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German Pages 322 Year 2015
Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn (Hg.) Prozesse des Alterns
Alter(n)skulturen Herausgegeben von Peter Angerer, Ute Bayen, Henriette Herwig, Andrea von Hülsen-Esch, Christoph Kann, Ulrich Rosar, Christian Schwens, Shingo Shimada, Stefanie Ritz-Timme und Jörg Vögele | Band 4
Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn (Hg.)
Prozesse des Alterns Konzepte – Narrative – Praktiken
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Inhalt Vorwort | 9 Danksagung | 13 Einleitung Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn | 15
K onzepte Chronologie und Biologie Zwei Formen des Alterns und ihre Implikationen Tobias Hainz | 29
Altern als Paradigma menschlicher Zeiterfahrung Claudia Bozzaro | 49
Die Prokrastination des Altseins Zur Verschiebung der Altersgrenze im Lebensverlauf Max Bolze und Sven Schwabe | 67
1 bis ∞ Zur Visualisierung von Lebenszeit in der Kunst am Beispiel Roman Opalkas Sabine Kampmann | 89
Spuren der Zeit Alterungsprozesse und ihre Körpermetaphorik in der Kunst Hanna Baro | 109
N arrative Alter(n)sbilder und -prozesse von der Antike über die Renaissance bis in die Gegenwart im ›Brennglas‹ von Theodosius Schoepffers Gerontologia seu Tractatus de jure senum (1705) Georg Rudinger | 135
›Aktives Alter(n)‹ in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft Ein Beitrag zur Wissensgeschichte der Gerontologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder ts Matthias Ruoss | 159
»Das Gesicht seiner Väter« Überlegungen zur Bedeutung von Zeitlichkeit in Por träts des 15. und 16. Jahrhunder ts Pia-Leonie Fox | 175
»Geschichtete Zeit« Alter(n)serzählungen des Realismus Marie Gunreben | 197
The Aging Individual in Cross-cultural Contexts Issues of Elder Care and Family in the Novels of Jonathan Franzen and Rohinton Mistry Elena Kletter, Meike Dackweiler | 219
P rak tiken » ...stülpe mir das Diadem auf die weißen Haare« Mode und (Ver-)Kleidungen alternder Frauen in Ingrid Nolls Roman Ladylike Thomas Küpper | 233
Alltagsmobilitäten im Alter Ein Dor f fähr t Bus. Cordula Endter | 249
Von Männerhaushalten und ›anderen neuen Moden‹ Er fahrungswelten des Alterns in Südasien zwischen Normier theit und Selbstgestaltung Roberta Mandoki und Annika Mayer | 273
Bestellt und hoffentlich abgeholt? Zur Problematik ländlicher (Im-)Mobilität und Daseinsvorsorge im Alter Cordula Endter & Nicolas Haverkamp | 295
Autorinnen und Autoren | 317
Vorwort
Das ›Alter‹ und das ›Altern‹ gewinnen aufgrund der demographischen Entwicklung eine große gesellschaftspolitische Bedeutung und zugleich eine steigende Aufmerksamkeit in den Wissenschaften. Allerdings wird das Alter(n) bislang meist aus biologisch-medizinischer oder aus demographischer wie sozialwissenschaftlicher Perspektive erforscht; es ist darüber hinaus aber auch eine kulturelle Tatsache. Geisteswissenschaftliche Alter(n)sforschung (z.B. in Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft) ist vergleichsweise jung und wird noch allzu wenig wahrgenommen, dem will der hier vorliegende Band gegensteuern. Als Objekt der Verhandlungen zwischen Wissensdiskursen erscheint Alter(n) als ein ebenso heterogenes wie problematisches Phänomen, das von Werturteilen und Weltanschauungen bestimmt wird. Alterskonzepte, d.h. Vorstellungen, Wertungen und ›Bilder‹ des Alter(n)s sind Deutungsmuster für elementare Bedürfnisse an der Schnittstelle von individuellem und kollektivem Leben und insofern von großer gesellschaftlicher Relevanz. Diese Konzepte müssen sowohl hinsichtlich der verschiedenen Formen des Wissens über das Alter(n) (mit tradierten bzw. sich neu ausbildenden Normierungen und Kodierungen) reflektiert als auch mit Blick auf gesellschaftlich geprägte Erfahrungen, Alterswahrnehmungen und Rollenerwartungen analysiert werden. Unter Gesichtspunkten einer globalisierten Welt zeigt sich Alter(n) als Objekt und Paradigma diskursiver Aushandlung zwischen unterschiedlichen Wissenskulturen der Wissenschaft und der Gesellschaft. Die Beschäftigung mit Konzeptionen vom Alter(n) als möglichem generischem Bestandteil des Bildes vom Menschen insgesamt sowie dessen Ausdruck in kulturellen Praktiken verspricht neue Erkenntnisse darüber, wo epochenspezifische und wo epochenübergreifende Denkmodelle zu
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Andrea von Hülsen-Esch, Gerhard Wolf
untersuchen sind, die sich in Kunstwerken, Filmen, unterschiedlichen Textgattungen und verschiedenen Diskursformen aktualisieren bzw. in der Medienkultur aufgenommen oder kreiert werden. Insbesondere in Texten und Filmen wird die Vielfalt narrativ generierter Alterskonzeptionen sichtbar. Insgesamt besteht ein ausgesprochenes Desiderat nach transdisziplinärer – natur-, medizin-, rechts- und kulturwissenschaftliche Diskurse zusammenführender – Forschung und deren Vermittlung in die Öffentlichkeit. Die Heinrich-Heine-Universität hat seit langem einen Schwerpunkt in der molekularen Alternsforschung. Das 2012 eingerichtete Graduiertenkolleg »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« erforscht das Alter(n) in einer dem Phänomen angemessenen interdisziplinären Vernetzung. Ziel ist es, Alter(n) als Ergebnis von Wissen und von kultureller Praxis zu untersuchen und Strategien für produktive Formen des Umgangs mit dem Alter(n) zu entwickeln. Durch Analyse und Reflexion historischer und aktueller Diskurse sollen Sinn und Kohärenz von Leben, Körper und Gesellschaft in der Lebensspanne bewusst und für die Praxis fruchtbar gemacht werden. Die Möglichkeit, ein Symposium am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut durchzuführen, war für die Doktoranden und Doktorandinnen des Graduiertenkollegs eine große Chance, ihre entwickelten Ansätze in einem internationalen Rahmen zur Diskussion zu stellen. Der vorliegende, zeitnah publizierte Band zeigt, dass diese Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Florenz und dem Graduiertenkolleg »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt und den Alter(n)sdiskurs in kulturwissenschaftlicher Perspektive vorangebracht hat. Das Interesse des Florentiner Instituts an der Alter(n)sforschung steht im Zusammenhang mit der Gründung des »Max Planck International Research Network on Aging« (MaxNetAging) 2004 von Paul B. Baltes am »Max Planck Institute for Human Development, Berlin« das seit 2007 von James W. Vaupel, Direktor des »Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock« geleitet wird. An diesem Netzwerk sind mehr als 20 MPIs sowie zahlreiche andere Forschungsinstitute im In- und Ausland beteiligt. Das Spektrum der Disziplinen umfasst politische Wissenschaften, Rechtswissenschaften, Soziologie, Anthropologie, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Kunstgeschichte, Wissenschaftsgeschichte,
Vor wor t
Demografie, Mathematik, Biologie, Medizin, Neurowissenschaften, Psychologie und Bildungswissenschaften. Zusätzlich wurde im Jahr 2007 die »MaxNetAging Research School« (MNARS) gegründet, mit der ein Stipendien- sowie Ausbildungsprogramm für Doktoranden und Doktorandinnen und auch Post-Doktorandinnen und -Doktoranden gestartet wurde. Stipendiatinnen und Stipendiaten des Netzwerkes verbringen die ersten sechs Monate am »Max-Planck-Institut für demografische Forschung« in Rostock, um in Grundlagen interdisziplinärer Altersforschung eingeführt zu werden. Danach realisieren sie ihre Forschungsprojekte an einem der beteiligten MPIs. Am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut waren dies seit Gründung der »MaxNetAging Research School« sechs Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Projekten, welche die Problematik ›Alter(n) in der Kunst‹ vom Spätmittelalter bis ins 21. Jahrhundert verfolgen. Dies schließt Fragen nach Altersbildern ebenso ein wie solche nach dem ›Altern‹ von Werken in ihrer Materialität. Die Graduiertentagung »Prozesse des Alter(n)s« des Düsseldorfer Graduiertenkollegs, die im März 2014 zu Gast am KHI in Florenz war, hat nicht nur alle ›Generationen‹ Florentiner MaxNet Aging-Stipendiaten und -Stipendiatinnen eingebunden, sondern über Fächer- und Sprachkulturen hinweg einen Dialog über eines der großen Problemfelder menschlicher Gesellschaften zwischen Geschichte und Zukunft eröffnet. Wie dieser Band zeigt, können die Geistes- und Sozialwissenschaften einen Beitrag zur Alter(n)sforschung insbesondere durch Untersuchung der Verschränkung von Altersbildern, gesellschaftlichen Praktiken und soziokulturellen Diskursen in weiter historischer Perspektive leisten. Andrea von Hülsen-Esch, Gerhard Wolf Düsseldorf und Florenz im Februar 2015
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Danksagung
Der vorliegende Sammelband »Prozesse des Alterns« beruht primär auf der gleichnamigen Graduiertentagung, welche im März 2014 am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut stattgefunden hat. Die Tagung war eine Kooperationsveranstaltung des Graduiertenkollegs »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – MaxPlanck-Institut. An der Organisation und Gestaltung der Tagung sowie an der Entstehung dieses Sammelbandes waren zahlreiche Menschen beteiligt, die mit ihren wertvollen Beiträgen und ihrem unermüdlichen Einsatz das Gelingen des Projekts ermöglicht haben. Unser herzlicher Dank gilt dabei zuallererst der stellvertretenden Sprecherin unseres Graduiertenkollegs, Prof. Dr. Andrea von HülsenEsch, die für die Idee einer gemeinsamen Tagung mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz verantwortlich war und durch ihre Initiative, ihre fruchtbaren Tipps und Hilfestellungen einen kaum zu überschätzenden Anteil an diesem Projekt trägt. Auf Seiten des Kunsthistorischen Instituts in Florenz bedanken wir uns sehr herzlich beim Direktor Prof. Dr. Gerhard Wolf, der uns als großzügiger Gastgeber in Florenz empfangen und durch seine fachliche und infrastrukturelle Unterstützung perfekte Rahmenbedingungen für die Tagung geschaffen hat. Gestaltet wurde die Tagung in erster Linie durch die Promovierenden des Düsseldorfer Graduiertenkollegs »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« sowie Hanna Baro und Pia-Leonie Fox vom Kunsthistorischen Institut in Florenz. Ohne das Engagement unserer Florentiner Kooperationspartnerinnen wäre »Prozesse des Alterns« nicht möglich gewesen, sodass ihnen ein besonderer Dank gebührt.
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Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe und Eva Styn
Getragen wurde »Prozesse des Alterns« zudem durch die akribische, umsichtige und tatkräftige Unterstützung von Christoph D. Winnefeld und Dr. Simone Brandes, die als Koordinator und Koordinatorin unseres Graduiertenkollegs sowohl die Tagung als auch die Arbeit am Sammelband begleitet haben. Ein besonderer Dank gebührt zudem Dr. Sabine Kampmann, die uns als Gastwissenschaftlerin im Graduiertenkolleg mit ihrer Erfahrung und Expertise jederzeit beratend zur Seite stand. Ohne die großzügige finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung durch das Graduiertenkolleg »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vertreten durch Prof. Shingo Shimada, und das Kunsthistorische Institut in Florenz – MaxPlanck-Institut wären der wissenschaftliche Austausch sowie die Drucklegung seiner Ergebnisse nicht möglich gewesen. Für die zahlreiche und vielfältige Unterstützung, die Gestaltungsfreiheit und das große Vertrauen, welches wir bei der Organisation der Tagung und der Herausgabe dieses Sammelbandes von den beteiligten Institutionen und Einzelpersonen erfahren haben, möchten wir uns ganz herzlich bedanken. Zu guter Letzt bedanken wir uns bei allen Autorinnen und Autoren für ihre Mitarbeit an diesem Band. Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe und Eva Styn Düsseldorf im Februar 2015
Einleitung Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn
Altern ist ein Prozess, der uns lebenslang begleitet, der mitunter sinnlich erfahrbar, aber doch nie in seiner Ganzheit zu fassen ist. Es passiert jeden Augenblick, für alle, überall. Suchen wir nach einer Minimaldefinition, um zu beschreiben, was beim ›Altern‹ abläuft, so sagen wir: Es ist Veränderung über die Zeit. Eine so kurze wie allgemeine Definition fordert zur weiteren Eingrenzung heraus, um den Begriff des ›Alterns‹ in Einklang mit allgemeinen Vorstellungen vom Altern und den in dieser Kategorie gesammelten Wissensbeständen zu bringen. Aus biogerontologischer Perspektive würde man beispielsweise lediglich irreversible Veränderungsprozesse als Altern bezeichnen, die zu einem kontinuierlichen Verlust der körperlich-funktionalen Kapazitäten führen (vgl. Finch/ Kirkwood 2000: 6-8). Wir wollen diese Eingrenzungen jedoch hinter uns lassen und das Altern für eine größere Bandbreite an Deutungen öffnen. Wenn Heranwachsende sich von ihrem Kinderspielzeug trennen mit dem Verweis, ›man sei dafür zu alt‹, so verdeutlicht dies, dass Altern bereits früh im Leben erfahren wird – auch wenn die in Hinsicht auf kollektive Vorstellungen und Deutungen vom Altern mächtige Biologie darauf aufmerksam machen würde, dass sich der Körper in dieser Lebensphase in einem Stadium der Entwicklung befinde und das Altern definierende Verschleißprozesse noch in weiter Ferne seien.1 Wenn wir im Titel nach Prozessen des Alterns fragen, was aufgrund der dem Verb ›altern‹ schon immanenten Dimension des Prozessualen zunächst tautologisch erscheinen mag, so wollen wir damit zweierlei aus1 | Zu konkreteren Ausführungen zum biologischen Altern und dessen Verhältnis zum chronologischen Altern siehe den Beitrag von Tobias Hainz in diesem Band.
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Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn
drücken: Zum einen verweist der Plural ›Prozesse‹ darauf, dass es nicht eine einzige, allgemeingültige Definition vom ›Altern‹ gibt, sondern verschiedene Formen der ›Veränderung über die Zeit‹ existieren, die als ›Altern‹ gedeutet werden können. Zum anderen liefert das Wort ›Prozesse‹ den nachdrücklichen Hinweis darauf, dass wir uns in diesem Band nicht mit der statischen Kategorie des Alters, sondern mit dem in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen weniger präsenten Altern beschäftigen: So finden sich gerade in der kultur- und geisteswissenschaftlichen Alter(n)sforschung eine Reihe äußerst aufschlussreicher Untersuchungen zu literarischen und bildlichen Inszenierungen, Topoi und Figurenmodellen des Alters sowie zu verschiedenen Altersstufen, während der Prozesscharakter des Alterns selbst seltener ausdrücklicher Gegenstand der Analysen ist.2 In seinem Fokus auf die Dynamiken vom ›Altern‹ sowie in seinem ›weiten‹ Verständnis des Begriffs versteht sich der vorliegende Band damit auch als Ergänzung zu den bislang vorliegenden einschlägigen Studien und Veröffentlichungen. Obwohl sich spätestens seit den 1980er Jahren der Diskurs um ›alternde Gesellschaften‹ öffentlich durchgesetzt hat, wird Altern vor allem in Beziehung zu Menschen gesetzt.3 Vollziehen wir den gegenwärtigen Blick der Wissenschaften auf das menschliche Altern nach, landen wir unmittelbar bei der Perspektive des ›Life Course‹ (vgl. z.B. Settersten 2011: 10f.). Das Schlagwort ›Life Course‹ erscheint dabei in der Gerontologie als interdisziplinäres Vernetzungsprojekt zur Erforschung des menschlichen Alterns und der menschlichen Entwicklung (vgl. Alwin 2012: 206). Durch die zunehmend multidisziplinäre Ausrichtung der Gerontologie und der damit verbundenen Verwischung klassischer Fächergrenzen verbergen sich mittlerweile verschiedene Definitionen und For2 | Auf Figuren, Bilder und Erzählweisen des Alters als Lebensphase konzentrieren sich beispielsweise eher Küpper 2004; Fangerau et al. 2007; die kulturwissenschaftlich ausgerichteten Beiträge in Häfner/Staudinger 2008; Elm et al. 2009; Seidler 2010 sowie Herwig 2014. Prozesse des Alterns diskutieren ausdrücklich z.B. die Beiträge von Hartung, Bake und Wiesmann in Hartung 2005 sowie Elm et al. 2012. 3 | Auch die Vorstellung einer ›alternden Gesellschaft‹ beruht letztlich nur auf dem (kalendarischen) Altern ihrer Mitglieder. Die Debatte über alternde Gesellschaften scheint aber durchaus eine Eigenlogik entwickelt zu haben, die unabhängig vom menschlichen Altern zu betrachten ist.
Einleitung
schungsprogramme hinter ›Life Course‹. Mindestens drei Perspektiven, die heute in der Analyse des ›Life Course‹ zusammenlaufen, lassen sich hierbei unterscheiden4: (1) Die ursprüngliche Bedeutung des (soziologischen) life course thematisiert die soziale Bedingtheit der Veränderung menschlichen Lebens (Kohli 2003; Mayer 1986). Altern erscheint hier als das Produkt gesellschaftlicher Normen, Rollen und Institutionen, die dem menschlichen Altern einen festen Rahmen geben. Das Ergebnis ist der standardisierte Lebens(ver)lauf, in dem verschiedene, mitunter gesetzlich geregelte Stationen von der Schule bis zur Rente markiert sind, die wiederum mit bestimmten ›altersgemäßen‹ Verhaltenserwartungen verknüpft werden. (2) Der Terminus life cycle repräsentiert die Veränderung des menschlichen Organismus, die mit der Befruchtung der Eizelle beginnt und mit dem Tod endet. Dabei wird die Entfaltung, Erhaltung und Verminderung biologischer Prozesse sowie der diese auslösenden Umweltfaktoren untersucht. Das Erreichen und der Verlust der sexuellen Reproduktionsfähigkeit dienen dabei traditionell als wichtige Indikatoren für den Übergang zwischen Entwicklungs- und Abbauprozessen (vgl. Alwin 2012: 210). (3) Hinter life span verbirgt sich die Idee der Lebensspannenpsychologie, menschliches Altern als multidirektionalen und multidimensionalen Entwicklungsprozess zu verstehen (vgl. ebd.: 209f.). Dieser ist sowohl durch ontogenetische und intrinsische Faktoren als auch durch soziale und kulturelle Kontextfaktoren geprägt, die kumulativ auf den individuellen Alternsverlauf wirken. Dieser Ansatz betont, dass bis in die späte Lebensphase nicht nur Entwicklungsverluste, sondern auch beispielsweise sozio-emotionale Entwicklungsgewinne möglich seien. Eine solche Perspektive der Zugewinne bietet gleichzeitig vor allem der gerontologischen bzw. gerontopsychologischen Alternsforschung die Möglichkeit, der Wirkmacht der Verfallsperspektive des Alterns entgegenzusteuern (vgl. z.B. Kruse 2010).5 4 | Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Aufsatz von Durane Alwin, der eine fünfteilige Differenzierung des Life Course aufbauend auf der klassischen Dreiteilung einführt (vgl. Alwin 2012). An dieser Stelle werden zugunsten einer größeren Klarheit der dahinter stehenden Befunde die drei klassischen Kategorien herausgegriffen. 5 | Mit der Trennung von Entwicklungsgewinnen und -verlusten schafft sich die Gerontologie das Problem, einen Maßstab der alternsbedingten Veränderungen
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Gekreuzt wird die lebenszeitliche Perspektive des ›Life Course‹ schließlich durch die historische Zeit, wobei berücksichtigt wird, dass Ereignisse des ›Life Course‹ stets in einem gesellschaftlichen Kontext stattfinden, der selbst wiederum einem soziokulturellen Wandel unterliegt (vgl. Alwin 2012: 214). Alwin sieht im ›Life Course‹ einen »›catch all‹ term« (ebd.: 207), mit dem die Integration und die Synthese verschiedener lebenszeitlicher Perspektiven erreicht werden soll. Mit dem Konzept des ›Life Course‹ gelingt es der Gerontologie, den Verlauf menschlichen Alterns in ein komplexes Geflecht körperlicher, ökologischer, kognitiver, sozialer und sozialhistorischer Ereignisse und Faktoren zu zerlegen, deren Korrelationen und Kausalitäten eine multidisziplinär agierende Gerontologie aufzudecken sucht. In der Forschungspraxis wird die Komplexität des ›Life Course‹ auf immer kleinere Teilzusammenhänge heruntergebrochen, zu denen auf Basis bereits bestehender Erkenntnisse Hypothesen formuliert und überprüft werden. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse wird durch die Einigung auf standardisierte Verfahren erreicht, in welchen den Ereignissen bestimmte Messwerte zugeordnet und mittels statistischer Berechnungen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Als Indikatorenlieferanten für Ereignisse und Faktoren dienen neben disziplinspezifischen Erhebungen beispielsweise groß angelegte, von interdisziplinären Forschungsgruppen ausgearbeitete Datenerhebungen wie der Deutsche Alterssurvey (DEAS) auf nationaler oder der Survey of Health and Retirement in Europe (SHARE) auf internationaler Ebene (vgl. Motel-Klingebiel et al. 2009; Börsch-Supan et al. 2008). Sie ermöglichen es unter anderem, körperliche Faktoren mit Lebensstilmerkmalen, sozioökonomischen Variablen und psychisch-kognitiven Faktoren in Verbindung zu setzen. Die Verlaufsdynamiken werden dabei über Wiederholungsbefragungen abgebildet. Mit seinem Versprechen, disziplinäre Scheuklappen abzulegen, und der Verständigung auf ›objektivierte‹ Verfahren suggeriert das Konzept ›Life Course‹, das menschliche Altern schrittweise ›entschlüsseln‹ zu schaffen zu müssen, der normativ auf die gesellschaftliche Praxis zurückwirkt. Des Weiteren lenkt der Begriff der ›Entwicklung‹ die Aufmerksamkeit lediglich auf jene Veränderungen, die sich in beschreibbare und kausal verknüpfte Abschnitte unterteilen lassen (zum Problem des ›developmentalism‹ vgl. Thornton 2005), was vermeintlich diffuse Veränderungsprozesse von der Deutung ausschließt.
Einleitung
können. Die Ergebnisse der Life-Course-Forschung erwecken auf diese Weise oft den Eindruck, etwas über das ›Altern an sich‹ erfahren zu können: Erkenntnisse, die es ermöglichen, in den Alternsprozess einzugreifen und Folgen des Alterns wie die Entwicklung von Krankheiten oder unliebsamer Verhaltensweisen zu verhindern.6 Aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Perspektive, die in der deutschsprachigen Gerontologie zu oft noch eine marginale Rolle spielt, lässt sich hier jedoch eine ganz spezifische positivistische Konstruktion des Alterns erkennen, aus diskursanalytischer Perspektive ließe sich sagen: eine bestimmte ›Sprechweise‹ über das Altern (vgl. Göckenjan 2000: 16). Geistes- und kulturwissenschaftliche Zugänge können einer allzu starken Essentialisierung und Homogenisierung entgegenwirken, indem sie den Blick auf Konzepte, Narrative und Praktiken des Alterns lenken, die etwas anderes sind als probabilistische Hypothesen über den Zusammenhang von Ereignissen und Faktoren. Aus Sicht dieses Bandes sind Prozesse des Alterns vor allem kulturell erzeugte Denkschemata, historisch bedingte Narrative, die immer neu erzählt werden, sowie Handlungsskripte, die angeeignet und umgeschrieben werden. Die Beiträge dieses Bandes gehen deshalb den vielschichtigen und heterogenen Dimensionen des Alterns nach und machen deutlich, dass es nicht nur erkenntnisfördernd sein kann, die vermessende Perspektive auf das Altern um eine deutende Perspektive zu ergänzen, sondern geradezu notwendig, um die prozesshafte Komplexität des Alterns zu verstehen. Das Ziel von »Prozesse des Alterns« ist eine Sammlung unterschiedlicher Perspektiven auf das Altern, die aus aktuellen Forschungsprojekten und -ideen entstanden sind und sich den drei Bereichen Konzepte – Narrative – Praktiken zuordnen lassen. Dabei treten die Beiträge selbst in einen Dialog über das Altern, in dem gemeinsame thematische Perspektiven und methodische Zugänge ebenso aufscheinen wie interdisziplinäre Diskussionsimpulse. Diese gegenseitige Bezugnahme spiegelt sich in der Anordnung der Beiträge, die nach inhaltlichen und methodischen Gemeinsamkeiten (unabhängig von ihrer disziplinären Verortung) in drei Sektionen gruppiert wurden.
6 | Es gehört zum erklärten Selbstverständnis der Gerontologie, sich nicht nur mit der Beschreibung und Erklärung von Aspekten des Alters und Alterns zu beschäftigen sondern auch mit deren ›Modifikation‹ (vgl. Baltes/Baltes 1992: 9).
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Die Beiträge des ersten Kapitels gehen unter der Überschrift Konzepte der Frage nach, wie sich Prozesse des Alterns aus unterschiedlichen Fachrichtungen konzeptualisieren lassen. Den Auftakt übernimmt die Philosophie, die nach Ordnung und Abgrenzung der verschiedenen Begriffe des Alterns fragt. In seinem Beitrag zur Chronologie und Biologie untersucht Tobias Hainz die Verwendung von Alternsbegriffen in der Anti-Aging-Debatte. Er zeigt auf, wie ihr unbedachter Gebrauch zu Missverständnissen und trivialen Feststellungen und dadurch zur Gefährdung des Erkenntnisgewinns führt. Um Abhilfe zu schaffen, grenzt er den chronologischen Alternsbegriff definitorisch vom biologischen Altern ab und deutet dadurch an, welchen positiven Beitrag die Anti-Aging-Medizin zum ›erfolgreichen Altern‹ leisten kann. Auch Claudia Bozzaro nähert sich dem Prozess des Älterwerdens mit einer philosophischen Fragestellung, konzentriert sich aber im Gegensatz zu Hainz auf die Innenperspektive der Zeiterfahrung. Vor dem Hintergrund einer Phänomenologie des Alters leuchtet sie aus, wie sich das Erleben des Leibes und der Zeit in der dritten Lebensphase verändert und die Menschen mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden. Damit sensibilisiert Bozarro für die Chancen, die das »Bewusstsein der eigenen Endlichkeit« bereits in jüngeren Jahren eröffnet, statt wie mehrheitlich die Beschäftigung mit dem eigenen Sterben auf einen späten Zeitpunkt innerhalb des Lebensverlaufs zu verschieben. Die subjektive Bedeutung des Älterwerdens ist zudem in hohem Maße von gesellschaftlichen Altersbildern abhängig, die zugeschrieben und verinnerlicht werden. Max Bolze und Sven Schwabe geben in ihrem Beitrag einen soziologischen Einblick in den soziokulturellen Umgang von Menschen mit der Kategorie Alter. Vor dem Hintergrund aktueller Studien zum Altsein stellen sie dar, inwiefern das Alter als identitätsrelevante Kategorie taugt und wovon es neben dem kalendarischen Alter außerdem abhängt, ob sich Menschen als alt bezeichnen. Dass sich der Prozess des Alterns aber auch in ganz anderen Ordnungen von Zeitlichkeit ausdrücken lässt, zeigt die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Sabine Kampmann am Beispiel eines Werkes von Roman Opalka. Der Künstler visualisiert in seinem Lebenswerk Opalka 1965/1– ∞ das Vergehen von Zeit, indem er in chronologischer Abfolge Zahlen auf Leinwände malt und diesen Prozess zugleich fotografisch und akustisch dokumentiert. Das Ergebnis dieser lebenslangen Arbeit ist ein neues Zeit-System, welches parallel zu den bekannten Zeiteinheiten Sekunden,
Einleitung
Minuten, Stunden etc. existiert und das Altern als einen kontinuierlichen Veränderungsprozess präsentiert und materialisiert. Nicht nur das vom Menschen geschaffene Werk kann die Zeichen des Alterns visualisieren, die Substanz des Kunstwerkes selbst lässt sich ebenso als Manifestation vergehender Zeit bewerten. Das Prozesshafte der Materie wirft Fragen auf: Inwiefern sind Wandlungs- und Änderungsprozesse, denen Materialien – und folglich auch Kunst- und Bauwerke – unterliegen, Alterungsprozesse? Wie können sie sichtbar gemacht, gar konserviert werden? An Beispielen des 20. und 21. Jahrhunderts untersucht Hanna Baro das ›Altern‹ von Kunstwerken und zeigt, wie es in Analogie zu Begriffen menschlichen Alterns beschrieben wird. Die Beiträge der zweiten Sektion beschäftigen sich mit der Narrativierung von Alterungsprozessen: Wie wird Altern – in Kultur- und Wissenschaftsgeschichte ebenso wie in gegenwärtigen Texten, Bildern und Diskursen – erzählt, welche Verlust- und Erfolgsgeschichten des Älterwerdens existieren? Den Anfang macht Georg Rudinger. Ausgehend von dem 1705 erschienenen Traktat Gerontologia seu Tractatus de jure senum von Theodosius Schoepffer, der den Begriff der ›Gerontologie‹ erstmals im heutigen Sinne verwendet, verfolgt Rudinger gegensätzliche Deutungen des Älterwerdens von der Antike bis in die Gegenwart: So wird das Altern in der abendländisch-europäischen Kulturgeschichte einerseits als Verfalls- und Degenerationsprozess beschrieben, andererseits aber auch als Prozess des Reifens, der Ansammlung von Wissen, Erfahrung und Kompetenzen. Dieses Reservoir an positiven Erzählungen über das Altern kann – so Rudinger – dazu dienen, den heutigen, häufig defizitären Blick auf das Alter zu korrigieren und seine Potentiale und Ressourcen stärker in den Fokus zu rücken. Um Potentiale und Ressourcen des Alterns geht es auch in dem Beitrag von Matthias Ruoss, allerdings aus einer kritischen Perspektive: Ruoss zeigt, dass das heute viel beschworene Bild des ›aktiven Alters‹ ein gerontologisches Konstrukt ist, das von bestimmten gesellschaftlichen, insbesondere ökonomischen Interessen getragen wird: So verfolgt das Aktivierungsparadigma das Ziel, die durch den Ruhestand ›brachgelegten‹ Humanressourcen der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft wieder zuzuführen. Diese Entwicklung nimmt jedoch, so Ruoss‹ These, ihren Ausgang nicht erst in den 1980er und 1990er Jahren (wie in der gegenwärtigen soziologischen Alter(n)sforschung angenommen), sondern ist älter:
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Das Narrativ des ›aktiven Alters‹ ist das Produkt einer Neuverhandlung der nachberuflichen Lebensphase, die mit dem Ausbau der Alterssicherungssysteme in der Nachkriegszeit beginnt. Geschichten vom Altern erzählen nicht nur die historischen Wissenschaften, sondern auch Kunst und Literatur. Die drei folgenden Beiträge befassen sich mit künstlerischen und literarischen Alternserzählungen und spannen dabei einen Bogen vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Unter dem Titel Das Gesicht seiner Väter geht Pia-Leonie Fox der Frage nach, inwiefern das Porträt vom Altern erzählen kann. An Beispielen aus der Renaissance-Porträtkunst zeigt Fox, dass dem (doch eigentlich statischen) Porträt weitere Zeitebenen eingeschrieben sein können: Sei es über Elemente, die die genealogische Herkunft der Dargestellten illustrieren oder über Hinweise auf die künftige Position und den Herrschaftsanspruch der Porträtierten. Auf diese Weise kann Fox nachweisen, dass auch das Bild als ein narratives Medium zu verstehen ist, das Geschichten vom Vergehen der Zeit erzählt. Wie das Vergehen von Zeit in literarischen Texten inszeniert wird, ist Gegenstand des Beitrags von Marie Gunreben. Die Literatur des 19. Jahrhunderts etabliert, so ihre These, eine Trias aus Altern, Erinnern und Erzählen, die bis heute wirkmächtig ist. Sowohl Adalbert Stifters Nachsommer als auch Wilhelm Raabes Altershausen zeigen den alten Menschen als Erinnerungsinstanz: Der Alterungsprozess erscheint dann als ›erfolgreich‹, wenn er aus der Retrospektive narrativ nachvollzogen werden kann. Vor diesem Hintergrund wirft Gunreben einen Blick auf gegenwärtige Alterstexte, in denen die Geschichten von der Vergangenheit und vom Älterwerden nur noch selten von alten Figuren selbst erzählt werden: Ist das Alter als Erzähl- und Erinnerungsinstanz unzuverlässig geworden? Wie die Organisation von Altenpflege in unterschiedlichen kulturellen Kontexten erzählt wird, analysieren Meike Dackweiler und Elena Kletter anhand von zwei Gegenwartstexten: dem US-amerikanischen Roman The Corrections von Jonathan Franzen und dem indischen Roman Family Matters von Rohinton Mistry. Sie stellen dar, wie über den Umgang mit hochbetagten Familienangehörigen Probleme der Moderne sichtbar werden. Dabei arbeiten sie heraus, wie die stereotypen Degenerationsprozesse des hohen Alters als Metaphern für den Verfall der ethischen und moralischen Standards der jeweiligen Gesellschaften thematisiert werden und welche kulturellen Unterschiede dabei durchscheinen.
Einleitung
Die dritte Sektion des Bandes thematisiert die Praktiken des Alterns und damit sowohl die subjektiven Aushandlungen als auch die gesellschaftlichen Verhandlungen des Alterns. Dabei eint die Beiträge der Blick auf die individuellen Alltagshandlungen, in denen Altern im Anschluss an Klaus R. Schroeters »doing age« (Schroeter 2008) erst gemacht wird. Gleichzeitig öffnen die Beiträge den Blick auf die Heterogenität des Alterns: Inwieweit gelingt es den alternden Akteurinnen und Akteuren, sich in alltäglichen Handlungen ihres eigenen Alterns zu ermächtigen, offizielle Diskurse umzuschreiben oder eigensinnige Alternspraktiken zu entwickeln? Thomas Küpper geht in seinem Beitrag der Frage nach, inwiefern Kleidung und Mode als ein Diskursraum verstanden werden können, in dem den alternden Akteurinnen und Akteuren bestimmte Praktiken des sich altersangemessenen Kleidens vermittelt werden. Sich in einer bestimmten alterskonformen Mode zu kleiden, wird damit selbst zu einer Praxis, die Altern nicht nur äußerlich markiert, sondern durch die Auswahl von Farben, Schnitten und Materialien geradezu produziert. Küpper arbeitet am Beispiel von Ingrid Nolls Roman Ladylike heraus, wie die Protagonistinnen in ihren Praktiken des (Ver-)Kleidens den offiziellen Alters-Modediskurs verhandeln und dabei eine ihnen eigene alternde Körperlichkeit produzieren, die zwischen Anpassung und Eigensinn oszilliert. Auf eine ganz andere Form der Aneignung des Alterns wirft Cordula Endter einen Blick, indem sie ethnographischen Mobilitätspraktiken älterer Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Räume nachgeht. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Akteurinnen und Akteure vor Ort eigensinnige Praktiken und Strategien entwickeln, um unter den Bedingungen infrastrukturellen Abbaus und kommunaler Selbstverantwortung gesellschaftliche Teilhabe aufrecht zu erhalten. Anhand einer dichten Beschreibung des Bürgerbusfahrens zeigt die Autorin, wie subjektive Bedürfnisse, kollektive Interessen und strukturelle Maßnahmen unter dem Einfluss des Demographie-Diskurses politisiert werden. Eigensinn spielt auch in dem Beitrag von Roberta Mandoki und Annika Mayer eine zentrale Rolle. Indem die Autorinnen verschiedene Erfahrungsräume des Alterns in Nepal und Indien empirisch aufschließen, gelingt es ihnen, Alltagspraktiken älterer Akteurinnen und Akteure vor Ort im Spannungsverhältnis von sozialer Norm und individuellem Bedürfnis aufzuzeigen. Dabei verdeutlicht der Beitrag von Mandoki und Mayer, wie die Praktiken des Alterns trotz ihrer kulturellen Heterogenität stets auch Produkt der Verhandlung gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellun-
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Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn
gen zum einen und dem individuellen Ausdruck von Selbstbestimmtheit und Selbstgestaltung zum anderen sind. Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von Cordula Endter und Nicolas Haverkamp. Sie greifen noch einmal das Thema ländlicher Mobilität auf und stellen die Frage nach der infrastrukturellen Versorgung ländlicher Räume und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner im Zusammenhang mit politischen Strategien der Daseinsvorsorge. Dabei zeigen die Autorin und der Autor aus einer interdisziplinären Perspektive (Psychologie und Kulturanthropologie), wie sich das Mobilitätsverhalten älterer Menschen unter dem Einfluss demographisch bedingter Strukturveränderungen wandelt und geben Aufschluss über neue Mobilitätspraktiken, welche der politischen Demographisierung ländlicher Räume entgegenwirken. Die Beiträge zeigen in ihren sehr unterschiedlichen Zugriffen auf den Gegenstand, dass es keine allgemeingültige Definition von ›Altern‹ geben kann: Prozesse des Alterns, die wir beobachten und beschreiben können, denen wir jedoch zugleich jeweils als Subjekte ausgesetzt sind, erweisen sich als ein komplexes Konglomerat aus biologischen Tatsachen, gesellschaftlichen Zuschreibungen, kulturellen Metaphern und Narrativen und nicht zuletzt widerständigen, eigensinnigen Praktiken, die sich schlichtweg nicht auf den einen Begriff vom ›Altern‹ bringen lassen. »Prozesse des Alterns« ist ein multidisziplinäres Projekt des Graduiertenkollegs »Altern als kulturelle Konzeption und Praxis« der Universität Düsseldorf. Die in diesem Band versammelten Beiträge sind größtenteils aus Vorträgen der gleichnamigen Tagung hervorgegangen, die im März 2014 in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut stattgefunden hat.
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Einleitung
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Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn
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Konzepte
Chronologie und Biologie Zwei Formen des Alterns und ihre Implikationen Tobias Hainz
Seit einigen Jahren findet sich in der politischen Debattenlandschaft ein Fokus auf Verbindungen zwischen Altern auf der einen Seite und Aktivität, Produktivität, Erfolg und Engagement auf der anderen Seite. Begriffe, die in diesem Zusammenhang häufig genannt werden, sind ›aktives‹ oder auch ›erfolgreiches Altern‹. So wurde etwa das Jahr 2012 von der Europäischen Union zum »European Year of Active Ageing and Solidarity between Generations« (Europäisches Parlament 2012) erklärt. Die Intention dieses Vorhabens ist es unter anderem, ältere Menschen in die Lage zu versetzen, sich in die Gesellschaft einzubringen, etwa durch die Schaffung altersgerechter Infrastrukturen, und sie zu zivilgesellschaftlichem Engagement zu ermutigen. Vergleichbar mit diesem Vorhaben sind Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu »Gesundheit im Alter« (BMBF 2006) und zu »Alt werden – bei guter Gesundheit« (BMBF o.J.), in deren Rahmen der Zusammenhang zwischen Alter und Gesundheit deskriptiv erforscht, aber auch gestärkt werden soll. Zuletzt ist noch ein Schwerpunkt der privaten Körber-Stiftung namens »Alter neu erfinden« (Körber-Stiftung o.J.) zu nennen, in dessen Rahmen ältere Menschen zu bürgerschaftlicher Mitgestaltung des öffentlichen Lebens ermutigt und die ›Potenziale des Alters‹ entfaltet werden sollen. In der Wissenschaft wurde das Paradigma des erfolgreichen Alterns bereits ausführlich analysiert und diskutiert, ohne dass jedoch ein Konsens darüber erzielt worden ist, nach welchen Kriterien beurteilt werden sollte, ob ein Mensch erfolgreich altert oder nicht.1 Aktives Altern – sofern man es von erfolgreichem Altern unterscheiden möchte – ist ebenfalls 1 | Siehe die Überblicksarbeit von Tavel 2008.
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Tobias Hainz
Gegenstand der Wissenschaft, etwa in der Psychologie (vgl. FernándezBallesteros 2008). Eine wichtige Einsicht der Gerontologie, ohne die eine Debatte über erfolgreiches oder aktives Altern nicht möglich wäre, besagt, dass das Altern nicht nur ein durch Defizite geprägter Prozess, sondern vielschichtiger ist (vgl. Levenson/Aldwin 1994: 47). Potenziale des Alters waren der Gegenstand des Fünften Altenberichts (vgl. BMFSFJ 2005): Dies ist sowohl ein Indiz für die politische Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, als auch für die Möglichkeit, nicht nur die Schattenseiten des Alters, sondern auch seine positiven Seiten zu erforschen. Ein Thema, das deutlich weniger politische Aufmerksamkeit genießt, ist die Anti-Aging-Medizin, speziell mit dem Ziel einer radikalen Lebensverlängerung, also einer Verlängerung der maximalen Lebensspanne des Menschen bei möglichst guter Gesundheit.2 Befürworter dieser Form von Lebensverlängerung erhoffen sich von ihr eine effektive Bekämpfung nicht nur altersbedingter Krankheiten wie Demenz oder bestimmter Krebserkrankungen, sondern des Alterns selbst, so dass Menschen länger in der Lage sein könnten, ihr Leben weitgehend ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu führen. Zwar existieren zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine biotechnischen Interventionen mit derartigen Effekten – Hoffnungen werden etwa in die Nanomedizin (vgl. Freitas Jr. 2009) oder das Studium von genetischen Modifikationen bei bestimmten Modellorganismen (vgl. Gems 2009) gesetzt –, jedoch wäre ihr Einfluss auf das individuelle Wohlergehen von Menschen, aber auch auf gesellschaftliche Strukturen beträchtlich. Selbst wenn eine tatsächliche radikale Lebensverlängerung durch solche Interventionen nicht erreicht werden kann, ist doch die Möglichkeit denkbar, dass ihre Erforschung Mittel zur Bekämpfung bestimmter altersbedingter Krankheiten abwirft und sich auf diese Weise Fortschritte in der AntiAging-Medizin erzielen lassen. Die Themenkomplexe von aktivem oder erfolgreichem Altern auf der einen und der Anti-Aging-Medizin und radikaler Lebensverlängerung auf der anderen Seite sind mehrfach miteinander verknüpft. Diese Verknüpfungen aufzuzeigen und ihre praktische Relevanz darzulegen, ist ein Ziel dieses Beitrags. Um zu diesem Ziel zu gelangen, muss jedoch zunächst ein Etappenziel erreicht werden, das darin besteht, zwischen 2 | Für eine umfassende ethische Untersuchung radikaler Lebensverlängerung, siehe Hainz 2014a. Lesenswerte Aufsätze zum selben Thema finden sich in Knell/ Weber 2009a.
Chronologie und Biologie
zwei grundlegenden Formen des Alterns trennscharf zu unterscheiden: zwischen chronologischem und biologischem Altern. In beiden Debatten wird nämlich mit Begriffen des Alterns operiert, die in manchen Fällen als chronologische und in manch anderen Fällen als biologische Alternsbegriffe aufgefasst werden können, ohne dass jedoch mit der gebotenen Ausdrücklichkeit zwischen ihnen unterschieden würde. Eine solche Unterscheidung ist jedoch notwendig, um Missverständnisse, aber auch allzu triviale Feststellungen zu vermeiden und stattdessen zu einem Erkenntnisfortschritt zu gelangen. Dieser Beitrag geht daher folgendermaßen vor: Zunächst werden ein chronologischer und ein biologischer Alternsbegriff formuliert, die theoretisch akzeptabel, empirisch fundiert und praktisch anwendbar erscheinen. Außerdem soll aufgezeigt werden, welche Verbindungen zwischen chronologischem und biologischem Altern bestehen, aber auch nicht bestehen. Im Anschluss daran soll gezeigt werden, weshalb eine Unterscheidung zwischen beiden Formen des Alterns für die beiden bereits grob umrissenen Debatten relevant ist und welche Implikationen sie bereithält.
C hronologisches und biologisches A ltern Im Verlauf ihres Lebens erfahren Menschen eine Vielzahl körperlicher Veränderungen.3 Zwar sind diese Veränderungen von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich (vgl. Baltes/Baltes 1994: 14ff.), so dass allzu generalisierende Aussagen mit äußerster Vorsicht zu genießen sind. Allerdings lassen sich diese Veränderungen in der folgenden Weise charakteri3 | Die folgenden Ausführungen legen sich nicht auf eine These bezüglich der Identität eines Menschen mit seinem eigenen Körper fest. Es ist möglich, einen Menschen mit seinem Körper zu identifizieren, also zu behaupten, dass Mensch und Körper ein- und dasselbe sind. Ebenso ist es möglich, diese Beziehung zu leugnen und stattdessen zu behaupten, dass der Mensch mehr ist als der bloße Körper. Eine umfassende Diskussion dieses Themas, die seiner Komplexität gerecht würde, ist im Rahmen dieses Beitrags nicht sinnvoll. Formulierungen wie ›Der Mensch altert‹ (und vergleichbare) können daher je nach Präferenz des Lesers als ›Der Mensch altert‹ (Identitätsbeziehung) oder als ›Der Körper des Menschen altert‹ gelesen werden.
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sieren, ohne dass dies allzu bemerkenswerten Widerspruch hervorrufen dürfte: Zunächst wächst der Mensch heran, durchläuft die Phase der Pubertät bis zur Geschlechtsreife, erreicht irgendwann nach der Geschlechtsreife den Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit, die nach und nach wieder abnimmt, bis am Ende dieser Entwicklung der Tod steht. Gerade die Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit kann mehr oder weniger drastisch verlaufen, so dass manche Menschen auch nach einer Anhäufung von etlichen Jahrzehnten schierer Lebenszeit noch als sehr leistungsfähig gelten können – im Vergleich mit den meisten Menschen im selben Alter –, andere Menschen aber deutlich früher der Pflege bedürfen und über eine beträchtliche Zeitspanne stark abhängig von der Zuwendung von Angehörigen oder Pflegekräften sind. Francis Fukuyama unterscheidet zwischen zwei Kategorien (vgl. Fukuyama 2002: 68): In die erste Kategorie fallen Menschen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters mehr oder weniger gesund und glücklich leben können, sofern man ihnen die bisweilen notwendigen, vor allem medizinischen, Ressourcen zur Verfügung stellt. In die zweite Kategorie fallen Menschen, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters in einen Zustand der Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit verfallen. Es ist also nicht der Fall, dass diesen Menschen keine derartigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, obwohl dies möglich wäre, sondern diese Ressourcen existieren schlichtweg nicht. Einen hypothetischen starken Anstieg der Zahl von Menschen in der zweiten Kategorie bezeichnet Fukuyama als das »national nursing home scenario« (Fukuyama 2002: 69). Jene Fälle, in denen ein Mensch nach vielen Jahren körperlicher und geistiger Aktivität – also nach langer Zeit in der ersten Kategorie – eines trotz ihres hohen Alters plötzlichen Todes sterben, werden oft als bedauerlich erachtet, während in jenen Fällen einer langen Pflegebedürftigkeit – also einer langen Zeit in der zweiten Kategorie – der Tod gerne als Erlösung angesehen wird. Obwohl diese Beschreibung als eingängig und im Großen und Ganzen als realitätsgetreu erachtet werden kann, birgt sie das Risiko einer begrifflichen Vereinfachung, denn sie unterscheidet nicht sauber zwischen dem chronologischen und dem biologischen Altern eines Menschen. Beschreibt man etwa das Heranwachsen eines Menschen bis zur Pubertät, so bezieht man sich auf einen biologischen Prozess. Verwendet man hingegen Ausdrücke wie das ›Anhäufen von Lebenszeit‹ oder das ›Alter eines Menschen‹, so verweist man auf einen chronologischen Prozess. Als erste Annäherung an eine genauere begriffliche Analyse lässt sich Folgendes
Chronologie und Biologie
feststellen: Ein Mensch altert chronologisch, wenn er Lebenszeit ansammelt, was üblicherweise durch die Angabe eines Lebensalters ausgedrückt wird. Feiert man etwa den 30. Geburtstag eines Menschen, so feiert man, dass dieser Mensch dieses Lebensalter erreicht hat oder chronologisch gealtert ist. Zwar erscheint es befremdlich, die chronologische Alterung eines Menschen zu feiern, nüchtern betrachtet geschieht jedoch genau dies zu solchen Anlässen, wie auch durch die Angabe von Lebensaltern auf Glückwunschkarten oder Tortenverzierungen ausgedrückt wird. Zudem erschiene es schlichtweg absurd, das biologische Altern eines Menschen – also die Alternative – zu feiern, denn der biologische Alterungsprozess ist nichts anderes als die körperlichen Veränderungen, wie sie im vorigen Absatz beschrieben wurden. Während das Heranwachsen eines Menschen noch ein glücklicher Anlass für seine Angehörigen und Freunde sein mag, wäre die Feier eines 90. Geburtstags als Ausdruck der Freude über das biologische Altern des Jubilars blanker Zynismus. Denn damit würde nichts anderes gefeiert als der körperliche Verfall, den der Jubilar im vergangenen Jahr erfahren hat und der in manchen Fällen beträchtlich sein kann, in anderen Fällen weniger drastisch sein mag, aber immer noch nicht als Grund für eine Feier angemessen erscheint. Schon diese Alltagsbeobachtungen legen nahe, dass zwischen chronologischem und biologischem Altern ein Unterschied besteht, der sich, wie sich zeigen wird, begrifflich klar benennen lässt. Ob es für derartige Beschreibungen alltäglicher Phänomene notwendig ist, sich dieses Unterschieds gewahr zu sein, sei dahingestellt. Themen wie aktives und erfolgreiches Altern oder radikale Lebensverlängerung bzw. Anti-AgingMedizin sind jedoch mit chronologischem und biologischem Altern verknüpft und von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Spätestens in diesen Kontexten ist deshalb anzuraten, beide Formen des Alterns voneinander zu unterscheiden und insbesondere im Falle von normativen Aussagen oder Handlungsempfehlungen zu benennen, auf welche Form des Alterns man sich bezieht. Chronologisches Altern soll im Folgenden so verstanden werden: Ein Mensch altert genau dann chronologisch, wenn er, vom Zeitpunkt der Geburt an gemessen, ›Existenzzeit‹ ansammelt. Dieses Verständnis von chronologischem Altern ist mehrfach erläuterungsbedürftig. Erstens wird chronologisches Altern hier als Prozess verstanden, der von Menschen erfahren wird, allerdings gibt es andere Wesen oder Dinge, die ebenfalls chronologisch altern. So sammeln etwa
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einzellige Lebewesen, die sich durch Teilung vermehren, Lebenszeit an und altern demnach chronologisch. Jedoch könnte es vernünftig sein, das chronologische Alter eines Einzellers anders zu bestimmen als das chronologische Alter eines Menschen. Der Grund dafür ist, dass der Einzeller nicht in dem Sinne geboren wird wie der Mensch und deshalb der Beginn der Messung anders festgelegt werden sollte. Sogar Dinge – im Gegensatz zu Lebewesen – altern chronologisch, wie sich anschaulich an der Angabe des Baujahrs bei Fahrzeugen nachvollziehen lässt. Ein Fahrzeug wird aber nicht geboren, sondern konstruiert, also muss auch hier der Beginn der Messung anders festgelegt werden. Zudem ist es im Falle von Fahrzeugen nicht nur unnötig, Lebenszeit als Existenzzeit aufzufassen – dazu gleich mehr –, sondern unsinnig, überhaupt von ›Lebenszeit‹ zu sprechen, da ein Fahrzeug in keinem akzeptablen Sinne lebendig ist. Zweitens wird als Beginn der Messung der Zeitpunkt der Geburt festgelegt. Hierfür sprechen im Wesentlichen zwei Gründe: Zunächst entspricht diese Festlegung der gängigen Praxis, dass das chronologische Alter eines Menschen vom Zeitpunkt seiner Geburt an angegeben wird. Die Erklärung schließt sich also der Konvention an und steht in keinem Widerspruch zu ihr, weil mit ihr kein revisionistischer Anspruch erhoben wird, sondern sie später auf bestimmte gesellschaftlich relevante Phänomene angewandt werden soll. Des Weiteren ist es pragmatisch sinnvoll, den Zeitpunkt der Geburt als Beginn der Messung zu begreifen, weil dadurch das allzu komplexe metaphysische Problem des tatsächlichen Beginns der Menschwerdung umgangen wird. Dieses Problem scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt ungelöst zu sein – sofern es sich überhaupt lösen lässt –, und es lassen sich Lösungsvorschläge finden, die jedoch nicht universell akzeptiert werden. Ein Vorschlag lautet, dass ein Mensch zum Zeitpunkt der abgeschlossenen Verschmelzung von Ei und Samenzelle zu existieren beginnt (das »zygotische Prinzip«, siehe Williams 1990). Allerdings ignoriert dieser Vorschlag den Prozess der Mehrlingsbildung, der noch in den ersten beiden Wochen nach der Verschmelzung einsetzen kann. Wenn aber etwa ein Zwilling entsteht, kann dieser Vorschlag nicht klären, ab wann dieser zu existieren beginnt. Auch die ad-hoc-Lösung, den Beginn der Menschwerdung mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, ab dem eine Mehrlingsbildung nicht mehr möglich ist, erscheint unbefriedigend, da es sich erstens um einen Vorschlag zu handeln scheint, der nur dazu dient, das zuvor beschriebene Problem zu vermeiden, und da er zweitens nicht erklärt, in welcher Beziehung der entstandene Mensch
Chronologie und Biologie
zu der Entität steht, die zwischen der Verschmelzung von Ei und Samenzelle und dem Zeitpunkt der Menschwerdung existierte. Ein dritter und letzter Vorschlag sieht vor, den Beginn der Menschenwerdung zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem das individuelle Genom die Steuerung der Entwicklung des entstandenen Individuums übernimmt, was typischerweise im Vier- bis Achtzellstadium der Fall ist (vgl. Quante 2002: 69). Auch diese Konzeption könnte jedoch Schwierigkeiten haben, den Fall der Mehrlingsbildung adäquat zu erklären. Außerdem darf zumindest die kritische Nachfrage gestellt werden, weshalb erst das Einsetzen eines Prozesses (die Steuerung der Entwicklung) hinreichend dafür ist, dass ein Objekt (der Mensch) existiert. In anderen Kontexten würde ein solches Kriterium vermutlich skeptisch betrachtet oder zurückgewiesen werden, etwa wenn behauptet würde, ein Herz würde erst durch sein eigenes Schlagen zu einem Herzen. Zu betonen ist, dass die hier vertretene Position, den Beginn des chronologischen Alterns eines Menschen mit seiner Geburt zu identifizieren, keine Position bezüglich des metaphysischen Problems des Beginns der Menschwerdung ist. Es wird also nicht behauptet, die Existenz eines Menschen beginne mit der Geburt, sondern nur, dass er zu diesem Zeitpunkt beginnt, chronologisch zu altern. Drittens verwendet die Erklärung den ungebräuchlichen Ausdruck einer ›Existenzzeit‹. Im Normalfall lebt ein Mensch über die gesamte Dauer seiner Existenz hinweg; das bedeutet, dass bestimmte biologische Prozesse ablaufen, die als der Prozess des Lebens zusammengefasst werden. Sobald dieser Prozess zum Erliegen kommt, ist die Lebenszeit dieses Menschen abgelaufen und somit auch seine Existenzzeit. Man mag sich darüber streiten, ob ein Leichnam noch derselbe Mensch ist, der zuvor einmal existierte. Dies erscheint jedoch unplausibel, da dem Leichnam wesentliche Eigenschaften fehlen, die der Mensch einst besaß, etwa Selbstbewusstsein, Interaktionsfähigkeit oder Empfindungsfähigkeit. Vielmehr handelt es sich um einen Leichnam, der nach wie vor viele menschliche Eigenschaften besitzt, etwa eine menschliche Anatomie und ein menschliches Genom. Allerdings handelt es sich um keinen Menschen in demselben Sinne, wie es sich bei einem lebendigen Menschen um einen Menschen handelt. Die Lebenszeit eines Menschen ist also in den allermeisten Fällen mit seiner Existenzzeit identisch. Dennoch gibt es einen Grund, weshalb die obige Erklärung exklusiv von der ›Existenzzeit‹ eines Menschen spricht, und nicht von der ›Lebenszeit‹, was der gebräuchliche Ausdruck wäre: Indem dieser Beitrag die Möglichkeit einer
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radikalen Lebensverlängerung diskutiert, verpflichtet er sich darauf, neuartige und hypothetische zukünftige Technologien ernst zu nehmen und in den diskutierten Kontext einzubetten. Eine neuartige Technologie mit unmittelbarer Relevanz für die Unterscheidung zwischen Lebens- und Existenzzeit ist die Kryonik.4 Darunter versteht man das ›Einfrieren‹ von nach gängigen Todeskriterien toten Menschen – unter Beigabe von Substanzen, welche die Zellen vor Frostschäden schützen sollen – mit dem Ziel, sie zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft wieder aufzutauen, sobald man den Grund für ihren Tod und die angerichteten Schäden beseitigen kann. Kryonik wird bereits an einigen Orten praktiziert, obgleich völlig unklar ist, ob sie jemals zum Erfolg führen wird. Nimmt man die theoretischen Grundlagen der Kryonik jedoch ernst, so sind die eingefrorenen Menschen nicht etwa tot, sondern lediglich vom Tode bedroht. Der Grund für diese Annahme ist, dass der Kryonik keines der gängigen Todeskriterien zugrunde liegt, sondern das so genannte ›informationstheoretische Todeskriterium‹, demzufolge ein Mensch genau dann tot ist, wenn die für seine Existenz notwendige Information – Erinnerungen, Wünsche, Einstellungen etc., typischerweise gespeichert in seinem Gehirn – unwiederbringlich verloren ist (vgl. Merkle 1994: 27). Für den Kontext dieses Beitrags bedeutet dies, dass die Lebenszeit dieser Menschen im kryopräservierten Zustand angehalten wurde, da bei diesen Temperaturen sämtliche biologischen Prozesse zum Erliegen kommen, ihre Existenzzeit jedoch fortschreitet. Ein Mensch, der mit 80 Jahren in den kryopräservierten Zustand versetzt wurde und nach 50 Jahren wieder aufgetaut wird, besäße also ein chronologisches Alter von 130, nicht etwa von 80 Jahren und einem Tag. Dies erscheint auch deshalb sinnvoll, weil auf diese Weise Unstimmigkeiten mit dem Lebensalter dieses Menschen und der offiziellen Zeitrechnung vermieden würden. Lebens- und Existenzzeit eines Menschen sind also in den allermeisten Fällen deckungsgleich, allerdings legt die Kryonik nahe, dass es zumindest theoretisch möglich ist, sie zu entkoppeln. Begrifflich müssen Lebens- und Existenzzeit voneinander unterschieden werden, und chronologisches Altern beruht auf Existenz-, nicht auf Lebenszeit. Diese Erläuterungen sollten nicht nur hinreichend für ein besseres Verständnis des hier gebrauchten Begriffs von ›chronologischem Altern‹ 4 | Eine weitergehende Diskussion der Kryonik aus philosophischer Perspektive findet sich in Hainz (2014b).
Chronologie und Biologie
sein, sondern auch zu seiner Verteidigung dienen. Chronologisches Altern als ein Ansammeln von Existenzzeit ab dem Zeitpunkt der Geburt zu verstehen, steht im Einklang mit der konventionellen Berechnung des Alters eines Menschen, vermeidet die Auseinandersetzung mit komplexen metaphysischen Problemen, die zu umgehen zumindest im Kontext dieses Beitrags berechtigt erscheint, und berücksichtigt sowohl die gängige Unterscheidung zwischen Menschen und menschlichen Leichnamen als auch am Horizont sichtbare technologische Entwicklungen wie die Kryonik und ihre theoretischen Grundlagen. Biologisches Altern soll im Folgenden so verstanden werden: Ein Mensch altert genau dann biologisch, wenn er ein fortschreitendes und intrinsisches Nachlassen der meisten oder aller Körperfunktionen erfährt. Diese Auffassung von biologischem Altern lehnt sich stark an den funktionalistischen Alterungsbegriff von Steven N. Austad an (vgl. Austad 1997: 6), enthält jedoch mit dem Verweis auf die Intrinsizität eine Komponente eines Alterungsbegriffs, der von Robert Arking vertreten wird und ebenfalls funktionalistischer Natur ist (vgl. Arking 2006: 11). Wie auch das zuvor diskutierte Verständnis von chronologischem Altern ist diese Auffassung von biologischem Altern erläuterungsbedürftig. Erstens ist von ›fortschreitendem Nachlassen‹ die Rede, da das biologische Altern von anderen, bloß temporären und reversiblen Prozessen unterschieden werden muss. Auch Krankheiten zeichnen sich unter anderem durch ein Nachlassen von Körperfunktionen aus, wobei dieses Nachlassen nicht irreversibel fortschreitet, sondern sich zurückbildet, sobald die Krankheit überstanden ist. Der biologische Alternsprozess ist derzeit jedoch irreversibel und lässt sich allenfalls durch eine gesunde Lebensweise und die Einnahme von Medikamenten gegen alterungsbedingte Krankheiten in seiner Wirkung eindämmen. Das Nachlassen ist zudem intrinsisch, da es nicht von körperexternen Faktoren verursacht wird. Zwar ist möglich, dass Umwelteinflüsse sich verstärkend oder abschwächend auf das Nachlassen auswirken, allerdings würde es so oder so irgendwann eintreten, ob diese Umwelteinflüsse existieren oder nicht. Die Intrinsizität des biologischen Alterns ist also ein weiterer Unterschied zu bestimmten, durch Umwelteinflüsse verursachten Krankheiten, etwa zu jenen, die durch Viren oder Bakterien ausgelöst werden. Zweitens ist zu betonen, dass nicht jeder Mensch von einem Nachlassen sämtlicher Körperfunktionen betroffen ist, da manche Menschen auch im hohen Alter eine anscheinend unverminderte kognitive
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Leistungsfähigkeit aufweisen. Auch diese Menschen erfahren aber das Nachlassen anderer Körperfunktionen, etwa in Bezug auf Agilität, physische Stärke oder Sexualtrieb. Um die Vielgestaltigkeit des biologischen Alternsprozesses zu berücksichtigen, ist deshalb die Rede von einem fortschreitenden Nachlassen ›der meisten oder aller‹ Körperfunktionen. Drittens sollte zumindest kurz erläutert werden, was in diesem Kontext unter einer ›Funktion‹ zu verstehen ist, da dieser Begriff in der Alltagssprache gebräuchlich ist, in der Philosophie und insbesondere in der Philosophie der Biologie jedoch in einem sehr speziellen Sinne verwendet wird. Ein prominenter Funktionsbegriff wird von Christopher Boorse vertreten, demzufolge eine Funktion nichts anderes ist als ein kausaler Beitrag zu einem Ziel (vgl. Boorse 1976: 82). Diese Darstellung vereinfacht die von Boorse vorgenommene Analyse zwar ein wenig, verkürzt sie jedoch nicht unzulässig. Um ein Beispiel für die Anwendbarkeit dieses Funktionsbegriffs zu geben: Wenn ein Mensch das Ziel hat, zu überleben, so ist die Funktion seines Herzens, den Blutfluss und somit die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff zu gewährleisten, damit das Ziel dieses Menschen erfüllt werden kann. Somit leistet das Herz einen kausalen Beitrag zum Ziel dieses Menschen. Im Falle des biologischen Alterns findet also das fortschreitende Nachlassen von Körperfunktionen statt, die nichts anderes als kausale Beiträge zu den Zielen jener Menschen sind, die vom biologischen Altern betroffen sind. Dabei muss das eigene Überleben nicht als einziges Ziel gelten, sondern es sind auch andere Ziele denkbar, wie etwa die Erfüllung bestimmter Wünsche. Dennoch beeinflusst das biologische Altern auch die Erreichbarkeit solcher Ziele vielfach negativ, etwa wenn zum Erreichen dieser Ziele ein bestimmtes Maß an körperlicher Vitalität oder kognitiver Leistungsfähigkeit erforderlich ist. Ein Vorteil der hier vertretenen Auffassung von biologischem Altern ist also, dass sie mit der Lebenswirklichkeit von Menschen kompatibel ist, die diesem Prozess unterworfen sind. Zwar ist es durchaus möglich und eine wirksame Strategie gegen negative Auswirkungen des biologischen Alterns auf das eigene Wohlergehen, sich absichtlich Ziele zu setzen, die trotz dieser Auswirkungen noch erreicht werden können. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass bestimmte Ziele nicht mehr oder nur unter großen Mühen erreicht werden können, die zu einem früheren Zeitpunkt noch leichter zu erreichen waren. Es sollte nun klar sein, dass chronologisches und biologisches Altern zwei unterschiedliche Prozesse sind, doch in welcher Beziehung stehen
Chronologie und Biologie
sie zueinander? Von dem Zeitpunkt ihrer Geburt an altern Menschen chronologisch, und dieser Prozess findet erst mit ihrem Tod ein Ende. Doch sie altern erst dann auch biologisch, wenn das beschriebene Nachlassen von Körperfunktionen einsetzt. Der Zeitpunkt, zu dem dieses Nachlassen einsetzt, ist jedoch nicht mit dem Zeitpunkt ihrer Geburt identisch, sondern liegt irgendwo jenseits der Geschlechtsreife, also dort, wo der Höhepunkt der körperlichen Leistungsfähigkeit liegt. Erst ab diesem Zeitpunkt altern Menschen auch biologisch, weshalb man feststellen kann, dass chronologisches und biologisches Altern nicht nur nicht identisch miteinander sind, sondern noch nicht einmal über die gesamte Spanne eines Menschenlebens parallel zueinander ablaufen. Dennoch sind wir es gewohnt, chronologisches und biologisches Altern als über weite Strecken parallel zueinander ablaufende Prozesse zu begreifen, und das aus einem nachvollziehbaren Grund: Da die meisten Menschen – zumindest in Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften westlicher Prägung mit einer entsprechend hohen Lebenserwartung – einen prozentual größeren Anteil ihres Lebens als biologisch alternde Menschen verbringen, wird die Parallelität von chronologischem und biologischem Altern als Normalität anerkannt. Eine interessante Frage lautet: Ist diese Parallelität von chronologischem und biologischem Altern ab dem Höhepunkt der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit notwendig oder könnte es auch anders sein bzw. hätte es anders sein können? Stellt man sich die Leistungsfähigkeit eines Menschen als Kurve in einem zweidimensionalen Koordinatensystem vor, wobei die Werte der y-Achse die Leistungsfähigkeit und die Werte der x-Achse das Lebensalter anzeigen, wird hier also gefragt, ob die Kurve nach ihrem globalen Maximum in Richtung der x-Achse abfallen muss oder ob sie nach dem Erreichen ihres globalen Maximums auch parallel zur x-Achse verlaufen könnte, zumindest für eine gewisse Zeit. Wäre letzteres der Fall, würde dies bedeuten, dass chronologisches und biologisches Altern noch mehr voneinander entkoppelt werden könnten. Wie Sebastian Knell und Marcel Weber ausführlich darlegen, ist zweierlei der Fall (Knell/Weber 2009b: 97-104): Erstens sind die Beziehungen zwischen bestimmten biologischen Ursachen auf der einen und bestimmten biologischen Wirkungen auf der anderen Seite Notwendigkeitsbeziehungen. Wenn die Ursache eintritt, so tritt mit biologischer Notwendigkeit auch die Wirkung ein. Das bedeutet, dass sobald Wesen existieren, in denen – wie im Falle von Menschen – bestimmte Prozes-
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se ablaufen, die wir als Mechanismen des biologischen Alterns kennen, dann werden diese Prozesse – die Ursachen – notwendigerweise auch biologisches Altern – die Wirkung – hervorrufen. Diese Notwendigkeitsbeziehungen können daher auch als »biologische Gesetze« (Knell/ Weber 2009b: 102) bezeichnet werden. Zweitens gilt jedoch auch, dass Interventionen denkbar sind, mittels derer die Ursachen beeinflusst werden können oder auf gänzlich andere Notwendigkeitsbeziehungen eingewirkt werden kann. Solche Interventionen könnten etwa dazu dienen, die Ursachen direkt zu unterdrücken, so dass die Wirkung nicht eintritt, oder ihren Einfluss zu neutralisieren, indem eine Ursache in einer anderen Notwendigkeitsbeziehung wirksam und somit ein neutralisierender Effekt erzeugt wird. Hierfür muss angenommen werden, dass derartige Interventionen beim Menschen effektiv sind. Jedoch gibt es einen guten Grund für diese Annahme: Das Studium von Modellorganismen hat bereits gezeigt, dass in ihren Fällen solche Interventionen möglich sind und einen messbaren Effekt haben. Viele dieser Mechanismen, in die mittels dieser Interventionen eingegriffen wurde, sind auch beim Menschen vorhanden (vgl. Knell/Weber 2009a: 92ff.), weshalb eine Übertragbarkeit mindestens denkbar ist, auch wenn sie bis jetzt noch nicht technisch realisiert werden konnte. Es lässt sich also festhalten, dass eine weitergehende Entkopplung von chronologischem und biologischem Altern derzeit jenseits der technischen Möglichkeiten des Menschen liegt. Biologisch unmöglich ist sie jedoch nicht, weshalb auch ihre technische Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden sollte. Chronologisches und biologisches Altern erscheinen uns also aus zwei Gründen als stark aneinander gekoppelt: Zunächst verlaufen sie, wie bereits erwähnt, über weite Phasen eines Menschenlebens parallel zueinander. Darüber hinaus kennen wir keine technischen Möglichkeiten, ihre derzeitige Beziehung zueinander effektiv zu beeinflussen. Gerade dieser Grund erscheint jedoch fragwürdig, weil er auf einem Fall von technischer Kontingenz beruht. Der Zustand, dass wir die Beziehung von chronologischem und biologischem Altern nicht effektiv beeinflussen können, muss nicht so bleiben, wie er derzeit ist, sondern könnte auch durch einen Zustand ersetzt werden, in dem wir in stärkerem Maße Einfluss auf diese Beziehung nehmen können. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass chronologisches und biologisches Altern a) nicht miteinander identisch sind, b) derzeit über weite Phasen eines Menschenlebens parallel zueinander verlaufen
Chronologie und Biologie
und c) ihre Kopplung aneinander zumindest prinzipiell beeinflussbar ist, da es kein biologisches Gesetz zu geben scheint, das eine derartige Einflussname ausschließt.
G utes A ltern und r adik ale L ebensverl ängerung Bereits zu Beginn dieses Beitrags wurde aufgezeigt, dass in der politischen und auch wissenschaftlichen Debattenlandschaft auf vielfältige Weise auf gute Arten des Alterns Bezug genommen wird: Man mag versucht sein, aktives und erfolgreiches Altern gleichzusetzen und eine Entfaltung der Potenziale des Alters dann als gegeben anzusehen, wenn Menschen aktiv oder erfolgreich gealtert sind. Eine solche Gleichsetzung würde jedoch möglicherweise die Intentionen der Benutzer der jeweiligen Begriffe missdeuten und sollte deshalb vermieden werden, zumal gerade der Begriff des ›erfolgreichen Alterns‹ in der Wissenschaft ausführlich diskutiert wurde und mit verschiedenen Konnotationen versehen ist. Alle diese Begriffe scheinen jedoch zu implizieren, dass Menschen mehr oder weniger gut altern können, auch wenn je nach Verwendung dieser Begriffe unterschiedliche Kriterien angemessen sein mögen, um die Güte eines spezifischen Alterungsprozesses zu beurteilen. Da das Ziel dieses Beitrags nicht darin besteht, einen Katalog von Merkmalen aktiven und erfolgreichen Alterns zu formulieren, um zwischen diesen Formen des Alterns zu unterscheiden und mögliche Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, sollen sie unter dem Oberbegriff des ›guten Alterns‹ zusammengefasst werden. Von ›Potenzialen des Alters‹ ist dann sinnvollerweise die Rede, wenn bestimmte positive Eigenschaften, die mit dem Alter assoziiert werden, prinzipiell aber auch durch andere Faktoren (wie etwa besonders intensive Beschäftigung mit einem Gegenstandsbereich) beeinflusst werden können, damit bezeichnet werden. Dazu gehören beispielsweise eine gewisse Lebenserfahrung und Routine in Situationen, mit denen jüngere Menschen möglicherweise überfordert wären, oder Expertise auf einem Fachgebiet, die erst mit der Akkumulation von Lebensjahren erworben werden können. Wie Paul B. und Margret M. Baltes darlegen, ist es unplausibel, ein einzelnes Kriterium für das Vorliegen von gutem Altern zu benennen; stattdessen sollte mit einem Kriterienkatalog operiert werden, der objektive und ebenso subjektive Elemente wie die schiere Lebenslänge, körper-
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liche Gesundheit, persönliche Autonomie und Zufriedenheit enthält (vgl. Baltes/Baltes 1994: 24ff.). Dieser Sichtweise soll sich hier angeschlossen werden, nicht zuletzt weil sie kompatibel mit pluralistischen Theorien des Wohlergehens ist (siehe etwa Heathwood 2010), denen zufolge positive Empfindungen oder erfüllte Wünsche ebenso wertvoll sind wie der Besitz objektiv wertvoller Güter. Ein Mensch altert also umso besser, im Sinne einer solchen Vorstellung von gutem Altern, in je höherem Maße er diese und mögliche weitere Kriterien erfüllt, also je länger er bei guter Gesundheit lebt, je zufriedener er mit seinem eigenen Leben ist und je autonomer, also unabhängiger von der Pflege und Unterstützung durch andere Menschen er ist etc. Die Entfaltung von Potenzialen des Alters ist abhängig davon, wie gut ein Mensch altert, und zwar dergestalt, dass gutes Altern zwar notwendig, aber nicht allein hinreichend für eine solche Entfaltung über ein bestimmtes Maß hinaus ist. Ein Mensch, der nicht gut altert, sich womöglich mit schlechter Gesundheit oder andauernder Unzufriedenheit plagt, wird es schwerer haben, altersbedingtes Potenzial zu entfalten, als ein Mensch, der vergleichsweise besser altert. Dennoch muss auch letzterem Menschen überdies die Möglichkeit dazu gegeben werden, sein altersbedingtes Potenzial zu entfalten, so dass die Entfaltung von Potenzialen des Alters abhängig ist von individuellen wie auch von gesellschaftlichen Faktoren. Eine erste Implikation der strengen Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Altern für die Vorstellung von gutem Altern und von Potenzialen des Alters ist die folgende: Mit ›gutem Altern‹ kann sowohl auf chronologisches wie auch auf biologisches Altern Bezug genommen werden, aber eine Bezugnahme auf chronologisches Altern erscheint deutlich sinnvoller als eine Bezugnahme auf biologisches Altern, und zwar aus folgenden Gründen: Chronologisches Altern, also die Ansammlung von Existenzzeit, kann bei besserer oder schlechterer Gesundheit, mehr oder weniger Lebenszufriedenheit und größerer oder geringerer Unabhängigkeit von anderen Menschen ablaufen. Das bedeutet, dass ein Mensch mehr oder weniger gut chronologisch altern kann, nämlich in Abhängigkeit davon, inwieweit er die genannten und mögliche weitere Kriterien für gutes Altern erfüllt. Die Vorstellung hingegen, dass ein Mensch überhaupt gut biologisch altern kann, erscheint weniger plausibel, da biologisches Altern einen biologischen Verfallsprozess darstellt, der aus Sicht des Individuums immer schlecht ist, da er hinderlich für die Erreichung der Ziele des Individuums ist. Zwar kann dieser Pro-
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zess mehr oder weniger drastisch ablaufen, wofür auch bestimmte medizinische Interventionen oder eine gesunde Lebensweise verantwortlich sein können, aber gutes biologisches Altern im strengen Sinne kann es aufgrund der Bedeutung der in der Explikation von ›biologisches Altern‹ enthaltenen Begriffe nicht geben. Eine zweite, davon abgeleitete Implikation ist, dass politische Forderungen oder Empfehlungen, gutes Altern zu fördern, entweder unerfüllbar sind, sofern sie sich auf biologisches Altern beziehen, oder nicht einer gewissen Trivialität entbehren, sofern sie sich auf chronologisches Altern beziehen. Denn wenn es schon aus begrifflichen Gründen unmöglich ist, gut biologisch zu altern, können auch politisch initiierte Förderprogramme diesen Sachverhalt nicht ändern. Menschen zu ermöglichen, möglichst gut chronologisch zu altern, sie also während des Anhäufens von Existenzzeit beim Erfüllen der Kriterien für gutes Altern zu unterstützen, sollte jedoch das Ziel eines jeden Sozialstaates sein, dem etwas an einer altersunabhängig effektiven Gesundheitspolitik liegt. Insofern erscheint die Aufmerksamkeit, die gutes Altern derzeit erfährt, nicht unbedingt innovativ, sondern ist eher als eine Reaktion auf den demografischen Wandel und den steigenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung zu verstehen. Ein fiktives Szenario kann dazu dienen, diese Beobachtung zu unterstreichen: Man nehme an, durch einen nicht näher zu beschreibenden Prozess erfährt eine Gesellschaft eine demografische Umstrukturierung, in deren Folge der Anteil von Kindern drastisch steigt. Als Reaktion auf diesen Bevölkerungstrend wird vermehrt gefordert, ein ›gutes Heranwachsen‹ zu unterstützen. Biologisches Heranwachsen ist im Gegensatz zum biologischen Altern jedoch kein Verfallsprozess, sondern neutral oder positiv zu beurteilen, da es mit der Verbesserung von Körperfunktionen einhergeht. Daher wäre eine solche Forderung, sofern sie sich auf biologisches Heranwachsen bezöge, unsinnig, weil biologisches Heranwachsen schon aus begrifflichen Gründen ein guter Prozess ist. Bezöge sie sich jedoch auf chronologisches Heranwachsen, würde sie trivial erscheinen, da von einem Sozialstaat geradezu erwartet wird, dass er Kinder und Jugendliche dabei unterstützt, chronologisch gut heranzuwachsen. Auch in diesem Falle wäre die Forderung, ›gutes Heranwachsen‹ zu unterstützen, also nicht innovativ, sondern lediglich eine Reaktion auf einen demografischen Prozess. Damit soll nicht behauptet werden, die Förderung von gutem Altern sei unwichtig oder von geringer gesellschaftlicher Relevanz; jedoch soll in Frage gestellt wer-
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den, dass das gute Altern die Aufmerksamkeit, die es derzeit erfährt, auch wirklich verdient, da es letztlich unter die selbstverständliche und nicht weiter zu kommentierende Vorstellung von einem guten – als einem gesunden, langen und selbstbestimmten – Leben subsumiert werden kann. Eine dritte Implikation betrifft die Anti-Aging-Medizin, insbesondere die Vision der Möglichkeit, Menschenleben radikal zu verlängern. So lässt sich durch die Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Altern ein Missverständnis aufklären, mit dem sich Befürworter radikaler Lebensverlängerung gelegentlich konfrontiert sehen. Wer diesem Missverständnis zum Opfer fällt, behauptet, das Ziel radikaler Lebensverlängerung sei es, das Leben von bereits morbiden Menschen unablässig zu verlängern, obwohl diese Menschen sich kaum noch ihres Lebens erfreuen können. Dieses Szenario wird gelegentlich mit der Figur des Tithonos aus der griechischen Sagenwelt in Verbindung gesetzt, dem auf die bedauerlicherweise fehlerhaft formulierte Fürbitte seiner Geliebten Eos von Zeus das ewige Leben, nicht jedoch auch die ewige Jugend gewährt wurde (vgl. Juengst et al. 2003). Zum Ausdruck kommt dieses Missverständnis etwa in der Befürchtung, eine Bekämpfung des Alterns könnte zu genau diesem Szenario, nicht aber zu einer echten Beseitigung von Alterserscheinungen führen (vgl. Gruenberg 1977), aber auch in der bereits erwähnten Vorstellung von einem »national nursing home« (Fukuyama 2002: 69). Befürworter radikaler Lebensverlängerung treten jedoch für die Erforschung der Möglichkeit ein, chronologisches und biologisches Altern voneinander zu entkoppeln, also für eine Fortsetzung der Ansammlung von Existenzzeit bei einer gleichzeitigen Bekämpfung des Nachlassens von Körperfunktionen. Dem Missverständnis liegt hingegen die Vorstellung zugrunde, radikale Lebensverlängerung sei das Ignorieren biologischen Alterns bei gleichzeitiger Fortsetzung chronologischen Alterns ohne jedes Maß. Unterscheidet man trennscharf zwischen chronologischem und biologischem Altern, lässt sich dieses Missverständnis von vornherein vermeiden und das Anliegen der Befürworter radikaler Lebensverlängerung so formulieren, dass der Verdacht einer Befürwortung des ›Tithonos-Szenarios‹ gar nicht erst aufkommt. Zudem lässt sich auf diese Weise klar erkennen, dass radikale Lebensverlängerung eine zwar extreme, aber dennoch in der Anti-Aging-Medizin zu situierende Vision ist. Viertens und letztens impliziert die Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Altern, dass die Befürwortung von er-
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folgreichem Altern und einer Entfaltung der Potenziale des Alters sowie die Befürwortung von Anti-Aging-Medizin und radikaler Lebensverlängerung nicht miteinander konkurrieren, wie gelegentlich suggeriert wird (vgl. van Dyk/Graefe 2012: 73; Stuckelberger 2012: 254), sondern sich komplementär zueinander verhalten: Erfolgreiches Altern ist nur so lange möglich, wie die biologische Verfassung eines Menschen dies erlaubt, da manche Kriterien für erfolgreiches Altern auf diese Verfassung Bezug nehmen. Die Anti-Aging-Medizin zielt genau darauf ab, die biologische Verfassung von Menschen zu verbessern, indem in den biologischen Alterungsprozess interveniert wird. Wer erfolgreiches Altern befürwortet, täte also gut daran, auch die Anti-Aging-Medizin und radikale Lebensverlängerung zu befürworten, da diese notwendig sind, über einen bestimmten Punkt hinaus erfolgreich zu altern. Indem zwischen chronologischem und biologischem Altern unterschieden wird, zeigt sich demnach, dass Menschen nicht etwa erfolgreich altern – so sie es denn tun –, weil sie auf biotechnische Interventionen der Anti-Aging-Medizin verzichten (oder sie aus dem trivialen Grund nicht verwenden, weil sie noch nicht erfunden wurden), sondern weil sie schlichtweg noch nicht an dem Punkt angelangt sind, zu dem sie auf sie zurückgreifen müssen, um auch weiterhin erfolgreich zu altern.
F a zit Chronologisches und biologisches Altern sind voneinander verschiedene Prozesse, und beide sind Gegenstände zeitgenössischer Debatten, werden jedoch nicht immer explizit als solche benannt. Häufig ist nur von ›dem Altern‹ an sich die Rede, was zu Missverständnissen, trivialen oder gar unplausiblen Aussagen führen kann und deshalb einem Erkenntnisfortschritt im Wege steht. Zudem werden die Positionen von Befürwortern erfolgreichen Alterns und der Anti-Aging-Medizin gelegentlich gegeneinander ausgespielt, obwohl es kein Widerspruch ist, beide Positionen zugleich einzunehmen, da Befürworter der Anti-Aging-Medizin das erfolgreiche chronologische Altern von Menschen über eine längere Zeitspanne realisieren wollen, als dies bislang möglich ist, und da Befürworter erfolgreichen Alterns, die Anti-Aging-Medizin brauchen, um bestimmte Grenzen des konventionellen Umgangs mit dem biologischen Altern zu überwinden.
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Eine Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Altern ist daher nicht bloß ein Spiel mit Begriffen ohne praktische Relevanz, sondern kann einen wahrnehmbaren Einfluss auf aktuelle Debatten und ihre Konsequenzen haben. So wäre beispielsweise eine durchaus denkbare Frage, ob denn nun entweder nicht-medizinische Strategien zum Umgang mit dem biologischen Altern zur Beförderung erfolgreichen Alterns oder die Anti-Aging-Medizin Priorität – etwa in der Verteilung von Fördermitteln oder auch nur politischer Aufmerksamkeit – genießen sollten, falsch gestellt: Nicht-medizinische Strategien können bis zu einem gewissen Punkt – der von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist – zwar wirksam sein, aber über diesen Punkt hinaus versagen sie, da sie das Nachlassen von Körperfunktionen nicht mehr kompensieren können. Ab diesem Punkt muss die Anti-Aging-Medizin ihren Beitrag leisten, wenn der Prozess des erfolgreichen Alterns fortgesetzt werden soll. Die Entlarvung solcher und anderer Fragen oder Thesen als fehlerhaft kann durch die Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Altern erreicht werden, wodurch Debatten geordnet werden können und die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten positiver Konsequenzen erhöht werden kann.
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Altern als Paradigma menschlicher Zeiterfahrung Claudia Bozzaro
E inleitung »Wir finden die Zeit im Altern« (Améry 2005: 31), schreibt Jean Améry in seinem Buch Über das Altern. Diese Feststellung ist alles andere als selbstverständlich. Warum sollten wir gerade oder erst im Altern die Zeit finden? Leben wir nicht schon immer in der Zeit? Sind wir nicht selbst immer schon zeitliche Wesen? Wir haben ständig mit der Zeit zu tun: Wir nutzen, planen, messen, organisieren, verlieren Zeit. Wir sind biologischen sowie kalendarischen Zeitrhythmen unterworfen. Wir müssen unsere Zeit mit den Zeiten unserer Mitmenschen und mit gesellschaftlichen Zeitvorgaben in Einklang bringen. Aber vor allem sind wir selbst Zeit, nämlich in dem Sinne, dass die Grundstruktur unseres Lebens eine zeitliche ist, es ist abgesteckt durch den Zeitpunkt der Geburt und den des Todes. Zu leben bedeutet letztlich sich zu der Lebenszeit, die einem gegeben ist, zu verhalten – sei es, indem man sie aktiv für etwas nutzt, sei es, dass man sie passiv verstreichen lässt. Aus der Zeit können wir, zumindest solange wir leben, nicht aussteigen. Zwar kennen wir durchaus Erfahrungen der ›Zeitlosigkeit‹, in denen wir die Zeit geistig für einige Augenblicke transzendieren können, wie z.B. in der religiösen Kontemplation oder der ästhetischen Versunkenheit. Aber selbst wenn wir die Zeit manchmal vergessen können, tickt die Uhr dennoch weiter und wird uns genaue Angaben darüber machen, wie lange wir ›zeitlos‹ gewesen sind. Warum schreibt also Améry, dass wir erst im Altern die Zeit finden? Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem Altern und der Zeit? An dieser Stelle gilt es zunächst ein Zweifaches zu präzisieren:
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Erstens: Der Begriff der Zeit ist bei Weitem nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Bereits Augustinus hat in seinem berühmten Diktum darauf hingewiesen, dass wir alle zwar ein unmittelbares, intuitives Verständnis dessen haben, was die Zeit ist, aber sobald wir es jemandem erklären müssen, merken wir, dass wir die Zeit dennoch nicht gänzlich begreifen und erfassen können (vgl. Augustinus 2007: 279). Seit der Antike bis heute ist über das Rätsel der Zeit verschiedentlich nachgedacht worden und es gibt eine ganze Reihe an unterschiedlichen Zeitkonzeptionen. Wenn im Folgenden von Zeit gesprochen wird, dann ist damit die Zeitlichkeit des menschlichen Lebens gemeint. Es geht also um das individuelle Erleben und das Sich-Verhalten zur Zeitlichkeit der eigenen Existenz. Zweitens: Die Wörter ›Alter‹ und ›Altern‹ werden oft synonym verwendet, obgleich sie Unterschiedliches bezeichnen. Mit dem Wort ›Alter‹ bezeichnen wir entweder das biographische Alter – man ist 28 Jahre alt – oder die letzte Lebensphase eines Menschen. Diese Lebensphase hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgedehnt, so dass man heute unterschiedliche Altersphasen unterscheiden kann. Wenn im Folgenden vom Alter die Rede sein wird, so ist damit die letzte Altersphase gemeint. Mit dem substantivierten Verb ›Altern‹ bezeichnen wir dagegen den Alterungsprozess selbst: ein Prozess, dem wir aus biologischen Gründen unterworfen sind und den man in zeitlicher Perspektive als einen Prozess der Zunahme an Vergangenheit und der Minderung an Zukunft beschreiben kann. Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum Verhältnis von Altern und Zeit lautet, dass Améry Recht hat mit seiner Feststellung, dass uns das Altern – und zwar sowohl das Alter als auch das Altern – einen privilegierten Zugang zur Zeitlichkeit unseres Lebens eröffnen kann. Um dies zu zeigen, möchte ich folgendermaßen vorgehen: 1) In einem ersten Schritt werde ich darstellen, wie unser normales Verhältnis zur Zeit beschaffen ist und wann wir die Zeit erfahren. Dabei werde ich zeigen, dass unser alltägliches Zeiterleben derart konstituiert ist, dass wir die Zeit selbst gerade nicht erfahren. Sie ist meistens kein Gegenstand unserer bewussten Wahrnehmung, außer in Krisen-Situationen bzw. in Situationen, in denen unser Lebensvollzug ins Stocken gerät. 2) Vor dem Hintergrund einer Phänomenologie des Alters – hier geht es also um die letzte Lebensphase eines Menschen – möchte ich dann zeigen, wie sich das Erleben des Leibes und vor allem der Zeit im Alter verändert und weshalb dadurch die Zeit zum Vorschein kommt. Meine These besagt, dass wir im Alter die Zeit finden, weil sich im Alter die Konfronta-
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tion mit der Endlichkeit der eigenen Lebenszeit, die wir in früheren Jahre gerne vergessen, wenn nicht gar verdrängen können, in besonderer und unausweichlicher Weise aufzwingt. 3) Anschließend möchte ich zeigen, dass das Wahrnehmen des eigenen Alterns – das weit vor dem Eintritt in das Alter beginnt – ebenfalls einen besonderen Zugang zur Zeitlichkeit unserer Existenz erschließen kann, da es uns das unaufhaltsame und irreversible Vergehen unserer Lebenszeit vor Augen führt. 4) Ich möchte dann kurz auf einige Verdrängungsstrategien des Alterns und der Zeitlichkeit eingehen, bevor ich abschließend 5) einige Überlegungen zur Bedeutung von Altern und Zeit für die eigene Existenz formuliere.
1. D as E rleben der Z eit Die Schwierigkeit, Aussagen über die Zeit zu treffen, muss darauf zurückgeführt werden, dass sich unser Erleben der Zeit im Normalfall dadurch auszeichnet, dass wir die Zeit zwar nutzen – indem wir planen, Handlungen in einem bestimmten zeitlichen Rahmen ausführen, Verabredungen treffen usw. –, doch die Zeit als solche dabei gerade nicht wahrnehmen. Unser Leben vollzieht sich, indem wir uns von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft hinein erstrecken, ohne dass wir dabei den ständigen Wechsel von einer Zeitdimension zur nächsten und somit den Zeitfluss als solchen bewusst wahrnehmen (vgl. Husserl 1928). Mit der Zeit verhält es sich gewissermaßen wie mit unserem Leib. Wir können nur dank ihm existieren, wir hantieren ständig auf eine mehr oder weniger bewusste und intentionale leibliche Weise, doch der Leib als solcher tritt nur selten als eigenständiger Gegenstand in unsere Wahrnehmung (vgl. Merleau-Ponty 1966). Aus seiner Verborgenheit tritt er vornehmlich dann heraus, wenn er ›beschädigt‹, verletzt oder krank ist und wir ihn nicht mehr wie selbstverständlich für unsere Belange einsetzen können (vgl. Gadamer 2003). Ähnliches gilt auch für die Zeit. Es gibt Erfahrungen, in denen unser Lebensvollzug ins Stocken gerät, wodurch die Zeit zum Vorschein kommt und selbst zum Gegenstand des Erlebens wird. Ein extremes Beispiel dafür bietet das Zeiterleben von Menschen mit schweren Depressionen. Von depressiven Patienten wissen wir, dass sich in der Depression ihr Zeiterleben dahingehend verändert, dass sie die Zeit als eine materialisierte erleben, die sich ihnen – fast körperlich gefühlt – ›in den Weg‹ stellt und ihnen die Weiterführung ihres Lebens-
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vollzugs unmöglich macht. Einige Patienten beschreiben, dass sie sich als Gefangene der Gegenwart erleben oder dass sie sich von der Last der Vergangenheit, die sie nicht loslassen können, erdrückt fühlen. Diese Patienten haben keinen offenen Zukunftshorizont mehr vor sich, in dem sie ihre Pläne, Wünsche und Hoffnungen entwerfen können, mit dem Resultat, dass sie mehr oder weniger stark handlungs-, und in gewissem Sinne lebensunfähig werden. Dieses Beispiel macht deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Zeiterleben und der Fähigkeit, das eigene Leben zu vollziehen, besteht (vgl. Fuchs 2002: 35-61; Theunissen 1991: 37-88). Dieser Zusammenhang zeigt sich aber nicht nur im Bereich des Pathologischen, sondern auch in gewohnten Erfahrungen wie der der Langeweile. Wer sich langweilt, erlebt plötzlich die Zeit als Gegenstand seiner Wahrnehmung und zwar deshalb, weil der Sich-Langweilende auf nichts anderes fokussiert und für nichts anderes mehr empfänglich ist. Das hat zur Folge, dass die Zeit zum Vorschein kommt, und zwar als eine nicht mehr vergehende Zeit, die durch ihren Stillstand lästig bis unerträglich werden kann. In der Langeweile ist man da, aber gerade nicht in einer erfüllten und zufriedenen, sondern in einer leeren und unzufriedenen Weise. Ganz existentialistisch deutet der Philosoph Michael Theunissen das Erleben der Langeweile als Konfrontation mit der Tatsache, dass wir Menschen uns in der Welt nicht einfach vorfinden, sondern dass wir sie aktiv gestalten müssen, indem wir einen Lebensvollzug entwerfen und verfolgen, was nur dadurch möglich ist, dass wir die Zeit nutzen, sie verwandeln, indem wir sie mit Taten, Handlungen, Gedanken, Hoffnungen, Sinn füllen (vgl. Theunissen 1991: 304f.; dazu auch Bozzaro 2014: 85-87). Dieser Aufgabe können wir uns allem Anschein nach nie vollständig entledigen.
2. W ir finden die Z eit im A lter : E ndlichkeit Das Alter ist häufig dadurch gekennzeichnet, dass alle Dimensionen des menschlichen Lebens – die leibliche, die zeitliche, die kommunikativ-soziale usw. – eine leider meist negativ konnotierte Verschärfung erfahren. Es treten Störungen in Form von Verlusterfahrungen, Mangelzuständen und Leiderfahrungen auf, die den unbeschwerten Lebensvollzug durchkreuzen und dessen Selbstverständlichkeit in Frage stellen. Um diese Behauptung inhaltlich zu begründen, möchte ich im Folgenden eine
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Phänomenologie des Alters skizzieren, wobei ich mich primär auf die Darstellung der negativen Veränderungen konzentriere. Dafür werde ich mich auf philosophisch-literarische Beschreibungen des Alters beziehen, die von Autoren geschrieben wurden, die man grob in der Strömung des Existenzialismus verorten kann. Die folgenden Beschreibungen basieren daher nicht auf empirischen Befunden, sondern auf autobiographischen Berichten (Bobbio, Petrignani, de Beauvoir) oder auf Darstellungen, die durch Introspektion gewonnen wurden (Amery). Ich werde den Fokus auf die Veränderungen im Erleben der eigenen Leiblichkeit und Zeitlichkeit legen, da diese zwei grundlegende Dimensionen unseres Erlebens sind, die alle weiteren beeinflussen. Die folgende Darstellung zielt nicht darauf ab, ein vollständiges Bild des Alters oder der Befindlichkeit älterer Menschen zu schildern. Dies bedeutet, dass das drastische Bild, das zum Vorschein kommen wird, nicht für das Alter als Ganzes repräsentativ ist. Wenn im Folgenden von dem alternden Menschen oder von dem Alten die Rede sein wird, so sind dies Sinnbilder, die eine Seins- und Erlebnisweise im Alter in verdichteter Form darstellen, aber nicht im Einzelnen auf die persönliche Erfahrung älterer Menschen zutreffen sollen.
a) Die Entfremdung der eigenen Leiblichkeit Wie bereits angedeutet, nehmen wir in gesunden und jungen Tagen den eigenen Leib normalerweise kaum wahr. Der Leib ist zwar das Medium, durch das wir die Welt wahrnehmen und durch das wir in der Welt wirken, doch dabei ist er selbst meist nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung (vgl. Merleau-Ponty 1966). Es sind vor allem Erfahrungen wie die des Schmerzes, der Krankheit, des Unwohlseins oder eben des Alters, die unsere Aufmerksamkeit auf den Leib lenken und ihn aus seiner Verborgenheit heraustreten lassen (vgl. Gadamer 2003). Die eigene Leibwahrnehmung erfährt dann, in den Worten Amérys, einen irreversiblen »Materialisierungs- und Substanzialisierungsprozess« (Améry 2005: 64). Améry beschreibt diese Erfahrung sehr plastisch am Beispiel einer fiktiven Figur, die er als Naturfreund und leidenschaftlichen Bergsteiger charakterisiert. Der Bergsteiger fühlt sich nun im Alter gerade in der Natur und den Bergen nicht mehr wohl, denn seine physische Verfassung hat sich dahingehend verändert, dass er nun bei jedem Schritt, den er in dem Versuch geht, den Berg noch einmal zu erklimmen, seine schmerzenden Gelenke, seinen kürzer werdenden Atem, sein pochendes Herz
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wahrnimmt. Die Natur ist nicht mehr ein Ort der Ruhe und Entspannung, sie wird im Gegenteil zur Feindin, die ihm seinen körperlichen Verfall vor Augen führt und ihm ständig Möglichkeiten aufzeigt, die er nicht mehr zu ergreifen vermag (vgl. ebd.: 60). Um der Frustration, die aus dem ständigen Verweis auf den eigenen Verfallsprozess entsteht, zu entgehen, zieht sich Amérys Bergsteiger zurück. Er zieht sich »dorthin zurück, wo die Herausforderung durch eine zu seiner Verneinung gewordene Welt ihn nicht mehr zu jeder Stunde demütigt: in sein Zimmer« (ebd.: 61). Die Welt ist nicht mehr der Ort, in den hinein der alternde Mensch sich vermöge seines Leibes entwirft, sondern der Ort, an dem er erfährt, dass sein Leib nicht mehr in der Lage ist, ihm die Welt zu vermitteln. Der steife, unbewegliche, schlaffe Körper des Alten erfüllt nicht mehr seine Funktion als Medium, er besitzt nicht mehr die Flexibilität und Durchlässigkeit, die nötig sind, um sich der Welt zu öffnen, sondern wird zu einer lästigen, materiellen Hülle, die den Alternden umgrenzt, wenn nicht gar einsperrt. Während der junge und gesunde Mensch selbstverständlich Herr des eigenen Leibes ist und diesen für seine Zwecke einsetzen kann, erfährt der Alte eine Verkehrung dieses als selbstverständlich betrachteten Verhältnisses, denn der Körper macht ihn durch seine immer häufiger werdenden Dienstverweigerungen zu seinem Sklaven und zwingt ihn dadurch zu einer unaufhörlichen Auseinandersetzung mit ihm. Doch gerade durch die Dienstverweigerungen des kranken, zerbrechlichen Körpers und durch die verstärkte Zuwendung, welche er fordert, wird der Alternde zur Konfrontation mit seiner Körperlichkeit gezwungen. Diese erzwungene Auseinandersetzung wird einerseits als Gewaltakt empfunden, andererseits führt sie zu einer Annäherung an den eigenen Körper; denn durch den Verlust selbstverständlicher physiologischer Funktionen wird dem Subjekt bewusst, welche Dienste ihm sein Körper über Jahrzehnte geleistet hat. Améry spricht daher von einer »akzentuierten Zärtlichkeit« (ebd.: 65), mit welcher der Alternde seine veränderte Leiberfahrung erlebt. In einer längeren Passage lässt er einen älteren Mann dieses zutiefst widersprüchliche Verhältnis zum eigenen Körper eindrucksvoll zum Ausdruck bringen: Du armer Magen, der du treu mir dientest, und verdautest, was ich aufnahm, so daß ich dich nicht fühlte und also gar nicht besaß […] du armes Bein, daß du mich trugst durch eine Welt von Straßen, Bergen, Pflastersteinen […] Nun seid ihr her-
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genommen von Zeit und Arbeit und könnt nicht mehr, seid beide ermüdet, wie auch das Herz es ist […]. (ebd.: 65)
Doch dann wandelt sich die Zuwendung wieder in Abneigung: Elendes Bein, unfolgsames Herz, rebellischer Magen: mir tut ihr weh, Widersacher, mir, der ich euch betasten und behüten und bemitleiden und mir aus dem Leibe reißen, euch auswechseln möchte. Mir wird schwindelig bei dem Gedanken, daß ich mein Bein, mein Herz, mein Magen, daß ich alle meine lebenden, aber nur noch träge sich erneuernden Zellen bin, und sie zugleich doch nicht bin, dass ich mir fremder werde, je mehr ich mich ihnen annähere und dennoch dabei ich selber werde (ebd.).
Die Ambiguität unseres Leibverhältnisses wird hier in ihrer ganzen Paradoxie ersichtlich: Es ist der eigene Körper, es sind wir selbst, die uns ›weh tun‹. Der Leib ist zum Schauplatz eines Kampfes geworden zwischen der Selbstbehauptung des Subjektes, mehr zu sein als seine versagenden Organe, mehr als bloße res extensa, und der gleichzeitigen Einsicht, dass ohne dieses materielle Substrat, ohne den eigenen Organismus, jede Grundlage des Fortbestehens dahin ist. Wir sind mehr als unser Leib, doch ohne ihn sind wir nichts, diese schlichte Erkenntnis drängt sich im Alter auf oft leidvolle Weise auf. Der alte Mensch weiß, dass dieser ihm lästig und verhasst gewordene Körper sein letztes Obdach und zugleich seine Grabstätte ist.
b) Die Endlichkeit und Endgültigkeit der Zeit Ähnlich wie das Leibempfinden ist ebenfalls das Verhältnis zur Zeit von einer eigentümlichen Widersprüchlichkeit geprägt. Die Widersprüchlichkeit des Zeiterlebens im Alter besteht, wie sich zeigen wird, in der Spannung des Wechselverhältnisses von Endlichkeit und Endgültigkeit. »Das, was das Alter von den Jugendjahren und auch vom reifen Erwachsenenalter unterscheidet«, so der italienische Philosoph Norberto Bobbio, »ist das Langsamerwerden der Bewegung des Körpers und des Geistes. Das Leben des Alten spielt sich im Zeitlupentempo ab« (Bobbio 1996: 42). Das Schwinden körperlicher sowie geistiger Kräfte nötigt den älter werdenden Mensch dazu, sein Leben langsamer anzugehen. Diese erzwungene Langsamkeit kann, gerade in modernen Gesellschaften, die
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dem Diktat der Beschleunigung unterliegen (vgl. Rosa 2005), zur Ausgrenzung und Isolation des alten Menschen führen. Während die Welt weitergeht, bleibt der alte, aus ihr herausgefallene Mensch in seiner eigenen, immer einsamer werdenden und veralteten Welt zurück. Das Gefühl des Zurückgelassenseins wird durch den Verlust jener Menschen, welche denselben Zeichenkodex, dieselben Werte, dieselbe Geschichte erlebt haben, verstärkt. Durch das eigene Zurückbleiben hinter dem ›Elan‹ der Jugend, hinter den historischen und kulturellen Ereignissen, wird der alternde Mensch mit der Tatsache konfrontiert, dass das Weltgeschehen weitergeht, unbekümmert um sein Zurückbleiben (vgl. Améry 2005: 104f.). Die Diskrepanz, die sich durch die beschriebenen Bruch- und Diskontinuitätserfahrungen ergibt, eröffnet die Kluft zwischen der eigenen, vergehenden Lebenszeit und der unbegrenzt erscheinenden Weltzeit, und führt dem Alternden die bittere Erkenntnis der eigenen Endlichkeit vor Augen. Die Gegenwart des alten Menschen ist oft, wie aus den auf realen Interviews basierenden Kurzgeschichten der Journalistin Sandra Petrignani hervorgeht, eine leere und unbedeutende (vgl. Petrignani 1994). Neue bedeutungsvolle Projekte werden oftmals nicht mehr in Angriff genommen, denn trotz aller Anstrengungen, aktiv und fit zu bleiben, ist im hohen Alter vieles doch beschwerlich und mühevoll. Darüber hinaus hat der alte Mensch im Leben bereits vieles erlebt und gesehen, was die Bedeutung von Ereignissen mindern kann. Einerseits kann dies die Gelassenheit älter Menschen gegenüber den Geschehnissen der Welt erklären, andererseits aber auch zu einer Haltung der Indifferenz, gar des Überdrusses führen. Was die Zukunft des Alten anbelangt, so ist festzuhalten, dass sie im eigentlichen Sinne keine Zukunft mehr ist, denn sie bietet keinen offenen Raum mehr, in den hinein man sich begeben kann. Améry bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: Wenn ich warte, dann ist es immer ein Etwas, dessen Heraufkunft und Zukunft meine Wartezeit erfüllt. So wartet der junge Mensch: auf die Frau, die er liebt, auf die Landschaft, die er sehen möchte, auf das Werk, das er sich als das seine vornimmt. Wo aber der Tod ins Spiel tritt als Zielpunkt des Erwartens, wo, für den Alternden, dieser Tod als das zu Erwartende, täglich mehr Wirklichkeitsgehalt bekommt und anderer Wartelohn daneben nichtig wird, dort sollte von Zeit-in-dieZukunft nicht mehr gesprochen werden. (Améry 2005: 37)
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Die Zukunft des Alten ist überschattet durch den bevorstehenden Tod. Sie ist keine offene, unendlich erscheinende Zukunft mehr wie die des jungen Menschen. Die Zukunft des alten Menschen bietet keinen Raum mehr für Pläne, Ziele, Erwartungen. Nach vorne zu schauen, ohne etwas Bedeutungsvolles am Horizont erwarten zu können, führt den Alternden in eine hoffnungslose Situation. Der Rückzug in die Vergangenheit, so könnte man mit Bobbio meinen, stellt für den alten Menschen oft den einzigen Ausweg dar, um sich aus einer negativen Gegenwart und einer hoffnungslosen beziehungsweise nicht mehr vorhandenen Zukunft zu befreien (vgl. Bobbio 1996: 29). Doch ist dieser Rückzug eine tatsächliche Befreiung? Simone de Beauvoir bemerkt in ihrem monumentalen Werk Das Alter dazu, dass alte Menschen nur scheinbar eine Vergangenheit haben (vgl. de Beauvoir 1993). Das Vergangene ist nicht ein Gegenstand, den man sich vor Augen stellen kann und an dessen Anblick man sich erfreuen kann. »Die Vergangenheit«, so die Schriftstellerin, »liegt nicht hinter mir wie eine ruhige Landschaft, in der ich nach Belieben spazieren gehen kann und die mir nach und nach ihre verschlungenen Wege und ihre verborgenen Windungen enthüllt. In dem Maße, in dem ich vorwärts schreite, fällt sie in sich zusammen« (ebd.: 313). Den Rückzug in die Erinnerung entlarvt de Beauvoir als einen Versuch, die Zeit zu negieren: Man ist mit dem jetzigen Ich nicht einverstanden, man will das jüngere Ich zurückhaben und glaubt es in der Vergangenheit wiederfinden zu können. Dieser Glaube ist allerdings irrig, denn die Vergangenheit ist trügerisch und das ersehnte Ich ist auch in ihr nicht mehr wiederzufinden. Wir entwerfen uns zeitlebens aus unserer Vergangenheit hinein in die Zukunft, und Vergangenes prägt unsere Entscheidungen stets mit. Im Alter verfestigt sich diese Vergangenheit zu einer unbeweglichen und unveränderbaren Geschichte, die unsere Geschichte ist, unsere Identität ausmacht und von der man sich nicht ohne weiteres distanzieren kann, zumal die Chancen auf einen Neubeginn angesichts des versperrten Zukunftshorizontes nicht mehr gegeben sind. Die Unabänderlichkeit der Vergangenheit, das Leben-Müssen mit dem, was man getan, aber auch mit dem, was man nicht getan hat, kann nicht aufgehoben werden. Die Zufriedenheit alter Menschen kann also daher rühren, dass sie nun, im Alter, ihr Lebenswerk in seiner relativen Vollkommenheit zu betrachten vermögen; die Verzweiflung einiger kann ebenfalls von dem endgültigen
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Charakter, welchen ihr Lebenswerk angenommen hat, und von der Einsicht, nichts mehr ändern, vieles nie wieder erleben zu können, herrühren. Das hier skizzierte Bild des Alters ist zugegebenermaßen in einseitiger und überspitzter Weise gezeichnet. Eine solche Darstellung hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, doch sie bietet in kondensierter Weise eine Vorstellung davon, wie sich das Erleben der eigenen Leib- und Zeitlichkeit im Alter verändern kann, und eine Erklärung dafür, weshalb im Alter die Zeit zum Vorschein kommt. Wir finden im Alter die Zeit, weil wir die Illusion unserer Unsterblichkeit nicht mehr länger aufrechterhalten können. Krankheiten, Einschränkungen, der Verlust von Lebensmöglichkeiten, aber vor allem auch der Verlust jener Menschen, mit denen wir das Leben geteilt haben, zwingen uns zur Einsicht in die Tatsache unserer eigenen Sterblichkeit. Im Angesicht des eigenen bevorstehenden Todes wird einem das Zuendegehen der eigenen Lebenszeit und die Unwiederbringlichkeit der eigenen vergangenen Lebenszeit bewusst. Es ist die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit, die einem die Zeitlichkeit der eigenen Existenz in einer besonderen Weise vor Augen führt. Die Endlichkeit ist nur ein Aspekt der Zeitlichkeit menschlichen Lebens. Ein weiterer Aspekt wird durch das Altern erfahrbar.
3. W ir finden die Z eit im A ltern : das V errinnen der Z eit Der Prozess des Alterns ist, wie bereits erwähnt, nicht gleichzusetzen mit dem Alter, obgleich das Altern im Alter mündet. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass der zeitliche Prozess des Alterns – verstanden als ein Prozess der Zunahme von Vergangenheit und einer Minderung der Zukunft – bereits mit der Geburt beginnt, sich über das gesamte Leben vollzieht und mit dem Tod endet. Dies widerspricht aber der Art und Weise, wie wir alltäglich den Begriff des Alterns verwenden. Wir sprechen bei Kindern und Jugendlichen nicht davon, dass sie altern, sondern sagen, dass sie wachsen, reifen. Erst im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter wird aus dem Wachstums- ein Alterungsprozess. Anhand von zwei fiktiven Geschichten möchte ich aufzeigen, woran Menschen dabei merken, dass sie altern; und herausarbeiten, in welcher Weise die Zeit bei der Wahrnehmung des eigenen Alterns eine Rolle spielt.
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Szenario 1: Es geht um einen Mann mittleren Alters, er ist Lehrer, verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in einem schönen, familienfreundlichen Vorort. Eines Morgens wacht er auf und es überfällt ihn das unangenehme Gefühl, irgendetwas stimme nicht. Seine Kinder sitzen bereits am Esstisch, seine Frau bereitet in der Küche das Frühstück vor. Er betritt den Essbereich und beobachtet – wie aus dem Off – die Szene. Plötzlich überkommt ihn der Gedanke, dass das doch nicht sein Leben sein kann. In seiner Jugend war er ein politisch engagierter Weltenbummler und leidenschaftlicher Gitarrist. Er wollte auf den Bühnen dieser Welt spielen. Jetzt, zwanzig Jahre später, will ihm noch nicht mal mehr einfallen, wo seine Gitarre ist. Er fühlt sich fremd in seiner Wohnung, mit seiner Familie, in seinem Leben. Er kann sich nicht erklären, wie es sein kann, dass aus ihm so ein Spießer hat werden können. Und gleichzeitig weiß er natürlich sehr wohl, dass das sein selbstgewähltes Leben ist. Es überkommt ihn ein Fluchtreflex. Er würde gerne ausbrechen, seine früheren Träume und Pläne verwirklichen, ein neues Leben anfangen. Doch er weiß, dass das nicht mehr geht – nicht nur, weil er Verantwortung für andere Menschen trägt und Verpflichtungen hat, aus denen er sich nicht so einfach frei machen kann, sondern vor allem, weil es für manches einfach zu spät ist. Durch vergangene Entscheidungen – Studium, Beruf, Ehe, Vaterschaft – hat er sich, wenn auch teilweise unbewusst, gegen andere Lebensmöglichkeiten – Profimusiker, Politiker, Weltenbummler – entschieden und diese sind nun unwiederbringlich verloren. Szenario 2: Es geht um eine Frau, Mitte dreißig, eine erfolgreiche Unternehmerin. Sie hat ehrgeizig und erfolgreich ihre Karriere vorangebracht und leitet seit Kurzem ein mittelständisches Unternehmen. Sie trägt Verantwortung und strebt danach, das Unternehmen weiterhin erfolgreich zu führen, um ihre Position zu verstetigen. Doch in letzter Zeit fühlt sie sich oftmals unruhig. Neben der Arbeit beschäftigt sie zunehmend ihr sehnlichster Wunsch, Mutter zu werden. Den eigenen Kinderwunsch empfindet sie als zentral für ihr Leben. Gleichzeitig steht er im Widerspruch zu ihren Karriereplänen, die sie nur mit vollem Einsatz erreichen zu können glaubt sowie zu ihrem Verantwortungsgefühl gegenüber der Firma und ihren Mitarbeitern. Sowohl ihr Wunsch, weiterhin erfolgreich ihr Unternehmen zu führen, als auch ihr Kinderwunsch sind eigene, authentische Wünsche. Dennoch fühlt die junge Unternehmerin eine innere Zerrissenheit, weil sie nicht beide Wünsche gleichzeitig ihren
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Erwartungen und Maßstäben gemäß erfüllen kann. Von Monat zu Monat wird diese innere Zerrissenheit immer schmerzhafter, denn die Frau weiß, dass das ›Zeitfenster‹, um auf natürlichem Wege eigene Kinder zu bekommen, begrenzt ist. Sowohl der Lehrer als auch die Unternehmerin erfahren durch die geschilderten Krisen letztlich, dass sie altern. Der Lehrer realisiert, dass die Zeit und damit bestimmte Lebensmöglichkeiten unwiederbringlich an ihm und durch ihn verstrichen sind, ohne dass er dies bemerkt hätte. Gleichzeitig erlebt er sich als festgelegt durch das bereits gelebte Leben, durch gefällte Entscheidungen, die sein Leben in eine bestimmte Richtung geführt haben, teilweise auch ohne sein Einverständnis, denn die Folgen der einen oder anderen Entscheidung konnte er nicht überblicken. Er spürt, dass Zeit vergangen ist, dass er eine Vergangenheit hat, die ihn zumindest teilweise auf das, was er bisher getan hat und was er geworden ist, festlegt. Lebensmöglichkeiten, die in seiner Jugend noch offen standen, sind jetzt nicht mehr verfügbar. Sein Zukunftshorizont ist kleiner geworden, weil er durch die Vergangenheit, zumindest in manchen Aspekten seines Lebens, vorherbestimmt ist. Die Unternehmerin erfährt das Altern vor allem durch die Tatsache, dass ihr deutlich wird, dass ihre Zukunft nicht mehr unendlich ist, wie es ihr in ihrer Jugend erschien. Sie hat nur ein kurzes Zeitfenster zu Verfügung, um eine wichtige Lebensentscheidung zu fällen. Es gibt einige Pläne und Wünsche sowie Facetten der eigenen Persönlichkeit, die man im Verlauf des Lebens nur zu einem bestimmten Zeitpunkt realisieren bzw. ausleben kann, was bedeutet, dass man Entscheidungen treffen muss. Das Bewusstsein, dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt, um noch eigene Kinder zu bekommen, lässt sie das Vergehen der eigenen Lebenszeit leidvoll und deutlich spüren. Beide fiktive Figuren erleben eine Konfrontation mit der Tatsache, dass ihre Lebenszeit zum Teil bereits unwiederbringlich verronnen ist und auch weiterhin irreversibel verrinnt. Anders als im Alter, wo die eigene Lebenszeit bereits aufgebraucht ist und wir deshalb die Zeit als Endlichkeit finden, finden wir die Zeit im Altern als verrinnende Zeit. Wir erfahren sie als eine unaufhaltbare Bewegung. Die Zeit fließt hindurch und zwingt uns ständig dazu, uns zu verhalten zu dem, was mit ihr kommt. Dieser irreversible, unaufhaltsame Charakter menschlicher Zeitlichkeit wird von uns durch das eigene Altern in einer oftmals schmerzvollen Weise erlebt.
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4. A bschaffung der Z eit durch A bschaffung des A lterns ? Die beschriebenen oft leidvoll erlebten Veränderungen, die mit dem Alter einhergehen und die oftmals ebenfalls nicht angenehmen Erlebnisse, die einem das eigene Altern vor Augen führen und durch die sich das Alter bereits ankündigt, bilden die Grundlage vieler negativer Altersstereotype und begründen die Angst, die nicht wenige angesichts des eigenen Alterns haben. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit und Endlichkeit ist keine angenehme Erfahrung und es ist durchaus verständlich, dass Menschen Versuche unternehmen, diese Auseinandersetzung zu vermeiden: indem sie z.B. den Kontakt zu alten Menschen meiden oder aber Strategien anwenden, um die eigene und fremde Wahrnehmung des eigenen Alters zu täuschen, z.B. durch den Rekurs auf die Angebote der sogenannten Anti-Aging-Medizin. Diese stellt mehr oder weniger effektive Mittel bereit, die im übertragenen Sinne prophylaktisch vor der Konfrontation mit der eigenen verrinnenden und endlichen Lebenszeit schützen. Durch das ›Wegretuschieren‹ körperlicher Alterserscheinungen und den Versuch, Alterungsprozesse aufzuhalten, kann zumindest für eine gewisse Zeit der Schein ewiger Jugend und damit die Illusion aufrechterhalten werden, man habe noch einen weiten, fast unendlichen Zukunftshorizont vor sich. Durch die Anti-Aging-Medizin soll gleichsam eine Anästhesierung der Zeitlichkeitserfahrung erlangt werden, um hier einen medizinischen Ausdruck zu bemühen (vgl. Müller/Bozzaro 2010). Dass diese Versuche letztlich zum Scheitern verurteilt sind, ist offensichtlich, da faktisch das Vergehen der Zeit nicht aufgehalten werden kann. Das junge und attraktive Äußere sowie die Gesundheit und Fitness, welche älter werdende Menschen durch Anti-Aging erhalten können, sind insofern von der Schönheit, Attraktivität und Gesundheit der Jugend nach wie vor verschieden, als sie ständig von Neuem erkämpft werden müssen. Die jugendliche Maske muss ständig retuschiert werden, und dies in einem immer schnelleren Tempo, denn die Zeit wurde zwar verdeckt, aber keineswegs außer Kraft gesetzt. Das Subjekt, das die Zeit verdrängen will, macht sich letztlich ungewollt selbst zum Sklaven der Zeit, indem es dieser ständig vorauseilen muss, um die Täuschung aufrechtzuerhalten. Um den Stillstand im Äußeren herbeizuführen und beizubehalten, darf der Alternde selbst nicht mehr stillstehen. Der Einzelne droht dadurch in einen Sog zu gelangen, aus dem er nicht mehr herauskommen kann, solange er die Illusion ewiger Jugend
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aufrechterhalten und die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und Vergänglichkeit der eigenen Existenz weiterhin umgehen will. Das Paradox und die eigentliche Gefahr dieser Verdrängungsleistung liegt letztlich darin, dass das Individuum, das verzweifelt die Zeit anzuhalten versucht, um letztlich dem Leben mehr abzugewinnen, die vorhandene Lebenszeit und Lebensmöglichkeiten dafür verspielt (vgl. Bozzaro 2014: 142-205).
5. S chluss Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Alter und Altern auf der einen und dem Zeiterleben auf der anderen Seite. Ich möchte abschließend noch einige Überlegungen zu der Frage entwickeln, welche Bedeutung das ›Finden der Zeit‹ im Alter und durch das Altern für den Einzelnen haben kann. Womit implizit auch beantwortet wird, welche existentielle Bedeutung das Altern für uns haben kann. Dafür möchte ich kurz auf zwei Sichtweisen des Alters zu sprechen kommen, die durch zwei Philosophen vertreten wurden und die jeweils stellvertretend für eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Alter stehen: die von Jean Améry und die von Ernst Bloch. Améry führt seine Überlegungen zum Altern mit den Worten ein: »Was da immer dem Alternden empfohlen wird, wie er sich mit dem Niedergang abfinden, ja diesem allenfalls sogar Werte abgewinnen könne – Adel der Resignation, Abendweisheit, späte Befriedung –, es stand vor mir als niederträchtige Düperie, gegen die zu protestieren ich mir mit jeder Zeile aufgeben musste« (Améry 2005: 10). Mit diesem programmatischen Satz erteilt er einer langen Tradition, die bei Solon, Cicero und Seneca ihre Ursprünge hat und das Alter als ›goldenes Lebensalter‹ feiert, eine klare Absage. Wie eingangs gezeigt, beschreibt Améry in seinem Buch schonungslos den Verfallsprozess, der im Alter auf körperlicher sowie auf geistiger Ebene stattfinden kann. Aus der sich im Alter aufzwingenden Konfrontation mit der eigenen Leiblichkeit und Endlichkeit entsteht für Améry, anders als für Seneca und Cicero, nicht die Hoffnung auf Erlösung durch Tugendhaftigkeit, Vergeistigung oder Genügsamkeit, sondern das Subjekt ist und bleibt an seinen sterblichen Körper gebunden und muss dessen Verfall stets reflektieren: »Ich bin Ich im Alter durch meinen Körper und gegen ihn: ich war ich, als ich jung war, ohne meinen Leib und mit ihm […]. Die Quantität meines sich gegen die Ver-
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nichtung hin bewegenden Körpers wird zur neuen Qualität eines transformierten Ich« (ebd.: 66). Der Verfall scheint den Einzelnen zu einer Verwandlung seines Selbst zu führen, indem er einen Reflexionsprozess erzwingt. Dieser Reflexionsprozess führt offenbar zu einer Steigerung des Selbst-Bewusstseins – hier verstanden als Verständnis seiner Selbst, Selbsterkenntnis. Amérys düstere Sicht auf das Alter verkennt also nicht den Erkenntnisgehalt und den »Ich-Gewinn« (ebd.: 72), der durch den Verfallsprozess im Alter möglich wird. Aber weit entfernt davon, diesen Hinzugewinn an Selbsterkenntnis, an Weisheit feiern zu wollen, rechnet er mit dieser Tradition kategorisch ab: »Wir pfeifen normalerweise auf die Chance eines durch Schmerzen erzielten Ich-Gewinns« (ebd.: 72). Ganz anders bewertet Ernst Bloch in seinem Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung (Bloch 1959) den Zusammenhang zwischen den leidvollen Erlebnissen im Alter und den daraus resultierenden Erkenntnissen. Bloch ignoriert weder die »verständigen Ängste« des Alten, noch den Umstand, dass »der Leib […] sich nicht mehr so rasch wie früher [erholt]«, dass die »Arbeit nicht mehr so flink von der Hand« geht und die »wirtschaftliche Ungewissheit« (ebd.: 38) schwerer belastet als zuvor. Er räumt ein, dass der Einschnitt, den das Alter mit sich bringt, »deutlicher als jeder frühere« und »brutaler negativ« (ebd.: 39) ist, weshalb es durchaus verständlich sei, dass im Alter Resignation herrsche. Doch dann erfolgt in seinen Überlegungen eine Peripetie von den negativen Aspekten zu den positiven Chancen, die das Alter eröffnet: Im Alter wächst nämlich die Fähigkeit, die Einbußen und Gebrechen mit »geformter Reife« (ebd.: 41) zu tragen. Die Reife des Alters wird gerade durch die Einschränkungen und negativen Erfahrungen, die den Alternden auf sich selbst zurückwerfen, herbeigeführt, denn das Eingeschränktsein birgt neben den negativen Aspekten ebenfalls die Möglichkeit der Fokussierung auf das Wesentliche: Die »Meißelschläge des Lebens haben eine wesentliche Gestalt herausgearbeitet, und Wesentliches ist ihr besser als je erblickbar« (ebd.: 42f.). Diesen Gedanken Blochs hat in jüngerer Zeit der Dresdner Philosoph Thomas Rentsch wieder aufgegriffen, der das Altern als ein »Werden zu sich selbst und als Radikalisierung der menschlichen Grundsituation« (Rentsch 1992: 283) bestimmt und den Prozess des Altwerdens daher philosophisch-anthropologisch als »das aufdringliche Zutagetreten der humanen Sinnkonstruktion« (ebd.: 297) begreift. Rentsch beschreibt analog zu Améry das Alter als eine Phase, in der sich alle Dimensionen des menschlichen Lebens verdichten, vor allem aufgrund negativer Er-
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lebnisse, die dem Einzelnen auf unmissverständliche Weise die Grenzen des eigenen Lebens aufzeigen. Doch Grenzen haben immer eine doppelte Valenz: Sie grenzen etwas ab, im negativen Sinne des Begrenzens und Einsperrens, sie umgrenzen es aber zugleich und schaffen damit Konturen. Die Radikalisierung geht einerseits, wie Améry zu Recht bemerkt, mit einem Prozess der Selbstentfremdung einher, andererseits aber auch, wie Rentsch unterstreicht, mit einem Prozess des Werdens zu sich selbst. Dieser Prozess vollzieht sich während des gesamten Lebens, doch im Alter intensiviert er sich, weil am Lebensende die Geschichte des Einzelnen, mithin das Getane und das Verfehlte, offensichtlich wird. »Endgültigkeit bewußt zu begreifen heißt, daß die Kürze des Lebens und seine Überschaubarkeit einsichtig werden, daß nun die Chance besteht, das menschlich Wichtige vom vielen Unwichtigen zu unterscheiden« (ebd.: 303). Diese Fähigkeit zur distanzierten und überlegten Betrachtung ist natürlich nicht mehr nützlich, wenn man am Ende seines Lebens angelangt ist und nichts mehr verändern oder anders machen kann. Aber der Umgang, die Begegnung mit alten Menschen und das Bewusstsein und die Akzeptanz des eigenen Alterns können einem dabei helfen, diese Fähigkeit zu einem Zeitpunkt im Leben zu erlangen, an dem noch vieles zu gestalten, zu leben ist. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit kann zu einem bewussteren Umgang mit der Zeit, vor allem mit der gegenwärtigen Zeit und damit zusammenhängend auch zu einer bewussteren Lebensführung beitragen.
L iter atur Améry, Jean: Werke, Monique Boussart (Hg.), Bd. 3: Über das Altern. Revolte und Resignation, Stuttgart 2005. Augustinus: Bekenntnisse, Übers. v. Wilhelm Thimme, Düsseldorf 2007. Beauvoir, Simone de: Das Alter, Hamburg 1993. Birkenstock, Eva: Angst vor dem Altern? Zwischen Schicksal und Verantwortung, Freiburg 2008. Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a.M. 1959. Bobbio, Norberto: De Senectute e altri scritti autobiografici, Torino 1996. Bozzaro, Claudia: Das Leiden an der verrinnenden Zeit. Eine ethisch-philosophische Untersuchung zum Zusammenhang von Alter, Leid und Zeit am Beispiel der Anti-Aging-Medizin, Stuttgart-Bad Cannstatt 2014.
Altern als Paradigma menschlicher Zeiter fahrung
Fuchs, Thomas: Zeit-Diagnosen. Philosophisch-psychiatrische Essays, Zug 2002. Gadamer, Hans-Georg: Die Verborgenheit der Gesundheit, Frankfurt a.M. 2003. Husserl, Edmund: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, Halle 1928. Merleau-Ponty, Maurice: Philosophie der Wahrnehmung, Berlin 1966. Müller, Oliver/Bozzaro, Claudia: Endlichkeit und Technisierung. Philosophisch-anthropologische Überlegungen zur Veränderung von Zeiterfahrungen und zum angemessenen Umgang damit am Beispiel der Anti-Aging-Medizin, in: Markus Höfner/Stefan Schaede/Günter Thomas (Hg.): Endliches Leben: Interdisziplinäre Zugänge zum Phänomen der Krankheit, Tübingen 2010, S. 93-112. Petrignani, Sandra: I Vecchi, Roma 1994. Rentsch, Thomas: Philosophische Anthropologie und Ethik der späten Lebenszeit, in: Paul Balthes/Jürgen Mittelstraß (Hg.): Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, Berlin 1992, S. 283-304. Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a.M. 2005. Theunissen, Michael: Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a.M. 1991.
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Die Prokrastination des Altseins Zur Verschiebung der Altersgrenze im Lebensverlauf Max Bolze und Sven Schwabe
V om Ä lterwerden zum A ltsein Wir möchten unseren Beitrag zur Prokastination1 des Altseins mit einer trivialen, aber keineswegs banalen Frage beginnen: Was ist der Gegenstand der (sozialwissenschaftlichen) Alter(n)sforschung? Die Alter(n)sforschung, so die hinlänglich bekannte Antwort, beschäftigt sich einerseits mit dem kontinuierlichen Vergehen von Lebenszeit, dem Altern, und andererseits mit der letzten Phase des menschlichen Daseins, dem Alter. Während die Prozessbetrachtung des Alterns also einen Untersuchungskorridor eröffnet, der noch vor der Wiege beginnt und mit der Bahre endet, beruht die Untersuchung der Lebensphase Alter auf der Annahme, dass sich die letzte Etappe im Lebenslauf grundlegend von den vorangehenden Lebensphasen unterscheidet. Das kontinuierliche Verstreichen der Lebenszeit mündet also ab einem bestimmten Zeitpunkt in einer Lebensphase, die wegen ihrer vermeintlichen Andersartigkeit schlicht das Alter genannt wird. Was ›Alter‹ ist und wer dieser Kategorie zugeordnet wird, ist immer auch das Ergebnis einer sozialen Konstruktionsleistung. Wer in einer Gesellschaft als ›alt‹ bezeichnet wird, hängt von institutionellen Rahmenbedingungen 1 | Der Begriff ›Prokrastination‹ kommt aus dem Kontext der Lernpsychologie. Solomon und Rothblum definieren ihn als »act of needlessly delaying tasks to the point of experiencing subjective discomfort« (Solomon/Rothblum 1984: 503). Im Kontext des Altseins handelt es sich allerdings weniger um eine Aufgabe, welche die Individuen zu erledigen haben, als um eine soziale Zuschreibung, die abgewehrt bzw. aufgeschoben wird.
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und kulturellen Normen ebenso ab wie von situativen Begebenheiten und individuellen Einstellungen und Bewertungen (vgl. Amrhein 2013: 12). Mit dem Begriff des ›Altseins‹ wird die Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie sich Menschen zu den allgemeinen Normen, Werten und Deutungen der Kategorie ›Alter‹ verhalten. ›Altsein‹ bedeutet für uns im Folgenden, sich selbst als Teil der Gruppe der ›Alten‹ zu verstehen. In diesem Beitrag soll daher der Übergang vom Altern zum Alter auf die subjektzentrierte Fragestellung projiziert werden, wann das Älterwerden das Altsein einläutet: Wann und warum bezeichnen sich Menschen als alt? Was verstehen sie darunter? Und welche Konsequenzen könnte dies für die Gerontologie haben? Um diese Fragen zu klären, möchten wir die Befunde qualitativer Studien mit den Ergebnissen quantitativer Forschung ins Gespräch bringen. Die beiden Forschungszugänge wurden nach unserem Ermessen in der Alternsforschung bisher viel zu selten zusammengedacht, wodurch ein fruchtbares Erkenntnispotenzial ungenutzt blieb. Bevor wir dazu im Folgenden die Herangehensweisen der beiden Ansätze erläutern, skizzieren wir gesellschaftlich und gerontologisch relevante Altersmarker. Anschließend werden statistische Erkenntnisse zum Altsein auf der Basis qualitativer Befunde neu gelesen. Vor diesem Hintergrund wenden wir uns wieder den quantitativen Daten zu, um statistisch zu entschlüsseln, von welchen sozialen Faktoren Altsein primär abhängt. Abschließend werden wir darlegen, welche Konsequenzen sich aus der Thematisierung des Altseins für die deutschsprachige Gerontologie ergeben.
A lter in der A rbeitsgesellschaf t Zum geteilten Konsens in der Altersforschung gehört die These, dass man nicht ›an sich‹ alt ist. Alter ist eine relationale Kategorie, die sich erst im Verhältnis zu einem bestimmten Kontext herausbildet (vgl. Kornadt/Rothermund 2011: 293). Seit der großen Rentenreform von 1957 und der Herausbildung einer kollektiv erfahrbaren Rentenphase galt in der Bundesrepublik die Ausgliederung aus dem Erwerbssystem als zentraler Übergang ins Alter (vgl. Göckenjan 2000: 362f.). In einer ›Arbeitsgesellschaft‹ wird Alter darüber definiert, dass man keiner bezahlten Arbeit mehr nachgeht. Die Koppelung der kollektiven Entberuflichung an das chronologische Alter etablierte das 65. Lebensjahr gemeinhin als Alters-
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marker (vgl. Göckenjan/Hansen 1993: 726; Backes/Clemens 2003: 16ff.). An dieser Grenze wurden die Alten von den Noch-Nicht-Alten getrennt. Herrschten in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen lange Zeit relativ homogene Bilder des Alters vor (z.B. Alter als Verfall), ist spätestens mit der ›Entdeckung‹ der ›Neuen Alten‹ Ende der 1980er Jahre (vgl. Karl/Tokarski 1989) verstärkt von einer Pluralisierung und Heterogenisierung der Altersphase die Rede (vgl. Backes/Clemens 2013: 359). Die gerontologische Formel vom ›differenziellen Alter(n)‹ besagt, dass sich die starren und beschränkenden Altersrollen früherer Zeit in den letzten Jahrzehnten verstärkt aufgelöst haben und viele neue kulturelle Deutungsangebote für Menschen im Nacherwerbsleben entstanden sind (vgl. BMFSFJ 2010: 100). Statt in vorgegebene Altersrollen eingepasst zu werden, können und müssen ältere Menschen heute eigenständiger »wählen, aushandeln und koordinieren, welche Bilder, Formen, Stile, Rollen des Alterns sie für sich akzeptieren wollen und welche nicht« (ebd.). Folgt man dieser Einschätzung, wird die Gestaltung des Alters immer stärker eine individuelle Herausforderung. Zugleich setzt sich in den 1990er Jahren die chronologische Zweiteilung der Altersphase in ein sogenanntes drittes und viertes Alter zunehmend durch (vgl. Denninger et al. 2014: 94). Dabei wird ein drittes und junges Alter von einem vierten Alter getrennt, welches durch Krankheit, Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit gekennzeichnet ist (vgl. Baltes/Smith 2003). Während einerseits umstritten ist, inwieweit das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben weiterhin als stärkste gesellschaftliche Alterszuschreibung erhalten bleibt, scheint Konsens darüber zu bestehen, dass das funktionale Alter als eine neue Altersmarkierung an Bedeutung gewinnt (vgl. Backes/Clemens 2013: 56f.; Tulle/Westerhof 2007). Hier geht es in erster Linie darum, dass der Gesundheitszustand, von welchem die eigenständige Bewältigung des Alltags in hohem Maße abhängt, eine immer größere Bedeutung dafür gewinnt, ob eine Person als alt bezeichnet wird, bzw. sich selbst so bezeichnet.
M e thodische Ü berlegungen Wer Altsein empirisch erforschen möchte, muss sich die Frage der Datenerhebung und -auswertung stellen: Wie kommt Altsein ins Material? In
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der Soziologie stehen sich hier – grob vereinfacht – qualitative und quantitative Forschungsparadigmen gegenüber (vgl. Kelle 2007). Einerseits kann Altsein erhoben werden, indem man es als vorab definierte Kategorie an die Menschen heranträgt. Die Forschenden verfügen hierbei über relativ konkrete Annahmen über die Zusammenhänge im Feld, die sie am Antwortverhalten der Interviewten prüfen. Die Erhebung beruht meist auf einem standardisierten Fragebogen, der im Idealfall auf Basis bestehender Erkenntnisse, theoretisch hergeleiteter Vermutungen und bewährter Messinstrumente entwickelt und den Befragten persönlich oder telefonisch vorgelegt wird. Die Antworten werden anschließend elektronisch verarbeitet und auf der Grundlage der formulierten Forschungshypothesen über mathematische Modelle miteinander in Beziehung gesetzt. Dieser Weg wird zumeist von quantitativen Studien gegangen, kann aber auch in qualitativen Forschungsdesigns oder als Methodenmix verfolgt werden. Andererseits kann Altsein auch im Nachhinein aus dem Material herausgelesen werden, was vor allem in qualitativen Altersstudien praktiziert wird. Die Forschenden versuchen hierbei, eigene Vorannahmen möglichst lange aus dem Erhebungsprozess herauszuhalten, indem sie beobachten, was die Befragten von sich aus über das Alter erzählen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Personen relativ offen ihre eigene Lebensgeschichte erzählen zu lassen und darauf zu achten, an welchen Stellen in diesen Geschichten das Alter eine Rolle spielt und welche Bedeutung ihm zugeschrieben wird. Das Alter wird aus dieser Perspektive erst dann als Kategorie relevant, wenn die Befragten ihm selbst einen Stellenwert in ihren Lebensgeschichten zuweisen. Im Gegensatz zur ersten Vorgehensweise wird Altsein hier bestenfalls aus dem Material gedeutet. Während in qualitativen Studien ein relativ kleiner Personenkreis intensiv untersucht wird, arbeiten quantitative Studien zumeist mit Stichproben jenseits der Tausendermarke. Bei letzteren soll damit aus Gründen der Verallgemeinerbarkeit ein repräsentatives Abbild der entsprechenden Bevölkerung gewonnen werden.
A ltsein im F okus deskrip tiver S tatisik Ein Datenpool, welcher diese Anforderungen erfüllt und Material für alter(n)ssoziologische Analysen bereitstellt, ist der Deutsche Alterssurvey (DEAS). Er enthält zum einen so genannte Querschnittserhebungen,
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für die seit 1996 zu drei Zeitpunkten eine für die deutsche Bevölkerung zwischen 40 und 85 Jahren repräsentative Basisstichprobe gezogen wurde (vgl. infas 2009: 9). Zum anderen verfügt er über eine Längsschnittuntersuchung, bei der die gleichen Personen über einen längeren Zeitraum wiederholt befragt wurden. Auf diese Weise ist es möglich zu untersuchen, ob den 60-Jährigen von heute Werte wichtiger sind als den 60-Jährigen vor zehn Jahren. Außerdem lässt sich überprüfen, ob die heute 60-Jährigen mit 50 Jahren ähnlich gedacht oder gehandelt haben. Hinsichtlich der Frage, wann Altsein beginnt, liefert der DEAS drei relevante Variablen. Zwar wird nicht direkt gefragt, ob sich eine Person als alt versteht, wohl aber geben Befragte ihr kalendarisches Alter, ihr gefühltes Alter und die Grenze an, ab der sie jemanden als alt bezeichnen würden (Alterseintritt). Sie haben dabei zwei Möglichkeiten, sich zu ihrem Altsein zu ›bekennen‹. Entweder können sie den Alterseintritt so setzen, dass sie selbst zur Gruppe der ›Alten‹ gehören. Fällt ihr eigenes Alter unter die selbstgesetzte Altersgrenze, können sie außerdem ihr gefühltes Alter so setzen, dass es oberhalb dieser Grenze liegt. Letzterer Fall wird jedoch im Folgenden nicht weiter berücksichtigt, da er empirisch kaum in Erscheinung tritt. Ab wann bezeichnen über 40-Jährige in Deutschland jemanden als alt? Ein Blick auf die Grafik zeigt, dass diese Altersgrenze zwischen dem 70. und 75. Lebensjahr liegt (Abb. 1). Im Durchschnitt wird der Altersbeginn im 73. Lebensjahr verortet. Berücksichtigt man das durchschnittliche Sterbealter von 77,5 (Männer) bzw. 82,6 Jahren (Frauen) im Jahr 2008 (vgl. Statistisches Bundesamt 2012), ließe sich formalstatistisch sagen: Das Alter konzentriert sich auf die letzten vier bis acht Lebensjahre. Der Ruhestand spielt als Übergang zum Alter keine entscheidende Rolle, denn auch bei den jüngeren Altersgruppen, die noch im Erwerbsleben stehen, findet der Alterseintritt jenseits des 70. Lebensjahresjahres statt. In den höheren Altersgruppen wird die Grenze höher angesetzt, wobei die Niveauunterschiede geringer werden. Es scheint so, als würden die Befragten mit steigendem kalendarischem Alter den Altersbeginn vor sich herschieben. Diese Vermutung, die auf der Basis von Querschnittsdaten nicht ohne weiteres behauptet werden kann, bestätigt sich auch beim Blick auf den Längsschnitt (Abb. 2).2 2 | Bei unseren Berechnungen schwanken zwischen den einzelnen Wellen die einzelnen Werte. Im langfristigen Trend zeigt sich jedoch eine Erhöhung der subjektiven Altersgrenze.
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Abb. 1: Alterseintritt in Jahren nach Altersgruppen (arithmetisches Mittel)3
Quelle: Eigene Berechnung mit DEAS 2008
In allen Altersgruppen verschiebt sich der Alterseintritt im Lebensverlauf. Waren die 40- bis 54-Jährigen 1996 im Durchschnitt noch der Meinung, dass Altsein mit etwa 71 Jahren beginnt, hat sich dieser Wert bis 2011 auf 74 Jahre erhöht. Auch die anderen Altersgruppen haben diese Altersgrenze um etwa drei Jahre nach hinten verschoben. Zu erkennen ist zudem ein leichter Effekt des sozialen Wandels: Die 55- bis 69-Jährigen im Jahr 2011 setzen die Altersgrenze bei knapp 76 Jahren an, während es bei der gleichen Altersgruppe im Jahr 1996 noch etwa 73 Jahre waren. Unsere Berechnungen im repräsentativen Vergleich mehrerer Querschnitte haben dies bestätigt.4
3 | Die Auswertung beruht auf der Frage: »Ab welchem Alter würden Sie jemanden als alt bezeichnen?« (Motel-Klingebiel et al. 2009: 11). 4 | Auf die Darstellungen wurde aus Platzgründen verzichtet.
Die Prokrastination des Altseins
Abb. 2: Entwicklung des Alterseintritts im Lebensverlauf nach Altersgruppen5
Quelle: Eigene Berechnungen mit DEAS Panel 1996, 2011
Dieser rudimentäre Einblick in die deskriptive Statistik zeigt folgende Tendenz: Was die Befragten unter dem Alter verstehen, spielt sich nicht etwa am Übergang in den Ruhestand, sondern zwischen dem 70. und 75. Lebensjahr ab. Die Grenze, ab der sich Personen als alt bezeichnen würden, wird im Lebenslauf nach hinten verschoben. Erste statistische Befunde legen also den Verdacht nahe, dass Altsein prokrastiniert wird. Die Ergebnisse solcher Messungen bleiben ohne interpretative Bezugnahme allerdings bedeutungslos. In der Regel werden daher Sozialtheorien herangezogen, aus denen Hypothesen abgeleitet werden, welche wiederum zur Erklärung der dargestellten Zahlen und Daten dienen. Was ›Alter‹ ist, ist bei dieser Herangehensweise jedoch häufig vom perspektivisch verengten (Alltags-)Wissen der Forschenden abhängig (vgl. Amrhein/Backes 2008: 384). In Bezug auf das Altsein als von außen herangetragene und subjektive Verarbeitung des Alters ist es jedoch interessant zu erfahren, welche Perspektive die von dieser Zuschreibung Betroffenen einnehmen. Eine solche ›Innenperspektive‹ liefern qualitative Studien. 5 | Die Altersgruppenangaben beziehen sich auf das Jahr 1996. Im Jahr 2011 sind die 40- bis 54-Jährigen 55 bis 69 Jahre alt, die 55- bis 69-Jährigen 70 bis 84 Jahre und die 70- bis 85-Jährigen 85 bis 99 Jahre.
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Max Bolze und Sven Schwabe
A ltsein im F okus qualitativer S tudien Die Frage danach, wann ›Älterwerden‹ in ›Altsein‹ mündet, läuft in qualitativen Studien häufig auf die Beschäftigung mit Altersidentitäten hinaus (vgl. Amrhein/Backes 2008, Graefe 2013). Es geht nicht nur um den Zeitpunkt des Altseins, sondern vor allem um die Frage, ob Menschen überhaupt Altersidentitäten herausbilden und ihren biografischen Übergangserfahrungen eine Bedeutung hinsichtlich der Kategorie Alter zuschreiben (vgl. Graefe 2010). Tendenziell kommen qualitative Studien zu dem Ergebnis, dass biografische Übergänge bis zum Eintritt in die Pflegebedürftigkeit kaum als Altersübergänge thematisiert werden (vgl. Graefe et al. 2011: 299ff.). Wenn sie nicht explizit zum eigenen Alter gefragt werden, schreiben interviewte Personen dem Alter von sich aus keine große Relevanz zu (vgl. ebd.). Sie sind sich zwar darüber im Klaren, dass sie aufgrund ihres kalendarischen Alters ›objektiv‹ zur Gruppe der ›Alten‹ gerechnet werden, unterstreichen aber zugleich, sich dieser Gruppe nicht zugehörig zu fühlen (vgl. ebd.: 302). Auch der Renteneintritt als vermeintlich eindeutiger Altersübergang wird in subjektiven Selbsterzählungen zwar als eine Veränderung von Handlungsmöglichkeiten, häufig auch als »späte Freiheit« (Rosenmayr 1983) beschrieben. Als Beginn der Altersphase wird er allerdings nicht thematisiert (vgl. Graefe et al. 2011: 301f.). Je nach Forschungsdesign und Fragetechnik können qualitative Studien zwar unterschiedliche Umgangsformen der Subjekte mit der Kategorie Alter feststellen, aber die Herausbildung stabiler und geschlossener Altersidentitäten scheint selten (vgl. Amrhein/Backes 2008: 388ff.) bis unwahrscheinlich (vgl. Graefe 2013: 303).6 Die Selbstbeschreibung als alt, also das Altsein, wird von der großen Mehrheit der Befragten zurückgewiesen. Obwohl Amrhein und Backes in 6 | Während die »Mask of ageing«-These von Featherstone und Hepworth eine Differenz zwischen dem alternden Körper und dem junggebliebenen Selbst konstatiert (vgl. Hepworth 1991), sprechen Woodward und Biggs von einer Maskerade im Alter (Woodward 1991; Biggs 1997). Die von Jugendlichkeitsidealen geprägte Gesellschaft drängt Ältere dazu, das alte Innere durch ein jugendliches Äußeres zu verbergen. Das »Ageless Self« von Kaufman kennt ebenfalls keine Altersidentifikation, da sich Menschen nicht primär über ihr Alter definieren, sondern über biografische Themen, Werte und Einstellungen (Kaufman 1986).
Die Prokrastination des Altseins
ihrer Studie wenige Fälle finden, in denen sie eine Identifikation mit dem Alter ausmachen können, lehnt es die überwiegende Mehrheit der Befragten ab, sich selbst als alt zu bezeichnen (vgl. Amrhein/Backes 2008: 388ff.). In bestimmten Konstellationen, so zeigen die Befunde von Graefe et al., gelingt es sogar Pflegebedürftigen und betreut wohnenden Personen, das Altersstigma abzuwehren. Solange die eigenen Lebensumstände – in welch begrenztem Rahmen auch immer – noch gestaltbar sind, verstehen sich selbst diese Personen als »normale Erwachsene« (Graefe et al. 2011: 304). Dass die Kategorie des Alters in den Selbstbeschreibungen der Menschen häufig kaum eine Rolle spielt oder abgewiesen wird, bedeutet nicht, dass sie keine Erwähnung findet. Relativ unabhängig von Einkommen, Bildungsstand, Geschlecht und anderen sozialdemografischen Variablen zeichnen die Befragten ein recht homogenes Bild von dem eigentlichen Alter. Pflegebedürftigkeit, Hinfälligkeit, Gebrechlichkeit und die Angst vor der sogenannten Apparatemedizin sind Bezugspunkte, die Befragte in qualitativen Interviews häufig nennen, wenn sie gefragt werden, was sie unter Alter verstehen (vgl. Graefe et al. 2011: 303f.). Auch in unseren Interviews7 herrscht dieses negative Altersbild vor, wie folgender Ausschnitt belegt: Alt werden bedeutet für mich bloß nicht in die Situation kommen, dass ich mir nicht mehr selber helfen kann, dass du auf die Pflege von anderen angewiesen bist […] den Altersvollzug, ja? von der Toilette äh bis zur Nahrungsaufnahme und Wäsche und so weiter, dass äh, da möge Gott mir beistehn, da möcht ich nicht/ mein-mein Fritz der ist zu seiner Schwägerin Kaffee fahrn gegangen und ist im Stuhl umgekippt, war tot, dat find ich jut, war nicht so nett für die Schwägerin weiß ich, aber >lacht