaration von J. H. G. Oppermann, protokolliert von Hoffmann, Polizeikommissar in Braunschweig, 2. 4. 1813.
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te, weil er zwar mehrsprachig, aber Analphabet war. Bei Hinzuziehung der weiteren in der gleichen Polizeiakte überlieferten Dokumente wird jedoch offenkundig, dass es sich hier um einen zweisprachigen Analphabeten französischer Muttersprache handelte, der sich den Inhalt eines zweisprachigen Anschlags auf Deutsch vorlesen ließ und somit die Leute auf der Straße zu seinen Vorlesern und in gewisser Weise zu seinen Übersetzern vom Schriftlichen ins Mündlichen machte. Am 1. April meldete nämlich der Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei François Thibault de Guntz seinem Vorgesetzten Bongars nach Kassel, er schicke ein Exemplar des ordre du jour vom 29. März, des Tagesbefehls des Präfekten in Braunschweig, den dieser auf die Bitte des Generals de Monthion hatte drucken lassen109 . Der besagte Tagesbefehl war beigelegt und dieser war, wie zu erwarten, regulär in zwei Spalten und zwei Sprachen ausgeführt 110 . Dies bedeutet, dass ein zweisprachiger Analphabet französischer Herkunft über Dritte, nämlich einsprachige deutsche Schriftsässige, durch Vorlesen auf Deutsch trotz geringer deutscher Sprachkenntnisse Zugang zum Inhalt des Anschlags erhielt – und dies, obwohl der gleiche Text eigentlich auch in seiner Muttersprache zur Verfügung stand. Da der französische cuirassier nicht lesen konnte, hatte er sich in der Hoffnung zu ihnen gesellt, er werde unter den Leuten, die sich um den Anschlag versammelt hatten, bestimmt jemanden finden, der ihm entweder den französischen oder den deutschen Text vorlesen würde. In den Polizeiakten finden sich einige weitere Spuren von solchen mehrsprachigen Analphabeten, die zudem recht mobil waren. Louis Verano war Italiener – aus dem Piemont – und sprach Französisch und Deutsch. Er konnte sein Verhörprotokoll nicht eigenhändig unterschreiben, weil er »des Schreibens unkündig, folgende drei Kreutze gemacht hat«111 . Simon Grandjé, Domestik des Herrn Armand, französisch-kaiserlicher Kriegs-Postdirektor, sprach Deutsch und Französisch, war mit einer Magdeburgerin verheiratet, konnte aber sein auf Französisch verfasstes Verhörprotokoll nicht eigenhändig unterschreiben: »Nachdem ich dem Comparenten diese deposition vorgelesen hat er dieselbe genehmigt, aber auch erklärt, daß er nicht schreiben könne«, gab Polizeikommissar Müller zu Protokoll112 . Johann Gottfried Straubing – 109 110 111 112
Vgl. ibid., Nr. 10 509: Schreiben Nr. 972 von F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, an J. F. M. de Bongars, 1. 4. 1813. Vgl. ibid., Nr. 10 510: Ordre du Jour du Général de Monthion, Magdeburg, 29. 3. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 692–10 700, Nr. 10 693: Verhörprotokoll von L. Verano, 29. 7. 1812. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 599: Verhörprotokoll von A. H. Blume, Gastwirt in Braunschweig, und von S. Grandjé, Domestik des Herrn Armand, französisch-kaiserlicher KriegsPostdirektor.
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oder Stauberg – wurde wegen Staatsblasphemie gegen den König in Kassel von J. P. Rosenmeyer verhört. Aufgrund seiner zehnjährigen Söldnerdienste in England ist anzunehmen, dass er Grundkenntnisse der englischen Sprache hatte. Sein Verhörprotokoll konnte er jedoch nicht eigenhändig unterschreiben, da er »des Schreibens unkündig […] folgende drey kreutze gemacht [hat]«113 . Diese Beispiele weisen darauf hin, dass die westphälische Gesellschaft genügend Mehrsprachige in den unteren Gesellschaftsschichten zählte, um die deutsch-französische Sprachbarriere zu überwinden114 . Außerdem gestalteten sich die Lesekultur und das Leseverhalten als kollektive Erlebnisse, ob in der Kirche, in der Kneipe, auf der Straße, in der Stube oder anderswo, so dass auch Analphabeten am Meinungsbildungsprozess teilnehmen konnten115 . Deswegen kann vermutet werden, dass solche scheinbar komplizierten Übersetzungs- und Dolmetschungsprozesse offenbar ganz unbeschwert kollektiv von den westphälischen Zeitgenossen, unter komplementärer Einbeziehung der mehrsprachigen Kompetenz einiger und der Lesekompetenz anderer, bewältigt wurden116 . Wenn nach Übersetzungsvorgängen und Übersetzern gesucht wird, sollte man zudem die vielen Übersetzungsprozesse von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit – wie das Protokollieren durch die Polizeikommissare – und von Schriftlichkeit zu Mündlichkeit über das Verlesen mitberücksichtigen117 . Das kollektive Verlesen von Nachrichten, Proklamationen, Briefen 113 114
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Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3424–3430, Affäre Straubing. Über die Französischkenntnisse der »kleinen Leute« in der Frühen Neuzeit in deutschen Territorien vgl. SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 47. Vgl. FRANÇOIS, Buch, Konfession und städtische Gesellschaft im 18. Jh. Der Alphabetisierungsstand in manchen Teilen des Königreichs Westphalen stellte sich teilweise für die Obrigkeit als Problem dar: Der Unterpräfekt in Bielefeld, Weserdepartement, berichtete z. B. über seine Schwierigkeiten, geeignete Kandidaten für die Stellen der Maires zu finden, die u.a. die Verlesung der staatlichen Bekanntmachung in ihren Gemeinden übernehmen konnten. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 53 f. Eine anschauliche Anekdote über Bibelbesitz und Analphabetismus findet sich ibid., S. 261. Für einige Aspekte dieses Themenkomplexes vgl. die Beiträge aus der Alphabetisierungsforschung: ENGELSING, Analphabetentum und Lektüre; FRANÇOIS, Volksbildung am Mittelrhein; HINRICHS, Zum Alphabetisierungsstand in Norddeutschland um 1800; SCHENDA, Orale und literarische Kommunikationsformen; PETRAT, Der Kalender im Hause des Illiteraten und Analphabeten; FRANÇOIS, Alphabetisierung und Lesefähigkeit; FRANÇOIS, Regionale Unterschiede der Lese- und Schreibfähigkeit; BÖDEKER, HINRICHS (Hg.), Alphabetisierung und Literalisierung; BROSZINSKI, illiteratissima urbs?; PRASS, Schriftlichkeit auf dem Land. Für weitere Aspekte vgl. die Beiträge über die Lesekultur und die Semiliterarität: SCHENDA, Volk ohne Buch; ENGELSING, Der Bürger als Leser; MANDROU, De la culture populaire aux XVIIe et XVIIIe siècles; CHARTIER (Hg.), Pratiques de la lecture; DARNTON, First Steps Toward a His-
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und so weiter hatte, wie noch zu sehen sein wird, zu Beginn der westphälischen Herrschaft bereits lange Tradition. Dies mag erklären, dass die 1807 aufgekommene deutsch-französische Sprachbarriere im Empfinden eines breiten Spektrums der Gesellschaft nicht als maßgeblich für die alltägliche Aushandlung der Kommunikationsbasis angesehen werden kann. 1.3. Doppelauftrag Mierzinskys: Dolmetscher, Übersetzer und Zensor bei der kaiserlich-französischen Verwaltung Ein weiterer Dolmetscher, der hier wegen der Besonderheit seines Doppelauftrags vorgestellt wird, obwohl er mit der westphälischen administration nur beiläufig in Berührung kam, ist Ignaz August Mierzinsky. Er war 1807 beim französischen Specialkriegsconseil und beim Domäneninspektor Claude Baptiste Joseph Boiteux in Hannover als Dolmetscher vereidigt worden. Bald darauf wurde er Generalsekretär der dort neu eingerichteten Generaldirektion der Domänen und ab 1809 arbeitete er unter LouisPhilibert-Brun d’Aubignosc, dem Nachfolger von Boiteux118 . Mierzinsky versah »mit Hülfe eines von Cassel zu requirirenden Individuums« zugleich die »Untersuchung aller von nordwärts ins Land kommenden Briefe«119 . Später arbeitete er unter d’Aubignosc für die Polizeidirektion in Altona120 . Aus Posen gebürtig, war Mierzinsky bereits 1800 als Handelsgehilfe nach Hannover gekommen. Nach der napoleonischen Ära fand er Anstellung in der Helwingschen Hofbuchhandlung zu Hannover, die ihm 1833 übertragen wurde121 . Mit seinem Aufstieg vom Handelsgehilfen zum Besitzer einer Buchdruckerei und -handlung in seiner Wahlheimat Hannover scheint er durchaus erfolgreich gewesen zu sein. Mierzinsky ist Autor der »Erinnerungen aus Hannover und Hamburg aus den Jahren 1803–1813, von einem Zeitgenossen«, die unter anderem einen Einblick in die Alltagsgeschäfte eines Dolmetschers gewähren122 . Da
118 119
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tory of Reading; CHARTIER (Hg.), Les usages de l’imprimé; BÖDEKER, CHAIX, VEIT (Hg.), Le livre religieux et ses pratiques; MEDICK, Ein Volk »mit« Büchern, 1992; BÖDEKER (Hg.), Lesekulturen im 18. Jh.; BÖNING, »Ist das Zeitungslesen auch dem Landmanne zu verstatten?«; CHARTIER (Hg.), Histoires de la lecture; CHARTIER, LÜSEBRINK (Hg.), Colportage et lecture populaire; MEDICK, Ein Volk mit Büchern, 1997; CHARTIER, CAVALLO (Hg.), Die Welt des Lesens. Vgl. HAUSMANN, Erinnerungen, 2 1904, S. 58; MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 59; [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 63. Mierzinsky arbeitete zwar in erster Linie im von Frankreich annektierten Hannoverschen vor dessen Vereinigung mit dem Königreich Westphalen und nur in zweiter Instanz für das Königreich Westphalen, findet dennoch hier Erwähnung, weil die Quellenlage insgesamt sehr dürftig ist. Vgl. SCHMIDT, Die französische Polizei in Norddeutschland. Vgl. ROTHERT (Hg.), Allgemeine hannoversche Biographie, Bd. 3, Anhang, S. 349. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft.
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d’Aubignosc »der deutschen Sprache unkundig [war], ließ er sich Alles von M.[ierzinsky] mündlich oder schriftlich vortragen«. Obwohl Mierzinsky sich der dritten Person bediente und seinen Namen mit »M.« abkürzte, machte er seinen Lesern deutlich, dass er durch seine Sprachkenntnisse viel Einfluss besaß123 . Neben den schriftlich-übersetzenden und mündlichdolmetschenden Verrichtungen für seinen Vorgesetzten d’Aubignosc wurde Mierzinsky herangezogen, um zwei Kriegsgerichten im Jahre 1807 Hilfe zu leisten: »Das im Jahre 1804 errichtete Specialkriegsconseil war [1807] wieder in Wirksamkeit und ein Ähnliches wurde von den Spaniern errichtet. Bei beiden war der Verfasser dieser Erinnerungen als Dolmetscher beeidigt«124 . Hieraus geht hervor, dass Mierzinsky neben der französischen auch die spanische Sprache beherrschte. Wie er zu diesen Sprachkenntnissen gekommen war, bleibt jedoch unklar. Über die Prozedur der französischen und spanischen Specialkriegsconseils schreibt er: Waren bei der Untersuchung Verhöre mit Personen, der französischen (oder spanischen) Sprache unkundig, nöthig, so diente dabei der Dolmetscher, der auch die erforderlichen Übersetzungen machte, wenn bei der Untersuchung Documente vorkamen125 .
Daraus geht hervor, dass er vor Gericht sowohl Schriftstücke übersetzen als auch dolmetschend tätig sein sollte. Zudem wird die Wichtigkeit der dolmetschenden und übersetzenden Funktion im Zusammenhang mit diesen Kriegsgerichten sichtbar: Wenn über die Beurteilung von Angeklagten im Rahmen eines französisch-kaiserlichen oder spanischen Kriegsgerichts entschieden werden sollte, war es nicht belanglos, wie und mit welchen Nuancen in der Wiedergabe der Dolmetscher sein Amt verrichtete126 . Mierzinsky fügte hinzu: »Todesurtheile fielen in Hannover nur wegen MilitairInsubordination und Mord vor. Nie wegen politischer Verbrechen, worüber die Untersuchungen sehr nachsichtig geführt wurden«127 . Diesem Nachsatz, der objektivierend versucht, voreiligen Urteilen über zu unrecht erfolgte Verurteilungen vorzubeugen, könnte man die Sorge entnehmen, als Dolmetscher nachträglich für von den Kriegsgerichten gefällte Urteile mitverantwortlich gemacht zu werden128 . 123 124
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Ibid., S. 54. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 35. Der Hintergrund für das spanische Kriegsgericht in Hannover im Jahre 1807 ist, dass spanische Hilfstruppen nach Hannover kamen. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 35 f. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 35. Ibid., S. 36. Dieser Vorwurf gegen die französische und westphälische Gerichtsbarkeit, insbesondere gegen die Kriegstribunale, war in den Memoiren der Zeitgenossen aus
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Die angedeutete offene und unbestimmte Möglichkeit der Einflussnahme auf den Verlauf der Prozessführung bestätigt ein weiterer Bericht Mierzinskys. Im Rahmen der Ermittlungen gegen Bauern aus der Gifhornschen Gegend, die einen Aufstand gewagt hatten, wird deutlich, dass der Dolmetscher zwar im Auftrag des Verwaltungsapparats vereidigt war, sich jedoch im Dienste der administrés geschickt und verdeckt einschalten konnte129 . Bezüglich seiner Rolle in den Verhören schreibt er über sich, weiterhin distanziert in der dritten Person: Bei ihren naiven Aussagen konnten sich der Capitaine Rapporteur und der Dolmetscher kaum in dem nöthigen Ernst halten, und mußten bedauern, daß die Inquisiten sich ohne Rettung um ihren Hals reden. Jedoch ihre Dummheit bemitleidend, obgleich ihre feste Entschlossenheit zu einer gelegeneren Zeit gefährlich werden konnte, wurden Schritte eingeleitet, um das ihnen bevorstehende unglückliche Loos abzuwenden. […] Am frühesten Morgen des zum summarischen Verhöre und Urtheil bestimmten Tages wurde der Dolmetscher zum General Laffallcette entboten, erhielt die Parole, um in die Cachots zugelassen zu werden, und die Schuldigen unterrichten zu können, wie sie im summarischen Verhöre aussagen und Alles, was sie bis dahin bekannt, widerrufen sollen. Die Special-Richter (Officiere von den Garden), waren schon zu ihren Gunsten im Voraus gewonnen. Sollte man es wohl glauben? Die Gefangenen waren von ihren Ideen so besessen, daß der Dolmetscher mit seinen Vorschlägen kaum Eingang gefunden hätte, wäre es ihm nicht gelungen, die Weiber dafür zu gewinnen, welche die Verblendeten endlich auf den rechten Weg brachten, daß sie von ihren Versicherungen ›die Verjagung der Franzosen, wozu sie so viele Mittel hätten, beabsichtigt zu haben‹ abstanden und die ihnen in den Mund gelegten Aussagen beim summarischen General-Verhöre stotternd vorbrachten130 .
In Bezug auf seine Alltagsgeschäfte als Dolmetscher zeigt diese pikante Anekdote, dass es nicht allein um die sprachliche Verständigung ging. Auch das Vorsprechen bei Staatsvertretern, geheime Absprachen und Übereinkünfte zu treffen, im Gefängnis ein- und auszugehen, sich dort bis in die cachots zu begeben131 und mit Aufrührern gegen die napoleonische Herrschaft geheime aufklärende Gespräche und Anweisungen zu führen, die zu deren Rettung dienen sollten, gehörte dazu. Dabei konnte es auch zu erheiternden Momenten kommen: Die Bauern, auf ihrer Aussage beharrend, sie seien antinapoleonisch bewegt, sorgten dafür. Im Ganzen wird das Kriegs-
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der Restauration gängig. Im dritten Teil wird auf diesen Punkt noch eingegangen. Über den Bauernaufstand in der Gegend von Gifhorn, Braunschweig und Halberstadt im Herbst 1807, dessen Anführer der Schuster Gelbke war, berichtet auch Thimme, der z.T. Mierzinskys Angaben widerspicht. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 421 f. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 39 f. Bezeichnenderweise wählt der Autor den französischen Begriff für Kerker. Damit spielt er wahrscheinlich auf den zeitgenössischen Diskurs an, der die Fremdherrschaft als Sklaverei darstellte. In diesem Kontext konnten die Gefängniszellen nur altertümlich »cachots« genannt werden.
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gericht hier auch als Farce dargestellt, wenn selbst die Richter die Aussagen der Angeklagten dahin zu lenken suchten, dass diese sich entlasteten. Mierzinskys Darlegung dieser Episode ist sprachlich und stilistisch sehr reichhaltig und lebhaft: Er scheut nicht vor der Verwendung von starken Sprachbildern und dem Ausmalen von Mimik und Gestik der Beteiligten zurück. Es sind da der »Capitaine Rapporteur« und der Dolmetscher, die sich vor Lachen kaum halten können, es sind die sturen, bockigen und stotternden Bauern132 , es ist – so könnte man meinen – der vor argumentativer Hilflosigkeit gestikulierende Dolmetscher, es sind womöglich die ebenfalls gestikulierenden und in ihrem Soziolekt wortstarken »Weiber«, die ihre Männer zurechtweisen. Die Bauern wechseln in der Darstellung des Dolmetschers zwischen den Sprachbildern der »Verblendeten« und der Einfältigen, denen die Aussagen »in den Mund gelegt« werden mussten133 . Die Schwere der Aufgabe für den Dolmetscher und die Bandbreite seiner Tätigkeit als Übersetzer kommen dabei nicht zu kurz. Die Anekdote zeigt, dass Mierzinsky eigenmächtig mehrere taktisch herausfordernde Vermittlungsgänge diplomatischer und kultureller Art auf sich nehmen musste. Was den diplomatisch-politischen Vorgang angeht, so ist zunächst das Taktieren im Vorfeld zu betonen: Der Dolmetscher und seine ungenannten Mittelsmänner erarbeiten sich Handlungsspielräume, damit Mierzinsky bei den Bauern vorsprechen und sie anweisen kann; die Richter werden insgeheim unterrichtet und für den geplanten Ablauf der gerichtlichen Verhandlung gewonnen. Was die kulturellen Vermittlungsprozesse angeht, beinhaltet diese Geschichte mehrere Ebenen. Da ist zunächst der Dolmetscher, der an den Bauern scheitert und erst über die Bauersfrauen sein Ziel erreicht. Diese vermitteln, geschlechtsspezifisch erfolgreich, bei ihren Ehemännern, was sich wohl auch daraus erklärt, dass die Bauersfrauen mit ihren Männern in ihrem vertrauten Dialekt reden konnten. Ihr gemeinsamer Soziolekt verlieh ihnen von vornherein mehr Erfolgschancen als der welterfahrene Posener Mierzinsky jemals haben konnte. Vor dem sprachlichen Vermittler ist jedenfalls gelegentlich ein kultureller Vermittler gefragt, ein versierter politischer Tak-
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Sicherlich ist die Aussage Mierzinskys über seine eigene entscheidende Handlung zugunsten der Verdächtigten kritisch zu hinterfragen. Mierzinsky könnte sich heldenhaft als Retter der Bauern dargestellt haben, weil ihn dies im Nachhinein hätte entlasten können. Er spielt auf die Gefahr der Überführung seiner Person an, wobei er selbst ausgeführt hat, dass politische Verbrechen nie durch die »Specialkriegsconseils« mit Todesstrafe belegt wurden. Ein weiteres Geschlechterkonstrukt mit den hinterlistigen Frauen und den dummen Bauern, die sich von ihren Frauen beherrschen lassen, erinnert an ein gängiges Bauernkriegsmotiv. Vgl. u.a. ULBRICH, Bäuerlicher Widerstand in Triberg; DIES., Unartige Weiber. Vgl. ferner DIES., Shulamit und Margarete, S. 175. Über die zentrale Rolle von Sprachbildern vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes.
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tierer134 . Die Sprachkundigkeit war somit nur ein Aspekt der Übersetzungsund Dolmetschertätigkeit, wie der Fall Mierzinsky offenkundig macht 135 . An einer weiteren Stelle in seinen Erinnerungen stellt sich Mierzinsky dar, als habe er im Rahmen seiner Tätigkeit für die Domänenverwaltung unbemerkt Partei zugunsten der administrés ergriffen. »Der geheime Auftrag aber für M.[ierzinsky] war, die États de Consistance, welche die namentlichen Schuldner und ihre schuldigen Beträge enthielten, aus den Archiven der Intendance zur Vernichtung herauszukriegen zu suchen«. Der Trick, den er dazu anwandte, war, diese Akten zwecks Übersetzung abends auszuleihen und danach einen Brandfall vorzutäuschen, um sie endgültig zu vernichten und damit viele begüterte Personen von ihren Geldschulden an die kaiserlich-französischen Machthaber zu befreien136 . Seine Sprachkenntnisse führten Mierzinsky in den engen Kreis eines Machtbereichs, in dem er sich leicht unter seinem französischen Dienstherrn die Finger hätte verbrennen können. Unter den sich nach 1813 neu ordnenden Verhältnissen war es auch für ihn zunächst ungewiss, ob man ihn für seine Nähe zur Macht unter der kaiserlich-französischen Herrschaft belangen würde. Im Kurfürstentum Hannover waren ehemalige »Franzosenfreunde«, wie es hieß, ebenso mit einer Prozessführung oder Ächtung von offiziellen Ämtern unter dem Vorwurf der »Kollaboration« gefährdet wie in Preußen oder Hessen-Kassel 137 . Dies erklärt seine Vorsichtsmaßnahme mit der Scheinanonymität, die ihm das »M.« für Mierzinsky in seinen »Erinnerungen« gewährte, sowie die dritte Person in seiner Erzählung138 . Allerdings schrieb er seine Erinnerungen im Jahr 1840 nieder und ließ sie im Jahr 1843 veröffentlichen, als er staatliche Repressalien nicht mehr zu befürchten hatte, ihm aber seine Hannoveraner Mitbürger Unverständnis entgegen bringen konnten. Ein weiteres Erklärungsmoment ist, dass die von Mierzinsky dadurch erzielte Distanz zum Erzählten seinen »Erinnerungen« 134
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Über den Typus des »kulturellen Vermittlers« schreibt Häberlein im nordamerikanischen Vermittlungskontext zwischen Indianern und Kolonialherren: »beide Seiten [waren] auf Dolmetscher angewiesen, die nicht nur zwischen unterschiedlichen Sprachen, sondern auch zwischen fundamental divergierenden Weltbildern und Wertsystemen zu vermitteln vermochten«. HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler, S. 298. Die geschlechtsspezifische Komponente dieser Anekdote ist nicht belanglos: Sie weist auf eine Kommunikationsweise hin, die für die Analyse des gesamten Kommunikationsspektrums im Untersuchungszeitraum sehr relevant ist, aber aus Gründen der Überlieferung kaum bearbeitet werden kann. Weiterführend vgl. u.a. ULBRICH, Unartige Weiber; DIES., Überlegungen zur Erforschung von Geschlechterrollen. Vgl. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 70 f. Vgl. HAASE, Politische Säuberungen; BERDING, Loyalitätskonflikte; HOFFMANN, Kollaboration in der napoleonischen Zeit? Für die zeitgenössische Diskussion vgl. ferner: Ueber die Rechte der Staatsdiener. Weiterführend vgl. GERSMANN, Im Schatten der Bastille, S. 183.
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eine objektivierende Perspektive verleiht und ihrer Authentizität in seinen Augen zugute kommt. Er ist nämlich stets um eine unemotionale Darstellung bemüht, womit allerdings die Anekdote mit den Gifhornschen Bauern und Bauersfrauen sehr kontrastiert 139 . Eine weitere Interpretationsmöglichkeit führt zu seiner ambivalenten Funktion als Übersetzer und Dolmetscher zurück: Vor 1813 musste er sich bei seinem geheimen Taktieren höchst vorsichtig und verdeckt verhalten. Was er an widerständigen Aktivitäten gegen die französisch-kaiserliche Verwaltung insgeheim geleistet hatte, war für viele Zeitgenossen nicht offensichtlich. Sein Beitrag zur napoleonischen Herrschaft war dem Anschein nach eher unterstützender Art. Vor 1813 hatte er ein riskantes Doppelspiel gewagt, das leicht zu seinem Nachteil hätte enden können, nach 1813 musste er sich womöglich für seine Tätigkeit als Übersetzer und Dolmetscher von d’Aubignosc rechtfertigen oder empfand zumindest einen Rechtfertigungsdruck, auf den die »Erinnerungen« eine Antwort waren. Das Problem der Anerkennung seines Könnens und Wirkens, zu dem ihn seine Sprachkenntnisse befähigten, teilte er, so gesehen, mit einem Zeitgenossen wie Cerfberr oder Dzondi. 1.4. In besonderem Auftrag: Rau – Domestik, Abschreiber und Dolmetscher Sucht man nach den Übersetzern und Dolmetschern in den Archivakten des Königreichs Westphalen, so finden sich gelegentlich ›falsche‹ oder fiktive Dolmetscher. Das Verhörprotokoll von Friedrich Rau, der sich als englischer Spion verdächtig gemacht hatte, ergibt, dass dieser sich zum Teil als Abschreiber und zum Teil als Dolmetscher verdingt hatte140 . Über seinen zwischenzeitlichen Verbleib machte er folgende Angabe: Von Sachsen wollte ich nach Berlin weil ich aber krank würde, so fand ich Gelegenheit zu Oberwiese laut anliegenden Certificat ein Unterkommen als französischer Dollmetscher wo ich mich dann bis zum 15ten 8br 1812 aufgehalten habe141 .
Glaubt man zunächst in Rau einen Domestiken gefunden zu haben, der neben seinen Diensten bei Militärangehörigen auch dolmetschende Tätigkeiten übernahm, so muss man bald feststellen, in die Irre geführt worden zu sein. Rau hatte lediglich behauptet, ein Dolmetscher zu sein. Im Laufe der Untersuchungen gegen Rau stellte sich aufgrund seiner Handschrift heraus, dass dieser mit einem gefälschten Zertifikat die Tätigkeit als Dolmetscher
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Die erste Selbsterwähnung, sieht man vom Vorwort ab, findet sich auf Seite 13. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 13. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 019–13 040, hier Nr. 13 020: Verhörprotokoll von F. Rau, 18. 2. 1813. Ibid.
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nachzuweisen gedachte142 . Es drängt sich die Frage auf, was er sich davon versprach. Eine Anstellung? Eine Vortäuschung von Normalität? Rau war offensichtlich bemüht, seinen Vernehmern mit seinem Täuschungsmanöver und der Annahme einer Identität als Dolmetscher etwas vorzuspielen, von dem er annahm, dass sie es als Normalität empfinden würden. Mit seiner Fiktion versprach er sich, Vertrauen in seine Glaubwürdigkeit zu wecken; die erfundene Dolmetscher-Karriere mit fingiertem Zertifikat zur Beglaubigung verwandte er, um seine Existenz vor der Obrigkeit zu rechtfertigen und sich weitgehend zu authentifizieren. Was er eventuell damit vor ihnen verbergen wollte – Werberdienste für die englische Armee, so ihre Vermutung –, könnte auch sein Mangel an Loyalität gegenüber den verschiedenen streitenden Mächten gewesen sein: Zunächst hatte er beim Herrn von Herzberg vom Ölsischen Korps als domestique gedient und ging mit diesem nach England. Als von Herzberg nach Portugal ging, wechselte er die Anstellung und wurde, ebenfalls in Portugal, domestique bei einem französischen Kommandanten des 46. Regiments. Dann wechselte er nochmals die Stelle und kam zu einem anderen französischen Offizier namens Bonafus. Von Portugal kehrte er schließlich zurück und begab sich nach Sachsen, wo er angeblich als Abschreiber und Dolmetscher in Oberwiese arbeitete. Von dort zog er nach Schlesien und weiter nach Posen, wo er beim Herrn Obrist Hambert vom westphälischen Generalstab Dienst als Kammerdiener fand143 . Auf die Frage: »Müssen Sie nicht gestehen, daß ihre vielen Reisen und avanturen einen Verdacht gegen sie als Vagabund erwecken?«, antwortete er: »Nein, ich muß dieses bestreiten, und ist die öftere und vielfältige Dienstverwechslung nicht auf meine Rechnung, sondern auf das der jetzigen Brodlosen Zeitumständen zu setzen«144 . Seine Motivation, sich ein gefälschtes Zertifikat zuzulegen, könnte insofern die Hoffnung gewesen sein, damit leichter zu einer Anstellung zu kommen. Bei den damaligen europaweiten kriegerischen Auseinandersetzungen mutet seine Argumentation, es sei schwierig gewesen, eine Anstellung als Domestik bei Militärangehörigen zu finden, jedoch recht befremdlich an. Der Vorwurf, ein Abenteurer zu sein, erinnert an die Beurteilung der Biographie von Cerfberr: Zu viel Mobilität, selbst wenn sie ein wesentliches Fundament für die Mehrsprachigkeit ihrer jeweiligen Akteure war, konnte schaden. 142 143
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Vgl. ibid., Nr. 13 021–13 022: Verhörprotokoll von F. Rau, 22. 2. 1813. Vgl. ibid., Nr. 13 020: Verhörprotokoll von F. Rau, 18. 2. 1813. Eventuell ist Oberst Jean François Sylvestre Humbert, Chef des Stabes der 23. Division des Westphälischen Korps, gemeint. Über den Verdacht, Werberdienste für England zu leisten, vgl. u.a. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 425. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 019–13 040, hier Nr. 13 020: Verhörprotokoll von F. Rau, 18. 2. 1813.
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Dass Rau mit dem falschen Zertifikat aufflog, schließt jedoch nicht aus, dass seine Wahrheit teilweise auf den Tatsachen beruhte und er gelegentlich eine kleine Nebenrolle als Dolmetscher gespielt hat. Der Fall Rau spricht für die Geläufigkeit der Beschäftigung von Dolmetschern bei französischkaiserlichen Truppenstationierungen. Die Tatsache, dass Rau sich als Dolmetscher im Dienste der französischen Truppen ausgab, weist auf die Existenz zahlreicher Personen mit dergleichen Aufgaben hin. 1.5.
Fazit aus den verschiedenen Übersetzerprofilen
Bis auf den Fall von Cerfberr haben insgesamt die Angaben über die Übersetzer, Dolmetscher und Kopisten aus der westphälischen Zeit eines gemeinsam: Es sind lediglich äußerst knappe biographische Zusammenhänge überliefert. Selbst über diejenigen, die namentlich auszumachen sind und die exemplarisch zur Herausarbeitung des Stellenwerts der Übersetzertätigkeit innerhalb ihrer Biographie und für die Kommunikationspraktiken in der westphälischen Gesellschaft herangezogen wurden, sind nur sehr dürftige Angaben vorhanden. Das Wenige, was sich über die namentlich übermittelten Übersetzer sagen lässt, ist symptomatisch, denn die meisten von ihnen sind schlicht in der Anonymität geblieben. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen den vielen von der westphälischen administration angestrebten Übersetzungsvorgängen und dem Mangel an darstellungswürdigen Übersetzerbiographien ist ein Hinweis auf die Selbstverständlichkeit, mit der diese Übersetzungsvorgänge bewältigt wurden wie auf die Tatsache, dass sie kein schwerwiegendes Hindernis für die Kommunikation im Königreich Westphalen darstellten. ›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher, die spontan Übersetzerdienste übernahmen, muss es demnach sehr viele gegeben haben. Die Schwierigkeit, Übersetzer beim Namen zu nennen, rührt sicherlich auch daher, dass sie meist als Zuarbeiter dienten, die wegen ihrer Sprachkompetenzen zum Teil Misstrauen und nur wenig Anerkennung ernteten. Die Ambivalenz ihrer Rolle zeigt sich an den Erfahrungen, die einige von ihnen machen mussten: So verdeckt einflussreich wie sie waren, so abrupt konnte ihre Tätigkeit enden. Ihre Existenzgrundlage, unabhängig davon, ob sie über Ansehen verfügten wie Mierzinsky oder Dzondi, oder weniger beachtet waren wie Cerfberr oder Beinter, war für alle sehr prekär. Eine Ursache dafür war, dass man sie mit ihrem Auftraggeber identifizierte und sie daher mit diesem auch in Ungnade fallen konnten. Bei den vorgestellten Übersetzern und Dolmetschern lassen sich einige häufiger wiederkehrende biographische Profile festhalten: Der Zusammenhang zwischen Erfahrungen beim Militär oder bei der Armeeverproviantierung, Erwerb von anderen Sprachen und daraus resultierenden Übersetzertätigkeiten wurde mehrfach deutlich. Außerdem sind Hugenot-
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tennachkommen und émigrés der Französischen Revolution häufig vertreten. Auch unter den Juristen übernahmen viele Übersetzungen, insbesondere der Gesetzestexte der neuen Herrschaft: Dies ist symptomatisch für den Schwerpunkt, den der westphälische Staat auf Rechtsordnungsreformen legte. In diesem Bereich ganz besonders mangelte es nicht an Bemühungen um weitläufige Übersetzungen, direkte oder erläuternde. Waren besondere Sprachkompetenzen vorhanden, so war dies den Lokalautoritäten oft bekannt, wie im Fall der russischen Studenten. Um wiederum mehrsprachige Kenntnisse in Übersetzertätigkeiten umsetzen zu können, kam es nicht allein auf diese Sprachfertigkeiten an: Es war vielmehr notwendig, eine gute Balance zwischen gesellschaftlichem Ansehen und Sprachkompetenzen herzustellen, um als Übersetzer gefragt und ernst genommen zu werden – einige Fälle aus der Übersetzungspraxis werden dies nochmals nahe legen. Allen war gemeinsam: Einer Karriere als Übersetzer oder Dolmetscher konnten sich die Wenigsten rühmen, schon gar nicht nach 1813.
2. 2.1.
Übersetzungspraxis Mündliche und schriftliche Übersetzungsprozesse
Obwohl sich die Suche nach den Übersetzern und Dolmetschern als schwierig herausstellt, ist die Frage nach der Praxis von Übersetzungsvorgängen unerlässlich145 . Tatsächlich sind es nur wenige mündliche und schriftliche Übersetzungsprozesse der Behörden, die sich mit Exaktheit rekonstruieren lassen: Diese sollen exemplarisch ein ›Alltagsgeschäft‹ im Königreich Westphalen anschaulich machen. Wie die Übersetzungen am laufenden Band zu einer Routine im westphälischen Verwaltungshandeln wurden, hatte bereits ein Kommentar von Cerfberr über seine Übersetzungsarbeit nahe gelegt: Sie sei ein »travail […] machinal«, dem er wenig Befriedigung abgewinnen könne, schrieb er nach Frankreich146 . Worauf dieses Urteil eines Übersetzers eventuell auch anspielt, ist, dass die Übersetzungsvorgänge nicht nur fast automatisiert vor sich gingen: Sie waren auch mühselig, penibel und gelegentlich ungenau. In diesem Zusammenhang hat bereits Reinhard mit klarem Blick auf die besondere ›Chemie‹ von Sprache und Polizei in einer an den Kaiser gerichteten Überlegung auf die Schwäche der Hohen Polizei im 145
146
Zum Thema des Übersetzens als Handwerk, zu einigen Aspekten der Übersetzungspraktiken und einigen Profilen von Übersetzern vgl. LANG, K. Fr. Reinhard; SCHLIEBEN-LANGE, Das Übersetzungsbüro Dugas; DIES., La politique des traductions; ROCHE, »Völlig nach Fabrikenart«; DIES., Les traductions-relais; NOHR, Die französisch-deutsche »Übersetzungsmanufaktur«; ESPAGNE, Übersetzer in Paris und Leipzig; NOHR, Von Amberg bis Zweibrücken; ROCHE, Übersetzen am laufenden Band. AN Paris, BB11 67, Dossier Cerfberr, Note.
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Königreich Westphalen hingewiesen: »Eine Übersetzung von Aussprüchen, Briefen, Büchern, Sitten und Gebräuchen verwischt das Kolorit, und in Polizeisachen macht das Kolorit viel aus«147 . Einige weitere Hinweise aus dem Quellenmaterial sollen ermöglichen, einen Eindruck zu gewinnen über die vielfältigen Wege, die nötigen Übersetzungen zu bewerkstelligen. 2.1.1.
Generaldirektion der Hohen Polizei
Die Generaldirektion der Hohen Polizei besetzte ihre höheren Ämter überwiegend mit Franzosen, die keine Deutschkenntnisse besaßen. Da ihre Geschäftssprache aus diesem Grund Französisch war, ist die Untersuchung ihrer Akten aufschlussreich hinsichtlich der administrativen Übersetzungspraxis. Als Beispiel dienen zwei Berichte des Polizeiagenten Cerfy. Den Bericht vom 27. Januar 1813, den er zwar mit der Anrede an »Son Excellence, Mon Seigneuer le Comte de Bongars« ansetzt, jedoch in deutscher Sprache fortführt, schließt Cerfy folgendermaßen ab: »Ubrigens bitte ich Eur Excellence meinen Berichten, sich ganz vorleßen zu lassen, sonst werden sie zu kurz übersetzt«148 . Daraus lässt sich schließen, dass die Berichte der Polizeiagenten in deutscher Sprache entweder schriftlich mit einer zusammenfassenden Notiz in französischer Sprache versehen oder gänzlich mündlich übersetzt wurden. In einem weiteren Bericht von Cerfy vom 7. April 1813 heißt es: »Der gegenwärtige Zeitpunkt beraubt mir die Ehre mit Hochderoselben mündlich zu sprechen«, woraus sich schließen lässt, dass Cerfy zwar seine Berichte in deutscher Sprache verfasste, sich jedoch bei mündlichen Unterredungen mit Bongars ebenfalls der französischen Sprache bedienen konnte. In demselben Bericht schreibt er weiter: Was ich die Ehre hatte, an Eur Excellenz, wagen mir wegen fort zu bitten – Wann hoch deroselben meine Rapporten durch den Herren v. Judi durch sehen lassen möchten, um Notizen davon zu erhalten, so bin ich gänzlich überzeugt, dass ich die Gnade von Hochderoselben verdienen werde, und meine Bitten sind erfüllet 149 .
Mit dem Herrn »v. Judi« ist wahrscheinlich der Eskadronchef der Gendarmerie Tschudi gemeint, der bei der Generaldirektion der Hohen Polizei, als diese unter der Führung des Chefs der Gendarmerie Bongars stand, die wichtige Funktion des Übersetzers erfüllte. Tschudi ist auch der Autor einer »Carte du Royaume de Westphalie représentant l’emplacement des Brigades
147 148
149
Reinhard, zitiert nach: KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 136. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9787: Rapport von Cerfy, Polizeiagent in Mission in Schmalkalden, an J. F. M. de Bongars, 27. 1. 1813. Ibid., Nr. 9765: Rapport von Cerfy, Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 7. 4. 1813.
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de la Gendarmerie, gravée par Pinhas à Cassel« aus dem Jahr 1813150 . Mit dem Hinweis auf Tschudi liefert Cerfy drei Informationen zu den Übersetzungsvorgängen und zur Wissensvermittlung innerhalb der Generaldirektion der Hohen Polizei: Der Polizeiagent, der beide Sprachen beherrschte, zog es vor, auf Deutsch zu schreiben, hatte jedoch aufgrund seiner französischen Sprachfertigkeiten einen direkten Draht zum Polizeichef, dem er gelegentlich mündlich über seine Beobachtungen berichten durfte. Cerfy empfand es als eine Auszeichnung, dass Bongars Tschudi bat, ihm zusammenfassende Notizen seiner Rapporte in französischer Sprache zu erstellen. Tschudi hatte nicht offiziell den Posten eines Übersetzers oder dolmetschenden Sekretärs inne und verfügte außerdem offensichtlich über andere Kompetenzen, wie geographische und kartographische. De facto war er jedoch zusätzlich als vertrauter Übersetzer und Dolmetscher in den ausschließlichen Diensten des Polizeichefs Bongars tätig. Auch eine Angabe aus einer anderen Behörde bestätigt ex negativo die Annahme, dass die meisten Übersetzungsvorgänge verwaltungsintern geregelt wurden: Für die Präfektur des Fuldadepartements ist eine Rechnung über die Verwendung der der Präfektur bewilligten Bürokosten für das Jahr 1809 erhalten, derzufolge dem Translateur Dufou für den Monat Januar 100 Fr. bezahlt worden seien151 . Dies ist aber auch die einzige Angabe, die im Fall dieser Präfektur gemacht werden kann. Die Höhe der Bezahlung lässt vermuten, dass der genannte Übersetzer Dufou sicherlich weitere Nebentätigkeiten übernehmen musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Offensichtlich wurden nur wenige Aufträge verwaltungsexternen Übersetzern zur Ergänzung übertragen. Das dolmetschende verwaltungsinterne Verlesen von Agentenberichten stellte nach den obigen Angaben von Cerfy gegenüber der zusammenfassenden schriftlichen Übersetzung die schnellere und die ausführlichere Methode dar, die auch direkte Rückfragen bei Verständnisproblemen erlaubte. Aus den Rapporten von Bongars an den König ergibt sich, dass der mündlichen Stegreif-Übersetzung der Vorrang vor der schriftlichen Wiedergabe gegeben wurde, wie dies bereits im Fall von Cerfy deutlich wurde. In einem Bericht über ein Pamphlet, eine »parodie de l’oraison dominicale« heißt es: 150
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Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 56; TSCHUDI, Carte du Royaume de Westphalie. Demnach könnte Tschudi aus Lyon stammen und der Ausbildung nach Zeichner sein. Vgl. AUDIN, VIAL, Dictionnaire des artistes et ouvriers d’arts du Lyonnais, S. 67. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 56, Akte der Präfektur zu Kassel im Fuldadepartement, 1809–1813: »Rechnung über die Verwendung der, der Präfectur des Fulda Departements bewilligten Bureau Kosten fürs Jahr 1809« von G. J. G. A. von Reimann, 20. 1. 1810. Ein employé namens Dufou, der eine Weiteranstellung nach Abschaffung seiner Stelle als Sekretär des königlichen westphälischen Palastes suchte, wird auch in einem Schreiben vom Grafen von Wellingerode an den Grafen von Fürstenstein erwähnt, vgl. SML, A/3523/2009, Schreiben vom Grafen P. von Wellingerode an den Grafen P. A. von Fürstenstein, 28. 2. 1811.
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J’en joins une traduction à V. M. Elle ne rend pas aussie bien qu’en allemand le sens et l’application qu’on a voulu donner à cette piece; c’est pourquoi je transmets également à V. M. une Copie de l’original allemand, présuement bien qu’elle a quelqu’un auprès d’elle qui connoisse assez cette langue pour lui en éxpliquer tout le sens et le dessein de l’auteur de cette parodie152 .
Eine sinngemäße Übersetzung erschien dem Generaldirektor der Hohen Polizei nur durch mündliche Erläuterungen möglich, deswegen verwies er Jérôme auf die Hilfe von Personen an seinem Hof, die beider Sprachen mächtig waren, um den Sinn der Parodie besser als durch schriftliche Übersetzung zu erfassen. Hier tun sich unzählige Möglichkeiten von informellen Übersetzungsvorgängen auf. In Anbetracht eines von Friedrich Müller berichteten Kindheitserlebnisses wirken Bongars’ vorsichtige Mutmaßungen, der König werde doch sicherlich jemanden in seinem Hofstaat finden, der mit einer nuancierten Übersetzung und Erläuterung des Originaldokuments aushelfen könne, fast belustigend: Bei der Begleitung seines Vaters, der auf Schloss Napoleonshöhe als Handwerksmeister nachts Arbeiten zu verrichten hatte, erlebte er, dass die Königin selbst als Dolmetscherin ihres Mannes diente und auch unangenehme Aufträge auf sich nehmen musste: Er gab meinem Vater seine Zufriedenheit auf französisch, was die Königin verdeutschte, zu erkennen und ließ sich auch zu den noch unvollendeten Arbeiten führen. [Als er jedoch merkte, dass alle Gesellen wegen der Osterfeiertage weg waren,] verwandelte sich die bisherige Freundlichkeit in den heftigsten Zorn und er drohte meinem Vater mit sofortiger Verhaftung, wenn er die Arbeiter nicht wieder zur Stelle schaffe153 .
Selbst die Wutausbrüche des zornigen Königs scheint Königin Katharina gedolmetscht zu haben. Für die Generaldirektion der Hohen Polizei wurde in anderen Fällen einer genauen schriftlichen Übersetzung der Vorrang gegeben vor einer mündlichen Erläuterung. So schreibt der Generaldirektor der Hohen Polizei im Februar 1810 an den Präfekten des Fuldadepartements: Mr. de Stralenheim m’a fait l’honneur de me communiquer hier un avis du conseil d’administration de la garde nationale de Cassel auquel le Conseil Municipal a bien voulu l’adjoindre. J’ai craint d’avoir mal compris la traduction verbale que Mr de Stralenheim avoit la complaisance de faire à la hâte pour moi: je l’ai prié de me laisser le texte allemand et je l’ai fait traduire154 .
152 153 154
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 3, Nr. 383–441, Berichte von J. F. M. de Bongars an den König, 3. 5. 1811–10. 7. 1812: Bericht Nr. 896, 30. 5. 1811. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 17 f. Vgl. ferner KIRCHEISEN, König Lustig, S. 107. GStA PK, V. HA, Nr. 687, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, Januar–Mai 1810: Schreiben Nr. 1515 von J. C. A. Legras de Bercagny an G. J. G. A. von Reimann, 24. 2. 1810.
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Karl Wilhelm von Stralenheim, der Generalsekretär der Präfektur des Fuldadepartements in Kassel, hatte aus dem Stegreif für den Generaldirektor eine mündliche Übersetzung wiedergegeben, der dieser eine schriftliche folgen ließ, auf die er mehr vertraute155 . Um das Bild der mündlichen und schriftlichen Übersetzungsprozesse bei der Generaldirektion der Hohen Polizei zu vervollständigen, sei noch auf einen Bericht des Generalpolizeikommissars des Werradepartements François Joseph Hubert von Wolff hingewiesen. In Bezug auf eine vermeintliche Proklamation von Michail Illarionowitsch Kutusow an seine Soldaten erwähnt Wolff 156 : »pour épargner à Votre Excellence la peine, je l’ai traduite, & la joins-ci en allemand & en français«157 . Offensichtlich übernahmen die Generalpolizeikommissare die Aufgabe einiger Übersetzungen für die Generaldirektion. Aber das Original blieb trotz Übersetzung beim Aufspüren von Akteuren der antinapoleonischen Kritik weiterhin von Relevanz. Bei den polizeilichen Ermittlungen vor Ort konnten weitere Autoritäten spontan und je nach Bedürfnis eingeschaltet werden. So zeigt sich in der Affäre Dröder über einen Soldatenbrief aus dem Jahre 1813, dass der israelische Kantor von den Göttinger Polizeikommissaren herangezogen wurde, um die Übersetzung dieses Briefes aus dem Hebräischen zu übernehmen158 . So wie im Fall der russischen Studenten, zeigt sich hier, dass die Obrigkeit, um ihre besonderen Übersetzungsbedürfnisse zu decken, auf Lokalautorität oder notorisch bekannte Ausländer zurückgreifen konnte. Aus Münden, wo im Februar 1813 französische Truppen stationiert waren, wurde der Wunsch des Maires laut, »qu’il soit détaché dans cette ville un officier ou sous-officier de gendarmerie parlant les deux langues«159 . Die Generaldirektion der Hohen Polizei kam dem nach und schickte den Bataillonschef Gottlieb Heinrich von Osterhausen und den Gendarmen Bellermann, damit diese als Dolmetscher bei den Einquartierungen behilflich sein konnten160 . Wenn niemand vor Ort zu finden war, wurde auch 155 156 157
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Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 25. 1847, S. 1849. Vgl. ISKJUL’, Russische Flugblätter. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5737–5816, hier Nr. 5743: Schreiben Nr. 106 von F. J. H. von Wolff, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Marburg, an J. F. M. de Bongars, 27. 1. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3652– 3653: Verhörprotokoll von R. Dröder, 1. 5. 1812. Die Affäre Dröder ist im Online-Kapitel zum Medium »Brief« analysiert, vgl. Einleitung, Anm. 168. GStA PK, V. HA, Nr. 700, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 21. 11. 1812–22. 2. 1813: Schreiben Nr. 395 von J. F. M. de Bongars an F. von Reineck, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 21. 2. 1813; vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 701, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 22. 2.–Aug. 1813: Schreiben Nr. 403 von J. F. M. de Bongars an Haas, Polizeikommissar in Münden, 22. 2. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 760–10 792, hier Nr. 10 783: Schreiben Nr. 55 von G. H. von Osterhausen, Leutnant-Kolonel,
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
kurzfristig Verstärkung von außerhalb eingeholt, die über die notwendigen französischen Sprachkenntnisse verfügte – wie hier aus der nahgelegenen Hauptstadt Kassel. 2.1.2.
Polizeipräfektur zu Kassel
In den Korrespondenzregistern der Polizeipräfektur in Kassel findet sich ein Schreiben vom 20. März 1809 an den Präfekten des Fuldadepartements, das diesem vorwirft, den Brief eines Kasselaners namens Espé für diesen persönlich übersetzt zu haben161 . Damit hatte sich der Präfekt des Fuldadepartements zu einer Handlung überreden lassen, die nicht in seiner Amtstätigkeit vorgesehen war. Der getadelte Beamte hatte es übernommen, das Schreiben eines Administrierten auf Französisch zu verfassen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Sprachpolitik dargelegt, hatten die Staatsbeamten zwar Dolmetscher der Administrierten im übertragenen Sinn zu sein, jedoch sollte eine klare Grenze zwischen ihnen und den Administrierten bestehen. Ihre dolmetschende Tätigkeit sollten sie ganz offiziell ausüben und nicht inoffiziell in einer Grauzone im Vorfeld einer Verwaltungshandlung praktizieren. Die Empörung seines Vorgesetzten kam daher, dass Reimann seine Aufgabe offensichtlich missverstanden hatte. Erwartet hätte sein Vorgesetzter, dass der Präfekt die Beschwerde von Espé in deutscher Sprache angenommen, quittiert und mit der Weiterleitung eine zusammenfassende französischsprachige Notiz für seinen Vorgesetzten hinzugefügt hätte, so dass dem Antragsteller nicht der Eindruck vermittelt werde, ein Staatsbeamter schlage sich auf seine Seite und ergreife Partei für ihn. Der Präfekt, der nicht kenntlich gemacht hatte, dass er der eigentliche beauftragte Autor der Beschwerde war, schuf damit eine außerordentliche Konstellation: Der Staat im Auftrag eines Administrierten schrieb dem Staat als Adressaten eine Beschwerde. Er betrat somit, nach Ansicht der administration, eine rechtliche Grauzone. Die Beschwerden bedeuteten bereits schon per se für den Geschäftsgang der administration einen lästigen Aufwand: Wenn die Staatsbeamten nun auch noch anfingen, sich selbst zusätzliche Arbeit aufzubürden, indem sie die Anfragen und die Antworten erledigten, würden die Verwaltungsgeschäfte ins Unermessliche anwachsen. Dieses Dilemma wird der empörte Polizeipräfekt erkannt haben. Seine Reaktion zeigt, dass die administration um klare Grenzen zwischen Administrierenden und administrés bemüht war, die jedoch nicht jeder Beamte verinnerlicht hatte.
161
Kommandant der Gendarmerie im Leinedepartement, an J. F. M. de Bongars, 11. 4. 1813. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 684, Korrespondenzregister der Präfektur der Hohen Polizei zu Kassel, 7. 3.–31. 8. 1809: Schreiben Nr. 848 vom Polizeipräfekten in Kassel an G. J. G. A. von Reimann, 20. 3. 1809.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
2.1.3.
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Justizministerium und Gerichtsbarkeit
Im Staatsrat selbst halfen die zweisprachigen Mitglieder den anderen weiter. So pflichtet Siméon einem geistigen Verehrer, Professor Johann Anton Ludwig Seidensticker, bei: J’ai reçu […] votre ouvrage sur le code Napoléon, quoique je ne sache pas l’allemand, j’en ma bibliothèque. Mr. Leist m’a expliqué le passage où il en est question de moi, et je vous en remercie ainsi que des choses flatteuses que vous m’écrivez162 .
Die Gerichtsbarkeit arbeitete ihrerseits ausschließlich in deutscher Sprache. So ergibt sich aus dem Prozess des Herrn Focks gegen die Herren Bijohl (gelegentlich auch Biyol geschrieben) und Martel die Forderung: »im übrigen haben die Btn [Beklagten], wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind, einen Dolmetscher mit zur Stelle zu bringen«163 . Die Angabe ist eindeutig: Nicht der Kläger, sondern die Beklagten, die französischsprachigen Herren Bijohl und Martel, sollten selbst die Kosten für Dolmetscherausgaben tragen. Hier zeigt sich wieder, dass der Staat sich der Pflicht entledigte, für die sprachliche Verständigung der Französischsprachigen mit den Deutschsprachigen zu sorgen, wie es bereits im Fall der Schulpolitik gegenüber den französischsprachigen Einwandererkindern festgestellt werden konnte. In Bezug auf eine vermeintliche Sprachdominanz ist folgender Hinweis bemerkenswert: Die französische Sprache wurde den Deutschsprachigen nicht systematisch in allen Verwaltungsbereichen aufgebürdet. Wenn von einer Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche die Rede ist, so muss dies sehr nuanciert in Frage gestellt werden. Gerade im Fall von Gerichtsverhandlungen erhoben sich nach 1813 empörte Stimmen über Gerichtsverhandlungen und -urteile, die angeblich in französischer Sprache erfolgt wären, ohne genügende Anhörung des deutschsprachigen Angeklagten. Auf die Fragwürdigkeit dieser Behauptungen ist im Teil C noch näher einzugehen. Ein weiterer Aspekt geht aus dem angeführten Zitat hervor: Der Justizminister war bei Rechtsuntersuchungen, die er mitverfolgen wollte, darauf angewiesen, sich die Akten übersetzen zu lassen164 . Übersetzungen waren auf allen Gesellschaftsebenen nötig: Auch wenn die Gerichte es den Klä162
163
164
GStA PK, V. HA, Nr. 2032, Akte des Ministeriums des Innern, Gesuche, Erfindungen und andere Varia, 1808–1812: Schreiben von J. J. Siméon an J. A. L. Seidensticker, Juraprofessor an der Universität Jena, 6. 7. 1808. StA MR, Best. 265, 6., Nr. 29, Prozessführung, Verhörung von Zeugen, Sachverständige Protokolle, Erkenntnisse des Distriktziviltribunals zu Kassel, 1809– 1813: Mitteilung des Distriktziviltribunals in Sache Focks gegen Biyol und Martel, 11. 9. 1811. Vgl. StA MR, Best. 77a 1414, Akte die Widersetzlichkeit des Heinrich Roesser zu Sterzhausen gegen die Gendarmen Metz und Eskuchen betr., 1809: Schreiben vom Generalsekretären des Justizministeriums an den Präfekten des Werradepartements, 30. 8. 1809.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
gern und Beklagten überließen, selbst für einen Dolmetscher zu sorgen, so war für die Verwaltung damit jedoch noch lange nicht jeder Übersetzungsaufwand erledigt. 2.1.4.
Gefängnisse
Der Kommandant des Kasseler Kastells, des Staatsgefängnisses des Königreichs Westphalen, bediente sich seinerseits eines Gefangenen, des Übersetzers Georg Wilhelm Birnbach, um seine Korrespondenz in französischer Sprache zu führen165 . Für Birnbach bleibt zu hoffen, dass ihm seine besondere Funktion keine längere Haftzeit bescherte, auch wenn anzunehmen ist, dass ihm seine mutmaßlich privilegierte Stellung im Mikrokosmos des Kastells vermutlich nicht unrecht war166 . Die Übertragung einer übersetzerischen Tätigkeit auf Gefangene, wie im Fall Birnbach, scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Der Staatsgefangene Karl Christian von Gehren berichtet beispielsweise in seinen Erinnerungen über mehrere Situationen, in denen er als Dolmetscher für die Gendarmen fungierte, die ihn in Gewahrsam hielten. Im Rahmen seiner Überstellung vom Königreich Westphalen in das Kaiserreich Frankreich berichtet er über seine Ankunft mit anderen Staatsgefangenen in Mainz: Der Gouverneur sprach eben so wenig ein Wort deutsch, als unsere westphälischen Gensdarmen ein Wort französisch verstanden. Ich erbot mich zum Dollmetscher, welches aber der Gouverneur mit einem artigen Lächeln ablehnte. Es wurde also nach einem Officier geschickt, der beider Sprachen mächtig war. Bis dieser kam, unterredete sich der Gouverneur freundlich mit mir und ließ sich die Veranlassung unseres Hierseyns kurz erzählen. ›Aber, mein Gott, sprach er unter andern: hat denn Ihr König keine Mittel und Gewalt, eine Handvoll Insurgenten in seinem Lande in Verwahrung zu nehmen? Was sollen wir mit Ihnen hier in Maynz?‹ x. Der Officier erschien und wir mußten abtreten. Bald nachher kamen die Gensdarmen aus dem Zimmer und erklärten: der Gouverneur wolle nichts mit uns zu schaffen haben; unser Schicksal werde lediglich von der hohen Polizey in Maynz abhängen167 .
Der Gouverneur lehnte in diesem Fall zunächst dankend das Angebot Gehrens ab, ließ sich aber in informeller Weise auf ein klärendes Gespräch mit ihm ein. Ohne dass man direkt in das Amt des Sekretärs und Übersetzers 165
166
167
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées: Eintrag Nr. 13; GStA PK, V. HA, Nr. 699, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 4. 3.–7. 7. 1812: Schreiben Nr. 1002 von J. F. M. de Bongars an den königlichen Prokurator des Gerichts erster Instanz in Kassel, 1. 5. 1812. Die Kommunikationsvorgänge im Kastell und mit der Außenwelt scheinen weit durchlässiger gewesen zu sein als die zeitgenössische Mythologisierung des Kastells als Abbild der Bastille es zunächst vermuten lässt. Vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, La »Bastille« dans l’imaginaire social; DIES., Die »Bastille«; LÜSEBRINK, Der »Transfer« des 14. Juli 1789; vgl. ferner GERSMANN, Im Schatten der Bastille. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 113.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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des Gefängniskommandants geholt wurde wie Birnbach, konnten einem Gefangenen französische Sprachkenntnisse sicherlich nützlich werden. So erfuhr es Gehren zumindest, der beim Präfekten von Mainz später für gesellschaftliche Unterhaltungen ein- und ausging168 . Im Rahmen der Überführung eines englischen Matrosen namens John Williams erfährt man, dass der Gefangenenwächter Köhlert in Göttingen der englischen Sprache mächtig war und sich seiner Sprachkenntnisse zu einer ersten Befragung von Williams bediente. Guntz, der Generalpolizeikommissar, berichtete: »le Geolier de la prison civile, ayant été en Amerique et parlant quelques mots d’Anglois, a dresser sur le Matelot John Williams«169 . Weiter heißt es, dass »der Strafmeister Köhlert […] als vormal. Braunschw. Soldat mehrere Jahr in America gewesen, und dadurch die englische Sprache erlernt hat«170 . Die hier gegenübergestellten Informationen sind widersprüchlich: Mal heißt es auf Französisch, Köhlert würde einige Wörter auf Englisch beherrschen, mal auf Deutsch, er habe die englische Sprache erlernt. Jedenfalls ist die Angabe disqualifizierend und die übersetzerischen Mühen von Köhlert werden nicht recht ernst genommen: Indirekt weist dies darauf hin, dass die Art und Weise, wie man seine fremden Sprachkenntnisse erworben hatte, oder der Lebensumstand, dem man das Erlernen dieser Sprache verdankte, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf hatte, wie diese Sprachkompetenzen von den Zeitgenossen aufgenommen und akzeptiert wurden. Köhlert machte in dieser Hinsicht ähnliche Erfahrungen wie etwa die bereits erwähnten Léonnard oder Beinter. 2.1.5.
Staatssekretariat und Ministerium des Äußeren
Staatssekretär und Minister des Äußern war der französischsprachige Graf Pierre Alexandre von Fürstenstein, der den zweisprachigen Nicolas Paul Hugot als Generalsekretär beschäftigte. Der Gesandte des Königreichs Westphalen in Berlin, Graf Hugo Heinrich von Linden, fügte dennoch seinen Berichten an Fürstenstein deutschsprachige Dokumente hinzu, dessen Übersetzung er selbst unterzeichnete171 . Linden hätte davon ausgehen können, dass Hugot mündlich oder schriftlich für die Übersetzung der deutschsprachigen Dokumente sorgen konnte, bestellte diese jedoch lieber selber. Entweder war es ihm besonders wichtig, sich mit der Besorgung von Übersetzungen nützlich zu machen oder sich zu empfehlen, oder er hoffte damit, seinen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Linden ist als überaus akti168 169 170 171
Vgl. ibid., S. 139 f., 142, 144, 146, 152, 161. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 717–10 735, hier Nr. 10 719: Schreiben Nr. 586 PG von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 15. 3. 1813. Ibid. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 607, Berichte des Gesandten Grafen H. H. von Linden in Berlin, 1809–1810, hier Bl. 29–30: Bericht vom Grafen H. H. von Linden, Gesandter des Königreichs Westphalen in Berlin, 19. 9. 1809.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
ver Diplomat im Bereich der politischen Überwachung einzuschätzen; seine Übersetzungen gehen daher wahrscheinlich auf seinen Eifer zurück172 . An diesem einzelnen impliziten Arrangement für die Berichte Lindens an Fürstenstein wird ersichtlich, dass die anfallenden Übersetzungen nicht grundsätzlich vom Generalsekretär eines Ministeriums für den Dienstherrn erledigt wurden: Von Fall zu Fall konnten andere Regeln und Gewohnheiten für die Übersetzungsvorgänge entstehen oder ausgehandelt werden. Die Übersetzungsprozesse waren zwar notwendig und mühselig, doch wie sie zustande kamen, war nicht fest geregelt, sondern ergab sich aus den Konstellationen, Sprachfertigkeiten und Vorlieben der jeweils betroffenen Staatsbeamten. 2.2. Übersetzungen als Hürde für die administration und als Chance für die Administrierten 2.2.1.
Ungewissheiten und undichte Stellen
Analysiert man die Übersetzungspraktiken genauer, so fallen auch einige Unzulänglichkeiten der Übersetzungen auf. Über die Alltagsgeschäfte der Generaldirektion der Hohen Polizei unterrichtet mit einem anschaulichen Vorfall der Pagenlehrer Zinserling in seinen »Westphälischen Denkwürdigkeiten«: Einst fand ein Mann, der Berkagny’s Unterhaltung liebte, in seinen Büreaus folgendes Cirkularschreiben, das er eben an die Präfekten und Unter-Präfekten abgehen zu lassen im Begriff war: Je suis informé, qu’il existe encore dans le royaume des hommes, qu’on appelle Köther ou Kothsassen. On me dit, que ce mot signifie un homme assis dans la boue, Sachez, Monsieur, que ces denominations ignominieuses doivent disparoitre dans un royaume, dont le Souverain gouverne des sujets et non des serfs. Il est de Votre devoir, de veiller à ce qu’il ne reste plus aucune trace de l’ancien droit feodal etc. Berkagny’s Freund suchte ihm seinen Irrthum zu benehmen und stellte ihm vor, dass dieses Cirkularschreiben allgemeines Gelächter in den Provinzen erregen würde, dass die Benennung Köther oder Kothsasse gar nichts schimpfliches an sich habe, dass es ein altes Slavisches Wort sey, und also keinesweges aus dem Deutschen von Koth und sitzen hergeleitet werden könne. Schon war er im Begriff nachzugeben, als Herr Savagner, sein General-Sekretair, der jenes Cirkulair veranlasst hatte, den Einwurf machte, er habe in Hannover oft die Damen ihre Hunde Köther nennen hören. Berkagny wurde hierdurch aufs Neue so in Unruhe gesetzt, dass er den Staatsrath Müller um Entscheidung dieses Streits bat, und erst, nachdem diese erfolgt war, unterblieb das Cirkulare173 .
Die Generaldirektion der Hohen Polizei war darum bemüht, den Wortgebrauch im Sinne der neuen Staatlichkeit zu reformieren und Wörter zu tilgen, die die Prinzipien des Absolutismus, also der alten Herrschaftsverhältnisse, widerspiegelten. Aus diesem Grund störte sie die wörtliche 172 173
Vgl. PAYE, Die Polizei, S. 85; vgl. ferner SEVERIN-BARBOUTIE, Für das »Vaterland«, S. 190. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 43 f.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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Übersetzung von »Köther« und »Kothsasse«. Der Irrtum, der ihr dabei unterlief, wurde erst nach der wiedergegebenen Diskussion aufgeklärt. Interessant erscheint hier unter anderem, dass ein Freund oder Bekannter des Polizeichefs zufällig in diese Verwaltungsfrage miteinbezogen wurde. Neben den zahlreichen verwaltungsinternen Übersetzungsvorgängen erhielten auch Außenstehende, insofern sie das Vertrauen der Dienstherren genossen, die Möglichkeit, sich in das Alltagsgeschäft der Übersetzungen in der Verwaltung einzuschalten. Die Anekdote zeigt, wie arbeitsaufwändig die Übersetzungsprozesse werden konnten, insbesondere in Verbindung mit dem Eifer der Polizei, ihre Überwachung bis auf den Sprachgebrauch im Deutschen auszudehnen. Ein weiteres Beispiel legt nahe, dass die Übersetzungsprozesse für die Behörden nicht nur mühselig waren und in die Irre führen konnten, sondern auch ›undichte‹ Stellen für vertrauliche Informationen darstellten. Der Oberförster Speth aus Vorsfelde bei Wolfsburg wurde für die besoldete Beobachtung des Präsidenten der westphälischen Ständeversammlung, Graf Karl Friedrich Gebhard von der Schulenburg-Wolfsburg, von der Polizei angeworben. Speth wandte sich jedoch an seinen Bekannten, den Friedensrichter Bode zu Bardorf, um seine Agentenberichte von ihm ins Französische übersetzen zu lassen, bevor er sie seinen Vorgesetzten bei der Hohen Polizei zukommen ließ. Bode nahm die Bitte an, beeilte sich jedoch, die Bespitzelten über die Berichte zu unterrichten174 . Der Polizeiagent hoffte, sich durch Berichte in französischer Sprache bei seinen Auftraggebern einschmeicheln zu können. Durch den inoffiziellen Übersetzungsprozess wurden die Bespitzelten noch vor der Hohen Polizei über die Überwachung informiert. Die Bemühungen der Geheimagenten, ihren Vorgesetzten mit auf Französisch verfassten Berichten entgegenzukommen, war eine häufige Tendenz, die für die Bespitzelten mit Gewissheit nicht nur negative Folgen hatte: Das Bildungs- und Sprachniveau der Geheimagenten machte ihre Rapporte gelegentlich schwer verständlich. Die Berichte in französischer Sprache sind insbesondere durch fehlerhafte Orthographie, Grammatik und zahlreiche Germanismen gekennzeichnet, die eine zügige Entschlüsselung des Inhalts erschweren175 . Hier sind die Berichte gemeint, »die in einem so miserabelen Französisch geschrieben sind, daß es schwer fällt, sie zu enträthseln«176 , was sicher noch einige Interpretationsarbeit in den Büros der Hohen Polizei in Kassel erforderte177 . Wenn die Polizeiagenten, wie Speth, Dritte ins Ver174 175 176 177
Vgl. ZIMMERMANN, Graf Bülow, S. 49 f.; THIMME, Neue Mittheilungen, S. 99 f. Vgl. ibid., S. 122 f. Ibid., S. 131. Auch bei den auf Deutsch verfassten Berichten scheint es sich gelegentlich um »drolliges Geschmiere« gehandelt zu haben: WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 20. Es ist anzunehmen, dass aus diesem Grunde die
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
trauen zogen, um die Übersetzung ihrer Rapporte zu bewerkstelligen und dadurch die Diskretion der Polizeiüberwachung aufflog, so war der Schaden für die Polizei größer als der Nutzen. Wenn die Polizeiagenten jedoch selbst versuchten, ihre Rapporte auf Französisch zu verfassen, so entstanden Texte in einer unverständlichen Sprache voller Germanismen. Wenn der Übersetzungsvorgang im weitesten Sinne bei den Autoren selbst lag, war das Ergebnis oft auch nicht sehr leicht zu entziffern. Bei allen Nachteilen, die dies für die Verwaltung brachte, ergaben sich aus diesen Verständigungsschwierigkeiten wiederum Handlungsspielräume für die Bespitzelten und Administrierten. 2.2.2. Widerspruch zwischen französischem Originaltext und deutscher Übersetzung im »Westphälischen Moniteur« Am Beispiel der offiziellen Zeitung der westphälischen Herrschaft, dem »Westphälischen Moniteur«, wird die Bedeutung von Übersetzungsschwierigkeiten für die Zeitgenossen deutlich178 . Der »Moniteur« stand oft im Verdacht, irreführende Informationen zu verbreiten, die auf Unstimmigkeiten in der Übersetzung zurückgingen179 . Die Unstimmigkeiten bei den deutschsprachigen Pressemeldungen und Nachrichten, die durch die unmittelbare Gegenüberstellung der Mitteilungen in beiden Sprachen entstanden, muten zum Teil grotesk an. So wird es die Leser des »Westphälischen Moniteur« eher amüsiert haben, dass im Rahmen des Aufruhrs von 1809 in den Fuldaund Werradepartements, die Rede von »Zusammenrottierungen« statt von »Zusammenrottungen« war180 . Auch war sicherlich für den deutschsprachigen Leser unverständlich, was unter dem »angestellten Mittagsmahl« zu verstehen war, wenn der Übersetzer des »Moniteur« die »Toasts […] portés à la
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Berichte nicht lediglich übersetzt wurden, sondern in diesen Übersetzungen bereits eine weitgehende Interpretation der Texte enthalten war. Vgl. HOLZAPFEL, Das Königreich Westfalen, S. 164. Einige Übersetzer werden sicherlich Gefallen an der Umwandlung ihrer Übersetzungstätigkeit in eine Interpretationsarbeit gefunden haben. Vgl. BERDING, Loyalitätskonflikte, S. 243 f. Vgl. PETRI, Der Moniteur Westphalien. Als Redakteur des »Westphälischen Moniteur« war anfänglich Norvins tätig. Vgl. NORVINS, Mémorial, Bd. 3, S. 234–255; BOUDON, L’exportation du modèle français, S. 112. Ab Anfang 1808 übernahm Murhard die Redaktion. Vgl. WEIDEMANN, Fr. W. A. Murhard; HALLE (Hg.), Die Brüder Murhard; GROTHE, Die Brüder Murhard. Villers soll 1812 angefragt worden sein, Redakteur des »Moniteur« zu werden, was er ablehnte. Seine Beiträge zum »Westphälischen Moniteur« beschränkten sich auf einzelne Artikel. Vgl. ISLER (Hg.), Briefe, S. 13. Severin-Barboutie berichtet im Rahmen ihrer Untersuchung zur Herrschaftspolitik im Großherzogtum Berg über die sprachlichen Mängel in der Übersetzung der Gendarmerie-Ordnung, die ein Staatsbeamter für die gesetzlichen Übertretungen von Gendarmen mitverantwortlich machte. Vgl. SEVERINBARBOUTIE, Französische Herrschaftspolitik und Modernisierung, S. 339. Le Moniteur westphalien, Nr. 17, 4. Februar 1808, S. 67.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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santé« des Königs im Rahmen einer Feierlichkeit wortwörtlich übersetzte181 . Bei manchen fehlerhaften Ausdrücken ist nicht mehr zu rekonstruieren, ob sie aufgrund von Druckfehlern oder von Übersetzungsschwierigkeiten entstanden sind, so wie im Fall des Artikels 8 des Gesetzes über die Errichtung von Polizeigerichten in den Municipalitäten, der wie folgt abgedruckt wurde: »Die Geschäfte des öffentlichen Anklägers versehen bei diesen Polizeigerichten die Polizeikommissaire in den Gemeinheiten, wo solche angestellt sind aber die Gehülfe des Maires«182 . Dabei waren sicherlich keine »Gemeinheiten«, sondern »Gemeinden« gemeint. Im Fall des »Westphälischen Moniteur« wird deutlich, dass sein Inhalt erst mehrheitlich in französischer Sprache entstand und dass in einem zweiten Arbeitsschritt die deutschsprachige Spalte mit einer Übersetzung vom Französischen ins Deutsche erstellt wurde. Manchmal fiel es den Übersetzern schwer, eine passende Formulierung für die französischen Begriffe zu finden, weswegen sie sich mit Paraphrasen ihrer Aufgabe und der damit verbundenen Schwierigkeiten entledigten. So werden die limonadiers mit »denen, welche gebrannte Wasser verkaufen« umschrieben, damit nicht etwa der Eindruck entstehe, diese würden mit nicht-alkoholischer Brause handeln183 . Das Urteil eines Zeitgenossen zum Qualitätsverlust, den die Übersetzungsprozesse mit sich brachten, verdient zitiert zu werden. Er schreibt über die Wiedergabe der Eröffnungsrede des Königs vor den Reichsständen: der Verfasser des Moniteurs [theilte] diese denkwürdige Rede mit, die vielleicht nur so sonderbar klingt, wegen der Unbeholfenheit des Uebersetzers, es wurde aber nichts in der offiziellen Verdeutschung hier geändert, selbst das Ihr und Euch (vous) nicht, da das Wesentliche derselben, die Uebernahme der Schulden und Kriegssteuern gar deutlich aus dem Undeutsch hervorleuchtet 184 .
Kritischer hätte das Urteil nicht sein können: Die Übersetzung sei eine unbeholfene und sonderbare Wiedergabe des Originals, die selbst die höflichen Siezformeln missachte. Die Übersetzung wurde als ein Verstümmelungsprozess für die Ausgangssprache betrachtet, der ein »Undeutsch« erzeuge. Hier wird jedoch auch deutlich, dass der Tadel eigentlich mehr dem Inhalt der Rede gilt als der Übersetzung: Wenn die Übersetzung so kritisch besprochen wird, so liegt dies wohl auch daran, dass Friedrich Cramer, zumindest im Nachhinein im Jahre 1814, sich von Jérômes Eröffnungsrede vor den Reichsständen und von seiner Politik distanzieren wollte.
181 182 183 184
Ibid., Nr. 15, 31. Januar 1808, S. 62. Ibid., Nr. 111, 10. September 1808, S. 450. Ibid., Nr. 17, 4. Februar 1808, S. 68. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 137 f.
150
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Über einen weiteren Fall, in dem die rhetorischen Stilfiguren im Französischen in der deutschen Übersetzung nicht richtig Sinn machen wollten, berichtet Karl Lyncker: Als französische Journale im December 1807 berichteten, Herr v. Dohm sei zum Cultusminister in Cassel bestimmt, widerlegte der Wespthälische Moniteur diese Nachricht mit der Bemerkung, dass ein Cultusministerium in Westphalen etwas ganz Ueberflüssiges sei. ›Kaum gibt es ein Königreich, in welchem mehr Religionen vorhanden wären, il n’y en a pas non plus, où la tolérance soit plus inutile‹ – ›kaum eins, worin die Toleranz unnützer wäre‹. – Aufmerksam gemacht auf diesen Unverstand, berichtigte die Redaction den letzten Satz in der folgenden Nummer dahin: ›worin die Toleranz bessern Fuß gefasst und folglich die Polizei des Cultus unnüzter wäre‹ (où la tolérance soit mieux établie, et où par conséquent la police des cultes soit plus inutile)185 .
Lyncker, der sich das »Pröbchen« als Exempel des Unfugs, den der »Westphälische Moniteur« verbreiten konnte, zur Seite gelegt hatte, zielte mit seiner Kritik des unverständlichen Stils mehr als auf die Übersetzung eigentlich auf die neuen Gesellschaftsprinzipien der westphälischen Herrschaft ab, zu denen auch die Religionsfreiheit zählte. Die offensichtlich hier zusätzlich gegebene Verwechslung zwischen dem Begriff »Cultus« für Kultur und »Kult« für Religion erwähnt Lyncker nicht mehr. Wenn hier die unverständliche und unbeholfene Formulierung den Reformcharakter des neuen Staates ins Lächerliche ziehen sollte, so betrafen die Unstimmigkeiten im »Moniteur« manchmal sogar politische Ereignisse und sorgten nicht nur für Heiterkeit oder Empörung: Sie legten zuweilen die Intention der westphälischen administration bloß, die unerwünschte Wahrheit zu verdecken. Der »Moniteur« wurde auch teilweise zur Gegendarstellung von Neuigkeiten eingesetzt, die in der ausländischen Presse eine antinapoleonische Note beinhalteten186 . Im Jahre 1809 wurde die Schlacht bei Aspern, aus historischer Sicht die erste schwere Niederlage Napoleons, im »Moniteur« für Widerlegungen einer ausländischen Zeitung zum Anlass genommen. Der Historiker Arthur Kleinschmidt schreibt dazu: Als am 30. Mai die Berliner Zeitung den Casselanern zuerst die Wahrheit meldete, suchte der Casseler ›Moniteur‹ höchst läppisch den Artikel zu widerlegen. Im Supplemente zu Nr. 66 hieß es, jener Artikel ergebe sich in Ausgeburten ohnmächtiger Wut und wahnwitziger Hoffnung, denn anstatt ›L’archiduc Charles a battu l’armée française‹ und ›L’armée française est obligée de repasser le Danube‹ müsse es heißen ›L’archiduc Charles est battu par l’armée française‹ und ›L’armée française s’est déterminée à repasser le Danube‹. […] Da das Publikum die Kunde aus Berlin mit Heißhunger verschlang, so forderte die Polizeidirektion in Cassel den Abonnenten die Zeitung ab und gab sie nicht zurück187 .
185 186 187
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 83. Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Informationsstrategien. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 280.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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Als das Dementi im »Moniteur«, das selbst auf die Angaben des Konkurrenzblattes im Einzelnen einging und diese korrigierte, nicht die entsprechende Glaubwürdigkeit erlangte, ging man dazu über, die Zeitungen zu beschlagnahmen188 . Man sieht: Nicht genug, dass der »Moniteur« sich in seinen eigenen Übersetzungen verstrickte und von seinen Lesern dabei ertappt wurde, konkurrierende Wahrheiten verkünden zu wollen, die Redakteure der offiziellen Zeitung erweiterten auch ihren Tätigkeitskreis auf ausländische Blätter und dehnten ihre Übersetzungs- und Umdeutungsprozesse auf deren Nachrichten aus. Den lokalen Zeitungsblättern gegenüber wurden schon sehr bald dahingehend Einschränkungen geltend gemacht, dass sie lediglich die Meldungen aus dem »Westphälischen Moniteur« abzudrucken hätten, insbesondere sollten die Redakteure dieser untergeordneten Zeitungsblätter Abstand nehmen von der Bekanntgabe von Truppenbewegungen189 . Bei diesem Alleinanspruch auf die Verkündung der Wahrheit wäre es jedoch von entscheidender Wichtigkeit gewesen, dass sich zwischen dem französischen und deutschen Text im »Moniteur« kein Widerspruch einschlich. Die Übersetzungspannen oder Unstimmigkeiten in der Informationsvermittlung, die durch die Gegenüberstellung der französisch- und deutschsprachigen Spalten im »Moniteur« entstanden, gaben freilich der politischen Polizei Anlass zur Sorge. Der Generalpolizeikommissar Guntz meldete im August 1812 aus Göttingen seinem Chef nach Kassel: Ayant remarqué quelque fois, que la traduction dans le moniteur Westphalien n’étoit pas juste, j’ai cru devoir fixer mon attention sur cet objet, autant que le tems & mes occupations le permettent, d’autant plus, que cette irrégularité donne lieu à differents propos & à un ris moqueur, surtout lorsqu’il s’agit d’un objet politique ou de quelque nouvelle sur l’armée, come p.E. dans le N◦ 186 du 6 aôut pag. 814. ou il est dit: le Prince Bagration est definitivement acculé sur Bobrinsk & en allemand: der Furst Bagration wird bestimmt gegen Bobrinsk hingedrückt. L’un est au présent & l’autre au futur, ce qui est ridicule & il faut éviter autant que possible tout ce qui peut donner matière de parler190 .
Die politische Polizei war insofern besonders um solche Übersetzungswidersprüche besorgt, da sie Anlass zur Kritik an der westphälischen Herrschaft gaben. Sich über die Unstimmigkeiten in Bezug auf die Kriegsberichtserstattung, die sich zwischen den französisch- und deutschsprachigen Spalten im »Moniteur« ergaben, zu amüsieren, wie die Göttinger es of188 189
190
Vgl. ibid. Vgl. Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 230, Nr. 646, Zeitungszensur, 1808: Schreiben von J. J. Siméon an die Unterpräfekten, 26. 3. 1808. Für den freundlichen Hinweis auf dieses Dokument sei Arnulf Siebeneicker gedankt. Vgl. PAYE, Zensur und Selbstzensur. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 5, Nr. 2613–2655, hier Nr. 2625: Schreiben Nr. 691 HP. von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 8. 8. 1812.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
fensichtlich zu tun pflegten, war ein Leichtes. Damit konnte sich ohne weiteres und von offizieller Seite selbst ausgelöst, Zeitkritik verknüpfen. Die westphälischen Staatsbürger scheinen sich in ihrer Rezeption des offiziellen Organs stark in einer kritischen und vergleichenden Gegenlektüre der deutschen und französischen Spalten geübt zu haben, weil sie sich über die Unstimmigkeiten versprachen, mehr Wahres interpretieren und erfahren zu können als über die offiziellen Bekanntmachungen. Dieser Umgang mit der offiziellen Presse zeugt von einem ausgeprägten politischen Reifeprozess. Die westphälischen Staatsbürger machten sich die Übersetzungsfehler der Staatsorgane zu eigen und nutzten sie zu ihrer tatsächlichen Information. Die Verständigungsschwierigkeiten und Übersetzungsunzulänglichkeiten stellten eigentlich keine Barriere für die Kommunikation dar, vielmehr lernten die Westphalen, aus den Unstimmigkeiten zu einem tiefgründigeren Verständnis der Politik und der großen und kleinen Lügen der Zeit zu gelangen. Die Übersetzungspannen machten die Geschäftsgänge in der administration nicht nur schwerfällig, für die kritischeren Staatsbürger boten sie auch ein staatskritisches Potential, das diese nicht auszunutzen versäumten. Obgleich die Übersetzungspolitik motiviert war, Verständigung zu schaffen und den deutschsprachigen Staatsbürgern Informationen in ihrer Sprache weiterzugeben, wirkte sie im Fall der zweisprachigen Anschläge und des »Westphälischen Moniteur« zum Teil für die Obrigkeit kontraproduktiv, da die in zwei Sprachen geführte offizielle Zeitung interlinear gelesen wurde und widersprüchliche Informationsinhalte zwischen den französisch- und deutschsprachigen Versionen bemerkt werden konnten. 2.2.3. Erschwerte und verlangsamte Verwaltungsvorgänge Die vielen Übersetzungsvorgänge, die oben angedeutet wurden, verlangsamten die Abläufe der Behörden sicherlich ungemein, wie bereits im Zusammenhang mit der Sprachpolitik dargelegt wurde. So erfährt man im Fall des Staatsgefangenen Sigismund P. Martin aus einem Brief des Polizeipräfekten in Kassel an den Justizminister: »hier au soir il [Martin] m’a envoyé une autre [lettre] en allemand dont j’ignore le contenu et de laquelle j’aurai l’honneur de vous adresser une Copie dès qu’elle sera faite«191 . Das Reaktionsvermögen der westphälischen Behörden musste sich zum Teil den zeitlichen Notwendigkeiten der Übersetzungsprozesse anpassen. Die Behörden scheinen auch nicht genug System in der Aktenführung ihrer Schriftstücke in beiden Sprachen entwickelt zu haben, was die Ar191
GStA PK, V. HA, Nr. 687, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 18. 1.–3. 5. 1810: Schreiben Nr. 1610 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, Justizminister, 21. 3. 1810.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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beit nach erfolgtem Übersetzungsprozess zusätzlich erschwerte. Zu den blühenden Geschäften der Hoflieferanten weiß Friedrich Max Kircheisen zu berichten: »Und wie leichtsinnig verfuhr man oft bei den französischen Behörden! Die Lieferanten mußten ihre Rechnungen in deutscher und französischer Sprache einreichen. Da kam es nicht selten vor, daß beide Rechnungen bezahlt wurden!«192 Von der Zeit vor der Machtübernahme durch König Jérôme weiß ein Kasselaner, der damals noch Kind war, in seinen »Jugenderinnerungen« über Verständigungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit den Requisitionen durch das französische Militär zu berichten: »Man verlas sich in den Worten und führte dann nach dem mühselig herausgelesenen Wortlaut die vermeintlich richtig verstandenen Requisitionen aus, mochten sie einen noch so verkehrten Sinn haben«. So erzählte ihm einst sein Vater den »komischen Vorgang«, dass aus einer Requisition von Tausenden von Freibeuteln für die Pferde, auf Französisch »musette«, »muette« verstanden wurde und daraufhin Maultrommeln ausfindig gemacht wurden193 . Ein anderer ähnlicher Anlaß bot eine von der VerpflegungsCommission zu erlassende Antwort dar, wo der concipirende Beamte die zu bezeichnenden 4 Metzen mit Hülfe eines Dictionaire ›quatre garces‹ übersetzt hatte. Statt des Getreidemaßes Metzen wurden auf Französisch vier Dirnen verlangt 194 .
Aus der Konkurrenz beider Sprachen und den Übersetzungsvorgängen ergaben sich teilweise für die Administrierten unerwartete Vorteile und urkomische Verwechslungen. Mit ein wenig Übung konnten sie aus der zweisprachigen Verwaltungspraxis Vorteile ziehen, die ihnen die deutschfranzösische Sprachbarriere als Zuwachs an Handlungsspielraum erscheinen ließ.
3. Schlussbetrachtung: Offizielle wie ›Ad-hoc‹-Übersetzer und -Dolmetscher zwischen Wirklichkeit und Metapher Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass es eine schwierige Aufgabe ist, Dolmetscher und Übersetzer ausfindig zu machen und zusammenhängende biographische Daten über sie zu sammeln: Dieses Unterfangen sollte als Indiz dafür gelten, wie selbstverständlich ihre Aufgabe hingenommen wurde. 192
193 194
KIRCHEISEN, König Lustig, S. 143. Der Topos der westphälischen Herrschaft als Wirtschaftswunder für die Kasseler Handwerker ist in zeitgenössischen Schriften und Sekundärliteratur weit verbreitet. Es könnte hinterfragt werden, inwieweit dies die Entstehung der Information über die Rechnungen der Hoflieferanten beeinflusste. HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 124. Ibid.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Eine Metapher für die vermittelnde Aufgabe der Staatsbeamten verrät den gängigsten Weg der Verständigung zwischen den Staatsbürgern und den Vertretern des Staates. Nicht selten findet man im Quellenmaterial seitens eines Staatsbeamten: »ich bin […] der Dollmetscher der Gesinnungen«195 . Im Schreiben von administrés taucht zuweilen die Bitte an einen Staatsbeamten auf, »d’être l’interprète de mes sentiments auprès de Sa Majesté«196 . Die Staatsbeamten galten als »Dollmetscher der Gesinnungen« der administrés, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn197 . Das hier bemühte Sprachbild für die Aufgabe der Staatsbeamten gegenüber den administrés zeigt, dass viele Übersetzungsvorgänge mündlich anfielen und damit in den Akten nicht direkt dokumentiert wurden. Der für die Verwaltung idealtypische Vorgang der Kommunikation zwischen Staatsbeamten und administrés war, dass letztere mit ihren Beschwerden, Sorgen und Anliegen an den nächsten Unterpräfekten oder Präfekten herantraten und diesem auf Deutsch vermittelten, woran es ihnen mangelte und dieser dann in französischer Sprache seinen Vorgesetzen das Anliegen beziehungsweise einen zusammenfassenden Vermerk dazu weiterleitete. Die darüber hinaus anfallenden Übersetzungen zum Beispiel für zweisprachige Anschläge wurden meist verwaltungsintern bewältigt. Welcher Zweisprachige in den Büros der jeweiligen Behörde die Übersetzungen verrichtete, war nicht direkt relevant und ist im Quellenmaterial auch selten überliefert. Die Selbstverständlichkeit des Übersetzers als Zuarbeiter ist ein Teilergebnis des vorliegenden Kapitels. Wie bereits zusammengefasst, ergab die prosopographische Abhandlung dieses Kapitels, dass die Übersetzer und Dolmetscher insgesamt mehr ein Schattendasein führten und ihre Stellung zwischen den Staatsbeamten und den administrés nicht leicht zu halten war. Für einige war ihre Tätigkeit mit riskantem Einflussreichtum verbunden und für andere schlicht mit unzurei195
196
197
GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Verschiedene Anfragen und Korrespondenzen – Eingaben von Städten, Bittschriften von Beamten und Privatpersonen betr. Unterstützungen, Anstellungen und Pensionen, 1807–1812, hier Bl. 137: Schreiben an den Präfekten des Werradepartements; vgl. ferner StA MR, Best. 75 Nr. 246, Brand im Königsschloß zu Kassel: Schreiben Nr. 5214 von G. A. von Wolffradt an A. H. von Trott zu Solz, 6. 12. 1811. AN Paris, BB11 68, Dossier Damas; vgl. ibid., Dossier Gautier; GStA PK, V. HA, Nr. 2772, Verschiedene Petitionen und Reklamationen, 1807–1813, Bl. 17: Reklamation von Audibert, 6. 1. 1808. Über die Bedeutung und die mögliche Herkunft solcher Sprachbilder in der Rhetorik der Staatsvertreter und der administrés vgl. die sehr interessanten Thesen von FREIST, Wirtshäuser, S. 212. Die Verwendung der Metapher vor und nach dem Untersuchungszeitraum von 1807–1813 ist nachgewiesen. Über Campes Ansehen als »Dolmetscher der Französischen Revolution« vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 22. Über die »Dollmetscherin der deutschen Freiheit« nach 1814 vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 31.
I. Übersetzer, Dolmetscher und zweisprachige Schreiber
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chendem Einkommen und Mangel an Anerkennung. Übersetzer und Dolmetscher, ob sie es wollten oder nicht, wurden zum Teil mit dem unbequemen Anliegen eines gelegentlichen Auftraggebers assoziiert: Zuweilen barg die Übersetzungstätigkeit die Gefahr, als Störenfried eingeschätzt zu werden. Das wesentliche Ergebnis der wenig ergiebigen Suche nach ihnen ist, dass im Schatten der offiziellen Sprachpolitik sich ein wahrscheinlich reger Kommerz mit den Übersetzungen entwickelte. Nicht alle Übersetzer arbeiteten voraussichtlich gegen Entgelt, einige erledigten die Aufgabe für ihr Ansehen, aus Verpflichtung oder Hilfsbereitschaft. Die auf den ersten Blick dürftigen Ergebnisse sagen jedoch etwas aus über den Stellenwert der Übersetzer und Dolmetscher beziehungsweise über die Selbstverständlichkeit ihres Beitrags zur Verständigung. Die Übersetzer und Dolmetscher als eine homogene Gruppe darstellen zu wollen, ist kaum möglich: Es handelte sich vielmehr um ein sehr breites Spektrum an Personen, das sowohl erfolgreiche als auch weniger erfolgreiche Dolmetscher mit zwielichtigen biographischen Hintergründen umfasste. Die Staatsvertreter scheinen eine ambivalente Haltung zu den Übersetzern und Dolmetschern gehabt zu haben, die polyvalent beide Seiten – die administration und die administrés – bedienten und sich gelegentlich auch zwischen den Seiten (ver-)irrten. Ein solcher Doppelauftrag wurde von der Verwaltung nicht gern gesehen, da sie vorzugsweise klare Verhältnisse anstrebte, allerdings wurden auch von ihr gelegentlich bei Engpässen nicht verwaltungsinterne Übersetzer herangezogen. Erweitert man die Teilergebnisse aus der Suche nach Übersetzern und Dolmetschern um diejenigen über die Übersetzungspraktiken, fällt es schwer zu sagen, ob nun die westphälische Gesellschaft über eine genügende oder ungenügende Anzahl von Zweisprachigen verfügte, um die vielen offiziellen und informellen Übersetzungsvorgänge zu bewältigen. Angesichts der eher schlechten als rechten Übersetzungen, wie im Fall des »Westphälischen Moniteur«, trifft wohl ersteres eher zu. Die Übersetzer und Dolmetscher sind nichtsdestotrotz als ein wichtiges Bindeglied in der zweisprachigen Kommunikationspraxis im Königreich Westphalen anzusehen.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
II. Spracherwerb: von französischen Sprachlehrern und -lehrbüchern zu russischen Dolmetschern 1.
Französischer Spracherwerb
Die offizielle Sprachpolitik, insbesondere wenn man die sprachlichen Belange im westphälischen Schulwesen mitberücksichtigt, verfolgte offensichtlich nicht das vorrangige Ziel, den deutschsprachigen westphälischen Staatsbürgern zügig Französisch beizubringen. Das vorhergehende Kapitel versucht einige Profile wichtiger Sprachvermittler zu umreißen, die eine wesentliche Grundlage der Kommunikation sicherten. Unter ihnen fielen bereits einige auf, die ebenfalls als Sprachlehrer tätig waren. Für die Gründungszeit des Königreichs Westphalen wird eine allumgreifende Begeisterung für die Franzosen und das Französische beschrieben. Friedrich Müller, zu westphälischen Zeiten noch ein Kind, schreibt in seinen Erinnerungen als alter Mann zu den Bemühungen der westphälischen Zeitgenossen, Französisch zu erlernen: Der Privatunterricht überwucherte den öffentlichen. Unter den Privatschulen hatten aber diejenigen den größten Zulauf, in denen nicht sowohl französisch gelernt, als vielmehr geplappert wurde. Alte Jungfern und Wittwen, welche früher Gelegenheit gehabt, eine kümmerliche Bekanntschaft mit der französischen Sprache zu machen, wurden auf einmal gesuchte Lehrerinnen. […] Wer seinen Kindern einen unentgeltlichen Unterricht im Französischen verschaffen wollte, der führte sie dem Confirmandenunterrichte der französischen Oberneustädter Gemeinde zu. Von einer gründlichen Unterweisung in der Religion konnte natürlich bei dem Mangel aller sprachlichen Vorbildung keine Rede sein. Uebrigens war der Eifer, mit dem man sich einige Kenntniß in der französischen Sprache anzueignen suchte, ein durchaus freiwilliger, denn der westphälischen Regierung selbst muß man es zum Ruhme nachsagen, dass sie niemals darauf ausgegangen, dieselbe dem Volke aufzudringen. Nicht einmal in den Staatsschulen hatte sie ihr den Vorrang vor der Deutschen gegeben. Zu ihrer Erlernung waren wöchentlich nur ein Paar Stunden bestimmt 1 .
Müllers Kommentare bestätigen die Bestandsaufnahme über die westphälische Schulpolitik: Während wenig Bestrebungen nachweisbar sind, Französisch als Unterrichtsfach zu intensivieren oder es gar als Unterrichtssprache einzusetzen, bemühten sich die Westphalen um so mehr, ihren Kindern Französischkenntnisse zu vermitteln. Französisch scheint 1807 die Prestigesprache gewesen zu sein, mit der man den Nachwuchs ausstatten wollte2 . Hierzu wurden, weil an den staatlichen Schulen wenig geboten 1 2
MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 42 f. Diese Befunde decken sich mit denen für das Rheinland: Die Einführung von Französischunterricht im Primärbereich geschah vornehmlich auf Druck der Eltern. Vgl. CHAZOTTE, Französische Sprachpolitik, S. 58 f.; ZANDER, Französische Sprachpolitik, S. 126.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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wurde, die deutschsprachigen Kasseler Kinder beispielsweise in den französischsprachigen Konfirmandenunterricht geschickt. Privatschulen versuchten, den Westphalen französischsprachige Bildungsangebote zu machen, die der Staat vermissen ließ3 . Französischsprachigen Personen eröffnete diese Nachfrage neue Erwerbsmöglichkeiten als Sprachlehrer und -lehrerinnen. Folgt man den zeitgenössischen Angaben, so wurde besonders in der Mädchenbildung die Erteilung von französischem Sprachunterricht intensiviert 4 . Die Tendenz scheint sich jedoch nicht nur auf Kinder beschränkt zu haben: Auch viele Erwachsene suchten französische Sprachkenntnisse zu erlangen oder sich darin zu vervollkommnen, daher waren private Sprachlehrer gefragt. Über Heinrich Rindfus, einen französischen Sprachlehrer in Marburg in den Jahren 1812 bis 1813, schreibt der Stadt- und Kantonmaire Wagner von Marburg, dass er seinen Unterricht »sowohl mehreren functionierenden Personen, als jungen Leuten, allhier ertheilt hat«5 . Nicht ganz klar ist, ob man unter den »functionierenden Personen« fonctionnaires des westphälischen Verwaltungsapparats oder mündige Bürger, mitten im Berufsleben stehend, verstehen soll. »Bei zahllosen Sprach- und Tanzmeistern konnten die Deutschen lernen, wie man sich französisch zu gebärden habe«, schreibt der Historiker Arthur Kleinschmidt 6 . Diese Begeisterung für das Französische soll sich auch im Sortiment der Buchhandlungen widergespiegelt haben: »Die Buchhandlungen legten fast nur französische Litteratur aus«7 . Für Kassel muss ganz besonders zugetroffen haben, dass es »ein durchaus französisches Gepräge an[nahm], allerwärts hörte man französisch, las man nur französische Schilder«8 . Aber nicht allein in Kassel scheint das Französische Konjunktur gehabt zu haben: »In den Städten des Königreichs [kündeten sich] Dutzende von 3 4
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6 7 8
Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 85, 92; KEIM, »Savoir vivre«, S. 147. Diese Angaben sind allerdings vielleicht tendenziös gefärbt. Vgl. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 28 f.: »Tanz und französische Sprache waren daher auch ein Hauptgegenstand ihres Unterrichts, alles Uebrige wurde als Nebensache behandelt«. Über die lange Tradition des Französischunterrichts via Parliermethode in der Mädchenbildung im 18. Jh. vgl. u.a. KALTZ, Der Fall Beaumont, S. 247, 250, 258. Vgl. ferner STEPHAN, Hofmeister und Gouvernanten; DERS., Die häusliche Erziehung. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts über Ansuchen um Anstellung als Lehrer der französischen Sprache, 1810– 1813, Bl. 24: Schreiben von Wagner, Stadt- und Kantonmaire in Marburg, an J. C. von Leist, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 26. 6. 1813. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 33. Ibid., S. 33; vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 86; BREITENBORN, Die Grafschaft Wernigerode, S. 10. KLEINSCHMIDT, Die Eltern, S. 276.
158
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
›maîtres de langue française‹ an, welche denn auch viel Zuspruch hatten«9 . Lyncker bezeichnet diese kurzum als »arme Schlucker« und weist darauf hin, wie attraktiv es für diese Gruppe von Einwanderern war, französischen Sprachunterricht anzubieten: Am zahlreichsten aber war das Heer der armen Schlucker, Taugenichtse, Banquerotteurs und Abenteurer, welche von jenseits des Rheins gekommen waren, um in Westphalen auf irgend eine Art ihr Glück zu machen und meist als maîtres de langue française, als employés, expéditeurs und als Spione ein Unterkommen fanden10 .
Dieses Urteil ist sicherlich tendenziös, entstand es doch im Nachhinein. 1807 nahmen die Zeitgenossen allerdings die Chance wahr, sich durch die Zuwanderer im Französischen zu vervollkommnen oder Grundzüge dieser Sprache zu erwerben. So finden sich in den zeitgenössischen Zeitungen nicht allein für Kassel entsprechende Anzeigen wie diejenige vom französischen Sprachlehrer Werlitz aus Wernigerode, der seinen Unterricht auf Wunsch in und außerhalb seiner Wohnung anbot 11 . Viele Westphalen folgten offensichtlich der Einladung. Gelegentlich erhielten die Sprachlehrer besondere Aufgaben, wie der Sprachlehrer Burlereau in Hannover, der ein Lobgedicht zu Ehren von Madame Mortier anlässlich ihres Geburtstags in französischer Sprache schreiben sollte12 . Der Enthusiasmus für die 1807 eingeleiteten Reformen, insbesondere im Bereich der Justiz, wird zu den anfänglich erkennbaren hoffnungsvollen Erwartungen an die neue Herrschaft beigetragen haben. Die Begeisterung kam auch darin zum Ausdruck, dass französische Literatur verstärkt verbreitet wurde und französische Sprachlehrer gefragt waren. 1.1.
Französische Sprachlehrer im Königreich Westphalen
Interessant erscheint, dass die Nachfrage nach französischem Privatunterricht bei weitem nicht auf Kassel beschränkt war. Im ganzen Königreich und nicht allein in den Departementshauptorten, sondern auch in kleineren Städten boten französische Sprachlehrer ihre Dienste an und fanden Abnehmer. Für das Werradepartement kann dies gut nachvollzogen werden: Neben Marburg fanden sich zum Beispiel auch in Schmalkalden und in Homberg französische Sprachlehrer13 . In Schmalkalden waren so9 10 11 12 13
THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 87. Vgl. Wernigerödische Intelligenz-Blätter, 25stes Stück, 22. Juny 1807, S. 98, Rubrik »Vermischte Nachrichten«. Vgl. HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 45. Weitere Einzelfunde betreffen folgende private Sprachlehrer in diversen Städten: In Halle war der Sprachlehrer P. Bonafont tätig. Vgl. BUHLE, Kurze Geschichte, hier Subscribentenverzeichnis. Duscheine oder Duschesne ist offensichtlich bis 1809 als französischer Sprachlehrer in Schmalkalden tätig gewesen. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Gesuche um Erlaubnis die französische Sprache lehren zu
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
159
gar zwei Sprachlehrer tätig: Charles Armand Biancourt und Barratier oder Barathier14 . Der Homberger Sprachlehrer versuchte sich jedoch 1809 nach Marburg umzuorientieren, um ein sichereres Einkommen zu erzielen15 . Für Marburg mit seinen ca. 5600 Einwohnern sind mindestens drei französische private Sprachlehrer namentlich nachweisbar: neben dem bereits genannten Rindfus in der Zeit von Mitte 1812 bis Ende 181316 auch Lorenz Richard ab Oktober 181017 und François Castorph ab Juli 180918 . 1.1.1.
Stand der französischen Sprachlehrer
Obgleich offensichtlich eine große Nachfrage nach französischen Sprachlehrern herrschte, beklagten sich etliche von ihnen, wie die Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts dokumentieren, über einen schweren Stand. Sie verdienten nicht immer sehr gut, was sich in ihren Gesuchen um eine bessere Anstellung oder ein besseres Einkommen ablesen lässt 19 . Vor allen Dingen empfanden sie es offensichtlich als belastend, dass
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dürfen, 1809, Bl. 3 f.: Schreiben Nr. 5010 von Leopold Freiherrn von Hohenhausen, Unterpräfekt in Eschwege, Werradepartement, an den Präfekten des Werradepartements, 9. 11. 1809; ibid., Schreiben des Präfekten des Werradepartements an L. Freiherrn von Hohenhausen, 23. 11. 1809. Frank war 1813 Sprachlehrer in Barby im Elbdepartement. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 II. 20. III. f., Bl. 31: Rapport des étrangers arrivés et sortis de la ville de Magdebourg, 18.–19. 10. 1813. Adrien Charles Lestiboudois war französischer Sprachlehrer in Klosterberg im Elbdepartement bis 1810. Vgl. AN Paris, BB11 69, Dossier Lestiboudois; AN Paris, BB11 72, Eintrag Lestiboudois. Ein Mann namens Müller war französischer Sprachlehrer in Magdeburg und Hungersleben. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 103. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 3 f.: Schreiben Nr. 5010 von L. Freiherrn von Hohenhausen an den Präfekten des Werradepartements, 9. 11. 1809; ibid., Schreiben des Präfekten des Werradepartements an L. Freiherrn von Hohenhausen, 23. 11. 1809; ibid., Bl. 9, 11: Schreiben von A. H. Freiherr von Trott zu Solz, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an J. C. von Leist, 21. 8. 1810; ibid., Bl. 10: Schreiben von Barathier an A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 7. 9. 1810. Vgl. ibid., Bl. 1: Schreiben von F. Castorph, französischer Sprachlehrer in Homberg, Werradepartement, an F. L. von Berlepsch, Präfekt in Marburg, Werradepartement, 11. 6. 1809. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 24: Schreiben von Wagner, Stadt- und Kantonmaire in Marburg, Werradepartement, an J. C. von Leist, 26. 6. 1813. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 8: Schreiben von A. H. Freiherr von Trott zu Solz an L. Richard, französischer Sprachlehrer, 21. 10. 1810. Vgl. ibid., Bl. 1: Schreiben von F. Castorph an F. L. von Berlepsch, 11. 6. 1809; ibid., Bl. 2: Schreiben von F. L. von Berlepsch an F. Castorph, 19. 6. 1809; vgl. BAIL, Statistique générale. Der Sprachlehrer Léonnard lag jahrelang in Streitigkeiten mit den Lokalbehörden und der Schulleitung, um seine Verdienstmöglichkeiten aufzubessern, und trug seine Gesuche gelegentlich auch an höherer Stelle vor. Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 435, Gehalt des französischen Sprachlehrers A. H. Léonnard an der Schule zu Uelzen, 1811–1812, Bl. 3: Schreiben von G. A. von Wolffradt, Innen-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
ihr Einkommen unsicher war. Rindfus ersuchte im Juli 1813 um ein »geringes fixes Gehalt« beim Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts und schrieb dazu20 : ohngeachtet der vielen Privat-Stunden, die mir so wenig Erholung übrig lassen, danach selbst ledigen Standes mit großer Mühe kaum so viel verdienen kann als mir zu meinen kümmerlichen Lebens-Unterhalt nöthig ist, und sehe nur zu deutlich ein, wie traurig es ist, bei diesem mühsamen Geschäft, blos allein von den Launen seiner Schülern abzuhängen, und auf diese Art sein Leben leisten zu müssen21 .
Auch erschwerte die Konkurrenz untereinander sicherlich das Geschäft: Kapitän Strahser, der als pensionierter Militär gern auch französischen Unterricht erteilt hätte, bekundete dem Präfekten des Werradepartements, er wäre mit einer kleineren Stadt auch zufrieden, wo er für einen »prix modique« Unterricht in französischer und italienischer Sprache erteilen könnte22 . Der Sprachlehrer Léonnard in Uelzen hätte seinerseits im Jahre 1808 gern ein »Privilegium des ausschließlich zu ertheilten Unterrichts in der französischen Sprache« erhalten, um das Monopol des Sprachunterrichts für Französisch in Uelzen zu genießen23 . Die Gesuche, die sich bezüglich einer Gehaltserhöhung und einer besseren finanziellen Stellung in den Akten des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts finden, waren selten von Erfolg gekrönt 24 . François Marchand, der von 1791 an fast zwanzig Jahre lang in Osnabrück als französischer Sprachlehrer tätig gewesen war, war im April 1810 nicht mehr im Stande, mit seinen französischen Sprachkenntnissen für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Er wurde in Hannover als Vagabund aufgegriffen:
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minister, an J. F. C. von Düring, Unterpräfekt in Uelzen, Allerdepartement, 15. 8. 1811; ibid., Bl. 4, Schreiben von J. F. C. von Düring an J. C. von Leist, 14. 9. 1811. Als Alternative versuchte er auch, eine Anstellung bei der westphälischen Polizei als Polizeikommissar zu finden. Vgl. RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858, hier Nr. 9857: Schreiben von A. H. Léonnard an J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 27. 1. 1813. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 20: Schreiben Nr. 2203 von J. C. von Leist an H. Rindfus, französischer Sprachlehrer in Marburg, Werradepartement, 22. 7. 1813; ibid., Bl. 21–22: Gesuch von H. Rindfus an J. C. von Leist, Juli 1813. Ibid., Bl. 21–22: Gesuch von H. Rindfus an J. C. von Leist, Juli 1813. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 6: Schreiben von Strahser, pensionierter Kapitän in Eisleben, Saaledepartement, an A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 26. 12. 1809; ibid., Bl. 7: Schreiben von A. H. Freiherr von Trott zu Solz an Strahser, 11. 1. 1810. HStAH, Hann. 52, Nr. 435, Bl. 4: Schreiben von J. F. C. von Düring an J. C. von Leist, 14. 9. 1811. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 20: Schreiben Nr. 2203 von J. C. von Leist an H. Rindfus, 22. 7. 1813.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Les patrouilles de nuit ont arreté dans les rues, François Marchand, maitre de langue, sejournant à Hanovre, qui d’après sa confession n’a plus de logis et roule dans les environs. La police prendra les mesures necessaires à son égard25 .
Welche Lebensumstände Marchand in diese Situation gebracht hatten, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Allerdings trifft die Aussage über ihre zum Teil hart erkämpfte Existenzgrundlage nicht auf alle Sprachlehrer im Königreich Westphalen zu: Auguste Lacombe, der in Eschwege Sprachlehrer war, aber auch übersetzerische und dolmetschende Tätigkeiten beim Gericht übernahm, konnte im Rahmen seiner Verfolgung durch die Polizei Beweise seines Wohlstands anbringen: J’ai l’honneur d’informer V. E. que d’après l’entretien que j’ai eu avec le Sr. Auguste Lacombe, il appert qu’il gagne près de 4000. thalers par an, à Eschwege en donnant des leçons en françois, notamment qu’il reçoit 100 thalers du tribunal, pour des Conférences en lectures et traductions26 .
Es kann lediglich spekuliert werden, dass Lacombe aufgrund seines lokalen Ansehens mit Wohlwollen beurteilt wurde. In Schönbrunn hatte der grand prévôt de l’armée wegen eines Vorfalls in Wien ein Verfahren gegen ihn eingeleitet, dennoch wurde er von der westphälischen Polizei wieder auf freien Fuß gesetzt und konnte seine Tätigkeit in Eschwege wieder aufnehmen27 . 25
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HStAH, Hann. 52, Nr. 3563, Rapport journalier de police de la ville d’Hannovre (Fremdenanmeldungen), 1810: Rapport journalier de Police de la ville d’Hannovre, 30. 4. 1810; vgl. ferner ibid.: Rapport journalier de Police de la ville d’Hannovre, 1. 5. 1810. GStA PK, V. HA, Nr. 687, Akten der Polizeipräfektur in Kassel, Jan.–Mai 1810, Bl. 37: Schreiben Nr. 1514 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an J. J. Siméon, Justizminister, 23. 2. 1810. Über das Vergehen Lacombes lässt sich leider aus den westphälischen Polizeiakten nichts Genaueres sagen. Lacombe wurde in Kassel aufgrund eines Signalements aufgespürt: Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 687: Schreiben Nr. 1479 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an A. Lacombe, französischer Sprachlehrer in Eschwege, Werradepartement, zu Besuch in Kassel, 14. 2. 1810; ibid., Annuliertes Schreiben Nr. 1480 von J. C. A. Legras de Bercagny an L. Freiherrn von Hohenhausen, 15. 2. 1810; ibid., Schreiben Nr. 1483 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, Justizminister, 15. 2. 1810; ibid., Schreiben Nr. 1484 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, 15. 2. 1810; ibid., Schreiben Nr. 1485 von J. C. A. Legras de Bercagny an Hünersdorf, Polizeikommissar in Kassel, 15. 2. 1810; ibid., Schreiben Nr. 1493 von J. C. A. Legras de Bercagny an L. Freiherrn von Hohenhausen, 17. 2. 1810; ibid., Schreiben Nr. 1494 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, 17. 2. 1810; GStA PK, V. HA, Nr. 686, Akten der Polizeipräfektur in Kassel, Juli 1809–Jan. 1810: Schreiben Nr. 1222 von J. C. A. Legras de Bercagny, [3].12. 1809. Ein anderes Dokument aus dem Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover zeigt, dass Lacombe vor seiner Niederlassung in Eschwege in Einbeck wohnte. Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 144, Anstellungsgesuche für die Verwaltung in den bisher hannoverschen
162
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Der Polizeipräfekt schrieb dem Justizminister in Bezug auf Erkundigungen, die er bei den örtlichen Behörden in Eschwege eingezogen hatte: Il paroit resulter de ces piéces et des motifs de sa Condamnations que cet homme n’est ni frippon, ni dangéreux, et qu’il a vécu paisiblement et honnêtement à Eschwege, avant et depuis l’apparition de Schill. V. E. déterminera le parti à prendre sur son compte, il me paroit plus malheureux que coupable 28 .
Ein ebenfalls in seinem neuen Umfeld offensichtlich gut assimilierter zugewanderter Sprachlehrer war auch Hermann Carl Müller, der in Quedlinburg und Gatersleben die französische Sprache unterrichtete und dort offenbar benötigt wurde. Der Maire Johann August Donndorf hatte dreieinhalb Jahre lang versäumt, ihn als »Kaiserlich französischen Unterthan allhier« an die höheren Behörden weiterzumelden: Schon seit dreÿ und mehreren Jahren hält sich allhier ein junger Mann Hermann Carl Müller auf, der seiner Angabe nach aus Mainz gebürtig, damals von Magdeburg hierher gekommen, und jetzt etwa 23 Jahr alt ist. Er führt eine stille sehr erdenkliche Lebensart, so, daß man nicht die mindeste Klage über ihn zu führen Ursach hat, und nährt sich davon, daß er hier, und an einigen auswärtigen Orten, zum Beÿspiel in Gatersleben in der französischen Sprache und in der Musik Unterricht giebt. Er ist also hiesiger Stadt, besonders in jetzigen Zeiten, in ersterer Rücksicht sehr nützlich, da es wirklich an solchen Personen fehlt, und es wäre also seine Beÿbehaltung dieserhalb in der Stadt wünschenswerth. Da er in der ersten Zeit seines Hierseins ziemlich unbemerkt blieb, auch von Magdeburg hierher gekommen war, so hielt man seine Anwesenheit für unbedenklich, und ich erinnere mir wenigstens nicht, daß er unter denjenigen befindlich gewesen, deren Aufenthalt zur Kenntniß der höheren Behörden gebracht worden29 .
Wer sich nützlich machte, und das war im Fall der zweisprachigen Sprachlehrer nicht schwierig unter den neuen Herrschaftsverhältnissen, wurde nicht einmal nach seiner (politischen) Vergangenheit gefragt. 1.1.2. Besondere Lebenshintergründe einiger Sprachlehrer Sprachlehrer wurde man offensichtlich am ehesten aus einer Notlage heraus, eher als aus Berufung. Viele émigrés der Französischen Revolution finden sich im Sprachlehrerstand wieder30 . Léonnard ist hierüber gegenüber
28 29
30
Landen, 1810: Schreiben von A. Lacombe aus Einbeck, Leinedepartement, an J. J. Siméon, Innen- und Justizminister, 20. 3. 1808. GStA PK, V. HA, Nr. 687, Bl. 37: Schreiben Nr. 1508 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an J. J. Siméon, Justizminister, 21. 2. 1810. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 26 II. Rep. 28., Nr. 16., Polizeiwesen in Quedlinburg, Bl. 29–30: Schreiben von J. A. Donndorf, Maire in Quedlinburg, Saaledepartement, an W.-C. Gossler, Präfekt in Halberstadt, Saaledepartement, 2. 7. 1811. Vgl. RANCE, L’identité collective, hier S. 27; DIES., Mémoires de nobles émigrés, passim. Siehe auch oben Anm. 13 mit Einzelfunden.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
163
dem französisch-kaiserlichen Justizminister, den er um einen Patentbrief ersucht, um in Westphalen zu bleiben, unmissverständlich: [Je ne vous rappellerai pas] les malheurs, qui affligerent, il y a 20 ans notre Patrie, ils m’ont ruinés, et m’ont fait perdre tous les Biens, que j’avois lieu d’attendre de mes plus proches et ancêtres. C’est la seule raison, qui m’oblige de rester dans cette ville, où je suis depuis 15 ans, comme instituteur français, et attaché aux Écoles publiques; si je perds cette place, qui me procure une existence médiocre, mais honnête, je serois sans pain, je n’ai d’autre Raison à donner à V. E. je ne doute point, que vous ne la trouviez suffisante, pour Vous prier de me faire accorder de sa M. E. et R. son agrément pour avoir les lettres patentes31 .
Für viele gründete die Aufnahme des Privatlehrerberufs nicht in erster Linie auf einem Studium der Sprachlehre, sondern auf ihren Fertigkeiten in ihrer Erstsprache in einer Situation, in der sich nicht viel andere Erwerbsmöglichkeiten boten. Nicht selten waren die Sprachlehrer zugleich Tanzlehrer, wenn sie nicht sogar zusätzlich Fechtunterricht geben konnten. So auch J. La Fleur, der Tanzlehrer an der militärischen Schule in Braunschweig war, aber auch – zusätzlich noch als Privatlehrer außerhalb der Schule – Unterricht in Französisch und im Fechten erteilte. Er berief sich ausdrücklich auf diese dreifache Kompetenz, um eine bessere Anstellung vom Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts in Göttingen zu erhalten32 : Depuis longtems, J’enseigne le français, la danse, & l’Escrime à Brunswic, & j’y suis encore employer dans les meilleures maison, a demontrer L’un et L’autre, & à mon grand Contentement, Je me suis attiré L’Estime d’un Chacun, par mon assiduité à Cultiver ces trois branches, [et à pourvoir] L’Educations de jeunes Gens bien nés33 .
Tatsächlich ging der Französischunterricht in Verbindung mit Tanzunterricht auf eine lange Tradition zurück und die Professionalisierung der Sprachlehrer, das heißt die Entkoppelung von Leibesübungen, setzte erst allmählich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein34 .
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33 34
AN Paris, BB11 69, Dossier Léonnard: Schreiben von A. H. Léonnard an den französisch-kaiserlichen Justizminister, 18. 5. 1812. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 1: Schreiben von J. La Fleur, Tanz-, Gefechtund Sprachmeister an der Militärschule in Braunschweig, Ockerdepartement, an J. C. von Leist, 29. 3. 1810; ibid., Bl. 2: Schreiben von J. La Fleur an J. C. von Leist, 4. 3. 1812. Ibid., Bl. 2: Schreiben von J. La Fleur an J. C. von Leist, 4. 3. 1812. Vgl. DORFELD, Beiträge; DERS., Französischer Unterricht; SCHRÖDER, Linguarum Recentium Annales; BARRERA-VIDAL, KLEINEIDAM u.a. (Hg.), Französische Sprachlehre; SCHRÖDER, Biographisches und bibliographisches Lexikon der Fremdsprachenlehrer; ESPAGNE, LAGIER, WERNER, Le maître de langues; SPILLNER, »Der gefällige Souffleur«.
164
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Wie bereits im Teil A, »Sprachpolitik«, bemerkt, beklagte sich Leist des öfteren über das Niveau der französischen Sprachlehrer35 . Auch etliche westphälische Bürger oder Lokalautoritäten betrachteten die Leistung einiger Sprachlehrer sehr kritisch. Hinsichtlich der Eignung Léonnards als französischer Sprachlehrer führte der Unterpräfekt, der dessen Beschäftigung nicht grundsätzlich in Frage stellte, als Argument gegenüber den wiederholt gestellten Anfragen Léonnards wegen Gehaltserhöhung beispielsweise an: mithin es keinen Lehrer erlassen werden […], so viel Antheil er dem Unterrichte in der französischen Sprache zu nehmen, als er nach seiner Kenntniß von der französischen und deutschen Sprache vermag. Wenn auch in Nothfalle einem Mann, welcher die Grundsätze der allgemeinen Sprachlehre mit besonderer Rücksicht auf die französische Sprache studirt hätte, dieser Unterricht allein übertragen werden dürfte, so würde sich Herr Leonard wohl um so weniger ausschließlich dazu qualificiren, als denselben die deutsche Sprache nur sehr wenig und nur verstehen soll, als man sie durch umgang mit deutschen ohne genossenen Unterricht und ohne die deutsche Grammatik studirt zu haben, erlernen kann, auch seine eigene Sprache nicht hinreichend soll studirt haben, um sie nach Regeln lehren und […] Aufsatz schreiben zu können36 .
Wenn nicht ihre Sprachbeherrschung angezweifelt oder ihre ungenügende Kenntnis der deutschen Sprache als wichtige Grundlage für den Unterricht ihrer französischen Erstsprache bemängelt wurde, so fielen die Sprachlehrer der Obrigkeit gelegentlich durch absonderliche Lebenswege auf. Der Polizeipräfekt in Kassel äußerte sich kritisch über Johann Karl Fischer, der zwar nicht Sprachlehrer der französischen, sondern der deutschen Sprache war, weil dieser ihm zu vielseitig erschien und seiner Ansicht nach im Laufe seines Lebens nicht miteinander kompatiblen Tätigkeiten nachgegangen war: [il est] natifs de Glatz en Silesie prussienne, [et voyage] sous le titre de maitre de langues. […] Il résulte [de son interrogatoire] qu’il aurait été alternativement Barbier, domestique, maitre de langue allemande et de dessins et qu’il serait parti de Petersbourg pour aller à Paris dans l’intention d’y enseigner cette langue. Passe de l’état de barbier ou de domestique à celui de maitre de langues me paraît assez extraordinaires, car il faut pour exercer cette derniére profession des connaissances qu’on ne trouva point chez les gens de cette premiéres Classe37 .
Dem Pariser Polizeipräfekten übermittelte der westphälische Polizeipräfekt Philippe Mercier ebenfalls ausführlicher seine Erkenntnisse über die Intentionen Fischers, die Gründe für sein Erscheinen im Königreich Westphalen 35
36 37
Vgl. u.a. Kapitel A 3.2.2.1. den Fall des Sprachlehrers Barathier aus Schmalkalden: StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 10: Schreiben von Barathier an A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 7. 9. 1810. Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 435, Bl. 4: Schreiben von J. F. C. von Düring an J. C. von Leist, 14. 9. 1811. GStA PK, V. HA, Nr. 692, Akten der Polizeipräfektur in Kassel, Sept. 1811– Juni 1812: Schreiben Nr. 7006 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 26. 12. 1811.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
165
und seine eigenen Zweifel an der Wahrhaftigkeit der von Fischer angebotenen Biographie: Cet individu, interroger en raison des soupçons qu’il m’a inspirés, a déclaré être maître de langue allemande et de dessin, mais qu’antérieurement il avait été successivement Barbier, valet de chambre ou domestique; et enfin instituteur en Russi où il prétend aussi avoir donné des leçons de langue allemande et qu’il a quitté ce pays en juillet 1811 pour se rende à Paris à l’effet de s’y perfectionner dans la langue françoise. Ces différentes professions n’ayant aucun rapport entre elles, n’ont fait qu’accroitre mes présomptions sur cet individu […] que je soupçonne d’espionnage38 .
Interessant könnte hier erscheinen, dass Fischer sich von St. Petersburg auf den Weg nach Frankreich machte, um dort als Sprachlehrer der deutschen Sprache seine Französischkenntnisse zu vervollkommnen. Möglicherweise plante er langfristig die Erschließung einer weiteren Erwerbstätigkeit. So viel Mobilitätsbereitschaft für den Erwerb der französischen Sprache war jedoch der Polizei suspekt. Fischer konnte zwar nicht der Spionage überführt werden, aber sein biographischer Entwurf erschien der Polizei unglaubwürdig und er wurde schließlich nach Preußen ausgewiesen39 . Auch wenn Fischer der Hohen Polizei suspekt war und in ihm ein Agent fremder Mächte vermutet wurde, so war es derselben Polizei offensichtlich recht, sich selbst der zweisprachigen Kompetenz einiger Sprachlehrer zu bedienen und sie als geheime Polizeiagenten einzusetzen. Der bereits genannte Léonnard machte eine Probe als temporärer Polizeiagent bei Bongars und lieferte auf Anfrage Schalchs ein »Précis individuel et impartial du Caractere, des sentiments Des principales perssonnes de cette Ville« und ein »tableau de la compagnie des Arquebusiers«40 . In Münden gewann der umtriebige Polizeikommissar Haas den Sprachlehrer Friedrich Wilhelm Günther dafür, seine Mitbürger auszuhorchen, die dann nicht selten in Schwierigkeit mit der Polizei gerieten41 . Der Übersetzer Heinrich Ludwig Lehmann, der auch zeitweilig als französischer Sprachlehrer arbeitete, leistete der Hohen Polizei ebenfalls Dienste als Geheimagent 42 . Die Verbindung der Tätigkeit als französischer Sprachlehrer und Polizeiagent in diesen drei Biographien zeugt davon, dass ein Hang zu solcherlei Doppelleben für den Sprachlehrerstand vielleicht nicht gerade repräsen38 39 40
41
42
Ibid., Schreiben Nr. 7245 von P. Mercier an den Grafen de Pasquier, Polizeipräfekt in Paris, 12. 2. 1812. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 7389 von P. Mercier an J. F. M. de Bongars, 4. 3. 1812. RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858, hier Nr. 9854: Schreiben von A. H. Léonnard an J. F. M. de Bongars, 2. 2. 1813; ibid., Nr. 9855: Précis individuel et impartial du Caractere, des sentiments Des principales perssonnes de cette Ville; ibid., Nr. 9856: Tableau de la compagnie des Arquebusiers. Vgl. RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 356–10 399; RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5822–5832, hier Nr. 5825: Verhörprotokoll von F. W. Günther, 10. 2. 1813. Auf ihn wird im Kapitel B III. (Bittschriften) näher eingegangen.
166
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
tativ, jedoch im Keim vorhanden war43 . Dies erklärt sich vielleicht auch aus dem bereits dargestellten schwierigen finanziellen Stand einiger Sprachlehrer und ihrer exponierten Situation als Zweisprachige, denen die Mitbürger ihre Beschwerden anvertrauten und die sie gelegentlich baten, für sie Bittschriften aufzusetzen. An dieser Schnittstelle der Information zwischen Obrigkeit und Gesellschaft lag es möglicherweise nahe, Dienste für mehrere Auftraggeber zu verrichten. Wenn die Sprachlehrer nicht Agenten der Polizei waren, so konnte es vorkommen, dass sie von dieser verdächtigt wurden, so wie der bereits erwähnte Lacombe aus Eschwege. Auch der Uelzener Sprachlehrer Léonnard wurde einerseits von der Polizei als gelegentlicher Berichterstatter angeworben und andererseits von ihr verdächtigt, weil seine Gegnerschaft gegen die Französische Revolution, die ihn in den Regimenten von Wittgenstein und von Yorck von Wartenburg hatte kämpfen lassen, ihn für die französischkaiserlichen und die westphälischen Staatsvertreter suspekt machte44 . Bis zu einem gewissen Grad scheinen aber die etwas bewegten und von Mobilität oder Brüchen geprägten Lebenshintergründe mancher Sprachlehrer auch der Normalität entsprochen zu haben. So irritierte es den Präfekten des Werradepartements nicht weiter, dass der pensionierte Militär Strahser an einen Zuverdienst durch Unterricht in französischer und italienischer Sprache dachte45 . Die Verbindung von militärischer Lebenserfahrung und mehrsprachiger Kompetenz ist so gesehen ein immer wiederkehrendes Element 46 . Auch der französischsprachige Besitzer einer Porzellanmanufaktur in Bernburg, ein Mann namens Flamant, erkundigte sich beim Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts nach den Möglichkeiten, im Königreich Westphalen eine Anstellung als französischer Sprachlehrer zu finden47 . Ein Drucker erachtete es für sich ebenfalls als eine Option, Französischlehrer zu
43
44 45
46 47
Über den Doppelauftrag als Literat und Polizeiagent von Vertretern der Pariser literarischen Subkultur im Vorfeld der Französischen Revolution vgl. GERSMANN, Im Schatten der Bastille, u.a. S. 48, 145–149. Vgl. AN Paris, BB11 69, Dossier Léonnard. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 6: Schreiben von Strahser an A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 26. 12. 1809; ibid., Bl. 7: Schreiben von A. H. Freiherr von Trott zu Solz an Strahser, 11. 1. 1810. Siehe oben im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher). GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 8: Schreiben von Flamant, Besitzer einer Porzellanmanufaktur in Bernburg, an J. C. von Leist, 26. 11. 1811. Flamant gab in seinem Schreiben außerdem an, fünf bis sechs Jahre als Lehrer im Konvent von Bergen tätig gewesen zu sein.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
167
werden, da er jahrelang Erfahrung mit der Drucklegung von französischen Schriften vorzuweisen habe48 . Einige mochten vielleicht die Qualifikation mitgebracht haben, was sich jedoch nicht mehr nachvollziehen lässt – ihre knappen biographischen Angaben lassen jedoch besondere Lebenshintergründe erahnen: Biancourt, der sich ausgerechnet in Schmalkalden als französischer Sprachlehrer niedergelassen hatte, war aus Puducherry gebürtig49 . Eine ausgeprägte Mobilität kommt wie bereits erwähnt in den Sprachlehrerbiographien häufiger vor. Manche hatten sich, wie es für Devoluet der Fall gewesen zu sein scheint, aus Berufung für den Lehrerstand und aus Leidenschaft für die Sprachen autodidaktisch und durch die Praxis ausgebildet und brachten ein Sendungsbewusstsein mit, das sie wunderbaren und schnellsten Spracherwerb für ihre Zöglinge prophezeien ließ. Devoluet stellte Leist seine Methode vor und versprach die besten Erfolge, wenn man ihm westphälische Schulkinder anvertraue: j’ai essayé d’enseigner la langue française, sans le secours d’aucune grammaire, et sans que les élèves écrivissent les règles que je donnais. Le succès a couronné cette épreuve; mais je n’avais que 8 à 9. sujets dans chaque classe: un plus grand nombre d’éleves voudrait peut-être un autre régime. […] Maintenant je dirai un mot de ma méthode d’enseignement, Comparée avec les autres méthodes. [Je commence par le verbe Être]. Ce verbe étant su, la même leçon donne article, substantif et adjectif; mais chacun dégagé de ses exceptions, afin de rendre la règle plus générale et plus facile. Voilà mon écolier en état de former des phrases peu fortes sans doute; mais Capables d’exciter son émulation, parce qu’elles lui montrent combien de choses il peut déjà exprimer sans faire de fautes. […] Les grammaires en usage divisent des choses qui doivent être distinguées et non divisées; moi, je ne divise que le travail, et mes cercles sont à mon gré plus ou moins étendu, contiennent plus ou moins de choses, en raison du nombre des élèves, de leur âge, de leurs précédentes études etc. […] si l’on me donne un enfant de 10 à 12 ans, qui sache les verbes être et avoir, je me fais fort qu’au bout de 8 leçons, suivies de 2 heures de travail chez lui, il saura verbes réguliers et irréguliers aussi bien que moi. Or, ce but est impossible à atteindre, même en 30 leçons, par toutes les autres méthodes connues. Si vous presentiez quelque avantage pour les écoles de Westphalie à employer mes méthodes, et que vous voulassiez, Monsieur le Baron, vous convaincre de leur utilité par une expérience, on pourrait réunir quelques enfants, et faire un essai sous vos yeux. Je me ferai à la fois un devoir & un plaisir vrai de répondre à tous vos désirs. Il faut moins d’un mois pour apprécier la différence qui peut exister entre cet enseignement, et celui qui est généralement pratiqué50 . 48
49
50
Vgl. ibid., Bl. 15, Schreiben von Virion, Druckleger in der königlichen Buchdruckerei in Kassel, an J. C. von Leist, 2. 11. 1812. Virion gab an, mehrere Jahre als Lehrer in Frankreich im Departement Moselle angestellt gewesen zu sein. In der Akte der Präfektur des Werradepartements, die den französischen Sprachlehrer Biancourt betrifft, ist lediglich vom Brennholz, um das er ersucht, die Rede. Wie er von Puducherry nach Schmalkalden kam, wird nicht erläutert. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1732, Bl. 3: Schreiben Nr. 5010 von L. Freiherrn von Hohenhausen an den Präfekten des Werradepartements, 9. 11. 1809. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 17–19: Schreiben von Devoluet, Sprachlehrer in Kassel, an J. C. von Leist, 14. 1. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Devoluet konnte mit seiner innovativen anmutenden Methode den Adressaten seines Schreibens jedoch offenbar nicht vollständig überzeugen: Man findet ihn nicht unter den Sprachlehrern der Bürgerschule oder des Lyceums in Kassel wieder. Die wenigen hier erwähnten Sprachlehrer zeigen, dass ihre biographischen Hintergründe zwar sehr vielseitig waren und zum Teil einige Brüche und Abwege enthielten, aber auch, dass man sich 1807 durchaus als französischer Sprachlehrer verdingen konnte, wenn man französische Sprachkenntnisse besaß. Nach 1813 allerdings waren die französischen Sprachlehrer nicht mehr so gefragt und Scheller lässt in seiner satirischen »Jeromiade« einen »Franzmann« klagen: Ein Franzmann selbst verzweifelt hier Zu finden ferner noch Quartier In Deutschland, und sein täglich Brodt, Und singet seine grosse Noth: […] Les actrices, bateleurs, Colporteurs, danseurs de corde, Porte-balles et la horde Des ménétriers voyageurs, Les régens, les gouvernantes, Les paillardes bien piquantes, Les financiers écorcheurs, Maîtres de la langue même Sont chassés à la Bohème – Comme les législateurs51 !
Die Sprachlehrer werden in dieser Aufzählung parasitärer und dubioser französischer Einwanderer fast ganz am Ende aufgeführt, und ihre Hinausbeförderung wird sogar noch von einem »même« verstärkt, als sei ihr Fall besonders verwunderlich, hatten sie doch bei den Westphalen mit deren Wunsch, die französische Sprache zu erlernen, eine geraume, wenn auch nun mehr verstrichene Zeit, ihr Auskommen gehabt. 1.2. Kurzlebiger oder anhaltender Enthusiasmus für die französische Sprache? Die Westphalen waren 1807, ihre Zukunft als westphälische Staatsbürger antizipierend, sehr daran interessiert, die französische Sprache zu erlernen. Auf Privatinitiative nahmen sie Französischunterricht bei Sprachlehrern. Aber sollten ihr Enthusiasmus für die französische Sprache und ihre Bemühungen von Dauer sein? Mehrere Anzeigen im »Westphälischen Moniteur« aus dem Jahr 1811 machen deutlich, dass der französische Spracherwerb in diesem fortge51
SCHELLER, Jeromiade, S. 203 f.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
169
schrittenen Stadium der westphälischen Herrschaft weiterhin Aktualität besaß: Ein Employé wünscht für freies Logie oder billigen Tisch Unterricht in der Französischen Sprache und Mathematik zu geben. Das Nähere in der Klosterstraße am weissen Hof im ersten Stock des Lohgärber Strübingschen Hauses Nro. 621 am besten des Morgens und Abends zu treffen52 .
Dieser employé behandelte seine französischen Sprachfertigkeiten wie auch seine mathematischen Kenntnissen als Tauschware gegen die Gewährung von Kost und Logis. Wenn er dieses Angebot im »Westphälischen Moniteur« inserierte, so rechnete er wohl damit, Interessenten zu finden. Im Oktober 1811 war französischer Spracherwerb für die deutschsprachigen Westphalen offensichtlich noch attraktiv. Im November 1811 kündigte der Leipziger Buchdrucker Karl Knobloch im »Westphälischen Moniteur« an: Zur Uebung in der franz. Sprache ist bei mir erschienen und in allen Buchhandl. zu haben. Choix des plus jolis contes arabes tirés des 1001 nuit p. A. Henri, 2 vol., 45 feuilles avec 2 figures 1 Thal. 16 Gr. Die Erzählung der 1001 Nacht sind wegen ihrer lieblichen Darstellung und ihrer leichten und angenehmen Sprache zu bekannt, als daß ich nötig hätte noch etwas darüber zu sagen. […] Es möchte daher so leicht kein nützlicheres und unterhaltenderes Buch für den Unterricht in der franz. Sprache geben, als dieses53 .
Eine mögliche, wenn auch gewagte Interpretation für diese Anzeige ist, dass die Westphalen 1811 aus pragmatischen Gründen zwar noch Interesse am französischen Spracherwerb zeigten, sich jedoch bereits von ihrer anfänglichen Vorliebe für die französischen literarischen Kulturdenkmäler abgewendet hatten, und Knoblochs Geschichten aus dem Orient eine willkommene Abwechslung und Horizonterweiterung boten. Die französischen Sprachlehrer, die den westphälischen Staatsbürgern im Rahmen von Privatunterricht französische Sprachkenntnisse vermittelten, haben allem Anschein nach auch über 1811 hinaus genügend Schüler gefunden. Insgesamt stellt das Phänomen der großen Nachfrage nach französischsprachiger Literatur und Unterricht durch Sprachlehrer eine auffällige Kehrseite der offiziellen Sprachpolitik dar54 : Die Westphalen gingen ihrem 52
53 54
Le Moniteur westphalien, Nr. 251, Beilage, 21. Oktober 1811. Leider sind nur sehr wenige Beilagen des »Westphälischen Moniteur« in den Bibliotheken erhalten. Eine eingehendere Analyse der Anzeigenteile der Beilagen könnte weitere interessante Details in Bezug auf die Kontakte zwischen den Sprachgemeinschaften und die Kommunikationsprozesse liefern. Ibid., Nr. 283, Beilage, 27. November 1811. Der französische Sprachlehrer Rindfus, oben zitiert, ließ andeuten, dass er sich noch Anfang 1813 nicht über zu wenige Privatschüler beklagen konnte. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 21 f.: Gesuch von H. Rindfus an J. C. von Leist, Juli 1813.
170
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Staat in dem Erlangen einer gemeinsamen Kommunikationsbasis offenbar voraus. Auf die Bemühungen der zugewanderten Franzosen, sich Grundkenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, wird noch zurückzukommen sein. Sie standen jedoch in keinem Verhältnis zu den Bemühungen der Deutschsprachigen, das Französische für sich zu erschließen. Damit ergab sich allmählich eine latent dominierende gesellschaftliche Stellung des Französischen gegenüber dem Deutschen. Wenn eine Sprachdominanz des Französischen sich anbahnte, dann wurde sie vor allen Dingen durch die bereitwilligen Anpassungsversuche der deutschsprachigen Westphalen an die neuen Herrschaftsverhältnisse und deren Bemühungen um Erwerb französischer Sprachkenntnisse in Gang gesetzt. Diese Feststellung mildert die These einer oktroyierten Sprachdominanz durch das Französische weitgehend ab. Ein Historiker urteilte dennoch dreißig Jahre nach Auflösung des Königreichs Westphalen über die Bemühungen der Deutschsprachigen und den fehlenden Ehrgeiz der Franzosen, Deutsch zu lernen: In fremder Sprache rathschlagte man über das Wohl und Wehe des neuen Königreichs. Den Franzosen fiel es gar nicht ein, Deutsch zu lernen; auch wagte Niemand sich zu erbieten, denselben Unterricht in der deutschen Sprache zu geben, während die maîtres de langue française sich zu Dutzenden ankündigten und die Buchhandlungen fast nur noch alte und neue Erzeugnisse der französischen Literatur offerirten. So bequemten sich denn die Deutschen, französisch zu lernen, da die Franzosen, trotz des königlichen Versprechens, nicht Deutsch lernen mochten. Mit dieser friedfertigen Lösung des Sprachconflictes allein war jedoch das Glück Westphalens noch nicht gegründet 55 .
1.3.
Französische Sprachlehrbücher und -wörterbücher
In ihrem Enthusiasmus für die französische Sprache und Kultur fanden die westphälischen Staatsbürger, die Französisch lernen wollten, nicht allein bei den privaten Sprachlehrern Unterstützung. Die französischen Sprachlehrbücher und -wörterbücher, die in den Jahren 1807 bis 1813 veröffentlicht wurden, waren ebenfalls eine wertvolle Hilfe. In dieser Sparte der Druckerzeugnisse fallen mehrere Tendenzen auf, die hier in aller Kürze dargestellt werden sollen56 . 55 56
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 84 f. Die einzelnen hier vorgestellten Sprachlehrbücher und -wörterbücher sind über das »Allgemeine Verzeichnis der Bücher« zu den Stichprobenjahren 1804–1805 und 1812–1813 erschlossen worden. Ein systematisches Bibliographieren der Druckerzeugnisse zur Erlernung von fremden Sprachen im Jahrzehnt von 1804 bis 1814 wäre sicherlich sehr interessant, um eine quantitative und qualitative Analyse anzustellen. Vgl. Allgemeines Verzeichnis der Bücher. Vgl. auch ZAUNMÜLLER, Bibliographisches Handbuch der Sprachwörterbücher. Vgl. ferner STENGEL, Die ältesten Anleitungsschriften; DERS., Zur Abfassung einer Geschichte der französischen Grammatik; DERS., Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken; BAUDRIER, Bibliographie des dictionnaires allemandfrançais et français-allemand.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
1.3.1.
171
Unterrichtsmethoden für Kinder und Jugendliche
Besonders für Schulkinder wurden im untersuchten Zeitraum Sprachlehrbücher herausgegeben, die für sich beanspruchten, auf neuen Unterrichtsmethoden zu basieren57 . Im »Westphälischen Moniteur« wurde beispielsweise im November 1811 folgende Anzeige für ein Sprachwörterbuch abgedruckt: Neues Französisch-Deutsches und Deutsch-Französisches Schullexikon für den ersten Unterricht, 2 Bde., 8., 70 Bogen stark Unter der großen Menge von Franz.-Deutschen und deutsch-Franz. Wörterbüchern giebt es keins, das für den ersten Unterricht in der franz. Sprache im All57
Vgl. Anweisung, leicht fäßliche, den Kindern die französische Sprache auf eine angenehme Art durch Spielen zu erlernen. Eine Beilage zu allen neuen Grammatiken, zweite wohlfeilere Ausgabe, m. 22. Spielen, Cöln 1804; S. H. CATEL, Französisch-deutsches und deutsch-französisches Schul-Wörterbuch, Berlin [1804]; Anfangsgründe der französischen Sprache, bestehend in einem Kartenspiel für Kinder, um in kurzer Zeit der Jugend Decliniren und Conjugiren zu lernen. Eine ganz neu erfundene Lehrart, Leipzig 1804; Mag. Fr. HERRMANN (Hg.), Der Jugendfreund, ein Taschenbuch für Kinder, auf 1805. In belehrenden und angenehmen Erzähl. Deutsch, Englisch und Französisch zur Erleichterung des Unterrichts in diesen Sprachen, enth. Heinrich und Lucie, Leipzig 1804; H. SEYDEL, Neuer Orbis pictus in sechs Sprachen, oder das unterhaltende und belehrende Bilderbuch für Kinder von jedem Alter, Nürnberg 2 1804; Fr. C. KIRCHHOF, Grammatik der französischen Sprache für Schulen, Halle 1804; DERS., Kleine französische Sprachlehre für die untern Schulklassen als Anhang zu dem neuen franz. Schulbuch für die untern Classen, Halle 1805; DERS., Kleine französische Sprachlehre für die untern Schulklassen, Halle 1805; W. G. BASTIAN, Französisches Lesebuch für deutsche Söhne und Töchter, Leipzig 2 1805; Z. BEAURAIN, Praktische Methode Kinder französisch lesen und aussprechen zu lehren, nebst Uebung im Lesen für das zarte Kindesalter, um dadurch zugleich auf eine leichte und faßliche Art die Begriffe der Kinder zu entwickeln, Neue Auflage, Leipzig 1805; F. HELBIG, Französisches Lesebuch für die niedern Classen der Gymnasien, Breslau 1805; Albert Christian MEINECKE, Kleines Uebungsbuch zum Französischschreiben für die Jugend, Quedlinburg 1805; Dr. Johann Paul PÖHLMANN, Stehende Wandfibel für Kinder, welche Französisch lesen lernen wollen. Ein Anh. zu dessen praktischen Anweisung Kinder auf eine leichte, angenehme und den Verstand schärfende Weise Französisch lesen und sprechen zu lehren. Auf 18 Tab. Mit sehr großen Buchstaben, Fol., Erlangen 1805; J. F. SCHAFFER, Erste Anfangsgründe der französischen Sprache, besonders für Kinder, Hannover 1805; Johann V. MEIDINGER, Erster Unterricht in der französischen Sprache für Kinder, Leipzig 7 1807; Erster Unterricht in der französischen Sprache für Kinder, Wesel 1812; Johann H. P. SEIDENSTÜCKER, Elementarbuch zur Erlernung der französischen Sprache. Erste Abtheilung, Dortmund, Leipzig 2 1812; Französische und deutsche Gespräche. Zum Behuf des Unterrichts in der französischen Sprache, vorzüglich für den Schulgebrauch. Mit Erläuterungen und Anmerkungen der schwersten Wörter und Redensarten, Leipzig 1813; Johann Baptist LUGINO, Französische Sprachlehre für die zartere Jugend. Von J. B. LUGINO, Professor der französischen Sprache, so wie der Dichtung- und Rede-Kunst in der Gemeinde-Sekundärschule binnen Köln/Grammaire française pour la première jeunesse, par J. B. LUGINO, Régent au Collège de Cologne, Köln 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
gemeinen, so wie auch besonders für die ärmern Volksklassen und Anfangsschulen zur Exierung dieser jetzt so nothwendig gewordenen Sprache berechnet wäre. Diesem Mangel glaubt der Verleger dadurch abgeholfen zu haben, dass er ein Wörterbuch bearbeiten ließ, welches mit der größten Wohlfeilheit eine zweckmäßige verbindet. Wenn nun unbemittelte Aeltern beide Theile eines Franz.-Deutschen und Deutsch-Franz. Wörterbuchs von 70 Bogen, […] um den äusserst geringen Preis von I Thlr. Sächs für ihre Kinder anschaffen können, so dürfte der Zweck, den man bei Bearbeitung dieses Werks beabsichtigen zu müssen glaubte, die Verbreitung der franz. Sprache allgemeiner zu machen, nicht verfehlt werden58 .
Der Verleger der Griesbaschen Buchhandlung, in der dieses »Schullexikon« erschien, betonte, eine Marktlücke zu schließen: Die Bedürfnisse der Kinder aus den Unterschichten nach französischen Grundkenntnissen sollten preiswert abgedeckt werden. Damit wird deutlich, dass die Bemühungen, Französisch zu lernen, noch 1811 weit verbreitet waren und alle Schichten der Gesellschaft betrafen. Nicht nur bei den Eltern, die ihre Kinder auf französische Privatschulen für höhere Töchter schickten, war, wie eingangs erwähnt, der Wunsch vorhanden, den Nachwuchs mit Französischkenntnissen auszustatten. Sprachlehrbücher und -wörterbücher gab es tatsächlich für alle Budgets und Bedürfnisse. Einige Sprachlehrbücher erhoben den Anspruch, für alle Sprachlernende, ob Kinder oder Erwachsene, eine »Anfangsstunde« in der französischen Sprache zu ermöglichen59 . Die Existenz solcher Sprachlehrbücher könnte der Hinweis darauf sein, dass die Eltern die Investition nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für sich selbst tätigten. Titel wie »ABC- und Lesebuch, neues deutsches und französisches, oder Anweisung für Eltern und Erzieher, binnen zwei Monathen ihre Kinder richtig deutsch und französisch lesen zu lehren« verraten, dass der französische Spracherwerb zwischen 1807 und 1813 zu einer generationsübergreifenden Ange58 59
Le Moniteur westphalien, Nr. 282, 26. November 1811. Vgl. PENZENKUFFER, Elementargrundsätze der französischen Sprache zum Behuf des öffentlichen und Privatunterrichts, 2 Theile, Bayreuth 1804; Neues Handwörterbuch, französisch-deutsch und deutsch-französisch zum Gebrauch für Schulen, so wie für Kauf- und Geschäftsleute, und zum Nutzen aller, welche beide Sprachen gründlich zu verstehen wünschen. Nach den besten bis jetzt erschien. Quellen bearbeitet, Leipzig 1805; B. DAULNOY, Vollständiger Cursus zur Erlernung der französischen Sprache. Nr. 1 kleine franz. Sprachlehre für Anfänger, vornehml. für Kinder, als Einleit. zur größeren franz. Sprachl., Nr. III Auswahl nützlicher Materialien zu prakt. Arbeiten, Litt. B. 1e, Dortmund 4 1804; C. F. FRANCESON, Neue französische Sprachlehre für Deutsche. Zum Gebrauch in Schulen und beim Selbstunterricht. 1r od. theoretischer u. 2r od. praktischer Theil, Berlin 2 1813; H. F. GRANGÉ, Cours de grammaire et de lecture; oder Stufenfolge zur theoretischen u. prakt. Erlernung der französischen Sprache zum Gebrauch für Schulen und zum Privat-Unterricht, 2r Cursus, Züllichau 1813. Über Daulnoys Methode und Lebenshintergründe vgl. CHRIST, Rekonstruktion von Fremdsprachenlehrmethoden, S. 128, 136.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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legenheit wurde60 . Einige Titel wenden sich offensichtlich eher an Erwachsene oder junge Leute, die die französische Sprache mithilfe eines Sprachlehrers, eines Sprachlehrbuchs oder einer Grammatik gründlich zu erlernen gedachten, und berücksichtigen zum Teil das jeweilige Zeitbudget der Adressaten61 . Der französische Spracherwerb betraf auch nicht allein die höhere Gesellschaft, ganz im Gegenteil: Über die Sprachlehrbücher wurden auch diejenigen Gesellschaftsgruppen bedient, die sich nicht unbe60
61
Vgl. ABC- und Lesebuch, neues deutsches und französisches, oder Anweisung für Eltern und Erzieher, binnen zwei Monathen ihre Kinder richtig deutsch und französisch lesen zu lehren, Hg. v. C. Er. SEIFART, Augsburg 1805. Vgl. auch speziell für Mütter, die zusammen mit ihren Kindern die französische Sprache erlernen wollten, einen Titel, der von den Gebrüdern Hahn in Hannover gedruckt wurde: J. F. SCHAFFER, Erster Unterricht in der französischen Sprache für Kinder, oder Vorübungen zur leichten u. schnellen Erlernung des mündlichen Ausdrucks im Französischen, für Schulen und zum Privatunterricht, auch für Mütter, welche, ohne Fertigkeit in dieser Sprache zu besitzen, Hannover 1813. Vgl. Vollständige und systematische Anleitung zu gründliche und leichter Erlernung der französischen Sprache in fortlaufender Verbindung mit einem so genannten Kursus, oder einer Erläuterung der jedesmaligen Lehren durch zweckmäßige und angenehme Beispiele aus guten Schriftstellern, wodurch der Lehrling nicht nur eine Sprachlehre, sondern zugleich ein unterhaltendes Lesebuch in d. Hände geliefert wird. Mit Zuziehung des gelehrten Franzosen François de NEUVILLE bearbeitet von Prof. Christian Ludwig SEEBASS, Pirna 1804; Französische Grammatik für Deutsche, mit Beispielen, Uebungen und Proben zur Anwendung der Regeln, Hg. von A. GRÜNING, Hamburg 2 1804; Handbuch der französischen Sprache und Literatur, chronolog. geordnet, Berlin 3 1804; Lectionen, zweihundert. Ein brauchbares Hülfsmittel beim ersten Unterricht in der französischen Sprache, von Christian Heinrich PAUFLER, Leipzig 1804; Erster Unterricht zur Uebung in der französischen Sprache, Berlin 1804; J. A. C. BÖTTGER, Leitfaden beim ersten Unterricht im Französischen nebst einem erleichterten Lesebuche für Anfänger, Magdeburg 2 1804; Dr. F. HERMANN, Französische Sprachlehre für Deutsche mit einem Cursus deutscher Aufgaben zur Ausübung der Regeln, Stuttgart 1804; C. M. de SERVAIS, Französische Sprachlehre nach der leichtesten und faßlichsten Methode; durch Beispiele und viele Ausgaben erklärt, Frankfurt a.M. 1804; Dr. L. SETAU, Französische Sprachlehre für die Deutschen, neue Auflage, Danzig 1804; Choix de pièces intéressantes, pour servir de lecture instructive à l’usage des jeunes gens, qui veulent apprendre la langue française, Leipzig 1805; École françoise, ein Lesebuch für Anfänger, Hamburg 1805; Élemens de la grammaire française, d’après les principes établis par M. L’HOMOND, Braunschweig, Leipzig 6 1805; A. J. HECKER, Kurzgefaßte französische Sprachlehre für Anfänger, Berlin 1811; E. G. A. WAHLERT, Französisches Lesebuch mit beigefügtem Wortregister für die ersten Anfänger, Düsseldorf 1811; W. BESSER, Grammatik der französischen Sprache, nach einer neuen kurzen und zweckmäßigen Methode bearbeitet für Anfänger, Goslar 1813; J. B. DAULNOY, Große französische Sprachlehre, oder des Cursus zur vollständigen Erlernung der französischen Sprache, Nr. II., Dortmund 3 1805; DERS., Cursus zur vollständ. Erlernung der französischen Sprache. Nr. I. Kleine Grammatik für Anfänger, Dortmund 8 1813; F. T. KÜHNE, Neue Materialien oder Beispiele zur Erlernung der französischen Sprachregeln nebst den nöthigsten Gallicismen und praktischen Uebungen, Marburg 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
dingt einen privaten Sprachlehrer oder eine Ausbildung in einer französischsprachigen privaten Schulanstalt leisten konnten. In ihren Titeln weisen die Sprachlehrbücher und -wörterbücher meist eindeutig auf den gezielten Adressatenkreis und Verwendungszweck. Oftmals lieferten sie zudem ein Versprechen oder eine Prognose über die Schnelligkeit des Spracherwerbs. 1.3.2. Französische Sprachlehrbücher und Hilfsbücher zum Selbstunterricht Neben den speziell an Kinder gerichteten Sprachlehrbüchern und -wörterbüchern fällt für die erwachsenen Sprachlernenden eine ganz besondere Sorte von Sprachlehrbüchern auf, nämlich die Hilfsbücher zum Selbstunterricht. Vor allem diese Sprachlehrbücher und –wörterbücher versprachen programmatisch im Titel, auf die Schnelle, möglichst ohne Sprachlehrer und ohne Mühe Französisch zu vermitteln62 . Einige legten bewusst 62
Vgl. Kunst, die französische Sprache auf die kürzeste und leichteste Methode gründlich zu erlernen, Pirna 1804; I. F. A. BELIN, Esprit de la langue françoise, oder kurze, faßliche und gründliche Anleitung zur baldigen und leichten Erlernung dieser Sprache, Penig 1804; A. PERNWINKLER, Kunst durch die Routine in 3 oder 4 Monaten französisch sprechen zu lernen, Stadtamhof, Leipzig 1804; F. TRIBOUT, Die aufgehobenen Schwierigkeiten der Französischen Sprache für einen Deutschen, oder Les difficultés applanies de la langue française pour un allemand, Schleswig, Hamburg 1804; Johann David Gotthilf WEILER, Petite grammaire raisonnée, oder kurze Sprachlehre für jedermann, der die französische Sprache bald und doch gründlich kennen lernen will, Ulm 1804; Gemeine französische Wortsetzung zur Erleichterung für diejenige, welche in kurzer Zeit französisch zu sprechen gedenken. Zur Richtschnur für Sprachmeister und Schüler, welche noch schwache Grundregeln besitzen, München 1805; Grammatik, neueste, die französische Sprache auf eine kurze und leichte Art zu erlernen, nebst einer besonderen Methode, binnen einer kurzen Zeit den größten Theil der französischen Wörter zu wissen, für jene, die der lateinischen Sprache kundig sind, Wien 1805; G. F. LE MANG, Praktische Anweisung zum Sprechen der französischen Sprache, oder die Kunst diese Sprache nach einer neuen und faßlichen Methode gründlich verstehen, sprechen und schreiben zu lernen, Halle 1805; Johann David Gotthilf WEILER, Petite grammaire raisonnée, oder kurze Sprachlehre für Jedermann, der die französische Sprache bald und doch gründlich kennen lernen will, nebst einem Anhang von Gesprächen, Ulm 2 1805; Christian August Lebrecht KÄSTNER, Kunst in zwey Monaten französisch lesen, schreiben und sprechen zu lernen, Leipzig 2 1807; DERS., Kunst in zwey Monaten französisch lesen, verstehen, schreiben und sprechen zu lernen, von Christian August Lebrecht KÄSTNER, Dessau, Leipzig 3 1808; DERS., Kunst in zwey Monaten französisch lesen, verstehen, schreiben und sprechen zu lernen, Dessau, Leipzig 4 1809; Französische und deutsche Gespräche. Ein Versuch durch praktische Anweisung Anfängern im Französischen das Sprechen zu erleichtern, Strassburg 8 1809; Wie lernt man die französische Sprache ohne Lehrer in kurtzer Zeit verstehen, sprechen und schreiben? Ein Noth- und Hülfsbüchlein, Bremen 1809; Christian August Lebrecht KÄSTNER, Kunst in zwey Monaten französisch lesen, schreiben und sprechen zu lernen, Leipzig 4 1811; Nützliche Anweisung, wie die nöthigs-
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den Akzent auf die Aussprache oder die Umgangssprache63 . Ein Titel richtete sich sogar bewusst an diejenigen, die durch mündlichen Spracherwerb bereits Grundkenntnisse in Französisch besaßen, jedoch noch keine schriftlichen Kenntnisse hatten und Nachholbedarf empfanden oder daran dachten, sich als französischer Sprachlehrer zu verdingen, wobei das Lehren sogar vor das Lernen gestellt wurde: »Lese- und Unterhaltungsbuch für die-
63
ten und allgemeinsten Worte und Redensarten, nach der französischen Mundart, soviel möglich, mit deutschen Buchstaben ausgesprochen werden müssen, zum Unterricht für diejenigen, die französischen Buchstaben und deren Aussprache nicht erlernt haben, und sich doch das nöthigste zu ihrem Gebrauch bekannt machen wollen, Köln 1812; Der aufrichtige Franzose, oder die Kunst in acht Tagen französisch sprechen zu lernen, München 3 1813; Abrégé des principes de la langue française, selon le stile le plus moderne, par I. P. FOGEL, Kurzer Inbegriff der Grundsätze der französischen Sprache nach der neuesten Schreibart, Mainz 1813; Johann Gottlieb CUNRADI, Französische Fibel oder ABC Syllabir- und Lesebüchlein, durch welches das Lesenlernen im Französischen erleichtert und gefördert wird, Nürnberg 1813; Christian August Lebrecht KÄSTNER, Neue Anweisung, die am häufigsten vorkommenden Wörter und abweichenden Redensarten in der französischen Sprache sich bald und leicht geläufig zu machen, Leipzig 1813; DERS., Erklärender Auszug aus seiner Kunst in zwei Monaten französisch zu lernen, Leipzig 1813; DERS., Kunst in zwey Monaten französisch zu lernen: Ein erklärender Auszug aus meiner größeren französischen Sprachlehre, Leipzig 1813; G[regorius] F[erdinand] LE MANG, Kunst, ohne Lehrer rein und fließend Französisch sprechen und schreiben zu lernen; bestehend in einer Sammlung interessanter Züge, merkwürdiger Begebenheiten und unterhaltender Anekdoten in reiner französischen Sprache, mit beigefügter Erklärung aller vorkommenden schweren, Leipzig 1813. Einige Titel, die den Fokus auf die Aussprache legten, vgl. Trucheman, oder französischer Dollmetscher, mit der Aussprache, für Bürger und Bauern, Lüneburg 2 1804; Wörterbuch für die französische Aussprache; oder alphabetische Angabe aller französischen Wörter mit ihrer Aussprache, nebst beständiger Bezeichnung der Quantität und der verschiedenen provinziellen Sprechart. Ein Handbuch für Deutsche, die das Französische auf eine bequeme Art richtig sprechen und verstehen lernen wollen, Breslau [1804]; H. JÄCK, Kann man die richtige Pronunciation einer fremden Sprache erlernen?, Landhut 1804; Jean François SOUBIRAN, Kunst die französische Sprache gut aussprechen, reden, und wohl schreiben zu lernen, Wien 1804; J. J. M. VALLER, Französische Thalia, oder Gespräche aus Moliere zur Erlangung der Fertigkeit, gutes Französisch zu sprechen, Hamburg 1804; J. F. RENAULT, Regles fixes pour bien prononcer les sons français, suivies des régles sur l’orthographie, et de la définition des parties du discours, avec la manière de les employer etc., Hannover 1805; L. DÜWEZ, Neue französische Gespräche. Zur Beförderung des richtigern und geläufigeren Ausdrucks im Französischsprechen unter den Deutschen. Nebst verschied. nützlichen Anhängen, Dortmund 3 1813. Einige Titel, die den Schwerpunkt auf die Umgangsprache legten, vgl. J. A. GOTTFRIED, Sammlung aller derjenigen zum gemeinen Leben nothwendigen franz. Wörter und Redensarten, welche in den Schriftstellern theils sehr selten, theils gar nicht vorkommen, und welches bisher der Fall gewesen, warum auch die welche eine geraume Zeit mit der franz. Sprache zugebracht, doch im Reden nicht haben fortkommen können. Durchaus neu verm. u. verbess. Auflage, Schwabach 1804.
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jenige, welche die Französische Sprache gut sprechen und richtig schreiben, lehren und lernen wollen«64 . Sicherlich waren viele dieser Sprachlehrbücher auf die Besatzungs- und Kriegssituation ausgerichtet. Auf diese besondere Funktionalität der manchmal in ihren Titeln als »Dolmetscher« bezeichneten Verständigungshilfen wird noch zurückzukommen sein65 . Konrad Breitenborn schreibt in Bezug auf die Grafschaft Wernigerode in der westphälischen Zeit: »Kennzeichnend für die Anpassung der Bürger war auch, daß ein kleines französisches Wörterbuch, dessen Anschaffung der ›Postsecretair‹ Rode im ›Wernigerödischen Intelligenzblatt‹ empfahl, viele Abnehmer fand«66 . Dies zeigt, dass das Interesse für die französische Sprache keine Besonderheit Kassels mit seinem Sonderstatus als Hauptstadt des Königreichs und erste Anlaufstelle für französischsprachige Zuwanderer war. In den »Wernigerödischen Intelligenz-Blättern« stand am 23. März 1807: Der neue französische Dollmetscher, ein unentbehrliches Hülfsbuch für den Bürger und Landmann, enthaltend: die gebräuchlichesten Wörter, die Zahlen von 1 bis 1000, Gespräche über die gewöhnlichsten Gegenstände des menschlichen Lebens, und eine Tabelle der Vergleichung der französischen Münzen mit den sächsischen und preußischen – dieses jetzt so nützliche Buch, ist gebunden für 3 Ggr. bei mir zu erhalten, […], Rohde, Postsecretair67 .
Seine Dolmetscher verkaufte der Postsekretär offensichtlich sehr rasch, denn Mitte April verkündete er in der Rubrik »Vermischte Nachrichten« der »Wernigerödischen Intelligenz-Blätter« erneut: 64
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C. A. FEVRIER, Lese- und Unterhaltungsbuch für diejenige, welche die Französische Sprache gut sprechen und richtig schreiben, lehren und lernen wollen, 2r Theil, Leipzig 1805; vgl. auch Albert Christian MEINECKE, Uebungs-Magazin zum Französisch-Schreiben und Sprechen, in Verbindung nützlicher Sachkenntnisse mit den im gemeinen Leben üblichen Wörtern und Redensarten, vorzüglich für Lehrlinge, welche schon die Anfangsgründe dieser Sprache kennen, Göttingen 1804. Vgl. Christian August Lebrecht KÄSTNER, Französische Sprachlehre nach einer ganz neuen äußerst faßlichen Methode vorzüglich für den deutschen Bürger und Landmann bei französischen Einquartierungen, Leipzig 1812. Andere Sprachen standen in dieser speziellen Sparte der Sprachlehrbücher und -wörterbücher ebenfalls im Angebot: Vgl. Deutsch-spanisches Noth- und Hülfsbüchlein zur Aussprache und zum Verstehen der nöthigsten spanischen Wörter und Redensarten, Leipzig, Frankfurt a.M. o.J.; G. S. BANDKE, Vollständiges polnischdeutsches Wörterbuch, zum Handgebrauch für Deutsche und Polen verfaßt, Breslau 1805; Spanischer Dollmetscher fuer das gegenwaertige Beduerfniss: nach Art des franzoesischen Trucheman (Mit der Aussprache), Göttingen 1807; Wie lernt man die Spanische Sprache ohne Lehrer in kurzer Zeit verstehen, sprechen und schreiben? Ein Noth- und Hülfsbüchlein, Bremen 1807. BREITENBORN, Die Grafschaft Wernigerode, S. 10. Wernigerödische Intelligenz-Blätter, 12tes Stück, 23. März 1807, Rubrik »Vermischte Nachrichten«, S. 45.
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Der kleine französische Dollmetscher ist nun wieder bei mir für 3 Ggr. zu haben. Der große Absatz, den dieß Buch bisher fand, bürgt für die Nützlichkeit und Brauchbarkeit desselben, und ich enthalte mich daher jeder weitern Empfehlung68 .
Ein anderer Zeitgenosse, Friedrich Nagel, selbst zeitweilig Privatlehrer, berichtete Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Erinnerungen über eine Situation im Lüneburgischen im Winter 1810, in der ein ähnliches Sprachlehrbuch zum Einsatz kam: Der Bevollmächtigte des Marschalls Massena nun war ein Notar aus Paris, Namens Leidier, ein alter, gutmüthiger Bürgersmann, obschon nach Grundsätzen und Sitten ganz und gar leichtfertiger Franzose. […] Ich […] erfuhr von ihm, dass er seit drei Wochen mit der Erledigung seiner Aufträge noch nicht einmal einen Anfang hatte machen können, weil er kein Wort Deutsch verstand, als etwa ›bedanke, bedanke‹, und Niemand im Hause Französisch sprach. Meidingers Grammatik für Franzosen, welche Deutsch lernen wollen, lag wohl aufgeschlagen vor ihm auf dem Tische, doch wollte nichts daraus in den mehr als sechzigjährigen französischen Kopf. Der alte Prälat Bergmann, der im Klostergebäude sein Lebensende erwartete, hatte zwar durch Selbstunterricht noch so viel Französisch gelernt, dass er sich über alltägliche Dinge nothdürftig in dieser Sprache verständigen konnte; doch wehe dem Franzosen, der ohne Sprachlehrer Deutsch lernen soll 69 !
Nagel erwähnte hier auf der einen Seite die Verzweiflung Leidiers, der mit seiner aufgeschlagenen Grammatik der deutschen Sprache für Franzosen nicht viel anfangen konnte, und auf der anderen Seite die Bemühungen des alten Prälaten Bergmann, der mit Selbstunterricht Französisch gelernt hatte70 . Beide älteren Männer hatten ihre Mühe mit der Sprache des 68
69 70
Ibid., 15tes Stück, 13. April 1807, S. 58. Es könnte sich um folgenden Dolmetscher gehandelt haben: Der kleine französische Dollmetscher oder Sprachbuch für deutsche Bürger und Landleute, die in den nötigsten Fällen die Franzosen zu verstehen und sich ihnen auch verständlich zu machen wünschen; enthält eine Sammlung der nöthigsten Wörter und Redensarten für den Umgang, Erfurt (Hoyer) 1807. Die Titelseite dieses Dolmetschers ist abgebildet in: König Lustik!?, Kat. 385. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 194 f. Die von Leidier verwendete »Meidingers Grammatik« war wahrscheinlich eine Wiederauflage von folgendem Titel: J. V. MEIDINGER, Praktische französische Grammatik, wodurch man diese Sprache auf eine ganz neue und sehr leichte Art in kurzer Zeit gründlich erlernen kann, Leipzig 23 1808. Vgl. andere zeitgenössische Werke zum Erlernen der deutschen Sprache für die französischen Migranten: C. F. SPLITTEGARB, Deutsche Sprachlehre für Anfänger, m. Aufgaben, Halle 2 1804; Versuch eines praktischen Unterrichts in den Anfangsgründen der Deutschen Sprache, mit beständiger Anwendung auf die Orthographie zunächst für Schulen, aber auch zum Privatgebrauch, nützlich, in zwei Theilen, bearb. und hg. von J. W. BERGER, ehemaligem Lehrer der französischen und deutschen Sprache und Vorsteher einer Lehranstalt in Mulheim am Rhein, jetzt in hochgräflich zur Lippe Biester feldischen Diensten in Cleve – I. Theil, welcher die Grammatik enthält, Cleve 1810; Deutsche Sprachlehre für Anfänger, Köln 1815. Vgl. ferner STÄDTLER, Grammatiksprache; DAHMEN (Hg.), »Gebrauchsgrammatik«. Über Meidingers Werk und Biographie und die enge Verbindung seiner
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Anderen71 , wobei Bergmann mit seinem Sprachlehrbuch weiter gekommen war72 . Einige Sprachwörterbücher erheben den Anspruch, für die französischsprachigen Lerner der deutschen Sprache und für die deutschsprachigen Lerner der französischen Sprache zugleich konzipiert zu sein. Dies trifft insbesondere zu auf die dictionnaires de poche, die Handwörterbücher für den alltäglichen Gebrauch und die Konversations- beziehungsweise Dialogbücher für Gespräche zwischen Deutsch- und Französischsprachigen mit rudimentären Kenntnissen der jeweilig anderen Sprache73 .
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Lehrmethode zu seinen politischen Ansichten vgl. CHRIST, Rekonstruktion von Fremdsprachenlehrmethoden, S. 127 f., 136, 145, 147. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 38. Eine andere zeitgenössische Anekdote zeugt davon, dass die Leichtigkeit des Sprachenlernens auch vom Alter abhing und unter den Generationen für leichten Spott sorgen konnte: »Da vernahm ich mehrfach den deutlich verstandenen Klang quatro vinco mit veränderter Endsylbe, die ich nicht so deutlich erfaßte, bis ich auf einmal ›quatro vinco sai‹ verstand. Mit einem mal wurde mir klar, daß das, was ich vernahm, wie französische, nur umgestaltete, Zahlworte lautete, und sagte zu meinen Cameraden: ›Die halten den Appel nach Nummern, eben haben sie die Zahl gerufen, die auf französisch ›quatre vingt six‹ heißt 86!‹ Ach! sagte der, aber ein Paar Bürger, die dabei standen, hatten mich gehört und der eine sagte zu seinem Nachbar: Da sieh einmal einer, die schwernothschen Jungens! Kaum sind die Spanier eingerückt, so wollen diese naseweisen Jungen schon spanisch können!« HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 132. Unter den deutsch-französischen Wörterbüchern und Handwörterbüchern vgl. Dictionnaire, nouveau, raisonné, portatif, allemand françois, oder Neues möglichst vollständiges und erklärendes Deutsch-Französisches Handwörterbuch, nach den neuesten und besten größten Wörterbüchern beider Nationen bearbeitet, zur Hälfte von Diak. Johann David Gotthilf WEILER, zur Hälfte von Mag. J. LANG, Ulm 1804; Johann Gottfried HAAS, Teutsch-französisches Taschenlexikon der meisten und besonders im gemeinen Leben vorkommenden Wörter und Redensarten, zur Erleichterung im französisch Sprechen, ausgearbeitet, Taschenformat, Schneeberg 1804; J. F. SOUBIRAN, Dictionnaire grammatical des mots equivoques dans cette langue. Expliqués par l’orthographe, composés en discours français, et traduits en Allemand à l’usage des deux nations. Oder grammatikalisches Wörterbuch der in der franz. Sprache vorfallenden zweideutigen Wörter. Durch die Rechtschreibung erklärt, in franz. Gespräche gesetzt, und zugleich übersetzt, zum Gebrauch beider Nationen, Wien 1804; Dictionnaire nouveau raisonné portatif, allemand-françois, redigé d’après les meilleurs dictionnaires des deux langues, par WEILER et LANG, Ulm 1805; Nouveau dictionnaire portatif, françois-allemand et allemand-françois. Destiné tant à l’usage des écoles, qu’à celui du commerce, et au profit de tous ceux qui s’appliquent à l’étude des deux langues. Redigé d’après les meilleurs ouvrages connus jusqu’à ce jour; suivi d’une table des verbes irréguliers et précédé d’une préface par Johann Gottfried HAAS, II. Tom., Leipzig 2 1805; C. F. CRAMER, Dictionnaire de poche, français et allemand & allemand français, 2 Bde., Braunschweig 1805; Nouveau Dictionnaire de Poche français-allemand à l’usage des deux Nations rédigé d’après les Dictionnaires de Schwan, de Catel et Adelung et des autres auteurs les plus estimés par une Société de Savans, 2 Bde., Köln 1811; Christian Friedrich SCHWAN, Nouveau dictionnaire françois allemand contenant tous les mots
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Glaubt man den satirischen Versen seiner Nachwelt, soll auch König Jérôme versucht haben, sich mithilfe eines Dolmetschers in Buchform zu verständigen. Allerdings angeblich weniger aus Pflichtbewusstsein gegenüber den königlich-westphälischen Untertanen als für seinen Umgang mit den Frauen: hatt’ er sich […] geborgt Ein Deutsches Taschenwörterbuch Mit Welsch gemischt 74 .
Für die Zeit von 1807 bis 1811 konnten eindeutige Indizien dafür gefunden werden, dass der Eifer der Deutschsprachigen, Französisch zu erlernen, anhielt, sei es nun über private Sprachlehrer, über Sprachlehrbücher oder Hilfsbücher zum Selbstunterricht 75 . Mit dem Abschied der Franzosen erlahmte allerdings das Interesse für die französische Sprache. Bei seinem literarischen Rückblick und Rundgang durch die Kasseler Gasthäuser stellt der anonyme Autor der »Garküche an der Fulde« über die zurückgelassenen Kaffeeanstalten und ihre letzten Besucher in der Hauptstadt Kassel im Jahre 1813 fest: in der Königsstraße Bergrand, […] Man hätte es das Kaffee der Flüchtigen nennen mögen, weil ein großer Theil der hier überraschten und noch zurückgebliebenen Franzosen hier ihr Café aux larmes hielt. Nach und nach verschwanden sie aber, wie
74 75
usités, leur genre et leur définition avec les différentes acceptions, dans lesquelles ils sont employés au sens propre et au figuré, les termes propres des sciences et des arts, et un grand nombre des mots adoptés dans les deux langues depuis quelques temps par Chrétien Frédéric SCHWAN extrait de son grand dictionnaire par lui meme. Nouvelle édition revue, corrigée et augmentée, Köln 1811–1812; Dictionnaire, nouveau, de poche, allemand-françois et françois-allemand par GLEY, 2 Bde., Bamberg, Würzburg 1813; Dictionnaire, nouveau, complet, à l’usage des Allemands et des François, par l’Abbé MOZIN, Tom. IIIme, Tübingen 1813. Über das Wörterbuch von Schwan vgl. HAUSMANN, Christian Friedrich Schwan. Unter den deutsch-französischen Konversationsbüchern vgl. Der neue DeutschFranzos (Allemand-Français), ein Noth- und Hülfsbuch für die Unterhaltung beider Nationen, Erfurt 1807; Der neue Deutsch-Franzos (Allemand-Français), ein Noth- und Hülfsbuch für die Unterhaltung beider Nationen, mit Vergleichungstabellen der französischen Münzen/Le nouvel Allemand-François, livre à l’usage des deux nations, Erfurt 5 1811; Dialogues françois et allemands par MOZIN, oder französische und deutsche Gespräche, Tübingen 4 1813; Eduard COURSIER, Handbuch der französischen und deutschen Conversationssprache, oder vollständige Anleitung für Deutsche, welche sich im Französischen und für Franzosen, welche sich im Deutschen richtig ausdrücken wollen, Stuttgart 7 1844. Vgl. ferner SPILLNER, Französische Grammatik; DERS., La grammaire française; RADTKE, Gesprochenes Französisch; SPILLNER, Debonale und Abbé Mozin. SCHELLER, Jeromiade, S. 75. Die Sprachlehrbücher, die sich als »Noth- und Hilfsbücher« ausgeben, stellen mit diesem Anspruch einen eindeutigen Bezug zu den volksaufklärerischen Werken her. Über die Volksaufklärung vgl. u.a. BÖNING, SIEGERT (Hg.), Volksaufklärung; SIEGERT, Medien der Volksaufklärung; LÜSEBRINK, MIX, MOLLIER (Hg.), Les lectures du peuple.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
die Jünger am Oelberge, und die Sieger rückten auch hier ein, bis am Ende gar Niemand mehr zu sehen war76 .
Und über die französischen Sprachlehrer bemerkt er im gleichen Zusammenhang: Bei der Revüe der teutschen Kaffeehäuser stand das Verdelletsche vormals oben an, wegen der Nähe des Schlosses. [Zeitweilig war es nur für Casino-Mitglieder zugänglich.] Jetzt aber steht es jedem wieder offen, nur fehlt es noch an Gesellschaft; die durchmarschirenden Offiziere, vorzüglich aber die hessischen freiwilligen Jäger haben es gleichsam eingeweiht. Außerdem ist es das Café des malheureux, welches nur noch von brodlosen, hier employrt gewesenen Ausländern und stundenfreien französischen Sprachmeistern besucht wird77 .
Demnach konnten die französischen Sprachlehrer spätestens ab Oktober 1813 brot- und arbeitslos ihren »Café aux larmes« im »Café des malheureux« trinken und den vergangenen goldenen Zeiten nachtrauern, wenn sie nicht schon abgereist waren78 . Etwa ab dem Jahre 1812 rückte eine andere Sprache in den Blickpunkt der Westphalen, die nun im Sortiment der Buchhändler und -drucker mit der französischen Sprache konkurrierte.
2.
Russische Dolmetscher
Die russische Sprache traf spätestens seit der sich abzeichnenden Niederlage des napoleonischen Russlandfeldzugs auf Resonanz bei den Westphalen. Eine Fallstudie über einen besonderen Dolmetscher, der eine Zensurmaßnahme der westphälischen Polizei auslöste, soll auf die Beweggründe der westphälischen Staatsbürger eingehen und zeigen, wie sie ihr Interesse allmählich von der französischen auf die russische Sprache verlagerten79 . Die so genannten »russischen Dolmetscher« waren wie die bereits erwähnten »französischen Dolmetscher« eine Art Sprachlehrbuch, besser gesagt eher Sprachwörterlisten, mit einigen besonderen Charakteristika, die auch auf die Sonderstellung hinweisen, die diese Dolmetscher bei den west-
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ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 72. Dieses Werk steht im übrigen ganz in der Tradition eines Friedrich Schulz und der Paris-Reiseliteratur aus der Zeit der Französischen Revolution. Vgl. SCHULZ, Ueber Paris und die Pariser; GERSMANN, Im Schatten der Bastille, S. 96–106. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 74. Beim Kupferstich, betitelt »L’Artiste français pleurant les chances de la Guerre«, beweint der Künstler von Paris aus das Kriegsunglück Napoleons, vgl. König Lustik!?, Kat. 78. Diese Fallstudie wurde bereits in einer kürzeren Fassung mit zwei Abbildungen veröffentlicht: PAYE, Sprach- und Zensurpolitik; zuletzt auch DIES., La diffusion des truchements français et russes.
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phälischen Staatsbürgern einnahmen. Neben der Untersuchung zu ihren Autoren und Verlegern, ihrem Adressatenkreis, ihrer Verbreitung und ihren Vorläufern, ist die Reaktion der westphälischen Polizei auf sie besonders instruktiv. Die Rezeptionsgeschichte dieser Werke ermöglicht Erkenntnisse über die Auswirkung von Zensur auf die Kommunikations- und Informationskultur am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die verstärkte Buchproduktion an russischen Dolmetschern im Jahre 1813 basierte augenscheinlich auf mehr als nur auf einem gestiegenen Interesse für diese Fremdsprache. 2.1. Charakteristika, Verbreitungswege, Lesepublikum und Vorläufer der russischen Dolmetscher Als zu Beginn des Jahres 1813 verstärkt Neuauflagen russischer Sprachwörterbücher auf dem Buchmarkt im Königreich Westphalen, aber auch in Nachbarterritorien zirkulierten, wusste die westphälische Polizei zunächst nicht, wie sie mit diesem großen Angebot umgehen sollte. Wie konnte sie einerseits französischen Unterricht und Lehrmaterial fördern und sich andererseits gegen den Wunsch der Staatsbürger nach Erwerb von Grundkenntnissen in der russischen Sprache wenden? Nach einer ersten Phase der missbilligenden Duldung und Unschlüssigkeit erfolgte mit der Affäre des Buchdruckers und Buchhändlers Friedrich Christoph Dreyssig aus Halle im März 1813 eine Wende in der Zensurpolitik der westphälischen Polizei gegenüber den russischen Sprachwörterbüchern. Als Dreyssig eine Neuauflage eines Dolmetschers auf den Markt brachte, wurde dies für die Polizei nach eigener Angabe zur »Quelle des Anstoßes« und führte zum allgemeinen Verbot der russischen Handreichungen. Wie es zu dieser Wende in der Zensurpolitik kam, soll durch eine eingehende Untersuchung der Affäre Dreyssig im Folgenden rekonstruiert werden. 2.1.1. Die Duldung der russischen Dolmetscher und die obrigkeitliche Diskussion über ihre Funktion und Wirkung Im Februar 1813 wurden die Dolmetscher erstmalig in der Korrespondenz des Polizeichefs Bongars erwähnt. Ein Bericht von Moisez, dem Generalpolizeikommissar in Halberstadt, lieferte folgende Auskunft: dépuis quelques jours, on a imprimé, vendu & colporté, dans toute l’étendue de mon arrondissement, les petits ouvrages designés dans la feuille cy jointe, a des Prix exhorbitans. & quoique ces ouvrages ne contiennent rien, qui soit contraire aux loix & reglemens de police, par eux mêmes, ils me paroissent, pourtant nuisibles, dans ce moment à la tranquillité publique, par le fait: leur libre circulation, sembleroit confirmer les
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
[…] gens […] dans la crainte qu’ils ont déjà trop, que les russes vont envahir l’Allemagne & notre territoire80 .
Das Dilemma für die westphälische Polizei wird in diesen Worten deutlich: Die Dolmetscher wiesen an sich keine staatsfeindlichen Inhalte auf, gegen die man mit einer Zensurmaßnahme vorgehen konnte. Es waren eigentlich reguläre Verständigungshilfen; nur die Situation, in der sie entstanden, und der Ansturm auf sie wirkte, Moisez zufolge, destabilisierend für die westphälische Herrschaft. Der hohe Preis, den die Westphalen bereit waren, für diese Werke aufzubringen, verschärfte umso mehr den latenten Loyalitätsbruch gegenüber dem westphälischen Staat. Seinem Schreiben legte Moisez das genannte Verzeichnis bei, das als Inserat einer zeitgenössischen Zeitung entnommen worden war: Verzeichniß von Friedrich Christoph Dreysigs ganz neuen russischen Verlagsbüchern. 1. Das kleine russisch-französisch-deutsche ABC Buch mit illuminirten Kupfern 6 Gr. 2. Großes ABC- und Lesebuch in russischer und deutscher Sprache mit vielen illuminirten Bildern 4 Gr. 3. Der kleine russisch-deutsche Dollmetscher 2 Gr. 4. Der große Dolmetscher, deutsch, französisch und russisch, mit Aussprache 6 Gr. 5. Kleines Wörterbuch, russisch, französisch und deutsch 4 Gr. 6. Russisch-deutscher Wand-Anschlag für Gastwirthe, Kaffeehäuser, Billard- und Tanzsäle 2 Gr. 7. Russische Vorschriften zum Schönschreiben 4 Gr. 8. Russischer Kriegsschauplatz und Einmärsche in Deutschland 4 Gr. Alle diese Schriften hat der Herr Buchhändler Cnobloch für den Buchhandel in Leipzig in Kommission erhalten und nimmt Bestellungen darauf an […]. Leben und leben lassen! Dreyssig, Buchdrucker in Russischen, Deutschen, Französischen, Lateinischen u. Tabellen-Arbeiten81 .
Das Verlagsprogramm Dreyssigs deutet bereits an, wie mit den russischen Verlagsbüchern vielseitige Bedürfnisse bedient werden sollten. Die Anzeige gibt einschlägig Auskunft über die Buchproduktion Dreyssigs: Er bot eine Vielzahl von zwei- bis dreisprachigen Büchern an, die zum Erlernen der russischen Sprache gedacht waren. Manche Titel zeugen von der alltagsnahen Verwendung (Nr. 6), andere weisen auf das Interesse für den Krieg hin (Nr. 8). Es sind dreisprachige Ausgaben darunter, die den französischen wie den deutschen Sprachgemeinschaften im Königreich Westphalen be80
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7993: Schreiben Nr. 549 P. S. von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, an J. F. M. de Bongars, 2. 2. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7994: Zeitungsausschnitt. Dreyssig wird gelegentlich in den Quellen auch Dreysig geschrieben.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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hilflich sein sollten. »Der große Dolmetscher, deutsch, französisch und russisch« war für die gründlicheren Nutzer gedacht und bot sogar Hinweise zur Aussprache; für die eiligeren Nutzer, und vielleicht auch weniger bemittelte, hielt er eine kleinere Variante parat, das »Kleine Wörterbuch, russisch, französisch und deutsch« für vier Groschen. Zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt der westphälischen Herrschaft könnten diese dreisprachigen Werke als Signal gedeutet werden, dass die Deutsch- und Französischsprachigen in Westphalen bereits zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen waren, die gemeinsame Ängste und Sprachwörterbücher teilte. Der »Wand-Anschlag für Gastwirthe, Kaffeehäuser, Billard- und Tanzsäle« zeigt wiederum, wie praxisorientiert der russische Spracherwerb war. Die Verleger waren so sensibilisiert für die Bedürfnisse ihrer potentiellen Kunden, dass sie sich mit einigen Angeboten auch auf bestimmte situative Öffentlichkeiten fokussierten82 . Die »Russischen Vorschriften zum Schönschreiben« für ganze vier Groschen verwundern zunächst: Hatten etwa die Westphalen vor, die russische Schrift lernen zu wollen? Auf einen besonderen Staatsbürger, der Schriftstücke auf »Russisch« verfasste, wird noch zurückzukommen sein. Wenn man das gesamte Sortiment überblickt und Moisez’ Mutmaßungen hinzuzieht, so kommt man zu dem Schluss, dass diejenigen Westphalen, die das Werk Dreyssigs mit dem Titel »Russischer Kriegsschauplatz und Einmärsche in Deutschland« für vier Groschen erstanden, sehr wahrscheinlich von der Angst vor dem Anrücken der Russen geplagt waren. Zudem verrät das Angebot dieses Werks eventuell auch ein Informationsbedürfnis über den Vormarsch der Russen. Zum Schluss der Anzeige deutet die Phrase »Leben und leben lassen!« darauf hin, dass der Buchdrucker das offizielle Plazet, das ihm den Verkauf dieser Bücher erlaubte, erhalten hatte. Diese sprachliche Konvention ging auf eine lange Tradition zurück83 . Zu diesem Zeitpunkt standen die Werke 82
83
Vgl. drei weitere Angebote für Gasthäuser: KUSNEZOW, Russische SprachVerständigungstafel in groß Folio (zum Anschlagen und Aufhängen in Gasthöfen u. andern Oertern, wo sich viel Russen befinden, um sich denselben verständlich machen zu können). Mit der Aussprache des (mit russischen Buchstaben gedruckten) Russischen, und einer Anweisung zum Gebrauch dieser Tafel in russischer und deutscher Sprache, Leipzig (Joachim) 1813; Der russisch-deutsche Dolmetscher, in Landkartenformat, Berlin (Schmidt) 1813; Noth- und Hülfstafel für diejenigen, so sich mit den Russen verständigen wollen, Leipzig (Rein & Co.) 1813. Zum Begriff der situativen Öffentlichkeiten von Salbern vgl. »Stadt und Öffentlichkeit«. Vgl. CHARTIER, Lesewelten, S. 44. Um den Schein der Pressefreiheit zu wahren, erfolgte die Zensur unter der napoleonischen Herrschaft vornehmlich nach der Drucklegung, daraus ergaben sich nicht zuletzt existentielle Schwierigkeiten für die Buchdrucker und -händler. Vgl. Königliches Dekret vom 7. März 1809, in:
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
von Dreyssig tatsächlich noch nicht unter Verbot, und Bongars, der Polizeichef, reagierte vorsichtig auf die besorgte Meldung von Moisez: [j’]approuve que vous ayez fixé mon attention […] sur quelques ouvrages elementaires de la langue russe […]. Comme ces ouvrages ne contiennent rien qui puisse influer sur l’esprit public; je suis d’avis qu’il seroit impolitique de les prohiber; cette mesure serviroit seulement à leur donner de la valeur, et a persuader le public que le Gouvernement craint reellement l’approche des Russes puisqu’il fait tous ses efforts pour en dissuader84 .
Dem Polizeichef war offensichtlich bewusst, dass die westphälische Sprachund Zensurpolitik die Meinungsbildung nicht nur im Sinne des Staates beeinflusste, sondern dass eine voreilige Zensurmaßnahme unerwünschte Reaktionen der Westphalen hervorrufen könnte85 . Dennoch griff Bongars letztendlich zur Zensur. Aber bevor die Hintergründe dieser Wende erläutert werden, sollen einige Merkmale der Gattung »Dolmetscher« festgehalten werden.
2.1.2. Charakteristische Angaben zu den russischen Dolmetschern aus den Polizeiberichten In der Akte der Affäre Dreyssig werden die Dolmetscher unterschiedlich benannt: »truchemens«, »buchmanns«, »vocabulaires russes« aber auch »Wörterbücher«, »Sprachlehrer«, »Sprachanleitungen« oder »russische Machwerke«86 . Sie werden im Quellenmaterial mit »collection de mots et de phrases russes pour pouvoir se faire entendre à cette nation« beschrieben, oder »[ils] ne sont pas assez complets pour pouvoir baser sur eux l’étude de la langue russe et […] ils ne sont redigés que pour un usage momentané«87 . 84 85
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Bulletin des Lois, Dritter Band, Kassel 2 1810, S. 386–389; vgl. ferner MOLITOR, Zensur, Propaganda und Überwachung; vgl. PAYE, Zensur und Selbstzensur. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 350 von J. F. M. de Bongars an Moisez, 14. 2. 1813. Über Zensurpolitik im Königreich Westphalen vgl. u.a. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 169, 176; BUSCH, Die Aufsicht über das Bücher- und Pressewesen. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 853 von J. F. M. de Bongars an G. L. F. Grahn und Frömbling, Polizeikommissare in Hannover, 3. 4. 1813; ibid., Schreiben Nr. 580 von J. F. M. de Bongars an J. M. Piautaz, Unterpräfekt in Halle, Saaledepartement, 7. 3. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7967: Schreiben Nr. 1490 von P. Mercier an J. F. M. de Bongars, 11. 3. 1813; ibid., Nr. 7956: Durchsuchungsprotokoll von Frömbling, Polizeikommissar in Hannover, 6. 4. 1813; ibid., Nr. 7976: Schreiben Nr. 16 vom Maire in Halle, Saaledepartement, an J. M. Piautaz, 3. 2. 1813; GStA PK, V. HA, Nr. 721, Protokoll der Durchsuchung bei Dreyssig in Halle, 13. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7995: Schreiben P. S. Nr. 70 von Mertens, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, an J. F. M. de Bongars, 3. 2. 1813.
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Über die Gattung der Dolmetscher berichteten Polizeibeamte aus allen Teilen des Königreichs und vermittelten dabei den Eindruck, dass diese Buchproduktion keine sehr alte Geschichte habe: On ne connoissoit pas ces interprètes avant 1805 mais lorsqu’à cet epoque dans les mois de Novembre et de Decembre les Russes occuperent l’ancien pays d’hannovre on en imprimait une grande quantité à Lunebourg, à Celle, à Hannovre et à plusieurs autres villes88 .
Die Tradition der Dolmetscher reichte allerdings in Bezug auf andere Sprachen weiter zurück: »zu der Zeit, als französische und italiänische Truppen ein Land deutscher Zunge irgendwo betreten hatten, sogleich [seien] französische und italiänische Dollmetscher gebracht [worden]«89 . Im Jahre 1813 kam es offenbar zu einer intensiven Wiederbelebung dieser Tradition. Im Übrigen seien die Dolmetscher von Dreyssig »nicht die einzigen […], die verkauft würden, sondern daß es deren im Gegentheil eine große Menge alter und neuer gebe«90 . 2.1.3.
Verbreitungswege
Die Dolmetscher wurden in erster Linie über drei Wege verbreitet: über Buchhandlungen, Kolportage und Buchversand aus den Nachbarterritorien91 . Dreyssig hatte selbst eine Leipziger Niederlassung und produzierte mehrere Auflagen seiner russischen Lehrwerke im Auftrag dortiger Buchhändlerkollegen92 . Zu seiner Rechtfertigung führte er bei seiner Festnahme an: Nachdem er nun gehöret und sich überzeuget habe, dass dergleichen russische Dollmetscher in neueren Zeiten in Berlin in Leipzig in ganz Sachsen in Halberstadt in Quedlinburg und an anderen Orten gedruckt und fast in allen Buchhändlungen dergleichen zum Verkauf ausgebothen würden,
sei er selbst zum Entschluss gekommen, ebensolche zu verlegen93 . Neben den genannten Städten gehörte auch Hannover zu den wichtigsten Absatzmärkten für russische Dolmetscher. Die bisherigen Ausführungen lassen ein Phänomen von breitem Ausmaß vermuten.
88 89 90 91 92
93
Ibid.; vgl. WELCK, Franzosenzeit im Hannoverschen Wendland, S. 84–86. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7976. Ibid. Vgl. ibid., Nr. 7993. Einige der russischen Titel mit kyrillischer Schrift, die in Leipzig von der Buchhandlung Ernst Klein angeboten wurden, entstanden mit einem ausgeliehenen kyrillischen Schriftsatz von Dreyssig. Vgl. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 108. GStA PK, V. HA, Nr. 721, Protokoll der Durchsuchung bei Dreyssig in Halle, 13. 3. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
2.1.4.
Adressaten und Lesepublikum
Als Käufer und Leser dieser Lehrwerke werden in den Polizeiberichten die Unterschichten sowie die Landbevölkerung mit Besorgnis genannt: [Der] ungebildete Theil des Volks, [die] unteren Volksclassen [sind es]. Wirklich haben die Landleute wie ich höre sich reichlich mit dergl. Dollmetscher versehen und es [ist] nicht zu zweifeln, daß die Unterhaltungen die dadurch veranlaßt worden sind, die furcht vermehret u. unzeitige Besorgniße verbreitet haben. [Es ist bedauerlich, dass die] Aufmerksamkeit des ungebildeten Volkshaufens durch unpassende Bücher und Bilder auf eine unschikliche Weise fixiret werde94 .
Sicherlich sollte eine solche Aussage mit Vorsicht ausgelegt werden. Unterschwellig lässt sich hier der lang tradierte frühneuzeitliche Diskurs über den unmündigen, schreckhaften und rückständigen Bauern erkennen, der sich zudem von listigen antinapoleonischen Agitatoren manipulieren lasse95 . Als weitere Abnehmer der Dolmetscher werden in einem anderen Bericht »selbst die französischen Militairs[, die] diese Russischen Dollmetschers häufig kauften«, erwähnt 96 . Auch im Fall der Soldaten ist Quellenkritik angebracht, denn die französischen Militärs vor die westphälischen Käufer der Dolmetscher zu stellen, bildete möglicherweise ein entlastendes Moment für die Westphalen: Das Quellenzitat könnte impliziert haben wollen, dass es für die Allgemeinheit legitim war, Dolmetscher zu besorgen, wenn selbst die Soldaten, also diejenigen, die am besten einschätzen konnten, wie bald der Sprachkontakt mit den Russen nötig sein würde, sich bereits diese Hilfsmittel kauften97 . Die zum Teil dreisprachige Buchproduktion der Dolmetscher, die offenbar gleichermaßen Deutsch- und Französischsprachigen zur Verfügung stehen sollten, unterstützt allerdings die Angabe der französischen Soldaten als Käufer. Zieht man weitere Polizeiberichte heran, so scheinen die russischen Dolmetscher nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten verbreitet 94
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7977: Schreiben Nr. 71 von J. M. Piautaz an den Präfekten im Saaledepartement, Februar 1813. Vgl. ULBRICH, Shulamit und Margarete, S. 175. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7956. Auch in anderen Situationen zeigen die Generalpolizeikommissare zumindest Bemühungen, ihre Rolle als Vormund der ihnen anvertrauten Staatsbürger vor Ort zu spielen und sie gelegentlich auch vor Repressionen der vorgesetzten Instanz zu schützen. Vgl. HOHKAMP, Herrschaft in der Herrschaft. Dieses Merkmal von Herrschaftspraxis lässt sich in der Akte der Affäre Dreyssig auch an einer anderen Stelle deutlich erkennen: Der Maire von Halle tadelte Dreyssig und nahm ihn gleichzeitig in Schutz vor dem Zorn des Unterpräfekten Piautaz; der gleiche Piautaz tadelte Dreyssig und den Maire und nahm Dreyssig wenig später wiederum in Schutz vor dem Zorn des Polizeichefs Bongars. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7976; ibid., Nr. 7975: Schreiben von J. M. Piautaz an den Maire in Halle, 2. 2. 1813; GStA PK, V. HA, Nr. 721: Schreiben Nr. 709 von Piautaz an J. F. M. de Bongars, 13. 3. 1813.
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gewesen zu sein. Die Stadt-Land-Unterschiede lagen wahrscheinlich eher in den Rezeptionsmöglichkeiten als in der Verbreitung der Sprachwörterbücher. Über eine Anzeige in der lokalen Zeitung schreibt ein Polizeibeamter aus Göttingen: Ici […] on rit de cette annonce, mais je doute que les personnes du plat pays qui n’en connaissent pas le gaillard auteur en rirent également, je crois plutôt qu’une telle annonce […] doit decourager et égarer les esprits faibles, parce que necessairement ils doivent croire que l’autorité qui fait rédiger cette feuille est persuadée que le public en aura besoin, qu’ainsi les Russes vont occuper le pays, attendu que c’est le seul cas ou une telle brochure peut-être de quelque utilité98 .
Die Städter belustigte die Anzeige, während die Landbewohner sie ernst nahmen. Auch hier weist der Bericht möglicherweise einen Schutzcharakter für die Göttinger auf und bedient sich des frühneuzeitlichen Diskurses über die »dummen« Bauern. Jedenfalls, schenkt man dem Göttinger Polizeibeamten Glauben, erkannten die Städter in der Werbung für die Dolmetscher eher die politische Botschaft, während die Landbewohner diese zweite kommunikative Ebene nicht wahrnahmen und sich verunsichern ließen. Dieser Unterschied wird plausibel, wenn man bedenkt, dass sie auch ungleich größeren Gefahren ausgesetzt waren für den Fall, dass die Russen anrückten und sie beispielsweise von Plünderungen bedroht waren. Durch die von den Sprachwörterbüchern ausgelösten politischen Gespräche avancierte die Gattung der Dolmetscher gelegentlich auch bei der Landbevölkerung zu einem politischen Medium99 . Es ist sicherlich problematisch, von der umfangreichen Anzeigenpraxis oder von den alarmierenden und dramatisierenden Berichten der Polizeibeamten auf die tatsächliche Nachfrage, das Lesepublikum sowie dessen Erwartungen und Leseweisen zu schließen. Zahlreiche Wiederauflagen eines Titels lassen jedoch Rückschlüsse auf den Umfang der Buchproduktion und ihre Resonanz zu100 . Die bereits erwähnte Dreisprachigkeit mancher Aus98 99
100
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7995. Es liegt nahe, dass die Kosaken auf dem Land gefürchteter waren, bedenkt man, dass sich durch die niedrigere Bevölkerungsdichte die Last der Einquartierungen usw. auf wenige verteilte. Dass nur noch wenige Auflagen in deutschen Bibliotheken vorhanden sind, kann darauf hindeuten, dass die Dolmetscher eher zum Besitz von Bauern, der Landbevölkerung und Unterschichten gehörten und deswegen seltener erhalten blieben, als wenn sie vornehmlich zum Inventar der Gelehrten- und Gebildetenbibliotheken gehört hätten. Eine Erhebung der Kataloge der Leipziger und Frankfurter Buchmessen für die Jahre 1812 und 1813 ergibt insgesamt neunzehn russische Dolmetscher oder Handwörterbücher. Auffällig ist, dass die Angaben sich wenig mit denjenigen aus den westphälischen Polizeiberichten oder aus den Beständen der deutschen Bibliotheken überlappen, was auf einen viel größeren, vermissten Bestand schließen lässt. Vgl. Allgemeines Verzeichnis der Bücher. Diese Unstimmigkeit zwischen den Angaben aus den Buchmessen und dem Quellenmaterial erklärt sich aus der von Siegert angegebenen Unvollstän-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
gaben der Dolmetscher bedeutete durch die Vergrößerung des potentiellen Leserkreises wahrscheinlich einen ökonomischen Vorteil für die Verleger. Dies trägt zum Bild der Dolmetscher als Medium mit umfangreichem Leserkreis bei. Eine nicht unbedeutende Angabe zum Buchmarkt und zur angeregten Nachfrage liefert zudem ein Polizeibericht, der die überteuerten Absatzpreise der Dolmetscher erwähnt 101 . Die angewandten Verlegerstrategien zur preiswerten Produktion spiegelten sich offenbar kaum in den Verkaufspreisen wider. Allerdings ist anzumerken, dass die Dolmetscher in ihrem Umfang sehr unterschiedlich waren, so dass vermutlich für jedes Budget eine Fassung zur Verfügung stand. Diese Annahme wird durch die eingangs zitierte Anzeige über das russischsprachige Sortiment Dreyssigs bestätigt. Als Anhaltspunkt für die »seismographische« Entwicklung der Dolmetscher-Produktion kann die Zahl der Exemplare dienen, die bei einer Durchsuchung aller Buchhandlungen und -druckereien in Halle am 16. März 1813 beschlagnahmt wurden102 . Insgesamt wurden elf Buch- und Kunsthandlungen durchsucht. Die Anzahl der beschlagnahmten russischen Dolmetscher
101 102
digkeit der Messekataloge für das napoleonische Zeitalter. Vgl. SIEGERT, Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 832 f. Insgesamt konnten bisher ca. 40 verschiedene russische Dolmetscher und Handwörterbücher, die zum Selbststudium bestimmt waren, für die Zeit 1812–1813 im Rahmen der vorliegenden Unterschung ermittelt werden, wobei manche Titel mit ihrer Auflagenzahl auf frühere Auflagen hinweisen und daher nicht mitgerechnet wurden. Vgl. ferner BAUMANN, Lehrmittel des Russischen. Hexelschneider hat auch darauf hingewiesen, dass der Status einer bibliophilen Seltenheit der russischen Dolmetscher zu ihrer Unterberücksichtigung als Quellenkorpus durch die Linguisten geführt hat – dies führt er u.a. auf ihren Broschüren-Charakter zurück. Auf ihre Vernachlässigung wiederum durch die Historiker und Anthropologen konnte hoffentlich die vorliegende Fallstudie ausreichend aufmerksam machen. Vgl. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 104. Mit der Auswertung des Anzeigenteils der Leipziger Zeitung kommt Hexelschneider auf einen Bestand von ca. 35 Titeln (vgl. ibid., S. 104–108). Einige Überlappungen ergeben sich mit dem in dieser Arbeit ausgemachten Quellenkorpus von 40 russischen Dolmetschern – eine kollaborative Online-Bibliographie, die die Lokalherstellung und die länderübergreifend kolportierte Buchproduktion erkennen helfen sowie die Standorte der wenigen überlieferten Exemplare angeben würde, wäre für die weitere Erforschung dieses Quellenkorpus hilfreich und wünschenswert. Vgl. OTTEN, »Geh zum Teufel, (du) Satan!«. Otten konnte einige russisch-deutsche Vokabularien für die Zeit des so genannten zweiten Koalitionskrieges (1799) sowie für das Jahr 1808 ermitteln. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7993. Hexelschneider fasst seine Ergebnisse für Leipzig und Sachsen so zusammen: »Der Buchhandel und die Zeitungen reagierten flexibel, ja seismographisch auf den russischen Vormarsch. Sehr schnell wurden bereits zu früheren Gelegenheiten genutzte russische Sprach- und Gesprächsführer sowie Wörterbücher erneut aufgelegt oder auch neue Materialien a tempo durch örtliche Russischsprecher zum sofortigen Verkauf entwickelt«. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 104.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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und Wörterbücher belief sich auf ca. 425 Exemplare. Von anderen Werken über die Russen (Bildnisse, Soldatendarstellungen und Ähnliches) fand man ca. 233 Exemplare. Die Buchdrucker gaben außerdem an, bereits mehrere Auflagen abgesetzt zu haben: bei Dietlein eine Auflage, bei Dreyssig eine erste Auflage in Höhe von 800 Stück, eine zweite Auflage in Höhe von 1000 Stück und eine dritte Auflage in Höhe von ca. 600 Stück, alle im Jahre 1813103 . Für Halle, eine Stadt von 18 000 Einwohnern, sind diese Produktionszahlen beachtlich104 . Im nah gelegenen Quedlinburg wurden wenige Tage später ebenfalls folgende Werke beschlagnahmt: 40 exemplaires d’une mauvaise brochure, […] sequestrés et sous scellés chez l’imprimeur Basse de Quedlinburg [et], 117 exemplaires d’un interprete russe chez l’imprimeur Basse, 1025. exemplaires d’un autre interprete russe chez les libraires, Herre, Draisel et Stephan105 .
2.1.5. Weitere russische Dolmetscher aus dem Jahre 1813 zur Dialogisierung Um die Rezeptionsgeschichte der Dolmetscher einzuschätzen, liegt die Frage nach der Buchproduktion der Verleger sowie nach den Inhalten der Dolmetscher nahe. Exemplarisch sollen hier drei Titel präsentiert werden, die richtungsweisend Auskunft über Zweck und Adressaten der Dolmetscher geben. Beim »Neuen Russischen Dolmetscher oder Sammlung der gebräuchlichsten russischen Wörter und Redensarten nach der Aussprache aufgesetzt, wodurch ein Jeder sich einem Russen verständigen kann. Ein Noth103
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105
Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 721, Verfolgung des Buchhändlers F. C. Dreyssig in Halle, Beschlagnahme Russischer Bücher und Lieder im Saaledepartement, etc., 1813. Die Angaben der Buchdrucker über bereits verkaufte Bücher sind jedoch schwer nachprüfbar und vermutlich im eigenen Interesse eher untertrieben. Dafür spricht, dass Dreyssig zu diesem Zeitpunkt bereits bei der 6. Auflage seines Dolmetschers war und nur drei nannte. Vgl. BAIL, Statistique générale, Anhang A. Über Halle als erwiesenes Zentrum der slawischen Sprachen und der Russlandbeziehungen seit dem späten 17. Jh. vgl. WINTER, Halle; DERS., Pflege der west- und südslavischen Sprachen in Halle; HUTERER, Wortbildungslehre, S. 20–22; SCHMÜCKER-BRELOER (Hg.), Grammatica Russica Hamburgensis, S. 12, 20 f. Die erste russische Druckerei Deutschlands wird von Schmücker-Breloer für Halle für das Ende des 17. Jh. belegt. Vgl. ibid., S. 21 f. GStA PK, V. HA, Nr. 741, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westphalen: Schreiben Nr. 615 P. S. von Moisez an J. F. M. de Bongars, 22. 3. 1813. Im Vergleich dazu konnten die Polizeikommissare in Kassel nur wenige Exemplare konfiszieren, am 9. 3. 1813 acht Dolmetscher beim Buchhändler Krüger und am 11. 3. 1813 vier weitere, vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 693, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westphalen, Juni 1812–Mai 1813: Schreiben Nr. 1477 von P. Mercier an J. F. M. de Bongars, 22. 3. 1813; ibid.: Schreiben Nr. 1490 von P. Mercier an J. F. M. de Bongars, 11. 3. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
und Hülfsbüchlein für Jedermann« stellt allein der Titel schon ein Programm dar106 . Das Taschenformat trägt ebenfalls dazu bei, Ziel und Adressaten der Buchproduktion abzuschätzen107 . Der Fokus auf die Aussprache stellte offensichtlich ein Novum dar108 . Der Titel verrät die Dynamik, die hinter den Dolmetschern stand: Wie konnte »Jedermann«, ohne Russisch zu verstehen, mit den nahenden russischen Truppen auskommen? Es ging offenbar darum, in der Not ein Minimum an russischer Sprache nachzuahmen, um die Kosaken friedvoll zu stimmen. Insbesondere die Vorworte zu den Dolmetschern machen eindeutige Angaben zur beabsichtigten Funktion der Gattung109 . Das Vorwort zu diesem ersten Titel teilt mit: Der Zweck dieses Büchleins ist, dem Bürger und Landmann einen Leitfaden zur Erlernung der russischen Sprache zu geben. Die Erfahrung hat gelehrt, dass der Russe gleich freundlicher und demüthiger, so wohl gegen Freund als Feind wird, wenn man ihn in seiner Sprache anredet […]. Also durch diese Kleinigkeit können viele Unannehmlichkeiten zwischen den Kriegern und den Landeseinwohnern vermieden werden110 .
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Neuer Russischer Dolmetscher oder Sammlung der gebräuchlichsten russischen Wörter und Redensarten nach der Aussprache aufgesetzt, wodurch ein Jeder sich einem Russen verständigen kann. Ein Noth- und Hülfsbüchlein für Jedermann, Quedlinburg (Basse) 4 1813. Diese Ausgabe ist 48 S. stark und kostete drei Groschen. Auffällig ist, dass dieser Dolmetscher, wie im Übrigen andere auch, den Titel des Erfolgsbuchs von Rudolf Zacharias Becker, »Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute, oder lehrreiche Freuden- und Trauergeschichte des Dorfes Mildheim«, (Gotha, Leipzig 1788–1798), aufgreift. Das »Noth- und Hülfsbüchlein« Beckers, ein Ratgeber und Selbsthilfebuch für Bauern in Notfällen, das im 18. Jh. auch als Schulbuch Karriere machte, gilt eindeutig als volksaufklärerisches Werk. Ein Vergleich der Dolmetscher mit diesem Werk würde möglicherweise interessante Schlüsse über die Produzenten und die Adressaten der Dolmetscher sowie über formale Verbindungselemente beider Gattungen ermöglichen. Vgl. u.a. BÖNING, SIEGERT (Hg.), Volksaufklärung; FÜSSEL, Klassische Druckmedien, S. 61. Vgl. CHARTIER, Lesewelten, S. 35. Reinhard bemerkt, dass die ersten Sprachwörterbücher tendenziell keine Angaben über Aussprache oder Phonetik enthielten. Vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 24. Quellenkritisch kann hier allerdings angeführt werden, dass die Vorworte nicht nur Gebrauchsanleitungen sind, sie weisen auch auf eine bestimmte Sprachlehrschule hin. Am Anfang des 19. Jh. konkurrierten die induktiv-analytische oder konversationelle Methode mit der sich ab Ende des 18. Jh. entwickelnden und im 19. Jh. dominierenden Grammatik-Übersetzungs-Methode. Vgl. CHRIST, Zur Geschichte des Französischunterrichts, S. 105; WELLER, Französischunterricht in Deutschland, S. 626, 628 f., 631, 634 f. Neuer Russischer Dolmetscher oder Sammlung der gebräuchlichsten russischen Wörter und Redensarten nach der Aussprache aufgesetzt, wodurch ein Jeder sich einem Russen verständigen kann. Ein Noth- und Hülfsbüchlein für Jedermann, Quedlinburg (Basse) 4 1813.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Beim Durchblättern dieses Exemplars fällt auf, dass »Jedermann« lediglich mit einer Korrespondenztabelle von deutschen Wörtern mit ihren russischen Entsprechungen in lateinischer Umschrift und ganz ohne Grammatik Russisch sprechen lernen sollte. In einem ersten Teil sind Fragen aus wechselnder Perspektive zwischen dem Soldaten auf der einen Seite und dem Wirt oder dem Bauern auf der anderen Seite zusammengestellt. Die Fragen zeigen an, dass es um die Versorgung und Beherbergung der Militärs sowie ihrer Pferde ging. Neben der Befriedigung von Hunger und Durst sollte der Soldat auch Aufnahme finden: Ein »Zieh mich aus, Bauer, Wirth« macht dies deutlich111 . Die üblichen Gruß-, Anrede-, Dankund Abschiedsformeln enthalten auch – für die missglückte Kommunikation – ein »Geh zum Teufel«112 . Das ganze Risiko, das eine geglückte oder misslungene Kommunikation mit den russischen Soldaten barg, neben den Plünderungen und Vergewaltigungen, muss zwischen den Zeilen gelesen werden113 . Die Angst vor Vergewaltigungen, die für die Zeitgenossen im Bereich des Unsagbaren lag, dürfte nicht zuletzt das Motiv für den Kauf von russischen Dolmetschern gewesen sein. Denjenigen Westphalen, die dieses Schicksal ereilte oder denen andere Kriegsgewalten widerfuhren, obwohl sie sich russische Dolmetscher besorgt hatten, müssen manche vorgefertigten alltagsbezogenen Dialoge über Schlaf-, Esskultur und Gastfreundschaft nachträglich wie ein Hohn erschienen sein114 . Immerhin boten bei miss111 112 113
114
Vgl. Neuer Russischer Dolmetscher, S. 6–10, hier S. 8. Vgl. ibid., S. 6. Über die Furcht vor Vergewaltigungen wird durch Zeitgenossen äußerst selten berichtet. Dass sie gesellschaftlich dennoch ein Thema waren, bezeugt z. B. die Angabe von Zinserling, die sich nicht speziell auf die russischen Truppen bezieht, vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 298 f.; [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 79; vgl. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 108. Mierzinsky bescheinigt den russischen Truppen gute »Mannszucht«. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 18. Vgl. ferner WÜRGLER, Wer hat Angst vor wem?, S. 156–158. Franz macht die gleiche Bemerkung bezüglich der englischen Auswanderersprachführer aus dem 19. Jh.: »Ein vier Seiten langer Dialog über die Vorzüge des frühen Aufstehens bzw. den Luxus des Ausschlafens war für die Masse der Auswanderer, die aus wirtschaftlich-sozialer Not ihre Heimat verlassen mussten, schon fast ein Hohn«. FRANZ, Emigrating to America!, S. 218; vgl. DERS., Englischlernen für Amerika; vgl. ferner HÜLLEN, English Dictionaries. Die von Franz untersuchten Auswanderer-Sprachführer des 19. Jh. scheinen sehr viel Gemeinsamkeiten mit den russischen Dolmetschern aufzuweisen. Es wäre sehr interessant, eine vergleichende Untersuchung dieser beiden Phänomene, das Ephemere der russischen Dolmetscher und das Andauernde der englischen Sprachlehrbücher zum Thema Auswanderung und kultureller Fremdwahrnehmung im langen 19. Jh., anzustellen. Gemeinsam haben sie bspw. die landeskundlichen Aspekte, die auf Sitten und Bräuche der Fremden eingehen. Das Desiderat der Forschung in Bezug auf die englischen Auswanderersprachführer, das
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
lungener Kommunikation manche russischen Dolmetscher den Westphalen auch Flüche an115 . Der Hinweis im Vorwort des »Neuen Russischen Dolmetschers«, dieser Dolmetscher wende sich an Freunde und Feinde der Russen, relativiert die Aussage, die deutschsprachigen Käufer der Dolmetscher hätten diese allein aus Angst erworben116 . Möglicherweise verbarg sich dahinter die Hoffnung, in den Russen Verbündete gegen die Franzosen zu finden und so auch weniger Kriegstribut zahlen zu müssen. Die Erwähnung von Freunden und Feinden der Russen im Vorwort bestätigt wiederum, dass die Dolmetscher einen antinapoleonischen Charakter hatten. Beim zweiten Beispiel, dem »Russischen Dolmetscher« von Kästner und Kralitzky, fällt die Dreisprachigkeit des Buches gleich im Titel auf. Außerdem ist er umfangreicher als der vorige Dolmetscher, verfügt über ein Inhaltsverzeichnis und ist auch besser thematisch sortiert 117 . Dieser Dolmetscher enthält eine gesonderte Anleitung für die Aussprache. Auch hier gibt es Abschnitte zum Menschen und seinen Grundbedürfnissen, zu Pferden und zu Krankheiten. Zusätzlich führt ein Abschnitt »Vom Kriege« in die Hierarchie des Militärs ein. Unter den »Redensarten«, die den letzten Abschnitt bilden, fanden die Nutzer – namentlich der Wirt und der Kosak – Gesprächsanleitungen, um eine Unterhaltung zu führen118 . Die simulierten Gespräche sollten offenbar dem Bedürfnis seiner Benutzer nach Dialogen entgegenkommen. »Sprechen Sie russisch, deutsch, französisch, englisch, italiänisch?« konnte als Frage außerdem durchaus weiterhelfen, um das Gespräch aus dem engen Rahmen der vorgefertigten Fragen und Antworten des Dolmetschers hinauszuführen und den Wechsel zu einer leichter zugänglichen Sprache zu ermöglichen119 . Auch sollte der Dolmetscher dem Nutzer dazu dienen, sich in Raum und Zeit zu orientieren und notfalls seinen Weg wiederzufinden. Dieser Dolmetscher endet im guten Einvernehmen mit Abschiedsformeln wie »Leben Sie wohl!«120 .
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Franz feststellt, entspricht demjenigen die russischen Dolmetscher betreffend. Vgl. FRANZ, Emigrating to America!, S. 212, 218–220. Dies lässt eventuell auf einen größeren Realitätsbezug der russischen Dolmetscher im Vergleich zu den englischen Sprachwörterbüchern schließen. Über unterschiedliche Angstvorstellungen, u.a. je nach sozialer Lage, im Zusammenhang mit Einquartierungen französischer Truppen hat Würgler zuletzt eine Untersuchung geliefert: WÜRGLER, Wer hat Angst vor wem? Vgl. Russischer Dolmetscher von KÄSTNER und KRALITZKY/Interprète Russien par KAESTNER et KRALITZKY/Nˇemeckij i francuzskij perevodˇcik. izdanie vtoroe popravlennoe, Leipzig (Gerhard Fleischer d. J.) 2 1813. Das Buch umfasst 58 Seiten. Vgl. ibid., S. 39–58. Ibid., S. 41. Wie man Mitleid, Verwunderung und Wünsche ausdrückt, wird in eigenen Abschnitten behandelt. Vgl. ibid., S. 44 f. Ibid., S. 58.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Das letzte untersuchte Exemplar eines Dolmetschers hat den Anspruch, sich mit der Notwendigkeit des verbalen Austauschs in einer ganz anderen Form auseinanderzusetzen. Wie schon der Titel zeigt, wird ein »Hand- und Hülfsbuch für Deutsche und Russen um sich gegenseitig verständlich zu machen« geboten. Während die beiden oben besprochenen Dolmetscher nur deutsch-russische Vokabellisten enthalten, bietet dieser auch einen russischdeutschen Teil. Die so genannte »Vorerinnerung« erläutert die Intention des Herausgebers und liefert zugleich eine Gebrauchsanleitung: Man wird leicht begreifen, daß es eine wahre Unmöglichkeit ist, einen für alle Fälle brauchbaren Dolmetscher in irgend einer Sprache zu schreiben. Die mehresten Schriften dieser Art […] verfehlten daher ihren Zweck durchaus. Gewöhnlich enthalten sie viele Gespräche, welche deswegen selten anwendbar sind, weil die Antwort oft anders ausfällt, als sie im Buche steht, so daß diese Art von Unterhaltung dem Gaste, wie dem Wirthe, nothwendig lästig fallen muß. Das leichteste Mittel, sich im Nothfall dem Russen verständlich zu machen, welcher der deutschen Sprache unkundig ist, und von ihm wiederum verstanden zu werden, ist daher ein doppeltes Verzeichniß der nöthigsten Worte in alphabetischer Ordnung, […]. Verlangt oder sagt daher der Russe etwas, so darf man nur das Wort […] aufsuchen […]. Versteht der Russe das Lesen, so kann er sich dann […] das Wort selbst aufsuchen. Will man aber dem Russen etwas sagen, so wird man […] nicht leicht […] vergeblich suchen, um auch von dem Russen verstanden zu werden. Für die Bequartierten nöthigsten Fragen und Redensarten ist im Vorausgeschickten gehörig gesorgt, […] so folgen zugleich die nöthigen Winke darüber, welche unstreitig Jedem, unter gegenwärtigen Umständen, höchst willkommen seyn werden121 .
Der Autor äußert sich abwertend gegenüber den anderen russischen Lehrwerken, die den Benutzern Gespräche anbieten, und legt den Schwerpunkt auf alphabetisch geordnete Wörterlisten, die gemeinsam mit »dem Russen« verwendet werden können. Der erste Teil soll allerdings vor allen Dingen denjenigen helfen, die Russen bei sich aufnehmen. Unter den vielen Fragen dieses anwendungsbezogenen Teils lässt sich auch hier ein Fragenkomplex erkennen, welcher der Gastfreundlichkeit gegenüber den Russen sowie ihrer Verpflegung und Beherbergung gewidmet ist. Ein weiterer Fragenkomplex bezeugt eindeutig, dass die Gastgeber daran interessiert waren, von den bei ihnen Einquartierten fehlende Informationen über den Kriegsschauplatz zu erhalten. Die Dolmetscher hatten demnach eine doppelte Funktion einzunehmen: Einerseits sollten sie zum friedlichen Auskommen mit den russischen Soldaten beitragen, andererseits sollten sie helfen, Informationen über das Kriegsgeschehen zu gewinnen. Die Dolmetscher erlangten einen entscheidenden Stellenwert in der eigenmächtigen Informationsermittlung der 121
Christian Gottfried Heinrich GEISSLER, Rossijskij perevodˇcik. Hand- und Hülfsbuch für Deutsche und Russen, um sich gegenseitig verständlich zu machen, welches alle nöthigen Redensarten und einem Russisch-Deutschen und DeutschRussischen Wörterbuch nebst beygefügter Aussprache enthaltend, Leipzig (Hinrichs) 1813, Vorerinnerung.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Westphalen122 . Idealerweise sollten sie die Kommunikation der Westphalen mit den Russen »von Angesicht zu Angesicht« durch eine Art ›Mot-à-mot‹Kommunikation anhand der Wörterlisten und vorgefertigten Dialoge ermöglichen123 . Die Überlappung und Komplementarität von Geschriebenem und Gesprochenem zeigt sich im Fall der Dolmetscher besonders deutlich. Die Dolmetscher unterschieden sich von anderen Sprachlehrbüchern darin, dass sie nicht für den konventionellen Sprachunterricht, sondern für den schnellen und leichten Erwerb einiger Wörter zum Privatgebrauch beziehungsweise zum öffentlichen Gebrauch im Gasthaus oder durch die Dorfgemeinschaft gedacht waren. Wolfgang Reinhard erkennt den »wortbesessenen« Umgang mit Fremdsprachen in den Anfängen der Sprachlehre: Auf ihrer praxeologischen Ebene bestätigen die Dolmetscher diese Aussage124 . Der Besitz eines Dolmetschers, selbst wenn er nicht zum Einsatz kommen sollte, könnte präventiv beruhigend gewirkt haben125 . Die meisten Dolmetscher waren eher mangelhafte Sprachlehrbücher. Es fragt sich, ob diese Werke überhaupt zum Selbststudium der russischen Sprache genügten. Dennoch zeugt die Bezeichnung und das bemühte Sprachbild des Dolmetschers von ihrem dialogischen und vermittelnden Charakter126 . Die Metapher leistete eine Vermenschlichung der Gattung und mittels der Versinnbildlichung wurde der Ersatz für einen leibhaftigen Dolmetscher angeboten sowie die Benutzerfreundlichkeit demonstriert 127 . 122
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Ein genaueres Studium der Dolmetscher unter kulturgeschichtlichem Aspekt könnte sich lohnen. Als historische Quelle geben sie Auskunft darüber, was man für eine gelungene Kommunikation bei der ersten Begegnung mit ausländischen Truppen als wesentlich erachtete. Sie könnten Einblicke in Fremdbilderkonstruktionen und in die deutsch-russische Verständigungspraxis ermöglichen. So findet die Religion der Russen in den Dolmetschern Erwähnung. Ferner könnten die Inhalte der Dolmetscher Aussagen über die kulturellen Bedeutungsnetze der Westphalen und darüber erlauben, was diese im Kontakt mit den Russen für besprechenswert hielten. Über die Formen der Kommunikation »von Angesicht zu Angesicht« vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 138 f. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 24. Zum Thema Bücherbesitz und Buchkultur in der ländlichen Bevölkerung weiterführend vgl. MEDICK, Buchkultur auf dem Lande; DERS., Buchkultur und lutherischer Pietismus; DERS., Ein Volk »mit« Büchern, 1992. Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes. Im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher), insbesondere I.2.1., konnte bereits angeführt werden, dass die Metapher oder das Sprachbild des Dolmetschers häufiger in Anspruch genommen wurden. Manche Staatsbeamte verstanden sich als Dolmetscher der Administrierten gegenüber dem Staat. Manche Übersetzer bewährten sich über ihre Bittschriften als Dolmetscher der Staatsbürger gegenüber dem Staat. Das Sprachbild »Dolmetscher«, auf Personen oder Buchobjekte wie die russischen Dolmetscher bezogen, zeigt, dass in der westphälischen Gesellschaft viele diese Vermittlungsinstanz für sich in Anspruch nahmen. Eine grundsätzliche Bemühung um Verständigung zur Erstellung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis war vorhanden. Weitere Titel von russischen Dolmetschern
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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vorwiegend aus den Jahren 1812–1813: Vgl. Russischer Dolmetscher oder kleines Sprach-orakel, Leipzig (Joachim) o.J.; Dolmetscher, russischer, worin die nothwendigsten russischen Wörter, Gespräche und Zahlen, wie solche nach der französischen und deutschen Mundart ausgesprochen werden müssen, enthalten sind. Den nach Norden marchirenden k.k. französischen und verbündeten Armeen gewidmet, von W. C. von H., oder: Interprête Russien cont. les mots, dialogues et chiffres russiens les plus nécessaires, comme ils doivent être prononcés selon le language français et allemand, Leipzig (Industrie-Comptoir) 1812; Vocabulaire français-russe, allemand-russe, français-polonais et allemand-polonais, où les mots russes et polonais sont écrits selon la prononciation des Français et des Allemands, en 2 parties, Berlin (Braunes) 1812; Russischer Dolmetscher von E. E. u. J., Leipzig (Industrie-Comtoir) 1813; Neuer Russischer Dolmetscher, Quedlinburg (Basse) 2 1813; Russisch-deutsch und deutsch-russischer Dolmetscher, Leipzig (Vogel) 1813; Handbuch der Russischen Wörter und Redensarten, Leipzig (Leo) [1813]; Neuer russischer Dolmetscher für Deutsche, welcher alle nöthige Redensarten und Wörter enthält, um sich mit Russen zu verständigen, o.O. 1813; Deutsch Russisches [Taschenwörterbuch], Berlin [Schönen] 1813; Russischer Dollmetscher für die Deutschen: enthaltend die nöthigsten Wörter und gewöhnlichsten Gespräche in Fragen und Antworten; ein unentbehrliches Hülfsbuch für jeden, der gerne die Rußen verstehen und sich ihnen verständlich machen will, Leipzig (Jacobger) o.J.; Neuer russischer Dolmetscher: Oder Sammlung der gebräuchlichsten russischen Wörter u. Redensarten, Quedlinburg (Basse) 4 1813; Russischer Dolmetscher, worin die nothwendigsten russischen Wörter, Gespräche und Zahlen, wie solche nach der deutschen Mundart ausgesprochen werden müssen, enthalten sind. Nebst einer kurzen Nachricht über das russische Militär als Anweisung zur Behandlung desselben für Hauswirthe bei Einquartirungen, Pirna, Dresden (Diller/Schneider) 1813; Anfangsgründe zur Erlernung der Russischen Sprache, Leipzig (Klein) 1813; Kleine Sammlung der nothwendigsten Russischen Wörter und Redensarten, nach ihrer Aussprache und deutsch erklärt, herausgegeben von einem der vier Jahr in Rußland war, Berlin (Dieterich) 1813; Kleine Sammlung der nothwendigsten Russischen Wörter nach ihrer Aussprache und deutsch erklärt, Altona (Gebrüder Bonn) 1813; Taschenbuch, (deutsch-rußisches) enthaltend die für alle Verhältnisse des Umgangs nothwendigsten rußischen Wörter und Redensarten, wie sie von Deutschen ausgesprochen werden müssen, nebst einer genauen Berechnung der russischen Gewichte, Maaße und Münzen, Berlin 1813; Der Russische Dolmetscher in Fragen und Antworten für den Bürger und Landmann, in Büreaus für Reisende, im Handel, in Gasthöfen und für Militär von L. H. HESSELL, Nürnberg 2 1813; Dolmetscher, deutsch-russischer, russisch-deutscher, in alphabetischer Ordnung. Nebst einer kurzen Nachricht über das russische Militair von W. C. von H., Leipzig (Industrie-Comptoir) 5 1813; Dolmetscher, neuester russischdeutscher. Mit russischer Schrift u. deutscher Aussprache, damit sowohl die Russen als die Deutschen sich einander verständlich machen können. Die nöthigsten Wörter und Redensarten enthaltend und zum leichten Auffinden nach den Gegenständen geordnet, 1s u. 2s Heft, Leipzig (Klein) 1813; Handbuch der Russischen Wörter und Redensarten, die im gemeinen Leben am häufigsten vorkommen können, als Hülfsmittel, um sich Russen auch ohne nähere Kenntniß der Sprache leicht verständlich zu machen, Leipzig (Leo) 1813; Dolmetscher, kleiner russischer, worin die allernöthigsten Wörter nach alphabetischer Ordnung und Redensarten, die im gemeinen Leben vorkommen können, enthalten sind, nebst einer Schilderung der russischen Krieger, in Hinsicht auf ihren Charakter, Lebensweise, Religion und Gewohnheiten, von einem Manne, der sich lange Zeit in Rußland aufhielt, Leipzig (Leo) 3 1813; Dolmetscher, deutsch-russischer, worin die nothwendigsten Wörter und Redensarten mit richtiger Aussprache des Russischen enthalten sind. Für den Bürger und Landmann ein unentbehrliches
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
2.1.6.
Vorläufer der Dolmetscher
Für die Zeit der napoleonischen Expansion in Europa lässt sich eine erste Welle russischer Dolmetscher um das Jahr 1799, als von August bis Oktober russische Truppen in der Schweiz intervenierten128 , und eine zweite um
128
Hülfsbuch, Dresden (Hilchersche Buchhandlung) 1813; Dolmetscher, ausführlich deutsch-russischer, welcher die im gemeinen Leben, vorzüglich aber bei russischer Einquartierung nöthigsten Redensarten, um sich einander verständlich zu machen, enthält; wobei durch Zeichen die Sylbe bemerkt ist, auf welche der Ton gelegt werden muß, nebst einem alphabetischen Wörterbuche von mehr als 1000 der nöthigsten Wörter, und der Angabe der Namen und Werthes des russischen Geldes, inkl. eine kurze Beschreibung der Gebräuche der russischen Krieger im Felde, Naumburg (Wild) 1813; Russischer Dollmetscher, worinn die nothwendigsten russischen Wörter, Gespräche und Zahlen, wie solche nach der deutschen Mundart ausgesprochen werden müssen, enthalten sind; zur leichten Verständlichung in dringenden Fällen, o.O. 2 1813; Anfangsgründe, erste, zur Erlernung der russischen Sprache, oder deutsch-russisches Abcbuch für Erwachsene und junge Leute zum Selbstunterricht deutlich dargestellt. Mit einer in Kupf. gestochener Schrifttabelle, Leipzig (Klein) 1813; Dolmetscher, kleiner russischer, oder russisch-deutsches Wörterbuch der im gemeinen Leben nothwendigsten Wörter und Redensarten, nebst der Aussprache des Deutschen mit russischer Schrift, zum Gebrauch für Russen, welche sich den Deutschen verständlich machen wollen, Leipzig (Leo) 1813; Die Kunst in kurzer Zeit russisch lesen, verstehen und sprechen zu lernen, oder leichtfaßlicher Unterricht zur vollständigen Erlernung der russischen Sprache. Nebst einem Anhang der gebräuchlichsten Wörter und Redensarten mit beigesetzter Aussprache, Leipzig (Tauchnitz) 1813; Theodor Christian Friedrich ENSLIN, Russischer Dollmetscher oder Anweisung sich den Russen auch ohne nähere Kenntniss ihrer Sprache verstaendlich zu machen, o.O. 1813; JASÜKOWSKI, Russische Gespräche, enthaltend die nothwendigsten Redensarten, um sich jedem Russen sogleich verständlich zu machen, nebst beigesetzter deutscher Aussprache, auch als Lesebuch zur Erlernung der russischen Sprache zu gebrauchen, Berlin, Leipzig (Kunst- und Industrie-Comptoir) 1813; Christian August Lebrecht KÄSTNER, KRALITZKY, Russischer Dolmetscher für Deutsche, Russen und Franzosen eingerichtet, Leipzig (Fleischer der Jüngere) 1813; KUSNEZOW, Deutsch-Russe, oder russischer Verdeutscher der allernöthigsten, im gemeinen Leben am häufigsten vorkommenden Wörter und ein Nothund Hülfsbüchlein, durch welches leicht seyn wird, einen Russen zu verstehen, so wie sich demselben verständlich zu machen. Mit der Aussprache des (mit russischen Buchstaben gedruckten) Russischen, und einer Anweisung zum Gebrauch dieser Schrift in russischer und deutscher Sprache, neue Aufl., Leipzig (Joachim) 1813; DERS., Neuester, möglichst vollständiger russisch-deutscher und deutschrussischer Dolmetscher, oder kleines Sprach-Orakel für Russen und Deutsche. Ein neues zweckmäßig eingerichtetes Hülfsmittel zur Erleichterung des Umgangs u. der gegenseitigen Unterhaltung beider Nationen. Mit der Aussprache des Russischen, 2 Abtheilungen, neue Auflage, Leipzig (Joachim) 1813; Russischer Dollmetscher oder Auswahl der nöthigsten und gebräuchlichsten Wörter dieser Sprache, mit dt. Erklärung, Köln (Rommerskirchen) 1814; N. C. KREYE, Kleiner russischer Dolmetscher für die Deutschen. Enth. die nothwendigsten Wörter und Gespräche, St. Petersburg 3 1814; Neuer russischer Dollmetscher für Deutsche. Enthalt. die Grundregeln der russischen Grammatik u. eine kurze Anleitung, die nothwendigsten russischen Wörter und Redensarten in kürzester Zeit verstehen u. sprechen zu lernen, Moskau (Severin) 9 1846. Vgl. OTTEN, »Geh zum Teufel, (du) Satan!«.
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das Jahr 1805 nachweisen, nachdem England 1804 mit Zar Alexander I. eine neue Koalition gegen Frankreich geschlossen hatte und im Rahmen des dritten Koalitionskriegs gegen Napoleon 1805 Russen im Kurfürstentum Hannover kämpften, das im Anschluss an Preußen zurückfiel 129 . Die früheren russischen Grammatiken und Lehrwerke von der Schwelle des 16. zum 17. Jahrhunderts130 oder auch die Dolmetscher für Gebildete und Reisende, die sich seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts teilweise der lateinischen Sprache als Vehikel zur Wissenserweiterung bedienten131 , waren nur in wenigen Exemplaren vorhanden, in deutlichem Gegensatz zu den in hoher Zahl aufgelegten Dolmetschern des Jahres 1813. Der rasante Anstieg der Auflagen lässt sie als eine Art Massengut erscheinen. Bei einem Vergleich der russischen Dolmetscher von 1813 mit Vorläufern der Gattung fällt vor allem auf, dass die Hauptinteressenten für Dolmetscher in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Reisende, Gelehrte und Kaufleute waren132 . Auch die aufwändige Gestaltung der Titelseite der DolmetscherAusgaben für die Gebildeten ist im Vergleich zur Schlichtheit der Dolmetscher aus dem Jahre 1813 bezeichnend. Demgegenüber wiesen 1813 die hohen Auflagen, zum Teil auch Hinweise in den Titeln wie »für jedermann« sowie die Inhalte darauf hin, dass sich zwischen dem Beginn des 18. Jahrhunderts und 1813 offensichtlich eine Verschiebung in der sozialen Konstitution des Lesepublikums vollzogen hatte. Die Alltagsbezüge bekamen die Oberhand und der Adressatenkreis hatte sich erweitert. Diese beobachteten Adaptationen werden durch Roger Chartiers Feststellung zur Entwicklung des Buchhandels und der Informationsgesellschaft im Laufe des 18. Jahrhunderts bestätigt. Seiner Ansicht nach kann bei der Buchund Kommunikationsforschung den Transformationen einer gleichen Gattung und den Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Lesepublikums als Untersuchungsschwerpunkt ein zentraler Platz eingeräumt werden133 .
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Der Dolmetscher Mierzinsky berichtet besonders ausführlich über den Kontext der zweiten Welle russischer Dolmetscher für das Hannoversche, die davon geprägt war, dass die Bevölkerung mehr Hoffnung als Angst mit der Erwartung der russischen Armee verknüpfte. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, S. 15–20. Vgl. J. HEYM, Russische Sprachlehre für Deutsche, Riga 1804. Vgl. Jehan SAUVAGE, Dictionnaire Moscovite, o.O. 1586 (handschriftliches Manuskript); Tönnies FENNE, Vocabularium Rossico-Germanicum, Pskov 1607. Der curiose Dollmetscher für die Reisende, Nürnberg 1707; J. A. E. MASCHENBAUER, Der curiose und in allen nöthigen Wissenschaften nützliche Dollmetscher, Augsburg 1748. Zu den für Kaufleute bestimmten Sprachbüchern vgl. KOPELEW, Fremdenbilder, S. 20. Vgl. CHARTIER, Lesewelten, S. 11, 13.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
2.2. Zensurmaßnahmen gegen die russischen Dolmetscher: Affäre Dreyssig Der Wandel von der Duldung der Dolmetscher zur Zensur und Repression vollzog sich nicht bruchartig, sondern allmählich. Eine erste Veränderung in den Anweisungen des Polizeichefs löste die Anzeige für den Titel »Russischer Dolmetscher oder Trucheman Russien« von Christian August Lebrecht Kästner aus.134 Bongars antwortete auf eine besorgte Meldung des Generalpolizeikommissars Mertens, er wolle zwar den Verkauf des Buches nicht verbieten, um die Aufmerksamkeit der Westphalen nicht darauf zu lenken, er könne allerdings die Ankündigungen des Buchhändlers Dankwerts in Göttingen für diesen Dolmetscher im Departementalblatt auch nicht gutheißen135 . Der Polizeichef sah zwar zunächst von der Zensur der Dolmetscher aus Angst vor einer überschwänglichen Aneignung des Buches durch die Bevölkerung ab. Die Werbung in den öffentlichen Blättern wurde jedoch vom 24. Februar 1813 an verboten. Bald darauf meldete sich der gleiche Mertens aus Göttingen erneut besorgt über die Buchproduktion der Dolmetscher bei Bongars und schrieb ihm: Parmi les grande quantité des truchemans russes, qui dépuis quelque tems sont imprimés, celui que j’ai l’honneur de joindre à la présente a du fixer mon attention à cause de la vignette qui se trouve sur la seconde feuille et à cause du surnom, que l’éditeur s’est donné, ayant signé la préface: imprimeur russe, quoiqu’il est bon bourgeois de Halle. La vignette represente un ours, l’emblême du nord, qui est au point de dévorer un serpent, l’emblême du midi, ce qui paroit devoir se rapporter au désastre qu’ont éprouvé les armées du midi. J’ai crû devoir fixer l’attention de V. E. sur ces allusions, parce que l’éditeur de cette brochure, le libraire Dreyssig à Halle est connu pour un ennemi enragé de tout ce qui ce rapporte à la France. […] J’ai retenu cette brochure, qui pourroit donner occasion à des mauvais propos et ne permettra leur débit qu’après avoir reçu les ordres de V. E.136 .
Die genannte Ausgabe des Dolmetschers aus der Buchdruckerei von Friedrich Christoph Dreyssig mit der ausschlaggebenden Vignette, die als Allegorie der Niederlage der französisch-kaiserlichen Armee gegenüber der russischen gedeutet werden konnte, sollte tatsächlich eine Kehrtwendung in der Zensurpolitik der westphälischen Staatsführung auslösen. Die Vignette mit 134
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Russischer Dolmetscher von Kästner und Kralitzky/Trucheman Russien par Kaestner et Kralitzky/Nˇemeckij i francuzskij perevodcˇcik. izdanie vtoroe popravlennoe, Leipzig (Gerhard Fleischer d. J.) 1813. Die zweite Auflage dieses Dolmetschers sollte einen abweichenden französischen Paralleltitel tragen: »Interprète Russien« statt »Trucheman Russien«, siehe Anm. 117. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 459 von J. F. M. de Bongars an Mertens, 24. 2. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7984: Schreiben Nr. 460 von Mertens an J. F. M. de Bongars, 4. 3. 1813.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
199
Abb. 5: Die gekrönte Schlange, Beschriftung: »Die Erd und Meer wild zu umschlingen drohte, Sie wird vernichtet durch die Macht des Herrn!«, 1813/14, Karikatur/Radierung, 17,6×24,2 cm, SML, VS 2012.
dem Bär und der Schlange konnte als Parodie auf die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Kaiserreich Frankreich ausgelegt werden, weil zu diesem Zeitpunkt die Karikaturproduktion in Russland auf diese Emblemata aufbaute und diese »Merkbilder« sicherlich bei den Westphalen präsent waren137 : »Quant à la caricature russe, elle couvre la fin de la retraite de Russie, avec le thème de l’ours russe ou du cosaque chassant le renard/Napoléon«138 . Dafür, dass sich Dreyssig als russischer Buchdrucker ausgab, lassen sich mindestens drei Erklärungen finden139 . Erstens wollte Dreyssig möglicherweise den Kaufanreiz anregen durch die vermeintlich höhere Qualität eines Werkes, das durch einen Muttersprachler verlegt wurde. Zweitens könnte die Tarnung als Strategie gegen eine mögliche Zensurmaßnahme gedient haben – dafür spricht, dass Dreyssig zu diesem Zeitpunkt bereits vom Maire und vom Unterpräfekten in Halle eine Warnung erhalten hatte. Drittens 137
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Über die Merkbilder vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 94–97. Über die zunehmende strategische Einbeziehung des Mediums »Bild« durch die Zeitschriftenmacher ab 1800 vgl. GREILING, Lesen, Schreiben, Publizieren, S. 30. L’anti-Napoléon, S. 10, vgl. S. 24, 74; vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 314, 338, 374. Vgl. GERSMANN, Im Schatten der Bastille, S. 183.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Abb. 6: C. G. H. Geißler, Swaetki, Mummenschanz, 1805, Radierung, 17,4×21,3 cm, SML, Gei XVI/4/10. Die Darstellung eines Bärentanzes, auch »Mummenschanz« genannt, ist dem Bilderzyklus »Spiele und Belustigungen der Russen aus den niederen Volksschichten« von Geißler entnommen. Das Motiv zeugt von der volkskundlichen und traditionsreichen Verankerung des Emblems des Bären für Russland, so wie er in den Karikaturen vorkommt. Später, um 1812, sollte auch eine Karikatur Napoleon als »Tanzbär« im Rahmen eines Mummenschanzes mit russischen Kosaken darstellen – ein Exemplar dieser Karikatur befindet sich im Bestand des Deutschen Historischen Museums140 .
wollte Dreyssig sich durch die vorgegebene Identität eines russischen Buchdruckers möglicherweise vor einer Strafe schützen, falls sein Werk die Urheberrechte eines anderen verletzte – dagegen spricht allerdings seine ebenfalls überlieferte Korrespondenz mit dem Autor141 . Diese Auflage beweist zumindest, dass Dreyssig das Interesse für seine Ware nicht allein durch Anzeigen zu heben wusste. Dreyssigs Berechnungen gingen allerdings nicht auf, da ausgerechnet das Vortäuschen einer vermeintlichen russischen Identität in Verbindung mit der fragwürdigen Vignette eine systematische Zen-
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Vergleichen ließe sich dieses Motiv mit dem Thema der Karikatur »GroßerNational-Ball« aus dem Jahre 1814, CILLESSEN, REICHARDT u.a. (Hg.), Napoleons neue Kleider, S. 263 f.; SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 96 f. Eine weitere Karikatur von Napoleon, als Bär verkleidet, vgl. ibid., S. 354. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7969– 7970: Korrespondenz von E. Klein, Leipzig mit F. C. Dreyssig, Halle.
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sur aller russischen Dolmetscher im Königreich Westphalen ab März 1813 zur Folge hatte142 . Bongars reagierte zügig auf den Hinweis von Mertens und schickte folgendes Rundschreiben an die höheren Polizeibeamten aller Departements des Königreichs Westphalen: Le Sr. Dreysig imprimeur à Halle, vient de publier un interprete russe à lafin du quel il a pris la qualité d’imprimeur russe et dont la premiere page presente une vignette qui paroitroit devoir indiquer les desastres qu’ont eprouvés les armées alliées. Cet individu est un ennemi juré de la cause de la France, il m’est connu depuis longtems sous ce rapport. Je viens d’ordonner de le faire conduire à Cassel. Quant à son ouvrage ainsi que tous les autres du meme genre qui circulent depuis quelque tems […], je vous invite, Mr. […] à le faire confisquer […] et à me rendre compte du resultat de cette saisie143 .
Ferner ordnete Bongars an, bei allen Buchhändlern und in den cabinets de lecture nach Dolmetschern zu suchen144 . Die Polizeibeamten lieferten genaue Beschreibungen der Vignette: »[les] truchemands russes [sont] munis ou de gravures des Cosaques ou des vignettes qui réprésentent le malheur de l’armée françoise« meldeten die Polizeikommissare aus Hannover an Bongars145 . Der Unterpräfekt Joseph Marie Piautaz aus Halle hatte bereits im Laufe des Februars 1813 vor »Dollmetscher[n] die hinten u. vorn mit Cosaken geziret so wie […] mit dem Bildniße des Kaisers von Rußland« gewarnt 146 . Der Generalpolizeikommissar Guntz aus Braunschweig machte seine Untergebenen sogar darauf aufmerksam, es handele sich nicht allein um eine Sorte Vignette147 . Bei seiner Festnahme in Halle musste Dreyssig selbst Angaben über Natur und Sinn der Vignette machen: nach dem Bedürfniß [habe er] dergleichen Dollmetscher Wörterbücher Abc Bücher in verschiedenen Formen gedruckt und hie und da einmal einen Schranke […] 142
143
144 145
146 147
Diese allgemeine Zensurmaßnahme erklärt wahrscheinlich, weshalb besagter Titel mit der Vignette aus der Buchdruckerei Dreyssig weder in den deutschen noch in ausländischen Bibliotheken auffindbar war. Es handelt sich um: [Ernst KLEIN], Russischer Dollmetscher, Halle (Dreyssig) 6 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Rundschreiben Nr. 576 von J. F. M. de Bongars an die Generalpolizeikommissare und an den Polizeipräfekten in Kassel, 7. 3. 1813. Dreyssig (Jahrgang 1766), wurde vom 21. März bis zum 6. Juli 1813 im Kastell, im Staatsgefängnis von Kassel, in Gewahrsam genommen. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 852. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 693, Schreiben Nr. 1470 von J. F. M. de Bongars, 8. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7952: Schreiben Nr. PS. Nr. 111 von G. L. F. Grahn und Frömbling an J. F. M. de Bongars, 7. 4. 1813. Ibid., hier Nr. 7977. Vgl. ibid., Nr. 7954: Abschrift vom Schreiben Nr. 543 von F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, an G. L. F. Grahn und Frömbling, 9. 3. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
angehängt um die Kauffluß zu reitzen. […] Auf die nachmalige Frage, ob er ruß. Dollmetscher mit anderen Vignette als sich auf den vorgezeigten Exemplaren befänden, gedruckt habe, erklärt derselben: er habe zu den Vignetten genommen, was ihm gerade an vorräthigen alten Platten zur Hand gewesen sey. Diese vignette beständen theils in Cosaken, theils in französischen Soldaten, theils in Bilde des russischen Kaisers, theils in kleinen Knaben mit Trommeln, theils in allerhand Thieren; niemals aber habe er sich erlaubt, irgend eine nach seiner Uberzeugung anstößige Vignette zu gebrauchen148 .
Dreyssig gab an, dass die Holzdrucke nicht extra für diese Auflagen der Dolmetscher angefertigt worden waren – Dreyssigs Hang zur zierlichen und figurativen Schmückung seiner Dolmetscher mit Vignetten aller Art mag daher gerührt haben, dass er vor seiner Tätigkeit als Buchdrucker ab den 1780er Jahren eigentlich in Halle »im Haus ›Zum Maulbeerbaum‹ in der kleinen Steinstraße in seinem Laden nahe der Post unter dem Rathaus mit Bildern, Kupferstichen, Büchern und kunsthandwerklichen Artikeln, darunter auch Zinnfiguren« gehandelt hatte149 . So vermeintlich »wahllos« und »unmotiviert« ihr Zusatz auch war, erhielten die Bilder in Verbindung mit dem Objekt, auf dem sie abgebildet wurden, eine neuerliche Bedeutung und Interpretationsmöglichkeit wie umgekehrt auch der Text durch das Bild, die möglicherweise nicht allen, aber sicher manchen der Leser auffielen, insbesondere den Polizeibeamten150 . Offensichtlich bemühte sich Dreyssig in diesem Verhör, durch das Gleichsetzen von Bildern von Tieren und Knaben mit den Kosakenabbildungen Letztere zu verharmlosen. Aus der Perspektive der Polizei und unmittelbar für die Quellenauswertung ergibt sich im Gegenzug, dass die Kosakenabbildungen den Tieren und anderen scheinbar belanglosen Motiven einen zweideutigen Charakter verliehen. Die Soldatenabbildungen, gleich wie andere Vignetten behandelt, lassen vermuten, dass die Tiere und 148 149
150
GStA PK, V. HA, Nr. 721, Protokoll der Durchsuchung bei Dreyssig in Halle, 13. 3. 1813. SCHRAUDOLPH, Eisvogel trifft Klapperschlange, S. 24. Über Dreyssig ist zwar wenig bekannt, Schraudolph liefert jedoch einige biographischen Angaben und berichtet insbesondere über die Kinderbücher mit pädagogischem Anspruch und volkskundlichem Charakter aus der Verlagsbuchhandlung Dreyssig, die begleitend zu einem Zinnfiguren-Sortiment abgesetzt wurden, vgl. ibid., u.a. S. 24 f. Vgl. CHARTIER, Lesewelten, S. 183; vgl. außerdem die Feststellungen, die Tolkemitt mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Text aufwirft: TOLKEMITT, Einleitung [Historische Bildkunde], S. 10: »Bilder erscheinen vieldeutiger als Texte, ihre Wirkung ist primär affektiv – hier liegen die Schwierigkeiten und Chancen dieses Mediums. Dasselbe – formelhafte, typisierte – Bild kann verschiedene Texte illustrieren, Illustrationen können aber auch Textauslegungen enthalten, und Bilder können umgekehrt durch hinzugefügte Texte eindeutig gemacht werden, wie es vielfach in Anwendung der lutherischen Bildtheologie geschah«. Vgl. SCHENDA, Bilder vom Lesen; LE MEN, La question de l’illustration; TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 96.
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ähnlich harmlose Motive ebenfalls politische Deutungsmöglichkeiten für das Lesepublikum der Dolmetscher boten151 . Die Affäre Dreyssig weist einige Lücken in der Überlieferung auf. Dass seine Vignetten-Dolmetscher die breitflächige Zensurmaßnahme gegen alle Dolmetscher auslösten, könnte auch daran liegen, dass er von der Polizei zu den verdächtigen Hallensern gerechnet wurde. Bereits vor der westphälischen Herrschaft galt der Bürger Dreyssig seinen Mitbürgern in gewisser Hinsicht als eine Art bunter Hund oder bunter Vogel, zumindest war er der »grüne Mann«, der aufgrund seines Erscheinungsbildes und seines Spitznamens, die er in gewisser Weise als Markenzeichen pflegte, in der Stadtöffentlichkeit Bekanntheit genoss und außerhalb der Stadt auch suchte152 . »Bei der Verteidigung seiner Heimatstadt gegen französische Truppen im Jahr 1806 [war er] aktiv beteiligt und erlitt eine schwere Verwundung«153 . Sicherlich schon deswegen war der »grüne Mann« der westphälischen Polizei bekannt und suspekt. Trotz aller Lücken und in den Quellen nicht mehr explizierter Ortsbefindlichkeiten ermöglicht die Affäre die Rekonstruktion der außergewöhnlichen Buchproduktion von Dolmetschern im Jahre 1813. Dreyssig und indirekt die westphälischen Bürger mit ihrem Ansinnen, sich auf das Anrücken der russischen Truppen sprachlich vorzubereiten, hatten die Zensurmaßnahme ausgelöst. Die westphälische Sprachpolitik – insofern man die Versuche der Polizei berücksichtigt, die massenhafte Buchproduktion an russischen Dolmetschern einzudämmen – entstand damit zum Teil in Reaktion auf den Wunsch nach russischem Spracherwerb durch die Bevölkerung. Bongars musste allerdings auch damit rechnen, durch ein Verbot und eine repressive Sprachpolitik die außergewöhnliche Sprachpraxis der Westphalen zu beeinflussen und ihr Interesse für die Dolmetscher zu stärken. Die Analyse der Affäre Dreyssig kann eine gegenseitige Beeinflussung von Sprachpolitik und Sprachpraxis offenlegen. Die Reaktion des anonymen Autors der »Garküche an der Fulde« über die Zensurmaßnahme gegen die russischen Dolmetscher bestätigt, dass die repressive Maßnahme Aufsehen bis Empörung hervorrief und in dieser Hinsicht für die Polizei kontraproduktiv war: 151 152
153
Vgl. SCHILLING, Illustrierte Flugblätter, S. 110–112. Von Dreyssig weiß Schraudolph zu berichten, dass er noch vor westphälischer Zeit aufgrund seines Habitus, stets einen grünen Rock zu tragen, in Halle als aufgeklärter Bürger galt und der »grüne Mann« genannt wurde. Er publizierte zunächst in den 1780er und 1790er Jahren eine Reihe von für den Eingeweihten eindeutig zuordenbaren Büchern: DREYSSIG, Brieftasche des grünen Mannes; DERS., Reisen des grünen Mannes durch Teutschland; DERS., Reise des grünen Mannes nach der unglücklichen Festung Maynz. Vgl. SCHRAUDOLPH, Eisvogel trifft Klapperschlange, S. 24. Ibid., S. 24 f.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
War es nicht kleinmüthig, den Verkauf des Russischen Wörterbüchleins von Haßdenpflug zu inhibiren, welches doch in Frankreich selbst späterhin zum Noth- und Hülfs-Manuela hätte dienen können? War es nicht Unsinn und lächerlicher Widerspruch, alle Druckschriften über Russland zu unterdrücken und doch in der nämlichen Zeit den drei Universitäten Westphalens ein Königliches Geschenk mit der Voyage pittoresque en Russie zu machen154 ?
Hinter den Versuchen zur Sprachregulierung vonseiten der westphälischen Polizei entdeckt man die politische Sorge um die öffentliche Meinung des Landes. Weil die Verbreitung der Dolmetscher als Vorbereitung und in Erwartung der russischen Armee durch die Vignette, die ihnen vorangestellt wurde, nicht mehr missverstanden werden konnte, ging man schließlich gegen sie vor. Manche von den Westphalen, die einen Dolmetscher erwarben, werden diese Werke tatsächlich als Sprachwörterbücher benutzt haben155 . Allerdings gab es wahrscheinlich viele, die die Sprachanleitungen nicht aus Interesse für die russische Sprache, sondern aus ökonomischen Überlegungen oder gar aus Angst vor den Kosaken erwarben156 . Einige werden Geschäfte mit den Russen im Sinn gehabt haben, wie es die im eingangs zitierten Inserat angebotenen Wandanschläge für die Gasthäuser vermuten lassen. Somit zeichnet sich eine Vielfalt von Lese- und Aneignungsweisen ab. Einige Westphalen äußerten wahrscheinlich mit dem Erwerb von Dolmetschern und ihrem Gerede darüber sogar ihre politische Meinung zugunsten eines baldigen politischen Wechsels. Der bereits zitierte Bericht eines Polizeibeamten aus Göttingen deutet darauf hin, dass sich die Städter über die Buchproduktion aufgrund der damit verbundenen politischen Aussage amüsierten. Die Dolmetscher erzielten also in ihrer politischen Funktion eine Wirkung selbst bei den Bevölkerungsteilen, die sie nicht unbedingt kauften. Die Rezeptionsgeschichte der Dolmetscher sprengt den Rahmen ihres Lesepublikums. Ein Stadt-Land-Unterschied in der Rezeptionsgeschichte und in den Leseweisen ist somit ebenfalls erkennbar157 . 154
155
156
157
ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 54. Das russische Wörterbüchlein, das hier genannt wird, und das offensichtlich in Kassel mehr verbreitet war als dasjenige von Dreyssig, konnte beim Bibliographieren über die russischen Dolmetscher bisher nicht nachgewiesen werden. Eine Arbeit geht auf die beiden Besatzungen Frankreichs 1814 und 1815–1818 ein, u.a. durch die Kosaken, sowie darauf, wie Zivilbevölkerung und Militär in diesem Kontext miteinander auskamen: HANTRAYE, Les cosaques aux Champs-Élysées, S. 169–179, passim. Die Gebrauchsspuren – Randnotizen – auf einem der Exemplare der genannten Dolmetscher aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek weisen darauf hin, dass einige Buchbesitzer die Dolmetscher in ihrer klassischen Funktion benutzten. Vgl. GEISSLER, Rossijskij perevodˇcik. Die Kosaken wurden weit mehr gefürchtet als die französischen Soldaten; dies belegt Planert anhand von Tagebucheinträgen. Vgl. PLANERT, Wessen Krieg?, S. 120, 124. Vgl. CHARTIER, Lesewelten, S. 8.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Die ausschließliche Betrachtung der Buchproduktion russischer Dolmetscher lässt zunächst eine außergewöhnliche Sprachpraxis vermuten, nämlich den Wunsch, die russische Sprache zu erlernen. Eine Kontextualisierung des Phänomens ergibt, dass die Erscheinung russischer Dolmetscher seitens der westphälischen Herrschaftsvertreter und seitens eines Teils der Bevölkerung in eine politische Angelegenheit und eine Loyalitätsabsage gegenüber dem Staat umgedeutet und als solche benutzt wurde158 . Diese Thesen lassen sich durch eine Dialogisierung des bereits angeführten Quellenmaterials mit weiteren Belegen und Quellenauszügen überprüfen und erhärten. 2.3. Andere Vorfälle zur eingehenden Kontextualisierung der russischen Dolmetscher Im Jahre 1813 stieg die Konjunktur für Gerüchte in vielerlei Variationen exponentiell. Von der wachsenden Erwartung der Westphalen in Bezug auf das Nahen der russischen Truppen zeugen auch Gerüchte über vereinzelte Erscheinungen von Kosaken, die teilweise auf verkleidete Personen zurückgingen. Die Gespräche kreisten auch um die kulturellen und religiösen Unterschiede zu den Russen. Der Polizeiagent Cerfy berichtete über die Vorstellungen eines Bürgers: Gestern erzählte mir jemand, der mit der Denkungs-Art, und religiösen Gebrauche, der Russen sehr bekand ist, daß die Rußen ein strenges Sistem der Fasten bis zum Anfang der Oster fest beobachten, aber wie die Fasten herum sind, da werden sie zum Raschen Angriff durch dem Wort, in Gottes Namen, von ihren geistlichen angefeüert, wo sie auch wüthent angreifen werden, und dieses wird binnen 8 Tagen geschehen159 .
Die hier wiedergegebene Prognose über den Verlauf des Krieges, die von einem als Kenner der russischen Verhältnisse beschriebenen Bürger stammt, vermochte sicherlich nicht allein den Polizeiagenten in Angst zu versetzen. 158
159
Für das Königreich Sachsen und insbesondere für Leipzig und Dresden ist auch Hexelschneider in seiner Untersuchung zu den kulturellen Begegnungen zwischen Sachsen und Russland das Epiphänomen der Russenwerke und speziell der russischen Dolmetscher im Jahre 1813 aufgefallen: Er bemerkt mitunter die Zunahme der Hinweise auf russische Dolmetscher und andere russische Werke im nicht-zensierten Anzeigeteil der Zeitungen proportional zum Rückgang der Kriegsnachrichten in den eng zensierten Nachrichtenteilen. Vgl. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 108 f. Die vorliegende Fallstudie zur Affäre Dreyssig bestätigt, dass die Zeitgenossen unterschwellig eine antinapoleonische Botschaft mit der Anzeige von russischen Dolmetschern verbanden – sie wurden teilweise zum Ersatz für die Kriegsnachrichten, die man nicht mehr drucken durfte. So erklärt sich auch der rasante Anstieg der russischen Dolmetscher in der Buchproduktion nach 1813, vgl. ibid., S. 110. Vgl. RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9764: Rapport von C[erfy], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 6. 4. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Auch die zahlreichen falschen und echten Soldatenbriefe, die teilweise geschmuggelt wurden, teilweise über die Postwege an die Westphalen gelangten und von der Polizei abgefangen oder kontrolliert wurden, können in diesem Zusammenhang angeführt werden. Sie zeugen von der Angst vor dem Krieg, geben Auskunft darüber, wie sich die Westphalen über verschiedene Medien Informationen über das Kriegsgeschehen beschaffen und belegen, dass Meldungen über nahende Kosaken im Jahre 1813 verstärkt in Umlauf gebracht wurden160 . Noch vor der Eskalation mit dem Dolmetscher von Dreyssig mit der Vignette wurde Ende Januar 1813 ein Etikett für eine Packung Rauch- und Schnupftabak mit einem reitenden Kosaken als Motiv in Marburg beschlagnahmt 161 . So besorgt sich auch der Antiheld der Schrift aus der Gattung »utopischer Roman« oder »burleske Satire« in Kassel 1813 schnell noch vor Anrücken der russischen Truppen ein russisches Wörterbuch162 . Es spricht für die allgemeine Bekanntheit und Verbreitung dieser Werke zu jenem Zeitpunkt, dass ausgerechnet ein russischer Dolmetscher zu den Requisiten einer solchen Satire zählte. Statt der fiktiven Lebensgeschichte des Hauptcharakters eines utopisch-satirischen Romans soll hier die reale Biobibliographie des Autors eines russischen Dolmetschers sowie ein weiterer Vorfall aus dem bewegten Jahr 1813 zur Diskussion herangezogen werden. 2.3.1. Geißlers »Hand- und Hülfsbuch« und sonstiges Werk Unter den oben zur Dialogisierung mit dem Dolmetscher von Dreyssig herangezogenen Dolmetschern aus dem Jahre 1813 ist zuletzt derjenige von Christian Gottfried Heinrich Geißler genannt worden163 . Zu den Werken Geißlers vor dem besagten »Hand- und Hülfsbuch« zählen unter anderem eine Reihe von Titeln, die indirekt zur Erläuterung des Entstehungskontextes seines Dolmetschers beitragen können164 . Die kriegerischen Auseinandersetzungen sind ein wiederkehrendes Hintergrundsmotiv in den sonstigen Werken Geißlers. Die Angst vor den Soldaten und das Interesse für sie regte nicht nur an, sich ihre Sprache, wenn auch nur in Grundzügen, anzueignen, sondern motivierte ebenfalls dazu, dank Abbildungen und Zeichnungen die Soldaten schnell einzuordnen und sich mit ihren Sit160
161 162 163 164
Vgl. WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 366 f. Vgl. dazu auch das Online-Kapitel über das Medium »Brief«, siehe Einleitung Anm. 168. Vgl. König Lustik!?, Kat. 316. Vgl. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 121. Vgl. GEISSLER, Rossijskij perevodˇcik, passim. Vgl. u.a. GEISSLER, Beschreibung der Sitten; DERS., Die kaiserliche Russische unregelmässige Reiterei.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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ten vertraut machen zu können, bevor diese einmarschierten – ihre Religiosität konnte faszinieren, und manch einer wird sich durch das ostentative Schmücken seines Heims mit russischen Bildnissen von Heiligen und Zar Alexander I. erhofft haben, die bei ihm einquartierten Russen würden sich wohl fühlen und friedlich aufführen165 . Tatsächlich ging die Zensurmaßnahme gegen die Dolmetscher vom März 1813 mit der Beschlagnahme einer Vielzahl von Bildnissen, Abbildungen und Porträts sowie von Werken mit Bezug auf die Russen einher166 . Aber wie kam Geißler zu seiner russischen Spezialisierung? Und wie kam er als Zeichner dazu, ein »Hand- und Hülfsbuch« der russischen Sprache zu verfassen? Von 1790 bis 1798 hielt sich Geißler in Petersburg und Südrussland an der Seite des Botanikers Peter Simon Pallas auf, für den er als Zeichner arbeitete167 . Diese Tätigkeit wird ihn zu den volkskundlich anmutenden Bildern angeregt haben, die in seinem Werk besonders auffallen – aus diesen sehr beeindruckenden Jugenderlebnissen sollte er im Laufe seines Künstlerlebens immer wieder schöpfen168 . In dieser Zeit wird er außerdem die Kenntnis der russischen Sprache erworben haben, die zur Verfassung seines »Hand- und Hülfsbuchs« nötig war. Einem Brief Pallas’ an Geißler vom Anfang 1808 kann entnommen werden, dass sich der Botaniker darüber freute, von seinem Korrespondenten zu lesen, er habe durch die Ankunft der Franzosen in Leipzig kein Leiden erlitten169 . Beide Männer scheinen einander sehr freundschaftlich verbunden gewesen zu sein; Pallas schätzte wohl das zeichnerische Talent Geißlers sehr. 165
166
167 168
169
Vgl. Deutsch-Russischer Dolmetscher worin die nothwendigsten russischen Wörter, Gespräche und Zahlen, wie solche nach der russischen und deutschen Mundart ausgesprochen werden müssen, enthalten sind in alphabetischer Ordnung sowohl in deutscher als russischer Sprache. Nebst einer kurzen Nachricht über das russische Militair als Anweisung zur Behandlung desselben für Hauswirthe von W. C. von H., version revue et augmentée, Koblenz (Pauli) 1814, S. 5. Vgl. u.a. GEISSLER, Abbildung der Uniformen der Russisch-kaiserlichen Armee. Von Geißlers umfangreichem zeichnerischem Werk zu den russischen Kriegern konnte hier nur eine kleine Auswahl abgebildet werden. Sehr empfehlswert, um mehr und farbige Zeichnungen, Radierungen, Kupferstiche und Lithographien von diesem Zeichner einzusehen, ist die Objektdatenbank des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig mit Geißlers Nachlass, http://www.stadtgeschichtlichesmuseum-leipzig.de/site_deutsch/sammlungen/objektdatenbank.php (9. 6. 2012). Die Bildnisse, die auf dem Buchmarkt ebenfalls gehandelt wurden, werden allerdings nicht allein aus Kriegsangst in Umlauf gekommen sein. Ihnen kann auch zu einem gewissen Anteil ein Huldigungscharakter an die ersehnten Befreier von der französischen Fremdherrschaft zugesprochen werden. Vgl. SML, Gei VIII/1 a, Notiz über P. S. Pallas; WENDLAND, P. S. Pallas. Vgl. GRUBER, GEISSLER, Sitten, Gebräuche und Kleidung der Russen; HEMPEL, GEISSLER, Abbildung und Beschreibung der Völkerstämme; GEISSLER, RICHTER, Sitten, Kleidungen und Gebräuche der Russen. Über Geißlers Faszination für das Russische vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, u.a. S. 24, 91. Vgl. SML, Gei XII/9, Schreiben von P. S. Pallas an C. G. H. Geißler, 30. 1. 1808.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Im Jahre 1813 produzierte Geißler jedenfalls einen zweiten Dolmetscher, der noch weitaus umfangreicher und großformatig war und ein intensives interkulturelles Vorbereitungstraining für die Interaktion mit den Russen bot: Sein »Neuester und vollständigster Dolmetscher. Eine […] Sammlung aller derjenigen russischen Wörter u. Ausdrücke, die jeder Bewohner einer Stadt, oder eines Dorfes, wissen muß, wenn er die Russen verstehen, sich ihnen verständlich machen, und manche Unannehmlichkeit vermeiden will. […] mit einer Anweis., wie Bequartierte das Russ. Militair zu behandeln haben, begleitet, und mit Kufp. verziert von C. G. H. Geißler, ehemal. Zeichner und Reisebegleiter des Herrn Staatsr. P. S. von Pallas« erschien in der Sommerschen Buchhandlung in Leipzig170 . Es war sicherlich nicht nur eine ausführliche Variante eines Dolmetschers, sondern auch eine kostbare, da sie mit ihrem sprachlichen Aspekt kulturelle, anthropologische und ethnologische Kenntnisse verband, unterstützt von bildlichen Darstellungen, und die vielseitigen Interessen und Kompetenzen Geißlers unter Beweis stellte171 . Sowohl beim weniger prunkvollen und kompakteren »Hand- und Hülfsbuch« von Geißler, das mehr für den gewöhnlichen Bürger gedacht war, als auch bei der Dolmetscherausgabe für Bibliophile handelte es sich jedoch offensichtlich um mehr als nur Sprachwörterbücher. Geißlers Ruhm als 170
171
Vgl. Dolmetscher, Neuester und vollständigster. Eine nach ganz richtiger Aussprache mit deutschen Buchstaben gedruckte Sammlung aller derjenigen russischen Wörter u. Ausdrücke, die jeder Bewohner einer Stadt, oder eines Dorfes, wissen muß, wenn er die Russen verstehen, sich ihnen verständlich machen, und manche Unannehmlichkeit vermeiden will. Nebst einer, nach achtjährigen in Rußland selbst gemachten Erfahrungen, niedergeschriebenen Schilderung der russischen Nation, in Hinsicht ihrer Sitten, Gebräuche, Wohnungen, Kleidung, Speisen, Gewohnheiten u. und mit einer Anweisung, wie Bequartierte das Russische Militair zu behandeln haben, begleitet, und mit Kupfer verziert von C. G. H. GEISSLER, ehemal. Zeichner und Reisebegleiter des Herrn Staatsr. P. S. von Pallas, Leipzig (Sommersche Buchhandlung) 1813. Es könnte sein, dass Geißler auch der Autor zweier weiterer Dolmetscher der Leipziger Buchdruckerei Leo war: vgl. Dolmetscher, kleiner russischer, worin die allernöthigsten Wörter nach alphabetischer Ordnung und Redensarten, die im gemeinen Leben vorkommen können, enthalten sind, nebst einer Schilderung der russischen Krieger, in Hinsicht auf ihren Charakter, Lebensweise, Religion und Gewohnheiten, von einem Manne, der sich lange Zeit in Rußland aufhielt, Leipzig (Leo) 3 1813; Schilderung der Russischen Krieger, sowohl der regulairen Truppen und Kosacken, als auch der übrigen unter Russlands Scepter streitenden Völker, in Hinsicht auf ihrem Charakter, Lebensweise, Religion und Gewohnheiten; nebst einem teutsch-alphabetischen Verzeichnisse der nöthigsten Wörter in teutscher und russischer Sprache, wie sie von den Russen im gemeinen Leben ausgesprochen werden, und einige der nothwendigsten Redensarten, von einem Manne, welcher sich lange Zeit in Russland aufhielt, zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Leipzig (Leo) 1813. Ein früheres Werk, das landeskundliches Wissen mit den zeichnerischen Fertigkeiten Geißlers verband, ist: GEISSLER, RICHTER, Chatimens usités en Russie.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Napoleon-Karikaturist und Zeichner der Befreiungskriege lässt diese Aussage zu172 . Er ist darüber hinaus Urheber weiterer eindeutig kriegerischer Werke und Abbildungen – Einzeldarstellungen von Soldaten und Soldatenblätter finden sich von ihm zuhauf, aber auch panoramenartige Schlachtenszenen173 . Lässt man sein zeichnerisches Werk Revue passieren, ist die Qualität seines ethnologischen Blickes faszinierend174 : Von den Zeichnungen hin zu den Karikaturen nehmen einige Zeichnungen allmählich den satirischen Charakter von Karikaturen an. Zu einigen seiner Werke betonte er in den Werbeanzeigen in den Zeitungen, dass es sich nicht um Karikaturen handele, sondern um »nach der Natur« gezeichnete Momentaufnamen175 . Die russischen Soldaten kommen insgesamt, stellt man ihnen die Darstellungen der französischen gegenüber, zwar temperamentvoll, aber auch edelmütiger weg als Letztere, deren Hinterlistigkeit durchaus auch thematisiert wird176 . Zeichnerisch ist Geißler bereits ab dem Jahre 1809/1810 aktiv dabei, seine 172
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175 176
Außer den unten gezeigten Karikaturen sind bzw. gelten vermutlich folgende als Geißlersche Werke: »Das grosse Rabengastmahl bei Leipzig« (1813), »Dame Gallia mit ihren Exorzisten« (1814), »Die Dame Gallia bezahlt, nachdem sie genesen, ihren Aerzten die Rechnung« (1814), »Das grosse Vogelschiessen zu Leipzig am 19 October 1813«, »Sein Denckmal«, »Der Krebsreiter« (1813), »Der Kaiserl. Königl. Französische Divisions-General Vandamme« (1813). Er soll drei Dutzend Karikaturen insgesamt in der Zeit 1812/1813 gezeichnet haben. Zwei weitere Karikaturen aus dem Jahre 1808 stammen von Ramberg als Zeichner und Geißler als Radierer: eine Karikatur marschierender Soldaten und »Soldaten auf einem Kasernenhof«. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 88 f.; SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 64 f., 98 f., 128–131, 198 f., 217 f., 228, 235–238, 250, 276, 303 f. In der Karikatur »Befehlen Eure Majestät 100 000 alte Garden?« (Abb. 13) soll der Händler, der Napoleon gegenübertritt und diesem wie ein Kolporteur Gardezeichnungen anbietet, den Künstler selbst darstellen. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 89. Vgl. GEISSLER, Leipziger Kriegsszenen; DERS., Kriegsszenen bei und in Leipzig; DERS., Trümmer der französischen Armee; DERS., Schlachtszenen I und II; DERS., Panorama des letzten Aktes der Völkerschlacht. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 64, passim. Sein Beobachtungstalent grenzt an die Methode der teilnehmenden Beobachtung der neuzeitlichen Ethnologen. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 59. Wustmann schrieb dazu: »Er gehört zu den besten der kunstgeschichtlich noch wenig beachteten Zwischenglieder zwischen Chodowiecki und Ludwig Richter. Ohne Verständnis und ablehnend gegenüber allen idealisch antikisierenden Kunstbestrebungen seiner Zeit, durch seinen langen Aufenthalt in Rußland von dem Lebensgehalt naiven Sichgebens besonders überzeugt, hat er uns Tausende von Bildern und Bildchen des Alltags aus dem halben Jahrhundert von 1790 bis 1840 hinterlassen, deren erster künstlerischer Vorzug ihre Anschaulichkeit ist«. Ibid., S. 110 f. An diese Feststellung, dass das Werk Geißlers wissenschaftlich nicht ausreichend erforscht worden ist, schloss sich 2001 Hexelschneider an; dieses Manko besteht m.E. weiterhin. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 53. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 87. Bei denjenigen Darstellungen der Russen durch Geißler, die eine kritische Note beinhalten, kann man meist feststellen, dass er lediglich als Stecher fungierte, die Zeichnungen jedoch bspw. von Ramberg stammen.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Zeitgenossen auf den Anblick der russischen Krieger visuell vorzubereiten, indem er seinen Vorrat an Bildern aus seinem russischen Aufenthalt weiter verwendet. In den Memoiren eines Enkelkinds von Geißler wird zudem das außerordentliche Engagement des Großvaters als Dolmetscher bei der Ankunft der russischen Truppen in Leipzig als ein glorreicher und im Familienkreis gern erinnerter Höhepunkt im Leben des Zeichners dargestellt. Dabei habe Geißler unerschrocken vor der Gefahr, der er sich aussetzte, versucht, zwischen Bevölkerung und Soldaten zu vermitteln, um Plünderungen zu unterbinden: Was uns der Vater oft von ihm erzählte, das war sein Auftreten und seine Tätigkeit als Dolmetscher nach der Leipziger Schlacht, wo sich der Rat der Stadt seiner den Russen gegenüber häufig bediente. Auch von der Energie erzählte er, mit welcher sich der Großvater nach den Schlachttagen plündernde Kosaken vom Leibe hielt und den Hausgenossen, sowie den Bewohnern des Hinterhause am Fleischerplatz als rettender deus ex machina erschien; wie er, ein kleiner Mann, einem baumlangen Kosaken den an dessen Gürtel hängende Kantschu losknüpfte und unter russischen Scheltworten umbarmherzig auf ihn loshieb, so daß dieser zu Kreuze kroch177 .
Die Tätigkeit Geißlers als Napoleon-Karikaturist und Schlachtenszenenmaler lässt vermuten, dass er möglicherweise in seinem Dolmetscher die doppelte Funktion erkannte, die dieser 1813 einzunehmen in der Lage war: vordergründig die sprachliche Vermittlung und weniger offensichtlich die antinapoleonische Botschaft. Auf der einen Seite schrieb er 1813 für die bessere Verständigung mit den russischen Soldaten einen Dolmetscher, während er unterdessen selbst als solcher tätig war, auf der anderen Seite mobilisierte er seine Mitbürger gegen die Franzosen, indem er ihnen diesen Dolmetscher als Sympathiebekundung für die nahenden russischen Soldaten lieferte und sich insgeheim als Napoleon-Karikaturist betätigte178 . In Geißler ist ein engagierter Bürger und deutscher Patriot erkennbar, der mit Karikaturen, Soldatenabbildungen, Szenen aus Schlachten und nicht zuletzt mit einer Ausgabe eines russischen Dolmetschers eine Kampfansage an die napoleonische Herrschaft verband. Ein anderer Autor eines russischen Dolmetschers mit einer ähnlichen Vielseitigkeit wie Geißler führt ins Königreich Westphalen zurück: Der anonyme Autor der »Garküche an der Fulde« berichtet über den Autor eines »Russischen Wörterbüchleins«179 . Er stellt über dessen facettenreiches Engagement und seine Biographie mit Verbindungen nach Russland fest: 177 178
179
GEISSLER, zitiert nach: WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 86. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 87. Vogel arbeitet heraus, welcher verschlüsselten Symbolik sich patriotisch gesinnte Maler um 1813 bedienen mussten, um sich der napoleonischen Zensur zu entziehen. Vgl. VOGEL, Für Gott, Freiheit und Vaterland. Vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 54.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
211
Abb. 7: C. G. H. Geißler, Nachtrab eines Donischen Kosaken Pulks, auf seinem Feldzuge in Deutschland, um 1810, Radierung, 18,2×25,5 cm, SML, Gei VIII/48. Haßdenpflug, ein Marburger, vormals Offizier in Russischen Dienste, nachher Redacteur in dem Ministerium des Innern zu Cassel, Herausgeber des Russischen Nothund Hülfsbüchleins, war auch Jahre lang nichts weniger als der Gegenstand der polizeilichen Vigilanz, auch er zog mit dem Todtenkopf an der Stirn zur großen Verwunderung aller Polizeibedienten und Franzosen in Cassel mit ein, war den Russen und Kosacken wegen Kenntniß ihrer Muttersprache herzlich willkommen und stolzierte bald darauf zum Aerger seiner Feinde als Offizier in Hannöverschen Dienste umher180 .
Wenn sich Geißler mit Wörtern, Bildern – realistischen und satirischen –, aber auch Dolmetscherdiensten, teilweise offen, teilweise verdeckt, gegen Napoleon erhob, so ging Haßdenpflug in seiner Kampfansage gegen die napoleonische Herrschaft sogar noch ein Stück weiter, denn er zog an der Seite der Russen in den Kampf gegen Napoleon. Auch Dreyssig trat offensichtlich bald nach seiner Freilassung aus dem Kastell – unbeeindruckt von der Zensurmaßnahme gegen seine Dolmetscher – in die russische Armee ein, wo er unter General Levin August Gottlieb Theophil Graf von Benningsen nicht weniger als die Feldbuchdruckerei leitete. Er verstarb 1814 außerhalb von Halle – nicht auszuschließen ist, dass dies im Rahmen der 180
Ibid., S. 59 f., vgl. auch S. 57.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
antinapoleonischen Kämpfe geschah181 . Geißler blieb seinerseits ein Kriegsbeobachter, wenn auch ein mit seinen russischen Sprachkenntnissen und seinem Griffel engagierter – vom Dachfenster seines Hauses am Fleischerplatz in Leipzig aus soll er die letzten Kämpfe der Völkerschlacht auf eben diesem Platz verfolgt haben, bevor er sie in der ihm sehr zusagenden neuen künstlerischen Darstellungsform der Panoramabilder zur Michaelimesse des Jahres 1814 in einer Panoramabude seinen Leipziger Mitbürgern anbot 182 . Eine seiner Radierungen, die unmittelbar in den Jahren nach der Völkerschlacht veröffentlicht wurden, trägt als Beschriftung aus der Hand des Zeichners eine pikante Anekdote darüber, wie er zu der Zeichnung »nach der Natur« gelangte: Die französische Flucht am 19. Oktober 1813 über den Fleischerplatz nach dem Richterschen Garten nach Lindenau zu. Im Augenblick der großen Begebenheit treu nach der Natur aus einem Dachfenster aufgenommen, welches nur dadurch möglich war, daß der Künstler sich in Matratzen binden ließ, um gegen Kugeln geschützt zu sein183 .
Das Gedächtnis an die Völkerschlacht ließ Geißler einmal 1814 und erneut zum 25. Jubiläum im Jahre 1838 aufleben184 . Er wurde »der Zeichner der Völkerschlacht«185 , auch wenn sein Werk und Wirken weitaus facettenreicher war186 . 181 182
183 184
185 186
Vgl. SCHRAUDOLPH, Eisvogel trifft Klapperschlange, S. 25. Seine Leipziger Verwurzelung sollte im Fall Geißlers nicht vergessen lassen, dass seine Bilder auch im Ausland erfolgreich wurden und er sie dort mit Geschick vermarktete. Vgl. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 53, 55; WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 78. Über Geißlers Entdeckung der Panoramen und Kosmoramen ab Frühjahr 1812 vgl. ibid., S. 61. Vogel betont, dass es sich bei Geißlers Panoramen und Kosmoramen um ein »neuartiges publikumswirksames Massenmedium des Guckkastenbildes« gehandelt hat, VOGEL, Für Gott, Freiheit und Vaterland, S. 78. Mit den Panoramen und Kosmoramen zeigte Geißler seine avantgardistische Experimentierfreudigkeit. Seine Zeichnerkünste wurden immer plastischer, und mit Unterstützung von Licht- und Musikeffekten sowie Textbeilagen lud er die Leipziger zu Vorstellungen ins »Russische Theater« ein. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 61–64, 74. Zur »Sehsucht« im 19. Jh. und zu den Panoramen vgl. TELESKO, Das 19. Jh., S. 315–319. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 78. Vgl. ibid., S. 86. Über Geißler (1770–1844) vgl. Ulrich THIEME (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 13 Gaab-Gibus, Leipzig 1920, S. 346; vgl. UMHEY, Der Zeichner und Kupferstecher C. G. H. Geissler, Teil 3, S. 15–18. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 72, 76. Parallel zu den Kriegsereignis-Zeichnungen, die gelegentlich fast Tagesjournalismuscharakter annahmen – einen Kriegsgefangenentransport nach Frankreich, der am 4. September 1813 bei Leipzig vorüberzog, fand man am 11. September in der Leipziger Zeitung von Geißler gezeichnet –, zeichnete er weiterhin Fauna für Pallas, Kinderbuchillustrationen, Trachten- und Handwerkerbilder. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 51, 54–58, 69 f. Die Ausführungsart seiner Zeichnungen ist auch vielfältig, manches kann als »rasches Gelegenheitserzeug-
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Abb. 8: C. G. H. Geißler, Fleischvertheilung unter die zum Bivouak ziehenden Franzosen, wobei dieselben die bey Jena und unterwegs erbeuteten Sachen zum Kauf anbieten, 1808, Radierung, 22,5×17,7 cm, SML, VS 1313.
Sein Engagement zeigte er nicht nur, indem er 1812 mit seiner ›Russenliebe‹ durch seine Text- und Bilderproduktion nicht hinter dem Berg hielt und sehr viel ›Russisches‹ verlegte, sondern auch, indem er den Erlös für die Zurschaustellung von sechs Panoramabildern und einiger Kosmoramen im Übergang von 1812 zu 1813 (ab Anfang Dezember 1812 bis Januar 1813 sogar eines Panoramabildes des Moskauer Brandes) den sächsischen Kriegsverletzten spendete187 .
187
nis« qualifiziert werden, während er andere Kompositionen sehr sorgfältig bearbeitete. Vgl. ibid, S. 68. Vgl. HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 56. Geißlers Wohltätigkeitsbereitschaft wird überdies dadurch aufgewertet, dass Dokumente nahelegen, seine Einnahmen seien durch die Kriegswirren verringert gewesen. Vgl. WENDLAND, P. S. Pallas, S. 395, 404.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Abb. 9: C. G. H. Geißler, Russe, Spanier, Oesterreicher, Braunschweiger, Preusse, Tyroler, um 1808, Radierung, 11,5×18,8 cm, SML, VS 1510. Auf diesem (scheinbar) naturalistisch-volkskundlichen Bogen versammelte Geißler Repräsentanten aller wesentlichen napoleonischen Kontrahenten um 1808/1809. Diese Druckschrift ist repräsentativ für die unauffällige und allmähliche Entwicklung vom reinen Bilderbogen zur Karikatur bei Geißler.
Abb. 10: C. G. H. Geißler, Entehrung und Plünderung der Todten in Steinitz, im August 1813, 1814, Radierung, 18,7×22,8 cm, SML, VS 1423.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Abb. 11a: C. G. H. Geißler, Französisches Lager, 1812, Radierung, 12,8×18,4 cm, SML, B 64d.
Abb. 11b: C. G. H. Geißler, Biwak der Kosaken, 1812, Radierung, 11×17 cm, SML, B 64c. Während die französischen Soldaten häufig zankend, sich duellierend, plündernd, Frauen verführend oder gar als skrupellose Grabschänder dargestellt werden, wirken Geißlers Kosaken gutmütig, immer bereit zum Volkstanz und -gesang im Biwak und mit ihrer Kampfmontur stets vorsichtig. Geißlers Perspektive ist hier wohl nicht nur ethnologisch, sondern auch pro-russisch zu nennen.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Abb. 12: C. G. H. Geißler, Die Trümmer der französischen Armée bey ihrer Rükkehr ins Vaterland im Jahr 1813, 1813, Radierung, 20,7×69 cm, SML, Nap. II 171/Nap. II 115. Abb. 13: C. G. H. Geißler, Befehlen Eure Majestät 100 000 alte Garden?, 1813, Leipzig, 20,6 ×17,1 cm, SML, VS 1938. Der Händler in dieser Karikatur, der dem kurz vor der Niederlage bei Leipzig stehenden Napoleon Gardezeichnungen anbietet, ist wohl ein Selbstbildnis Geißlers.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
2.3.2.
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Die Affäre Harckwitz
Eine weitere Unterstützung der Interpretation der Dolmetscher im Kontext des Jahres 1813 lässt sich aus der Affäre Harckwitz gewinnen. Anfang April 1813 wurde ein Mann namens Godefroy Harckwitz im Saaledepartement verdächtigt und festgenommen. Der Kantonmaire zu Dernburg berichtete über die Ermittlung und die Festnahme des genannten Harckwitz an Generalpolizeikommissar Moisez in Halberstadt. Als Zeuge der so genannten »gestifsten Redensarten« von Harckwitz trat der Braumeister und Gastwirt Haertel auf. Harckwitz habe sich zunächst ein freies Bier gegen Ausstellung einer Art Schutzbrief für den Fall des Anrückens russischer Truppen ausschenken lassen wollen. Dabei habe er betont, dieses Schreiben würde dem Braumeister nützlich sein, wenn er »seine Kinder lieb habe und dergl. Danach habe Harckwitz mit bedeutungsvoller Miene Papier genommen und darauf mehrere unleserliche Worte geschrieben, für den Fall, dass fremde Truppen kämen, so mögte er [Haertel] selbiges nur vorzeigen, er würde denn fürs seine Person nichts zu fürchten haben«. Harckwitz’ Tauschware wurde beim ersten Versuch noch angenommen und er erhielt sein freies Bier. Als er allerdings auch dem Oberamtmann Michaelis ein ähnliches Papier zu verkaufen suchte und diesmal in Spiegelschrift »undeutliche
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Worte auf das vor sich liegende Papier geschrieben« hatte, verlor er an Glaubwürdigkeit 188 . Dabei scheint die Strategie, sich mit wohlwollenden Briefen und Empfehlungen in russischer Sprache zu versehen, damals gängig gewesen zu sein, folgt man einem Agentenbericht: Ein Entrépreneur des Hospithals zu Hannover war im Berliener Hoff eben im Begriff abzureisen, und war in Furcht von den Russen unterweges angehalten zu werden, jedoch meinte er da er etwaß Russisch verstände, und die Lieferung für die Russen in Warschau gehabt hätte, und auch noch einem Brief von dem Graf von Surawof hätte, daß man es nicht so schlim mit ihm machen würde189 .
Die Angst vor den Russen, der Vorteil von Grundkenntnissen des Russischen und die Strategie, sich mit einem Empfehlungsschreiben eines russischen Grafen zu versehen, werden in diesem Quellenzitat gleichermaßen angesprochen. Harckwitz hatte seinerseits trotzdem keinen Erfolg mit seiner Geschichte. Die von ihm produzierten unleserlichen Schriftstücke sollten dazu dienen, den Kosaken verschlüsselte Botschaften zukommen zu lassen. Sie sollten vor Ausplünderungen und Kriegsgewalttaten schützen. Ihr ›magisches‹ Wesen wirkt angesichts der unleserlichen Dokumente besonders faszinierend. Harckwitz konnte sich als Schriftkundiger und als der russischen Sprache mächtig ausgeben, weil die westphälische Gesellschaft offenbar zu diesem Zeitpunkt jederzeit mit dem Einzug der Kosaken rechnete. Die Affäre zeugt auf einer anderen Ebene als die russischen Dolmetscher von der allgemein verbreiteten Angst vor so genannten »Kosakenschwärmen« und Plünderungen190 . Das erste Verbindungselement der Affären Harckwitz und Dreyssig ist der Drang der Westphalen, sich mit russischen Wörtern zu versehen. In Dreyssigs Inserat für seine russischen Verlagswerke wurden außerdem »Russische Vorschriften zum Schönschreiben« ausgeführt. Harckwitz war womöglich nicht der einzige westphälische Bürger, der russische Schriftstücke verfasste. Eine weitere Verbindung zwischen diesen Affären stellt eine Besonderheit der Kommunikationspraktiken in dem untersuchten Zeitraum dar: der Hang zur Verstellung. Dreyssig gab sich als russischer Buchdrucker aus; Harckwitz als Zwangsbefehlsträger und Schriftkundiger, der außerdem der russischen Sprache mächtig sei. In einer Zeit, in der die Zensur Buchproduktion und Kommunikationspraktiken prägte, erfanden 188
189 190
Für das vorherige und dieses Zitat vgl. RNB St. Petersburg, F 993, Arch. Westph., K. 21, Nr. 13 210–13 223, hier Nr. 13 218: Protokoll vom Kantonsmaire in Dernburg, Saaledepartement, 3. 4. 1813. Vgl. RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9882–9987, hier Nr. 9977: Rapport von H. W[ür]Z, Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 8. 4. 1813. AKALTIN, Die Befreiungskriege, S. 23; vgl. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 50 f.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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die Westphalen Identitäten, die sie leicht wechseln konnten und die ihnen Handlungsspielräume boten oder vorübergehend Schutz gewährten. Die Affäre Harckwitz steht ebenso für den Drang der Westphalen, sich auch nach der Zensurmaßnahme gegen die Dolmetscher vom März 1813, mit russischen Wörtern vor Kriegsgewalttaten zu schützen. Harckwitz wurde zwar bei seinem Tauschgeschäft des Schwindels mit seinen Schriftstücken verdächtigt und seine Glaubwürdigkeit wurde angezweifelt. Wie im Fall des Militärdomestiken Rau, der sich als Dolmetscher ausgeben wollte und sich das dazu nötige Zertifikat selbst ausstellte, scheinen selbst Vertreter der Unterschichten mit Schriftstücken und fingierten Zeugnissen gehandelt zu haben191 . Die Tatsache, dass Harckwitz überhaupt auf die Idee einer solchen Täuschung kam, spricht allerdings für die Sensibilisierung seiner Zeitgenossen durch das Kriegsgeschehen. Trotz der Zensur war die Polizei nicht in der Lage, die Vorstellungen und Ängste der Westphalen zu unterbinden. Die Dolmetscher konnten zwar die Ängste nicht mehr kanalisieren und bändigen helfen, aber die Westphalen blieben sehr aktiv in ihrer Suche nach Informationen über die politischen Tagesereignisse und den »Kriegsschauplatz«192 . 2.3.3.
Begegnung mit den Kosaken
Den Angstvorstellungen der Westphalen im Vorfeld des Anrückens der russischen Armee kann das Erleben bei der tatsächlichen Begegnung gegenübergestellt werden. Ein Kasselaner, der von ihrer als Kind miterlebten Ankunft in dieser Stadt Jahre später berichtete, schreibt: Wir konnten uns endlich durch den Augenschein überzeugen, ob das in unserer Einbildung schon lang gehegte Bild von den Kosaken auch der Wirklichkeit entsprach. An äußerer Wildheit fand sich kein Mangel. Nur eine dem Corps angeschlossene Husarenabtheilung zeigte den europäischen Zuschnitt in Ordnung und Uniformirung. Jedoch waren die Kosaken trotz ihres abschreckenden Aeußern weit zuthunlicher und freundlicher als diese Husaren, was sie aber nicht abhielt, den Besuchern des Lagers und sogar den Personen, die ihnen das Abendbrod brachten, alles Werthvolle und Blinkende […] abzunehmen […]. Selbst Stiefeln […]. Wenn das einem gar zu exaltirten Russenfreunde begegnet war, so hatte derselbe neben dem Schaden auch noch den Spott seiner Kameraden zu ertragen, und die wirklich Französischgesinnten konnten darüber ihre Schadenfreude nicht verbergen193 .
Die befürchteten Kriegsgräuel hielten sich in Grenzen, zumindest in Kassel, wenn sich auch die hier erwähnten »Russenfreunde«, die sich womöglich gründlich mit einem Dolmetscher auf diese erste Begegnung mit den Rus191 192 193
Siehe Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher). HAUSMANN, Erinnerungen,1873, S. 93. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, S. 68; vgl. ferner S. 68 f., 77; vgl. auch ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 302.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
sen vorbereitet hatten, das Zusammentreffen anders vorgestellt hatten194 . Die Angabe F. Müllers bestätigt, dass einige Westphalen die Dolmetscher sicherlich als Sympathiebekundung erwarben. Andernorts im Königreich Westphalen scheint sich die erste Begegnung mit den »Kosaken« ähnlich zugetragen zu haben. Gelegentlich konnte sogar das Vorurteil, dass sie ganz fremd waren, kurzerhand abgebaut werden, wie Heinrich Pröhle zeigt, der über die Freude im Volk bei der Ankunft der Russen und die improvisierten Volksfeste zu deren Ehre berichtet: Die Russen, die Russen sind da! Hieß es in Hornhaufen beim Sonntags-Tanze. Als man zusah, war es ein einziger Kosake und dieser erwies sich bei näherer Untersuchung als ein wohlbekannter Bursch aus dem Dorfe selbst. Er war von den Westphälingern zu den Russen desertirt, nahm die Ortskasse in Beschlag und den Schulmeister gefangen. Diesen, den die Tanzgesellschaft anfangs aufhängen wollte, führte er eine Strecke weit gebunden mit sich195 .
Hier hatte sich lediglich ein Zeitgenosse die Attribute eines Kosaken zugelegt. In Mühlhausen mussten »erbleichte französische Gendarmen« mit einem Kosaken auf die Gesundheit des Königs von Preußen trinken196 . In der Kirche zu Hadmersleben, in der sich andere Gendarmen mit Munition beim Eintreffen der Russen zurückgezogen hatten, wurden diese nach Entwaffnung zur allgemeinen Belustigung herumgeführt: »Am Sonntag Nachmittag wurden die Gendarmen durch Hadmersleben als Gefangene geführt. Die Kosaken hatten die silbernen Cordons von ihren Bärenmützen abgerissen und um ihre unscheinbaren Mützen geschlungen«197 . Die Rechnung mit dem Kauf der russischen Dolmetscher war im Großen und Ganzen aufgegangen: Die Westphalen und ihre Befreier verbündeten sich, um den Franzosen den politischen Wechsel zu demonstrieren.
3. Fazit und Zusammenführung: Sprachpolitik ›von unten‹ Der gespannte Bogen von den anfänglichen Bemühungen um das Erlernen der französischen Sprache 1807 bis zum Ansturm auf die russischen Dolmetscher im Jahre 1813 hat gezeigt, dass die Westphalen, unabhängig von der offiziellen Sprachpolitik ihrer Regierung, eigene Strategien zum Spracherwerb verfolgten. Tatsächlich lässt sich parallel zu den politischen Zäsuren eine Verschiebung im Interesse der westphälischen Staatsbürger für Fremdsprachen erkennen. Während 1807 die französische Sprache offenbar eine 194
195 196 197
Ein Aquarell von Ludwig Sigismund Ruhl aus dem Jahre 1814 gibt eine friedliche Szene der Kosaken auf dem Königsplatz in Kassel wieder. Vgl. König Lustik!?, Kat. 462. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 23 f. Ibid., S. 24. Ibid., S. 25.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Abb. 14: RNB, St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5822–5832, hier Nr. 5826. Dieses Dokument aus der Gattung »Faltgedicht« zeugt auch von der Flexibilität und der Wandelbarkeit der Westphalen in ihrer politischen Parteiergreifung. Je nachdem, ob man die Spalte links oder rechts von der Faltlinie liest, wird in ersterem Fall den Russen gehuldigt, im zweiteren Napoleons Kriegsunglück prophezeit. Wenn man aber die Faltlinie nicht beachtet und das Gedicht Zeile pro Zeile horizontal in einem fort liest, steht es schlecht um Zar Alexander I., während Napoleon ein gutes Omen zugesprochen wird. Es lebe weit und breit Der Russen Tapferkeit Gott sende Glück und Heil Auf Alexanders Theil Es steige mehr und mehr Der Russen Heil und Ehr Es habe voller Pracht Der Rußen Kriesgesmacht
Napoleon deren Macht wird von der Welt veracht. Napoleon ganz allein soll nichts als Unglück seyn Napoleons hoher Glanze verdunkelt sich jetzt ganz Napoleons kluger Krieg, sey ganzlich ohne Sieg.
Prestigesprache war, die man auf Privatinitiative erlernte und von der man sich Karrieremöglichkeiten oder eine erfolgreichere Verständigung mit den Staatsvertretern versprach, so zeigte sich schon seit Beginn des Jahres 1813 ein wachsender Drang zum Erlernen der russischen Sprache. Die Sprachen, an die die Westphalen ihre Hoffnungen für die Zukunft oder ihre Ängste vor
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
der politischen Entwicklung knüpften, wählten sie eigensinnig und aus freiem Entschluss. Ihre Bemühungen, sich französische Grundkenntnisse anzueignen oder russische Wörterbücher zu besitzen, um im Fall einer Begegnung mit russischen Soldaten eine Verständigung zu ermöglichen, können als Zeichen ihrer Politisierung und ihrer aufmerksamen Verfolgung der politischen Ereignisse in Europa gedeutet werden198 . Neben der staatlichen Sprachpolitik haben auch die westphälischen Bürger im Alltag eine eigene Sprachpolitik entwickelt beziehungsweise mit der Wahl ihrer Fremdsprache, die höher im Kurs lag, auch politisch Partei ergriffen. Das Jahr 1807 zeichnet sich, entgegen allen Erwartungen, nicht durch eindeutige Bestrebungen des Staates aus, mit seiner Schulpolitik oder Sprachpolitik eine gemeinsame sprachliche Kommunikationsgrundlage zu schaffen. Die westphälischen Staatsbürger wurden nicht genötigt, Französisch zu erlernen; sie ergriffen selbst die Initiative, kauften französische Literatur, nahmen bei privaten französischen Sprachlehrern Unterrichtsstunden oder besorgten sich Sprachlehrbücher für das Selbststudium. Spätestens 1813 richteten sie ihr Interesse allerdings auf die russischen Sprachwörterbücher: Sie verfolgten genau, was ihnen durch die Politik der Großen blühte. Im Demonstrieren ihrer Bereitschaft zum Französischlernen oder zum Russischlernen wurden häufig Sympathiebekundungen transportiert und politische couleurs bekannt 199 . Die Fremdsprachen, derer man sich annahm, fungierten als Distinktionsmerkmal, sie hatten hier eindeutig eine Rolle als Ab-, Ein-, Ausgrenzungs- und Identifikationsmuster zu spielen200 . Unter der westphälischen Herrschaft vollzog sich eine Verschiebung der sprachlichen Statussymbole201 . Die obige Untersuchung gibt zum Teil Winfried Schulze recht, wenn er schreibt: So sehr die praktischen Bedürfnisse des wirtschaftlich-politischen Verkehrs in Europa das Erlernen fremder Sprachen forderten und dies auch an der steigenden Zahl der Grammatiken und Sprachbücher gemessen werden kann, so sehr unterlag das 198
199 200 201
Ein weiteres Faltgedicht wird im Online-Kapitel über das Medium »Brief« besprochen, vgl. http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Die Faltgedichte als Symptom für die politische Wandelbarkeit der Westphalen könnten in einem Interpretationszusammenhang mit den Faltblättern, die Karikaturen verstecken konnten, gesetzt werden. Ein Beispiel findet man über die Objektdatenbank des Deutschen Historischen Museums, http://www.dhm.de/datenbank/ (9. 6. 2012): Faltblatt/Karikatur »Vive Lempereur«, datiert zwischen 1804 und 1805, Inventarnr. Gr 94/8; vgl. auch die Wendebilder, bei denen sich ein grimmiges oder freundliches Gesicht ergibt, je nachdem, in welche Richtung das Blatt gedreht wird. Vgl. GEMKOW (Hg.), Bilder aus der Heimath, S. 167 f.; BREITENBORN, Die Grafschaft Wernigerode, S. 65. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 8, 11; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 75. Vgl. MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 35; BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 74.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Studium fremder Sprachen zugleich dem Verdacht der Kooperation mit dem feindlichen Lager202 .
Ergänzen könnte man diese Feststellung um folgende Erkenntnis: Die Zeitgenossen bekräftigten teilweise ostentativ und ganz bewusst ihre politischen Tendenzen durch den demonstrativen Fremdsprachenerwerb203 . Die Affäre Dreyssig und die Ermittlungen zu ihrer Kontextualisierung und Interpretation zeigen auch, dass die westphälischen Staatsbürger sich wahrscheinlich weniger für die russische Sprache an sich interessierten als mit ihrer Annahme und Aneignung der Sprachanleitungen verschiedene Erwartungen verknüpften. Die Dolmetscher erfüllten eine unmittelbare Rolle mit ihrer herkömmlichen Funktion als Sprachwörterbücher204 . Daneben hatten sie wegen ihrer weniger offensichtlichen Funktionen Erfolg. Sie versprachen zunächst Hilfe bei der sprachlichen Verständigung mit den russischen Soldaten. Als Kommunikationsmittel im Einsatz sollten sie, beim ersten Erscheinen der Kosaken, den Austausch mit den fremdsprachigen Soldaten ermöglichen und helfen, Informationen über den Kriegsschauplatz zu erhalten. Der russische Dolmetscher als adaptierte Form einer bereits existierenden Gattung kann allerdings nicht auf seine Funktion als Sprachwörterbuch reduziert werden, denn darüber hinaus erfüllten die Dolmetscher auch andere, weniger offensichtliche Funktionen. In der westphälischen Gesellschaft erhielt der Dolmetscher bald einen informativen Charakter. Das Buchobjekt an sich bildete einen Hinweis oder eine Anspielung auf den Vormarsch der Kosaken. Die Dolmetscher dienten außerdem als Ventil für die Ängste der Bevölkerung. Sie signalisierten zudem, dass manche Westphalen Geschäfte mit den Russen machen wollten. Der Pragmatismus und die Verteidigung der eigenen Privatinteressen wird beim Erwerb von Dolmetschern eine Rolle gespielt haben. Daneben lösten sie politische Diskussionen aus. So lässt sich eine politische oder gar antinapoleonische Instrumentalisierung in einer sich politisierenden Gesellschaft nicht leugnen205 : Manche Benutzer verrieten durch den Kauf der Dolmetscher ihre Überzeugung, 202 203
204
205
SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 47. Hexelschneider charakterisiert das Epiphänomen der russischen Dolmetscher gemäßigter als eine »Umorientierung nach dem neuen Sieger«: HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 110, vgl. S. 103. Eine solche Verwendung der Dolmetscher auf der ersten Ebene ihrer Multifunktionalität hatten vermutlich Personen, die an Auswanderung aus dem Königreich Westphalen nach Russland dachten. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 1204, Akte über die intendirt werdende Auswanderung mehrerer Schmalkalder Familien nach Russland, 1809. Zur Politisierung der Gesellschaft im napoleonischen Zeitalter vgl. SIEMANN, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«, S. 2–4.; BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 71.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
dass ein Machtwechsel bevorstehe. Andere drückten mit der Produktion, dem Erwerb oder auch nur mit der Thematisierung der Dolmetscher ihre Stellungnahme zugunsten eines politischen Machtwechsels aus. Die Buchdrucker spielten auf diese Multifunktionalität ihrer Dolmetscher an und verfolgten eine Mehrfachadressierung. Die vielen Auflagen in allen Preis- und Qualitätskategorien sind ein Zeichen für das breite Phänomen, das die Annahme der russischen Dolmetscher auslöste. Im Kern transportierten alle Dolmetscher, von den kostenspieligen zu den günstigen, die gleiche(n) Botschaft(en), wenn sie auch in ihrer Ausführung so grundverschieden waren. Die russischen Dolmetscher waren ein ernstzunehmendes politisiertes Medium quer durch alle Gesellschaftsschichten. Wenn das erste Buch im Haushalt der Land- und Stadtbevölkerung weiterhin die Bibel war206 , so könnte sich die Aussage eventuell bestätigen – hätte man eine Möglichkeit, die verschollenen Haushalte mit ihren Bibliotheken aufzuspüren –, dass kurzfristig im Jahre 1813 die russischen Dolmetscher neben dem Volksalmanach zum zweitbestverkauften Buch avancierten. Die verschiedenen Funktionen wurden allerdings nicht von allen Nutzern und am Entstehungsprozess Beteiligten in gleichem Umfang wahrgenommen. Die Dolmetscher erfuhren verschiedene Lese- und Aneignungsweisen. Die Gattung wurde durch verschiedene Erwartungen besetzt und wurde mitunter aufgrund der mit ihr verbundenen impliziten Aussage zum politischen Medium. Anders gesagt, wurde die Gattung erst zum Medium, als verschiedene Kontrahenten die Dolmetscher mit ihren Ängsten und Hoffnungen besetzten und durch sie ihre Überzeugungen und Erwartungen ausdrückten. Die Hinzuziehung von anderem Quellenmaterial hat zur Kontextualisierung der Dolmetscher beigetragen und offenbart, welche möglichen Intentionen, Repräsentationen, Hoffnungen und Ängste hinter dem Phänomen erkannt werden können und die Motive für die verlegerische Tätigkeit und die Aneignung durch die Westphalen erklären helfen. Bei den Dolmetschern vom Jahre 1813 handelt es sich definitiv nicht in erster Linie um Sprachwörterbücher. Über die Existenz der russischen Dolmetscher hinaus lassen sich abschließend Charakteristika der Informationskultur im napoleonischen Zeitalter festhalten. Die Verbreitung der Dolmetscher auf dem Land und in den Städten zeigt an, wie die westphälischen Staatsbürger in ihren Informationsmöglichkeiten aufgrund der restriktiven staatlichen Informationspoli206
Vgl. Literaturangabe oben in Anm. 125; vgl. auch WISWE, Bücherbesitz und Leseinteresse; BÖDEKER, CHAIX, VEIT (Hg.), Le livre religieux et ses pratiques. Über die Volksalmanache, vgl. u.a. MIX, Lektüre für Gebildete und Ungebildete; LÜSEBRINK, MOLLIER, Les almanachs populaires; LÜSEBRINK, MIX, MOLLIER (Hg.), Les lectures du peuple.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
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Abb. 15: Taschentuchbehälter (auseinandergefaltet) mit Sinnsprüchen und Motiven der Befreiungskriege, aus dem Besitz des Leutnants Friedrich Harkort, Stadtmuseum Hagen. Der Text lautet: Die Preussen und Russen in Paris // ei das ist so gut als gewiss // Dann bekommen wir hienieden // gewiss einen herrlichen herrlichen Frieden.
tik auf Gerüchte, Formen mündlicher Kommunikation und andere Medien wie russische Sprachwörterbücher angewiesen waren, um sich eine Meinung über die politische Wirklichkeit zu bilden. Durch die Affäre Dreyssig ist außerdem die Bedeutung des Bildmediums in den Deutungs- und Wahrnehmungsprozessen öffentlicher Meinung und politischer Meinungsäußerung deutlich geworden207 . Das zunächst kulturgeschichtlich anmutende Thema könnte sogar ergänzende Aussagen zu den bisherigen Ergebnissen der Politikgeschichte über die Beteiligung der Zivilbevölkerung an den Befreiungskriegen und zur Kriegsmüdigkeit im Jahre 1813 liefern208 . Das napoleonische Zeitalter Europas steht in Bezug auf die Kommunikationsgeschichte und Informationskultur zugleich in Bruch und in Kontinuität zu früheren Zeiten. Die Zensur beeinträchtigte die Kommunikationspraktiken209 und führte zu einer allgemeinen Verlagerung auf ungewöhnliche Medien und andere Informationsflüsse. Im Zeitalter der Politisierung der Gesellschaft wurden klassische Medien wie Zeitungen zum Teil anders gelesen und gedeutet als zuvor210 . Außerdem kam es aufgrund 207 208 209
210
Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes. Zur Kriegsmüdigkeit auch nach 1813 vgl. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 55 f. Vgl. MOLITOR, Zensur, Propaganda und Überwachung; STEIN, Einheit der Nationalsprache, S. 107; WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 166–168. Im Königreich Westphalen erfolgte bspw. eine kritische Gegenlektüre des offiziellen und zweisprachigen »Westphälischen Moniteur«. Die zweisprachigen Ex-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
der Zensur zur Entwicklung oder zur verstärkten Erscheinung von anderen Kommunikationsmitteln als den gewöhnlichen oder klassischen Medien. Das Interesse verlagerte sich von den herkömmlichen Medien auf die weniger offensichtlichen und schwerer von der Zensur kontrollierbaren und aufhaltbaren: In diesem Sinne erwuchs den russischen Dolmetschern eine gewichtige Funktion im multimedialen Ereignis des kriegerischen Jahres 1813211 . Im napoleonischen Zeitalter bewirkte die Zensur die Entstehung von Medienmischformen, von maskierten und verstellten Medien, die sich zumindest zeitweilig der Wachsamkeit der Zensurbehörde entzogen. So waren Pamphlete in der Erscheinungsform von Zeitungsblättern oder angebliche Privatbriefe, die einer Denunziation gleichkamen, oder auch vermeintliche russische Proklamationen für den untersuchten Zeitraum gängige Erscheinungen212 . Das Phänomen der russischen Dolmetscher im Jahre 1813 ist vor dem Hintergrund dieser neu gestalteten und in seiner Gewichtung verlagerten Medienvielfalt zu verstehen. Der Dolmetscher näherte sich der medialen Funktion von herkömmlichen Nachrichtenträgern wie Zeitungen oder Briefen an und war gleichzeitig verwandt mit offenkundigen antiwestphälischen und -napoleonischen Protesterscheinungen wie Pamphleten, Flugblättern und Karikaturen. Die Dolmetscher trugen auf verschiedenen Ebenen zur Informationsermittlung und Informationsweitergabe bei. Nicht allein traditionelle Medien sollten deshalb in eine Kommunikationsgeschichte eingehen; auch periphere und unscheinbare Gattungen spielten mindestens temporär unter dem Druck der Zensur eine vergleichbare Rolle und sollten als ›innovative‹ Medien ganz besonders berücksichtigt werden, wenn man das kommunikative Spektrum ausgewogen darstellen möchte.
211 212
emplare mit deutschen und französischen Spalten wurden interlinear gelesen, nach Übersetzungsunstimmigkeiten durchforstet und gedeutet. Das Ausfallen von abonnierten ausländischen Tageszeitungen wurde als Kriegsnachricht interpretiert. Das Medium selbst als Objekt, die Übersetzung der Information bzw. der Wegfall des Mediums ermöglichte den Westphalen eine sicherere Informationsermittlung als die Nachrichteninhalte der tendenziösen und desinformativen Zeitungen selbst. Wilke spricht vom »großen Nachrichtenhunger der Bevölkerung« im Kriegskontext des Jahres 1813. WILKE, Grundzüge der Medienund Kommunikationsgeschichte, S. 183. Vgl. ferner MOLITOR, Deutsche Publizistik. Vor einer teleologischen Überbewertung der Bedeutung von Zeitungen in der Frühen Neuzeit kann allerdings im Allgemeinen nur gewarnt werden. Vgl. WILKE, Der nationale Aufbruch, S. 354 f., 365. Beispiele für ein Pamphlet als Zeitung und einen Privatbrief als Denunziation sind im Online-Kapitel über das Medium »Brief« analysiert, http://halshs. archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Über die fingierten russischen Proklamationen vgl. ISKJUL’, Russische Flugblätter.
II. Von französischen Sprachlehrern zu russischen Dolmetschern
227
Die Zensur- und Desinformationspolitik führte sicherlich zu entscheidenden Einschränkungen und Adaptationen213 , sie gipfelte jedoch nicht in Kommunikationsstille oder -notstand. Sie führte letztendlich zur Entstehung neuer Bedeutungsebenen und zu Adaptationen von bereits existierenden Gattungen als politisch umbesetzte und umgedeutete Medien. Nicht zuletzt dynamisierte sie das Kommunikationsfeld in außerordentlicher Weise. Die politische Polizei befand sich mit ihrer Überwachung der deutschsprachigen Druckschriften zum Teil vor einer großen Herausforderung: Die deutsch-französischen Sprachbarrieren bewährten sich gelegentlich als Überwachungslücke und es entstanden Schriften, die sich Nuancenmöglichkeiten einer den französischsprachigen Polizeibeamten entgehenden Sprache zunutze machten und unterschwellig mit antiwestphälischer Kritik gesättigt waren214 . Die vorliegende Rekonstruktion und Kontextualisierung durch Dialogisierung der Affäre Dreyssig stellt ein Plädoyer für die Berücksichtigung von tradierten Gattungen dar, die anders benutzt wurden und temporär zu politischen Medien in von Zensur geprägten Gesellschaften avancierten215 . In Bezug auf die Medien stellt die westphälische Episode eine sehr dichte und intensive Zeit der Erneuerung und der Vervielfältigung der Bedeutungsebenen dar. In der zunehmenden Medienvielfalt ergab sich eine Pluralisierung des einzelnen Mediums. Die Politisierung der Gesellschaft vollzog sich in dieser Zeit vielleicht weniger über die steigende Zahl der politischen Zeitungen oder über die aktive Beteiligung an den Kämpfen gegen Napoleon als vielmehr über die unterschwellige Anregung zur kritischen Gegenlektüre anderer Medien216 .
213 214
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216
Vgl. WILKE, Der nationale Aufbruch, S. 355 f. Als Beispiel könnte eine Schrift über die Universitäten von Steffens, »Über die Idee der Universitäten«, genannt werden, zu der sich Villers folgendermaßen geäußert haben soll: »Sie würden […] verloren sein, wenn Sie nicht für Ihre Darstellung eine Sprache gewählt hätten, die dem Franzosen ein völlig unverständliches Sanscrit ist«. VILLERS, zitiert nach: STEFFENS, Was ich erlebte, Bd. 6, S. 162, vgl. S. 163. Über die »Techniken der Verstellungskunst« (Pörtner) ist bereits in ähnlichen Kontexten geredet worden. Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Informationsstrategien, S. 363. Vgl. HAACKE, Die politische Zeitschrift. Über den Aufschwung der historischpolitischen Zeitschriften in Deutschland seit der Französischen Revolution vgl. BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 72. Zur geringen Beteiligung der westphälischen Bevölkerung an den Befreiungskriegen vgl. AKALTIN, Die Befreiungskriege, S. 40 f.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
III. Bittschriften à la française: von französisierten Bittschriften und professionellen Bittschriften in französischer Sprache Ein Kommunikationsmittel zwischen den westphälischen Bürgern und den Vertretern der westphälischen administration stellten die Petitionen dar1 . Mit der Einführung des neuen Verwaltungsapparats, der teilweise auf Französisch arbeitete, stieg auch das Bedürfnis und das Bemühen der westphälischen Staatsbürger, ihre Bittschriften in französischer Sprache zu verfassen, weil sie sich dadurch offenbar mehr Erfolg für ihre Anliegen versprachen. Auf diese Weise entstand ein reger Markt für Gesuche und Bittschriften, die von Personen erstellt wurden, welche der französischen Sprache kundig waren. In drei Schritten soll in der vorliegenden Studie dem Bittschriftenwesen im Königreich Westphalen nachgespürt werden: Zunächst soll durch eine mikrohistorisch biographische Analyse eines markanten Akteurs des Bittschriftenwesens in das Thema eingeführt werden; dieses Bild wird durch einige weitere Bittschriftenschreiber erweitert, die exemplarisch und ergänzend diese Perspektive des Bittschriftenmarktes beleuchten helfen sollen. Dann werden die Regulierungsversuche durch den westphälischen Staat betrachtet, um schließlich auf die diversen Strategien der Bittsteller einzugehen. Die Untersuchung zum Bittschriftenwesen beleuchtet das Spannungsfeld zwischen den von der Obrigkeit angestrebten Strukturierungsversuchen auf der Makroebene und der Mikroanalyse einzelner Bittschriften, wobei nicht so sehr die Bittschrift als geschlossene Quellensorte analysiert werden soll als vielmehr das Kommunikationsgeflecht, in dem diese agierte. Für die Fragestellung ist die Bittschrift unter besonderer Betrachtung der Akteure des Bittschriftenwesens vornehmlich als Kommunikationsprozess interessant.
1.
Bittschriftenschreiber
1.1. Lehmann als Bittschriftenschreiber und vielseitiger Bürger Exemplarisch soll hier das Wirken von Heinrich Ludwig Lehmann aus Magdeburg untersucht werden, der zeitweilig seinen Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Bittschriften verdiente und später gar ein Kommissionsbüro gründete, das im Auftrag unter anderem auch Bittgesuche erstellte. 1
Vgl. u.a. KARWEICK, »Tiefgebeugt von Nahrungssorgen und Gram«; ANDRAE, Die Rheinländer; SCHICK, Petitionen; ULBRICH, Zeuginnen und Bittstellerinnen; ULBRICHT, Supplikationen als Ego-Dokumente; BLICKLE, Supplikationen und Demonstrationen; SCHENNACH, Beschwerden als Legitimationen.
III. Bittschriften à la française
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Zwei Umstände im Leben Lehmanns waren ursächlich für eine reichhaltige Quellenüberlieferung. Zum einen wurde er 1811–1812 in einen Korruptionsfall der westphälischen administration verwickelt. Dabei handelte es sich um die Vermittlung von Stellvertretern für Staatsbürger, die zum Militärdienst eingezogen worden waren2 . Er wurde zwar schließlich im August 1812 freigesprochen, aber der Vorfall hatte dennoch bewirkt, dass der Generalpolizeichef Bongars Ermittlungen gegen ihn anstellte und Informationen über den Werdegang Lehmanns einzog. Zum anderen wurde nach der Belagerung und der Rückeroberung Magdeburgs im Jahr 1814 gegen Lehmann ein Prozess von der preußischen Verwaltung angestrengt, weil er verdächtigt wurde, für die westphälische Polizei als Agent gearbeitet zu haben. Die Untersuchungsakte gegen Lehmann aus dem Jahre 1814, der auch die ihn betreffenden Unterlagen aus den Jahren 1811–1812 entnommen werden können, bildet den Ausgangspunkt dieser Studie. Sie ermöglicht es, nach dem Umfang und der Art seiner Tätigkeit als Bittschriftenschreiber zu fragen. Ferner vermittelt sie exemplarisch einen Einblick in das Profil von Bittschriftenschreibern. Als sich Lehmann in Magdeburg niederließ, versuchte er zunächst verschiedene Institutionen zu gründen, unter anderem eine Schule. Als diese Unternehmungen scheiterten, suchte er nach anderen Verdienstmöglichkeiten: »Le sieur Lehman se trouvoit dans la nécessité, de gagner sa vie en donnant des leçons, en écrivant des livres, et en faisant des réquetes etc.«, weiß der Polizeikommissar von Magdeburg im Jahr 1812 zu berichten3 . Neben Privatunterricht und der Herausgabe von Schriften pflegte er also auch Bittschriften für seine Mitbürger zu verfassen. Dies bestätigte der Trödler Nindel, der im Juni 1814 im Rahmen der Ermittlungen gegen Lehmann vernommen wurde. So, »um den Antrag zu unterstützen dass mein Sohn hierbleibe, kam meine Frau mit einem Bittschreiben bey den Behörden ein, […] und dieses vorstellen machte ihr der p. Lehmann, wofür ich ihm auf sein Verlangen 2 friedd’or entrichten musste«4 . Lehmann, den seine Sprachkenntnisse dazu befähigten, seine Mitbürger mit französischen Bittschriften zu unterstützen, stellte ihnen diese nicht ohne Entgelt aus, sondern ließ sich für seine Dienste bezahlen. Lehmann räumte selbst in einem Verhör im August 1814 ein: 2 3
4
Vgl. dazu die quellenkritisch mit Vorsicht auszulegenden eigenen Angaben des Betroffenen: LEHMANN, Liebe und religiöse Vorurtheile im Kampfe, Vorwort. GStA PK, I. HA Militär- und Zivilgouvernement für das Land zwischen Weser und Elbe zu Halle bzw. Halberstadt, Rep. 91 C., Nr. 1280, Untersuchung gegen den Rektor Lehmann in Magdeburg, Bd. 1, 1812–1814, Bl. 65 f., Schreiben von Friese, Polizeikommissar in Magdeburg, an J. C. A. Legras de Bercagny, Präfekt in Magdeburg, Elbdepartement, 1. 8. 1812. Ibid., Bl. 7, Anzeige des Trödlers Nindel vom 13. 6. 1814.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Für Freudenmädchen am hiesigen Orte habe ich zwar dann und wann Vorstellungen gemacht, indessen dies […] aus Mitleiden, und nicht der Zwecks wegen gethan mich dieser Personen, zu Einziehen von Nachrichten zu […] bedienen5 .
Auch wenn Lehmann den Vorwurf bestritt, die Prostituierten als Gegenleistung für die von ihm verfassten Bittschriften zu Spitzeldiensten herangezogen zu haben, geht aus seinen Angaben nicht hervor, ob und wie ihn die Prostituierten für seine Hilfe entlohnten. Offenbar hatte sich Lehmann außerdem darauf spezialisiert, für Personen, die einen Stellvertreter für sich selbst in den Militärdienst einziehen lassen wollten, Bittschreiben zu verfassen6 . Eine Angabe aus dem Verhörprotokoll von Gottlieb Göhns, der Lehmann als Unterhändler im Rahmen seines Stellvertretergeschäfts unterstützte, bezeugt, dass er seine Tätigkeit sehr wahrscheinlich im großen Stil ausübte: [ich] habe […] einen Vorfall jüngst erlebt, worins ich nicht undeutlich schließen konnte, daß Sr. Lehmann bei S. Excellenz dem Herrn Divisionsgeneral v. Bongars nicht gut angeschrieben stehen müßte. Ich ersuchte nämlich gedachten Sr. Lehmann für einen gewißen Kaufmann Nelle eine Petition an S. vorgedachte Excellenz dahin zu machen, daß Sein Stellvertreter der sehr gute Attestate hat, Gendarm werden konnte, welches mir derselbe aber mit den Worten abschlug, daß er dieses nicht thue, weil S. Excellenz der General v. Bongars seine Hand kenne7 .
Die Handschrift Lehmanns war beim Polizeichef Bongars schon einschlägig bekannt. Dies legt nahe, dass Lehmann zu diesem Zeitpunkt bereits eine ansehnliche Zahl Schriftstücke produziert haben musste, die wohl auch nicht ausschließlich an die administration der Hohen Polizei gerichtet waren. Die Auftraggeber, die Lehmann um das Verfassen von Bittschriften baten, stammten offensichtlich aus allen Schichten der Magdeburger Gesellschaft – angefangen bei den Prostituierten über einen Trödler bis hin zu einem Kaufmann. Wer sich einen Stellvertreter leisten konnte, um diesen anstatt des eigenen Sohnes in den Krieg ziehen zu lassen, war wohl begütert genug. Gerade dieses Geschäft mit der Bereitstellung von Stellvertretern zusätzlich zum Verfassen der notwendigen Bittschriften für die Annahme des Stellvertreters 5 6
7
Ibid., Bl. 136–147, Verhörprotokoll des H. L. Lehmann vom 4. 8. 1814. Ibid., Bl. 45 f., Anhörung des Goldstein Hopfer vom 7. 7. 1814. Die Bittschriften in Konskriptionssachen sind durch die gesamte Zeit der westphälischen Herrschaft stets stark vertreten. Vgl. dazu StA MR, Best. 77a Nr. 623, Verfügung wegen der einzureichenden Supplicken und sonstigen Vorstellungen, 1808–1812: Zirkularschreiben Nr. 2618 von A. H. Freiherr von Trott zu Solz, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an die Kantonsmaires des Werradepartements, 3. 5. 1810. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 041–13 052, hier Nr. 13 045: Verhörprotokoll des G. Göhns vom 16. 4. 1813.
III. Bittschriften à la française
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durch die Obrigkeit, auf das Lehmann spezialisiert zu sein schien, brachte ihm womöglich mehr Tantiemen ein als die Bittschrift selbst. Der doppelte Auftrag, eine Bittschrift zu verfassen, mit der er die Einwilligung der Obrigkeit für die Vertretung erzielte, und einen Stellvertreter zu besorgen, dürfte für Lehmann ein recht lukratives Geschäft gewesen sein. Nur war beides, die Stellvertretung und, wie noch zu sehen sein wird, das Bittschriftenschreiben für Dritte bei der Obrigkeit schlecht angesehen8 . Wer aber war dieser Heinrich Ludwig Lehmann, der sich während der westphälischen Herrschaft unter anderem als Bittschriftenschreiber hervorgetan hatte? Er selbst lieferte einige seiner biographischen Daten im Rahmen eines Verhörs im Mai 1814: Ich heiße Heinrich Ludwig Lehmann, bin 62 jahr alt, reformirter Confession und aus Detershagen bei Burg gebürtig. Mein Vater war Pächter, hinterließ meine Mutter mit 11 Kindern, wovon ich das älteste war. Ich studierte Theologie, kam als Hauslehrer nach der Schweiz, lernte dort meine Frau kennen und wurde dort Rector einer Schule in dem Orte Bürhen im Canton Bern. Als die Revolution ausbrach, musste auch ich, wegen meiner etwas zu freien Aeußerungen die Schweiz verlassen und kehrte nun hierher in mein Vaterland zurück9 .
Lehmann war Jahrgang 175410 . Wie er zu seinen französischen Sprachfertigkeiten kam, geht aus seinen eigenen kurzen biographischen Angaben nicht hervor. Vom kommandierenden Kapitän der Gendarmerie im Elbdepartement erfährt man, dass Lehmann das Studium fremder Sprachen längere Zeit vertieft habe11 . 8
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Im »Westphälischen Moniteur« wurden sogar propagandistisch die Namen der »widerspenstigen«, weil fahnenflüchtigen Soldaten abgedruckt. Der »Moniteur« diente in diesem Fall als Steckbrief und die Denunziation von widerspenstigen Soldaten wurde staatlicherseits gefördert. Die Angehörigen des Fahnenflüchtigen wurden ersatzweise für den abtrünnigen Soldaten bestraft. Der Umgang mit der Stellvertretung zeigte sich recht ambivalent, denn das Prinzip der Stellvertretung stand im Widerspruch zum Gleichheitsideal aller Bürger und zu den Reformen der Gesellschafts- und Rechtsordnungen und wurde dennoch im großen Umfang bewilligt. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 127, 18. October 1808, S. 513; ibid., Nr. 39, 31. März 1810, S. 181; ibid., Nr. 54, 5. Mai 1810, S. 255; ibid., Nr. 68, 7. Juni 1810, S. 311; ibid., Nr. 151, 8. November 1810, S. 662; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 68; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 153–162; RUTHE, Auf der Flucht vor den Strickreitern; SCHERER, Das System der Militärkonskription, 2000; DERS., Das System der Militärkonskription, 2001; SEVERIN-BARBOUTIE, Vom freiwilligen Söldner zum wehrpflichtigen Untertan, S. 122–125. Die Geldstrafen, die die Familien »widerspenstiger Konskribierter« belasten sollten, wurden jedoch in einigen Fällen aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht mehr erhoben. Vgl. SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 115. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 5–5a, Verhörprotokoll des H. L. Lehmann vom 27. 5. 1814. Vgl. DENINA, La Prusse littéraire; HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 4, Artikel »Lehmann, H. L.« Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 63, Schreiben von Henndorf, kommandierender Kapitän der Gendarmerie im Elbdepartement, an J. C. A. Legras
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
In der Schweiz war er zunächst als Hauslehrer der beiden Herren von Jäcklin in Teglio – Rodel, Kanton Graubünden – tätig, woraufhin er kurzzeitig Prediger in Sankt Gallen wurde, um schließlich bis 1795 als Schulmeister in Büren im Kanton Bern zu arbeiten12 . Bezeichnenderweise überspringt er in seiner Kurzdarstellung die priesterliche Phase seines Lebens in der Schweiz. Die Art der »freien Äußerungen«, die ihn zum Verlassen der Schweiz nötigten, wird aus den eigenen Angaben Lehmanns ebenfalls nicht klar. Der Polizeikommissar Friese wusste zu berichten: »Ayant été impliqué dans les troubles, qui s’allarmèrent pendant la révolution françoise dans les pays de Vand, il s’enfuit de la Suisse, pour sauver sa tête«13 . Derselbe Friese vermutete in Lehmann ferner einen ehemaligen Jakobiner: Ses vrais principes politiques pourroient sans doute être très difficiles à devoiler, parce qu’il est assez prudent, à se taire bien sagement de cepoint là, et d’aller toujours selon le vent. Cela est sur, qu’il a été au commencement de la révolution françoise, un adhérent très fervant du Démocratisme, comme aussi probablement un Jacobin. Ayant été lui meme autrefois en union de plusieurs fameux terroristes du convent national, il est très possible que le peril, dans lequel il se trouvoit plus tard, lui ait inspirer des autres principes sur la forme du Gouvernement; sans doute il se persuadoit du moins, qu’il seroit plus salutaire à renfermer ses sentimens jusqu’à un temps plus commode14 .
In Lehmanns Schriften über einige Kantone der Schweiz lässt sich seine Position zur Französischen Revolution genauer bestimmen: »Man denkt und raisonirt, schreibt und spricht freyer« schrieb er noch 1799 über die positiven Auswirkungen der Französischen Revolution in Graubünden15 . Zu seinen Pariser revolutionären Freunden zählten aller Wahrscheinlichkeit nach Louis-Sébastien Mercier und Louis Maulaz, denn ihnen ist eines seiner Werke gewidmet 16 . In diesen Schriften huldigte er außerdem noch in den Jahren 1798–1799 der Leistung Bonapartes17 . Seine Rückkehr nach Magdeburg nach annähernd 15 in der Schweiz verlebten Jahren lässt sich auf das Jahr 1795 datieren18 . Zunächst gab er Privat-
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17 18
de Bercagny, 1. 8. 1812; vgl. auch ibid., Bl. 65 f., Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812. Vgl. DENINA, La Prusse littéraire; HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 4. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 65 f.: Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812. Ibid. LEHMANN, Die Republik Graubünden, S. 316; vgl. ferner DERS., Die Landschaft Veltlin, S. 3 f. Vgl. DERS., Die Grafschaften Chiavenna und Bormio. Zu den Werken Merciers zählen: MERCIER, Le bonheur des gens de lettres; DERS., Le tableau de Paris; DERS., Le nouveau Paris. Vgl. LEHMANN, Das Bisthum Basel, S. 1; DERS., Die Grafschaften Chiavenna und Bormio, S. VI. Vgl. ibid., S. 367; vgl. HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 4.
III. Bittschriften à la française
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unterricht in französischer und italienischer Sprache19 , dann richtete er eine Bibliothek, eine Art Lesekabinett, ein, die aber nicht lange Bestand hatte20 . Auch versuchte er um das Jahr 1798, eine Mädchenschule zu gründen, woran er allerdings ebenfalls scheiterte21 . Seit 1801 war er Redakteur der von ihm gegründeten Zeitung »Der Beobachter an der Elbe«. Dieses Blatt hielt sich bis ins Jahr 1810, in dem es verboten wurde22 . Über den Inhalt der Zeitung machten Polizeibeamte abschätzige Angaben. Der kommandierende Kapitän der Gendarmerie im Elbdepartement berichtete im August 1812 an Joseph Claude Anne Legras de Bercagny, zu dieser Zeit Präfekt im Elbdepartement: Depuis dix ans il est redacteur d’un journal intitulé: der Beobachter an der Elbe et c’est surtout par cette redaction qu’il s’est montré au public comme un homme sans honneur et qui est capable de faire tout pour gagner de l’argent. Lorsqu’une histoire scandaleuse et secréte se passa dans une des familles de la vielle, il en rendit le commencement publique par la voie de son Journal et les personnes interessées furent obligées de lui payer une somme fixée, pour ne pas la rendre tout á fait publique. Souvent il a même attaqué des Collègue et Corporations entières d’une manière infame et dont il a été puni par le gouvernement prussien plusieurs fois et très sévérement. Entre autres il a été condamné à un emprisonnement de six mois pour une telle affaire23 .
Auch der Polizeikommissar Friese wusste über Lehmanns Blatt zu berichten: Il fut plus connu par le Journal intitule: Der Beobachter an der Elbe – Observateur à l’Elbe, qu’il rédigeoit longtems, et qui n’est disparu que depuis peu. Cette brochure, n’ayant été destinée, que pour la classe moyenne, et inférieure, étoit remplie de persifflages, et d’histoires scandaleuse. Y persifflant bien souvent des hommes et leur conduite, en racontant de traits, il s’attira la haine de beaucoup de monde, d’autant plus, comme il n’eut pas honte, de se moquer d’hônnetes gens, et 19
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Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 63, Schreiben von Henndorf an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812; HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 10, Artikel »Lehmann, H. L.« Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 65 f., Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812; zum Boom der Lesebibliotheken und -kabinette ab 1770 vgl. WITTMANN, Geschichte des Buchhandels, S. 206–217. Wie vorige Anm., Bl. 5–5a, Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 27. 5. 1814; vgl. ferner ibid., Bl. 65 f., Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812; HAMBERGER, MEUSEL, Das gelehrte Teutschland, Bd. 4. Vgl. DIES., Das gelehrte Teutschland, Bd. 18, Artikel »Lehmann, H. L.«; DIES., Das gelehrte Teutschland, Bd. 23, Artikel »Lehmann, H. L.«; EGGELING, Der Beobachter an der Elbe. Die Prozesse der Regulierung, Disziplinierung und Zensur der Presse auf deutschen Territorien im napoleonischen Zeitalter skizziert u.a. WILKE, Medien- und Kommunikationsgeschichte um 1800, S. 46–49. Über den Aufschwung der periodischen publizistischen Medien um 1800, in deren Kontext »Der Beobachter an der Elbe« einzuordnen ist, vgl. DERS., Medien- und Kommunikationsgeschichte um 1800, S. 42 f. Wilke skizziert, in welchem allgemeinen napoleonischen Kontext der Politisierung, Zensur und Disziplinierung der Presse sich Lehmann bewegte. Ibid., S. 46–49. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 63: Schreiben von Henndorf an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
comme tant de monde savait, qu’il se ragissoit, que d’une petite recompence, pour exciter Mr. Léhmann, qu’il detourne une personne en ridicule. Quelques procès des injures, qui resultoient à lui une peine ou amende, le firent un peu plus prudent 24 .
Der unlautere Weg, über den Lehmann sein Blatt und sich selbst zu finanzieren wusste, wird in den Polizeiberichten nicht verschwiegen; seine Zeitung war laut zeitgenössischen Beobachtern eine Art Boulevardzeitung – wenn die Bezeichnung auch anachronistisch ist. Über die Drohung, Indiskretes zu veröffentlichen, erpresste er offenbar seine Mitbürger. Ferner konnte man durch Lehmann, gegen entsprechendes Entgelt, eine öffentliche Hetzkampagne gegen seinen persönlichen Feind lancieren lassen. Die schlechte Meinung der Polizeibeamten über Lehmann wurde auch von anderen geteilt. Dies lässt sich aus der Stellungnahme entnehmen, die Lehmann zu den vermeintlichen Verleumdungen in seiner »Romantischen Biographie des Räuberhauptmanns und Lustgärtners Theodor Unger« aus dem Jahr 1809 bezog: Es ist wahr, mancher reiche und große Mann verkennt, und haßt, und verfolgt, und verleumdet mich sogar deswegen, weil ich eine scharfe Lorgnette habe, und hinter gewisse Dinge komme, die man lieber verbergen möchte. Kann ich denn dafür, daß tausend meiner Mitbürger und Mitbürgerinnen mich von den Thorheiten und Lastern anderer tausend schriftlich und mündlich unterrichten, ohne daß ich es verlange? Soll ich dies Zutrauen verachten? – Habe ich denn wohl je vorsätzlich und wissentlich irgend Jemand – beim Kampf mit seinen Lastern und Thorheiten, genannt, oder ihn ins Verderben gestürzt? Ich leugne nicht, daß es mir sehr leicht werden sollte, eine Chronique scandaleuse von Magdeburg zu schreiben; aber ich gebe selbst meinen ärgsten Feinden hiermit öffentlich mein Wort, daß sie meinen Lebzeiten nichts zu fürchten haben. Wer mich also todt wünscht, irrt sich sehr; er thäte vielleicht besser, mir langes Leben zu wünschen, und vor allen Dingen Brodt, weil sonst Mangel zuweilen Menschen zu Schritten verleitet, die sie sonst nicht würden gethan haben25 .
Lehmanns prominente, wenn auch fragwürdige Stellung in der Magdeburger Gesellschaft, wird hier deutlich, die ihm indiskrete Eröffnungen seiner Mitbürger bescherte, ihn aber auch in eine prekäre oder gar bedrohte Lage brachte, pekuniär nicht immer abgesichert, mit unzähligen Feinden. Auch fügen diese eigenhändigen Ausführungen Lehmanns seinem Porträt als Bittschriftenschreiber einen interessanten Zug hinzu. Lehmann war stets auf der Suche nach neuen Erwerbsmöglichkeiten: Er trieb sein Spiel offensichtlich an der Grenze zwischen den Schichten der Magdeburger Gesellschaft und an der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem. Verschiedene konkurrierende Ansichten über das, was in die Öffentlichkeit, und das, was zur Privatsphäre seiner Mitbürger gehörte, traten in den Angaben über den »Beobachter an der Elbe« zutage. Redakteur, Leserschaft und Opfer teilten hierin nicht die gleichen Ansichten. 24 25
Ibid., Bl. 65 f., Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812. LEHMANN, Romantische Biographie, S. 167 f.
III. Bittschriften à la française
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In einem Verhör im Juni 1814 benannte er einige Personen, die ihm als Mitarbeiter Beiträge für sein Journal lieferten. Diese waren sein Bruder, der Sprachlehrer Schiffer, der Goldschmied Schlader und gelegentlich auch ein gewisser Schulze. »Von allen diesen Personen wußte keiner seinen eigentlichen Zweck, […] sie standen in dem Glauben, für mein Journal beyträge zu liefern«, wobei Lehmann letztendlich zugab, ihre Notizen auch für seine Rapporte als Polizeiagent verwendet zu haben26 . Ferner soll er auch direkt Polizeiagenten angeworben haben27 und war unter anderem für die Polizei als Zensor tätig28 . Seine janusköpfige Nachrichtenagentur wirkte nach außen wie ein Journal, war jedoch offensichtlich ein Agentennetzwerk, dem Lehmann vorstand29 . Im April 1813 warnte der Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei Moisez, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr von Magdeburg, sondern von Halberstadt aus tätig war, Bongars vor falschen Berichten Lehmanns »qui peuvent etre funestes a des bons sujets du Roy«. Lehmann handelte nicht nur mit vielen Meldungen und Nachrichten, diese waren teilweise auch noch erfunden. Unter anderem habe Lehmann den Unterpräfekten von Neuhaldensleben als Anhänger des Feindes denunziert sowie Mitglieder der Familien Schulenburg, Alvensleben und Schenck und einige Maires und Gutsherren, »comme étant de mauvais westphaliens et grands partisans de l’ennemi«30 . Neben seiner regen Tätigkeit als Redakteur und Polizeiagent war Lehmann schon vor dem Jahr 1804 Rektor einer Handelsschule, die bis 1811 bestand31 . Nach der erzwungenen Niederlegung seiner Aktivität als Redakteur des »Beobachters an der Elbe« und nach der Schließung seiner Handelsschule – beides geschah im für Lehmann nicht sehr erfolgreichen Jahr 1811 – musste er sich dringend umorientieren. Im Vorwort seiner »Magdeburger Chronik«, die er dem Andenken an J. von Müller widmete, schrieb er in 26 27 28 29
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GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 20–33, Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 24. 6. 1814. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 103. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 20–33, Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 24. 6. 1814. Die Aktivitäten einer ähnlich aufgebauten Agentenagentur mit einem Chef an der Spitze und einer Reihe von Spitzeln untersuchte für die Zeit der Französischen Revolution KOHSER-SPOHN, Das Private wird politisch. GStA PK, V. HA, Nr. 741, Briefcopiebücher des Generalkommissars der Hohen Polizei Moisez in Sachen der geheimen Polizei, 16. 9. 1812–27. 7. 1813: Schreiben Nr. 660 PS. von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, an J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 19. 4. 1813. Ibid., Bl. 5–5a, Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 27. 5. 1814. Vgl. LEHMANN (Hg.), Briefwechsel. Zu den Freunden – oder Bekanntschaften – Lehmanns zählte der Inspektor des Pädagogiums zu Barby, J. Nagel. Ihm ist eines der Werke Lehmanns gewidmet. Vgl. LEHMANN, Die Republik Graubünden.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
eben diesem Jahr 1811 – nicht ohne eine leicht erkennbare Verbitterung – zum Zweck seines Buches, es ginge ihm nicht zuletzt darum, »mich selbst aus Mangel an anderer Arbeit, nützlich zu beschäftigen«32 . In der Einleitung seiner »Magdeburger Chronik« äußert er außerdem eine verborgene Kritik an der Härte der Zeit für vaterländische Magdeburger33 . Im selben Jahr 1811 gründete er zudem ein Kommissionsbüro für die Vermittlung von Stellvertretern, Kapitalien und Hypotheken, das er bis ins Jahr 1813 unterhielt. In dieser Zeit wurde die Polizei gegen Lehmann wegen seiner Aktivität im Bereich der Konskription und der Vermittlung von Stellvertretern für zum Militär eingezogene junge Männer zum ersten Mal aktiv. Im Dezember 1811 wurde Lehmann inhaftiert; seine Papiere wurden beschlagnahmt 34 . Moisez, der die Untersuchung gegen ihn leitete, berichtete in der Folge an Bongars: Lehmann, [est] le confidant, le courtier et l’homme d’affaire de Mr. de Galle et consors […]. Nous l’avons déjà travaillé une fois pour lui faire dire quelque chose, mais il se déffend jusqu’à présent, c’est le seul individu plus interessant a ammener a des aveux, il connaît tout ce qui s’est fait en matiére d’abus et de concussion dans la conscription dans la 3e division et peut être dans le Royaume, il est rusé, fin et très adroit, Mais il est deja extrêmement compromis, pourtant je suis sûr d’en venir a bout. Dans ses papiers nous avons trouvé 28 lettres traitant de ce manège, il me paroit que plusieurs autorités locales ont participées a ces abus et escroqueries. Ce Sr. Lehmann […] doit être le correspondant et intermédiaire entre les Srs. de Gall, de Longe et la Haye, il a même fait des voyages à Cassel, il est chargé de la distribution et de la vente d’un traité du Sr. Lahaie sur la conscription, de même que du placement de Billets d’une lotterie du dit Delahaie. Il est encore parti d’ici le 25 nov. pour Cassel avec une Lettre pour le Sr. Delahaie venant de Mad de Longe [à] ce qu’il m’a dit et y a resté 5 a 6 jours35 .
Lehmann wurde offenbar verdächtigt, der Mittelsmann in einem Korruptionsfall der westphälischen administration zu sein. Nur über J. de la Haye, mit dem er in Kontakt stand und dem er verpflichtet zu sein schien, lassen sich Angaben machen: Er war Divisionschef im Bureau des Kriegsministeriums und mit den Konskriptionsangelegenheiten und auch mit der Militärpolizei beauftragt sowie zeitweilig Generalsekretär des Kriegsministers Graf Valentin von Höne36 . Die Abhandlung von de la Haye über die Konskription, die Lehmann in seinem Wirkungskreis verteilte, wird im Gesetz32 33 34
35 36
DERS., Magdeburgische Chronik, S. 2. Vgl. ibid., S. 4. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 740, Briefcopiebücher des Generalkommissars der Hohen Polizei Moisez in Sachen der geheimen Polizei, 1. 5. 1811–15. 9. 1812: Schreiben Nr. 159 von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Magdeburg, an J. F. M. de Bongars, 19. 12. 1811. Ibid. Vgl. Hof- und Staats-Handbuch, 1811, S. 108; GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 85–92: Promemoria betreffend des Herrn Direktor Lehmann zu Magdeburg, 9. 7. 1814; vgl. ferner GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 151.
III. Bittschriften à la française
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bulletin im Februar 1811 unter dem Titel »Gegenwärtiger Zustand der Gesetzgebung über die Militair-Conscription Westphalens« erwähnt. Ein königliches Dekret vom 18. Februar 1811 erteilte dem Herrn de la Haye das ausschließliche Privileg, sein Werk zehn Jahre lang drucken zu lassen und verkaufen zu können37 . Im September 1811 ging erneut die Abhandlung von de la Haye ins Gesetzbulletin ein, diesmal unter dem Titel »Anleitung für Conscribirte und ihre Eltern«, weil dem Buchdrucker Paul Collignon die Druck- und Vertriebsrechte auf zehn Jahre übertragen worden waren38 . Der »Westphälische Moniteur« steuerte sogar in seiner Ausgabe vom 1. Oktober 1811 eine eingehende Rezension des Werkes bei 39 . Ein Schreiben der Polizeipräfektur an de la Haye vom 4. Februar 1812 zeigt, dass er als Experte in Sachen Konskription und Stellvertretungen angesehen war40 . Im August 1814 erneut über sein Verhältnis zum Divisionschef des Kriegsministeriums de la Haye befragt, teilte Lehmann mit: Im Jahre 1811 […] sandte mir [De la Haye] mit Rücksicht auf mein CommissionsBureau, 100 Exemplare [seiner Anleitung für Konskribirte] zum Debit. Ich ergriff diese Gelegenheit, sie möglichst schnell zu debitiren, und mir dadurch einen Mann zum Freunde zu machen, der mir bey den Suppliken, die ich für einzelne Interessenten in Conscriptionssachen erstatte willfährig war; diese hat auch DelaHaye treulich gethan, hat mir zum öfteren nachrichten gegeben, dass es nunmehr Zeit sey dieses oder jenes Gesuch anzubringen, und ich habe auf diesem Wege, manches Douceur von den Leuten, deren hierdurch geholfen wurde, verdient 41 . 37
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Vgl. Bulletin des Lois et décrets, 1811, Bülletin Nr. 5, Dekret vom 18. Feb. 1811, S. 68: Décret qui accorde au Sieur Delahaye le droit exclusif de faire imprimer et vendre, pendant dix ans, un ouvrage intitulé : État actuel de la législation sur la conscription militaire de Westphalie; DELAHAYE, Gegenwärtiger Zustand. Ibid., Bülletin Nr. 25, Dekret vom 4. Sept. 1811, S. 500: Décret qui accorde au Sieur Collignon le droit exclusif d’imprimer et de vendre, pendant dix ans, un ouvrage intitulé Anleitung für Conscribirte und ihre Eltern; DELAHAYE, Anleitung für Conscribirte. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 234, Beilage, 1. Okt. 1811, Eintrag unter »Bekanntmachungen«. Dort: »mit gedrängter Kürze trägt der Verfasser alles dasjenige vor, was auf die Konskribirten selbst und auf ihre Eltern Bezug hat, und was in den vielen auf einander gefolgten Dekreten, Entscheidungen und Instruktionen theils nicht zusammenhängend, theils sehr weitläufig enthalten ist. Niemand konnte etwas besseres über diese Materie liefern als der Verfasser, welcher durch eine langjährige Bearbeitung derselben Gelegenheit hatte, viele Erfahrungen zu machen. […] In der Einleitung spricht er mit vieler Einsicht von den Kunstgriffen, welcher sich schlecht gesinnte Menschen bedienen, um die Konskribirte sowohl als auch ihre Eltern zu hintergehen. […] Er hat ferner mit besonderem Fleiße die Materien über Substitutionen und Stellvertretungen bearbeitet und alle mögliche Fälle vorausgesehen«. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 692, Akten der Polizeipräfektur in Kassel, Sept. 1811– Juni 1812: Schreiben Nr. 7215 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an J. de la Haye, Divisionschef in Konskriptionsangelegenheiten im Kriegsministerium; vgl. ferner ibid., Schreiben Nr. 7228 von P. Mercier an J. de la Haye, 8. 2. 1812. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 136–147: Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 4. 8. 1814.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
De la Haye war demnach Lehmann wegen des Verkaufs seines Hilfsbuches verpflichtet; zwischen ihnen entstand ein Tauschgeschäft, Lehmann zufolge eine Freundschaft, die allerdings Klientelismus nahe legt. Wie das Beispiel zeigt, war Lehmann in jedem Fall geschickt und zügig im Aufbauen eines klientelistisch-freundschaftlichen Netzwerks, das seinen Geschäften zugute kam. Zu seiner Reise nach Kassel im Dezember 1811 gab Lehmann im gleichen Verhör an: Der Maire Wiesand aus Barby reiste dahin, um seinen Schwager Namens Bunde in die Militair Spiele zu bringen, […] ich begleitete ihn, theils um zu dolmetschen, theils um DelaHaye persönlich einen compliement zu machen, und theils um einige Bekannte Magdeburger zu besuchen42 .
Diese Ausführungen verharmlosen wahrscheinlich die tatsächliche Rolle Lehmanns im Konskriptionsbetrug. Sie zeigen auch, dass Lehmann selten nur eine Sache gleichzeitig verfolgte: Er war stets in mehreren Anliegen unterwegs. Während der Untersuchung gegen ihn im Jahre 1811 brachte ihn Moisez dazu, ein 53 Seiten starkes Bekenntnisschreiben einzureichen, in dem er seine Schuld teilweise anerkannte und seine Mitstreiter beschuldigte: Le Sr. Lehmann m’a envoié ce matin, sa déclaration par écrit, contenant 53 pages en grand infolio, dans laquelle il avoue une partie des abus auxquels il a participé, il dénonce une quantité de personne, qui ont été escroquées et d’autres, qui ont commis de grandes prévarications, entre autres un sec. de la préfecture nommé Stephan, deux brigadiers de gendarmerie ne´ Cursins et Gräffer, il charge beaucoup made de Gall peu Mr. de Longe et point du tout Mr de la Haie43 .
Über de la Haye hinaus verzweigt sich mit diesen Angaben der Kreis der korrupten Staatsvertreter44 . In Madame de Gall kann man wahrscheinlich die Kasseler Polizeiagentin Gall-Bessalié erkennen, von der ein großer Fundus an Agentenberichten überliefert ist. Die Basis für ihre Aktivitäten als Polizeiagentin gründete, ähnlich wie bei Lehmann mit seinem Kommissionsbüro, auf einer Art Domestikenbüro und Vermittlungsagentur in Kassel. Sie wusste ihre Agentur sehr geschickt zu nutzen, um durch die vermittelten Dienstmädchen und Domestiken Informationen über die jeweiligen Herrschaften zu erlangen, die sie prompt an die Hohe Polizei weitergab45 . Als Entgelt für die Informationsweitergabe erhielt sie von der Hohen Polizei unter anderem Theaterkarten; diese wiederum vergab sie auch, um weitere Personen als Klienten an sich zu binden und um selbst im Theater ihre Bekanntschaf42 43 44 45
Ibid. GStA PK, V. HA, Nr. 740: Schreiben Nr. 171 von Moisez an J. F. M. de Bongars, 26. 12. 1811. Ein anderer Zeitgenosse beschudigte de la Haye, sich durch Bestechungen bereichert zu haben, vgl. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 18. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 14.
III. Bittschriften à la française
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ten zu pflegen, was ebenfalls eine wichtige Informationsquelle für sie bedeutete46 . Die Tatsache, dass Lehmann und Gall miteinander in Verbindung standen und ihre Agenturen gemeinsame Sache machten, lässt die Geschäfte Lehmanns umso zwielichtiger erscheinen. Aus der Untersuchungsakte aus den Jahren 1811–1812 geht hervor, dass Lehmann den Konskribierten auch mit der Verfertigung von falschen Zertifikaten zu helfen versuchte47 . Zwar wurde er, wie bereits erwähnt, im August 1812 freigesprochen, aber die Unterlagen sprechen dennoch für ein zweifelhaftes Handeln. Im Rahmen des von ihm im Jahre 1811 gegründeten Kommissionsbüros übernahm Lehmann sicherlich verschiedenste Aufgaben: Neben der Erstellung von falschen Zertifikaten und von Suppliken kümmerte er sich um den Einkauf von Büchern oder das Versenden von Briefen im Auftrag seiner Klienten48 . Unter der westphälischen Herrschaft plante er auch auf Anfrage des Magdeburger Maires Heinrich August Leopold Graf von Blumenthal die Gründung eines so genannten Domestikenbüros zur Vermittlung von Bediensteten für Magdeburger Bürgerhäuser, vergleichbar der Einrichtung der Polizeiagentin Gall-Bessalié in der Hauptstadt Kassel. Daraus wurde allerdings nichts49 . Außer Redakteur und Rektor war Lehmann aber auch ein reger Schriftsteller: Besonders aus seiner eidgenössischen Zeit sind vornehmlich Schriften zur Landeskunde, Kultur und Geschichte der Schweiz überliefert 50 . Aus 46
47
48 49 50
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9797–9817, hier Nr. 9805: Rapport von Gall-Bessalié, Polizeiagentin in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 16. 3. 1813; ibid., Nr. 9800: Rapport von G.[all-Bessalié] an J. F. M. de Bongars, 9. 4. 1813. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 740: Schreiben Nr. 185 von Moisez an J. F. M. de Bongars, Januar 1812. Mit solchen Falsifikationen in Konskriptionsangelegenheiten wäre er wohlgemerkt nicht der Einzige gewesen, vgl. die Affäre Trettstedt: GStA PK, V. HA, Nr. 741: Schreiben Nr. 485 PS. von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, an J. F. M. de Bongars, 4. 12. 1812; ibid., Schreiben Nr. 486 von Moisez an den königlichen Prokurator in Halle, 5. 12. 1812; ibid., Schreiben Nr. 496 von Moisez an J. F. M. de Bongars, 15. 12. 1812; ibid., Schreiben Nr. 512 PS. von Moisez an den königlichen Prokurator in Halle, 1. 1. 1813; vgl. ferner ibid., Schreiben Nr. 513 und Nr. 514; GStA PK, V. HA, Nr. 700: Akten der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 21. 11. 1812–22. 2. 1813: Schreiben Nr. 3187. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 16, 19; ibid., Bl. 65 f.: Schreiben von Friese an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812. Vgl. ibid., Bl. 20–33, Verhörprotokoll des H. L. Lehmanns vom 24. 6. 1814. LEHMANN, Historie der Unruhen; SPRECHER VON BERNEGG, Fortsetzung der Bündnergeschichte; LEHMANN, JUVALTE, Beschreibung; LEHMANN, Geschichte des Hauses von Jäcklin von Hohen-Realta; LEHMANN, Freundschaftliche und vertrauliche Briefe; DERS., Stammregister; DERS. (Hg.), Ursprung; DERS., Der leidende Christus; DERS., Von dem Zustande der Protestanten; DERS., Etwas über das Veltlin; DERS., Patriotisches Magazin; DERS., Briefe alter Berner Helden; DERS.,
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
seiner Zeit in Magdeburg und unter der westphälischen Herrschaft sind ebenfalls einige Titel bekannt, allerdings eines ganz anderen Schlages51 . Nach einer Phase, in der er sich betont als ernsthafter Schriftsteller und Historiker der Schweiz ausgab, kam offenbar eine Lebensphase, in der er diesen ›edleren‹ Anspruch aufgab52 . Er spezialisierte sich ab 1800 auf »romantische Romane« beziehungsweise »Räuber-Romane«, die im Kern authentische – wenn auch anonymisierte – Liebesgeschichten und -abenteuer lieferten und insbesondere für das weibliche Publikum gedacht waren53 . Er verbarg in dem Vorwort zu einem dieser Liebesromane nicht, es sei, neben der Absicht ein moralisches Sittengemälde seiner Zeit zu geben, sein erstes Ziel, in breitem Umfang gelesen und, versteht sich, gekauft zu werden54 . Lehmann zeigte sich insgesamt als ein umtriebiger und erfinderischer Zeitgenosse, wobei meist schwierig zu beurteilen ist, ob er dabei für seine Mitbürger eine Last oder eine Hilfe war. Schenkt man den Polizeibeamten Glauben, die über ihn Bericht erstatteten, war Lehmann eher eine skrupellose und geschäftstüchtige Person, die, unter dem Vorwand der Hilfe für seine Zeitgenossen, eigentlich nur darauf bedacht war, Profit zu machen55 . Solche Urteile abzuwägen, ist hier weder möglich noch nützlich, es bleibt jedoch nach dieser summarischen Präsentation Lehmanns der Eindruck, dass man es mit einer schillernden und vielseitigen Persönlichkeit zu tun hat, deren Erwerbstätigkeit als Bittschriftenschreiber nur eine Facette seines Berufslebens darstellte. Der vielseitige Lehmann, obwohl nicht sehr geschätzt, hielt seine Geschäfte über zwei Jahrzehnte in Magdeburg am Laufen. Er wurde wohl mehr gefürchtet als anerkannt – sein breites Berufsspektrum ging vom Bildungswesen über das Schriftstellertum bis hin zu einer Art Nachrichtenbörse.
51 52
53
54 55
Anmerkungen zu Coxi’s Reisen; DERS., Die Landschaft Veltlin; DERS., Das Bisthum Basel; DERS., Die Grafschaften Chiavenna und Bormio; DERS., Die Republik Graubünden; DERS., Die sich freywähnenden Schweizer; DERS., Rodolpho von Sancta Croce; DERS., Der Tochterraub. DERS., Romantische Biographie; DERS., Magdeburgische Chronik; DERS., Liebe und religiöse Vorurtheile im Kampfe. Dieser Wandel im schriftstellerischen Schaffen Lehmanns könnte in dem zunehmenden Zwang seiner Zeit begründet sein, Lesestoffe für jedermann zu liefern, um sein Auskommen zu sichern. Vgl. WITTMANN, Geschichte des Buchhandels, S. 174. Die Haupthandlung seiner Liebesromane verrät er im »Rodolpho von Sancta Croce«: »Die Dame Liebe spielt in [diesem Büchlein], wie in allen Schauspielen des Lebens eine Hauptrolle, kämpft wie gewöhnlich mit tausend Schwierigkeiten und führt am Ende die Helden ins Ehebette«. LEHMANN, Rodolpho von Sancta Croce, Vorwort. Vgl. LEHMANN, Romantische Biographie, S. 11. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C., Nr. 1280, Bl. 63, Schreiben von Henndorf an J. C. A. Legras de Bercagny, 1. 8. 1812.
III. Bittschriften à la française
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Lehmann machte als Redakteur des »Beobachters an der Elbe« und Chef einer Spitzelagentur das Wissen über seine Zeitgenossen zu seiner Geschäftsware: Mit dieser Vorgeschichte liegt es nahe, dass er gern auch als Bittschriftenschreiber die Informationen, die ihm aus den Bittschriften bekannt wurden, zentralisierte und für spätere Zeiten memorisierte. Aus jeder Information in seinem persönlichen Ordnungssystem erwuchs ihm so mehr Macht und wirtschaftliches Potential. Durch die Drohung mit der Bekanntmachung vertraulicher und peinlicher Privatissima hielt er seine vielen Feinde in Schach. Es ist nicht auszuschließen, dass er sich über diesen Weg auch Vergünstigungen erschlich, die er dann wiederum den Auftraggebern von Bittschriften zuteil werden ließ. Sein Wissen über die Menschen bildete für Lehmann die Existenzgrundlage – in Anbetracht seiner vielfältigen Verwertung von Informationen und seiner klientelistischen Abhängigkeitsverhältnisse scheint es nicht unmittelbar plausibel, dass er am Existenzminimum gelebt habe, wie er es 1811 als Alibi darstellte. Es ist nicht verwunderlich, dass die westphälische Obrigkeit mehrfach versuchte, gegen Lehmanns vielfältige dubiose Tätigkeiten vorzugehen. In diesem Stadium der Untersuchung ist nicht klar, wie repräsentativ Lehmann für die Gruppe der Bittschriftenschreiber ist. Ähnlich wie bei Cerfberr56 ist die schillernde Persönlichkeit Lehmanns möglicherweise nicht repräsentativ für andere Akteure im Bereich des westphälischen Bittschriftenwesens – er stellt vermutlich eher einen extremen Fall dar, gibt aber als solcher auch eine Vorstellung von der Bandbreite der Profile einzelner Bittschriftenschreiber. Der Blick soll deshalb nun zunächst auf weitere Bittschriftenschreiber gerichtet werden, um das Bild zu ergänzen. 1.2.
Weitere Bittschriftenschreiber
Zu den Bittschriftenschreibern lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die heterogene Gruppe der französischen Sprachlehrer rechnen. Im Rahmen seines Verhörs bestätigte zumindest Göhns, der bereits zitierte Unterhändler von Lehmann in Kassel, dass er »bei dem hiesigen französischen Sprachmeister Herrn Landgreben eine Petition von einem Bogen stark machen lassen, und solche durch den Portier am Kriegsminister überreicht [habe]«57 . Es ist anzunehmen, dass die Staatsbürger, die sich mit dem Gedanken an eine Bittschrift in französischer Sprache trugen, in ihrer Suche nach geeigneten Verfassern sich zuerst an die aus ihrem städtischen Umfeld bekannten französischen Sprachlehrer wandten und zunächst diese Personen um Unterstützung ersuchten. 56 57
Siehe Kapitel B I.1.1.1. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 041–13 052, hier Nr. 13 049: Verhörprotokoll von G. Göhns, 17. 4. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Die Angaben aus dem Leben von Lehmann haben außerdem bereits die Vermutung nahegelegt, dass die Tätigkeit als Bittschriftenschreiber dem Bereich der Gelegenheitsarbeit zuzuordnen ist. Auch die Lebensumstände, in denen Johannes Christian Stückrath anfing, sich durch Bittschriften ein Zubrot zu verdienen, bestätigen diese Annahme. Der vormals hessische Quartiermeister und Auditor, der sich nach der Begründung der westphälischen Herrschaft als 73-Jähriger nach Melsungen zurückgezogen hatte, musste ohne Pension leben. Im Februar 1813 musste er wegen angeblicher verdächtiger Reden aussagen und gab an: bisher habe ich mich größtentheils von meinem eigenen Vermögen ernährt, da dieses aber beinahe zu Ende ist, so suche ich mich theils durch Advokatur, theils durch Suppliken nützlich zu machen, meinen Unterhalt zu verschaffen, auch werde ich von meinen Geschwistern hierbei unterstützt58 .
Wer selbst als Verlierer aus den veränderten Herrschaftsverhältnissen hervorging – ohne Pension, wie im Fall von Stückrath – und sich zudem mit den Nöten anderer unzufriedener Staatsbürger in ihren Bittgesuchen konfrontiert sah, hatte wahrscheinlich eher als andere Anlass, zu einem renitenten Bürger zu werden. Tatsächlich scheinen sich neben den französischen Sprachlehrern viele juristisch vorgebildete Personen als Bittschriftenschreiber betätigt zu haben. Dies stimmt mit der Feststellung überein, dass der westphälische Staat zwar sehr viele Juristen für die Umsetzung seiner Gesellschafts- und Rechtsordnungsreformen benötigte, diese jedoch bevorzugt unter den jüngeren Universitätsabgängern rekrutierte, so dass viele erfahrene Juristen brotlos zurückblieben59 . Diesen blieb offensichtlich nichts anderes übrig, als die Obrigkeit mit Bittschriften zu überfluten. Einer aus dieser Gruppe, der Advokat Strutz aus Treysa, listete in einem Beschwerdeschreiben an den Präfekten des Werradepartements Trott aus dem Jahre 1810, das de facto einer Denunziation gleichkam, einige seiner Mitstreiter auf, die wie er »suppliquen« schreiben würden60 . Seiner Meinung nach seien der Kreiseinnehmeradjunkt Mertz, sein Bruder, der Mairiesekretär Mertz, ein gewisser Kistner, ehemals Feldwebel im Landregiment, sowie ein Mann namens Schmidt allesamt »schädliche Juristische Pfuscher und Familien-Aufwieglern«61 . Schlimmer noch: »Selbst Mairen welche hier in öffentlichen Ehren Aemtern stehen, eine gute Besoldung gewiesen, und anständig davon leben können, sind die ersten welche täglich suppliquen 58 59 60 61
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 053–13 056, hier Nr. 13 056: Verhörprotokoll von J. C. Stuckrath, 27. 2. 1813. Vgl. u.a. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 7 f., 11–13. StA MR, Best. 77a Nr. 623: Schreiben des Advokaten Strutz an Freiherr von Trott zu Solz, 1810. Ibid.
III. Bittschriften à la française
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von jeder Art verfertigen, und mir hierdurch meine so gerechten Verdienst rauben«62 . Außerdem habe »das Heer der Pfuscher, seit einigen Jahren so entsetzlich hier selbst zu genommen«63 . Strutz bat um nicht weniger als um das Bittschriftenmonopol für den Kanton Treysa, »mich als einen Litteratum und per Rescriptum Serenissimi angestellten Advocaten gegen diese oft besagten Pfüschern in Gnädige Protection zu nehmen, und keine supplicate ohne meines Nahmens Unterschrift aus dem Canton Treysa bey K. W. Praefectur gnädig anzunehmen«64 . Die Aussagen von Strutz zeugen von einem stark umkämpften Markt: Es herrschte offenbar ein recht emsiger Wettbewerb unter den Bittschriftenschreibern. Die Nachfrage war offensichtlich groß, das Angebot jedoch auch. Strutz wusste sicherlich, dass er mit seinen Offenbarungen die westphälische Obrigkeit besonders gegen diejenigen Amtsträger aufbringen würde, die das Schreiben von Suppliken neben ihrem Amt übernahmen, weil die Aufdeckung ihrer Parallelaktivitäten sie dem Verdacht der Bestechlichkeit aussetzte65 . Ihre Hilfestellung beim Verfassen von Bittgesuchen hätten sie eigentlich unentgeltlich in ihren Amtsgeschäften als Dolmetscher des Volkes leisten sollen. Lehmann trieb allem Anschein nach die Skrupellosigkeit auf die Spitze, wobei die anderen Bittschriftenschreiber jedoch auch an der Grenze zur Illegalität handelten. Da es nicht in ihrem Interesse lag, namentlich aufzufallen, stößt auch hier die Suche nach den Bittschriftenschreibern an ihre Grenzen, wie bereits im Fall der Übersetzer und Dolmetscher. Die Antwort des Präfekten Trott auf das Schreiben von Strutz ist nicht überliefert, ein Exkurs in die Regelungen zum Bittschriftenwesen unter der westphälischen Herrschaft erlaubt die Vermutung, dass eine solche Antwort wahrscheinlich ausblieb.
2. Staatliche Perspektive und Regulierungsversuche des Bittschriftenwesens Lehmanns Wirken war dem Polizeichef lästig, er erkannte ihn sogar an seiner Schrift und war grundsätzlich negativ gegenüber Schreiben und Gesuche eingestellt, die aus der Feder Lehmanns stammten. Problematisch an Lehmanns Tätigkeit und der seiner Mitstreiter war sicherlich, dass die westphälische Verwaltung sich zunächst gegen die Gründung von Bittschrif62 63 64 65
Ibid. Ibid. Ibid. Hier sei an den getadelten Präfekten des Fuldadepartements im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher) erinnert, der für den Bürger Espé eine Beschwerde schrieb.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
tenbüros entschieden hatte und sich gegen jegliche Erwerbstätigkeit in dieser Branche stellte. Möglicherweise war die Verwaltung gegenüber Bittschriftenbüros skeptisch, weil sie selbst eine Flut an Arbeit befürchtete, die durch Bittschriften verursacht würde. Auch könnten Bedenken dahingehend existiert haben, dass ein Heer von Bittschriftenschreibern sich auf Kosten der Administrierten bereichern würde. Das Bittschriftenwesen erfuhr in den wenigen Jahren der westphälischen Herrschaft allerdings einige Wandlungen. Die Flut von Bittschriften, die sich mit der Machtübernahme einstellte und die beweist, dass die westphälischen Staatsbürger sehr genau die Veränderungen ihrer Herrschaftsverhältnisse verfolgten und sich dem deutschfranzösischen Verwaltungsapparat anpassten, prägt von Anfang an die offiziellen Bekanntmachungen zum Bittschriftenwesen66 . Im »Westphälischen Moniteur« wurde bereits Anfang Februar 1808 ein erster offizieller Versuch gestartet, die große Menge an Bittschriften zu lenken: Eine große Anzahl von Bittschriften sind bisher an den König geschickt worden. Se. Majestät werden alle Zeit mit Interesse die Gesuche ihrer Unterthanen aufnehmen, aber ihres eigenen Vortheils wegen ist es gut sie davon zu benachrichtigen, daß, ausgenommen in sehr seltenen Fällen, welche sie schleunige Dazwischenkunst der Königlichen Autorität erheischen, die Ordnung in der Verwaltung es nothwendig macht, daß der König seine Minister anhöre, daß diese von den Präfekten, und dieses wieder von den Unterpräfekten vorher Bericht verlangen. Auf diese Art wird eine Bittschrift, die zuerst dem Unterpräfekten überreicht und so bis zum König heraufgebracht wird, eher beantwortet werden, als wenn sie gleich Anfangs Sr. Majestät übereicht worden wäre, von derselben zu den Ministern, Präfekten und Unterpräfekten, herabkäme und dann doch endlich wieder auf die nämliche Art von neuem hinaufsteigen müßte. […] Wenn man aber […] Gesuche unmittelbar bey den Ministern anbringt, so hält man den Gang der Geschäfte auf, weil die Minister alsdann gezwungen sind selbige an die Präfekten, und diese wieder an die Unterpräfekten zurückzuschicken. Es wird hier überhaupt bemerklich gemacht, daß für alle Gesuche, welche vor die Lokal-Behörden gehören, in dieser Rücksicht die nämlichen Inconvenienzen statt finden. Folglich sind sie nicht den Ministern, sondern unmittelbar, nach Bewendniß der Umstände, den Präfekten oder Unterpräfekten zuzustellen67 .
Es ging zunächst darum, die Bittschriften, die direkt an den König oder seine Minister adressiert waren, zu unterbinden und die Bittsteller zu ermutigen, den regulären Weg einer Bittschrift von den untergeordneten zu den übergeordneten Instanzen zu beachten. Man argumentierte, die Bearbeitung der vielen Bittschriften könne zügiger vonstatten gehen, wenn alle Bittsteller sich an diese Regel hielten. Allerdings betonte die Bekanntmachung auch 66
67
Wie bereits zu sehen war, gab es im Bereich des französischen Spracherwerbs viel Privatinitiative. Die Bemühung der Westphalen, die Obrigkeit mit französischsprachigen Bittschriften zu bedienen, ist eigentlich ein sehr interessantes Phänomen in Bezug auf die Sprachenpolitik ›von unten‹ der Westphalen und ein herausforderndes Pendant zur offiziellen Sprachpolitik. Le Moniteur westphalien, Nr. 17, 4. Februar 1808, S. 69 f.
III. Bittschriften à la française
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noch, dass »Se. Majestät […] alle Zeit mit Interesse die Gesuche ihrer Unterthanen aufnehmen« werde68 . Dieser Nachsatz war der westphälischen Obrigkeit wichtig: Sie wollte nicht, dass der Eindruck entstehe, der König baue Schranken zwischen sich und seinen Untertanen auf. Bemerkenswert ist auch an dieser ersten offiziellen Stellungnahme zum Thema, dass das Lokalwissen über die Bittsteller für die Obrigkeit eine zentrale Rolle spielte: In einem Staat, in dem als Neuerung die politische Überwachung vornehmlich nach innen gerichtet war69 und ein beinahe ›enzyklopädisches‹ Wissen über die Staatsbürger angestrebt wurde, war man sehr darauf bedacht, alle wesentlichen Vor-Ort-Informationen der lokalen Autoritäten bei der Beantwortung eines Bittgesuches in der Hauptstadt zu berücksichtigen. Wenige Tage nach dieser Stellungnahme vom Februar 1808 erfolgte ein knapper Vermerk im »Westphälischen Moniteur«, der die Stempelpflicht von 15 Centimes für die Bittschriften erklärte, so dass die Antworten auf die Bittschriften de facto auf Kosten der Absender zurückgeschickt werden konnten70 . Es wurde also versucht, die Bittschriftenflut auch über dieses hemmende finanzielle Mittel einzudämmen, um zu erreichen, dass möglichst nur motivierte und berechtigte Bittgesuche eingereicht wurden. Bis November 1808 scheint sich allerdings die Flut an Bittschriften nicht gelegt zu haben, vielmehr organisierte sich unterdessen der Markt um die Bittschriften, was seitens der Verwaltung auf Widerwillen stieß. Bercagny, damals Generaldirektor der Hohen Polizei, wandte sich am 5. November 1808 an den Präfekten des Elbdepartements, den Grafen Philipp Ernst Alexander von der Schulenburg-Emden: Plusieurs Personnes m’ont demandé l’autorisation de faire annoncer dans les Journaux des Etablissemens de Bureaux d’agences publiques pour la rédaction des pétitions et la suite de leur succès près de MM. les Préfets des chefs lieux des départements. Ces Etablissemens sont absolument contraires à l’Esprit de la Constitution qui veut, que MM. les Préfets ou Sous préfets, ayent des rapports directs avec les administrés, sans le concours d’intermédiaires, à l’absence de ces derniers souvent infidèles. J’ai, par ces motifs, refusé mon approbation aux demandes qui m’ont été adressées, et je vous prie, Monsieur le Prefet, de vouloir bien ne jamais autoriser, ni tolérer 68 69
70
Ibid. Vgl. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 55; BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 25; SIEMANN, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«, S. 49 f., 59; SPEITKAMP, Sozialer und politischer Protest, S. 725. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 20, 11. Februar 1808. Ein königliches Dekret, datiert vom 7. Juni 1810, legte fest, dass die Stempelpflicht für Bittschriften auf 25 Centimes pro Seite erhöht wurde; ibid., Nr. 302, 19. Dezember 1811. Später zu einem nicht mehr zu bestimmenden Zeitpunkt wurde die Stempelpflicht sogar auf 30 Centimes erhöht.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
de semblables institutions et s’il en existait déja dans le Chef lieu de votre département, d’en ordonner la suppression71 .
Lehmann war offensichtlich nicht allein mit seinem vielseitigen Kommissionsbüro. Die Einrichtung von Bittschriftenbüros, die sich auf die Redaktion von Bittschriften und den Verlauf des Antrages bei der Verwaltung spezialisierten, war staatlicherseits nicht erwünscht, weil dies dem ›Geist‹ der Verfassung nicht entsprach, der eine direkte Kommunikation zwischen den Administrierten und den administrateurs vorsah. Es ist bemerkenswert, wie die Verwaltung hier argumentierte, während sie ja selbst mehrere Kommunikationsstufen zwischen König und Staatsbürgern einbaute und eine direkte Kommunikation unterband, jedoch eine weitere Zwischeninstanz nicht zu dulden bereit war. Mit diesem offensichtlichen Widerspruch der Obrigkeit war eigentlich vorauszusehen, dass sie unter Zugzwang geraten konnte. Der Präfekt meldete am 11. 11. 1808 jedenfalls zurück, dass ihm in seinem Departement lediglich der Plan zu einem solchen Bittschriftenbüro seitens von Wolff, der von Bercagny gerade selbst seit Anfang des Monats in die Geschäfte der Hohen Polizei eingebunden worden war – offiziell seit dem 18. 10. 1808 –, bekannt geworden wäre, dass sich aber ansonsten keine »bureaux d’agences publiques pour la rédaction des petitions« etabliert hätten72 . In der Person Wolffs war es ausgerechnet ein Staatsvertreter, der sich mit dem Gedanken trug, sich selbst als Chef eines Bittschriftenbüros zu betätigen und selbstständig zu machen. Seine Vorgesetzten irritierte es sicherlich sehr, dass er diese Tätigkeit mit seiner Amtswürde zu kombinieren gedachte73 . 71
72
73
Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 319, Organisation einer Ober-Polizey im Königreiche, 1808: Schreiben Nr. 220 von J. C. A. Legras de Bercagny, Generaldirektor der Hohen Polizei, an P. E. A. von der Schulenburg-Emden, Präfekt in Magdeburg, Elbdepartement, 5. 11. 1808. Ibid., Schreiben von P. E. A. von der Schulenburg-Emden an J. C. A. Legras de Bercagny, 11. 11. 1808. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 127, 18. Oktober 1808, S. 514. Dies erklärt vielleicht auch, warum Wolff, wenn auch ehrfürchtig, so doch ein sehr gespanntes Verhältnis zu seinem späteren Vorgesetzten Bongars in Kassel hatte. Wolffs Eifer wurde häufig mit Argwohn begegnet: Bongars sandte ihm sogar Martel, um ihn in die Geschäftsführung seines Generalpolizeikommissariats einzuweisen. Vgl. u.a. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850, Registre Nr. 1 de correspondance du Bureau de la police secrète, 2. 1.–18. 4. 1813: Schreiben Nr. 129 von J. F. M. de Bongars an F. J. H. von Wolff, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Marburg, 21. 1. 1813; ibid., Schreiben Nr. 175 von J. F. M. de Bongars an F. J. H. von Wolff, 27. 1. 1813; ibid., Schreiben Nr. 212 von J. F. M. de Bongars an A. de Martel, Divisionschef bei der Hohen Polizei in Kassel, in Mission in Marburg, 31. 1. 1813; ibid., Schreiben Nr. 179 von J. F. M. de Bongars an A. de Martel, 28. 1. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 851,1], Registre de Correspondance du Sécrétariat général, 1. 7.–24. 9.
III. Bittschriften à la française
247
Sicherheitshalber erließ der Präfekt jedoch in seinem Departement das Verbot zur Einrichtung von Bittschriftenbüros, das sicherlich von Bercagny über ein Zirkularschreiben auch an alle anderen Präfekten gerichtet worden war. Sein Ziel war es auch, dass bereits existierende Einrichtungen, die ihm noch nicht bekannt waren, aufgelöst wurden. Seine Verfügung dazu ließ der Präfekt ins »Marburger Wochenblatt« aufnehmen: Dem Vernehmen nach haben sich, seit einiger Zeit, an mehreren Orten, Agentschaften gebildet, welche die Verfertigung von Gesuchen und Bittschriften übernehmen. Solche Anstalten sind dem Geiste der Constitution, der directe Verhältnisse zwischen den Präfecten oder Unterpräfecten und den Unterthanen erfordert, gänzlich zuwider. Auch können, besonders bei den Supplicanten, ihre Intentionen missverstanden werden, und daher Gesuche an eine oder die andere Behörde gelangen, welche dem Willen der Bittenden widersprechen. Ja es laeßt sich die Möglichkeit nicht leugnen, dass Gesuche erscheinen möchten, wozu sich in der Folge keiner bekennet. Es könne daher diejenige Agentschaften, deren ich eben gedacht habe meine Approbation nie erhalten. Sie müssen von dem Tage der Bekanntmachung dieses Beschlusses an gerechnet, gänzlich cessiren, weil sie zum Nachtheile der Unterthanen gereuhen. Die Herren Mairen werden daher hierdurch auf solche Institute aufmerksam gemacht, und bei eigener Verantwortlichkeit angewiesen, darauf zu sehen, dass für die Zukunft keine dergleichen, in dem Bezirk ihrer Mairie mehr existiren74 .
Eine ganze Reihe an Problemen mit dem Bittschriftenmarkt wird hier angesprochen: so beispielsweise die fehlgeleiteten Bittschriften und die falsch dargestellten Sachverhalte. Der Präfekt führte zwar nicht aus, ob die falschen Darstellungen seines Erachtens nach auf Übersetzungsprobleme zurückgingen, dies dürfte jedoch mitunter auch gemeint gewesen sein. Interessant ist hier auch, dass eher von »Agentschaften« die Rede ist als von einzelnen Bittschriftenschreibern. Es ist nicht klar, ob dies als Indiz für die zunehmende Professionalisierung der Bittschriftenschreiber angesehen werden muss oder als Indiz für eine besondere Perspektive der Obrigkeit, die organisierte Machenschaften vermutete. Die sich abzeichnende weit verzweigte Verbreitung des Bittschriftenmarktes störte die westphälische Herrschaft. Als möglicher unausgesprochener Grund, neben dem Beharren auf indirekter Kommunikation, könnte die Angst der Obrigkeit vor der Entstehung eines parallelen Verwaltungsnetzes vermutet werden. Der Verdacht, Staatsvertreter könnten in den Bittschriftenmarkt involviert sein und sich für etwas bezahlen lassen, was sie eigentlich unentgeltlich zu verrichten hatten, kommt dem Vorwurf der Korruption nahe. Das Verbot der Bittschriftenbüros oder ähnlicher »Agentschaften« war ein Versuch, dieser Tendenz entgegenzusteuern. Dass
74
1813: Schreiben Nr. 2120 von J. F. M. de Bongars an F. J. H. von Wolff, 30. 8. 1813; WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 36 f. StA MR, Best. 77a Nr. 623: Verfügung vom 9. 11. 1808.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
dies nur beschränkt Erfolg hatte, zeigen allerdings nachkommende Regulierungsversuche der westphälischen Verwaltung. Zu Beginn des Jahres 1809 wurde nochmals daran erinnert, welchen administrativen Weg eine Bittschrift zurückzulegen habe, bevor sie an oberster Stelle anlangen könne. Diesmal wurde die Warnung ausgegeben, dass »auf alle vor jene Behörden gehörigen Briefe oder Gesuche, welche man an das Ministerium einschickt, […] daher keine Antwort erfolgen« werde.75 Bei Nicht-Beachtung des regulären Amtswegs einer Bittschrift sollte künftig keine Antwort mehr erteilt werden. Während Anfang 1808 noch gebeten wurde, die Bittschriften ausschließlich an die Unterbehörden zu richten, da die Bearbeitung der Anliegen andernfalls verlangsamt würde, sah man Anfang 1809 von solchen rücksichtsvollen Maßnahmen ab. Wer seine Bittschrift nicht an die richtige Stelle adressierte, konnte keine Antwort mehr erwarten. Die Regelung von 1809 spricht dafür, dass die Bekanntmachung von 1808 wenig Veränderungen in den Praktiken der Bittsteller nach sich gezogen hatte. Die Maßnahme von 1809 bedeutete eine Verschärfung der Regelungen bezüglich der Bittschriften. Allerdings sollte die westphälische Verwaltung noch im nächsten Jahre in gewisser Hinsicht vor der Flut der Bittschriften nachgeben. Zu dieser einmaligen Wende kann ein Auszug aus den Protokollen des Staatssekretariats zitiert werden, der im »Westphälischen Moniteur« vom 23. Januar 1810 veröffentlicht wurde und Grundlage eines neuen Gesetzes war: Obgleich die Organisation aller öffentlichen Gewalten allen Unsern Unterthanen die Mittel sichert, ihre Gesuche anzubringen und Recht zu erlangen, demohngeachtet aber viele von ihnen sich unmittelbar an Uns wenden, so wollen Wir, daß Uns von ihren Bittschriften ein besonderer Bericht erstattet werde, damit, im Fall sie es verdienen, man darüber verfügen oder dieselben an die kompetenten Behörden verweisen könne76 .
Aus dieser Bekanntmachung wird deutlich, dass 1810 weiterhin viele Administrierte die Vorschriften bezüglich der Zuständigkeitsbereiche für die Bittschriften übergingen und recht eigensinnig ihre Gesuche direkt an die Person des Königs richteten. Die Obrigkeit, die mehrfach über Bekanntmachungen und Drohungen versucht hatte, den Staatsbürgern zu vermitteln, wie und wem sie ihre Bittschriften anzuvertrauen hatten, gab die Hoffnung auf, damit Erfolg zu haben. Die Reaktion von König Jérôme auf diesen nicht einzudämmenden Drang der Westphalen, direkt an ihn heranzutreten, war, dass er einlenkte, den Tatbestand in gewisser Weise akzeptierte und damit eine Wende in der Geschichte des Bittschriftenwesens im Königreich Westphalen einleitete. Er schuf ein eigenständiges Organ, das sich mit den Bittschriften befassen sollte, die an ihn gerichtet wurden: 75 76
Le Moniteur westphalien, Nr. 7, 17. Januar 1809, S. 30. Ibid., Nr. 10, 23. Januar 1810, S. 35.
III. Bittschriften à la française
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Art. 1. Es soll eine Kommission für die Bittschriften niedergesetzt sein, welche aus einem Staatsrath, der den Titel eines General-Requetenmeisters führen wird, und zweien Auditeures bestehen soll. Sie soll jedes Jahr den 1sten Januar erneuert werden. Art. 2. Die Bittschriften, welche Uns übergeben, oder bei Unserm Kabinet eingereicht werden, sollen an besagte Kommission verweisen werden. Die Supplikanten können sich an den General-Requetenmeister wenden, um ihm diejenigen Nachweisungen zu geben, welche sie nützlich erachten werden. Art. 3. Die Auditeurs sollen die Bittschriften ordnen, und Unsern GeneralRequetenmeister Bericht darüber erstatten, welcher sie selbst Uns wöchentlich einmal vorlegen, und Unsre Befehle einholen soll. Art. 4. Der Staatsrath und General-Requetenmeister soll den Gehalt der Präsidenten der Sektionen des Staatsraths, so wie auch die Vorrechte derselben genießen. […] Art. 6. Einer [der Auditeurs] soll ein Register führen, worin die verwiesenen Bittschriften, das Datum ihrer Zurückweisung, so wie die erfolgten Entscheidungen, notirt werden sollen77 .
Das hier auf Deutsch wiedergegebene Quellenzitat wurde selbstverständlich in beiden Sprachen veröffentlicht. Diese Entscheidung Jérômes bedeutet eigentlich eine Einbuße für die Modernität seines Verwaltungsapparats: Er räumte seinen Untertanen die Möglichkeit zum direkten schriftlichen Kontakt mit ihm ein, obgleich das durchorganisierte Verwaltungssystem eine strenge Beachtung der Verwaltungshierarchie implizierte. Stilistisch interessant ist auch, dass er sich des gebieterischen »Wir« bediente, um die Berufung eines Generalrequetenmeisters zu verkünden – ganz im herrschaftlichen Sinne, in dem ihre königliche Hoheit die Bittschriften seiner Untertanen entgegennahm. Ihnen eine solche Möglichkeit zu gewähren, kam ihrem Wunsch nach »Fußfälligkeit« und Untertanentum mehr nach, als es sie zu mündigen Staatsbürgern erhöhte78 . In dieser Entwicklung folgte der westphälische Staat nicht linear dem Weg zu modernen Reformen, sondern zeigte eine Art Rückfall auf einen vormodernen, lang tradierten Habitus im Verhältnis von Herrscher und Beherrschten. Nachdem sich der Bittschriftenfluss nicht hatte bändigen lassen und auch die professionellen Bittschriftenschreiber sich nicht hatten beirren lassen, ging man dazu über, diese unerwünschten Tendenzen weitgehend zu akzeptieren und zu regulieren. So erhielten die Herren Kantonsmaires des Werradepartements am 3. Mai 1810 ein erläuterndes Zirkularschreiben vom Präfekten ihres Departements, das festhielt: Die große Anzahl der bey allen Verwaltungsbehörden eingesendenen, durchaus unbegründeten […] Gesuche, lässt mit Recht vermuthen, dass die Leichtgläubigkeit vie77
78
Ibid. Vgl. Bulletin des Lois et décrets, Erster Theil, 1810, Bülletin Nr. 2, Dekret vom 21. Januar 1810, S. 30 f.: Décret qui crée une commission des pétitions présentées au Roi, composée d’un Conseiller d’État, Maître-général des requêtes, et de deux auditeurs. Weiterführend vgl. ETCHECHOURY, Les maîtres de requêtes; NICOLAS, Les derniers maîtres des requêtes.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
ler Bewohner des Departements, welchen die Verfassung weniger genau bekannt und jedes Mittel verwünscht ist, mittelst dessen sie ihre Absicht zu erreichen fassen, durch den Eigenmut schlechterer […] Menschen missbraucht wird, die sich ein Geschäft daraus machen, die selben zu unnützen Gesuche zu verleiten, welche denjenigen die sie anbringen, ganz nutzlos aufgewendete Kosten verursachen, die Administrationsbehörde aber von nützlichen und dringenden Geschäften abhalten und einzig den eigennützigen Verfassern derselben einen Vortheil bringen. Indem ich meine Administrirten im Allgemeinen vor dieser Classe von Menschen warne, finde ich es für nötig, und dieselbe näher kennen zu lernen, um ihr verderbliches Gewerbe beschränken zu können, folgende Bestimmungen zu treffen: Vom 1sten Juny d. J. an, soll jede Vorstellung, welche bey irgend einer Verwaltungsbehörde des Departements eingegeben wird, mit der Unterschrift des Verfassers versehen seyn. Hat denjenigen, welcher dieselbe übergiebt, sie selbst verfasst, so muß dies besonders bemerkt, in entgegengesetzten Falle aber, da er einen anderen den Auftrag dazu ertheilte, dieser sich unterschrieben, und bemerken, dass er in Auftrag gehandelt habe, 2) muß jeder Vorstellung, welche der Nachsuchende nicht selbst aufgesetzt hat, das dafür bezahlte Honorar bemerkt werden; 3) alle Vorstellungen, welche von einer Gemeinde, als solcher, eingegeben werden, müssen von dem Maire unterzeichnet seyn. Diesem steht institutionell die Befugniß und Verpflichtung zu, seine Gemeinde zu vertreten, ihre Bedürfnisse und Gesuche, so wie jede Angelegenheit, welche die Gemeinde als solches betrifft bey der competenten Behörde zur Sprache zu bringen. […]; 4) vom 1t. Juny d. J. an, sollen alle Vorstellungen bey denen diese Vorschriften nicht beobachtet werden, weiter nicht berücksichtigt werden, sondern unbeantwortet bleiben79 .
Um diese neuen Maßnahmen ausreichend bekannt zu machen, wurde zudem angeordnet: Zu größere Publicität sollen dieselbe ins Departementalblatt eingerückt und drey Sonntage nacheinander von den Mairen aus demselben nach dem Gottesdienst auf dem Gemeindehauß bekannt gemacht werden80 .
Weiterhin wünschte sich der Präfekt des Werradepartements, dass man ihm »diejenigen Personen namhaft [mache], welche durch die wiederholte Abfassung offenbar unbegründete Gesuche eine gewissenslose Habsucht [darstellen], welcher Grenzen zu setzten, das Wohl der Administrirten und die Vereinfachung der Geschäfte [empfehle]«81 . Die Obrigkeit wollte über die Bittschriftenagenturen Wissen ansammeln, offensichtlich um Fälle von wiederholten und erpresserischen Geschäften mit den Bittschriften leichter aufklären zu können. Die Bittschriftenschreiber im Auftrag der administrés wurden als parasitäre Zwischenhändler behandelt, als Verderber der Bürger, die zudem die Arbeit der Behörden erschwerten. 79 80 81
StA MR, Best. 77a Nr. 623: Zirkular Nr. 2618 von A. H. Freiherr von Trott zu Solz an die Herren Kantonsmaires des Werradepartements, 3. 5. 1810. Ibid. Ibid.
III. Bittschriften à la française
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Die Bittschriftenschreiber blieben weiterhin suspekt und das Begleitschreiben zu diesem Zirkular an die Adresse der Unterpräfekten zu Hersfeld und Eschwege versuchte insbesondere, die Aufmerksamkeit »auf die eigennützigen Verfertiger unbegründeter Suppliken, so wie im Allgemeinen auf gewinntüchtige Advocaten und andere Personen zu richten, welche den Unterthanen zur Halsstarrigkeit und Versagung schuldiger Präsentationen aufhetzen« zu lenken82 . In diesem Nachsatz ist ein neuer Grund für die negative Haltung der Obrigkeit gegenüber den semi-professionellen und semi-illegalen Bittschriftenschreibern genannt: Mit der »Versagung schuldiger Präsentationen« ist das Problem angesprochen, dass diese Bittschriftenschreiber den Bittstellern Hoffnungen machten, sie von der Pflicht zu steuerlichen Abgaben und ähnlichen Kontributionen an den Staat befreien lassen zu können. Damit entgingen der Obrigkeit ganz gravierend Einnahmen beziehungsweise die Abgaben verzögerten sich. Aber die Bekanntmachung macht auch deutlich, dass die administration aufgab, das Phänomen der Bittschriftenschreiber ganz und gar unterdrücken zu wollen und sich stattdessen um die Schaffung von Transparenz bemühte bezüglich der Personen, die das Unwesen mit den Bittschriften trieben, insbesondere auch bezüglich ihrer Honorare. Da die Obrigkeit erkannt hatte, dass sie das Wuchern der Bittschriftenbüros nicht unterbinden konnte, war nun die Strategie, sich Wissen über die Bittschriftenbüros zu verschaffen, um Herr über deren Geschäfte zu bleiben. Eine Mitteilung im »Westphälischen Moniteur« vom 3. März 1811 bestätigt, dass die neuen Regelungen von Mitte 1810 an von allen Verwaltungszweigen angewandt wurden. Der Polizeipräfekt gab bekannt: Le Préfet prévient le public que toutes les pétitions, demandes ou déclarations qui lui seront adressées, resteront sans réponse, chaquefois qu’elles contiendront les irrégularités suivantes: 1. Si elles ne sont point revétues du timbre fixé par les lois. 2. Si elles ne sont point signées de la main propre de l’impétrant, et contresignées par le redacteur83 .
Die Regelungen von Mitte 1810 bedeuteten nicht allein ein Eingeständnis einer nicht einzudämmenden Praxis und somit eine Einbuße an Modernität für den Verwaltungsapparat, sie basierten offenbar auch auf Vorschriften aus vorwestphälischer Zeit. Dass der Verfasser einer Bittschrift diese zu unterschreiben habe und die dafür erhaltene Gebühr zu vermerken sei, war »in 82
83
StA MR, Best. 77a Nr. 623: Schreiben von A. H. Freiherr von Trott zu Solz an die Unterpräfekten Günther zu Hersfeld und L. Freiherr von Hohenhausen zu Eschwege, Werradepartement, 3. 5. 1810. Le Moniteur westphalien, Nr. 52, Beilage, 3. März 1811, Avis de la Préfecture de police du 28. 2. 1811.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Gemäsheit des Ausschreibens der vorhinnigen hessischen Regierung vom 3. July 1773 und 10. Febr. 1783«84 . Meldungen aus dem Ministerium der Finanzen aus dem Jahre 1812 zeigen allerdings, dass selbst die entgegenkommenden Regelungen von 1810 nur beschränkt von den Bittstellern beachtet wurden. Viele Suppliken gingen weiterhin bei den Behörden ein ohne Angabe zum Verfasser und zu seinem Honorar85 . Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die westphälische Verwaltung zunächst versuchte, die große Anzahl an Bittschriften zu reduzieren. Als die Versuche in diese Richtung scheiterten, wurde zunächst eine staatliche Bittschriftenkommission eingerichtet. Auch kam es in Bezug auf Bittschriften, die von beauftragten Bittschriftenschreibern stammten, zu einer späten Akzeptanz, indem man sich lediglich Transparenz über den Autor der Bittschrift und sein Honorar verschaffen wollte. Es ging darum, wiederholten oder massiven Missbräuchen des Vertrauens auf die Spur zu kommen, das die Antragsteller den Verfassern ihrer Bittgesuche schenkten. Der Umgang der westphälischen Herrschaft mit dem Bittschriftenwesen war sicherlich insgesamt recht ambivalent. Auf der einen Seite versuchte man, das Phänomen einzuschränken, auf der anderen Seite bedeuteten die Bittschriften eine Geldeinnahme. Ein finanzielles Interesse lässt sich nicht leugnen, wenn am Rand von Bittschriften der Vermerk zu finden ist, »der gehörige Stempelumschlag« fehle86 . Der Anfang 1810 eingerichteten Bittschriftenkommission stand zunächst und mindestens bis zum Jahre 1813 Paul von Merveldt als Generalrequetenmeister vor. Er war ein gebürtiger Münsteraner, seit 1803 hatte er sich in Hildesheim niedergelassen, wo er noch zu vorwestphälischer Zeit Küster der Hildesheimer Kirche war, 1807 wurde er dann als Deputierter Hildesheims nach Paris geschickt und ab 1807 war er schließlich auch Staatsrat und Kammerherr von König Jérôme87 . Sein Nachfolger im Amt, wahrscheinlich ab 84
85 86
87
StA MR, Best. 77a Nr. 623: Bekanntmachung von A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 13. 6. 1811; vgl. ferner für das Herzogtum Magdeburg: Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 319: Schreiben vom Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden an J. C. A. Legras de Bercagny, 11. 11. 1808. Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 623: Schreiben Nr. 15819 von K. A. Malchus von Marienrode, Finanzminister, an A. H. Freiherr von Trott zu Solz, 29. 9. 1812. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 084–13 108, hier Nr. 13 098. Vgl. auch Anm. 68 über die stufenweise Preiserhöhung des Stempels. Vgl den Fall des Tanzlehrers Brämer, dessen Bittschrift wegen eines fehlenden Stempels zurückgewiesen wurde: GStA PK, V. HA, Nr. 693, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westphalen, Juni 1812–Mai 1813: Schreiben Nr. 647 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an Brämer, Tanzlehrer, 16. 10. 1812. Vgl. AN Paris, BB11 70, Demandes d’autorisations pour entrer ou rester au service des puissances étrangères (décret du 26. 8. 1811), Royaume de Westphalie, Mayer-Russel, Dossier Merveldt; Le Moniteur westphalien, Nr. 312,
III. Bittschriften à la française
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Mitte 1813, war Joseph Moulard, ein gebürtiger Marseiller, dessen Bekanntschaft mit Jérôme Bonaparte, bevor dieser König von Westphalen wurde, auf eine gemeinsame Episode in Genua zurückging. Er war zuvor maître des comptes des Königs Jérôme, seit 1808 Sektionspräsident in seinem Staatsrat, seit dem 4. Mai 1811 Verwalter der Gebäude und Domänen der Krone und seit dem 1. Januar 1812 Verwalter des königlichen Hauses88 . Die beiden Auditoren, die über lange Jahre Merveldts Arbeit unterstützten, waren die Herren Bosse und Natorp89 . Selbst nach Gründung der Bittschriftenkommission liefen allerdings Bittschriften über verschiedene Verwaltungswege bei König Jérôme ein90 . Dies erklärt vielleicht, dass ab November 1812 zusätzlich zur Bittschriftenkommission sechs Requetenmeister bei den einzelnen Sektionen des Staatsrats benannt wurden, die den Umgang mit den vielen Bittschriften weiter erleichtern sollten91 .
3. Strategisches Handeln, Sprachbilder und Sprachgestus Zu den Bittschriften selbst sollen hier noch ein paar Bemerkungen angeschlossen werden, obgleich das berücksichtigte Quellenkorpus keine statistische Analyse erlaubt 92 . Bittschriften stellen einen besonderen Quellenkor-
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31. Dezember 1811: Décret du 29 décembre 1811 concernant le service du Conseil d’État pour le premier trimestre de l’an 1812. Merveldt war zumindest für das erste Trimester des Jahres 1813 als Generalrequetenmeister bestätigt worden. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 8, 8. Januar 1813: Décret royal du 29 décembre concernant le service de la commission des requêtes pour l’année courante. Vgl. AN Paris, BB11 70, Demandes d’autorisations pour entrer ou rester au service des puissances étrangères (décret du 26. 8. 1811), Royaume de Westphalie, Mayer–Russel: Dossier Moulard. Sonderbar ist, dass der Personenwechsel von Merveldt zu Moulard im Amt des Generalrequetenmeisters weder im »Almanach royal« noch im »Westphälischen Moniteur« verzeichnet ist. Vgl. Almanach royal de Westphalie, 1813. Vgl. u.a. Almanach royal de Westphalie, 1811. Vgl. u.a. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7564–7603, hier Nr. 7578: Schreiben Nr. 736 vom Grafen P. A. von Fürstenstein an den Grafen von Steinberg, 3. 2. 1813. Vgl. Bulletin des Lois et décrets, Zweiter Theil, 1812, S. 328: Décret royal du 1er novembre 1812, portant institution de Maîtres des Requêtes au Conseil d’État. Einer dieser Requetenmeister hieß Dupleix, dies geht aus einem königlichen Dekret vom 20. Januar 1813 hervor, das ihn zum Staatsrat und Generalintendanten des Schatzes ernennt. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 22, 22. Januar 1813. Wie die obigen Ausführungen zeigen, wurden die Bittschriften an alle Verwaltungszweige gerichtet. Um eine quantitative Analyse liefern zu können, wäre eine systematische Durchforschung der Archivakten notwendig, an allen Archivstandorten, die Akten der westphälischen Herrschaft aufbewahren – ein großes Unterfangen an sich. Grundsätzlich konnten alle möglichen Anliegen Anlass zu einer Bittschrift werden, nicht allein solche, die auf den Rechtsansprüchen der Bürger beruhten; bei der vorliegenden Untersuchung wurde der Fokus auf
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
pus dar, denn über sie ist es möglich, »außerordentliche« französischsprachige, das heißt primär deutschsprachige Personen zu entdecken, bei denen man nicht mit dem Erwerb von Französischkenntnissen gerechnet hätte. Diese Menschen erwarben oftmals auf unkonventionellem Weg ihre französischen Sprachkenntnisse. Der Wunsch, der neuen administration in französischer Sprache zu begegnen, brachte außerordentliche Französischsprachige hervor, die, wohlgemerkt, zum Teil weder zum Adel noch zum gehobenen Bürgertum gehörten und dennoch diese sprachliche Kompetenz aufwiesen93 . Die Gruppe von Bittschriften, die diesen Bittstellern zugeordnet werden kann, ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Sprachfehler aufweisen, die für Personen charakteristisch sind, die die Sprache vornehmlich mündlich erwarben. Exemplarisch kann hier die Bittschrift des Bürgers Gottlieb Pfeil aus Magdeburg zitiert werden: À mon Seugneir son Excelence le prefect, je me jette a vos biels, pour implorer votre clemence, j’ai sept enfans 2 sont au service de sa majesté du Roi de Vespfalie, je suis bougois ici a madepurg, j’ai portér les charges de la gueres depuis long tems Liver je gengné mon pain pour faire le chemin pour les traineaux pour la puplique Vogt, et Schirigt mon defenti il ont pris un autre qui abelle Möbes, j’implore votre exslence de me rentre justise, et je ne cesserai des faire des veux au ciel ainsi que ma famielle pour vous. Gottlieb Feil 94 .
Die Nasale, die dem Schreiber besondere Schwierigkeiten machten, weisen daraufhin, dass seine Erstsprache Deutsch war. Eine denkbare Erklärung für die Französischkenntnisse Pfeils, falls die Bittschrift von ihm selbst stammen sollte, wäre, dass er die Sprache im Kriegsdienst gelernt haben könnte. Ein ähnlich überraschendes Dokument, das zwar nicht zum Fundus der Bittschriften, sondern zu den Gnadengesuchen gehört, verdient hier ebenfalls zitiert zu werden95 : Eleonore Stein, Jeune fille, agé d’environs de 22. ans, née Et demeurant à Cassel, a l’honneur de prendre la liberté de s’adresser A Sa Majesté geromme Napoleon, Roy de Westphalie, prince francé Sire Une Jeune fille, la qu’elle aime, Et connais depuis longtems le nommé Jean Charles Prins natif de Wirtenberg en Saxen, allant ici dans le fert depuis environs quatre ans.
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die Sprache gelegt, in der die Bittschriften geschrieben wurden und auf die darüber hinaus gehenden Französisierungsmerkmale der Bittschriften. Vgl. u.a. GStA PK, V. HA, Nr. 2032, Akte des Ministeriums des Innern, Gesuche, Erfindungen und andere Varia, 1808–1812: u.a. Gesuch von G. Haras, Webermeister in Eisleben, Saaledepartement, an J. J. Siméon, 20. 5. 1808. Lha S-A Wernigerode, B 18 II. 20. I.a., Bl. 3. Vgl. Abb. in PAYE, Vous avez dit Lustik?, S. 151. Insgesamt weisen die Gnadengesuche noch stärker als die Bittschriften die Tendenz auf, von ihren Antragstellern in französischer Sprache eingereicht worden zu sein: Diese galten in erster Linie dem König, weswegen die Bemühung um ein Gnadengesuch in französischer Sprache noch viel ausgeprägter war.
III. Bittschriften à la française
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J’ai l’honneur de me Jetter aux pieds du throne de Votre Majesté pour Implorer Votre bonté paternelle, a l’effet d’obtenir le Pardon, Et la grace, de ce pauvre Jeûne homme l’anguissant depuis si longtems, avec patience Et Soumission. Mon choix Et fait, depuis longtems de Sa personne, Et je vous promet de l’épouser Cito que Votre maJesté a la bonté, de lui accorder Sa liberté. D’aigné S’il vous plait de rendre deux personnes heureux pour la Vie, En accordant la permission que j’ai l’honneur de vous demander très hûmblement. Soiez persuadé Sire, que nous n’oublirons Jamais la grace que nous Vous demandons, Si vous d’aigné de nous l’accorder. En attendant tout de Votre bonté, Et miséricorde, Nous avons l’honneur de rester l’anguissant, apres La Prononciation de Votre rêspectable Boûche. […] Votre très hûmble, Et très obeissante Servante Par ordre de léonore Stein, la qu’ell a déclaré de ne Sávoir ecrire96 .
Das Gnadengesuch schrieb nicht Eleonore Stein selbst, da sie des Schreibens nicht mächtig war, aber derjenige oder diejenige, die dies für sie verrichtete, hatte offensichtlich Französisch aus einer ähnlichen Ausgangssituation wie Pfeil erworben. Er scheint sogar mit den Bekanntmachungen und öffentlichen Anschlägen der westphälischen Herrschaft wenig vertraut gewesen zu sein, da er sich an »geromme«, den »prince francé«, wandte, der ja fast in jeder Ausgabe des »Westphälischen Moniteur« in der richtigen Schreibweise zitiert wurde und deren Titulatur auf jedem Anschlag erschien. Mit ihrem Antrag auf eine Begnadigung des mehrfachen Räubers Johann Karl Printz knüpfte die Frau an eine Tradition aus hessen-kasselanischer absolutistischer Zeit an, die besagte, dass, wenn eine Jungfrau sich bereit erklärte, einen Straffälligen zu heiraten und mit ihm in den Ehebund einzutreten, dieser vom Herrscher freigelassen werden müsse. Man ahnt schon, wie der König und seine administration zu solchen Anträgen standen. Auch diesem wurde nicht stattgegeben97 . Der zweisprachige Verwaltungsapparat führt zur Entdeckung von latenter Zweisprachigkeit bei Bürgern, die vor 1807 oder nach 1813 keinen Grund gehabt hätten, ihre französischen Sprachkenntnisse zu offenbaren. Darüber hinaus sind die Bittschriften, die in deutscher Sprache eingereicht wurden, durch diverse kleinere Französisierungsmerkmale gekennzeichnet, die trotz Mangel an französischen Sprachkenntnissen eine gewisse Anpassung an die zweisprachige Beschaffenheit des Verwaltungsapparats 96
97
GStA PK, V. HA, Nr. 1569, Akten des Justizministeriums in Kassel, Gnadengesuche und -erlasse, 1809–1813, Bl. 80, Gnadengesuch von E. Stein an den König Jérôme, datiert vom 23. 7. 1813, präsentiert am 19. 8. 1813; vgl. ibid., Bl. 81, Gnadengesuch von E. Stein an den König Jérôme, 24. 8. 1813. Vgl. Abb. PAYE, Vous avez dit Lustik!?, S. 151. Vgl. auch das Gnadengesuch in französischer Sprache von Prinz selbst: GStA PK, V. HA, Nr. 1569, Bl. 85, Gnadengesuch von Prinz, 29. 12. 1812. Vgl. ibid., Bl. 82: Schreiben von J. J. Siméon, Justizminister, an den König, 11. 2. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
erkennen lassen. Für das Rheinland sprach Johannes Kramer von der französischen »Firnis« in Grußformeln oder Floskeln, die sich weite Teile der Bevölkerung angewöhnten98 . Ein Phänomen, das von einem solchen Anpassungsversuch an die neuen Begebenheiten zeugt, ist beispielsweise, wenn ganze Bittschriften zwar in deutscher Sprache geschrieben wurden, aber statt der deutschen die lateinische Schrift gewählt wurde99 . Dahinter könnte sich die Strategie verbergen, den fremdsprachigen administrateurs das Lesen der in deutscher Sprache verfassten Bittschriften durch die ihnen vertraute lateinische Schrift zu erleichtern. Kleinere Französisierungsmerkmale in diese Richtung betreffen einzelne Begriffe und Fremdwörter, die sich in lateinischer Schrift vom Textfluss abheben, der sonst in deutscher Schrift verfasst ist. Überhaupt fällt in dieser Beziehung die verstärkte Übernahme von Fremdwörtern statt ihrer deutschen Entsprechungen besonders auf. Man war bemüht, dem deutsch-französischen Verwaltungsapparat mit seinen eigenen Termini zu begegnen. Der Kasseler Bürger Lippert scheute sich zum Beispiel nicht, mit Fremdwörtern in seiner Bittschrift dick aufzutragen – die im Zitat kursiv gesetzten Begriffe heben sich in der Handschrift in lateinischer Schrift vom sonstigen Text ab: [Entschuldigen Sie bitte, dass ich es] abermahls wage […], mich an Höchstdieselbe zu wenden, nothgedrungen durch die traurige Umstände [, den] Verlust meiner Nahrung und Wohnung, die ich beyde vermittelst der Räumung meines ehemalig Quartiers in der ehemaligen hallen am KönigsPlaz verlustigt geworden. E. E. ist es durch den Inhalt meiner vorherigen Pétitionen hinlänglich bekannt warum ich unterthänig supplicire und wobey ich nichts weiter als Gleichstellung mit den übrigen in gleicher Lage sich befindenden Miether gebethen habe, da ich unmöglich bey der nur angebetenen geringen Vergütigung mich beruhigen kann100 .
Der Bürger Lippert habe also sein »Quartier« verloren und schreibe nicht etwa Bittschriften diesbezüglich, sondern »Pétitionen«, auch »supplicire« er unterthänig. Die Anpassungsversuche gingen bei ihm so weit, dass er selbst seinen eigenen Namen französisierte und mit »Lepper« statt mit seinem eigentlichen Nachnamen unterschrieb. In vielen Bittschriften erschien die protection, um die vielerorts ersucht wurde, in lateinischer Schrift. Auf eine Anrede in französischer Sprache und 98 99
100
Vgl. KRAMER, Das Französische in Deutschland, S. 104. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 2, Nr. 214–219, hier Nr. 215: Bittschrift der Quedlinburger Bürger und Bürgerinnen Kühnen, Piermann, Stange, Wahle, Hermes, Mertens, Schenken und Haupt an den König Jérôme, 19. 8. 1812; StA MR, Best. 75 Nr. 156: Bittschrift des Marburger Bürgers Hauff an J. von Müller, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 14. 9. 1808. StA MR, Best. 75 Nr. 184, Entschädigungsforderung des Bürgers Lippert wegen der Abtretung seiner Wohnung in den Hallen am Napoleonsplatz in Kassel, 1812: Bittschrift vom Bürger Lepper an G. A. von Wolffradt, Innenminister, 16. 6. 1812.
III. Bittschriften à la française
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in lateinischer Schrift wurde großen Wert gelegt, so war das »Monseigneur« in allen erdenklichen Schreibweisen sehr geläufig. Zu den generellen Anpassungsversuchen gehörte, dass eine Bittschrift allgemein geläufigen Standards und Konventionen entsprach: So wurde zum einen nach einer ersten eingehenden Erläuterung des Sachverhalts der Betreff des Bittgesuchs eingerückt im Textfluss nochmals zusammengefasst, quasi als sichtbarer abgehobener Baustein der Bittschrift 101 . Damit wurde ein Beitrag zur Leserfreundlichkeit der Bittschrift geleistet. Außerdem erkannte man daran, dass ein kundiger Bittschriftenschreiber am Werk war und sollte so vielleicht zur eingehenderen Berücksichtigung der Bittschrift aufgefordert werden. Die Rückseite der Bittschrift, die zusammengefaltet den Briefumschlag ausmachte, führte meist ebenfalls den Betreff des Schreibens auf 102 . Der Bittsteller versprach sich durch die Beachtung der Konventionen jedenfalls, die Leserfreundlichkeit zu erhöhen und durch den gelungenen exercice de style seinen Adressaten mild zu stimmen. In seiner satirischen »Humoristischen Reise durch ein hochseliges Königreich« berichtet, unter dem Pseudonym Peter Hilarius, Carl Nicolai, dass den Gesuchen schneller entsprochen wurde, wenn sie auf gutem Papier geschrieben waren: »So etwas gehörte zu unserer Hofetiquette, und man hat der Beispiele, dass Gesuchen unbedingt gewillfahrt wird, ehe noch das Siegel erbrochen worden, sobald solches nur von ganz seinem Lack, welches Bewunderung erregen muß, genommen worden«103 . Sicherlich sollte die Aussage wegen des satirischen Kontexts, in den sie einzuordnen ist, mit Vorsicht betrachtet werden: Wenn sie jedoch auch nur eine Spur der Realität widerspiegelt, zeigt sie, wie ambivalent die westphälische Obrigkeit sich in Sachen 101
102
103
Die interessante Quellengattung der »Briefsteller« könnte man zu diesem Aspekt heranziehen und in eine ausführlichere Fallstudie zum Bittschriftenwesen einbeziehen. Vgl. u.a. die Anzeige für »Ungelehrte« über den »Hannöverischen Briefsteller zugleich Handbuch der nothwendigsten Kenntnisse für junge Leute und Ungelehrte, enthaltend Unterricht im Schreiben, in der Sprachlehre, im Briefstyl, in der Abfassung aller Arten von Briefen und andrer schriftlichen Aufsätze, Nachrichten vom Wechselwesen, von Gelde, Münzen, Maaße, und Gewicht, vom Postwesen, Reiserouten und Meilenzeiger, Erklärungen kaufmännischer Zeichen und Wörter, nebst manchen geographischen, historischen und physikalischen Bemerkungen« von A. Raabe in den »Wernigerödischen Intelligenz-Blättern«: vgl. Wernigerödische Intelligenz-Blätter, 1807, S. 158 f. Vgl. ferner Esprit de la correspondance; Briefsteller, der mildheimische; EICHLER, Neueste und leichteste Methode; MEYNIER, Nouveaux modèles de lettres françoises; HEINSIUS, Allgemeiner deutscher Briefsteller. Vgl. u.a. StA MR, Best. 75 Nr. 1289, Vereinigung reformierter und lutherischer Schulstellen in den ehemals hessischen Gebietsteilen, 1810–1813: Bittschrift der reformierten Gemeinde zu Speckswinkel an J. C. von Leist, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 18. 11. 1812. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 76.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Bittschriften gebärdete. Einerseits sollten die kundigen Bittschriftenschreiber gar nicht als Zwischenhändler zwischen Staat und Bürgern zugelassen werden; anderseits reagierte man positiver auf Bittgesuche, die alle Regeln der Kunst anwandten und nur auf Fachwissen von erfahrenen Bittschriftenschreibern zurückgehen konnten. Außerdem wurden in den Bittschriften häufig gewisse Topoi und Sprachbilder oder Metaphern bemüht 104 : »se jeter aux pieds du thrône de sa Majesté« oder auch »fußfällig« zu sein, gehörte dazu105 . »Oser présenter« eine Bittschrift an den König oder das gleiche auf Deutsch »wagen«, gehörte ebenfalls zu den einleitenden Redewendungen, die sehr oft in Bittschriften vorkommen. Auch wenn nur unverbindliche Sprachbilder entstanden und keine echte Fußfälligkeit erfolgte, sind diese jedoch sehr aussagekräftig: Die Antragsteller versprachen sich mit der ehrfurchtsvollen Haltung auf Französisch bessere Aussichten auf Erfolg mit ihrer Bittschrift. Die Bittschriften waren Zeichensetzungen in einem kommunikativen Vorgang; die erbrachte sprachliche Leistung innerhalb des Bittgesuchs folgte, was die stilistischen Mittel und die verwendete Rhetorik angeht, überkommenen Konventionen, womit die Bittschriften weit davon entfernt waren, Markenzeichen einzelner Individuen zu sein106 . Sie sagten jedoch in der Fähigkeit zur Wiedergabe von tradierten Sprachbildern und Konventionen ihrer Autoren etwas über diese Personen und ihre sozialen und kulturellen Zugehörigkeiten aus. Um ihre Erfolgschancen zu steigern, versuchten einige westphälische Staatsbürger, mehrere Bittschriften gleichen Inhalts an verschiedene Stellen beziehungsweise wiederholt an den gleichen Beamten zu schicken107 . In ihrer Bittschrift in französischer Sprache an Bongars, die die Freilassung ihres Mannes, Johann Ferdinand Blumenthal, erreichen sollte, erwähnte die Ehe104 105
106
107
Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes. Vgl. u.a. GStA PK, V. HA, Nr. 1977, Bl. 45, Bittschrift vom Pfarrer M. L. Herold an den König Jérôme, 16. 6. 1808; StA MR, Best. 75 Nr. 1289: Bittschrift der reformierten Gemeinde zu Speckswinkel an J. C. von Leist, 18. 11. 1812; vgl. ferner HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 125. Kritisch zur Tendenz der Individualitätstheoretiker, frühzeitig in der Geschichte Individualitätsmerkmale in autobiographischen Texten und Selbstzeugnissen aufspüren zu wollen, vgl. JANCKE, Autobiographie als soziale Praxis; DIES., ULBRICH, Vom Individuum zur Person. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Verschiedene Anfragen und Correspondenzen (Eingaben von Städten, Bittschriften von Beamten und Privatpersonen betr. Unterstützungen, Anstellungen und Pensionen), 1807–1812, Bl. 117 f.: Bittschrift der Witwen Budde und Pothast an den Innenminister, 23. 8. 1811; GStA PK, V. HA, Nr. 697, Akte der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 1. 8.–26. 10. 1811, Bl. 71: Schreiben Nr. 3189 und Nr. 3190 über den Bittsteller M. A. Weiss aus Mühlhausen im Harzdepartement.
III. Bittschriften à la française
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frau Blumenthal eine erste Bittschrift an den Präfekten108 . Auch das Konsistorium der jüdischen Gemeinde in Kassel beklagte sich beim Innenminister über die »fast tägliche Sollicitationen der hierbey interessirten Personen« bezüglich der Versorgung der Kirchendiener der aufgelösten Hof- und Garnisonsgemeinde109 . Die Mitglieder des comité de bienfaisance in Kassel klagten auch über ein »débordement de pétitions« durch die Witwe de Brinsberg110 . Die Strategie, mehrere Adressaten mit dem gleichen Anliegen anzuschreiben, um seine Erfolgschancen zu erhöhen, signalisiert eine misstrauische Grundeinstellung gegenüber den obrigkeitlichen Instanzen. Jedenfalls erscheint die Neujahrspredigt des Pfarrers Hellmuth aus dem Jahre 1808, in dem er befürchtete: »Fremde wollen uns regieren, die unsere Sprache, unsere Sitten nicht kennen! – Die neuen Landes-Kollegien, Obrigkeiten und Richter – woher soll der Arme Landmann lernen, bei wem er seine Gesuche, seine Klagen anzubringen hat!«, vor dem Hintergrund der vermeintlichen Sprachproblematik gänzlich zu verkennen, dass die Bittsteller sehr eigenmächtig mit ihren Bittschriften handelten und sich weder durch Sprachbarrieren noch durch fehlende Adressaten zurückhalten ließen111 . Ein Kollege Hellmuths, Pfarrer Herold, dachte sich ein besonderes Vorgehen aus: Dem König Jérôme schrieb er eine Bittschrift von einer Seite Umfang in französischer Sprache, unterließ aber nicht, die Königin Katharina ebenfalls für seine Sache, die Herausgabe eines Religionsgesangbuchs, zu gewinnen, und zwar mit einer vier Seiten langen Bittschrift, diesmal in deutscher Sprache. Er wählte damit niemand Geringeren als die Gemahlin des Königs Jérôme als Dolmetscherin seines Bittgesuchs112 . Der Buchdrucker Martin Dölle aus Halberstadt, ein fleißiger Bittschriftenschreiber, richtete eine Bittschrift an den König auf Französisch und mehrere an andere Stellen auf Deutsch – weitere Bittschriften wurden von seiner Ehefrau Maria Margaretha Dölle verfasst 113 . Eine andere Bittstellerin, Betty Cohn 108
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Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 740: Bittschrift von der Ehefrau Blumenthal an J. F. M. de Bongars, [Feb. 1813]. StA MR, Best. 75 Nr. 196, Dotierung des Kassel’schen Schulfonds mit einem Teil des Vermögens der aufgehobenen Hof- und Garnisonskirche zu Kassel, 1810– 1813: Bericht des hiesigen Consistorii die Versorgung der Kirchendiener der supprimirten Hof- und Garnisons-Gemeinde betr., an G. A. von Wolffradt, 26. 3. 1813. GStA PK, V. HA, Nr. 693: Schreiben Nr. 32 von P. Mercier an den Polizeikommissar vom zweiten Kanton in Kassel, 18. 6. 1812. HELLMUTH, zitiert nach: CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 89. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1977, Akte des Ministeriums des Innern, Buchhändler und Buchdruckereien, 1807–1811, Bl. 45–47, 16. 6. 1808; vgl. BOUDON, Le roi Jérôme, S. 160. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1990, Akte des Ministeriums des Innern über die Buchdruckereien, 1808–1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Wangenreim, schrieb insgesamt drei überlieferte Bittschriften an Bongars, wovon die erste französisch verfasst war, offenbar von professioneller Hand, die beiden Folgenden deutsch, alle eigenhändig unterschrieben114 . Ihr Argumentationsrepertoire, um die Freilassung ihres Mannes zu bewirken, Israel Cohn Wangenreim, Tuchfabrikant beziehungsweise Tuchpresser und Decateur zu Hildesheim, der sich der Verbreitung einer antinapoleonischen gazette, der Reichs-Anzeiger vom 26. April 1806, Anfang 1813 im Café Bernard in Kassel schuldig gemacht hatte, war breit gefächert: Sie sei hochschwanger, kurz vor der Entbindung und mit Kleinkindern; der Familienernährer sei ihr genommen worden und die Last der Einquartierung laste auf ihr; die Geschäfte lägen darnieder; die sich kurz vor der Abreise befindlichen französischen Militärs, mit denen ihr Mann Handel trieb, könnten nicht bedient werden. Und sie sprach nicht zuletzt gezielt die Dankbarkeit für die neu erworbenen bürgerlichen Rechte im Kontext der Judenemanzipation aus, die eine intendierte Verfehlung unglaubwürdig mache: »denken Sie ia nicht daß mein Mann solch ein Mensch ist, der schlechte Gedanken hatt, den seit dem die Franzosische Rechte eingeführt seyn haben, wir ia die Freiheit, eine Fabrique zu haben«115 . Auch wenn sie versuchte, die Gunst der westphälischen Staatsvertreter durch die lobende Benennung der Gesellschaftsreformen zu entfachen, bekam sie zunächst nicht ihren Mann, aber vorerst immerhin die Handelsbücher und Briefschaften zurück116 . Auch der Schullehrer Johann Heinrich Conradi aus Todenhausen bediente sich einer besonderen Strategie, um seine Wiederanstellung zu erreichen: Er ließ eine von ihm verfasste Bittschrift von einem »unerfahrenen Jüngling von 17–18 Jahren abschreiben«, und versteckte sich so vor der Gemeinde als eigentlicher Autor117 . Die Täuschung über den eigentlichen Autor der Bittschrift trieb Conradi, der in der Bittschrift eine wahre Lobrede auf seine Talente als Schullehrer hielt, somit aufs Äußerste. Es fällt auf, dass trotz der neuen Regelung vom Juni 1810, die dazu verpflichtete, am Ende der Bittschrift den Bittschriftenschreiber und seinen Auftraggeber 114
115 116 117
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 431–10 493, hier Nr. 10 464: Bittschrift von B. Cohn Wangenreim, Hildesheim, an J. F. M. de Bongars, 4. 4. 1813; ibid., Nr. 10 465: Bittschrift von B. Cohn Wangenreim, Kassel, an J. F. M. de Bongars, 20. 3. 1813; ibid., Nr. 10 469: Bittschrift von B. Cohn Wangenreim, Hildesheim, an J. F. M. de Bongars, 24. 2. 1813. Ibid., Nr. 10 465: Bittschrift von B. Cohn Wangenreim, Kassel, an J. F. M. de Bongars, 20. 3. 1813. Ibid., Nr. 10 466: Bescheinigung von B. Cohn Wangenreim, Kassel, an die Hohe Polizei, 14. 4. 1813. StA MR, Best. 77a Nr. 1148, Dienstentlassung des Schullehrers Conradi in Todenhausen, 1812: Bericht des Cantonsmaires über die Vorstellung mehrerer Gemeindemitglieder in Sache Conradi an A. H. Freiherr von Trott zu Solz; vgl. ibid., Bittschrift der Gemeinde zu Todenhausen und Haddenberg, 24. 3. 1812.
III. Bittschriften à la française
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auseinander zu halten sowie das erhaltene Honorar für die Bittschrift anzugeben, viele Bittsteller strategisch verschwiegen, dass sie ihre Bittschriften nicht selbst verfasst hatten. So täuscht die Bittschrift der Sophie Greiling, der Ehefrau des Faktors Greiling aus Göttingen, vor, sie sei von ihr eigenhändig geschrieben worden. Zumindest taucht am Ende der Bittschrift der Name des Schreibers nicht auf, obwohl das gesamte Schriftbild der Bittschrift auf eine professionelle Hand hinweist und im Protokoll der Anhörung Sophie Greilings vermerkt ist, dass sie des Schreibens nicht mächtig war118 . Eine andere Strategie, um die Erfolgschancen seiner Bittschrift zu steigern, war, sie persönlich zu der höheren Stelle nach Kassel zu bringen119 . Aus den Regelungen zum Bittschriftenwesen wurde bereits die Tendenz ersichtlich, die untere Verwaltungsebene zu übergehen120 . Dafür waren einige sogar gewillt, einen sehr weiten Weg aus der Provinz in die Hauptstadt Kassel zurückzulegen. Aus dem Bericht eines Geheimagenten der Hohen Polizei geht hervor, wie in einem Wirtshaus Erfolgstipps vom Bittsteller zu Bittsteller weitergegeben wurden: Gestern traf ich den Dänischen Capitain von Langeland in einen Wirthshause an, wo derselbe zu einer Tänzerin Nahmens Bachmann sagte, daß er [noch] Hoffnung [hätte], durch die Fürsprache des Prinzen von Philipsthal hier angestellt zu werden, zu welcher er sehr oft gehe. Auch rieth er der Madam Bachmann welche wünscht die Gnade zu haben um für Sr. Majestädten zu singen, daß sie zu den Prinzen gehen sollte, welcher alles bey Sr. Majestädt gelte, damit ist derselbe empfehle121 .
Kapitän Langeland riet seiner Gesprächspartnerin dazu, den Vertrauten des Königs, den Prinzen Ernst von Hessen-Philippsthal-Barchfeld, der Ordonnanzoffizier Jérômes war, als sichere Anlaufstelle für Bittgesuche zu wählen. Auch Jacob Hilzheimer war von seinem Bruder aus Kassel gebeten wor118
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Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 4020, Untersuchung gegen den Buchhändler Heinrich Dietrich und den Faktor Joh. Heinr. Greiling wegen Druckes der Proklamation Generals von Tzernischeff, 1. 10. 1813 (intus drei Exemplare), 1813: Vorstellung und Bitte von der Ehefrau des in gefänglicher Haft befindlichen Factors Greiling an den Tribunalrichter Jacobi, 1813. Über die Signierfähigkeit und den Alphabetisierungsstand in Deutschland vgl. BÖDEKER, HINRICHS (Hg.), Alphabetisierung und Literalisierung; PRASS, Schriftlichkeit auf dem Land, vgl. ferner über den hohen Alphabetisierungsgrad im Königreich Westphalen STRUCK, GANTET, Deutsch-französische Geschichte, S. 35–37; BOUDON, Le roi Jérôme, S. 252. Allerdings geht Owzar von einem geringen Alphabetisierungsgrad aus: OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches, S. 155. Weiterführend vgl. BLICKLE, Laufen gen Hof. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1696, Bl. 102, 104: Schreiben Nr. 425 von Baron von Bülow, Präfekt in Heiligenstadt, Harzdepartement, an Grafen V. von Höne, Kriegsminister, 15. 6. 1811. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9882–9987, hier Nr. 9921: Rapport Nr. 33 vom Polizeiagenten H. W[ür]Z, 10. 2. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
den, ihm eine Bittschrift zu schicken, »damit er das hier anbringt«122 . Selbst eine maquerelle drohte der Polizei wegen der Erhaltung ihres Bordells, dass »elle présenterait à Sa majesté, lors de son passage [sur l’allée de Napoleonshöhe], une pétition renfermant sa plainte«123 . Ein andermal behauptete eine festgenommene verdächtige Jeanne Louise Blume, sie sei aus Lobach im Leinedepartement gekommen, um beim König eine Bittschrift anzubringen124 . Der Generaldirektor der Hohen Polizei meldete am 2. März 1812 dem Kriegsminister die Ankunft von Fréderic Lindstedt, aus Quedlinburg gebürtig, in Kassel: [Il est] venu à Cassel pour présenter une pétition, à Votre Excellence à l’effet d’obtenir pour les nommés Schoenken et Reinhardt le payement des travaux qu’ils ont fait à la nouvelle prison située Porte Auguste à Brunswick125 .
Lindstedt tauchte in den Registern der Hohen Polizei auf: Dies macht deutlich, dass das Erscheinen sämtlicher Bittsteller in Kassel von der westphälischen Herrschaft nicht erwünscht war. Dennoch machten sich einige westphälische Staatsbürger auf den Weg, um ihren Bittschriften Nachdruck zu verleihen und sich zu vergewissern, dass sie an die nach ihrem Eindruck richtige Stelle gelangten. Ähnlich eigensinnig zeigte sich ein Mann namens Wohlenberg, der sich mit seiner Bittschrift von Halberstadt nach Kassel auf den Weg machte. Die Generaldirektion der Hohen Polizei richtete diesbezüglich im August 1813 ein Schreiben an den Generalpolizeikommissar in Halberstadt: [je vous envoie] une petition que m’a présenté le nommé Wohlenberg, j’ai été très surpris que cet homme soit venu ainsi et inopinément à Cassel sans vous avoir demandé une lettre de recommandation, je ne peux pas lui étre utile dans sa demande si vous pouvez le servir, je vous engage à le faire126 .
Wohlenbergs Entschluss, sich mit seiner Bittschrift nach Kassel zu begeben, war offensichtlich von einem Teilerfolg gekrönt, da der Generaldirek122
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10 268–10 346, hier Nr. 10 302: Traduction des lettres trouvées dans le domicile de Jacob Hilzheimer écrites en allemand avec des caractères hébreux. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 692: Schreiben Nr. 7381 von P. Mercier an den Polizeikommissar des ersten Kantons in Kassel, 3. 3. 1812. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 693: Schreiben Nr. 897 von P. Mercier an P. von Merveldt, 21. 11. 1812. GStA PK, V. HA, Nr. 698, Akten der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 28. 10. 1811–März 1812: Schreiben Nr. 458 von J. F. M. de Bongars an Grafen V. von Höne, 2. 3. 1812; vgl. ferner GStA PK, V. HA, Nr. 692: Schreiben Nr. 7410 von P. Mercier an F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, 8. 3. 1812. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 851,1], Registre de Correspondance du Sécrétariat général, 1. 7.–24. 9. 1813: Schreiben Nr. 2084 von J. F. M. de Bongars an Moisez, 23. 8. 1813.
III. Bittschriften à la française
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tor der Hohen Polizei dem Generalpolizeikommissar in Halberstadt eine wohlwollende Behandlung des Falles empfahl. Der Auftritt Wohlenbergs in Kassel wäre dem Chef der Hohen Polizei sogar fast normal vorgekommen, wäre der Mann mit einem Empfehlungsschreiben des Halberstädter Generalpolizeikommissars in Kassel bei ihm erschienen. Dieses Vorstelligwerden war bei der höheren administration zwar nicht wirklich erwünscht, erhöhte aber in einigen Fällen doch die Erfolgschancen eines Gesuchs: Darin lag schon eine Ambivalenz, die, von einigen erfahren und als Erfahrungswert in Umlauf gebracht, eigentlich nicht zur Eindämmung der Bittgesuchsgänge nach Kassel beitragen konnte127 . Dies zeigt der Fall des Publizisten Wigand, der um die Erlaubnis bat, eine literarische Zeitung herauszugeben: Le petitionnaire ne s’etant pas fait connoitre par des ouvrages, le soussigné n’en peut juger que sur des temoignages et d’après sa conversation. Ceux-là sont favorables; dans celle-ci il a deployé le même desir, exprimé dans sa requête, & il ne doute pas de la reüssite de son entreprise. Il n’y a pas d’inconvenient de l’autoriser à en faire l’essai 128 .
In der Sache Wigands nahmen sein persönliches Erscheinen vor dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts und die Fürsprache von Drittpersonen eindeutig einen positiven Einfluss auf den Werdegang seiner Bittschrift. In diesen insgesamt widersprüchlichen Haltungen spiegelt sich eine weitere Ambivalenz der westphälischen administrationin Bezug auf die Bittsteller wider: Die westphälische administrationwünschte nicht, dass die Bittsteller den regulären Gang der Bittschriften verließen, aber wenn man es dennoch schaffte, eine Audienz bei einem hochrangigen Vertreter der westphälischen administration zu erhalten, so konnte dies durchaus hilfreich sein. Die Bittgesuchsgänge nach Kassel zeigen die Bittschrift als Medium in einem dynamischen Prozess. Überspitzt formuliert könnte man die Bittschrift und die Art, wie sie angebracht wurde, als Sprachhandlung oder Sprachgestus auffassen. Ihr performativer Charakter ergibt sich zwischen
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Auch die bereits erwähnte Cohn Wangenreim reiste von Hildesheim nach Kassel, legte jedoch Bongars in ihrer zweiten Bittschrift dar, dass sie aufgrund ihres Krankheitszustands leider nicht mehr vor ihrer Rückreise nach Hildesheim bei ihm persönlich vorstellig werden könne, um die Freilassung ihres Mannes zu erwirken. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 431–10 493, hier Nr. 10 465: Bittschrift von B. Cohn Wangenreim, Kassel, an J. F. M. de Bongars, 20. 3. 1813. GStA PK, V. HA, Nr. 2280, Büchercensur, Buchhandlungen, öffentliche Blätter und Buchdruckerprivilegien, 1808–1811, Bl. 10: Konzept eines Briefes des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Abb. 16: Déposée, Mon Empereur, deux mots S. V. P., um 1800, Radierung, 26×34 cm, SML, VS 1580.
den Konventionen und den Sprachbildern auf der einen Seite und den Strategien, die aus den Bittstellern Bittgänger machten, auf der anderen Seite129 . Die Funktion der Bittschriften als Kommunikationsprozess, die einen performativen Charakter annehmen konnten, bestätigt auch der Bericht vom Umgang König Jérômes mit der Bittschriftenflut im Rahmen seiner Reise durch Westphalen im Mai 1811: Unterwegs war Jérôme die Güte selbst, zumal in Oberhessen, dessen Abneigung ihm aus den Tagen Dörnbergs und Emmerichs nur zu wohl erinnerlich war; in Marburg schüttete er die Bittschriften, die in Masse überreicht wurden, Wolffradt mit den Worten in den Schoß: ›Man muß alles bewilligen‹, [und] ging unter seinen Unterthanen einher130 .
Von obrigkeitlicher Seite wie von Seiten der Bittsteller nahmen die Bittschriften einen zentralen Stellenwert im dynamischen Kommunikations-
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Zum »performative turn« in der Kulturanthropologie und den Theaterwissenschaften vgl. FISCHER-LICHTE, Vom »Text« zur »Performance«; MARTSCHUKAT, PATZOLD (Hg.), Geschichtswissenschaft und »performative turn«. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 438 f.
III. Bittschriften à la française
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spektrum der westphälischen Gesellschaft ein131 . Bittschriften, die von einem Bittgang begleitet wurden und günstigstenfalls in einen direkten Kontakt mit dem Monarchen mündeten, bauten ihre rhetorische Argumentation zum Teil auf diesem Bittgang auf. Ihre Relevanz wird anhand der Bittschrift von Dorothea Piderit zugunsten ihres Bruders Charles François Theodore Piderit, Schulleiter der französisch-reformierten Kirche in Witzenhausen, deutlich: C’est la clémence avec laquelle V. M. daignoit recepter gracieusement mes hommages à Son dernier sejour ici, qui me donne le cœur de me présenter devant la face de notre Auguste Monarque pour porter à Sa connaissance mes souhaits pressants concernant tout mon bonheur de ma vie et de soumettre à Sa grace & clémence ma très soumise prière. […] Personne que V.M ne peut eriger, Sire, Je vous supplie, je me prosterne à Vos pieds, Daignez me recevoir avec cette bonté, cette clémence & humanité qui charment tous Vos sujets; Faites grace à ma très soumise prière d’accorder à mon frère susdit la place de prédicateur d’ici. A jamais mon frère et moi n’oublieront cette grace qui nous rend si heureux, qui nous fera oublier le triste sort d’avoir perdu dès la plus tendre jeunesse nos chéris parens132 .
Piderit nahm Bezug auf die Begegnung mit Jérôme im Rahmen seiner Reise durch das Werradepartement und verfasste ihre Bittschrift als einen weiteren Kniefall vor ihm. Das Ersuchen war insofern ambivalent, als es Jérômes Gutmütigkeit auf die Probe stellte. Es ließ durchblicken, in welcher Verzweiflung und Enttäuschung die Bittstellende zurückbleiben würde, wenn ihrem Wunsch nicht entsprochen würde. Tatsächlich war Piderits Bittschrift erfolgreich, denn ihr Bittschriftenbogen ist mit dem entsprechenden Vermerk versehen und ihrem Bruder wurde die Pfarrstelle übertragen133 . Die Bittschriften können ohne weiteres als Medium in einem dynamischen und ausgehandelten Kommunikationsprozess der westphälischen 131
132
133
Genauso wie die Westphalen bemüht waren, ihren Monarchen direkt mit ihren Anliegen und Petitionen zu erreichen, indem sie den Weg über die Lokalbeamten zu umgehen versuchten, soll es ebenso viele Petitionen von westphälischen Staatsbürgern gegeben haben, die direkt den Weg zu Napoleon nach Paris nahmen. Laut Thimme sollen diese wenig bewirkt haben. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 366. Diese Tendenz sagt etwas aus über die Wahrnehmung der Staatssouveränität ihres Königs durch die Westphalen. Das Quellenkorpus, das in Paris liegen müsste, konnte nicht mehr gefunden werden. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5673–5680, Wiederbesetzung der Reformierten Predigerstelle in Witzenhausen, Juli. 1813, Nr. 5674: Bittschrift Nr. 1407 von D. Piderit aus Witzenhausen an den König, 3. 7. 1813; vgl. ibid., Nr. 5675: Schreiben Nr. 3413 von L. Freiherrn von Hohenhausen, Unterpräfekt in Eschwege, Werradepartement, 7. 7. 1813. Insgesamt finden sich viele Frauen unter den Bittstellern; die Anerbietung passte offensichtlich zur Schutzbedürftigkeit, die ihnen die geltenden Geschlechterrollen zuschrieben.
266
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Gesellschaft verstanden werden, der auf aufeinander bezogenen Handlungen und Reaktionen basierte.
4.
Bittschriften als Kommunikationsprozess
Die Spannbreite vom eigenhändig verfassten Gesuch zur professionellen Bittschrift ist ausgesprochen vielfältig. Von den kleinen auffälligen Französisierungsmerkmalen der deutschsprachigen Bittschriften bis zur Bittschrift in französischer Sprache lassen sich die vielfältigen, findigen und zum Teil hinterlistigen Strategien der westphälischen Staatsbürger nachzeichnen, die ihre Belange bei der neuen administration anbringen und durchsetzen wollten. Welche Variante der Bittschriften die besten Erfolgschancen hatte, ist nicht eindeutig. Das umfassende Strategienrepertoire zeigt auch, wie die Westphalen in hohem Maß den Herrschaftswechsel wahrnahmen, ihr eigenes Verständnis von Herrschaftsverhältnissen, wie am Beispiel des Bittschriftenwesens dargestellt, behaupteten, und ihre Strategien zur Vertretung ihrer Interessen adaptierten. Sie zeigten sich höchst eigensinnig und zielstrebig134 . In ihrer Vielzahl und Heterogenität weisen die Bittschriften alle darauf hin, dass die westphälischen Staatsbürger nicht vor den sprachlichen Barrieren zurückschreckten. Waren sie nicht selbst der französischen Sprache mächtig, so wandten sie sich an diejenigen Bürger unter ihnen, die französische Sprachfertigkeiten vorzuweisen hatten, und nahmen deren Hilfe in Anspruch. Mit ihrer Missachtung der staatlichen Regelungen zum Bittschriftenwesen diktierten sie indirekt eine Revision der Position der westphälischen administration gegenüber den Bittschriften. Ihre Eigensinnigkeit bewährte sich: Die westphälische Herrschaft gab dem Druck von unten nach und stellte sich auf die Bittschriftenflut ein. Allerdings konnte sie die Kommerzialisierung des Bittschriftenwesens letztlich nicht verhindern. Bei ihrem Versuch, sich gegen den Aufschwung der Bittschriftenbüros und -schreiber zu wehren, hatte die Obrigkeit wohl Personen wie Lehmann im Sinn, die skrupellos die Miseren ihrer Mitbürger ausnutzten. Es dürfte anzunehmen sein, dass Lehmann nicht repräsentativ für alle Bittschriftenschreiber war, sondern eher ein Extremfall, auch wenn die Obrigkeit ihnen allgemein sehr misstrauisch begegnete. Die Bittsteller allerdings ausschließlich als Opfer von parasitären, semi-professionellen Bittschriftenschreibern hinzustellen, wäre zu eng an die staatliche Perspektive angelehnt und würde die tatsächlichen Umstände wohl nicht angemessen darstellen. Die di134
Über den Eigensinn der »kleinen Leute« als Erkenntnisinteresse der Alltagshistoriker vgl. LÜDTKE (Hg.), »Sicherheit« und »Wohlfahrt«, S. 13, 26 f.
III. Bittschriften à la française
267
chotomisierende Tendenz zur Dämonisierung der Bittschriftenschreiber auf der einen Seite und zur Platzierung ihrer Auftraggeber in einer Opferrolle auf der anderen Seite könnte mitunter der Angst vor Korruptionsfällen in der eigenen administration geschuldet sein, die allen modernen und teuren Reformgeist und legitimierende Gleichheitserklärungen zunichte zu machen drohte. Das Verhältnis der Bittsteller zu ihren Bittschriftenschreibern folgte sicherlich der Regel: Die Nachfrage regelt das Angebot. Durch ihr Einlenken zeigte sich die westphälische Herrschaft jedoch sehr um den Dialog mit ihren Staatsbürgern bemüht. Die Obrigkeit war bereit, Zugeständnisse zu machen und Einbußen in der idealtypischen Entfaltung und Umsetzung der Gleichheitsprinzipien, in den Reformen des Gesellschaftsrechts und in der Etablierung ihres französischen Administrationstypus’ hinzunehmen. In Bezug auf die Sprache erscheint es wichtig zu vermerken, dass die westphälische Herrschaft es offensichtlich bevorzugte, Bittschriften in deutscher Sprache zu erhalten, von den Antragstellern persönlich geschrieben und an die unteren Behörden gerichtet. Der Grund dafür war vermutlich, dass man unnötige Kosten für die Bürger vermeiden und das Wuchern von illegalen Bittschriftenbüros und von dubiosen Abhängigkeitsverhältnissen klientelistischer Art verhindern wollte. Allerdings hatten Bittschriften, die leserfreundliche Bittschriftenkonventionen beachteten und allgemein gut leserlich waren135 , bessere Erfolgschancen. Dies weist auf eine weitere Ambivalenz hin, da solche Bittschriften nicht von jedermann, sondern eher von juristisch Vorgebildeten erstellt werden konnten, während die Obrigkeit gleichzeitig die Bildung eines Bittschriftenmarkts bedauerte. Weil der westphälische Staat mit widersprüchlichen Regulierungsversuchen reagierte, sahen sich die Westphalen offenbar veranlasst, wenn nötig mit Hilfe von Dritten, Bittschriften in französischer Sprache oder in französischem Stil einzureichen. Vor dem Hintergrund der gesamten Fragestellung und in Bezug auf die offizielle Sprachpolitik erscheint es frappierend, dass im Fall des Bittschriftenwesens nicht die Obrigkeit auf eine Französisierung der Kommunikation 135
Auf den zentralen Stellenwert einer guten Handschrift und die Differenzierungsmöglichkeiten des Absenders eines Schreibens, je nach Graphie, wird im Teil C eingegangen. Nicht allein der Inhalt der Bittschrift entschied über die Bewilligung: Auf eine gute Handschrift und ein Wissen um Bittschriftenkonventionen kam es ebenfalls an. Murhard, der eine Fürsprache für die Anstellung Entzeroths, vormals Registrator in der königlichen Bibliothek, als Museumswärter vorbrachte, bemerkte, dass dieser aufgrund seines Alters nicht mehr durch Abschreiben seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 1284, Besoldung des Registrators Entzeroth, 1808–1810: Schreiben von F. Murhard, Bibliothekar, an J. C. von Leist, 23. 11. 1809.
268
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
zwischen administrateurs und administrés drang, sondern dass es die Westphalen waren, die auf Privatinitiative und gegen den Willen der Obrigkeit ihre Bittschriften französisierten, was von einer Sprachpolitik ›von unten‹ zeugt 136 .
136
Es wäre interessant, für die Zeit nach 1813 nachzuprüfen, inwieweit diese Französisierungsmerkmale nachhaltig wirkten, zu einem Zeitpunkt, zu dem Sprachreinigungstendenzen in den Schriften einer intellektuellen Elite sich stark abzeichneten. Im ähnlich gelagerten Fall des Markenzeichens für Zichorien-Kaffee, bei dem die französische Schreibweise für Kaffeebohne noch sehr lange nach 1813 beibehalten wurde, ist die Vermischung von Sprachreinigungstendenzen und Beibehaltung von Französisierungsmerkmalen bezeichnend. Keim schreibt darüber, gestützt auf die Abbildung des Markenzeichens: »Der vormals Westphälische National-Kaffee wird zum Germanischen Kaffee (1815–1819). Die französische Schreibweise für die Kaffeebohne dagegen behält man noch lange bei«. KEIM, »Savoir vivre«, S. 151. Vgl. ferner den Kampf der völkischen Sammelbewegung von radikalen Nationalisten und Sprachreinigern im Übergang vom 19. auf das 20. Jh., die neben der Eindeutschung von Fremdwörtern auch gegen die Antiqua, die ›undeutschen‹ lateinischen Buchstaben, kämpfte und sich für eine Festlegung auf ›deutsche‹ Schrifttypen (Fraktur) für die Druckund Maschinenschrift einsetzte: PUSCHNER, Die völkische Bewegung, S. 27–42; DOERING-MANTEUFFEL, Informationsstrategien, S. 361 f.
IV. Karikaturen
269
IV. Karikaturen: Interdependenz von Bild, Schrift und Erzählung 1. Universelle, länder- und sprachspezifische antinapoleonische Karikaturen Die Karikaturen stellen ein weiteres Medium dar, das in den Wirren der napoleonischen Eroberungspolitik weite Verbreitung fand, insbesondere in der letzten Phase der napoleonischen Ära1 . Dieses einst von der Kunstgeschichte wenig beachtete und von der Geschichtswissenschaft meist nur als Illustration verwendete Bildgenre erlangte in den letzten Jahrzehnten mehr Aufmerksamkeit. Wegen der politischen Brisanz der Karikaturen erscheint es besonders interessant, diese in die bereits dargestellten kommunikativen Strategien der Westphalen einzubetten2 . Insbesondere die antinapoleonische Karikatur, die sich direkt auf Napoleons politische Handlungen, aber auch auf seine Privatsphäre bezog, wies ein breites Repertoire auf 3 . Das Bildmedium hatte den Vorteil, ein europaweites Publikum anzusprechen, denn es konnte sich über Länder- und Sprachgrenzen hinwegsetzen4 . So fällt beispielsweise bei der bekannten Karikatur von James Gillray über die frischgebackenen Staatsoberhäupter Europas eine gleichwertige Behandlung des Königreichs Westphalen mit den anderen Staaten auf, die von Napoleoniden, Familienmitgliedern Napoleons, regiert wurden5 . In dieser Karikatur aus dem Jahre 1806 tritt Napoleon als Bäcker auf, der frischgebackene Figuren der Napoleoniden aus dem Ofen holt 6 . Die Öffentlichkeit, die diese Karikatur erreichen wollte, beschränkte sich ganz offensicht1
2 3
4 5
6
Über die späte Produktionsphase der antinapoleonischen Karikaturen in Deutschland, die sich erst nach dem gelockerten Zugriff der napoleonischen Zensur im Jahre 1813 entwickelte, vgl. L’anti-Napoléon, S. 10, 14 f.; LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 26. Vgl. SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 456; LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 25. Vgl. SCHULZE, Die deutsche Napoleon-Karikatur; CLERC, La caricature contre Napoléon; EGGS (Hg.), Napoleon; SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche; L’anti-Napoléon; MATHIS, BENOIT, Napoleon I.; CILLESSEN, REICHARDT u.a. (Hg.), Napoleons neue Kleider. Vgl. L’anti-Napoléon, S. 63. Die Radierung des englischen Karikaturisten Gillray ist betitelt »Tiddy-Doll the great French Gingerbread-Baker, drawing out a new Batch of Kings«. Vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche; L’anti-Napoléon, S. 8, 42 f.; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 76 f.; vgl. ferner KESSEMEIER (Hg.), Ereigniskarikaturen, S. 162. Eine Karikatur, die ebenfalls die Schöpfung von napoleonischen Staaten zum Thema hat und die 1814 von einem anonymen westphälischen Zeitgenossen erwähnt wird, ist weit ordinärer. Sie stellte Napoleon auf dem Nachttopf dar, Könige produzierend, und war untertitelt: »Was hat wohl Bonapart gespeist, Dass so viel Könige er sch-?«. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 110.
270
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
lich nicht allein auf deutsche Territorien. An eine ähnlich über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zusammengesetzte Öffentlichkeit war wiederum gegen Ende der napoleonischen Ära, im Jahre 1814, die Karikatur »So zerstieben geträumte Weltreiche« adressiert, die den Seifenblasen pustenden Napoleon mit dem jungen König von Rom, seinem Sohn, zeigt. Auf den Seifenblasen sind die Namen der napoleonischen Satellitenstaaten zu lesen7 . Damit wird ein Sinnbild für die Vergänglichkeit der napoleonischen Staatsschöpfungen evoziert. Außerdem vermittelt die Karikatur wahrscheinlich eine moralisierende Botschaft so wie im Fall des »Homo Bulla« von Bartholomäus Bruyn dem Älteren8 . Von der Karikatur der frischgebackenen Napoleoniden und der in Texten parallel aufkommenden Metapher des »neugebackenen Königreichs« 1806 bis zur Karikatur mit den Seifenblasen als Sinnbild der vergänglichen napoleonischen Staatsschöpfungen 1813 hielten sich zwei Konstanten: Zum einen konnte eine breite Öffentlichkeit europaweit über die gleichen Bilder angesprochen und zur Rezeption dieser Karikaturen über die napoleonische Herrschaft aufgefordert werden. Die Bilder waren zum anderen unmittelbar bei ihrer Visualisierung verständlich. Sicherlich war »das Bild […], darüber besteht seit der Antike Konsens, durch eine Anschaulichkeit gekennzeichnet, die dem Begriff abgeht«, denn es hat die Fähigkeit, ein viel direkteres Verständnis als die Schrift zu erzeugen, die erst die Mühen des Lesens erfordert 9 . Allerdings sind Bilder nicht immer von direkt einleuchtender Aussagekraft: Manche fordern ihren Betrachtern mit einer rätselartigen Bild- und Textkombination zur eigensinnigen Deutung und zur sinnstiftenden Findigkeit auf 10 . Die antinapoleonische Karikatur hatte jedoch nicht immer einen solch klaren universellen Charakter wie die beiden exemplarisch erwähnten Blätter11 . Dem europaweiten Adressatenkreis mancher Karikaturen stehen an7 8
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11
Vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 121; SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 74 f., 221–223. Das ältere emblematische Motiv des seifenblasenden kleinen Jungen in der Darstellung von Bruyn wird aufgrund der darin enthaltenen moralisierenden Botschaft von Falkenburg als »visuelle Predigt« ausgelegt: FALKENBURG, Ikonologie und historische Anthropologie, S. 132. Der »Homo Bulla« von Bruyn wurde 2005 in der Ausstellung »Faszination Meisterwerk« des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg gezeigt, mit dem Hinweis auf die Seltenheit des Motivs und auf seine Bedeutung als Sinnbild des Sprichwortes von Desiderius Erasmus »Der Mensch ist eine Blase«. Leider ist dieses Exponat nicht in den Ausstellungskatalog aufgenommen worden. Vgl. Faszination Meisterwerk. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 96. Vgl. L’anti-Napoléon, S. 6. Über eine ähnliche grundlegende Charakteristik der populären Emblemata-Bücher im 17. Jh. vgl. FALKENBURG, Ikonologie und historische Anthropologie, S. 131 f. Über das Verhältnis von wenigen internationalen bzw. über die nationalen Grenzen in Europa hinweg argumentierenden Motiven gegenüber einer Vielzahl von stark national geprägten Motiven der Karikaturlandschaft vgl. L’anti-Napoléon,
IV. Karikaturen
271
dere gegenüber, die sehr land- und/oder sprachspezifisch waren12 . Eine Karikatur solcher Art, die im Jahre 1813 unter anderem im Königreich Westphalen kolportiert wurde, stellte folgende Szene nach: L’empereur entre à Moscou à la tète d’une armée mourante de faim & de froid – il s’est enveloppé d’une peau de bouc, & porte sur la poitrine un ecrit, avec les mots,/ich habe diesen Bock selbst geschossen/J’ai tué ce bouc moi meme. Expression ou proverbe allemand13 .
Napoleon über die deutsche Redensart und in deutscher Sprache eingestehen zu lassen, er habe mit seinem Russlandfeldzug einen Fehler begangen, war in mehrfacher Hinsicht ein Kunststück, das allein in einer Karikatur denkbar war. Hier bediente die Karikatur ausschließlich ein deutschsprachiges respektive zweisprachiges Publikum, das mit der Redensart vertraut war14 . Sie benutzte sogar die kodierte Botschaft einer deutschen Redensart, um Napoleon ins Lächerliche zu ziehen15 . Wie Dagmar Freist für die Flugschriften, die in den Londoner Wirtshäusern des 17. Jahrhunderts im Umlauf kamen, bereits feststellen konnte, verrät der Rückgriff auf Sprichwörter aus der Alltagspraxis die Zugehörigkeit der Adressaten solcher Werke zur Volkskultur: Vor allem bei einer weitgehend nichtlesefähigen Gesellschaft ist die Untersuchung von Öffentlichkeit an den Schnittstellen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit von entscheidender Bedeutung. Die oft bildhafte Umschreibung von Sachverhalten un-
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S. 9 f., 15, 63. Hier wird von einer besonders makabren Motivistik für den deutschen Sprachraum gesprochen. Vgl. ferner CILLESSEN, REICHARDT u.a. (Hg.), Napoleons neue Kleider, S. 34 f. Weitere Länderspezifitäten sind u.a. die Tradition, die Qualität und die Innovation der englischen Karikaturen. So zeichnen sich die Karikaturen aus England insbesondere durch ihre hohe Stichqualität und durch die ausgeprägte und fast avantgardistische Verwendung von Sprechblasen in den Karikaturen selbst aus. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5737–5816, hier Nr. 5763: Schreiben von F. J. H. von Wolff, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Marburg, an J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, Februar 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 12 011: Bericht von C[erfy], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 18. 7. 1813. Die Redensart heißt so viel wie »einen Fehler machen«; »einen Bock schießen« bezieht sich auf einen alten Brauch der Schützengilden, wonach der schlechteste Schütze als Trostpreis einen Bock erhielt. Vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 100 f., 214 f., 251 f. Das Interesse für französische Sprichwörter und ihre Entsprechungen in der deutschen Sprache scheint allerdings ausgeprägt gewesen zu sein, was eine Suche nach einer Übersetzung des deutschen Sprichwortes für die Französischsprachigen, die in Berührung mit der Karikatur kamen, möglich macht. Ein gesonderter Gattungszweig unter den Wörterbüchern konnte hier als Hilfsmittel dienen: Vgl. BELIN, Dictionnaire des Proverbes; SALZER, Recueil de proverbes. Auch Königin Luise von Preußen widerfuhren französische Wortspiele auf ihre Kosten im Rahmen einer französischen antipreußischen Karikatur, vgl. König Lustik!?, Kat. 31.
272
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
ter Einbeziehung von Sprichwörtern und die Anwendung von Schmähreden aus der Alltagspraxis auf Personen in Staat und Kirche lenken den Blick auf die deutlich von der Volkskultur geprägte Verbalisierung und Konzeptualisierung abstrakter Sachverhalte16 .
Die Kombination von Bild und Text ist ein gängiges Mittel bei Karikaturen: Speziell im genannten Fall der Karikatur Napoleons wird der idiomatische Ausdruck des »geschossenen Bocks« versinnbildlicht; die angebotene symbolische Bildersprache wird jedoch durch das Einfügen einer Aufschrift um Napoleons Hals gestützt, damit die Interpretation der Karikatur durch seine Betrachter und Leser nicht fehlschlagen kann17 . Die dadurch nachgewiesenen Bemühungen des Karikaturisten um Unmissverständlichkeit stehen zum Teil in Diskrepanz zur gleichzeitigen Nutzung einer kodierten Sprache, wegen der verlangten Vertrautheit mit der hier erforderlichen deutschen Sprache. Diese Strategie zielte darauf ab, sich einer Art Geheimsprache für einen subversiven Inhalt zu bedienen, die wahrscheinlich den Reiz der antinapoleonischen Kritik erhöhen sollte18 . Die Karikatur setzte sich in diesem Fall auch über die Sprach- und Ländergrenzen hinweg, jedoch auf einer ganz anderen Ebene als im zuvor erwähnten Fall der frischgebackenen Napoleoniden: Dem französischsprachigen Napoleon wurden erstaunlicherweise deutsche Worte in den Mund gelegt. Während diese Karikatur mit den sprachlichen Differenzen spielt, versucht die erste, diese Differenzen durch die Verwendung des Bildmediums aufzuheben, um so ein breiteres Publikum zu erreichen. Beide Karikaturen gemeinsam betrachtet zeigen das große Potential des Mediums »Karikatur« für die Napoleongegner auf: Mal bedienten sie sich der latenten Universalität des Bildmediums, um unmissverständlich das größtmöglichste Publikum zu erreichen, mal ließen sie im Bild mithilfe des Textes, der Bildsprache und des dargestellten Sprachbildes eine kodierte Sprache einfließen, welche die mögliche Zahl der Adressaten der Karikatur einschränkte. Die meisten Karikaturen waren zuerst antinapoleonisch, bevor sie antiwestphälisch waren. Einige Karikaturen waren jedoch sogar speziell für das westphälische Publikum gedacht oder für andere, für die der Modellstaatcharakter des westphälischen Staates ebenfalls ein wichtiges Thema war, so im Fall der Karikatur, in der eine deutsche Magd französische und westphälische Rechtsschriften wie »Stromb[ecks] Rechtswisch« dem Feuer übergibt. 16 17 18
FREIST, Wirtshäuser, S. 212. Vgl. EISELEIN (Hg.), Die Sprichwörter. Über die Interdependenzen von Sprachbild und Bildsprache im Fall von Flugschriften und Flugblättern vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 95 f. Allerdings muss einschränkend bemerkt werden, dass der Autor der Karikatur für die wörtliche Übersetzung ins Französische und überhaupt für den Hinweis, dass er eine Redensart zitierte, selbst bewusst gesorgt hat. Dies beinhaltete einen Appell an das französischsprachige Publikum, sich über die Bedeutung der Redensart zu informieren.
IV. Karikaturen
273
Johann Heinrich Ramberg wird als Autor dieser Karikatur vermutet 19 . Manche Karikaturen wandten sich an länder- und sprachspezifische Öffentlichkeiten, andere waren breiter angelegt; aus dem Kreis der ersteren waren einige in der Lage, eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen. Eine eingehende Analyse einzelner Karikaturen, ihrer Entstehungsgeschichte und Interpretation durch die westphälische Bevölkerung würde an dieser Stelle zu weit führen. Vielmehr wird im Folgenden der Versuch unternommen, den lokalen Wirkungsradius von Karikaturen nachzuzeichnen und anhand der vorliegenden Polizeiakten die Berührung und den Umgang der westphälischen Bevölkerung mit antinapoleonischen Karikaturen zu reflektieren. Mehr als die Inhalte der Karikaturen interessiert hier der Umgang der Westphalen mit diesem Medium und dessen Stellenwert im weiten Spektrum der kommunikativen Möglichkeiten der westphälischen Bevölkerung.
2. Karikaturen im Gespräch und in den westphälischen Polizeiberichten Eine in den untersuchten Polizeiberichten besonders häufig erwähnte Karikatur entstand während Napoleons Rückkehr vom Russlandfeldzug. Sie stellt den König von Rom, den Sohn Napoleons, dar, der diesem entgegenläuft und sagt, er habe während der Abwesenheit des Vaters laufen gelernt. Darauf erwidert Napoleon, er habe auch vor den Russen laufen gelernt 20 . In seinem Rapport vom 25. Februar 1813 berichtete der Polizeiagent Cerfy unter anderem über die Gespräche der Kasselaner: »Auch erzählen sich die Bürger, daß – als Napoleon nach Paris kam, lief ihm der König von Rôm entgegen, und sagte ich habe laufen gelernt, darauf soll Napoléon gesagt ha19
20
OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 68 f. Für eine Abbildung der Karikatur vgl. BOTT (Hg.), Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, S. 563. Mit »Strombecks Rechtswisch« könnte eines von folgenden Werken gemeint sein: vgl. STROMBECK, Prozeßordnung; DERS., Rechtswissenschaft des Gesetzbuches Napoleons; vgl. ferner die Karikatur »Wollt ihr alle mich verlassen?«: vgl. BOUDON, Le roi Jérôme, S. 592; König Lustik!?; vgl. die Karikatur von G. Moutard Woodward, »König ›Jerry‹ verabreicht seine Untertanen westphälisches Wildbret« aus dem Jahre 1807: RIES, Gesänge Zions, S. 135; zur Abwesenheit dieser Karikatur im norddeutschen Raum vgl. OWZAR, Vom Gottesgnadentum zum Verfassungspatriotismus, S. 142. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5737–5816, hier Nr. 5763. Eine weitere Variante bildet folgende Situation ab: »le rhoi de rome ténu par les Lisieres et l’empereur dans un traineau poursuivi par les Cosaques, et par dessous voilà Comment on apprend aux français à marcher«. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858, hier Nr. 9855: Précis individuel et impartial du Caractere, des sentiments des principales perssonnes de cette Ville, Bericht von A. H. Léonnard, französischer Sprachlehrer in Uelzen, Werradepartement, an J. F. M. de Bongars, [2. 2. 1813].
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
ben und ich auch«21 . Bemerkenswert ist, dass die Karikatur eher als Erzählung denn als Bild in Kassel verbreitet gewesen zu sein scheint 22 . Dies überrascht nicht weiter, berücksichtigt man, dass die Karikaturen wie die illustrierten Flugblätter »zu einer semi-oralen, stark von Mündlichkeit geprägten vormodernen Form der Kommunikation gehören. […] Nicht von ungefähr nannte ein Publizist der Revolutionszeit die Karikaturen eine Art ›gesprochene Schrift‹ (›écriture parlée‹) 23 «. Die ausgeprägte Eignung der Karikaturen zur Nacherzählung bewirkte mitunter, dass die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion für die Zeitgenossen verwischte. Die Erzählung von der Karikatur rückte, mehr als die bildliche Darstellung es gekonnt hätte, in der Vorstellungskraft der Kasselaner die Szene von Napoleons Empfang durch den Sohn in Paris noch näher an die plausible Realität heran. Dadurch, dass die Vorlage der Karikatur nicht nötig war, um ihren kritischen Inhalt zu transportieren, kamen selbst Personen, die sich aus Angst vor Repressionen sonst nicht aktiv an der Verbreitung von Karikaturinhalten beteiligt hätten, doch in Berührung mit ihr. Damit erweiterte sich der Rezipientenkreis der Karikaturen in ihren erzählten Versionen. In seinem »unterthänigen Bericht« gab der Polizeiagent Gade die gleiche Erzählung als »Räthsel« weiter, das ebenfalls in Alfeld, nahe Hildesheim, kursierte: Ein Kaufmann aus hiesiger Gegend (den ich jetzt nachforsche) hat, denn hiesigen Kaufleuten in Alfeld, folgendes Räthsel aufgegeben – Worin hat Napoleon jetzt mit seinem Sohne die größte Ahnlichkeit. – Die Antwort hat er am Ende gesagt, wäre die – Napoleon sein Sohn lernte jetzt laufen – und Napoleon auch (er hat damit sagen wolle, Napoleon liefe vor die Russe weg,–24 .
Mal wurde die Karikatur als Erzählung wiedergegeben, mal als Witz oder Rätsel. Damit erlangten die Karikaturen einen noch weiteren Wirkungsradius als ihre Auflagezahlen es vermuten lassen: Billiger als über die Nacherzählung war eine Karikatur wohl nicht zu verbreiten. Auch die unteren
21 22
23 24
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9783, Bericht von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 25. 2. 1813. Auch in Uelzen, wo viele Truppen stationiert waren, sollen die Karikaturen als Erzählungen kursiert haben, so der Sprachlehrer Léonnard in seinem Bericht an den Polizeichef Bongars: »On Dit qu’il parcours plusieurs Karricatures, dont l’une représente le rhoi de rome ténu par les Lisieres et l’empereur dans un traineau poursuivi par les Cosaques, et par dessous voilà Comment on apprend aux français à marcher. La seconde Le Diable aumilieu des Diables avec ses paroles: on peut ou être mieux, je ne les ais pas vues«. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9854–9858, hier Nr. 9855. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 28. Über das narrative Potential der Karikaturen vgl. L’anti-Napoléon, S. 8. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9852–9853, hier 9853, Bericht von Gade, Polizeiagent in Alfeld, Ockerdepartement, an J. F. M. de Bongars, 21. 2. 1813.
IV. Karikaturen
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und weniger bemittelten Schichten konnten ihr politisches Bewusstsein an den ›erzählten‹ Karikaturen schärfen, ohne Kosten für deren Kauf zu haben. Karikaturen wurden so zu einem höchst erschwinglichen und zugänglichen Medium, denn ihre Verbreitung war nicht abhängig vom Preis des Karikaturbogens. Durch das Weiterzeigen oder Weitererzählen im Gasthaus oder im Handelskontor kam auf ein Exemplar eine Vielzahl von Rezipienten. Durch den Erzählmodus wussten zudem die Verbreiter oftmals selbst nicht mehr, dass ihre preisgegebenen Erzählungen, Anekdoten oder Rätsel ursprünglich Druckbilder gewesen waren. 2.1. Affäre Blumenthal oder die ausgedehnte mediale Vernetzung der Karikaturen Der Barbier Johann Ferdinand Blumenthal rühmte sich im Gespräch mit dem Kasseler Gastwirt Arendt und dem Bürger Gethmann im Februar 1813 allerhand subversiver Kunstwerke. Von diesen beiden angezeigt, wurde er nach seiner Verhaftung in einem Polizeiverhör zur Rede gestellt. Es wurde ihm vorgehalten, er habe gegenüber Gethmann geäußert, er sei der Urheber einer Karikatur über den König von Preußen und zeichne außerdem für eine andere Karikatur verantwortlich. Diese stelle den König von Rom und Napoleon dar, letzterer in einer Tonne versteckt 25 . Blumenthal wehrte ab und versicherte, es handele sich bloß um eine Verleumdung seitens seiner Denunzianten. Neben diesen beiden Karikaturen wurde ihm von der Polizei vorgeworfen: Haben Sie sich nicht ferner geäußert, daß Sie auch noch Verfasser von einem Stücke wären, so der Feldzug des Kaisser von Rußland zum Gegenstand gehabt, und worin das Gespräch zwischen dem Kaiser und dem König von Rom vorkömmt nämlich: Vater während Deiner Abwesenheit habe ich laufen gelernt. (L’Empereur) Ich auch habe von den Russen lauffen lernen?26
Worauf Blumenthal entgegnete, diese Geschichte sei ihm zuerst von Arendt erzählt worden. Er bestritt, sich für den Urheber derselben ausgegeben zu haben. Hier fällt auf, dass das Motiv der schon oben erwähnten Karikatur in den Augen Blumenthals und der Polizei als »Stück« galt. Blumenthal wurde außerdem beschuldigt, sich gerühmt zu haben, Verfasser einer Schmähschrift gewesen zu sein: »Haben sie sich nicht kurz vor ihrer Arrestation gerühmt, Verfasser eines Liebelle zu sein, welches bei Gelegenheit eines Nationalfestes auf Napoleonshöhe gegen den H. Maire v. Canstein erschie-
25 26
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 742: Verhörprotokoll von J. F. Blumenthal, 25. 2. 1813. Ibid.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
nen?«27 Auch in diesem Fall wehrte sich Blumenthal gegen die Anschuldigung und wusste die gardes du corps Weiland und Schencke als mutmaßliche Verfasser anzugeben28 . Die Ermittlungen gegen den Barbier Blumenthal als mutmaßlichen Karikaturisten und Pamphletisten ergaben, dass er aus Königsberg stammte, Chirurg beim Blüchner Corps in Stolpe bei Danzig gewesen war und nach dessen Niederlage bei Lübeck in Gefangenschaft nach Nancy kam. Nach seiner Entlassung führte ihn sein Weg durch das Königreich Westphalen, wo er wahrscheinlich im Jahre 1807 entschied, sich in Kassel als Barbier niederzulassen. Neben dieser Tätigkeit vertrieb er Lotteriebillets29 . Bald erkannte die Polizei, dass Blumenthal nicht zu den vielseitig tätigen Opponenten der napoleonischen Herrschaft gehörte, die sich mal als Karikaturist, mal als Pamphletschreiber ausgaben, sondern dass sie es mit einem Angeber zu tun hatte, bestenfalls mit einem, der die Rache seiner Denunzianten infolge eines Streites im Gasthaus zu spüren bekam. Aber selbst wenn Blumenthal nicht der Karikaturist und Pamphletist war, für den er sich gern ausgab oder als den man ihn gern von der Polizei verfolgen lassen wollte30 , so zeigt seine Affäre, dass die westphälischen Bürger über das weite Register der Ausdrucksmittel gegen die napoleonische Herrschaft verfügten und durchaus bereit waren, sich dieser gelegentlich zu bedienen. Blumenthals Vergehen belief sich letzen Endes darauf, vor langer Zeit Geld gefälscht zu haben und zum Zeitpunkt seiner Verhaftung Besitzer eines Buches gewesen zu sein, das von Revolutionen und Aufruhr handelte und nach dem Vorfall konfisziert wurde31 . Das Urteil des Generalinspektors der Gendarmerie, Bongars, fiel entsprechend aus: 27 28
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30
31
Ibid. Vgl. HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 144; KEIM, »Savoir vivre«, S. 138. Es ist im Übrigen interessant, dass ausgerechnet während eines westphälischen Nationalfestes auf Napoleonshöhe eine solche Schmähschrift im Umlauf kam: Eine offiziell einberaumte Öffentlichkeit wurde verwendet, um antiwestphälische Inhalte zu verbreiten und eine Gegenöffentlichkeit zu entfalten. Über den Festkult in westphälischer Zeit und seine Verknüpfung mit Traditionen aus den vormaligen Herrschaften des Königreichs Westphalen vgl. KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«, u.a. S. 532; DERS., Monarchischer Festkult. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 738: Schreiben Nr. 1402 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 22. 2. 1813; vgl. ibid., Nr. 10 741: Schreiben von H. Lang, Polizeikommissar in Kassel, an Bock, Bürochef der Polizeipräfektur in Kassel, 22. 2. 1813; ibid., Nr. 10 742: Verhörprotokoll von J. F. Blumenthal, 25. 2. 1813. Bemerkenswert ist hier ein ähnlich ausgeprägter Hang zur Verstellung, wie bei westphälischen Zeitgenossen wie Dreyssig oder Harckwitz festgestellt, um nur zwei zu nennen, die im Kapitel B II. (Spracherwerb) erwähnt wurden. Die Bittschrift seiner Frau in französischer Sprache an Bongars spricht dafür, dass Blumenthal Opfer eines Streites im Gasthaus geworden war. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 740: Bittschrift der Ehefrau Blumenthal an J. F. M. de Bongars, o. Datum.
IV. Karikaturen
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on n’a rien trouvé chez lui […] il ne resulte pas de son interrogatoire qu’il soit l’auteur des libelles à lui attribués; Celui à l’occasion d’une fête publique donné à Napoleonshöhe n’a pu être fait que par un homme instruit, qui possede des connaissances classiques, et quant à celui où l’on fait parler le Roi de Rome à son auguste père, j’ai tout lieu de croire que Blumenthal n’en est pas l’auteur32 .
Blumenthal schien der Polizei nicht gebildet genug, um als Autor für die zitierten Pamphlete und Karikaturen gelten zu können. Bongars’ Stellungnahme zeigt auch, dass selbst die Polizeiführung über die Karikatur, die den König von Rom und Napoleon gegenüberstellte, als Pamphlet sprach. In der Tat waren Karikaturen im deutschsprachigen Raum oftmals von Pamphleten begleitet: »Comme en Angleterre, la caricature était doublée par le pamphlet, et c’est l’Allemagne qui se montra la plus haineuse et la plus virulente«33 . Diese Verwechslung Bongars’, der von der Karikatur als »libellé« sprach, beweist, wie die Karikaturen, die oftmals Szenen oder Situationen nachstellten und durch diesen Inhalt leicht erläutert werden konnten, weit über die Existenz eines Druckbilds hinaus in Umlauf kommen konnten34 . Durch die Verselbständigung der Nacherzählungen von den Vorlagen, die die Karikaturen darstellten, gewannen diese nicht zuletzt in den Augen ihrer Rezipienten an authentischem Potential; ihr vermeintlicher Wahrheitsgehalt steigerte sich graduell in dem Maße, wie sie sich nicht mehr unmittelbar auf das enge Medium der Karikatur zurückführen ließen35 . Die Nacherzählungen ermöglichten eher, auf wahre Begebenheiten zurückzublicken, als wenn der kritische Inhalt eindeutig seinen Ursprung in einer Karikatur gehabt hätte. Die erzählten Karikaturen erlangten durch die Verselbständigung der kritischen Inhalte von ihrem Träger wahrscheinlich einem ausgesprochen breiten Wirkungsradius. 2.2. Affäre Mathusius oder die Steigerung der kritischen Inhalte aus den Karikaturen Ein weiterer Grenzfall zur Interdependenz von Karikatur und Erzählung verdient erwähnt zu werden. Im April 1811 meldete Bongars dem Justizminister Siméon das Vorgehen gegen die Beteiligten eines staatsfeindlichen Kneipengesprächs: je reconnois depuis longtems l’inutilité des Punitions contre les Bavardages et Déclamations des gens du peuple. 32
33 34 35
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850, Registre Nr. 1 de correspondance du Bureau de la police secrète, 2. 1.–18. 4. 1813: Schreiben Nr. 496 von J. F. M. de Bongars an P. Mercier, 28. 2. 1813. L’anti-Napoléon, S. 15, vgl. S. 7 f., 26 f. So ging z. B. die Karikatur »La poursuite des lapins« von Voltz auf ein Pamphlet zurück. Vgl. ibid., S. 26 f. Das »libelle« war ein kurzes Schriftstück mit satirischem Charakter. Vgl. JOUHAUD, »libelle«. Vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 24.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Cependant il m’est qui deviennent plus importans, par l’objet contre lequel on déclame, et la sorte d’injure proferée–. En conséquence je crois devoir informer V. Ex. qu’il résulte d’une déclaration faite ce matin par un garde de police de retour d’un voyage à Göttingen que le Né Daniel Mathusius, garçon Perruquier a dit mercredi passé 17 de ce mois, dans l’auberge appellée Deutschauss à Göttingue devant plusieurs particuliers: […] ›Notre Roi Jerôme n’est pas un Roi, c’Est un Roi de fabrique et que voulez vous avec tel Roi, il n’est pas Roi né; Et l’Empereur des français est aussi un Empereur de fabrique, il faut enfin qu’ils abandonnent leur Pays‹36 .
Der Entstehungskontext dieses Vorwurfs lässt sich nicht mehr rekonstruieren, allerdings findet sich das Bild der Napoleoniden als »rois de fabrique« ebenfalls in der einleitend erwähnten und europaweit öffentlich bekannten Karikatur über die frischgebackenen Staatsoberhäupter Europas37 . Ob dem Perückenmacherlehrling Mathusius die Karikatur bekannt war, lässt sich nicht mehr feststellen, jedenfalls besteht eine offensichtliche Korrelation zwischen Bildmedium und Erzählung, welche die enge Verzahnung beider Medien nahelegt. Die graphischen Illustrationen und die metaphorischen Aussagemuster bauten zum Teil auf exakt den gleichen Argumentationsstrategien auf 38 . Im berichteten Wirtshausgespräch ging die Erzählung sogar über die Karikatur hinaus, denn selbst Napoleon wurde als ein »roi de fabrique« in Frage gestellt, was bei der Karikatur, in der er den Bäcker abgibt, nicht der Fall ist. Der kritische Inhalt einer Karikatur konnte in ihren Nacherzählungen neue Dimensionen annehmen: Das Medium »Karikatur« besaß die Fähigkeit, leicht Abstand zu seiner Materialität zu gewinnen und in andere Medien überzugehen, um tradiert zu werden. Der hier erkennbare Transfer von der Karikatur zur Erzählung, also vom Bildmedium zur Mündlichkeit, zeugt von der Durchlässigkeit des Mediums »Karikatur«. Das Bild trat zurück, sein Inhalt und seine Aussage wanderten in der Form des Geredes weiter und festigten sich womöglich zu einem »inneren Bild« für die westphälische Öffentlichkeit 39 . Als kollektiv gespeichertes Motiv und Gedankengut 36
37 38 39
GStA PK, V. HA, Nr. 690, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 10. 11. 1810–9. 5. 1811: Schreiben Nr. 5055 von J. F. M. de Bongars an J. J. Siméon, Justizminister, 19. 4. 1811. Vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 76. Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 96. Die Vertreter des »iconic turn« würden in diesem Fall von der Verfestigung zu einem »inneren Bild« sprechen. Vgl. u.a. KITTSTEINER, »Iconic turn«. Der »performative turn« könnte im Fall des Mediums »Karikatur« ebenfalls Anregungen bieten. Die Karikaturen, die oftmals konkrete Szenen oder Situationen inszenierten, besitzen durchaus einen performativen Charakter. Vgl. MARTSCHUKAT, PATZOLD (Hg.), Geschichtswissenschaft und »Performative Turn«. Über die Nähe mancher Karikaturen mit Sprechblasen zu den Pamphleten mit Dialogen und zum Singspiel vgl. folgende Aussage: »La caricature devient alors véritablement narrative, et se rapproche des pamphlets ou vaudevilles dont elle reprend
IV. Karikaturen
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bot es sich den Westphalen an, die in verschiedenen Situationen des Alltagslebens darauf zurückgreifen konnten, um weiterführende Sinndeutungen daran anzuschließen40 . Weitere Karikaturen avancierten sicherlich im Laufe der napoleonischen Ära zu kollektiv gespeicherten »inneren Bildern«. Die Karikatur »Triumph des Jahres 1813. Den Deutschen zum Neuenjahr 1814«, die auf dem Sprachbild des menschenfressenden Napoleons als Reaktion auf die katastrophale Entwicklung des Russlandfeldzugs für die Grande Armée basierte, stieg sicherlich zu einem solchen kollektiven »inneren Bild« auf 41 , zumal die Versinnbildlichung von Napoleon, dessen Expansionspolitik Soldatenleben kostete, nicht nur imaginiert werden konnte, sondern schmerzvoll in die eigene Erfahrungswelt zahlreicher westphälischer Familien einrückte, deren Angehörige nicht mehr zurückkehrten42 .
3. Verknüpfte Bildlichkeit, Schriftlichkeit und Mündlichkeit Ein weiterer Agentenbericht zeigt ebenfalls, dass das Zusammenspiel von Bild und Schrift bei Karikaturen einen entscheidenden Faktor darstellte und dass für die Polizei nicht immer ersichtlich war, welche Darstellungsweise die ursprüngliche gewesen war. Der Polizeiagent van Baerll berichtete: Koszebue doit avoir fait de vers qui ne sont pas a l’avantage de l’E.[mpereur] des français, je crois qu’il en existe des exemplaires en ville, […] le these en est que le.[mpereur] dormant d’un sommeil inquiet a mayence dans son lit de faste couronné de trophées et entourré de la renommée et de la victoire – enfin une estafete
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41 42
les dialogues. C’est ici qu’intervient pleinement la mise en image. La caricature est alors une sorte de synthèse théâtrale, où l’image représente la scène et les acteurs«. Der Leser und Beobachter der Karikatur wird zum Zuschauer. L’antiNapoléon, S. 8. Im Kapitel B VI. (Wappen) werden u.a. gebackene westphälische Wappen thematisiert: Die Querverbindung, die sich zwischen beiden Kapiteln in diesem Punkt am Rand der Untersuchung herstellen lässt, könnte auch zum Hintergrund der Westphalen gehört haben. Könnte das »innere Bild«, die Metapher und Karikatur des frischgebackenen Königreichs, nicht die Westphalen dazu verleitet haben, zeitkritisch die westphälischen Wappen nachzubacken? Auch wenn diese Backwaren nicht als Kritik gemeint waren, dürfte anzunehmen sein, dass manche Westphalen ihre Visualisierung mit dem geläufigen »inneren Bild« ihres frischgebackenen Königreichs konnotierten. Vgl. OWZAR, Eine Nation auf Widerruf, S. 66; vgl. ferner L’anti-Napoléon, S. 6, 9, 15, 62 f. Vgl. BUSCHMANN, CARL (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Die Kategorie »inneres Bild« greift m.E. zu kurz angesichts der weitverbreiteten Trauer in den westphälischen Familien. Von Trauer und Betroffenheit zeugen folgende zeitgenössische Schriften: NIEMEYER, Trost und Erhebung; Namentliches Verzeichniß; vgl. ferner [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 121 f.; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 54.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
arrive il se leve en sursaut; part, veu, emmener la victoire mais elle s’echappe le riedeau tombe alors et le buste de l’empereur de Russie prend la place – ce these fait soupçonner encore une estampe mais elle peut exister en dos de l’arme coaliser mais je m’e crois pas qu’elle a parue en Westphalie43 .
Die Vermutung van Baerlls, wenn sie zutraf, dass die Verse August von Kotzebues einem Kupferstich, einem Holzschnitt oder einer Radierung entsprachen, sind für den Transfer von der Ikonographie zur Schriftlichkeit oder umgekehrt bezeichnend. Die Art, wie er darüber berichtete, zeigt, dass er die Karikaturen selbst nicht gesehen hatte, jedoch über diverse Nacherzählungen in die Lage versetzt wurde, Verse und Druckbild wiederzugeben mit allen dazugehörigen Räumlichkeiten und den darin stattfindenden Handlungen und Emotionen – für seinen Vorgesetzten inszenierte er die theatralische Szene erneut. Seine Mutmaßungen gingen weiter: Die Existenz eines entsprechenden Druckbildes lokalisierte er in den Territorien im Rücken der napoleonischen Armee, während er die Verbreitung der Verse im Königreich Westphalen bedauerte44 . Die Verse oder ihre mündliche Nacherzählung waren leichter zu verbreiten als das Druckbild selbst. Dieses Quellenzitat macht damit auch eine Aussage über die Abhängigkeit, Interdependenz und Komplementarität der verschiedenen Medien45 . Über das symbiotische Verhältnis zwischen sprachlich vermittelter und im Bild veranschaulichter Aussage im Fall der Flugschriften und Flugblätter im 17. Jahrhundert macht Silvia Serena Tschopp folgende Feststellung, die auch für die Karikaturen in der napoleonischen Ära gültig sein dürfte: Piktoriale und sprachliche Aussage weisen […] offenkundige Kongruenzen auf, bedingen sich gegenseitig: Ein adäquates Bildverständnis setzt in aller Regel die Kenntnis schriftlicher Überlieferung und des sprachlich vermittelten Kontexts voraus, auf 43 44 45
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 9, Nr. 4347–4351, hier Nr. 4351: Bericht von T. v[an] b[aerll], Polizeiagent, an J. F. M. de Bongars, 17. 9. 1813. Über die Annahme, dass die Armeen der Koalition die Karikaturen zu Hunderten auf ihren Streifzügen in Deutschland verteilten, vgl. L’anti-Napoléon, S. 12. Vgl. BURKHARDT, WERKSTETTER, Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 2; TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 95. Über die Multimedialität der illustrierten Flugblätter schreiben Lüsebrink und Reichardt: »Überhaupt sind die illustrierten Flugblätter keine fest abgrenzbare Gattung, sondern eine kombinierte Vermittlungsform im Wirkungszusammenhang der Printmedien vom Liedblatt und der Bekanntmachung in Plakatform über die Flugschrift bis hin zur Zeitung und zum Kalender; im Kommunikationsprozeß haben sie eine besonders enge komplementäre Funktion zu Flugschriften und Zeitungen. Während diese SchriftMedien meist mit einem leichten zeitlichen Vorsprung erschienen und eine breitere, oft aber auch diffusere, schnell veraltende Information liefern, erfüllt das Nachrichtenbild die ergänzenden Aufgaben sowohl der prägnanten Zusammenfassung und didaktischen Vereinfachung, der visuellen Vergegenwärtigung und des ›Beweises‹ als auch der suggestiven Deutung und Wertung und kann sich so dem Gedächtnis nicht zuletzt des ›Gemeinen Manns‹ tiefer und nachhaltiger einprägen als reine Texte«. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 24.
IV. Karikaturen
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die eine bildliche Darstellung unmittelbar oder mittelbar rekurriert. Der Text wiederum bedient sich des Bildes, um den verbal abgesteckten Deutungsspielraum zu konturieren und um seiner Botschaft optische Prägnanz und damit stärkere Wirkung zu verleihen46 .
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Verbreitung von Karikaturen nicht ausschließlich an papierne Druckbilder gebunden war, ist neben den ›nacherzählten Karikaturen‹ auch die zentrale Bedeutung von Gegenständen und Accessoires als Unterlage für Karikaturen.
4. Karikaturen auf Alltagsgegenständen oder die zeitkritische materielle Kultur der Westphalen In den Polizeiakten wird von Karikaturen berichtet, die auf den verschiedensten Gegenständen abgebildet waren. Der Polizeiagent Cerfy informierte Bongars am 8. Februar 1813: »Zu Leipzig sol eine Caricatur, auf dosen gemahlt geben, wo Napoleon mit einem Stok im Schnee herum kratzt, und unten stehet, ich suche meine Armée. – Zu Brag wurden auch solche Caricaturverwerdiget«47 . Es scheint, dass eine Art Tarnung durch die Verwendung von Alltagsgegenständen zur Verbreitung von Karikaturen ihrem subversiven Inhalt besser gerecht wurde; zugleich wurden deren Besitzer in dieser Ansicht bestätigt, indem damit die Notwendigkeit einer Tarnung zur Zirkulation der staatskritischen Botschaft suggeriert wurde. »Auf die Napoleonischen Kriege nehmen verschiedentlich spöttisch-kritische Darstellungen auf den Dosendeckeln Bezug, die die Person Napoleons karikieren«, bestätigt Detlev Richter48 . 46 47
48
TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 94 f. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9784: Bericht von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 8. 2. 1813. Hier kann an die Affäre Grosse erinnert werden: Grosse hatte eventuell diese Karikatur oder für die Vertreter des »iconic turn« dieses »innere Bild« parat, als er am Rand des »Westphälischen Moniteur« eine Meldung über den Russlandfeldzug dahingehend kommentierte, dass die Soldaten wieder auftauchen würden, wenn der Schnee schmelzen würde. Zum »iconic turn« vgl. Anm. 39 und die Ausführungen über die Affäre Grosse, siehe Online-Kapitel über das Medium »Brief«, http://halshs.archivesouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). RICHTER, Lackdosen, S. 31. Die Lackdosen hielten, nachdem sie zuvor eine Exquisitware für den Adel und für höfische Kreise gewesen waren, ab Ende des 18. Jh. und bis Mitte des 19. Jh. nun auch in den wachsenden städtischbürgerlichen Kreisen Einzug und avancierten zu einem wesentlichen Statussymbol. Die Schnupftabakdose insbesondere wurde zum bekanntesten Markenartikel der Braunschweiger Lackmanufaktur Johann Heinrich Stobwasser. Über die Manufaktur Stobwasser vgl. RICHTER, Lackdosen; DERS., Stobwasser. Das Motivspektrum der Lackdosen war breit: Die Miniaturmalereien auf kleinstem Format machten keinen Halt z. B. vor der Darstellung gewimmel- und handlungsreicher Schlachtenszenen. Die Motive reichen von Alltagsszenen, Genremalereien und Bildnissen über Landschaften und Historie, Lyrik, Theater, An-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 17: Schnupftabakdose »Napoleon reist von Moskau nach Paris«, Manufaktur unbekannt, um 1815, 1,7×9 cm, Privatsammlung. Ein wandernder Russe mit Wanderstab trägt nach Napoleons Niederlage den französischen Kaiser im Rucksack zurück nach Paris.
Die Verbreitung von Karikaturen erfolgte durch eine Vielzahl von Möglichkeiten. Tabaksdosen oder Pfeifen mit ihren unverkennbar gesellschaftlichen und repräsentativen Funktionen waren als Träger für antinapoleonische Porträts, aber auch für Karikaturen besonders beliebt 49 . Die vor-
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tike, Mythologie; sogar lüsterne Motive im Doppelboden prägen den Charakter etlicher Lackdosen. So gibt es auch Dosen, die Historie und Frivoles verbinden, wie etwa die Dose, die Napoleon mit seiner Mätresse darstellt. Vgl. RICHTER, Lackdosen, Kat. 288; vgl. ferner GLANZ, Historisches und Frivoles. Die Dosen mit erotischen Motiven sind vornehmlich bei Stobwassers Konkurrenz entstanden, allerdings sind auch solche Dosen in der Fabrik der pietistischen Familie Stobwasser entstanden. »Offenbar erfreuten sich Dosen mit pikantem Innenleben besonderer Nachfrage, insbesondere beim Militär, und versprachen daher guten Absatz. Die guten Verkaufsaussichten mögen die sittlichen Bedenken entkräftet haben«. RICHTER, Stobwasser, S. 83. Der anonyme Autor der »Garküche an der Fulda«, liefert einige Informationen über solche Dosen, die mit Porträts versehen waren, sowie ihre Verbreitungswege: »Oder hieß es nicht den Schatten an der Wand fürchten, als man die lackirten Dosen mit dem Bildnisse des Herzogs von Oels, Schills und Hofers, oder dickes dreifache Kleeblatt auf einer und derselben Dose confiscirte und einem Kaufmann auf der Casseler Messe mehrere Dutzend davon wegnahm, welche die Polizeiagenten doch nachher selbst wieder mala fide unter der Hand verkauften?« Ihm zufolge waren selbst die Polizeiagenten in den Kolportagehandel der subversiven Dosen nach deren Konfiszierung involviert. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 54. Über Karikaturen auf Dosen vgl. L’anti-Napoléon, S. 27, 32, 63, 70, 74. Die Mehrzahl der gesichteten Polizei- und Agentenberichte über die Pfeifen und Tabakdosen betreffen solche, die mit Porträts zum Andenken an antinapoleonische Helden verziert waren. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 697, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 1. 8.–26. 10. 1811: Schreiben Nr. 3108 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig; ibid., Schreiben Nr. 3123 von
IV. Karikaturen
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geschlagene Bezeichnung »Alltagsgegenstände« für diese außergewöhnlichen Träger der Karikaturen mit Geselligkeitscharakter sollte über deren Anziehungskraft als besondere Schmuckstücke nicht hinwegtäuschen – sie hatten bereits als Sammler- und Liebhaberobjekte gedient. Ihre Qualifizierung als Gebrauchsgegenstände wäre korrekter50 . Der Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu besitzen ist für den Erfolg der Lackartikel ausschlaggebend51 . Man reichte seine staatskritische Pfeife sicherlich mit verdecktem oder demonstrativem Stolz herum, zumal die französischen Einwanderer sich über die Rauchgewohnheiten der einheimischen Westphalen besonders erregen konnten52 . Dadurch ergab sich eine Verdoppelung des staatskritischen Akts: die Karikatur, verbunden mit der missbilligten deutschen Rauchgewohnheit. Es dürfte anzunehmen sein, dass die darin enthaltene Provokation das soziale Ansehen der Besitzer in den Augen ihrer Gefährten erhöhte – zudem, wenn sie sich der Wachsamkeit der Polizeiüberwachung entzogen. Der praktische Charakter lässt sich ebenfalls nicht leugnen: Eine Tabaksdose konnte man sicherlich leichter in die Hosentasche stecken und unauffällig herumreichen als ein empfindliches Druckbild – weniger kompromittierend war sie allerdings nicht. Bei seiner Tabaksdose konnte man jedoch auch wählen, wem man sie zeigte. Diese Gegenstände nahmen einen fes-
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J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz; GStA PK, V. HA, Nr. 698, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 28. 10. 1811–März 1812: Schreiben Nr. 3800 von J. F. M. de Bongars an F. J. H. von Wolff, 13. 12. 1811; GStA PK, V. HA, Nr. 699, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 4. 3.–7. 7. 1812: Schreiben Nr. 1152 von J. F. M. de Bongars an Mertens, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, 18. 5. 1812; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 11 969: Rapport Nr. 86 von C. E[skuchen], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 1. 6. 1813. Vgl. auch THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 185. Klein führt zu Recht an: »Lackwaren waren Luxuswaren«, denn die Herstellung war recht aufwändig. KLEIN, Lackmanufaktur Stobwasser, S. 659, vgl. ferner S. 658. RICHTER, Lackdosen, S. 16. Auch die französischen Einwanderer trugen zu diesem Markterfolg bei, denn auch sie waren von der Qualität der Stobwasserschen Lackartikel sehr angetan. Stobwasser, wie im Übrigen seine Konkurrenten, hielten in ihrem Motivrepertoire eine breite Auswahl an Porträtierten bereit, so dass man »jeder persönlichen Vorliebe gerecht wurde«. DERS., Stobwasser, S. 80, vgl. ferner S. 36 f., 45 f. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 41; [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 381; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 90; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 102. Tatsächlich scheinen die Streitigkeiten der Westphalen französischer und deutscher Herkunft über die Rauchgewohnheiten im öffentlichen und privaten Raum während der westphälischen Herrschaft als deutsch-französische kulturelle bzw. vermeintlich ›nationalkulturelle‹ Unterschiede wahrgenommen und angesprochen worden zu sein.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 18: Pfeifenkopf mit buntem Bild »Rückzug der Franzosen 1812« und Metalldeckel, nach 1812, Porzellan, H: 12,5 cm, SML, Po 346.
ten Platz in den Attributen der Staatskritiker ein: Generalpolizeikommissar Wolff berichtet in seiner »Kurzen Darstellung«, wie Polizeiagenten mit ihnen ausgestattet wurden, um sich den »Räsoneurs«, die so unvernünftig waren, sich gegen die Staatsräson zu äußern, besser anzunähern und von ihnen als ihresgleichen angenommen zu werden53 . Er zitiert den Bericht eines Kasseler Polizeiagenten aus dem Jahre 1812, den er zufällig vorgelegt be53
Über die Staatsräson vgl. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 23, 79 f.; MAIER, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 17; PUHLE, Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, S. 65; STOLLEIS (Hg.), Staat und Staatsräson; LÜDTKE, Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, S. 27 f.
IV. Karikaturen
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kommen haben will: »In Helm logiren zwei sehr verdächtige Fremde. Sie hüten sich gewaltig im Sprechen, werfen die Augen umher, und müssen also wohl beobachtet werden. Meine Schillsdose soll ihnen den Mund öffnen«54 . Erläuternd für den unerfahrenen Leser seiner legitimierenden »Darstellung« fügt Wolff zu den Schillsdosen hinzu: »Die Spione bekamen weggenommene Dosen mit dem Bildnisse Schills, Hofer, des Kaisers von Rußland, des Herzogs von Oels u., um damit den Fremden Tabak anzubieten, und sie zum Sprechen zu reizen«55 . Demnach avancierten die besagten Dosen oder Pfeifen, ob sie mit einem Porträt eines Feldherrn, eines renommierten napoleonischen Gegners oder einer Karikatur versehen waren, zu Erkennungszeichen, die unmittelbar die politische Orientierung ihrer Träger verrieten. Der folgende Bericht des Polizeiagenten Cerfy macht diese Funktion deutlich: Den 28 v. Monats frühstükten der Obrist von Bauer und Lieut. von Hornstein im Adler zu Schmalkalten, ersteres rauchten eine Pfeifenkopf gannen mit dem Bildniß von Prinz Oehls – der andr mit ein Sinnbild wo ein Aug – und ein Ohr darauf stand, untstand – und schweigen, ich sagte zu dem Lieut. – was das bedeiten soll, darauf sagte er mir mann muß von den Grausamkeiten der grosen nichts sprechen, hernach sagte er wir gehen nach Haus, um uns wiederum zu organisiren, und den künftige Kinder werden mir der nehmliche Schiksal erleben56 .
Bemerkenswert ist hier der Hinweis, dass die Dosen oder Pfeifen zunächst als politisches Erkennungszeichen für Gleichgesinnte unter Verschwiegenheit fungierten und ihre Träger es nicht mal mehr nötig hatten, »den Mund zu öffnen«, um in der Öffentlichkeit mit politischem Gerede aufzufallen. Ein anderer Anlass zum Herumreichen einer Tabaksdose wird vom westphälischen Sergenten Kroschke genannt, der im Auftrag seines Chefs verdeckt dem Jahrestag des Zusammenstoßes der westphälischen Truppen mit dem Herzog von Braunschweig-Oels am 1. August 1809 bei Ölper beiwohnte57 : [Als wir] nach den Förster kammen, forderdten sie gleich ein Bodelligen Schnaps, und befahllen der Musicus an sie sollen spiellen es lebe Friedrich Wilhelm hoch, hoch Friedrich Wilhelm hoch. Der Musicus Backe welcher es auch spuelete, und die Geselschaft darzu gesungen hat, und jeder einen guden gb. bezahlt, und ich Ebenfals da ich mit darundter sass. Der Aufreger dafon war namens Schiedte, und Reimman 54 55 56 57
WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 18. Ibid. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9784: Bericht von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 8. 2. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 5, Nr. 2613–2655, hier Nr. 2617: Schreiben Nr. 687 von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 5. 8. 1812; ibid., Nr. 2630: Schreiben Nr. 697 von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 13. 8. 1812. Über den Zusammenstoß zu Ölper vom 1. 8. 1809 vgl. HÄNSELMANN (Hg.), Treue Bauern; DREYER, Gefecht von Oelper; KORTZFLEISCH, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig; VOGES, Zur Geschichte des Gefechtes bei Oelper; MACK, Braunschweig; ROSENDAHL, Das Rätsel von Oelper; PUHLE, Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, S. 493, 502.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 19: Schnupftabakdose mit Profilbildnissen des Herzogs von BraunschweigOels, Andreas Hofers und Ferdinand von Schills, Manufaktur unbekannt, um 1815, 2,5×9,5 cm, Privatsammlung Braunschweig. Die hier gutmütig und Seite an Seite dargestellten antinapoleonischen Volkshelden führten ihre bewaffneten Aktionen zwar aufeinander aufbauend, jedoch ohne weiterführende Verbindung miteinander durch. In der Nachwelt wurden die Verbindungslinien zwischen ihnen gern kultiviert 58 .
nimt das glaus und sagt jetz trunncke ich dem dem ich zu taencke des magens balde wieder einmal besuchen; aber nicht in so einer lage als die er uns hat verlassen missen sagt sömtliche geselschaft, es sind nun , der Schurdte kriegt die Schauhtaback Tohse raus und giebt sie herum wo sich der Herzog drauf befand, da sie nun rum war sagten sie dreistes auch Werth das wir in die Ehrre anthün, er soll auch 2 Teller liegen, es [werden] 2 Teller genommen und wurde auf jeden ein Theil der Tohsse gelegt was und gibt, jetz hiest aus alle alte Deudsche sollen leben, und auser alter Primas hier, armlich des Herzog den sie for sich hadten59 .
Bei diesem Jahrestag, reichlich mit »Schnaps« begossen, wie der Sergent Kroschke hervorgehoben in lateinischer Schrift berichtet, standen die Tabakdosen mit dem Porträt des Herzogs von Braunschweig-Oels im Mittelpunkt, auf zwei Tellern erhöht, damit des Herzogs auch gehörig gedacht und für ihn gesungen werden konnte. Was die Kosten anbelangt, so bedeuteten die Karikaturen auf den Dosen sicherlich eine größere Investition als die Druckversion, auch wenn gravierende Unterschiede in der Qualität der Ausführung bestanden60 . Edle Ausführungen von tabatières, beispielsweise mit den Porträts Napoleons und Jérômes und mit Diamanten besetzt, wurden im Zuge der Plünderungen 58 59 60
Eine weitere Schnupftabakdose mit den gleichen drei Porträts, jedoch mit kämpferischerer Ausrichtung, ist abgebildet in: König Lustik!?, Kat. 450. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 5, Nr. 2613–2655, hier Nr. 2631: Rapport von Kroschke, Sergent, an F. T. de Guntz, 1. 8. 1812. Im Zuge der napoleonischen Kriege war die Nachfrage nach Lackarbeiten mit Darstellungen aus den Befreiungskriegen, von Schlachtenszenen über Porträts Napoleons und der antinapoleonischen Feldherren so groß, dass die Manufaktur Stobwasser ihre Produktion auf schnellere Vervielfältigungstechniken umstellte. Vgl. RICHTER, Stobwasser, S. 78.
IV. Karikaturen
287
während des Schlossbrands in Kassel gestohlen: Die Pfeifen und Dosen mit Porträts gehörten zu den Requisiten des königlichen Schatzes ebenso wie sich qualitativ variierende Ausführungen im Besitz der Westphalen fanden61 . Über die verschiedenen erhältlichen Karikaturen-Produkte, von der Nacherzählung über das klassische Druckbild bis hin zu den Darstellungen auf Alltags- oder Geselligkeitsgegenständen, die auf dem ›Kommunikationsmarkt‹ der Westphalen angeboten wurden, öffnet sich ein kommunikatives Spektrum, das offensichtlich in verschiedenen Gesellschaftsschichten Geltungsanspruch erlangen konnte. Eine edle Ausführung stellte wahrscheinlich als Unikat die Pfeife dar, die der Göttinger Student König für einen Freund extra anfertigen ließ und die einen lokalen Streit zwischen zwei Burschenschaften darstellte, um an diese verbotenen Institutionen zu erinnern62 . Generalpolizeikommissar Mertens berichtete dazu nach Kassel: Il m’étoit rapporté que le Sr. König, étudiant de cette université avoit fait faire une tête à pipe ornée d’une peinture laquelle represantoit un duel entre des étudiants et avec la devise ›virtute duce comite fortuna‹ au dessous de laquelle beaucoup de noms étoient peints. Je me fis exhiber cette tête de pipe et j’appercus bientôt que la peinture se rapporte à un duel qui a eu lieu le 19 Juillet 1812 entre la société des étudiants de l’ancien pays de Brême et celle des étudiants de l’ancien pays de Hesse et que les noms sont ceux des personnes qui à cette époque se trouvoient être membres de la société des étudiants de l’ancien pays de Brême. Cette société étant supprimée comme toutes les autres, cette tête de pipe ne paroit plus avoir quelque valeur, mais conservant du moins la memoire du temps florissant de la société j’ai fait au possesseur la défense formelle d’en faire un usage quelconque. Il m’a cependant assuré qu’il ne l’avoit pas fait faire pour en faire usage mais pour en faire cadeau à un ami qui depuis cinq mois a quitté l’université63 .
Die Szene war mit einem lateinischen Motto unterlegt, das den Polizeibeamten nicht unmittelbar einleuchtete. So schrieb der ebenfalls involvierte Polizeikommissar Haas dazu: »Le motto paroit montrer qu’il s’agit d’une
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63
Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 698: Rundschreiben Nr. 3669 von J. F. M. de Bongars an die Generalpolizeikommissare der Hohen Polizei, 28. 11. 1811; HEPPE, Das Schloß der Landgrafen von Hessen, S. 291. Für die Innenausstattung des Braunschweiger Schlosses wurden von König Jérôme Lackartikel der Manufaktur Stobwasser in Auftrag gegeben. Vgl. RICHTER, Stobwasser, S. 45 f. Vgl. u.a. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8041–8158, hier Nr. 8098: Schreiben Nr. 91 von Haas, Polizeikommissar in Münden, Fuldadepartement, an J. F. M. de Bongars, 28. 2. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 470 von J. F. M. de Bongars an Haas, 26. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 475 von J. F. M. de Bongars an Mertens, 26. 2. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8041–8158, hier Nr. 8099: Schreiben Nr. 163 II. Sekt. von Mertens an J. F. M. de Bongars, 24. 2. 1813. Vgl. ferner THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 307–313.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
société politique«64 . Bemerkenswert ist an diesem Fall auch, dass der bereits erwähnte Geselligkeitscharakter offensichtlich mit Schenkungspraktiken gepaart war65 . Die Besitzer dieser Gegenstände hingen in vielen Fällen sehr an ihnen, wie die Braunschweiger Polizeibeamten bei deren Konfiszierung feststellen mussten: Ein Tabakdosenbesitzer wurde sogar handgreiflich, weil er seine Dose nicht hergeben wollte66 . Bongars musste einen Generalpolizeikommissar daran erinnern, er solle die besagten Gegenstände trotz wiederholter Anfrage ihrer Besitzer nicht wieder zurückgeben, sondern diese allesamt vielmehr zu ihm nach Kassel übersenden. Von den Westphalen in breitem Umfang rezipiert ist auch der bereits erwähnte Fall eines Konskribierten, der angeblich von einem Gendarmen in Marburg erschlagen wurde, weil er sich weigerte, die Pfeife aus dem Mund zu nehmen67 . Die Beziehung der Westphalen zu ihren Pfeifen war sicherlich emotional geladen: Man starb auch patriotisch durchaus mit der Pfeife in der Hand, so ein Aufständischer, der infolge des Dörnberg-Aufstands gegen Jérôme hingerichtet wurde: »ein alter Oberst [starb] mit der Tabakspfeife in der Hand unter dem Rufe: ›Es lebe der Kurfürst!‹«68 Einige dieser Objekte wurden sicherlich im Königreich Westphalen produziert – Braunschweig wird als Produktionsort für Pfeifen mit antinapoleonischen Porträts in den Polizeiberichten genannt 69 . Andere wurden über Kolportagehandel 70 aus dem Ausland importiert, so beispielsweise aus Sachsen71 , wo auch der Student König den Auftrag zu seiner speziell angefertigten Pfeife aufgegeben hatte72 . 64
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8041–8158, hier Nr. 8101: Schreiben Nr. 84 von Haas an J. F. M. de Bongars, 25. 2. 1813. Vgl. u.a. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 314 f. Weiterführend vgl. SACHSE, Göttingen im 18. und 19. Jh.; FREVERT, Bürgerlichkeit und Ehre; FÜRBRINGER, Metamorphosen der Ehre; FREVERT, Ehrenmänner. Über weitere Hinweise zu den Schnupftabakdosen, Dosen und Pfeifenköpfe als Geschenk und Freundschaftsband vgl. RICHTER, Stobwasser, S. 45 f. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 697: Schreiben Nr. 3136 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 183. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 17. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 698: Schreiben Nr. 58 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, 10. 1. 1812. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 113 von J. F. M. de Bongars an L. Freiherrn von Hohenhausen, Unterpräfekt in Eschwege, Werradepartement, 16. 1. 1812; vgl. ferner GERSMANN, Le monde des colporteurs parisiens. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 698: Schreiben Nr. 113 von J. F. M. de Bongars an L. Freiherrn von Hohenhausen, 16. 1. 1812; GStA PK, V. HA, Nr. 699: Schreiben Nr. 1419 von J. F. M. de Bongars an den Grafen N. A. M. Rousseau de SaintAignan, französisch-kaiserlicher Minister an den sächsischen Hof in Weimar, 12. 6. 1812. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8041–8158, hier Nr. 8098: Schreiben Nr. 91 von Haas an J. F. M. de Bongars, 28. 2. 1813.
IV. Karikaturen
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Auch bei dem nachfolgend beschriebenen Fall ist nicht mehr eindeutig festzustellen, ob es sich um eine getarnte Karikatur handelte. Eine Medaille wurde zum Vehikel für einen antinapoleonischen Streich außergewöhnlicher Art. Cerfy, der Polizeiagent, der sich besonders in den Kasseler Gasthäusern umhörte und umsah, wusste am 15. Juli 1813 zu berichten: Gestern war die Rede im Bierhaus beym Pfeiler in der Wilde Mannsgaße von Münz fortes, da sagte, der Musikmeister von leichten Infanterie, daß er 3 Münzforten haben, darauf zog er seine Pörse heraus, nahm eine Metaille heraus, wo auf einer Seite gepregt ist, der Peüische Adler, und der französischer Adler, die beide sehen sich an, und oben siehet der deppelder Rußischen auf beide Adler herunter – Auf der andre Seite, stehet, denkmahl, der Schlacht bey Lützen – Der Musickmeister explecirte, dieses Sinnbild, wie folgete die beiden Adler sehen sich an, und wißen nicht was Sie thun wollen aber der Russischer Adler ist über beide – Ich sagte zum Musickmeister, ob man diesen Metaille nicht hier haben kann, er sagte nein, sie sind zu Halle zu haben, ich fragte bey wem, dann ich wollte mir auch einen kommen laßen, darauf sagte er, und noch ein Chasseur Carabinier welcher dabey war, Es ist verbodene Ware, es sind mehrere unterm Batallion, Es ist zu beobachten, als der obgedachtee, die Metaille mir zeigte, war sie an eine Couleurten Band gehäftet, wo noch etwas daran befestigt war, dieses aber lies er nicht sehen, sondern hielt es fest in der Hand, das ist sehr suspect. Observation: Wann man obgedachtes Maitre de Musique durch seinen Officirs, citiren läßt, so wird er die Metaille auf seite thun – Durch ihm kann man den Verferdiger und die andern Inhaber erfahren73 .
Es sind zwar keine Verhörprotokolle überliefert, die davon zeugen, ob der Musikmeister der leichten Infanterie und seine Kompagnons nun selbst verrieten, wie man in Halle an die Medaillen herankäme oder ob die dortige Lokalpolizei von selbst den Ursprung und die Verbreitung der Medaillen aufgrund der unvorsichtigen Wirtshausangaben der Kasseler Soldaten ausmachen konnte. Die darauffolgenden polizeilichen Maßnahmen lassen die Vermutung zu, dass sie wahrscheinlich ungewollt die Polizei auf die richtige Spur setzten: des grenadiers de la garde et des chasseurs carabiniers acheterent la veille de leur départ de Halle des medailles en etain representant d’un coté les aigles de France, de Russie et de Prusse entourés des mots: Frankreich, Russland, Prussen, de l’autre est l’inscription suivante: Denkmal der grossen Schlacht bey Lützen den 1eu 2ten May 1813. Les militaire qui ont acheté de ces pieces, ont declaré qu’elles leur ont été vendues par une femme d’environ cinquante ans, de très petite taille, et fort maigre de figure, qui avoit une boutique mobile sur la place du marché et vendoit aussi des gravures representant les portraits de differents Souverains et autres personnages de marque ainsi que des chansons. […] Je vous charge Me. le sous Préfet de faire rechercher cette femme et de la faire interroger sur la source de la quelle elle a tiré ces medailes: Vous profiterez de cette occasion pour faire examiner tous les objets de sa boutique. Dans le cas ou l’on trouveroit parmis ses marchandises des objets qui la rendissent suspecte, ou qu’elle ne peut pas justifier de qui elle tient les medailles en question, vous la ferez mettre en 73
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 12 014: Bericht von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 15. 7. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
prison jusqu’à nouvel ordre de ma part. Dans tous les cas il faudra saisir toutes les medailles que l’on trouvera dans sa boutique, elle doit en avoir de plusieurs especes et il va sans dire que celle dont l’emprunte se conforme à nos principes politiques ne seront pas saisies74 .
Hier ist ebenfalls eine Lücke in der Quellenüberlieferung zu dem Vorfall zu verzeichnen; allein aus einem Register über die Personen, die im Kastell in Kassel, dem Staatsgefängnis des Königreichs Westphalen, inhaftiert wurden, lässt sich rekonstruieren, dass die Verkäuferin der Medaillen auch deren Anfertiger angeben konnte. Johann Ernst Fischer, Graveur aus Halle, wurde am 29. Juli 1813 ins Kastell verbracht mit folgendem Eintrag zu seinem Vergehen: »Ayant gravé des medailles équivoques sur la bataille de Lutzen«75 . Es ist anzunehmen, dass Fischer erst nach Auflösung des Königreichs Westphalen auf freien Fuß gesetzt wurde. Diese Art Taschen-Denkmal (monument de poche), die aus seiner Werkstatt stammte, hatte einen äußerst praktischen Charakter: Es ließ sich in der Hosentasche herumtragen und die Medaille erkannte man durch ihr Format nicht auf den ersten Blick als subversive Gedenkmedaille. Sie konnte auch als Münze unter anderen untertauchen, und obgleich sie im Format handhabbarer war als ein wirkliches Denkmal, besaß sie durchaus dessen Monumentalität 76 . Auch war es einfach, sie in der Runde unauffällig herumzureichen. Die Raffinesse im Fall der Gedenkmedaille oder des Taschen-Denkmals bestand auch darin, dass sie sich der offiziellen Embleme bediente, damit eng entlang den verherrlichenden Darstellungen napoleonischer Triumphe argumentierte und dennoch diese staatseigenen rhetorischen Mittel letztlich zu einem Spottbild umfunktionierte77 . 74
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 851,1], Registre de Correspondance du Sécrétariat général de la haute police, 1. 7.–24. 9. 1813: Schreiben Nr. 1846 an den Unterpräfekten in Halle, 21. 7. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées, où sont indiqués les NN d’ordres, date de l’entrée, les noms et prénoms des susdites personnes, les signalements, les motifs de l’arrestation, les décision, dates de la sortie et les observations différentes la-dessus, depuis le 1811, 1812, 1813: Eintrag Nr. 323. Um 1800 lieferte Fischer in Zusammenarbeit mit dem bereits in Kapitel B II. erwähnten Buchdrucker Dreyssig ein einmaliges pädagogisches Werk, ein »Realienbuch für die Jugend«, das Buch und Zinnfiguren kombinierte. Vgl. SCHRAUDOLPH, Eisvogel trifft Klapperschlange, bes. S. 25, 44. Vgl. zur Denkmalkultur mit medialem und monumentalem Charakter im 19. Jh., die auf die napoleonische Ära zurückgeht: KELLER, SCHMID (Hg.), Vom Kult zur Kulisse; vgl. auch NIPPERDEY, Nationalidee und Nationaldenkmal; BISCHOFF, Denkmäler der Befreiungskriege; KOSELLECK, Kriegerdenkmale, S. 255–276; LURZ, Denkmäler der Befreiungskriege; DERS., Kriegerdenkmäler; KOSELLECK, JEISMANN (Hg.), Der politische Totenkult; KORFF, Materialität der Erinnerung; BERDING, HELLER (Hg.), Krieg und Erinnerung; GERSMANN, WOLFRUM (Hg.), Totenkult und Erinnerungskultur. Das Format der Münzen wurde auch von den kaiserlichen Sinnproduzenten in der napoleonischen Propaganda ausgiebig verwendet. Vgl. OWZAR, Zwi-
IV. Karikaturen
291
Abb. 20: C. G. H. Geißler, Die englischen Waaren werden vernichtet, Leipzig, 1810, Radierung, 11 × 19 cm, SML, Nap. II 112. Wegen der Kontinentalsperre fanden öffentliche Verbrennungen von englischen Waren allerorten im Königreich statt 78 . Ein westphälischer Zeitgenosse berichtet: »Wir haben zu Halberstadt einen Berg solcher Fabrikate auf offenem Markte in Flammen aufgehen sehen; es war ein politisches autodafé (Glaubensschauspiel) und zugleich ein warnendes Exempel des Kontinentalsystems, d.i. der Absperrung des ganzen europäischen Festlandes gegen den Verkehr mit England«79 .
In einem weiteren Sinn, wenn auch nicht satirisch unterlegt wie bei der Gedenkmedaille, bediente sich auch die oben erwähnte westphälische Karikatur mit der Magd, die französisches und westphälisches Schriftgut ins Feuer gibt, aus dem »Handlungsrepertoire« der westphälischen Herrschaft 80 . Armin Owzar stellt in Bezug auf den sinkenden Stern Napoleons in Europa fest, dass »sämtliche Topoi und Strategien, deren sich die napoleonischen
78 79
80
schen Gottesgnadentum und Verfassungspatriotismus, S. 136; ZEITZ, Napoleons Medaillen. Andere Spott- und Volksmedaillen enthielt die Sammlung Schwering, vgl. ZEITZ, Die schönen Kehrseiten S. 388, 390. Vgl. König Lustik!?, S. 450 f., Kat. 382; BUTTKEREIT, Zensur und Öffentlichkeit, S. 33. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 80; vgl. Bulletin des Lois, Erster Band, 2 1810, Nr. 16 – Dekret vom 5. Februar 1808, S. 412–414. Decret, welches verordnet, daß die zu Marburg gefundenen engl. Waaren verbrannt werden sollen; Le Moniteur westphalien, Nr. 20, 11. Februar 1808, S. 79; ibid., Nr. 169, 29. November 1810, S. 744 f.; ibid., Nr. 191, 24. Dezember 1810, S. 839; ibid., Nr. 197, 31. Dezember 1810, S. 862 f.; SCHELLER, Jeromiade, S. 16 f.; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 33 f.; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 189; [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 54. ALGAZI, Kulturkult.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Sinnproduzenten bedient hatten, […] nun von den Kritikern aufgegriffen und gegen Napoleon eingesetzt [wurden], vorzugsweise auf Karikaturen«81 . Um auf die Tabaksdosen, Pfeifen und Gedenkmedaille zurückzukommen: Wenn es möglich war, auf einer Medaille seinen Spaß über das Zeitgeschehen und die Politik zu treiben, so waren ganz andere Formate für Satiren und kritische Darstellungen ebenfalls denkbar, die das breite Entwicklungsspektrum weg von der klassischen Karikatur aufzeigen.
5. Weitere staatskritische und satirische Darstellungen und ihre Gemeinsamkeiten mit den Karikaturen Folgende antinapoleonische Angelegenheit meldete Bongars im November 1812 dem Generalpolizeikommissar Guntz zu Braunschweig: L’on m’assure […] qu’il existe à Brunswick un cabinet ou l’on expose à la vue du public les figures et portraits des bourbons emigrés et de Guillaume Tell, l’assassinat d’un Général françois par le peuple de Rome des scenes representant des victoires remportées par les insurgés espagnols sur les françois, et il se fabrique dans la manufacture de cuir boulli dont la succursale est à Berlin, des caricatures dans le plus mauvais esprit, vous vous assurerez si ce cabinet existe dans Brunswick alors vous le ferez fermer, et si les portraits et tableaux c’y dessus designés y existent reéllement vous les confisquerez et vous signifirez au proprietaire de ces objets que si il se permet encore d’exposer de pareils objets qu’il sera puni de la maniere la plus sévère82 .
Diese Informationen über eine Art Wachsfigurenkabinett in Braunschweig bezog Bongars direkt aus Frankreich, wo die französische geheime Polizei Agentenberichte darüber vorliegen hatte83 . Man sieht: Von der Gedenkmedaille bis hin zu den tableaux des Wachsfigurenkabinetts existierten vielerlei Formen, die napoleonische Herrschaft und das politische Zeitgeschehen satirisch zu betrachten, die den engen papiernen Rahmen einer Karikatur sprengten, aber teilweise auf einer ähnlichen Inszenierung beruhten oder eine verwandte List bemühten84 . Als wichtiger Bestandteil oder entscheidende Beilage zu einer Karikatur gehörten oftmals ein Spruch, ein paar Verse, eine Erzählung, die das Potential der Karikatur zu katalysieren wussten und ihr zum Ausbruch in die Welt ver81
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OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches, S. 160; vgl. DUPRAT, Symboles et allégories, S. 142. In manchen Fällen griffen die Karikaturen sogar dem ikonographischen Register Napoleons vor. Vgl. ibid., S. 145. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 848, Registre de correspondance du bureau de la police secrette, 5. 11.–30.1.[1812]: Schreiben Nr. 2087 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, 26. 11. 1812. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 2091 von J. F. M. de Bongars an den Grafen P. A. von Fürstenstein, Ministre Secrétaire d’État et des Relations extérieures, 26. 11. 1812. Weiterführend vgl. GERSMANN, Revolution im Musée Grévin; KNAUER, »Tableaux patriotiques«. Vgl. weiterführend über die Inszenierungen in den tableaux des Pariser Wachsfigurenmuseums, Musée Grévin, HERMANNS, Musée Grévin.
IV. Karikaturen
293
halfen. Auch ermöglichten diese schriftlichen Ergänzungen ihre Aneignung durch ein breites Spektrum der Gesellschaft. Nicht anders stand es mit den Porträts, die der Maler Körber zu Bernburg angefertigt hatte. Der Polizeiagent Garagnon stellte in seinem Bericht vom 6. 1. 1813 fest: J’ai aussi entendu que la Police de Magdebourg s’est fait délivré les peinture que le Sieur Körber à Bernbourg a fait du tems que des gens du commun peuple passoit par cette ville pour servir de gardes dans les hopitaux de la grande armée. Ils les nommoient par dérision: Employé du grand Quartier Général. Ce Koerber est digne d’une forte leçon, car c’est un de ces babillards politiques. On ajoute qu’il doit avoir dit dans son interrogatoire par rapport à ces peintures, qu’un peintre avoit la permission de copier tout ce qui lui paroissoit nouveau. Mais pourquoi le fameux Breymann a-t-il voulu avoir copie de ces portraits, si c’étoit quelque chose de peu d’importance? On doit avoir même trouvé sous quelques uns des portraits: Notre garde de l’Empereur, & il doit avoir dit pour sa défense, que c’étoit un de ses élèves qui avoit écrit ces mots85 .
Die Gemälde mit den Porträts von Anwärtern auf die Wächterstellen der Feldlazarette der Grande Armée hätten an sich keine Satire darstellen können, hätte sie nicht ihr Autor »Employés du grand Quartier Général« betitelt und im Einzelnen auch so beschriftet. Wie oft bei den Karikaturen war der erläuternde Textzusatz in diesem Fall ganz entscheidend für die satirische Verwandlung der Porträts86 .
6. Erzählte Karikaturen und die innere kollektive Bild(referenz)welt der Westphalen Karikaturen, Druckbilder und andere satirische Darstellungen kamen oftmals erst durch das zum Vorschein, was man sich über sie erzählte. Entscheidend war, dass man sie überhaupt weitererzählte: Damit spielten die westphälischen Staatsbürger eine maßgebliche Rolle in der Entfaltung der Wirkung der Karikaturen und anderer zeitgenössischer Satiren. Für das Medium »Karikatur« stellte zum einen die Interdependenz von Bild und Schrift einen zentralen Faktor dar, zum anderen ermöglichte der Transfer von der Ikonographie zur Mündlichkeit ihre Verbreitung in breiten Schichten der Gesellschaft. Wendet man sich den Darstellungen in den Karikaturen selbst zu, so fasziniert sehr bald, wie schon eingangs dargestellt, die Vielschichtigkeit im Bezug auf die darin entfalteten rhetorischen Mittel, Sprachbilder, stilisierte Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Untertitel, Sprechblasen, beschrifte85
86
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9851: Rapport von Garagnon, Polizeiagent, an J. F. M. de Bongars, 6. 1. 1813. Körbers Gemälde könnte in einem Interpretationszusammenhang mit Geißlers Bild »Trümmer der französischen Armée« gebracht werden, siehe Abbildung 12, S. 216f. L’anti-Napoléon, S. 6.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
te Seifenblasen, Aufschrift um den Hals gehängt 87 . Die Sprache hatte eine Schüsselrolle innerhalb des bildlichen Mediums zu spielen. Auf der Ebene ihrer Verbreitung zeigt sich das Medium der Karikatur ebenfalls stark verankert in einem komplexen und vielschichtigen kommunikativen Gefüge der Westphalen aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Als Bild allein wären sie nicht so weit verbreitet worden: Das Reden und Erzählen darüber machte die Karikaturen erst richtig bekannt unter den Westphalen. Die von den Karikaturen oder ihren Nacherzählungen verbreiteten Sprachbilder scheinen das mentale politische Bewusstsein der Westphalen in breitem Umfang untermalt zu haben. Den Polizeibeamten wurden zumindest die Karikaturen in ihren erzählten Versionen noch mehr zum Problem als ihre papierenen Originale, denn der mündliche Austausch der westphälischen Staatsbürger war wesentlich schwieriger aufzuhalten, als man ein Druckbild dingfest machen konnte. Im Fall der Karikaturen hat man es mit einem Medium zu tun, das seinen Ursprung eindeutig bei den versierten und gebildeten Napoleonkritikern hatte, wobei es allerdings eine derartige Popularität erlangte, dass es durchaus ein weites Spektrum der Gesellschaft erreichte. Durch die Nacherzählungen der Karikaturen erfolgte sogar eine eigenwillige Aneignung des Mediums durch weniger gebildete und politisch engagierte Teile der Bevölkerung – Zusätze und kreative Umwandlungen waren nicht ausgeschlossen. Hier fand ein erfolgreicher Transfer von den Eliten hin zur Basis der Gesellschaft und eine Übernahme in die Volkskultur statt 88 . Mit der Verwendung 87
88
Über die verschiedenen Modi der schriftlichen Angaben in den Karikaturen vgl. L’anti-Napoléon, S. 8. Tschopp macht für die Flugblätter und Flugschriften des 17. Jh. eine Grundmotorik aus, die sich in den Karikaturen des anfänglichen 19. Jh. offensichtlich wiederholte: »verbale und graphische Darstellung [gelangen] zur Deckung, […] bildliche Rede und sprechendes Bild [verbinden sich]. Neben der Bild-Text-Beziehung als Relation zwischen einer wörtlichen Äußerung und einem visuellen gestalteten ikonographischen Ensemble kommt so in den vorgängig untersuchten publizistischen Manifestationen auch eine ›innere‹ Bild-Text-Beziehung zum Tragen, die sich sprachlicher Einbildungskraft verdankt«. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 95. Über die Karikaturen als Mittel zur Popularisierung ihrer antifranzösischen Einstellung in der Hand von Vertretern eines frühen deutschen Nationalismus vgl. u.a. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 21, 33. Im Königreich Westphalen fällt auf, dass mehr antinapoleonische als antiwestphälische Karikaturen im Umlauf waren. Dies weist auf den europäischen Produktionsrahmen hin und auf die Produktion, die auf eine Elite zurückgeht. Die Bildnachrichten werden von Lüsebrink und Reichardt neben den mündlich zirkulierenden Nachrichten, Erzählungen und Liedern als das herausragende Informationsmedium erkannt, für jene Bevölkerungsschichten, die des Lesens und Schreibens unkundig waren. Vgl. ibid., S. 14. Vgl. dort auch über die Bänkelsänger, die auf ihren Reisen mit Bildtafeln und Liedern von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen berichteten. Ein westphälischer Bänkelsänger war der von Pröhle erwähnte »invalide Rauchheld aus Neuhaldensleben«, der »noch
IV. Karikaturen
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unter anderem von karnevalistischen Themen und dem Einsatz von Redensarten und von volksnahen Sprachbildern, die in Verbindung mit der Alltagskultur des »kleinen Mannes« standen, suchten die Karikaturisten bewusst Anschluss an die Volkskultur. Napoleon wurde beispielsweise als Bäcker oder als Fleischer dargestellt und über diese einfachen Tätigkeiten zurückgeholt in die Lebens- und Arbeitssphäre der gesellschaftlichen Schichten, die sich ihr Brot mühsam verdienen mussten. Die Karikaturisten leisteten einen wenn nicht Übersetzungs-, so doch Umwandlungsprozess ihrer fundierten Staatskritik zu einer »propagande en images«89 . Die überlieferten Beispiele aus der Geschichte des Königreichs Westphalen zeigen in vielerlei Hinsicht, wie dies auch hervorragend gelang und lassen die Aussage zu, dass diese satirischen antinapoleonischen Darstellungen allesamt zur Politisierung der Westphalen und zur Schärfung ihres politischen Bewusstseins beigetragen haben90 .
89 90
vor zehn Jahren seine bunten Erlebnisse auf Märkten und Straße des ehemaligen Königreichs Westphalen von der Saale bis zur Bode« absang. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 15, vgl. dort mehr zu diesem Rauchheld S. 15 f. L’anti-Napoléon, S. 7, vgl. S. 6, 10, 24, 27; vgl. FREIST, Wirtshäuser, S. 212; TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 96. Vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 26.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
V. Die verbotene »Handlung« des Zinngießers Taberger oder der kleine Sarg des »Anstoßes« À mon arrière-grand-oncle, Auguste Payé, dont la mémoire familiale garde le souvenir qu’il profita d’un retard de train lors d’une permission du front, en 1916 ou 1917, pour aller fulminer contre la guerre sur le tombeau de Napoléon, aux Invalides.
Im breiten Umfeld des politischen Protests soll exemplarisch über zwei Fallstudien Dynamik und Potential von außersprachlichen Elementen für die Kommunikation im Königreich Westphalen ermittelt werden, zunächst anhand der Fallstudie zur Affäre Taberger. Im Anschluss daran werden die Wappen als westphälische Herrschaftsinsignien sowie ihre Funktionalisierung als ein vornehmlich kollektives Mittel der Loyalitätserklärung beziehungsweise -absage untersucht. Jenseits von Sprache, bildlich oder symbolisch, boten sie durch ihre Annahme oder Verweigerung eine Möglichkeit zur Meinungsäußerung. Als erster Bereich im weiten Feld der Protesterscheinungen, die der politischen Kultur der Westphalen zugerechnet werden können, kann die symbolische Handlung eines Einzelnen herangezogen werden, um deren kommunikative Merkmale zu rekonstruieren1 . Bisher sind in der Forschung vielfach die Aufstände der westphälischen Bevölkerung beachtet worden, die kollektive Erfahrungsprozesse darstellten2 . Bewusst wird in diesem Kapitel der Fokus auf eine subtilere Form der Staatskritik gelenkt, deren Deutung als solche die Zeitgenossen herausforderte und die dementsprechend für den Historiker nur durch eine akribische und eng geführte Quelleninterpretation erkennbar wird. Bei der Behandlung der außersprachlichen Kommunikationselemente im Repertoire der Westphalen, die den angesprochenen Handlungsbereich berührt, wird der 1
2
Eine vorläufige und kürzere Fassung dieser Fallstudie ist abgedruckt in: PAYE, Die verbotene »Handlung«. Kollektive Symbolhandlungen, die von Widersetzlichkeit gegen die Herrschaft bzw. von einer Verspottung der staatlichen Verordnungen geprägt sind, sind u.a. die Anwandlungen der Kasselaner, unter dem Regenten Lagrange aufgrund des Verbots, abends ohne Laternen auszugehen, nur noch »mit Laternen aller Gattungen« aus dem Haus zu gehen. Hassenpflug berichtet: »Diese Laternen dienten denn auch zu allerhand Spott und Hohn, so sah man ganze Fässer von Papier und Faßreifen gebildet, die auch wohl von zwei Personen, an einer Stange hängend herumgetragen wurden«. HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 126. Eine andere kollektive Symbolhandlung als Protest gegen das Verbot, Bärte zu tragen, ließen sich die Göttinger Studenten einfallen: Sie schnitten sich diese allesamt ab und sandten sie dem Präfekten. Vgl. KNOKE, Niederdeutsches Schulwesen, S. 111; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 553; vgl. ferner KEIM, »Savoir vivre«, S. 146. Vgl. HEITZER, Insurrectionen zwischen Weser und Elbe; KEINEMANN, Volksstimmung; MOOSER (Hg.), Frommes Volk und Patrioten; SPEITKAMP, Sozialer und politischer Protest; HOFFMANN, Aufrührer, Ruhestörer oder gute Patrioten?
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
297
grundlegenden Frage nachgegangen, ob das symbolische Handeln für die Westphalen konkret einen Ausweg zur Überwindung einer Sprachbarriere darstellte, welche die Kommunikation zwischen den Französischsprachigen und Deutschsprachigen im Königreich Westphalen womöglich erschwerte.
1.
Vorspann zur Affäre Taberger im Februar 1813
Ende Februar 1813 wurde General Bongars, dem damaligen Chef der Gendarmerie und der politischen Polizei, ein Vorfall aus Hannover bekannt. Am 28. Februar ordnete er daraufhin eine nähere Untersuchung an: un nommé Taberger, Polier d’étain a exposé aux regards du Public des militaires français et au milieu d’eux un petit cercueil en etain portant pour marque extérieure les Couleurs Tricolores de france. […] il y a ici une intention non equivoque qui mérite une punition exemplaire3 .
Die Abschrift der bereits zuvor eingeleiteten Ermittlungen gegen Johann Gottfried Georg Wilhelm Taberger durch die hannoverschen Polizeikommissare Frömbling und Gottlieb Ludwig Friedrich Grahn erhielt der Polizeichef am 4. März. Diese bildet die Grundlage für die Rekonstruktion der Affäre Taberger, die exemplarisch die nonverbalen Kommunikationsformen und -möglichkeiten der Westphalen zu veranschaulichen vermag4 . Über die Identität Tabergers enthalten die Dokumente nur wenige sporadische Angaben. Er betrieb in Hannover an der Langen Straße ein Familienhandwerk mit Tradition. Nach seinen eigenen Angaben war bereits sein Großvater Zinngießer5 . Der Bürger Taberger, der »bimbelotteries en étain de tout genre« verkaufte, war ledig, kam als Hausbesitzer seiner Einquartierungspflicht nach, indem er französischen Soldaten Unterkunft gewährte, und fiel, so der Polizeikommissar Frömbling, bis zu dem hier zu behandelnden Vorfall mit seinem Benehmen nicht weiter auf 6 . Am 22. Februar erhielt 3
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5
6
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850, Registre de correspondance du Bureau de la police secrète, 2. 1.–18. 4. 1813: Schreiben Nr. 493 von J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, an F. W. Frantz, Präfekt in Hannover, Allerdepartement, 28. 2. 1813. Vgl. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Meldungen der politischen Polizei über besondere Vorfällen und Haltung der Volksteile im Hannoverschen und Hildesheimischen, 1811–1813, Bl. 180: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn, Polizeikommissare in Hannover, Allerdepartement, an J. F. M. de Bongars, 4. 3. 1813; ibid., Bl. 181–186: Abschrift der Polizeiprotokolle betreffend den Zinngießer Taberger, 22. 2.–2. 3. 1813. Zu den drei Generationen Tabergers – aus Wien gebürtig und in Hannover niedergelassen – liefert Schraudolph ausführliche Angaben: vgl. SCHRAUDOLPH, Herrscherstolz und Bürgerfleiß, S. 10 f. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7637: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an J. F. M. de Bongars, 23. 2. 1813; vgl. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 181–186.
298
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
jedoch die hannoversche Polizei einen Hinweis auf Taberger und untersuchte dessen angebliches Vergehen: Auf erhaltene Anzeige, daß […] Taberger, […] unter denen hinter seinen Fenstern aufgestellten in Zinn oder Blei abgegossenen Soldaten und Officieren der französischen Armee. – namentlich von einem Trupp französischer Officiere zu Pferde, worunter Mameluken wären – auf eine anstößige Art einen kleinen Sarg aufgestellt habe, verfügte ich […] mich selbst persönlich nach dem Hause des Herrn Taberger7 .
Die Beobachtungen des Polizeikommissars Frömbling vor Ort waren sogar noch genauer als die präzisen Angaben des Denunzianten: Ich erblickte […] hinter dem Fenster mehreres französisches Militair, in Blei abgegossen, aufgestellt. Unter diesen standen auf einem Fleck unsere französischen Officiere zu Pferde nebst 2 Mameluken, welches die hiesige Escadron vorstellen konnte, und ganz nahe vor diesen letzteren und eben so nahe hinter andern, also zwischen diesen Militairs, stand ein kleiner schwarzer Sarg. […] Bei näherer Ansicht des Sarges bemerkte ich, daß auch die französische National-Farbe an demselben angebracht war8 .
Mit der Identifizierung der französischen Nationalfarben am kleinen Sarg erschien dem Polizeikommissar das Delikt offensichtlich und es folgte unmittelbar die Konfrontation Tabergers mit seiner Tat. Die daraufhin erstellten Verhörprotokolle bilden die Basis zur Ermittlung der Motivation und Rechtfertigung des überführten Zinngießers und ermöglichen, auf die Interpretation seiner Tat durch die Polizei näher einzugehen9 .
2. Interpretation der Sarginszenierung im Schaufenster des Zinngießers Taberger 2.1.
Ort des Geschehens
Tatort war ein Schaufenster an der Langen Straße in der 17 000 Einwohner zählenden Stadt Hannover, die seit den Gebietsveränderungen von 1810 zum Königreich Westphalen gehörte10 . Die Aufstellung französischer Bleisoldaten und eines Sarges hatte somit unbestreitbar einen Ausstellungs- und Öffentlichkeitscharakter. Die Tatsache, dass Taberger den von Soldaten umstellten Sarg ausgerechnet »öffentlich vor seinem Fenster zur Schau ausgestellt habe«, machte seinen Fall in den Augen der hannoverschen Polizeikommissare besonders brisant und zu einer Angelegenheit der politischen Polizei 11 . 7 8 9 10 11
HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 185 f.: Abschrift des Polizeiprotokolls betreffend den Zinngießer Taberger, 22. 2. 1813. Ibid. Vgl. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 181 f.: Abschrift der Polizeiprotokolle betreffend den Zinngießer Taberger, 22. 2. 1813. Vgl. Hof- und Staats-Handbuch, 1811, S. 150. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 181 f.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
2.2.
299
Zeitpunkt
Frömbling betonte in seinem Polizeibericht vom 22. Februar, dass ihm »die Aufstellung dieses Sarges unter den Umständen höchst anstößig« vorkam12 . Die implizierten Umstände im Februar 1813 waren folgende: In Hannover trafen seit der zweiten Februarwoche Tag für Tag Überlebende des Russlandfeldzugs ein, Flüchtlinge der »Retirade«13 , mehr tot als lebendig, wie aus einem anderen Polizeibericht Frömblings und Grahns über die solidarischen Bekundungen der Hannoveraner gegenüber diesen Soldaten hervorgeht. Am 16. Februar meldeten sie, dass die für 200 Kranke vorgesehenen militärischen Krankenhäuser der Stadt allein schon über 800 Soldaten aufnehmen mussten, so dass um die 100 weitere aus Platzmangel bei Bürgern der Stadt untergebracht werden mussten. Die Hannoveraner aller Gesellschaftsschichten würden, ungeachtet der Last und der Seuchengefahr, ihre Hilfe durch materielle Unterstützung und Zuwendung freiwillig anbieten14 . Um jedoch trotz dieser weit verbreiteten Wohltätigkeit und Barmherzigkeit der Hannoveraner Streit zwischen Bürgern und durchmarschierenden Militärs zu vermeiden, wie er aus früheren Stationierungen von französischen Soldaten in Hannover bekannt war15 , erließen die Polizeikommissare am 16. Februar eine Polizeiverordnung: nous avons défendu aux marchands et libraires de ne pas avoir devant leurs fenêtres les portraits et figures des militaires de l’armée Britannique et Russienne, afin que
12 13
14
15
Ibid., Bl. 185 f. Über die Ankunft der Flüchtlinge der »Retirade« in Hamburg berichtet ein Zeitgenosse: »Flüchtende Generäle, Soldaten, Beamte, passirten durch Hamburg, wo sie mit Mitteln zur Weiterreise versehen oder begraben wurden«. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 122, 117. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7631: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an J. F. M. de Bongars, 16. 2. 1813 und Nr. 7632: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an J. F. M. de Bongars, 20. 2. 1813. Dabei waren die Hannoveraner mit den Gefahren von Seuchenausbrüchen durchaus vertraut. Im Jahre 1804 waren nicht weniger als acht französische Feldhospitäler im Hannoverschen Land verteilt und 1811 hatte die Ruhr in Hannover, Lüneburg und Harburg eine hohe Sterblichkeit verursacht. Vgl. darüber [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 11, 94. In Lüneburg wurde 1803 ein Gymnasium als Militärhospital verwendet, vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 272. Weiterführend zur gesundheitspolitischen Thematik im Rheinland im Revolutionszeitalter und unter der napoleonischen Ära vgl. HUDEMANN-SIMON, L’État et la santé; DIES., Zur staatlichen Gesundheitspolitik; vgl. ferner DIES., La conquête de la santé. Über den Truppendurchzug in Hannover im Jahre 1806 und die dadurch verursachte Verarmung der Hannoverschen Bevölkerung vgl. HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 45. Auch der Übersetzer und Dolmetscher Mierzinsky, u.a. für die französisch-kaiserlichen und spanischen Kriegsgerichte tätig, berichtet über die verschiedenen Truppen, die von 1803 bis 1810 in Hannover –
300
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
cela ne donne pas d’occasion à un soldat ivre qui passoit, de casser les fenêtres oú de commettre d’autre excès16 .
Mit diesem Verbot wird offenkundig, dass, obgleich hier mit Tabergers Handlung das Vergehen eines Einzelnen im Fokus der Untersuchung steht,
16
erste französische Okkupation von 1803 bis 1805 und zweite von 1806 bis 1810 mit einem russischen, englischen und preußischen Intermezzo 1805/1806 – einquartiert wurden. Es wurde keine permanente Stationierung in Hannover eingerichtet, sondern es zogen von 1806 bis 1810 französische, holländische, spanische, Rheinbunds-Truppen, Portugiesen und Italiener durch: »Hannover [hatte] Gelegenheit […], außer den Türken, die ganze bunte Karte des europäischen Militärs in natura kennen zu lernen«. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 31, vgl. ferner S. 20, 27, 29–31, 34 f., 37; vgl. ferner HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 131. Über die französisch-kaiserlichen und spanischen Militärkriegsgerichte berichtet er: »Todesurtheile fielen in Hannover nur wegen Militair-Insubordination und Mord vor«. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 36. In Bezug auf das Verhältnis der französischen Soldaten zu den Hannoveranern macht er auf Fälle des guten Einvernehmens aufmerksam (vgl. ibid., S. 11), wie auf leicht aufkommende Streitigkeiten, so im Jahre 1805 (vgl. ibid., S. 13). Über die alltäglich drückende Last der Einquartierung vgl. ibid., S. 53, 83 f. Er unterscheidet auch die verschiedenen durchmarschierenden Truppen, was die Belastung für die Hannoveraner angeht, und rechnet den Franzosen an, dass sie zumindest Geld in Umlauf brachten, dennoch: »an den, seitdem hier durchpassirten Holländern, Westphalen, später Baiern, Rheinländern hat Niemand etwas verdient; eben so wenig wie früher an den Portugiesen und italienischen Truppen. Alle diese haben nur auf Kosten des Hauseigenthümers gezehrt«. Ibid., S. 84. Über die positiven Erfahrungen der Hannoveraner zur Zeit der russischen Stationierungen nach Mierzinsky vgl. mehr im Kapitel B I.2. Über Stationierungen von französischen, holländischen, bayerischen, wespthälischen und spanischen Truppen und die Last der Einquartierungen in den Jahren 1806– 1810 in Hannover vgl. auch THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 385–393, Bd. 2, S. 24. Über einen schwerwiegenden Streit zwischen französischem Militär und Hannoveranern, der in Mord- und Totschlag endete, berichtet Thimme, vgl. ibid., Bd. 1, S. 419. Über Vergewaltigungen vgl. ibid., Bd. 1, S. 420. Über die positiven und negativen Einquartierungserfahrungen der Kasselaner berichtet der Zeitgenosse F. Müller, vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 4–6; vgl. ferner GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 243 f. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 179: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, 16. 2. 1813. Dieses Verbot war nicht neu, vielmehr ordnete es sich in eine Kette von vorbeugenden Verboten und Vorsichtsmaßnahmen der Behörden ein, um Konfrontationen der Bevölkerung mit den Franzosen bzw. stationierten Soldaten zu vermeiden. So war es von 1806 bis 1810 unter der französischen Besatzung, bevor das Hannoversche dem Königreich einverleibt wurde, untersagt, volkstümliche Feierlichkeiten auszurichten oder die Sturmglocke zu ziehen. Am 24. April 1809 erschien z. B. eine Meldung in den »Hannöverschen Anzeigen«, die an das bereits erteilte Verbot erinnerte, »›an öffentlichen Orten, in zahlreichen Versammlungen, auf Kaffee- oder Wirtshäusern‹, über ›Kriegs- und politische Ereignisse‹ zu sprechen«. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 436, vgl. S. 420 f. Über das Glockenläuten, gegen das die Franzosen in Erinnerung an die Französische Revolution eine Phobie entwickelt hatten, wird eine interessante Anekdote von F. Müller überliefert. Die Franzosen neigten dazu, das Glockengeläute
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
301
die Praxis dennoch gängig war und andere Hannoveraner durchaus ebenfalls geneigt waren, ihre politische Orientierung durch das demonstrative Zuschaustellen von Porträts ausländischer Feldherren zu bekunden17 . Obgleich Taberger keine englischen oder russischen, sondern französische Soldaten präsentierte, wurde ihm die Aufstellung des Sarges auf der Grundlage dieser Verordnung zum Vorwurf gemacht 18 . 2.3.
Adressaten
Die Aufstellung müsste »jedem Vorübergehenden – besonders den Militairs – auffallend seyn«, schrieb Frömbling in seinem ersten Bericht 19 . Taberger bestätigte ihn zum Teil in seiner Annahme, dass alle Passanten als potentielle Adressaten der Aufstellung gemeint waren, als er zu seiner Entlastung anführte, »die Leute [sollten] sehen […], daß er auch solche Arbeit« mit Geschick erledigen könne20 .
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als »Zeichen eines allgemeinen Volksaufstandes« zu deuten. Lagrange, bestürzt über den kulturellen Neujahrsbrauch der Hessen, ihre Glocken läuten zu lassen, soll erklärt haben: »Ihn hatte es, wie er selbst gestanden, an die Schrecknisse der französischen Revolution und namentlich an den furchtbaren Vendée-Krieg erinnert«. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 6 f. Über die Erinnerungskultur um den Vendéekrieg vgl. MARTIN, La Vendée, S. 285–337. Über das Aufstellen von solchen Porträts in der Hauptstadt Kassel, wo sie offensichtlich eher toleriert wurden, berichtet ein westphälischer Zeitgenosse, der es als Kind erlebte: »Auf patriotische Bilder pflegte die Polizei keine Jagd zu machen. Sogar in den Kunstläden und hinter den Schaufenstern der Buchbinder waren die Volkshelden Schill, Oels und Andreas Hofer ausgestellt, dennen sich noch der von Napoleon gefangen gehaltenen Papst Pius VII. zugesellte. Daß eine protestantische Bevölkerung für den katholischen Papst Partei nahm, war gewiß ein merkwürdiges Zeichen der Zeit und ein Beweis, wie dem allgemeinen Feinde gegenüber selbst die religiöse Antipathie in den Hintergrund tritt. […] Das ist wohl der erste Papst gewesen, der in Deutschland zu den wirklichen Volkshelden gezählt und ihnen in Bild und Lied zur Seite gestellt worden ist«. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 25 f. Zum Umgang der Westphalen mit solchen Porträts wäre eine gesonderte Fallstudie angebracht, zumal sich anhand der Aneignungspraktiken der Druckbilder mit Porträts die scheinbare Aufhebung von fest etablierten Schranken zwischen den religiösen Gemeinschaften manifestiert haben soll. Zu den Auswirkungen von religiösen Differenzen für die Konstitution von Lebenswelten in einer deutschen Stadt in der Frühen Neuzeit vgl. FRANÇOIS, Die unsichtbare Grenze. Über eine andere passive Protestbekundung in Hannover, das Verlassen der Kirche im Rahmen eines staatlich verordneten Tedeums, vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 191 f. Kosaken gehörten jedoch durchaus auch zum Repertoire Tabergers. Als Abbildungen zum Beitrag von Schraudolph sind zwei Werkstücke aus Tabergers Offizin geliefert. Zum einen ein »Russischer Kosak« aus dem Jahre 1813 und zum anderen ein »Französischer Grenadier« aus dem Jahre 1805. Vgl. SCHRAUDOLPH, Herrscherstolz und Bürgerfleiß, S. 11. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 185 f. Ibid., Bl. 181 f.
302
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
2.4.
Anschuldigungen und Verteidigung Tabergers
Unmittelbar nach der Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Anzeige bezüglich des Sarges im Schaufenster Tabergers stellte Frömbling den Zinngießer in dessen Laden zur Rede. Das erste Argument, das er gegen Taberger vorbrachte, betraf den beleidigenden Charakter der Aufstellung, der »eine hinzielende Absicht nicht verkennen ließe«21 . Tatsächlich scheint die Unterstellung einer (politischen) Intention im Mittelpunkt der Untersuchung gegen Taberger gestanden zu haben. Der Zinngießer erwiderte jedoch, er habe »keine Absicht zum Auffallen hierbei gehabt«, der Sarg gehe auf eine Bestellung zurück und es sei Zufall gewesen, dass er ihn im Schaufenster mitten unter die französischen Soldaten gestellt habe22 . Daraufhin entschloss sich Frömbling, den Sarg zu beschlagnahmen und bestellte Taberger zur näheren Befragung ins Polizeibüro. Dort übernahm noch am gleichen Tag sein Kollege Grahn die Vernehmung Tabergers. Er wurde erneut auf das Aussehen des Sarges und auf dessen Anordnung zwischen französischen Militärfiguren aufmerksam gemacht. Mitunter fiel als Beweis seiner schlechten Absicht der Einwurf, dass »doch ein solcher Sarg grade kein Spielzeug sey, zu dem sich wiele Käufer finden würden«, und dass er daher also nicht aus Verkaufsgründen im Schaufenster ausgestellt worden sein könnte23 . Hierauf wiederholte Taberger, der Sarg sei aufgrund einer Bestellung entstanden, und führte den Postkontrolleur Delarochette als Auftraggeber an. Erfreut über die eigene geleistete Arbeit habe er den Sarg ausgestellt, um bekannt zu machen, dass er auch solche Arbeiten wie Beschläge und Griffe an Särgen anfertigen könne. Er beteuerte erneut, es sei Zufall gewesen, dass der Sarg vor den französischen Militärs einen Platz in seinem Schaufenster gefunden habe: »Er habe hierbey nicht die mindeste Neben-Idee gehabt«24 . Taberger schickte sich sogar zu seiner Verteidigung an, auf das Aussehen des Sarges einzugehen und detailliert zu beweisen, dass die Farbe der Beschläge nur weiß sein könne. Grahn blieb allerdings der Auffassung, »die Unzulänglichkeit seiner Entschuldigungsgründe und der hohe Grad von Unverstand und Leichtsinn, […] der in seiner Handlung liege«, seien auffällig25 . Taberger habe sich außerdem über die Verordnung vom 16. Februar hinweggesetzt, »die ihm erst vorkurzem von der Polizey aufgegeben sey, um Anordnungen zu vermeiden, alle unter den jetzigen Conjunctur von anstößige Gegenstande, vor den Fenstern wegzunehmen«26 . Er habe sich auf jeden Fall eine »höchst strafbare Unvorsichtigkeit« geleistet, so dass nicht nur der Sarg konfisziert 21 22 23 24 25 26
Ibid., Bl. 185 f. Ibid. Ibid., Bl. 181 f. Ibid. Ibid. Ibid.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
303
bleibe, sondern auch der Polizeichef Bongars von dem Vergehen Tabergers in Kenntnis gesetzt werde. Bei den folgenden Ermittlungen wurde Taberger der Falschaussage bezichtigt. Der Postkontrolleur Delarochette bestritt nämlich, den Auftrag zum fraglichen Sarg jemals gegeben zu haben. Die Polizeikommissare erblickten in der hiermit entlarvten offensichtlichen Lüge Tabergers einen weiteren Beweis seiner »bösen Absicht«. Damit sei die »höchst strafbare Handlung« nicht mehr abzuweisen und seine Überführung nach Kassel zu eingehenderer Untersuchung begründet. Der bestürzte Taberger bekräftigte nochmals seine Unschuld. Als Entschuldigungsgrund führte er diesmal seine Naivität an, wo er doch »aus Freude darüber, dass ihm [der Sarg] so gut gerathen sey«, ihn habe ausstellen wollen. Die Behauptung, Delarochette habe den Sarg bei ihm bestellt, sei ihm bloß »in der ersten Bestürzung« eingefallen, in der Hoffnung, so das Objekt schneller zurückzuerhalten27 . Beim überlieferten Quellenmaterial fällt insbesondere die Diskrepanz zwischen der unausgesprochenen beziehungsweise ungenauen Beschuldigung durch die Polizeikommissare und der unerschütterlichen Bestimmtheit auf, mit der diese die Tat Tabergers als politisch verwerflich einstuften. Unablässig wird der Sarg in den Mittelpunkt der Beschuldigung und der Argumentation gerückt und hin und wieder mit Genauigkeit beschrieben, als ob seine Erscheinung von sich aus einen selbsterklärenden Charakter besitze. Erst in einem späteren Bericht in deutscher Sprache an den Generalpolizeikommissar Guntz wurde die pauschale Interpretation der Handlung Tabergers durch die Polizeikommissare in der französischen Zusammenfassung im Kopfteil geliefert: Die Sarginszenierung sei »en allusion des évenements malheureux en Russie« entstanden.28 Der Russlandfeldzug Napoleons, der für seine Armee so vernichtend ausfiel, war ihrer Meinung nach damit gemeint. War der Sarg aber eine Anspielung auf den Untergang der französischen Herrschaft? Oder sollte er vielmehr eine Inszenierung von Napoleons Tod darstellen? War er als Nachricht des bereits eingetretenen Todes oder als Prophezeiung eines nahen Todes gemeint? Bei der Interpretation der Sargausstellung durch die Polizeikommissare kann zunächst lediglich als sicher gelten, dass diese besorgt um das französische Militär waren, das gerade geschwächt vom Russlandfeldzug zurückkehrte, und um dessen Interpretation der Tabergerschen Ausstellung. Sie befürchteten, das Militär könnte Anstoß nehmen an dem Sarg. Wollten sie mit der Konfiszierung vermeiden, dass der Sarg von den französischen Soldaten als Prophezeiung des eigenen sicheren Todes interpretiert werden könnte, beziehungs27 28
Ibid., Bl. 182 f.: Abschrift des Polizeiprotokolls betreffend den Zinngießer Taberger, 2. 3. 1813. Ibid., Bl. 180: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an F. T. de Guntz, 4. 3. 1813.
304
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
weise einen zusätzlichen Entmutigungsfaktor in Bezug auf den Krieg für sie darstellen könnte? Über den Kern ihrer Befürchtungen bleiben die Polizeikommissare in den Verhören mit Taberger und selbst in ihren Berichten an ihre Vorgesetzten ungenau. Es wird nicht explizit dargelegt, worauf die »böse Absicht« Tabergers ihrer Ansicht nach hinauslaufen sollte. Einige Stellen im Quellenmaterial weisen dennoch indirekt darauf hin, die maßgebliche Befürchtung der Polizeikommissare könnte gewesen sein, dass in der Sarginszenierung eine Anspielung auf den Tod Napoleons in persona erkannt werden könne. Worauf diese These im Quellenmaterial zur Affäre Taberger basiert und wie sie sich durch Hinzuziehung weiteren Quellenmaterials erhärten lässt, wird noch thematisiert werden. Bevor diese zum Teil verdeckten Indizien entschlüsselt werden, soll zur weiteren Einordnung und Kontextualisierung der Affäre Taberger ein Exkurs über den Umgang mit dem Tod in der westphälischen Gesellschaft unternommen werden29 .
3. Zum Umgang der westphälischen Gesellschaft mit dem Tod War das Verhältnis zu Tod und Sterben in der westphälischen Gesellschaft so tabuisiert, dass Taberger mit seinem kleinen Sarg aus Blei derartiges Aufsehen erregen konnte30 ? Im Folgenden wird der Umgang mit dem Tod und mit Todesnachrichten anhand anderer zeitgenössischer Quellen untersucht, um den Kontext der Taberger’schen Sarginszenierung besser zu erschließen31 .
29 30
31
Über die mikrohistorischen Analyseverfahren der Dialogisierung, Rekonstruktion und Kontextualisierung vgl. MEDICK, Entlegene Geschichte, S. 97 f. Über die umkämpfte Verlegung von Begräbnisplätzen in Minden-Ravensberg unter der westphälischen Herrschaft vgl. SUNDERBRINK, Zwischen Tradition und bürgerlicher Rationalität. Über Sterben, Tod und Totenkult im 19. Jh. vgl. FISCHER, Ein Sarg nur; vgl. ferner ZIMMER, Auf dem Altar des Vaterlandes; KSELMAN, Death and the Afterlife. Zum Wandel des Umgangs mit dem Tod im Übergang vom 18. auf das 19. Jh. vgl. BOEHLKE (Hg.), Wie die Alten den Tod gebildet; DERS., Vom Kirchhof zum Friedhof; GERSMANN, Der Schatten des toten Königs; JEISMANN, WESTHEIDER, Wofür stirbt der Bürger?; LATZEL, »Schlachtbank« oder »Feld der Ehre«? Vgl. weiterführend außerdem ARIÈS, Essais sur l’histoire de la mort; DERS., L’homme devant la mort; COBB, Death in Paris; VOVELLE, La mort et l’Occident; VAN DÜLMEN, Das Schauspiel des Todes; CHARTIER, La pendue; DAVIS, Der Kopf in der Schlinge; IMHOF, Die Lebenszeit; LATZEL, Vom Sterben im Krieg; VOVELLE, Mourir autrefois; KESSEL, Sterben/Tod; FRANK, Die fehlende Geduld Hiobs; BÖNING, Das Private in der Aufklärung; GERSMANN, WOLFRUM (Hg.), Totenkult und Erinnerungskultur.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
3.1.
305
Begräbnisse unter Polizeiüberwachung
Mit ihrer Konfiszierung des Sarges griff die westphälische Polizei nicht zum ersten Mal in der kurzen Geschichte des Königreichs Westphalen in die Darstellung eines Begräbnisses ein, wie aus einer Einsicht in die Polizeiarchive deutlich hervorgeht. Bereits im März 1809 hatte die Polizei in Kassel nach einer Beerdigung ein Sargtuch beschlagnahmt und eine Untersuchung eingeleitet. Der Kasseler Polizeipräfekt schrieb über den Sachverhalt an den Polizeikommissar Kautz: Une Confrererie […] s’est servi hier à un enterrement d’un drap mortuaire, que j’ai l’honneur de vous faire remettre dans la présente, sur lequel sont brodés en lettre d’or, les mots K. Hessen. Ce qui veut dire Kuhr Hessen ou electorat de Hesse; j’ai du faire saisir cette emblême, d’un gouvernement qui n’existe plus et qui ne peut servir qu’à rappeller publiquement, un pouvoir qui n’existe plus dans ce pays cy. […] Vous remarqueréz aisement que la préposition Kuhr, qui n’existe plus aujourd’hui, que par l’initiale K. devant l’adjectif Hessen, qui précede le substantif, Confrererie (Bruderschaft) était il n’y a pas longtemps écrite en toutes lettres, dont les premieres ont été recemment décousues, d’après les traces que vous verrés encore et vous reconnoitre facilement que c’est de l’ancienne finale R. que l’on a fait l’initiale actuelle K32 .
Mit dieser Mitteilung verknüpfte der Polizeipräfekt die Aufgabe, die Verantwortlichen ausfindig zu machen, wo doch »la confrerie ne pouvait certainement pas ignorer qu’elle ne vivait plus en Hesse, mais en Westphalie«33 . Die Affäre wurde jedoch nach wenigen Tagen zu den Akten gelegt, nachdem der Justizminister sich über die Beschlagnahme empört und der Sargtuchbesitzer in Anwesenheit des Präfekten des Fuldadepartements die »mots inconvenants« mit eigener Hand entfernt hatte34 . Das Sargtuch von Kassel aus dem Jahre 1809 erregte doppelten Anstoß: Die Polizei beanstandete das im Rahmen eines Begräbnisses stattgefundene versteckte Gedenken an das Kurfürstentum Hessen, das durch die westphälische Herrschaft abgelöst worden war. Der Justizminister Siméon störte sich dagegen an dem Gedanken, die Polizei habe das Sargtuch möglicherweise mitten in der Prozession beschlagnahmt – was jedoch nicht der Fall gewesen war. Auch weitere Polizeiberichte aus Hannover im März 1810 und aus Göttingen im Juli 1812 beweisen, dass Begräbnisse von der Polizei unter Beobachtung gestellt wurden, aus Furcht, sie könnten insbesondere Anlass zur ungezügelten politischen Meinungsäußerung und zum nostalgischen Ge32
33 34
GStA PK, V. HA, Nr. 685, Korrespondenzregister der Verwaltung der Hohen Polizei, 16. 1. 1809–21. 7. 1809: Schreiben Nr. 334 von J. C. A. Legras de Bercagny, Polizeipräfekt in Kassel, an Kautz, Polizeikommissar in Kassel, 15. 3. 1809. Ibid. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 133. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 685: Schreiben Nr. 338 von J. C. A. Legras de Bercagny an J. J. Siméon, Justizminister, 16. 3. 1809; ibid., Schreiben Nr. 357 von J. C. A. Legras de Bercagny an G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 18. 3. 1809.
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denken an die vormaligen Herrschaften bieten35 . Die Polizeikommissare befürchteten, bei Beerdigungen und Grabreden könnten übersteigerte Emotionen der trauernden westphälischen Bürger hervorgerufen werden, die zu Kritik an der westphälischen Herrschaft führen könnten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass die Polizeikommissare Frömbling und Grahn beim Anblick des kleinen Sarges im Schaufenster des Zinngießers Taberger im Februar 1813 diesem eine böse Absicht unterstellten. 3.2. Gedenk- und Erinnerungskultur: Schills Tod 1809 und Auferstehung 1812 Zu den antifranzösischen Helden der napoleonischen Zeit zählt Major Ferdinand von Schill, dessen Aktivitäten in Hinsicht auf den Umgang der Westphalen mit dem Tod einige Erkenntnisse ermöglichen. Im Frühjahr 1809 setzte er sich von Berlin ab und zog auch durch das Königreich Westphalen, in der Hoffnung, die Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft aufzuwiegeln36 . Tatsächlich wurde er mancherorts mit improvisierten Volksfesten gefeiert, so in Hadmersleben, wo er am 6. Mai 1809 mit einigen wenigen Schillianern durchzog37 : »Die guten Hadmersleber ließen den Major Schill und, wie sie sagten, seine Armee leben und feierten ihr Volksfest drei Stunden lang in der Post, einem Gasthause«38 . Sein Unternehmen endete jedoch mit seiner Niederlage in Stralsund, wo er am 31. Mai 1809 selbst getötet wurde und die Franzosen über 550 Waffenbrüder seines Freikorps’ gefangennahmen39 . Unmittelbar nach der Verbreitung von Schills Todesnachricht im Königreich Westphalen entstanden Lieder über dessen Heldentat: Doch wurden wir in Kassel von seinen Thaten und seinem Heldentode durch ein auf offener Straße gesungenes Orgellied belehrt. Mit einem schwarzen Rande und einer Trauervignette geschmückt, wurde dieses Lied anstandslos verkauft, obgleich es keineswegs einen Verkleinerung Schill’s enthielt, vielmehr seinen Muth pries. Noch heute schwirrt mir der Vers im Ohr: ›Schill verband sich selbst die Wunde mit dem Schnupftuch um den Fuß, focht er noch dreiviertel Stunde, that noch manchen Hieb 35
36 37
38 39
Vgl. HStaH, Hann. 52, Nr. 3563, Rapports journaliers de police de la ville de Hannovre (Fremdenanmeldungen), 1810: Rapport journalier de Police de la ville d’Hannovre, 30. 3. 1810; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 8, Nr. 3723–3748, hier Nr. 3736: Schreiben von Mertens, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, an J. F. M. de Bongars, 18. 7. 1812. Vgl. MITTIG, Die Sprache der Denkmäler, S. 30–32. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 18. Nicht überall wurde Schill gleich enthusiastisch aufgenommen. Die Halberstädter sollen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen bspw. eher zurückhaltend reagiert haben. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 173. Andernorts allerdings standen die Lokalautoritäten nach Abzug der Schillianer unter Rechtfertigungsdruck, weil sie wenig Widerstand gegen sie gezeigt hatten. Vgl. ibid., S. 174–177. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 18. Vgl. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 174.
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und Schuß‹. Und dann noch der andere: ›Dänen und Holländer kamen, die ihn grausam attackirt, viel von Schill gefangen nahmen, viel’ getödtet und blessirt‹40 .
Zu welchem Ruhm die Gedenk- und Erinnerungskultur über Schill kommen sollte, bezeugt die Tatsache, dass F. Müller, der diese Lieder als Kind mitgesungen hatte, noch 64 Jahre später gestand, sie vor sich hin summen zu können und sie noch im Ohr zu haben. Der Zeitgenosse Nagel schildert seinerseits, wie die Schillianer, ihrer Uniform entledigt, ins Königreich Westphalen zurückgebracht wurden: »Sodann schaffte man sie durch Kriegsfuhren, so ziemlich auf demselben Wege, auf welchem sie gekommen waren, nach Braunschweig, wo sie am 17. Juni denn auch eintrafen«41 . Von dort aus wurden die meisten »nach Anweisung des Kriegsministers zu Kassel auf der Straße nach Mainz weitergeschafft, ohne Zweifel, um in irgend einem Bagno der französischen Küste den Galeerensklaven, in Ketten gelegten Räubern und Mördern, beigesellt zu werden«42 , während die Offiziere in Gefangenschaft nach Wesel geführt wurden43 . Einige Gefangene westphälischer Herkunft, 17 insgesamt, wurden jedoch in Braunschweig zurückgehalten, wo sie am 17. Juli vor ein Kriegsgericht gestellt und daraufhin hingerichtet wurden44 . Die Solidaritätsbekundungen der Braunschweiger an die Schillianer während ihrer Präsenz in der Stadt gingen der westphälischen Polizei eindeutig zu weit, weshalb sie versuchte, diese über Verbote zu unterbinden45 . Nach den Hinrichtungen waren die Zeichen der Trauer für die Schillianer jedoch kaum aufzuhalten: Zu Braunschweig […] regte sich das Doppelgefühl des Unwillens und der Wehmuth bei den erschütternden Vorgängen, die wir mitgetheilt haben, gleich anfangs noch unwiderstehlicher. Die Polizei hatte alle Beileidsäußerung gemessenst verboten. Dennoch fand man jeden Morgen die Gräber der Erschossenen mit frischen Blumen und Inschriften geschmückt, welche von der lebhaftesten Theilnahme der wackern Braunschweiger zeugten46 .
Die Braunschweiger waren trotz der polizeilichen Verbote nicht davon abzubringen, ihre Trauer und ihr Gedenken durch ihre nächtliche Grabpflege zum Ausdruck zu bringen47 . Für die Rückführung der Schillianer auf Kriegsfuhren durch das Königreich Westphalen nach Mainz und weiter nach Frankreich hatte die westphälische Obrigkeit offensichtlich be40 41 42 43 44 45 46 47
MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 24 f. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 175. Ibid., S. 176; vgl. BÄRSCH, Ferdinand von Schill’s Zug, S. 123 f. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 182. Ibid., S. 177 f.; vgl. SEVERIN-BARBOUTIE, Für das »Vaterland«, S. 187. Vgl. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 176. Ibid., S. 185. Die Braunschweiger sollten später ein Schill-Denkmal erhalten, das allerdings mehrere Umnutzungen durch wechselnde Machthaber erfahren sollte, vgl. BISCHOFF, Denkmäler der Befreiungskriege, Bd. 1, S. 185, Bd. 2, S. 442; MITTIG, Die Sprache der Denkmäler, S. 37.
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wusst und demonstrativ die gleiche Marschroute gewählt. Das konnte der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Nicht nur bei den Staatsbürgern in Braunschweig sorgte dies für Mitleid und Empörung. Die Rezeption des Schillschen Feldzuges durch die zeitgenössische Gesellschaft erbringt nach genauerem Quellenvergleich weitere unerwartete Erkenntnisse für den anstehenden Exkurs über den Stellenwert des Todes in der westphälischen Gesellschaft. Schill erfuhr nämlich nach seinem Tod ein Fortleben in der Fantasie und im Kollektivgedächtnis seiner Zeitgenossen. Obgleich der Feldzug Schills mit seiner Niederlage und seinem Tod im Mai 1809 eigentlich endgültig abgeschlossen war, warnte Polizeichef Bongars die Generalpolizeikommissare in einem Rundschreiben im Mai 1812 vor einem »supplement probablement faux de la Gazette de Berlin, dans lequel supplement le major Schill et plusieurs officiers de son corps se recommandent au souvenir des habitans de la rive gauche de l’Elbe«48 . Im Juni darauf bestätigte der Generalpolizeikommissar Georg Wilhelm Boehmer Bongars, dass »la malveillance fait même revivre le Colonel Schill«49 . Nach Schills Tod soll außerdem, so der Zeitgenosse Nagel, ein Gedicht, in dem Schill als »Geisterstimme […] selbstredend« erschien, als Lied in Preußen und auch im Königreich Westphalen viel Anklang gefunden haben50 . Diese Versuche, Schill im kollektiven Gedächtnis wiederzubeleben, waren 1812 nicht neu. Schon unmittelbar nach seinem Tod Ende Mai 1809 gab es mehrere Gerüchte von seiner leibhaftigen Wiederauferstehung. Der 48
49 50
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3671: Schreiben von G. W. Boehmer, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, an J. F. M. de Bongars, 10. 5. 1812; vgl. ferner RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 3, Nr. 383–441, hier: Bericht von J. F. M. de Bongars an den König Jérôme, 10. 5. 1812. Im Kapitel über das Medium »Brief«, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013), wurde ein Pamphlet in Briefform der Bürger Kocken und Bielstein besprochen: Hier zeigt sich eine andere Form der Tarnung für antinapoleonische Pamphlete. Mit dem Erscheinungsbild einer Zeitung wurden die Zeitgenossen über das tatsächliche Ableben Schills getäuscht. Eine vergleichbare Täuschung stellt ein im Ausstellungskatalog zur Kasseler Landesausstellung »König Lustik!?« abgedrucktes königliches Dekret, datiert vom 26. Oktober 1813, dar. Hinter dem offiziellen Erscheinungsbild versteckt sich eine antiwestphälische Satire. Vgl. König Lustik!?, Kat. 469. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 8, Nr. 3689–3722, hier Nr. 3691: Schreiben von G. W. Boehmer an J. F. M. de Bongars, 10. 6. 1812. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 172 f. Auch Kotzebue ließ in seiner antinapoleonischen Flugschrift von 1814 »Noch Jemand’s Reise-Abentheuer«, Schill und Palm als Erscheinungen vorkommen (Scenen 16 und 13), vgl. KOTZEBUE, Noch Jemand’s Reise-Abentheuer. Über die gespenstischen Erscheinungen des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen-Kassel oder des Herzogs Karl Ferdinand von Braunschweig in der Fantasie der Westphalen und ihres Königs Jérôme siehe im Online-Kapitel über die Gerüchte, http://halshs.archivesouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013).
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Staatsgefangene Gehren, Pfarrer zu Felsberg im Werradepartement, der wegen Teilnahme an den Unruhen im Zuge des Dörnbergschen Aufstands von 1809 festgenommen worden war, berichtet in seinen Memoiren über die Entstehung eines solchen Gerüchts. Im Juni 1809 wurde er mit »48 Arrestanten, überwiesenen, verurtheilten, aneinander geketteten Insurgenten, österreichischen Ueberläufern, auch Schillianern« unter Begleitung von Gendarmen nach Mainz gebracht 51 . Er schrieb über ihre Ankunft in Frankfurt am Main: Wahrhaft brüderlich […] war unsere Behandlung in der Stadt Frankfurt am Meyn, die wir am neunzehnten Junius erreichten. Kurz vor der Stadt entspann sich zwischen mir, der ich eben neben den Wagen hergieng, und einem Franzosen, der daselbst garnisoniren mochte, folgendes Gespräch: ›N’est ce pas, Monsieur, (indem er auf meine Reisegefährten zeigte) ce sonst des Brigands?‹ Excusés, Monsieur, ce sont des Patriotes. ›Mais, ils sont donc des Prisonniers?‹ Tout à fait, ce sont des Prisonniers. ›Eh diable m’emporte, des Prisonniers, des Brigands – quelle différence?‹ Ah, mon citoien, croiez moi, aujourd’hui il y a beaucoup de Prisonniers, qui ne sont pad [sic] de Brigands, comme il y a aussi beaucoup de Brigands, qui ne sont pas Prisonniers. […] Dieser Zusatz geschah nicht ohne Bitterkeit. Der Soldat machte also große Augen, maß mich von Kopf bis zu Fuß, überschaute die ganze Karavane, und eilte nun zum Thore hinein, […] nicht ohne Besorgniß sah ich, daß der französische Soldat mit dem Wachehabenden Officier, […] lebhaft sich unterredete. […] Inzwischen, wir fuhren ruhig durch das Thor und vor der Wache vorbey. Der Franzose, den ich immer im Auge behielt, begleitete uns und war stets neben meinem Wagen. Er redete mit mehreren auf der Straße deutsch. Mit jedem Schritte vermehrte sich unsere Begleitung, die uns neugierig betrachtete. Endlich erreichten wir die Zeile, und hier wurde das Gedränge so groß, daß unsere Wagen still halten mußten. In einer Stadt, wie Frankfurt, wo man sonst nicht so neugierig ist, wie in kleinen Städten, fiel mir dieß sehr auf. ›Wissen Sie wohl, sagte Einer der Gensd’armen, der sich mir näherte, ›daß man Sie sämtlich für Schillianer hält und daß ein Franzose gesagt haben soll: Schill selbst sey mitten unter Ihnen?‹ Möglicher Weise hatte meine Unterredung mit jenem Soldaten Anlaß zu dieser Meynung gegeben. Einer aus unserer Mitte, ein ausnehmend stärker, mit fürchterlichem Backenbarte versehener, Mann, ein Knopfmacher von Homberg, wurde bald für Schill gehalten und die den Wagen umzingelnde Menge gab durch Geld und andere Geschenke, die sie unter unsere Insurgenten vertheilte, deutlich zu erkennen, wie sie über Schill dachte52 .
Durch Gehrens Erzählung wird die Entstehung eines Gerüchts anschaulich und eine zentrale Grundbedingung für dessen Entstehen deutlich: Die Frankfurter waren gewillt zu glauben, Schill sei noch am Leben, und huldigten bewusst oder unbewusst in der Person eines Knopfmachers dem Gedächtnis des gefallenen Majors. Ihre Hingabe an das Gerücht führte zu Geldspenden 51 52
GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 88. Ibid., S. 105–108.
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und materiellen Geschenken. Die Nachricht vom Einzug der vermeintlichen Schillianer in Frankfurt am Main, worunter Schill selbst vertreten sein sollte, gewann sicherlich insbesondere an Glaubwürdigkeit, da ausgerechnet ein Franzose, welcher außerdem sehr wahrscheinlich der deutschen Sprache mächtig war, für die Verbreitung der Nachricht sorgte. Möglicherweise wurde das Gerücht von kritischen Zeitgenossen freudig weitergetragen. Der Rückzug der Schillianer nach Westphalen war trotz aller Bemühungen der westphälischen Obrigkeit, die Gedenk- und Erinnerungskultur der Westphalen zu unterdrücken, ein Medienereignis kleinerer Reichweite geworden, das sich im Kollektivgedächtnis der Westphalen und der Zeitgenossen festsetzte und mehrmals wiederbelebt wurde, ohne an Plausibilität zu verlieren53 . Es half auch wenig, dass man dazu überging, Schills Kopf in Spiritus herumzuzeigen: Und jetzt, [nach seinem Ableben], zeigte es sich recht, was er seinen Landsleuten gewesen war. Nicht selten geschieht es, dass das Volk eine wahrhaft ideale Figur mit Gewalt festhält, weil es keine Lücke in der moralischen Ordnung der Geschichte gestatten will. So mochte man auch an Schill’s Tod nicht glauben. Um das Volk zu überzeugen, dass Schill wirklich todt sei, zeigte ein verständiger Holländer Schill’s Kopf in Spiritus herum. Und dennoch war Schill nicht todt! Sein Geist lebte54 .
Schill und sein Korps ließ man nicht nur zu Lebzeiten hochleben, wie in Hadmersleben, auch nach ihrem Tod und Abtransport wurden sie ins Leben zurückberufen55 . Auch Schills Wahlspruch und Lebensphilosophie passte in gewisser Weise hervorragend zu der Erinnerungskultur, die die Westphalen um seine Person aufbauten: »Der kühne Schill endlich bezahlte bei Stralsund mit dem Leben seine letzte und schönste Predigt über seinen Wahlspruch: ›besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende‹«56 . Wenn im Juni 1809 und erneut im Jahre 1812 geglaubt wurde, Schill sei noch am Leben, so lassen auch andere Todes- und Lebensnachrichten vermuten, dass die Grenze zwischen Leben und Tod besonders im Fall von Kriegshelden und Feldherren äußerst fließend war. 3.3. Schwarze Husaren des Herzogs von Braunschweig-Oels in Totengestalt Im Fall der so genannten »schwarzen Husaren« des Herzogs von Braunschweig-Oels, der ebenfalls im Juli 1809 einen Zug durch das Königreich Westphalen mit der gleichen Motivation wie Schill unternahm, sorgte deren Erscheinung in Totengestalt schon zu ihren Lebzeiten für Aufsehen. Polizei53
54 55 56
Zum Begriff »Medienereignis« bzw. »Kommunikationsereignis« vgl. WILKE, Der nationale Aufbruch; WAGNER, Die Rezeption des »Königsmordes«; HEIMSOTH, »Was Bonaparte gestohlen, können die Preußen wiederholen«. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 18 f.; vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 161. Vgl. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 18. Ibid., S. 18 f.
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berichte aus dem Großherzogtum Berg an den französischen Polizeiminister in Paris wissen zu berichten: J’appèle M. le Duc de Brunswick un brigand, parcequ’il a commis les excès les plus cruels à Leipzick et à Halle, et que sous ce misserable rapport il s’est placé fort audessous de Schill. Il s’est placé surtout par le ridicule. Il intitule ses bandes, Légion de vengeance; il habille ses brigands en noir; il les chamare d’ossemens humains et de têtes de mort brodés en blanc; il leur fait prêter des serments lugubres57 .
Bei einem Vergleich zwischen dem Schill’schen Freikorps und den schwarzen Husaren des Herzogs von Braunschweig-Oels in der Perspektive des Umgangs der Westphalen mit Tod und Leben fällt die Umkehrung des Motivs auf: Wurde Schill nach seinem Tod mehrfach wiederbelebt, so gebärdeten sich die schwarzen Husaren als Rächer und drückten möglicherweise mit ihrer Verkleidung den herbeigewünschten Tod der Franzosen aus. Auch der Graf von Beugnot bestätigte die oben zitierte Beschreibung der schwarzen Husaren des Herzogs von Braunschweig-Oels: il [le duc de Braunschweig-Oels] les avait intitulées l’Armée de la Vengeance, et leur avait donné des uniformes conformes à leur destination: habit noir chamarré de têtes de mort et d’ossements humains brodés en blanc. Il en exigeait des serments affreux, et, ce qu’il y avait de pire, c’est que ce lugubre appareil accompagnait les scènes qu’il semblait seulement promettre. Des Français, saisis au hasard et la plupart désarmés, avaient été [à Leipzig et à Halle] impitoyablement massacrés58 .
Dem Erschaudern der Westphalen über Schills Behandlung durch die Franzosen und der westphälischen Schillianer durch die westphälische Obrigkeit stand das Entsetzen und die Furcht der Franzosen vor den Gebärden und Handlungen der schwarzen Husaren gegenüber. Die Westphalen ließen die Toten auferstehen, während die Lebenden in Totengestalt die Franzosen das Fürchten lehren sollten und zu diesem Zeitpunkt der napoleonischen Ära, 1809, mehr mit Totenkopf und Knochen imponierten als sie kriegerisch Erfolg verbuchen konnten. Medial gesehen war ihr Zug durch Westphalen in den Fussstapfen Schills hervorragend inszeniert und von großem Erfolg, da sie langfristig ins kollektive Gedächtnis und in die Erinnerungskultur der Westphalen einzogen, die sich viele Jahre noch andächtig an das »Bivouac der Todten-Köpfe vor Braunschweig« erinnerten59 . Der Braunschweiger Johann Georg Friedrich Mack ließ im September 1809 nicht nur seinen Sohn auf Friedrich Wilhelm taufen, er zog ihm ein schwarzes Taufkleid an, das die Uniform des Schwarzen Herzogs nachahmte. Diese demonstrierte Anhängerschaft war kühn, denn sie konnte 57 58 59
AN Paris, AFIV 1839 B: Rapport de la 1re quinzaine du mois d’août courant, Rapport du 11 août 1809, rubrique »Westphalie«. BEUGNOT, Mémoires du comte Beugnot, Bd. 1, S. 335. Vgl. ferner HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 53. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 29, vgl. ferner S. 19–22.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 21: C. G. H. Geißler, Wofür trüg’ ich Diesen?, um 1810, Radierung, 27,8×21,8 cm, SML, Gei III/48.
schlecht auf die Schnelle beschlagnahmt werden – wie hätte denn auch die Polizei das Kleid ohne den Täufling aus der Kirche bringen können, ohne die Gemüter zu erregen? Aufgrund seines Bekenntnisses zum Schwarzen Herzog fand Mack Eingang in das Schwarze Buch der Polizei seiner Stadt 60 . Die Sympathiebekundungen zu westphälischer Zeit beschränkten sich auch nicht auf das Braunschweigische Land: »Wie viel Sympathie in Kassel für den tapfern Welfenfürsten herrschte, konnte man daraus entnehmen, dass man seinem Bildniß beinahe in allen Häusern begegnete. Auf patriotische Bilder pflegte die Polizei keine Jagd zu machen«61 . Derjenige, den Ernst Moritz Arndt vertraulich den Herzog nannte, konnte über das Königreich Westphalen hinaus Hoffnung wecken62 . 60
61 62
Vgl. König Lustik!?, S. 499. Wie aus einem Tagebucheintrag von Albertine Müller ersichtlich, war im Herbst 1809 nicht allein der Täufling schwarz gekleidet, es wurde in Braunschweig »Mode, sich à la Oels zu tragen«, Müller, zitiert nach: STRAUSS, »Franzosenzeit«, S. 706. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 25. Vgl. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 19.
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Abb. 22: C. G. H. Geißler, Zur Erinnerung an Die Schwarzen in Leipzig, 1809, Radierung, 23,5×31 cm, SML, VS 40963 . Abb. 23: Taufkleid für Friedrich Wilhelm Mack, Braunschweig, September 1809, Atlasseide, Samt, Kleid L 55, Mütze 8×12 cm, Braunschweigisches Landesmuseum, VMB 5168. Foto: Repro Braunschweigisches Landesmuseum, I. Simon.
63
Im Juni 1809 zogen die schwarzen Husaren durch das Königreich Sachsen und waren zweimal in Lepizig. Geißler hielt es in mehreren Zeichnungen auf. Auch
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Als am 16. Juni 1815 ihr Herzog in einer Schlacht gefallen war64 , ergriff die Braunschweiger ein tiefes Entsetzen und die einstmaligen westphälischen Staatsbürger ließen den Herzog von Braunschweig-Oels, ganz in der Manier, wie sie zuvor Schills Tod nicht hatten glauben wollen, durch ein Gerücht in der Domkirche auferstehen: Eine geheimnisvolle Kugel tödtete ihn […] in der Schlacht bei Quatre-bras. Entsetzen ergriff die Braunschweiger bei der Todesnachricht. Theilnahme und Kummer waren bei den Unterthanen so groß, dass an seinem Begräbnißtage buchstäblich kein Strohlager in Braunschweig mehr zu finden war. Vier Tage danach verbreitete sich das Gerücht, der Held commandire unablässig in der Domkirche. Acht bis neuen Tage, so wird erzählt, hielt das Commando an und Niemand getraute sich mehr an der Domkirche vorbeizugehen65 .
Für den Herzog war in der Fantasie seiner Untertanen selbst die Kriegsführung mitten in der Domkirche erlaubt. Vom Willen, das Gedächtnis an ihre Helden wach zu halten, zeugen auch einige Tabakdosen, die erst nach 1813 entstanden und die antinapoleonischen Helden des Jahres 1809 nah zueinander rücken ließen, obwohl sie zwar »mit ihren Aktionen durchaus auch aufeinander [reagierten, eine] wirkliche Verbindung zwischen ihnen bestand jedoch allenfalls im gemeinsamen Feind« und im Bewusstsein der Zeitgenossen66 . 3.4. Todesnachrichten aus Russland und gefälschte Totenscheine Im Kontext des Krieges verbreiteten sich im allgemeinen Todes- und Lebensnachrichten, ohne dass die Möglichkeit bestand, unmittelbar ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. So berichteten Polizeiagenten häufiger von solchen öffentlich verbreiteten Nachrichten, wobei sie nicht in der Lage waren, auszumachen, ob diese der Wahrheit entsprachen oder ob es sich lediglich um Gerüchte handelte67 . Die beschönigende Kriegsberichterstat-
64
65 66 67
1859 stellte er zum 50-Jährigen des Ereignisses eine der Szenen nach. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 42 f., 48. Auch zum Tod des Herzogs bei Quatre-Bras lieferte Geißler eine Zeichnung. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 85. Das Motiv des bei der Schlacht bei QuatreBras gefallenen Helden gibt es ebenfalls als Zinnfigurenensemble, vgl. SCHRAUDOLPH, Herrscherstolz und Bürgerfleiß, S. 11. Ibid., S. 22. König Lustik!?, S. 500. Der Polizeiagent van Baerll berichtete mit einem großen Maß Ungewissheit in seinem Bericht an Schalch über den tot geglaubten General Vandamme und den noch lebenden General Moreau, vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 9, Nr. 4347–4351, hier Nr. 4350: Rapport von T. Vb[aerll] an von Schalch, Ge-
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tung in den »öffentlichen Blättern« wird dazu beigetragen haben, dass die Nachrichten von der Front nicht für glaubwürdig gehalten wurden. Ein Zeitgenosse schrieb über die französischen Meldungen vom Krieg: Die Franzosen pflegten in ihren Schlachtenberichten die Verluste der Gegner, um ihre Tapferkeit in eine helle strahlendes Licht zu stellen, bis ins Unglaubliche zu übertreiben; die ihrigen hingegen so geringe anzugeben, dass man hätte glauben sollen, ihre Feinde hätten mit Erbsen geschossen und mit Fuchslunten gefochten68 .
Die Schreckensnachrichten vom Russlandfeldzug breiteten sich jedoch dessen ungeachtet aus. So wurde Anfang Februar 1813 in Göttingen bekannt, der Perückenmacher Rapper aus Northeim solle gesagt haben: »que les restes de neuf Regiments westphaliens, ensemble 25 hommes, avoient passé par Northeim«69 . Der Kandidat der Theologie Grosse aus Niedenstein im Elbdepartement habe sich ebenfalls Anfang Februar erdreistet, »unter der Zeitung […], worinn bemerkt war, dass Napoleon viele Truppen marchiren lässt, in roter Schrift den Kommentar: (wann der Schnee in Russland wiederum aufthauet)« zu setzen70 . Dies war eine sarkastische Anspielung darauf, dass die napoleonische Armee größtenteils unter dem Schnee in Russland liege und erst mit dem Frühling wieder auftauchen werde. Grosses ironischer Umgang mit dem Massensterben von Soldaten der Grande Armée und ihrer Verbündeten in Russland und seine kritische Rezension der westphälischen Kriegsberichtserstattung durch Randbemerkungen in roter Schrift in einem Exemplar des »Moniteur« führten zu seiner Verhaftung und Überführung ins Kastell von Kassel 71 . Die harten polizeilichen Maßnahmen gegenüber Verbreitern von Todesnachrichten aus Russland hat-
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neralsekretär der Hohen Polizei, 15. 9. 1813. Der Polizeiagent Heiliger berichtete dem Generalpolizeikommissar Guntz das Gerücht vom Attentat auf den König von Schweden, Jean-Baptiste Bernadotte, im November 1812: vgl. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 140: Rapport von Heiliger, Polizeiagent in Moritzberg, an F. T. de Guntz, 19. 11. 1812. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 169. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8041–8158, hier Nr. 8115: Schreiben von Mertens an J. F. M. de Bongars, 13. 2. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9776: Rapport von C[erfy], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 18. 2. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 155–13 179: Affäre Grosse; vgl. ferner RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 272 von J. F. M. de Bongars an den Maire in Niedenstein, Elbdepartement, 8. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 273 von J. F. M. de Bongars an den Kantonmaire in Niedenstein, 8. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 274 von J. F. M. de Bongars an Pfeiffer, Friedensrichter in Niedenstein, 8. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 293 von J. F. M. de Bongars an den Kantonmaire in Niedenstein, 9. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 365 von J. F. M. de Bongars an J. Kaufmann, Kastellkommandant in Kassel, 14. 2. 1813; vgl. ferner RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées, Eintrag Nr. 103. Über eine Karikatur, auf die Grosses Kritik eventuell zurückgeht, vgl. Kapitel B IV.
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ten einen klaren Hintergrund. Es wurde befürchtet, derartige Nachrichten könnten die neuen Rekruten entmutigen72 . So wusste der Polizeiagent Charles Eskuchen über die Stimmung bei den neuen westphälischen Soldaten im Mai 1813 zu berichten: L’esprit qui regne entre les Soldats Westphaliens est encore assez mauvoix; ils sont remplis de peur de perdre leur vie, et ce sont eux-même qui se communiquent ces sentiments; on entend souvant les parler de la sorte, cammerades faisons bonne chère, car l’année passé nous n’existerons plus; c’est les Russes qui nous aurons tués73 .
Der Historiker Friedrich Thimme bestätigt: Allgemein herrschte in Westfalen die Ansicht, wer marschieren müsse, gehe dem sichern Tode entgegen. Daher denn auch die ›herzzereissenden Scenen des Jammers‹, welche die Aushebung trotz aller lustigen Geigen und wirbelnden Trommeln überall hervorrief 74 .
Die Todesnachrichten erzeugten unmittelbar Todesangst. Dass die kursierenden Todesnachrichten im Februar 1813 den Westphalen im Allgemeinen sehr glaubwürdig erschienen, zeigen auch die Affären Fraengel und Trettstedt vom Winter 1812. Im November 1812 meldete Bongars dem Generalpolizeikommissar in Halberstadt: »un individu qui s’occupait d’écrire aux gens crédule qui ont des enfans à l’armée, pour les tromper sur le sort de ces derniers, et qu’en outre pour prouver ses absurdités, il leur envoyait des Extraits mortuaires qu’il fabriquait à cet effet«75 . Die Motivation des verhafteten Fraengels war, den von der Todesnachricht 72
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Zu den kontinuierlich wachsenden Schwierigkeiten der Obrigkeit, die Konskription durchzuführen und zum immer ausgefeilteren Maßnahmenkatalog, um Refraktäre und Fahnenflüchtige sowie ihre Helfer zu belangen, vgl. u.a. SEVERINBARBOUTIE, Vom freiwilligen Söldner zum dienstpflichtigen Untertan, S. 122– 125. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5041–5085, hier Nr. 5055: Rapport Nr. 68 von C. E[skuchen], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 18. 5. 1813. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 162. Vgl. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 55. Bemerkenswert ist, dass die westphälische Obrigkeit die Aushebung ihrer Konskribierten als Nationalfest inszenierte. Eine Untersuchung solcher Festlichkeiten zu einem konfliktreichen Anlass, der ganz besonders zu innergesellschaftlichen Spannungen führte, wäre in Ergänzung zu den Studien über den sonstigen westphälischen Festkult, wie z. B. bei Knauer, wünschenswert und fehlt noch: KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«; DERS., Monarchischer Festkult. Vgl. weiterführend zum Thema Festkult: DOTZENROD, Republikanische Feste im Rheinland; SIEMANN, Propaganda unter Napoleon; STEIN, Ikonographie; DERS., Jakobinerklub und Freiheitsfeste; OESTERLE, Suchbilder kollektiver Identitätsfindung, S. 129–153; DRÖGE, TAPPE (Hg.), Festkultur in Lippe; BUCHHOLZ, Französischer Staatskult. GStA PK, V. HA, Nr. 700, Akten der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 21. 11. 1812–22. 2. 1813: Schreiben Nr. 2894 von J. F. M. de Bongars an Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, 25. 11. 1812; vgl. ibid., Schreiben Nr. 2906 von J. F. M. de Bongars an Moisez, 25. 11. 1812.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
317
ihrer Nächsten bestürzten Verwandten unter Berufung auf vermeintliche Schulden der angeblich Verstorbenen Geld zu entlocken. Aber nicht allein Fraengel kam auf den Gedanken, mit den Todesnachrichten ein Geschäft zu machen: Auch ein Mann namens Trettstedt wurde wegen der Fabrizierung von falschen Totenscheinen und des Betrugs von verzweifelten Familien im Dezember 1812 verhaftet 76 . Die allgemein verbreitete Angst vor dem Krieg und seinen Folgen machte den Betrug mit Totenscheinen möglich. In den Wirren der Nachrichten über Leben und Tod von Soldaten und Kriegsherren wird es wiederum durchaus denkbar, dass Taberger mit dem kleinen Sarg unter anderem auf den Tod Napoleons anspielen wollte. Politische Gegner sterben und vaterländische Helden wiederauferstehen zu lassen, scheint durchaus gängig gewesen zu sein, wie dies auch anhand der Gerüchte über die Ankunft Schills in Frankfurt am Main nach dessen Tod aufgezeigt wurde, anhand der Lieder und der Pamphlete, wie im Fall des gefälschten Supplements der Berliner Gazette, das Schill noch 1812 für lebendig erklärte. Über die vielen angeblichen Attentate auf Napoleon und seine Familie soll im Folgenden noch berichtet werden, damit diese in die Interpretation der Tabergerschen Sarginszenierung einfließen können. 3.5.
Vermeintliche Attentate auf Jérôme und Napoleon
In der Nacht vom 23. März 1813 wurden einige Kasseler Bürger der rue des orphelins aus dem Schlaf gerissen. Der Referendar der Oberrechenkammer H. F. Kaulwell fühlte sich nämlich dringend genötigt, ein Geständnis vor den von seinem Lärm herbeigerufenen Gendarmen Meise und Lübbers abzulegen: Ich bin unglücklich, ich habe ein Verbrechen begangen, Sie müssen mich arretiren, weil ich den festen Vorsatz hatte und schon lange damit umgegangen bin den König von Westphalen zu ermorden, ich habe stets versteckte Waffen zu diesem Zweck bei mir getragen und mit diesem Gedanken lange schwanger gegangen; und gerade jetzt will ich sterben, da mein armes Vaterland wieder in Gefahr ist 77 .
76
77
Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 700: Schreiben Nr. 3187 von J. F. M. de Bongars, 29. 12. 1812; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 848, Registre de correspondance du bureau de la police secrète, 5.11.[1812]–30.1.[1813]: Schreiben Nr. 2230 von J. F. M. de Bongars an Moisez, 29. 12. 1812; vgl. ferner über weitere Vorfälle GStA PK, V. HA, Nr. 700: Rundschreiben Nr. 198 von J. F. M. de Bongars an die Präfekten, 25. 1. 1813; Lha S-A, Wernigerode, B 18 II. 123. II. a., Bl. 262 f. Vgl. die Affäre Hoff vom Dezember 1812, die auf einem ähnlichen Betrug mit erfundenen Soldatenbriefen basierte und ebenfalls bezweckte, Geld von den Familienangehörigen der Soldaten zu erhalten – siehe Online-Kapitel zum Medium »Brief«, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10 268–10 346, darin Nr. 10 334–10 339, Affäre Kaulwell, Nr. 10 338: Protokoll der königlichen Gendarmerie über die Arrestation des Cammer Referendaire H. F. Kaulwell, 23. 3. 1813.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Das Staatsverbrechen Kaulwells stellte sich jedoch bei näherer Untersuchung als recht harmlos heraus, denn dieser habe »sich aus wahrscheinlicher Abwesenheit des Verstandes selbst des Verbrechens angeklagt«, wie die Gendarmen feststellten78 . Kaulwell wurde letztendlich für labil und psychisch krank erklärt und von seiner selbst beteuerten Schuld freigesprochen. Die Fixierung Kaulwells auf das schwerste Verbrechen, den crime lèsemajesté, spricht für die allgemeine Faszination, die ein Attentat auf den König Jérôme in der westphälischen Gesellschaft hervorzurufen in der Lage war79 . Nicht weniger Aufsehen erregte ein vermeintliches Attentat auf Napoleon selbst. Im Winter 1809 war der Domherr von Münster, Wilhelm von der Lippe, von der Polizei belangt worden, weil er Gerüchte über den Tod Napoleons verbreitet hatte80 . Im Kontext des Russlandfeldzugs ging auch im Januar 1813 in der Form von »lügenhaften Zetteln«, diesmal im Halleschen Waisenhaus und in der Gegend von Halle, die Nachricht von Napoleons Tod um81 . Wie aus den Ermittlungen hervorging, waren die aufrührerischen Pamphlete, »qui portent les mots Bonaparte est todt! Auf!«, von den Schülern Eppner und Schulze angefertigt worden82 . Für ihre antifranzösischen »Zettel« wurden sie am 14. Februar in das Kasseler Kastell gebracht und erst Anfang Juli wieder freigelassen. Die Sanktion fiel hart aus, denn die westphälische Obrigkeit war nicht bereit, sich den Streich, selbst von Jugendlichen, gefallen zu lassen83 . Anfang April 1813 wurde im Rahmen eines Verhörs Caspar Simmer aus Altmorschen im Werradepartement zur Rechenschaft gezogen, der beschuldigt wurde, die westphälischen Untertanen in seiner Gegend zur Verweigerung ihrer Steuerabgaben anzustiften, außerdem wegen einer von ihm zuvor verbreiteten Nachricht: Ist von ihnen nicht auch folgende Geschichte, die sich mit dem französischen Kaiser zugetragen haben soll, erzählt worden: ›der Kaiser wäre ja schon geflüchtet, die 78 79
80 81
82
83
Ibid. Im Kapitel über das Medium »Brief« konnte das Pamphlet in Briefform von Kocken und Bielstein analysiert werden, das Pfarrer Altenburg in Verdacht zu bringen beabsichtigte, ein crime lèse-majestégegen den König Jérôme zu planen, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Vgl. AN Paris, AFIV 1839 B, Dossier de Police, Okt.–Dez. 1809. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7725–7761, hier Nr. 7758: Schreiben von J. M. Piautaz, Unterpräfekt in Halle, Saaledepartement, an J. F. M. de Bongars, 27. 1. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées: Einträge Nr. 104 und Nr. 105; vgl. ferner RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 239–13 254; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 358 f., 366 und 371. In der bereits genannten Affäre Grosse ging die westphälische Obrigkeit auch gegen einen Kandidaten der Theologie hart vor: Es könnte sein, dass sie in den Jugendlichen eine besonders unkontrollierbare Bevölkerungsgruppe erkannte. Vgl. HOFFMANN, Aufrührer, Ruhestörer oder gute Patrioten?
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Abb. 24: Teller, 1813–1821, Porzellan, 3×20,5 cm, SML, Po 356. Auf diesem Teller ist eine Szene zu sehen, in der Napoleon beschossen wird, mit der Unterschrift: »Die Kugel ist noch nicht gegossen, die mich tödten soll«.
Russen hätten ihn beinahe gefangen genommen, indem derselbe so im Gedränge gewesen wäre, daß ein Kosacke in dem Wahn den Kaiser zu erstechen, einen seiner Generäl an seiner Seite gestochen habe: überhaupt hätte der Kaiser sich nur dadurch gerettet, deßen sich in Sachsen auf die Post gesetzt habe‹84 .
Im Zeitraum von Juni bis Juli 1813 ging erneut ein Gerücht um, wonach »der französische Kayser von einem seiner Generälen durch einen pistolen Schuß, tötlich am Kinn plesirte worten« sei 85 . Als erste berichtete die Polizeiagentin Gall-Bessalié aus Kassel am 23. Juni darüber: Der Sargent Vaf […] hat in einem hisigen volgende Begebenheit erzelt, die er von jemanden der aus Dresden kam, gehort haben will, Nemlich der Keiser Napoleon habe einem Genral mit die unter seinem Comendo stehende Truppen zu einer afairé beordert, der Genral habe ihm dagegen Vorstelungen gemacht und behauptet er habe dafür zu wenig Leite, das würde doch nichts helfen, der Keiser widerholte seinen gegebene Befehl, und es entstand ein disput, der Genral in der hitze schoß nach dem Keiser und traf ihm in , und eine kleine Verletzung am Hals, der Genral vermuhtlich sein Verbrechen einsehand, habe sich selbst erschoßen86 .
Ob Kinn oder Hals, die verschiedenen Varianten des Gerüchts stimmten dann überein, dass es sich um einen gefährlichen Kopfschuss und damit um den Kopf und die Krone des Kaisers handelte87 . 84 85 86
87
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 084–13 108, hier Nr. 13 096: Verhörprotokoll von C. Simmer, 5. 4. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 12 016: Rapport von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 3. 7. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5030–5040, hier Nr. 5040: Rapport von G.[all-]B.[essalié], Polizeiagentin in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 23. 6. 1813. Über die Verwundungsrhetorik als Teil der napoleonischen Propaganda vgl. BAECQUE, Imperiale Verletzungen, S. 51.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Der Polizeiagent Cerfy hörte ebenfalls in einem Kasseler Wirtshaus am 29. Juni »von dem falschen Gerücht welches hier verbreitet wurde, nämlich daß Napoleon von seinem eigenen Général durch einen Pistohlen Schuß tödlich plessirt wurde«88 . Gall-Bessalié meldete nochmals am 1. Juli: Am Tische des Statsrats von Schulters wurde vor einigen Tagen, über das selbe Merchen gesprochen, was ich Ihnen bereits vor 12 Tagen schon anzeigte, memlich das der Keiser habe einem Marschal beordert, mit seinem Truppen nach berlin zu gehen, der Marschal widerriht, es werde nichts hulfen, er habe zu wenig leite, sie verden aus aufgeopfert, der Keiser wider holte seine Ordre mit dem Zusatz faite tout souite, und als Ihm der Marischal nochmals widersprach, habe der Keiser zu erst nach ihm geschoßen, der Marschal drikte eine pistole auf dem Keiser ab, wo die Kugel in der Gegend der Nase herein und am Kin heraus kam, und schoß die zweite pistole auf sich selbst ab89 .
Die Information wurde von Mal zu Mal genauer, nun war der Kopfschuss bei der Nase zugefügt worden und wieder am Kinn ausgeschieden, auch hieß es in der zweiten Version der Polizeiagentin Gall-Bessalié, Napoleon habe zuerst geschossen. Das Gerücht nahm offenbar seinen Lauf auch außerhalb von Kassel. So warnte Bongars den Unterpräfekten von Hersfeld: Il m’est revenu […] que le Sr. Strutz, Procureur prés le tribunal de 1ere instance seant à Hersfeld a dit que des connoissances qu’il à Cassel lui ont communiqué pour nouvelle: ›que S. M. l’Empereur et Roi était blessé au menton par suite d’un différent qu’il aurait eu avec un de ses Généraux en chef sur le quel S. M. Impériale aurait tiré un coup de pistolét; et le Gal. ayant riposté il aurait atteint l’Empereur au menton, la balle serait glissée derniere le col, sans qu’on ait pu encore la retirer etc. etc90 .
Bei dieser Nachricht von der lebensgefährlichen Verletzung des Kaisers wird deutlich, dass im Kontext des Jahres 1813 selbst in den Rängen der napoleonischen Armee Attentate auf Napoleon als wahrscheinlich erschienen. Je mehr die napoleonische Eroberungspolitik zum Scheitern verurteilt schien, desto mehr Gerüchte über seinen gewaltsamen Tod verbreiteten sich91 . Das Fehlschlagen des Russlandfeldzugs stellte den Ruf von Napoleons Unbesiegbarkeit in Frage92 . Der Übersetzer und Dolmetscher Mierzinsky fasste die allgemeine Bestürzung und den Umschwung im Napoleonbild der Zeit88 89 90
91
92
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5086–5125, hier Nr. 5124: Rapport von C[erfy] an J. F. M. de Bongars, 29. 6. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 12 066: Rapport von G.[all-Bessalié] an J. F. M. de Bongars, 1. 7. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 851, 1, hier: Schreiben Nr. 1730 von J. F. M. de Bongars an Günther, Unterpräfekt in Hersfeld, Werradepartement, 1. 7. 1813. Im Oktober 1812 versuchte General Malet einen Staatsstreich, indem er in Paris das Gerücht von Gefangennahme und Tod Napoleons in Russland verbreitete. Napoleons 28. Bulletin de la Grande Armée endete mit einer Beteuerung, dass er wohlauf sei, als Antidot zu Malets Gerücht. Vgl. BOUDON, Un outil de propagande, S. 252; PELZER, Die »Bulletins de la Grande Armée«, S. 211, 232. Vgl. SCHMIDT, Der Kriegsgott selbst?, S. 168, 173 f.
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genossen zusammen: »Hier enden die Erinnerungen, da für den Verfasser alle officiellen Quellen versiegt, die Begebenheiten seit März 1813 überall zu lesen sind. Die Macht des bis Moskau unüberwindlich Gewesenen ist zum Theil gebrochen«93 . Angesichts der vielen Gerüchte über den Tod Napoleons lässt sich eine Verbindung zur Sarginszenierung von Taberger vermuten: Wollte dieser vielleicht den Kaiser schon für tot erklären, obwohl zu diesem Zeitpunkt Napoleon bereits wieder in Paris eingetroffen war?
4. Der Sarg, die Mamelucken und der »escadron sacré« im Schaufenster des Zinngießers Taberger Vor dem Hintergrund des Verhältnisses der Westphalen zum Tod im Allgemeinen und zu demjenigen Napoleons im Besonderen soll die Interpretation der Sarginszenierung durch die hannoverschen Polizeikommissare erneut analysiert werden. Eine Rückkehr zur These, die aus der textimmanenten Interpretation des Quellenmaterials zur Affäre Taberger herausgebildet wurde, ist geboten: Stellte in den Augen der hannoverschen Polizei der Sarg ein Sinnbild für Napoleons Tod dar? Drei Indizien führen zu einer präziseren Aussage94 . Wie schon erwähnt, erschien der schwarze Sarg in den Augen der Polizeikommissare ganz besonders verdächtig, als sie beim genaueren Hinschauen die französischen Nationalfarben an ihm entdeckten: ein »Sarg, an dem sich vorn und hinten ein blaues und rothes Schild mit weißer Einfassung befinden«95 . Der inszenierte Tod betraf offenbar unmittelbar einen Angehörigen der Grande Armée, wenn er nicht gar als Sinnbild für den Untergang der Armee als ganzer stand96 . Nach den Angaben der Polizeikommissare war der Sarg außerdem von »französische[n] Officiere[n] zu Pferde nebst 2 Mameluken, welches die hiesige Escadron vorstellen konnte«, umstellt – möglicherweise zwei weitere
93 94
95
96
[MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 135. Über den Stellenwert der »Indizien« bei mikrohistorischen Fallstudien vgl. GINZBURG, Spurensicherung; SCHLUMBOHM, Mikrogeschichte–Makrogeschichte, S. 22. Zum »Indizienparadigma« vgl. ferner ULBRICHT, Mikrogeschichte, S. 19, 22 f. HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 181 f. Über die ikonographischen Elemente und Selbstdarstellungen der französischen Nation seit der Französischen Revolution vgl. u.a. AGULHON, Marianne au combat; vgl. auch FEHRENBACH, politische Symbole. Satirische Begräbnisse gehörten zum traditionsreichen Repertoire der antinapoleonisch gesinnten Bildpublizistik: vgl. CILLISSEN, REICHARDT, Satirische Begräbnis-Rituale, u.a. S. 60 f., 67–70.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Indizien in Richtung der oben aufgestellten These97 . Die Erwähnung der Mamelucken stellte einen unmittelbaren Bezug zur berühmten kaiserlichen Garde her oder sogar zu Rustan, dem Diener Napoleons, der ihn seit seiner Rückkehr aus Ägypten auf Schritt und Tritt begleitete98 . In den Memoiren des Pastors Nagel aus Halberstadt werden die Mamelucken und Rustan mehrfach erwähnt. Als Nagel über die französische Reiterei und die Nationalgarde schreibt, kommt er auf sie zu sprechen: Noch viel mehr Aufsehen erregten jedoch die sogenannten Mamelucken, aus deren Mitte jener Rustan hervorgezogen sein mogte, der Leibmameluck, welchen wir später mehrmals auf dem Kutschbocke des Reisewagens gesehen haben, in dem der Kaiser fuhr. Nicht Alle waren jedoch so tiefbraun von Angesicht wie dieser. Man bemerkte Schattirung der Farben vom Gelb der Südeuropäer bis zur Olivenfarbe des Malaien, jedoch durchgehends morgenländische Gesichtsbildung und ein Colorit welches ebenfalls seine Abkunft vom Sonnenaufgang her verrieth. Es waren schöne Leute von schlankem Wuchse, völlig orientalisch uniformirt und gerüstet bis auf Sattel, Zaum und breite, türkische Steigbügel 99 .
Diese Ausführungen machen deutlich, dass das Fremdländische der Mamelucken, die unter den Reitern der kaiserlichen Garde eine Kompanie bildeten, bei Truppendurchmärschen im Königreich Westphalen große Beachtung fand. Dass Rustan als der Leib-Mameluck Teil der napoleonischen Legende zu Lebzeiten des Kaisers wurde, wird auch in der Forschungsliteratur bestätigt 100 . Nagels Memoiren erwähnen eine weitere Erscheinung Rustans, als sich der Pastor Mitte September 1808 zur Messezeit in Frankfurt am Main aufhielt: eine dichtverschlossene, mit vier Rappen bespannte Reisekutsche […] rasselte [über den Messeplatz bei uns vorüber. Napoleon] saß still und unbemerkt im Hintergrunde der Carosse […]. Man ward nichts von ihm gewahr; Rustan jedoch, der Mamelucke, welcher den Bocksitz zierte, zog durch seine finstere Hautfarbe und die morgenländischen Gesichtszüge, in Verbindung mit dem gleichfalls orientalischen 97 98
99 100
HStaH, Hann. 52, Nr. 812, Bl. 185 f. Über die Fremdwahrnehmung der Mamelucken vgl. HOFFMANN, Der mamlukisch-osmanische Militärsklave. Vgl. ferner FIEFFÉ, Napoléon Ier ; ROUSTAM [RAZA], Souvenirs, 1894; FALLOU, La garde impériale; FLEISCHMAN, Roustam, mameluck de Napoléon; ROUSTAM [RAZA], Souvenirs, 4 1911; SAVANT, Les mamelouks; BRUNON, Les Mamelouks d’Égypte; SHAW, Ottoman Egypt; BUCQUOY, La garde impériale; KASBARIAN-BRICOUT, L’odyssée mamelouke; PÉTARD, La cavalerie légère. Jourdan betont, dass die Faszination für das Exotische am Ende des Kaiserreichs sich ähnlich über die Mamelucken entfachte wie über die Kosaken, was sich anhand des deutschen Karikaturenkorpus feststellen lässt. Vgl. JOURDAN, L’Europe et l’Amérique, S. 252. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 48 f.; vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 118; HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 129. Vgl. PIGEARD, Dictionnaire de la Grande Armée, S. 386, 518. Über die napoleonische Legendenbildung vgl. ferner TULARD, Aux origines du Bonapartisme; KLESSMANN, Das Bild Napoleons; JOURDAN, Mythes et légendes de Napoléon.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
323
Habite, die Aufmerksamkeit auf sich und verrieth, dass sein kaiserlicher Gebieter nahe sei 101 .
Wenn bereits im Jahre 1808 in Frankfurt am Main die Anwesenheit des Mamelucken Rustan für Nagel als Hinweis diente, Napoleon in einer Reisekutsche auf dem Weg zum Erfurter Fürstenkongress zu vermuten, so könnte im späten Jahr des napoleonischen Kaiserreichs 1813 die Hervorhebung der Mamelucken in der Beschreibung der Sarginszenierung durch die Polizeikommissare durchaus ein Indiz bilden für ihre Interpretation der Aufstellung der Figuren als Begräbnis des Kaisers. Der Mameluck Rustan war den Zeitgenossen ein konkreter Hinweis auf die Nähe des Kaisers102 . Dies erklärt vielleicht die unausgesprochene Beschuldigung Tabergers durch die Polizeikommissare in den Verhören. Sie versteckten zwar ihre Entrüstung über seine Sarginszenierung nicht, jedoch schreckten sie offenbar davor zurück, das Unmögliche und Unsagbare an dieser Inszenierung klar zu benennen. Ihre Verschwiegenheit über den hintergründigen Sinn der Sarginszenierung könnte als Verhörstrategie gewertet werden. So versuchten sie möglicherweise, Taberger zu einer eindeutigen Aussage zu nötigen und eine eigene Deutung seiner Handlung aus ihm herauszulocken. Wenn die Polizeikommissare ihre Deutung der Sarginszenierung nicht explizit benannten, könnte es auch daran gelegen haben, dass sie sich scheuten, den Tod von »Napoleon l’immortel« auszusprechen103 . Das Unsagbare, die Nachricht vom Tod des unsterblichen Napoleons im Russlandfeldzug, in eigener Formulierung in das Verhörprotokoll oder in ihre Berichte aufzunehmen, unterließen sie letztlich104 . Sie beließen es bei Anspielungen, vielleicht auch, weil sie befürchteten, von ihren Vorgesetzten als Träger der Nachricht mitbeschuldigt zu werden. In einem Bericht an den Polizeichef Bongars tritt die Aussage über die Sarginszenierung Tabergers jedoch sehr deutlich zutage, was auch das dritte Indiz dafür ist, dass die Polizeikommissare den Sarg als Anspielung auf den 101 102
103
104
NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 82 f. Vgl. auch KOTZEBUE, Noch Jemand’s Reise-Abentheuer. Darin ist »Noch Jemand« Napoleon, der für den Leser des antinapoleonischen Pamphlets dadurch eindeutig identifizierbar wird, dass ihm ein Mameluck auf Tritt und Schritt folgt. GStA PK, V. HA, Nr. 2772, Verschiedene Petitionen und Reklamationen, 1807–1813: Anstellungsgesuch von Lombard an den König Jérôme, 1. 2. 1808. Vgl. ferner zur zeitgenössischen Auffassung von Napoleon als »Kriegsgott«: CLAUSEWITZ, zitiert nach: SCHMIDT, Der Kriegsgott selbst?, S. 167; vgl. ferner über die allgemeine Faszination für den übermenschlichen Napoleon: BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 85. Über den Napoleonkult unter deutschen Kriegsveteranen, der mindestens bis in die 1830er Jahre anhielt, vgl. ZANDER, Französische Sprachpolitik, S. 138. Über die Grenzen des Sagbaren vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren; HEIDEGGER, Soziale Kommunikationsräume, S. 194.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 25, a/b: Napoleons Sarg als Tintenfass, Städtische Museen Quedlinburg, Inv. Allgemein 2103. Fotos: Jens Richter, Städtische Museen Quedlinburg. Dass sich Napoleon im Sarg befindet, lässt auf eine Enstehungszeit nach 1813/14 schließen, vor der Niederlage der Franzosen hätte der Besitz eines solchen Sarges verheerend sein können. Im Vergleich dazu war Tabergers Sarg weit weniger kompromittierend. Zwei Miniatursärge gleicher Manufaktur befinden sich in der Privatsammlung von Alfred Umhey – diese Variante als Dose mit einem Fach, mit rotem Samt ausgelegt, statt als Tintenfass – bzw. mit einem noch erhaltenen Tintengefäß in der Privatsammlung von Florian Wilke. Die Enstehungszeit wird auf die 1840er Jahre geschätzt 105 . Abb. 25 a
Tod des französischen Kaisers verstanden. »Taberger […] a eu l’imprudence de mettre entre les figures d’étain, qui réprésentent des militaires françois et l’escadron sacré, un petit cercueil d’étain, où il y a de l’un côté et de l’autre un petit bouclier rouge et bleu avec des extrémités blanches«106 . Der »escadron sacré« ist ein konkreter Hinweis auf eine Besonderheit des Russlandfeldzugs. 105
106
Mit einer Entstehung um 1840 erhielt der hier abgebildete Sarg im Gegensatz zu demjenigen Tabergers vermutlich den Charakter einer Napoleon-Reliquie. Vgl. BUCHINGER, Chapeau! Napoleons Hut, S. 246 f., 249. Einige Karikaturen greifen das Motiv von Napoleon im Tintenfass auf bzw. von Napoleon und seinem Ende in der Tinte. Vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 102 f., 252–254. Das Motiv von dem mit Zinnsoldaten spielenden Napoleon greift auch eine Karikatur aus dem Jahre 1813 auf: »Juchhe! ich spiele die Leipziger Schlacht!«. Vgl. ibid., S. 274. Tabergers Figuren dürften von der Anfertigung her traditionell flach gewesen sein, so wie diejenigen, die von ihm überliefert sind. Vgl. SCHRAUDOLPH, Herrscherstolz und Bürgerfleiß, S. 11. Allerdings besteht Ungewissheit über den Sarg. Erhard Schraudolph, dem ich den Hinweis auf den Miniatursarg aus der Privatsammlung von Florian Wilke verdanke, wies mich darauf hin, dass eine vorwestphälische Tradition der ZinngießerOffizinen im Hannoverschen für hohe Persönlichkeiten plastische Miniatursärge entstehen ließ. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7637: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an J. F. M. de Bongars, 23. 2. 1813.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
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Abb. 25 b
Im 29. »Bulletin der Grande Armée« aus Molodetschno vom 3. Dezember 1812 wurde der »escadron sacré« zum ersten Mal erwähnt: Notre cavalerie était tellement démontée que l’on a dû réunir les officiers auxquels il restait un cheval pour en former quatre compagnies de 150 hommes chacune. Les généraux y faisaient les fonctions de capitaine, et les colonels celles de sous-officiers. Cet escadron sacré, commandé par le général Grouchy, et sous les ordres du roi de Naples, ne perdait pas de vue l’Empereur dans tous ses mouvements107 .
Bei der Rückkehr vom Russlandfeldzug wurde die Sicherheit Napoleons zu einem zentralen Problem, womit die Kasseler Gerüchte über ein vermeintliches Attentat auf Napoleon durch einen seiner hohen Militärs ganz richtig lagen. Um die Gefahr einer Gefangennahme oder des Todes zu verringern, konstituierte man eine außerordentliche Garde zum Schutz des Kaisers, die von Joachim Murat geleitet wurde108 . Das 29. Bulletin setzte die über das Ausmaß der Katastrophe in Russland desinformierte europäische Öffentlichkeit unter Schock, so auch die Hannoveraner und die Westphalen. Das Entkommen Napoleons »mit Seiner heiligen Schaar von 300 Pferden […] wurde als ein halbes Wunder angesehen«109 . Das unheilsverkündende Bulletin, datiert vom 3. Dezember 1812, wurde in Norddeutschland erst Heiligabend bekannt. Anfänglich wurde die verklausulierte Botschaft darin nicht unmittelbar begriffen: Dies gleichsam entschuldigende, von unklaren gesuchten Angaben und Widersprüchen strotzende Selbstbekenntniß, ›dass nun Alles dahin, nur Er und eine Anzahl Seiner ausgezeichneten Feldherren ohne Armee übrig ist‹, sollte wohl ein Compte rendu, wozu der Moment des Gefühls auch diesen Groß-Helden drängte, für Sei107
108 109
Zitiert nach: PIGEARD, Dictionnaire de la Grande Armée, Artikel »Escadron sacré«, S. 243. Das 29. Bulletin stellte zudem eine Wende in der Berichterstattung über den Russlandfeldzug dar. Mit ihm wurde zum ersten Mal das Scheitern des Feldzugs in seinem ganzen Umfang indirekt eingestanden. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 285; BOUDON, Un outil de propagande, S. 241, 248–253; PELZER, Die »Bulletins de la Grande Armée«, S. 230–232. Vgl. PIGEARD, Dictionnaire de la Grande Armée, Artikel »Escadron sacré«, S. 243. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 124.
326
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Abb. 26: C. G. H. Geißler, Angehörige der napoleonischen Armee im Gespräch, um 1810, Radierung, 12,6×17,1 cm, SML K/422/2005110 . ne Nation, Seine Verbündeten, die Hunderttausende von Vätern, Müttern, Wittwen und Waisen und die Ihn bis dahin fürchtende und anstaunende Welt seyn, und den Anschein begründen, als wenn die in 5 Monaten den Würgengeln jeder Art geopferte halbe Million kräftiger Männer mehr den Natur-Elementen, als dem tollen Wagstück zuzurechnen wäre111 .
Mierzinsky bemerkte jedoch über den breiten gesellschaftlichen Meinungsumschwung, der mit der Bekanntmachung des Bulletins allmählich einsetzte: »Seit das 29ste Bulletin so vielfach commentirt wurde, fanden sich nach und nach häufigere geschriebene und gedruckte Schmähschriften und Aufforderungen zum Aufruhr ein«112 . Mit ihm erst wurde allen klar, dass es »mit dem Übergang über die Brzezina […] freilich keine französische Armee mehr« gab113 . Vor diesem Hintergrund erscheint es tatsächlich weder zufällig noch unbefangen, dass Taberger möglicherweise den »escadron sacré« 110
111 112 113
In Geißlers Radierung, die die Flucht Napoleons aus Leipzig wiedergibt, ist auch ein Mameluck in der Nähe des Kaisers zu sehen. Vgl. WUSTMANN, C. G. H. Geißler, S. 79, ferner S. 72, 74. Weitere Karikaturen mit Rustan oder einem Mameluck in nächster Nähe Napoleons vgl. SCHEFFLER, UNVERFEHRT, So zerstieben geträumte Weltreiche, S. 39, 82 f., 210 f., 212 f., 329. Ibid., S. 121 f. Ibid., S. 125. Ibid.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
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Abb. 27: Joseph E. van den Bussche, Napoleon Bonaparte auf der Flucht aus Russland 1812, entstanden 1901, Gemälde, Christie’s Images Ltd, Foto: © Christie’s Images Ltd – Artothek.
hatte darstellten wollen, der erst durch das 29. Bulletin überhaupt bekannt geworden war: Damit wurde ausgerechnet der Zeitpunkt des endgültigen Meinungsumschwungs gegen die napoleonische Herrschaft zitiert114 . Diese drei Indizien – die französischen Nationalfarben an der Sargfassung, die Mamelucken und der »escadron sacré« um den Sarg – unterstützen die These, dass die Polizeikommissare in der Sarginszenierung eine Anspielung auf oder eine Prophezeiung des Todes Napoleons erblickten. Ihre unausgesprochenen Anschuldigungen setzten die kollektiven Referenzen des öffentlichen zeitgenössischen Diskurses voraus, um das Unsagbare zu pointieren, ohne es auszuformulieren. Die drei Elemente – französische Nationalfarben, Mamelucken und »escadron sacré« – gehörten zu den »Merkbildern« der Westphalen, die für sie sofort einen Sinn ergaben115 . 114
115
Vgl. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 27. Der Meinungsumschwung und die Enttäuschung wurden sicherlich umso deutlicher empfunden, als sie mit der Fokussierung der gesamten Gesellschaft auf das Kriegsgeschehen seit März 1812 kontrastierten. Vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 49 f. Über die »Merkbilder«, die »mnemotechnische Funktion mentaler Bilder« und die Komplementarität von piktorialer und sprachlicher Aussage vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 94–97. Vgl. ferner MOLITOR, Mehr mit den Augen als mit den Ohren glauben.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
5. Tabergers Perspektive und die Wahrnehmung des Sarges durch die Hannoveraner Die Konsequenzen aus dieser Interpretation für Taberger hielten sich letztlich in Grenzen. An sich waren die Polizeikommissare geneigt, Taberger mit einer scharfen Zurechtweisung gehen zu lassen, allerdings gefiel Bongars diese Milde, ihr »esprit de tolérance bien répréhensible«, nicht 116 . Er wünschte vielmehr ein Exempel zu statuieren und ordnete an, Taberger und seinen kleinen Sarg nach Kassel zu schicken117 . Denn »il y a ici une intention equivoque qui mérite une punition exemplaire«118 . Sein Wille scheiterte jedoch daran, dass Taberger krank wurde. Die Polizeikommissare unterrichteten Bongars: »Cet individu a été tellement effrayé qu’il en est tombé malade au point de ne pouvoir pas étre transporté; c’est du moins ce que declare le medecin dans le certificat que vous m’avez transmis«119 . Der Mann – unter Schock – erkrankte offensichtlich wegen der polizeilichen Untersuchung gegen ihn oder täuschte seine Krankheit als Ablenkungsstrategie vor seiner Überführung und Bestrafung in Kassel vor120 . Taberger richtete selbst ein Gesuch an Bongars, um Nachsehen zu erbitten. Bongars zweifelte jedoch an Tabergers Krankheit und befahl, dass dieser, sobald er wiederhergestellt sei, nach Kassel abtransportiert werde, solange dies nicht möglich sei, unter Hausarrest stehen solle und die Kosten für die Überwachung durch einen Gendarmen selbst tragen müsse121 . Letztlich gab Bongars die Idee auf, an Taberger ein Exempel zu statuieren. Am 16. März schrieb er nach Hannover: Il m’a été adressé de vives sollicitations à l’égard de ce prevenu, voulant y avoir quelques égards, je vous autorise à le remettre en liberté à charge de demeurer sous 116 117 118 119 120
121
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 492 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 28. 2. 1813. Vgl. ibid. Ibid., Schreiben Nr. 493 von J. F. M. de Bongars an F. W. Frantz, 28. 2. 1813. Ibid., Schreiben Nr. 565 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 6. 3. 1813. Zwei weitere »Merkbilder« der Zeitgenossen könnten dafür sprechen, dass der Mann seine Furcht nicht simulierte: Das Bild des hingerichteten Buchhändlers Palm aus Nürnberg und die Übertragung des Bastille-Mythos als Burg der Tyrannei auf das Kastell zu Kassel waren im öffentlichen Diskurs sehr präsent. Über Palm vgl. BUCHNER, Anno Dazumal, S. 269 f.; KOTZEBUE, Noch Jemand’s ReiseAbentheuer, dort Scene 13; SODEN, Johann Philipp Palm; GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. III, 26; STEFFENS, Was ich erlebte, Bd. 6, S. 158; NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 176; KERAUTRET, Un crime et une faute de Napoléon? Über den Bastille-Mythos, vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 22 f.; LÜSEBRINK, REICHARDT, La »Bastille« dans l’imaginaire social; DIES., Die »Bastille«; LÜSEBRINK, Der »Transfer« des 14. Juli 1789. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 565 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 6. 3. 1813.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
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votre surveillance spéciale jusqu’à ce qu’il vous ait déclaré le motif qui l’a porté à placer le cercueil en question au milieu de militaire français122 .
Diese Entscheidung Bongars’ ist das letzte überlieferte Dokument im Dossier Taberger, der nicht mehr in den Akten der politischen Polizei auftauchen sollte. Leider sind die »sollicitations«, falls sie schriftlich übermittelt wurden, nicht mehr auffindbar. Die Mäßigung Bongars’, die diese hatten hervorrufen können, deutet darauf hin, dass eventuell hohe Persönlichkeiten dahinter standen; vielleicht französische Kunden Tabergers? Bongars wies in diesem letzten Schreiben zum Fall Taberger darauf hin, dass die Ermittlungen zur in seinen Augen »intention equivoque« Tabergers vom Betroffenen selbst noch keine eigene Deutung oder gar ein Geständnis seiner Tat hervorgebracht hätten. Tabergers Intention zu rekonstruieren, ist auf der Grundlage der Verhörprotokolle unmöglich – hier spielt erneut die Autoritätsfrage eine Rolle, die bei einer historischen Analyse auf der Basis von Polizeiarchiven zu Vorsicht in der Auslegung mahnt 123 . In Bezug auf Tabergers eigene Perspektive auf sein Schaufensterkriegstheater, auf sein »visuell gestaltetes ikonographisches Ensemble«, lassen sich nur sehr vage Vermutungen anstellen124 . Die Polizeikommissare erwogen beispielsweise gar nicht, Taberger könnte vielleicht lediglich, wie seine anderen Hannoveraner Mitbürger, von Entsetzen und Trauer um die verletzten und verschollenen Soldaten ergriffen gewesen sein und hatte deshalb die Sarginszenierung vorgenommen125 . Möglicherweise 122 123 124
125
Ibid., Schreiben Nr. 665 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 16. 3. 1813. Vgl ALGAZI, Kulturkult, S. 111, 117; BACHMANN-MEDICK, Einleitung [Kultur als Text], S. 33–35. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 95. Weiterführend wäre hier sicherlich die Einbeziehung der Arbeiten zum »performative turn« aus der Kulturanthropologie und den Theaterwissenschaften hilfreich, vgl. FISCHER-LICHTE, KOLESCH (Hg.), Kulturen des Performativen; FISCHER-LICHTE, Vom »Text« zur »Performance«; FISCHER-LICHTE, HORN u.a. (Hg.), Performativität und Ereignis; MARTSCHUKAT, PATZOLD (Hg.), Geschichtswissenschaft und »performative turn«; FISCHERLICHTE, WULF (Hg.), Praktiken des Performativen; KRÄMER (Hg.), Performativität und Medialität. Fischer-Lichte bevorzugt gegenüber dem Inszenierungsbegriff den Begriff der Theatralität, da er vier Aspekte gleichzeitig berücksichtigt: performance, Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung. Sieglerschmidt kritisiert daran, dass der Schwerpunkt auf einer eher ›passiven‹ Beobachterperspektive liegt, die die Handlungsfähigkeiten der Beobachter unterschätzt. Darüber vgl. SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 445 f. Bennewitz benennt unter den Orten städtischer Öffentlichkeit auch das Schaufenster. Vgl. BENNEWITZ, Basler Juden – französische Bürger, S. 304 f. Dazu die Ausführungen im Kapitel B IV. (Karikaturen), vgl. Namentliches Verzeichniß; NIEMEYER, Trost und Erhebung; [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 121 f.; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 54 f.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
schloss er sich mit seiner Handlung den Solidaritätsbekundungen seiner bewegten Mitbürger an126 . So könnte seine Handlung eher als Andenken an die Toten der Grande Armée denn als antifranzösische Kritik zu deuten sein. Die Polizeikommissare waren aber nicht bereit, in Tabergers Handlung ein zusätzliches Zeichen der Menschlichkeit eines Hannoveraner Bürgers zu erblicken, der den nicht zurückgekehrten Soldaten mit seinem Sarg ein Denkund Mahnmal gesetzt haben könnte127 . In ihrem Lob über das Verhalten der Hannoveraner schlossen die Polizeikommissare offensichtlich Taberger aus. Zum Schluss ihres Berichtes vom 16. Februar 1813 bekannten sie: Jamais un rapport nous a fait une plus grande satisfaction, que celui-ci […] qui prouve qu’on doit juger les Hanovriens d’après leurs faits et pas seulement d’après leurs mots ou leurs discours politiques128 .
Sie zeigten sich beeindruckt von der Wohltätigkeit der Hannoveraner, sprachen jedoch wenige Tage darauf Taberger von vornherein die Empathie seiner Mitbürger ab129 . Die Handlung Tabergers könnte – und diese Vermutung lag den Polizeikommissaren sicherlich näher – auch aus der Erwartung und Hoffnung auf den Tod Napoleons gewachsen sein. Einige Hannoveraner werden sicherlich ebenfalls geneigt gewesen sein, in seiner Sarginszenierung diese Hoffnung zu erkennen, da ihnen die Überwindung Napoleons als der sicherster Ausweg aus der Not erschien. Insgesamt waren aber die Handlung Tabergers, seine Intention und die Interpretation beider durch die Polizei möglicherweise von vollkommen unabhängigen Denkweisen geleitet und kamen nicht zur Deckung. Die Mehr126
127
128 129
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7631– 7632; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 438 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 22. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 458 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 24. 2. 1813. Dabei war die Gedenk- und Erinnerungskultur der Westphalen sicherlich ausgeprägt, hier sei auf die besprochene Gedenkmedaille »Denkmal der Schlacht bei Lützen« im Kapitel B IV. (Karikaturen) verwiesen. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7631: Schreiben von Frömbling und G. L. F. Grahn an J. F. M. de Bongars, 16. 2. 1813. Über die »Privatwohltätigkeit« der Hannoveraner vgl. auch THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 417; [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 30. Das Beispiel der wohltätigen Hannoveraner gegenüber der napoleonischen Armee zeigt auf einer anderen Ebene, dass das in der Historiographie der Befreiungskriege viel beschworene nationale Ressentiment der Deutschen gegenüber den Franzosen hier keine Rolle in ihrem Verhalten spielte. Vgl. auch BALDET, La vie quotidienne. Für Kassel beschreibt der Zeitgenosse F. Müller eine ähnlich wohltätige und humanitäre Einstellung der Westphalen: »Es folgte aber eine andere große Bedrängnis, indem große Wagenzüge der bei Jena Verwundeten eintrafen, darunter auch viele Preußen. […] Bei solchem Elende, vergaß man das eigene und selbst der glühende Feindeshaß konnte sich des Mitleids nicht erwehren«. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 5 f.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
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deutigkeit von Tabergers Handlung und die Unbestimmbarkeit seiner Intention machen gerade die Analyse seiner Affäre mit der Polizei interessant in Hinsicht auf die Möglichkeiten, die außersprachliche Kommunikationsformen für die westphälischen Bürger boten. Für die Polizeibeamten war die Intention der Handlungen der Bürger, die sie belangten, zentral, das zeigt sich durchgehend in den Verhörprotokollen mit Taberger. Aus ihren Ermittlungen lässt sich das Bild eines unschuldigen und naiven oder eines listigen und zeitkritischen Tabergers nicht mehr bestimmen. Ihr kriminalisierendes Verständnis der politischen Kultur der Westphalen kann in der historischen Auswertung nur mit Vorsicht verwendet werden. Für die Analyse der Affäre Taberger bringt es wenig, eine Festlegung im Nachhinein zu erzielen. Die Beurteilung seiner Tat durch die Polizeikommissare beziehungsweise der Kontext, in dem diese Urteilsfindung für ihn nachteilig ausfiel, macht die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten deutlich, die sich den Zeitgenossen boten. Gerade die Pluralität an Perspektiven und Deutungsangeboten macht die Untersuchung der westphälischen Polizeiarchive zu einer einblicks- und eindrucksvollen Angelegenheit und führt exemplarisch in das weite Kommunikationsspektrum der Westphalen ein130 . Was lässt nun die unklare Interpretation durch die Polizeikommissare in den Verhören mit Taberger an Vermutungen über die Wahrnehmung der Sarginszenierung durch die übrigen Hannoveraner zu? Die Befürchtungen der Polizeikommissare gingen dahin, dass jeder vorbeiziehende Passant sich mit der Sarginszenierung befassen könne und in der Lage sei, sie in seinem Sinn zu deuten. Das Militär könnte daran womöglich Anstoß nehmen und die Schaufensterinszenierung beispielsweise als Andenken an die geschlagene Armee Napoleons verstehen. Entscheidend ist, dass eine Vielfalt von Umwandlungs- und Aneignungsprozessen von den Polizeikommissaren vorausgesetzt wurde. Tabergers Handlung bot jedenfalls genug Zweideutigkeit, um jedem Passanten seine eigene Interpretation der Aufstellung zu ermöglichen131 . 130 131
Vgl. FARGE, Le goût de l’archive. Hier kann an die in der Einleitung formulierte Zurückhaltung gegenüber der Sender-Empfänger-Dichotomie beziehungsweise der Produzent-RezipientDichotomie der Kommunikations- und Mediengeschichte angeknüpft werden, die dazu verleitet, die verschränkten, vielfältigen und komplexen Deutungs- und Produktionsverhältnisse, die Kommunikationsvorgänge bestimmen, zu verkennen. Auch im Fall des Mediums »russischer Dolmetscher« konnte erarbeitet werden, dass verschiedene Adressaten mit diesen besonderen Sprachwörterbüchern bedient werden konnten, da letztere neben ihrer originären Funktion als Sprachlehrbücher zum Träger einer diffusen Botschaft wurden und sämtliche Deutungen durch die Zeitgenossen zuließen. Jeder Adressat, Käufer bzw. Rezipient konnte mit den russischen Dolmetschern die ihm am nächsten liegende Botschaft verbinden. Durch die Aneignung bzw. Rezeption erdichtete er sich sein eigenes Verständnis für die Nützlichkeit und den Sinn des Mediums. Dem-
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
6. Vom Schaufenster Tabergers zu den pluralen kommunikativen Strategien der Westphalen Die Affäre des Zinngießers Taberger ist deshalb interessant, weil vielfache Deutungsprozesse in den Quellen nachvollziehbar werden. Im ersten Bericht des Polizeikommissars Frömbling steht, dass er erst durch eine Anzeige von der Aufstellung im Schaufenster Tabergers erfahren habe. Seiner Interpretation der Aufstellung als Parodie des Russlandfeldzugs war der Deutungsprozess eines Denunzianten vorausgegangen. Befürchtet wurde, dass manche – die Militärs – die Sarginszenierung als anstößig deuten würden, andere – die Hannoveraner – den Sarg möglicherweise als Todesnachricht, als Kritik des napoleonischen Feldzugs, als Prophezeiung des Untergangs der napoleonischen Herrschaft verstehen würden. Die Hinzuziehung von kontextualisierenden Quellenauszügen ermöglichte unter anderem, auf die hohe Konjunktur für Gerüchte vom Tod Napoleons und auf die Koexistenz von Todes- und Lebensnachrichten in Kriegszeiten aufmerksam zu machen. Mit diesem wechselhaften und unberechenbaren Hintergrund werden die mehrfachen Deutungsmöglichkeiten nachvollziehbar, welche die Inszenierung Tabergers für die Hannoveraner und ihre Polizeikommissare beinhaltete. Die interpretatorische Arbeit der Polizeikommissare implizierte, dass Tabergers Sarginszenierung den Zeitgeist zitierte und teilweise in Korrelation, teilweise in Koexistenz zu den gleichzeitig aufkommenden zeitgenössischen Diskursen stand132 . Der Fall Taberger war zwar aus der Perspektive der Polizeibeamten eindeutig. Allerdings ergibt sich aus den vielen Verhören, die mit Taberger geführt wurden, eine gravierende Verschiebung zwischen seinen Handlungen und seinen Worten – seine falsche Aussage bezüglich Delarochette trägt dazu bei. Handlung und Worte differierten derart, dass seine Intentionen unklar bleiben. Dieses Problem in der Quellenauslegung, die aus der Diskrepanz zwischen verbalisierten oder verschriftlichten Geltungserklärungen, Handlungen und Intentionen entsteht, ist insbesondere in Fällen der außersprachlichen Kommunikation bemerkenswert. In dieser Unbestimmbarkeit bestand wahrscheinlich die Dynamik und der Vorzug außersprachlicher Kommunikation für die Zeitgenossen. Die westphälischen Bürger wurden bei Phänomenen außersprachlicher Kommunikation vor gravierende Deutungsprobleme gestellt. Diejenigen unter ihnen, die nicht mit
132
nach kann es eventuell zur »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« respektive zur Nicht-Deckung der Intentionen von Produzent und seinen Rezipienten kommen. Zum Erkennungsprozess der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« im Gegensatz zu linearen Entwicklungsmodellen in der Geschichtswissenschaft vgl. HARDTWIG, Alltagsgeschichte heute, S. 24; VIERHAUS, Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten, S. 8, 11; LÜDTKE, Anregungskraft, S. 17. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren.
V. Die verbotene Handlung des Zinngießers Taberger
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den Polizeimitgliedern in Konflikt über die Deutungsmöglichkeiten ihrer Handlungen zu geraten wünschten, werden allerdings aus dem Fall Taberger gelernt haben. Seine Schwierigkeiten mit der Polizei erzielten eine gewisse Öffentlichkeit und machten sicherlich Schule in Hannover, sonst hätte der Polizeichef Bongars in Kassel nicht so viel Fürsprache zugunsten Tabergers erhalten, als er an ihm ein Exempel zu statuieren gedachte. Das Handlungsrepertoire der Westphalen wird sich durch die Kenntnis über das Schicksal Tabergers entsprechend verändert haben133 . Prunkvolle Begräbniszeremonien waren vornehmlich bei Staatsbegräbnissen, wie demjenigen des ermordeten Kriegsministers Joseph Antoine Morio, erwünscht 134 . Ein kleiner Sarg aber, in einem hannoverschen Schaufenster, war der politischen Polizei suspekt. Taberger, bewusst oder unbewusst, setzte mit seinem Sarg ein Zeichen der Souveränität: Das kleinformatige Begräbnis zu Hannover war seine Rezeption des Russlandfeldzugs und seine Reaktion darauf. Er bediente sich in seinem Gegenstück auch der offiziellen Ikonographie und Rhetorik, seine Sarginszenierung war ein Widerhall auf die offizielle napoleonische Herrscherselbstdarstellung und -symbolik, was unabhängig davon, ob nun Taberger dies intendierte oder nicht, von den Polizeibeamten wegen der Verwendung dieser Elemente als heimtückische antinapoleonische Kritik gedeutet wurde135 . Seine Rezeption wurde zwar nicht geduldet, doch mochte die Polizeiüberwachung auch noch so engmaschig angelegt sein: Überall wimmelte es nur so von Westphalen, die vor der eigenmächtigen und -sinnigen Erschließung ihrer Welt, teilweise unter Rekurs auf kollektive Deutungsmuster, nicht Halt machten und somit 133
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Womit die Schlussbetrachtungen zu diesem Kapitel sich an Algazis Appell zur Rekonstruktion des Handlungsrepertoires der historischen Subjekte anschließen, vgl. ALGAZI, Kulturkult. Über die »soziale Handlung« und ihre Indexikalität vgl. SIEGLERSCHMIDT, Kommunikation und Inszenierung, S. 442. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1768, Das Begräbnis des Grafen Morio, 1811; GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Verschiedene Anfragen und Korrespondenzen (Eingaben von Städten, Bittschriften von Beamten und Privatpersonen betr. Unterstützungen, Anstellungen und Pensionen), 1807–1812, Bl. 139: Schreiben Nr. 5467 G. A. von Wolffradt, Innenminister, an P. Mercier, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Kassel, Dez. 1811; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 38; Weiterführend zu den Staatsbegräbnissen als Untersuchungsfeld für die Kategorie »Nation« vgl. BEN-AMOS, Der letzte Gang des großen Mannes. Ein weiterer Fall der Umwidmung eines Schaufensters zur politischen symbolischen Kommunikation ist überliefert: Ein jüdischer Handwerker brachte seine Erleichterung über die neue rechtliche Gleichstellung zum Ausdruck, indem er in seinem Schaufenster den vorherigen Status mit überdimensionalen Handschellen symbolisierte. In diesem Fall handelt es sich interessanterweise um eine Schaufensterinszenierung, die ebenfalls den offiziellen Reformdiskurs aufgriff, jedoch in Konformität mit den staatlicherseits intendierten gesellschaftlichen Erneuerungen. Demnach stellte Tabergers Schaufensterinszenierung keinen Einzelfall dar, wenn auch jeweils individualisierte Darstellungen entstanden. Vgl. RIES, Gesänge Zions, S. 139.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
der Wachsamkeit der Polizeibeamten entgingen. Der Politisierungsprozess der Westphalen war zu diesem Zeitpunkt des Jahres 1813 bereits in vollem Gang136 , und Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht bestimmten die klaren politischen Parteiergreifungen in den Unter- und Mittelschichten der Gesellschaft 137 . Die Affäre Taberger zeigt zudem, dass die Kommunikation im Königreich Westphalen nicht auf die Zweisprachigkeit einiger weniger Personen angewiesen war. Die Handlung Tabergers bildete jenseits aller sprachlichen Barrieren eine Provokation an die Adresse insbesondere der französischsprachigen Militärs. Die Verständigung erfolgte nicht zuletzt über Handlungen und deren Deutung. Sie benötigte somit kein sprachliches Instrumentarium, vielmehr bedurfte es nicht einmal einer eindeutigen Aussage desjenigen, von dem die außersprachliche zeichenhafte Botschaft ausgegangen war, um dennoch Reaktionen hervorzurufen. Der Fall Taberger beweist, dass die kommunikativen Möglichkeiten der Westphalen weit über den linguistischen Sprechakt hinausgingen138 . Die Kommunikationspraxis erschöpfte sich neben allen Verbalisierungen nicht in Mimik und Gestik, sondern ließ sich beispielsweise in anspielungsreichen Arrangements von Alltagsgegenständen mal nach vorgegebenen Mustern, mal erfinderisch gestalten. Im Königreich Westphalen beließ man es nicht dabei, sich Karikaturen und Gerüchte zu erzählen, man erschuf auch eigene Bilder.
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Mierzinsky, nun seiner französischen Dienste in Hamburg entledigt, kam im März 1813 nach Hannover und schreibt z. B. über die dort unter der Hand getroffenen Vorkehrungen für den Krieg: »M. kam mit seiner Familie am 13. März in Hannover an, wo die H. H. von H., Hptm C., Vater und Sohn, unter der Hand Rekruten besprachen, mit denen sie aber erst im Herbst auftreten konnten, weil die westphälische Herrschaft bis nach der Schlacht bei Leipzig noch die Hand über Hannover gehalten hatte«. In Kassel soll ein frühzeitiger Aufruhr in Hannover besonders befürchtet worden sein. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 134. Vgl. oben die Bemerkung zur »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« in Anm. 131. Das Urteil über die geringe Partizipation der westphälischen Bevölkerung an den Freiheitskriegen könnte um diese Feststellung erweitert werden. Vgl. MOLITOR, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht; KUNISCH, Von der gezähmten zur entfesselten Bellona; LATZEL, »Schlachtbank« oder »Feld der Ehre«?; HAGEMANN, Tod für das Vaterland; PLANERT, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur; SEVERIN-BARBOUTIE, Vom freiwilligen Söldner zum dienstpflichtigen Untertan, S. 123. Weiterführend vgl. FARGE, Les fatigues de la guerre; GANTET, La paix de Westphalie (1648). Vgl. u.a. KRÄMER, Sprache, Sprechakt, Kommunikation.
VI. Königlich-westphälische Wappen
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VI. Königlich-westphälische Wappen zwischen Aneignung und Angriff Napoleon selbst betrachtete das königlich-westphälische Wappen, das im Dezember 1809 mit einem neuen Orden geschaffen worden war, mit Skepsis und äußerte seinem Bruder gegenüber: »il y a bien des bêtes dans cet ordre«1 . Tatsächlich vereinte das Wappen des neuen Staates den napoleonischen Adler mit dem braunschweigischen und dem hessischen Löwen, dem steigenden Pferd Hannovers und weiteren Wappentieren einzelner Teilgebiete, als Wahrzeichen für die Verschmelzung der Kleinstaaten, die das Königreich Westphalen bildeten2 . Wie empfanden die Einwohner Westphalens ihr neues Wappenbild? Zu den ersten Amtshandlungen der neuen westphälischen Herrschaft gehörte der Austausch der Wappen, u.a. an den Stadttoren3 . Später wurden auch die Fahnen der Zünfte eingezogen, wenn sie beispielsweise mit einem hessischen Wappen verziert waren4 . Diese Schritte waren an sich nicht ungewöhnlich: Ende Januar 1806, als der preußische König die Herrschaft im ehemaligen Kurfürstentum Hannover übernommen hatte, waren die hannoverschen Wappen, falls sie nicht aus Stein waren, durch preußische Adler ersetzt worden5 . Allerdings wurde ab 1807 die Abnahme der alten landesherrlichen Wappen und ihre Ersetzung zunächst durch den westphälischen Adler nicht immer mit äußerster Konsequenz bis in die hintersten Kantone des Königreichs Westphalen durchgeführt, denn, so Owzar, »gerade auf dem platten Lande stießen solche Maßnahmen immer wieder auf taube Ohren«6 . Im Jahre 1811 versuchten lokale Autoritäten noch mit den administrateurs in Kassel zu argumentieren, ob es wirklich nötig sei, die alten beständigen Abzeichen vollständig aus ihrem Stadtbild zu tilgen7 . Und 1 2 3
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Napoleon, zitiert nach: BOUDON, Le roi Jérôme, S. 313. Vgl. SMIDT, SIEBENEICKER, Zur Ausstellung, S. 22. Vgl. u.a. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 6. Die provisorische Regierung vor Ankunft des Königs Jérôme in seinen Landen hatte bspw. das alte Siegel mit dem hessischen Löwen noch beibehalten. Vgl. ibid., S. 7. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 133. Im vorigen Kapitel B V. (Zinngießer Taberger) wurde im Rahmen des Exkurses über den Umgang der Westphalen mit Tod und Sterben auch die Fahne einer Bruderschaft erwähnt, die einen Eingriff der Polizei auslöste. Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 23. OWZAR, Eine Nation auf Widerruf, S. 62 f. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 698, Briefecopiebücher der Verwaltung der Hohen Polizei zu Kassel, 28. 10. 1811–März 1812: Schreiben Nr. 3908 von J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, an W.-C. von Gossler, Präfekt in Halberstadt, Saaledepartement, 28. 12. 1811; vgl. ferner StA MR, Best. 76a Nr. 156, Akten der Präfektur des Fuldadepartements die Abnahme der Wappen vorheriger Landesherrn und die Aufstellung neuer Königlich-Westphälischen betr., 1808: Schreiben Nr. 452 von J. J. Siméon,
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
selbst noch im März 1813 meldete Polizeiagent Eskuchen, dass einige Städte die gesamte westphälische Herrschaft über unbekümmert ihre alten Wappen, beispielsweise an den Stadttoren, beibehalten hätten8 . Dennoch lag den westphälischen Herrschaftsvertretern viel daran, den Machtwechsel sichtbar zu machen und es wird ihnen wohl nicht entgangen sein, »dass zwischen symbolischem und aktivem Widerstand ein gewisser Zusammenhang bestand«9 . Eine Art Denkrevolution sollte eigentlich über die Entfernung der alten Herrschaftsinsignien eingeleitet werden, die den Westphalen den Wandel der Zeit nachdrücklich beweisen sollte und auch im Entfernen von überkommenen Herrschaftsabzeichen wie dem Pranger als Leibstrafengerät zum Ausdruck kam, die nicht mit dem neuen Verfassungsstaat und seinen Prinzipien zu vereinbaren waren. Die Abschaffung der Leibstrafengeräte stand in einer Linie mit der Staatsrhetorik, die sich etwa in den Reden der Staatsräte vor den Reichsständen äußerte. Dort sprach Karl August Malchus von Marienrode vom »Staat ohne Vergangenheit«10 , während Siméon »die früheren Völker«, die nun dem westphälischen Staat angehörten, beglückwünschte, »in einem ›Staat‹ zusammengefasst worden [zu sein], was Stärke und Reichtum erhöhe, die Barrieren bei Kommunikation und Kommerz fallen lasse und eine ›Nation‹ schaffe«11 . Offenbar gehörte es 1813 wie-
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Justiz- und Innenminister, an den Grafen A. von Hardenberg, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 12. 3. 1808; ibid., Rundschreiben vom Grafen A. von Hardenberg an die Ober-Wege-Kommission in Kassel und an die Unterpräfekten in Fritzlar und Paderborn, Fuldadepartement, 14. 3. 1808; ibid., Schreiben Nr. 2592 von Ganzer, Oberingenieur, Mitglied der Baukommission in Kassel, an G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 2. 9. 1811; ibid., Schreiben vom Kantonsmaire Gudensberg, Fuldadepartement, an G. J. G. A. von Reimann, 11. 7. 1811; ibid., Schreiben von G. H. Kappel, Maire in Karlshafen, Fuldadepartement, an G. J. G. A. von Reimann, 19. 8. 1811; ibid., Schreiben Nr. 10664 von G. J. G. A. von Reimann an Lenzmann, Maire in Beverungen, Fuldadepartement, 2. 9. 1811; ibid., Schreiben Nr. 11 120 von G. J. G. A. von Reimann, an den Domänendirektor, 4. 9. 1811; ibid., Schreiben Nr. 454 vom Kantonsmaire in Fritzlar, Fuldadepartement, an G. J. G. A. von Reimann, 29. 9. 1811. Vgl. OWZAR, Eine Nation auf Widerruf, S. 63 f.; SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 130 f. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9818–9849, hier Nr. 9835: Rapport Nr. 29 von C. E[skuchen], Polizeiagent, an J. F. M. de Bongars, 3. 3. 1813. OWZAR, Eine Nation auf Widerruf, S. 64 f. Über die Losung des »Staates ohne Vergangenheit« vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 176. Vgl. auch CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 179 f., 191, 266. Siméon, zitiert nach: PETRI, Der Moniteur Westphalien, S. 193; vgl. auch Moniteur Wesphalien, Nr. 84, 9. Juli 1808, S. 338–344. Eine andere Ansicht über den tatsächlichen Stellenwert der Losung »Staat ohne Vergangenheit«, vertritt Knauer, vgl. KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«, S. 532 f. Die Rhetorik der Reden aus der Zeit der Französischen Revolution ist besonders gut untersucht worden, vgl. SCHLIEBEN-LANGE, Traditionen des Sprechens; DIES., Schriftlichkeit und Mündlichkeit; HUNT, The Rhetoric of Revolution. Vgl. ferner PABST, »À la lanterne!«.
VI. Königlich-westphälische Wappen
337
derum auch zu den ersten Maßnahmen der ins Königreich Westphalen einmarschierenden russischen Militärs, die französischen und westphälischen Adler zu beseitigen12 . Vor diesem Hintergrund überrascht es also nicht weiter, dass bei den ersten Vorboten der Destabilisierung der westphälischen Herrschaft auch deren Wappen ins Visier ihrer Kritiker gerieten. Der Austausch der Herrschaftswappen zwischen 1806 und 1813 lässt die Funktion der Herrschaftsinsignien als symbolbeladene Objekte, als so genannte »Semiophore«, erahnen13 . Während mit den Karikaturen ein grundsätzlich und meist offen kritisches Medium untersucht wurde, wird im Gegenzug nach der Annahme und Nutzung der westphälischen Wappen als Wahrzeichen der westphälischen Herrschaft durch die Westphalen gefragt. Durch ihre ostentative Annahme oder demonstrative Ablehnung der Wahrzeichen brachten diese vermutlich auch ihre Akzeptanz oder Ablehnung der neuen Herrschaft zum Ausdruck. Es liegt nahe, aus dem Umgang der westphälischen Bevölkerung mit den Herrschaftsabzeichen auf ihre politische Orientierung zu schließen. Daher soll im Folgenden näher untersucht werden, inwieweit und in welcher Form die westphälische Bevölkerung sich mit den neuen Herrschaftsabzeichen identifizierte oder diese zurückwies.
1. Wappen als Identifikationsangebot für die Westphalen und ihre Aneignung Die westphälischen Herrschaftsvertreter setzten den westphälischen Adler oder gar den französisch-kaiserlichen Adler beinahe inflationär ein. Daher fehlte es für die Westphalen nicht an Angeboten, sich mit den Wappen der neu eingeläuteten Ära zu identifizieren14 . Ein zeitgenössischer Jurist und Steuerinspektor berichtet im Jahre 1814 über die prunkvollen Zeremonien, die anlässlich des Eids der Deputierten auf König Jérôme am 1. Januar 1808 in Kassel stattfanden, dass die westphälischen Nationalfarben und Wappen, aber auch diejenigen des Kaisers Napoleon gleichermaßen gut vertreten ge12 13
14
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9763: Rapport eines Polizeiagenten an J. F. M. de Bongars, [4].4. 1813. Vgl. u.a. BARTHES, Mythologies; POMIAN, Histoire culturelle. Über die Kongruenz von Symbolik und Sprache bei der Entfernung von Hoheitszeichen und beim Verlesen von Proklamationen vgl. SEVERIN-BARBOUTIE, Für das »Vaterland«, S. 194. Über die napoleonische Herrscherpräsentation unter Bezugnahme auf antike Referenzen vgl. der Tagungsbeitrag von L. Morenz, »Zwischen Adler und Biene. Napoleonische Herrschaftslegitimation in alten Spuren«, gehalten auf der Tagung »Antike(n)rezeption um 1800« am 10.–11. 02. 2006, durch das Forschungszentrum Gotha für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt organisiert, in: H-Soz-u-Kult, [10. 3. 2006], http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=1073 (9. 6. 2012).
338
B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
wesen seien15 . Dieser Jurist scheint durch die besondere Erwähnung der kaiserlich-französischen Wappen- und Nationalfarben bei den zeremoniellen Feierlichkeiten auf die mangelnde Staatssouveränität des Königreichs Westphalen hinweisen zu wollen16 . Der Stellenwert, der diesen staatlichen Attributen durch die Obrigkeit eingeräumt wurde, war offensichtlich beachtlich. Die ostentative Verwendung der Wappen lässt vermuten, dass die Herrschaftsvertreter sich ihrer Instrumentalisierung sehr bewusst waren. Als sich im Jahre 1811 ein neuer westphälischer Adel organisierte, wohl auch, um die zweifelhafte adlige Herkunft einiger zugewanderter französischsprachiger Höflinge zu überprüfen, wurden die Mitglieder des alten und des neugeschaffenen Adels gebeten, als Wahrzeichen des westphälischen Adels zwei Fahnen mit dem westphälischen Adler in ihre Wappen aufzunehmen, die als gekreuzte Lanzen unter dem Wappenschild liegen sollten, berichtet der ehemalige Page von König Jérôme, Karl August Unico von Lehsten-Dingelstädt, in seinen Erinnerungen17 . Aber nicht allein die Deputierten und der Adel huldigten dem westphälischen Adler oder mussten ihn annehmen. Der Polizeiagent Cerfy berichtet über die eigentümliche Art der Bäcker in Homberg, mit dem westphälischen Wappen umzugehen. Anlässlich einer lokalen Festlichkeit zu Ehren des Königs, dessen Ankunft in der Stadt bevorstand, eigneten sie sich das Wahrzeichen des neuen Staates an, indem sie es buken: Den 18 [März 1813] haben die Bürger zu Homberg eine Mahlzeit zu samen gehabt, wo auch die Gesundheit Sr. Majestet gedrunken wurde. – Die Handwerker alda habe Sr. Majestet dem Nehmliche Tag auch erwartet, und sind auch, den nehmlichen Tag, bis in der Nacht, mit Musique in der Stadt herumgezogen, wobey, jedes Handwerk, eine fahnen mit dem Westphälischen Adler mit getragen hat, und auf der ander Seite ihre Handwerks wappen, die Beker aber, haben einen Adler aus Teig gepaken, welcher sehr köstlich war, und an ihre fahnen oben angefährt 18 .
Die mögliche zweideutige Interpretation dieses Adlers aus Teig fiel dem Polizeiagenten offenbar gar nicht auf, der neben seiner Tätigkeit als Spitzel auch noch den Adler mitverspeiste: Zu dieser späten Zeit der westphälischen 15 16
17
18
Vgl. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 76 f.; SCHÜTT (Hg.), »Ein Mann von Feuer und Talenten«. Im Online-Kapitel über die Gerüchte konnte ebenfalls als Teilbefund ermittelt werden, dass bereits vor 1813 das Thema der Staatssouveränität anhand des Verhältnisses ihres Monarchen zu seinem brüderlichen Gebieter die Westphalen beunruhigte, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Ein königliches Dekret vom 10. September 1811 regelte den neuen westphälischen Adel: Vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 61. Napoleon hatte diese Überprüfung der Herkunftsverhältnisse der französischsprachigen Höflinge herbeigeführt. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9775: Rapport von C[erfy], Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 20. 3. 1813.
VI. Königlich-westphälische Wappen
339
Herrschaft das Wappentier zu verzehren, könnte eventuell auch einen verdeckten Hieb auf den kurz vor seiner Auflösung stehenden Staat darstellen. Zumindest wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass der westphälische Adler nicht ernst genommen wurde. Die Hinweise aus dem Quellenmaterial zeigen, dass spöttisches und höhnisches Verhalten im Umgang mit den westphälischen Wappen durchaus verbreitet war.
2.
Hohn und Spott auf die westphälischen Wappen
So wurde der westphälische Adler im Allgemeinen als »westphälischer Kuckuck« verhöhnt, was wahrscheinlich auf seine schmächtige Statur zurückging, aber vielleicht auch auf die Abhängigkeit von Napoleon und die angezweifelte Souveränität des westphälischen Staates anspielte19 . In den Versen Schellers werden die westphälischen Wappen mit »welschen Vögeln« verglichen: Das Schloss sollt’ werden umgebaut, Und drum gezogen ein Stakkit Mit Welschen Vögeln in der Mitt’, Die die Heraldik Aigles nennt, Und die man als Stossvögel kennt 20 .
Auf einer der in Kassel beliebten Maskeraden fiel dem Polizeiagenten Henry Würz im Februar 1813 »ein Israelit Nahmens Koppel [auf,] welcher einen Haarbeutel an seiner Peruquebefestiget hatte, worauf ein Adler gemacht war welcher sich in seine Flügel biß«21 . Mit diesem karnevalistischen Hinweis auf den westphälischen oder französisch-kaiserlichen Adler wollte der Träger 19
20
21
PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 11; vgl. ferner KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 143; PETITEAU, Portée de la politique symbolique, S. 150. SCHELLER, Jeromiade, S. 113. Falls die hier hergestellte Konnotation Allgemeingültigkeit im Königreich Westphalen hatte, ist bemerkenswert, dass die Staatsräte auf einer Maskerade am Hof allesamt als »welsche Hühner« erschienen, um auf ihre Unmündigkeit anzuspielen, so der Page Lehsten-Dingelstädt: »Eine bittere Satire legten die Mitglieder des Staatsrats an den Tag. Vielleicht um die Unwichtigkeit ihrer Stellung an den Tag zu geben, erschienen sie als Herde dindons (welsche Hühner), geführt vom Minister als Hirten. Denn nicht allein des Königs Kabinettsbefehl annullierte häufig ihre Beschlüsse, sondern sogar kaiserliche Gewalteingriffe hoben ihren Einfluß auf, machten sie zu dindons«. [LEHSTENDINGELSTÄDT], Am Hofe Königs Jérôme, S. 52. Diese Satire könnte allerdings auch im Zusammenhang mit einem anderen »inneren Bild« der Westphalen stehen: Karikaturen und zeitgenössische Kommentare verglichen die Deutschen in ihrem Nationalcharakter häufiger mit einer »race moutonnière«. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 28. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9882–9987, hier Nr. 9919: Rapport Nr. 32 von H. W[ür]z, Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 8. 2. 1813. Der geschwächte Adler, dem die Federn ausgezupft werden, ist ein beliebtes Karikaturmotiv, vgl. L’anti-Napoléon, S. 77 f.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken Abb. 28: C. G. H. Geißler, Der gerettete Adler, um 1810, Radierung, 17×21,5 cm, SML, Gei III/47. Mit seiner Radierung ironisierte der Zeichner Geißler wohl die Überbewertung des Adlers als Requisit und Symbol eines jeden französisch-kaiserlichen Regiments – ein Soldat stirbt zwar, aber das von Napoleon seinen Truppen eingefleischte Symbol ist gerettet 22 .
womöglich auf den an den eigenen Ambitionen gescheiterten Eroberungswahn Napoleons abzielen. Der westphälische Adler löste allerdings nicht immer nur feinsinnige, zweideutige oder dezent-humorvolle Reaktionen aus. Der Kasseler Polizeidiener Est erstattete im März 1813 Bericht über einen Zwischenfall, der ihm und seinem ehemaligen Kollegen Pfeil im Wirtshaus »Zum letzten Heller« zugestoßen war: [Ich] ging […] in die Stube des […] Wirths um mir von demselben eine Pfeiffe gegen Bezahlung zu holen, als ich mir nun solche von ihm ausboth, erwiederte mir derselber (:indem er meine Knöpfe am Rocke besahe) du hast Ja einen Adler auf Deinen Knöpfen auf diese ich aber Etwas. Du wirst im Arsch getreten23 .
Die Zeugen dieses Austausches, nämlich Ests Begleiter Pfeil, Kaufmann Heinrich Krug, dessen Sohn und noch eine weitere Person wurden daraufhin auf den genauen Wortlaut der Verleumdung hin befragt. Kaufmann Krug senior leugnete, den angeblichen Ausspruch des Wirts Johannes Hoh22 23
Vgl. PETITEAU, Portée de la politique symbolique, S. 148, 150 f. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 019–13 040, hier Nr. 13 031: Deposition Nr. 1 von Est, Polizeidiener in Kassel, 18. 3. 1813.
VI. Königlich-westphälische Wappen
341
guth gehört zu haben24 . Sein Sohn, Daniel Krug, zeigte sich einsichtiger und bestätigte, das Gespräch bezüglich der Knöpfe, des Adlers und des Hinterteils Ests gehört zu haben. Allerdings machte er nachträglich eine bedeutsame Einschränkung seiner Aussage. Hohguth habe dem Polizeidiener Est ausschließlich gesagt: »wer einen Adler auf den Knöpfe habe, daß ein solcher aus der Thür geworfen werde, und mußte er seine obige Erklärung: du wirst in den Arsch getreten zurücknehmen«25 . Der Wirt selbst betonte in seinem Verhör, es sei lediglich wegen der Pfeife und des Tabaks zu einem Streit gekommen sei, weil Est ihm erst seine noch im Mund steckende Pfeife habe entwenden wollen und daraufhin sich eine solche hinter dem Ofen hervorgeholt habe, um sie mit dem Tabak des Wirtes zu stopfen. Außerdem bestritt er etwas vom Adler oder gar von Fäkalien gesagt zu haben26 . Die Eskalation von anfänglichem Spott auf den westphälischen Adler zu derberen Angriffen weist darauf hin, dass sich hinter der Leichtigkeit des Spottes eine durchaus ernste Kritik der Verhältnisse verbarg.
3. 1809: Ab- und Anmontieren westphälischer Wappen Als am 6. Mai 1809 Schill mit sechs seiner Schillianer in Hadmersleben im Elbdepartement eingeritten kam, improvisierten die Einwohner kurzerhand für sie ein Volksfest im Gasthaus in der Post: »An der Post war während dieser Zeit der preußische Adler wieder aufgestellt«27 . Der herbeigeeilte Superintendent erkundigte sich prompt, ob das Fest dem französischen Sieg der Schlacht bei Regensburg vom April 1809 gelte, das vorgeschrieben war und noch ausstand. Mit der provokativen Antwort, mit der man ihn abspeisen wollte, konnte er nicht recht zufrieden sein, musste jedoch gute Miene zum bösen Spiel machen und abwarten »bis die Husaren weggeritten waren, dann nahm der plötzlich eine andere Miene an. Das Volk wurde ermahnt nach Hause zu gehen, der preußische Adler musste wieder dem westphälischen weichen«28 . Als erste Handlung im Rahmen ihrer improvisierten Feierlichkeiten ersetzten die Hadmerslebener das west24 25 26
27 28
Vgl. ibid., Nr. 13 032: Verhörprotokoll von H. Krug, 18. 3. 1813. Ibid., Nr. 13 033: Verhörprotokoll von D. Krug, 18. 3. 1813. Ibid., Nr. 13 036: Verhörprotokoll von J. Hohguth, 19. 3. 1813. Ähnlich ordinäre Aussprüche versicherte der Sergent Kroschke beim inoffiziell gefeierten Jahrestag des Gefechtes zu Ölper zwischen dem Herzog von Braunschweig-Oels und den westphälischen Truppen am 1. August 1809 gehört zu haben. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 5, Nr. 2613–2655, hier Nr. 263: Rapport von Kroschke, Sergent, an J. F. M. de Bongars, 1. 8. 1812. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 18. Ibid.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
phälische durch das preußische Wappen. Pröhle führt seine Geschichte mit dem um vier Jahre zu früh wieder angebrachten preußischen Wappen fort: In Hadmersleben war nach jenem Abzuge der Schill’schen Reuter der Preußische Adler noch auf vier Jahre versteckt. ›Abwarten‹ hatte das der Superintendent genannt. Nun wurde er am 14. November 1813 bei dem Siegesfeste für die Schlacht bei Leipzig von einem alten Soldaten aus dem siebenjährigen Kriege einhergetragen29 .
Nicht nur, dass es für bessere Zeiten versteckt aufbewahrt wurde, falls es »anders« werden sollte: Das preußische Wappen nahm einen zentralen Platz im Fest ein, das die Hadmerslebener anlässlich der Schlacht bei Leipzig organisierten. Sein Träger war ein alterfahrener Soldat, der bereits im Siebenjährigen Krieg für das preußische Wappen gekämpft hatte – ein performativer Akt ersten Ranges30 .
4. Demonstrativer Angriff auf die königlichwestphälischen Wappen an Herrschaftsgebäuden im Jahr 1813 War das westphälische Wappen zunächst bloß Spott und Hohn ausgesetzt, so begannen im Jahre 1813 massive Angriffe auf die Herrschaftsinsignien31 . Zumindest wurden mehrfach Fälle aus den Kantonen nach Kassel gemeldet, in denen sich Staatsbürger meist heimlich und nächtlich mit der Beschmutzung der westphälischen Wappen bemerkbar machten. Von seiner Erkundungsreise nach Niedenstein im Fuldadepartement meldete der Polizeiagent Cerfy nach Kassel: »Zu grosen Ritter habe ich bemerket, daß der Namen Sr. Majestät J. N. samt der Krone, bis auf der untere Schrift befliesentlich aus gelöschet ist, wann ich nicht irre, mit gelbes Erde, überstrichen, dieses ist an dem Haus des Ortes Maire alda angehäftet« 32 . Die Beschmierung mit Erde und Schlamm ereignete sich auch andernorts, so in Münden nahe Kassel, ermittelte Polizeikommissar Haas in einer ähnlichen Angelegenheit. Am 2. März 1813 meldete Haas dem Generalinspektor Bongars in Kassel: »Dans la nuit passée on a couvert de couleur noire tous les aigles royeaux devant les maisons des commis aux exercices 29 30 31
32
Ibid., S. 26. Weiterführend vgl. DÜDING, FRIEDEMANN (Hg.), Öffentliche Festkultur; KNAUER, »Tableaux patriotiques«. Allerdings ereignete sich ein ähnlicher Fall, der ganz öffentlich stattfand und bei dem die Hallenser Bürger die westphälischen Abzeichen niederrissen und mit Kot bewarfen, bereits infolge des Schill’schen Zuges durch das Königreich Westphalen Anfang Mai 1809. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 265 f. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9776: Rapport von C[erfy], Polizeiagent in Mission in Niedenstein, Fuldadepartement, an J. F. M. de Bongars, 18. 2. 1813.
VI. Königlich-westphälische Wappen
343
des 4 portes de la ville, l’aigle devant le bureau des droits de consommation et l’affiche devant la douane«33 . Bongars verbarg in seiner heftigen Antwort sein Entsetzen über den Vorfall durchaus nicht: des malveillans ont poussé l’audace jusqu’à couvrer d’une couleur noire les armes royales apposées à differens endroits de la ville de Münden. Cette impudence est inouie, mettez tout en œuvre pour arriver à la decouverte des malveillans qui ont osé se porter à un exés de cette nature, Il faut agir aussi secretement que possible, car peut être ces scelerats se vandront eux memes pour vanter leur prouesse faites tout au momen pour les connoitre et si vous y parvenez arretez les sur le champ, saisissez vous de ses papiers et dirigez les sur Cassel 34 .
Haas antwortete ihm bald darauf, wie sein Verdacht in dem Fall lag, und teilte ihm mit, welche Maßnahmen er sich zur Ermittlung der Beschmierer vorstellte: J’ai fait toutes les recherches possibles, pour decouvrir les personnes qui ont couvert de couleur noire les armes royales. […] Tout cela a été sans succes. […] Il n’y a que le nommé Sauer commis aux exercices & le cordonnier Hagemann qui seroient capables de commettre de tels exces. Cependant on ne leur peut rien prouver. Ces deux hommes sont revenus chez eux à deux heures, le dernier a été gris, & ce qui augmente encore mon soupçon c’est qu’on n’a pas oublié les armes d’aucune maison habitée d’un agent des contributions indirectes. En consequence on peut croire que quelqu’un qui connoit toutes ces maisons ait été parmis ces scelerats. Probablement celui ci a été un agent des droits indirects, car les autres habitans ne connoissent pas toutes les maisons pourvues d’aigles. Tout cela me donne le soupçon que le nommé Sauer agent des contributions indirectes ait commis avec ses consortes ces exces, mais je n’ai pas pu reussir de pouvoir le prouver. En cas que le nommé Sauer l’auroit fait les nommés Utermöhlen, Eckhard et les autres personnes suspectes, s’ils ne sont pas ses complices, en sont au moins informés. Avant hier j’ai reussi de trouver un agent qui me paroit être fait, pour penetrer les desseins nuisibles de ces personnes. C’est un vitrier nommé Grüne, qui connoit tres bien les personnes en question. […] Je ne doute plus que quelques liaisons dangereuses avec ces personnes et le Maire Thomas ayent lieu35 .
Als Anhaltspunkt für seine Recherchen diente Haas die Überlegung, der oder die Täter müssten dem westphälischen Staat als Steuerbeamte verpflichtet sein, da diese zielgerichtet alle Häuser auffinden konnten, die mit 33
34
35
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 356–10 399, hier Nr. 10 388: Schreiben Nr. 96 von Haas, Polizeikommissar in Münden, Fuldadepartement, an J. F. M. de Bongars, 2. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Registre de correspondance du Bureau de la police secrète (2. 1.–18. 4. 1813), hier Schreiben Nr. 532 von J. F. M. de Bongars an Haas, 3. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 356–10 399, hier Nr. 10 386: Schreiben Nr. 97 von Haas an J. F. M. de Bongars, 5. 3. 1813. Einzelheiten der diversen Ermittlungen von Haas gegen die Personen Utermöhlen, auch Utermühlen genannt, und Sauer finden sich im Online-Kapitel über das Medium »Brief«, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013).
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
dem westphälischen Wappen gekennzeichnet waren. Bongars schärfte ihm in seinem Rückschreiben ein, den Fall mit der allerhöchsten Diskretion zu behandeln36 . Haas stellte lediglich über den Rapport seines Geheimagenten fest, die Besudelung der westphälischen Wappen gehöre tatsächlich zu den Gesprächsthemen der Verdächtigen, die sich über seine ins Leere laufenden Ermittlungen belustigten: En arrivant à Wilhelmshausen le nommé Hagemann, […] dans l’auberge, […] a parlé des armes royales qu’on a couvertes de couleur noire, & en riant il a dit, – le commissaire de Police m’a suspecté, mais pour mon bonheur ma femme n’etoit pas au logis, quand il a voulu l’interroger37 .
Auf diese Anzeige hin baute Haas folgende Überzeugung auf: Maintenant je suis persuadé plus que jamais que les nommés Sauer & Hagemann sont les auteurs de l’exces par rapport aux armes royales. [Le but serait d’] apprendre si les hommes suspects sont effectivement dans des liaisons dangereuses ou s’ils ne font que des sottises sans but38 .
Die Verdächtigten wurden letztlich jedoch in diesem Fall nicht überführt, dafür wies ihnen Haas nach, dass sie für die Verbreitung einer so genannten russischen Proklamation verantwortlich waren und sowohl Utermöhlen als auch Sauer kamen zur Bestrafung von April bis Juli 1813 in das Kasseler Staatsgefängnis39 . Möglicherweise war Bongars nicht gewillt, öffentlich preiszugeben, dass selbst Herrschaftsvertreter in Handlungen gegen ihren Staat involviert waren und es erschien passender, sie wegen eines anderen Vergehens ins Kastell von Kassel zu überführen. Auch in Celle wurde Anfang März 1813 ein Vorfall gemeldet, bei dem die westphälischen Wappen, diesmal am dortigen Postamt und bei dem Kaufmann Vieth mit Schlamm bedeckt wurden: [L’]enseigne au bureau de la poste, portant les armes Royales, ainsi que celle chez le marchand Vieth, chargé du dépôt de la poudre à tirer, ont été toutes deux pen-
36 37 38 39
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 564 von J. F. M. de Bongars an Haas, 6. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 356–10 399, hier Nr. 10 372: Schreiben Nr. 122 von Haas an J. F. M. de Bongars, 22. 3. 1813. Ibid. Vgl. RNB St. Petersburg, F. 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9327–9383, Affäre Sauer und Utermöhler; vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 11, Nr. 5822– 5832; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 270 von J. F. M. de Bongars an Haas, 7. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 295 von J. F. M. de Bongars an Haas, 9. 2. 1813; ibid., Schreiben Nr. 396 von J. F. M. de Bongars an Haas, 17. 2. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées, Einträge Nr. 171, 172 und 291. Über die vermeintlichen russischen Proklamationen vgl. ISKJUL’, Russische Flugblätter.
VI. Königlich-westphälische Wappen
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dant la nui, couvertes de boue, que l’auteur de cette vile action n’a, malgré toutes les recherches, pu etre decouvert encore40 .
Bongars empfahl auch hier, die Untersuchungen mit größter Vorsicht zu führen41 . Mancherorts wurden anstatt von Schlamm und Erde, Leim und Gips verwendet: Im Kern blieb die Aussage ähnlich, bis auf den Unterschied, dass Leim und Gips nicht so einfach von den Herrschaftsvertretern entfernt werden konnten42 . Die Empörung Bongars’ zeigt, dass die westphälische Obrigkeit eigentlich nicht gewillt war, solche Angriffe zu dulden. Als im Jahr 1806 General Joseph Lagrange, Regent in Kassel, im Auftrag von Napoleon einen hessischen Aufstand, angeführt von Hauptmann Ludwig Thielo von Uslar und von Leutnant Junck von Kirchhain, niederschlug, soll Napoleon ihn angewiesen haben, ganz besonders den Aufständischen aus Eschwege und Hersfeld folgendes zu übermitteln: »Man soll ihnen meinen Willen kundgeben, dass die Beleidigungen, welche meinen Adlern zugefügt worden sind, nur durch Blut gerächt werden können«43 . Der Ausspruch, ob wahr oder imaginär, zeigt, wie emotional aufgeladen die Angelegenheit war und wie treffsicher die Bürger die Machthaber reizen konnten, wenn sie sich an den obrigkeitlichen Zeichen und ihrer Rhetorik vergriffen. Die Westphalen mit ihren späteren Attacken auf die westphälischen Herrschaftsabzeichen griffen den Staat an einem wunden Punkt an, nämlich an seinen Insignien als herrschaftseigenen rhetorischen Argumenten. Berücksichtigt man, dass das nächtliche Beschmieren der westphälischen Wappen ab dem Frühjahr 1813 an verschiedenen Orten im Königreich Westphalen erfolgte, so wird deutlich, dass dieses Vorgehen entweder eine gewisse Öffentlichkeit über das weiterverzweigte Informationsnetzwerk erlangte und zur Wiederholung an anderen Orten anregte oder dass die Aktion der Besudelung und Entweihung der landesherrlichen Abzeichen bereits vor 1807 zum festverankerten Handlungsrepertoire der westphälischen Bevölkerung gehört hatte44 . Da die Wappenbeschmierungen vielerorts fast zeitgleich stattfanden, kann man davon ausgehen, dass die Einzelerscheinungen in einer alten Tradition aus vorwestphälischer Zeit standen.
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41 42 43 44
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 604: Schreiben Nr. 487 von F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, an J. F. M. de Bongars, 2. 3. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 569 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, 6. 3. 1813. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 133. Napoleon, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 23, vgl. S. 15–22. Vgl. ALGAZI, Kulturkult, S. 113 f.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
5. Weitere Eskalation in den Angriffen der Westphalen auf die westphälischen Wappen Abgesehen von den exemplarisch erwähnten Fällen, bei denen die Wappen nur beschmutzt wurden, eskalierte andernorts die Gewalt, wobei die Gegner der westphälischen Herrschaft die Wappen sogar beschädigten oder zerstörten. So wurden beispielsweise in den Kommunen Brackede, Blackede und Hitzacker im Elbdepartement Ende März 1813 die westphälischen Adler heruntergerissen, als ihre Einwohner von der angeblichen Ankunft der Russen auf dem rechten Elbufer erfuhren45 . Ebenfalls bewirkten im Oktober 1813 in der Gemeinde Rössing im Ockerdepartement einige »Individuen«, die wohl trotz aller Bemühungen des Unterpräfekten in Hildesheim nicht mehr vor Auflösung des Königreichs Westphalen ermittelt werden konnten, die Entfernung von königlichen Wappen an sämtlichen staatlichen Häusern46 . In Bergen im Allerdepartement wurden nachts Steine gegen die Fenster eines Steuerbeamten geworfen und die westphälischen Wappen, die am Postamt angebracht waren, niedergerissen47 . Die Schuldigen wurden allerdings überführt, da sie offenbar im Affekt gehandelt und ihre Aktion nicht ausreichend getarnt hatten, wie es bei den Fällen der Beschmutzung der westphälischen Wappen üblich war48 . Über das Entstehen von Exzes45
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Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 741, Briefcopiebücher des Generalkommissars der Hohen Polizei Moisez in Sachen der geheimen Polizei, 16. 9. 1812–27. 7. 1813: Schreiben Nr. 621 PS. von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, an J. F. M. de Bongars, 25. 3. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 795 von J. F. M. de Bongars an J. F. C. von Düring, Unterpräfekt in Uelzen, Allerdepartement, 29. 3. 1813. Vgl. ferner SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 142. Vgl. das Online-Kapitel über die Gerüchte, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013); auch diese besaßen durchaus in bestimmten Situationen die Macht, die Bevölkerung zu Handlungen, Tätlichkeiten und Übergriffen zu verleiten. Vgl. u.a. FARGE, La vie fragile; FARGE, REVEL, Logiques de la foule; FARGE, Rumeur, ville et roi. Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 140, Anzeigen von aufrührerischen Bewegungen und Tumulten, 1813, Bl. 3 f.: Schreiben von G. A. von Nordenflycht, Unterpräfekt in Hildesheim, Ockerdepartement, an G. A. von Wolffradt, Innenminister, 20. 10. 1813. Auch andere westphälische Beamte wurden 1813 mit Steinwürfen gegen ihren Amtssitz, der zugleich ihr Privatwohnsitz war, konfrontiert. Nicht nur westphälische Beamte waren von solchen Vorfällen betroffen: Die Beherrschung der französischen Sprache und der Umgang mit den Douaniers waren bereits ausreichend, um Opfer der Steinewerfer zu werden, vgl. KAHMANN, Die Geschichte des J. F. A. Lampe, S. 342. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7494–7519, hier Nr. 7494: Schreiben Nr. 519 von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 6. 3. 1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 612 von J. F. M. de Bongars an F. W. Frantz, Präfekt in Hannover, Allerdepartement, 9. 3. 1813; vgl.
VI. Königlich-westphälische Wappen
347
sen und die Eskalation von Gewalttätigkeiten beim Zusammenbruch der westphälischen Herrschaft lieferte Birgit Hoffmann bereits in einer Untersuchung einige Überlegungen, die deren tradierte Muster aus vorwestphälischer Zeit deutlich machen und die Täter überwiegend unter Jugendlichen feststellen49 . An Steinwürfe auf ihre Amts- und Privatsitze waren die lokalen Herrschaftsvertreter offensichtlich gewöhnt: Während des DörnbergAufstands in Felsberg im April 1809 hatte der Maire vorsichtshalber seine Fenster weit aufgesperrt, damit kein Glas zu Bruch gehen konnte50 . Die Angabe des Pfarrers Gehren darüber macht deutlich, dass solche Angriffe meist eher als Drohgebärden mit allenfalls materiellem Schaden zu bewerten waren. Auf die gewalttätigen Übergriffe reagierten einige der lokalen staatlichen Vertreter, indem sie vorbeugend selbst die Wappen der durch sie vertretenen Herrschaft entfernten. Solche Vorkehrungen empörten dann die Vorgesetzten in Kassel ganz besonders: le maitre de poste à Neustadt a oté les armes de Westphalie placées sur le devant de sa maison et les a remplacé par un tableau portant pour toute inscription: Poststation, parce que des deserteurs et autres mauvais sujets venus des environs de Nienbourg avoient jetté des pierres contre les armes de Westphalie pendant plusieurs nuits du dernier clair de lune. Je ne puis me dispenser de vous denoncer la puisillanimité de ce Maitre de poste, qui est d’autant plus evidente qu’il etoit bien le maitre de reclamer l’assistance de la police et de la Gendarmerie pour être protegé contre toute insulte. Il se pourroit aussi qu’il eut eu encore d’autres motifs pour se defaire si promptement des armes du royaume51 .
Das Rechtfertigungsschreiben des Postmeisters zu Neustadt, in dem er an Bongars’ Verständnis appelliert und von seiner Verzweiflung und Angst spricht, entlastete ihn allerdings nicht von der Verdächtigung durch den Generalinspektor der Gendarmerie52 . Im obigen Quellenzitat wird auch der
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auch HStAH, Hann. 52, Nr. 3026, Verschiedenes Material der Hohen Polizei, 1810–1813, Bl. 120: Schreiben von J. F. M. de Bongars an F. W. Frantz, 9. 3. 1813; ibid., Bl. 121: Schreiben von K. W. A. von Stralenheim, Unterpräfekt in Celle, Allerdepartement, an F. W. Frantz, 11. 3. 1813. Vgl. HOFFMANN, Aufrührer, Ruhestörer oder gute Patrioten? Über Lokalbeamten als Zielscheibe kollektiver Gewalt vgl. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 350. Brakensiek hat für die Unruhen in Grebenstein im Jahre 1813 seinerseits bewiesen, dass die gewaltsamen antiobrigkeitlichen und antisemitischen Proteste in den Jahren 1819, 1830/31 und 1848 in der Tradition der »Insurrektionen gegen die Fremdherrschaft« standen, vgl. DERS., Strukturen eines antinapoleonischen Aufstandes, u.a. S. 61, ferner S. 52. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 12 f. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 747 von J. F. M. de Bongars an A. J. F. Pothau, Generalpostdirektor in Kassel, 24. 3. 1813; vgl. ferner ibid., Schreiben Nr. 746 von J. F. M. de Bongars an F. W. Frantz, 24. 3. 1813. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 782 von J. F. M. de Bongars an F. W. Frantz, 28. 3. 1813; vgl. Almanach royal de Westphalie, 1811, S. 257.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
Angriff auf die westphälischen Abzeichen eindeutig als »insulte«, Beleidigung oder Verleumdung, eingestuft. Den Angriff auf die westphälischen Wappen rückten die Polizeibehörden in die Nähe einer Verleumdung gegen den Staat, nicht weit vom crime lèse-majesté53 . Dabei wird die Entscheidung einiger westphälischer Staatsbeamter, sich der westphälischen Wappen voreilig zu entledigen, verständlich, wenn man sich ihrer Perspektive annähert, so über folgendes Schreiben, das zwar nicht über Vorkommnisse aus dem Königreich Westphalen selbst berichtet, jedoch leicht auf die westphälischen Verhältnisse übertragen werden kann. Der Sohn eines Maires aus dem Siegdepartement im Großherzogtum Berg schreibt zu Anfang des Jahres 1813: Dans quelle position difficile et embarassente ne sommes nous pas placés, nous autres fonctionnaires allemands, sous le gouvernement du grand Empereur des Français ! Ciel ! c’est avec l’âme navrée de douleurs et les larmes aux yeux que je vous rends compte, Monsieur le sous-préfet, des scènes tumultueuse qui ont eu lieu hier et cette nuit, et dont nous sommes encore menacée. Une bande de gens mal intentionnés des environs de Hambourg, Ronsdorf, Sohlingen etc., arriva hier au soir à Gummersbach, ainsi que vous en aurez déjà été informé. […] une masse de 500 hommes, se rendit à Neustadt pour y assassiner les gendarmes et les douaniers, qui heureusement s’étaient sauvés. […] Ciel ! c’est toi que je prends à témoin de mes souffrances. Oú me sauverai-je avec ma femme malade et mes malheureux enfants. Je n’entends que les cris: (ce sont des rimes allemandes de la populace) un, deux, trois, le tirage finit à la fois. Un, deux, trois, quatre, les russes vont être ici. regie, Régie, Kylogramme, Kylogramme, nous sommes les maîtres et c’est nous qui gouvernons: qui n’est pas pour nous perira par nous. Tous les fonctionnaires seront mis à mort. Jugez de la sensation que celà doit produire. Quelques brâves gens pourraient, en s’opposant à main armée à ces devastateurs, rétablir la tranquilité; mais oú sont-ils ? Tous crie: vive les Russes, les Français sont des brigands. […] Je suis le fils du maire Wenche, qui écris le présent en son nom. Mon père s’est sauvé; […] Si seulement mon bon père et ma malheureuse mère étaient en sureté !54
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Bereits in den Kapiteln über das Medium »Brief« (Online-Kapitel: http://halshs. archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON [1. 1. 2013]) und Kapitel B V. (Zinngießer Taberger) wurden Beispiele genannt, die zeigen, wie die Staatsverleumdung und der crime lèse-majesté in der Fantasie der Westphalen fest verankert waren. Insgesamt interessieren sich Historiker weniger für diese inhaltlich minderwertigen ›Auswürfe‹, die dennoch ebenso von den kulturellen und kommunikativen Praktiken der Zeitgenossen zeugen. Weiterführend vgl. u.a. DINGES, Ehrenhändel; HOHKAMP, »Auf so ein erlogenes Maul gehört eine Maultaschen«; RUBLACK, Anschläge auf die Ehre; REUTER, Der König verdient kein Denkmal; LINGELBACH, Injurie und Injuriensachen; PETITEAU, Violence verbale. AN Paris, 29 AP 39, Lettres confidentielles du comte de Nesselrode, ministre de l’Intérieur du Grand-duché de Berg, 1807–1814, Bl. 85: Schreiben von Wenche, Sohn des Maires von Neustadt, an den Unterpräfekten in Siegen, Siegdepartement, 29. 1. 1813. Auch allerorts im Königreich Westphalen waren die Maires 1813 durch die Angrifflust der städtischen bzw. ländlichen Bevölkerung sehr besorgt. Vgl. BRAKENSIEK, Strukturen eines antinapoleonischen Aufstands, S. 60.
VI. Königlich-westphälische Wappen
349
Die Verzweiflung ist nicht zu verkennen, die Tränen und die Aussichtslosigkeit werden ebenfalls erwähnt und die Lieder der aufgebrachten Bevölkerung mit der Drohung, den Staatsvertreter zur Rechenschaft ziehen zu wollen, sind inhaltlich wiedergegeben. Der Ernst der Lage konnte sich offensichtlich schnell verändern und die aufgebrachte Bevölkerung wirkte auf den Sohn des Maires unberechenbar. Die Beschreibung macht deutlich, vor welcher Art von Ausschreitungen sich die westphälischen Beamten schützen wollten, wenn sie von selbst die westphälischen Wappen entfernten. Nach der Phase der oben genannten Identifikations- und Aneignungsrituale in Bezug auf die westphälischen Wappen, die in einer der Herrschaft huldigenden Geste entstanden, tauchen in den Polizeiakten ab dem Jahr 1813 zunehmend Vorkommnisse auf, in denen sich Staatsvertreter von den westphälischen Wappen distanzieren oder diese gar, auf Selbstschutz bedacht, eiligst ablegen. So musste Stadtwachtmeister Welger in Schmalkalden bereits im Januar 1813 daran erinnert werden, er habe unverzüglich die ihn ausweisende westphälische Kokarde wieder zu tragen55 . Parallel zu den immer häufigeren Nachrichten vom dramatischen Rückzug aus Russland und vom Eindringen der Kosaken ins Innere des Königreichs Westphalen ereigneten sich auch mehr Übergriffe auf die westphälischen Wappen oder Distanzierungen der westphälischen Staatsvertreter von den herrschaftlichen Abzeichen. Der Angriff auf die westphälischen Wappen blieb jedoch nicht ausschließlich ein Mittel der aufgebrachten westphälischen Bevölkerung: Aus der Nähe von Celle wurde im März 1813 gemeldet, ein Kommando von 30 französischen Soldaten habe die westphälischen Wappen mit ihren Gewehrkolben zerschlagen56 . Der genaue Hintergrund ist leider schwer nachvollziehbar, zeigt jedoch, dass es verfehlt wäre, den Angriff der Westphalen auf die westphälischen Wappen nur als einen patriotisch-nationalen Akt einzustufen57 . Die Wappen wurden auch zum Streitobjekt zwischen der westphälischen und der französisch-kaiserlichen Regierung, da sie nicht nur für die innerwestphälischen Verhältnisse als Kommunikationsangebot galten. 55 56
57
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 78 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, 13. 1. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 538: Schreiben Nr. 623 von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 22. 3. 1813. Als mögliche Erklärung könnte der Douanenstreit dienen, der im Laufe der westphälischen Herrschaft für zahlreiche Konfliktausbrüche und Vorfälle zwischen Frankreich und Westphalen sorgte, in den Jérôme persönlich eingriff und sich mit seinen Staatsbürgern solidarisch gegen Napoleon verbündete. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 311, 317, 322 f. Vgl. einschränkend dazu BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 17.
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B. Sprach- und Kommunikationspraktiken
6.
Schlussakt: Zerstörung des Napoleonstandbilds
Ein anonymer Autor beschreibt im Jahre 1814, wie Jérôme in Kassel auf dem vom »Königs«- zum »Napoleon«- umgetauften Platz eine Napoleonstatue errichten ließ und macht sich lustig darüber, wie diese mitten in der Kartoffelblüte beim Wochenmarkt stand58 . Tatsächlich beließen es die staatskritischen Westphalen anfänglich dabei, sich über die Napoleonstatue lustig zu machen und gestalteten dies mitunter mit Hilfe eines Spottgedichts über die Marmorstatue: »Zu Kassel auf dem Zaitenstock, ohne Hemd und ohne Rock, ohne Schuh’ und ohne Hosen, steht der Kaiser der Franzosen«59 . Die Angriffe auf die Wappen ließen schon ahnen, dass Napoleon nicht lange nach der Auflösung des Königreichs Westphalen auf seinem Sockel stehen bleiben würde. Zunächst griffen die russischen Militärs die Statue an: »Die Kosacken haben später […] der Statue die Nase und eine Hand [abgeschlagen]«60 , berichtet F. Müller und beschreibt auch, wie die Westphalen nach ihnen die Statue behandelten: »Ihre Barbarei ist aber auch noch überboten worden, als man mit andern Theilen des trefflichen Kunstwerkes den beschädigten Mantel des Landgrafen auf dem Friedrichsplatze stickte«61 . Es besitzt hohe Symbolkraft, dass ausgerechnet die Reste des gestürzten Napoleonstandbildes zum Ausbessern der Statue des Landgrafen von HessenKassel verwendet wurden, die willkommene Rückübertragung der obrigkeitlichen Instanz auf die alte hessen-kasselanische Dynastie scheint jedenfalls damit bekräftigt worden zu sein.
7. Umgang mit Wappen zwischen tradiertem Muster und ungekannter Eskalation Die Frage nach dem Umgang der Westphalen mit den Wappen ihrer Herrschaft zeigt eine Wandlung von der friedvollen Huldigung der Wappen und Herrscher in Form von gebackenen Wappen bis hin zum Sturz der Napoleonbüste auf dem Napoleonplatz in Kassel. In der Angriffs- und Gewaltbereitschaft der Westphalen gegenüber den Wappen konnte eine kontinuierliche Eskalation festgestellt werden – selbst wenn die Angriffe im Affekt erfolgten, so waren sie sehr wohl dosiert und erstaunlich kalkuliert. Immer häufiger und weiter verbreitet, wurden die Angriffe auf die Wappen zum Ventil für angestaute Frustrationen gegenüber der westphälischen Herrschaft. Die vielerorts auftretenden nächtlichen Beschmutzungen und Zerstörungen der königlich-westphälischen Wappen an Herrschaftsge58
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Vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 14; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 74. Die Napoleonstatue war auf Veranlassung eines königlichen Dekrets am 15. November 1812 errichtet worden. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 90. Zitiert nach: MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren Bd. 1, S. 43. Ibid. Ibid.
VI. Königlich-westphälische Wappen
351
bäuden im Jahr 1813 sind sicherlich im Zusammenhang mit einer weiter zurückreichenden Tradition zu sehen. Aber selbst wenn man darin tradierte Praktiken zu erkennen glaubt, war es seitens der Westphalen keinesfalls belanglos, den westphälischen Staat an seiner stark artikulierten Staatssymbolik anzugreifen. Diese Strategien hatten einen demonstrativen und kommunikativen Charakter. Sie zielten darauf ab, in der Übergangszeit vor dem Ende der napoleonischen Ära weite Bevölkerungsteile zur Abkehr von der französisch-westphälischen Herrschaft zu überzeugen und zu mobilisieren. Sogar einige Staatsvertreter, die ihrer Loyalitätspflicht gegenüber dem westphälischen Staat hätten folgen sollen, waren in die Beschmutzung westphälischer Wappen verwickelt, wie dies mit dem vom Polizeikommissar gemeldeten Fall aus Münden angedeutet werden konnte. Dies zeigt, wie groß der Unmut gegenüber der westphälischen Herrschaft im Jahre 1813 bereits war und wie weitreichend die westphälische Bevölkerung ihrem Landesherrn das Vertrauen entzog. Mit der Beschmutzung und der Zerstörung der landesherrlichen Abzeichen wurde ein letztes eindeutiges und sprachübergreifendes Signal an den »Fremdherren« gesandt, das ihn zum Rückzug bewegen sollte. Mit dem Übergriff auf die Wappen waren die deutsch-französischen Sprachbarrieren jedenfalls irrelevant. Der antiwestphälische Protest, der sich gegen die Wappen artikulierte, erfolgte unter Aneignung eines Herrschaftsabzeichens: Das Kommunikationsangebot ihres Monarchen, der auf Zeremoniell und Prunk viel Wert legte, wurde durch die widerspenstigen Westphalen angenommen; die Raffinesse lag darin, dass man sich auf die rhetorisch argumentative Ebene der westphälischen Herrschaft begab, um diese zu kritisieren. Die Westphalen hatten die Staatsrhetorik verinnerlicht und in ihre »symbolischen Praktiken« integriert: Sie hatten die »Mikrotechniken der Politik« gelernt und kehrten diese 1813 nun gegen den Urheber dieser Symbolik62 . Die Wappen sind somit als im Kommunikationsprozess der Westphalen und der Obrigkeit involviert zu verstehen und der Angriff auf sie ist als fest im Handlungsrepertoire eingegliedert zu betrachten. Die oben dargestellte Entwicklung beweist, dass König Jérôme mit seiner Herrschaftssymbolik bei den Staatsbürgern im Laufe seiner siebenjährigen Herrschaft bei der medialen Festlegung auf bestimmte Attribute sehr wohl erfolgreich gewesen war und dass die Mobilisierung gegen ihn im Jahr 1813 eben über die von ihm durchgesetzten rhetorischen und symbolischen Zeichen erfolgte63 . 62 63
HUNT, zitiert nach: LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren, S. 156. Bereits in den Kapiteln B IV. (Karikaturen) und B V. (Zinngießer Taberger) konnten ähnliche Prädispositionen der herrschaftskritischen Staatsbürger, sich der Rhetorik und Symbolik der Herrschaft zu bedienen, um ihre Kritik zu verpacken, angedeutet werden. Vgl. ferner OWZAR, Der alte Schein des neuen Reiches, S. 160.
C. Sprachbewusstein, Verständigungsschwierigkeiten, Sprachdominanz und -konflikt Während Teil A der Arbeit die offizielle Sprachen- und Schulpolitik behandelt, stellt Teil B dieser die Sprach- und Kommunikationspraxis im Alltag gegenüber. Dabei wurden etliche Kommunikationsformen und -medien einschließlich sprachlicher und außersprachlicher Elemente berücksichtigt. In Teil C sollen das Sprachbewusstsein der Westphalen im Allgemeinen, die Reflexionen der Zeitgenossen über die Sprachen und das Verhältnis der Sprachen zueinander im Mittelpunkt stehen. Es wird hinterfragt, ob die zu erwartenden Barrieren zwischen den französischen und deutschen Sprachgemeinschaften im Königreich Westphalen von den Zeitgenossen als Kommunikationshindernis wahrgenommen wurden; außerdem wird untersucht, inwieweit die verschiedenen Gruppen sich über ihre Sprachen identifizierten und voneinander abgrenzten. Im Mittelpunkt stehen die Probleme, Streitigkeiten und Konflikte, die sich über die Sprachen anbahnten, da eine Analyse dieser Schwierigkeiten Rückschlüsse auf das Sprachdenken der Zeitgenossen erlaubt. Zudem reflektieren die Sprachprobleme und -konflikte das Selbstverständnis der verschiedenen Sprachgemeinschaften im Königreich Westphalen. Verschiedene Ebenen der Reflexionen über die Sprachen werden im Folgenden nebeneinander gestellt, um schließlich kritisch zu fragen, was es mit den offenen Konflikten im Königreich Westphalen auf sich hatte, bei denen Sprache(n) als Angelpunkt der Konflikteskalation benannt wurde(n). Im ersten Abschnitt soll eine Annäherung an das Sprachdenken der Zeitgenossen erfolgen, während im zweiten Abschnitt unterschiedlich offensichtliche oder latente Situationen der Sprachdominanz dargelegt werden. Im dritten Abschnitt werden die offenkundigen Konflikte in der administration und am Hof untersucht. Die Annäherung an das Sprachdenken der Zeitgenossen soll bei den Verständigungsschwierigkeiten und Übersetzungspannen beginnen, führt über den Umgang mit den Fremdwörtern der jeweils anderen Sprache sowie über die Angst, sich in der Fremdsprache fehlerhaft auszudrücken bis zum Bewusstsein für die Existenz von verschiedenen Niveaus der Sprachbeherrschung. Ferner wird das Sprachbewusstsein der Zeitgenossen über ihre Äußerungen hinsichtlich der unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade der im Königreich Westphalen verwendeten Sprachen thematisiert. Als weiterer Befund in der breiten Skala der Gegensätze über Sprachen im Königreich Westphalen werden auch einige Fälle von offensichtlicher oder
354
C. Sprachbewusstein
latenter Sprachdominanz behandelt. Es geht insgesamt darum, die Situationen des Sprachkontakts zu beleuchten, die durch die Zeitgenossen problematisiert wurden, um die Wahrnehmung des Fremdsprachlichen durch die Westphalen zu ergründen. Dies könnte weiterführend auch Rückschlüsse auf ihre Fremdwahrnehmung insgesamt ermöglichen.
1.
Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
1.1. Unzulängliche Übersetzungen und Sprachverständigungsschwierigkeiten 1.1.1. Bewusstsein für Übersetzungsbedarf und Qualitätsmerkmale Häufig wird in den Polizei- oder Verwaltungsakten darüber berichtet, dass die Übersetzungsprozesse nicht ohne Fehler vonstatten gingen. Dieses Bewusstsein der Zeitgenossen über die Ungenauigkeiten, die sich bei einem Transfer von einer Sprache in die nächste ergaben, wird hier als ein Aspekt thematisiert, der über das Sprachbewusstsein Aufschluss gibt. Vorweg kann festgehalten werden, dass das Bewusstsein für den Bedarf an Übersetzungen an sich schon eindeutig auf die Wahrnehmung von Sprache als Instrumentarium zur Verständigung unter den Zeitgenossen hinweist. Die Sprachenpolitik der westphälischen Obrigkeit gipfelte im Kern in einer weitgefassten Übersetzungspolitik. Die zweispaltige deutschfranzösische Ausführung des »Moniteur« ist ein Beweis dafür. Durch diese Übersetzungen im »Moniteur« entstanden jedoch viele Unstimmigkeiten in beiden Textversionen.1 Auch im Fall der Gesetzestexte zeigte sich bald nach Gründung des Königreichs Westphalen der Bedarf für eine Übersetzung des napoleonischen Zivilgesetzbuchs, die auch beim westphälischen Justizminister Siméon angefragt wurde: Eine deutsche Übersetzung erschien ›bei der noch zum größten Theil im Lande herrschenden Unkunde der französischen Sprache‹ als höchst nothwendig. Auf eine dahin an den Minister Simeon gerichtete Anfrage machte derselbe auf zwei Uebersetzungen von Daniels und Lassaux aufmerksam. Beide könnten nach Belieben gebraucht werden, doch solle derjenigen im einzelnen Falle den Vorzug gegeben werden, welche nach der Kenntniß des Richters von der französischen Sprache ihm am getreuesten den Sinn des Originaltextes im Deutschen wiederzugeben schiene, [so ein Erlass des Justizministers vom 14. Juni 1808]2 . 1 2
Siehe bereits oben im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher). GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 96. Vgl. ferner StA MR, Best. 75 Nr. 17, Befürwortung einer Verkaufsgenehmigung und einer Belobigung des Buchdruckers Krüger zu Marburg für ein neu erschienenes Buch über den Code Napoléon durch die Präfektur des Werradepartements, 1808; StA MR, Best. 75 Nr. 3251, Anweisung zur Auszahlung von 2040 Francs an den Bankier S. Heine
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
355
Die Notwendigkeit einer solchen offiziellen Regelung zeigt an, dass es zu Anfang der westphälischen Herrschaft an einer zufriedenstellenden Übersetzung mangelte. Diese Schwäche versuchte man beim Justizministerium zu beseitigen: Eine offizielle Uebersetzung, welche unter Aufsicht Simeons von westphälischen Rechtsgelehrten, von Leist u.a., verfertigt und bei Levrault in Straßburg gedruckt wurde, erhielt durch königliches Dekret vom 21. September 1808 alleinige Rechtsgültigkeit neben der französischen Ausgabe3 .
Allerdings hatte man sich mit der Existenz dieser Übersetzung nicht aller Probleme entledigt: Die deutsche Uebersetzung, welche den einzelnen Gesetzen, Dekreten u.s.w. gegenüber gedruckt wurde, ist oft ungenau, so daß in der That eine Erklärung des Justizministers vom 12. Januar 1811 nothwendig wurde, in der es hieß, ›dass der französische Text der einzig offizielle und der deutsche Text nicht mehr als eine offizielle Uebersetzung ist und dass im Falle von Verschiedenheiten, Undeutlichkeiten oder Streitigkeiten immer der französische als Gesetz befolgt werden muß‹4 .
Die Schwierigkeiten, durch die Übersetzung eine dem Original gleichwertige Version zu erreichen, mussten den Zeitgenossen ebenfalls bewusst werden und weisen auf einen anderen Aspekt ihres Sprachbewusstseins hin. Die Übersetzungen waren den Originaltexten unterlegen. Diese Ansicht teilte auch der kaiserliche Vertreter am westphälischen Hof, Reinhard, der über »die deutschen Uebersetzungen der Dekrete, [die] ungleichförmig und zuweilen ungenau« seien, klagte5 . Es dürfte anzunehmen sein, dass die Übersetzungsschwierigkeiten sich nicht allein auf die offiziellen Texte des westphälischen Staatsapparats beschränkten6 . Zum Spottgedicht »Abschied von Cassel«, das 1813 wahrscheinlich vom ehemaligen Finanzminister Bülow als Satire auf König Jérôme geschrieben worden war, schreibt der Historiker Paul Zimmermann:
3 4
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wegen des Vorschusses für den zum Studium des Code Napoléon nach Paris gesandten Staatsratsauditeur Boese, 1812. Ibid., S. 96 f. Ibid., S. 97; vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 16, 2. Februar 1808, S. 67: Zirkularschreiben des provisorischen Ministers der Justiz und des Innern an die Präsidenten der verschiedenen Tribunalen, 23. 1. 1808; Reinhard, zitiert nach: TULARD, Siméon, S. 567. Reinhard, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 113. Zum Themenfeld der Übersetzung als Handwerk in historischer Perspektive vgl. SCHLIEBEN-LANGE, Das Übersetzungsbüro Dugas; ROCHE, »Völlig nach Fabrikenart«; DIES., Les traductions-relais; NOHR, Die französisch-deutsche »Übersetzungsmanufaktur«; ESPAGNE, Übersetzer in Paris und Leipzig; LÜSEBRINK, NOHR, REICHARDT, Kulturtransfer im Epochenumbruch; NOHR, Von Amberg bis Zweibrücken; BRAUN, Une tour de Babel?, S. 167–169. Weiterführend vgl. auch BACHMANN-MEDICK (Hg.), Kultur als Text.
356
C. Sprachbewusstein
Die ursprüngliche Dichtung von Bülows war zum größeren Teile in französischer Sprache geschrieben. Um weiteren Kreisen verständlich zu werden, musste das Gedicht aber ganz in die deutsche Sprache übertragen werden. Das ist jedenfalls sehr bald geschehen; doch wissen wir nicht, von wem. Gewonnen hat es an dichterischem Werte weder durch die Übersetzung, die alle die feinen Anspielungen und Spitzen des Originals doch nur unvollkommen wiederzugeben vermochte, noch durch die Erweiterungen, die von den früheren Teilen doch nicht unbeträchtlich abstechen7 .
Zwar stellt hier ein Historiker fest, dass der Übersetzungsvorgang trotz der Zusätze und Ergänzungen einen Verlust an Qualität und Präzision mit sich brachte, doch ist es naheliegend, dass auch diejenigen Westphalen, die beider Sprachen kundig waren, zum gleichen Schluss kommen konnten. Zudem erscheint die Bemerkung interessant, dass ein von einem Deutschsprachigen französisch verfasster Text besser war als die davon erstellte deutschsprachige Übersetzung, wobei wahrscheinlich nicht der ursprüngliche Autor die Übersetzung ins Deutsche besorgte. 1.1.2. Verständigungsschwierigkeiten bei polizeilichen Untersuchungen Wie bereits festgestellt, hatten die Übersetzungsfehler, die beispielsweise durch den Vergleich des französischen Originaltexts und seiner deutschen Übersetzung im »Moniteur« den Westphalen offenkundig wurden, teilweise positive Auswirkungen: Einige der Zeitungsleser lernten aus den sprachlichen Unstimmigkeiten die Politik kritisch zu rezipieren. Einen weniger positiven Aspekt der Folgen von Verständigungsschwierigkeiten und misslungenen Übersetzungsprozessen für die Westphalen stellen die polizeilichen Verfolgungen dar, die sich aufgrund von missverstandenen und falsch übersetzten Ausdrücken ergaben. Der Hannoveraner Bode wurde beispielsweise im März 1813 unter Arrest gestellt, »parcequ’il avoit dit en pleine rue, qu’il souhaitait, que tous les françois crevoint«8 . In eingehendem Verhör bestand Bode darauf, aufgrund folgender Wortverwechslung missverstanden worden zu sein: La femme & la servante de l’agent de police Schwarzbach affirment [avoir entendu le mot crever], mais le prevenu le nie. Il dit, que deux militaires françois avoient conduit un troisième, qui avoit eu l’air très-malade, & que quelques passants avoient fait des rémarques de ce qu’on ne le portoit pas & qu’il risqueroient de mourir sous leur mains, – / ce qu’on apelle en allemande d’un mot vulgaire: Krepiren / sur quoi il avoit répondu: qu’alors tous les malades qu’on transportoit de cette manière devoient
7 8
ZIMMERMANN, Graf Bülow, S. 52. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7604–7687, hier Nr. 7641: Schreiben Nr. 94 P. S. von Frömbling und G. L. F. Grahn, Polizeikommissare in Hannover, an J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 5. 3. 1813.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
357
camper. Il prétend que les temoins avoient pris le mot camper ou campiren pour créver ou Krepiren9 .
Ob nun Bode den französischen Militärs tatsächlich den Tod gewünscht oder lediglich angeregt hatte, sie sollten unverzüglich vor Ort Lager zum Ausruhen aufschlagen, ließ sich nicht endgültig feststellen10 . Wegen des Zweifels am Sinn seines Geredes wurde er von den hannoverschen Polizeikommissaren für drei Tage inhaftiert. Wenn selbst Personen, die offensichtlich einem sprachlichen Missverständnis zum Opfer gefallen waren, verdachtshalber bestraft wurden, zeigt dies, dass die Verständigungsschwierigkeiten für die Westphalen durchaus unangenehme Folgen haben konnten. Ein anderer Fall zeigt, wie wiederum die politische Polizei ihrem eigenen Eifer bezüglich der Sprachverständigung erlag, sich mühselig mit wortwörtlichen Übersetzungen plagte und dadurch in ihren täglichen Geschäften aufgehalten wurde. Der Pagenlehrer Zinserling berichtet in seinen »Westphälischen Denkwürdigkeiten« über einen Vorfall aus den Büros des Polizeichefs Berkagny, den Bezeichnungen aus dem Hannoverschen – »Köther« und »Kothsassen« für »Menschen« – auslösten. Wie bereits im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher) zitiert, wurde seitens der Polizei befürchtet, dass diese »denominations ignominieuses«, die wortwörtlich »un homme assis dans la boue«, eine »trace de l’ancien droit feodal« darstellten, die es nun zu bekämpfen gelte. Erst nach einer leidenschaftlichen internen Diskussion wurde vom Polizeichef hingenommen, dass die Bezeichnungen ethymologisch aus dem Slawischen stammten und ideologisch unbedenklich waren11 . Auf die Überwachung des deutschen Sprachgebrauchs durch die politische Polizei als ein Aspekt der latenten Sprachdominanz im Königreich Westphalen, den dieses Beispiel illustriert, kommt die Untersuchung später zurück. Es kann vorerst festgehalten werden, dass die politische Polizei mit der wortwörtlichen Übersetzung von »Köther« und »Kothsasse«, die eine beleidigende Bedeutung im Französischen suggerierte, ihre Zeit unnötig verschwendete, da der eigentliche Sinn sich nur aus der Tradition heraus verstehen ließ und eine etymologische Ergründung erforderte. Zinserling wollte zudem mit der Erwähnung dieser Anekdote wahrscheinlich deutlich machen, welche Verlangsamungen die sprachlich bedingten Verständigungsschwierigkeiten im Behördengang verursachen konnten. Er wollte wohl auf die Ineffizienz und Lächerlichkeit des Vorgangs hinweisen: 9 10
11
Ibid. Über die Wohltätigkeit der Hannoveraner, die ebenso den Franzosen wie den anderen Soldaten galt, ist bereits im Kapitel B V. (Zinngießer Taberger) berichtet worden. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 43 f.
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C. Sprachbewusstein
selbst ein angesehener Gelehrter wie J. von Müller, der um den Erhalt der Universitäten im Königreich Westphalen kämpfte, musste zu Rate gezogen werden, um darüber zu entscheiden, ob nun »Köther« eine herabwürdigende, menschenverachtende Bezeichnung sei, weil sie sich eventuell vom Kot der Köter ableitete. Aus den Übersetzungsschwierigkeiten und -ungenauigkeiten ergab sich einerseits insgesamt ein Potential für Staatskritik und ein Handlungsspielraum für manche Westphalen. Andererseits wurden die Übersetzungsschwierigkeiten und Sprachmissverständnisse aufgrund fehlerhafter Übersetzungsprozesse in manchen Situationen auch zu einer Belastung. Der Schluss liegt daher nahe, dass die gelegentlich überlieferten Übersetzungsschwierigkeiten, die sicherlich von den Zeitgenossen in einem viel breiteren Umfang erfahren wurden, zu einem wesentlichen Aspekt ihrer Wahrnehmung der jeweilig anderen Sprache werden konnten. Den Westphalen musste bewusst werden, dass es ein schwieriges Unterfangen war, die Nuancen respektive die Genauigkeit einer Sprache bei der Übersetzung in die andere zu erhalten. 1.2. Umgang mit Fremdwörtern und Französisierung des deutschen Sprachgebrauchs Bereits im Kapitel über die Bittschriften (B III.) zeigte sich die Tendenz, in deutschsprachigen Schreiben, die die Westphalen an ihre Obrigkeit richteten, französische Fremdwörter zu verwenden. Dies könnte als eine Anpassung an die neuen Verhältnisse gedeutet werden, als ein Versuch, die westphälische Herrschaft durch die Verwendung ihres Wortschatzes positiv zu stimmen. Diese teilweise minimalen Französisierungsmerkmale erstreckten sich auch auf andere überlieferte Quellensorten. Selbst die gedruckten Quellen weisen eine Fülle solcher Stellen auf, in denen Fremdwörter den fremden Charakter der westphälischen Herrschaft zu betonen scheinen und französische Einschübe im Text, durch den lateinischen Schriftzug graphisch abgesetzt, die neue Realität der Westphalen reflektieren. An anderen Stellen werden Anekdoten, die besonders lebhaft und authentisch wirken sollten, mit einem zitierten Ausspruch in französischer Sprache aufgelockert 12 . Interessanterweise beschränkt sich diese Übernahme französischer Termini im deutschen Textfluss nicht ausschließlich auf Schriftstücke aus dem Verwaltungsbereich. Es fällt auf, dass gerade für die Wiedergabe von Emotionen französische Einsprengsel benutzt wurden. Wenn der Zeitgenosse F. Müller im Rückblick über die damaligen wirtschaftlichen Zustände berichtet, erwähnt er Staatsbeamte, die ab 1811 ihre Gehälter nur noch 12
Der Zeitgenosse Nagel verwendet zuweilen französische Aussprüche, um seine Anekdoten lebhafter zu vermitteln. Vgl. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, u.a. S. 124, 127, 128.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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zur Hälfte bezogen, und Rechnungen, die nur zu einem Drittel beglichen wurden: Und dieser offenkundigen Misère gegenüber mussten wir das lächerliche Schauspiel einer öffentlichen Verbrennung aller englischen Waaren erleben. […] Viele wollten denn auch behaupten, die Sache sei nicht so ernstlich gewesen, wie es den Anschein hatte. Die Kaufleute hätten sich gegen ein gutes Doucheurmit den Polizeiagenten verständigt und schlechtere inländische Waare ausgeliefert. Nur der Form halber seien einige englische Stücke darunter gewesen13 .
Die Missstände werden als »Misère« beschrieben, die Bestechung ist ein »Doucheur«. Auch im »Moniteur« findet sich das Fremdwort »Douceur« im Kontext einer Anzeige wieder14 . Durch die Bezeichnung der Missstände und der Bestechungspraktiken in französischer Sprache wurde stilistisch der Entrüstung darüber Nachdruck verliehen. Es erscheint nicht zufällig, dass die Missstände und die Bestechungspraktiken in der westphälischen Verwaltung auf Französisch benannt werden, um so eine Verbindung mit der Sprache der Herrschaft herzustellen und den Franzosen die Korrumpierbarkeit zuzuschreiben. Das Sprachbewusstsein der Zeitgenossen schloss ein, dass einer Sprache bestimmte Eigenschaften anhafteten. So lässt der Autor der burlesken Satire »Humoristische Reise durch ein hochseliges Königreich« seinen Antihelden sagen: »Mein Erstaunen ist nur in französischer Sprache zu beschreiben«15 . Hier spiegelt sich eventuell ein im 18. Jahrhundert konstruierter Nationalcharakterzug wider, der die Franzosen feminisierte16 : War das ›schwache‹ Geschlecht nicht emotionaler angelegt und der Antiheld Hilarius deswegen geneigt, auf Französisch seinen Emotionen freien Lauf zu lassen? In der Vorstellung der Zeitgenossen über die Franzosen griffen jedenfalls bereits ab dem 18. Jahrhundert die Geschlechter- und Nationalcharaktere ineinander. Die Vorstellung, bestimmte Gefühle oder Befindlichkeiten könnten nur in einer bestimmten Sprache gebührend ausgedrückt werden, spricht dafür, wie eng sich die Zeitgenossen den Sprachen, die sie beherrschten, verbunden fühlten und wie sie sich über diese definierten. Wie nicht anders zu erwarten, soll Französisch nach Angabe von Keim als Fachsprache insbesondere in die Gastronomie, meist in der Form von Pleonasmen, eingezogen sein: In der Sprache der Niederhessen, insbesondere in ihren verschiedenen Dialekten, hinterlässt die westphälische Zeit ihre Spuren. Der Prozess der sprachlichen ›Eindeutschung‹ setzt sich fort. Dabei wird ursprünglich Fremdes mit Eigenem im Wort verbunden oder gar durch Eigenes verdoppelt. Die Karmenaden und Friggedellen, auf dem Weg ›ins Grüne‹ im Frieggedellenbiedel verpackt, mögen ebenso als Beispiele 13 14 15 16
MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 33 f. Le Moniteur westphalien, Nr. 255, Oktober 1811. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 181. Vgl. OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 78 f.
360
C. Sprachbewusstein
dienen, wie der Schardenggaarden, den man sonntags mit seiner Schwidde aufsucht. Serviette und Couvert für Gedeck dringen aus der französisch bestimmten gastronomischen Fachsprache in die deutsche Alltagssprache vor. Aus dem Serviertuch, das die Bedienung chez la main trug, machten die Kasseläner Schisslameng17 .
Diese Ausdrücke sind als symptomatische sprachliche Interferenzen und Entlehnungen auf der Wortebene zu erkennen, die als Nebenerscheinung des Sprachkontakts unter der westphälischen Herrschaft zu werten sind18 . Bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden im Gegenzug Sprachreinigungs- und -bereicherungstendenzen in Deutschland sichtbar, die sich gezielt gegen die Dominanz des Französischen in der höfischen, diplomatischen und gelehrten Welt richteten19 . Mit einiger Sicherheit kann angenommen werden, dass spätestens nach 1813 eine Abwehr gegenüber französischen Fremdwörtern als Gegenreaktion zur vorherigen Aneignung und Assimilation derselben auftrat 20 . Die Gründungswelle von Sprachgesellschaften zum Erhalt der deutschen Sprache nach 1813 zeugt von diesem Abwehrphänomen, das später abebbte, bevor die Bewegung in den 1840er Jahren wieder erstarkte21 . Die Feststellung, dass die Zeitgenossen wahrscheinlich verstärkt französische Wörter verwendeten, stellt nur einen Aspekt dar, entscheidend ist jedoch auch, ob diese Bemühungen auch Beachtung fanden. Die politische Polizei war jedenfalls der Ansicht, dass die Verwendung von Fremdwörtern in einem zeitgenössischen Text auf eine tendenziöse Intention hinweisen könnte. Ein geographisches Werk von Caspari erregte beispielsweise wegen eines Fremdworts die Aufmerksamkeit der Polizei: Ayant parcouru cet ouvrage je n’ai rien trouvé qui puisse mériter une suppression, de sorte que le mot équivoque Spolien dont se sert cet auteur à l’occasion des objets qui 17 18
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KEIM, »Savoir vivre«, S. 152. Vgl. LANDWEHR, Geschichte des Unsagbaren, S. 127. Systematische Erhebungen, die in einem quantitativ-lexikalischen Ansatz erlauben, differenzierte Ergebnisse vorzustellen, sind für die vorliegende Untersuchung nicht angestellt worden. Eine lexikalische Bestandsaufnahme, die zeigen könnte, ob die Tendenz im Vergleich zur zweiten Hälfte des 18. Jh. zu- oder abnehmend war, wäre eine interessante Aufgabe für eine linguistisch angelegte Arbeit. Die Sprachreinigungstendenzen richteten sich allerdings im Laufe des 18. Jh. zunehmend gegen das Lateinische bzw. gegen die Archaismen und Regionalismen im Deutschen, mehr als gegen die französischen Fremdwörter. Vgl. u.a. WELLER, Französischunterricht in Deutschland, S. 626–628; KRAMER, Das Französische in Deutschland, S. 117. Eine Einschränkung dieser These erfordert die Feststellung von Keim im Fall der Marke Westphälischer National-Kaffee, der zwar 1815 mit der Umbenennung zum Germanischen Kaffee eindeutig germanisiert wurde, jedoch graphisch noch lange die französisch-westphälische Prägung mit dem lateinischen Schriftzug beibehielt. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 151. Vgl. u.a. KIRKNESS, Zur Sprachreinigung, S. 237–242, 247–252; FLAMM, Eine deutsche Sprachakademie.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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ont été le fruit des victoires de l’Empéreur Napoleon le Grand n’est en derniere analyse qu’une affectation d’exprimer dans un terme etranger ce qu’en termes propres on appele Beute, Erbeutung c.a. acquisition faite par droit de guerre qui n’est contesté par personne. J’ai l’honneur de joindre à ce sujet l’extrait d’un dictionnaire latin art. Spolium22 .
In diesem Fall war das Thema Kunstraub, je nach Perspektive, an sich schon sensibel, weil es eine Kritik an der Eroberungspolitik Napoleons beinhaltete23 . Die lateinische Sprache, als eine den Polizeibeamten weniger vertraute Sprache, erweckte eventuell eher ihr Misstrauen. Einige Situationen sind überliefert, in denen die lateinische Sprache bei Protesten gegen die westphälische Herrschaft bevorzugt wurde und von den Polizeibeamten unverstanden blieb24 . Auch Scheller bestätigt mit seinen Versen, dass die französischen Einwanderer der Beherrschung der lateinischen Sprache in der deutschen Bildungswelt mit Misstrauen begegneten25 . Die oben zitierte Stellungnahme des Generalpolizeikommissars Boehmer zum Fremdwort »Spolien«, die den Autor des Werkes entlastete, erfolgte jedenfalls nach einer Anfrage aus Kassel zu jener fraglichen Passage im Buch. Die politische Polizei war gegenüber dem Sprachgebrauch und der implizierten Kritik, die sich in der Wortwahl widerspiegeln könnte, sehr wachsam. »Spolien« als »mot équivoque«, als zweideutiger Ausdruck aufgespürt, wurde schließlich durchgelassen. Offensichtlich befürchteten die Polizeibeamten in Kassel, mit dem lateinischen Fremdwort würde mehr Kritik ausgedrückt als mit dem deutschen Terminus. Die Tatsache, dass sich das Wort im deutschen Textfluss absetzte, könnte mit der Absicht verbunden gewesen sein, eine Sprache zu wählen, die für viele unverstanden blieb und dadurch kodiert und kryptisch wirkte. Erzeugte nicht etwa das lateinische Wort »Spolien« in Bezug auf die Kriegsführungspraxis Napoleons, der sich selbst in seiner Herrschaftslegitimation und durch seine Zeremonien in Verbindung mit der antiken Welt setzte, einen brisanten Widerspruch, der die
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3569–3617, hier Nr. 3596: Schreiben Nr. 1018 P. G. von G. W. Boehmer an J. F. M. de Bongars, 11. 3. 1812. Zum Thema Kunstraub unter Napoleon vgl. TITTMANN, Rechtliche Bemerkungen; DUNCKER (Hg.), Eines hessischen Gelehrten Lebenserinnerungen; WESCHER, Kunstraub; SAVOY, Patrimoine annexé; HEIMSOTH, »Was Bonaparte gestohlen, können die Preußen wiederholen«; EBELING, LEBEN, Die Kunstpolitik Napoleons; SMIDT, Der Kunstraub in Kassel. Vgl. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 9 f.; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 132; KLEINSCHMIDT, Aus Braunschweigs westfälischer Periode, S. 742. Im Kapitel B IV. (Karikaturen) wurde die Unschlüssigkeit des Polizeikommissars Haas über eine lateinische Losung erwähnt. Vgl. SCHELLER, Jeromiade, S. 47.
362
C. Sprachbewusstein
Illegitimität Napoleons, des »Caesars«, wie er gelegentlich durch die Zeitgenossen bezeichnet wurde, besonders heraushob26 ? Wie auch immer die Verwendung von Fremdwörtern im Kern gemeint war, ob als Loyalitätserklärung gegenüber der neuen Herrschaft oder als Kritik, als Betonung des Fremdheitscharakters oder als Vorwurf der Illegitimität, die Fremdwörter blieben nicht unbeachtet. Ihre Verwendung fiel auf, wurde in Frage gestellt und interpretiert. Wenn dies auf die Schriftsprache zutrifft, dann wahrscheinlich auch auf die mündliche Verständigung der Westphalen. Mit dem Einfließenlassen von französischen Fremdwörtern in den Redefluss beabsichtigten die Zeitgenossen mitunter zu imponieren. So wird in der burlesken Satire »Humoristische Reise« dem naiven und opportunistischen Helden vor seiner Abreise in die Residenz von seiner Mutter der folgende Rat gegeben, der, wenn auch fiktiv, doch die Beweggründe einiger Zeitgenossen reflektieren hilft: Sey daher einschmeichelnd gegen die Höhern, beinahe gnädig-herablassend gegen Deines Gleichen, und gegen Geringere kannst Du nicht stolz genug seyn; – das alles wirkt, und du Wirst bald als ein nobler Mann ausgezeichnet werden, besonders wenn Du nun auch recht viel französische Brocken in Deine Rede wirfst, sobald Du genöthigt bist, deutsch zu sprechen; nun, und dass Du Dir keine Mühe geben wirst, diese Bauernsprache richtig sprechen zu wollen, das versteht sich von selbst 27 .
Die Aussage der Mutter lässt folgende Vermutung zu: Das Imponier- und Einschüchterungsgehabe, das sich durch das Einflechten von »französischen Brocken« in die deutsche Sprache offenbarte, könnte nicht einzig auf die Intention zurückzuführen sein, sich beim Fremdherrn einschmeicheln zu wollen. Er könnte ebenso den Deutschsprachigen, die das Französische gar nicht beherrschten, gegolten haben und musste nicht bedeuten, dass man sich die französische Sprache aneignen wollte; dieses Verhalten könnte vielmehr mit einer grundsätzlichen Abwehr gegen »diese Bauernsprache« gepaart gewesen sein. Das Quellenzitat suggeriert, wie kompliziert sich das Verhältnis zu der Fremdsprache gestalten konnte: Selbst von denjenigen, die sich den Anschein gaben, sich assimiliert zu haben, wurde die französische Sprache als Merkmal einer sozialen Abgrenzung benutzt. Über sie demonstrierten manche Westphalen ihre Überheblichkeit gegenüber Bevölkerungsgruppen, die der französischen Sprache nicht mächtig waren. Die Vorgabe, Französisch zu beherrschen, drängte sich den Westphalen als Machtdiskurs 26
27
Über die napoleonische Herrscherpräsentation unter Bezugnahme auf antike Referenzen vgl. den Tagungsbeitrag von L. Morenz, »Zwischen Adler und Biene. Napoleonische Herrschaftslegitimation in alten Spuren«, gehalten bei der Tagung »Antike(n)rezeption um 1800« am 10.–11. 02. 2006, organisiert durch das Forschungszentrum Gotha für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt, in: H-Soz-u-Kult, [10. 3. 2006], http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=1073 (22. 8. 2011). HILARIUS, Humoristische Reise, S. 52 f.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
363
auf: Die Sprachen spiegelten das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten im zweisprachigen Gesellschaftskontext in einmaliger Weise wider. Das Erscheinen eines französischen oder lateinischen Fremdworts, das durch den Kontrast der lateinischen und deutschen Schrift hervorstach, könnte man, um mit den Vertretern des »performative turn« zu sprechen, als eine Inszenierung im Text auffassen, der damit performativen Charakter annahm und zumindest für den Autor einen theatralischen Zug besaß und dramatische Folgen, wie die Gefahr einer Zensur, nach sich ziehen konnte28 . Die Fremdwörter, wie das Beispiel der »Spolien« zeigte, blieben nicht unbeachtet: Sie wurden sehr wohl von den Zeitgenossen wahrgenommen und interpretiert. Auf der Suche nach dem Sprachverständnis und der Wahrnehmung von Sprachen durch die westphälischen Zeitgenossen stellt diese Feststellung einen interessanten Aspekt dar. 1.3. Hemmungen, sich in der Fremdsprache auszudrücken Einen weiteren Aspekt im Umgang mit der Fremdsprache, der über das Bemerken von Fremdwörtern oder die stilistische Verwendung von Fremdwörtern hinausgeht, stellt die Hemmschwelle dar, sich in der Fremdsprache auszudrücken, die manche Zeitgenossen empfanden. Der Polizeiagent Waldhausen, der dem Generalpolizeikommissar Boehmer in Göttingen Berichte über den Zustand des Schulwesens in Osterode lieferte, sorgte sich beispielsweise darum, ob sein Französisch ausreichend sei. In dem Begleitschreiben von Boehmer an Bongars betonte Ersterer, Waldhausen hoffe wegen der Korrektheit und der Rechtschreibung seines Berichts auf die »indulgence de l’autorité supérieure«29 . Vom Staatsrat wird oftmals berichtet, dass der Kontrast zwischen den französischen »gewandten Rednern« und den Deutschen, die »sich nur mangelhaft in der fremden Sprache auszudrücken wussten«, frappierend war30 . Tatsächlich soll der Innenminister, Graf von Wolffradt, Hemmungen empfunden haben, sich in der fremden Sprache auszudrücken31 . Wer sich die französische Sprache in Auszügen angeeignet hatte, beherrschte 28
29 30 31
Vgl. FISCHER-LICHTE, KOLESCH (Hg.), Kulturen des Performativen; FISCHERLICHTE, Vom »Text« zur »Performance«; FISCHER-LICHTE, HORN (Hg.), Performativität und Ereignis; MARTSCHUKAT, PATZOLD (Hg.), Geschichtswissenschaft und »performative turn«; FISCHER-LICHTE, WULF (Hg.), Praktiken des Performativen; KRÄMER (Hg.), Performativität und Medialität. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3683: Schreiben Nr. 1201 P. G. von G. W. Boehmer an J. F. M. de Bongars, 19. 5. 1812. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 33. Vgl. ibid., S. 47 f.; vgl. ferner THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 89.
364
C. Sprachbewusstein
nicht sämtliche Finessen der Rhetorik32 . Zu den beschränkten französischen Redetalenten der deutschsprachigen Staatsräte schreibt allerdings Zinserling zurechtweisend: Der Gebrauch der Französischen Sprache im Staatsrathe konnte hier kein hinlänglicher Entschuldigungsgrund seyn, da diese Sprache Personen aus diesem Stande ohnehin geläufig seyn musste, und ein Jahr Uebung vollkommen hinreichte, um es in dem Mechanischen zu einiger Fertigkeit zu bringen33 .
Was für die Deutschen, die sich mit Hilfe der französischen Sprache zu artikulieren versuchten, galt, traf sicherlich auch auf die Franzosen zu. Es dürfte anzunehmen sein, dass nach einigen Jahren im Königreich Westphalen ein Lernprozess auch für die französischen Zuwanderer einsetzte. Der anonyme Autor der Pasquille »Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen« stellt fest, dass die Franzosen »größtenteils« auch die deutsche Sprache beherrschten: jedoch »wenn sie auch der teutschen Sprache ganz oder zur Hälfte, oder nur mittelmäßig mächtig waren, so redeten sie doch in der Regel nicht teutsch«34 . Er urteilt über sie: »Sie verstehen und sprechen alle recht gut teutsch, selbst diejenigen, von denen ich Jahre lang keinen teutschen Laut gehört habe«35 . Der anonyme Autor wertet diese Zurückhaltung misstrauisch und vermutet darunter die Absicht, »unter diesem Deckmantel […] unsre Gesinnungen, und im Ganzen die öffentliche, herrschende Meinung bei uns auszuspähen. Sie sahen es als ein Mittel an, uns treuherzig zu machen, und an ihnen keine Lauscher zu befürchten«36 . Der anonyme Autor, der 1814 so argwöhnisch gegen die Franzosen schreibt, war nicht gewillt, ihnen nachträglich zuzugestehen, dass sie vielleicht aus Angst, sich fehlerhaft in der Fremdsprache auszudrücken, zurückhaltend bei der Anwendung ihrer deutschen Sprachfertigkeiten waren. Dabei waren andere Zeitgenossen durchaus der Ansicht, dass das Erlernen der deutschen Sprache eine besondere Herausforderung darstellte. Wenn die Zeitgenossen das Erlernen der Sprachen gegeneinander abwogen, beurteilten sie Deutsch als eine schwer zu erlernende Sprache: wehe dem Franzosen, der ohne Sprachlehrer Deutsch lernen soll! Wenn unsere Armeen für die westlichen Nachbarn so unüberwindlich gewesen wären, als unsere Sprachformen, so würden sie ohne die Allianz von einigen tausend Sprachmeistern niemals Sieger geworden sein37 .
Auch der höchst motivierte Sprachlehrer Devoluet stellte bald nach seinen ersten Annäherungen an die deutsche Sprache fest: »Ces voyages m’ont 32 33 34 35 36 37
KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 48. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 154. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 31. Ibid. Ibid. NAGEL, Kriegsbilder aus der Heimath, S. 194 f.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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amené à Francfort en 1808. Je me mis à étudier l’Allemand, et je vis bientôt que l’étude de cette langue, la plus riche et la plus savante parmi les modernes, ne serait pas l’affaire de quelques années«38 . Zum Sprachbewusstsein der Zeitgenossen zählte, dass sie sich der mit dem Erlernen einer Fremdsprache verbundenen Mühen bewusst waren. 1.4. Bedauern über unzureichende Fremdsprachenkenntnisse Bereits in den Kapiteln über die Übersetzer und Dolmetscher (B I.) und den Spracherwerb (B II.) konnte angedeutet werden, dass deutsch-französisch Zweisprachige im Königreich Westphalen in der Minderheit waren, für sie aber allerhand offizielle und inoffizielle Übersetzungsaufgaben anfielen. Sie trugen weitgehend zur Sicherstellung der Kommunikation in dem neuen Staat bei. In der Tat war nicht jeder »mit einem Maulwerke seltener Art in beiden Sprachen ausgerüstet«39 . Der Autor der Satire »Jeromiade« bestätigt, dass das Fehlen französischer Sprachfertigkeiten für strebsame Bürger zu einem Karrierehindernis werden konnte: Auch N. N. N., ein grosser Mann – Wenn’s kam auf kleine Dinge an, Und der der Anwäld Büberei’n Bedekkte mit dem Mantel sein – […] Zog ein in Kassel, und verliess Zu N. N. N. den Bratenspiess. Hätt er die Welsche Sprach’ gekonnt, Hätt’ er sich besser dort gesonnt, Und’s wär gemacht aus ihm ein Ding, Das auch mit hin nach Welschland ging40 .
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Beherrschung der französischen Sprache zu einem entscheidenden Faktor für eine Karriere im westphälischen Staatsapparat und in der Verwaltung wurde41 . Während einige Zeitgenossen Hemmungen hatten, sich wegen mangelnder Kenntnisse in der Fremdsprache auszudrücken, bedauerten andere offen unzureichende Fremdsprachenkenntnisse. In einem Bericht des Präfek38
39 40 41
GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts – Ansuchen um Anstellung als Lehrer der französischen Sprache, 1810– 1813, Bl. 17 f.: Schreiben von Devoluet, Sprachlehrer in Kassel, an J. C. von Leist, Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, 24. 1. 1813. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 59. SCHELLER, Jeromiade, S. 32. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2286, Gesuche um Anstellung bei den höheren Schulen, 1808–1813, Bl. 23: Attestation de parfaite connaissance & prononciation de la langue française de C. von Villers, professeur à Gottingue, pour C. W. L. Bauermeister aus Nordheim, à l’adresse de J. C. von Leist, 27. 7. 1812. Vgl. auch die Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher) und B II. (Spracherwerb).
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C. Sprachbewusstein
ten des Elbdepartements, Graf von der Schulenburg-Emden, an den Innenund Justizminister Siméon vom 3. August 1808 lobt er die Qualitäten des Unterpräfekten in Stendal, des Grafen von der Schulenburg-Bodendorff, und äußert zugleich sein Bedauern über dessen unzureichende Kenntnisse der französischen Sprache: »[Il] est actif, laborieux […]. Il est propre à toutes les affaires, et le seroit encore davantage, si la langue française lui etoit plus familière«42 . Reinhard, der kaiserliche Vertreter am westphälischen Hof, macht ebenfalls zurückhaltende Bemerkungen über die Französischkenntnisse des westphälischen Innenministers Wolffradt: »er sei ein sehr rechtschaffener Mann, aber zu furchtsam und zu wenig geschickt, beherrsche auch die französische Sprache nicht genügend«43 . Das Klagen über die mangelnden französischen Sprachkenntnisse betraf jedoch nicht immer nur Dritte, manchmal wurde dies auch in eigener Sache bedauert: Gestern Abend kam einer Namens Weichel im Gasthaus zum Ritter und erzahlte mit groster Freüde Bezeigung, was ihm ein französischer Courir welcher hier durch ging von der Armée erzahlt habe, nämlich, wegen den grosen Verlust an Menschen an Pferten extra, die Geselschaft welche meisten aus lauten Könglich. Beamten bestant nahm so ein herzliche Antheil daran, daß alle sagen wann uns Morizius französisch verstänte so könnten wir – auch mehrere Bouteillen Wein kostete die Interessanteste Nachrichten von der Armée immer durch dem durchpassirenten Courrire erfahren, – Sie nenen Interessanten Nachrichten, was zum Nachtheil der armée gesprochen wird, – so denken alle Marburger44 .
Nicht immer wurde dieses Bedauern so ausdrücklich formuliert. J. Meyer stellte über seine Schwierigkeiten, bei seinem Verwandten N. Meyer, Lieferant der französischen Armee in Möllen, 1804 eine Anstellung zu finden, lapidar fest 45 : Da ich indeß die französische Sprache nicht erlernt hatte, so konnte mich Hr. Meyer in seinen Geschäften nicht gebrauchen, derselbe gab mir daher einige Thaler zur Rückreise, welche ich aber anzutreten keine Lust hatte, ich fasste vielmehr den Entschluß in Hamburg mein Glück zu versuchen46 .
In deutschsprachigen Bittschriften entschuldigten sich die Bittsteller gelegentlich für den Gebrauch ihrer Muttersprache: »verzeihen, wenn ein aus 42
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45 46
GStA PK, V. HA, Nr. 1338, Akte des Justizministeriums zu Kassel über den öffentlichen Geist in den Departements, 1808, Bl. 21–24: Schreiben vom Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, Präfekt in Magdeburg, Elbdepartement, an J. J. Siméon, Innen- und Justizminister, 3. 8. 1808. Reinhard, zitiert nach: THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 71. Vgl. auch DU CASSE (Hg.), Les Rois frères de Napoléon Ier, S. 371. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9760–9796, hier Nr. 9796: Rapport Nr. 3 von C[erfy], Polizeiagent in Mission in Marburg, an J. F. M. de Bongars, 13. 1. 1813. Weiterführend vgl. CLEMENS, Napoleonische Armeelieferanten. MEYER, Kurze Erzählung, 1836, S. 2.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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Sr. Königl. Westphälischen Majestät Landen gebürtiger Unterthan es wagt hochdieselben in deutscher Sprache schriftlich zu beschweren«47 . Im Gegenzug zu den Selbsteinschätzungen der Deutschen über ihre eigenen ungenügenden Französischkenntnisse wurden auch die mangelnden Deutschkenntnisse der französischen Einwanderer thematisiert. Cramer berichtet in seiner »Geschichte des Königreichs Westphalen« über eine Neujahrspredigt des Pastors Hellmuth aus dem Jahre 1808, der sich anspielungsreich und tadelnd über die Fremden äußerte, die unsere Sprache nicht kennen48 . Zu den Reaktionen auf das Dekret vom 6. Juli 1808, das die Ernennung der Unterinspektoren und Oberförster regelte, schreibt der Historiker Willy Kohl: »Unter den Förstern war ein Franzose, des Granges, in Rosenburg, der es aber ablehnte, zum Oberförster befördert zu werden, weil er kein Deutsch konnte«49 . Von denjenigen, die ihre ungenügende Beherrschung der jeweils anderen Sprache bereuten, mochten manche lückenhafte Fremdsprachenkenntnisse erworben haben, während sie anderen gänzlich fehlten. Ihr Klagen darüber und das dadurch offengelegte Empfinden der Zeitgenossen über mangelnde Fremdsprachenkenntnisse kann als Signal dafür gedeutet werden, dass hin und wieder Situationen eintraten, in denen die Sprachbarrieren zwischen den französischen und deutschen Sprachgemeinschaften als hinderlich empfunden wurden. Dieser Aspekt der Wahrnehmung von Fremdsprachen leitet zur Frage nach dem Sprachbewusstsein und Sprachdenken der Westphalen über. 1.5. Bewusstsein für verschiedene Niveaus der Sprachbeherrschung Bereits aus dem Kapitel über Spracherwerb (B II.) wurde das Bewusstsein deutlich, dass eine Sprache erlernt werden muss und dies mit Mühe verbunden ist. Deswegen überrascht es nicht weiter, dass unter den Zeitgenossen das Bewusstsein für die Existenz von verschiedenen Graden der Sprachbeherrschung vorhanden war.
47
48 49
GStA PK, V. HA, Nr. 2030, Akte des Ministeriums des Innern, Pensions- und Gnadengesuche, 1807–1811: Schreiben von Tangermann, Ökonom, Belsdorf bey Alleringersleben, Elbdepartement, an die Regenten, 15. 10. 1807. Vgl. CRAMER, Geschichte des Königreich Westphalen, S. 89, ferner S. 88–91. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 169 f. Vgl. ferner über die émigrés der Französischen Revolution in Deutschland: HÖPEL, MIDDELL (Hg.), Réfugiés und Émigrés; RANCE, L’identité; DIES., La »référence allemande«; DIES., Mémoires de nobles émigrés; SCHÖNPFLUG, VOSS (Hg.), Révolutionnaires et Émigrés.
368
C. Sprachbewusstein
1.5.1.
Sprachbeherrschung der »fremden« Sprache
Der bereits zitierte Sprachlehrer Devoluet gab in einem Schreiben an den Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts über sein Erlernen der deutschen Sprache an, dass er nach seiner Ankunft in Frankfurt am Main 1808 damit angefangen habe und bald feststellen musste, dass dies im Selbststudium nicht in ein paar Jahren getan sein würde50 . Schließlich urteilte Devoluet um das Jahr 1810 herum über das von ihm erreichte Niveau in deutscher Sprache: »Au milieu de ces occupations j’avais appris l’Allemand, sans maître et d’une manière assez profonde. Je l’ecris mieux que je ne le parle«51 . Devoluet erging es so, dass er die studierte und selbsterlernte Fremdsprache besser schriftlich als mündlich beherrschte. Sicherlich machte nicht nur er diese Erfahrung; welchen Bereich man sich zuerst erschloss, war bestimmt vom Sprachlerntyp und den Lebensumständen abhängig, in denen die Fremdsprache erlernt wurde. Was die analphabetischen mehrsprachigen ›Ad-hoc‹-Dolmetscher betrifft (siehe Kapitel B I.), werden diese fast ausschließlich durch Immersion die jeweils andere Sprache erlernt haben. Ein solches bain de langue wünschte sich ein französischer Vater für seinen in Deutschland geborenen Sohn. Der Geheimrat und Direktor des Akzisen- und Zollamts in Magdeburg, Roux, selbst seit 1776 aufgrund von »diverses circonstances, et entre’autres des liaisons de famille« in Preußen ansässig, fragte am 4. Oktober 1807 für seinen 21-jährigen Sohn, der seit seinem dreizehnten Geburtstag in militärischen Diensten »au service de Prusse dans le Régiment d’infanterie du Duc de Brunswick« stand, ob man diesen so schnell wie möglich »en la même qualité dans un régiment au service de S. M. le Roi de Westphalie ou de S. M. L’empereur« anstellen könne. Er betonte: »et surtout s’il y a la moindre possibilité dans un régiment françois où il aurait le plus d’occasions de se perfectionner dans la langue française, la langue maternelle de son père, et de montrer s’il est digne d’être incorporé à sa brave nation«52 . Ein anderer Vater, der ebenfalls für seinen Sohn um eine Anstellung im westphälischen Militär bat, führte sogar in seiner Anfrage aus: Mein ältester Sohn, der jetzt achtzehn Jahre alt ist, hat aus eigener Neigung den Soldatenstand gewählt. [Ich] bitte […] meinem Sohne doch bey dem Königlich Westphälischen Militair die Anstellung als Lieutenant zu bewirken. […] Die französische
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GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 17f: Schreiben von Devoluet an J. C. von Leist, 24. 1. 1813. Ibid. GStA PK, V. HA, Nr. 2030: Schreiben von de Roux, Geheimrat und Direktor des Akzisen- und Zollamts in Magdeburg, Elbdepartement, an die Regenten in Kassel, 4. 10. 1807.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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Sprache versteht er, aber er spricht sie, theils aus Blödigkeit, theils aus Mangel an Uebung noch nicht fertig53 .
Das Urteil des Vaters fiel nicht gerade mild aus, immerhin stellte er eine Verbesserung durch die Praxis und das Überwinden der entsprechenden Hemmung in Aussicht. Der Schwierigkeit, sich in der französischen Fremdsprache gewandt auszudrücken, waren sich selbst Staatsräte bewusst 54 . Davon zeugt auch eine Angabe des westphälischen Pagen Lehsten-Dingelstädt, der in seinen Memoiren festhält: Am 15. Mai 1808 begab sich König Jérôme über Göttingen […] nach Braunschweig, Halberstadt und Magdeburg und kehrte am 25. Mai zurück. Von Lehsten begleitete ihn. […] Daß allerorten große Empfangsfeierlichkeiten vorbereitet waren, ist verständlich, dass manche lächerliche Darstellung und Anrede vorfiel, insbesondere soweit die französische Sprache in Frage kam, erklärlich55 .
Die Verlegenheit mancher Zeitgenossen, die Reden oder Ansprachen in französischer Sprache mit Repräsentationscharakter und Pomp halten sollten, mochte von gewandteren Betrachtern als lächerlich eingestuft werden, was ebenfalls vom damaligen Sprachdenken zeugt. Diejenigen, die die Sprachbeherrschung weiter gebracht hatten, amüsierten sich über die Mühen derjenigen, die am Anfang ihres Spracherwerbs standen. Eine Tendenz zum Vollkommenheitsanspruch war angelegt, obgleich die vielen französischen Sprachlehrbücher, »Anfangsgründe«, Dolmetscher und Methoden zum Selbststudium oder zur begleitenden Stütze neben dem Privatunterricht, den erwachsenen Westphalen versprachen, zügig und ohne Schwierigkeiten Französisch zu vermitteln56 . Zwischen dem Anspruch der Westphalen, den Versprechungen der Sprachlehrbücher und Sprachlehrer und der Realität entstand für viele ein Widerspruch. Trotz aller Sprachlehrbücher, die Erfolgserlebnisse in kürzester Zeit versprachen, wussten doch die meisten Zeitgenossen, dass zu einer gründlichen Beherrschung der frem53
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GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Verschiedene Anfragen und Correspondenzen (Eingaben von Städten, Bittschriften von Beamten und Privatpersonen betr. Unterstützungen, Anstellungen und Pensionen beim Innenministerium), 1807–1812, Bl. 82 f.: Schreiben von Böcler, Prediger in Blankenhagen bei Rostock, an G. A. von Wolffradt, Inneminister, 9. 2. 1811. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 89. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 17. Vgl. u.a. Trucheman, oder französischer Dollmetscher, mit der Aussprache, für Bürger und Bauern, Lüneburg 2 1804; C. M. von SERVAIS, Anfangsgründe der französischen Sprache, in einer faßl. Darstellung der einfachsten Regeln, mit einer Samml. von Wörtern, Gesprächen und Erzähl., Frankfurt a.M. 1805; Christian August Lebrecht KÄSTNER, Kunst in zwey Monaten französisch lesen, schreiben und sprechen zu lernen, Leipzig 2 1807; Wie lernt man die französische Sprache ohne Lehrer in kurtzer Zeit verstehen, sprechen und schreiben? Ein Noth- und Hülfsbüchlein, Bremen 1809; Der aufrichtige Franzose, oder die Kunst in acht Tagen französisch sprechen zu lernen, München 3 1813. Für weitere Titel vgl. das Kapitel B II.1. (Spracherwerb).
370
C. Sprachbewusstein
den Sprache, sei es der französischen oder einer anderen, auch Mühe und Zeit gehörten. Anschaulich wird die Haltung zum Spracherwerb als langfristig angelegtes Projekt am Beispiel eines westphälischen Staatsgefangenen. Karl Wilhelm Freiherr von Willisen, im Oktober 1812 von der westphälischen Polizei verhaftet, brachte bis zu seinem Ausbruch am 1. Sept. 1813 fast ein Jahr auf dem Kastell in Kassel zu, weil er 1808 zu den Österreichern übergelaufen war, um gegen die »Westphälinger« zu kämpfen. Außerdem war er 1809 einige Tage an Schills Seite marschiert und war seiner Verpflichtung, sich als westphälischer Staatsbürger dem Militärdienst zu stellen, nicht nachgekommen57 . Als Staatsgefangener erbat er sich zusammen mit anderen von Bongars Papier und Bücher zum Studieren in der Haft, was ihnen unter strenger Vorgabe an den Staatskommandanten im Kastell, jegliche Kommunikation untereinander oder mit der Außenwelt zu unterbinden, zugestanden wurde58 . Als der Vernehmer der politischen Polizei im Kastell, der Jurist Rosenmeyer und der Leutnant Jungenbluth eine Inspektion des coffre den Willisen bei seiner Verhaftung bei sich führte, im Auftrag des Generalsekretärs der Hohen Polizei Schalch unternahmen, fanden sich darin einige politische und ökonomische Bücher. Ein Buch von Rehberg, aber auch englische und französische Bücher und viel »grimmsche Bücher« waren darunter59 . In seinem Koffer fand sich außerdem eine »Griechische Grammatik von Bettmann«, »Schneiters griechisch-deutsches Handwörterbuch« und in der Truhe handschriftliches Material, das davon 57
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Über Willisens Verhaftung berichtet Steffens, vgl. STEFFENS, Was ich erlebte, Bd. 6, S. 322. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 18, Nr. 11 398– 11 419, hier Nr. 11 399: Schreiben Nr. 453 P. S. von Moisez, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Halberstadt, an J. F. M. de Bongars, 3. 10. 1812; ibid., Nr. 11 400: Schreiben Nr. 453 P. S. von Moisez an J. F. M. de Bongars, 1. 10. 1812; ibid., Nr. 11 401: Schreiben Nr. 734 H. P. von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 11. 9. 1812; ibid., Nr. 11 402, Signalement du baron de Willisen, 4. 9. 1812; ibid., Nr. 11 398: Konzept eines Geständnisses von K. W. von Willisen; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 18, Nr. 11 372–11 397, hier Nr. 11 394: Konzept eines Schreibens von K. W. von Willisen an J. F. M. de Bongars, o. Datum [vor Okt. 1812]; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852], Registre des personnes arrêtées, 1812: Eintrag Nr. 65. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 848, Registre de correspondance du bureau de la police secrète, 1812: Schreiben Nr. 2042 von J. F. M. de Bongars, an Jungenbluth, Leutnant und Staatskommandant des Kastells, 19. 11. 1812; ibid.: Schreiben Nr. 2070 von J. F. M. de Bongars an Jungenbluth, 23. 11. 1812; ibid., Schreiben Nr. 2194 von J. F. M. de Bongars an Jungenbluth, 20. 12. 1812. Bongars verdächtigte Willisen, auch Mitglied des Tugendbundes zu sein. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 848: Schreiben Nr. 2084 von J. F. M. de Bongars an V. von Höne, Kriegsminister in Kassel, 25. 11. 1812. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 18, Nr. 11 372–11 397, hier Nr. 11 388: Schreiben von J. P. R[osenmeye]r an Schalch, Generalsekretär der Generaldirektion der Hohen Polizei, 9. 10. 1812; ibid., Nr. 11 387: Inventar der Truhe von K. W. von Willisen.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
371
zeugt, wie Willisen sich bemühte, außerdem Spanisch und Englisch zu lernen60 . Willisen, der sein Studium in Halle aufgegeben hatte, um Partei gegen Jérôme und Napoleon zu ergreifen, lernte dennoch fleißig weiter und es dürfte anzunehmen sein, dass er auch seine langen Stunden im Kastell zu Kassel mit Vokabellisten und Grammatikregeln zubrachte, wie dies aus dem Inventar seiner Truhe für die Zeit vor seiner Festnahme hervorgeht 61 . Ein anderer Fall weist auf das latente Bewusstsein der Zeitgenossen hin, eine erworbene Fremdsprache müsse praktiziert werden, damit sie einem nicht verloren gehe. Über den Gefängniswärter des Zivilgefängnisses in Braunschweig, der mit dem entlaufenen Matrosen Williams aus Nordamerika ein vorläufiges Verhör führte, bevor dieser nach Kassel überstellt wurde, schrieb der Generalpolizeikommissar Guntz an Bongars: j’ai l’honneur d’envoyer ci-inclus une Espece de Verbal, que le Geolier de la prison Civile, ayant été en Amerique et parlant encore quelques mots d’Anglois, a dresser sur le Matelot John Williams. Quoique cette piece n’ait point de validité, je l’ai jugé cependant à propos de la remettre entre les mains de Votre Excellence62 .
Guntz betonte, der Gefangenenwärter Köhlert könne noch einige Worte auf Englisch stammeln und hätte sich deswegen in dem vorläufigen Verhör hervorgetan: Die unterschwellige Herablassung über die englischen Sprachfertigkeiten des Gefangenenwärters zeugt allerdings davon, dass er sich bewusst war, eine Fremdsprache müsse praktiziert werden. Möglicherweise erfolgte diese abschwächende Bemerkung, weil die englische Sprache – wegen der Kontinentalsperre und der Feindschaft Napoleons zu England – im 60
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Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 18, Nr. 11 372–11 397, hier Nr. 11 397: Verzeichniß der in den Koffer des K. W. von Willesen vorgefundenen Efecten durch J. P. Rosenmeyer und Jungenbluth unterschrieben; ibid., Nr. 11 378: Übungsblatt mit Grammatikregeln und Deklinationen in Altgriechisch; ibid., Nr. 11 379: Übungsblatt in Altgriechisch; ibid., Nr. 11 381: Übungsblatt in Englisch; ibid., Nr. 11 382: Übungsblatt in Altgriechisch; ibid., Nr. 11 389: Heft betitelt »Spanische Sprachlehre« angefangen in Berlin, 7. 5. 1808, fortgesetzt am 28. 5. 1811; ibid., Nr. 11 390: Vokabelnheft mit Altgriechisch, angefangen am 22.1., aufgehört am 17. 2. 1811; ibid., Nr. 11 395: u.a. griechische Vokabeln; ibid., Nr. 11 396: Heft mit Altgriechisch. Sein Verhör wurde von Bongars persönlich in französischer Sprache geführt. In einem Register der politischen Polizei, in dem Willisens Angaben eingetragen sind, steht, dass er neben der deutschen die französische, die englische und die lateinische Sprache beherrschte. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13 852]: Eintrag Nr. 65. Auch die Mutter Willisens, Friederike, beherrschte offenbar die französische Sprache, so die Bittschrift, die sie in Sorge für ihren »cecond fils« an Bongars richtete. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 18, Nr. 11 398–11 419, hier Nr. 11 404: Gesuch von F. de Willisen an J. F. M. de Bongars, 10. 1812. Vgl. ibid., Nr. 11 399: Schreiben Nr. 453 P. S. von Moisez an J. F. M. de Bongars, 3. 10. 1812. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 717–10 735, hier Nr. 10 719: Schreiben Nr. 586 P. G. von F. T. de Guntz, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Braunschweig, an J. F. M. de Bongars, 15. 3. 1813.
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C. Sprachbewusstein
Königreich Westphalen das Gegenteil einer Prestigesprache darstellte, das heißt einer Sprache, mit der gesellschaftliches Ansehen erzielt werden konnte. Der Hinweis vom Polizeikommissar Müller, dass Köhlert »welcher als vormaliger Braunschweigischer Soldat mehrere Jahr in America gewesen, […] dadurch die englische Sprache erlernt«63 habe, enthält wie Guntz’ Kommentar unterschwellig eine herabwürdigende bis abfällige Haltung gegenüber den Fremdsprachenkenntnissen Köhlerts, wahrscheinlich wegen des Umstands seines Erlernens der Sprache und seiner sozialen Herkunft. Guntz schränkte aufgrund der dürftigen Englischkenntnisse Köhlerts die Aussagekraft des Verhörs ein. Das erstellte Schriftstück stufte er als »Espèce de verbal« ein und nicht als vollwertiges Verhörprotokoll. Bongars bestätigte ihn insofern in dieser Ansicht, als er ihm zurückschrieb, dass das Dokument von Köhlert werde als Vorlage für die eigentlichen Verhöre dienen64 . Diesem Fall von Zweifeln an der Fremdsprachenbeherrschung Köhlerts kann ein anderes Beispiel gegenübergestellt werden, das zeigt, dass andere Zeitgenossen nicht zögerten, ihre mangelhaften Fremdsprachenkenntnisse selbst zu Lehrzwecken zu verwenden. Der Polizeiagent Waldhausen berichtete dem Generalpolizeikommissar Boehmer über die Situation am Gymnasium in Osterode: On traite a la verité le français, mais le Directeur de même que le Conrecteur du college qui donnent ces leçons savent à peine les premiers élément de cette langue & par consequent ne sont pas capable de l’instruire. Je suis trop peu Pedagogue pour pouvoir juger sur la Methode de l’instruction, mais les examens publics prouvent suffisament que les ecoliers n’en savent pas assez pour aller avec succés a l’accademie65 .
Dass einige Französisch nur schlecht beherrschten und sich dennoch berufen fühlten, es zu lehren, zeigt, dass nicht jeder selbstkritisch mit dem eigenen Können in der Fremdsprache umgehen konnte und dass das Bewusstsein über divergierende Niveaus der Sprachbeherrschung nicht unbedingt immer vorhanden war66 . Als Lehrfach hatte Französisch, wie die anderen modernen Sprachen auch, jedenfalls nicht den gleichen Stellenwert wie die geisteswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Fächer. Der bereits
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Ibid., Nr. 10 720: Vorbemerkung vom Polizeikommissar Müller zum Verhör von J. Williams, 14. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850, Registre de correspondance du Bureau de la police secrète, 2. 1.–18. 4. 1813: Schreiben Nr. 686 von J. F. M. de Bongars an F. T. de Guntz, 18. 3. 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3684: Rapport Nr. 19 H. P. von Waldhausen, Polizeiagent in Osterode, an G. W. Boehmer, 18. 5. 1812. Vgl. das Beispiel der deutschsprachigen Pagenlehrer, die in Kassel in französischer Sprache unterrichteten: [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 4.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
373
zitierte Waldhausen schrieb zu seiner Vision von der Mädchenschule in Osterode: L’école des filles est dirigé par la femme du receveur Jechter, il est tout simple qu’une femme seule ne peut pas suffire à tout les points d’une telle entreprise & il serait a souhaiter que cette école fut changé dans un institut public ou les régents du college enseignasent la religion, l’histoire, Geographie &c. tandis que la Directrice se chargerai de la langue française et des ouvrages du sexe67 .
Der Direktorin der Mädchenschule Jechter, die bisher alle Fächer unterrichtet hatte, hätte Waldhausen gern die meisten Fächer abgenommen und sie namhaften männlichen Kollegen übergeben, bis auf das Französische und die häuslichen Arbeiten, die eine gut ausgebildete Dame unterrichten könne. Diese Vorstellung macht deutlich, dass Französisch neben der Hauswirtschaft als Unterrichtsfach in Waldhausens Aufzählung eine minderwertige Stellung einnahm68 . 1.5.2.
Beherrschung der eigenen Sprache
Im Übrigen wurde von Zeitgenossen auch die Erfahrung gemacht, dass sich innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft erhebliche Unterschiede der Sprachbeherrschung ergaben. Die Bedeutung mancher Mitteilungen blieb einer breiteren Öffentlichkeit verschlossen und konnte, aufgrund einer kryptischen Ausdrucksweise, nur von einer Minderheit verstanden werden. So schrieb der Unterpräfekt Piautaz aus Halle an den Präfekten des Saaledepartements über die Verbreitung eines in deutscher Sprache verfassten aufrührerischen Zettels, der vermeintlich von einem Studierenden der Theologie stammte, beruhigend: »Daß dieser Zettel, der von wenigen gelesen und von manchen seines schwülstigen Stils halber nicht verstanden worden ist, keine ernsthaften Folgen haben können, verstehet sich von selbst«69 . Ob der vermeintliche Theologiestudent seinen Zettel bewusst verklausuliert hatte oder unbewusst einen verschlüsselten Stil pflegte, ändert wenig an der Sache: Nur wenige waren in der Lage, seine antiwestphälische Kritik überhaupt zu verstehen. Der Quellenauszug ermöglicht es, die Aussage über die verschiedenen Grade der Sprachbeherrschung einer Fremdsprache zu re67 68
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3684: Rapport Nr. 19 H. P. von Waldhausen an G. W. Boehmer, 18. 5. 1812. Der Stellenwert von französischer Konversation und »Parliermethode« insbesondere in der Mädchenbildung hat weit zurückreichende Tradition, vgl. KALTZ, Der Fall Beaumont, S. 247, 256; vgl. ferner DOFF, Der Beitrag der neueren Fremdsprachen, S. 261 f. Über die Tendenzen zur Zurückdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Leben und in die private Sphäre im 19. Jh. vgl. HAUSEN, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«; WUNDER, VANJA (Hg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen; HAUSEN, Öffentlichkeit und Privatheit. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7725–7761, hier Nr. 7754: Schreiben Nr. 960 Allg. Polizei von J. M. Piautaz, Unterpräfekt in Halle, Saaledepartement, an W.-C. Gossler, Präfekt in Halberstadt, Saaledepartement, 27. 1. 1813.
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C. Sprachbewusstein
lativieren. Selbst in Bezug auf die deutsche Sprache war durchaus das Bewusstsein für verschiedene Niveaus der Beherrschung vorhanden. Nach Stefan Brakensiek waren Sprecher mit dialektal und sozial unterschiedlich ausgeprägter Sprechweise und Schreibduktus zur gegenseitigen Verständigung darauf angewiesen, sich aufeinander zuzubewegen: »Voraussetzung für [ein] Geschäft auf Gegenseitigkeit bildete eine geglückte Kommunikation zwischen den einzelnen Dorfvorstehern und dem Amtmann. Dazu war es erforderlich, dass beide Seiten sich ernsthaft bemühten, die sprachlichen und mentalen Barrieren, die sich zwischen Bauern und Gebildeten erhoben, zu überwinden«70 . Diese Feststellung relativiert das breite Niveauspektrum im Französischen in der westphälischen Gesellschaft und in der Verwaltungswirklichkeit. Als Professor Tieftrunk in Halle Anfang 1808 versuchte, das Druckprivileg für die »Gazette politique de Halle« auf sich übertragen zu lassen, bezichtigte er den bisherigen Redakteur, F. W. Kolpatsky, die deutsche Sprache nur ungenügend zu beherrschen: Le privilege d’ecrire et de rediger la gazette politique de Halle avec ses annonces se trouvois iusque ici dans les mains d’un ecriveur fort incapable. Il n’entent la langue et il est privé des toutes les arts pour servir a l’interét du Regime et du publique. C’est peutetre seulement par cela, qu’il ecrivoit quelques fois si scandaleusement, que les authorités françoises lui derfendoient la publication et le punissoient de prison71 .
Ob tatsächlich wegen seiner unzureichenden Beherrschung der deutschen Sprache oder aufgrund des Inhalts der »Gazette«, jedenfalls wurde im darauffolgenden September das Druckprivileg für die genannte »Gazette« endgültig Professor Tieftrunk übertragen. Auch der bereits erwähnte Sprachlehrer und Verfasser einer Lernmethode für die französische Sprache, Devoluet, der im Januar 1813 in Kassel für eine Reform des Fremdsprachenunterrichts in französischer Sprache beim Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts vorsprach, gestand diesem in seiner Eingabe, die französische Sprache im Selbststudium erlernt zu haben, da er zunächst eine Ausbildung in lateinischer Sprache in Mâcon genossen habe: À l’âge de 19 ans, je quittai Mâcon, ma ville natale, pour me fixer à Paris. Soutenu par mes parents, je me livrai à diverses études, notamment à celle du Barreau. Je fournissais quelquefois des articles au journal de Paris et au publiciste. C’est là que le hasard me fit tomber sous la main la grammaire française de Port-royal. Je la lu avec d’autant plus d’avidité, que tout ce qu’elle contenait me parut nouveau. Dans nos Collèges, on ne nous enseignait que le Latin; et si nous apprenions un peu de français, c’était simplement par les corrections de nos professeurs, et sans le secours d’une seule règle. Je 70 71
BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 347. GStA PK, V. HA, Nr. 1881, Akten des Innenministeriums – Die öffentlichen Blätter im Saaledepartement, 1808–1813, Bl. 2: Schreiben des Professors Tieftrunk aus Halle, 29. 3. 1808.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
375
fus frappé de mon ignorance et de l’insuffisance de nos études. Je fus même effrayé en songeant que déjà je m’étais livré au Public, sans autres armes qu’un peu de goût et de pratique; ce qui certes ne suffisait point pour être sur de la correction de son style. Je me hâtai de remplir cette immense lacune, et deux années entières ne m’ont vu occupé que d’ouvrages sur notre langue, lus d’abord par nécessité et bientôt par goût 72 .
Diese Aussage legt nahe, dass notfalls selbst die Muttersprache wie eine Fremd- oder Zweitsprache im Selbststudium erlernt werden musste. Die Selbstverständlichkeit der Beherrschung der Muttersprache auf einem ansehnlichen Niveau war nicht unbedingt gegeben. 1.5.3.
Handschriftenvielfalt
Ein weiterer, eher unvermuteter Aspekt der Sprachbeherrschung betrifft die Handschrift. Der bereits zitierte Prediger Böckler, der für seinen Sohn wegen einer Anstellung im westphälischen Militär beim Innenministerium anfragte, urteilte mit einiger Schärfe: »Seine Muttersprache schreibt er richtig; aber er schreibt keine schöne Hand«73 . In diesem knappen Quellenzitat sind gleich zwei Informationen enthalten: Es war zum einen in den Augen der Zeitgenossen nicht selbstverständlich, die eigene Muttersprache korrekt zu schreiben und die noch im Entstehen begriffenen Standardisierungen der Rechtschreibung zu beherrschen74 . Zum anderen stellte die Handschrift, mit ihrer mehr oder minder sozial ausgeprägten Graphie und Leserlichkeit, ein weiteres Element dar, das neben korrekter Rechtsschreibung das Niveau der Sprachbeherrschung ausmachte und ebenfalls wichtig zu sein schien75 . Handschriften waren um 1800 offensichtlich soziokulturell, je nach Ausbildungsgrad und beruflicher Branche ausgeprägt, aber auch geschlechtsspezifisch markiert. Im »Burgschen Kurier. Im Gespräch mit einem Bauer von den neuesten Zeitgeschichten und Welthändeln« vom 4. März 72 73 74
75
GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 17 f.: Schreiben von Devoluet an J. C. von Leist, 24. 1. 1813. GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Bl. 82 f.: Schreiben von Böcler an G. A. von Wolffradt, 9. 2. 1811. Zum Thema Standardisierung der deutschen und französischen Sprache vgl. BALIBAR, Les Français fictifs; MATTHEIER, Nationalsprachenentwicklung; SETTEKORN, Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich; MATTHEIER, Dialekt und Standardsprache; DERS., Standardsprache als Sozialsymbol; KRAMER, Das Französische in Deutschland, S. 61. Schulze erwähnt erste frühneuzeitliche Tendenzen zur Normierung der Sprachen, die bereits im 16. Jh. ansetzten. Vgl. SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 45; NORTH, Das Reich als kommunikative Einheit, S. 240. Hier sei auf den im Kapitel B III. (Bittschriften) erwähnten Fall von Lehmann verwiesen, der es nach einiger Zeit nicht mehr wagte, beim Generalinspektor der Gendarmerie Bongars eine Bittschrift in seiner Handschrift einzureichen, da dieser jene sofort erkannte, was sich auf den Antrag vermutlich negativ ausgewirkt hätte.
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C. Sprachbewusstein
1813, der ganz in volksaufklärerischer Tradition, die mediale Form des Dialogs zwischen einem Kurier und einem Bauer wählte, um seine ungebildete Leserschaft über die neueren politischen Nachrichten zu informieren, wurde der Hinweis »Nur leserliche Anzeigen werden aufgenommen!« für den Inseratenteil eingefügt 76 . Als Piautaz, Unterpräfekt in Halle, Bongars ein Pamphlet, »qui est une parodie d’un Evangile, est a ce qui me semble l’ouvrage de quelque mauvais plaisant, et je n’y vois pas une tendance seditieuse, mais plutot la preuve du mauvais esprit de l’auteur« übersandte, fügte er zu seinen Mutmaßungen über den Autor hinzu: »L’ecriture fort mauvaise de l’original semble etre celle d’une femme de basse extraction, mais l’auteur meme ne manque pas d’esprit et doit etre recherché dans la Classe des personnes d’une bonne education«77 . Über die Handschrift meinte er eine Frau als Kopistin des fingierten Evangeliums zu erkennen und sah sich auch in der Lage zu behaupten, diese stamme aus den Unterschichten und sei von geringerem Ausbildungsniveau, währenddessen er den Inhalt jemandem von Bildung zuschrieb. Kalligraphie und Handschriften waren bei Piautaz offensichtlich beliebte Indizien bei seiner polizeilichen Ermittlungsarbeit im Auftrag von Bongars. So meldete er sich am gleichen Tag in einem anderen Fall beim Polizeichef und schrieb über die Ermittlungen zum Autor des am Haus des Professors Knapp angebrachten Pamphlets: Je suis parvenu a me procurer sans bruit les ecritures de tous les Etudians de Halle, mais nous n’avons trouvé aucun, qui nous a pu donner un soupçon, qui auroit pu se justifier. 76
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RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7725–7761, hier Nr. 7734. Über die Schriften der Volksaufklärung vgl. für die zeitgenössischen Werke: BECKER, Versuch über die Aufklärung des Landmannes; DERS., Noth- und Hülfsbüchlein; DOHM, Über Volkskalender; ZERRENNER, Volksaufklärung. Weiterführende Beiträge aus der Forschung: HERRMANN (Hg.), »Die Bildung des Bürgers«; VIERHAUS, Aufklärung et monde populaire; BÖNING, Das Intelligenzblatt als Medium der praktischen Aufklärung; FREVERT, »Tatenarm und gedankenvoll«?; GROSSE, Salzmanns »Der Bote aus Thüringen«; BÖNING, SIEGERT (Hg.), Volksaufklärung; BÖNING, Zeitungen für das »Volk«; DERS., »Ist das Zeitungslesen auch dem Landmanne zu verstatten?«; MIX, Lektüre für Gebildete und Ungebildete; LÜSEBRINK, MOLLIER, Les almanachs populaires; BÖNING, Aufklärung auch für das »Volk«?; DERS., Das Private in der Aufklärung; LÜSEBRINK, MOLLIER (Hg.), La perception de l’événement dans la presse; LÜSEBRINK, Archive der Fremdwahrnehmung, S. 133 f.; SCHEEL, BÖNING (Hg.), Der Höhepunkt der Volksaufklärung; KRETSCHMANN (Hg.), Wissenspopularisierung; LÜSEBRINK, MIX (Hg.), Les lectures du peuple. Weiterführend ein Beitrag zur Revision der Volksaufklärung-Forschung, vgl. PETRAT, Der Kalender im Hause des Illiteraten und Analphabeten. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7725–7761, hier Nr. 7744: Schreiben von J. M. Piautaz an J. F. M. de Bongars, 7. 2. 1813. Das ›Evangelium‹ wurde anonym im Briefkasten bei der Post ohne Adressaten abgegeben, was die Absicht deutlich macht, es der Obrigkeit zukommen zu lassen.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
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Il est assez probable, que l’ecriture est de la main d’un homme attaché au commerce et nous avons déjà trouvés quelque soupçons assez propres pour fixer notre attention et pour diriger les recherches ultérieures78 .
Piautaz revidierte seine Ansicht über den Autor des Pamphlets, das er zunächst wegen seines schwülstigen Stils einem Theologiestudenten zugeschrieben hatte, nachdem die Überprüfung der Handschriften aller Hallenser Studenten nichts ergeben hatte: Er sah nun ganz deutlich in der Handschrift einen Mann, der in der Handelswelt tätig sei. Selbst anonyme Schreiben konnten aufgrund der soziokulturellen Zuschreibung über den Inhalt, den Schreibduktus, aber auch aufgrund der Handschrift nicht lange die Anonymität ihrer Autoren vor der Polizei schützen. Aus den zitierten Beispielen geht gleichzeitig auch die Schriftfixiertheit der westphälischen Gesellschaft hervor. Im Teil B wurden bereits mehrfach polizeiliche Ermittlungen zitiert, die anonym verfasste Schriftstücke betrafen, in denen die Handschrift und ihre Kalligraphie sehr bald zur Enttarnung der Pamphletschreiber oder Denunzianten führte79 . So schrieb Bongars dem Generalpolizeikommissar in Marburg im Februar 1813 fast mit einem tadelnden Unterton: Vous me dites dans [votre] rapport que cette lettre [Lettre anonyme qui renferme des avis importants, dont vous me donnez en meme tems communication] doit d’une main connue. Si vous en connoissez l’écriture il ne peut pas vous devenir difficile à en reconnoitre l’auteur, vous voudrez donc bien me le nommer par le retour du Courier80 .
Den Aspekt der unterschiedlichen Beherrschung der Muttersprache, ob in der Sprechweise, im Schreibduktus oder in der Schreibweise, sollte man nicht unterschätzen oder nur als eine Sache der ungebildeteren Zeitgenossen kennzeichnen. Als ein Dekret über den Gebrauch der deutschen und fran78
79
80
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 13, Nr. 7725–7761, hier Nr. 7750: Schreiben von J. M. Piautaz an J. F. M. de Bongars, 7. 2. 1813. Piautaz bemühte sich auch im Laufe der Ermittlungen um die Entzifferung bzw. Enträtselung des Inhalts des »schwülstigen« Pamphlets und gab Bongars zu bedenken: »J’ai d’ailleurs fait le possible pour completter avec verité le sens de cet Ecrit, mais je n’ai pu parvenir a trouver quelques mots avec sureté. La poesie, qui est a la fin de cet Ecrit est tirée d’un poéme de Klopstock, intitulé /Schlachtgesang/ qui se trouve dans le premier Volume des poesies de cet auteur, Edition de Leipzig de 1798 pag. 255. – J’ai completté autant qu’il m’étoit possible le sens de cet ecrit et cet Essai est joint a cette lettre«. Im Online-Kapitel über das Medium »Brief« z. B. im Rahmen der analysierten Affäre Kocken und Bielstein, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCINAPOLEON (1. 1. 2013), im Kapitel B I.1.4. (Übersetzer, Dolmetscher) in der Affäre Rau. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr 244 von J. F. M. de Bongars an F. J. H. von Wolff, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Marburg, 5. 2. 1813.
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C. Sprachbewusstein
zösischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen im März 1808 im Staatsrat zur Debatte stand, berichtete einer der Staatsräte an König Jérôme: La langue allemande est la langue naturelle et par conséquence la plus commune des peuples soumis à Votre obéissance. Cependant quatre à cinq dialectes différens et tous fort irréguliers sont répandus dans les diverses parties de Vos Etats, sans qu’on puisse justement déterminer, quel est celui de ces dialectes qui a le plus de faveur et qui en mérite d’avantage. Le doute est tel à cet égard, que les hommes les plus instruits dans vos conseils reçoivent et se renvoyent réciproquement le reproche de ne pas savoir l’allemand, et qu’on ne peut obtenir une traduction du Bulletin des Loix qui réunisse deux suffrages81 .
Auch in Gelehrtenkreisen und in der oberen Verwaltungsebene hielten sich ausgezeichnete deutsche Muttersprachler gegenseitig vor, die deutsche Sprache nicht ausreichend zu beherrschen. 1.5.4.
Idealfall: Vollkommenheit in der Fremdsprache
Besonders rühmlich und außergewöhnlich erschien es den Zeitgenossen, wenn man es in einer Fremdsprache zu einer fast vollkommenen Beherrschung brachte. Dr. Theodor Kühne, nach eigenen Angaben Professor der abendländischen Sprachen in Marburg, gab Wolffradt, dem Innenminister, hinsichtlich seiner italienischen Sprachkenntnisse an: »Wahre Kenner der italienischen Dichtkunst versichern mich in ihren Antworten, dass ich durch die Bekanntmachung meiner Poesien einer deutlichern Beweis von fremder Sprachkenntniß gebe, als je ein Deutscher bisher gethan habe«82 . Auch Professor Villers, der von einem seiner früheren Göttinger Studenten, Bauermeister aus Nordheim, um eine Referenz gebeten worden war, schrieb in seiner »Attestation de parfaite connaissance & prononciation de la langue française«: Monsieur […] Bauermeister, de Nordheim, ayant suivi cet été mon cours de Littérature française, j’ai eu occasion de me convaincre, en causant avec lui dans cette langue, non-seulement qu’il en avait une exacte et parfaite connaissance grammaticale, mais encore qu’il la parlait avec un très bon accent, d’une manière coulante, aisée, et tout-à-fait nationale, de manière qu’on le prendrait facilement pour un français natif; ensorte qu’à cet égard, je le juge tout aussi propre qu’un français à enseigner la langue française dans une Ecole; tandis que je l’encrois beaucoup plus capable par ses bonnes études grammaticales et par l’avantage qu’il a de posséder les deux langues83 . 81
82
83
GStA PK, V. HA, Nr. 571, Das Dekret des Königs Jérôme über den Gebrauch der deutschen und französischen Sprache bei den öffentlichen Verhandlungen, März 1808, Bl. 1: Bericht an den König Jérôme, 19. 3. 1808. StA MR, Best. 75 Nr. 156, Akten des Innenministeriums über die Universität von Marburg: Schreiben von T. Kühne, Professor abendländischer Sprachen in Marburg, an G. A. von Wolffradt, 16. 10. 1810. GStA PK, V. HA, Nr. 2286, Bl. 23: Attestation de parfaite connaissance et prononciation de la langue française de C. de Villers pour C. W. L. Bauermeister à l’adresse de J. C. von Leist, 27. 7. 1812.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
379
Die perfekte Beherrschung einer Fremdsprache setzte sich im Urteil Villers’ aus genauen grammatikalischen Kenntnissen, einer sehr guten Aussprache und einem ungehemmten und souveränen Redefluss zusammen. 1.6. Umgang mit den Sprachen vom Feind und Wertungen über die Sprachen Um einen Einblick in das Sprachbewusstsein der Zeit zu gewinnen, empfiehlt es sich, den Blick nicht allein auf das Verhältnis zwischen der französischen und deutschen Sprache zu richten, sondern auch auf den Stellenwert, den weitere Sprachen im westphälischen Kontext erlangen konnten. Der Drang der Westphalen, sich im letzten Jahr des Bestehens des Königreichs Westphalen Grundkenntnisse der russischen Sprache anzueignen, wurde bereits angesprochen. Ihre Bemühungen, sich mit russischen Wörtern und Wörterbüchern auszustatten, waren nicht zuletzt von abfälligen Bemerkungen über diese Sprache durch die Polizeibeamten begleitet. Ihre Einstellung zur russischen Sprache ging so weit, darin »russische Schmierereyen«84 oder »mots barbares«85 zu erkennen. Die Geringschätzung einer Sprache, die einem sehr fremd klang86 , bestätigt die Aussage des Offiziers Lehsten-Dingelstädt, der über seinen Austausch mit einem russischen Gefangenen im Kontext des russischen Feldzugs berichtet: Beim Regiment waren mehrere Polen, welche der russischen Sprache kundig waren. Durch sie wurde die Aussage der Gefangenen bekannt. Ein Korps, meist aus Russen bestehend, habe sich über Großenhain zurückgezogen. ›Mein Gefangener ließ mich bitten, ich solle ihn nicht fortschicken, ich sei ein so guter Offizier, da ich ihm mein Tuch zum Verbinden gegeben habe, er wolle mir dienen. Doch was sollte ich mit ihm beginnen, da ich kein Russisch verstand und seine Wunde nicht unbedeutend war. Es tat mir leid. Doch musste ich ihn mit den anderen transportieren lassen. […] Was aus den armen Gefangenen wurde, weiß ich nicht‹87 .
Die Auffassung, man könne mit einem Diener, dessen Sprache man nicht sprach, wenig anfangen, selbst wenn er einem dankbar ergeben war, ist bezeichnend. Auch erwecken einige Aussagen von Zeitgenossen den Eindruck, dass eine Sprache, die man nicht beherrschte, einen unheimlichen Charakter annehmen konnte. Der westphälische Pfarrer Gehren, als Staatsgefangener nach Mainz verbracht, schrieb von dort aus drei Briefe: »Ein französischer Brief wurde an den Hrn. Präfekt Jean Bon de St. André, ein deutscher an den Hrn. Stadtmaire Makke zu Maynz und ein dänisch-deutscher an meine Gat84
85
86 87
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 7952–7997, hier Nr. 7975: Schreiben von J. M. Piautaz an den Maire in Halle, 2. 2. 1813; vgl. ibid., Nr. 7977: Schreiben Nr. 71 von J. M. Piautaz an W.-C. Gossler, Februar 1813. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. 13 850: Schreiben Nr. 946 von J. F. M. de Bongars an Frömbling und G. L. F. Grahn, 12. 4. 1813. Vgl. ferner zu den Vorstellungen von minderwertigen Sprachen REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 8. Zum Topos des Fremden als Barbar ohne Sitten und Sprache vgl. ibid., S. 8 f. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 108.
380
C. Sprachbewusstein
tin zu Felsberg geschrieben«88 . Alle Briefe wurden durchgelassen, nur beim dritten »mußte der dänische Theil, so unschuldig auch dessen Inhalt war, in deutsch umgewandelt werden – ›weil der Hr. Aufseher der holländischen Sprache sich nicht völlig gewachsen fühle‹«89 . Der Pfarrer lässt seinen Leser Anteil haben an seiner Belustigung über den Aufseher, der Dänisch mit Holländisch verwechselt und so tut, als ob er schon Holländisch könne, nur nicht genügend für den Brief Gehrens. Zeitgenössische Bemerkungen über das Russische, aber auch über das Englische fallen ebenfalls durch ihre Abwertung auf. Wer über Sprachkompetenzen in englischer Sprache verfügte, konnte von der Obrigkeit stigmatisiert werden: Die Hohe Polizei vermutete hinter solchen Fähigkeiten oft einen Werber für englische Militärdienste oder einen Spion. Durch die Kontinentalsperre und die Opposition Englands gegen die napoleonische Expansionspolitik war das Verhältnis zu allem Englischen und Englischsprachigen angespannt; zudem hatten sämtliche mächtige Opponenten des Königreichs Westphalen aus dem Hannoverschen, wie der Graf von Münster, aber auch der Herzog von Braunschweig-Oels, im Jahr 1809 nach England übergesetzt. Von dort aus, sowie von Helgoland, wurde der Krieg gegen Napoleon organisiert, mitunter durch die Anwerbung von Männern im Königreich Westphalen, die bereit waren, gegen Napoleon zu kämpfen90 . Im Königreich Westphalen lebten auch, noch aus dem vorangegangenen Jahrhundert, ehemalige Soldaten des Fürsten von Hessen-Kassel, die dieser in englische Militärdienste vermittelt hatte und die zum Teil wegen ihrer Beteiligung am Amerikanischen Bürgerkrieg über englische Sprachkenntnisse verfügten91 . Zu westphälischer Zeit wurden das Englische und das Russische im Allgemeinen eher gering geschätzt, weil die Abneigung gegenüber diesen ausländischen Mächten teilweise auf deren Sprachen projiziert wurde. Die Vorurteile, beispielsweise über die Schwierigkeit, die Vollkommenheit und die Vielfalt einer Sprache, reflektieren ebenfalls das Prestige oder den Stand einer Sprache in dem jeweiligen Zeitalter, in der jeweiligen Gesellschaft. Sie gehen teilweise auf tradierte Diskurse über die Sprachen zurück, 88 89 90
91
GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 128. Ibid., S. 129. Vgl. u.a. HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 24; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 640; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 425–428; DERS., Die hannoverschen Aufstandspläne; MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 10; LÜNSMANN, Die Armee des Königreichs Westfalen, S. 38; BREITENBORN, Die Grafschaft Wernigerode, S. 58 f. Zu den Auswirkungen der Kontinentalsperre gegen englische Waren vgl. u.a. DUFRAISSE, La contrebande; DERS., Französische Zollpolitik; DERS., Les transformations de l’appareil douanier. Vgl. u.a. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 38; DERS., Soldatenhandel.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
381
wie auf diejenigen, die bereits im Zuge des Streites über die »Qualität der einzelnen Sprachen« durch die Humanisten entwickelt worden waren92 . Das Französische wurde auch im Laufe der westphälischen Herrschaft, je nach eingenommener Perspektive, unterschiedlich bewertet. Spätestens ab 1814 erfolgte eine Kehrtwendung in der Toleranz gegenüber dem Französischen93 . Wie oben zitiert, bezeichnete man es gelegentlich als »Bauernsprache«94 . Scheller erwähnt 1814 in den Versen seiner »Jeromiade« ein deutsch-französisches Wörterbuch in folgender Weise: »Ein Deutsche[s] Taschenwörterbuch/Mit Welsch gemischt«95 . Im selben Werk hält Jérôme eine Rede »auf Fransch«96 . Das Französische als »Welsch« oder als »Fransch« zu bezeichnen, machte in aller Knappheit und ein wenig derb die Ansicht des Autors über diese Sprache deutlich. Das wechselnde Ansehen der Sprachen folgte sehr eng den politischen Entwicklungen. 1.7.
Zugang zur Fremdsprache
Einerseits existierte offensichtlich das Bewusstsein dafür, dass eine Fremdsprache bis zur Vollkommenheit beherrschbar sei, wie im oben erwähnten und von Professor Villers gelobten Fall Bauermeister. Bemerkenswert ist andererseits, dass selbst für Personen mit keinen oder wenigen Kenntnissen einer Fremdsprache diese nicht durchweg ein unzugängliches Idiom darstellte, das für sie in seiner Bedeutung undurchdringbar bleiben musste. Der bereits zitierte Page und nachmalige westphälische Offizier LehstenDingelstädt schreibt über einen Konflikt unter Militärs, der sich in Folge einer Niederlage im Kriegsgeschehen vom Oktober 1813 ergab: Da tritt der etwas berauschte polnische General auf General Wolff zu mit den Worten: ›Vous vous êtes battus hier comme des gens… si mes braves Polonais n’avaient pas tenu forme, tout aurait été perdu‹. [Es kam zu einer] Beschimpfung [und] rätselhafte[m Ausbruch]. Unschlüssig, was mit solchem Prahlhans anzufangen sei, waren viele unserer Leute, welche seine französischen Worte teils verstanden, teils erraten hatten, auf den Wall getreten, nahmen ihn auf die Schulter und wollten den Kerl in die Elbe werfen97 .
Wie Lehsten-Dingelstädt weiter beschreibt, blieb dem westphälischen General Wolff nichts anderes übrig, um das Leben des betrunkenen und beleidigenden polnischen Generals vor der Rache des Militärvolks zu retten, als diesen zu einem Duell aufzufordern. Zur abschließenden Regelung des Konflikts wurde auf das Duell, das wegen der Betrunkenheit des Herausforderers 92 93 94 95 96 97
SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 28. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 142; SCHELLER, Jeromiade; CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 75. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 53; SCHELLER, Jeromiade, S. 8. SCHELLER, Jeromiade, S. 75. Ibid., S. 88. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 135.
382
C. Sprachbewusstein
für ihn nicht gut enden konnte, verzichtet und durch eine Entschuldigung ersetzt. Selbst einfache Soldaten, die wenige bis keine Kenntnisse der französischen Sprache hatten, konnten dennoch den Ausbruch des polnischen Generals verstehen, der sie auf Französisch in ihrer Tapferkeit beleidigte98 . Dieses Beispiel sagt sehr viel über den Umgang mit Fremdsprachen aus: Selbst wenn man eine Sprache nicht kannte, versuchte man, sie zu verstehen. Die Zeitgenossen begegneten Fremdsprachen nicht, indem sie diese etwa als ein unzugängliches Sprachsystem betrachteten, das ihnen nur fremd bleiben konnte. Gegenüber Fremdsprachen reagierten die Zeitgenossen aktiv und versuchten durchaus aus der ihnen ungewohnten Sprache verständliche Ausdrücke oder Wörter herauszuhören, bei denen sie sich zutrauten, diese zu einem Sinn zusammenzusetzen. Sicherlich, wie der Fall des betrunkenen polnischen Generals erahnen lässt, stützten sie sich bei der Interpretation seiner Worte auf seine Mimik und Gestik. Die Vermutung liegt nahe, dass die anwesenden Soldaten mit besseren französischen Fremdsprachenkenntnissen schnell als Dolmetscher fungierten, um eine zügige kollektive Interpretation des beleidigenden Ausbruchs des polnischen Generals und eine passende kollektive Reaktion zu ermöglichen99 . Eine weitere Situation, die diesmal nicht auf eine kollektive Erfahrung zurückgeht, sondern auf das Erlebnis mit einem Schriftdokument eines Einzelnen, des westphälischen Generalleutnants Ludwig Bödicker, untermauert diese Aussage. Der Militär befand sich in Gewahrsam im Kasseler Kastell und man brachte ihm eine »Petition« in französischer Sprache, die seine Frau offenbar unter Druck verfasst hatte. Zu seiner Reaktion auf das Schriftstück schreibt er: Obschon ich wenig Französisch verstand, und von dem Antrag an meine Frau nichts wusste, wurde mir doch aus einigen mir gleich verständlichen Sätzen, der Inhalt des Briefes klar genug und versetzte mich in solche Wuth, dass ich dem Kommandant versicherte, einen jeden der mir einen solchen Antrag wiederholen würde, zu erwürgen100 .
Dieses Beispiel bestätigt: Obwohl man eine Sprache nicht perfekt beherrschte, erschien sie einem nicht ganz unzugänglich und man traute sich zu, ihre Bedeutung annähernd zu verstehen. Auch wenn eine gemeinsame sprachliche Verständigungsebene bestand, konnten sich in die Diskussion Unstimmigkeiten einschleichen, die den einen oder anderen Gesprächspartner zu einem Ausbruch in einer anderen 98
99
100
Weiterführend zum Ehrhandel und Duell vgl. FÜRBRINGER, Metamorphosen der Ehre; FREVERT, Ehrenmänner; DINGES, Ehrenhändel; SCHREINER, SCHWERHOFF (Hg.), Verletzte Ehre. An dieser Stelle kann an die im Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher) formulierte These der Existenz zahlreicher ›Ad-hoc‹-Übersetzer in der westphälischen Gesellschaft, hier ›Ad-hoc‹-Dolmetscher, angeknüpft werden. BÖDICKER, Die militärische Laufbahn 1788–1815 des Generallieutenants Ludwig Boedicker, S. 282.
1. Vom Sprachbewusstsein der Zeitgenossen
383
Sprache verleitete. Der anonyme Autor der »Garküche an der Fulde« berichtet im Jahre 1814 über ein solches Streitgespräch zwischen einem Franzosen und einem Deutschen, das sich im Gasthaus von Murry in Kassel ereignete, als er zufällig dort vorbeischaute: Es entspann sich zwischen einem Franzosen und einem Teutschen das Tischgespräch über die Vorzüge der Stadt Paris vor allen andern Hauptstädten der Welt. Der Franzose übertrieb seine Vorliebe für Paris so sehr, dass er behauptete, wer diese Stadt nicht gesehen, sollte sich schämen zu sagen, daß er je gereiset hätte. Dieß verdroß meinen Landsmann, der sich auch ein wenig darauf einbildete, schon auf Reisen, wiewohl nicht in Paris selbst, gewesen zu seyn. Er ließ seinem Gegner in halb versteckten Worten merken, dass nur ein Franzose in seinem Dünkel so etwas behaupten könnte. Dieser fing Feuer, und löschte es, ehe mein Landsmann sich’s versah, in dem Gesichte des letztern, welches er mit einem fliegenden Glas Wein zugleich begoß und leicht verwunderte. Der Beleidigte sprang auf und räschte sich – nur mit Worten; denn der Franzose hatte die Lacher – lauter Franzosen – alle auf seiner Seite, und von dem Wirth des Hauses – selbst auch ein Franzose – wäre eben so wenig Beistand zu erwarten gewesen101 .
Ganz abgesehen davon, dass dieses Beispiel zum kulturellen Konflikt zwischen einem Deutschen und einem Franzosen bemerkenswert ist, weil der Deutsche versuchte, seine Stimme gegen eine gewaltige Tradition der Paris-Reiseliteratur zu erheben102 , war seine Lage im Gasthaus schnell aussichtslos. Zu Anfang hatten offensichtlich die Streitenden problemlos eine gemeinsame Verständigungssprache gefunden. Bei der dominant französischsprachigen Klientel des Gasthauses Murry dürfte anzunehmen sein, dass es sich um Französisch handelte. Die gemurmelten »halb versteckten Worte«, wahrscheinlich in deutscher Sprache, waren es jedoch, die zur Eskalation des Streitgesprächs und zu der handgreiflichen Reaktion des Franzosen führten. Der Deutschsprachige wehrte sich zwar noch mit Worten, nur war es in diesem Moment unwesentlich, ob diese in deutscher oder 101 102
ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 70 f. Über den Paris-Mythos, der hier Auslöser des Streitgesprächs war, vgl. STIERLE, Der Mythos von Paris. Einige Beiträge von deutschsprachigen Parisreisenden unter der Französischen Revolution und im Übergang zum 19. Jh. vgl. CAMPE, Briefe aus Paris; SCHULZ, Ueber Paris und die Pariser; KOTZEBUE, Erinnerungen aus Paris; CRAMER, Individualitäten aus und über Paris; PINKERTON, Ansichten der Haupstadt der französischen Kaiserreiches; WEHLE, Vertraute Briefe; NIEMEYER, Beobachtungen auf einer Deportationsreise. Weiterführend vgl. auch satirische Beiträge der Reiseliteratur: BASSE, Reise-Scenen und Reise-Abentheuer. Über die Parisreisende und die Paris-Reiseliteratur vgl. HARPPRECHT, Des révolutionnaires allemands; REQUATE, Kommunikationswege und -bedingungen. Zum zeitgenössischen öffentlichen Diskurs über Kassel als »kleines Paris« vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche. Weiterführend zur Thematik der Reiseliteratur vgl. BÖDEKER, Reisen; BRENNER (Hg.), Der Reisebericht; CHABAUD, COHEN (Hg.), Les guides imprimés; MERKEL, Die Besichtigung von Kassel; LANDWEHR, Die Stadt auf dem Papier durchwandern; BAUERKÄMPER, BÖDEKER (Hg.), Die Welt erfahren, S. 301–320; GERSMANN, Ferne Welten, fremde Welten.
384
C. Sprachbewusstein
französischer Sprache geäußert wurden: Die Franzosen waren in der Überzahl und überstimmten mit ihrem Gelächter den fluchenden Erniedrigten. Das Problem entstand in diesem Fall nicht aus den Sprachen, sondern ergab sich einmal aus der Arroganz eines Franzosen, der nicht dulden wollte, dass ›sein‹ Paris einer anderen Großstadt oder einem anderen Reiseziel in irgendeiner Weise nachstand, und zum anderen aus dem Insistieren eines Deutschen auf seine bürgerlichen Bildungserfahrungen. Diametral entgegengesetzte kulturelle Einstellungen prallten hier aufeinander. Jeder pochte unerbittlich auf die Allgemeingültigkeit seiner kulturellen Referenzen, wobei die Sympathie des anonymen Berichterstatters dem Deutschen gilt, der sich in der Auseinandersetzung immerhin auf die Verwendung von Wörtern beschränkte. Diese Ausführungen haben insgesamt gezeigt, dass die Zeitgenossen die ihnen fremden Sprachen, ob sie diese gar nicht beherrschten oder beinahe perfekt, durchaus nicht als undurchdringliche Monolithen empfanden. Das Bewusstsein für verschiedene Niveaus der Sprachbeherrschung war ausgeprägt – eine Aussage, die sich jedoch von den Fremdsprachen der Westphalen auch auf ihr Verhältnis zu ihren Erst- oder Muttersprachen erweitern lässt. In der Einleitung zum Einstieg in die Sprachproblematik wurde die Co-Existenz von Extremen, vom hochstilisierten Sprachproblem bis zur Selbstverständlichkeit der mehrsprachigen Kommunikation, als paradoxe Situation oder als linguistisches Rätsel identifiziert. Die obigen Ausführungen zeigen, wie weitgehend selbstverständlich die Westphalen selbst mit Sprachen umgingen, die sie mangelhaft oder recht wenig verstanden.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche Im Königreich Westphalen wurden die Spitzenämter im Staatsapparat und in der Verwaltung vornehmlich von französischen Migranten übernommen. Da die Staatsgründung außerdem unmittelbar auf die Expansionspolitik Napoleons zurückging, wurde die Herrschaftssituation von zeitgenössischen Stimmen oft als auferlegte Fremdherrschaft kritisiert. Die Historiographen im 19. Jahrhundert schlossen sich, teilweise unreflektiert, diesem Urteil an. Es stellt sich die Frage, ob sich dieses Verständnis der neuen Herrschaftsverhältnisse als Fremdherrschaft auch in der Sprachenfrage widerspiegelte beziehungsweise ob die Dominanz einer Sprache von den Zeitgenossen so empfunden wurde. Es werden im Folgenden Situationen aufgezeigt und Reflexionen von Zeitgenossen herangezogen, die das Verständnis der Sprachenfrage im Königreich Westphalen als Sprachdominanz zu ergründen ermöglichen.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
2.1.
385
Offener Sprachkonflikt
Es sind nur wenige Quellen über Situationen überliefert, in denen offenkundig die Sprachwahl zum Konflikt wurde, diese sind aber umso prägnanter. Folgender Zwischenfall macht die Diskrepanz zwischen den Sprachen besonders deutlich. Der Kasseler Polizeiagent Würz berichtete am 24. April 1813 seinem Vorgesetzten: Gestern früh ist in der Markt-Gasse ein Bürger und Schneidermeister nahmens Rosenbaum von einem französischen Soldaten um nachweisung seines Logis gefragt worden, worauf derselbe geantwortet hat, daß er kein französisch verstände, ein dazu gekommener französischer Officier gab ihm ein paar Ohrfeigen103 .
Auffällig ist, dass der Polizeiagent wenig explizit macht, was der Anlass zu den Ohrfeigen gewesen sei. Wahrscheinlich galt die grobe Behandlung des einheimischen Schneidermeisters dessen bekundeter Unkenntnis der französischen Sprache. Zwar wurde der Geohrfeigte sicher nicht schwer verletzt, aber dieser Angriff auf seine Person zeigt die westphälischen Sprachverhältnisse in einem Ungleichgewicht. Die Gewaltanwendung eines Französischsprachigen gegenüber einem Deutschsprachigen, weil letzterer kein Französisch beherrschte, macht die Sprachenfrage zu einer gelegentlich gewalttätigen Angelegenheit. Die Tatsache jedoch, dass Würz sich nicht genötigt sah, die Ursache des Konflikts genauer zu erläutern, weil er wahrscheinlich davon ausging, die Evidenz des Affronts würde Bongars sofort verstehen, sagt auch etwas darüber aus, wie selbstverständlich das Dominanzverhältnis der französischen Sprache über die deutsche für die Zeitgenossen war. Solche Fälle von Gewalttätigkeiten und offenen Angriffen, die sich aufgrund der Sprachen ergaben, zeugen davon, welche Sprache man unter der westphälischen Herrschaft besser zu beherrschen hatte. Der erste Teil dieser Arbeit über die staatliche Sprachenpolitik im Königreich Westphalen konnte deutlich machen, dass die Tendenz nicht in Richtung Oktroyierung der französischen Sprache ging. Sucht man nach den Nachteilen, die sich durch die Konkurrenz der Sprachen ergaben, wird man vor allen Dingen bei den eher tendenziösen zeitgenössischen Stimmen fündig, die wiederum ihren Widerhall bei den Historikern des 19. Jahrhunderts finden. Der anonyme Autor der Libelle »Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen« war durchaus der Ansicht, dass sich ein Zwang zum Erlernen der französischen Sprache ergab: In die entferntesten Provinzen, in die abgelegensten Gebirgsgegenden wurden Polizei-Verfügungen in französischer Sprache abgesandt, so daß es oft einer Nachfrage in dem ganzen weiten Bezirk bedurfte, bis man einen Dolmetscher fand, der nicht selten, gleich den Bedienten, Komplimente in Sottisen oder umgekehrt verwandelte, und bezeigte man dem französischen Polizeimachthaber seine Verwunderung 103
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5126–5159, hier Nr. 5129: Rapport von H. W[ür]Z, Polizeiagent in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 24. 4. 1813.
386
C. Sprachbewusstein
darüber, so gab er nur mit weniger Worten zu verstehen, daß dieses das beste Mittel wäre, in kurzer Zeit Französisch zu lernen104 .
Diese Angaben sollten allerdings mit Vorsicht ausgelegt werden. Die Quelle muss um so mehr kritisch hinterfragt werden, als der anonyme Autor auch in anderen Passagen seiner Libelle diffamierende Angaben macht, deren Wahrheitsgehalt fragwürdig erscheint. Der Beitrag des anonymen Autors kann zur Enthüllungspublizistik gerechnet werden, die sich nach Auflösung des Königreichs Westphalen insbesondere über die Methoden der politischen Polizei empörte. Zusammen mit anderen Libellen ist sie äußeres Zeichen einer damals aktuellen gesellschaftlichen Debatte über die Fremdherrschaft und deren Polizei 105 . Interessanterweise scheint der Autor einen Enthüllungsprozess angestrebt zu haben, weil er die Abrechnung der wiederhergestellten Obrigkeiten der westphälischen Territorien 1814 mit den kompromittierten Dienern der westphälischen Herrschaft als zu zögerlich empfand106 . Der Verfasser war teils »Augenzeuge gewesen, teils bedankte er ›einem glücklichen Zufall‹ Aktenstücke, aus denen er Personalia, Techniken und Wirkungsradius der französisch-westfälischen Geheimpolizei rückhaltlos aufdecken konnte«107 . Seine Darstellung der westphälischen Verhältnisse wurde wegen ihrer tendenziösen Art zum Anlass für Gegenkritik von Zeitgenossen, die Berichtigungen für nötig hielten108 . Der Ton der Schrift ist sicherlich tendenziös, jedoch bescheinigte ihr selbst ein Mitglied der Hohen Polizei den Wahrheitsgehalt der Informationen, auch wenn diese häufig in einem »Mischmasch von Wahrheit und Lüge« verhüllt seien109 . 104 105 106 107 108
109
ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 29 f. Vgl. u.a. RIESENER, Polizei und Politische Kultur im 19. Jh., S. 42. Vgl. ibid., S. VI. SIEMANN, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«, S. 15. Zeitgenossen vermuteten, dass das Wissen um Interna der westphälischen Hohen Polizei sich aus der Vertrautheit des Anonymus mit ihr ergebe. Der Autor sei vielleicht sogar jenen Opportunisten zuzurechnen, die, selbst kompromittiert durch ihre Enthüllungen, ihr westphälisches Engagement vertuschen wollten: »Zwar wird in vorliegender Schrift die vormalige geheime Policey zu Kassel, nebst ihren Agenten, nicht allerdings in dem schwarzen und grellen Lichte erscheinen, wie z. B. in der Schrift eines mir unbekannten Verfassers: entlarvte geheime Policey u.: dennoch befürchte ich nicht, daß man meine Erzählung bloß um deßwillen der Aufmerksamkeit weniger werth finden wird, weil ich die Policeyglieder nicht ganz von der Seite kennen zu lernen Gelegenheit hatte, wie dieser Verfasser, und weil ich es für unrecht halte, gegen irgend jemand, und wäre er auch mein erklärtester Feind und Verfolger, die ihm schuldige Schonung und Achtung zu verletzen«. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. V; vgl. WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 5–11, 25, 65; vgl. ferner ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. IV; CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. VIIIf. WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 5, vgl. S. 12, 14; vgl. ferner ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 48 f.; THIMME, Neue Mittheilungen, S. 111.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
387
Auch Pfarrer Gehren war vornehmlich wegen der Form und des Stils der Schrift kritisch, wobei er die Kritik an den Polizeidienern darin an sich berechtigt fand110 . Was seine Kritiker in erster Linie empörte, war die Tatsache, dass ein Vertrauter der westphälischen politischen Polizei sich über sie ausließ, wie um das eigene Vergehen vergessen zu machen. Aufgrund der Einwände seiner Zeitgenossen kann den Aussagen des anonymen Autors eine Tendenz zur Übertreibung zugesprochen werden, freilich mit einem wahren Kern als Grundlage. Für den Fokus auf die Sprachenfrage erscheinen deswegen seine Angaben zwar nicht unbedingt ›wahrheitstreu‹, jedoch signifikant für die öffentliche Debatte, die 1814 stattfand: Seine Unterstellungen lagen für manche Zeitgenossen durchaus im Bereich des Glaubwürdigen und des Vorstellbaren. Entgegen seiner Behauptung, die Polizei habe im Königreich Westphalen weitgehend auf zweisprachige Bekanntmachungen verzichtet, scheint, wie bereits erwähnt, eher die Bemühung vorhanden gewesen zu sein, für zweisprachige Bekanntmachungen zu sorgen, um den Westphalen nicht eine Entschuldigung für das Übertreten von polizeilichen Verordnungen aufgrund ihres Unverständnisses der französischen Sprache zu verschaffen. Der Vorwurf, bei der Prozessführung werde die Übersetzung ins Deutsche für den Angeklagten und seine Verteidigung vernachlässigt, ist ein weiteres wiederkehrendes Motiv. Scheller beschreibt in seiner »Jeromiade« eine Situation aus Braunschweig, wo zu westphälischer Zeit ein aus Genf stammender Richter im Amt war: Und sprach der Wirth darein ein Wort, So trieb man ihn mit Degen fort, Und lief er gleich zu Richtern hin, Hatt’ er der Sach’ doch kein’n Gewinn, Denn selber stellte sich zuhand, Als ob er kein Wort Deutsch verstand, Und stekkt’ ihn oft noch obendrein Zur Straf’ in einen Käfig ein, Wozu denn Meister Peter Squenz Als Polizei gab die Sentenz111 .
In der hier dargestellten Situation stellt sich der französischsprachige Richter rücksichtslos taub gegenüber dem in deutscher Sprache vorgebrachten Anliegen des deutschsprachigen Wirts. Sicherlich gilt es zunächst, den 110
111
»So zahlreich auch die Schriften sind, welche seit Deutschlands Erlösung erschienen, und worin über den Unfug der Franzosen […] bitter geklagt, die Französischen Policeydespotie scharf gerügt und die Agenten der Policeygerichte zum Gegenstande gerechter Ironie und Satire gemacht wurden: so wenig Schriften hat man doch noch, die eine treue und ausführliche Erzählung der Mißhandlungen enthalten, welche sich einzelne Opfer der geheimen Policey […] gefallen lassen mußten«. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. III, vgl. S. IVf. SCHELLER, Jeromiade, S. 164.
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Wahrheitsgehalt der Angabe anzuzweifeln, der leider nicht überprüfbar ist. Die Situation war jedenfalls für die Zeitgenossen sehr wahrscheinlich vorstellbar. Ziemlich unsicher erscheint jedoch insgesamt die Angabe, die selbst von manchen Historiographen des 19. Jahrhunderts überliefert wurde, wonach Aufständische zum Teil zu Unrecht bestraft wurden, weil sie aufgrund ihrer deutschen Sprache nicht ausreichend vor dem Kriegsgericht, das aus französischsprachigen Vertretern bestand, angehört wurden: Allein, da ein der deutschen Sprache, speziell des Dialekts der Landbevölkerung kundiger Richter oder Beisitzer bei dem Kriegsgericht bis ganz zuletzt sich nicht befand, sind augenscheinlich viele Irrthümer untergelaufen, und manche sind ganz unschuldig, – ein Gendarm hinten, einer vorn, oder auf Karren massenweise – zum Straftransport abgeführt worden112 .
Situationen, in denen sich die Nicht-Beherrschung der französischen Sprache deutlich zum Nachteil der Angeklagten auswirkte, lassen sich aufgrund der weitgehend verschollenen Gerichtsakten nicht mehr belegen. Eine verfälschende, tendenziöse und antifranzösische Intention kann jedoch vermutet werden. So bezeugt zum Beispiel bei einer ähnlich gelagerten Situation der Ermittlung gegen aufständische Bauern aus der Gegend um Gifhorn der Dolmetscher Mierzinsky, dass die deutsch-französische Sprachbarriere zugunsten der Aufständischen benutzt wurde, um eine Milderung der ihnen angedrohten Strafe zu erzielen113 . Mierzinsky bestätigt auch an anderer Stelle, dass es selbst bei Kriegsgerichten durchaus üblich war, Dolmetscher einzustellen114 . Auch Pfarrer Gehren berichtet über seinen eigenen Prozess vor dem Kriegsgericht Ende Mai 1809, dass für eine Übersetzung ins Französische gesorgt wurde: »Der Vortrag geschah in deutscher Sprache; doch ließen sich einige der Hrn. Officiere die Hauptpunkte ins Französische übersetzen«115 . Sicherlich hätte sich der Verurteilte gewünscht, seine Stellungnahme wäre dem Gericht in vollem Umfang zugänglich gemacht worden. Somit war die Situation trotz erfolgter teilweiser Übersetzung eine, bei der die französische Sprache über die deutsche dominierte. Bisher konnten auch etliche Situationen beschrieben werden, in denen die Beherrschung der französischen Sprache zu einem entscheidenden vorteilhaften Faktor in der Karriere einzelner Personen wurde. Demgegenüber konnten sich allerdings französische Sprachkenntnisse auch sehr nachteilig auswirken, wie folgendes Beispiel zeigt. Der westphälische Zeitgenosse 112 113 114 115
GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 23. Vgl. MIERZINSKY, Unter Franzosenherrschaft, S. 38–40. Siehe auch Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher). Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 35. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 70, vgl. S. 68–73.
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Abb. 29: Johann Immanuel Uckermann, Das kleine Haus und die große Einquartierung, Erfurt, Holzschnitt, 13,4×15 cm, Erfurt, Angermuseum, 5594b.
Nagel berichtet über das Prozedere der Einquartierung beim Anrücken der französischen Truppen in Halberstadt im Oktober 1806: Mit einbrechender Dämmerung füllte sich die Stadt mit einrückenden Truppen zu Pferde und zu Fuße nach gerade dergestalt, dass am späten Abend auch die verborgendsten Winkelgassen aufgesucht werden mussten, und das war keine leichte Aufgabe, da nur selten sich noch ein Einwohner auf die offenen Straße wagte, am wenigsten Einer, der dem Franzosen in seiner Sprache Rede und Antwort geben konnten. […] Ein Glück war es, dass die Leute deutlich geschriebene Quartierbillete hatten, aus welchen ihnen bei Laternenschimmer die nöthige Nachweisung gegeben werden konnte. Wo sie aber eines Kundigen habhaft geworden waren, ließen sie ihn nicht wieder los; er mogte wollen oder nicht, er mußte mit 116 .
Dass die Beherrschung der französischen Sprache die einheimischen Halberstädter zwang, den französischsprachigen Soldaten beim Suchen ihres Quartiers zu helfen, ist ein weiteres indirektes Signal für die Machtstellung des Französischen über das Deutsche in der westphälischen Gesellschaft. 116
GEMKOW (Hg.), Bilder aus der Heimath, S. 33.
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Überheblichkeiten seitens eingewanderter Franzosen gegenüber den Einheimischen drückten sich nicht zuletzt sprachlich aus. Darüber berichtet Nagel erneut im Kontext der Einquartierungen in Halberstadt: Es war gar nichts Seltenes, dass sie die Kost, welche jeder schlichte Deutschen von gesundem Appetit mit Wohlbehagen verzehrt haben würde, auf den Boden schütteten oder gar den Hausbewohnern samt dem Geschirre an die Köpfe warfen, mit dem Bedeuten: pour les cochons (Schweinefutter)! Auftritte der Art sind uns nicht bloß in der Heimath, sondern noch im Jahre 1808 auch jenseits des Rheins vorgekommen, wo das vormals deutsche Land dem französischen Kaiserreichen längst einverleibt war, zum Zeugnisse, dass der Nationalfranzose den deutschredenden Volksgenossen noch lange nicht als ebenbürtig ansah117 .
Solche Situationen, in denen die Franzosen durch Verhalten, Gebärden und Sprache ihre Dominanz spüren ließen, wirken, selbst bei einer Sprachpolitik, die nicht auf die Oktroyierung der französischen Sprache ausgelegt war, ernüchternd und zeigen das tatsächliche ungleiche Verhältnis der Sprachen und ihrer Sprecher im Königreich Westphalen auf. Außerdem handelt es sich hier um einen der selten überlieferten Momente, in denen die Verzahnung von Sprache, Gestik und Mimik deutlich wird118 . Über die Sprachen wurde sozial Druck ausgeübt, wie der österreichische Diplomat Mettingh und seine Frau am westphälischen Hof ab 1813 in ihrer Isolation erfuhren: »Er und seine Gattin kamen sich vor, als lebten sie in einem Lande, in dem niemand ihre Sprache rede […]. Man wußte, daß man nicht ungestraft mit ihm redete«119 . Zwar wurden die Eheleute Mettingh nicht gefangen gesetzt, alle jedoch, die in Berührung mit ihnen kamen, hatten mit einer Bestrafung zu rechnen. Sie lebten mitten in der Hauptstadt des Königreichs Westphalen wie abgeschnitten von der Welt. Bei aller anfänglich deklarierten Akzeptanz für die zweisprachige Situation im Königreich Westphalen wurde auch über die Sprachen Gewalt und Druck ausgeübt, was darauf hinweist, dass beide Sprachen nicht von gleicher Bedeutung waren. Der Umgang mit den Sprachen barg einen repressiven Charakter. Eine Umkehrung erfolgte schlagartig mit der Auflösung des Königreichs Westphalens, wie Scheller in der »Apotheose« seiner Satire »Jeromiade« darlegt:
117
118
119
Ibid., S. 40. Vgl. ferner HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 128 f. Über Konflikte im Zusammenhang mit der Verpflegung bei Einquartierungen vgl. WÜRGLER, Wer hat Angst vor wem?, S. 155 f. Auf die oben bereits zitierte Auseinandersetzung in einem Kasseler Gasthaus zwischen einem Deutschen und einem Franzosen über die Vorrangstellung von Paris als Reiseziel trifft diese Aussage ebenfalls zu. Vgl. ferner HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 131. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 567 f.
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Franzmann[s] selbst verzweifelt hier Zu finden ferner noch Quartier In Deutschland, und sein täglich Brodt, Und singet seine grosse Noth: […] Désormais en notre langue Qui peut faire une harangue Sans peur d’être souffleté? Qui peut porter la culture Du grand peuple sans – lavure, Sans fouet, sans coups de pied? […] O quel paradis perdu120 !
Wenn es Anfang 1813 noch möglich war, dass ein französischer Offizier auf offener Straße einen Kasselaner ohrfeigte, weil dieser keine Auskunft in französischer Sprache zu geben wusste oder die Anfrage in französischer Sprache nicht verstehen konnte, hatten sich diese von Scheller als »paradiesisch« für die Französischsprachigen beschriebenen Herrschaftsverhältnisse Ende 1813 umgekehrt und die Franzosen mussten sich nun selbst vor Ohrfeigen und Tritten vorsehen. 2.2. Tilgung der deutschen Sprache oder Korrekturen am deutschen Sprachgebrauch nach den neuen Herrschaftsprinzipien? Folgt man den tendenziösen Angaben des anonymen Autors der Schrift »Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen«, so war neben der eher auf Toleranz ausgelegten und auf eine gute Kommunikation zwischen den Sprachgemeinschaften im Königreich Westphalen bedachten offiziellen Sprachpolitik (Teil A) die Hohe Polizei insgeheim mit einem ganz speziellen Auftrag in Bezug auf die Sprachen versehen: [ich] darf […] nicht mit Stillschweigen übergehen, daß die Übermacht der Polizei sich nicht nur auf die Teutschen, sondern sogar auf die teutsche Sprache erstreckte: wäre nicht unglücklicher Weise für Westphalen nur der Ausschuß der französischen Nation zum Regieren hierher gekommen, so würde der bessere, solidere und fähigere Theil derselben wohl eingesehen haben, daß es sehr unklug war, einem eroberten und unterjochten Staate im ersten Anfange seine Sprache, seine gewohnten Titel und Schauspiele zu nehmen. Ein teutscher Philosoph sagt sehr richtig: ›Wenn der Polnische Name und die polnische Sprache aus Europa vertilgt wird, so erregt dies mein Bedauern, weil ich kein großes Naturwerk, dergleichen eine Nation ist, gern zerstört sehe‹. Trotz aller Vorliebe für das Vaterland der Teutschen, kann ich mit Recht dasselbe auf Teutschland anwenden. Es war aber Plan – und welch’ ein Plan! – von Seiten der hohen Polizei, dieses Naturwerk niederzureißen, und nach und nach gänzlich aufzulösen121 .
120 121
SCHELLER, Jeromiade, S. 303 f. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 28 f.
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Die in dieser Aussage enthaltene Behauptung ist zunächst schwer einzuordnen und erfordert Quellenkritik. Außerdem wird Sprache hier als Naturwerk dargestellt, die der Nation ihre Quintessenz verleihe, und nicht etwa als kulturelles Erzeugnis. Auf die dahinter verborgene Konstruktion von Sprache und deren Einfluss auf die vermeintlich nationalen Identitätsprozesse der verschiedenen Sprachgemeinschaften aus der Sicht der Zeitgenossen und Historiographen des 19. Jahrhunderts soll die Untersuchung später zurückkommen. Wenn man versucht zu ergründen, wie die angebliche Verfolgung der deutschen Sprache durch die politische Polizei ausgesehen haben könnte, wird man auf die bereits wiedergegebene Erzählung einer Anekdote aus den Büros der Hohen Polizei durch den Pagenlehrer Zinserling zurückgeführt, die auf den ersten Blick belanglos erscheinen mag, jedoch der Angabe des oben zitierten anonymen Autors Sinn verleiht: Die Polizeibeamten machten sich Sorgen über die Bedeutung der Wörter »Köther« und »Kothsassen«, wenn mit diesen Bezeichnungen Menschen gemeint waren122 . »Köther« und »Kothsasse« erschienen den französischsprachigen Polizeibeamten durch die wörtliche – und nicht etymologisch oder kontextabgeleitete – Übersetzung ins Französische eine menschenverachtende Bedeutung zu vermitteln und eine Missachtung von westphälischen Staatsbürgern zu implizieren. Wegen des allgemeingültigen Gleichheitsprinzips galt es schließlich auch, die Verwendung von nicht zeitgemäßen Termini im deutschen Sprachgebrauch zu unterbinden123 . Die Motive für das Eingreifen der politischen Polizei in den deutschen Sprachgebrauch waren nicht in erster Linie auf eine grundsätzliche Bekämpfung der deutschen Sprache ausgerichtet, wie der oben zitierte anonyme Autor es glauben lassen möchte, sondern auf eine Kontrolle der Ideen, die durch die Sprache transportiert wurden. Im Sprachgebrauch sollte im Sinne des revolutionären Erbes des napoleonischen Kaiserreichs das Gleichheitsprinzip der neuen Gesellschaft betont werden. Hierin sollten sich die ersten Veränderungen im Denken der Westphalen manifestieren. Mit ihrer Zensur menschenentwürdigender Wörter beabsichtigte die Generaldirektion der Hohen Polizei, den Wortgebrauch im Sinne der neuen Staatlichkeit zu reformieren und Zeichen der alten Herrschaft zu tilgen. Sie machte sich zur Aufgabe, die Tauglichkeit der deutschen Sprache für die reformierten gesellschaftlichen Verhältnisse zu überprüfen. 122 123
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 43 f. Die zentrale Bedeutung des Gleichheitsprinzips der westphälischen Staatsbürger kann durch die Lektüre des »Westphälischen Moniteur« bestätigt werden, vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 15, 31. Januar 1808, S. 59 f.: Königliches Dekret vom 23. Januar 1808, Von der Aufhebung der Leibeigenschafts-Rechte und Verbindlichkeiten; ibid., Nr. 22, Dienstag, 16. Februar 1808, S. 87–90; ibid., Nr. 30, 6. März 1808, S. 120; ibid., Nr. 31, 8. März 1808, S. 123 f.; ibid., Nr. 58, 10. Mai 1808, S. 235; ibid., Nr. 67, 31. Mai 1808, S. 264; ibid., Nr. 85, 12. Juli 1808, S. 346.
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Die Anekdote bezeugt, dass auf diese Weise eine latente Sprachdominanz im Königreich Westphalen ausgeübt wurde. Die Polizeibeamten, nur bedingt der deutschen Sprache mächtig, begegneten dieser Sprache mit Misstrauen. Die französische Sprache besaß somit eine entscheidende Definitionsmacht für die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Umbenennung der Territorien im Königreich Westphalen wird gelegentlich als ein weiterer Schritt in Richtung Tilgung der alten Herrschaftsverhältnisse interpretiert. Von der Intention her wird vermutet, dass die alten Provinznamen verschwinden mussten, um die geschichtlichen Erinnerungen daran zu beseitigen und den »Staat ohne Vergangenheit« erstehen zu lassen124 . 2.3.
Sprachliche Gegenoffensive der Deutschsprachigen
Allerdings scheinen die sprachlichen Druckmittel die Denkweise der Westphalen nicht besonders tief beeinflusst zu haben, denn etliche Beispiele zeugen gerade vom sprachlichen Abwehrvermögen gegen Tendenzen zur sprachlichen Revision ihrer Denk- und Erinnerungskultur. So berichtet der von der politischen Polizei verfolgte Pfarrer Gehren, dass diese politische Polizei »Hohe Polizei« genannt und als solche gefürchtet werden wollte. Allerdings wurde sie von den Zeitgenossen häufig »geheime Polizei« genannt 125 . Die bereits im Kapitel über die Gerüchte erwähnten abwertenden Bezeichnungen für die unpopulären Gendarmen, die teilweise auf deutschen Wortspielen basierten, sind hier ebenfalls zu erwähnen. Die Westphalen wehrten sich durchaus mit sprachlichen Mitteln und persiflierten gern die neuen Herrschaftsverhältnisse. In anderen Situationen bewirkten die sprachlichen Versuche der Obrigkeit, die alten Herrschaftszeiten als definitiv vergangen zu erklären, genau das Gegenteil des Erwünschten. So führt Scheller in seiner »Jeromiade« aus, dass die Betitelung des neuen Königs durch die Westphalen zum Teil satirisch neu interpretiert wurde. Über das Schloss zu Braunschweig, in dem Jérôme hin und wieder residierte, schreibt er: Es ständ’ auch oben schon am Schloss Sein Namenszug H. N. Nr. gross Und dikk gemacht sammt einer Kron’, Der spräche allen Geistern Hohn, […] (Doch gab’s auch manche, welche standen Und lasen, bis den Sinn sie fanden, Der denn nach ihrer Meinung gar – Hier Nisten Räuber, deutlich war. 124 125
Vgl. KLEINSCHMIDT, Die Eltern, S. 274. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 38.
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Auch sprach ein Bau’r mit kekkem Muth: Düt het dog wol – Hei Nimt Rit – ût 126 !
Wenn Jérôme auch als siegreicher Herrscher in Braunschweig aufzutreten vermochte, so wurde ihm der angestrebte Nimbus durch die neue Interpretation des Kürzels seines Namenszugs streitig gemacht. Der von seinen Untertanen erdichtete spöttische Sinnspruch zeigt ihren Eigensinn und ihre unterschwellige Kritik an seiner Herrschaft. Beim Betrachten der Buchstaben »H. N.« für »Hieronymus Napoleon« auf den westphälischen Münzen kam gelegentlich auch die Gleichsetzung mit Hans Narr heraus127 . Der Spott rief eine kulturelle Referenz auf, die außerdem den meisten Franzosen verschlossen bleiben musste, denn welchem Franzosen sollte »Hans Narr« ein Begriff sein? Doch die Umwidmung der Inschriften durch die Westphalen beschränkte sich nicht auf ihr Staatsoberhaupt. So berichtet der anonyme Autor der »Garküche an der Fulde« über im Kern ähnlich herablassende und spöttische Umdichtungen der Kasseler. Der Hofbuchdrucker Collignon ließ sich einen imposanten Pavillon mit der Inschrift P. C. für seine Initialen in seinem Privatgarten errichten128 : keiner ging vorbei, ohne diese zwei Buchstaben ganz anders zu deuten, als sie in gerader Beziehung auf den Anfangsbuchstaben des Vor- und Zunahmens des Eigenthümers zu verstehen waren. […] Endlich löste den Neugierigen ein vorbeigehender Franzose – wahrscheinlich einst Ehrenmitglied der Akademie der Inschriften – dieses Räthsel, und las, indem er, den Blick auf das Belveder gerichtet, einen im Weg stehenden Bürger unsanft in die Seite stieß: Passe, Coujon! In diesem Sinne sahen auch die Franzosen aus dem Belveder heraus, die Teutschen aber in das Belveder hinein, und unter diesen mit einer Art von Schadenfreude – die Casselchen Buchdrucker, Buch- und Papierhändler, denen die königliche Hofbuchdruckerei ein Dorn im Auge war129 .
In diesem Quellenzitat wird die richtige Deutung der Inschrift einem Franzosen übertragen, was den Spott der Deutschen über Collignon noch verstärkt. Hier werden erneut die unsanften Manieren eines Franzosen gegenüber einem Deutschen kritisiert, die ersterer zudem mit einem Schimpfwort unterstrich: Insgeheim sollen die Deutschen außerhalb des Gartens die Beleidigung der Franzosen im Pavillon erwidert haben. Der Vorfall, wahrhaftig oder eingebildet, lässt ahnen, wie angespannt das Verhältnis zwischen den Sprachgemeinschaften in Kassel war. Die nicht verbalisierte Anwendung des gleichen Ausspruchs auf die Franzosen im Pavillon in der Anekdote sugge126 127 128
129
SCHELLER, Jeromiade, S. 187. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3459–3485, hier Nr. 3477: Verhörprotokoll von J. J. Kocken, 15. 1. 1812. Weiterführend über private Gartenkultur im Übergang vom 18. zum 19. Jh. vgl. MOLITOR, Der Erbfeind im Garten; SARKOWICZ (Hg.), Die Geschichte der Gärten; VAN DÜLMEN, Das irdische Paradies; EGER (Hg.), Fort, fort, der Südost fliegt gerade über Wörlitz! ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 94.
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riert außerdem, dass die Kasselaner durchaus den Franzosen eine baldige Rückreise nach Frankreich wünschten. Sicher ist der Wahrheitsgehalt der Anekdote fragwürdig, jedoch liegt sie im Vorstellungsbereich und im Ausdrucksvermögen der Zeitgenossen. Als im Jahr 1813 nach dem Rückzug aus Russland die Armee neu organisiert wurde, soll es nicht mehr viele Freiwillige gegeben haben, die sich als Stellvertreter von Konskribierten einziehen lassen wollten130 . Die neuen Rekruten wurden von den Westphalen spöttisch »›Nur Nicht Nach Norden‹« genannt, wegen der »viermaligen Anbringung des Anfangsbuchstaben von ›Napoleon‹ auf ihren Rockschößen«131 . Angesichts der vielen Familien, deren Angehörige nicht vom Russlandfeldzug zurückkehrten, ist es faszinierend zu lesen, wie viel sarkastischen Humor die Westphalen sprachlich noch hervorbringen konnten132 . Pröhle berichtet seinerseits in seinen auf mündlichen Überlieferungen von Zeitgenossen basierenden »Episteln« über das Königreich Westphalen im Jahre 1858, dass der sprachliche Versuch der Franzosen, den Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig zu erniedrigen und seine Herrschaftsansprüche ein für alle Male zu verleugnen, indem man ihm seinen ursprünglichen Titel aberkannte und ihn zu »Braunschweig-Oels« umtaufte, gänzlich fehlschlug: »So hat sich auch gerade an das Wörtchen Oels die Vorstellung von einem kostbaren Wundenöl und von einer unbeschreiblichen Vaterlandstreue gehängt«133 . Der Versuch der Herabwürdigung und der Erniedrigung über die Sprache scheiterte, weil die sprachliche Konnotation im Deutschen kurzerhand positiv besetzt wurde. Solche Nuancen in der Wahrnehmung von Sprache nachzuempfinden, blieb den französischsprachigen Staatsbeamten, die bewusst die Bezeichnung »BraunschweigOels« pflegten, mit großer Gewissheit verborgen und gerade dieses Fehlen eines muttersprachlichen Gehörs und der entsprechenden Feinfühligkeit machte ihr Vorhaben zunichte. Im Zusammenhang mit der Gewerbefreiheit und dem darüber aufkommenden Unmut der Zünfte erlangte das Wort »Patentmeister« eine andere Konnotation als von den Behörden intendiert: »Indessen wurde im Publikum die eigentliche Zunftehre fortwäh130 131
132
133
Vgl. SEVERIN-BARBOUTIE, Vom freiwilligen Söldner zum dienstpflichtigen Untertan, S. 123. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 55; vgl. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 56. Das Spottbild »Nur Nicht Nach Norden« ist auch in der Karikatur »Die Waage« aus dem Jahre 1813/1814 festgehalten: CILLESSEN, REICHARDT u.a. (Hg.), Napoleons neue Kleider, S. 34 f., 278 f. Vgl. Namentliches Verzeichniß; NIEMEYER, Trost und Erhebung; [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 121 f.; MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 54 f. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 19; vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 1, S. 447.
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rend so hoch gehalten, dass die Benennung ›Patentmeister‹ für ein Schimpfwort galt, weil sie gleichbedeutend mit ›Pfuscher‹ war«134 . Wer die Macht besaß, die Gebrauchswörter einer Gesellschaft zu bestimmen, konnte dennoch die heimlich damit verbundenen neuen oder sich wandelnden Bedeutungen nicht verhindern. Damit hielt sich zumindest in diesem Punkt die Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche in Grenzen. Die Beispiele zeigen auch deutlich, wie dynamisch die sprachlichen Prozesse aufeinander aufbauten und andere Bedeutungen in beiden Sprachen hervorrufen konnten. 2.4. Deutsch als Gegensprache und als Nische für subversive Kommunikation Die mangelhaften Deutschkenntnisse einiger französischsprachiger Einwanderer wurden auch teilweise genutzt, um sich der deutschen Sprache als Gegensprache zu bedienen. Über sie konnte Staatskritik kommuniziert werden. Manchmal wurde ein so genannter »langage convenu« verwendet, wie es in einem Schreiben von Savigny an Hugo Bernard de Bassano Maret über die Westphalen hieß: Le nombre des sociétés secrètes augemente de jour en jour; les affiliés, au moyen d’un langage convenu, se communiquent réciproquement, en public, leurs sentiments sur les événements politiques. Dans un repas donné, il y a peu de temps, à Magdebourg, on a bu à la santé de saint Pancrace qui, pour les initiés, était le prince Bagration, dont on célébrait l’heureuse retraite135 .
Dabei diente in diesem speziellen Fall nicht die Verwendung der deutschen Sprache als Deckmantel für die verbotene und staatskritische Botschaft, sondern eine für die Beteiligten und Eingeweihten kodierte Anspielung. Durch die mangelhaften Deutschkenntnisse der oberen Staatsvertreter ergaben sich für die Westphalen Situationen, in denen die deutsche Sprache ihnen Handlungsspielräume und verdeckte Redefreiheit gewährte. Über einen weiteren Fall, in dem ganz konkret die geringfügigen bis nicht-existenten Kenntnisse der deutschen Sprache der neuen Machthaber ausgenutzt wurde, wird von Thimme für Hannover berichtet. Zur Zeit der Angliederung an Frankreich wurde vor 1810 einmal ein Bote mit kompromittierenden Briefen festgehalten136 . Die französischen Verwalter ließen den Polizeidirektor Heinrich August Meyer holen und ersuchten ihn, die Briefe vorzulesen. Meyer stellte bald fest, dass die Briefe die Handschrift des Grafen von Münster trugen. Er beschloss daraufhin, alle verfänglichen Schreiben 134 135 136
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 47. Savigny, zitiert nach: FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 165. Siehe dazu das Online-Kapitel über das Medium »Brief«, http://halshs.archivesouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013).
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
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verschwinden zu lassen137 . Nicht nur das Verständnis des Deutschen bereitete den französischen Machthabern Probleme, auch die deutsche Schrift stellte für die an lateinische Schriftzeichen gewöhnten Franzosen eine Hürde dar und bot dadurch Handlungsspielraum für Sympathisanten der alten Herrschaft. Die französischen Beamten konnten vielleicht Deutsch verstehen, es zu lesen stellte für sie jedoch wegen der deutschen Schrift ein großes Hindernis dar138 . Damit konnte die deutsche Sprache zum Teil zur Nische für antifranzösisch gesinnte Autoren avancieren. Dies bestätigt ein Schreiben Villers’ an Henrich Steffens. Der Hallenser Professor berichtet über die verschiedenen Reaktionen deutschsprachiger Gelehrter seiner Zeit auf seine Schrift »Über die Idee der Universitäten«: ›Sie würden‹, schrieb Villers, ›verloren sein, wenn Sie nicht für Ihre Darstellung eine Sprache gewählt hätten, die dem Franzosen ein völlig unverständliches Sanscrit ist‹. Ein Franzose glaubte, daß solche Ueberschwenglichkeiten gar keine politischen Einfluß haben könnten, und doch war diese kleine Schrift während der Jahre des Drucks ein beliebtes Handbuch der Studirenden und wirkte, ich darf es sagen, wenn auch nur unmittelbar auf wenige, doch mittelbar auf sehr viele junge Männer aller deutschen Universitäten. [Von Leist] sprach ebenfalls über diese Schrift, gestand, daß er, als er sie gelesen, erschrocken sei, und warnte mich, obgleich ich damals im Begriffe war, Halle zu verlassen und nach Breslau zu reisen. ›Wir müssen‹, sagte er, ›die kleine Spur von Preßfreiheit, die uns übrig geblieben ist, durch die größte Vorsicht in der Benutzung derselben zu retten suchen‹139 .
Die Verwendung der deutschen Sprache bot offensichtlich in bestimmten Fällen Gelegenheiten, die Achtsamkeit der Zensurbehörden zu umgehen140 . Die Möglichkeit bei einer Unterredung von der gebräuchlichen Umgangssprache auf eine Zweitsprache zu wechseln, um diskret eine Botschaft 137 138
139
140
Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 427. Im Übrigen waren die Deutschen auch beim Lesen von der lateinischen Schrift angestrengt und verlasen sich dabei regelmäßig. Vgl. HASSENPFLUG, Jugenderinnerungen, S. 124. STEFFENS, Was ich erlebte, Bd. 6, S. 162 f. Weiterführend zum Thema Pressefreiheit vgl. GERSMANN, Im Schatten der Bastille, S. 33, 229, 236, 239; WILKE, Die Entdeckung von Meinungs- und Pressefreiheit als Menschenrechte. Über das symbiotische Verhältnis von Zensoren und Zensierten und die Kulanz der Zensurbehörde gegenüber einigen Schriften, die sich in einem Grenzbereich der Staatskritik bewegten, vgl. GERSMANN, SCHROEDER, Zensur, Zensoren und Zensierte; GERSMANN, Literarischer Untergrund; DIES., Im Schatten der Bastille, S. 30, 32 f.; DIES., »police du livre, police de la librairie«. Als Zensoren tätig waren im Königreich Westphalen z. B. die Generalpolizeikommissare der Hohen Polizei, nachweislich Guntz und Wolff, aber auch Lehmann, vgl. Kapitel B III. (Bittschriften). Über die relativ große Freiheit, die die politischen Journale und die wissenschaftlichen Zeitschriften gegenüber der starken Einschränkung im Fall der Zeitungen genossen, vgl. FRATZKE-WEISS, Europäische und nationale Konzeptionen, S. 188; vgl. ferner WILKE, Medien- und Kommunikationsgeschichte um 1800, S. 47 f.
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geheim zu halten, war übrigens auch unter den Machthabenden geläufig. So berichtet Mierzinsky, der Autor der »Erinnerungen aus Hannover und Hamburg aus den Jahren 1803–1813«, wie Graf Pierre-François de Réal bei der Untersuchung gegen Louis-Antoine Fauvelet de Bourienne d’Aubignosc einen Hinweis in italienischer Sprache gab141 . Die deutsch-französische Diglossie im Königreich Westphalen betraf nur eine beschränkte Gruppe von Personen. Die französische Sprache besaß das höhere Sozialprestige: Die Bemühungen der Westphalen, Bittschriften in französischer Sprache einzureichen oder Französisch über Sprachlehrer oder mit Hilfe von Sprachlehrbüchern zu erlernen, haben dies hinreichend bewiesen. Diese Ausgangssituation war jedoch für die einsprachig Deutschsprachigen nicht unbedingt nur von Nachteil. Aus der Konkurrenz beider Sprachen konnten sich Situationen ergeben, in denen das nicht unmittelbare Verstandenwerden für die Deutschsprachigen eine Nische für ihre verdeckte Kommunikation darstellen konnte. 2.5. Sprachfertigkeiten und Akzente in der Aussprache als Überführungs- und Tarnungsmittel der Polizei Fremdsprachliche Kompetenz war sicherlich nicht immer von Vorteil in der westphälischen Gesellschaft. Insbesondere die politische Polizei konzentrierte sich bei ihren Beobachtungen auf die Sprachkompetenzen der Verdächtigen, um Vermutungen und weitere Ermittlungen anzustellen. Wer Deutsch mit einem englischen Akzent sprach, erregte größeres Aufsehen. In einem Agentenbericht heißt es: Der Herr mit dem gelblich melirten Rock, wovon ich in meinem Vorgestrigen sprach, ist nach Minden. Er spricht deutsch wie ein Engländer. Der Marqueur aus dem – versicherte mir, er habe Guineen bei sich, und logire in Minden im goldenen Löwen, wohin er ihm die Adresse gegeben142 .
Der englische Akzent bei der Aussprache des Deutschen erschien dem Polizeiagenten genauso relevant und verdächtig wie der Besitz fremder Währung oder wahrscheinlich der gelblich melierte Rock143 . In den Signalements und Steckbriefen der Polizei wurden die Sprachkenntnisse in einer eigenen Rubrik aufgeführt, neben physiologischen Angaben wie Gesichtszügen, Körpergröße oder besonderen Merkmalen – ver141 142 143
Vgl. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 93 f. WOLFF, Kurze Darstellung der Verwaltung der hohen Polizei, S. 18 f. Über die Kleidung als politisches Erkennungszeichen und Mittel zur Verstellung im Königreich Westphalen könnte eine weitere Fallstudie unternommen werden. Zum Thema weiterführend vgl. FEHLIG, Kostümkunde; DINGES, Der »feine Unterschied«; MEDICK, Eine Kultur des Ansehens; HAGEMANN, Heldenmütter, S. 185 f.; MÜLLER, Kleider machen Nationen; WRIGLEY, The Politics of Appearances; KELLER-DRESCHER, Die Ordnung der Kleider; KEUPP, Macht und Mode.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
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narbtes Gesicht, schiefe Körperhaltung, Frisur – und zivilbürgerlichen Angaben. Akzente in der Aussprache konnten jedoch auch seitens der Polizei zum Zweck der Tarnung simuliert werden. Beispielsweise berichtet der Staatsgefangene Rudolf Zacharias Becker, wie er unauffällig von einem kaiserlichen Polizeibeamten von Gotha nach Magdeburg auf die Zitadelle geführt wurde: »wenn wir in eine Stadt kamen, und wo ausgestiegen wurde, sprach ich französisches Deutsch, um dem Wunsche meines Begleiters, daß unsre Reise im strengsten Incognito geschehen möge, zuvor zu kommen«144 . Tatsächlich wussten die Zeitgenossen um ihre dialektal oder fremdsprachlich bedingten Akzente und sahen sich gelegentlich vor, nicht aufgrund dessen erkannt zu werden. Der westphälische Soldat J. Meyer aus Dransfeld bestätigt in seiner »Erzählung«, er fürchtete sich, wegen seiner Aussprache überführt zu werden, als die russische Armee in Wilna anrückte, wo er schon seit einiger Zeit bei seinen jüdischen Glaubensgenossen Aufnahme gefunden hatte. Er zog deswegen vor, sich »taub und stumm anzustellen, wenn mich Soldaten etwas fragten«145 . Teilweise dienten die Sprachkompetenzen der Kontrahenten – oder deren Mangel – zur Überführung bei Untersuchungen146 . Der Göttinger Buchhändler Kuebler wurde bei seiner Aussage in einer Untersuchung damit konfrontiert, dass er wegen seiner Unkenntnis der französischen Sprache unmöglich die verbreitete falsche Nachricht von einem französischen Offizier, wie von ihm angegeben, erhalten haben könne, sondern diese selbst erfunden haben müsse147 . Glaubt man der Angabe des anonymen Autors der Schrift »Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen«, so war der Einsatz ihrer deutschen Sprachkenntnisse durch die Polizeibeamten zuweilen sehr hinterlistig: Übrigens mußte die Unkunde der teutschen oder französischen Sprache auch zu einem Vehikel der geheimen Polizei dienen. Die Franzosen hielten das teutsche Volk für unwissend genug, daß es kein Wort Französisch verstände, und wenn sie auch der teutschen Sprache ganz oder zur Hälfte, oder nur mittelmäßig mächtig waren, so redeten sie doch in der Regel nicht teutsch. Unter diesem Deckmantel suchten sie unsre Gesinnungen, und im Ganzen die öffentliche, herrschende Meinung bei uns 144 145 146
147
BECKER, Leiden und Freuden, S. 16. MEYER, Erzählung der Schicksale und Kriegsabentheuer, 3 1838, S. 89. Die Autoren des Pamphlets in Briefform, Kocken und Bielstein, die im OnlineKapitel über das Medium »Brief« erwähnt wurden, wurden z. B. aufgrund ihrer unverwechselbaren Umgangssprache erkannt, die sie selbst im Schriftlichen nicht verbergen konnten, http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 14, Nr. 8159–8260, hier Nr. 8245: Schreiben Nr. 314, von Mertens, Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei in Göttingen, an J. F. M. de Bongars, 29. 3. 1813.
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auszuspähen. Sie sahen es als ein Mittel an, uns treuherzig zu machen, und an ihnen keine Lauscher zu befürchten. Daß sie größtentheils Teutsch verstanden und sprachen, ist durch die seit der zweiten Invasion der Kosacken hier zurückgebliebenen Franzosen erwiesen; ob aus Furcht, aus Mangel an Umgang mit ihren Landsleuten, oder aus Bedürfnis der Geselligkeit mit Teutschen, denen sie sich mehr, als vorher, zu empfehlen Ursache und guten Willen haben? Will ich nicht entscheiden, aber genug! Sie verstehen und sprechen alle recht gut teutsch, selbst diejenigen, von denen ich Jahre lang keinen teutschen Laut gehört habe148 .
Diese Angabe ist sicherlich tendenziös, aber sie könnte doch einen wahren Kern enthalten, bedenkt man, dass die Spitzelarbeit der politischen Polizei stets eng an die Beherrschung fremder Sprachen geknüpft war. In Frankreich war dies schon Jahre zuvor von den zuständigen Organen leidvoll erfahren worden: Das Übersetzungsbureau [des Auswärtigen Ministeriums in Paris] wurde gleichfalls [im Jahre 1799] aufgehoben und blos ein Uebersetzer angestellt; die Beamten des Departements sollten selbst die europäischen Sprachen kennen. Es war ein gefährliches Bureau gewesen. Die fremden Sprachen waren nicht die Liebhaberei der Franzosen, man hatte Ausländer anstellen müssen, und englische Spione waren auf diese Art in das Departement gelangt 149 .
Ob es um das Feststellen von besonderen Sprachfertigkeiten oder eines bestimmten Akzents auf Deutsch oder Französisch ging, die politische Polizei orientierte sich sehr stark an den Sprachfertigkeiten der Westphalen, um deren Identitäten zu ermitteln und auf deren zeitweilig Parteilichkeiten zurückzuschließen. Die Polizeiagenten selbst bedienten sich gern des Deckmantels der Sprach(un)kenntnis als Tarnungsmittel oder zur Überführung von vermeintlichen politischen Gegnern des westphälischen Staats. Sprachen konnten im Königreich Westphalen durchaus ein Mittel der politischen Unterdrückung darstellen. Außerdem wird in Bezug auf das zeitgenössische Sprachbewusstsein deutlich, dass oftmals die Sprechweise und Aussprache einer Person von ihren Zeitgenossen als Indiz für deren Herkunft und Identität interpretiert wurde. 2.6. Von den Vorzügen der Beherrschung der französischen Sprache Cassel nahm ein durchaus französisches Gepräge an, allerwärts hörte man französisch, las man nur französische Schilder, das fremde Volk tummelte sich dominirend einher, die Deutschen lernten bei den zahllos auftretenden Sprach- und Tanzmeistern französisch reden und tanzen; oberflächliche französische Institute thaten sich auf 150 .
148 149 150
ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 31. LANG, K. Fr. Reinhard, S. 387 f. KLEINSCHMIDT, Die Eltern, S. 276; vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 82.
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Die Umbruchstimmung, die der Historiker Kleinschmidt bei seiner Beschreibung Kassels im Jahre 1807 schildert, und die plötzliche Allgegenwärtigkeit der Franzosen und des Französischen legen die Vermutung nahe, dass die französische Sprache auf einmal einen besonderen Stellenwert in der westphälischen Gesellschaft erhielt, der einer Dominanzstellung nahe kam. Eine fiktive Anekdote des satirischen Autors der »Humoristischen Reise« macht deutlich, wie die französische Sprache unmerklich die Oberhand gewann. Der naive Antiheld beschreibt seine Ankunft in Kassel wie folgt: Endlich erreichten wir einen honetten Gasthof, und ein buntscheckiges Thier kam an den Wagen gerennt. Ich fragte den Menschen: ›ist er der Hausknecht, und kann ich hier ein honettes Quartier bekommen?‹ Der Mensch sah mich mit einem Blick an, als wenn er hätte sagen wollen – bête allemande! – wenn er so viel französisch verstanden hätte; indeß erwiederte er in schwäbischem Dialect: – Hausknechte haben wir hier nicht mehr; ich bin der Garçon, und werde sogleich den Portier befragen thun151 .
Diese abwertende Reaktion gegenüber jemandem, der kein Französisch benutzte, selbst von einem, der wenig davon verstand, sagt viel darüber aus, wie sich die französische Sprache in vielen Lebensbereichen mit Definitionsmacht ausbreitete, womit solche Auftritte denkbar wurden, zumindest in der Hauptstadt Kassel 152 . Das fiktive Gespräch scheint die Befunde aus dem zweiten Teil zu bestätigen, dass die Westphalen auf vielerlei Art und Weise bereit waren, das Französische regelrecht aufzusaugen. Die Bittschriften in französischer Sprache und die Sprachlehrbücher zum Selbststudium sind die eine, die Aufnahme französischer Ausdrücke im deutschen Redefluss eine weitere Erscheinung. Die deutsche Sprache mochte noch geduldet oder akzeptiert werden, doch die Vorzüge, die sich aus der Beherrschung der französischen Sprache ergaben, bewirkten möglicherweise schleichend eine dominierende Stellung des Französischen über das Deutsche. Kenntnisse der französischen Sprache wurden beispielsweise zu einem entscheidenden Kriterium bei der Auswahl der westphälischen Deputierten153 . Gute Sprachkenntnisse in der französischen Prestigesprache galten als Einstellungsvoraussetzung in vielen anderen Bereichen154 . Für Georg Friedrich von Martens’ Beförderung zum Prorektor der Universität Göttingen war es sicherlich entscheidend, dass er »die französische Sprache vollkommen beherrschte und mit mehreren einflussreichen französischen Diplomaten bekannt war«155 . In Hannover erhielt der Kammermeister Christian 151 152 153 154 155
HILARIUS, Humoristische Reise, S. 116. LÜDTKE, Einleitung: »Sicherheit« und »Wohlfahrt«, S. 8; vgl. ferner REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 6, 34. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 43. Vgl. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 144. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 279.
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Ludwig Albrecht Patje aufgrund seiner französischen Sprachkenntnisse eine bedeutende Rolle bei der ersten französischen Besetzung seiner Stadt noch vor der westphälischen Zeit: Der an der Spitze der Executiv-Commission stehende Kammermeister Patje, welcher sehr bald durch seine Geschäftsgewandtheit und die vollständige Beherrschung der französischen Sprache einen bedeutenden Einfluß erlangt hatte, suchte besonders darauf hinzuwirken, dass ein gutes Vernehmen mit den Einquartierten und namentlich den Officieren erstrebt wurde, indem er dadurch hoffte zur Erleichterung des Landes am ersten etwas zu erlangen156 .
Auch andere Zeitgenossen teilten die Ansicht, dass, um einen guten Sekretär eines Verwaltungsbeamten abzugeben, die Beherrschung der französischen Sprache für die Deutschsprachigen entscheidend war: »Man muß Sorge dafür tragen, dass F. ein tüchtiges und uns ergebenes Subject zum Secretair bekomme, und dazu scheint mir keiner geschickter, als mein L.; er ist beider Sprachen mächtig, und ein sehr gewandter Mensch«157 . Ein weiteres fiktives Beispiel einer der Protagonisten der satirischen »Humoristischen Reise« verdient exemplarisch zitiert zu werden: Mein Lehrling schoß mit freier Hand die Schwalbe in der Luft, in der Nacht aber auch die zahmen Reh, welche für Sr. Durchlaucht gestellt werden sollten, und daher wurde er stracks des Landes verwiesen. Wie ich nachher vernommen habe, war er in einem andern Lande, da er gut französisch sprach, als Kriegscommissär angestellt, und hatte, während die Menschen zusammen geschossen wurden, und besonders, da seine Magazine immer im Retiriren waren, sich so viel zusammen gerechnet, dass er nach beendetem Kriege Zehnten, und zuletzt sogar Klöster kaufte, als wodurch er ein grundreicher, und grundrechtschaffener, am Ende auch wohl gar ein grundgelehrter Mann geworden seyn soll 158 .
Wie sich skrupellose Menschen, die die französische Sprache beherrschten, bereichern konnten, legt diese burleske Satire nahe. Die Erteilung von französischem Sprachunterricht durch einen Muttersprachler war sogar eine Tauschware, die man gegen Kost und Logis einwechseln konnte159 . Im »Westphälischen Moniteur« erschienen des öfteren Stellenangebote für oder Stellengesuche von französischsprachigen oder zweisprachigen Personen160 . 156 157
158 159 160
HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 44. Vertraute Briefe, S. 4; vgl. ferner GStA PK, V. HA, Nr. 2286, Bl. 23: Attestation de parfaite connaissance & prononciation de la langue française de C. von Villers pour C. W. L. Bauermeister aus Nordheim, à l’adresse de J. C. von Leist, 27. 7. 1812. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 81 f. Vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 251, Beilage, 21. Oktober 1811. Vgl. bereits Kapitel B II. (Spracherwerb). Vgl. ibid.; ibid., Nr. 254, Beilage, Oktober 1811; ibid., Nr. 265, Beilage, 6. November 1811; ibid., Nr. 266, Beilage, 7. November 1811; ibid., Nr. 268, 8. November 1811; ibid., Nr. 270, November 1811.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
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Aus dem Verhörprotokoll von Rau ergibt sich, dass dieser bereit war, eine angebliche Tätigkeit als Dolmetscher zwischen den französischsprachigen Truppen und den deutschsprachigen Einheimischen vorzutäuschen, um schneller eine Anstellung zu erhalten. Er produzierte sogar falsche Zeugnisse zur Beglaubigung seines Schwindels161 . Dieser Fall sagt etwas über das Ansehen der Prestigesprache Französisch aus, mit der sich Rau schmückte und durch die er hoffte, schneller wieder in Dienst zu kommen. Als der Autor der »Entlarvten hohen und geheimen Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen« die Polizeiagentin Würtz porträtiert, zählt er auch die französische Sprache zu den Talenten, die ihrer Karriere zugute kamen: Im Anfange des Jahrs 1812, also während der wichtigen Epoche der preussischen Monarchie, lebte sie mehrere Monate als heimliche Kundschafterinn zu Berlin, wo ihr eine ausgebreitete Bekanntschaft, die Kenntniss der französischen Sprache und ihre außerordentliche Gnade vorzüglich zu statten kamen162 .
Selbst wenn die Beherrschung der französischen Sprache nicht unmittelbar zu einer Anstellung als Verwaltungsbeamter oder employé für den westphälischen Staat führen musste, konnten auch Opponenten der westphälischen Herrschaft erfahren, dass französische Sprachkenntnisse in ihren Auseinandersetzungen mit dem neuen Staatsapparat günstige Auswirkungen haben konnten. Der Pfarrer und Staatsgefangene Gehren bestätigt diese Erfahrung in seinen Memoiren. Als er sich in Gefangenschaft in Mainz befand, wurde er vom dortigen französischen Präfekten um einen Brief in französischer Sprache gebeten, in dem er um seine Rückkehr nach Hessen bitten sollte. Sieben Tage später erhielt er die Nachricht seiner bevorstehenden Freilassung. Sein westphälischer Leidensgenosse, der sich ebenfalls in französischer Gefangenschaft in der Zitadelle in Mainz befand, bedauerte jedenfalls bei dieser Nachricht, dass er wegen mangelnder Französischkenntnisse den Präfekten nicht so oft besucht habe wie Gehren es getan hatte163 . Diese Beispiele von Vorteilen, die Einzelpersonen aus ihren französischen Sprachkenntnissen zogen, erhärten die These von der Bevorzugung und Vorrangstellung der französischen Sprache in der westphälischen Gesellschaft und lassen sich auch auf die Wahrnehmungsmuster eines Kollektivs übertragen: Die Nachkommen der hugenottischen réfugiés in Halberstadt bezogen sich auf ihre französische Sprache und die Notwendigkeit ihres Erhalts, um unter der westphälischen Herrschaft das Recht zu bekommen, ihre religiösen Riten fortführen zu können und nicht mit der deutsch-reformierten Kirche zusammengelegt zu werden164 . Bemerkens161 162 163 164
Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 21, Nr. 13 019–13 040, hier Nr. 13 021: Verhörprotokoll von F. Rau, 22. 2. 1813. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 84. Vgl. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 161 f. Vgl. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 91.
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wert ist, dass sie eher mit dem Erhalt ihrer französischen Sprache als mit der in Westphalen proklamierten Religionstoleranz argumentierten. Dies lässt vermuten, dass sie sich unter dem Vorwand des Spracherhalts eher Erfolg für die Fortführung ihres Kults versprachen. Auf einer individuellen Ebene wurde dem westphälischen Offizier Lehsten-Dingelstädt beim Rückzug vom Russlandfeldzug aufgrund seiner Sprachkenntnisse in Deutsch, Französisch und Italienisch die Führung von versprengten napoleonischen Truppen angetragen: Hinter dem Dorf treffen wir auf versprengte italienische Truppen und alte Seesoldaten. […] Da sie hörten, dass ich deutsch, französisch und auch etwas italienisch verstand und manchen zurechtwies, trat ein alter Marine-Sousoffizier, als es Tag wurde, zu mir heran: ›Mon officier, prenez le commandement, sinon ca n’ira pas, il faut de l’ordre partout‹. Ein italienischer Offizier stellte sich gleichfalls sehr bereitwillig unter meinem Befehl. Wir lagerten beim nächsten Dorfe […] Von Stunde zu Stunde wuchs die Schar. Auch mehrere höhere Offiziere fanden sich, denen ich das Kommando abtreten wollte, doch bestanden sie darauf, dass ich, da ich deutsch und französisch verstände, sie mindestens bis Torgau führe. Als wir wieder aufbrachen, war es mir gelungen, aus den wohl tausend Mann der verschiedensten Waffengattungen ein Korps zu bilden165 .
Dieses Beispiel zeigt, dass die Mehrsprachigkeit in bestimmten Notsituationen selbst die Aufhebung der ansonsten schwerfälligen militärischen Hierarchie nach sich ziehen konnte. Spätestens mit der Auflösung des Königreichs Westphalen Ende 1813 büßte jedoch die französische Sprache ihren hohen Rang ein. Diejenigen Verwaltungsbeamten, die zuvor gerade aufgrund ihrer Kenntnisse der französischen Sprache zu Staatsvertretern avanciert waren, erfuhren diese Veränderung am schmerzhaftesten. Ende 1813 waren Steinwürfe auf Fenster westphälischer Beamter durchaus üblich166 . Uli Kahmann berichtet, wie dies auch beim Schneider Lemkuhl der Fall war, »weil er französisch sprach, mit den Douanen Umgang hatte und für sie arbeitete«167 . Im Königreich Westphalen mussten zwar nicht alle grundsätzlich Französisch sprechen lernen; eine derartige Sprachdominanz war eindeutig nicht die Praxis; allerdings lassen sich die Vorzüge, die sich aus der Beherrschung der französischen Sprache ergeben konnten, nicht leugnen, so dass von einer schleichenden Dominanz der französischen Sprache gesprochen werden kann.
165 166 167
[LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 133. Vgl. HOFFMANN, Aufrührer, Ruhestörer oder gute Patrioten? KAHMANN, Die Geschichte des J. F. A. Lampe, S. 342.
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2.7.
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Beredsamkeit und Redekultur
Ein weiterer Aspekt, der für eine schleichende Dominanz der französischen über die deutsche Sprache spricht, ist die rhetorische Gewandtheit, die die Französisch- und Deutschsprachigen in den Augen der Zeitgenossen zum Teil voneinander unterschied. Der Historiker Lyncker beschreibt mit einem eindrucksvollen Sprachbild, welche kulturellen Differenzen sich zwischen Franzosen und Deutschen in Bezug auf die Redekultur und den Schreibduktus sich im Königreich Westphalen zeigten: Die Franzosen hatten alle jene hochtönenden hohlen Phrasen französischer Rhetorik mit herübergebracht, wie sie in der Kaiserzeit in Paris blühten und welche einem deutschen Ohr so höchst widerwärtig klangen. In ihren Reden und Schriften stürzten Worte und Sätze schwadronirend und lärmend übereinander wie die Wellen eines Wasserfalles, so dass Einem beim bloßen Ansehen oder Anhören ganz schwindlich wurde168 .
Auch die Zeitgenossen berichten über die Diskrepanz zwischen der rhetorischen Leichtigkeit der Franzosen und der Schwerfälligkeit der Deutschen, die auf andere Traditionen der Redekultur zurückzuführen seien. Exemplarisch können hier die Urteile der Zeitgenossen über die Erfahrungen in den Reichsständen angeführt werden. Bereits über die Reichsständeeröffnungsrede von Jérôme wurde von einem anonymen Autor in seinem Artikel »Regierungs-Geschichte des Königreichs Westphalen« in einer Zeitung aus dem Jahre 1810 betont: »Eine solche Rede stach sehr gegen die sonst übliche Kanzleisprache ab; und ihr Eindruck auf die Reichsstände war sichtbar«169 . Siméon selbst plädierte bei seiner Ansprache vor den Reichsständen für mehr Beredsamkeit in der Gerichtsbarkeit, um die bevorstehende Reform der Justiz zu unterstützen: Indeß die deutsche Literatur mit der Literatur aller Nationen um den Vorzug buhlt, ihre Dichter, Geschichtsschreiber und Schriftsteller preißt, wie sollte sie nicht auch Redner haben? Bemächtigen Sie sich des bisher fehlenden Ruhms der gerichtlichen Beredsamkeit. Sollte sie zuweilen ins weitläufige gehen, immer ist sie kürzer als die schriftliche Verhandlung. Eine Nation, welche mehr denkt und weniger leicht sich bewegt, als die, bei welchen die Redekunst in verjährter Uebung ist, wird den Misbräuchen des mündlichen Vortrags leichter entgehen und nur seine Vortheile genießen170 .
Dieser von Napoleon gesandte französischsprachige Verwaltungsbeamte des Königreichs Westphalen zeigte sich rhetorisch herausfordernd, um die deutschsprachigen westphälischen Staatbürger aus ihrer Reserve zu locken
168 169 170
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 82 f. ANONYMUS, Regierungs-Geschichte, S. 229; vgl. OWZAR, Schlendrian, S. 308. Siméon, zitiert nach: ANONYMUS, Regierungs-Geschichte, S. 230. Vgl. auch CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 160 f.
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und einen Wandel ihrer Redekultur herbeizuführen171 . Die Schwerfälligkeit, die Siméon den Deutschen vorwarf, scheint auch mit den Erfahrungen der westphälischen Abgeordneten selbst übereinzustimmen. Das Fehlen von Debatten- und Parlamentskultur in den westphälischen Reichsständen wurde in der Forschung mehrfach bestätigt. Herbert Obenaus bezeichnet die Reichsständemitglieder als die »100 Stummen«172 . Der zeitgenössische Jurist Cramer beschreibt in aller Ausführlichkeit die schockierten und empörten Reaktionen der Reichsstände auf eine vom Finanzminister Malchus, allerdings auf Deutsch, gehaltene Rede: So endete die Sitzung zur Zufriedenheit des Staats-Raths [Malchus], und mit seltsamen Gesichtern schritten, nach erhaltenem so scharfen Verweise die Gruppen der Reichsstände den vom Orangeriesaale zur Stadt führenden Berg hinan, indem sie sich die vernommenen Worte wiederholten, und überlegten, was wohl zu ihrer Ehrenrettung zu beginnen sey. Man versammelte sich, hierunter zu berathschlagen, bei dem Präsidenten der Stände und fasste den Entschluß, zuerst durch eine Deputation sich vom Staats-Rath Malchus eine Abschrift der gehaltenen Rede zu erbitten, und, wenn man diese erhalten, durch eine zweite Deputation sich bei dem Minister Simeon über den ehrenrührigen Inhalt derselben zu beschweren. – Manche Mitglieder zweifelten, ob Malchus ihnen auch sein oratorisches Werk, seine Philippika, so geben würde, wie er sie gehalten habe, indem man es seiner politischen List wohl zutraute, dass er manche harte Ausdrücke mit milderen vertauschen dürfte173 .
Des weiteren wurde Malchus von den Abgeordneten angelastet, beim Deklamieren seiner »Strafpredigt« sichtlich viel Freude gezeigt zu haben174 . Die Gegenstrategie der Deputierten, diese in ihren Augen unsägliche Rede in schriftlicher Form zu verlangen, um sie als Beweismaterial gegen Malchus anzuführen, ist bezeichnend für ihr Festhalten an der Schriftlichkeit. Siméon, dem die Deputierten ihren Ärger über Malchus’ Rede antrugen, reagierte selbst »als gewandter Staatsmann« darauf 175 . Cramer berichtet über Siméons Versprechungen: Mit französischer Leichtigkeit deutete er das Vertrauen des Königs zur Reichsversammlung an, versicherte, wie jener mit Erstaunen ihre Klagen über die wider seinen Willen vom Rapporteur des Staats-Raths erlittenen Beleidigungen hören würde. Auf das Genaueste sollte Malchus Rede geprüft werden, hätte er auf irgend eine Weise seinen Auftrag und seine Befugniß überschritten, hätte er die Reichstände in der 171
172 173 174
175
Tittmann bekennt im Vorwort zu seinem »Handbuch für westphälische Notarien« auch sein Vorhaben, zu einer »Verbesserung des Geschäftsstyls der Deutschen« beizutragen. Vgl. Handbuch für westphälische Notarien, S. VIII. OBENAUS, zitiert nach: HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus, S. 146. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 252. Ibid., S. 252. Ein Historiker, der seine Aussage zum Teil auf mündliche Überlieferungen stützen konnte, berichtet, dass Malchus, nicht so sehr wegen seiner Rede, sondern weil er nach Ablehnung seines eingebrachten Grundsteuergesetzes »im Zorn über diese unerhörte Anmaßung, sehr beleidigende, die Würde der Stände verletzende Reden hatte laut werden lassen«, so unpopulär bei den Reichsständemitgliedern wurde. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 75 f. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 253.
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Heiligkeit ihrer Person gefährdet oder beleidigt, so solle er gewiß bestraft werden, und so die Versammlung jede ausgezeichnete Satisfaktion erhalten. Für den Augenblick aber mögte man sich um so mehr beruhigen, da er den Ständen ein dreifaches Versprechen geben könne: theils wolle er den Vorfall sogleich unmittelbar an den König berichten, eine getreue Uebersetzung der Malchusschen Rede beifügen und sich von dem Könige weitere Verhaltungs-Befehle erbitten; theils verspräche er den Ständen dahin zu wirken, dass der Staats-Rath Malchus, der zu ihrer Unzufriedenheit Veranlassung gegeben, nie wieder in ihrer Mitte als Rapporteur des Staats-Raths auftrete, theils solle die Rede nicht so, wie sie gehalten sey, sondern mit Hinweglassung aller etwas anstößiger und beleidigender Stellen im Moniteur abgedruckt werden. – Und über solche Versicherungen hoch erfreut schieden die Deputierten von dannen, ohne je wieder etwas weiteres von der ganzen Angelegenheit zu erfahren176 .
Cramers Ansicht nach hätte die vor Siméon aufgetretene Abordnung darauf bestehen sollen, dass die Malchus’sche Rede in vollem Umfang abgedruckt werde, »wie sie gehalten sey, indem der Nation, deren Abgeordnete sie wären, das kein Geheimniß bleiben dürfte, was in den öffentlichen Sitzungen der Reichsstände verhandelt wäre […], so aber trugen die schön klingenden Worte des Ministers [Siméon] den Sieg davon«177 . Die ganze Angelegenheit um die Reform des Malchus’schen Steuergesetzes sorgte damals für großen Unmut und rief sogar eine Flugschrift hervor178 . In der Forschung zum Parlamentarismus dient die Ablehnung des Malchus’schen Steuergesetzes durch die Reichsstände als Angelpunkt für das Urteil über diese Versammlung, da das Gesetz zu den wenigen zählte, die die westphälischen Reichsstände zurückwiesen179 . Die Pointe, auf die Cramer zum Schluss anspielt, ist, dass Siméon selbst Malchus zu der deutschsprachigen Rede geraten haben soll. Malchus sollte »mit deutscher Derbheit das […] sagen, was mit französischer Leichtigkeit hätte [nur] angedeutet werden« können180 . Während die eingangs angeführte französischsprachige Grabrede Siméons fast den ehrwürdigen deutschen Ton traf, verwendete Malchus’ deutschsprachige Rede vor den Reichsständen die französische Dreistigkeit. In ihrer konstruierten Rollenzuweisung hätte die Erzeugung von Gegensätzen nicht eindeutiger sein können. Schenkt man Cramer Glauben, nach Abzug des überspitzten Gegensatzes zwischen tugendhafter deutscher Sprache und zwar rhetorisch brillanter, aber hinterlistiger französischer Sprache, so war der Kontrast zwischen dem derben Redestil des deutschsprachigen Ministers und dem höflichen und leichten Redestil des französischsprachigen Ministers nicht allein den kultu176 177 178
179 180
Ibid., S. 253 f. Ibid., S. 254. Vgl. Gedanken über die Natur und Gränzen des Königreichs Westphalen; vgl. ferner darüber CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 255; HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus, S. 153. Vgl. unter den Schriften von Malchus: MALCHUS VON MARIENRODE, Über die Verwaltung der Finanzen. Vgl. HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus, S. 153 f. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 255.
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rell bedingten Gewohnheiten der Redekultur anzulasten. Mit diesem offenbar den Zeitgenossen allgemein bekannten Unterschied zwischen den Staatsräten wurde zudem höchst strategisch umgegangen. Die Strafpredigt ließ die westphälische Regierung den Abgeordneten der Reichsstände von einem deutschsprachigen Vertreter in deutscher Sprache erteilen, während die Deutschsprachigen von Siméon dazu ermuntert wurden, der französischen »Nationalstärke« der brillanten Redekultur nachzueifern181 . Wurde die deutsche Sprache dafür funktionalisiert, Unannehmlichkeiten zu verkünden, während die französische Sprache eine positive Rolle behielt, zeigt dies, dass beide Sprachen, selbst wenn nicht direkt von einer offiziellen Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche ausgegangen werden kann, in ihrer Rollenaufteilung in bestimmten Gesellschaftsbereichen nicht auf dem gleichen Stand waren. Auf die Gewichtung beider Sprachen in Verwaltung und Regierung soll die Untersuchung noch kommen, aber selbst im Staatsrat soll der Kontrast zwischen den französischen »gewandten Rednern« und den Deutschen, die »sich nur mangelhaft in der fremden Sprache auszudrücken wussten«, aufgefallen sein182 . Unabhängig davon, ob die französische und die deutsche Sprache verwendet wurde oder die Deutschsprachigen sich in französischer Sprache gegenüber den Französischsprachigen artikulieren mussten, waren offensichtlich die französische Sprache und ihre Sprecher positiver besetzt. Nicht allein auf die Beherrschung der fremden französischen Sprache kam es an, sondern auch auf die Beredsamkeit. Dies bestätigt Wolffradt in seinen »Denkwürdigkeiten«: »[Belastend war das] vis-à-vis von französischen Ministern, die nicht allein Sache und Sprache in ihrer Gewalt hatten, sondern die durch ihre Talente und Beredsamkeit in den französischen legislativen Versammlungen geglänzt hatten und auch hier wieder glänzten«183 . Die Franzosen hatten nun mal den Erfahrungsvorsprung der Französischen Revolution, schien der Minister mit Neid festzustellen184 . Die Überlegenheit der Franzosen in ihrer Redekultur wurde offenbar gelegentlich seitens der Deutschsprachigen als erdrückend oder erniedrigend erfah181 182 183 184
Ibid., S. 171. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 33 f., vgl. auch S. 47 f. Wolffradt, zitiert nach: THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 89. [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 65 f. Weiterführend zur Redekultur unter der Französischen Revolution vgl. SCHLIEBEN-LANGE, Schriftlichkeit und Mündlichkeit; HUNT, The Rhetoric of Revolution. Insbesondere Schlieben-Lange hat auf verschiedene Topoi in diesem Zusammenhang hingewiesen, unter anderem den Topos in der deutschsprachigen Literatur, wonach die Französische Revolution sich im Medium der Mündlichkeit vollzogen habe. Vgl. SCHLIEBEN-LANGE, DRÄXLER, Die Französische Revolution und das deutsche Sprachdenken, S. 11 f.
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ren. Die Beredsamkeit der Französischsprachigen imponierte offensichtlich auch und es soll nicht an Bereitschaft seitens der deutschsprachigen Westphalen gefehlt haben, ihre Redekultur zu verändern. Scheller schreibt dazu ironisch, wenn er über die Harzreise Jérômes berichtet: Und Ehr’ genug an allen Orten […] Und Deutsch’ und Welsche Reden halten, Die war’n aus Weidenholz gespalten Im Winter schon am Ofen heiss, Und biegsam, dünn, und blau und weiss, Und so mit Lügen angemacht, Als hätt’ ein Anwald sie erdacht, Der, wo die Wahrheit nichts gewinnt, Auf Lügen und – Rechtsmittel sinnt: Queerfeldein in das Banngehag Des Löwen, das er sein itzt nannte, Und wo man ihn zu sehen brannte Mit eines Glühwurms – heissem Feuer, Und wo itzt war die Freude theuer, Die kam aus reinem Herzen her, Und nicht befohlen von ein’m Maire185 .
Die Anpassungsversuche der deutschsprachigen westphälischen Staatsbürger an die französische Beredsamkeit betrachtet Scheller rückblickend mit gebührender Skepsis: Die alle machten ihren Bükkling, Und sodann traten wieder Rükkling, Nachdem man halbe Wort’ gesprochen Und manche Red’ war abgebrochen, Die man schon lang mit Angst und Schweiss Hatt’ eingelernt beim Ofen heiss186 .
Die Aufforderung der Französischsprachigen an die Deutschsprachigen, ihre angeblich schwerfällige Rede zu verbessern, sowie der Versuch, ihnen eine andere Kultur des Sprechens aufzunötigen, können als eine auf den ersten Blick zwar unauffällige, dennoch frappierende Variante von schleichender Sprachdominanz gewertet werden. 2.8.
Französisierung des öffentlichen Raumes
2.8.1. Offizielle Straßen- und Ortsumbenennung Direkt mit der Gründung des Königreichs Westphalen und mit der Einteilung in neue Verwaltungseinheiten nach dem Vorbild der französischen
185
186
SCHELLER, Jeromiade, S. 80. Über die Reden in französischer Sprache anlässlich des Einzugs Jérômes in Braunschweig liefert Scheller ebenfalls Verse. Vgl. ibid., S. 88. Ibid., S. 95.
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Departements wurde eine Französisierung des öffentlichen Raumes selbst offensichtlich. Scheller dichtet 1814 dazu: Voraus schon war das Königreich Westfalen sammt dem Mahnerteich Im weiland Hochstift Hildesheim Gemahlt mit Farb’ und Gummischleim, Getheilt in Präfecturen gar Nach seinen Wässern hell und klar. Die Katten sammt den alten Sassen Sich sollt’n Westfalen nennen lassen, Nach Gallischer Gelehrsamkeit, So hoch berühmet weit und breit Und in der Zeitung ausposaunt 187 ;
Die Namensgebung der Departements folgte den Namen der Flüsse. Die Landstriche wurden umbenannt und damit die Inbesitznahme durch die Franzosen signalisiert. Der Historiker Kleinschmidt erkennt in den Maßnahmen, welche die alten Provinznamen verschwinden ließen, die Intention, »die geschichtlichen Erinnerungen zu verwischen«188 . In Kassel weitete sich die französisierende Umbenennungspolitik auf die Straßen- und Ortsnamen aus189 . Die Stadtviertel, die zuvor in Alt- und Neustadt eingeteilt waren, wurden zum Kanton der Unterstadt und Kanton der Oberstadt beziehungsweise zum ersten und zweiten Kanton umgetauft, als habe das Alte der »Altstadt« nicht mehr zu bestehen190 . Das Schloss Wilhelmshöhe wurde nun in Napoleonshöhe umbenannt 191 ; aus dem Wilhelmsthal wurde Katharinenthal192 ; der Friedrichsplatz wurde zum Ständeplatz193 und der Königsplatz wurde zum Napoleonsplatz sowie mit der entsprechenden Bronzebüste versehen194 . In den Versen Schellers wird der Umstand für eine solche Umbenennung nachgedichtet, denn Namensgebung und -veränderung wurden zudem in Feierlichkeiten eingebettet, so anlässlich der Thronbesteigung Jérômes:
187 188 189
190 191 192 193 194
Ibid., S. 9. KLEINSCHMIDT, Die Eltern, S. 274. Vgl. Bulletin des Lois, 1808–1812, Nr. 63, Dekret vom 31. Okt. 1808, S. 274– 276. Zum Thema Straßennamenumbenennung weiterführend vgl. BAYER, Französisch-deutsche Straßenschilder; KRAMER, Straßennamen in Köln; DERS., Französische Straßennamen; DERS., Das Französische in Deutschland; GERSMANN, Der Streit um die Straßennamen. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 32. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 89. Vgl. ibid.; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 49. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 90; KLEINSCHMIDT, Das Königreich Westphalen, S. 20. Vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 14; LYNCKER, Historische Skizzen, S. 90; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 74.
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Und hielten Reden, dass es brummte, Und Jerum fast darob verstummte. Doch hat er, da man abgebrochen, In Welscher Zung’ also gesprochen: ›Ich will Euch mich zu lieben zwingen! ›Und was ich will soll mir gelingen‹ Und dies kam in die Zeitung h’nein, Dass drob sollt Alt und Jung sich freun. Zur Wilhelmhöh’ gings nun hinauf, Wo Jerum hemmte seinen Lauf, Und sprach: ›Hier steh’ mein Königsthron, ›Hier auf der Höh’ Napoleon! ›Wer Wilhelmshöh’ sie nennet wieder, ›Den schiess’ ich als Aufrührer nieder195 !
Jérômes Drohgebärde und die Androhung der Todesstrafe für die Nennung des alten Namens Wilhelmshöhe ist historisch nicht nachweisbar und entspricht sicherlich nicht der Realität. Die Übertreibung durch den satirischen Autor der »Jeromiade« weist darauf hin, wie hoch sensibel die offizielle Umbenennungspolitik in den Augen der Zeitgenossen war. Zieht man die Ausführungen des satirischen Autors der »Humoristischen Reise« heran, so bemühten sich die einheimischen Kasselaner angeblich nicht einmal, die neuen Straßennamen auszusprechen. Vielmehr ignorierten sie stillschweigend die neue Namensgebung: Eine neue Verlegenheit [erfuhren wir]! Keine Straße hatte ihren Namen mehr, und die alten Einwohner der Stadt, welche wir befragten, wo man nach der und der Straße (der neuen Taufe) komme, gestanden keine Rede, und gingen mit einem mitleidigen Blick an uns vorüber196 .
Die »Verwirrung bis zur Unkenntlichkeit der Straßen« soll sich auch nach Auflösung des Königreichs Westphalen fortgesetzt haben, so der anonyme Autor der »Garküche an der Fulde«, der sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt: Bediente sich der öffentliche Ausrufer während der französischen Regierung des französischen Namens einer Straße, so hatte man Mühe, ihren ursprünglich teutschen Namen herauszufinden, und jetzt, da der alte teutsche Namen wieder ausgesprochen wird, muß man doch auch, um sich zu orientieren, den französischen zu Hülfe nehmen. […] An manchen Ecken der Straßen sah man den alten teutschen Namen ausgewischt und einem neuen französischen entgegen, so wie es jetzt wieder umgekehrt der Fall ist 197 .
Die Quellenzitate widersprechen sich zum Teil und übertreiben sicherlich: Als gemeinsame Konstante inszenieren sie die Verwirrung, die durch die Umbenennungen entstand. Man kann vermuten, dass die Straßen- und 195 196 197
SCHELLER, Jeromiade, S. 27 f. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 119 f. ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 37.
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Ortsumbenennungen eventuell einige Westphalen irritierten; ganz sicher kann jedoch davon ausgegangen werden, dass nach 1813 das Thema zu einem Kanon der Enthüllungspublizistik wurde. 2.8.2.
Umbenennungen auf Privatinitiative
Im Fall der Hauptstadt Kassel fällt jedoch insbesondere auf, dass die Französisierung des öffentlichen Raumes durch Umbenennungen nicht allein auf staatliche Maßnahmen zurückging: »Cassel nahm ein ganz französisches Gepräge an, überall hörte man französisch, überall sah man französische Ladenschilder mit den hochtrabendsten Aufschriften«198 . Dies bestätigt ein Zeitgenosse, der als Kind um 1807 in Kassel lebte und seine Erinnerungen daran im Nachhinein aus dieser Kinderperspektive niederschrieb: Doch dauerte es gar nicht lange, so machte sich ein ganz anderes Leben [in Kassel] bemerkbar. […] Mit Mühe buchstabirten wir die französischen Aufschriften der Schilder über die vielen neuen Läden zusammen; entziffern konnten wir sie freilich nicht und nur die ausgelegten Waaren gaben den Ausschluß199 .
Die Französisierung des öffentlichen Raumes durch zugezogene Kaufleute, Restaurateure und dergleichen war offensichtlich so massiv, dass die Kasseler Kinder ihre Spielgewohnheiten anpassten und gemeinsam spielerisch die Ladenaufschriften entzifferten. Dass diese Veränderungen in erster Linie die Städte und insbesondere die Hauptstadt Kassel betrafen, macht der Historiker Philipp Losch deutlich: Französisch […] war […] die Sprache des Siegers […]. Das eigentliche Land blieb von dieser Französisierung im allgemeinen weniger berührt, in den Städten und namentlich in der Hauptstadt machte dagegen das Franzosentum reißende Fortschritte, und binnen kurzem war die ehemalige Residenz des alten Kurfürsten, der seine Untertanen so ängstlich vor dem gallischen Wesen bewahrt hatte, nicht mehr wiederzuerkennen200 .
Diese Aussage wird jedoch durch den Befund aus dem Unterkapitel über die französischen Privatlehrer (B II.1.1.) relativiert, da diese nicht ausschließlich in Kassel zu finden waren. Festzuhalten bleibt, dass das Bild von »Cassel à la française« offensichtlich auch eine Folge der Privatinitiative einzelner Bürger war, die ihren Ladenaufschriften oder Gasthöfen einen französischen Klang verleihen wollten. Zu den Namensgebungen der Gasthäuser werden insbesondere beim anonymen Autor der »Garküche« aufschlussreiche Angaben gemacht. Ein neues Kaffeehaus in Kassel, das Kaffeehaus Jérôme, erfreute sich besonderen Zulaufs, angeblich schon allein wegen des Patronyms des Königs: »Bei Jerome in der Königsstraße war der Platz gar zu 198 199 200
KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 31; vgl. DERS., Die Eltern, S. 276. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 11. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 51.
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beschränkt. […] Schon der Name Jerome war einladend, und die Franzosen ließen es sich bei Jerome dem Zweiten so gut schmecken, als ihre vornehmeren Landsleute bei Jerome – dem Ersten am Hofe«201 . Diese Aussage spricht für die Anziehungskraft der neuen Benennungen, die den neuen Herrschaftsverhältnissen und der allgemeinen Beachtung, die sie erfuhren, Rechnung trugen. Über die bereits bei Anbruch der neuen Herrschaft bestehenden Einrichtungen schreibt Lyncker zusammenfassend: Eines Tages machte […] der Inhaber des ›Hessischen Hofes‹ ein ›Hôtel de Westphalie‹ aus seinem Hause; die den Franzosen anstößige Firma ›Hof von England‹ kehrte sich in ein ›Hotel de Paris‹ um und das Gasthaus ›zum Kurfürsten‹ nahm die Bezeichnung ›Hotel rouge‹ an202 .
Ein Problem, das aus den vielen Umbenennungen hervorging, findet sich auch in der burlesken Satire von Nicolai wieder: Die erste Unannehmlichkeit, welche ich in der Residenz durch meinen Bedienten, von welchem ich überzeugt seyn musste, dass er besser wäre wie das beste Adressbuch, hatte, war die, dass ich erst den guten Gasthof nicht finden konnte, den ich suchte. Denn die Gasthöfe hatten bei dem neuen Herrn ihre Schilder verändert, und da gab es denn jetzt kein ›deutsches Haus‹ keinen ›Gasthof zu allen Nationen‹ keine ›herrschaftliche Schenke‹ mehr. Das alles war jetzt Hôtel, und die Aushängeschilder sogar hatten sich zu der Mantelträgerei müssen anpinseln lassen203 .
Die Anpassung der Namen der Gasthäuser an die neuen politischen Verhältnisse zieht der Autor ins Lächerliche – sie symbolisiert jedoch die allgemeine politische Aufbruchstimmung und ermöglicht, den Umfang der allgemeinen Französisierung des öffentlichen Lebens und die dahinter verborgene graduelle Sprachdominanz durch das Französische aufzuzeigen. 2.8.3. Französisierung der Personennamen und der Amtstitel Einige gingen mit der Französisierung so weit, dass sie ihre eigenen Personennamen französisierten. Im Kapitel B III. (Bittschriften) war die201
202 203
ANONYMUS, Die französische Garküche, S. 71. Dieses Beispiel passt hervorragend auf die von Schwerhoff vorgeschlagene Forschungsfrage in Bezug auf die Medialität von Räumen: »In einem doppelten Sinn wäre nach der Medialität der untersuchten Räume zu fragen. Einmal sind sie durch ihre Bauweise, ihre Zugänglichkeit, ihre Ausstattung und ihre Ausmalung selbst Bedeutungsträger, semiotische Objekte, eben Kommunikationsmedien, die den Besuchern bestimmte Botschaften […] vermitteln sollten. […] Tavernen […] in Form von Wirtshausschildern, Wappen, Fensterscheiben etc. symbolisch besetzte Elemente, die das Gebäude selbst zum Medium von Traditionsvermittlung machen. Zweitens wäre dann nach den Kommunikationsmedien zu fragen, die in den jeweiligen Räumen dominierten«. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 143 f. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 89; vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 85; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 163. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 115 f.
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ses Phänomen der Anpassung an die neuen Herrschaftsverhältnisse schon erwähnt worden. Viele wurden freiwillig oder durch die Verwaltungsbehörden kurzerhand von »Wilhelm« auf »Jean« umgetauft, wobei sich die Frage stellt, wie die neue Herrschaft sich in den Zivilbüchern zurechtfinden wollte und die Herkunft ihrer Staatsbürger bei Bedarf nachverfolgen konnte, wenn die Menschen so leichtfertig ihre Taufnamen wechseln konnten204 . Selbst eine Person englischer Herkunft wie der Matrose John Williams ging in die Akten der westphälischen Polizei als »Jean Ulms« ein, mit der Besonderheit, dass er im französischsprachigen Schreiben des Polizeichefs durchaus »John Williams« sein durfte, während er im deutschsprachigen Schreiben des Generalpolizeikommissars Guntz zu deutsch-französisch »Jean Ulms« wurde205 . Selbst Jérômes Hofmaler François-Joseph Kinson oder Kinseon aus Brügge wurde kurzerhand vom Pagen Lehsten-Dingelstädt in seinen Memoiren zu »Quinçon« französisiert, als passe er so besser in die Kasseler Verhältnisse206 . Über den Verlust ihrer Taufnamen beklagten sich auch einige Zeitgenossen, wie der Metropolitan Gundelach aus Zierenberg im Fuldadepartement im Rahmen seiner Predigt beim Klassenkonvent der Landprediger der Departements hessischer Herkunft im Sommer 1810 in Oberlistingen: Damals waren wir Unterthanen eines Fürsten, mit dessen Verlust wir auch sogar unsern Namen verloren haben, der uns sehr gelinde und väterlich regierte […], aber jetzt sind wir Unterthanen eines fremden Regenten, eines fremden Volks, dessen Sprache wir nicht einmal verstehen, dessen Sitten uns fremd sind, von dem wir unser Schicksal zu erwarten haben207 .
Die Titel der Verwaltungsbeamten, aber auch der niederen Chargen im öffentlichen Leben wurden in der Regel französisiert 208 . Dieses Phänomen wird teilweise in der Anekdote aus der burlesken Satire von Nicolai reflektiert, die bereits oben zitiert wurde, in der dem Antihelden bei seiner Ankunft in Kassel ein »Garçon« statt eines Hausknechts begegnet 209 . Lyncker beschreibt ähnliche Tendenzen, gerade im niederen Hofstaat und im wei204
205
206 207 208 209
Diese Tendenz zur Französisierung der Taufnamen selbst seitens der Beamten steht im Widerspruch zu dem gleichzeitig aufkommenden statistischen und demographischen Erfassungsdrang und zur Entwicklung von Instrumentarien zur besseren Polizeiüberwachung. Vgl. DENIS, Une histoire de l’identité. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 717–10 735, hier Nr. 10 719: Schreiben Nr. 586 P. G. von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 15. 3. 1813; vgl. ibid., Nr. 10 721. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 30; vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 171; NICOUD, Auf der Leinwand und in Marmor, u.a. S. 65. Gundelach, zitiert nach: ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 162, vgl. S. 161. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 30. Vgl. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 116.
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teren Umkreis der Bediensteten am Hof, sich mit pompösen französischen Titeln zu schmücken, die imponieren sollten. Einige Beispiele von Titeln, welche aufgrund ihres Klangs und ihrer Länge »allein schon einem deutschen Ohr Respect einflößen mussten«, führt er an210 : Das französische garçon d’attelage aux écuries de S. M. le Roi de Westphalie klang freilich anders als das anspruchlose Prädicat ›Wagenknecht‹. Der palafrenier de S. M. le Roi de Westphalie dünkte sich mehr als der Thürsteher eines deutschen Fürstenhauses. An der Stelle des Lichtkämmerers spreizte sich ein chef de l’éclairage du palais de S. M. le Roi. Ein Gehülfe des Hühnerstopfers unterzeichnete: premier aide de l’engraisserie royale und ein Schreiber des Intendanten Laflèche glaubte es sich selbst schuldig zu sein, seinem unbedeutenden Namen den langen Titel eines commis de l’intendance générale de la maison de S. M. le Roi de Westphalie nachzusetzen. Ueberhaupt durfte der Zusatz de S. M. le roi ou de la reine de Westphalen nicht fehlen, wenn irgend eine Berichtigung vorhanden war, sich desselben zu bedienen; wo die Berichtigung fehlte, zog man sie an den Haaren herbei. Der Koch des General Reubel nannte sich z. B. cuisinier de son Excellence le Gouverneur Reubel, général de division et aide de Camp de S. M. le Roi de Westphalie211 .
Auch dem naiven Antihelden von Nicolai in der »Humoristischen Reise« wird von seiner fürsorglichen und zeitgeistbewussten Mutter vor der Abreise in die Residenz empfohlen, bald einen langen Titel anzunehmen212 . Über die Vorliebe einiger Westphalen, sich anlässlich der neuen Herrschaft einen neuen Namen zu geben, berichtet außerdem der anonyme Autor der »Entlarvten hohen und geheimen Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen«. Über den Polizeiagenten Cerf, genannt Cerfy, weiß er auszuführen: An dem ganzen Schurken war nur eine komische Seite, dass er nemlich Cerf hieß, und nicht Hirsch – nach seinem ursprünglichen Namen. Hirsch schien selbst darüber zu erröthen, was Cerf gethan hatte und zu thun im Stande war. So weit reichte die Umschaffung der Namen bei der französischen Armee, vom Marschall an bis auf den gemeinsten Spion213 !
Seinen Angaben zufolge wurde insbesondere im Militär die Französisierung der bürgerlichen Namen praktiziert, um die Anpassung an die neuen Herrschaftsverhältnisse zu akzentuieren. Diese Praxis scheint an sich nicht neu gewesen zu sein. Wolffradt berichtet in seinen »Denkwürdigkeiten« über einen französischen Emigranten aus dem Elsass am Braunschweigischen Hof, Montjoie, der auch Frohberg genannt wurde214 . Manche Französisierungen von Familiennamen gingen auf die Schwierigkeiten zurück, welche die französischen Einwanderer mit der Aussprache deutscher Familiennamen hatten: »Leste – so nannte der König immer 210 211 212 213 214
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 88. Ibid.; vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 86. Vgl. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 52. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 113. [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 394.
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v. Lehsten«215 . Die Französisierungstendenzen der Zeitgenossen beschränkten sich sicherlich nicht nur auf die Familiennamen. Die Memoiren, die zur westphälischen Zeit entstanden, sind reichlich mit französischen Einsprengseln versehen216 . Wenn die deutschen Familiennamen freiwillig oder aus staatlicher Veranlassung französisiert wurden, erscheint jedoch interessant, dass sich auch die Franzosen über ihre Namen und Titel anpassten und dies durchaus die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich lenkte. 2.8.4.
Eindeutschung von Personennamen und Persiflage
Im Gegenzug zu diesen staatlichen und nicht-staatlich betriebenen Französisierungsmaßnahmen fällt auf, dass auch eine Art Verdeutschung der französischen Einwanderer stattfand. Jérôme versah seine Günstlinge gern mit deutschen Adelslehen und -gütern und auch mit den dazugehörigen Titeln. Die arrivierten Franzosen zeigten Gefallen daran, sich über ihre neuen Namen und Titel westphälisch zu assimilieren. Da sie der neuen Staatsgründung zum Teil ihren neuen unverhofften Wohlstand verdankten, überrascht die ostentative Annahme ihrer neuen Namen nicht weiter. Losch schreibt dazu retrospektiv: Die meisten dieser Franzosen wurden übrigens durch Titelverleihungen zum Schein deutsch frisiert, da Jerome nach seines Bruders Vorbild in seiner Umgebung eine neue Aristokratie zu schaffen suchte, die allerdings kein langes Leben hatte. Von all den Grafen und Baronen von Wellingerode, Bernterode, Marienrode, Retterrode, Freudenthal, Riede, Keudelstein, Hoene usw. ist längst keine Spur mehr vorhanden. Nur ein Name hat sich in den Gothaischen Kalender gerettet und existiert noch fort. Die Nachkommen des Pierre Alexandre Le Camus leben noch heute als preußische Grafen von Fürstenstein in Schlesien217 .
Über die Titelvergabe innerhalb der Hofgesellschaft machte man sich auch seinerzeit lustig, weil die französischen Günstlinge Hofnamen annahmen und sich damit zierten, aber oft selbst kaum in der Lage waren, diese auszusprechen218 . Oder man spielte kritisch darauf an, dass die neuen Titel der französischen Emporkömmlinge bloß leere Versprechungen darstellten: So ward nun Allix auf der Stell’ Gemacht zum Graf im eignen Fell, Und zwar genant von Freudenthal, Dieweil war Freude überall. Doch ist er in dem ganzen Land Nur Graf von Jammerthalgenannt, 215 216
217 218
[LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 10. Die Bedeutung dieses Phänomens ist schwer ohne einen Vergleich mit der Zeit vor 1807 und nach 1813 und ohne eine systematische syntaktische Erhebung einzuschätzen. Vgl. z. B. HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 43 f. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 53. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 77.
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Und dazu Königs-Lieutenant, Der’s Stellvertreten bass verstand219 .
Die spöttische Umtaufe scheint nicht allein auf Schellers Reimbedürfnis zurückzugehen, sondern tatsächlich zu westphälischer Zeit Verbreitung gefunden zu haben. Interessant ist in dieser Hinsicht auch zu verzeichnen, dass nach 1813 eine Eindeutschung der französischen Überbleibsel der westphälischen Herrschaft stattfand. In seiner »Jeromiade« verwendet beispielsweise deren Autor Scheller eine breite Palette von Namen für das ehemalige Staatsoberhaupt König Jérôme. Dabei pflegt er insbesondere die französische Variante mit den Akzenten zu meiden. Der abgesetzte Monarch heißt da »(Herr) Jerum«, sogar gelegentlich »Jerum Malapart« oder auch »Jerom« aber niemals französisch »Jérôme«220 . Die Eindeutschung von französischen Termini und die Wortspiele mit diesen eingedeutschten französischen Ausdrücken stellen eine interessante Erscheinung dar, die die Fähigkeit der Zeitgenossen zeigt, der Allgegenwärtigkeit des Französischen satirisch zu begegnen und es sich so anzueignen. Wer spielerisch mit der französischen Sprache umging, konnte diese nicht nur als bedrückend empfinden. Die bereits oben erwähnte latente Sprachdominanz war eine komplexe und sicherlich auch sehr subjektive Angelegenheit. Wenn die Sprachdominanz durch das Französische und die Franzosen in bestimmten Situationen als durchgreifend empfunden wurden, so waren die Westphalen auch in der Lage, sich sprachlich zu wehren. Ihre Kritik artikulierte sich zum Teil ganz konkret in einer spöttischen Umwandlung eines unbeliebten französischen Wortes. Über ein Tedeum, das gegen Ende der westphälischen Herrschaft als Reaktion auf die kriegerischen Auseinandersetzungen oftmals verordnet wurde, brachte der Autor der »Jeromiade« folgendes Wortspiel in seinen Versen zustande, das unter den Zeitgenossen gängig gewesen zu sein scheint: »Wenn’s nach dem Treffen hiess ein Dreh-um«221 . Dem Tedeum vermochte Scheller wirklich nichts Gutes abzugewinnen: »Was man auch nannt’ ein Te-dreh-um, Und öfters Te Diabolum«222 . Zu den letzten Reaktionen Jérômes auf die bevorstehende Auflösung der westphälischen Herrschaft zählt Scheller: Schon commandirt’ er ein Te Deum, Doch es erfolgt ein lustig Dreh-um, Als siebzehn Landwehrmänner kamen Dahergesprengt in Gottes Namen. Ihm blieb im Hals’s Te Deum stekken, Als man begann ’s Gewehr zu strekken223 . 219 220 221 222 223
SCHELLER, Jeromiade, S. 280. Ibid., S. 152. Ibid., S. 190, vgl. S. 201. Ibid., S. 246. Ibid., S. 252.
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Der Einfallsreichtum Schellers zur Persiflage eines französisch-kaiserlichen Brauchs korrespondiert mit der Unbeliebtheit, mit der die staatlich einberufenen Tedeum im Jahre 1813 von der westphälischen Bevölkerung aufgenommen wurden. Thimme berichtet, wie die Hannoveraner während eines Gottesdienstes schlagartig ihre Kirche verließen, als man zum Tedeum übergehen wollte224 . Deswegen dürfte anzunehmen sein, dass auch die Westphalen über die Tedeums sprachlich ihren Spott ausschütteten und nicht allein Scheller im Jahre 1814. Über die Eindeutschung von französischen Termini und Ausdrücken und die anspielungsreichen Wortspiele, die damit entstehen konnten, eröffnete sich für die Westphalen eine Möglichkeit zur Persiflage der Sprachdominanz. 2.9. Bereitschaft zur Aneignung der französischen oder deutschen Sprache Zu den Indizien, die dafür sprechen, dass das Verhältnis der deutschen und französischen Sprache im Königreich Westphalen auf eine Dominanz des Französischen über das Deutsche hinauslief, zählt sicherlich, dass die Bereitschaft zur Aneignung der französischen Sprache bei Deutschsprachigen offenbar weit ausgeprägter war als die Bereitschaft von Französischsprachigen zum Erlernen der deutschen Sprache. Im ersten Gesang der »Jeromiade« wird dieses Ungleichgewicht in der Bereitschaft zum Erwerb der Sprache der Anderen sehr gerügt: Im voraus hatten wir, o Schmach! Verlernt zu sprechen Deutsche Sprach’, Und waren durch Sprechmeisterlein Gelehrt zu schwatzen zierlich fein Mit Nas’ und Gaum ein Mengelmus, Das selbst der Kaiser Carolus Der Gross’ die Bauernsprache nannte, Und sie von seinem Hof verbannte, Ein Schnack zweideutig, arm, voll Zoten, Und von der Dichtkunst streng verboten, Voll Misslaut, sonder Saft und Kraft, Drum leicht gelernt und angeschafft, Damit der Welschling sonder Müh’ Fand’ Atzung- Weg- und Weiber- hie, Die er ansonst nicht finden könnte, Weil die Natur ihm nicht vergönnte Zu lernen eine andre Zunge, Als die gefasst der kleine Junge! So musst’ man uns das Fransche lehren, Damit wir Frankenknechte wären, Und unsre Weiber ihre Metzen, Und man uns könnt’ nach Willkür hetzen225 . 224 225
Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 191 f. SCHELLER, Jeromiade, S. 8.
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Die Trägheit der französischen Einwanderer bezüglich des deutschen Spracherwerbs wird hier argwöhnisch beklagt und bespöttelt, während demgegenüber betont wird, dass die Deutschsprachigen durchaus bemüht waren, sich in der französischen Sprache zu verständigen. Ein anderer Zeitgenosse, der weniger scharf urteilt, hebt jedoch mit einiger Übertreibung ebenfalls die große Bereitwilligkeit der Deutschen hervor, die französische Sprache zu erlernen: Ueberdies fanden die Franzosen bei ihrer Ankunft schon viele, die von jeher die größte Vorliebe für sie gezeigt, die ihre Cultur, ihre Sprache und Sitten angenommen hatten, denen es schwer wurde, die Sache ihres Volks zu ihrer eigenen zu machen, und die es daher mitten in dem blutigen Kampfe für Freiheit und Selbstständigkeit nicht über sich bringen konnten, sie für Feinde anzusehen226 .
Bereits im Kapitel B II. (Spracherwerb) konnte deutlich gemacht werden, wie die deutschsprachigen Westphalen sich bemühten, die französische Sprache zu erlernen. Einige solcher Bemühungen machte der Autor der »Jeromiade« zum Gegenstand seiner spöttischen Verse, so bei seiner Beschreibung der Aufnahme Jérômes durch die Braunschweiger227 . Über den allgemeinen Umschwung zugunsten der französischen Sprache berichtet auch der zeitgenössische Marburger Historiker Johann Friedrich Ludwig Wachler, nicht allein für das Königreich Westphalen: Auch fingen Einige an, ihre herrliche, reiche, mannhafte, hochgebildete und hoher Fortbildung fähige Muttersprache zu verachten und zu vernachlässigen. Französisch lernten Alte und Junge; französisch sprechen und schreiben können, galt bey Vielen als höchste Empfehlung. Die flachen, schaalen Reimereien der Franzosen wurden mit Bewunderung von Leuten, die vornehm und geschmackvoll hießen, erhoben; und unsere vaterländische Dichter voll Kraft und Gehalt als Halbwilde herabgesetzt. In den Rheingegenden hörte der Reisende zu seinem Erstaunen mehr Französisch als Teutsch sprechen; und in den Unterrichts-Anstalten der ehrwürdigen Hanse-Städte an der Ostsee sollte auf höchsten Befehl die edle Muttersprache durch die französische verdrängt werden228 .
Wachler beanstandete vor allen Dingen, dass das Interesse für die französische Sprache bei den Deutschsprachigen mit der Missachtung der eigenen Sprache einherging. Ein Bericht des Präfekten des Leinedepartements, Friedrich Alexander Freiherr von Hövel an Siméon bestätigt die Offenheit der Deutschsprachigen für die französische Sprache, die von den Franzosen nicht erwidert wurde: Les Allemands conaissent assez generalement la langue et la littérature françoises – ils imitent les modes de cette nation et ses usages. Ils voïagent beaucoup en France, 226 227 228
WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 27. Vgl. SCHELLER, Jeromiade, S. 93, 159. [Johann Friedrich Ludwig WACHLER], Ernste Worte der Vaterlandsliebe an Alle, welche Teutsche sind und bleiben wollen, o.O. November 1813, zitiert nach: SPIES (Hg.), Die Erhebung gegen Napoleon, S. 344.
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et il n’y a pas peut-etre une assertion plus vraïe que celle que les principes ont fraïé le chemin aux François à l’influence qu’ils ont en Allemagne aussi bien que leurs armes. – j’ose donc dire que les Allemands jugent les françois avec le moins de prevention possible entre deux nations differentes. Les françois au contraire qui ignorent ordinairement l’allemand me paraissent plus sujets de juger les allemands moins equitablement: et je ne cacherai pas que c’est ça qu’on leur reproche le plus. Pour le reste les préjugés nationaux ne restent que rarement sans influence quelconque. Il est par exemple tres naturel que chaque nation desire de voir emploier chez elle le moins des etrangers poissibles. On ne se cache pourtant pas en Westphalie qu’on y a besoin d’un certain nombre des françois pour faire aller et introduire les formes françoises; et la remarque generale que les nations ne sont jamais jalouses des etrangers d’un merite reconu et distingué qu’on fait entrer chez elles, est encore un fois prouvée par les dispositions qu’on trouve chez nous229 .
Die Aufgeschlossenheit der Deutschsprachigen gegenüber der französischen Sprache kontrastiert in diesem Quellenzitat mit der Sturheit der Franzosen, die für gewöhnlich weder die deutsche Sprache beherrschten noch die Offenheit besaßen, sich in ihrer Begegnung mit Deutschen von nationalen Vorurteilen zu lösen. Nach Ansicht des Präfekten Hövel stellte die Beherrschung einer fremden Sprache, selbst in Grundzügen, einen wesentlichen Zugang zu einer anderen Kultur dar und denjenigen, die sich gegen das Erlernen einer anderen Sprache versperrten, blieb auch die dazugehörige Kultur unzugänglich. Wie Hövel, der vor der Anstellung von inkompetenten Franzosen in der Verwaltung warnt, beklagten sich Zeitgenossen über die Franzosen, die Ämter im neuen Verwaltungsapparat bekleideten, ohne dabei Anstrengungen zu zeigen, Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben230 . Auch die Historiker wissen über unzählige Franzosen zu berichten, die sich nicht einmal bemühten, Deutsch zu erlernen231 . Dass »die fremden Sprachen [von jeher] nicht die Liebhaberei der Franzosen« gewesen sind, wird für das revolutionäre Zeitalter in einem anderen Kontext als beständiges Merkmal beschrieben232 . Einige Beispiele können jedoch herangezogen werden, die dieses pauschale Urteil und die damit verbundene Beschränktheit der Franzosen abmildern. Der Staatsgefangene Becker berichtet über einen Franzosen, der mit ihm um die 20 bis 25 Verhöre in der Zitadelle in Magdeburg führte: Allein schon beym dritten oder vierten lebte in mir die Hoffnung wieder auf, daß meine Unschuld über die wider mich bey dem französischen Gouvernement ange229 230
231 232
GStA PK, V. HA, Nr. 1338, Bl. 25–30: Bericht von F. A. Freiherr von Hövel, Präfekt in Göttingen, Leinedepartement, an J. J. Siméon, 4. 8. 1808. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 30, 42; [MIERZINSKY], Erinnerungen, 1843, S. 54; Hellmuth, zitiert nach: CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 88 f.; Reinhard über Siméon, zitiert nach: THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 69 f. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 260; vgl. ferner KIRCHEISEN, König Lustig, S. 77, 86, 96; KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 36. LANG, K. Fr. Reinhard, S. 387 f.
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brachte Verläumdungen obsiegen könne: weil ich in meinem Inquirienten einen sehr rechtschaffenen Mann erkannte, der mit der strengsten Gewissenhaftigkeit in Beobachtung seiner Amtspflicht Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit verband, und dabey hinreichende Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur besaß, um den Gegenstand der Untersuchung im rechten Lichte zu sehen233 .
Beckers Vorstellungen stimmen mit den schon eben zitierten des Präfekten Hövel überein: Das Bemühen um sprachliche Verständigung in einer fremden Sprache war in den Augen der Zeitgenossen ein wichtiger Schritt hin zu gegenseitiger Verständigung und Achtung. Ein anderer Franzose, der seine Anstrengungen beschreibt, die deutsche Sprache zu erlernen, ist der bereits zitierte französische Sprachlehrer Devoluet. In seinem Brief, der durch seine Länge und Ausführlichkeit als Quelle den Rang eines Selbstzeugnisses verdient, bezeugt er viel Interesse am Erlernen der deutschen Sprache234 . Er bestätigt jedoch auch, dass das Französische in Kassel dominierte: »Au milieu de ces occupations j’avais appris l’Allemand, sans maître et d’une manière assez profonde. Je l’ecris mieux que je ne le parle. Je n’ai pu m’exercer dans une ville où tout le monde parle français«235 . Das Ungleichgewicht im Interesse für die Sprache der anderen ist ein Hinweis darauf, dass die französische und die deutsche Sprache nicht den gleichen Stand in der westphälischen Gesellschaft hatten und eine latente Sprachdominanz des Französischen über das Deutsche allgemein spürbar war. 2.10. König Jérôme und seine deutschen Sprachkenntnisse Ein Aspekt, der in Bezug auf das Sprachenverhältnis im Königreich Westphalen als äußerst negativ von den Zeitgenossen empfunden wurde, war die fehlende Beherrschung der deutschen Sprache durch das Staatsoberhaupt, König Jérôme selbst. Auf den Antrag auf Beibehaltung der deutschen Sprache durch einen Ausschuss von westphälischen Deputierten in Paris im Dezember 1807 erwiderte Jérôme, »wegen der Sprache wollte er, so schwer dies sei […], willfahren und er selbst würde binnen drei Jahren Deutsch lernen – was er nie wahr gemacht hat!«236 233 234 235
236
BECKER, Leiden und Freuden, S. 60. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 2300, Bl. 17 f.: Schreiben von Devoluet an J. C. von Leist, 24. 1. 1813. Ibid. Über die Dominanz des Französischen in Kassel schreibt Lyncker angesichts der zahlreichen französischen Einwanderer: »Kein Wunder, wenn man in der Residenz schon nach Verlauf eines Jahres außerhalb der Familienkreise fast mehr französisch als deutsch reden hörte«. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 88. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 10; vgl. ferner LYNCKER, Historische Skizzen, S. 82; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 73.
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C. Sprachbewusstein
Trotz seines Versprechens sollte er jedoch nie die Neigung verspüren, Deutsch zu erlernen. Dies wurde von seinen Untertanen durchaus wahrgenommen und erzeugte bei ihnen Unsicherheit und Verärgerung. In den Berichten einiger Verwaltungsbeamter über die öffentliche Meinung wird das Unbehagen der westphälischen Staatsbürger über die Verständigungsschwierigkeiten mit ihrem Monarchen regelmäßig wiedergegeben. Im Bericht des Präfekten des Werradepartements vom Juli 1808 heißt es explizit: On reconnoit généralement les bontés et les vues justes du Roi, et on manifeste le désir qu’il soit en rélation plus proche avec ses sujets; ce désir est occasioné par l’usage qui existoit jadis, que chaque sujet pouvoir s’adresser au souverain et démander une audience chez lui. Les gens du peuple se plaignent qu’ils ne pourront parler avec le Roi, faute de connaître la langue françoise237 .
Auch der Präfekt in Heiligenstadt meldete ähnliche Hoffnungen der Bewohner des Harzdepartements: ein Fürst aus ihrer Nation nicht so lieb gewesen, als ein französischer Prinz. […] Nur das bedauern die Unterthanen, daß sie demselben diese Gesinnungen nicht in ihrer Nationalsprache zu erkennen geben können; indessen sie sich der Hoffnung, diesen Wunsch in der folge erfüllt zu sehen, da die Meinung allgemein ist, daß Seine Majestät die deutsche Sprache erlernt 238 .
Gerade in diesem Bericht wird vermittelt, dass die Westphalen bereit waren, die neuen Herrschaftsverhältnisse zu akzeptieren und die französische Nation zu verehren. Ihr einziger Zweifel an der westphälischen Verfassung soll allein in den Verständigungsschwierigkeiten mit ihrem Staatsoberhaupt gelegen haben. Quellenkritisch muss dahingestellt bleiben, ob der Präfekt nicht den apolitischen Charakter seiner administrés forciert hat, um selbst einen guten Eindruck in Kassel zu hinterlassen. Wenn sich anfänglich die Kritik in der Form einer Sorge oder einer Hoffnung auf baldiges Erlernen der deutschen Sprache durch das Staatsoberhaupt äußerte, so wurde aufgrund der Nichteinlösung von Jérômes Versprechen die zeitgenössische Kritik immer lauter239 . Reinhard, der Vertreter des Kaiserreichs Frankreich am westphälischen Hof, soll geäußert haben: »Der König [hat] sich [nicht] damit beschäftigt […], sich die deutsche Sprache anzueignen, und verweigert ihr also ihren schönsten Triumph«240 . Napoleon scheint ebenfalls diese Ansicht geteilt zu haben, denn er ließ sei-
237 238 239 240
GStA PK, V. HA, Nr. 1338, Bl. 6–17: Bericht von G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an J. J. Siméon, 16. 7. 1808. Ibid., Bl. 36–45, Bericht von A. H. von Trott zu Solz, Präfekt in Heiligenstadt, Harzdepartement, an J. J. Siméon, Aug. 1808. Vgl. die bereits oben zitierte Predigt des Pfarrers Gundelach aus dem Jahre 1810: zitiert nach: ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 161 f. Reinhard, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 113.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
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nem Bruder im Jahr 1811 bestellen, er bedauere, dass Jérôme »sich nicht mehr verdeutsche«241 . Ein anderer Zeitgenosse, der Jurist Cramer, schreibt in seiner »Geschichte des Königreichs Westphalen« über den König Jérôme und seine Sprachkompetenzen: Die Rede des Königs [bei der Eröffnung der Reichsstände] ward mit der lebendigsten Bewegung und mit allgemeinen Beifall aufgenommen (ob sie gleich von dem Drittheil der Repräsentanten verstanden wurde; denn sie ward, da der König der Deutschen Sprache nicht mächtig war, und die Sprache seines Volkes nie zu lernen sich die Mühe gab, in Französischer Zunge gesprochen)242 .
Die Kritik am König trifft hier sicherlich auch die beifallgebenden Vertreter der Reichsstände, die der unverstandenen Ansprache zugejubelt haben sollen. Rückblickend wurde jedoch in erster Linie König Jérôme zur Last gelegt, er habe sich um den Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen nicht ernsthaft bemüht. Dieses Urteil über ihn avancierte gar in der Memoirenliteratur, die nach 1813 erschien, zum Topos. Es ist auch wieder Cramer, der die fehlende Nähe zwischen Monarch und Untertanen im Zuge der Harzreise des Königs von 1811 unter anderen auf die »Unkunde der Sprache« zurückführt: Der Weg gieng über Göttingen, Salzgitter, Braunschweig, Blankenburg, Halberstadt, Magdeburg, Halle, Nordhausen, zurück nach Napoleonshöhe bei Cassel, wo der König den 25sten wieder eintraf. Bewillkommnungsreden und Aufzüge, Illuminationen usw. Doch nirgend fand man eine Spur von dem schönen Wunsche der wechselseitigen Annäherung des Regenten und der Unterthanen; jede vortheilhafte Wirkung der Anwesenheit des Königs wurde vernichtet unter dem Gewirr des zahlreichen Gefolges, durch die Unkunde der Sprache, durch die Gesetze der Hofsitte, durch das aus denselben hervorblickenden Mißtraun und durch die Eile der Reise243 .
Kritisch zeigt sich auch Scheller in seinen Versen, obgleich er über Ausbrüche des Königs in deutscher Sprache durchaus zu berichten weiß: So fuhr Herr Jerum frisch darein, Indem er von sich weg ihn stiess: ›Sweik, icke wille nickes wiss’, ›Denn icke lustik lebe will! So sprach Herr Jerum oft und viel Und’s horcht’ mit Lust aufs Hohoho! Der König aus Ajaccio244 .
Über den selbstgewählten Spitzname des Königs Jérôme, König »Lustig«, kann vielerorts nachgelesen werden. Ihm wird, humorvoll wie er war, fol241 242 243 244
Reinhard, zitiert nach: KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 438. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 86. Ibid., S. 97 f. SCHELLER, Jeromiade, S. 184 f.
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C. Sprachbewusstein
gender Spruch zugesprochen: »›Lustig aujourd’hui‹, disait-il parfois en prononçant ›loustic‹, ›lustig demain, lustig toujours‹«245 . Dass Jérôme sich wegen einer der wenigen deutschsprachigen Floskeln, die er beherrschte, den Spitznamen verdiente, erwähnt auch Kircheisen: »Zu den wenigen Brocken, die Jerome von unserer Sprache angenommen hat, gehört das Wort ›Lustig‹ oder wie man es französisch ausspricht ›Loustic‹. Er führte es gern im Munde, und deshalb hat man ihn im Volksmund ›König Lustig‹ getauft«246 . Das Thema des Umgangs Jérômes mit der deutschen Sprache zeigt sich durchgehend als besonderer Kristallisationspunkt der Meinungen über ihn: Scheller geht in seinen Versen dazu über, Jérôme doch deutsche Aussprüche anzudichten. So lässt er ihn einige Brocken Deutsch sprechen, als er auf den Spruch eines »Hexenmeisters« reagiert, den dieser in lateinischer Sprache gesprochen hatte247 : ›Was spräk sie da?‹ hob Jerum an. O wie erschrak der Zaubermann, Als hier ging betteln seine Kunst! Doch fast’ er sich, und sprach: ›Mit Gunst, ›Ich las nur her ein Zauberspruch. […] Er sprachs, und reicht’ den Becher dar, Den Jerum nahm, obgleich er zwar Nur wenig von der Sprach’ verstund, Und satzt’ den Becher an den Mund248 .
Der Jérôme, den Scheller 1814 beschreibt, spricht die deutsche Sprache nur rudimentär und überrascht damit seine Untertanen, die nicht einmal davon ausgingen, ein Hörverständnis des Deutschen bei Jérôme vorzufinden. Des Weiteren gibt der Autor eine Unterredung zwischen dem König und seinem Leibarzt in Braunschweig zum Besten, als seine Jérômefigur sich im Schloss zu Braunschweig von Geistern verfolgt glaubt: Und mit ein’m Ach und O begann Ein’ Welsche Zwiesprach’ alsodann, Die mit viel Wunderns mächtig gross Zuletzt auf Deutsch also sich schloss: 245 246
247 248
FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 124. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 96. Interessanterweise wird in französischen Herkunftswörterbüchern zu »loustic« meist erwähnt, dass der Ausdruck seit 1762 vom Deutschen, wahrscheinlich von den schweizerischen Regimenten, wo der »lustig« ein »bouffon« – Possenreißer – war, ins Französische übernommen wurde. Damit hat die Bezeichnung nicht alleine eine wortwörtliche Bedeutung; auch die abgewandelte Bedeutung im Französischen trifft auf den Charakter zu, der Jérôme allgemein zugesprochen wird. Es ist nicht mehr auszumachen, ob das Spöttische im doppelten Sinn, das durch die Verwendung des Spitznamens König Lustig erzeugt wurde, auch der Bevölkerung bewusst war. Ein Nebenprodukt der vorliegenden Untersuchung: PAYE, »loustic«. Vgl. SCHELLER, Jeromiade, S. 193 f. Ibid., S. 194, 196.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
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›O grosser König, eile fort ›Mit mir aus diesem Geisterort! […] ›Top! Sprach Jerom, du bist mein Mann, ›Ich nehm’ dich zu mein’m Leibarzt an249 .
Herausragend scheinen die deutschen Sprachkenntnisse des Königs in Schellers Vorstellung nicht gewesen zu sein. Die Bemühung, Jérôme deutsch sprechen zu lassen, rührt möglicherweise von den gleichen Sorgen und dem gleichen Unverständnis her, wie es die Westphalen den Berichten der oben genannten Präfekten zufolge zeigten, weil ihr Monarch kein Deutsch zu erlernen vermochte. Bei Scheller erscheint bemerkenswert, dass Jérôme Deutsch in einer recht umgangssprachlichen Variante spricht: möglicherweise ein verdeckter Hieb auf Jérômes soziale Herkunft. Während die »kleinen Leute« die Möglichkeit des direkten Austausches durch Audienz bei ihrem neuen Monarchen vermissten250 , bedauerten ihrerseits die zeitgenössischen Gelehrten und Historiker, dass Jérôme dadurch wichtige deutschsprachige literarische Meisterwerke entgingen: »Jerome selbst lernte nicht deutsch, wie wir oben schon einmal berührt haben; also werden ihm persönlich wohl auch die Schriften Göthes fremd geblieben sein«251 . Und »daß der König dieses im Herzen Deutschlands gelegenen Landes selbst die Sprache seiner Untertanen nicht verstand«, kann Losch auch nicht einleuchten252 . Der Topos des faulen Königs Jérôme, der kein Deutsch lernen wollte, ist in der Historiographie zum Königreich Westphalen gut vertreten: Wie er selbst einmal sagte, fühlte er sich ganz als Franzose und haßte die Deutschen und Deutschland und dachte wohl aus diesem Grunde und, da er faul war, nicht dran, Deutsch zu lernen, wie er es doch vor Übernahme der Herrschaft versprochen hatte253 .
249
250
251 252 253
Ibid., S. 197–199. Als Leibärzte Jérômes waren zum einen der Franzose Jean Garnier und zum anderen Abraham Zadig tätig. Hier wird wahrscheinlich Letzterer gemeint sein. Vgl. AN Paris, BB11 68, Demandes d’autorisations pour entrer ou rester au service des puissances étrangères, décret du 26. 8. 1811, Royaume de Westphalie, Henry-Coll, Dossier Garnier; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 132; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 57; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 59; LOTZE, A. T. Zadig. Gleichwohl demonstrierte Jérôme durchaus Volksnähe: Er hielt pompöse Begnadigungszeremonien ab und begab sich auch unter seine Untertanen, wie in Marburg oder bei seiner Harzreise. Außerdem setzte er sich für die Öffnung der königlichen Parkanlagen um Schloss Napoleonshöhe für die Öffentlichkeit ein. Vgl. Kapitel B III. (Bittschriften). GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 148. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 51. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 96.
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C. Sprachbewusstein
Sicherlich wurde nicht allein Jérôme angelastet, kein Deutsch gelernt zu haben. Anderen hohen Persönlichkeiten der westphälischen Herrschaft wurde dies auch zum Vorwurf gemacht: »König Jerome und manche der höchsten Staatsbeamten [waren und blieben] des Deutschen gänzlich unkundig […] – weder Jerome noch ein Siméon, Eblé usw. habe sich die geringste Mühe gegeben, das Deutsche zu erlernen«254 . In dieses Urteil stimmt auch Kircheisen mit ein: »Ebensowenig wie der König daran dachte, Deutsch zu lernen und sich mit deutschem Wesen zu befreunden, hielt es auch seine Umgebung für nötig, sich der Sprache des Landes zu bedienen«255 . Hier wird der fehlende Vorbildcharakter des Monarchen kritisiert. Über Siméon schreibt der westphälische Zeitgenosse Cramer: »So sprach Simeon zu den Reichsständen, deren Mehrzahl, da er in Französischer Sprache redete, gewiß nicht einmal den vollen Sinn der gleißnerischen Worte verstand; und schied dann in Glanz und Pracht aus der aufgehobenen Versammlung«256 . Über die Sprachwahl vor den Reichsständen oder im Staatsrat, die auf Französisch fiel, unter anderem weil der König kein Deutsch sprach, haben viele Zeitgenossen ebenfalls zurückhaltende Kommentare abgegeben. Ein Historiker schreibt kritisch: »Im Staatsrat wurde nur Französisch gesprochen, und ein jeder, und wenn er auch noch so alt war, musste sich bemühen, sich in der fremden Sprache auszudrücken«257 . Persönlichkeiten wie der Innenminister Wolffradt, deren Erstsprache Deutsch war, empfanden es zum Teil hemmend258 , dass im Staatsrat Französisch gesprochen wurde259 . War diese Hemmschwelle einmal überwunden, war die Kommunikation jedoch deswegen nicht schlechter: Der König von Westphalen verlangte, dass man während der Deliberation frei und unumwunden reden solle. Dieses bediente ich mich dreist, sowie mancher Andere. Viel hatten wir Deutsche gegen uns; größtentheils ungewohnt, in einer so bedeutenden Versammlung in Gegenwart des Regenten, zu reden, und das in einer fremden Sprache, die den Wenigsten geläufig war, zumal die französische Geschäftssprache und das Alles vis-à-vis von französischen Ministern […]. Dennoch hörte der König uns gerne, frug, wenn er uns nicht völlig verstand, bestimmter uns unsere Meinung ab, und sicher oft trugen wir den Sieg davon. Wenn ich einmal in einer Angelegenheit, die nicht zu meinem Ressort gehörte, nicht sprach, so forderte der König mich ausdrücklich dazu auf; er glaubte, dass ich einiges Talent besäße, ihm die Sache in der Kürze klar und deutlich vorzustellen260 .
254 255 256 257 258 259 260
THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 86. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 173. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 86. Vgl. [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 65. Vgl. KLEINSCHMIDT, Die Eltern, S. 274. [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 65 f.
2. Von der Sprachdominanz des Französischen
427
Mit diesen Ausführungen zeichnet Wolffradt das Bild eines verständnisvollen und um Kommunikation bemühten Königs und mildert damit sein Bild eines an der deutschen Sprache Desinteressierten. Sicher muss quellenkritisch dahingestellt bleiben, ob Wolffradt die eigenen Möglichkeiten der Einflussnahme auf den König im Rahmen der Diskussionen des Staatsrats nicht übertreibt. Aber auch der Staatsrat Heister bestätigt das Bild eines einfühlsamen und geduldigen Jérôme gegenüber den sich schwerfällig in französischer Sprache artikulierenden Staatsräten: Der König habe jederzeit den Vortrag der Redner im Staatsrate mit Aufmerksamkeit angehört, auch wenn dieser wegen der mangelnden Übung in der französischen Sprache etwas schwerfällig geworden sei. In solchen Fällen habe Jerome selbst den Redner ermahnt, sich Zeit zu nehmen, weil von geborenen Deutschen eine vollkommene Fertigkeit in jener Sprache nicht zu verlangen sei 261 .
Nach Aussage eines anderen Zeitgenossen kann von der mangelnden Bereitschaft Jérômes, die deutsche Sprache zu erlernen, durchaus nicht auf dessen Einstellung zu den Deutschen im allgemeinen geschlossen werden: Ganz mit Recht macht man dem König den Vorwurf, daß er es nicht der Mühe wert gehalten hat, Deutsch zu erlernen, obgleich er den Deutschen in allem den Vorzug gegeben. Fast alle Franzosen aus seiner nächsten Umgebung entfernte er. Selbst die Kränkung durch Dörnberg brachte ihn nicht von den deutschen Kavalieren zurück, und er würde dies noch mehr getan haben, wenn ihm nicht vom Kaiser von Zeit zu Zeit Franzosen zugeschickt worden wären, und diese musste er behalten. Eine Ausnahme bildet allein der Graf Fürstenstein, früher Le Camus. Er aber hat sich durch seine Vermählung mit einer Gräfin Hardenberg völlig naturalisiert und ist auch später stets in Deutschland geblieben262 .
Wie weit Jérôme in seinen alltagsbezogenen deutschen Sprachkompetenzen tatsächlich gekommen ist, lässt sich nicht mehr ausmachen. Bei allen zeitgenössischen Kommentaren zu seinen geringfügigen oder nichtexistenten deutschen Sprachkenntnissen wird jedoch deutlich, dass den Westphalen dieses Thema wichtig war. Viele der Memoirenschreiber hatten offensichtlich erwartet, der König werde sich um den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse bemühen – und wurden darin enttäuscht. Dies zeugt davon, dass es im Königreich Westphalen nicht gelang, ein Gleichgewicht zwischen den zwei Hauptsprachen herzustellen. Die Westphalen mussten im Laufe der westphälischen Herrschaft am Beispiel ihres Königs erfahren, dass das Erlernen der deutschen Sprache nicht so bedeutsam war wie das Erlernen der französischen Sprache. Indirekt reflektierte die Lebensweise des Königs eine ablehnende Haltung gegenüber der deutschen Sprache, die für die Zeitgenossen eine Dominanz des Französischen über das Deutsche nahe legte. So wurden überspitzte Urteile von Historikern möglich, wie dasjenige von Lyncker: 261 262
THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 89. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 30.
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C. Sprachbewusstein
Ein so wunderbares Bild, als die Straßen von Cassel, der Hauptstadt des tapfern Kattenstammes, in dieser Zeit darboten, konnte kaum in Träumen übertroffen werden. Ein fremdes Volk, das anders sprach und anders dachte, das anders fühlte, anders liebte, anders sang und anders tanzte, tummelte sich dominirend darin umher263 .
3. Von Sprachbarrieren und sprachlich bedingten Konfliktsituationen Wie schwerwiegend bei der beschränkten Anzahl an deutsch-französischen Zweisprachigen mit ausgeglichenen Sprachkenntnissen die Sprachbarrieren für die Kommunikation in der westphälischen Gesellschaft insgesamt waren, lässt sich nur annähernd rekonstruieren. Allerdings wird bei einigen überlieferten Ausnahmesituationen deutlich, dass die deutsch-französischen Sprachbarrieren von dramatischer Folge sein konnten, wie sich beim Brand des landschaftlichen Hauses in Hannover am 8. Januar 1809 zeigte: »durch die zwischen den löschenden Bürgern und dem französischen Militair, wegen Unkunde der Sprache, gleich Anfangs vorgefallenen Unordnungen, [wurde] dem Feuer bedeutenden Vorschub [gegeben]«264 . Auch beim Schlossbrand in Kassel am 23. November 1811 begünstigten die Verständigungsschwierigkeiten die Ausbreitung des Feuers. Quellenkritisch könnte jedoch offen gelassen werden, ob nicht die vermeintlichen Verständigungsschwierigkeiten für den Raub von königlichen Gütern herhalten mussten, der beim Schlossbrand verstärkt zu beobachten war265 . Wenngleich weniger dramatisch als bei Naturkatastrophen oder Bränden, stellten sich die Sprachbarrieren dennoch auch in anderen Angelegenheiten als entscheidender Störfaktor dar. Für den demokratischen Ablauf der Diskussionen und Stimmenabgaben im Parlament hatten die Sprachbarrieren hemmende und negative Auswirkungen. Der Jurist Cramer berichtet über die Reaktion eines Mitglieds der Reichsstände: Ein Mitglied der ständischen Versammlung gestand nämlich, dass er von allen den dort [in französischer Sprache] gehaltenen Reden und vorgeschlagenen Gesetzen nichts verstehe, dass er aber wohl ahnde, die getroffenen Maaßregeln führten zum Unglück des Landes. Um nun von seiner Seite das Gewissen rein zu erhalten, höre
263 264 265
LYNCKER, Historische Skizzen, S. 84. [MIERZINSKY], Erinnerungen aus Hannover, 1843, S. 53. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 62; vgl. HEPPE, Das Schloß der Landgrafen von Hessen, S. 291. Eine Fallstudie über die Auswirkungen und die Thematisierung des Schlossbrandes wäre interessant, da der Verlust dieses deutschen Kulturguts sich teilweise in einer national konnotierten Berichterstattung niederschlug und zudem durch eine darauf folgende Umzugskette in Kassel die Miet- und Besitzverhältnisse der Kasselaner durcheinander brachte.
3. Sprachbarrieren
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er nach dem, was gesprochen und verhandelt würde, gar nicht hin, sondern gebe ein für alle mal eine verneinende Kugel bei der Stimmensammlung266 .
Die Strategie dieses Reichsständemitglieds, wegen des sprachlichen Unverständnisses sicherheitshalber kategorisch alles abzulehnen, wirkte sicher ernüchternd für die Ausübung der konstitutionellen Monarchie, die das Königreich Westphalen zu sein anstrebte – eine Schlussfolgerung, die Cramer, quellenkritisch gesehen, geneigt war, seinem Leser vorzuschlagen267 . Auf der Suche nach Situationen, in denen die Sprachbarrieren von Bedeutung waren und negative Auswirkungen hatten, fallen jedoch nicht nur die deutsch-französischen Sprachbarrieren auf. Die innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft existierenden Sprachbarrieren scheinen ebenfalls beachtlich gewesen zu sein. Der westphälische Fahnenflüchtige Johann Friedrich Ruthe aus Hildesheim verlief sich beispielsweise in der Gegend bei Bernburg, wo er eigentlich den Weg zur Elbe und dann nach Berlin finden wollte, weil er die Leute, die er nach dem Weg fragte, schlicht nicht verstehen konnte268 . Ähnlich erlebten es Bauern, die 1809 von ihren Verbündeten mit der Verantwortung für einen Aufstand allein gelassen wurden: Le chef des cuirassiers, qui avait jugé opportun d’attendre le résultat de la rencontre pour se lancer dans la bagarre, fut invité à ramener son détachement au régiment, tandis que les paysans criaient, dans leur patois, inintelligible pour tout le monde, que les cuirassiers étaient leurs complices et qu’il fallait les arrêter aussi 269 .
Ihre Versuche, gerecht behandelt zu werden, fanden kein Gehör, weil sie aufgrund ihres Dialektes nicht verstanden wurden und man deshalb ihren Protest einfach ignorieren konnte. Die hohe Relevanz dieser innerdeutschen Sprachbarrieren betont auch der Historiker Brakensiek in seiner Untersuchung über lokale Beamte in niederhessischen Kleinstädten. Zu den Voraussetzungen für eine geglückte Kommunikation zwischen den einzelnen Dorfvorstehern und Amtmännern zählt er auf: »Dazu war es erforderlich, dass beide Seiten sich ernsthaft be266
267
268 269
CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 229. Über eine ähnliche Abwehrstrategie von zwei Bauern aus den Werra- und Saaledepartements, die aufgrund ihres sprachlichen Unverständnisses der Gesetzesvorlagen systematisch eine verneinende Kugel bei Abstimmungen abgaben, berichtet Thimme. In dieser Anekdote, die in der »Minerva« erschien, könnte allerdings Propaganda gegen den Parlamentarismus im westphälischen Staat und gegen die französische Sprache erkannt werden. Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 94. Zum Mitspracherecht der Reichsstände vgl. u.a. OWZAR, Schlendrian, S. 305. Über die Arbeitsweise der westphälischen Repräsentativvertretung vgl. HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus, S. 139–146; KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 28. Vgl. RUTHE, Auf der Flucht vor den Strickreitern, S. 45. FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 138.
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C. Sprachbewusstein
mühten, die sprachlichen und mentalen Barrieren, die sich zwischen Bauern und Gebildeten erhoben, zu überwinden«270 . Tatsächlich häufen sich in den zeitgenössischen Schriften die Angaben über die auf deutschen Territorien vorzufindenden Dialekte271 . Über das Trugbild eines homogenen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation mit einer Einheitssprache Deutsch urteilt der Autor der »Humoristischen Reise«, Nicolai, ironisch: Schon [bald] wirst Du die grobe Lüge des ›reich‹ zugestehn; noch gröber aber erscheint die Lüge, wenn Du Deutschland als ›ein Reich‹ betrachtest. Unter ›Reich‹ verstehe ich nemlich eine Einheit. Findest Du diese aber im deutschen Reich? – Auf meinen Reisen durch Deutschland traf es sich einmal, dass ich an einem Tage, ehe ich noch Nachtquartier genommen hatte, die Ländchenzippel von fünf verschiedenen deutschen Potentaten passirte, und mit einer Gießkanne hätte man in fünf Landen den Wunsch um Regen aufheben können. Ich fand da fünf verschiedene Uniformschnitte, die Kokarden nicht zu vergessen, fünf verschiedene Dialecte, fünf verschiedene Geldcourse, fünf verschiedene Arten von Großprahlerei und Verhöhnung des Nachbars, und fünf verschiedene, jedoch unschädliche, politische Systeme ohne Basis. Hiernach also ist Deutschland wohl eben so wenig ein Reich, als die Ruinen von Herkulanum und Pompeji Städte sind272 .
Die Dialekte werden neben anderen Faktoren als eine Komponente dargestellt, die der Einheit des Reiches zuwiderlief. Von dieser Satire über die Reichsgedanken einiger seiner Zeitgenossen zum Plädoyer für die Etablierung einer Nationalsprache sind es nur wenige Schritte. Nuanciert werden muss diese Aussage wiederum durch den Befund, dass sprachliche Verständigungsschwierigkeiten nicht immer als problematisch empfunden wurden. An einer anderen Stelle seiner »Humoristischen Reise« schildert der Autor eine gelungene Kommunikationssituation, die über Gebärdensprache zustande kam273 . Im Gegensatz zu dem, was der Deserteur Ruthe erlebte, wurden sprachliche Verständigungsschwierigkeiten nicht zwangsläufig als Mobilitätshindernis an sich erfahren. Das Beispiel des schon erwähnten Matrosen Williams zeigt dies deutlich: Er zog, ohne ein Wort Deutsch oder Französisch zu sprechen, auf der Suche nach einer Hafenstadt durch Deutschland, wo er Arbeit zu finden hoffte. Seine Verständigungsschwierigkeiten stellten für ihn weder ein Mobilitätshindernis noch ein maßgebliches Handicap dar274 . 270 271 272 273 274
BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 347. Vgl. HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 44 f.; HILARIUS, Humoristische Reise, S. 116; SCHELLER, Jeromiade, S. 186 f., 204, 297. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 15 f. Vgl. ibid., S. 127. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 717–10 735, hier Nr. 10 719: Schreiben Nr. 586 P. G. von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 15. 3. 1813; ibid., Nr. 10 720: Vorbemerkung vom Polizeikommissar Müller zum Verhör von J. Williams, 14. 3. 1813.
3. Sprachbarrieren
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Bevor auf die Konfliktsituationen, die unmittelbar sprachlich bedingt waren, eingegangen wird, sollte erwähnt werden, wie kulturelle oder sozial bedingte Unterschiede zwischen Personen über die Sprachen hervorgehoben und betont werden konnten. Dies kann anhand einer Anekdote aus den »Erinnerungen« eines zeitgenössischen Hannoveraners veranschaulicht werden. Er berichtet über die Gesellschaften, die General Louis-Alexandre Berthier, der napoleonische Vertreter in Hannover vor der Übernahme des Hannoverschen durch das Königreich Westphalen, auf dem dortigen Schloss veranstaltete: »[Sie] wurden besonders gemieden und fast nur von zweideutigen Frauenzimmern besucht«275 . Über das Auftreten eines solchen »zweideutigen Frauenzimmers« gibt er belustigt einen Wortwechsel zwischen der Dame und einem Diener wieder: »Als eine von diesen bei der Tafel einst von einem alten zur Aufwartung befohlenen Hoflakai verlangte: ›Donnez-moi une cuillère‹, antwortete dieser: ›Ach! Sie kann ok mit de Furschette freten‹«276 . Die schlagfertige Entgegnung des erfahrenen Hoflakaien in seinem Hannoverschen Dialekt auf die affektiert französisch redende Dame deutscher Erstsprache lässt ahnen, wie viele Möglichkeiten den Zeitgenossen offen standen, Konflikte durch einen abrupten und/oder dialektalen Sprachwechsel oder einen Wechsel zu einem anderen Soziolekt zu regeln. Der Hoflakai antwortete auf Deutsch unter Verwendung eines französischen Fremdworts und zeigte sich gegenüber der Dame auf diese Art herablassend: Er bedeutete ihr indirekt, wie lächerlich es sei, ihn auf Französisch anzureden, da er selbst Französisch in seinen Grundzügen beherrsche und ihre Tischmanieren zu ihrem beabsichtigten stilvollen Auftreten nicht passen würden. Das Ganze erhielt durch den gewählten Soziolekt – »freten« für »fressen« statt dem neutralen Wort »essen« – sowie den Dialekt den Charakter einer rüden Zurechtweisung, die seine grundsätzliche Missachtung des getadelten »Frauenzimmers« verriet, womöglich wegen dessen Anwesenheit am Tisch des französischen Herrschaftsvertreters. Der Gegensatz zwischen dem Hoflakai und der Dame spiegelt sich in ihrem Austausch wider. Der latente Konflikt wurde durch die Sprachwahl deutlich und kam sprachlich in aller Knappheit des Wortwechsels zum Ausbruch. Die Wiedergabe der Anekdote durch Hausmann suggeriert zumindest diese Interpretation. Die Sprachfronten im Königreich Westphalen verliefen nicht eindeutig, wie vielleicht auf den ersten Blick zu vermuten ist, zwischen zugewanderten französischsprachigen und einheimischen deutschsprachigen Westphalen. Eine solche vereinfachende Sichtweise würde unter anderem die zahlreichen regionalen Dialekte übergehen. Das Gebiet des Königreichs Westphalen 275 276
HAUSMANN, Erinnerungen, 1873, S. 44. Ibid., S. 44 f.
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C. Sprachbewusstein
war schließlich so weiträumig, dass die Existenz zahlreicher innerdeutscher Sprachbarrieren für die Untersuchung relevant ist 277 . Die sprachlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen in der westphälischen Gesellschaft richteten sich nicht unbedingt nach den nationalen Sprachgemeinschaften. Mancher in seinem Dialekt sprechende Bauer musste eher damit rechnen, von seinen deutschsprechenden Mitbürgern nicht verstanden zu werden als diejenigen Franzosen, die in sechs Jahren westphälischer Herrschaft kein Wort Deutsch lernten und sich auf die französische Sprachkompetenzen der höfischen Kreise aus vorwestphälischer Tradition verlassen konnten. Es liegt die Vermutung nahe, dass die regionalen Sprachbarrieren in der Alltagspraxis einen weitaus bedeutenderen Anteil darstellten als die Barriere zwischen französischen ›Muttersprachlern‹ und französischsprachigen deutschen Muttersprachlern. Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen, wie Sprache und Sprachwahl zum Konfliktauslöser werden konnten. Die Sprachverständigungsschwierigkeiten sollen dazu beigetragen haben, dass die Hannoveraner sich gelegentlich widerspenstig verhielten, was ihre Einquartierungspflicht von französischem Militär anging: »Ein Teil der Misshelligkeiten mag auch auf die Schwierigkeit der Verständigung zwischen den Hannoveranern und den fremdländlichen Soldaten zurückzuführen sein«, schreibt Thimme und zieht zum Vergleich das Beispiel von Lüneburg heran, wo eine bessere Verständigung gewährleistet war und damit auch weniger Konflikte entstanden278 . Wie bereits im Zusammenhang mit den privaten Bemühungen der Westphalen um französischen und später russischen Spracherwerb festgestellt werden konnte, erkannten die Deutschen, dass zur Vermeidung von Verständigungsschwierigkeiten und zum friedvollen Auskommen mit den Franzosen oder mit den Russen die Aneignung der jeweiligen Sprachen gehörte. Ohne dass man sich Lynckers Schlussfolgerung anschließen muss, erscheint seine Feststellung eines Ungleichgewichts zwischen den Sprachgemeinschaften trotz der Übertreibung im Kern doch richtig: Den Franzosen fiel es gar nicht ein, Deutsch zu lernen; auch wagte Niemand sich zu erbieten, denselben Unterricht in der deutschen Sprache zu geben, während die maîtres de langue française sich zu Dutzenden ankündigten und die Buchhandlungen fast nur noch alte und neue Erzeugnisse der französischen Literatur offerirten. So bequemten sich denn die Deutschen, französisch zu lernen, da die Franzosen, trotz des königlichen Versprechens, nicht Deutsch lernen mochten. Mit dieser friedfertigen Lösung des Sprachconflictes allein war jedoch das Glück Westphalens noch nicht gegründet 279 . 277
278 279
Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 23; THIMME, Die hannoverschen Aufstandspläne, S. 283; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 86; HENNE, Innere Mehrsprachigkeit; ULBRICH, Die Bedeutung der Grenzen, S. 156. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 394. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 84 f.
3. Sprachbarrieren
433
Wie gestaltete sich nun konkret das Zusammenleben der französischsprachigen Einwanderer und der deutschsprachigen Einheimischen in Streitfällen, selbst wenn letztere mehrsprachig oder geneigt waren, sich an die neuen Herrschaftsverhältnisse anzupassen? 3.1. Deutsche und französische Sprachgemeinschaften in Kassel In vier Stationen soll im Folgenden das Zusammenleben der deutschen und französischen Sprachgemeinschaften mit besonderem Fokus auf Kassel untersucht werden. Zu Anfang soll die Frage nach der Präsenz und der Akzeptanz der französischen und der deutschen Sprache zur königlichen Bibliothek führen. Von dort aus wird ein Einblick in das Theaterleben und insbesondere in die Streitkultur der deutschen und französischen Zuschauer im Théâtre royal genommen. Als weitere Lebenssphäre werden die westphälischen Behörden behandelt sowie die Umsetzung beziehungsweise Abweichung von der Sprachregelung von 1809. Als letzte Station wird dann der Hofgesellschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. 3.1.1. Streit um die Sprache der Bücher in der königlichen Bibliothek Der anonyme Autor der Pasquille »Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen« berichtet über den angeblichen Ausbruch des Registrators der Kasseler Bibliothek gegenüber einem employébei der Generaldirektion der kaiserlichen Domänen, Thannenberg, der zu einer Denunziation führte. Der Dissens entfachte sich über die Proportionen der französisch- und deutschsprachigen Literatur im Bestand der Bibliothek: Der Registrator, ein Teutscher, [Herr Enzeroth], soll sich nemlich an den Kaiserl. französischen Schreiber, [Herr Thannenberg], der ein bestimmtes Buch von ihm verlangte, mit folgender unerhörten Antwort versündt haben: ›Mein Herr! Wir haben hier nur teutsche Bücher, wird sind Teutsche hier, hier giebt es keine französischen Bücher‹. Darüber wurde denunziirt und – Enzeroth kann noch von seltener Rechtspflege, von großem Glücke sagen – zwei Mal ein Protokoll aufgenommen. Der Beklagte läugnete es aus dem Grunde, dass er sich lächerlich würde gemacht, und sich selbst widersprochen haben, weil die Bibliothek weit mehr französische, als teutsche Bücher enthielte. Doch wäre er damit nicht losgekommen, wenn der Herr Bibliothekar Murhardt in dem ihm abgeforderten Berichte – ein Beweis, dass man dem Hrn. Enzeroth zu Leib und Brode wollte, nicht zu seinem Vortheil gesprochen, und unter andern ihm nicht das Zeugniß gegeben hätte, dass er nichts weniger als verdächtig oder gefährlich wäre. Hierauf wurde die Klage erst ad Acta geschrieben und die ganze Sache unterdrückt 280 .
280
ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 169 f.
434
C. Sprachbewusstein
Wenn der Bericht zutrifft, entsprang möglicherweise der Ärger des denunzierten Enzeroth dem Sachverhalt, dass die Literatur im Allgemeinen kaum zu den Bildungsstützen der neuen Kasseler Hofgesellschaft zählte281 . Reinhard soll auch Goethe gemeldet haben: Im Uebrigen gehe es uns hier gut genug. Der Kaiser ist, der König scheint mit mir zufrieden. Von der Literatur lebe ich hier ziemlich abgesondert. Für den alten Kurfürsten standen seit der Revolution Bücher in einer Kategorie mit runden Hüten und Pantalons, und an unserm jungen Hof ist der Refrain: ›Nous ne lisons guères‹282 .
Jérôme wurde sogar nachgesagt, als einziges Buch in seinen sieben Jahren in Kassel die Memoiren einer Maitresse Ludwigs XIV. aus der königlichen Bibliothek ausgeliehen zu haben. Es soll außerdem überlegt worden sein, die königliche Bibliothek in einen Tanzsaal umzuwandeln, mit multifunktionalen Seitenkämmerchen, ganz dem schlechten Leumund des westphälischen Hofes entsprechend. Der hessische Gelehrte Ludwig Völkel berichtet darüber: Die Bücher wollte man mit Tapeten bedecken, aus den Abteilungen oben und unten, wo die Säulen stehen, kleine Zimmer machen. Wirklich nahm der Schreiner schon die Masse; die edlen Hofherren schritten auf und ab die Länge und Breite. Einer sogar, welcher wissen wollte, was in dem mathematischen Saale neben der Bibliothek wäre, fragte, ob die Instrumente nicht in der Küche zu brauchen wären283 .
Bemerkenswert erscheint hier, wie das Bildungsdefizit der französischen Einwanderer in ihrem Umgang mit der königlichen Bibliothek hochstilisiert wird. Der Plan einer Umwidmung der Bibliotheksräume zu geselligen Zwecken wurde nicht ausgeführt, doch im Zusammenhang mit den Umbauarbeiten für das Ständepalais sollen dennoch viele Bücher gelitten haben: »Fingerdick bedeckte der Staub die auf der Erde liegenden Bücher«, und die Maurer richteten im Bibliothekssaal die Steine her284 . Bücher wurden nicht zuletzt im entstehenden Chaos entwendet 285 . Diese entrüsteten Ausführungen von Zeitgenossen und Historikern in ihrem Gefolge legen nahe, dass es um viel mehr ging als um eine Konkurrenz zwischen französisch- und deutschsprachiger Literatur in Bezug auf die Bibliothek und die Literatur: Nämlich, dass unter der westphälischen Herrschaft diametral entgegengesetzte Vorstellungen von Bücherpflege und vom Umgang mit Bildungsgütern aufeinanderprallten. Der soziokulturelle Kontrast zwischen den Gebildeten unter den Kasselanern und einigen arrivierten bildungslosen 281 282 283 284 285
THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 316 f. Reinhard, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 146. DUNCKER (Hg.), Eines hessischen Gelehrten Lebenserinnerungen, S. 273. Ibid., S. 280; vgl. S. 281. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 319. Weiterführend zum Thema Kunstraub vgl. u.a. Die Beraubung des Museums zu Kassel; WESCHER, Kunstraub; SAVOY, Patrimoine annexé.
3. Sprachbarrieren
435
französischen Zugewanderten durchzieht alle überlieferten Anekdoten über die königliche Bibliothek286 . Bezüglich der polizeilichen Ermittlung gegen Enzeroth lässt sich nicht eindeutig sagen, ob die oben erwähnte ablehnende Reaktion gegenüber der französischen Sprache und Literatur der Wahrheit entsprach oder lediglich vom Denunzianten erfunden wurde. Die westphälische Polizei entschied sich jedenfalls gegen die weitere Verfolgung von Enzeroth. Unabhängig davon wie der Sachverhalt lag, war die vermeintliche Reaktion des Bibliotheksregistrators zumindest in der Fantasie des Denunzianten denkbar und für die westphälische Polizei eine Untersuchung wert. Es scheint, dass die Spannung zwischen den Sprachgemeinschaften im Königreich Westphalen, also zwischen den französischen Einwanderern und den deutschsprachigen Einheimischen, derart anwachsen konnte, dass der ganze Vorfall der Polizei plausibel erschien. Über die Sprachen zu streiten, in denen die Bücher geschrieben wurden, und darüber seine Abneigung gegenüber der Sprachdominanz des Französischen im öffentlichen Leben zum Ausdruck zu bringen, gehörte durchaus in den Bereich des Vorstellbaren. 3.1.2.
Kasseler Streit- und Theaterkultur
Exemplarisch sollen im Folgenden zwei Eklats im Théâtre royal in Kassel analysiert werden, die dazu dienen sollen, nach der Rolle der Sprachen in der Konflikteskalation zu fragen287 . Außerdem soll durch diese beiden Streitfälle im Rahmen von Theatervorführungen und durch einen Exkurs über das Kasseler Theaterleben eine Bestandsaufnahme der sprachlichen Verfasstheit der bürgerlichen Theaterkultur erfolgen: Wie lebten die deutsche und die französische Sprachgemeinschaft in der westphälischen Hauptstadt? Lässt sich aus diesen beiden kurzen Einblicken in das Théâtre royal ein Neben-, Mit- oder eher Gegeneinander ermitteln? 3.1.2.1. Vorspann: Zwei Streitfälle im Théâtre royal In den Polizeiakten finden sich mehrere Berichte über einen Streit im Théâtre royal zu Kassel, der sich im Februar 1813 abspielte. Bei der Vorstellung am 6. Februar 1813 ereignete sich im parterre noble ein heftiger Wortwechsel zwischen Perrey, chef de la porcelaine du roi und G. Zirges, employé dans les bureaux de la haute police. Am 8. Februar erstattete der Kasseler Polizeipräfekt Mercier Polizeichef Bongars Bericht darüber: 286
287
In französisch- und deutschsprachige Benutzer der königlichen Bibliothek zu Kassel vermittelt folgende Archivakte einen kleinen Einblick: StA MR, Best. 75 Nr. 1286, Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts – Leihgesuche und Ausleihgenehmigungen (Bibliothek zu Kassel), 1810–1813. Vgl. LYNKER, Das Theater in Kassel; FRÖHLICH, Théâtre Royal.
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C. Sprachbewusstein
Il résulte des dépositions […] du Sr. Zirges, et des Srs. Bony & Bouvrant Maitres d’hôtel de la Maison du Roi et Zeisse employé à l’intendance du trésoir […]: que le Sr. Perrez s’étant porté brusquement sur un banc du parterre où se trouvoient placés le Sr. Zirges et une Dame Haberkorn enceinte, qui par ce mouvement a tombé de côté; que le Sr. Perrez, comme voulant la retenir, l’a saisie par son Schall, et que cette action interprétée d’une toute autre manière par le Sr. Zirges qui connaît cette dame, lui a fait lâcher les mots de polisson ou conduite polissonne; qu’alors le Sr. Perrez a saisi au collet le dit Sr. Zirges qui a riposté par un coup de canne là, les voies de fait ont cessé, et les dits Srs. Perrez et Zirges se sont retirés chez eux sur l’ordre de votre E.288 .
Der Streit wurde offensichtlich durch ein Gerangel um Sitzplätze und durch ein Missverständnis über eine unbeholfene Geste ausgelöst, die aus der Perspektive der einen unanständig gewesen sei, aus der Perspektive der anderen jedoch eine Hilfestellung darstellen sollte. Am Streit scheinen etliche Theaterbesucher beteiligt gewesen zu sein, obwohl die Variationen in der Schreibweise der Familiennamen aufgrund der oben beschriebenen Tendenzen zur Französisierung und Eindeutschung von Namen über die genaue Anzahl Unklarheit herrschen lassen. Bemerkenswert erscheint, dass keine Angaben darüber gemacht werden, in welcher Sprache der Wortwechsel stattfand. Die Akte zum Vorfall ermöglicht jedoch, die unterschiedlichen Sichtweisen der Beteiligten zu berücksichtigen, um sich den Vorgang zu verdeutlichen. Polizeikommissar Lang berichtete Mercier am 7. Februar über den Verdruss eines Beteiligten: [Perrez] se plaignoit des mauvais procédés d’un jeune homme qui étoit resté à sa place. […] Il déclara […] être Chef de la Porcelaine de la Maison du Roi et ajouta qu’il vouloit se placer prés de la Loge de Mr. Dalmbert mais que le jeune homme dont sagit le reteint par le collet pour l’en empecher et l’insulta du mot de Polison en lui donnant un coup de poing. Pendant ces entrefaites, S. E. Mr. le Général de Bongars vint prés de nous pour connoitre les auteurs de ce trouble qui avoit attiré l’attention et les régarde de tout le spectacle, il lui en fut rendu compte. S. E. m’ordonna de faire sortir aussitôt du Parterre le jeune homme qu’on accussoit être l’agresseur et Elle fut très surprise de reconnoitre en lui un des Employés de ses Bureaux nommé Joerges ou Torerges289 .
Zirges oder Joerges war also neben Perrey der zweite Unruhestifter im Zuschauerraum des Théâtre royal an jenem Abend. Perrez oder Perrey fühlte sich keineswegs schuldig, sondern vielmehr von dem jungen Mann ungerecht behandelt. Eine wesentliche indirekte Information besteht darin, dass zwischen den Handlungen auf der Bühne die Zwischenhandlungen im Zuschauerraum für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Theaterbesucher auf 288
289
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 748: Schreiben Nr. 1341 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 8. 2. 1813. Ibid., Nr. 10 751: Schreiben Nr. 61 von H. Lang, Polizeikommissar in Kassel, an P. Mercier, 7. 2. 1813.
3. Sprachbarrieren
437
sich lenkten und alle Blicke sich zum parterre noble wendeten. Eine Zwietracht im Parterre lenkte vom Bühnengeschehen ab und wurde zum Spektakel für alle. Nun griff Polizeichef Bongars persönlich ins Geschehen ein und wies die Streitenden aus dem Theater. In seinem Bericht führte Lang zudem eine Liste von Zeugen an, deren Aussagen teilweise noch ausstanden: Es waren Beauny, maître d’hôtel de la maison du roi, Zeise, employé à l’intendance du trésor, wohnhaft in der Rue Denis beim Schuhmacher Mühlbein, und Emanuel Dalmbert, der zwar alles von seiner Loge aus beobachtet hatte, jedoch wünschte, nicht in die Affäre hineingezogen zu werden290 . Sich direkt an die schwangere Frau Haberkorn zu wenden, um ihre Version des Vorfalls zu erhalten, kam dem Polizeikommissar allerdings nicht in den Sinn. Währenddessen wurde noch am gleichen Tag Beauny, auch manchmal Bony geschrieben, vom Polizeikommissar Lang angehört: Est comparu Monsieur Beauny, […] étant arrivé un peu tard au spectacle il fut obligé de se tenir de bout attendu qu’il se trouvoit beaucoup de monde au Parterre ou il cherchat a se placer, mais qu’ayant remarqué qu’a droite du dit Parterre et devant la Loge de Mr. Dalmbert il y avoit encore deux places non occupées il chercha à passer pour s’y placer, qu’un nommé Mr. Perrey […] le suivit de près pour occuper la seconde place encore vacante, qu’à peine le comparant étoit assi qu’il entendit derriere lui un jeune homme qui traita à plusieurs reprises le dit Sr. Perrey de Polison, il se retourna pour voir ce qui resulteroit de cette insulte, il vit que Mr. Perrey pris ce jeune homme au Collet pour le faire sortir291 .
Beauny soll nicht bemerkt haben, wie Perrey die schwangere Dame umgestoßen hatte. Bouverain, ebenfalls befragt, bestätigte Beaunys Angaben292 . Die Aussage macht nebenbei deutlich, dass ein reges Kommen und Gehen im Zuschauerraum auch nach Beginn der Vorstellung üblich war. Der pünktliche Einlass war offensichtlich nicht sehr streng geregelt und die Zuschauer drängten sich zum Teil stehend im Parterre, darunter auch hochschwangere Frauen293 . Zirges, selbst einer der Unruhestifter, gab zum Vorfall an: [Il] déclare – qu’il étoit placé au parterre contre la Loge de Mr. Dalmbert ayant à sa Gauche le Sr. Zeige, Employé à l’Intendance du Trésor et a coté de ce dernier se trouvoit une Dame de sa connoissance, nommé Haberkorn, qui est Enceinte d’aumoins sept mois; qu’entre les deux pieces un individu portant Lunette, chercha a prendre devant lui une place qui se trouvoit vacante et qu’au même moment un autre individu qu’il ne connoissoit pas mais qu’il a appris depuis être Mr. Perrey, chef de la
290 291 292 293
Vgl. ibid. Ibid., Nr. 10 752: Anhörung der Zeugen Beauny und Bouverain, maîtres d’hôtel de la maison du roi, durch H. Lang, 7. 2. 1813. Vgl. ibid. Über geregelten Einlass und Ruhe im Parkett vgl. u.a. CORVIN, Dictionnaire encyclopédique du théâtre; BRAUNECK (Hg.), Theaterlexikon.
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C. Sprachbewusstein
Porcelaine de la Maison du roi, vouloit enjamber la Banquette sur laquelle il étoit debout pour se placer à coté de l’individu à Lunette, dont il est question294 .
Mit dieser Ausführung wird deutlich, dass die Kasseler Theatergemeinde nicht so überschaubar war, dass alle einander kannten. Man fand seinen Platz im Théâtre royal neben Vertrauten, Bekannten und Unbekannten. Zum Vorfall fuhr Zirges fort: Le comparant ayant remarqué que Mr. Perrey placoit son pied entre la Dame Haberkorn et le Sr. Zeise d’une manier si forte que cette Dame Tomba entre les deux Banquettes et que Mr. Perrez qui probablement vouloit retenir la dite Dame empoigna son chaal; a cette occasion le Comparant avoie avoir dit à Mr. Perrez qu’il se conduisoit d’une manière Polisonne, celui ci offensé de ce propos voulut donner un coup de point au comparant qui chercha à le parrer en lui disant qu’il ne faloit pas faire de bruit qu’il alloit sortir avec lui, Mr. Perrez le prit au Collet et le comparant ayant cherché à se dégager lui appliqua un Coup de Canne sur l’épaule. Mr. Perrey ayant été invité par la Gendarmerie de sortir du Par terre, j’ai resté à ma place jusqu’au moment ou le commissaire de police, provis. ma invité de sortir également. Le Sr. Zirges propose comme témoins de tout ce qui s’est passer, Mrs Mrs Knippel, Brigadier de la Gendarmerie, Mr. Zeise Employé au trésor et le fils de Mr. Schöne demeurant rue royale295 .
Obgleich der Vorfall viele Zuschauer fand und breite Aufmerksamkeit erregte, waren die Beteiligten offensichtlich bemüht, nicht aufzufallen oder gaben nachträglich vor, dies angestrebt zu haben. Zirges gibt zumindest an, dass er seinem Opponenten gesagt haben soll, »qu’il ne faloit pas faire de bruit«296 . Ob die Ruhe der Theaterbesucher dabei gewahrt oder dem eigenen Ansehen nicht geschadet werden sollte, wird aus der Angabe nicht deutlich. Polizeikommissar Lang machte jedenfalls trotz der Anregung von Zirges keine Anstände, die Zeugenbefragung um die von diesem erwähnten Personen zu erweitern. Vielmehr suchte er nochmals den Nachbarn der Dame Haberkorn auf, um die Umstände des Streites zu erforschen: Zeise, Employé à l’intendance […] n’a pas vu que la Dame Haberkorn soit tombée entre les deux Banquettes mais bien sur lui, puisqu’il étoit placé a côté d’elle et que Mr. Perrey avoit occasionné cette chute. Voulant à toute force se placer sur la Banquette devant nous297 .
»Sur lui«, »devant nous«, der Perspektivwechsel bei seiner schriftlichen Wiedergabe in indirektem Stil des ihm mündlich vorgetragenen Streit294
295 296 297
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 750: Anhörung von G. Zirges, employé in den Büros des Polizeichefs J. F. M. de Bongars, durch H. Lang, 8. 2. 1813. Ibid. Ibid. Ibid., Nr. 10 753: Anhörung von Zeise, employé à l’Intendance, durch H. Lang, 8. 2. 1813.
3. Sprachbarrieren
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verlaufs gelang Lang in diesem Fall nicht ganz298 . Bongars seinerseits verlangte vom Polizeipräfekten, dass der angesehene Staatsbürger Emanuel Meyer D’Alembert, auch Dalmbert genannt, zum Vorfall angehört wurde299 . Das Protokoll seiner Anhörung, die wenig Neues hervorbrachte, die Beleidigungen bestätigte und den Austausch von Schlägen allerdings ausließ, lieferte Mercier dem Polizeichef am 14. Februar nach300 . Zehn Tage darauf ereignete sich erneut ein Vorfall im Théâtre royal, der ebenfalls in die Polizeiakten einging. Die Berichterstattung durch den diesmal bei der Anhörung der Zeugen beteiligten Polizeikommissar Berger gab folgende Auskunft: [Ci-jointes les] déclaration[s] relativement à l’affaire qui ou pour mieux dire, le différent qui a eû lieu au spéctacle le Lundi 15 [février 1813] entre deux officiers grenadiers gardes et le Commissaire de police soussigné. Savoir. 1◦ Le Sr. [Marius] Salze, [Inspecteur du Garde Meuble de la Couronne], declare que […], m’étant trouvé à la Comedie au partire noble, et ayant pris place sur un des bancs ayant à ma droite Monsr. Braun, seller, à ma gauche, Monsieur Berger, commissaire de police, [à la] 1er entracte sans quitter nos places pour parler avec les personnes qui se trouvoient devant nous. Deux officiers à notre insue ce sont emparés de ma place et de Celle de Monsr. Braun301 .
Bei diesem Vorfall müsste es dem Polizeikommissar durch seine direkte Verwicklung in das Geschehen ein Leichtes gewesen sein, die Wahrhaftigkeit der zu Protokoll gegebenen Schilderung zu überprüfen. Salze oder Berger – der Perspektivwechsel ist durch den Sachverhalt nicht leicht nachzuvollziehen – fuhr fort: Alors Monsieur Berger lui ayant dit qu’elles s’étoient ces fonctions dans ce moment et qu’il l’assuraoi que c’étoit bien la ma place. Il lui a repondu impertinement, je ne vous crois pas plus vous que Monsr. et n’a pas voulu ceder à nos prières. [Pour finir, Berger lui céda sa place]. 2◦ Le Sr. Braun fils – [Sattler in Kassel], Ich bezeuge ebenfalls, daß sich die obenbemerkte Sache ganz so zugetragen hat, und ich dieselbe Worte des Herren Polizey-Commissair Berger als die der beyden Herrn Grenadier Offiziere gehört habe […]. 3◦ Le Sr. Fogere, [attaché aux Ecuries de la maison du Roi], il est vrai que Messieurs Braun et Salze estois possesseurs des places qu’ils m’ont reclamés302 . 298
299 300
301 302
Weiterführend über die mehrfachen Übersetzungsvorgänge, die bei einem Zeugenverhör und seiner Protokollierung anfielen, vgl. u.a. ULBRICH, Zeuginnen und Bittstellerinnen; DIES., Shulamit und Margarete, S. 179. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 749: Schreiben Nr. 303 von J. F. M. de Bongars an P. Mercier, 9. 2. 1813. Vgl. ibid., Nr. 10 747: Schreiben Nr. 1366 von P. Mercier an J. F. M. de Bongars, 14. 2. 1813; ibid., Nr. 10 754: Anhörung von E. de Meyer D’Almbert, Hofbankier, durch P. Mercier, 14. 2. 1813. Ibid., Nr. 10 743: Anhörung durch L. M. A. Berger, Polizeikommissar in Kassel, 18. 2. 1813. Ibid.
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C. Sprachbewusstein
Besonders bemerkenswert erscheint an dieser Stelle des Protokolls von Berger, dass er einen Sprachwechsel innerhalb des Dokuments vollzog, angepasst an die Sprachen der jeweiligen Zeugenaussagen303 . Als vierter Zeuge sollte der »sous-chef de Division à la secrétairerie d’Etat« noch angehört werden: 4◦ Le Sr. Bouisson, Je soussigné déclare qu’il est en ma connoissance que M. M. Braun, Salze et Berger, Commissaire de police étant assie au partierre noble du spectacle deux officiers dont les noms me sont inconnues, ces deux derniers se sont emparés des deux places de Mr. Mre. Salze et Braun [et ont] fait beaucoup de difficultés à les leur rendre, que quant à la conversation qui a eu lieut entre le Commisre de police et les deux officiers, je ne l’ai point comprise attendu que je ne connais point la langue allemande. […] Boüillon304 .
In allen Quellenzitaten fällt die sprachliche Anpassung an die neuen Herrschaftsverhältnisse durch die Französisierung der Vor- und Nachnamen auf. Wie bereits bei den Orts- und Personennamen erwähnt, vollzog sich offensichtlich über die gesamte Zeit der westphälischen Herrschaft ein sprachlicher Transfer von deutschen oder französischen Termini in die jeweils andere Sprache. Auch die Anhörungsprotokolle zu den beiden Theatervorfällen demonstrieren diese markante Tendenz der Aneignung der anderen Sprache bei gleichzeitiger Abgrenzung ihr gegenüber. In den zitierten Auszügen zu den Theatervorfällen fallen zudem Einschübe der zentralen Begriffe auf, die im Rahmen der Ermittlung auftauchten und zum Teil im deutschen Textfluss französisiert wurden, wie »Banquette«. Es entstehen auch Mischformen, die frei aus beiden Sprachen entstanden, wie im Fall des zentralen »chaal« für Deutsch »Schal« der Dame Haberkorn. Was die Sprachen angeht, fällt außerdem insbesondere bezüglich des zweiten Vorfalls auf, dass allen Angaben zufolge Bouillon oder Bouisson, nur Französisch sprach, Berger und Salze zweisprachig waren oder zumindest neben der deutschen Sprache auch genügend Kenntnisse in der französischen Sprache besaßen, so dass ersterer seinen Bericht in französischer Sprache verfassen konnte und letzterer seine Stellungnahme in französischer Sprache zu formulieren in der Lage war; über Braun kann vermutet werden, dass er kein Französisch beherrschte. Berger spielte in dem Streit eine vierfache Rolle: Er war einer der Kontrahenten, setzte sich mit seiner Autorität als Polizeikommissar für die Regelung des Konflikts in dessen Verlauf ein, übernahm dabei dolmetschende 303
304
Für das Rheinland betonte Stein, dass die Führung einer Verwaltungsakte in französischer und deutscher Sprache eine Seltenheit darstellte. Vgl. STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 280. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 736–10 759, hier Nr. 10 743: Anhörung durch L. M. A. Berger, 18. 2. 1813.
3. Sprachbarrieren
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Funktionen und fungierte schließlich als Herrschaftsvertreter, der über die Aussagen der Streitenden Protokoll führte305 . Distanziert man sich vom Vorfall und vom Parterre, wo fünf Leute sich um vier Sitzplätze stritten und einige weitere um sie herum Zeugen waren, stellt sich nicht unberechtigterweise die Frage, in welcher Sprache die Komödie auf der Bühne an diesem 15. Februar 1813 gespielt wurde306 . Wäre sie nämlich in deutscher Sprache aufgeführt worden, hätte Bouillon oder Bouisson wenig von ihr verstanden; war sie in französischer Sprache, was anzunehmen ist 307 , dürfte der Sattler Braun wenig verstanden haben308 . So blieb ihm wahrscheinlich auch die Zeit, sich in den Streit mit den deutschsprachigen Offizieren einzubringen. 3.1.2.2. Theatervorführungen in Kassel: Sprachen und Geschmack Die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der Deutsch- und Französischsprachige unabhängig von ihren Sprachfertigkeiten im Théâtre royal miteinander verkehrten und stritten, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sprache der Theatervorführungen durchaus von Belang für die Zuschauer war, auch wenn Mimik, Gestik, Statisten, Effekte und Kulissen dazu beigetragen haben können, die Zuschauer unabhängig von ihrer Sprachbeherrschung und der ihnen gelegentlich nicht zugänglichen Bühnensprache für das Spektakel zu interessieren. Zinserling thematisiert in seinen »Denkwürdigkeiten« direkt das Problem der Theatervorführungen in französischer Sprache, deren Text dadurch nicht allen im Publikum verständlich war309 . Dabei erwähnt er die konvergierenden Faktoren, einschließlich des Sprachverständnisses, die dazu beitrugen, dass das französische Theater in Kassel nicht gleichermaßen von allen angenommen wurde: Die fremden Deutschen, die sich in Kassel niederließen, von welchen sie herkamen, [hatten] nur Theater im gewöhnlichen Deutschen Geschmack gesehen. Eine Revolution des Geschmacks unter dieser Klasse von dem Französischen Theater, konnte 305
306 307 308 309
Dieses Beispiel unterstützt den Befund im Kapitel B II. (Spracherwerb), der die Selbstverständlichkeit der Übersetzungsprozesse im Vorfeld des tatsächlichen schriftlichen Verwaltungshandelns herausstellte, so dass in den Polizeiprotokollen selten dokumentiert wird, wer welche Sprache tatsächlich beherrschte und in welcher Sprache aussagte. Über den Spielplan des Théâtre royal in Kassel vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 171–177. Über die Französisierung des Theaterangebots in Kassel berichtet u.a. ausführlich der Pagenlehrer Zinserling vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 118–137. Vgl. MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 34. Über das Projekt der Französisierung via Theaterprogramm in den annektierten Städten Mainz und Turin vgl. MARKOVITS, »S’approprier les mœurs, les habitudes et la langue française«.
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C. Sprachbewusstein
kein Einsichtsvoller erwarten. Die alten Vorurtheile, der Mangel an Kenntniss der Französischen Sprache und Litteratur, der Franzosenhass und die mit ihm verschwisterte Germanomanie, so wie die Blössen, die das Französische Theater in mehreren Stücken gab, legten einer solchen Revolution unübersteigliche Hindernisse in den Weg310 .
Einige regelmäßige Kasseler Theaterbesucher sollen sogar »Hass gegen das Französische Theater« empfunden haben311 , was sich, Zinserling zufolge, unter anderem aufgrund der Zusammenstellung der Schauspielertruppen erklären ließe. Einige »Schauspieler und besonders Schauspielerinnen [verdankten] ihren Ruf nach Kassel nicht ihrem Verdienste, sondern einer besondern Rücksicht [und Hof-Protektionen]«312 . Die Abneigung gegenüber dem Theater in französischer Sprache erklärt sich sicherlich auch aus der Verbindung zum Theater in deutscher Sprache: »Diejenigen Deutschen, die ihre Nerven im Deutschen Drama stärker als im Französischen Drama erschüttert gefühlt hatten, triumphirten nun über die Schwäche des Französischen Theaters«, räumt auch Zinserling ein313 . Es ist anzunehmen, dass sich einige von der französischen Sprache abgestoßen fühlten, wenn schon die französische Musik von Musikern der königlichen Kapelle und manchen Zuhörern teilweise als Zumutung empfunden wurde314 : Auf dem Theater herrschte natürlich die Französische Musik, und die Musiker der Kapelle wussten ihre Verzweiflung nicht stark genug auszudrücken, dass sie dazu verdammt waren, ihre Talente zur Ausführung Französischer Musik missbrauchen zu müssen315 .
Die Abneigung mancher Kasselaner gegenüber französischsprachigen Theatervorführungen und der Musik französischer Komponisten wird als eine generelle Abwehrhaltung und gereizte Empfindlichkeit gegen das Französische und die Franzosen erkennbar. Es war nach Zinserlings Aussagen jedoch nicht nur die Tatsache, dass die Theatervorführungen meist in französischer Sprache stattfanden. Einige Schauspieler, wie Bourdais, leisteten ihren Part sogar mit einem provenzalischen Dialekt, auf Grund dessen sie zuvor von der Pariser Komödie verwie-
310 311 312 313 314 315
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 137. Ibid., S. 138. Ibid., S. 136. Ibid., S. 134. Vgl. ibid., S. 140–144; vgl. FREI-HAUENSCHILD, Eine europäische Kulturhauptstadt, S. 97. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 141 f.
3. Sprachbarrieren
443
sen worden waren316 . Zinserling stellt jedoch über die allmähliche Erziehung des Kasseler Theaterpublikums positiv fest: Indessen fanden sich doch unter den jungen Leuten und denen, die, durch ihre Verhältnisse mit dem Hofe, mit der Französischen Sprache vertraut geworden waren, mehrere, denen nach und nach die Augen aufzugehen anfiengen. Diese jungen Leute, einige Franzosen und wenige Deutschen Kenner bildeten ein Publikum, das in der letzten Zeit schon einige Feinheiten des Pariser Publikums zeigte. Nur weniger Jahre hätte es noch bedurft, um diesem Publikum Konsistenz und Einfluss zu verschaffen317 .
Erst durch die Verbindung zum Hofe, die damit vorhandene positive Einstellung und das Erlernen der französischen Sprache konnte sich, Zinserling zufolge, bei einigen geneigten Zuschauern allmählich ein Interesse und eine Empathie für das französische Theater herausbilden. 3.1.2.3. Zusammenleben der Sprachgemeinschaften in Kassel: Indizien aus den beiden Theaterstreiten Insgesamt suggeriert die durch die beiden besprochenen Streitfälle erfolgte Bestandsaufnahme der sprachlichen Verhältnisse im Theater in Kassel, dass einige Kasselaner vielleicht weniger ins Theater gingen, um Zuschauer der Komödie auf der Bühne zu sein, als vielmehr um am gesellschaftlichen Leben im Zuschauerraum teilzuhaben und sich notfalls mit ihren Nachbarn zu streiten. Das Theatererlebnis scheint durch die Ereignisse im Zuschauerraum an Attraktivität gewonnen zu haben. Das Protokoll der Anhörung zu dem Vorfall liefert durch seinen Wechsel von der deutschen zur französischen Sprache und zurück zur deutschen Sprache, je nach aussagender Person, exemplarisch ein Beispiel für die Kommunikation in der westphälischen Gesellschaft, in der die tatsächliche Diglossie auf der individuellen Ebene nur einige wenige betraf und sich das Leben dennoch mit dem Nebeneinander der französischen und der deutschen Sprache gestalten ließ. Insbesondere der erste Fall gibt ein Rätsel auf, was die Praxis der sprachlichen Verständigung in der Kasseler Gesellschaft betrifft: Die Polizeiprotokolle werden so geführt, als lebten die Kasselaner in allgemeinem sprachlichen Einvernehmen und es wird nicht mehr thematisiert, wer welche Sprache sprach oder beherrschte318 . Die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens der verschiedenen Sprachgemeinschaf316
317
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Vgl. ibid., S. 123. Von der Relevanz der Varietätenvielfalt des Französischen, die die französischen Einwanderer mitbrachten, zeugt die Existenz eines spezifisch darauf aufgebauten Sprachwörterbuchs aus dem Jahre 1804, vgl. Wörterbuch für die französische Aussprache, [1804]. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 137 f. In diesem Quellenzitat lässt sich der Topos von Kassel als »kleinem Paris« erkennen. Vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche. Vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 16; MATTHEIER, Französisch verdrängt Deutsch?, S. 34.
444
C. Sprachbewusstein
ten, insbesondere in Kassel, wird an diesen Theaterstreitigkeiten deutlich: Alle akzeptierten, dass monolinguale Deutschsprachige sich unter den Zuschauern einer Theatervorführung in französischer Sprache befanden. In beiden Streitfällen waren Vertreter der Ordnungskräfte unmittelbar in den Streit involviert. Beim ersten Mal war sogar Polizeichef Bongars persönlich in das Geschehen verwickelt, aber auch der Gendarmeriebrigadier Knippel; beim zweiten Mal spielte der Polizeikommissar Berger eine entscheidende Rolle. Nicht sicher ist, ob diese Herrschaftsvertreter nur zu ihrem eigenen Vergnügen anwesend waren oder amtshalber im Zuschauerraum ihre Plätze einnahmen319 . Im königlichen Dekret vom 27. Januar 1808 über die Organisation der Polizei in der Stadt Kassel war eindeutig geklärt, dass die »Theater-Polizei« zum Ressort des Polizeipräfekten gehöre, »in so fern sie auf die persönliche Sicherheit und auf die zu Verhütung unangenehmer Vorfälle, und Aufrechthaltung guter Ordnung, sowohl im Innern als von Außen zu treffenden Maaßregeln Beziehung hat«320 . Wenn sich Polizeichef Bongars, wie beim zweiten Streitfall beschrieben, direkt in das Theaterleben einmischte, so war sein Vorgänger Bercagny nicht weniger eng an das kulturelle Leben in Kassel gebunden: Er agierte zu verschiedenen Zeiten seiner Präsenz in Kassel als Intendant des königlichen Theaters321 . Der Pagenlehrer Zinserling schreibt dazu: Bloss während der kurzen Zeit, in welcher Berkagny Intendant des Theaters war, bemerkte man Geschmack und Konsequenz in der Auswahl der Stücke, so wie auch seine Sorgfalt in der Strenge sichtbar war, mit der über die Nachlässigkeiten der Akteurs, die Kapricen der Aktricen und den Eigenwillen der Musiker wachte. Berkagny
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320
321
Auch der westphälische Staatsgefangene Gehren berichtet, dass er bei seiner Ankunft in Mainz in Begleitung von Gendarmen zunächst auf den dortigen Polizeikommissar warten musste, der sich auf einer Theatervorstellung befand, um die Zuweisung zu einem Gefängnis zu erhalten. Vgl. GEHREN, Dreimalige Verhaftung und Exportation, S. 114. In Kassel musste der Polizeipräfekt zeitweilig die Polizeikommissare an ihre Pflicht erinnern, sich bei den Theatervorstellungen abzuwechseln. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 693, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westfalen, Juni 1812–Mai 1813: Rundschreiben Nr. 665 von P. Mercier, Polizeipräfekt in Kassel, an die Polizeikomissare in Kassel, 20. 10. 1812; ibid., Rundschreiben Nr. 1084 von P. Mercier an die Polizeikomissare, 23. 12. 1812; vgl. ferner ibid., Rundschreiben Nr. 701 von P. Mercier an die Polizeikommissare, 26. 10. 1812. Le Moniteur westphalien, Nr. 17, 4. Februar 1808, S. 67: Königliches Dekret über die Organisation der Polizey in der Stadt Cassel, 27. Januar 1808, Art. 7; vgl. auch im Katalog zur Ausstellung »König Lustik!?« den Hinweis auf ein »Réglement général pour les Théâtres de Sa Majesté le Roi de Westphalie, arrêté par S. Ex. M. le Surintendant des Spectacles de Sa Majesté, le 16 Septembre 1812«, vgl. König Lustik!?, S. 99. Vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 45 f.; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 179.
3. Sprachbarrieren
445
hatte unendlich viel Geist und Geschmack, und die Kenner beklagten das sehr, dass er nur so kurze Zeit die Direktion des Theaters hatte322 .
Neben der künstlerischen Leitung des königlichen Theaters soll Bercagny auch für qualitativ hochwertige Theaterkritiken im Feuilleton des »Westphälischen Moniteur« verantwortlich gewesen sein323 . Die Polizei übernahm offensichtlich auch Aufgaben wie die Gestaltung des Theaterlebens, vorab durch die Intendanz und danach durch Theaterrezensionen. Dazu kam die Zensur und die Polizeiüberwachung im Zuschauerraum, wobei auch das Gerede der Komödianten und Musiker während der Proben in ihrer Kontrollsphäre lag324 . Gleich ob sich die Ordnungsträger zum eigenen Vergnügen im Theater befanden oder dienstlich dort waren, sie setzten sich jedenfalls spätestens zu Beginn des Streits als Amtsträger für die Wiederherstellung der Ruhe ein, selbst wenn sie durchaus wie beispielsweise Berger auch Schwierigkeit hatten, sich durchzusetzen. Insgesamt geben diese Ausführungen über das Kasseler Theaterleben einen interessanten Einblick in das Zusammenleben der französisch- und der deutschsprachigen Gemeinschaft bei kulturellen Anlässen auf der einen Seite und in die Vergnügungs- und Arbeitskultur von Herrschaftsvertretern und Staatsbürgern auf der anderen Seite. Nicht alle Zuschauer kannten sich beim Namen, jeder verfügte über sein eigenes Netzwerk an Bekannten und dennoch lebten sie nah beieinander und erlebten die gleichen Theatervorführungen, ungeachtet ihrer sprachlichen Fähigkeiten und ihrer Möglichkeiten, den Inhalt der Vorstellungen verstehen zu können. Tatsächlich legen die »Denkwürdigkeiten« des Pagenlehrers Zinserling nahe, dass die Zuschauer eventuell aufgrund des regelmäßig wiederholten Theaterprogramms leichter Zugang zu den fremdsprachigen Aufführungen erhielten: »Opern, wie Une folie, Adolphe et Clara, Picaros et Diego u.s.w. wird man nie zu hören müde, und sie gefielen, der häufigen Wiederholung ungeachtet, auch in der Unvollkommenheit, mit der sie in Kas-
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324
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 132. Vgl. ibid., S. 134 f.; Le Moniteur westphalien, Nr. 159, 17. November 1810, S. 701, 703 f.: »Le sacrifice d’Abraham« im Théâtre royal. Bedauerlicherweise sind die Feuilletons des »Westphälischen Moniteur«nicht kontinuierlich überliefert. Am 15. Sept. 1813 meldete der Polizeiagent Würz: »Von einem sicheren Mann weiß ich, daß das Orchester im Königl. Theater bey den Proben von Politischen Neuigkeiten unterhält, wobey die Braunschweiger sich hervor thun, und hauptsächlich der Violoncellist Heiligengirt«. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 19, Nr. 11 919–12 074, hier Nr. 12 024: Rapport von H. W[ür]Z an J. F. M. de Bongars, 15. 9. 1813. Weiterführend über das symbiotische Verhältnis von Zensoren und Zensierten vgl. u.a. GERSMANN, SCHROEDER, Zensur, Zensoren, Zensierte.
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C. Sprachbewusstein
sel gegeben werden konnten«325 . Hier spricht Zinserling zwar Opern an, die für gewöhnlich seltener in deutscher Sprache aufgeführt wurden. Die Tendenz zur Wiederholung dürfte jedoch auf Komödien und Dramen ebenso zugetroffen haben. Sicherlich war es für das Verständnis der Handlungen und Dialoge durch die Zuschauer, deren Erstsprache nicht Französisch war, sehr förderlich, wenn die Stücke wiederholt wurden, außerdem gewöhnte man sich daran und die Stücke gefielen den Zuschauern aufgrund des Wiedererkennungseffekts schon an sich326 . Zinserling begrüßte auch die regelmäßige Wiederaufnahme des gleichen Theaterstückes: [Es empfiehlt] sich, in einem kleinen Cirkel von klassischen Stücken herumzudrehen […]. Die Kenner finden sich bei einem solchen Verfahren befriedigt, und dem Publikum wird auf diese Weise durch die beständige Wiederholung klassischer Stücke der ächte Geschmack angebildet 327 .
Der Hang zur Wiederholung resultierte jedoch nicht unbedingt aus der Rücksicht auf die Zuschauer, deren Erstsprache nicht Französisch war, sondern gehörte auch in französischen Städten zur Praxis. Der Langeweile, die sich dadurch bei regelmäßigem Theaterbesuch einstellen konnte, wurde wahrscheinlich damit begegnet, dass in der Wiederholung gelegentlich Improvisationen entstanden: Bourdais glänzte vorzüglich in der Rolle des valet fripon. Eine unerschöpfliche Laune, ein unnachahmliches Mienenspiel und ein Fonds von Witz, der ihn zuweilen verleitete, Calembourgs zu improvisiren, machten ihn in diesen Rollen unübertrefflich. Man sage was man wolle von der Einförmigkeit der Pasquins, Frontins und Carlins der Französischen Komödie. Wie geht es zu, dass diese Rollen von einem Schauspieler, wie Bourdais, dargestellt, nach unendlichen Wiederholungen derselben Stücke noch immer gefallen328 ?
Insgesamt mögen die Wiederholungen im Theaterrepertoire und die Treue des Publikums, das sich darauf einließ, sich das gleiche Stück mehrmals anzuschauen, zum Teil erklären helfen, dass auch Personen ohne oder mit geringen französischen Sprachkenntnissen sich französische Theatervorführungen ansahen329 . Die beiden exemplarisch ausgewerteten Fälle zur Streitkultur des Publikums anlässlich von Theatervorführungen wecken 325
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ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 121. Die Liste der französischen Schauspieler im Théâtre royal von Kassel und in anderen Ensembles findet man u.a. im »Almanach royal« sowie im »Hof- und Staats-Handbuch des Königreichs Westphalen«: Vgl. Almanach royal de Westphalie, 1811, S. 342–344; Almanach royal de Westphalie, 1813, S. 386; Hof- und Staats-Handbuch, 1811, S. 339–341. [WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 382. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 133. Er bedauerte sogar, dass dies nicht stärker beim Theater in Kassel geschah. Ibid., S. 123. Allerdings sprechen die Angaben Fröhlichs nicht dafür, dass das Theaterrepertoire viele Wiederholungen enthielt. Vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 177.
3. Sprachbarrieren
447
jedenfalls Interesse für das Theaterleben in Kassel. Um die beiden Streitfälle besser zu kontextualisieren, ist ein kleiner Exkurs notwendig. 3.1.2.4. Theaterleben in Kassel und in der Provinz Widersprüchliche Angaben in Quellen und Literatur verhindern eine eindeutige Aussage darüber, welche Sprache bei den Theatervorführungen überwiegend benutzt wurde. Der anonyme Autor der Schrift »Die entlarvte hohe und geheime Polizei«, der die westphälische Herrschaft in vielerlei Hinsicht kritisiert, klagt auch darüber, dass »einem eroberten und unterjochten Staate im ersten Anfange seine Sprache, seine gewohnten Titel und Schauspiele« genommen wurden und dass »Schauspielen in der Muttersprache« zu verlieren für die Westphalen ein Drama darstellte330 . Auch der Zeitgenosse F. Müller schreibt, dass es 1810 lediglich ein »französisches Theaterpersonal [gab] – ein deutsches gab es nicht«331 . Ferner räumt er ein, dass es zu diesem Zeitpunkt keine deutsche Theatertruppe mehr gab: »Zu[m Theater] waren die tüchtigsten Kräfte herangezogen. Aber leider war es nur eine französische Anstalt; ein deutsches Theater gab es in Kassel nicht mehr«332 . Im Widerspruch dazu schreibt der westphälische Page Lehsten-Dingelstädt in seinen Erinnerungen: »Abends [nach der Eröffnung der Reichsstände am 2. Juli 1808] war Freitheater. Es wurde Don Juan deutsch gegeben. Es bestanden damals in Kassel zwei Schauspielertruppen, eine deutsche und eine französische, welche täglich abwechselten«333 . Der Historiker Kircheisen spricht seinerseits von zwei bis drei wöchentlichen Aufführungen im königlichen Theater in französischer Sprache, wenn der König auf seinem Schloss residierte334 . Dem Historiker Rudolf Goecke nach erhielt die französische Theatertruppe aufgrund der Qualität ihrer Aufführungen hohen Zulauf, selbst von einheimischen Deutschen, die nicht der französischen Sprache mächtig waren: Man erfreute sich in Cassel, Magdeburg und anderswo an der Aufführung französischer Stücke durch französische Truppen um so lieber, da ihre Leistungen wohl durchschnittlich besser waren, als die trotz Schiller und Göthe immerhin noch in ihren Anfängen befindliche deutsche Schauspielkunst sie bieten konnte335 .
330 331 332 333
334 335
ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 29. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 30. Ibid., S. 43. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 18. Fröhlich erläutert, dass die deutsche Schauspieltruppe unter der Leitung von Reichhardt im Laufe des Jahres 1808 allmählich von einer französischen Schauspieltruppe abgelöst wurde. Vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 165 f., 177, 181. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 148.
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C. Sprachbewusstein
Der Klage über die schlechten Leistungen der deutschen Schauspieltruppen im Allgemeinen schließt sich der ehemalige westphälische Innenminister, Wolffradt aus der Retrospektive an: Im Jahre 1806, zur Zeit der französischen Occupation, sah ich in Berlin, an den wenigen Abenden, die ich Zeit hatte das Schauspiel zu besuchen, nur Uebersetzungen von französischen Opern ausführen, deren Darstellung unendlich unter dem war, was ich von der trefflichen französischen Truppe in Braunschweig gesehen hatte. Das Radicalübel bei uns liegt in Hochderoselben richtigen Bemerkung, dass die gute Lebensart und der seine Conversationston nicht bei uns, wie in Frankreich, bis zu denjenigen Classen herabgedrungen ist, aus denen die Schauspieler gewöhnlich hervorgehen336 .
Der Pagenlehrer Zinserling lobt am französischen Theater gegenüber dem deutschen die klare Trennung der Gattungen, was auf die Spielqualität der einzelnen spezialisierten Schauspieler einen positiven Einfluss habe337 . Ihm zufolge hatte speziell in Kassel »das Ballet […] mit der Komödie einen gleichen Grad von Vollkommenheit erreicht«338 . Neben dem staatlichen Theatervergnügen, mehrheitlich in französischer Sprache, hielt sich jedoch auch ein deutschsprachiges Theaterangebot in Kassel 339 . Zinserling schreibt dazu: »Durch den Hass gegen das Französische Theater und durch die Begierde, etwas fürs Herz zu haben, erhielt sich ein so genanntes Deutsches Liebhaber-Theater«340 . Über die Qualität dieses Amateurtheaters lästert er allerdings: Leute, die in bürgerlichen Verhältnissen standen, und weder Studien noch feine Erziehung hatten, machten die Mitglieder dieser ehrenwerthen Truppe aus, in der ein Mensch, den die Natur zum Schönschreiber und Buchhalter bestimmt hatte, den Ton angab. Wie sich der Mittelstand an solchen jammervollen Darstellung der Kotzebuischen Meisterwerke ergötzen konnte, war kein Räthsel, aber dass selbst Staatsräthe und andere Personen vom Range solche Vorstellungen mit ihrer Gegenwart beehren und Geschmack daran finden konnten, war ein neuer Beweis, wie selten der gute Geschmack in Deutschland selbst unter den höheren Ständen und wohin die Germanomanie zu führen im Stande sey341 .
Es erscheint bemerkenswert, dass sogar in Kassel einige Stücke von Kotzebue für die deutschsprachige Gemeinschaft gespielt wurden, denn andern336 337 338
339 340 341
[WOLFFRADT], Denkwürdigkeiten, S. 382 f. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 118. Ibid., S. 126. Einschränkend traf er dieses Urteil nur in Bezug auf die unausgewogene Gewichtung der Dramen und Kömodien im gesamten Repertoire (S. 133) und die Abwanderung der Schauspieler vom Stadttheater zum Hoftheater (S. 139 f.): »Durch die […] Vorstellungen [am Hoftheater] litt gewöhnlich das Theater in der Stadt, auf welchem man, in Abwesenheit der vorzüglicheren Subjekte, oft Lükkenbüsser gab«. Weiterführend vgl. MÖLLER, Das Theater als Vermittlungsinstanz bürgerlicher Werte. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 138. Ibid., S. 138 f.
3. Sprachbarrieren
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orts im Königreich Westphalen waren solche Theateraufführungen verboten342 . Der Historiker Goecke berichtet beispielsweise, wie in Halberstadt ab April 1812 selbst Schillers Theaterstücke unter Zensur gerieten und wegen ihres satirischen Charakters und ihrer Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe in die Nähe von Kotzebues Werken gerückt wurden343 . Eine gewisse Diskrepanz im Theaterrepertoire scheint sich zwischen Hauptstadt und Provinz ergeben zu haben. Durch das obige Quellenzitat wird außerdem deutlich, dass die Theaterbesuche der Kasselaner, ob sie dem französischsprachigen oder deutschsprachigen Theaterangebot der Stadt galten, einer Parteiergreifung gleich kamen, unabhängig von der Qualität der Inszenierung. Der Gang ins deutsche Theater verband sich mit Staatskritik und das Besuchen französischsprachiger Theaterstücke durch Deutschsprachige bedeutete durchaus auch eine indirekte Loyalitätsbekundung an die neuen Herrschaftsverhältnisse. Unabhängig davon, ob nun die Aufführungen mehrheitlich in französischer Sprache stattfanden, kann festgehalten werden, dass das Theater besonders in Kassel einen außerordentlichen Stellenwert nicht allein als Vergnügungsort und als Ort der Kommunikation, sondern auch als politisches Bekenntnis genoss. König Jérôme legte sehr großen Wert auf das Theater und scheute daher auch nicht die Ausgaben dafür. Der anonyme Autor der Schrift »Die entlarvte hohe und geheime Polizei« weiß, dass »die Polizei und das Theater die zwei kostspieligsten Branchen der Staatsausgaben« waren344 . Kircheisen nennt Zahlen: »Das Theater in Kassel kostete den König nicht weniger als 500 000 Franken im Jahre. Die Ausgabe stand in keinem richtigen Verhältnis zu den Gesamteinnahmen des kleinen Staates«345 . Dieser Schwerpunkt in den Staatsausgaben und der Aufschwung des Theaterlebens unter Jérôme wurden auch mit der Errichtung eines neuen Theatergebäudes erkennbar: Da das kleine Theater in der Löwenburg den Ansprüchen des Königs nicht genügte, so ließ Jerome an der auf der Anhöhe vor dem Marstall liegenden Allee ein neues Theater errichten, in das man vom östlichen Flügel des Schlosses Napoleonshöhe aus durch einen gedeckten Gang gelangen konnte. 342
343 344 345
Ein Hinweis vom westphälischen Justizminister an den Grafen von Fürstenstein, in seiner Zuständigkeit als ministre secrétaire d’état et des relations extérieures für die Beziehungen mit dem Fürstentum Waldeck und Pyrmont verantwortlich, zeigt, dass im Königreich Westphalen auch das Theaterleben im nahen Ausland exakt beobachtet wurde. Siméon meldete, dass in Pyrmont mit dem Wohlwollen des Fürsten von Waldeck im August 1810 von Kotzebue »Schaden ohne Noth, und Noth ohne Schaden« gezeigt wurde. Vgl. SML, A/3441/2009, Schreiben von J. J. Siméon an den Grafen P. A. von Fürstenstein, 21. 8. 1810. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 148. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 50. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 135; JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 12.
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C. Sprachbewusstein
In sehr kurzer Zeit und mit ungeheurem Kostenaufwand war das Gebäude aufgeführt worden346 . Andernorts sah die Erneuerung des Theaterlebens unter der westphälischen Herrschaft etwas anders aus, so in Halle, wo aus der Universitätskirche zunächst ein Heumagazin wurde und schließlich ab Sommer 1811 ein Theater347 . Der Zeitgenosse Steffens berichtet anekdotenreich: ich fand mich allerdings verletzt durch die gegenwärtige Benutzung derselben. Es war ein Gefühl, welches ich mit dem Volke theilte; ich vernahm darüber eine Aueßerung, die seltsam genug war. Die Schauspielergesellschaft hatte Halle verlassen. Während der Theater-Saison drohte der Komet von dem dunklen heißen Himmel herunter, bliebe aber noch nächtlich sichtbar, während das Theater öde und verschlossen dastand. ›Wie ist das?‹ hörte ich ein Weib zum andern sagen, ›die Komödianten sind weg, und der Komödien-Stern ist noch immer da?‹348 .
Steffens wollte wahrscheinlich mit dieser Anekdote kritisieren, dass mancher Hallenser in kürzester Zeit die vorwestphälische Verwendung des Kirchengebäudes, das nun als Theater diente, aus seinem Gedächtnis verdrängt hatte. Wenn auch die Wiederbelebung des Theaterlebens mancherorts auf einige Westphalen schockierend wirken konnte349 , wenn damit die Zweckentfremdung und Entweihung eines geistlichen Gebäudes verbunden war, so wurde die Erneuerung des Theaterangebots selbst für diejenigen Staatsbürger sichtbar, die nicht ins Theater gingen. Wie bereits erwähnt, zeigte sich in Kassel die Pracht des neuerrichteten königlichen Theaters vor dem Marstall sowohl durch die Innendekoration des Zuschauerraums als auch durch seine Fassade350 . Was die Stücke betraf, wurde offensichtlich auch die Art der Inszenierungen radikal erneuert und die Kasselaner wurden reichlich mit Effekttheater bedient. Der Page Lehsten-Dingelstädt berichtet in seinen Erinnerungen jedenfalls, dass manche Oper den jugendlichen Pagen wegen der vielen Kunstgriffe (artifices) besonders imponierte und nahe ging: Einen großen Genuß bereiteten den Pagen die schönen Vorstellungen, welche der berühmte Franconi aus Paris mit seiner Gesellschaft und seinen herrlich abgerichteten Pferden wiederholt gab. In einer Oper: La chasse de Henri IV. wurde auf dem Theater selbst eine Parceforcejagd aufgeführt. Dabei wurde in der Mitte der Bühne eine Felsschlucht dargestellt. Ein zahmer Hirsch soll von vielen Reitern mit der Meute gejagt werden. Mehrmals läuft er über die Bühne, Hunde und Reiter folgen. Endlich steht er auf der Felskante. Er zögert ein wenig. Der Ruf der Meute kommt näher. Da setzt 346
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350
KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136; vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 139 f.; vgl. FREI-HAUENSCHILD, Eine europäische Kulturhauptstadt, S. 96. Eine Darstellung der Löwenburg findet man in: König Lustik!?, Kat. 191. Vgl. STEFFENS, Was ich erlebte, Bd. 6, S. 264 f. Ibid., S. 265 f. Bei der oben zitierten Anekdote lässt sich der Topos der westphälischen Herrschaft als »zivilisatorischer Bruch« erkennen. Vgl. ferner KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 449. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136.
3. Sprachbarrieren
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er über eine wohl sechs fuß breite Kluft, die Hunde und Reiter wagen gleichfalls den Sprung351 .
Das Theaterleben wurde durch den Einsatz von Effekten bei der Inszenierung spektakulärer als zuvor. Richtet man dabei erneut den Fokus auf die Zugänglichkeit des französischsprachigen Theater- oder Opernangebots für die nicht französischsprachigen Westphalen, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass solche sensationsheischenden Theaterprogramme bei einem Publikum, das aus Französisch- und Deutschsprachigen bestand, besonders angebracht sein musste, da die effektreichen Darstellungsweisen vielleicht einen Weg darstellten, das Problem der Sprachbarriere im Publikum zu umgehen. Tatsächlich scheinen nicht allein die importierten Theaterprogramme aus der französischen Hauptstadt eindrucksvoll in der Gestaltung gewesen zu sein. Pagenlehrer Zinserling schreibt dazu: Was der [Theater]direktion gewöhnlich an Geist und Geschmack abgieng, ersetzte sie durch ihre Sorgfalt für die Pracht der Dekorationen und des Kostums, und von dieser Seite fiel das Theater gewöhnlich den durchreisenden Fremden in die Augen352 .
Das pompöse Theaterleben entfaltete sich nicht nur auf der Bühne oder im Zuschauerraum, auch der Einzug in das und der Auszug aus dem Theater erlangten fast rituellen Charakter353 , so der Historiker Kleinschmidt: Fuhr oder ritt der Hof aus, so verband sich damit stets ein prächtiger Aufzug, […] die Fahrt ging meist nach Napoleonshöhe und Katharinenthal oder ins Theater; wohin es aber auch war, dort wartete schon eine Abteilung Garde zu Fuß, und es waren Maßregeln getroffen, die jedem Unbefugten eine Annäherung an die Allerhöchsten Personen unmöglich machten. Nach Schluß des Theaters wurden alle Logen und das Parterre so lange abgesperrt, bis sich der Hof entfernt hatte: alles dies bot einen augenfälligen Gegensatz zu dem schlichten Hofe Friedrich Wilhelms III. und zu seinem Vertrauen in die Unterthanen354 .
Nicht allein die Vorführungen an sich scheinen die Zuschauer zu ihrem Theaterbesuch animiert zu haben, sondern auch der damit verbundene Pomp und das mondäne Leben, die unter Jérôme besonders gepflegt wurden, wie Kircheisen bestätigt: 351
352 353
354
[LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 64; vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 31 f. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Architekt Leo von Klenze seine Pläne modifizieren musste, um eine geräumigere Bühne zu schaffen, die sich auch für größere Aufführungen eignete, vgl. FREI-HAUENSCHILD, Eine europäische Kulturhauptstadt, S. 96. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 135. Das Theatervergnügen gehörte im Übrigen nicht allein zum Nachtleben, auch tagsüber wurden Vorstellungen gegeben. Vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 5 f. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 79.
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Gegen acht Uhr abends erschienen die Minister, die höheren Beamten, das diplomatische Korps, die Offiziere, überhaupt die Geladenen. Ein jeder war bemüht, wie der König es liebte, größte Pracht zu entfalten. Die Herren erschienen in glänzenden Uniformen, mit allen ihren Orden angetan, und die Damen in den entzückendsten neuesten Toiletten, die sie meist in Paris hatten anfertigen lassen355 .
Versucht man sich eine Vorstellung vom Treiben und vom Gesellschaftsleben im Zuschauerraum zu machen, das, den beiden Streitfällen nach, für die Theatergänger einen entscheidenden Teil des abendlichen Geschehens darstellte, wird der Gegensatz zwischen dem königlichen Theater auf Napoleonshöhe und dem königlichen Stadttheater deutlich356 . Während in ersterem eine strikt reglementierte Sitzordnung herrschte357 , gab es im Stadttheater offensichtlich zeitweilig ein großes Durcheinander358 . Das Theater war sicherlich aber auch deshalb bei einem breiten Publikum beliebt, weil Jérôme zu manchen Vorstellungen freien Eintritt gewährte359 . So gesehen war das Theater eine Vergnügung für alle interessierten Bürger Kassels. Es wurde deswegen sogar als »ein wichtiger Ort der Begegnung zwischen Herrscher und Residenzbevölkerung« angesehen360 . Ein Schreiben der Polizeiagentin Gall-Bessalié an den Polizeichef Bongars gibt darüber Auskunft, wie die Kasselaner sich um Theaterkarten bemühten und lässt erahnen, wie sich die Gesellschaft des Stadttheaters zusammensetzte. Am 16. März 1813 bat die Polizeiagentin mit folgenden Argumenten um die Zustellung von Theaterkarten: E. Excellense halten zur de, wan ich so dreist bin um die vernehre erhaltung, der bis für anfang diese Monats, durch Ihrer de erhaltenen Teatre biliets ganz unterthänig zu bitten, die hohen E. Excellense wurden es rechtfertigen, das ich irgend ein Mittel habe mus, um hi und da wo es nöhtig tuth bekantschaften anknüpfen zu könen, und diese bekanten gewiser maßen gegen mir zu verflichten; fühle depensen bin ich nicht imstande zu machen, mit hin wahr ein Teatre biliet bis itzt noch immer etwas, was ich mit anstand einer Tame de Scharge, einem Maitre d’autel oft den auch in der bergerlichen Clase, anbiten konte, dahelt üblen einflus hat es für mich, weil alle diejenige die sie bis itzt von mir erhilten, nicht glauben, das ich keine mehr habe, sondern die eine die ander einer beneidet, und es mir versagt sie jener zu geben. Wodurch aus den Freunden, nur Feinde entstehen, überzeige von der Gnade E. Excellense lebe ich in der Hoffnung, das Sie meine unterthänige Bitten 355
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KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136. Ebenfalls viel Pomp entfaltete Napoleon in Sachen Theater. So zum Beispiel im Rahmen des Erfurter Fürstentages im Oktober 1808. Vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 20. Vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 177. Vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 5 f.; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136. Dies betrifft insbesondere die Präsenz von Frauen bei den Theatervorstellungen. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 137. Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 91; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 18; KEIM, »Savoir vivre«, S. 138. JÄGER, BURMEISTER, Das Königreich Westphalen, S. 12.
3. Sprachbarrieren
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Begnadigen verden, mir dieses für mich so zweckmäßige Mittel verner zu kommen zu laßen, und habe die Gnade zu sein E. Excellence361 .
Aus einem späteren Schreiben der Polizeiagentin vom 9. April 1813 wird deutlich, dass Gall-Bessalié die Theaterkarten zum einen vergab, um ihr Netz aus ahnungslosen Informanten und Bespitzelten an sich zu binden, und zum anderen selbst ins Theater ging, um dort Bekanntschaften zu machen: E. Excellense halten zur , wen ich noch mals mich erdreiste, um die vernere Erhaltung, meines sonst gehabten Teaterbiliets untertähnig zu bitten, es geschiht wahrlich nicht, aus hang zum Vergnügen, aber E. Excellense könne nicht glauben, wie sehr es mir schuldet, und alle damals dadurch erworbenen Freunde, zu meiner jetzige Freunde macht, so manche Bekantschaft die ich theils selbst ins Teatre machte, theils durch das biliet mir herschafte, ist itzt unterbrochen362 .
Diese Ausführungen der Polizeiagentin zeigen, dass sich über die Vergabe der Theaterkarten freundschaftliche oder klientelistische Beziehungen entwickelten. Wenn man sich ein Bild vom Theaterleben in Kassel machen möchte, führt dies weit über die Vorkommnisse im Innern des Theaters hinaus. Auch was sich im Vorfeld des Theaterlebens an zwischenmenschlicher Kommunikation ergab, wie durch die Verteilung der Theaterkarten, liefert interessante Indizien für das Zusammenleben der Sprachgemeinschaften in Kassel und verdient beachtet zu werden. Die beiden Standorte, das königliche Stadttheater am Königsplatz in Kassel und das königliche Theater auf Napoleonshöhe, führten dazu, dass häufig Schauspielertruppen mit ihren Requisiten durch die Stadt zogen. Dadurch war das Theater auch für die Kasselaner, die es nicht besuchten, im Stadtbild präsent. Kircheisen schreibt über die Erscheinungen des Theaterlebens außerhalb der Räumlichkeiten des Theaters und der Spielzeiten im engen Sinn: Hielt sich der König im Schlosse auf, fanden wöchentlich zwei bis drei Aufführungen statt. Schon vom Morgen an herrschte dann auf der nach Kassel führenden Straße reichbewegtes Leben, denn Schauspieler, Schauspielerinnen, Tänzer und Tänzerinnen sowie Dekorationen und Kostüme wurden in vielen Wagen aus Kassel herbeigeführt 363 .
Das Theater zog auf die Straße und wurde zum Tagesspektakel schon lange vor der Abendvorführung. Aber auch der Nachhall der Theatervorführungen scheint nicht unbedeutend gewesen zu sein: »In dem auf der Plantage 361
362 363
RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9797–9817, hier Nr. 9805: Rapport von Gall-Bessalié, Polizeiagentin in Kassel, an J. F. M. de Bongars, 16. 3. 1813. Ibid., Nr. 9800: Rapport von G.[all-Bessalié] an J. F. M. de Bongars, 9. 4. 1813. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 136; vgl. FRÖHLICH, Théâtre Royal, S. 182 f.; FREIHAUENSCHILD, Eine europäische Kulturhauptstadt, S. 96.
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C. Sprachbewusstein
neuerbauten Theater fanden allabendlich Vorstellungen statt. Am Tage setzte dann der Hof selbst das Komödienspiel nach allen Richtungen fort. Es sollen dabei mancherlei Abenteuer vorgekommen sein«364 . Die Auflösung der Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen Schauspielern und Theaterbesuchern und der theatralische Durchzug der Schauspielertruppen mit Requisiten durch die Stadt, die das weitgefasste und facettenreiche Theaterleben in Kassel kennzeichnen, könnten möglicherweise auch als ein Erbe der Französischen Revolution angesehen werden. Der Kommentar von Hans-Jürgen Lüsebrink über eine Inszenierung von »Brutus« legt dies zumindest nahe: L’abolition symbolique de la séparation entre scène et parterre, acteurs et spectateurs, passé et présent, action sur scène et réactions du public, dont témoignent de nombreux comptes-rendus des représentations de la pièce, renvoie de même à l’imaginaire patriotique qui est habité par la vision d’une fusion de toutes les classes et de tous les états de la société en un corps uni et enthousiaste365 .
Die Kasseler Gesellschaft zeigt sich bei allen revolutionären Zügen, die ihr nach dieser Definition zu eigen waren, in sehr streng getrennte Welten geteilt. Das Nebeneinander der Sprachgemeinschaften und Schichten bedeutete noch lange nicht ihre Verschmelzung, auch wenn man den Blick auf das Theaterleben in einem weitgefassten Sinne richtet. Es scheint von einer außerordentlichen Durchlässigkeit bei gleichzeitiger strenger Trennung geprägt gewesen zu sein: das Theater als Institution in der Stadt auch außerhalb der Räumlichkeit Theater präsent; die Französisch- und Deutschsprachigen Seite an Seite im Zuschauerraum; Theatervergnügen als kulturelles Angebot für alle Schichten; höfisches Zeremoniell in nächster Bürgernähe, aber mit strenger Abgrenzung366 . Richtet man den Fokus auf die Sprachen, so kann zusammenfassend festgehalten werden, dass genauso überraschend wie die Anwesenheit von Deutschsprachigen ohne französische Sprachkenntnisse bei französischsprachigen Theaterstücken die Duldung und Existenz eines teilweise relativ kritischen Theaterlebens in deutscher Sprache in der Hauptstadt gelten kann, das aufgrund des Schutzes durch die deutsch-französische Sprachbarriere ein Schattendasein führen konnte. Deutschsprachige saßen ne364 365
366
MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, hier S. 34. LÜSEBRINK, Brutus, idole patriotique, S. 293. Wenn man betrachtet, dass zu vorwestphälischer Zeit der hessische Fürst Wilhelm IX. das Beifallklatschen im Theater untersagen ließ, weil dies als Ausdruck revolutionärer Gesinnung gelten könne, so waren ähnliche Partizipationsmöglichkeit der Zuschauer, die unter Jérôme galten, durchaus »revolutionär«. Vgl. WEIDEMANN, Fr. W. A. Murhard, S. 7. Was das Theaterpersonal selbst angeht, wird durch die Zeitgenossen über Schauspieler berichtet, die sich in kürzester Zeit von Statisten zu Hauptdarstellern hocharbeiteten. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 127.
3. Sprachbarrieren
455
ben Französischsprachigen in der gleichen Theatervorstellung. Wenn es zu Handgreiflichkeiten kam, fanden sich auch unter ihnen ein paar Zweisprachige, die zur weiteren Streiteskalation beitragen oder sich für das Schlichten des Streites einsetzen konnten. Diese Form des Nebeneinanders mehr als des Miteinanders, die für das Theater über die zwei eingangs analysierten Streitfälle dokumentiert ist, dürfte auch das sonstige Zusammenleben der verschiedenen Sprachgemeinschaften in Kassel geprägt haben. 3.1.3.
Von den Sprachkonflikten in der administration
Die im ersten Teil vorgestellte Regelung über die Verwendung der französischen oder der deutschen Sprache in der administration, die in der Form eines Beschlusses am 21. März 1808 in die Akten des Staatsrats eingegangen ist und nicht mehr öffentlich gemacht wurde367 , löste bei aller Klarheit dennoch gelegentlich Konflikte über die zu wählende Sprache für die Kommunikation innerhalb der Behörde aus. 3.1.3.1. Distanzierung von der offiziellen Sprachregelung in der administration Vorgesehen war, dass die Verhandlungen im Staatsrat und die Kommunikation der Ministerien untereinander auf Französisch geführt wurden, während die Verhandlungen mit der Ständeversammlung auf Deutsch abzulaufen hatten368 . Die Präfekten standen an der Schnittstelle zwischen den französisch- und deutschsprachigen Verwaltungsbereichen. Der gesamte Schriftverkehr mit den untergeordneten Behörden verlief auf Deutsch, während sie sich selbst an die Minister in französischer Sprache zu wenden hatten: »Die gesamte Lokalverwaltung bis zu den Präfekten einschließlich bediente sich der deutschen Sprache«, betont der Historiker Kohl 369 . Auch die Gerichte, Friedensrichter und Notare arbeiteten in deutscher Sprache370 . Was die einzelnen Verwaltungsbereiche angeht, sollte beim Kronschatz und in den Büros der Ministerien und Staatsräte sowie bei den Generaldirektionen auf Französisch kommuniziert werden371 . In der Armee wurde Französisch zur Kommandosprache; die Gardekorps kommunizierten in fran-
367 368 369 370 371
Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 571: Beschluss Nr. 33 vom König Jérôme, 21. 3. 1808; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 148 f. Vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 33; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37; vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 149. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 571: Beschluss Nr. 33 vom König Jérôme, 21. 3. 1808. Vgl. ibid.; KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37; THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 259.
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C. Sprachbewusstein
zösischer Sprache, aber die Linientruppen bedienten sich der deutschen Sprache372 . Obgleich eine Regelung über französisch- und deutschsprachige Bereiche in der Verwaltung getroffen worden war, fiel die Praxis zum Teil ganz anders aus. So berichtete Reinhard über eine Umfrage, die er unter den westphälischen Staatsräten über die offizielle Sprache ihres Landes durchgeführt hatte, nach Paris: Ils m’ont répondu que c’était la langue allemande, puisqu’elle était employée dans les tribunaux et les administrations, puisque le texte allemand du code Napoléon était déclaré code du royaume. Toutefois, dans trois ministères au moins, toutes les affaires se traitent en français, les discussions du conseil d’État ont lieu en français, la rédaction des décrets est française, les traductions allemandes sont sans uniformité et souvent inexactes373 .
Auch an den Ausführungen im Bericht des Staatsrats, aus dem der Beschluss über die Sprachregelung in der westphälischen Verwaltung hervorgegangen war, wird deutlich, dass die Sprachwahl ein Herd für Konflikte unter den Verwaltungsbeamten darstellte. Der Berichterstatter teilte die an ihn herangetragenen Vorstellungen mit, die für eine tiefergehende und weiter gefasste Einführung der deutschen Sprache als Verwaltungssprache plädierten, selbst in den Ministerien. Er riet dem König davon ab, in diese Richtung einzulenken, denn mit einer allgemeinen und ausschließlichen Verwendung der deutschen Sprache in der Verwaltung befürchtete er, eine schwer überwindbare Barriere zwischen dem Königreich Westphalen und dem Kaiserreich Frankreich zu schaffen374 . Zwei der Ministerien waren tatsächlich in deutscher Hand, was nach und nach offenbar zu einer Distanzierung von den Vorschriften führte, jedenfalls was die Sprache der Kommunikationen unter den Staatsbeamten anging: Man [hat] sich keineswegs strikt an die Vorschriften [der königlichen Entscheidung vom 21. März 1808] gehalten. Die Minister von Wolffradt und von Bülow und die unter dem letzteren stehenden Generaldirektionen erliessen z. B. ihre Reskripte an die Provinzialbehörden grossenteils in deutscher Sprache, gestatteten diesen auch die Einsendung deutscher Berichte. Am 16. Januar 1809 schrieb der Minister Wolffradt an die Präfekten: ›Um Ihnen einige Erleichterung bei dem Geschäftsbetrieb zu gewähren, will ich Ihnen die Abfassung Ihrer Schreiben an mich in deutscher Sprache nachlassen, insofern der Gegenstand allgemeine Landesadministration […]; jedoch darf der jedem Schreiben zur Seite gesetzte Inhalt in keiner anderen als der französischen Sprache sein. Auf alle übrigen Gegenstände, namentlich den Kultus, Hospitäler und milde Unterstützungen, Gesundheitspolizei, öffentlichen Unterricht, Künste
372 373 374
Vgl. THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 150; LÜNSMANN, Die Armee des Königreichs Westphalen, S. 11. Reinhard, zitiert nach: TULARD, Siméon, S. 567. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 571: Bericht an den König, 19. 3. 1808.
3. Sprachbarrieren
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und Statistik findet dies aber keine Anwendung; vielmehr müssen diese nach wie vor ganz in französischer Sprache gehalten sein‹375 .
Die Frage, welche Bereiche der Verwaltungsgeschäfte tatsächlich von der französischen Sprache beherrscht waren oder doch in deutscher Sprache abgehandelt wurden, artete offenbar in den Augen einiger Staatsbeamter zu einer Art Wettkampf der Sprachen aus. Schenkt man zeitgenössischen Angaben Glauben, waren die verschiedenen Administrationsbranchen entweder der deutschen oder der französischen Partei zugeneigt, was sich zum Teil in der Sprachwahl für die interne Kommunikation und für den intraministeriellen Schriftverkehr widerspiegelte. Das Finanzministerium wurde jedenfalls als »un des fiefs du parti allemand« angesehen376 . Auch über das Innenministerium urteilt Fabre: »Confié aux Allemands du haut en bas de la hiérarchie, le service de l’Intérieur était, de tous, le plus suspect et le plus hostile à la haute police, demeurée entre des mains françaises«377 . Dieser deutschen Partei wurde die französische Partei gegenübergestellt: »Le parti français avait, aussi, ses citadelles: les Affaires étrangères, la Justice, la Police et la Guerre«378 . Über dieses ausgeprägte Parteiendenken ist folgende Äußerung von Reinhard überliefert: Es widerstreben […] die Nationalitäten der Verschmelzung, die verschiedenen Beamten verhehlen ihre Abneigung gegen einander nicht, und Deutsche arbeiten den Zielen der Franzosen so entschieden entgegen, dass auch zweckmäßigen Schöpfungen die Anerkennung nicht zu Theil wird379 .
Diese Gegenüberstellung der Franzosen und der Deutschen in der Verwaltung und die Kämpfe um die Durchdringung der einzelnen Geschäftsbereiche durch die deutsche oder französische Sprache gingen offensichtlich bis zur Anstiftung von Intrigen: Der französische Clique am Hofe war Graf Bülow längst ein Stein des Anstoßes, in der gehässigsten Weise wurde seine Thätigkeit kritisiert, und die Intriguen gegen ihn ruhten auch nicht nach der Abreise seines speziellen Verleumders Jollivet. [Bülow hatte Jérômes Vertrauen;] […] gern verzieh er ihm hierfür, dass Bülow bei Besetzung von Ämtern die Deutschen bevorzugte380 .
3.1.3.2. Zweisprachigkeit und Rekrutierungspolitik An Bercagnys westphälischer Karriere lässt sich nachzeichnen, wie sehr die französisch-kaiserliche Gesinnung sich auch in der Bevorzugung von 375 376 377 378 379 380
THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 260; vgl. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37. FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 113. Ibid., S. 113. Ibid., S. 116. Reinhard, zitiert nach: HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 49. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 410.
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C. Sprachbewusstein
französischsprachigen Personen bei der Rekrutierung von Untergebenen bemerkbar machte. Schon bei der Wahl Bercagnys zum Präfekten des Elbdepartements, die durch die Königin während ihrer Regentschaft in Abwesenheit Jérômes besonders unterstützt wurde, fielen folgende Argumente ins Gewicht: »Sie [die Königin] befürchtete, dass die Minister widersprechen würden, aber so fügte sie hinzu: ›… es ist endlich Zeit, sie à la française tanzen zu lassen, denn französisch ist unsere Verfassung‹«381 . Und als Bercagny dann sein Amt als Präfekt antrat, leitete er unverkennbar Maßnahmen ein, die von seiner Präferenz für die Franzosen zeugten: Als Bercagny »endlich zur allgemeinen Freude der Casseler – nicht aber der Magdeburger – den Ruf als ElbePräfekt erhielt, [fing er dort] so streng […] an […], z. B. durch Verabschiedung aller Präfectur-Offizianten, die nicht Französisch verstanden u.s.w.«382 Bercagny musste allerdings bald erkennen, dass diese plötzliche Französisierungsmaßnahme des Verwaltungspersonals Nachteile barg: »Der neue Präfekt sah sich bald veranlasst, da er über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügte, für Magdeburg einen Unterpräfekten ausnahmsweise und entgegen der Verwaltungsbestimmungen, die besagen, daß der Präfekt im Departementshauptort gleichzeitig die Geschäfte eines Unterpräfekten für den betreffenden Distrikt zu führen hat, zu beantragen«383 . Das Problem der staatlich erwünschten Zweisprachigkeit und der nicht unbedingt damit einhergehenden Fachkompetenz für die betreffenden Verwaltungsämter entwickelte sich zu einem Reizthema unter den Zeitgenossen, welches das Parteiendenken und die Frontstellung zwischen Französisch- und Deutschsprachigen in der administration verschärfte. Reinhard gab nach Paris zu bedenken: »Die Auswahl der Verwaltungsbeamten und anderer Angestellten beschränkt sich in vielen Zweigen auf die geringe Zahl derjenigen, welche beide Sprachen sprechen und schreiben«384 . Damit beschrieb er das in seinen Augen existierende Defizit, dass den sprachlichen Kompetenzen für einen Posten in der Verwaltung vor den fachlichen der Vorrang gegeben wurde. Napoleon selbst hatte zum Aufbau des neuen Verwaltungsapparats empfohlen, Zweisprachige vorzuziehen: »Nöthig wird sein, daß Sie sich einen Sekretär verschaffen, der sehr gut deutsch versteht, und beschäftigen Sie sich damit, mir ein paar Elsässer von hervorragendem Verdienst vorzu381 382 383
384
KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 36. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 45 f. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 36. Die vermeintlich stärkere Französisierung des Verwaltungshandelns nach Einsetzung von Bercagny als Präfekt im Elbdepartement untersuchte zuletzt Todorov. Vgl. TODOROV, La division cantonale dans le royaume de Westphalie; DERS., Die Rationalität der Verwaltung. Reinhard, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 113.
3. Sprachbarrieren
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schlagen, welche geeignet sein würden, Sie in Ihrer Verwaltung zu unterstützen«385 . Allerdings riet Napoleon zudem, bei der Rekrutierung der Verwaltungsbeamten besonders auf die Beseitigung der »›eitlen und lächerlichen Standesunterschiede‹« zu achten. Dies war jedoch nur schwer mit der gewünschten Zweisprachigkeit zu vereinbaren. Obgleich Napoleon empfahl, wegen der Verwirklichung des Gleichheitsprinzips Leute aus dem Bürgertum für die Präfektenstellen zu nehmen, musste ihm Jérôme antworten, »es würde ihm sehr schwer werden, aus dem dritten Stand Kandidaten hierfür zu wählen, da der größte Theil dieser Leute wenig unterrichtet sei und die französische Sprache nicht verstehe«386 . Als am darauffolgenden 4. und 10. Januar 1808 die Präfekten- und Unterpräfektenstellen besetzt wurden, wurden ausschließlich Deutsche ausgewählt, jedoch mehrheitlich aus dem Adel, deren Repräsentanten mit der französischen Sprache eher vertraut waren387 . Napoleon warnte zudem seinem Bruder vor den französischen Einwanderern: »n’employez aucun Français sans mon autorisation«388 . Die Befürchtung, inkompetente respektive politisch vorbelastete Personen könnten im westphälischen Verwaltungsapparat Anstellung finden, wurde deutlich ausgesprochen389 . Dem französischen Kaiser war bewusst, dass sich die neue Herrschaft auf gewandte Zweisprachige stützen musste, um ihre Verwaltung zu etablieren. Trotz dieses Bewusstseins haperte es bei der Realisierung, so das Urteil Reinhards: »Placer sur un trône allemand un prince français de sa maison fut sans nul doute la première erreur de Napoléon. L’entourer de conseillers, dont Siméon, qui ne parlait pas allemand, en était une autre«390 . Das Dilemma mit der Zweisprachigkeit war sicherlich groß: Auf der einen Seite erschien es angebracht, Zweisprachige für die Besetzung der Verwaltungsämter zu bevorzugen, andererseits war die Sprachkompetenz nicht bei allen mit der Fachkompetenz für den Posten gepaart. Außerdem wurde
385
Napoleon, zitiert nach: GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 37; vgl. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 4. 386 GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 61. 387 Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 61; HECKER, Napoleonischer Kons388 389
390
titutionalismus, S. 139–146. Napoleon, zitiert nach: FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 72 f. Napoleon sollte im Laufe der westphälischen Herrschaft verschiedene Initiativen ergreifen, um die Herkunft der aus Frankreich eingewanderten Franzosen, die in westphälischen Diensten standen, zu überprüfen. Vgl. u.a. AN Paris, BB11 72, Notes et renseignements sur plusieurs français qui demandent l’autorisation, d’entrer ou de rester au service du roi de Westphalie, année 1812–1813, sousdossier Westphalie. So auch im Hofstaat Jérômes, vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 61. Reinhard, zitiert nach: TULARD, Siméon, S. 567.
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C. Sprachbewusstein
gelegentlich vor oder nach der Anstellung festgestellt, dass die Anwärter auf Verwaltungsämter die Zweitsprache nur ungenügend beherrschten391 . Die Bemühungen, Zweisprachige zur Führung der Staatsgeschäfte zu rekrutieren, beschränkten sich zudem mehr auf die subalternen Posten. So war die obere Verwaltungsebene eher mit Amtsträgern aus Frankreich besetzt, die mehrheitlich keine deutschen Sprachkenntnisse mitbrachten. Über Siméon bemerkt der Historiker Jean Tulard: »Au milieu d’un personnel corrompu (Bercagny, Lecamus), Siméon fut vite isolé. Son ignorance de la langue contribua encore à aggraver son isolement«392 . Nach seinem Urteil war die allmähliche Isolierung von Siméon nicht zuletzt sprachlich bedingt. 3.1.3.3. Sprachwahl in der Amtskorrespondenz Wolffradts Die Sprachwahl für die interne Kommunikation der Staatsbeamten und der Verwaltungsbehörden ist sicherlich ein Thema, das sehr nuancierte Beobachtungen erfordert. Bei einer systematischen Erhebung der Sprache, in der die Verwaltungsschreiben aufgesetzt wurden, ergibt sich ein sehr weites Spektrum von abweichenden bis regelgerechten Praktiken. Durch ihre strenge Beachtung der Sprachregelung zeichneten sich beispielsweise der Finanzminister Bülow und der Innenminister Wolffradt aus: Sie korrespondierten meist auf Französisch miteinander, obgleich Französisch für beide eine Zweitsprache war393 . Auch einige andere Beamtenpaare kommunizierten nach Vorschrift auf Französisch, selbst wenn dies ihrer gemeinsamen deutschen Erstsprache zuwiderlief und die Wahl der deutschen Sprache selbstverständlicher hätte erscheinen können. Anhand der Korrespondenz des Innenministers Wolffradt, der vom 31. Dezember 1808 bis einschließlich Oktober 1813 im Amt war, kann exemplarisch dargelegt werden, wie, teils nach Vorschrift und teils davon abweichend, die Wahl einer Sprache für die Kommunikation zwischen den Staatsbeamten getroffen wurde394 . Die Handhabung der offiziellen Sprach391
392 393
394
Vgl. die Fälle von Dörr und Reitsch z. B. GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Bl. 54: Schreiben von G. A. von Wolffradt an J. A. Morio, Kriegsminister, 25. 7. 1810; ibid., Bl. 55: Schreiben von J. P. Reitsch, Sergent bei den westphälischen Linientruppen in Wolfenbüttel, an G. A. von Wolffradt, 27. 5. 1810; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 5, Nr. 2570–2612, Nr. 2522: Schreiben Nr. 647 von F. T. de Guntz an J. F. M. de Bongars, 7. 7. 1812. Vgl. ferner THIMME, Die inneren Zustände, Bd. 2, S. 379 f., 167. TULARD, Siméon, S. 559. Vgl. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 36. Diese Feststellung Kohls sollte jedoch durch einige Ausnahmen eingeschränkt werden: Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Bl. 89 f.: Schreiben Nr. 2349 von L. F. V. H. Graf von Bülow, Finanzminister, an G. A. von Wolffradt, 16. 4. 1811. In Beamtenkorrespondenzen können teilweise stark individualisierende Tendenzen für die Anreden und Grußformeln sowie für den Schreibduktus festgestellt werden. Diese Tendenzen betreffen eher äußere Merkmale der Korrespondenzen
3. Sprachbarrieren
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regelung durch diesen deutschsprachigen Minister, der, wie schon erwähnt, nicht verhehlte, mit der französischen Sprache seine Schwierigkeiten zu haben, erscheint zur Veranschaulichung besonders geeignet. Mit Merveldt, deutschsprachigem Generalrequetenmeister am westphälischen Hof von Januar 1810 bis 1812, der ebenfalls Französisch sprach, korrespondierte Wolffradt in französischer Sprache395 . Diese Sprachwahl könnte sich aus der gelegentlichen Einbeziehung des Königs in die Begnadigungsverfahren erklären, die dem Generalrequetenmeister unterstanden. Als der Präfekt des Werradepartements Berlepsch am 12. Juli 1809 dem Innenminister Wolffradt über die »surveillance des rédacteurs des journaux politiques« schrieb, tat er dies in französischer Sprache396 . Die Sprachwahl dieser beiden Beamten war allerdings nicht stringent: Kurz zuvor hatte der Innenminister dem Präfekten eine Antwort in französischer Sprache zu einem Schriftstück desselben in deutscher Sprache gegeben397 . Damit signalisierte er wortlos, dass die französische Sprache sich für den Austausch zwischen Staatsbeamten empfahl, um der offiziellen Sprachregelung gerecht zu werden. Im April 1809 schrieb Wolffradt erneut dem gleichen Präfekten des Werradepartements über die Schule in Spangenberg in französischer Sprache398 . Der Innenminister scheint überhaupt ein strenger Hüter der offiziellen Sprachregelung gewesen zu sein. Mit dem Magdeburger Präfekten Graf von der Schulenburg-Emden399 , mit dem Präfekten des Saale-
395
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als den Inhalt der Briefe, der eher konventionell blieb. Vgl. BRAKENSIEK, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger, S. 289. Vgl. dazu auch z. B. die Korrespondenz des Präfekten des Werradepartements Trott zu Solz und vom Generalpolizeikommissar Wolff: PAYE, Die Polizei, S. 96. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 2, Nr. 214–219, hier Nr. 218: Schreiben von P. von Merveldt, Generalrequetenmeister, an G. A. von Wolffradt, 30. 11. 1812. Mit dem französischsprachigen Kriegsminister Höne, geborener Sahla, Justizminister Siméon und Staatssekretär und -minister des Äußeren, Graf von Fürstenstein, geborener Lecamus, aber auch mit den Chefs der Hohen Polizei, Bercagny und dann Bongars, hat Wolffradt selbstredend auf Französisch korrespondiert, da es der Vorschrift entsprach und diese die deutsche Sprache nicht beherrschten. Vgl. Sta MR, Best. 75 Nr. 185, Akten des Innenministeriums über die Schulanstalten im Werradepartement, 1809–1813: Schreiben Nr. 2089 von F. L. von Berlepsch, Präfekt in Marburg, Werradepartement, an G. A. von Wolffradt, 12. 7. 1809. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1977, Akte des Ministeriums des Innern, Buchhändler und Buchdruckereien, 1807–1811, Bl. 52: Schreiben Nr. 546 von G. A. von Wolffradt an F. L. von Berlepsch, 08. 03. 1809. StA MR, Best. 75 Nr. 185: Schreiben Nr. 984 von G. A. von Wolffradt an F. L. von Berlepsch, 18. 4. 1809. Im Zeitraum von März bis August 1809 sind mehrere Schreiben des Innenministers an den Präfekten in französischer Sprache überliefert, worunter sich auch Rundschreiben an die Präfekten befinden. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 139., Akten der Elbdepartementpräfektur über den Esprit public, 1809; StaM, A I P, Nr. 247, Akten des Magistrats über die gerichtliche Polizei und Instruktion
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C. Sprachbewusstein
departements Wilhelm-Christian Gossler400 und mit dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts J. von Müller401 kommunizierte er ebenfalls in französischer Sprache. Bei einigen Staatsbeamten wie dem Kasseler Präfekten Friedrich von Reineck zeigte er mehr Geduld und schrieb abwechselnd auf Französisch und auf Deutsch, wobei das Deutsche abweichend von der offiziellen Sprachregelung überwog, näher an einer ungekünstelten und ungezwungenen Form der Kommunikation zwischen zwei Deutschsprachigen402 . Wenn man weitere Stichproben aus den Korrespondenzen
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der peinlichen Sachen und Bestimmung wegen der korrektionellen Strafen gegen Vagabunden, Bettler und anderes Gesindel, 1809; Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 4. 1180., Akten der Elbdepartementpräfektur über die französischen Kirchenund Schulbediensteten zu Magdeburg, 1808. Einmal weicht der Innenminister von der offiziellen Sprachregelung ab und wendet sich in deutscher Sprache an den Präfekten, vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 198., Akten der Elbdepartementpräfektur über die Zivilgendarmerie, 1809, Bl. 45: Schreiben von G. A. von Wolffradt an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 10. 10. 1810. Dieses Schreiben antwortet auf eine Anfrage in deutscher Sprache des Präfekten an den Innenminister, vgl. ibid., Bl. 41 f.: Schreiben von P. E. A. von der SchulenburgEmden an G. A. von Wolffradt, 22. 9. 1810. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 26 II. Rep. 28., Nr. 4, Akten der Saaledepartementpräfektur über die Einsendung der öffentlichen Blätter und Journale an die Generaldirektion der Hohen Polizei in Kassel, 1808. Auch Gossler antwortet gelegentlich dem Innenminister in französischer Sprache, vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 26 II. Rep. 28., Nr. 4, Bl. 60: Schreiben Nr. 114 von W.-C. Gossler an G. A. von Wolffradt, 26. 2. 1809. Und gelegentlich auch in deutscher Sprache: Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1977, Bl. 51: Schreiben Nr. 1507 von W.-C. Gossler an G. A. von Wolffradt, 1. 3. 1809. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 194, Akten des Innenministeriums über die Einrichtung einer Katholischen Schule in Kassel sowie Bestellung und Besoldung der Lehrer, 1808–1810; StA MR, Best. 75 Nr. 185; StA MR, Best. 75 Nr. 154, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Lehrerbesoldung im Fuldadepartement, 1808–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 180, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Bericht über den Zustand sämtlicher Gymnasien, Lyzeen und Bürgerschulen im Fuldadepartement, 1809–1812; StA MR, Best. 75 Nr. 1284, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts – Besoldung des Registrators Entzeroth, 1808–1810. Im Zeitraum von Januar bis November 1812 sowie von Januar bis April 1813 sind mehrere Schreiben der beiden in deutscher Sprache überliefert, vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 56, Akten des Innenministeriums über die Präfektur in Kassel, Fuldadepartement, 1809–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 182, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Eintauschung und Ausbau des gräflich von malsburgischen Hauses in Kassel zum Lyzeum,1810–1812; StA MR, Best. 75 Nr. 196, Akten des Innenministeriums über die Dotierung des Kasselschen Schulfonds mit einem Teile des Vermögens der aufgehobenen Hof- und Garnisonskirche zu Kassel, 1810–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 199, Akten des Innenministeriums über die Einrichtung und Reparatur der Garnisonschule in Kassel sowie Bestellung und Besoldung der Lehrer; StA MR, Best. 75 Nr. 1298, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts über die Schulanstalten in Cassel, 1812–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 246, Akten des Innenministeriums über den Brand des Schlosses in Kassel; StA MR, Best. 75 Nr. 184, Akten des
3. Sprachbarrieren
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des Innenministers Wolffradt heranzieht, so fällt auf, dass er sich beispielsweise mit dem Nachfolger J. von Müllers, dem Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts, Leist, durchweg in deutscher Sprache schriftlich austauschte, obwohl er noch am 16. Januar 1809 betonte, über das Ressort des öffentlichen Unterrichts sollte weiterhin in französischer Sprache berichtet werden403 . Auch mit dem Finanzminister Malchus verkehrte Wolffradt, entgegen der Vorschrift für diese ministeriale Ebene, in deutscher Sprache, obwohl Malchus nicht zuletzt aufgrund seiner pfälzischen Herkunft zweisprachig war404 . An den Innenminister wandte sich der zweisprachige Marburger Generalpolizeikommissar Wolff ebenfalls in deutscher Sprache405 . Der Briefwechsel Wolffradts mit dem Präfekten F. W. Frantz, der von Oktober 1808 bis 1812 in Göttingen für das Leinedepartement und ab 1812 in Hannover für das Allerdepartement zuständig war, war sprachlich gesehen eher unstetig. Frantz schrieb ihm sowohl in französischer als
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Innenministeriums über die Entschädigungsforderung des Bürgers Lippert wegen der Abtretung seiner Wohnung in den Hallen am Napoleonsplatz in Kassel, 1812; StA MR, Best. 75 Nr. 200, Akten des Innenministeriums – Unterhaltung der Freischulen in Kassel sowie Bestellung und Besoldung der Lehrer, 1811– 1813. Gelegentlich schreibt Reineck jedoch Wolffradt auf Französisch. Genauer betrachtet, schreibt er sogar einen Tag auf Französisch und am nächsten auf Deutsch, vgl. Sta MR, Best. 75 Nr. 56: Schreiben von Freiherrn F. von Reineck an G. A. von Wolffradt, 22. 4. 1813. Aus der Reihe fällt auch ein Schreiben in französischer Sprache über die Ernennung eines neuen Polizeikommissars in Kassel, vgl. Sta MR, Best. 75 Nr. 259, Akten des Innenministeriums – Ernennung der Polizeikommissare im Fuldadepartement, 1808–1813: Schreiben Nr. 1158 von G. A. von Wolffradt an F. von Reineck, 5. 3. 1813. Als Reineck Präfekt in Braunschweig wurde, setzte sich der Schriftverkehr z.T. in französischer Sprache fort, vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 135, Akten des Innenministeriums über verschiedene Gegenstände betr. die Hohe Polizei, vorwiegend aus den Departements der Leine und der Ocker, 1808–1813, Bl. 72: Schreiben von G. A. von Wolffradt an F. von Reineck, Präfekt in Braunschweig, Ockerdepartement, 12. 8. 1813. Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1693; StA MR, Best. 75 Nr. 194; StA MR, Best. 75 Nr. 1284; StA MR, Best. 75 Nr. 183, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Organisation des Schulwesens in Kassel sowie Ernennung des Lehrpersonals am Lyzeum und an der Bürgerschule, Fuldadepartement, 1811–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 196, Akten des Innenministeriums – Dotierung des Kassel’schen Schulfonds mit einem Teil des Vermögens der aufgehobenen Hof- und Garnisonskirche zu Kassel, 1810–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 197, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Plan zur Errichtung einer israelitischen Töchterschule in Kassel, 1811; StA MR, Best. 75 Nr. 198, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Einrichtung einer Mädchenschule zu Kassel, 1808–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 199; StA MR, Best. 75 Nr. 1283, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts – Personal- und Besoldungsetats der Bibliothek und des Museums in Kassel, 1808–1811. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 182. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 260, Akten des Innenministeriums – Ernennung der Polizeikommissaren im Werradepartement, 1809–1813: Schreiben o. Nr. von F. von Wolff an G. A. von Wolffradt, 8. 1. 1810.
464
C. Sprachbewusstein
auch in deutscher Sprache, wobei sich daraus kein System ableiten lässt 406 . Im Fall des Präfekten Trott, der anfänglich in Heiligenstadt für das Harzdepartement amtierte, von Juni bis August 1809 und bis Ende 1813 als Präfekt in Marburg für das Werradepartement fungierte, ist für die erste Zeit ein Schreiben Wolffradts in französischer Sprache überliefert 407 , aber aus seiner Amtszeit in Marburg liegen nur noch Schriftstücke in deutscher Sprache vor, wenngleich mit einigen französischen Termini 408 . Der Präfekt des Fuldadepartements von Juli/August 1808 bis Dezember 1811, Reimann, schrieb Wolffradt fast ausschließlich in deutscher Sprache409 , ob406
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Schreiben von Frantz in deutscher Sprache, vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 140, Akten des Innenministeriums über Anzeigen von aufrührerischen Bewegungen und Tumulten, 1813, Bl. 1 f.: Schreiben von Frantz, Präfekt in Hannover, Allerdepartement, an G. A. von Wolffradt, 17. 4. 1813; ibid., Bl. 11 f.: Schreiben von Frantz an G. A. von Wolffradt, 13. 10. 1813. Schreiben von Frantz in französischer Sprache, vgl. ibid., Bl. 5: Schreiben von Frantz an G. A. von Wolffradt, 30. 9. 1813; ibid., Bl. 17: Schreiben von Frantz an G. A. von Wolffradt, 17. 4. 1813. Wolffradt scheint auch gelegentlich in deutscher Sprache geantwortet zu haben, vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 2970, Akten der Präfektur des Allerdepartements über die Abreise der Behörden aus Hannover im Fall der Annäherung fremder Truppen, 1813: Schreiben von G. A. von Wolffradt an Frantz, 6. 4. 1813; HStAH, Hann. 52, Nr. 3026, Akten der Präfektur des Allerdepartements über verschiedenes Material der Hohen Polizei, 1810–1813: Schreiben von G. A. von Wolffradt an Frantz, 25. 7. 1813; GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Bl. 37: Schreiben Nr. 1260 von G. A. von Wolffradt an Frantz, Präfekt in Göttingen, Leinedepartement, 17. 5. 1809. Und wieder gelegentlich in französischer Sprache, vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 3026: Schreiben von G. A. von Wolffradt an Frantz, [12.–15].5. 1813. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 3, Nr. 375: Schreiben von A. H. von Trott zu Solz, Präfekt in Heiligenstadt, Harzdepartement, an G. A. von Wolffradt, 1. 8. 1809. Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 10, Nr. 5673–5680, hier Nr. 5673; StA MR, Best. 75 Nr. 156, Akten des Innenministeriums – Universität von Marburg; Sta MR, Best. 75 Nr. 185, Akten des Innenministeriums über die Schulanstalten im Werradepartement, 1809–1813; GStA PK, V. HA, Nr. 1693. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 182; StA MR, Best. 75 Nr. 183; StA MR, Best. 75 Nr. 194; StA MR, Best. 75 Nr. 255, Akten des Innenministeriums – Konzessionsgesuche, Berichte über Unruhen bei der Abgabenerhebung und andere Polizeiangelegenheiten im Fuldadepartement; StA MR, Best. 75 Nr. 199; StA MR, Best. 75 Nr. 286, Akten des Innenministeriums über das Kastell in Kassel, 1809–1813; StA MR, Best. 76a Nr. 248, Akten der Präfektur des Fuldadepartements über den Brand im hiesigen königlichen Schlosse und die hierauf Bezug habende Verhandlungen, 1811; StA MR, Best. 75 Nr. 195, Akten des Innenministeriums über den öffentlichen Unterricht – Errichtung einer Artillerieschule in Kassel, 1810–1811; StA MR, Best. 75 Nr. 200; StA MR, Best. 75 Nr. 324, Akten des Innenministeriums über die Gendarmeriekaserne in Kassel, 1808–1813; StA MR, Best. 75 Nr. 256, Akten des Innenministeriums – Zeitungswesen im Fulda- und Werradepartement, 1808–1812; StA MR, Best. 75 Nr. 265, Akten des Innenministeriums – Unterhaltung der Gefangenen im Fuldadepartement, 1808–1809. Lediglich ein Schreiben in französischer Sprache von Reimann, an den Innenminister adressiert, konnte bei den Sondierungen gesichtet werden. Vgl. StA MR, Best. 75
3. Sprachbarrieren
465
gleich sich letzterer sowohl in französischer als auch in deutscher Sprache an ihn wandte410 . Was die weiteren Präfekten angeht, so waren die Schreiben des Präfekten Daniel Heinrich Delius, in den Jahren 1812 und 1813 in Göttingen, an den Innenminister in deutscher Sprache verfasst 411 . Ebenfalls verlief die Korrespondenz Wolffradts mit dem Präfekten Friedrich Christian Ludwig von Henneberg, in Braunschweig für das Ockerdepartement von 1808 bis 1812 amtierend, auf Deutsch412 . Mit dem einstmaligen Unterpräfekten in Halle, Saaledepartement, Piautaz, der ab Mai 1813 in Kassel Präfekt wurde, korrespondierte Wolffradt auch auf Deutsch413 . Mit dem Unterpräfekten in Goslar
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Nr. 256: Schreiben Nr. 1967 von G. J. G. A. von Reimann an G. A. von Wolffradt, 17. 3. 1809. Schreiben von Wolffradt in französischer Sprache, vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 255: Schreiben Nr. 4216 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, Präfekt in Kassel, Fuldadepartement, 30. 11. 1810; ibid., Schreiben Nr. 2586 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 27. 8. 1810; StA MR, Best. 75 Nr. 199: Schreiben Nr. 1871 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 31. 12. 1809. Auf ein Schreiben des Innenministers Wolffradt in französischer Sprache erlaubte sich der Präfekt des Fuldadepartements sogar in deutscher Sprache zu antworten, vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 1693, Bl. 72: Schreiben von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 6. 12. 1810; ibid., Bl. 71: Schreiben von G. J. G. A. von Reimann an G. A. von Wolffradt, 7. 1. 1811. Schreiben von Wolffradt in deutscher Sprache, vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 199: Schreiben Nr. 3500 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 25. 10. 1810; ibid., Schreiben Nr. 4854 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 11. 11. 1811; ibid., Schreiben Nr. 3614 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 1. 11. 1810; ibid., Schreiben Nr. 3424 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 23. 11. 1809; ibid., Schreiben Nr. 3621 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 29. 8. 1811; StA MR, Best. 75 Nr. 286: Schreiben Nr. 2879 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 9. 10. 1809; ibid., Schreiben Nr. 3452 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 27. 11. 1809; StA MR, Best. 76a Nr. 248: Schreiben von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 29. 11. 1811; ibid., Schreiben Nr. 5199 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 4. 12. 1811; ibid., Schreiben Nr. 5277 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 13. 12. 1811; StA MR, Best. 75 Nr. 195: Schreiben Nr. 4304 von G. A. von Wolffradt an G. J. G. A. von Reimann, 14. 12. 1810. Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 140, Bl. 13: Schreiben von D. H. Delius, Präfekt in Göttingen, Leinedepartement, an G. A. von Wolffradt, 20. 10. 1813; ibid., Bl. 18, Schreiben von D. H. Delius an G. A. von Wolffradt, 27. 10. 1813. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 56. Gleichwohl war Henneberg sicherlich ein ausgezeichneter Zweisprachiger, da er während der Präfekturzeit Bercagnys in Magdeburg, um dessen Unkenntnis der deutschen Sprache auszugleichen, dort als Unterpräfekt eingestellt wurde. Vgl. StA MR, Best. 75 Nr. 56; StA MR, Best. 75 Nr. 199; StA MR, Best. 75 Nr. 200; StA MR, Best. 75 Nr. 1298, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts – Einrichtung und Ausbau der Halle am Napoleonsplatz in Kassel für die Bürgerschule, 1812–1813.
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C. Sprachbewusstein
verkehrte Wolffradt währenddessen zum Teil auf Französisch, obwohl dies nicht der Vorschrift entsprach414 . Man könnte die Sprache der Korrespondenz von beliebig vielen Beamtenpaaren in Betracht ziehen und würde viele Fälle finden, in denen diese abweichend von der offiziellen Sprachregelung sich auf eine Kommunikationssprache festlegten. Die westphälischen Beamten hielten sich nicht an die Vorgaben von 1808; dies hatten bereits die Aufforderungen Bercagnys an die Beamten gezeigt, sich gefälligst an diese Richtlinie zu halten, wie im ersten Teil B I.2. (Übersetzungspraxis) erwähnt. Im Fall des Innenministers Wolffradt wurde die Wahl der einen oder der anderen Sprache, ob dies mit der offiziellen Sprachregelung konform war oder eine Distanzierung davon bedeutete, nicht direkt thematisiert. Man darf annehmen, dass die interne Regelung der beiden Staatsbeamten oder employés im gegenseitigen Einvernehmen oder sogar, noch wahrscheinlicher, unreflektiert erfolgte. Allerdings, selbst wenn die Sprachwahl nicht direkt thematisiert wurde, könnte die Entscheidung, auf ein französischsprachiges Schreiben in deutscher Sprache zu antworten oder umgekehrt, unausgesprochen von einer Verstimmung im Austausch zeugen. 3.1.3.4. Sprachwahl von Beamten im Schriftverkehr mit zweisprachigen administrés Eine Akte ist in Bezug auf die Sprachregelung in der administration und die Interaktion mit den Administrierten besonders interessant und wird hier für die Argumentation herangezogen, obwohl sie von der Hauptstadt in die Provinz führt. Sie betrifft die französischsprachigen Kirchendiener und Schulbediensteten in Magdeburg und im Elbdepartement, die Nachkommen von Hugenotten waren, und befindet sich in den Präfekturakten des Grafen von der Schulenburg-Emden415 . Auf ein in französischer Sprache verfasstes Schreiben der französischen Prediger und Kirchenbediensteten, in dem sie ihre ökonomischen Schwierigkeiten darstellten, die auf ausstehende Gehälter zurückgingen, antwortete der Präfekt stur in deutscher Sprache416 . 414
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Vgl. HStAH, Hann. 52, Nr. 140, Bl. 7: Schreiben von Kerl, Unterpräfekt in Goslar, Ockerdepartement, an G. A. von Wolffradt, 24. 10. 1813. Dabei antwortete der Unterpräfekt auf ein Rundschreiben vom 19. 10. 1813, das bei ihm in französischer Sprache eingegangen war. Weiterführend über die Magdeburger reformierte Gemeinde vgl. u.a. TOLLIN, Geschichte der Französischen Colonie von Magdeburg; FISCHER, Die französische Kolonie zu Magdeburg. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 1180., Bl. 1 f.: Schreiben der Prediger und des Gemeinderats der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 29. 3. 1808. Die Antwort des Präfekten in deutscher Sprache, vgl. ibid., Bl. 3: Schreiben vom Grafen P. E. A. von
3. Sprachbarrieren
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Im Dezember 1808 wandte sich der seit Oktober neu eingestellte Prediger Dihm junior mit einer ähnlichen Gehaltsanforderung wiederum an den Präfekten, zuerst in französischer und daraufhin in deutscher Sprache417 . Es ist nicht klar, was der Prediger damit erreichte und in welcher Sprache die Antwort verfasst war, falls er vom Präfekten eine auf seinen Antrag erhielt. Die Prediger beharrten jedenfalls auf der Verwendung der französischen Sprache auch bei ihren späteren Schriftwechseln mit dem Präfekten Graf von der Schulenburg-Emden. Im April 1809 baten sie ihn, bei seinem Vorgesetzen um eine Gehaltserhöhung für sie vorzusprechen418 . Die Sprache, in der der Präfekt ihnen eine Antwort darauf gab und ob diese nicht sogar nur mündlich erfolgte, ist nicht mehr ersichtlich. Jedenfalls schrieb der Präfekt seinem Vorgesetzten, dem deutschsprachigen Innenminister Wolffradt, in französischer Sprache vom Antrag der Prediger Desca und Provençal der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg419 . Die Absage, die der Innenminister in dieser Sache erteilte, ließ er dem Präfekten ebenfalls in französischer Sprache zukommen420 . Die Prediger gaben ihr Anliegen jedoch nicht auf und wandten sich erneut in französischer Sprache an den Präfekten, der ihnen zum ersten Mal eine Antwort in französischer Sprache gab421 . Die Witwe des Predigers Dihm senior, die sich parallel dazu ebenfalls in französischer Sprache mit ihrem Anliegen um Fortzahlung des Gehalts ihres Mannes ein Jahr nach seinem Ableben an den Präfekten wandte, einmal im April und erneut im August 1809, erhielt vom Präfekten eine Antwort in
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der Schulenburg-Emden an die Prediger und den Gemeinderat der französischreformierten Gemeinde in Magdeburg, 1. 4. 1808. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 1180., Bl. 5: Schreiben von Dihm junior, Prediger der französisch-reformierten Kirche in Magdeburg, an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 16. 12. 1808. Das Schreiben in deutscher Sprache vgl. ibid., Bl. 7: Schreiben von Dihm junior an Grafen P. E. A. von der SchulenburgEmden, 31. 12. 1808. Eventuell ist das Schreiben in der Akte (Bl. 6) die Antwort in deutscher Sprache auf die erste Anfrage in französischer Sprache von Dihm junior, die bei der Aktensichtung nicht mehr registriert werden konnte. Vgl. ibid., Bl. 8: Schreiben der Prediger der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 6. 4. 1809; ibid., Bl. 9: Schreiben der Prediger an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 15. 4. 1809. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 1180., Bl. 10: Schreiben von Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden an G. A. von Wolffradt, 18. 4. 1809. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 1180., Bl. 13: Schreiben von G. A. von Wolffradt an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 20. 5. 1809. Vgl. ibid., Bl. 15 f.: Schreiben der Prediger der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg an Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, [5]. 1809; ibid., Bl. 17: Schreiben von Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden an die Prediger der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg, [5]. 1809.
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C. Sprachbewusstein
deutscher Sprache422 . Die Witwe behielt jedoch bei ihren weiteren Anträgen an den Präfekten die französische Sprache bei 423 . Diese Akte zeigt: Selbst wenn der Präfekt Graf von der SchulenburgEmden bereit war, an den Innenminister Wolffradt Schreiben in französischer Sprache zu adressieren, so wie die Sprachregelung es für diese beiden Amtsträger vorsah – ungeachtet dessen, dass ihrer beider Erstsprache Deutsch war –, so hielt er sich, im Austausch mit den Administrierten, an die deutsche Sprache, selbst wenn diese ihm eine Antwort in französischer Sprache nahelegten. Dem einen, mit dem es ein Leichtes gewesen wäre, auf Deutsch zu korrespondieren, schrieb er auf Französisch, und den anderen, die sich offensichtlich lieber in französischer Sprache artikulierten, pflegte er auf Deutsch zu antworten. Die Sprachwahl orientierte sich offenbar kaum an der Praktikabilität und den Vorlieben der Ansprechpartner, in der sich teilweise die Zwänge der Zeit ausdrückten. Es sieht so aus, als ob der Präfekt der Unannehmlichkeit der wiederholten Gesuche um Gehaltserhöhung oder -fortzahlung mit der Unhöflichkeit eines Sprachwechsels begegnete. Zieht man weitere Korrespondenzen zwischen den Staatsbeamten heran, so ist in einigen Fällen überliefert, wie die interne Regelung zur Sprachwahl in der Kommunikation zwischen Staatsbeamten oder employésfür Spannungen sorgte. 3.1.3.5. Streitigkeiten über die Sprachwahl in Amtskorrespondenzen Am 14. April 1808 ließ Finanzminister Jacques Claude Beugnot den Präfekten durch ein Rundschreiben bestellen, sie sollten sich an ihn zukünftig nur noch in französischer Sprache wenden. Unter dem Betreff »Le ministre invite le Préfet à se conformer à la décision de S. M. sur l’usage de la langue française« ging folgendes Rundschreiben beim damaligen Präfekten des Werradepartements, Berlepsch, ein: je remarque que la Correspondence de quelques fonctionnaires m’est adressée en Langue allemande. Je vous préviens que S. M. a décidé le 21 Mars dernier, que La 422
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Vgl. ibid., Bl. 11: Schreiben der Witwe des Predigers Dihm senior der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg an den Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 29. 4. 1809; ibid., Bl. 18: Schreiben der Witwe des Predigers Dihm senior an den Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 23. 8. 1809; ibid., Bl. 19: Schreiben von Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden an die Witwe des Predigers Dihm senior, [8]. 1809. Vgl. Lha S-A, Wernigerode, B 18 I. 1180., u.a. Bl. 20: Schreiben der Witwe des Predigers Dihm senior der französisch-reformierten Gemeinde in Magdeburg an den Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 18. 10. 1809; ibid., u.a. Bl. 21: Schreiben der Witwe des Predigers Dihm senior an den Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 5. 12. 1809; ibid., u.a. Bl. 23: Schreiben der Witwe des Predigers Dihm senior an den Grafen P. E. A. von der Schulenburg-Emden, 15. 3. 1810.
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langue française continuera d’être employée dans ses conseils d’Etat et privé, à la Trésorerie, dans les Bureaux des quatres ministères, et dans ceux des conseillers d’État chargés de la Direction de quelque partie de l’administration publique. Je vous prie de vouloir bien vous y conformer et de m’accuser reception de la présente424 .
Der Präfekt des Werradepartements bestätigte den Erhalt des Rundschreibens und versprach, sich für die Einhaltung dieser Sprachregelung einzusetzen425 . Zwischen den westphälischen und kaiserlich-französischen Staatsbeamten wurde gelegentlich die Wahl der Kommunikationssprache zum Angelpunkt für Streitigkeiten und Machtkämpfe. Berding berichtet über Streitigkeiten des Präfekten des Werradepartements Trott mit der französischen Domänenbehörde im Jahre 1811: Der Präfekt des Werra-Departements (von Trott) hatte im November 1811, […] die Eingabe des Domänendirektors (Tornezy) wiederholt zurückgewiesen mit der Begründung, dass die Eingaben in deutscher Sprache und auf Stempelpapier abgefasst sein müssten. Tornezy wies darauf hin, dass es das Ziel des Pariser Vertrages und der daraus folgenden Übertragung der Rechtsstreitigkeiten an die Präfekturräte gewesen sei, alle Streitsachen ohne Kosten zu entscheiden. Das Ansinnen, Angaben auf Stempelpapier, also gebührenpflichtig vorzubringen, sei ungeheuerlich; ebenso sei es eine unüberbietbare Provokation, den Gebrauch der deutschen Sprache zu verlangen, wo doch auch innerhalb Westfalens zwischen den Ministerien und im Behördenschriftverkehr bis hinab zu den Präfekturen die französische Sprache als Amtssprache gelte426 .
Die Vermutung liegt nahe, dass der Präfekt, um die Ansprüche der kaiserlich-französischen Vertreter im Königreich Westphalen abzuwehren, die deutsche Sprache als Kommunikationssprache verlangte und so eine Verzögerung im Entscheidungsprozess erzielen und möglicherweise die Souveränität des Königreichs Westphalen gegenüber dem Kaiserreich Frankreich demonstrieren wollte. Der Konflikt wegen der Sprachwahl ergab sich hier nicht innerhalb der westphälischen Behörde, sondern wohlgemerkt im Austausch mit Vertretern von französisch-kaiserlichen Institutionen. Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich im Fall der Sprachwahl ein weites Spektrum von Motivationen für die Kommunikation zwischen Staatsbeamten finden lässt: Auf dieser breiten Skala von Praktiken, die für die einen eng an der offiziellen Sprachregelung blieben und für die anderen in Distanz dazu standen, wird man sowohl pragmatische Handhabungen als auch als Provokation aufgefasste Gebräuche erkennen können. Der Sprachwechsel innerhalb einer Beamtenkorrespondenz konnte für 424
425 426
Vgl. StA MR, Best. 77a Nr. 473, Akten der Präfektur des Werradepartements über das Ministerialschreiben, dass in den höheren Conseils französisch die Geschäftssprache bleiben soll, 1808: Rundschreiben Nr. 103 von J. C. Beugnot, Finanzminister, an F. L. von Berlepsch, 14. 4. 1808. Vgl. ibid., Schreiben Nr. 166 von F. L. von Berlepsch, an J. C. Beugnot, 16. 4. 1808. BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 105.
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C. Sprachbewusstein
Irritationen sorgen und barg viel Potential für Unmutsäußerungen. Über die Sprachen führten die »französische Partei« und die »deutsche Partei« zum Teil verdeckt eine Auseinandersetzung, bei der die politische Gesinnung zum eigentlichen Motor wurde. Relativierend könnte hinzugefügt werden, dass die deutsch-französischen Gegensätze in der administration teilweise von den regionalen Gegensätzen übertroffen wurden. Der Historiker Goecke schreibt dazu: Im Uebrigen waren die Gegensätze zwischen einer französischen und deutschen Partei nicht die einzigen, welche es in Westphalen gab, sondern die Hessen und besonders die Hannoveraner waren stolz auf ihre vorgebliche Ueberlegenheit über die übrigen Deutschen, und glaubten sich braunschweigischen und preußischen Coterien geopfert und umgekehrt 427 .
Besonders die in Kassel heimischen Hessen empfanden den Zuzug anderer Deutscher als sehr nachteilig: Diese guten Hessen fanden sich plötzlich fremd in ihrer eignen Stadt und so mächtig wirkte auch hier die Gewohnheit, dass selbst von denjenigen, die noch unter Landgraf Friedrichs Regierung gebildet worden waren, nur die wenigsten sich in den neuen Zustand der Dinge finden konnten. […] Dieser Fremden-Hass der Hessen traf die Deutschen Ankömmlinge fast noch mehr als die Franzosen und zeigte sich vorzüglich dann, wenn Braunschweiger oder Preussen Stellen im vormaligen Hessen erhielten. […] Die Eigenthümlichkeiten des Hessenthums waren auf der andern Seite den Fremden Angesiedelten so zuwider und lächerlich, dass diese die Hessen zum beständigen Gegenstand ihrer sarkastischen Unterhaltung machten. […] Diese Verhältnisse verhinderten denn natürlich ein gesellschaftliches Zusammentreten der Hessen mit den übrigen Deutschen in Kassel 428 .
Über die Vorzugsbehandlung einiger Deutscher, die eher aufgrund ihrer regionalen Herkunft als wegen ihrer Fachkompetenz zustande kam, schreibt Zinserling: »Abgedankte oder reducirte Preussische Offiziere sah man in Menge in Kassel ankommen, einige Wochen lang die Antichambre des Ministers besuchen und dann Stellen erlangen, zu denen sie weder Talente noch Studien hatten«429 . Der Anteil der Preußen in der Verwaltung soll nach dem Eindruck Zinserlings insgesamt höher gewesen sein als der anderer Deutscher430 . Ein Historiker spricht seinerseits von einem Überhang der Hannoveraner und Braunschweiger431 . Trotz Zwiespalt und regionaler Gegensätze sorgte jedoch offenbar die Antipathie gegen das Französische für den Zusammenhalt innerhalb der 427 428 429
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GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 112; vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 95. Ibid., S. 95. Ibid., S. 40. Die Einflussnahme der deutschen Partei in der Besetzung von Stellen zeigt sich laut Zinserling u.a. im Beharren auf dem »Anciennitäts-Prinzip« und auf dem »Herkunftsprinzip«. Ibid., S. 40 f. Vgl. ibid. S. 96 f. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 112.
3. Sprachbarrieren
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so genannten deutschen Partei 432 . Die von den Zeitgenossen angesprochenen Schwierigkeiten, die vermeintlich aufgrund des zweisprachigen Verwaltungsapparats entstanden, scheinen jedoch gelegentlich nur als Vorwand angeführt worden zu sein. Folgende Aussage des Geschichtslehrers der Pagen am Hof, Zinserling, legt dies nahe: Um die Entfernung der Franzosen, die nicht geradezu eine Stütze am Hofe hatten aus ihren bisherigen Stellen vorzubereiten und zu rechtfertigen, musste man zuerst dem Gebrauch der Französischen Sprache in den Geschäften den Krieg erklären. Da die Deutsche Sprache ohnehin vorherrschend war, so wäre es die Pflicht eines Ministers gewesen, in einem Königreich, das von einem Französischen Prinzen beherrscht wurde, das seine Konstitution und Gesetzgebung von Frankreich erhalten hatte, das mit diesem Lande in einer Verbindung stand, die sich zuletzt wahrscheinlich in eine Reunion verwandeln konnte, den Gebrauch der französischen Sprache eher zu befördern als zu hindern. Die seit Ludwig dem XIV. bestehende Universalität dieser Sprache erleichterte dieses Verfahren, und wie weit es von Tyrannei entfernt war, zeigte die Bereitwilligkeit und Leichtigkeit, mit der man anfangs den Französischen Geschäftsstyl adoptirte. […] In den Central-Administrationen zu Kassel musste man nicht vergessen, dass die Tochter die Sprache der Mutter zu lernen verpflichtet sey. Die Vorwände, diesen Grundsätzen entgegen zu handeln, waren bald gefunden. Wozu, hiess es, bedürfen wir als Deutsche in den Geschäften der Französischen Sprache? Welche Weitläufigkeit! Welche Unmöglichkeit, gewisse Gegenstände im Französischen auszudrücken! Welche Schwierigkeit, so viel geschickte Uebersetzer zu finden. – Und mit diesen Vorwänden gieng man so weit, sogar dem König selbst Deutsch geschriebene Piecen zur Unterschrift vorzulegen, die dieser denn auch zu unterzeichnen nicht ermangelte. So war es denn natürlich, dass man mit scheinbaren Grund gegen die Anstellung derjenigen Franzosen, die in männlichen Jahren nicht mehr vollkommen Deutsch lernen konnten, protestirte. […] Unaufhörlich wurde der König mit Klagen über die Unbrauchbarkeit der Franzosen in der Administration bestürmt 433 .
Die Ausführungen Zinserlings machen deutlich, wie politisch der Aushandlungsprozess des Gebrauchs der französischen oder deutschen Sprache im öffentlichen Bereich war. Die von den Zeitgenossen angesprochenen Verständigungsschwierigkeiten und vermeintlichen Erschwernisse im Geschäftsgang durch die Verwendung der französischen Sprache erscheinen so zumindest zum Teil vorgetäuscht. Der hohe Politisierungsgrad der Sprachenfrage in der westphälischen administration lässt sich am folgenden, wahrscheinlich fiktiven Brief deutlich erkennen. Ein westphälischer Beamter schreibt einem anderen über einen dritten, während alle drei anonym bleiben: »Es hat ganz das Ansehen, als ob P. sich selbst eine Grube graben wollte. Seine Wuth, alles zu französiren, muß ihm den Hals brechen, und die deutsche Parthei arbeitet ihm stets entgegen«434 . Diese Aussage macht deutlich, dass der Kampf zwischen der französischen und der deutschen Partei über die Sprachenfrage in der ad432 433 434
Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 22. Ibid., S. 37. Vertraute Briefe, S. 135.
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C. Sprachbewusstein
ministration nicht offen geführt wurde und zudem zum Prinzip geworden war435 . Das Verwaltungshandeln bestimmter Beamter wurde von dem Moment an, in dem diese als Franzosen oder Franzosenfreunde erkannt worden waren, systematisch abgelehnt, ungeachtet der Inhalte. Zinserling berichtet, wie beim König gegen die Französischsprachigen in der administration Stimmung gemacht wurde: Ein Zug, der vieles aufklärt, darf bei dieser Gelegenheit nicht vergessen werden. Der Graf Wolfrath, der bekanntlich weder der feinste Mann noch der feinste Kopf war, und der dem letzteren Umstande vorzüglich seine Ernennung zum Minister des Innern verdankte, hatte einst in einer jener geheimern Zusammenkünfte das Kapitel von Vertreibung der Franzosen besprechen hören. Den Tag darauf findet er den König, umgeben von seinen Französischen Hof-Offizianten, und sagt ihm, ganz voll von der gestrigen Unterhaltung: Sire, j’ai trouvé un excellent moyen, d’eloigner tous les Français. – Mais, mon cher, antwortete ihm der König, Vous oubliez, que je suis aussi Français moi 436 .
Es ist unwahrscheinlich, dass diese Anekdote auf einen tatsächlichen Austausch des Grafen Wolffradt mit dem König zurückgeht. So wie Zinserling sie wiedergibt, hätte sie in dieser Form auch als zeitgenössischer Witz kursieren können437 . So komisch der wiedergegebene Einwurf Wolffradts auch wirkt, so sollte die Anekdote nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einigen Staatsbeamten durchaus ernst war mit dem Ausspielen einer Sprache gegen die andere. Zinserling führt weiter zum Plan der so genannten deutschen Partei in der administration aus: Wir verdrängen allmählich die Französische Sprache aus den Theilen der Verwaltung, wo sie sich schon eingeschlichen hat, und wo wir sie, ohne zu auffallend zu werden, verdrängen können. Wir entfernen, so viel möglich, alle Franzosen, die Stellen in der Administration erhalten haben, und scheuchen dadurch diejenigen zurück, die noch Lust haben könnten, sich bei uns anzusiedeln438 .
Zinserling zufolge wurde die Umsetzung dieses Plans durch eine besondere Eigenschaft der so genannten »Französischen Konnexion« erleichtert 439 : bei dem Egoismus, den die Franzosen seit der Revolution haben, gelang es der Deutschen Parthei selbst, viele von den Franzosen, die Gönner unter ihren Landsleuten bei Hofe hatten, nach und nach zu entfernen. Dieses war besonders bei der Administra-
435
436 437 438 439
Einige Akteure der Hofgesellschaft und im Staatsapparat scheinen sich von einem strengen Parteidenken und dem deutsch-französischen Gegensatz emanzipiert zu haben. Bemerkenswerterweise trifft dies z. B. eher auf die Zweisprachigen zu, wie den Generalintendanten des Öffentlichen Schatzes, Pichon. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 47–49. Ibid., S. 38 f. In den Kapiteln B III. (Bittschriften) und B IV. (Karikaturen) werden einige Beispiele von zeitgenössischen Witzen und Rätseln angeführt. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 26. Ibid., S. 40.
3. Sprachbarrieren
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tion der Posten der Fall; [die deutsche Partei suchte] den Franzosen das Geheimniss der Post aus den Händen zu reissen440 .
Hier schreibt offensichtlich ein erklärter Feind der Französischen Revolution, der ganz dezidierte Vorstellungen über den daraus abzuleitenden Nationalcharakter der Franzosen hatte. Nichtsdestotrotz ließen sich mindestens zwei Phasen im ›Kampf‹ der deutschen und der französischen Partei in der Verwaltung ausmachen: Bis zur Ungnade von Finanzminister Bülow war nach Aussagen von Zeitgenossen die deutsche Partei in einer stärkeren Position. Zinserling beschreibt den Minister metaphorisch als einen »Damm gegen Französischen Einfluss«441 . Nachdem Bülow bei König Jérôme in Ungnade gefallen war, spricht er auch vom »Untergang des Bülowismus«442 . Die Anhänger des Finanzministers vereint er in einer »Klique« und spricht auch anderswo von ihnen als den »Hauptverfechter[n] des Germanismus«443 . Über die Reorganisation der deutschen Partei nach dem Sturz Bülows schreibt er noch: Die Zeit war vorbei, wo die Deutsche Parthei ihre Grundsätze laut und öffentlich proklamieren konnte. Sie hatte kein sichtbares Haupt. Der neue Minister der Finanzen hatte Gefälligkeit gegen das Französische System zur Richtschnur seiner Handlungen gemacht. Aber im Stillen suchte man noch immer fort zu wirken, und am Hofe und bei Besetzung der Stellen herrschten, wo nicht eine mächtig Französische Protektion dazwischen kam, die alten Deutschen aristokratischen Principien immer fort 444 .
Auch die Haltung des Königs soll sich gewandelt haben. Anfänglich soll er, wie der ehemalige westphälische Page Lehsten-Dingelstädt berichtet, sich sehr offen gegenüber seinen deutschsprachigen Staatsbeamten gezeigt haben: er [hat] den Deutschen in allem den Vorzug gegeben. Fast alle Franzosen aus seiner nächsten Umgebung entfernte er. Selbst die Kränkung durch Dörnberg brachte ihn nicht von den deutschen Kavalieren zurück, und er würde dies noch mehr getan haben, wenn ihm nicht vom Kaiser von Zeit zu Zeit Franzosen zugeschickt worden wären, und diese musste er behalten445 .
Nach Bülows Abgang wurde der König allerdings den Deutschsprachigen gegenüber ungnädig: Dem König waren die Augen geöffnet worden und voll Zorn, so lange getäuscht worden zu seyn, liess er seinem Unwillen im nächsten Staatsrathe freien Lauf. Als er einige Woche drauf in seinem Vorzimmer Deutsch sprechen hörte, hielt er ebenfalls eine heftige Rede. 440 441 442 443 444 445
Ibid., S. 39. Ibid., S. 52. Ibid., S. 50. Ibid., S. 51, 47. Ibid., S. 53 f. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 30.
474
C. Sprachbewusstein
Der Graf von Fürstenstein, in gleichem Falle, betrug sich auf gleiche Weise und hielt mehrere privatim starke Strafpredigten446 . Bei den deutsch-französischen Fronten, die nach und nach in den Zentralbehörden, aber auch am westphälischen Hof aufgebaut wurden, und teilweise in »Gallomanie« und »Germanomanie« mündeten447 , wurden die Verständigungsschwierigkeiten zum Teil als Vorwand genutzt, wobei die tatsächlichen deutsch-französischen Verständigungsschwierigkeiten aufgrund der Sprachen wahrscheinlich das geringste Hindernis ausmachten. Bisher wurde der Fokus dieser Untersuchung auf die Schwierigkeiten gelegt, die die Sprachregelung in der Verwaltung auslösten. Wie sich die sprachlichen und daran anknüpfenden politischen Gegensätze unter den Mitgliedern des westphälischen Hofstaats bemerkbar machten, soll im Folgenden beleuchtet werden. 3.1.4.
Sprachkonflikte am Hof
Einigen zeitgenössischen Stimmen nach war die Verwaltung im Königreich Westphalen generell stärker deutsch geprägt, während der Hof eher französisch ausgerichtet war. Als Bercagny zum Präfekt des Elbdepartements ernannt und nach Magdeburg versetzt wurde, meldete der kaiserlichfranzösische Vertreter Reinhard missbilligend nach Frankreich, »dass es ratsamer wäre, den alten Grundsatz zu befolgen: ›Der Hof ist französisch, aber die Verwaltung deutsch‹«448 . Die sprachlichen Belange innerhalb des Verwaltungsapparats und des Hofstaats flossen in vielerlei Hinsicht ineinander. Gerade was die bereits erwähnte Bildung einer französischen und einer deutschen Partei anging, nahmen die Intrigen am Hof sicherlich Einfluss auf die Organisation im Verwaltungsapparat 449 . Zu den Aktivitäten gegen Finanzminister Bülow schreibt Kleinschmidt beispielsweise, wie bereits erwähnt: Der französischen Clique am Hofe war Graf Bülow längst ein Stein des Anstoßes, in der gehässigsten Weise wurde seine Thätigkeit kritisiert, und die Intriguen gegen ihn ruhten auch nicht nach der Abreise seines speziellen Verleumders Jollivet450 . 446 447 448
449
450
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 53. Ibid., S. 32, 139, vgl. ferner S. 47. KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 36. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 112; HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 49. Über das Chaos der Hofintrigen vgl. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 19 f.; GOECKE, Das Königreich Wespthalen, S. 272; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 35, 410–422; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 89. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 410. Zu den Hauptvertretern der deutschen Partei am westphälischen Hof wird oftmals Frau von Truchseß gerechnet. Vgl. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 122 f.
3. Sprachbarrieren
475
Die Spannungen, die in der administration aufgrund der Sprachen entstanden und die Konflikte, die sich unter dem Vorwand der Sprachen ergaben, finden sich in ähnlicher Form in der Hofgesellschaft wieder. Besonders die Ausführungen des Pagenlehrers Zinserling ermöglichen es, das ambivalente Verhältnis von Hofstaats- und Verwaltungsamtsträgern zu der gesamtgesellschaftlich vorhandenen Diglossie im Königreich Westphalen zu beleuchten. Die »Denkwürdigkeiten« von Zinserling sind vor allem für das höfische Leben in Kassel aufschlussreich. Im Zusammenhang mit den Sprachkonflikten in der administration konnte bereits angedeutet werden, dass bei den deutsch-französischen Fronten, die nach und nach am westphälischen Hof und in den Zentralbehörden entstanden, die Verständigungsschwierigkeiten zum Teil als Alibi für die Konflikte zwischen den Westphalen französischer und deutscher Herkunft genutzt wurden, wobei die tatsächlichen deutsch-französischen Verständigungsschwierigkeiten wahrscheinlich zweitrangig waren. Die Angaben Zinserlings lassen vermuten, dass das Problem der sprachlichen Verständigung eher einen kulturellen Hintergrund hatte: Die alteingesessenen adligen und bürgerlichen Kreise, die unter der westphälischen Herrschaft Hof und Verwaltungsapparat nahe standen, waren durchaus in der Lage, sich sprachlich mit den französischen Emporkömmlingen zu verständigen451 . Französisch galt bereits im vorangegangenen Jahrhundert als gängige Kommunikationssprache des Adels in deutschen Hofgesellschaften452 . Was für die Königin galt, traf auch auf andere Vertreter des Adels am Hof zu: Die Sitten ihrer Zeit entsprechend, war die Prinzessin ganz nach französischer Art erzogen worden und bediente sich auch weitaus lieber der französischen als der deutschen Sprache. Man hat es ihr später, und zwar mit Recht, zum Vorwurf gemacht, dass sie deutsches Wesen hasse und sich viel lieber mit Franzosen unterhalte als mit ihren Landsleuten. Als am Hofe einst ein deutscher Page eine an ihn gerichtete Frage in seiner Muttersprache beantwortete, erhielt er eine Rüge und die Weisung, mit der Königin stets Französisch zu sprechen453 .
Die Königin soll sich tatsächlich vorzugsweise der französischen Sprache bedient haben, selbst gegenüber ihren deutschsprachigen Untertanen, zumindest soweit sie zum Hof gehörten454 . Dies entsprach der Tatsache, dass Französisch gängige Umgangssprache an deutschen Fürstenhöfen war455 ; konform mit der Vorstellung Napoleons, der vor Katharinas Verheiratung mit Jérôme darauf bestanden hatte, dass sie auf ihren württembergischen Hof-
451 452 453 454 455
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 18. Vgl. ibid., S. 37. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 107. Vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1., S. 17. Vgl. u.a. SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 32 f.
476
C. Sprachbewusstein
staat verzichtete456 . Die Tatsache, dass die erste Dame des Landes auf die Benutzung der französischen Sprache Wert legte und dabei ihre deutsche Landessprache verleugnet haben soll, ist symptomatisch für die Verhältnisse am westphälischen Hof. Einige Vertreter der alten Aristokratie beherrschten das Französische zum Teil fließend und auf hohem Niveau: Indessen wirkte doch schon die Sprache, dass die Konversation in jenen auf Französischen Fuß lebenden adlichen Deutschen Häusern, eine Lebhaftigkeit und einen tour d’esprit hatte, der sie von der schwerfälligen Plumpheit und Pedanterie der Deutschen bürgerlichen Gesellschaft vortheilhaft unterschied457 .
Französisch war die »Konversations-Sprache« der höheren Stände im Königreich Westphalen458 ; sie war von jeher die Sprache der Aristokratie in den deutschsprachigen Territorien459 . Das bereits erwähnte Spottgedicht auf König Jérôme, »Abschied von Cassel«, das wahrscheinlich auf den ehemaligen westphälischen Finanzminister Bülow zurückgeht, wurde bezeichnenderweise in französischer Sprache verfasst 460 . Es dürfte sogar zutreffen, dass viele Vertreter der alteingesessenen deutschen Aristokratie Französisch auf einem gehobeneren Niveau beherrschten als die französischen so genannten »Emporkömmlinge«. Ein Hauptmotiv für die Rangeleien der vormaligen Elite gegen das Französische und die Franzosen könnte in den unterschiedlichen sozialen Herkünften und Soziolekten des Französischen am westphälischen Hof gründen. Allerdings relativiert Zinserlings Angabe zu den französischen Sprachfertigkeiten der einheimischen Adligen am westphälischen Hof die angebliche Differenz im Sprachniveau zu den eingewanderten Franzosen ein wenig. Über die »Nachahmungssucht des Französischen Tons« dieser Adligen schreibt er, dass sie sich letzten Endes461 »auf äussere Form und die Sprache, die gewöhnlich durch ausgewanderte Tanzmeister und Kammermädchen gelehrt, oft ein wahrer Jargon war, beschränk[te]«462 . Die sprachlichen Differenzen zwischen den deutschen Adligen mit französischen Sprachkompetenzen und den französischen Zuwanderern werden demnach nicht sehr groß gewesen sein; die sozialen und kulturellen dagegen umso deutlicher. Während 456 457 458 459
460 461 462
Vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 82; KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 33. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 87. Ibid., S. 114, vgl. ferner S. 154. Vgl. SCHLOBACH, Der Einfluß Frankreichs; BÖDEKER, Strukturen der Aufklärungsgesellschaft; KRAMER, WINKELMANN (Hg.), Das Galloromanische; KRAMER, Das Französische in Deutschland; SAUDER, Die französische Sprache in Deutschland; KEIM, »Savoir vivre«, S. 132. ZIMMERMANN, Graf Bülow, S. 52; vgl. PAYE, Mit Zepter. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 86. Ibid., S. 87.
3. Sprachbarrieren
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sich in der Stadt Kassel die deutsche und die französische Sprachgemeinschaft klarer voneinander trennen ließen, verhielt es sich am Hof anders, so dass die kulturellen und sozialen Differenzen sich dort am spürbarsten manifestierten463 . Aus der Perspektive manches Zeitgenossen muss die neu zusammengewürfelte Elite des westphälischen Staates als sehr eklektischer »Haufen« erschienen sein464 , in dem sich vielleicht weniger Franzosen gegen Deutsche, Französischsprachige gegen Deutschsprachige gegenüberstanden als vielmehr Vertreter sehr unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. Zinserling betont, wenn er auf die »höhere Deutsche Gesellschaft« in Kassel zu sprechen kommt, wie sie »sich […] mit den Vornehmen Französischen parvenus amalgamirte«465 . Die Aristokratie kann als die »natürliche Feindin« des neuen gouvernement beschrieben werden, so schreibt er noch: »Ihr Stolz musste sich beleidigt fühlen durch die Nothwendigkeit, französische Emporkömmlinge in den bedeutendsten Stellen der Administration und des Hofs neben und über sich zu sehen«466 . Aus der Sicht mancher brüskierter Adliger waren das Staatsoberhaupt und die Herrschaftsvertreter eine direkte Folge der Französischen Revolution, die sie verabscheuten: »Welche Satire bildete sowohl dieser westfälische als der napoleonische Hof in Paris als Kind einer Revolution für Freiheit und Gleichheit, wo alle königliche Würde mit Füßen getreten und mit königlichem Blut besudelt wurde«, schrieb der Page Lehsten-Dingelstädt im Nachhinein467 . Mit der neuen Hofgesellschaft taten sich auch nie zuvor so nah erfahrene soziokulturelle Unterschiede auf. Zumal von den 132 Personen, die den Hofstaat bildeten, zwei Drittel deutsche Adlige waren, während das übrige Drittel aus französischen Bürgerlichen bestand468 . Eine kurze Betrachtung der veränderten Elite am westphälischen Hof und ihrer Sprachbeherrschung macht diese grundsätzliche Abneigung nachvollziehbar: Manch ein frisch geadelter Abenteurer musste erst die Schreibweise seiner französischen Erstsprache üben und unterschrieb zunächst mit vielen Schwingungen »compte Wellingerode« mit »p« wie Rechnung, statt »comte« für Graf 469 . Der Wortlaut mag gleich gewesen sein, aber der Titel, 463 464 465 466 467 468
469
Vgl. ibid., S. 86. LUXBURG, zitiert nach: KEIM, »Savoir vivre«, S. 140. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 88. Ibid., S. 18. Über den Adel in Frankreich und Deutschland vgl. FEHRENBACH, Der Adel; ARETIN, Der Adel. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe Königs Jérome, S. 15. Vgl. WESTERBURG, »Sardanapolische Pracht«, S. 198. Über ständisch-soziale Affinität als wesentliche Komponente im Auskommen mit französischen Revolutionstruppen in der Helvetischen Republik vgl. WÜRGLER, Wer hat Angst vor wem?, S. 147 f., 151 f., passim. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 52.
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C. Sprachbewusstein
so geschrieben, muss auf jeden Fall komisch auf die strengen Wächter des adligen Standes gewirkt haben. Jedenfalls komisch genug, dass die entsprechende Anekdote dazu überliefert wurde. Ein geadelter Günstling des Königs Jérôme, Graf von Fürstenstein, konnte seinen neuen Titel nicht so recht aussprechen: »Le Camus konnte, da er auch zu den vielen gehörte, die es nicht für nötig hielten, die Sprache des Landes, dem sie ihr Brot verdankten, zu lernen, nicht einmal seinen neuen Namen richtig aussprechen. Es klang wie ›Fürchetintin‹«470 . Er wurde deswegen sogar von seinen Zeitgenossen belächelt und wiederholt dazu ermutigt, seinen Namen aufzusagen, um alle zu belustigen471 . Die Akzeptanz für solch arrivierte Persönlichkeiten am westphälischen Hof hielt sich seitens der herkömmlichen Elite der vormaligen Territorien verständlicherweise in Grenzen472 . Wenn selbst die falsche Aussprache von Nachnamen im Fundus der Memoirenliteratur erhalten geblieben ist, deutet dies darauf hin, wie sehr sich die Zeitgenossen darüber empören konnten. Die Porträtierung des Grafen von Fürstenstein durch den Pagenlehrer Zinserling ist ebenfalls kennzeichnend für die These, dass die soziokulturelle Kluft in der westphälischen Hofgesellschaft viel ausschlaggebender für das erschwerte Zusammenleben war als die tatsächlichen sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten: Sein Aeusseres war der Kälte seines Charakters entsprechend, doch nicht ohne einige Annehmlichkeit, und wenn er länger Graf und Minister geblieben wäre, so würde er im Umgang auch gewisse Manieren seines neuen Standes in grösserer Vollkommenheit erlernt haben, doch nie das, was der Franzose manières grandes et aisées nennt, denn hier standen ihm seine früheren Verhältnisse und sein esprit retreçi im Wege. Als sich zuerst die Nachricht von einer bevorstehenden Verheirathung des Grafen mit der jungen Gräfin H*** im Publikum verbreitete, gab es wenige Personen, die ihr Glauben beigemessen hätten. Man hielt diese Familie für zu stolz, um in eine solche Mesalliance einwilligen zu können. Indessen das Unerwartete geschah und die Verblendung des Königs, seines Günstlings, und der Triumph der Deutschen Parthei war hiermit vollendet. Der Graf Fürstenstein wurde germanisirt, ohne es zu wissen, und gefiel sich, wie andere Franzosen, in der Idee nun gleichsam ein Eingeborner, un bon bourgeois de Cassel, geworden zu seyn. Idiot in der Aministration und in den Deutschen Verhältnissen, liess er sich durch des Grafen Versicherung, dass Bülow, sein alter Freund, ein homme universel, und in den Finanzen unvergleichlich sey, zu einem blinden Vertrauen auf diesen hinreissen, und so gehörte nicht einmal mehr Kunst dazu, ihn zu dupiren473 . 470 471
472 473
KIRCHEISEN, König Lustig, S. 77. FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 103. Selbst Namen konnten Gelächter bei den Zeitgenossen hervorrufen. Der provisorische westphälische Kriegsminister d’Albignac musste dies selbst erfahren. Wahrscheinlich wegen seiner mangelnden Kompetenz wurde er, selbst von den Franzosen, mit dem Spitznamen »le ministre Gnic-Gnac« belegt. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 353. KIRCHEISEN, König Lustig, S. 77. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 35 f.
3. Sprachbarrieren
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Der Autor der »Denkwürdigkeiten« vergisst hier nicht zu betonen, dass sich Lecamus die »Manieren seines neuen Standes« gewissenhaft aneignete, obgleich er niemals darin die erwünschte Vollkommenheit erreichen würde. Damit machte er in seinem Kommentar seine Ansicht deutlich, dass der geadelte Graf von Fürstenstein nie ein echter Adeliger sein würde. Dazu waren »seine früheren Verhältnisse und sein esprit retreçi « ein zu schwerwiegendes Hindernis. In diesem Quellenzitat kommt auch der bewusste Standesunterschied zum Vorschein, der bei den alten deutschen Adelsfamilien stark ausgeprägt war, selbst wenn sie sich auf mesalliances mit den Parvenüs am westphälischen Hof einließen. Die Reaktion der herkömmlichen Elite auf die Standesunterschiede zur zugewanderten Elite aus Frankreich reichte von pikiertem Amüsement bis hin zu grenzenloser Empörung, wobei letztere teilweise geheim gehalten wurde474 . Es war wieder Zinserling, der sehr präzise die Ursache für den latenten Konflikt der gesellschaftlichen Schichten am westphälischen Hof und für das Problem andeutet, das die vormalige Elite mit den neuen Parvenüs hatte475 : Betrachtete man die Herren und Damen, welche über den Rhein gekommen waren, um eine Zierde des Westphälischen Hofes zu werden, in Hinsicht ihrer gesellschaftlichen Ausbildung, so musste man allerdings selbst das Lächeln gerechtfertigt finden, mit dem manche alte Deutsche Familien [sie] betrachteten476 .
Auch ein anderer Zeitgenosse entwirft eine Skizze des Hofstaats Jérômes, bei der die vorhandenen Divergenzen in der soziokulturellen Herkunft mehr als deutlich werden. Der Jurist Cramer schreibt: Dort stand der Thron, für den Fürsten bestimmt, der in der Pracht der Dekoration nicht die dürftige Unbedeutenheit seines Aueßern, und in der Würde der Königsrolle nicht vergessen machen konnte, was er nach seiner Herkunft und nach seiner Verdienstlosigkeit war; abgemessene Etikette ordnete die Stelle jedes für den Augenblick, wo eines Bedienten Ruf, in ausländischer Sprache die Erscheinung des Regenten Deutscher Völker verkündigte. Da stand neben einem Manne, der alle Szenen der französischen Revolution von den philantropischen Grillen an, bis zu den Gräueln der Blutbäder durchgegangen war, neben ihm ein der Zelle entschlüpfter Mönch, dessen lüsterner Blick verrieth, wie er das Weltleben wohl zu nutzen verstand; neben einem Deutschen Fürstensohn drängte sich ein westindischer Pflanzer hervor, ehemals beschäftigt, die Neger zur Arbeit zu treiben; hier buhlte ein vollbürtiger Edelmann um freundliche Worte eines Handwerker Sohnes, den nur die Fähigkeit zu allem in diesen Kreis führte, dort demonstrirte ein Katederheld, der auch am Hofe nicht aufhören wollte, allein zu reden, tauben Ohren, und sein Nachbar, nur im Aktenstile erfahren, verfiel aus diesem in das barbarischste Französische, was noch je der Mund der Sterblichen ausgesprochen; zum Sclaven war hier herabgesunken, wer als Freiherr geboren war und leben konnte, indeß sich ein Staatsmann dort brüstete, 474 475 476
Zu einem ähnlichen Befund über die äußerlich anpassungsfähigen hessischen Adligen kommt MURK, Der hessische Adel, u.a. S. 257. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 81. Ibid., S. 82.
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C. Sprachbewusstein
der in der Liveré sein Leben zubrachte, und hier ein reichdekorirter General erschien, dessen größter Schmuck sonst die Muskete war. Auch der Damen holden Zierde gesellte sich zu der Welt der Münder, und wurde von dem Könige mit besonderem Wohlgefallen betrachtet 477 .
Das Quellenzitat quillt regelrecht über von Vorurteilen und Topoi – nicht zuletzt werden die westphälischen Herrschaftsverhältnisse sogar mit Sklaverei verglichen. Cramer bescheinigte Jérôme unter anderem eine zu fragwürdige soziale Herkunft, um als Staatsoberhaupt des Königreichs Westphalen gelten zu können. Insgesamt zeigt Cramers Skizze, dass es nicht allein eine große Spanne in der sozialen Herkunft der Hofgesellschaftsmitglieder gab, auch ihre Erfahrungswelten waren zum Teil höchst gegensätzlich: Einige hatten an der Zerschlagung des französischen Adels teilgenommen, bevor sie in Westphalen selbst geadelt wurden. Insgesamt wich Jérôme zudem mit seinem Führungsstil auch vom Habitus eines königlichen Staatsoberhaupts ab. Die Zeitgenossen erzählten sich zahlreiche Anekdoten, wie er in seinem Umfeld durch sein ungewöhnliches Verhalten für Überraschungen sorgte. So berichtet F. Müller, wie einst Königin Katharina ihren königlichen Gemahl mit einem Frühstück im Freien überraschen wollte: Von einem in dem vorgekommenen Intermezzo [in der den Hofvergnügungen angekauften Hessenstein’sche Villa] sehr unschuldiger Natur hat mir ein dabei gewesener Königlicher Leibpage in seinen reiferen Jahren Mittheilung gemacht. Eines Tags, als der König große Truppeninspection auf dem Forste hielt, hatte sich die Königin in Gesellschaft von einigen Hofdamen und dem Leibpagen nach dieser Besitzung begeben. Sie wollte hier den König bei seiner Rückkehr anhalten und mit einem ländlichen Frühstücke überraschen; es sollte nur in Eierkuchen und gebratenen Kartoffeln bestehen. Das Schälen der Kartoffeln wurde durch die Königin höchsteigenhändig und durch die andern Damen besorgt, nachdem der page erst den größern Schmutz hatte beseitigen müssen. Kaum war man mit backen und braten fertig, so traf der König ein und nahm die ihm bereitete Ueberraschung mit dem besten Humor auf. Es zeigte sich aber bald, dass die hier entwickelten Kochkunst eine sehr unvollkommene gewesen; sowohl der Eierkuchen als die Kartoffeln waren stark angebrannt 478 .
In dieser Situation präsentierte sich Jérôme als erfahrener Koch: Darum musste das Werk von neuem begonnen werden, wobei der König der kleinen Gesellschaft zeigen wollte, wie viel er in dieser Beziehung einst zu Schiffe gelernt hatte. Er legte seine Uniform ab, band sich eine Küchenschürze um, zerschlug dann kunstgemäß die Eier in die Pfanne und hielt diese so lange über die Kaminflamme bis das Gebäck fertig war; und dieselbe Sorgfalt widmete er auch den Kartoffeln. Herauf setzte er die beiden von ihm zubereiteten Schüsseln mit der Gewandheit eines Kellners den Damen vor, welche die omelette und die pommes de terre frittes nicht 477 478
CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 74 f. Vgl. ferner [LEHSTENDINGELSTÄDT], Am Hofe Königs Jerôme, S. 14. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 37; vgl. ferner PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 10.
3. Sprachbarrieren
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genug rühmen konnten. So war aus dem geladenen Gäste der eigentliche Bewirther geworden. Man sieht hieraus, dass es dem jungen Manne an Anstelligkeit und Gemüthlichkeit nicht gefehlt hat 479 .
Sicherlich musste nicht nur die Königin über seine Kochtalente staunen. F. Müller selbst, als Sohn eines Handwerkers, der die Anekdote bloß wiedergibt, wird es auch weniger schockiert als belustigt haben, dass der König so talentiert seine Matrosenkochkünste zum Besten gab. Keim weist darauf hin, dass die Kasseler Bürger die Volksnähe ihres Monarchen durchaus zu schätzen wussten: »Die Herzen vieler Bürger gewann er, als er an einem Frühstück ihm zu Ehren auch selbst teilnahm. Sie fühlten sich ernstgenommen«480 . Aber was war mit dem alteingesessenen Adel? Katharina mochte sich für ihren Teil sehr anpassungsfähig zeigen – die von F. Müller wiedergegebene Anekdote beinhaltet im Übrigen womöglich auch eine Kritik an der einstmaligen Königin der Westphalen, die sich auf die Ständegewohnheiten ihres »prince français« aus eigenem Antrieb einließ; den altehrwürdigen Adelsfamilien mag es anders vorgekommen sein. Die Anekdote, wahrhaftig oder nicht, könnte mit einem schockierten bis empörten Ausdruck weitererzählt worden sein. Hier spiegelt sich die Faszination wider, die sich anhand der Gerüchte über König Jérômes soziale Herkunft und seinen plötzlichen Aufstieg zum Monarchen ergab. Wer die Anekdote weitergab, vermittelte womöglich die Botschaft: Wie empörend es doch sei, quasi von einem Kellner regiert zu werden, selbst wenn er gut und gern kochte. Auch richtete Jérôme Feierlichkeiten und Maskeraden aus, die in großen Volksfeste mündeten und für kurze Zeit für die Kasselaner aus dem Königreich Westphalen ein Schlaraffenland machten481 . Um einen Mann seiner gardes du corps vor dem Ertrinken zu retten, sprang er ihm ohne zu zögern selbst nach; diese Heldentat nutzte er zur Pflege seines Ansehens bei seinen Untertanen, indem er den Hofmaler Louis Dupré beauftragte, die Szene zu verewigen482 . Wie bereits erwähnt, wurde seine Eröffnungsrede vor den Reichsständen besonders bemerkt, weil sie, unabhängig von der französischen Sprache, außerdem auch von der damals üblichen Kanzleisprache abwich483 . All diese Eigenschaften und Eigenwilligkeiten des Königs Jérôme bewiesen seinen Untertanen, dass er ein ungewöhnlicher Monarch war, und dies 479 480 481 482
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Ibid. KEIM, »Savoir vivre«, S. 139; vgl. ferner S. 144. Vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 26; vgl. ferner WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 57 f. »Jérôme rettet einen Gardisten aus der Mulde« von Dupré. Vgl. BOUDON, Le roi Jérôme, S. 311; BEYELER, Vom französischen Prinzen zum westphälischen König, S. 70 f., 486 f. Der Page Lehsten-Dingelstädt erwähnt ebenfalls Kinson als Maler dieser Szene. Vgl. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 30. Vgl. ANONYMUS, Regierungs-Geschichte, S. 229. Vgl. oben S. 149.
482
C. Sprachbewusstein
war sicherlich in ihrer Wahrnehmung auf seine soziale Herkunft zurückzuführen. Bei der kuriosen Zusammensetzung der Hofgesellschaft, die Cramer sehr deutlich und mit vielen Topoi gesättigt zeichnet, liegt die Vermutung nahe, dass manche Vertreter des einheimischen Adels sich eher widerwillig mit der Gemeinschaft der französischen Einwanderer vereinigten. Der Historiker Goecke bestätigt die Darstellung des Zeitgenossen Cramer und nuanciert sie zugleich, indem er darauf hinweist, dass die Abneigung gegenüber der neuen Elite nicht von allen geteilt wurde: »Das königliche Haus wies eine Menge von Hofbeamten auf, worunter wir sowohl geadelten französischen Abenteurern als auch redlichen Freunden der neuen Verhältnisse aus dem deutschen Adel begegnen«484 . Zinserling zufolge bildeten die Einwanderer aus Frankreich im Allgemeinen, insbesondere aber diejenigen, die nicht am Hof oder in der Verwaltung unterkamen, einen unrühmlichen Abglanz der französischen Gesellschaft: Diejenige Franzosen, welche sich in einer geringeren Sphäre zu Kassel befanden, verdienen in gesellschaftlicher Hinsicht noch weit weniger Beachtung. Es waren größtentheils Leute, die in Frankreich ursprünglich zu den geringeren Klassen gehörten und als Emporkömmlinge der Revolution ihr Glück gemacht hatten485 .
Wie bereits erwähnt, war die zwielichtige Herkunft manch eines westphälischen Geadelten so bekannt, dass selbst Napoleon Bedenken anmeldete. Am 10. September 1811 wurde auf sein Bestreben der westphälische Adel durch ein Dekret reorganisiert und es wurden Recherchen angestellt, um unredliche Mitglieder des Hofes auszuschließen. Der ehemalige Page Lehsten-Dingelstädt berichtet darüber: Der Zufluß von Menschen aus aller Herren Ländern nach Westfalen an den üppigen Hof war sehr groß. Viele ließen sich mit Geburtsrechten begrüßen, welche ihnen nicht zukamen. Zweifel über den Stand gar mancher tauchten auf. Man hielt es für angemessen Recherchen anzustellen und die Verhältnisse des Adels zu regeln. Durch ein königliches Dekret vom 10. Sept. 1811 sollte ein neuer westfälischer Adel organisiert werden. Die Mitglieder des alten sowie des neukreierten Adels sollten als Wahrzeichen des westfälischen Adels zwei Fahnen mit dem westfälischen Adler ihren Wappen beifügen, welche als Lanzen über Kreuz gelegt unter dem Wappenschild lagen. Indes wurde diese Maßregel nicht beifällig aufgenommen. Alle vom alten Adel erhielten das Prädikat: Baron486 .
Mag das Urteil der Historikerin Helene Wegener etwas einseitig erscheinen und teilweise auf unkritischer Quellenauslegung beruhen, dennoch ist es in seiner Grundthese einprägsam: Sie macht den westphälischen Hof für den Untergang des westphälischen Staates mitverantwortlich, da die Zusammensetzung des Hofstaats aus Personen außerordentlich schlechten Leumunds besonders verhängnisvolle Konsequenzen hatte: 484 485 486
GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 64 f. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 86; vgl. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 80 f. [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 61.
3. Sprachbarrieren
483
Die von Jérôme vorgenommene Auswahl des westfälischen Hofes ist ein Verhängnis während der ganzen Regierungszeit für den westfälischen Staat sowohl wie persönlich für Jérôme und Schuld an dem inneren Verfall des Hofes und Staates. Der westfälische Hof ist […] ein Hof von Lakaien. Dieser Hof rekrutiert sich grösstenteils aus persönlichen Freunden Jérômes aus der Zeit seines abenteuerlichen Seelebens und der schlesischen Kampagne 1807, unter ihnen haben eine besondere Rolle am Kasseler Hof Lecamus, La Flèche, Meyronnet, die das Jérômes Anerbieten skrupellos angenommen, gespielt; ein geringer Bruchteil hat aus von Napoleon selbst gelieferten Franzosen […] bestanden, [von denen die meisten nach weniger Zeiten enttäuscht nach Frankreich zurückgingen]. Was nach d[eren] Abzug noch übrig bleibt, ist ein Hofstaat von bedeutungslosen, abenteuerlichen Fremdlingen […]. Jérôme war hier die für ihn unmöglich lösbare Aufgabe gestellt, einen Hof einzurichten, von dessen Einrichtung er nichts verstehen konnte, da er nie die wahre echte Hofluft genossen [hatte]487 .
Sicherlich ist anzumerken, dass Historiker teilweise diejenigen zeitgenössischen Aussagen ohne die nötige Distanz wiedergaben, die sich nach der Auflösung des Königreichs Westphalen dezidiert ablehnend und negativ zeigten. Der Topos vom Königreich Westphalen als »Eldorado für […] allen Abhub der französischen Nation« wird bei Historikern wie Kleinschmidt, Wegener oder Kircheisen gern wiederholt 488 . Wenn dieses Urteil auch stärker auf die Verhältnisse außerhalb des Hofes zutraf, so wurden auch die Herkunft des Königs und seine Unerfahrenheit mit dem Hofleben als Auslöser eines ungewöhnlichen Herrschaftsrituals kritisiert. Gelegentlich gaben die Emporkömmlinge Anlass, sich über ihre Manieren zu amüsieren489 . »Spöttereien und Sarkasmen über die […] Gaucherien, die anfangs zuweilen beim Cärimoniel vorfielen«, waren an der Tagesordnung490 . König Jérôme entwickelte tatsächlich eine große Leidenschaft für die neue Hofetikette und das neue Hofzeremoniell 491 . Selbst Napoleon muss Missfallen an der von seinem Bruder eingeführten Hofetikette gehabt haben492 . Cramer berichtet ausführlich über das »große Staatsspektakel« beim Einzug des Königs und dem dabei entfalteten »Westphälischen Hofzere487
488 489 490 491
492
WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 56 f. Kleinschmidt betrachtet es ähnlich: »Den König hatten dahin begleitet oder es folgten ihm auf dem Fuße Scharen von Abenteurern […]; Glücksritter, Roués nahmen bald am Hofe und in der Verwaltung […] die erste Rolle ein, Westfalen wurde Eldorado für […] allen Abhub der französischen Nation; […] manche von ihnen datierten ihr Anrecht an den Königlichen Säckel von Schlesien oder von Paris her«. KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 30 f. Vgl. ibid., S. 479. Vgl. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 22. Ibid., S. 22. Vgl. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 76; [LEHSTEN-DINGELSTÄDT], Am Hofe König Jérômes, S. 7; GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 220; WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 57; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 94; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 105 f.; LOSCH, Kurfürst Wilhelm I., S. 282. Vgl. GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 220.
484
C. Sprachbewusstein
moniel«493 . Das Leben in Kassel änderte sich angeblich schlagartig. In der Enthüllungspublizistik sind Vorwürfe über Unzucht mit deutschen Frauen ein häufiger Topos494 . Die Zeitgenossen berichten über den ausschweifenden Luxus sowie über die Sittenlosigkeit am Hof 495 . Ein asiatischer Luxus herrsche am Hof, schreibt Wilhelm Wagener496 , F. Müller bemerkt, dass man sich anstrengte, »auf dem [gleichen] Fuße des Kaiserhofs in Paris« zu leben497 . Der Topos von Kassel als »kleinem Paris« konnte bereits mehrfach in den bisher zitierten Quellenzitaten ausgemacht werden498 , wobei der Luxus durch Zwangsanleihen finanziert wurde499 , was für Kassel zeitweilig einen wirtschaftlichen Aufschwung brachte500 . Auch Zinserling gibt seine Sicht über die Umwälzungen preis, die der Strom an Zuwanderern aus Frankreich nach sich zog: Diess war der gesellschaftliche Geist von Kassel, als es auf einmal von einer Menge Menschen überströmt wurde, die die Welt unter den mannigfaltigsten Verhältnissen gesehen und durch ihre Erfahrungen ein grosses savoir faire erlangt hatten, Geiz in der Regel nur dem Namen nach kannten, als Verschwender erschienen und einen hohen Grad gesellschaftlicher Gewandtheit und Abgeschliffenheit besassen. […] Diese guten Hessen fanden sich plötzlich fremd in ihrer eignen Stadt und so mächtig wirkte auch hier die Gewohnheit, dass selbst von denjenigen, die noch unter Landgraf Friedrichs Regierung gebildet worden waren, nur die wenigsten sich in den neuen Zustand der Dinge finden konnten501 . 493 494
495
496
497 498 499 500 501
Vgl. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 75 f. Vgl. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 24 f. Faszinierend ist im übrigen die ambivalente Vereinnahmung der Frauen als »Deutschtum« im zeitgenössischen Diskurs der Memorialisten: Auf der einen Seite wurden die deutschen Frauen als Wahrzeichen des Patriotismus eingesetzt, vgl. dazu HAGEMANN, Heldenmütter, S. 185 f. Auf der anderen Seite, wie hier, verschränkten sich die Stereotypisierungen von Geschlechts- und Nationalcharakteren, so dass die Frauen sich zuerst mit den feminisierten Franzosen abgaben und für das Verkommen der deutschen Sitten mitverantwortlich gemacht wurden. Die Diskrepanz zwischen den »Patriotinnen« und »Huren der Franzosen« ist eklatant. Vgl. Cöln, zitiert nach: BUCHNER, Anno Dazumal, Bd. 2, S. 275–279; HAGEMANN, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 571; FLORACK, »Weiber sind wie Franzosen geborne Weltleute«, S. 338; OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 78 f. Vgl. CRAMER, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 75 f.; LUXBURG, zitiert nach: KEIM, »Savoir vivre«, S. 140; vgl. ferner GOECKE, Das Königreich Westphalen, S. 227 f. Vgl. WAGENER, Das Königreich Westphalen, S. 23; WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 58. Kritisch dazu vgl. OWZAR, Fremde Herrschaft, S. 78. Allerdings werden der Luxus und der Pomp am westphälischen Hof als nicht nur imaginiertes Kontrastprogramm zur Haushaltung unter Kurfürst Wilhelm I. auch von Historikern bestätigt, vgl KEIM, »Savoir vivre«, S. 136. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 16. Vgl. ANONYMUS, Die französische Garküche; WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 57 f.; KIRCHEISEN, König Lustig, S. 84. Vgl. WEGENER, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, S. 16. Vgl. MÜLLER, Kassel seit siebzig Jahren, Bd. 1, S. 16 f. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 94 f.
3. Sprachbarrieren
485
In dem sensationellen Wirbel, den die pompöse Lebenshaltung am Hof und die Zuwanderung aus Frankreich in Kassel auslösten, änderte sich die Einstellung der vormaligen adligen Elite zur neuen Herrschaft: »Das Königreich Westphalen ist ein vorübergehendes Phänomen, ein Meteor, das einige Jahre nur am Deutschen Himmel schimmern wird«502 . Die Haltung einiger Mitglieder der deutschen Partei war dementsprechend: »Alles kommt darauf an, in dieser kurzen Zeit, Deutschen Geist, Deutsche Sprache, Deutsche Sitten, Deutsches Herkommen gegen den Einfluss fremder Konstitutionen, Gesetzgebungen, Sitten und Kolonisten zu retten«503 . Allen Angaben Zinserlings zufolge waren in diesem Kontext die vielbeschworenen Verständigungsschwierigkeiten eher simuliert 504 . Alle angeführten Beispiele, wenn sie auch wegen ihrer tendenziösen grundsätzlich antifranzösischen Haltung mit Zurückhaltung aufzunehmen sind, dokumentieren dennoch den Kulturschock für die einheimischen Adligen am Hof 505 . Aber auch von Seiten der Emporkömmlinge wurden die Unterschiede in der soziokulturellen Herkunft durchaus bemerkt, was sich zum Beispiel an diesem zeitgenössischen Kommentar ablesen lässt: »On dit que les Barons allemands savent le latin«506 . Die Begegnung mit der lateinkundigen deutschen Gelehrtenrepublik war für viele offensichtlich eine neue Erfahrung507 . Das Vortäuschen von Kommunikationsproblemen, die das Zusammenleben von Westphalen französischer und deutscher Erstsprache angeblich hervorrief, war noch ambivalenter, den Angaben Zinserlings nach zu urteilen: Mehrere jener alten adlich-deutschen Familien, die in früheren Zeiten nichts als Französisch gesprochen hatten, affektirten jetzt auf einmal eine besondere Vorliebe für Deutsche Sprache und Litteratur, versuchten einzelne Franzosen, denen sie Gutmüthigkeit und Bildungsfähigkeit genug zutrauten, zu germanisiren und sprachen, wenn sie Deutsche Klienten aus der bürgerlichen Mittelklasse mit einem Thee oder Diner beglückten, um den Patriotismus zu verbreiten, Deutsch, während sie unter sich blos Französisch plauderten. Viele junge Leute, die das Glück eines solchen Diners genossen, wurden wirklich die Düpe dieses Stratagems und verbreiteten, durch solche erlauchte Beispiele unterstützt, die Germanomanie weiter unter ihren Umgebungen. Dinge dieser Art scheinen Kleinigkeiten; wir haben uns aber zu sehr von
502
503 504 505 506 507
Ibid., S. 25. Zum Topos der Meteoriten als Vorzeichen des Untergangs der napoleonischen Ära vgl. ferner KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 439. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 25. Ibid. Über ähnliche soziale Spannungen innerhalb des post-revolutionären Adels in Frankreich vgl. BRELOT, La noblesse au temps de l’égalité, S. 221–224. ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 22; vgl. ferner SCHELLER, Jeromiade, S. 47. Vgl. BÖNING, Weltaneignung, S. 119.
486
C. Sprachbewusstein
ihrem Einflusse zu überzeugen Gelegenheit gehabt, um sie mit Stillschweigen übergehen zu können508 .
Seitens des alteingesessenen Adels wurde gegenüber der neuen französischen Elite beklagt, wie die französische Sprache die Kommunikation erschwere, und gegenüber der »bürgerlichen Mittelklasse« mit der Pflege der deutschen Sprache kokettiert, obgleich Französisch für den Privatgebrauch unter den meisten Adligen nach wie vor spontan gewählt wurde. Die Ambivalenz der herkömmlichen adligen Elite in Bezug auf ihre Sprachwahl hätte nicht offensichtlicher sein können. Die Sprachenfrage wurde als Feld definiert, um sich demonstrativ von den Franzosen zu distanzieren, unabhängig von den tatsächlichen Sprachfertigkeiten, -gewohnheiten und -neigungen. Michaele Siebe erläutert die Hintergründe dieses Phänomens. Der Gegensatz von Bürgertum und Adel könne die Bildung von nationalen Gegensätzen verstehen helfen509 : »In Frankreich berief sich die höfische Gesellschaft auf ihre edleren germanischen Ursprünge, um sich von der Bourgeoisie und dem Rest der Bevölkerung als auserwählte Rasse abzugrenzen. In Deutschland ist die Abgrenzung der Bourgeoisie gegenüber dem ›Adel‹ eng mit der Abgrenzung zur Nation Frankreich verknüpft«510 . Die gegenseitigen und komplexen Abgrenzungs- und Einbeziehungstendenzen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter der napoleonischen Ära verstärkt einem nationalen Projekt dienen sollten, manifestierten sich zum Teil über die Sprachwahl oder wurden über diese demonstriert. Der deutsche Adel, wegen seiner Verwendung der französischen Sprache bereits Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend kritisiert, bemühte sich demnach unter der westphälischen Herrschaft und noch stärker ab 1813, die kritisierte Gewohnheit abzulegen, um vom Nationalstiftungsprojekt einer kleinen intellektuellen Elite nicht ausgeschlossen zu bleiben511 . Die Sprachenfrage in der westphälischen Gesellschaft, versucht man sie über die überlieferten Aussagen der Zeitgenossen zu eruieren, erfordert strenge Quellenkritik: Wegen der vielfältigen Strategien, die im Spiel waren, darf aus den negativen Aussagen der Zeitgenossen nicht darauf geschlossen werden, dass das, worüber sie sich in Bezug auf die Sprachen beklagten, direkt die reale Situation der Sprachen reflektierte. Hinter den überlieferten zeitgenössischen Verlautbarungen über das Verhältnis der Sprachen in der westphälischen Gesellschaft stecken zum Teil komplexe Vorgänge der Abgrenzung, die hier angedeutet werden konnten. Die Sprachenfrage war unter den Westphalen ein höchst politisches Thema. 508 509 510 511
ZINSERLING, Denkwürdigkeiten, S. 89 f. SIEBE, Von der Revolution zum nationalen Feindbild, S. 8 f. Ibid., S. 10. Zur Adelsfeindlichkeit vgl. u.a. PRÖHLE, Die Fremdherrschaft, S. 28; ARETIN, Der Adel; FEHRENBACH, August Wilhelm Rehbergs Adelskritik.
3. Sprachbarrieren
487
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass einheimische Adlige zum Teil über Französischsprachkenntnisse verfügten, die auf einem höheren Niveau lagen als das der französischsprachigen Zuwanderer, die zu Mitgliedern der Hofgesellschaft wurden. Die Sprachverständigungsschwierigkeiten am Hof waren zweitrangig, die soziokulturellen Unterschiede dafür um so gravierender. Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass bei der Thematisierung die Sprachenfrage als Problem durch die Zeitgenossen zum Teil etwas vorgetäuscht wurde, das auf einer grundsätzlicheren Abneigung beruhte und nicht auf eine rein sprachliche Kommunikationsschwierigkeit reduziert werden kann. Das Problem der vorwestphälischen Elite mit den Vertretern der neuen Herrschaft war nicht so sehr ein sprachliches, wie öffentlich bekundet, sondern vielmehr ein kulturelles. Die Akzeptanzbereitschaft für eine Elite, die auch als »Abenteurer« bezeichnet wurde, war aus der eigenen Herkunft und Identität heraus verständlicherweise begrenzt 512 . Aus den obigen Ausführungen lässt sich der Schluss ziehen, dass die sprachlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen in der westphälischen Gesellschaft anders gelagert waren als es aus dem heutigen europäischen Selbstverständnis vermutet werden könnte. Dialekt sprechende Bauern wurden zum Teil von Hochdeutsch sprechenden Staatsvertretern nicht verstanden513 , während Franzosen, die in sieben Jahren westphälischer Herrschaft kaum ein Wort Deutsch gelernt hatten, sich mit Französisch sprechenden Deutschen gut verständigen konnten. In der Alltagspraxis hatten die regionalen Sprachbarrieren eine weitaus größere Bedeutung als die Barriere zwischen Franzosen, die kein Deutsch konnten, und Deutschen, die Französisch beherrschten. Die neue Elite aus französischen Zuwanderern teilte wahrscheinlich, trotz der schwer überwindlichen sprachlichen Barrieren, mit den königlich-westphälischen Untertanen aus den Unterschichten zum Teil stark übereinstimmende Erfahrungswelten und Wahrnehmungsmuster. Auch stellt die Vertrautheit frühneuzeitlicher europäischer Hofkreise mit der französischen Sprache einen entscheidenden Faktor dar514 . Nicht zuletzt wiesen manche französische Erstsprachler, die aus den französischen Unterschichten stammten und zu Angehörigen der neuen westphälischen Elite wurden, Schwächen in französischer Schrift- und Regierungssprache 512 513 514
KLEINSCHMIDT, Geschichte des Königreichs Westfalen, S. 30. Vgl. RUTHE, Auf der Flucht vor den Strickreitern, S. 45; FABRE, Jérôme Bonaparte, S. 138. Schulze stützt sich auf Zahlen: »An deutschen Fürstenhöfen des 18. Jh. wird eindeutiger und besser Französisch gesprochen als in Frankreich, wo 1867 10% aller Franzosen noch kein Französisch sprechen können. Französisch wird in den besseren Kreisen Europas populärer als in Frankreich selbst. […] Erst im späten 18. Jh. beginnt die englische Sprache in Europa Boden zu gewinnen, ohne freilich schon die Vorherrschaft des Französischen in Diplomatie und Wissenschaft brechen zu können«. SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 32 f.
488
C. Sprachbewusstein
auf, die für die Herrschaftspraxis möglicherweise erschwerend wirkten515 . Auch was ihre Aufnahme durch die in französischer Regierungssprache beflisseneren Hofkreise aus vorwestphälischen Verhältnissen anbelangt, hatte diese Schwäche oft ein erhebliches Gewicht in der Aushandlung der neuen Herrschaftsverhältnisse. Weiter zugespitzt kann folgende These formuliert werden: Wenn Personen sich sprachlich verständigen konnten, bedeutete dies noch nicht, dass sie sich kulturell und sozial nahe standen, während Personen, die über keine gemeinsame sprachliche Verständigungsmöglichkeit verfügten, durchaus ähnliche Erfahrungswelten und kulturelle Hintergründe miteinander teilten. Im Kontext des Hofes und des höheren Verwaltungsapparats wurden offenbar rein sprachliche Verständigungsprobleme hochstilisiert, wo eigentlich kulturelle oder soziale Abneigung herrschte. Diese Differenzen waren vermutlich weniger nationalkulturell als ein soziales Akzeptanzproblem, dem soziokulturelle Unterschiede zugrunde lagen. Die Kohärenz von Sprach-, National- und Kulturgemeinschaften, wie im intellektuellen zeitgenössischen Diskurs propagiert, scheint nicht unbedingt mit der Alltagsrealität der Westphalen in Übereinstimmung gewesen zu sein. Die Konstruktion des nationalen Feindbilds Frankreich im 19. Jahrhundert in den deutschen Territorien war unter anderem im Gegensatz von Bürgertum und Aristokratie in Deutschland begründet. Weil sich der deutsche Adel frankophil und frankreichorientiert zeigte, gaben sich bürgerliche Kreise wiederum frankreichfeindlich, um sich demonstrativ vom Adel zu distanzieren. Die sozialen Gegensätzen bildeten die Basis für die Konflikte, die später »als Ausdruck ›nationaler‹, ›kultureller‹ Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich« aufkommen sollten516 .
515 516
Vgl. ANONYMUS, Sind die Teutschen, S. 11; LOSCH, Kfm. Hessen, S. 51. SIEBE, Von der Revolution zum nationalen Feindbild, S. 10. Vor ihm hatte bereits der Historiker Losch diese Tendenz im Königreich Westphalen so beschrieben: »Daß Gesetze und Verordnungen doppelsprachig erlassen, daß die Geschäftssprache der höchsten Verwaltungsbehörden französisch war, daß der König dieses im Herzen Deutschlands gelegenen Landes selbst die Sprache seiner Untertanen nicht verstand, ließ man sich in [den] Kreisen [der Anhänger der neuen Zeit aus dem Beamtenstand und in der gebildeten Welt] willig gefallen. War doch französisch von jeher die Sprache der feinen Welt gewesen«. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 50 f. Demnach hätte die Franzosenzeit im Nachhinein die Kluft zwischen gehobenen bürgerlichen Schichten und Adel sowie den weniger gebildeten Schichten geschürt.
3. Sprachbarrieren
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3.2. Sprachenfrage aus der Sicht der Sprachreiniger, Memorialisten und Historiker »Hier ist die Zeit und der Ort nicht für den Beweis, dass es nur eine wahrhaft natürliche Gränze der Völker gebe, dass nur die Sprache, an sich und als Ausdruck der Volks-Eigenthümlichkeit, befriedigend diesem Begriffe entspreche«, schrieb im Jahre 1814 Richard Harnier517 . Alle zeitgenössischen Urteile aus westphälischer Zeit über die aus dem Sprachkontakt resultierenden Schwierigkeiten in der Kommunikation, die bisher zitiert wurden, erscheinen gemäßigt, wenn man ihnen die Kommentare der Flugschriftautoren und Memoirenschreiber nach 1813 gegenüberstellt. Im intellektuellen Diskurs Anfang des 19. Jahrhunderts war die konstitutive Kraft von Sprache für die nationale Identitätsstiftung unbestritten, und die Nationalsprachen sollten als Hebel der Nationsbildung par excellence dienen518 . Ernst Moritz Arndt, der im Folgenden als Vertreter eines frühen deutschen Nationalismus mit seiner Ansicht über die Sprachenfrage zitiert wird, war im Gegensatz zu Harnier bemüht, unter Beweis zu stellen, wie Sprachen die Völker voneinander trennten. Er ging von einer biologischen Unmöglichkeit aus, die vollkommene Beherrschung einer Fremdsprache zu erreichen, selbst bei einem Kleinkind, das sehr früh damit in Kontakt gewesen sei 519 . Auch sich in eine fremde Sprache zu verlieben sei sehr 517 518
519
HARNIER, Bildet der Rhein, S. 4. Im Folgenden wird vorwiegend anhand von Arndts Schrift »Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache« argumentiert. In einer weiter angelegten Analyse wären noch u.a. folgende Schriften von »Sprachreinigern« und »Sprachbereicherern« zu berücksichtigen: CAMPE, Versuche von deutscher Sprachbereicherung; DERS., Zweiter Versuch deutscher Sprachbereicherungen; DERS., Über die Reinigung und Bereicherung der deutschen Sprache; DERS., Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung, 1801; DERS., Versuch einer genauen Bestimmung und Verdeutschung; DERS., Wörterbuch der deutschen Sprache; DERS., Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung, 1808; DERS., Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung, 1813; [HEINSIUS], Der Sprach-Gerichtshof; RADLOF, Frankreichs Sprach- und Geistestyrannen. Weiterführend vgl. SPILLNER, Der Sprach-Gerichtshof von 1814; KRAMER, Das Französische in Deutschland, S. 118–121. Über die Ideologen und Sprachwissenschaftler um 1800 vgl. KIRKNESS, Zur Sprachreinigung; OESTERREICHER, Ère française et Deutsche Bewegung; SCHLIEBEN-LANGE, Les Idéologues; DIES. (Hg.), Europäische Sprachwissenschaft um 1800; HAGEMANN, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 570; SCHLIEBEN-LANGE, DRÄXLER, Die Französische Revolution und das deutsche Sprachdenken; TINTEMANN, TRABANT (Hg.), Sprache und Sprachen um 1800. Über Campes Wörterbuchsprojekt im Jahre 1807 vgl. u.a. KEIM, »Savoir vivre«, S. 152; LÜSEBRINK, REICHARDT, Einleitung, in: DIES., »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 20, 22. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 35 f., vgl. ferner S. 14. Arndts »Volkshaß« ist synonym mit »Nationalhaß«. Vgl. ibid., S. 3. Über Arndt vgl. LÜSEBRINK, Ernst Moritz Arndt. Über die eher ethnische Bedeutung der Begriffe »Volk« und »Vater-
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C. Sprachbewusstein
schwer520 . Von allen Verschiedenheiten zwischen den Völkern, so Arndt, siegten die sprachlichen Unterschiede: Das Größte und Bedeutendste aber liegt in der Verschiedenheit der Sprachen, weil jede Sprache das äußere Abbild des innersten Gemüthes eines Volkes ist, weil sie die Form ist, welche sich von Kind auf des ganzen Menschen, der sie spricht, am gewaltigsten bemeistert, und seinem Geiste und seiner Seele das Gepräge giebt, womit er empfinden, denken, lieben, und leben soll: sie ist der erstarrte Geist der vergangenen Geschlechter, den die Lippe aufthaut, wie sie die Worte erfasst. Darum ist nichts trauriger und gefährlicher, als wenn ein Volk seine Sprache für eine fremde vergisst; dann begehrt es Sklav der Fremden zu werden. Aus dieser Verschiedenheit der Sprachen, und aus der eigenthümlichen Bildung, die mit einer jeden Sprache verknüpft ist, und aus manchen theils sichtbaren, theils unsichtbaren früheren oder späteren Ursachen erwächst der Widerwille und die Abneigung, welche die Völker in einzelnen Punkten gegen einander haben, und welche ihre Unabhängigkeit und Freiheit besser sichern, als noch so viele befestigte Städte und gezückte Schwerdter521 .
Die Überzeugung, die Sprache eines Menschen sei identitätsstiftend und präge Geist und Seele ganzheitlich, sollte eindeutig dazu dienen, an der Schwelle zum Nationalzeitalter den nationalen Geist in Deutschland zu entfachen und zu verankern. Zur Unterstützung verwendet Arndt starke kämpferische Metaphern und Topoi: Er warnt vor der Sklaverei, die aus einer Sprachdominanz resultiere, und stellt die Sprache als besseres Schwert zur Behauptung der Unabhängigkeit und Freiheit dar522 . Zum identitären Charakter von Sprachen sagt Arndt: »Die Sprache ist ein Spiegel des Volkes, das sie spricht«523 . Seiner Ansicht nach gründe in einer Sprache der Ursprung eines Volkes und Sprache und Volk seien innerlich eins, was auch bedeute, dass, wer nicht zu seiner Sprache halte, auch kein Volk werden oder bleiben könne524 . Diese Grundposition hilft einige der tendenziösen Kommentare zu erklären, die vorwiegend aus gebildeten Kreisen stammen und dazu neigen, den Sprachkontakt mit dem Französischen als die schlimmste Misshandlung der Franzosenzeit darzustellen525 . Eines der vielfach heraufbeschworenen Schreckensbilder in diesem Kontext betrifft die vermeintliche Gefahr der Verschmelzung mit der Sprache des Unterdrückers. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass der anonyme Autor der Schrift »Die entlarvte hohe und geheime Polizei« mit Bedauern schreibt, zu den
520 521 522 523 524 525
land« bei Arndt, Körner und Jahn, vgl. LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 10. Vgl. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 38. Ibid., S. 12. Das kriegerische Element der Sprache als Schwert findet sich u.a. auch bei Grimm, vgl. KUMMER, Sprache und kulturelle Identität, S. 274 f. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 33. Vgl. ibid., S. 34, 77. Vgl. KUMMER, Sprache und kulturelle Identität, S. 274 f.
3. Sprachbarrieren
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Titeln, diesem allgemein verehrten National-Spielwerke, und […] von [den] Schauspielen in der Muttersprache. Allein nichts von dem allen wurde ausgelassen, und wir sollten schlechterdings schon in den ersten Jahren das seyn, was andere eroberte Staaten in Jahrhunderten nicht geworden sind, nicht haben werden wollen und können – verschmelzt in den Geist, in die Sprache und Sitten der Unterdrücker526 .
Ein weiterer Topos, neben der Verschmelzung, ist der einer über die Sprache entstehenden Versklavung. Der Versuch, sich in der fremden Sprache zu artikulieren, komme einem Akt der Versklavung nahe. So schreibt Scheller in seiner »Jeromiade« folgende Verse: So musst’ man uns das Fransche lehren, Damit wir Frankenknechte wären527 .
Und auch Arndt warnt vielfach vor Sklaverei, Tyrannei und Knechtschaft, wie in der bereits oben zitierten Quelle, in der er betont, dass ein Volk, das bereit sei, seine Sprache aufzugeben, eigentlich begehre, »Sklav der Fremden zu werden«528 . Die Bereitschaft der Deutschen, sich die französische Sprache anzueignen und somit zum »Sklav der Fremden zu werden«, wird von Arndt problematisiert und zum Teil damit begründet, die deutsche Sprache habe dadurch viel an ihrer ursprünglichen Lebendigkeit eingebüßt. Das Problem des deutschen Volkes sei, dass es von einem lebenden und redenden Volk zu einem grübelnden und schreibenden Volk geworden sei 529 . Dieser Vorwurf findet sich auch in den bereits oben besprochenen Bemerkungen der westphälischen Zeitgenossen, allen voran Siméon, über die mangelnde Redekultur der Deutschen. Arndt vergleicht die Franzosen und die Deutschen in ihrem Verhältnis zur eigenen Sprache und konstatiert die überwiegende Neigung der Franzosen zum Sprechen und die der Deutschen zum Denken, was er an der Geselligkeit der Franzosen und dem Rückzug der Deutschen in die Privatsphäre festmacht 530 . Wenn Arndt sich gegen das Franzosentum und die Franzosen ereifert, gilt sein giftiger Ausspruch zuerst den »Sprachmeistern«, die er samt den »Tanzmeistern, Abbés, Kammerdienern, Köchen, Salbenkrämern, Kammerzofen, und Gouvernantinnen« in Gedanken nach Frankreich zurückbefördert: Die beiden Völker haben bei einander nichts zu thun, die Franzosen haben bei ihnen selbst Landes genug, wir haben es auch bei uns, und es wird kein großer Verlust für uns seyn, wenn die französischen Sprachmeister, Tanzmeister, Abbés, Kammerdiener, Köche, Salbenkrämer, Kammerzosen, und Gouvernantinnen unserer Töchter
526 527 528 529 530
ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei, S. 30. SCHELLER, Jeromiade, S. 8. ARNDT, Ueber Volkshaß, vgl. S. 11, hier S. 12. Vgl. ibid., S. 45; HAGEMANN, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 571. Vgl. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 50 f.
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und unserer Bordelle das grobe Allemannien als ein unausstehliches und abscheuliches Land künftig fliehen531 .
Ihre Sprache zählt nach Ansicht Arndts zu den tückischsten Gaben, die die französischen Einwanderer den Deutschen mitbrachten. Deswegen rangieren die »Sprachmeister« an vorderster Stelle, wenn Arndt sich anschickt, eine Liste der unerwünschten Zuwanderer aufzustellen. Das Motiv des Turmbaus zu Babel wird in der Argumentation gegen die napoleonischen Staatsgründungen auf deutschen Territorien ebenfalls mehrfach bemüht. Arndt erinnert an den Willen Gottes: Gott hat diese Verschiedenheit auch unter den Menschen gewollt, und deswegen hat er sie gestiftet: darum die verschiedenen Völker, Länder, und Sprachen, und was sich draus wieder für eine Unendlichkeit von Verschiedenheiten erzeugt. Wer also von Einer Religion, von Einem Staate, von Einer Sprache, von Einem gebietenden Volke spricht, der spricht gegen Gott und seinen ewigen Willen532 .
Damit wird Napoleons Expansionspolitik in Europa als Blasphemie dargestellt. Arndt sieht freilich in der nach der biblischen Erzählung eingetretenen Sprachverwirrung eine große Chance: Was in der Bibel als ein Babel, als eine Verwirrung geschildert wird, was den einfältigen Menschen der Urwelt so erscheinen musste, das ward eine Erhellung der kindischen Dumpfheit, eine Erlösung des Menschengeschlechts von unbewusster Träumerei 533 .
Das Motiv des Turmbaus zu Babel wird auch in der burlesken Satire von Hilarius erwähnt, allerdings mit einem ironischen Unterton. Die Umgangsformen in der westphälischen Gesellschaft kritisiert der Autor so: es [ist] doch wohl eine grobe Lüge, wenn sich so viele Menschen ›Herr Bruder‹ nennen, die doch keine Verwandtschaft weiter haben, als die von Adam her, oder die aus den Weinhäusern, oder die aus der großen Hornspitzenfabrik, oder endlich die aus der großen politischen Unfabrik. – Vielleicht aber liegt doch einige Wahrheit in dem ›Herr Bruder‹, denn es soll jetzt mitunter eine Blutsverwirrung unter den Menschen seyn, wie zu den Zeiten des babilonischen Thurmbaues eine Sprachverwirrung war534 .
Nicolai, der sich hinter dem Pseudonym Hilarius verbarg, erschien offenbar in seinem Text die »Sprachverwirrung« Anfang des 19. Jahrhunderts weniger bedeutsam als die »Blutsverwirrung«. Die Frage, ob die Zugehörigkeit zu einem Volk beziehungsweise zu einer Nation mehr auf der Bluts- als auf der Sprachverwandtschaft basierte, klingt hier mit an. Das Werden der Nation, so reflektierten die gebildeten Zeitgenossen, war abhängig von der Entscheidung der Sprachenfrage. Der Autor der burlesken Satire nimmt möglicher531 532 533 534
Ibid., S. 19. Ibid., S. 11. Ibid., S. 30 f. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 9 f.
3. Sprachbarrieren
493
weise wie Arndt selbst eine unterschwellig ironische Haltung zu den Vertretern des Frühnationalismus in Deutschland ein, wenn er bemerkt, dass eigentlich alle aus der napoleonischen Ära sehr blutsverwirrt herausträten und die Sprachverwirrung demgegenüber gar nicht so bedeutend sei. Insgesamt klingen die Angriffe gegen das Französische aus gebildeten Kreisen höchst widersprüchlich, wenn man bedenkt, wie stark diese Kreise sich selbst geistig an Frankreich orientierten535 . Um den Widerspruch wieder aufzulösen, in den sich ein Intellektueller wie Arndt mit seiner Abwehrhaltung gegen die französische Sprache bei aller Vertrautheit mit den französischen Gelehrtenschriften verstrickte, nahm er kurzerhand die hohe geistige Literatur und Philosophie von der Notwendigkeit des »Volkshasses« aus: St. Bernhard, Ludwig der Heilige, Duguesclin, Bayard, Turenne, du Thou, de l’Hopital, Pascal, Montesquieu. […] Auf dieser Höhe hört der Volkshaß auf; da beginnt die große Gemeinschaft der Völker, die allgemeine Menschheit, und da wird die Menschlichkeit und Liebe nimmer fehlen, die uns alle zu Kindern Eines Gottes und Einer Erde macht 536 .
Arndt warnt zwar alle vor dem gefährlichen Sprachkontakt mit dem Französischen und der daraus drohenden Verschmelzung mit dem Deutschen, behält sich jedoch selbst vor, weiterhin seinen Geist an französischen Schriften zu formen. Interessant ist auch, auf die Illusion des Deutschen als Nationalsprache hinzuweisen, wie sie im Zuge der Restauration in den nach 1813 erschienenen Schriften vertreten wird. Nicolai lässt seinen westphälischen Antihelden zwar lautstark herausposaunen: »Ich bin geboren in Deutschland, also in einem Lande, wo durchgängig ein’ und dieselbe Sprache geredet wird«537 . An anderer Stelle verrät er aber, es sei mit der Einigkeit der deutschen Sprache noch nicht so weit her, und spricht ironisch, wie oben bereits zitiert, vom Trugbild des Deutschen als Nationalsprache des deutschen Reiches538 . Nicolai hebt unter anderem die vielen Dialekte sowie die kulturellen regionalen Unterschiede hervor. Damit betont er, wie illusorisch das Programm mancher Zeitgenossen war, die deutsche Sprache als Nationalsprache zum Fundament der deutschen Nation zu küren539 . Aus der Perspektive von Charles J. Bail, eines französischen Zuwanderers, der 1809 ein statistisches Werk über das Königreich Westphalen verfasste, bildete für die Stiftung von nationalen Gefühlen historisch gesehen 535 536 537 538 539
LÜSEBRINK, Ernst Moritz Arndt. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 21. HILARIUS, Humoristische Reise, S. 25 Vgl. ibid., S. 15 f. Über den frühaufklärerischen Patriotismus-Diskurs, der Reichsidentität mit regionaler Identität verband vgl. NORTH, Das Reich als kommunikative Einheit, S. 240 f.
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C. Sprachbewusstein
nicht so sehr die gemeinsame Sprache ein Hindernis, sondern die kulturellen regionalen Unterschiede: Quoique Maximilien eut tenté en Allemagne ce que Richelieu exécuta si heureusement en France quelques siècles après lui, il ne put jamais annéantir la puissance des grands vassaux; en France ils avaient été sournis aux Rois, en Allemagne ils le furent à peine aux loix; ainsi les allemands formaient un corps de nation, et ils n’avaient pas d’esprit national; ils parlaient la même langue et restaient étrangers les uns aux autres, ils vivaient sous le gouvernement d’un même chef et obeissaient à plusieurs; ils jouissaient enfin des mêmes droits sans êtres liés par le même intérêt; voilà pourquoi ils n’avaient ni tranquillité au dedans, ni considération au dehors. [Leurs] loix […], elles étaient en effet si compliquées […] que peu de nationaux pouvaient se vanter de les connaitre […], il faut ajouter le mauvais emploi des forces nationales540 .
Eine solche Aussage seitens eines Befürworters der westphälischen Herrschaft, welche die Wichtigkeit einer nationalen Sprache für einen Staat in Abrede stellt, überrascht nicht weiter: Die Konzeptionalisierung des Königreichs Westphalen, der Projekte zur Bildung der westphälischen Nation zugrunde lagen541 , musste Abstand nehmen von einer einzigen Nationalsprache. Tatsächlich wurde bereits 1807 der Mindener Gelehrte Christoph Heinrich Wermuth von den französisch-kaiserlichen Vertretern beauftragt, das Wesen der westphälischen Nation historisch zu eruieren. In seinem Legendenangebot schaffte er es, Wedekind und Karl den Großen als westphälische Nationsbrüder zu versöhnen und für die westphälische Staatsgründung Pate stehen zu lassen542 . In Bezug auf die gemeinsame deutsche Sprache, die Nicolai belächelt, zeigt sich Scheller in seiner »Jeromiade« nicht weniger skeptisch gegenüber der Ursprache Deutsch aus »Rein’kens« Zeit, die die wenigsten eigentlich noch verstehen würden: 540 541 542
BAIL, Statistique générale, S. XVIII. Vgl. OWZAR, Schlendrian, S. 308; SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 149. Vgl. SHAT Vincennes, Akte 1 M 1526: Notice historique sur la Westphalie, par Wermuth, de Minden, le 22 août 1807 (43 pages), dort S. 4: »une chose est certaine, toute la Westphalie avait pour écusson principal un cheval sautant, libre et sans bride: il fut la bannière de Wittekind comme de tous ses ancêtres«; S. 21: »Maintenant je parle des deux grands hommes contemporains: a. Charle Magne, b. Wittekind le Grand, ils etaients tous deux Westphaliens tant: 1. par naissance que, 2. par possessions provinciales et territoriales«; S. 41: »Aucune nation a des tels princes [Wittekind et Charlemagne], on peut donc dire ce qu’on voudra, l’attachement d’un Westphalien à la posterité de Wittekind ne pourra jamais cesser parmi la partie cultivée de la nation«. Auch der »Westphälische Moniteur« bewies mit dem Abdruck einer Art Leserbrief an den Redakteur des »Moniteur«, zugeschickt durch den Leser »H.« aus »Cassel, de l’Imprimerie du Gouvernement« zum Thema »Sur les monuments d’une partie de l’ancienne Westphalie« diese Verbindungslinie Wedekind-Jérôme de Westphalie, vgl. Le Moniteur westphalien, Nr. 31, 8. März 1808, S. 125 f. Dort auf S. 125: »Wittekind, […] déja un Roi ou un Duc de Westphalie«.
3. Sprachbarrieren
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Desselben, den bis diesen Tag Kein Schreiber übersetzen mag, Weil Alemannen mit den Sassen Sich schwer zusammen reimen lassen. Mir wars, als schrieb’ ich einen neu’n, Und kam im vollen Sprung hinein In Rein’kens alte Deutsche Zung’, So wie sie mir die Mutter sung. Nun steht es da, und mancher mag Es nicht verstehn am heut’gen Tag. Wenn er’s nicht thut, ists eigne Schuld, Und muss ein solcher han Geduld, Bis ihm ein andrer übersetzt Was bass uns in der Ursprach’ letzt 543 .
Aber selbst Arndt räumt in seiner Schrift »Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache« bei aller Sympathie für den Einheitscharakter der deutschen Sprache ein, diese sei von zwei Hauptdialekten beherrscht, nämlich dem »Sassischen« und dem »Allemannischen«544 . Er stellt sie allerdings über die französische Sprache hinsichtlich ihres edlen Wesens und ihres Reichtums545 . Allerdings schreibt er an anderer Stelle ganz diplomatisch auch zur Wertung beider Sprachen: »welche von beiden Sprachen die beste sey, die französische oder die teutsche? Die Antwort giebt sich von selbst: sie sind beide die besten, die französische Sprache für die Franzosen und die teutsche Sprache für die Teutschen«546 . Arndt belässt es allerdings nicht bei der Konstatierung der Vorzüge der deutschen Sprache für die Deutschen, er geht weiter und definiert ein Programm zur sprachlichen Abschottung. Im Kern erscheint es ihm notwendig, sich vor dem Gebrauch anderer Sprachen, besonders der Nachbarvölker, zu schützen, um sich seine Freiheit als Volk zu sichern547 : Daher sollte jedes Volk, welchem seine Eigenthümlichkeit und Freiheit lieb ist, das Gesetz machen, dass die lebende Sprache eines Nachbarvolkes bei ihm nimmer gesprochen werden dürfte, so dass man z. B. in Teutschland wohl russisch und spanisch und englisch sprechen dürfte, aber nicht polnisch, italiänisch, noch französisch, weil man durch den Gebrauch der benachbarten Sprachen die Schlagbäume niederwirft, welche die Völker für das Glück und die Bildung der Welt wohlthätig und weise von einander trennen. Man sieht jetzt, wohin ich will. Ich will die Uebung und den Gebrauch der französischen Sprache in Teutschland abgeschafft wissen. Man mag die französische Sprache lesen und verstehen wie andere Sprachen, damit man der Bildung, Wissenschaft, Kunst, und Art auch des französischen Lebens genießen könne; aber sprechen soll man sie nicht 548 . 543 544 545 546 547 548
SCHELLER, Jeromiade, S. 204. Vgl. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 71 f. Vgl. ibid., S. 71. Ibid., S. 70. Vgl. ibid., S. 21. Ibid., S. 38 f.
496
C. Sprachbewusstein
Diese Abwehrhaltung gegenüber jeglichem mündlichen Sprachkontakt mit dem Französischen ist am Ende der napoleonischen Ära auf deutschen Territorien bezeichnend. Deutschland als »Mittelpunktsvolk« und »Mittelpunktsland« bedürfe nicht des Französischen549 . Französisch als diplomatische Sprache sei, nach Ansicht von Arndt, ebenfalls kein Muss, denn »die wirksamste geistige Gewalt, [sei] die Gewalt der Sprache«550 . Deswegen rät er dazu, in der Diplomatie mehr Dolmetscher zu verwenden, was alle Unterhändler sprachlich gleich stellen würde551 . Auch die Einführung des Lateinischen als Diplomatiesprache erscheint ihm angebracht 552 . Das Ziel sollte nach Arndts Meinung sein, die Volksverschiedenheiten der Franzosen und der Deutschen zu kultivieren553 . Die Hauptmotivation dahinter war die Stärkung der nationalen Unterschiede über die Abgrenzung der Sprachen: wir [haben] dahin zu trachten und Alt und Jung, Vornehm und Gering zu ermahnen, die Herrschaft der französischen Sprache bei uns für alle Zeiten zu vertilgen, damit wir künftig politisch frei und innerlich und äußerlich ächt teutsch leben können, was nicht allein uns selbst heilsam und ersprießlich, sondern auch den Franzosen das wohlthätigste seyn wird«554 .
Arndt fordert eine allgemeine Pflicht, sich der französischen Sprache in Zukunft zu enthalten, und plädiert dafür, den deutschen Fürsten- und Bürgersöhnen solle weder Französisch, noch Latein und Griechisch beigebracht werden555 . An dieser Stelle appelliert er besonders an die deutschen Frauen, denen als Bildnerinnen der künftigen Geschlechter eine besondere Aufgabe in Bezug auf die Vorrangstellung der deutschen Sprache gebühre556 . Zusammen mit dem Ruf zu den Waffen, um sich von der »französischen Tyrannei« zu befreien, ruft Arndt dazu auf, sich von der französischen Sprache loszusagen: Aber wir haben nichts gethan, wenn wir nicht auch die ungebührliche Herrschaft der französischen Sprache aus unsern Gränzen treiben, wenn wir nicht durch lauten Ausspruch und stille Uebereinkunft das Gesetz gegen, die französische Sprache soll in Teutschland keine sprechende Sprache mehr seyn. Sobald wir diesen Sieg über verjährten Land und buhlerische Eitelkeit errungen haben, bricht der Tag unser Glorie wieder an, und nach wenigen Geschlechtern werden wir wieder ein teutsches Volk, eine teutsche Art, und ein teutsches Leben sehen. […] Arbeiten die Franzosen, wo sie die Herren sind, nicht planmäßig, unsre Sprache allmälig zu vertilgen und auszutreffen557 ? 549 550 551 552 553 554 555 556 557
Ibid., S. 47, 61. Ibid., S. 48. Vgl. ibid., S. 48 f. Vgl. ibid., S. 49. Vgl. ibid., S. 49 f. Ibid., S. 66. Vgl. ibid., S. 73. Vgl. ibid., S. 78 f.; HAGEMANN, Heldenmütter, S. 185 f. ARNDT, Ueber Volkshaß, S. 70.
3. Sprachbarrieren
497
Mit einem solchen ablehnenden Programm gegenüber der französischen Sprache im Hintergrund überrascht nicht weiter das Aufkommen der Sprachgesellschaften nach 1813, die sich gegen die vermeintliche französische Fremdwörterflut in der deutschen Sprache wandten558 . Selbst wenn bei Arndt die Terminologie »Nation« keine Erwähnung findet, wird die deutsche Sprache doch an das Nationalprojekt angebunden. Diese latente Verbindung wird in den Memoiren eines westphälischen Zeitgenossen ganz deutlich: »indem alle Vorkehrungen getroffen wurden, um eine ausländische Sprache zur öffentlichen Geltung zu bringen, legte man die Axt an die Wurzel des nationalen Lebens«559 . Während Arndt die Sprache als Schwert definiert und Jakob Grimm sie als »schimmernde Waffe gegen den feindlichen Übermut« bezeichnet, wird hier für die französische Sprache die Metapher der Axt verwendet 560 . Die starke Ideologisierung der Sprachenfrage in der Zeit unmittelbar nach Ende des Königreichs Westphalen mag auch erklären helfen, weshalb es in den Darstellungen der Historiker zur unreflektierten Übernahme von kämpferischen und tendenziösen zeitgenössischen Aussagen über die Sprachen kam. Französisch wurde als Sprache des Siegers hingestellt; mit dieser Grundeinstellung konnte man in erster Linie mit der vermeintlichen Dominanz der französischen Sprache über die deutsche in Verwaltung und Gesellschaft beziehungsweise mit der angeblichen Oktroyierung der französischen Sprache ins Gericht gehen561 . Es wurde teilweise behauptet, die Amtssprache im Königreich Westphalen sei ausschließlich Französisch gewesen, aber nicht mehr erwähnt, dass weite Bereiche der Verwaltung auch in deutscher Sprache geführt wurden562 . Die Sprachenfrage wurde als ein grundsätzliches Mittel zur Festigung der westphälischen Herrschaft thematisiert: In fremder Sprache rathschlagte man über das Wohl und Wehe des neuen Königreichs. […] So bequemten sich denn die Deutschen, französisch zu lernen, da die Franzosen, trotz des königlichen Versprechens, nicht Deutsch lernen mochten. Mit dieser friedfertigen Lösung des Sprachconflictes allein war jedoch das Glück Westphalens noch nicht gegründet 563 .
Selbst in jüngeren Beiträgen gilt die Tatsache, dass die Amtssprache Französisch war, häufig als Hauptmotiv für die Wahrnehmung der westphälischen 558 559 560 561 562 563
Vgl. ibid., S. 84 f.; KIRKNESS, Zur Sprachreinigung; FLAMM, Eine deutsche Sprachakademie; SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 146–149. HAVEMANN, Das Kurfürstenthum Hannover, S. 55. Grimm, zitiert nach: KUMMER, Sprache und kulturelle Identität, S. 274. LOSCH, Kfm. Hessen, S. 51. Vgl. Treitschke, zitiert nach: KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37; LÜNSMANN, Die Armee des Königreichs Westfalen, S. 10. LYNCKER, Historische Skizzen, S. 84 f.
498
C. Sprachbewusstein
Herrschaft als Fremdherrschaft 564 . Auch französische Historiker sahen in der Regelung der Sprachenfrage im Königreich Westphalen eine existentielle Bedingung für das Fortbestehen des neuen Staates: »Placer sur un trône allemand un prince français de sa maison fut sans nul doute la première erreur de Napoléon. L’entourer de conseillers, dont Siméon, qui ne parlait pas allemand, en était une autre«, schreibt Tulard565 .
4. Fazit: die soziokulturelle und politische Relevanz der Sprachenfrage Insgesamt lässt sich aus allen Ausführungen über die verschiedenen Grade des Sprachbewusstseins, die zeitgenössischen Reflexionen über die Sprachen und deren ambivalente Hintergründe ableiten, dass die Sprachenfrage auf jeden Fall als zentral für das Verständnis der westphälischen Gesellschaft einzustufen ist. Auch wenn das Thema zunächst kulturhistorisch anmutet, so führt es doch zum konstitutiven Kern der westphälischen Gesellschaftsrealität, da die Sprachenfrage auf vielen Ebenen relevant war, so für die soziale, kulturelle und politische Abgrenzung. Hält man sich eng an die offiziellen Verlautbarungen, kann der westphälischen Herrschaft keine offenkundige Sprachdominanz durch das Französische vorgehalten werden. Allerdings mussten die Westphalen mittels vieler individueller und kollektiver Erfahrungen erleben, dass jenseits der offiziellen Sprachpolitik die französische Sprache sehr wohl an vielen Stellen ihrer Gesellschaft den Vorzug erhielt, da Französisch von 1807 bis 1813 zweifellos das sozial höhere Prestige besaß. Die Einführung der französischen Sprache neben der deutschen im Verwaltungsbereich verursachte durchaus grundlegende Veränderungen der Kommunikationspraktiken. Im dritten Teil wurde zunächst die paradoxe Situation bestätigt, die als linguistisches Rätsel in der Einleitung dargestellt wurde: Nebeneinander existierten gleichzeitig zeitgenössische Kommentare, die das Sprachproblem hochstilisierten, wie auch Kommentare, die die mehrsprachige Kommunikation als scheinbar selbstverständlich erscheinen ließen. Auf der einen Seite sind Indizien dazu überliefert, wie selbstverständlich die Zeitgenossen sich jenseits der Sprachunterschiede verständigten, wenn sie beispielsweise versuchten, auch Aussagen in fremden Sprachen mit Sinn zu füllen. Dennoch überwogen im Diskurs über die Sprachen ganz dezidierte Urteile und Vorurteile. Es konnte festgestellt werden, dass die zeitgenössischen Erklärungen über die Sprachen quellenkritisch behandelt werden müssen, da sie häufig eine subjektive oder parteiische Sicht reflektieren. Oft wurden 564 565
Vgl. KAHMANN, Die Geschichte des J. F. A. Lampe, S. 343. TULARD, Siméon, S. 567.
4. Fazit
499
angebliche Sprachverständigungsschwierigkeiten, die nicht unbedingt relevant oder existent waren, politisch funktionalisiert, um daran die Forderung nach Abgrenzung anzuknüpfen. Aus den zeitgenössischen reflexiven Aussagen über die Sprachen und die Sprachenfrage lässt sich schwer rekonstruieren, inwieweit die Sprachenvielfalt im Alltag die Kommunikation tatsächlich erschwerte. Allerdings konnte gezeigt werden, dass die Grenzziehung zwischen den Sprachgemeinschaften zum Teil ganz entgegen anderer Zugehörigkeitsprinzipien verlief. So bestätigt sich die Feststellung von Schulze: Ständische Solidaritäten […] wogen in dieser [europäischen] ›Gemeinschaft‹ noch schwerer als beginnende nationale Differenzierungen, auch die Beschäftigung Fremder in den nationalen Bürokratien war etwas durchaus Gewöhnliches, auch wenn der einheimische Adel immer deutlicher auf sein Indigenat pochte566 .
Zum Schluss kristallisierte sich insbesondere bei eingehenderer Betrachtung der Hofgesellschaft heraus, dass, wenn Personen sich sprachlich verständigen konnten, dies noch nicht bedeutete, dass sie sich kulturell und sozial nahe standen. Gleichzeitig teilten Personen, die über keine gemeinsame sprachliche Verständigungsmöglichkeit verfügten, durchaus ähnliche Erfahrungswelten und kulturelle Hintergründe. Die Kohärenz von Sprach-, National- und kulturellen Gemeinschaften, wie im intellektuellen zeitgenössischen Diskurs propagiert, stimmte somit mit der Alltagsrealität der Westphalen nicht überein.
566
SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils, S. 34.
D. Schlusswort – »Der französischen Sprache mächtig«, mit der russischen gewappnet Der Streifzug durch die westphälische Sprach- und Kommunikationsgeschichte – von dem auf den ersten Blick Sichtbaren zur Praxis und zu den Problemen und Chancen der Kommunikation – hat gezeigt, dass diese auch von Missverständnissen, von verfehlten Kommunikationsvorgängen und von Protesterscheinungen geprägt war. Aus der Bilanz aller Einzelbelege geht eine Dominanz der französischen Sprache eindeutig hervor: Die Beherrschung der französischen Sprache in bestimmten Kontexten war Teil einer entscheidenden Machtfrage. Der zeitgenössische Ausdruck »der französischen Sprache mächtig« war nicht reine Metapher, sondern spiegelte sich in der Wirklichkeit und im subjektiven Empfinden der Westphalen wider. Der deutsch-französische Herrschaftskontext hat jedoch Kommunikation nicht nur erschwert und war für die Deutschsprachigen nicht immer von Nachteil. Die Variationen, mit denen die Zeitgenossen über die ›Sprachproblematik‹ berichten, mit unterschiedlich ausgeprägter Dramatik, Humor und satirischer Verfremdung, beweisen die starke Kontextabhängigkeit der Bedeutung und Wahrnehmung von Sprachen. Zunächst sollen erstens einige häufig wiederkehrende und herausragende Themenfelder zusammengeführt werden, die als prägende Merkmale des kommunikativen Spektrums der westphälischen Gesellschaft aus der Gesamtdarstellung heraustreten. Anschließend werden zweitens die konkreten Befunde zur westphälischen Sprachenfrage zusammengefasst. Drittens erfolgt die Einordnung der Untersuchung in den Forschungsstand zum Königreich Westphalen.
1. Merkmale des kommunikativen Spektrums der westphälischen Gesellschaft 1.1.
Mündlichkeit/Schriftlichkeit
Insbesondere im Teil B konnte eine Vielzahl von Kommunikationssituationen analysiert werden, die durch das Oszillieren zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit charakterisiert sind. Die Flexibilität der Menschen und der alltägliche Transfer von Schriftlichkeit zu Mündlichkeit lassen sich aus der teilweise auffälligen SemiOralität von schriftlichen Quellen erahnen. Ebenso fällt bei einem ersten Einblick in die Quellen die Schriftfixiertheit einer teilweise analphabe-
502
D. Schlusswort
tischen Welt auf. Die Übergänge zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit stellen aufgrund dieser Faszination für das Schriftliche, das beglaubigende Kraft verlieh, einen besonders interessanten Aspekt der Erforschung des kommunikativen Spektrums der westphälischen Gesellschaft dar. Trotz der Polizeiüberwachung wurden die Westphalen nicht vollkommen auf mündliche Medien zurückgeworfen, um sich am Informationsund Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Die Schriftmedien behielten ihre Anziehungskraft. Die Interdependenz beziehungsweise Komplementarität der mündlichen und schriftlichen Medien ist das eigentlich Herausragende in der Bilanz: Das Informationssystem der Westphalen fügte sich zusammen aus dem öffentlichen Verlesen von Anschlägen, aus dem Erzählen von Karikaturen oder aus dem Berichten von angeblichen oder tatsächlichen Briefnachrichten wie aus der brieflichen Mitteilung über das Hörensagen1 . Die Sprach- und Kommunikationsproblematik in der westphälischen Gesellschaft ergründen zu wollen, führt jedoch über die Bereiche der Mündlichkeit und Schriftlichkeit hinaus in die Bereiche der zeichenhaften und symbolischen Kommunikation, der Handlungen und der gesellschaftlichen Inszenierung von Emotionen und Teilhabe. 1.2.
Zeichenhafte Kommunikation und visuelle Medien
In mehreren Kapiteln der Arbeit wurde die besondere Relevanz des Bildes für die Kommunikationsprozesse herausgearbeitet. Der »russische Dolmetscher« des Buchdruckers Dreyssig löste eine Zensurmaßnahme gegen alle russischen Sprachlehrbücher im Königreich Westphalen aus, weil er eine Vignette auf seinem Titelblatt zeigte, die der Polizei das Verbot der Lehrwerke für geboten erscheinen ließ. Im Fall der Karikaturen erlangte die Schrift wiederum eine zentrale Rolle im Bild und die Sprache eine noch größere Schlüsselfunktion, da sich die Westphalen den Inhalt der Karikaturen weitererzählten und damit für ihre Verbreitung sorgten. Stellvertretend für symbolische Handlungen steht vor allem die Handlung des Bürgers Taberger: eine statische Sarginszenierung mit Bleifiguren, kleinformatig genug für sein Schaufenster, und im Kern ein Bild, das vieldeutig interpretiert werden konnte. Sein Bild appellierte an die Sprachbilder, Merkbilder und »inneren Bilder« seiner Mitbürger. Die Wappen als Bild und Kommunikationsangebot der Herrschaft wurden von den Westphalen ebenfalls in Anspruch genommen und gedeutet. 1
Dieser Befund bezieht sich auf die Online-Kapitel »Gerücht« und »Brief«. Sie wurden aus der Argumentationskette von Teil B gelöst und stehen online zur Verfügung unter http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013).
1. Merkmale des kommunikativen Spektrums
503
Im weiten Feld der zeichenhaften Kommunikation galt es, nicht nur das Handlungsrepertoire zu ergründen, auch der Bilderkonnex ist von zentraler Bedeutung. Wenn die Handlungen der Westphalen als Teil der zeichenhaften Kommunikation in ihrer Vieldeutigkeit begriffen werden sollen, so ist es erforderlich, die kollektive Bilderwelt, der sie Referenz erwiesen, zu ergründen. Nicht zuletzt griffen sie just die Herrschaftssymbolik und -repräsentation auf, um ihre Staatskritik zu artikulieren – dies trifft zum Beispiel für Taberger, sämtliche Karikaturen und die Angriffe auf die westphälischen Wappen zu2 . Um die kommunikativen Strategien einer Gesellschaft nachzuvollziehen, genügt es nicht, eine komplexe und nicht-lineare mediale Vernetzung von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Bildlichkeit zu ergründen3 : Die Handlungen treten hinzu. 1.3.
Medienvielfalt, -vernetzung und -vermischung
Genau genommen zeigt sich das kommunikative Spektrum innerhalb der westphälischen Gesellschaft so dynamisch, weil das Prozedere der Abkapselung eines Mediums oder einer Gattung, dessen sich der Forscher zur Analyse bedient, um ein kommunikatives Spektrum zu ergründen, den Zeitgenossen unbekannt war. Sie informierten sich, kommunizierten über viele Wege und machten sich so die Medienvielfalt zu eigen. Entscheidend ist es also, die enge Verzahnung oder die Aufeinanderbezugnahme der verschiedenen Mediensorten zu rekonstruieren, um den umfassenden Kommunikationszusammenhang zu überblicken4 . Auf die Spirale der Kommunikation kommt es an: Der Inhalt einer Karikatur kursierte als Witz oder Rätsel, wurde parallel durch Gerüchte gleichen oder ähnlichen Inhalts belebt beziehungsweise authentifiziert oder gar in Gestalt außersprachlicher Handlungen, die Kritik an der Tagespolitik ausübten, widergespiegelt. In verschiedenen medialen Formen wurden gleiche oder ähnliche Motive wieder aufgegriffen und aufgelegt, assoziativ komponiert; so entstanden in den Köpfen der Zeitgenossen die Merkbilder, die sich im Nachhinein beim Sichten der antinapoleonischen Karikaturen einprägen können. Die Multimedialität gewinnt somit nicht erst im von Massenkommunikation geprägten 20. Jahrhundert an Aktualität 5 . 2 3 4 5
Diese Feststellung machte auch OWZAR, Vom Gottesgnadentum zum Verfassungspatriotismus, S. 141. Vgl. BURKHARDT, WERKSTETTER, Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 2; SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144. Vgl. TSCHOPP, Rhetorik des Bildes, S. 99 f. Über die multimedialen frühmodernen Öffentlichkeiten vgl. BURKHARDT, WERKSTETTER, Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter, S. 1 f. Über die Multimedialität als Charakteristik des 20. Jh. vgl. WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte.
504
D. Schlusswort
Gerd Schwerhoffs Appell, von einem »Medien-Mix«, vom zunehmenden Zusammenspiel von Druckmedien und »primären Medien«, auszugehen6 , möchte die vorliegende Untersuchung einen weiteren zentralen Aspekt hinzufügen: Das Entstehen von Medien-Mischformen oder Medienmischungen stellte sich im Fall der westphälischen Gesellschaft als entscheidende Adaptation der kommunikativen Strategien einer Bevölkerung dar, die bei ihrer Kommunikation überwacht und deren Medienspektrum von Zensur beeinträchtigt wurde7 . Das hier dargelegte herausragendste Beispiel einer Medien-Mischform stellen die russischen Dolmetscher des Jahres 1813 dar. Im Medien-Mix entstehen in diesem besonderen politischen Kontext Medienvermischungen oder Medien-Mischformen, teilweise mit subversivem Charakter und als äußere Manifestation der Politisierung der Gesellschaft. Im kommunikativen Spektrum der Westphalen verlagerte sich gelegentlich auch die Relevanz von den klassischen Schriftmedien auf mündliche Medien (Lieder, Gerüchte, Predigten) und zeichenhafte Kommunikation, die sich insgesamt der Repression leichter entzogen. Obgleich gerade die mündlichen Medien, wenn auch nicht immer zu Recht, als vornehmlich frühneuzeitliche Medien angesehen werden8 , sind sie im untersuchten Kontext an der Schwelle zur Neuzeit sehr präsent: Das Königreich Westphalen, von der Warte der Kommunikationsgeschichte aus gesehen, lässt sich nicht in einer linearen Entwicklung von der Frühen Neuzeit hin zur Neuzeit begreifen. Die Flexibilität der Westphalen sowie ihre rasche Anpassung an den veränderten Kommunikationskontext erklären auch die Medienvielfalt, die Entstehung von Medien-Mischformen und die innovativ subversive Neubesetzung von bereits vorhandenen Medien. Die Westphalen adaptierten ihr Medienrepertoire unter dem Einfluss der politischen Rahmenbedingungen. So lag »die Innovation der napoleonischen Propaganda […] mithin weniger in der Formulierung neuer Strategien, weniger in der Verwendung bestimmter Medien, weniger im Benutzen bestimmter Topoi. Die Innovation [lag] vielmehr in der massiven Omnipräsenz der Propaganda und in der gleichzeitig erfolgenden Anwendung höchst unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher Strategien«9 , um Ozwar zuzustimmen. In Erwiderung dieser »Patchwork-Strategie«10 à la Napoléon wurden Medientypen gemischt, 6 7
8 9 10
SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144, vgl. S. 145. Vgl. MOLITOR, Zensur, Propaganda und Überwachung; STEIN, Einheit der Nationalsprache, S. 107; WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 166–183. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144. OWZAR, Vom Gottesgnadentum zum Verfassungspatriotismus, S. 143. Ibid.
1. Merkmale des kommunikativen Spektrums
505
die Vernetzung der Medien ad infinitum exerziert und die offiziellen Topoi massiv umgedeutet: Die Zeitgenossen – und nicht nur die Westphalen – zeigten sich in ihren kommunikativen Praktiken und Meinungsbildungsprozessen höchst lernfähig und innovativ und standen dem »Medienkaiser« Napoleon in nichts nach11 . 1.4. Desinformation – Informationspolitik ›von unten‹ – Informationsnetzwerke: Politisierung Im untersuchten Zeitrahmen kam es zu einer Verdichtung und Umschichtung von Kommunikationsprozessen, weil bei den Zeitgenossen ein Bedarf an Information bestand. Die offizielle Nachrichtenverbreitung sowie die Presse lieferten mehrheitlich Desinformation und verstrickten sich in ihre eigenen Widersprüche, was nicht zuletzt durch die Gegenüberstellung der französischen und deutschen Spalten des »Westphälischen Moniteur« deutlich wurde. Bald betrachteten die Westphalen die Nachrichten der offiziellen Zeitungen daher mit Misstrauen und ihr Glaube an den Wahrheitsgehalt alles Gedruckten wurde eingeschränkt. Die westphälische Herrschaft stand mitunter im Zeichen der napoleonischen Zensur12 . Die Westphalen gingen in Reaktion darauf zur eigenen Informationsbeschaffung über und unterwanderten die Zensurpolitik – die Existenz eines inoffiziellen Postwesens ist dabei ein Aspekt, die verklausulierten Nachrichten in Briefen sind ein weiterer13 . Als wichtiger Lernprozess der Westphalen unter der westphälischen Herrschaft ist die Schärfung ihres kritischen Bewusstseins festzustellen. Die Themen ihres Interesses zeigen ihre Politisierung an14 . Es kam aber auch zu einer Politisierung von scheinbar unpolitischen Themen, politische Sachverhalte wurden kritischer beurteilt. Erst durch die Beeinträchtigung in ihrer Lebenssphäre mutierten breitere Teile der Bevölkerung zu politischkritischen Subjekten und gerieten in einen eigenen Meinungsbildungsprozess über neu besetzte Medien wie die Sprachwörterbücher oder die 11 12
13
14
THAMER, Macht und Repräsentation napoleonischer Herrschaft, S. 40; vgl. auch OWZAR, Schlendrian, S. 307. Vgl. Bulletin des Lois, Dritter Band 2 1810, Königliches Dekret vom 7. März 1809, S. 386–389; WILKE, Der nationale Aufbruch, S. 355 f.; BOUDON, Ordre et désordre, S. 97–100. Vgl. für das Linksrheinische WILKE, Medien- und Kommunikationsgeschichte um 1800, S. 46. Dieser Befund bezieht sich auf die Online-Kapitel »Gerücht« und »Brief«. Sie wurden aus der Argumentationskette von Teil B gelöst und stehen online zur Verfügung unter http://halshs.archives-ouvertes.fr/PLCI-NAPOLEON (1. 1. 2013). Petiteau definiert als Forschungsdesiderat die Erforschung des politischen Lebens außerhalb der Kreise der Denker und Staatsbeamten. Vgl. PETITEAU, Les Français et l’Empire, S. 18.
506
D. Schlusswort
Almanache15 . Die Westphalen zeichneten sich durch eine hohe Anpassungsbereitschaft an den Wandel der Zeit aus: Während sie 1807 auf Privatinitiative Französisch erlernten, so wandten sie sich Anfang 1813, den Zeichen der Zeit vorauseilend, den russischen Sprachwörterbüchern zu. Mit ihrem Interesse für die politisch relevanten Sprachen ihrer Epoche schickten sie sich an, ihre privaten Interessen zu verteidigen, ergriffen aber auch indirekt Partei für den einen oder anderen Herrscher. Unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation und Kommunikationsforschung ist das Königreich Westphalen zwischen zwei Kommunikationsrevolutionen eingeengt und damit in seiner Bedeutung relativiert 16 . Jeder Historiker beansprucht gern für seine Untersuchungszeit den Bonus eines historischen Sonderstatus oder einer besonderen Relevanz in Bezug auf Neuheit, Innovation, Reformgut, Zustandekommen von grundlegenden, markanten und zukunftsweisenden Wandlungen. Mit Blick auf das Königreich Westphalen ist zu betonen, dass die Franzosenzeit eine Umbruchzeit in Bezug auf die Kommunikationsstrategien der Akteure von Kommunikation bedeutete. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die außerordentliche Schärfung der politischen und kritischen Sinne der westphälischen Staatsbürger: Die Zeitungen wurden auf einmal zwischen den Zeilen gelesen und einer kritischen Gegenlektüre unterzogen; man beschränkte sich auch nicht auf sie, sondern suchte nach Alternativen und erschuf teils innovativ, teils unter Rückgriff auf altbewährte und tradierte Medien, einen flexiblen Medien-Mix, der nicht zuletzt einige MedienMischformen hervorbrachte. Die Westphalen lernten, ihre Informationen und das Wissen daraus aus verschiedenen Medien zu beziehen. Insgesamt ist das Königreich Westphalen durch einen hohen Grad an Politisierung eines breiten Spektrums der Gesellschaft gekennzeichnet, der allerdings nicht unbedingt auf den ersten Blick evident ist 17 . Die Politisie15
16
17
Die Einführung einer politischen Polizei, die ihre Überwachung nach innen statt nach außen wendet, war neu für die Territorien, die das Königreich Westphalen bildeten, und könnte als Erklärungsmoment für diese besondere Entwicklung gelten. Dadurch, dass die westphälische Herrschaft ihre eigenen Staatsbürger verdächtigte und Kontrollmechanismen aufbaute, entwickelte sich die westphälische Öffentlichkeit in der beschriebenen Weise. Vgl. PAYE, Die Polizei; vgl. DIES., »Almanach royal de Westphalie«. Vgl. NORTH, Einleitung, in: DERS. (Hg.), Kommunikationsrevolutionen, S. IX– XIV, hier S. X; BÖNING, Weltaneignung, S. 133. Vgl. auch: Begann die Neuzeit mit dem Buchdruck? Podiumsdiskussion. Owzar kommt zu einer ähnlichen Bilanz: »Neben der Französischen Revolution ist es vor allem Napoleon zuzuschreiben, dass Nordwestdeutschland breitenwirksam unter Einsatz sämtlicher seinerzeit zur Verfügung stehender Medien und unter Verwendung zahlreicher Topoi nachhaltig politisiert wurde«. OWZAR, Vom Gottesgnadentum zum Verfassungspatriotismus, S. 143; vgl. auch DERS., Der alte Schein des neuen Reiches, S. 160. Die hier vertretene These geht weiter:
1. Merkmale des kommunikativen Spektrums
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rung der Gesellschaft vollzog sich in dieser Zeit weniger über die steigende Anzahl der politischen Zeitungen oder über die aktive Beteiligung an den Kämpfen gegen Napoleon als über die unterschwellige Anregung zur kritischen Gegenlektüre alter und neuer Medien18 . Das zeigt sich unter anderem auch in der Vervielfältigung der Bedeutungsebenen einiger Medien, die eine Mehrfachadressierung implizierte, mit unterschiedlicher Verwendung und Funktionalisierung im Rahmen der Staatskritik. 1.5.
Kommunikationsorte
Die Orte, an denen sich spezifische Medien entfalteten, waren wichtig für die Bedeutung, die diese für die Zeitgenossen gewinnen konnten19 . So konnte beispielsweise ein als Brief getarntes antiwestphälisches Pamphlet durch seine Anbringung an einem Schandpfahl einer vormaligen Herrschaft eine eindeutig denunziatorische und verleumderische Bedeutung erhalten. Teilweise wurden die Orte, an denen Gerüchte weitergegeben wurden, von deren Verbreitern als Garant ihrer Unschuld im Rahmen der Polizeiermittlungen angeführt. Manche Orte, an denen sich bestimmte Medien entfalteten, waren stark sozial markiert. Insbesondere in Bezug auf die geschlechtsspezifischen Merkmale von Kommunikationsräumen konnten einige Hinweise auf die sich anbahnende Polarisierung der Geschlechtscharaktere und der allmählich im 19. Jahrhundert einsetzenden Trennung von Öffentlichem und Privatem mit einem Ausschluss von Frauen aus öffentlichen Räumen eruiert werden20 . 1.6. Soziokulturelle Schranken – Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Gruppen Anhand der Medienvielfalt, derer sich die Westphalen bedienten, und der starken Vernetzung der Mediensorten konnte gezeigt werden, dass trotz ausgeprägten Standesbewusstseins politische Informationen sich verbreiteten, ohne schichten- oder standesgebunden zu sein.
18
19 20
Nicht nur, dass die westphälische Bevölkerung das vielfältige mediale Angebot Napoleons aufgriff; durch die bald erkannte Notwendigkeit, die Zensur zu unterwandern, entstanden Medienmischformen, die sich der Zuordnung durch den Polizeistaat Westphalen entzogen. Insofern waren für die antinapoleonischen Strategien der aktiven Kritiker die sprachlichen Unterschiede gelegentlich weniger Barriere als willkommene Nische. Die getarnten Medien waren en vogue. Über den Aufschwung der historisch-politischen Zeitschriften in Deutschland seit der Französischen Revolution vgl. BECKER, Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg, S. 72; über den kleinen Kreis von Lesern, die Zeitungen rezipierten, vgl. PETITEAU, Les Français et l’Empire, S. 77. Vgl. SCHWERHOFF, Kommunikationsraum Dorf und Stadt, S. 144. Vgl. HAUSEN, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«; WUNDER, »Er ist die Sonn’, sie ist der Mond«.
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D. Schlusswort
Die russischen Dolmetscher mit ihrer Multifunktionalität vom wirklichen Sprachwörterbuch bis zur Kritik an den westphälischen Herrschaftsverhältnissen und vor allen Dingen mit ihren Mehrdeutigkeiten existierten in allen Preis- und Qualitätskategorien; damit konnten sie zu einem Breitenphänomen werden, hinter dem die subversive politische Botschaft die gleiche blieb. Sie stand Vertretern aus allen Gesellschaftsschichten offen, da eine Vielzahl von Ausführungen produziert wurde. Diese Kommunikation quer durch die Schichten konnte auch anhand der Briefkultur der Westphalen aufgezeigt werden: Die Verteilung der Briefnachrichten folgte einer ausbalancierten Rollenteilung, in der die gebildeten Schichten vornehmlich korrespondierten und die weniger gebildeten die politischen Nachrichten aus den Briefen der gebildeteren verbreiteten. Für die Informationsbeschaffung war eine Art gesellschaftlicher Zusammenhalt vorhanden; obwohl einige Medien im Medienregister bestimmter Gesellschaftsschichten fest verankert waren, zirkulierten das Wissen und die Kritik darüber hinaus. Die soziokulturellen Reibungen waren trotz der Durchlässigkeit zwecks Verbreitung von Informationen sehr maßgeblich. Insbesondere in den Untersuchungen über die Hofgesellschaft wurde die Bedeutung der sehr ausgeprägten sozialen Gegensätze im Königreich Westphalen deutlich, die eine zentrale Rolle in der Aushandlung der Sprachenfrage erlangten. Die soziokulturelle Kluft zwischen alteingesessenen Adligen und neu eingewanderten Geadelten machte wesentlich mehr als die unterschiedlichen Sprachen ihr Zusammenleben in der höfischen Gesellschaft zu einem schwierigen Unterfangen, in dem der Sprachkonflikt zum Alibi für die Äußerung von Unverträglichkeit wurde. 1.7.
Identität(en) und Verstellungskünste
Die Westphalen hatten einen Hang zur Verstellung, was sich auch für ihre Medien beobachten lässt. Die Charakteristika von Zeitungen, die nur formal die äußeren Merkmale einer Zeitung aufwiesen, aber tatsächlich staatskritische Fälschungen waren, galten in gewisser Weise auch für die Bevölkerung, die gern vorübergehend neue Identitäten annahm und sich tarnte. Durch die gesamte Untersuchung ziehen sich die Begegnungen mit Dolmetschern, die keine waren, sich aber das Zertifikat für diese Tätigkeit selbst fabriziert hatten; mit Buchdruckern, die sich als russisch ausgaben oder als »grüner Mann« ihr Bild in der Öffentlichkeit pflegten, um ihre Ware besser abzusetzen, obwohl sie eindeutig westphälische Bürger waren; mit Pamphletschreibern und Karikaturisten, die diese Tätigkeit lediglich im Rahmen eines Gasthausgesprächs für sich beanspruchen konnten. Es gab auch genug Westphalen, die ihren Namen aus eigenem Antrieb französisierten. Die Westphalen gingen eigentlich sehr flexibel mit ihren Identitäten um, ein weiteres Indiz dafür, dass es für sie unproblematisch war, westphälische
1. Merkmale des kommunikativen Spektrums
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Abb. 30: So genanntes »Napoleon-Brötchen«, 19. Oktober 1813, Leipzig, Mehl, Salz, Wasser, 8×5×2,5 cm, SML, W/Div 25. Dieses Brötchen aus dem Depot des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig soll in der Nacht vom 18. zum 19. Oktober 1813 gebacken worden sein.
Staatsbürger geworden zu sein und diese eine Facette ihrer Identität bald darauf auch wieder abzulegen21 . Im Laufe der Untersuchung wurde deutlich, dass der staatliche Reformwille durchaus von den Westphalen rezipiert wurde – in den Bittschriften bedienten sie zum Beispiel die neue Herrschaft gezielt mit den entsprechenden Schlüsselargumenten. Sie passten sich somit aktiv den Wandlungen ihrer Zeit an. Ihre Bekenntnisse und Zeugnisse, mit denen sie ihre Zugehörigkeit zu erkennen gaben, sind somit nur mit sorgfältigster Quellenkritik zu verwenden – ihre politischen couleurs und Parteiergreifungen waren teilweise sehr schemenhaft und wechselnd, um nicht zu sagen chamäleonartig. Wie Winfried Speitkamp bilanziert, war ihr Hauptanliegen schlicht »Überleben, Nahrung und Glück«22 . Ohne Zögern wären sie bereit gewesen, sich mit Herrschaftsverhältnissen zu identifizieren, die ihnen diese Grundversorgung hätten gewähren können. Das oben abgebildete »Napoleon-Brötchen« ist in das kollektive Gedächtnis der Leipziger zur Völkerschlacht eingegangen. Auch die Französische Revolution, das Urereignis der französischen Nationsbildung, soll mit dem Brotmarsch der aufgebrachten Frauen am 6. Oktober 1789 nach Versailles begonnen haben. Währenddessen buk man 1813 in Deutschland kleinere Brötchen – ob diese genügt hätten, die oben genannte Sehnsucht nach 21
22
Speitkamp stellte auch fest, dass Merkmale der Anpassung und der Auflehnung in vielen Lebensentwürfen teilweise zeitgleich nachweisbar und nicht weiter überraschend sind. Vgl. SPEITKAMP, Unruhe, Protest, Aufstand, S. 152. Ibid.; vgl. ferner SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 135.
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»Überleben, Nahrung und Glück« zu kompensieren, ist fragwürdig. Hätte Napoleon in Leipzig am 19. Oktober 1813 nicht eine endgültige Niederlage erlitten, wäre das Leipziger Napoleon-Brötchen allerdings vermutlich längst verspeist und würde nicht mehr als Exponat zur Veranschaulichung der Mythosbildung zu den Befreiungskriegen zur Verfügung stehen.
2.
Befunde zur westphälischen Sprachenfrage
2.1. Sprachpolitik ›von oben‹ und Einflüsse auf Gesellschaft und Öffentlichkeit Die Sprachpolitik im Königreich Westphalen war sehr gemäßigt: Offiziell war die französische Sprache die erste Sprache im Land. Bei Differenzen in der Auslegung des auf Französisch und auf Deutsch vorhandenen Gesetzestextes sollte der französischen Version der Vorzug gegeben werden. Praktisch wurde eine Art Kolinguismus praktiziert; ausgedehnte Übersetzungspraktiken sollten den französischen und deutschen Sprachgemeinschaften zu einem friedlichen Zusammenleben verhelfen. Beide Sprachen waren zwar in der Verwaltung relevant, allerdings sah man auf der unteren Verwaltungsebene davon ab, die westphälischen Staatsbürger mit der französischen Sprache zu konfrontieren. Durch den Vergleich der offiziellen Sprachpolitik mit der Schulpolitik konnte gezeigt werden, dass der Schwerpunkt auf den Gesellschaftsreformen und dem Anschluss breiter Bevölkerungsteile an das neue Gesellschaftsprojekt lag. Die Sprachenfrage wurde dieser Priorität untergeordnet. Im Königreich Westphalen galt Religionstoleranz und, wenn man so will, auch Sprachentoleranz. Die Sprachpolitik wurde zumindest nicht als Verwirklichungsmoment eines politisch expansionistischen Willens konzipiert und es wurde zur Festigung der staatlichen Einheit nicht die Schaffung einer einzigen Nationalsprache angestrebt 23 . Die Herrschaftsvertreter vermieden sogar bewusst, die westphälische Bevölkerung mit der französischen Sprache zu behelligen: Man wusste um die spannungsgeladenen Auseinandersetzungen um die Identität, die eine Einschränkung in der öffentlichen Sprachwahl verursachen konnte, und griff zu allenfalls sanften und auf jeden Fall verdeckten Entscheidungen in Bezug auf die Sprachenfrage. Neu scheint an dieser Sprachpolitik die Einsicht gewesen zu sein, dass eine sprachliche Einheit nicht von heute auf morgen hergestellt werden kann und dass Sprachen einen Lernprozess erfordern, der sich einem politischen Willen durchaus widersetzen kann. Es ist auch nicht auszuschließen, dass in der Sprachenfrage eine andere politische Entscheidung prägend war: Gelegentlich wird die These vertreten, die neue Staatsgründung von Napo23
Hier besteht eine klare Differenz zur radikaleren Sprachpolitik im Linksrheinischen, vgl. STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 301 f.
2. Befunde zur westphälischen Sprachenfrage
511
leon sei angesichts der eingeschränkten Staatssouveränität der westphälischen Herrschaft als eine bessere Elbbarriere zwischen Preußen und dem Kaiserreich Frankreich gewollt gewesen – das so genannte »dritte Deutschland« sollte als Gegengewicht zu Österreich und Preußen fungieren beziehungsweise einen Puffer zwischen Frankreich und den Mächten der antifranzösischen Koalition bilden24 . In diesem Sinne hätte eine solche Barriere auch als sprachliche Barriere am besten funktioniert und sich damit die Notwendigkeit erübrigt, alle Staatsbürger der französischen Sprache kundig zu machen25 . Und dennoch, selbst wenn keine Sprachpolitik nachgewiesen werden kann, welche die konsequente Oktroyierung der französischen Sprache forcierte, war die Sprachenfrage im Königreich Westphalen wenn nicht eine Machtfrage, so doch in vielen Situationen Anlass zu einer Machtprobe. Die »Macht der Sprache und ihre […] Verstrickung mit anderen Formen von Gewalt« war auch in der untersuchten Gesellschaft kein marginales Thema26 . Die Wahrnehmung der Sprachpolitik durch die Westphalen wurde zudem subjektiv durch ihre Erwartung einer dominanten staatlichen Sprachpolitik beeinflusst, selbst wenn diese nicht eintrat. So erklärt sich, dass auf der diskursiven Ebene alle möglichen Missstände im Rückgriff auf die Sprachenfrage erklärt wurden, auch wenn letztere objektiv gesehen nicht ursächlich dafür verantwortlich war. Zusammenfassend ist hinsichtlich der Sprachpolitik im Königreich Westphalen als ›von oben‹ entschiedene Sprachenfrage festzuhalten, dass man weitgehend die Sprach- und Kommunikationspraktiken über die sprachliche Gewichtung in den Domänen der Verwaltung und der Gesellschaft entscheiden ließ. Es sollte sich im Übrigen zeigen, dass die Westphalen durchaus auch eine eigene Sprachpolitik betrieben. 2.2. Sprachpolitik ›von unten‹ und Wechselwirkungen mit der Staatspolitik Insofern die Bilanz der offiziellen Sprachenpolitik unerwartet liberal ausfällt, gehen die vielfältigen Bemühungen der Westphalen, sich sprachlich den neuen Gegebenheiten anzupassen, als markantes Ergebnis aus der Untersuchung hervor. Da sie staatlicherseits nicht genötigt wurden, Französisch zu erlernen, ergriffen sie selbst die Initiative und bemächtigten sich der Grundzüge der französischen Sprache über viele Wege. Neben dem fran24 25 26
Vgl. OWZAR, Schlendrian, S. 299 f.; ENGELBRECHT, Bürgerliche Reformen, S. 96; SUNDERBRINK, Experiment Moderne, S. 101 f. Vgl. KNÖPPEL, Verfassung und Rechtswesen, S. 21. BURKE, Küchenlatein, S. 8; vgl. ferner KLEMPERER, LTI; BERGSDORF, Die sanfte Gewalt, S. 41.
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zösischen Spracherwerb sind die Bittschriften in französischer Sprache zu nennen, die von deutschsprachigen Staatsbürgern verfasst oder von ihnen in Auftrag gegeben wurden. Die Bedürfnisse und Nachfrage der westphälischen Staatsbürger ließen einen Markt um die Sprachen entstehen: ein regelrechter Boom für französische Literatur in der Anfangzeit; große Nachfrage und ein entsprechendes Angebot an französischen Sprachlehrern, die auf Privatinitiative eingestellt wurden; Gründung von Bittschriftenbüros, bei denen man sich gegen Geld von einem Schreiber eine professionelle Bittschrift auf Französisch schreiben ließ, obwohl diese Variante der Vermarktung von Sprachkenntnissen vom westphälischen Staat untersagt und teilweise auch verfolgt wurde. All diese Tendenzen sind ein klares Signal dafür, dass Französisch zunächst als angesehene und prestigeträchtige Sprache aufgenommen wurde und zeigt wiederum, dass eine latente Sprachdominanz durch das Französische vorhanden war, selbst wenn die offizielle Sprachpolitik nicht offensiv darauf ausgerichtet war. Überspitzt formuliert betrieben die Westphalen ihre eigene Sprachpolitik ›von unten‹, wobei sie auch die Sprache ihres momentanen Interesses wechselten, je nach politischer Entwicklung: Vom Jahr 1807, ab dem viele Westphalen Französisch lernen wollten, bis zum Jahr 1813, in dem sie frühzeitig anfingen, sich russische Wörter anzueignen, folgten sie mit ihrem Fremdsprachenerwerb dem politischen Wandel ihrer Zeit und gingen auch politisch eine Gratwanderung ein. Das Umschwenken von den französischen Sprachlehrbüchern und Sprachlehrern hin zu den russischen Sprachwörterbüchern kam nicht plötzlich: Teil B der Arbeit, der die sonstigen kommunikativen Strategien der Westphalen beleuchtet, zeigt, wie sich der Wandel allmählich vollzog und wie die Politisierung der Westphalen eine breite Basis bekam. So wenig offensichtliche Aussagen politischen Inhalts sie sich auch aus Vorsicht vor Repression erlaubten, waren sie doch aktiv am öffentlichen Meinungsbildungsprozess beteiligt 27 . Spätestens Anfang 1813 hatten sich die Westphalen eine dezidierte Meinung über die zu erwartenden politischen Entwicklungen gemacht und wechselten von der französischen zur russischen Sprache. Die engagierte, interessierte und parteiische Sprachpolitik ›von unten‹ als Gegenpol zur gemäßigten Sprachpolitik der Herrschaftsvertreter ›von oben‹ zeigt, wie eigensinnig die westphälische Bevölkerung insgesamt war28 . Sprachpolitik entstand in einem dynamischen Prozess und aus der Interaktion von westphälischen Staatsbürgern und Staatsvertretern. 27 28
Petiteau geht mehr von einer »opinion commune« als von einer »opinion publique« aus. PETITEAU, Les Français et l’Empire, S. 18. Zum »Eigensinn« als Untersuchungskategorie vgl. LÜDTKE (Hg.), »Sicherheit« und »Wohlfahrt«, S. 13, 26 f.
2. Befunde zur westphälischen Sprachenfrage
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Als überraschendes Ergebnis der Untersuchung kann gelten, dass in den sieben Jahren westphälischer Herrschaft mehr französischer Spracherwerb auf private Initiative erfolgte als aufgrund einer gezielten staatlichen Sprachpolitik. 2.3. Entdeckung von »außerordentlich normalen« Zwei- und Mehrsprachigen Die Wahl des westphälischen Kontextes erwies sich insofern als besonders günstig für die Untersuchung der Sprachenfrage als deutsch-französische Problemstellung, weil im Gegensatz zu anderen, besser untersuchten klassischen deutsch-französischen Sprachkontaktzonen für das Königreich Westphalen nicht von einer breit vorhandenen Diglossie ausgegangen werden kann. Da in diesem Gesellschaftskontext die deutsch-französische Sprachenfrage nicht jahrhundertelang präsent war, wurde es einfacher, das Besondere an dieser neuen Situation für die Westphalen herauszuarbeiten. Dies mag erklären helfen, dass im Rahmen der Untersuchung nebenbei einige »außerordentlich normale« Zwei- und Mehrsprachige entdeckt werden konnten29 : Analphabetische Mehrsprachige, die als Dolmetscher auftraten, Französischsprachige, die sich ihrer Grundbegriffe der deutschen Sprache bedienten, um sich von den deutschen Einheimischen den Inhalt eines zweisprachigen Aushangs vorlesen zu lassen30 . Bittschriften in französischer Sprechsprache oder Rapporte von Polizeiagenten in einem schwer verständlichen Französisch beweisen ebenfalls, dass etliche westphälische Bürger unerwartet über Französischkenntnisse verfügten. Das Phänomen der deutsch-französischen Zweisprachigkeit beschränkte sich offensichtlich nicht allein auf Bürger höherer Schichten und Adlige. Unter den wenigen deutsch-französisch Zweisprachigen lassen sich auch unerwartete beziehungsweise außergewöhnliche Zweisprachige finden, die ihre französischen Sprachkenntnisse nicht über die üblichen Bildungswege oder familiären Umstände erworben hatten, sondern aufgrund ihrer räumlichen oder sozialen Mobilität 31 . Die Verbreitung der französischen Sprache in der deutschsprachigen Gesellschaft um 1800 lässt sich offensichtlich mit der Bedeutung des Französischen als lingua franca und Hofsprache an europäischen Höfen und in der Diplomatie der Frühen Neuzeit nicht hinreichend erklären. Nicht zuletzt unter den Soldaten, Kolporteuren, Handelsleuten und 29
30 31
Das »außerordentlich Normale« steht hier in Referenz zu den mikrohistorischen Methoden, an die die Arbeit sich anlehnt und aus denen sie entstanden ist, vgl. GINZBURG, Mikro-Historie, S. 191; MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 97, 101 f. Vgl. Kapitel B I. (Übersetzer, Dolmetscher). Keim macht die Feststellung, dass Französisch bereits im 18. Jh. nicht allein die Sprache der Diplomatie, der Gelehrten und der Hofgesellschaften war, sondern auch als »Kultursprache« in anderen Schichten der Gesellschaft Verbreitung fand. Vgl. KEIM, »Savoir vivre«, S. 129.
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Handwerksgesellen lassen sich Individuen ausmachen, die aufgrund ihrer Mobilität mehrsprachig waren, wenn auch in einigen Fällen dennoch Analphabeten. Als weitere Besonderheit geht aus der Arbeit hervor, wie die Übersetzungs- und Dolmetschprozesse in der westphälischen Gesellschaft üblicherweise stattfanden. Die Arbeit der Übersetzer und Dolmetscher war so selbstverständlich, dass man sie mit zweihundert Jahren Abstand kaum aus der Anonymität hervorzuholen vermag. Dies führt zum eingangs aufgezeigten mysteriösen allgemeinen sprachlichen Einvernehmen zurück: Der deutschfranzösische Aspekt der Sprachenfrage stellte in der Alltagspraxis kein wirkliches Problem für die Westphalen dar. In einem Punkt stößt man bei der Betrachtung der namenlosen Übersetzer und Dolmetscher und der »außerordentlich normalen« Zwei- bis Mehrsprachigen auf eine latente Sprachdominanz: Unter den westphälischen Zeitgenossen war die Wertung über die Sprachniveaus stark ausgeprägt. Nicht alle konnten ihre französischen Sprachfertigkeiten als gesellschaftliches Potential einsetzen oder als Chance für einen sozialen Aufstieg in den neuen Herrschaftsverhältnissen nutzen. Die Hintergründe des Spracherwerbs entschieden häufig darüber, was man mit den besonderen Sprachkompetenzen im Sinne einer beruflichen Karriere, beispielsweise im Verwaltungsapparat, anfangen konnte. Hier mischte sich die soziale Frage mit der Aushandlung der Sprachenfrage. Insgesamt waren die frühneuzeitlichen Gesellschaften, so auch die westphälische Gesellschaft an der Schwelle zum Nationalzeitalter, mehrsprachiger als die Meistererzählungen der Historiographie es lange vermuten ließen. Als ganz besondere »außerordentlich Normale« sollten eigentlich eher diejenigen einsprachigen Franzosen gelten, die sieben Jahre in Westphalen lebten, ohne sich um deutschen Spracherwerb zu bemühen. Es lässt sich nicht mehr rekonstruieren, ob es diese Spezies wirklich gegeben hat 32 oder ob die Erinnerung an sie in der Fantasie der Westphalen nach 1813 besonders gepflegt wurde: Man dürfte hier von einer gewissen Faktizität des Fiktiven ausgehen oder von einer Fiktionalisierung des Faktischen33 . Die Sprachdominanz des Französischen lässt sich als Faktum zumindest nicht in der Bilanz leugnen, nur weil die offizielle Sprachpolitik diese Ausrichtung nicht aufwies. 32
33
Für das Rheinland konnte Stein anhand der Heiratsaufgebote von französischen Männern im Kontext von Mischehen mit deutschen Frauen feststellen, dass gerade Franzosen aus Unterschichten, die Mischehen mit deutschen Frauen eingingen, durchaus sprachlich ihre Assimilierungsbereitschaft deutlich machten. Vgl. STEIN, Sprachtransfer durch Verwaltungshandeln, S. 283 f. Zum Verhältnis Fiktion und Faktizität vgl. MEDICK, Die sogenannte »Laichinger Hungerchronik«; GLEIXNER, Geschlechterdifferenzen und die Faktizität des Fiktionalen.
2. Befunde zur westphälischen Sprachenfrage
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2.4. Sprachkonflikt ohne sprachliches Verständigungsproblem Gab es denn im Königreich Westphalen überhaupt ein Kommunikationsproblem aufgrund der Präsenz und Konkurrenz der deutschen und französischen Sprache? Zwei maßgebliche gesellschaftliche Gegensätze durchziehen die Sprachenfrage: Wenn die Westphalen sich über die französische Sprache erregten und die Sprachenfrage als Kommunikationshemmnis darstellten, so lagen diesen Reflexionen über das Problematische an der deutsch-französischen Sprachbarriere häufig soziokulturelle Gegensätze zugrunde. Im Fall der westphälischen Hofgesellschaft wird dies ganz besonders deutlich, da erstens die Standesunterschiede des alteingesessenen Adels zu der neu eingewanderten und kurzerhand geadelten Elite das Hauptproblem waren und zweitens das Bürgertum die Sprachproblematik, aus Adelsfeindlichkeit und als Abgrenzungsstrategie zum Adel, ganz besonders betonte. Die Frankophilie der Adelsfamilien wurde zum Argument bei der Konstituierung eines deutschen Nationalbewusstseins. An vielen Stellen der Untersuchung konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass die Sprachenfrage weniger ein sprachliches als ein kulturelles Verständigungsproblem mit anderen Gruppen der Gesellschaft darstellte. Insgesamt stellt sich die Sprachenfrage weniger als Sprachproblematik heraus als zu Anfang der Untersuchung vermutet. Als zentrales Ergebnis kann festgehalten werden: Hinter dem Sprachkonflikt, einem Konflikt über Sprachen respektive Situationen, in denen die Sprachwahl konfliktreich ausgehandelt wurde oder für Unmut sorgte, oder hinter den sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten, die (über)thematisiert wurden, verbargen sich meist kulturelle, soziale und politische Motive, selten aber nationale, selbst wenn die Darstellung in einem nationalen Argumentationszusammenhang erfolgte. Differenzen zwischen verschiedenen kulturellen Bedeutungsgeweben tauchten unter der Oberfläche von Sprachkonflikten auf 34 . Für die Alltagswirklichkeit der westphälischen Staatsbürger konnte bestätigt werden, dass der Begriff »Nation« und die Benennung von nationalen Unterschieden, die auch anhand der Sprachen ausgemacht wurden, Anknüpfungspunkte für eine Vielzahl von Konfliktfeldern boten, die weniger mit Französisch- oder Deutschsein respektive Französisch- oder Deutschsprachigsein zu tun hatten als vielmehr mit sozialen, kulturellen und politischen Unterschieden. Die außerordentliche Dynamisierung der kommunikativen Praktiken zeigte zudem, dass sich neue Handlungsspielräume für die Westphalen aus der deutsch-französischen Sprachbarriere ergaben, die somit weit davon 34
Vgl. GEERTZ, Dichte Beschreibung.
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entfernt war, die Westphalen in ihren kommunikativen Strategien zu beeinträchtigen. 2.5. Reale und empfundene Sprachdominanz der französischen Prestigesprache Französisch wurde zwar nicht zu der für das öffentliche Leben allein maßgeblichen Sprache, dennoch sind in den Akten der westphälischen Herrschaft auch etliche Situationen überliefert, in denen eine latente Sprachdominanz offensichtlich wird. Hier sollte die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« besonders hervorgehoben werden35 : Französisch besaß 1807 ein hohes soziales Ehrkapital; aus dieser besonderen Stellung ergab sich, ungeachtet der offiziellen Sprachpolitik, eine latente Sprachdominanz. Der Umgang der westphälischen Herrschaftsvertreter mit den französischsprachigen Bevölkerungsanteilen – Hugenottennachkommen und neue französischsprachige Einwanderer – war nicht unbedingt bevorzugend. Dennoch wurde die westphälische Herrschaft häufig in Bezug auf die Sprachenfrage als Fremdherrschaft empfunden, ganz gleich, ob dies auf realen einzelnen Vorkommnissen beruhte oder auf subjektive Empfindsamkeiten zurückzuführen war. Nach 1813 wurde die Sprachenfrage besonders von Patrioten, von »einer kleinen, aber wortgewaltigen antifranzösischen Elite« und ihnen folgenden borussisch-kleindeutschen Historikern vereinnahmt 36 . 2.6. Deutsch-französische versus deutsch-deutsche Sprachbarrieren? Die Untersuchung befasste sich schwerpunktmäßig mit der umfassenden Rekonstruktion von Sprachen- und Kommunikationspraktiken, ohne sich auf diejenigen zu beschränken, die die Kontakte, Überschneidungen und Konflikte der französischen und deutschen Sprache deutlich machen. Diese methodische Strategie geht am Ende insofern auf, als die Relevanz der deutsch-französischen Sprachbarriere angesichts des Stellenwerts der deutsch-deutschen Sprachbarrieren zu Recht relativiert werden kann: Die dialektale Vielfalt in der deutschen Sprache, aber auch in den Soziolekten zeigt vielmehr, dass die Westphalen lange vor 1807 den Umgang mit Mehrsprachigkeit gewohnt waren und deswegen mit Leichtigkeit die deutschfranzösische Sprachbarriere überwinden konnten. Der Umgang mit den 35 36
Vgl. u.a. MEDICK, Entlegene Geschichte?, S. 99. PLANERT, Alltagsleben und Kriegsnöte, S. 42: »lange Zeit [dominierte die] gültige Auffassung, dass die ›Fremdherrschaft‹ der Franzosen das Erwachen der deutschen Nation unter Preußens Führung im ›Befreiungskrieg‹ gegen Napoleon hervorgerufen habe. Erfunden wurde dieser Gründungsmythos von borussischkleindeutschen Historikern des 19. Jh., die damit dem Kaiserreich eine ideologische Grundlage gaben und den Führungsanspruch Preußens untermauerten«.
2. Befunde zur westphälischen Sprachenfrage
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gelegentlich auftretenden Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund der deutschen und französischen Sprachen stellte an sich keine wesentlich neue Herausforderung für die Westphalen dar, da die innerdeutschen Sprachbarrieren solche Schwierigkeiten schon immer hervorgebracht hatten. Durch die Beherrschung von Dialekten neben der deutschen Hochsprache waren sich die Westphalen sehr wohl der Mehrsprachigkeit ihrer Welt bewusst. Außerdem war für die teilweise analphabetische Bevölkerung das Angewiesensein auf Sprachvermittler nichts grundsätzlich Neues. Die Lesekultur gestaltete sich zudem durchaus als kollektives Erlebnis. Information wurde zu einem großen Teil über mündliche Kanäle vermittelt. 2.7.
Adaptationen der Kommunikationsstrategien
Die westphälische Herrschaft ging an den Westphalen nicht spurlos vorüber: Mehrere Lernprozesse mit nachhaltigen Wirkungen im »langen« 19. Jahrhundert hatten ihren Ursprung in der Franzosenzeit. An erster Stelle ist hier die Schärfung des politischen Bewusstseins zu nennen. Darüber hinaus wandelten sich in diesen sieben Jahren die kommunikativen Strategien der Westphalen ganz erheblich37 . Neben der Erschwerung und somit der Verschlechterung der Kommunikations- und Herrschaftspraktiken, die der bilinguale Gesellschaftskontext gelegentlich bedeutet haben mag, wurde dieser zugleich von den Westphalen als Chance zur Erweiterung ihrer Handlungsspielräume wahrgenommen. Die Präsenz zweier Sprachen förderte in gewisser Weise die »Doppelzüngigkeit« der Untertanen38 oder die gelegentliche Nutzung des Deutschen als Gegensprache und den Rückgriff auf außersprachliche (symbolische und körpergebundene) Kommunikation. Letztere konnte an Vieldeutigkeit gewinnen – insbesondere in den Kapiteln über die Karikaturen, die außersprachliche Handlung des Hannoveraners Taberger und die westphälischen Wappentiere konnten einige Alternativen zur sprachlichen Kommunikation vorgestellt werden. Die Westphalen passten sogar ihre Handlungsrepertoires an die Kommunikationsangebote der Obrigkeit an; so wurden die westphälischen Wappen von der Bevölkerung vereinnahmt, zunächst als Annahme und dann in Ablehnung39 . 37
38 39
Ein hier nicht mehr untersuchtes, im Jahre 1812 neu aufkommendes Medium ist dasjenige der fiktiven und realen Proklamationen, die von den europäischen Feldherren ausgingen und bei der Bevölkerung für die Parteiergreifung gegen das jeweilig andere politische Lager warben. Vgl. ISKJUL’, Russische Flugblätter. Vgl. GEFFKEN, Die Braunschweiger Bevölkerung, S. 22. Es wäre interessant, die Untersuchung um eine Analyse der Kommunikationspolitik – über die Sprachpolitik hinausgehend – der westphälischen Herrschaft zu erweitern. Einige Fallstudien könnten noch aus den Archivmaterialerhebungen für die vorliegende Untersuchung entstehen. So z. B. über die Staatsbegräbnisse, die öffentliche Gerichtsbarkeit, die öffentlichen Hinrichtungen, die Zeremonien der königlichen Begnadigung, die Volksfeste im Zusammenhang mit der Konskription oder mit dem Geburtstag des Königs. Das 2011 abgeschlossene Habi-
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Die westphälischen Bürger nutzten die Sprachkompetenzen der Zweisprachigen unter ihnen, waren aber auch nicht ausschließlich auf die Zweisprachigkeit einiger angewiesen. Diejenigen, die nicht »der französischen Sprache mächtig« waren, bedienten sich häufig anderer Kommunikationsstrategien. 2.8.
Nationale und sprachliche Gemeinschaften
»Wie sollte der Bauer Vertrauen fassen zu Beamten, deren Sprache er nicht verstand?«40 , äußerte einst ein Historiker aus dem 19. Jahrhundert. Die Untersuchung konnte aufzeigen, dass eine solche rhetorische und provokative Frage eher das nationalstaatliche Denken seines Urhebers beweist als dass es mit der westphälischen Realität zu tun hatte. Das Konzept der nationalen Dualität aufgrund von Sprache und Kultur verliert seine Basis, wenn man den Fokus auf die Alltagswirklichkeit von Kommunikation im Königreich Westphalen legt: Jenseits von sprachlichen Unterschieden lassen sich kulturelle Gemeinsamkeiten der königlich-westphälischen Untertanen ergründen, wobei sprachliche Gemeinsamkeiten sich nicht unbedingt mit kulturellen decken. Selbst wenn unter der westphälischen Herrschaft die Relevanz der nationalen Abgrenzung über die Sprachen zweitrangig war, leisteten patriotische beziehungsweise frühnationale Zeitgenossen mit ihren Memoiren und antinapoleonischen Pamphleten in der Folge genügend Propagandaarbeit, so dass die westphälische Sprachenfrage als Beitrag zur Konstituierung von nationalsprachlichen Grenzen vereinnahmt werden konnte. Auf sprachlicher Ebene hatte die Franzosenzeit deswegen trotz nüchterner Bilanz zur offiziellen Sprachpolitik und im Alltag bewältigter Kommunikationspraktiken zur Folge, dass die westphälische Sprachenfrage beziehungsweise die Sprachenfragen in den Rheinbundstaaten für die Selbstbehauptung der deutschen Sprache und Nation beträchtlich funktionalisiert wurden. Die massive Ablehnung der Lehnwörter und der sprachlichen Interferenzen nach 1813, eine sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts anbahnende Tendenz, mag hiermit zusammenhängen. Die Sprachreinigungsbewegung in neu gegründeten Sprachgesellschaften ging in Deutschland nach 1813 gestärkt aus der napoleonischen Ära hervor. Die gemäßigte Französisierungspolitik im Königreich Westphalen hatte so doch noch einen ganz zentralen Einfluss auf die späteren Entwicklungen im 19. Jahrhundert, denn die Reak-
40
litationsprojekt von Knauer, das u.a. die Festarchitektur und die politische Symbolik der Einzugs- und Festzeremonien unter kunsthistorischen Aspekten untersucht, sowie die Doktorarbeit von Sunderbrink gehen auf diese Aspekte ein: vgl. KNAUER, »Der Zukunft Bild sei die Vergangenheit«; DERS., Monarchischer Festkult; SCHNELLING-REINICKE, Feiern; SUNDERBRINK, Experiment Moderne. TREITSCHKE, zitiert nach: KOHL, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 37.
3. Anbindung an den Forschungsstand
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tionen auf die vermeintlich massive Französisierung gipfelten in der ›Verdeutschung‹, wie beispielweise von den Sprachgesellschaften propagiert. Die deutsche Sprache konnte so allmählich ihren zentralen Stellenwert in der Bildung der deutschen Nation als Kulturnation im 19. Jahrhundert einnehmen. Das, was in der bisherigen Forschung über die vormodernen und vornationalen Gesellschaften geschrieben wurde, trügt: Die Austauschprozesse innerhalb der Gesellschaften verliefen vielgestaltiger, vielsprachiger und intensiver als in den nachfolgenden, vom Nationalismus geprägten Gesellschaften41 .
3. Anbindung an den Forschungsstand zum Königreich Westphalen Die offizielle Sprachpolitik des Königreichs Westphalen war eher liberal und tolerant, und dennoch schlichen sich Tendenzen einer latenten Sprachdominanz ein42 . Dies bestätigen die Ergebnisse aus der politischen Geschichtsforschung zum Königreich Westphalen, die dieses als »widersprüchlichen Modellstaat« beschreibt. Der neuen Staatsgründung wurde die Chance zur Entwicklung einer eigenen souveränen Politik mit modernen Erneuerungen bald genommen, weil sie letztlich doch ein napoleonischer Satellitenstaat wurde. Die westphälische Herrschaft blieb damit die viel kritisierte Fremdherrschaft, eine Besatzungsmacht mit dem Charakter eines napoleonischen Satellitenstaates statt eines Modellstaates mit Perspektiven. Die Zurückhaltung, mit der die sprachpolitischen Maßnahmen getroffen wurden, ändert wenig am Gesamturteil. Allerdings war die westphälische Episode auch von Nachhaltigkeit in Hinsicht auf die Kommunikationspraktiken der Westphalen geprägt. Durch die Entfaltung von Alternativen zur offiziellen (Des-)Information hatte die Bevölkerung in einem breiteren Umfang als zuvor gelernt, kritisch mit staatlich verkündeten Wahrheiten umzugehen. Die westphälischen Staatsbürger bewahrten sich in gewisser Hinsicht ihre Autonomie, übten sich in Meinungsbildungsprozessen und waren, wenngleich ihre Partizipation an den Befreiungskriegen von der Forschung lange Zeit übertrieben und dann relativierend revidiert wurde, doch durchaus politisiert, nur 1813 sehr kriegsmüde und friedenssehnsüchtig. Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit fügt sich in das Mittelfeld zwischen einer ausschließlich die Fremdherrschaft und einer den Modernisierungsstaat betonenden Historiographie ein: Nicht allein die Gesellschaftsre41 42
Vgl. SCHULZE, Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Allerdings muss relativierend angemerkt werden, dass Herrschaftsverhältnisse in den meisten Gesellschaften sprachlich auf eine Machtprobe bzw. -demonstration hinauslaufen, denn nicht alle Personen sind gleich wortgewandt.
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D. Schlusswort
formen bescherten dem Königreich Westphalen ein langes positives Nachleben. Auch die weniger erfreulichen Aspekte dieser Herrschaft, die Schattenseiten, geprägt von Zensur, Desinformation und Polizeiüberwachung, die in dieser Untersuchung sehr umfassend dargestellt wurden, waren maßgeblich. Die fremdherrschaftlichen und repressiven Züge führten langfristig zu positiven Auswirkungen, da sie den Politisierungsprozess weiter Teile der Bevölkerung beschleunigten. Diese These lässt sich insofern vertreten, als das Königreich Westphalen trotz übermäßiger Polizeiüberwachung auch in seinen Repressionsmaßnahmen insgesamt nicht besonders radikal war. Diese positive Umdeutung des repressiven und fremdherrschaftlichen Charakters der westphälischen Herrschaft mag dennoch gewagt erscheinen, sie wird jedoch bestätigt, wenn man die Zeit nach 1813 in die Beobachtung mit einbezieht. Mit dem durch die westphälische Herrschaft geweckten kritischen Sinn der einstmaligen Untertanen und zeitweiligen Staatsbürger sollten die nachfolgenden Herrschaften, die aus diesen willige und unmündige Untertanen machen wollten, ihre Schwierigkeiten haben. Die sich ab 1813 anbahnende Debatte über die Praktiken der westphälischen geheimen Polizei, die teilweise von den nachfolgenden Herrschaften abgeblockt wurde, ordnet sich in diese Perspektive ein43 . Es war nicht so sehr der ›nationale‹ als der kritische Sinn, dem die westphälische Herrschaft zum Durchbruch verhalf. Im kurzen Zeitfenster des Königreichs Westphalen fanden in Bezug auf die Kommunikationspraktiken große und tiefgehende Wandlungen statt, deren Nachhaltigkeit angesichts der späteren Entwicklungen im 19. Jahrhundert wohl kaum in Frage gestellt werden kann und die zur allmählichen Politisierung der Gesellschaft führten. In ihrer Dynamik waren die untersuchten Kommunikationspraktiken sowie die Politisierung sicherlich kein Spezifikum des Königreichs Westphalen und es dürfte anzunehmen sein, dass über den gewählten Untersuchungsrahmen hinaus übereinstimmende Befunde erzielt werden können.
4. Fazit: »Der französischen Sprache mächtig«, mit der russischen gewappnet Der zeitgenössische Ausdruck »der französischen Sprache mächtig« verweist auf das Beherrschen einer Sprache: Die genannte Person besitzt Macht über die französische Sprache. Für das Königreich Westphalen, in dem eine latente Sprachdominanz die Gesellschaftsverhältnisse prägte, ist es fraglich, ob die Zeitgenossen mit diesem Ausdruck nicht auch zumindest metaphorisch auf die Machtfrage, die mit der Sprachbeherrschung eng verknüpft 43
PAYE, Die Polizei.
4. Fazit
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war, anspielten. Denn die Macht, die aus der Beherrschung der französischen Sprache resultieren konnte, wurde zu einer westphälischen Alltagsrealität, selbst wenn die Sprachpolitik so milde ausfiel wie herausgearbeitet wurde. Das wie eine Formel in den zeitgenossischen Dokumenten verwendete Zitat hat die Besonderheit, dass es auf die latente Verbindung zwischen Sprachbeherrschung und tatsächlichem Machtverhältnis anspielt. Als Untersuchungsgegenstand ist die Sprachenfrage in einer Gesellschaft nicht nur über die Beschreibung von realen Kommunikationsverhältnissen zu behandeln. Sie setzt sich viel komplexer aus realen Vorkommnissen, aber auch aus dem Sprachbewusstsein der Zeitgenossen und ihrem Diskurs über Sprachen zusammen. Die sprachliche Konstruktion von Wirklichkeit fügt eine zusätzliche Deutungsebene hinzu. Wie wirklich und wahr die Metaphern oder Sprachbilder für die Westphalen werden konnten, zeigt sich an ihrer redundanten und vielfachen Verwendung der Metapher des Dolmetschers. Es waren nicht allein die sprachlichen Vermittler damit gemeint. Innerhalb der offiziellen Sprachpolitik definierte der westphälische Staat seine Staatsbeamten als Dolmetscher der administrés gegenüber dem Verwaltungsapparat, weil erstere die Bedürfnisse und Belange der administrés anzuhören, weiterzumelden und zu vertreten hatten. Hinzu kamen die russischen Sprachwörterbücher, die als russische Dolmetscher 1813 breite Aufnahme fanden44 . Der Verfasser eines solchen Dolmetschers betätigte sich selbst als Dolmetscher45 . Aus dem vermeintlichen russischen Buchdrucker, als der sich Dreyssig Anfang 1813 in einem seiner russischen Dolmetscher ausgab, wurde im Sommer 1813 ein wahrhaftiger Feldbuchdrucker, federführend im Dienst der russischen Armee46 . Soviel zu den imaginierten Wirklichkeiten, die sich hinter den Metaphern der westphälischen Zeitgenossen aufspüren lassen. Hinter einer Metapher konnte sich durchaus eine Lebenshaltung und ein konkretes Engagement 44
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Der revolutionsbegeisterte Campe gilt z. B. als »Dolmetscher der Französischen Revolution«, vgl. Garber, zitiert nach: LÜSEBRINK, REICHARDT, »Kauft schöne Bilder, Kupferstiche…«, S. 22. Vgl. Dolmetscher, Neuester und vollständigster. Eine nach ganz richtiger Aussprache mit deutschen Buchstaben gedruckte Sammlung aller derjenigen russischen Wörter u. Ausdrücke, die jeder Bewohner einer Stadt, oder eines Dorfes, wissen muß, wenn er die Russen verstehen, sich ihnen verständlich machen, und manche Unannehmlichkeit vermeiden will. Nebst einer, nach achtjährigen in Rußland selbst gemachten Erfahrungen, niedergeschriebenen Schilderung der russischen Nation, in Hinsicht ihrer Sitten, Gebräuche, Wohnungen, Kleidung, Speisen, Gewohnheiten u. und mit einer Anweisung, wie Bequartierte das Russische Militair zu behandeln haben, begleitet, und mit Kufper verziert von C. G. H. GEISSLER, ehemal. Zeichner u. Reisebegleiter des Herrn Staatsr. P. S. von PALLAS, Leipzig (Sommersche Buchhandlung) 1813. Vgl. SCHRAUDOLPH, Eisvogel trifft Klapperschlange, S. 25.
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D. Schlusswort
Abb. 31: C. G. H. Geißler, Der Zimmerspruch nach der Weltschöpfung, Ill. zu Josua Zippleins »Ovidianischer Bilderkasten«, 1814, Radierung, koloriert, 20×36,8 cm, SML, Gei X/47.
verbergen. Dolmetscher sein, als Vermittlungsinstanz zu fungieren, das war rein ideell oder ganz konkret, was viele Personen oder Buchobjekte, wie die russischen Dolmetscher, für sich beanspruchten. Was mit der Aneignung der russischen Sprache 1813 geschah, war kein wirklicher Fremdsprachenerwerb. Russisch wurde durch die Westphalen mit dem Kauf eines russischen Dolmetschers zum Vorzeigeobjekt und zur passenden Sprache für die sich wandelnde politische Lage deklariert. »Der französischen Sprache mächtig« und »mit der russischen gewappnet« waren die Schlagwörter, die sich die Westphalen im Laufe der westphälischen Herrschaft zu ihren wechselnden Wappenschildern erkoren hatten. Ihr Interesse am Erlernen moderner Sprachen verdient gewürdigt zu werden, denn es ist aktiver Bestandteil ihres Meinungsbildungsprozesses und ihrer Politisierung. Am Ende hatte Napoleon den Urzustand von Babel (Gen 11) fast wiederhergestellt, als alle ein und dieselbe Sprache hatten – das wahrscheinlich wollte der Zeichner Geißler, von dessen Darstellungen viele zur Veranschaulichung dieser Untersuchung beigetragen haben, im Jahre 1814 mit seiner Radierung »Der Zimmerspruch nach der Weltschöpfung« (Abb. 31) symbolisch darstellen47 . Napoleon, der halbgöttliche Anwandlungen an den 47
Vgl. [WENDEL], Josua Zippleins Ovidianischer Bilderkasten. Wendel, für deren Werk die Karikatur von Geißler als Aufhänger fungiert, liefert eine »Erklärung wegen des Kupfers«, die auf die Abweichungen zwischen Radierung und Text eingeht: »Die Entfernung des Verfassers von dem Künstler hat einige Veränderungen in dem Kupfer veranlaßt, so daß es mit dem Text nicht ganz übereinstimmt; so hat z. B. Aesop keine Harlekinskleider an, der musikalische Chor steht zur Seite und nicht unter dem Zimmergesellen, auch finden sich einige
4. Fazit
523
Tag gelegt hatte – einige Karikaturen erzählen meisterhaft davon –, steht allein auf verlorenem Posten auf einem Hügel. Um dieses Gebirge (laut Wendel der Montblanc) kreisen die Europäer – und sicherlich auch außereuropäische Vertreter unter ihnen – in einer fröhlichen Vermengung der Konfessionen, der Geschlechter, der Kulturen und der Sprachen – sein Bild vom »Zimmerspruch« erreicht sie nicht mehr, er kann sich nicht mehr über ihre Stimmen erheben. Die Welt, die Napoleon neu erschaffen hat, kann sich seiner nun entledigen48 . Am Ende war Napoleons Lücke. Und keiner war da, der im Sinnbild der Geißlerschen Huth-Radierung auf dem Umschlag des Buches – mit dem Vexierbild Napoleons – das föderative Prinzip weitertragen wollte49 . Aber dann kamen doch die Nationalstaaten mit ihren Nationalsprachen und das allmähliche nationale Erwachen im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch. Immerhin hatte auch Napoleon in einer transnationalen Weise maßgeblich zur Entstehung Europas beigetragen – zum ersten Mal erlebten die Europäer kollektiv eine politische Umwälzung und das Gedächtnis dieses kollektiven Moments blieb ihnen auch erhalten. Die verschiedenen Heervölker wurden in eine Grande Armée gegossen – diejenigen Soldaten, die karnevalistisch gekleidet vom Russlandfeldzug zurückkamen50 , hatten ihre Unterschiede abgelegt und gemeinsam den Abgrund des menschlich Erträglichen erreicht 51 . Die Memoiren der Überlebenden der Grande Armée sind, neben den Darstellungen vom Kriegs-
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Militärfiguren, deren nicht gedacht wird: indessen sind diese Kleinigkeiten, da das Ganze im Uebrigen der Beschreibung vollkommen entspricht«. Die hier gewagte Interpretation der Radierung »Der Zimmerspruch nach der Weltschöpfung« distanziert sich von Wendels Reinterpretation der Ovidianischen »Metamorphosen«, und setzt auf die thematische Kontinuität von Geißlers Zeichnung mit seinen früheren Arbeiten, entstanden im Kontext der Völkerschlachtgrafik. Meine Interpretation überstrapaziert möglicherweise die Intention des Zeichners, allerdings emanzipierte sich auch Geißler vom gemeinsamen Projekt mit Wendel, indem er u.a., noch dem Kriegsgeschehen verhaftet, einige Figuren aus dem Militär hinzustellte, mit denen der Autor wenig anzufangen wusste. Ovids »Metamorphosen« gehen auf die verschiedenen Verwandlungsgeschichten von Menschen zu Halbtieren ein und sind als Kritik der römischen Kaiserzeit entstanden – das Motiv Napoleons als Halb- oder Untier ist in den Karikaturen der Zeit ebenfalls geläufig. Vgl. L’anti-Napoléon, u.a. S. 36. Das gescheiterte föderative Projekt Napoleons mit den deutschen Staaten symbolisiert Geißlers Karikatur auf dem Umschlag dieses Buches. Unter einem »Huth« hat sich der Flickenteppich Deutschland nicht föderalisieren lassen, niemand war 1814 in der Lage, die von Napoleon zurückgelassene Lücke einzunehmen. Zur Hutsymbolik im Zusammenhang mit Napoleon vgl. BUCHINGER, Chapeau! Napoleons Hut, S. 237. Der Text unter der Radierung lautet: »Ein Huth allhier ein Haupt bedeckt./Alle sollten werden darunter gesteckt./Für alle war er eine schwere Last/Drum weg mit ihm, weil er keinem passt!«. Vgl. REY, De l’uniforme à l’accoutrement; DIES., L’effroyable tragédie. Vgl. PETITEAU, Guerriers du Premier Empire, S. 27.
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D. Schlusswort
geschehen, gesättigt von Anekdoten, die von den kulturellen Begegnungen erzählen – nicht zuletzt Anekdoten zur Verständigung über die Sprachbarrieren hinweg, anlässlich dieser ersten »Massenbegegnung zwischen Vertretern aller mittel- und westeuropäischen Völker und der in den Bestand des Russischen Reiches eingegangenen europäischen und mittelasiatischen Völker«52 . Europa blickt auf eine vielfältige mehrsprachige Vergangenheit zurück, deren breite gesellschaftliche Relevanz noch zu ergründen ist 53 . Mit einem starken Bewusstsein für seine vergangene mehrsprachige Vielfalt lässt sich vielleicht eher eine große europäische Gemeinschaft bilden, die Abschied nimmt von ihren auf einheitssprachlichen Konzeptionen basierenden Nationalstaaten, um ihrer mehrsprachigen Zukunft mit Vertrauen entgegenzublicken.
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HEXELSCHNEIDER, Kulturelle Begegnungen, S. 87. Die Memoirenliteratur könnte innerhalb eines transnational angelegten Forschungsprojektes noch viele Erkenntnisse bieten, zur Erhärtung der hier angesetzten Untersuchung zur Wahrnehmung der Sprachen und der anderen in Europa im Aufbruch zur Moderne. Diese Memoiren sind voller Anekdoten über spontan entstehende Übersetzerund Dolmetschertätigkeiten vom untersten bis zum obersten Dienstgrad. Eine Fallstudie über die Topoi der Mehrsprachigkeit, der sprachlichen und kulturellen Verständigung im Russlandfeldzug und über die im Zusammenhang mit den Kriegserlebnissen erfahrene Mehrsprachigkeit würde eine Analyse des wiederkehrenden – und umgekehrten – Motivs vom Turmbau zu Babel ermöglichen. Das Potential dieses Quellenkorpus bestätigen PLANERT, Einleitung: Krieg und Umbruch, S. 12 f.; PETITEAU, Guerriers du Premier Empire; DIES., Écrire la mémoire. Die Pariser Tagung »Napoleon’s Empire: European Politics in Global Perspective« im April 2012 wurde mit dem Hinweis auf die noch ausstehende breitflächige transnationale Auswertung der Memoiren der Soldaten der napoleonischen Zeit abgeschlossen. Vgl. DAKHLIA, Lingua franca; BÖHM, Sprachenwechsel, S. 23; ZUILI, BADDELEY (Hg.), Les langues étrangères en Europe.
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Secrétairerie d’État: relations extérieures (1802–1813) Archives privées. Don de M. le comte Roederer Archives privées. Papiers du comte Claude Beugnot, préfet, directeur de la police, ministre de la marine et du comte Arthur Beugnot, membre de l’Institut Ministère de la Justice. Naturalisation, changements de noms, dispenses de mariage, autorisations de servir à l’étranger, successions aux titres et aux majorats
1.2. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (= GStA PK) I. HA, Rep. 91 C V. HA, Königreich Westphalen
Akten des Zivilgouvernements zwischen Elbe und Weser Akten des Staatssekretariats und des Ministeriums des Äußern Akten des Justizministeriums Akten des Innenministeriums Akten des Finanzministeriums Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts Akten der Polizeipräfektur zu Kassel Akten der Verwaltung der Hohen Polizei
1.3. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Außenstelle Wernigerode (= Lha S-A, Wernigerode) B 18 B 26
Akten der Präfektur des Elbdepartements Akten der Präfektur des Saaledepartements
AI A II
Akten des Magistrats der Altstadt Akten der Magistrats der Altstadt II
1.4.
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1.6. Best. 75 Best. 76a Best. 77a Best. 265
Hessisches Staatsarchiv Marburg (= StA MR)
Akten des Innenministeriums, Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts Akten der Präfektur des Fuldadepartements Akten der Präfektur des Werradepartements Westphälische Justizbehörden
526
Archiv- und Literaturverzeichnis
1.7. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (= HStAH) Hann. 52
Akten des Justizministeriums Akten des Innenministeriums Akten der Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts Akten der Staatspolizei Akten der Präfektur des Leinedepartements Akten der Präfektur des Ockerdepartements Akten der Präfektur des Allerdepartements Akten der Zivilgerichte 1. Instanz im Leinedepartement
1.8. Russische Nationalbibliothek St. Petersburg (= RNB St. Petersburg) F 993 Arch. Westf. K. 1 F 993 Arch. Westf. K. 2 F 993 Arch. Westf. K. 3 F 993 Arch. Westf. K. 4 F 993 Arch. Westf. K. 5 F 993 Arch. Westf. K. 6 F 993 Arch. Westf. K. 7 F 993 Arch. Westf. K. 8 F 993 Arch. Westf. K. 9 F 993 Arch. Westf. K. 10 F 993 Arch. Westf. K. 11
F 993 Arch. Westf. K. 12 F 993 Arch. Westf. K. 13 F 993 Arch. Westf. K. 14 F 993 Arch. Westf. K. 15 F 993 Arch. Westf. K. 16 F 993 Arch. Westf. K. 17
Königliches Haus Ministerien Divers, westphälische Legationen u.a. Berichte des Generalpolizeikommissars der Hohen Polizei F. von Wolff u.a. Berichte der Generalpolizeikommissare der Hohen Polizei F. von Wolff, F. T. de Guntz, Moisez u.a. Berichte der Generalpolizeikommissare der Hohen Polizei F. T. de Guntz, der Kommandanten des Kastells Militärbehörden, ausländische Legationen, Berichte des Generalpolizeikommissars der Hohen Polizei G.W. Boehmer u.a. Berichte der Generalpolizeikommissare der Hohen Polizei G. W. Boehmer und Mertens, Korrespondenz mit den westphälischen Justizbehörden, diverse Polizeiaffären u.a. Korrespondenzen der Präfekten, Unterpräfekten und Polizeikommissare u.a. Polizeiagentenberichte u.a. Berichte der Polizeikommissare der Werra-, Fulda-, Leine- und Harz-, Elb- und Saaledepartements, Berichte der Präfekten der Saale-, Elb-, Ocker- und Saaledepartements, Gendarmerieberichte u.a. Korrespondenz des Kriegsministeriums u.a. Berichte der Polizeikommissare der Leine-, Harz-, Aller-, Ocker-, Elb- und Saaledepartements, Berichte der Unterpräfekten u.a. Berichte der Generalpolizeikommissare der Elb-, Saale-, Leine- und Harzdepartments, Berichte der Polizeikommissare der Elb- und Saaledepartements u.a. diverse Polizeiaffären (Aller-, Ocker-, Saale-, Elbund Werradepartements) u.a. Gendarmerieberichte, Militärbehörden, Polizeiagentenberichte, Ministerien, Berichte der Polizeikommissare der Werra- und Fuldadepartements, Agentenberichte u.a. Berichte der Polizeipräfektur in Kassel, des Generalpolizeikommissars F. T. de Guntz, der Polizeikommissare der Werra- und Fuldadepartements
2. Gedruckte Quellen
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F 993 Arch. Westf. K. 18 u.a. Militärbehörden F 993 Arch. Westf. K. 19 u.a. Berichte des Generalpolizeikommissars der Hohen Polizei F. von Wolff, Polizeiagentenberichte, Gendarmerieberichte, Berichte der Polizeikommissare im Allerdepartement, Korrespondenzen der Präfekten (Elb- und Allerdepartement) F 993 Arch. Westf. K. 20 u.a. Berichte des Generalpolizeikommissars der Hohen Polizei Mertens F 993 Arch. Westf. K. 21 u.a. westphälische Legationen, verschiedene Polizeiaffären F 993 Arch. Westf. K. 22 u.a. Korrespondenzeingangsregister, Register der Dossiers, Polizeiaffären F 993 Arch. Westf. u.a. Register der gefangengesetzten Personen, Korrespondenzenregister
1.9.
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (= SML)
Nachlass Geißler
2.
Gedruckte Quellen
Die im Teil A behandelten zeitgenössischen Schulbücher und Unterrichtsmaterialien sowie die zeitgenössischen juristischen Schriften, die im Kapitel B I. erwähnt werden, wurden nicht noch einmal aufgeführt. Ebenso sind die Sprachlehrbücher und -wörterbücher der französischen, russischen oder anderer Sprachen aus B II. nur dort aufgeführt. Adreß-Buch für das Departement der Werra auf das Jahr 1810, Marburg, Kassel 1810. Adreßbuch für das Königreich Westfalen auf das Jahr 1812, Kassel 1812. Adreßkalender des Fulda-Departements für das Jahr 1809, Paderborn 1810. Adress-Kalender des Fulda-Departements für das Jahr 1810, Paderborn 1811. Adress-Kalender des Fulda-Departements für das Jahr 1812. Mit Genehmigung der Obern, Paderborn 1812. Allgemeines Verzeichnis der Bücher, welche von Ostern bis Michaelis, von Michaelis bis Ostern neu gedruckt oder aufgelegt worden sind, Leipzig 1760–1850. Almanach royal de Westphalie pour l’an 1810, 1811, 1812, 3 Bde., Cassel 1810–1812. Almanach royal de Westphalie pour l’an 1811, Cassel 1811. Almanach royal de Westphalie pour l’an 1812, Cassel 1812. Almanach royal de Westphalie, pour l’an 1813, Cassel 1813. Ueber das Amt der Staats-Anwälde, in der juristischen Bibliothek, B. 1. H. 1.3.4., Cassel 1811. ANONYMUS, Die französische Garküche an der Fulde, Erstes Gericht. Oder?? Neuestes Gemählde der Residenzstadt Cassel, wie sie noch im Jahr 1813 und wie sie gegenwärtig nicht mehr ist, Erstes Heft. Ein Pendant zur geheimen Geschichte von Westphalen, St. Petersburg 1814. ANONYMUS, Die entlarvte hohe und geheime Polizei des zerstörten Königreichs Westphalen, o.O. 1814. ANONYMUS, Regierungs-Geschichte des Königreichs Westphalen, in: Europäische Annalen, Jg. 1810, Dritter Band, 8. Stück, Tübingen 1810, S. 157–177; Jg. 1810, Dritter Band, 9. Stück, Tübingen 1810, S. 222–257. ANONYMUS, Sind die Teutschen, welche westphälische Staatsdienste nahmen, des Todes schuldig durch Henkershand?, o.O. [1814].
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Personenregister Alexander I., Zar von Russland 197, 207, 285 Amelung, Ernest Philipp 74 Arendt (Gastwirt) 275 Armand (Kriegs-Postdirektor) 127 Arndt, Ernst Moritz 312, 489–493, 495–497 Artaud, d’ (Professor) 87 Aubignosc, Philibert-Brun d’ 129f., 134, 398 Bachmann (Tänzerin) 261 Backe (Musicus) 285 Baerll, Theodor van 119–121, 279f. Bagration, Pjotr Iwanowitsch 151, 396 Bail, Charles J. 493 Barathier (auch Barratier, Sprachlehrer) 83f., 115, 159 Bauer, von (Obrist) 285 Bauermeister, Christian Ludwig 87, 378, 381 Beauny 437 Becker, Rudolf Zacharias 399, 420f. Beinter 111f., 136, 145 Bellermann (Gendarm) 141 Benningsen, Levin August Gottlieb Theophil Graf von 211 Bercagny, Joseph Claude Anne Legras de 146, 162, 233, 245–247, 357, 444f., 457f., 460, 466, 474 Berger, Louis Marie Antoine 121, 439f., 444 Bergmann (Prälat) 177f. Berlepsch, Friedrich Ludwig von 111f., 461, 468 Bernadotte, Jean-Baptiste, König von Schweden 315 Berthier, Louis-Alexandre 431 Beugnot, Jaques Claude 118f., 311, 468 Biancourt, Charles Armand 159, 167 Bijohl (auch Biyol) 143 Birnbach, Georg Wilhelm 144f. Blume, Jeanne Louise 262 Blumenthal, Heinrich August Leopold Graf von 239
Blumenthal, Johann Ferdinand 258, 275–277 Bock (Sprachlehrer) 75 Bode (Friedensrichter) 147, 356f. Böckler (Prediger) 375 Bödicker, Ludwig 382 Boehmer, Georg Wilhelm 308, 363, 372 Boiteux, Claude Baptiste Joseph 129 Bonafont, P. (Sprachlehrer) 158 Bonafus (Offizier) 135 Bonaparte, Jérôme, König von Westphalen 17, 24, 32, 34, 48, 61f., 64–67, 70, 92, 95, 104, 111, 140, 149, 153, 179, 244f., 248f., 252–254, 259, 261, 264f., 278, 286, 288, 317f., 335, 337f., 350f., 355, 369, 371, 378, 381, 393f., 405f., 409–414, 416f., 419, 421–427, 434, 449, 451–453, 456–459, 461, 472f., 475f., 478–484 Bonaparte, Napoléon François Charles Joseph, König von Rom 270, 273–275, 277 Bongars, Jean François Marie de 68, 72, 122, 127, 138–140, 165, 181, 184, 198, 201, 203, 229f., 236, 258, 260, 276f., 281, 288, 292, 297, 303, 308, 316, 320, 325, 328f., 333, 342– 345, 363, 370–372, 376f., 385, 435– 437, 439, 444, 452 Bonnafond, Madame (Lehrerin) 78 Bony siehe Beauny Bosold 75 Bosse, von (Auditeur der Requetenkommission) 253 Bouisson, Joseph (auch Bouillon) 440f. Bourdais, M. (Schauspieler) 442, 446 Bourdaloue, Louis 84 Bourienne, Louis-Antoine Fauvelet de 398 Bouvrant (auch Bouverain) 436f. Braun, Chretien Friederic 439–441 Braunschweig-Oels, Friedrich Wilhelm Herzog von 282, 285f., 310f., 314, 380, 395 Breymann 293
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Personenregister
Brinsberg, de (Witwe) 259 Bruyn der Ältere, Bartholomäus 270 Bülow, Ludwig Friedrich Victor Hans Graf von 118f., 355f., 456f., 460, 473f., 476, 478 Burlereau (Sprachlehrer) 158 Campan, Madame (Lehrerin) 78 Campe, Joachim Friedrich 97 Canstein, Freiherr von (Maire) 275 Castorph, François 159 Cerfberr, Samson (genannt Medelsheim) 101–111, 123, 134– 137, 241 Cerfy (Polizeiagent) 138f., 205, 273, 281, 285, 289, 320, 338, 342, 415 Chodowiecki, Daniel 209 Clarens (Polizeikommissar) 121 Collignon, Paul 237, 394 Coninx, Peter Heinrich Freiherr von 125 Conradi, Johann Heinrich 260 Courbet, Demoiselle (Lehrerin) 78 Cramer, Friedrich 149, 367, 406f., 423, 426, 428f., 479f., 482, 484 Cuvier (Gelehrter) 96 D’Alembert, Emanuel Meyer (auch Dalmbert) 437 Daniel (Übersetzer) 113, 354 Decherf, Jean Joseph 118 De la Chapelle (Sprachlehrer) 75 Delarochette (Postkontrolleur) 302f., 332 Delahaie (auch Delahaye oder De la Haye) siehe Haye, la Deligny (Küster der königlichen Kapelle) 125 Delius, Daniel Heinrich 465 Derchenhoem (Redakteur) 69 Desca (Prediger) 467 Devoluet (Sprachlehrer) 167f., 364, 368 Dietlein (Buchdrucker) 189 Dihm (Sprachlehrer) 74 Dihm jun. (Prediger) 467 Dihm sen. (Prediger) 467 Dölle, Maria Margaretha 259 Dölle, Martin 259 Dörnberg, Wilhelm von 34, 264, 288, 309 Dohm, Christian Konrad Wilhelm von 150
Donndorf, Johann August 162 Dreyssig, Friedrich Christoph 181– 185, 189, 198–203, 206, 211, 218, 223, 225, 227, 502, 521 Dufou (Übersetzer) 139 Dupré, Louis 481 Duscheine (auch Duschene) (Sprachlehrer) 158 Duviquet (Direktor der Pulver- und Salpeterbereitung) 101, 108 Dzondi, Karl Heinrich 116f., 122, 134, 136 Éblé, Jean Baptiste 426 Eckhard (Bäcker) 343 Emmerich, Andreas 264 Enzeroth (Registrator) 433–435 Eppner (Schüler) 318 Eschenburg (PräfekturGeneralsekretär) 121 Eskuchen, Charles 316, 336 Espé 142 Est (Polizeidiener) 340f. Eveque, l’, Madame (Lehrerin) 78 Firnhaber (Polizeikommissar) 121 Fischer, Johann Ernst 290 Fischer, Johann Karl 75, 164f. Flamant (Manufakturbesitzer) 166 Focks 143 Fogere, Hugues 439 Franconi, Antonio 450 Fraengel (Weber) 316f. Frank (Sprachlehrer) 159 Frantz, F. W. (Präfekt) 463 Friedrich II., Landgraf von HessenKassel 79, 350, 470, 485f. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 120, 275, 285, 335, 451 Friese (Polizeikommissar) 121, 232f. Frömbling (Polizeikommissar) 297– 299, 301f., 306, 332 Fürstenstein, Graf Pierre Alexandre von siehe Lecamus, Pierre Alexandre Fuss (Polizeikommissar) 121 Gade (Polizeiagent) 274 Gall-Bessalié, Madame (de) (Polizeiagentin) 236, 238f., 319f., 452f. Garnier, Jean 425 Garagnon (Polizeiagent) 293
Personenregister
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Gauthier, Carl August 67, 71f., 121 Gedicke, Friedrich 90 Gehren, Karl Christian von 144f., 309, 379f., 387f., 393, 403 Geißler, Christian Gottfried Heinrich 206–212, 522f. Gethmann 275 Gillray, James 269 Gobert, Jacques Nicolas 120 Göhn, Gottlieb 230 Goethe, Johann Wolfgang von 97, 425, 434, 447 Gossler, Wilhelm-Christian 462 Grahn, Gottlieb Ludwig Friedrich 121, 297, 299, 302, 306 Grandjé, Simon 127 Grandjean de Montigny, AugusteHenri-Victor 111f. Granges, des (Förster) 367 Greiling, Sophie 261 Greiling (Faktor/Buchdrucker) 261 Grenier, François-Jean 120 Grimm, Jakob 497 Grosse (Theologe) 315 Grouchy, Emmanuel de 325 Grüne (Gläsermeister) 343 Günther (Unterpräfekt) 251 Günther, Friedrich Wilhelm 165 Gundelach (Metropolitan) 414 Guntz, François Thibault de 127, 145, 151, 201, 292, 303, 371f., 414
Hessen-Philippsthal-Barchfeld, Ernst von 261 Hilarius, Peter siehe Nicolai, Carl Hilzheimer, Jacob 261 Höne, Valentin von 236 Hövel, Friedrich Alexander Freiherr von 419–421 Hofer, Andreas 282, 285 Hoffmann (Polizeikommissar) 125 Hohenhausen, Leopold Freiherr von 251 Hohgut, Johannes 340f. Hornstein, von (Leutnant) 285 Houteville, d’ (Sprachlehrer) 88 Hugot, Nicolas Paul 121, 145 Humbert, Oberst Jean François Sylvestre 135 Hünersdorff (Polizeikommissar) 72, 121
Haas (Polizeikommissar) 121, 165, 287, 342–344 Haberkorn, Dame 436–438, 440 Haertel (Gastwirt) 217 Hagemann (Schuhmacher) 343f. Hambert (Obrist) 135 Harckwitz, Godefroy 217–219 Hardenberg, Gräfin Adelaide von 427 Harnier, Richard 489 Hass, Franz 121 Haßdenpflug (Offizier) 211 Hausmann, Bernhard 431 Haye, J. de la 236–238 Hecker, Andreas Jakob 90 Heine, Heinrich 42 Heise (Präfektur-Generalsekretär) 121 Heister (Staatsrat) 427 Hellmuth (Pfarrer) 259, 367 Herder, Johann Gottfried 23 Herold (Pfarrer) 259 Herzberg, von (Oberstleutnant) 135
Karl der Große 25, 494 Karl Ferdinand, Herzog von Braunschweig 308 Karl von Österreich-Teschen, Erzherzog 150 Kaulwell, H. Friedrich 317f. Kästner, Christian August Lebrecht 192, 198 Katharina von Württemberg, Königin von Westphalen 140, 458, 475, 480f. Kautz, Friedrich 121, 305 Kaverin, von (Student) 123 Kieffer, Jean-Daniel 102, 109 Kinson, François-Joseph (auch Kinseon) 414 Kirchhain, Junck von (Leutnant) 345 Kistner (ehem. Feldwebel) 242 Klein, Ernst 185 Klenze, Leo von 451 Knapp (Professor) 376
Ibrahim Mansour Effendi siehe Mansour Efendi, Ibrahim Jäcklin, von 232 Jeanbon Saint André, André 379 Jechter (Direktorin) 373 Jérôme, König von Westphalen siehe Bonaparte, Jérôme Jollivet, Jean-Baptiste-Moïse 457, 474 Jungenbluth (Leutnant) 370
588
Personenregister
Knippel (Gendarmeriebrigadier) 438, 444 Knobloch, Karl 169, 182 Koch, Christian 74 Köhlert (Gefangenenwächter) 145, 371f. König (Student) 287f. Körber (Maler) 293 Kolpatsky, F. W. (Redakteur) 374 Koppel 339 Kotzebue, August von 279f., 448f. Kralitzky (Autor) 192 Kraushaar (Sprachlehrer) 75 Kroschke (Sergent) 285f. Krug, Heinrich 340f. Kuebler (Buchhändler) 399 Kühne, Dr. Theodor 74, 379 Kutusow, Michail Illarionowitsch 141 Lachapelle, Madame (Lehrerin) 78 Lacombe, Auguste 161, 166 Laffallcette (General) 131 Laflèche, Constantin de ( auch La Flèche) 415, 483 La Fleur, J. (Sprach- und Tanzlehrer) 163 Lagrange, Joseph 345 La Haye (auch Lahaie) 236 Landgrebe (Sprachmeister) 124, 241 Lang, H. (Polizeikommissar) 121, 436f., 439 Langeland, von (Kapitän) 261 Larrey, Dominique Jean 117 Lassaux (Übersetzer) 113, 354 Lecamus, Pierre Alexandre, Graf von Fürstenstein 145f., 416, 427, 460, 474, 478f., 483 Lehmann, Heinrich Ludwig 75, 165, 228–243, 246, 266 Lehsten-Dingelstädt, Karl August Unico von 338, 369, 379, 381, 404, 414–416, 447, 450, 473, 477, 482 Leidier (Notar) 177 Leist, Justus Christoph von 75–77, 79–83, 85–89, 91, 113, 143, 355, 397, 463 Lemkuhl (Schneider) 404 Léon (Sprachlehrer) 74 Léonnard, Augustin Henry 122, 125, 145, 159, 160, 162, 164–166, 274 Lestiboudois, Adrien Charles 159
Levrault, Laurent-François-Xavier 113, 355 Linden, Graf Hugo Heinrich von 145f. Lindstedt, Fréderic 262 Lippe, Wilhelm von der 318 Lippert (auch Lepper) 256 Longe, de 236, 238 Ludwig, Friedrich Christian 465 Ludwig XIV., König von Frankreich 434, 471 Ludwig XV., König von Frankreich 101 Lübbers (Gendarm) 317 Mack, Friedrich Wilhelm 312 Mack, Johann Georg Friedrich 312 Makke (Stadtmaire zu Mainz) 379 Malchus, Karl August 336, 406f., 463 Manikowsky (Sprachlehrer) 75 Mansour Efendi, Ibrahim (siehe auch Cerfberr, Samson) 101–111, 123, 134–137, 241 Marchand, François 160f. Maret, Hugo Bernard de Bassano 396 Marienrode, Karl August Malchus von 336 Martel 143 Martens, Georg Friedrich von 401 Martin, Sigismund Peter 152 Masnier (Sprachlehrer) 75 Masséna, André 177 Mathusius, Daniel 278 Maulaz, Louis 232 Mausbendel (Pfarrer) 85f. Maximilian I. von Habsburg 494 Meidinger, Johann Valentin 84 Meise (Gendarm) 317 Mercier, Louis-Sébastian 232 Mercier, Philippe 164, 435f., 439 Mertens (Generalpolizeikommissar) 198, 201, 287 Mertz (Kreiseinnehmeradjunkt) 242 Mertz (Mairiesekretär) 242 Merveldt, Paul von 252f., 461 Mettingh, Menco Heinrich von 390 Meyer, Heinrich August 396 Meyer, Jakob 366, 399 Meyer, N. (Lieferant der frz. Armee) 366 Meyronnet, Pierre Simon Baron de Saint-Marc, Graf von Wellingerode 85, 483
Personenregister Michaelis (Oberamtmann) 217 Mierzinsky, Ignaz August 129–133, 136, 320, 327, 388, 398 Moisez (Generalpolizeikommissar) 181–184, 217, 235f., 238 Monthion, François Gédéon Bailly de 127 Montjoie (auch Frohberg) 415 Moreau, Jean Victor Marie 314 Morio, Joseph Antoine 333 Mortier, Madame 158 Moulard, Joseph 253 Mühlbein (Schuhmacher) 437 Müller, Friedrich 140, 156, 220, 307, 350, 358, 447, 480f., 484 Müller, Hermann Carl 159, 162 Müller, Johannes von 18, 73, 75, 146, 235, 358, 462f. Müller (Polizeikommissar) 127, 372 Münster, Graf Ernst Friedrich Herbert zu 380, 396 Murat, Joachim 325 Murhard, Friedrich 111f., 148, 433 Nagel, Friedrich 177, 308, 322f., 389f. Napoleon I. Bonaparte 17, 30, 66, 68, 97, 102, 104f., 109f., 119, 122, 125, 197, 199, 211, 227, 232, 269–275, 278f., 281, 286, 291–293, 295, 303f., 315, 317–324, 326f., 331f., 335, 337, 339f., 345, 350, 361f., 371, 380, 405, 416, 422, 456, 458f., 475, 482f., 492, 510f., 522f. Natorp, von (Auditor der Requetenkommission) 253 Nelson, Horatio 109 Nicolai, Carl 257, 492–494 Nindel (Trödler) 229 Noël, François-Joseph 91, 96 Nordenflycht, Gustav Adolph von 121 Norvins, Jacques de 148 Oppermann, Johann Heinrich Gebhardt 125f. Ortis (Professor) 102, 109 Osburg, Christoph August 114f. Osterhausen, Gottlieb Heinrich von 141 Ovid 523 Pallas, Peter Simon 207f. Patje, Christian Ludwig Albrecht
402
589
Perier, Amable Marie Noël 118f., 122, 125 Perrey (auch Perrez, chef de la porcelaine du roi) 435–438 Pfeiffer, Burkhard Wilhelm 112f., 115 Pfeil (Polizeidiener) 340 Pfeil, Gottlieb 254 Piautaz, Joseph Marie 201, 373, 376f., 465 Piderit, Charles François Theodore 265 Piderit, Dorothea 265 Piland (Sprachlehrer) 75 Pius VII. 301 Printz, Johann Karl 254f. Provençal, Bernard 118f., 467 Queignard de Valdené, Jean Baptiste 89 Ramberg, Johann Heinrich 209, 273 Rapper (Perückenmacher) 315 Rau, Friedrich 134–136, 219, 403 Réal, Graf Pierre-François de 398 Rehberg, August Wilhelm 370 Reimann, Georg Johann Gerhard August von 125, 142, 464 Reineck, Friedrich von 462 Reinhard, Karl Friedrich (von) 18, 137, 355, 366, 422, 434, 456–459, 474 Reinhardt (Handwerker) 262 Reubell, Jean-Jacques 415 Richard, Lorenz 159 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de 494 Richter, Ludwig 209 Rindfus, Heinrich 157, 159f. Rode (auch Rhode, Postsekretär) 176 Rosenbaum (Schneidermeister) 385 Rosenmeyer, J. P. (Jurist) 128, 370 Roux, de (Geheimrat) 368 Ruhl, Ludwig Sigismund 220 Rustan (auch Roustam Raza, eigentlich Rostom Razmadze) 60, 322–324 Ruthe, Johann Friedrich 429f. Salze, Marius 439f. Sauer (Steuereinnehmer) 343f. Saugier, Abbé 86–89, 92 Savagner (General-Sekretär der Hohen Polizei) 146 Savigny 396
590
Personenregister
Sayn-Wittgenstein, Ludwig Adolf Peter zu 166 Schalch (Generalsekretär der Hohen Polizei) 165, 370 Scheller, Carl Friedrich 92, 168, 339, 361, 387, 390f., 393, 409f., 417f., 423f., 491, 494 Schencke (garde du corps) 276 Schiffer (Sprachlehrer) 235 Schill, Ferdinand von 282, 285, 301, 306–311, 314, 317, 370 Schiller, Friedrich 97, 447, 449 Schlader (Goldschmied) 235 Schmidt (Bittschriftenschreiber) 242 Schöne (Theaterbesucher) 438 Schoenken (Handwerker) 262 Schulenberg (Sprachlehrer) 75 Schulenburg-Bodendorff, Graf Leopold Christian Wilhelm Johann von der 366 Schulenburg-Emden, Graf Philipp Ernst Alexander von der 245, 366, 461, 466–468 Schulenburg-Kehnert, Graf Friedrich Wilhelm von der 85 Schulenburg-Wolfsburg, Graf Karl Friedrich Gebhard von der 147 Schulters, von (Staatsrat) 320 Schulze (Polizeiagent) 235 Schulze (Schüler) 318 Schwarzbach (Polizeiagent) 356 Seidensticker, Johann Anton Ludwig 143 Seidenstücker, Johann Heinrich Philipp 90 Selim III., Sultan des Osmanischen Reichs 102 Sicard, Joseph Victorien 120 Siméon, Joseph Jérôme 18f., 60, 113f., 143, 152, 162, 277, 305, 336, 354f., 366, 405–408, 419, 426, 460 Simmer, Caspar 318 Speth (Oberförster) 147 Steffens, Heinrich 227, 397, 450 Stein, Eleonore 254f. Stobwasser, Johann Heinrich 281, 282, 283, 286, 287 Strahser (Kapitän) 160, 166 Stralenheim, Karl Wilhelm von 121, 140f. Straubing, Johann Gottfried 127 Strutz (Advokat) 242f., 320 Stübing, Philipp Leopold 111f.
Stückrath, Johannes Christian 242 Suabedissen, Theodor August 81, 88 Surawof, Graf von 218 Taberger, Johann Gottfried Georg Wilhelm 296–298, 301–304, 306, 317, 321, 324f., 327–334, 503 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de 102 Tell, Wilhelm 292 Thannenberg (Schreiber) 433 Thierry (Professor) 82, 86 Thomas (Maire) 343 Thurn und Taxis, Graf von 102, 109 Tieftrunk (Professor) 374 Tornezy (Domänendirektor) 469 Trettstedt 239, 316f. Trott zu Solz, August Heinrich Freiherr von 83, 242f., 250, 464, 469 Tschudi, von (auch von Judi) 138f. Turgeniev, von (Student) 123 Uslar, Ludwig Thielo von 345 Utermöhlen (Schneider) 343f. Vaf (Sergant) 319 Vandamme, Dominique Joseph 209, 314 Verano, Louis 127 Vieth (Kaufmann) 344 Villers, Charles François Dominique de 18, 87, 148, 227, 378f., 381, 397 Völkel, Ludwig 434 Vogt 254 Voltaire 84, 91, 118 Wachler, Johann Friedrich Ludwig 419 Wagener, Wilhelm 484 Wagner (Stadt- und Kantonmaire) 157 Waldhausen, von (Polizeiagent) 363, 372f. Wangenreim, Betty Cohn 260 Wangenreim, Israel Cohn 260 Wartenburg, Ludwig Yorck von 166 Wedekind der Große, Herzog von Sachsen (auch Widukind) 25, 494 Weichel 366 Weiland (garde du corps) 276 Wendel, Julius 523 Wendt, von (Weihbischof) 75–77
Ortsregister Welger (Stadtwachtmeister) 349 Werlitz (Sprachlehrer) 158 Wermuth, Christoph Heinrich 494 Wiesand (Maire von Barby) 238 Wigand (Publizist) 263 Wilhelm I., Fürst von Hessen-Kassel 308, 380 Williams, John 145, 371, 414, 430 Willisen, Karl Wilhelm Freiherr von 370f. Winhold (Redakteur) 69 Wohlenberg 262f. Wolff, François Joseph Hubert von 141, 246, 284f., 377, 381, 463 Wolffradt, Gustav Anton von 80f., 85–87, 92, 264, 363, 366, 378, 408,
591
415, 426f., 448, 456, 460f., 463–466, 468, 472 Woodward, George Moutard 258 Würtz (Polizeiagentin) 403 Würz, Henry 339, 385 Zadig, Abraham 425 Zeise (employé beim königlichen Schatz) 437f. Zinserling, August Ernst 119, 146, 357, 364, 441f., 444–446, 448, 451, 470–473, 475, 477–479, 482, 484f. Zirges, G. (auch Joerges) (employé bei der Hohen Polizei) 435–438
Ortsregister Ägypten 102, 109, 322 Alfeld 274 Allerdepartement 346, 463 Altmorschen 318 Altona 129 Argos 102 Aspern 150 Barby 159, 238 Bardorf 147 Belgien 31 Belgrad 102 Berg, Großherzogtum 34, 59, 119, 311, 348 Bergen 346 Berlin 64, 120, 134, 145, 150, 185, 292, 311, 32, 448 Bern, Kanton 231f. Bernburg 166, 293, 429 Blackede 346 Blankenburg 423 Brackede 346 Braunschweig 125, 163, 201, 262, 288, 292, 307f., 311f., 369, 371, 387, 393f., 415, 423f., 448, 465 Bremen 287 Breslau 397 Brügge 414 Büren an der Aare (auch Bürhen) 231
Burg (bei Magdeburg)
231
Celle 185, 344, 439 Colmar 82 Detershagen 231 Deutschland 23, 26, 34, 38, 168 Dransfeld 399 Dresden 319 Duderstadt 115 Elbdepartement 68, 231, 233, 245, 315, 341, 346, 366, 458, 466, 474 Elsass 31, 89, 415 England 128, 135, 371, 380 Erfurt 323 Eschwege 161, 166, 251 Felsberg (Hessen) 309, 380 Frankfurt am Main 309f., 317, 322f., 365, 358 Frankreich 18, 23, 29, 38, 46, 62, 64, 102f., 105, 109f., 118, 123, 137, 144, 165, 197, 199, 204, 289, 292, 307, 395f., 400, 422, 448, 456, 460, 469, 471, 474, 479, 482–486, 488, 491, 493f., 511 Fuldadepartement 69, 71, 139–142, 305, 342, 414, 464, 471
592
Ortsregister
Gatersleben 162 Geldern, Herzogtum 120 Genf 387 Genua 253 Gifhorn 131, 134, 388 Glatz (heute: Kłodzko) 164 Göttingen 18, 86f., 115, 123, 141, 145, 151, 163, 187, 198, 261, 278, 287, 305, 315, 363, 369, 378, 399, 401, 423, 463, 465 Goslar 465 Gotha 399 Graubünden, Kanton 232 Gummersbach 348 Hadmersleben 220, 306, 310, 341f. Halberstadt 181, 185, 235, 259, 262f., 316, 322, 369, 389f., 403, 423, 449 Halle 116f., 181, 188f., 198f., 201, 211, 289f., 311, 318, 373f., 376, 397, 423, 450, 465 Hamburg 82, 348, 366 Hannover 96, 129f., 133, 158, 160f., 185, 197, 201, 297–299, 305, 321, 328, 333, 335, 396, 401, 428, 431, 463 Harzdepartement 422, 464 Heidelberg 86, 115 Heiligenstadt 422, 464 Helgoland 380 Henneberg 465 Hersfeld 251, 320 Hessen 287, 305, 403 Hessen-Kassel, Fürstentum 48, 133 Hildesheim 252, 260, 274, 346, 410, 429 Hitzacker 346 Homberg 158f., 309, 338 Hungersleben 294 Hydra 102 Italien
103
Janina
102
Kassel 47f., 62, 67, 70–72, 74–76, 78– 82, 86, 88f., 92, 94f., 99, 101, 108, 111, 113f., 118, 127–129, 140, 142, 144, 147, 150–152, 157f., 164, 168, 176, 179, 201, 206, 211, 219, 236, 238f., 241, 245, 254, 256, 260–263, 276, 284, 287–290, 303, 305–307, 312, 315, 318–320, 326, 328, 333,
335, 337, 339f., 342–344, 347, 350, 361, 370f., 382f., 385, 390, 394, 400f., 412, 414, 421–423, 428, 433– 435, 439, 441–450, 452–455, 462, 465, 470f., 475–478, 482–485 Klosterberg 159 Königsberg 276 Konstantinopel 102, 105 Kopenhagen 103, 108, 110 Korinth 102 Leinedepartement 262, 419, 463 Leipzig 169, 182, 185, 208, 210, 212, 281, 311, 342, 419, 510 Lepanto 102 London 271 Lübeck 81, 88, 276 Lüneburg 177, 185, 432 Lützen 289 Luxemburg 31 Mâcon 374 Magdeburg 119, 159, 162, 228–230, 232, 234f., 238–240, 293, 368f., 399, 420, 423, 447, 466f., 474 Mainz 144f., 162, 254, 307, 309, 379, 403 Mannheim 86 Marburg 73f., 113, 121, 123, 157–159, 264, 377f., 464 Marokko 103 Minden 120, 494 Molodetschno 325 Möllen 366 Montblanc 523 Moskau 213, 271 Mühlhausen 220 München 165 Münden 141, 342f. Münster 318 Nancy 276 Napoleonshöhe, Schloss 140, 262, 275, 277, 410, 423, 449, 451–453 Nauplia 102 Neuhaldensleben 235, 294 Neustadt am Rübenberge 347f. Niedenstein 315, 342 Nienburg/Weser 347 Nordhausen 423 Nordheim (Leine) 378 Northeim 315
Sachregister Oberwiese 134f. Ockerdepartement 346, 465 Ölper 285 Österreich 511 Osnabrück 160 Osterode 363, 372f. Paderborn 125 Palermo 102 Paris 102, 119, 164, 177, 232, 252, 273, 321, 374, 383f., 400, 443, 450f., 458, 469, 477, 484 Pfalz-Zweibrücken 101 Piemont 127 Portugal 135 Posen 129, 135 Prag 281 Preußen 133, 165, 289, 308, 368, 511 Puducherry 167
593
Schlesien 135, 164, 416 Schmalkalden 83, 158, 167, 349 Schönbrunn 161 Schweiz 31, 196, 231f., 239 Serbien 102f., 110 Solingen 348 Spangenberg 461 Stendal 114f., 366 Stockholm 103, 108, 110 Stolpe (Słupsk) 276 Stralsund 306, 310 Straßburg 101, 103, 113 Tilsit 17, 60 Todenhausen 260 Treysa 242f. Uelzen
122, 160, 166
Quatre-Bras 314 Quedlinburg 162, 185, 189, 262
Venlo 119 Vorsfelde 147
Regensburg 341 Rodels (Kanton Graubünden) 232 Rössing 346 Rom 273, 292 Ronsdorf 348 Rosenburg 367 Rouen 118 Russland 44, 275, 289, 315, 395
Warschau 218 Weißenfels 70 Wernigerode 158, 176 Werradepartement 83, 111, 119f., 141, 148, 158, 160, 166, 242, 249f., 265, 309, 318, 422, 461, 464, 468f. Wesel 307 Wien 106, 161 Wilhelmshausen 344 Wilna 399 Wittenberg 116 Witzenhausen 265 Wolfsburg 147
Saaledepartement 217, 373, 461, 465 Sachsen 134f., 185, 288 Salzgitter 423 Sankt Gallen 232 Sankt Petersburg 103, 108, 110, 164, 165, 207
Zierenberg
414
Sachregister Abenteurer 106f., 109, 135, 158, 477, 482f., 487 Abschreiber 134f. Adel 18, 36, 88, 254, 281, 338, 416, 459, 473, 475–482, 485–488, 499, 508, 513, 515 Adelsfeindlichkeit 486, 515 Agentenbericht (siehe auch Polizeiagent) 138f., 147f., 205,
218, 238, 261, 279, 282, 284f., 292, 314, 338f., 344, 363, 372, 398, 513 Almanach siehe Volkskalender Alphabetisierung 128, 261 Analphabeten 127f., 368, 501, 513, 517 Angst 64, 183, 191f., 197f., 204–207, 218f., 247, 267, 274, 306, 316f., 347, 353, 364, 409
594
Sachregister
Anonymität 133, 136, 377, 514 Antiqua 70, 256, 268 Arabisch 109 Attentat 315, 317–320, 325 Aufstand/Unruhen 131, 296, 345, 429 Auswanderer 105, 191 Bastille 144, 328 Bauern 36, 131f., 134, 186f., 191, 374, 388, 429f., 487 Bedienstete 134f., 164f., 219, 238f., 415 Befreiungskriege 34, 209, 225, 227, 286, 330, 334, 510, 516, 519 Begräbnis (siehe auch Staatsbegräbnis) 305, 314, 321, 323f. Bekleidung (siehe auch Kleidung, Verkleidung) 106 Beleidigung 106, 345, 348, 382f., 406f., 439 Bibel 128, 224, 492 Bibliothek 233 Bibliothek, königliche 111f., 267, 433–435 Bilder, innere/Merkbilder 199, 270, 279, 281, 294, 327f., 334, 502f. Bildersprache (siehe auch Bilder, innere) 272 Bildmedium 202, 213, 225, 269, 272, 275, 278, 301, 503 Bildpublizistik 295 Bittgang 263–265 Bittschrift 51, 74, 124f., 166, 228–231, 234, 239–268, 276, 328, 358, 366, 371, 382, 401, 509, 512 Bittschriftenbüro 246f., 251, 266f., 512 Boten 102, 109, 110, 396 Brief 51, 128f., 138, 141f., 206, 218, 226, 239, 257, 317, 379, 380, 382, 396, 505, 508 Briefsteller 257 Buchhandel 97, 157f., 169, 171–178, 181–185, 187–189, 195–197, 201f., 222, 236f., 240 Bürgerkrieg, amerikanischer 380 Bürgerschule, Kassel 79–83, 86, 89– 92, 94f., 168 Bürgertum 254, 459, 486, 488, 515
Christentum 106 Code Napoléon 18, 36, 112–114, 143, 354f., 456 Consistorialschule, Israelitische 78, 94 Delegierte 61f. Denkmal 289–291, 307, 330 Denunziation 50, 226, 231, 242, 275f., 298, 332, 377, 433, 435 Deputierte 252, 337f., 401, 406f., 421 Desertion 220, 231, 309, 316 Desinformation 126, 227, 505, 520 Dialekt 22f., 59, 62f., 112, 122, 132, 359, 374, 388, 399, 429, 430f., 442f., 487, 493, 495, 516f. Dörnberg-Aufstand 34, 121, 148, 288, 309, 347 Dolmetschen 128, 133 Dolmetscher 46, 99, 100, 102–104, 109–112, 118, 120, 122–125, 129– 137, 139f., 142–144, 153–155, 161, 210f., 219, 238, 243, 259, 320, 368, 388, 403, 508, 514, 521 Domestikenbüro 238f. Drucklettern 69 Duell 215, 381f. Eindeutschung 70, 268, 416–418, 436 Einquartierung 122, 130, 141, 176, 187, 191–193, 207f., 223, 260, 297, 300, 389f., 432 Einwanderer 43, 48, 74–77, 79, 87f., 93, 118, 143, 158, 168, 170, 176, 276, 283, 361, 364, 367, 415f., 419, 421, 433–435, 443, 459, 482, 484f., 487, 492, 516 Elite(nkultur) (siehe auch Volkskultur) 56, 268, 294, 426, 477–479, 482, 485–487, 515f. Elsässer, elsässisch 102, 103, 109, 458 émigrés 18, 43, 88, 118, 122, 125, 137, 162 Emotion 32, 65, 134, 280, 288, 306, 345, 358f., 502 Englisch 80, 102, 109, 128, 145, 191, 370–372, 380, 398, 414 Erinnerungskultur siehe Gedenkkultur Erzählung 274f., 277f., 280f., 287, 294 Fälscher 135, 136, 219, 239, 276, 316f., 403 Faltgedicht 221f. Feldbuchdruckerei 211, 521
Sachregister Fest (Nationalfest) 275–277, 316 Festkult 25, 31, 276, 316 Flugblatt 226, 274, 280 Flugschrift 19, 271, 280, 308, 407, 489 Fraktur 70, 268 Französisch-Reformierte 81, 93f., 119, 265, 403, 466–468 Französische Revolution 18, 22, 23, 43, 59, 88, 118, 125, 137, 154, 162, 166, 180, 231f., 301, 336, 383, 392, 408, 454, 473, 477, 479, 509 Französischunterricht 73–75, 77– 82, 84–94, 96f., 124, 156–158, 160, 163f., 168, 171f., 177, 181, 222, 233, 402, 412 Französisierung 46–48, 67, 69, 78, 89, 94–97, 117, 254–256, 266–268, 358, 409f., 412–416, 436, 440f., 458, 518f. Fremdwörter 70, 256, 268, 353, 358– 363, 431, 497 Freundschaft 102, 104, 108–110, 117, 207, 238, 288, 453 Frieden von Tilsit 17, 60 Friedenssehnsucht 225, 334, 510, 519 Fürstenkongress, Erfurter 323 Gabe/Schenkung 91, 204, 288, 309, 310 Gartenkultur 394, 425 Gasthaus/Wirtshaus 128, 179f., 182f., 194, 204, 217, 260f., 271, 275–278, 289, 306, 320, 340f., 344, 366, 383, 390, 412f., 508 Gedenk-/Erinnerungskultur 210, 287, 290–292, 301, 305–308, 310f., 314, 330 Gedenkmedaille 290–292, 330 Gefängnis 131, 144f., 262, 290, 328, 344, 371, 382 Gefangene 102, 109, 123, 126, 131, 144f., 152, 309, 370, 379, 399, 403 Gefangenentransport 212, 310 Gefangenschaft 220, 236, 276, 306f., 315, 403 Gefecht bei Ölper (1. 8. 1809) 285 Gegensprache 27, 396, 517 Geheimagenten 105, 109, 123, 134, 147, 165 Geheimsprache 272 Geister 308, 393, 424f. Geistliche 65, 77, 205
595
Gendarmen 141, 144, 220, 230, 288, 309, 317f., 328, 388, 393, 438, 444 Gerücht 51f., 205, 225, 308–310, 314f., 317–321, 325, 332, 481, 502f., 507 Gesangbuch 259 Geschlecht 78, 95, 132f., 265, 359, 484, 496, 507, 523 Geselligkeit 283, 287f., 400, 445, 491 Gesetzbulletin 66 Gestik siehe Mimik Glaubensflüchtlinge, hugenottische 48 Gnadengesuche 254f. Grabrede 17f., 306, 407 Grande Armée 95, 118, 125, 130, 216f., 279, 281, 293, 315, 320–322, 324, 327, 330, 523 Handlung siehe Kommunikation, außersprachliche Handlungsrepertoire 40, 42, 291, 333, 345, 351, 503, 515, 517 Handlungsspielraum 26, 40, 132, 148, 153, 219, 358, 396f. Handschrift/Kalligraphie 134, 230, 267, 375–377, 396 Harzreise 409, 425 Hebräisch 103, 141 Heereslieferanten 101, 108, 118 Hof 140, 415f., 433f., 451, 454, 471f., 474–480, 482–485, 487f., 499, 508, 515 Hofetikette 257, 483 Hofzeremoniell 31, 483f. Hugenottennachkommen 31, 93, 119, 136f., 403, 466f. Humor 75, 340, 395, 423, 480, 501 Husaren, schwarze 310f., 313 Identität 20, 28, 45, 48, 105, 135, 200, 219, 400, 490, 508–510, 521 Imprimerie royale 97, 237 Informationskultur 181, 193f., 224f., 345, 505, 508 Informationspolitik 126 Inszenierung 32, 292, 298–304, 317, 321, 323, 327, 329–333, 363, 449– 451, 454, 502 Intelligenzblätter 53, 176 Islam 101, 105f., 108 Italienisch 103, 109, 160, 166, 233, 378, 398, 404
596
Sachregister
Jakobiner 232 Juden, Judentum 43f., 101, 103–108, 110, 138, 141, 259f., 333 Judenemanzipation 260 Karikatur 51, 199f., 209f., 222, 226, 269, 270–283, 285–287, 289, 292– 295, 322, 339, 502f., 517, 523 Kastell 144, 211, 290, 315, 318, 328, 344, 370f., 382 Katholiken 75–77, 94 Kirche 128, 220, 312, 314, 418 Kleidung 106, 313, 398 Klientelismus 108, 118, 238, 241, 267, 453 Kneipe/Kneipengespräch siehe Gasthaus/Wirtshaus Koalitionskriege 188, 197 Kolportage 185, 282, 288 Kommissionsbüro 239, 244 Kommunikation, außersprachliche 26, 32, 40f., 45f., 49, 51, 296–298, 330–334, 341, 344f., 353, 502f., 517 Kommunikation, symbolische/ zeichenhafte 32, 40, 44f., 272, 281, 296, 333, 337, 340, 350f., 413, 454, 502–504, 517f. Konfession 75, 94, 301 Konskription 229–231, 236f., 239, 288, 316, 395 Kontinentalsperre 291, 371, 380 Konversion 101, 105f. Korruption 68, 229, 236, 243, 247, 267 Kosaken 126, 190–192, 200–202, 204– 207, 209–211, 215, 217–220, 223, 274, 301, 319, 349, 350 Krieg 97, 126, 205f., 210, 212f., 230, 281, 304, 315 Kriegsberichtserstattung 151, 205, 226, 314f., 320, 325 Kriegsgewalten 191, 218f. Kriegskontribution 97 Kriegsmüdigkeit 225, 334, 510 Kultur, politische 24, 46, 50, 296, 331 Kulturnation 23 Kunstraub 361 Latein 62, 65, 79, 90f., 361, 374, 496 Lesegesellschaft/Lesekabinett 201, 233 Lesekultur 128, 356, 434, 517 Libelle 277, 385f.
Lieder 317 Lyceum (Kassel) 92, 94, 168
74, 76, 78f., 81, 83–
Mädchenbildung 76, 78, 94, 157, 233, 373 Mahnmal 330 Mamelucken 60, 298, 321–324, 327 Medaille 289–291 Medien, leibgebundene (siehe auch Gerücht) 26, 45, 517 Mehrsprachigkeit 30, 108–110, 127f., 135, 166, 404, 513f., 517 Metapher siehe Sprachbilder/Metapher Mimik/Gestik 132, 217, 334, 382, 390, 441 Mischehe 127, 514 Mobilität 43, 106, 108–110, 135, 165f., 261, 276, 430, 513 Modellstaat 17, 36f., 97, 113, 272, 519 Moslem (siehe auch Islam) 108 Mündlichkeit/Schriftlichkeit 41, 127f., 141, 145, 271, 294, 501, 503 Napoleonkult 323 Nationalbewusstsein 27f., 34, 37 Nationalismus 27f. Nationalsprache 59 Naturalisation 66, 101 Öffentlichkeit 54, 68, 203, 234, 270, 273, 276, 278, 285, 298, 329, 333, 345 Orientalist 109 Pamphlet 139f., 226, 276f., 308, 317f., 376, 377, 507, 518 Panorama/Kosmorama 212f. Paris-Mythos 383f., 484 Paris-Reiseliteratur 180, 383 Patriotismus 28, 34, 79, 288 Pfeife 282, 284f., 287f., 292, 341 Pietisten 282 Plünderung 187, 191, 210, 213–215, 218, 286 Politisierung 37, 44, 222–225, 227, 295, 334, 504–506, 512, 520, 522 Polizeiagenten 138f., 147, 148, 165, 205, 218, 229, 235, 238f., 261, 273f., 279, 282, 284, 289, 293, 314–316, 319f., 336, 338f., 359, 372, 385, 400, 403, 415, 452f., 513
Sachregister Polizeibericht 71f., 125, 127f., 141, 145, 151, 165, 181, 184–188, 198, 201, 229, 232–234, 262f., 273, 287f., 292, 297–299, 303–306, 308, 316, 321, 323, 331, 332, 342, 351, 371f., 414, 436–439 Polizeistaat 37 Polizeiüberwachung 146–148, 245, 283, 305, 329, 333, 357, 414, 445, 461, 502, 504, 506, 520 Porträt 201, 207, 282f., 285–288, 292f., 300f., 312 Portugiesisch 103, 109 Predigt 259, 367, 414 Pressefreiheit 183, 397 Prestigesprache, soziale 47, 156, 221f., 372, 401, 403, 512 Privatlehrer 73–75, 92, 163, 177 Privatschulen 78, 157, 172 Privatunterricht 76f., 88, 91, 156, 160, 169, 229 Proklamation 128, 141 Proklamation, russische 68, 226, 344 Propaganda 68, 126, 291, 295, 319, 504, 518 Protest 34, 50, 51, 226, 296, 351 Protestanten 125, 301 Rätsel 274f., 472, 503 Rauchen, Rauchtabak 39, 126, 206, 281–283, 285f., 288, 292, 294, 314, 341 Rede (vor der Ständeversammlung) 60, 97, 149, 336, 405, 407f., 423, 426, 481 Redekultur 408, 491 Redekultur/Beredsamkeit 80, 363, 405f., 409 Reformen, rechtliche und gesellschaftliche 67, 115, 137, 150, 158, 231, 242, 249, 260, 267, 392, 459, 510 réfugiés 43, 403 Regent, Regentschaft 62, 296, 345, 367f., 414, 423, 426, 458, 479 Regionalsprachen 22, 59 Reisen 106, 108, 135, 180, 197, 236, 238, 261, 264f., 383, 423, 430 Religionsfreiheit 150 Religionstoleranz 404, 510 Religionsunterricht 75–78, 156f. Restauration 53, 105, 109, 131, 493
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Rheinbundstaaten 17, 34, 59, 62, 120, 518 Rhetorik 154, 258, 333, 336, 345, 351, 364, 405 Russen 126, 183, 189, 193, 205, 207, 217, 221 Russisch 180–198, 203–207, 211–213, 218f., 223f., 226, 379 Russlandfeldzug 126, 180, 199, 216f., 271, 273, 275, 279, 281f., 284, 299, 303, 315, 318, 320–325, 332f., 395, 404, 524 Säkularisation 93f. Satellitenstaat 37 Schaufenster 298, 300–302, 329, 332f., 502 Schill-Denkmal 307 Schillianer 306–311, 341 Schlacht bei Lützen (Großgörschen) (2. 5. 1813) 289f., 330 Schlacht bei Quatre-Bras (16. 6. 1815) 314 Schlossbrand 287, 428 Schmährede 272 Schmähschrift 275f., 326 Schmuggel 206, 505 Schnupftabakdose 39, 126, 281–283, 285–288, 292, 314 Schreiber 99 Schriftlichkeit siehe Mündlichkeit Schriftsässige 46, 127 Schriftsteller 239f. Schullehrer 76–78, 81, 260 Schulpolitik 44, 50, 61, 73, 77, 80, 93–97, 143, 156, 167, 222, 510 Schulreformen 78f., 89, 92, 94–96, 167 Selbstmord 107, 110 Soldaten/Kosaken 95, 116f., 125f., 141, 186f., 189–191, 193, 200, 202, 204–207, 209f., 214f., 218–220, 222f., 231, 279, 281, 289, 297–303, 309, 315–317, 322, 324, 329f., 342, 349, 357, 368, 380, 382, 385,389, 399, 404, 432, 513, 523f. Soldatenbrief 141, 206, 317 Soziolekt 112, 132, 431, 476, 516 Spanisch 130, 371 Spott/Hohn 178, 219, 291, 296, 339, 341f., 394f., 418 Spottgedicht 350, 355, 476
598
Sachregister
Sprachbewusstsein 21, 47, 353–355, 359, 363, 365, 367, 379, 400, 498 Sprachbilder/Metapher 153f., 194, 258, 264, 270, 272, 279, 293–295, 490, 497, 501f., 521 Spracherwerb 108f., 111f., 136, 145, 156, 165, 167–170, 173–175, 177, 183, 203, 205, 220, 222f., 244, 254, 364, 368–370, 419f., 432, 512–514 Sprachgesellschaft 497, 518f., 360 Sprachlehrbuch/-wörterbuch 51, 156, 170–174, 176–190, 192–198, 203– 207, 211, 218–220, 222–226, 331, 369, 381, 401, 502, 505f., 512 Sprachlehrer 73–75, 81–89, 91f., 94, 102, 109, 122–125, 156–170, 173– 175, 179f., 222, 235, 241f., 368, 374, 412, 421, 512 Sprachpolitik 22f., 25, 33, 44, 46, 59– 61, 66f., 97, 142, 152, 155, 164, 169, 203, 220, 222, 267f., 354, 511f. Sprachpurismus 27 Sprachregelung 44, 61, 64–66, 93, 433, 455f., 460–462, 463–466, 468f., 474 Sprachreinigung 38, 97, 268, 360, 489, 518 Sprechakt 32, 334 Sprichwörter 271f. Staatsbürgerschaft 23, 108 Staatsbegräbnis 17, 19, 333 Staatsbürger 63, 66, 93f., 96, 114, 152, 168–170, 180f., 222, 244, 246, 248f., 258, 308, 506, 509 Staatskult 32, 44, 275–277 Staatsnation 23 Staatsrhetorik 25, 336, 351 Staatssouveränität 37, 66, 265, 338f., 511 Staatsstreich 104, 320 Ständeversammlung 60, 97, 147, 149, 336, 405–408, 423, 426, 428f., 447, 455, 481 Steckbrief 231, 398 Stellvertreter 229–231, 236f., 395 Stereotypisierung 19, 47, 484 Straße 70, 126–128, 306, 309, 389, 391, 428, 453 Streit, Streitgespräch 146, 276, 287, 341, 381, 383, 433, 437, 440f., 443– 445, 452, 455 Streitkultur 433, 435, 446 Stube 128
Studenten 123, 137, 141, 287, 288, 296, 373, 377 Symbolhandlung 32, 296f., 336, 502 Symbolsprache (siehe auch Kommunikation, symbolische) 210, 333, 340, 351, 523 tableaux 292 Tanzlehrer 78, 163 Tedeum 301, 417f. Theater 212, 238, 436–455 Théâtre royal 433, 435f., 438f., 441, 445f. Tod 126, 281, 303f., 306, 308, 310f., 314, 316–318, 320f., 323, 325f., 330, 332, 335 Trauer 19, 279, 305–307, 317, 329 Tugendbund 370 Türkisch 102, 110 Übersetzer 46, 99–101, 104, 107–112, 115, 118f., 121, 123–125, 127, 129f., 132, 134, 136f., 138f., 142, 144f., 148f., 153–155, 161, 165, 320, 514 Übersetzung 22, 59, 67, 70–72, 84f., 90f., 93, 99, 112–115, 122, 128, 130, 133, 136–141, 143–155, 247, 354, 355–358, 365, 387f., 400, 510 Übersetzungspolitik 68 Umbenennungspolitik 67, 393, 409– 413 Universität 18f., 87, 96, 204, 227, 358, 397, 401, 450 Verbrennung, öffentliche 291, 359 Verkleidung (siehe auch Kleidung) 200, 205, 220, 310f., 398, 522f. Verlesen 127f., 139, 337, 502 Verleumdung 234, 275, 340, 507 Verstellung 106, 218, 276, 508 Verwandtschaft 101, 108, 317, 366 Veteranen 95, 323 Vignette 199f., 202 Völkerschlacht 212, 342, 509f. Volksaufklärung 179, 190, 376 Volksfest 220, 306, 341f., 481 Volkskalender/Almanach 51, 224, 376, 506 Volkskultur 271f., 294f. Wachsfigurenkabinett 292 Wappen 279, 296, 335, 337–339, 341–351, 482, 502f., 517
Sachregister Ware, englische 291, 359 Wendebilder 222 Westphälischer Moniteur 53, 69, 71, 148–152, 155, 168f., 171, 231, 237, 244f., 248, 251, 255, 281, 315, 354, 356, 359, 392, 402, 407, 445, 494, 505 Witz 274, 446, 472, 503 Wohltätigkeit 213, 299, 330, 357 Wortspiel 271, 393, 417, 418 Zeichner 139, 207–210, 212, 216, 523 Zeitung 53, 69f., 148, 150–152, 155, 158, 168, 171, 182, 187f., 198, 205,
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209, 212, 225–227, 231, 233–235, 237, 241, 244f., 247f., 255, 260, 263, 280, 315, 354, 356, 374, 397, 402, 405, 410f., 505–508 Zensoren 129, 235 Zensur 24, 41, 46, 96, 129, 180–184, 188, 198–201, 203, 207, 210f., 218f., 225–227, 276, 360, 363, 397, 445, 449, 502, 504f., 520 Zeremoniell 32, 44, 96, 337f., 351, 361, 454, 483 Zinnfigur 202, 290, 297f., 302, 314, 321f., 324, 502 Zunft 338, 395