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German Pages 167 Year 2023
Rudolf Grünig Richard Kühn
Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme Ein heuristischer Ansatz 6. Auflage
Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme
Rudolf Grünig · Richard Kühn
Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme Ein heuristischer Ansatz 6. Auflage
Rudolf Grünig Lehrstuhl für Unternehmensführung Universität Freiburg Freiburg, Schweiz
Richard Kühn Belfaux, Schweiz
ISBN 978-3-662-67410-9 ISBN 978-3-662-67411-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Ursprünglich erschienen unter: „Entscheidungsverfahren für komplexe Probleme. Ein heuristischer Ansatz“ © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2004, 2006, 2009, 2013, 2017, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Christine Sheppard Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort
Im Zentrum des vorliegenden Buches steht ein Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme. Die Ausführungen legen grosses Gewicht auf die Problemanalyse, die Variantenerarbeitung, die Festlegung der Entscheidungskriterien und die Ermittlung der Konsequenzen. Dies aus der Überzeugung heraus, dass die Gesamtbeurteilung der Varianten und die Entscheidung keine grossen Herausforderungen mehr darstellen, wenn sie auf einer sauberen Grundlage aufbauen. Für die sechste Auflage wurde der Text gestrafft. Damit wird das Ziel verfolgt, die Handlungsempfehlungen zu vereinfachen und damit ihre Anwendbarkeit zu verbessern. Gleichzeitig wurde jedoch darauf geachtet, dass die Aussagen der Komplexität von realen Entscheidungsproblemen grosser Tragweite Rechnung tragen. Die Verfasser möchten sich bei Frau A. Renggli für die Erarbeitung der Beispiele zur Anwendung der Entscheidungsmaximen bedanken. Ihr grösster Dank richtet sich an Frau Tu Le für ihre ausgezeichnete Arbeit bei der Erstellung des Manuskriptes, der Grafiken und des Literaturverzeichnisses. Biel, Schweiz Belfaux, Schweiz März 2023
Rudolf Grünig Richard Kühn
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Ergänzung zum Vorwort
Kurz nach Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches verstarb Richard Kühn an seiner schweren Krankheit. Es war Richard Kühn ein grosses Anliegen, die neue Auflage vor seinem Tod fertigstellen zu können. Die Endbereinigung des Textes fand im Spitalzimmer statt und wir waren beide glücklich, dass sein Wunsch damit in Erfüllung ging. Richard Kühn und ich verfassten mehrere Artikel und Lexikonbeiträge gemeinsam und schrieben vier Bücher zusammen. Wenn die Auflagen und Sprachen einzeln gezählt werden, handelt es sich beim vorliegenden Werk um das 41. Buch! Dies war nur möglich, weil wir uns persönlich gut kannten und schätzten. Inhaltlich gab es neben viel Übereinstimmung auch unterschiedliche Sichtweisen. Es waren die damit verbundenen Auseinandersetzungen, die uns weiterbrachten. Richard Kühn war eine der wichtigsten Bezugspersonen in meinem Leben. Ich werde ihn nie vergessen. Biel, Schweiz April 2023
Rudolf Grünig
VII
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil I
1 3
Entscheidungsprobleme und Problemlösungsverfahren
2
Entscheidungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Begriff des Entscheidungsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Arten von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 7 8 13
3
Ziel- und Problemendeckungssysteme als Voraussetzungen für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Entdeckung von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zielsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Problementdeckungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 16 19 22
4
Rationale Problemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Wege zur Lösung von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Unterscheidung von formaler und substanzieller Rationalität . . . . . . . . . 4.3 Anforderungen an einen formal-rationalen Problemlösungsprozess . . . 4.4 Die Grenzen der formalen Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24 25 30 30
5
Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Begriff des Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Dimensionen von Problemlösungsverfahren und ihre Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Arten von Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Gegenüberstellung von heuristischen und analytischen Verfahren . . . . . 5.5 Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 34 35 36 39 IX
X
Inhaltsverzeichnis
5.5.1 5.5.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel eines speziellen heuristischen Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Beispiel eines allgemeinen analytischen Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Beispiel eines speziellen analytischen Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Vergleich der drei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Die Entwicklung von Problemlösungsverfahren als Aufgabe der BWL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II
39 40 40 43 45 46 48
Ein allgemeines heuristisches Problemlösungsverfahren
6
Das Problemlösungsverfahren im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Nutzen eines allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens . . . 6.2 Vorgeschlagene Sequenz von Teilproblemen und Schritten . . . . . . . . . . . 6.3 Kurze Erläuterung der Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Grundlagen des Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 53 54 58 59 63
7
Problemverifizierung und –analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Verifizierung eines Gefahrenproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Verifizierung eines Chancenproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Problemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Zusammenfassung der Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Ermittlung der Problemursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Bildung von Teilproblemen und Festlegung ihrer Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 65 66 67 68 68 69 71
Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Erarbeitung von Lösungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Evtl. Festlegung von Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Evtl. Gewinnung eines Überblicks über den Lösungsraum . . . 8.1.4 Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Varianten . . . . 8.2 Festlegung der Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Klärung der verfolgten Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 77 77 77 78 78 80 80 81
8
75 76
Inhaltsverzeichnis
Festlegung von einem oder mehreren Entscheidungskriterien pro Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Eliminierung von Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Klärung der Notwendigkeit von Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . 8.3.3 Evtl. Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Evtl. Festlegung von Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Ermittlung der Konsequenzen der Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Erstellung der Entscheidungsmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Festlegung des Qualitätsniveaus und der Zeithorizontes der Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.4 Ermittlung der Einzelkonsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
8.2.3
9
Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Eliminierung von irrelevanten Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Wahl des analytischen oder des summarischen Vorgehens . . . . . . . . . . . 9.4 Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Umschreibung der Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Überblick über die Entscheidungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.4 Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.5 Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Mehrwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.6 Kombinierte Anwendung von Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Unsicherheit respektive Ungewissheit und der Mehrwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Bestimmung der zentralen Stärken und Schwächen der Varianten im Falle des summarischen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Treffen der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82 83 83 83 84 86 86 86 87 90 91 92 93 93 93 94 96 96 96 98 100 103
107 108 109 109
XII
Teil III
Inhaltsverzeichnis
Sonderprobleme und Ansätze zu ihrer Lösung
10 Entscheidungssequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Entscheidungssequenzen und ihre Abgrenzung gegenüber nacheinander zu lösenden Teilproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Visualisierung von Entscheidungssequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Wahl der besten Variante in einer Entscheidungssequenz . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 114 116 118
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Informationsbeschaffungsentscheidungen als Metaentscheidungen . . . . 11.2 Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 119 120 128
12 Kollektiventscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Kollektiventscheidungen und ihre Bedeutung in Unternehmen . . . . . . . 12.2 Besonderheiten von Kollektiventscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Unterschiedliche Ziele und Einschätzungen der Situation durch die Gruppenmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Unterschiedliches Entscheidungsverhalten von Gruppen als von Einzelpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Unterschiedliche individuelle Präferenzordnungen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Anforderungen an Regeln zur Bildung kollektiver Präferenzordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Klassische Regeln zur Bildung der kollektiven Präferenzordnung oder zur Bestimmung der vom Kollektiv präferierten Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.4 Komplexere Verfahren zur Bildung der kollektiven Präferenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 131
13 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159
131 131 135 135 136
138 141 148
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.1 Abb. Abb. Abb. Abb.
2.2 2.3 2.4 3.1
Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 3.4
Abb. 4.1 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 5.4 Abb. 5.5
Abb. 5.6 Abb. 5.7 Abb. 5.8
Dimensionen von Entscheidungsproblemen und ihre Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmale komplexer Entscheidungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang der Dimensionen (1), (2) und (3) . . . . . . . . . . . . . . . . Kombination der Dimensionen (8) und (9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entdeckung von Entscheidungsproblemen im Rahmen der Lagebeurteilung (Grünig 2021, S. 44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen von Zielsystemen und ihre Ausprägungen . . . . . . . . . . . Beispiel eines Zielsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile der zwei Arten von Problementdeckungssystemen resp. von Problemindikatoren (in Anlehnung an Kühn und Walliser 1978, S. 231) . . . . . . . . . . . . . . . Qualitativ unterschiedliche Wege zur Lösung von Entscheidungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen von Problemlösungsverfahren und ihre Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arten von Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich von heuristischen und analytischen Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategieplanungsprozess (Grünig et al. 2022, S. 37) . . . . . . . . . . . . . . Ausgangsdaten für die Bestimmung des optimalen Absatzund Produktionsprogramms. (in Anlehnung an Bertsimas und Freund 2004, S. 328) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graphische Bestimmung des optimalen Absatz- und Produktionsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der dem Modell von Harris und Wilson unterstellte Sägezahn der Lagerbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenfunktion des Harris-Wilson-Modells. (in Anlehnung an Simchi-Levi et al. 2009, S. 34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 10 11 12 16 17 18
22 24 35 36 37 41
42 43 44 44
XIII
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 6.1 Abb. 6.2 Abb. 6.3 Abb. 6.4 Abb. 6.5 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 8.1 Abb. 8.2 Abb. 8.3 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 8.12 9.1
Abb. 9.2 Abb. 9.3 Abb. 9.4 Abb. 9.5 Abb. 9.6 Abb. 9.7 Abb. 9.8
Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren in seiner Grundform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren bei parallel zu bewältigenden Teilproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren bei nacheinander zu bewältigenden Teilproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfaches Beispiel zur Anwendung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problementdeckung auf der Basis des kumulierten Sollumsatzes . . . . Unterschritte der Problemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Framework zur ersten Beurteilung der Übernahme eines Produzenten von Photovoltaikanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschritte zur Erarbeitung von Lösungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . Morphologischer Kasten für eine neue Konzernzentrale . . . . . . . . . . . Gute und schlechte Abdeckung des Lösungsraumes mit Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschritte der Festlegung der Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . Unterschritte zur Festlegung von Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele von Umfeldszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wetterszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . Abfolge von Entscheidungsprozess, Entscheidungsrealisierung und Entscheidungskonsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschritte zur Ermittlung der Konsequenzen der Varianten . . . . . . Beispiel einer Entscheidungsmatrix ohne Einzelkonsequenzen . . . . . . Die sechs Entscheidungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel einer Entscheidungsmatrix mit Einzelkonsequenzen . . . . . . . Unterschritte zur Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel einer natürlichen Ordnung in einem Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Sicherheit . . . . . . . . Beispiel einer natürlichen Ordnung in einem Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Ungewissheit . . . . . Beispiel einer Entscheidungsmatrix unter Einwertigkeit und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entscheidungsmaximen und ihre Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsproblem unter Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurve zur Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsproblem unter Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 56 57 60 61 67 69 70 78 79 80 81 84 85 86 87 87 88 89 91 94 94 95 95 97 99 100 102
Abbildungsverzeichnis
Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
9.9 9.10 9.11 9.12 10.1 10.2 11.1
Abb. 12.1
Abb. 12.2 Abb. 13.1
Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resultat der Anwendung der Maxime des Nutzenwertes . . . . . . . . . . . Resultat der Anwendung eines Scoringmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsproblem unter Unsicherheit und Mehrwertigkeit . . . . . . Zwei Beispiele von Entscheidungsbäumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsbaum unter Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren zum Treffen von Informationsbeschaffungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen und Ausprägungen von Kollektiventscheidungen. (In Anlehnung an Brauchlin 1990, S. 250 ff.; von Nitzsch 2002, S. 61) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tendenziell schlechtere Entscheidungen einer Gruppe gegenüber einem Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . .
XV
104 105 107 108 115 117 121
130 132 150
Verzeichnis der Vertiefungsfenster
Vertiefungsfenster 3.1 Vertiefungsfenster 3.2 Vertiefungsfenster 4.1 Vertiefungsfenster 4.2 Vertiefungsfenster 5.1
Vertiefungsfenster 5.2 Vertiefungsfenster 6.1 Vertiefungsfenster 7.1 Vertiefungsfenster 9.1 Vertiefungsfenster 11.1 Vertiefungsfenster 12.1 Vertiefungsfenster 12.2
Vertiefungsfenster 12.3 Vertiefungsfenster 12.4 Vertiefungsfenster 12.5
In der Praxis verfolgte Unternehmensziele . . . . . . . . . . . Frühwarnsystem von Parfitt und Collins . . . . . . . . . . . . . Befolgung der Regeln der formalen Logik als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel zur Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens durch Framing . . . . . . . . . . . . . Wohlstrukturierte Probleme als Voraussetzung für den Einsatz von analytischen Problemlösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Explikative Entscheidungstheorie, präskriptive Entscheidungstheorie und Entscheidungslogik . . . . . . . . Heuristische Prinzipien und ihre Anwendung . . . . . . . . . Ansätze zur rückwärtsschreitenden Problemindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung des Wertes zusätzlicher Informationen durch Bayes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment von Asch zum Konformitätsstreben von Gruppenmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten als Anforderung an Regelsysteme zur Bildung kollektiver Präferenzordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wählerparadoxon nach Condorcet . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatz der Präferenzintensitäten von Blin und Whinston . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analytischer Hierarchischer Prozess von Saaty . . . . . . .
18 20 27 28
38 47 61 72 104 122 133
137 140 141 145
XVII
1
Einleitung
„Decision making is only one of the tasks of an executive. It usually takes but a small fraction of his or her time. But to make the important decisions is the specific executive task“ (Drucker 2001, S. 19). Entscheidungen treffen ist zwar nicht die Haupttätigkeit einer Führungskraft. Aber sie ist eine sehr bedeutungsvolle Tätigkeit. Oft hängen der langfristige Erfolg oder sogar das Überleben davon ab, dass zumindest brauchbare Entscheidungen getroffen werden. Dies führt in der Regel zu einem erheblichen psychischen Druck auf die Person oder Personengruppe, die den Entscheid treffen muss. Die Entscheidungsprobleme, in denen es um den langfristigen Erfolg und das Überleben des Unternehmens geht, sind meist komplex. Dies bedeutet, dass zum psychischen Druck ein hoher Schwierigkeitsgrad der Problembearbeitung dazukommt. Eine zumindest brauchbare Entscheidung bedingt eine systematische Entscheidungsvorbereitung. Hier setzt das vorliegende Buch an. Seine Hauptzielsetzung besteht darin, einen Problemlösungsprozess für komplexe Entscheidungsprobleme vorzuschlagen. Er basiert nicht nur auf der Literatur, sondern auch auf der praktischen Erfahrung der Autoren in der Bearbeitung komplexer Problemstellungen im Rahmen von Beratungsmandaten und als Mitgliedern von Verwaltungsräten. Unabhängig von der inhaltlichen Fragestellung ermöglicht der vorgeschlagene Prozess ein systematisches Vorgehen und schafft damit die Voraussetzungen für eine zumindest brauchbare Entscheidung. Das vorliegende Buch besteht aus drei Teilen: • Teil I enthält eine Einführung in die Entscheidungsmethodik. Es wird gezeigt, was Entscheidungsprobleme sind, wie sie entdeckt werden und was es bedeutet, sie rational zu lösen. Es wird zudem erklärt, was ein Problemlösungsverfahren ist und es werden vier Arten von Problemlösungsverfahren unterschieden.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_1
1
2
1 Einleitung
• Der Teil II beinhaltet das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren und bildet damit das zentrale Element des Buches. Nach einem Überblick über das Verfahren werden die einzelnen Schritte detailliert erläutert. • Der Teil III ist schließlich der Behandlung von drei Sonderproblemen gewidmet. Erstens handelt es sich um das Problem des Umgangs mit Entscheidungssequenzen. Zweitens geht es um die Frage, ob im Rahmen der Problemlösung zusätzliche Informationen beschafft werden sollen oder ob aufgrund der vorliegenden Informationen entschieden werden kann. Schließlich werden die Probleme von Kollektiventscheidungen diskutiert und Ansätze zu ihrer Lösung präsentiert. Der Zielsetzung entsprechend beschäftigt sich das vorliegende Buch in umfassender Weise mit allen Teilfragen, die mit der Lösung von komplexen Entscheidungsproblemen verbunden sind. Behandelt wird deshalb nicht nur die abschließende Bewertung der Varianten, die den Inhalt vieler bekannter Lehrbücher zur Entscheidungsmethodik dominiert. Ebenso großes Gewicht wird auf die für eine erfolgreiche Problembewältigung wichtigen Fragen der Problementdeckung, der Problemanalyse, der Erarbeitung von Lösungsvarianten und der Ermittlung der Konsequenzen der Varianten gelegt. Aus der Zielsetzung des Buches ergibt sich zudem ein geringerer Stellenwert der mathematisch-analytischen Ansätze: Die Komplexität eines Entscheidungsproblems liegt zu einem wesentlichen Teil in seiner zu Beginn unbekannten Struktur. Die mathematisch-analytischen Modelle verlangen jedoch strukturierte Problemstellungen und sind deshalb erst einsetzbar, nachdem die Strukturierung erfolgt und damit ein wesentlicher Teil der Komplexität bewältigt ist. Das Buch richtet sich in erster Linie an Führungskräfte von Unternehmen, Non-ProfitOrganisationen und Verwaltungen. Es soll ihnen bei der Lösung komplexer Probleme als Arbeitsinstrument dienen. Das Buch soll jedoch auch Studierenden eine Grundlage bieten, um in systematischer Weise das erfolgreiche Bewältigen komplexer Probleme zu erlernen. Es eignet sich dementsprechend als praxisorientiertes Lehrmittel zur Einführung in die Entscheidungsmethodik an Universitäten, Fachhochschulen und Executive-Lehrgängen. Das Buch ist für die Praxis nur hilfreich, wenn es die Komplexität der Entscheidungsprobleme ernst nimmt und sie nicht durch eine verende Sicht und eine gefällige Schreibweise zum Verschwinden bringt. Dies hat zur Folge, dass der Text nicht immer leicht verständlich sein kann. Um die Lektüre des Buches zu erleichtern, wurden folgende Maßnahmen ergriffen: • Die Begriffe werden bei ihrer ersten Verwendung erklärt und konsequent verwendet. Dies auch dann, wenn Ideen von Autoren erläutert werden, die im Original eine andere Terminologie verwenden. Die wichtigsten Begriffe finden sich zudem im Glossar. • Grafiken unterstützen das Verstehen von Zusammenhängen. • Der Text enthält viele Beispiele, welche die Ausführungen verständlicher machen. • Schließlich wurde darauf verzichtet, wissenschaftlich interessante, aber für das Verständnis der empfohlenen Entscheidungsmethodik weniger wichtige Überlegungen in
Literatur
3
den „normalen“ Text einzubauen. Diese werden stattdessen in Vertiefungsfenstern vorgestellt, die interessierten Leserinnen und Lesern einen Einstieg ermöglichen und auf Spezialliteratur hinweisen. Die Autoren hoffen, dass die Ausführungen dank dieser Maßnahmen der anspruchsvollen Thematik zum Trotz verständlich sind und dass sie sich in der praktischen Anwendung als nützlich erweisen.
Literatur Drucker PF (2001) The effective decision. In: Harvard Business School Press (Hrsg) Harvard business review on decision making. Boston, S 1–19
Teil I Entscheidungsprobleme und Problemlösungsverfahren
2
Entscheidungsprobleme
2.1
Begriff des Entscheidungsproblems
Probleme entstehen, weil Menschen oder Menschengruppen – in der Entscheidungsmethodik nennen wir sie Aktoren – eine bewusste Vorstellung über einen erstrebenswerten Zustand besitzen. Mit diesem Sollzustand ist fast unweigerlich verbunden, dass der Istzustand davon abweicht oder in Zukunft davon abweichen kann. Damit entsteht für den Aktor Handlungsbedarf: Er muss versuchen, die Differenz zwischen Ist- und Sollzustand möglichst gering zu machen resp. zu halten (vgl. Sanders 1999, S. 7 ff.). Die Abweichung zwischen Soll- und Istzustand allein schafft jedoch noch kein Entscheidungsproblem. Ein Entscheidungsproblem ergibt sich erst, wenn die identifizierte Soll-Ist-Differenz auf verschiedene Weise reduziert werden kann. Damit steht der Aktor vor der Aufgabe, Handlungsvarianten zu entwerfen und zu bewerten. Aufgrund der dargelegten Merkmale wird unter einem Entscheidungsproblem • eine Abweichung zwischen einer Sollvorstellung und dem Istzustand verstanden, • zu deren Bewältigung mindestens zwei Varianten offenstehen. Es gibt viele menschliche und zwischenmenschliche Probleme wie beispielsweise Depressionen, Todesfälle von Angehörigen und Konflikte, die keine Entscheidungsprobleme darstellen. Dies, weil sich für diese Probleme kaum systematisch Varianten zur Reduktion oder zur vollständigen Eliminierung der Differenz zwischen Soll- und Istzustand erarbeiten und beurteilen lassen. Diametral anders präsentiert sich die Situation aus Sicht der Autoren bei Soll-Ist-Abweichungen in Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und in der Verwaltung. Hier existieren praktisch immer – zumindest bei einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem erkannten Problem – Varianten zur Reduktion oder Eliminierung der Soll-Ist-Abweichung. Der Aktor steht damit vor dem Entscheidungsproblem, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_2
7
8
2 Entscheidungsprobleme
welche Variante sich am Besten eignet. Um diese Frage beantworten zu können, ist ein systematischer Problemlösungsprozess notwendig. Da sich das vorliegende Buch an Führungskräfte von Unternehmen, Non-ProfitOrganisationen und Verwaltungen richtet, wird in der Folge stets davon ausgegangen, dass es sich bei einem entdeckten Problem um ein Entscheidungsproblem handelt.
2.2
Arten von Entscheidungsproblemen
Es gibt zahlreiche Kriterien, um verschiedene Arten von Entscheidungsproblemen auseinander zu halten (vgl. Rühli 1988, S. 186 ff.). In der Folge werden nur diejenigen Kriterien und Ausprägungen dargestellt, auf die im Buch anschließend an irgendeiner Stelle zurückgekommen wird. Einen Überblick über die wichtigsten Dimensionen und ihre Ausprägungen verschafft Abb. 2.1. Nach dem Schwierigkeitsgrad der Problemstellung – Dimension (1) – wird zwischen einfachen und komplexen Entscheidungsproblemen unterschieden. Ein komplexes Entscheidungsproblem liegt nach dem Verständnis der Verfasser vor, wenn mindestens zwei der nachfolgenden drei Merkmale erfüllt sind: • Der Aktor verfolgt mehrere Ziele gleichzeitig. Sie sind teilweise nur vage umschrieben und können sogar im Widerspruch zueinander stehen. Wie Morieux (2011, S. 78) zeigt, verfolgten CEOs 1955 normalerweise vier bis sieben Ziele. 2010 waren es fünfundzwanzig bis vierzig Ziele, die gleichzeitig verfolgt wurden. Entsprechend muss der Aktor zur Beurteilung der Problemlösungsvarianten zahlreiche, teilweise qualitative Entscheidungskriterien einsetzen. • Es besteht eine große Anzahl von Entscheidungsvariablen, um die Soll-Ist-Abweichung zu verkleinern. Ein Teil dieser Variablen besitzt viele Ausprägungen. Diese beiden Faktoren führen zu einer sehr großen Zahl von denkbaren Problemlösungsvarianten. Wie in Kap. 8 gezeigt wird, bedeutet dies allerdings nicht, dass der Aktor eine große Anzahl Varianten ausarbeiten und beurteilen muss. Es geht in dieser Situation vielmehr darum, wenige sich voneinander klar unterscheidbare und damit den Lösungsraum gut abdeckende Varianten zu erarbeiten. • Die zukünftige Entwicklung mehrerer Umfeldvariablen ist unsicher. Dies bedeutet für den Aktor, dass er seine Problemlösungsvarianten vor dem Hintergrund mehrerer möglicher Umfeldszenarien beurteilen muss. Abb. 2.2 fasst die Merkmale komplexer Entscheidungsprobleme graphisch zusammen. Die Einteilung in gut und schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme – Dimension (2) – stammt von Simon und Newell (1958, S. 4 f.). Von einem wohlstrukturierten Problem wird gesprochen, wenn das Problem so präzis umschrieben werden kann, dass zu
2.2
Arten von Entscheidungsproblemen
9
Dimension
Ausprägungen
(1) Schwierigkeitsgrad
Einfache Entscheidungsprobleme
Komplexe Entscheidungsprobleme
(2) Problemstruktur
Gut strukturierte Entscheidungsprobleme
Schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme
(3) Problemcharakter I
Wahlprobleme
Gestaltungsprobleme
(4) Problemcharakter II
Gefahrenprobleme
Chancenprobleme
(5) Verknüpfung mit anderen Entscheidungsproblemen
Unabhängige Entscheidungsprobleme
Entscheidungsprobleme in einer Entscheidungssequenz
(6) Problemebene
Originäre Entscheidungsprobleme
Metaprobleme, z.B. Informationsbeschaffungsprobleme
(7) Art des Aktors
Entscheidungsprobleme Entscheidungsprobleme in denen eine in denen ein Kollektiv Einzelperson entscheidet entscheidet
(8) Eingesetzte Entscheidungskriterien
Einwertige Entscheidungsprobleme auf Basis eines Entscheidungskriteriums oder mehrerer Entscheidungskriterien mit arithmetischem Verhältnis
(9) Prognostizierbarkeit der Umfeldentwicklung
Entscheidungsprobleme mit sicheren Konsequenzen auf der Basis einer „Clear enough future“ (Courtney et al., 1997, S. 68)
Mehrwertige Entscheidungsprobleme auf der Basis mehrerer Entscheidungskriterien ohne arithmetisches Verhältnis
Entscheidungsprobleme mit unsicheren Konsequenzen auf der Basis von Umfeldszenarien mit Eintretenswahrscheinlichkeiten
Entscheidungsprobleme mit ungewissen Konsequenzen auf der Basis von Umfeldszenarien ohne Eintretenswahrscheinlichkeiten
Abb. 2.1 Dimensionen von Entscheidungsproblemen und ihre Ausprägungen
10
2 Entscheidungsprobleme
Zahlreiche Kriterien zur Beurteilung der Problemlösungsvarianten
Sehr grosse Zahl von denkbaren Problemlösungsvarianten
Mehrere mögliche Umfeldszenarien
Komplexes Entscheidungsproblem = Abhängigkeit
Abb. 2.2 Merkmale komplexer Entscheidungsprobleme
seiner Lösung ein analytisches Problemlösungsverfahren eingesetzt werden kann. Ist dies nicht der Fall, wird von einem schlecht strukturierten Entscheidungsproblem gesprochen. Eine genauere Umschreibung gut strukturierter und schlecht strukturierter Probleme ist hier nicht sinnvoll, weil die Grundlagen noch fehlen. Sie wird in Vertiefungsfenster 5.1 nachgeholt. Die Unterscheidung von Wahl- und Gestaltungsproblemen – Dimension (3) – wird von Simon (1966, S. 1 ff.) vorgeschlagen. Wahlprobleme liegen vor, wenn die Entscheidungsvarianten abschließend bekannt sind. Wenn es für eine Spezialmaschine drei potenzielle Lieferanten gibt, stehen dem Aktor drei Varianten zur Verfügung. Daraus ist die beste Möglichkeit zu wählen. Völlig anders präsentiert sich die Situation, wenn eine neue Konzernzentrale gebaut werden soll. Auch wenn das Grundstück gegeben ist, existiert eine beinahe unendliche Anzahl von Möglichkeiten für die Struktur und das Layout des Gebäudes. Das Problem kann nur bewältigt werden, wenn es in nach- und nebeneinander liegende Teilprobleme zerlegt und die neue Konzernzentrale damit schrittweise geplant wird. Die aufgrund der Dimensionen (1) bis (3) unterschiedenen Arten von Entscheidungsproblemen stehen nicht zusammenhanglos nebeneinander: Es besteht einerseits eine große Übereinstimmung zwischen einfachen Entscheidungsproblemen, gut strukturierten Entscheidungsproblemen und Wahlproblemen. Andererseits korrelieren komplexe Entscheidungsprobleme mit schlecht strukturierten Entscheidungsproblemen und Gestaltungsproblemen. Abb. 2.3 veranschaulicht diesen Zusammenhang. Wer in der Umgangssprache von einem Problem spricht, meint fast immer die Bewältigung einer Gefahr und damit gemäß Dimension (4) ein Gefahrenproblem. In diesem Buch wird jedoch der Problembegriff, wie in der Literatur zur Entscheidungsmethodik üblich, neutral als eine Differenz zwischen einer Sollvorstellung und einem Istzustand verstanden. Ein Gefahrenproblem liegt vor, wenn die Sollvorstellung in Zukunft schlechter erreicht
2.2
Arten von Entscheidungsproblemen
11
Einfache Entscheidungsprobleme
Gut strukturierte Probleme
Wahlprobleme
Komplexe Entscheidungsprobleme
Schlecht strukturierte Probleme
Gestaltungsprobleme
= Korrelation
Abb. 2.3 Zusammenhang der Dimensionen (1), (2) und (3)
werden kann als heute. Ergibt sich hingegen die Möglichkeit, in Zukunft die Sollverstellung besser zu verwirklichen als heute, wird von einem Chancenproblem gesprochen. Komplexe Probleme enthalten häufig gleichzeitig Chancen und Gefahren. Des Weiteren lassen sich gemäß Dimension (5) unabhängige Entscheidungsprobleme und Entscheidungssequenzen unterscheiden. Ein unabhängiges Entscheidungsproblem liegt vor, wenn der Aktor aus mehreren Problemlösungsvarianten die beste auswählen kann ohne dabei auf später auftretende Entscheidungsprobleme Rücksicht nehmen zu müssen. Von einer Entscheidungssequenz wird gesprochen, wenn eine oder mehrere der zur Diskussion stehenden Varianten zu einem späteren Zeitpunkt weitere Entscheidungen verlangen. Im Teil II des Buches werden komplexe, aber unabhängige Entscheidungen behandelt. Entscheidungssequenzen werden anschließend in Kap. 10 in Teil III diskutiert. Nach der Problemebene lassen sich gemäß Dimension (6) originäre Entscheidungsprobleme und Entscheidungsprobleme auf der Metaebene unterscheiden. Der Teil II befasst sich ausschließlich mit originären Entscheidungsproblemen. In Kap. 11 im Teil III wird sodann mit der Informationsbeschaffung ein Entscheidungsproblem auf der Metaebene behandelt. Nach der Art des Aktors, der die Entscheidung trifft, kann gemäß Dimension (7) zwischen Einzel- und Kollektiventscheidungen unterschieden werden. Eine Einzelentscheidung schließt dabei nicht aus, dass andere Personen wesentlich an der Problemanalyse, der Variantenerarbeitung und der Variantenbeurteilung beteiligt sind. Von einer Kollektiventscheidung sollte deshalb nur gesprochen werden, wenn die Wahl der zu realisierenden Variante von mehreren Personen gemeinsam vorgenommen und verantwortet wird. Im Teil II dieses Buches wird von der Annahme ausgegangen, dass der Aktor eine Einzelperson ist. Kollektiventscheidungen werden in Kap. 12 im Teil III des Buches behandelt. Sofern der Aktor gemäß Dimension (8) zur Beurteilung der Problemlösungsvarianten nur ein Entscheidungskriterium einsetzt, liegt ein einwertiges Entscheidungsproblem
12
2 Entscheidungsprobleme
vor. Ein einwertiges Entscheidungsproblem existiert auch, wenn der Aktor zwar mehrere Entscheidungskriterien verwendet, diese jedoch in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehen. Ein arithmetisches Verhältnis ist zum Beispiel zwischen den Nettoerlösen und den variablen Kosten von Produkten gegeben. Sie lassen die sich problemlos zu den Produktdeckungsbeiträgen aggregieren. Viel häufiger ist jedoch der Fall, dass mehrere nicht in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehende Entscheidungskriterien eingesetzt werden und damit eine mehrwertige Entscheidung vorliegt. Die Entwicklung des relevanten Umfeldes lässt sich nie mit 100 %iger Sicherheit voraussagen. Entsprechen können auch die Konsequenzen der Problemlösungsvarianten nie mit vollständiger Sicherheit prognostiziert werden. Aber häufig existiert eine Situation die von Courtney et al. (1997, S. 68 ff.) als „Clear enough future“ bezeichnet wird. In dieser Situation kann darauf verzichtet werden, Umfeldszenarien zu definieren. Entsprechend werden sicherere Konsequenzen ermittelt, auch wenn der Aktor weiß, dass die effektiven Konsequenzen geringfügig von den prognostizierten Konsequenzen abweichen werden. Häufig ist jedoch die Unsicherheit bezüglich der Umfeldentwicklung so groß, dass nach Courtney et al. (1997, S. 68 ff.) mit „A ranges of futures“ gerechnet werden muss. In diesem Fall sind Umfeldszenarien zu definieren. Manchmal können ihnen Eintretenswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. In diesem Fall sind die Konsequenzen der Problemlösungsvarianten unsicher. Falls den Umfeldszenarien keine Eintretenswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können, wird von ungewissen Konsequenzen der Problemlösungsvarianten gesprochen. Auf der Grundlage der Dimensionen (8) und (9) werden gemäß Abb. 2.4 sechs Arten von Entscheidungsproblemen unterschieden.
Dimension (8) Entscheidungsproblem unter Einwertigkeit Dimension (9)
Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit
Entscheidungsproblem unter Sicherheit
Entscheidungsproblem unter Einwertigkeit und Sicherheit
Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Sicherheit
Entscheidungsproblem unter Unsicherheit
Entscheidungsproblem unter Einwertigkeit und Unsicherheit
Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Unsicherheit
Entscheidungsproblem unter Ungewissheit
Entscheidungsproblem unter Einwertigkeit und Ungewissheit
Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Ungewissheit
Abb. 2.4 Kombination der Dimensionen (8) und (9)
Literatur
13
Literatur Courtney H, Kirkland J, Viguerie P (1997) Strategy under uncertainty. HBR (November–December):67–79 Morieux Y (2011) Smart rules: six ways to get people to solve problems without you. HBR (September):78–85 Rühli E (1988) Unternehmungsführung und Unternehmungspolitik. Bd. 2, 2. Aufl. Haupt, Bern Sanders R (1999) The executive decision making process. Quorum Books, Westport Simon HA (1966) The logic of heuristic decision making. In: Rescher N (Hrsg) The logic of decision and action. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh, S 1–20 Simon HA, Newell A (1958) Heuristic problem solving; The next advance in operations research. Operations Research 6 (January–February):1–10
3
Ziel- und Problemendeckungssysteme als Voraussetzungen für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen
3.1
Die Entdeckung von Entscheidungsproblemen
Wie Abb. 3.1 zeigt, sollten die Unternehmensleitungen laufend die Lage beurteilen. Wird dabei eine Soll-Ist-Abweichung festgestellt, entspricht dies der Entdeckung eines Entscheidungsproblems (vgl. Grünig 2021, S. 44 f.). Wichtig ist dabei, dass sich die Lagebeurteilung nicht nur auf die Entdeckung von Gefahrenproblemen fokussiert, sondern dass mit gleicher Intensität auch nach Chancen gesucht wird. Soll-Ist-Abweichungen respektive Entscheidungsprobleme entstehen nur, wenn der Aktor Ziele verfolgt und dadurch über eine Sollvorstellung verfügt. Dies bedeutet, dass Zielsysteme zwingende Voraussetzungen für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen darstellen. Abweichungen des Istzustandes von den Sollvorstellungen lassen sich durch die Führungskräfte ad hoc feststellen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Produktionsleiter bei seinem täglichen Rundgang in einer Halle viele stillstehende Maschinen „entdeckt“ oder wenn der Verkaufsleiter mit einem starken Anstieg der Kundenreklamationen konfrontiert wird. Gut ausgebildete und erfahrene Führungskräfte sind grundsätzlich in der Lage, Probleme ad hoc zu entdecken. Es besteht jedoch trotzdem das Risiko, dass wichtige Probleme übersehen oder erst spät entdeckt werden. Um dieses Risiko zu reduzieren, nutzen die meisten Unternehmen zusätzlich Problementdeckungssysteme. Sie ermöglichen es, Entscheidungsprobleme systematisch und – im Falle von Frühwarnsystemen – frühzeitig zu entdecken. Im Gegensatz zu den Zielsystemen sind die Problementdeckungssysteme keine zwingende Voraussetzung für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen. Sie leisten jedoch vor allem in mittleren und großen Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur möglichst vollständigen und frühzeitigen Entdeckung von Soll-Ist-Abweichungen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_3
15
16
3 Ziel- und Problemendeckungssysteme
E
D
C
D
C
B
A
E
B
A
Lagebeurteilung
t = Problementdeckung
= Problembearbeitung und Entscheidung sfindung A - E = Entscheidungsprobleme
Abb. 3.1 Entdeckung von Entscheidungsproblemen im Rahmen der Lagebeurteilung (Grünig 2021, S. 44)
3.2
Zielsysteme
Ein Ziel ist eine Vorstellung über den gewünschten und deshalb zu erhaltenden resp. anzustrebenden Zustand bestimmter Merkmale (vgl. Heinen 1976, S. 45) wie z. B. des Gewinns oder des Marktanteils. Der anzustrebende resp. zu erhaltende Sollzustand eines Unternehmens besteht fast immer aus einem Set von Zielen resp. aus einem Zielsystem. Ein solches Zielsystem ist dabei praktisch nie in allen seinen Bestandteilen präzis und meist auch nicht widerspruchsfrei. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vorstellungen über den Sollzustand der Unternehmung in gewissen Teilbereichen diffus sind und
3.2
Zielsysteme
17
auch Widersprüche enthalten können. Es erscheint wichtig, diese Tatsache zu akzeptieren und sie nicht durch vereinfachende Annahmen zu eliminieren. Nur unter Akzeptanz der Realität lassen sich hilfreiche Empfehlungen für die Praxis erarbeiten und dies ist die Zielsetzung des vorliegenden Buches. Wenn nachfolgend Ansatzpunkte zur Ordnung von Zielsystemen aufgezeigt werden, so geschieht dies somit nicht, um die eher diffuse Realität durch einfache Aussagen zu ersetzen. Es wird damit lediglich eine Grundlage geschaffen, um über das komplexe Phänomen präziser kommunizieren zu können. Abb. 3.2 zeigt die wichtigsten Dimensionen von Zielsystemen und ihre Ausprägungen (vgl. Grünig et al. 2022, S. 130; Heinen 1976, S. 107 ff.; Macharzina und Wolf 2015, S. 202; Stelling 2005, S. 7 f.; Thommen 2002, S. 114 f.; Ulrich und Fluri 1995, S. 97 ff.; Wöhe 1996, S. 124 ff.). Für weitergehende, differenziertere Überlegungen wird auf Heinen (1976, S. 89 ff.) und Stelling (2005, S. 8 f.) verwiesen. Die drei Kriterien können simultan zur Strukturierung eines Zielsystems angewendet werden. Abb. 3.3 zeigt das Beispiel eines Zielsystems mit dem zu maximierenden Hauptziel der Eigenkapitalrentabilität unter Berücksichtigung von mehreren Nebenzielen. Mit Ausnahme der Produktivität und der Produktqualität, die aufgrund empirischer Forschung zu einer überdurchschnittlichen Rentabilität führen (vgl. Buzzell und Gale 1987, S. 46 ff.), schränken alle Nebenziele die Eigenkapitalrentabilität ein. Dafür reduzieren die Ziele die Risiken oder verbessern die gesellschaftliche Akzeptanz. Im Rahmen der empirischen Zielforschung wird untersucht, welche Ziele tatsächlich verfolgt werden. Vertiefungsfenster 3.1 fasst die Resultate solcher Untersuchungen zusammen.
Dimensionen
Ausprägungen
(1) Bedeutung
Hauptziele
(2) Inhalt
Marktpositionsziele
Nebenziele
Leistungswirtschaftliche Ziele
(3) Gefordertes Ausmass Optimierungsziele der Zielerreichung
Finanzziele
Gesellschafsbezogene Ziele Satisfizierungsziele
Abb. 3.2 Dimensionen von Zielsystemen und ihre Ausprägungen
18
3 Ziel- und Problemendeckungssysteme
Nur PremiumAngebote (1) Beeinträchtigung der Umwelt unter Branchendurchschnitt (4)
Produktivität über Branchendurchschnitt (2)
Return on Equity (3) Löhne und Sozialleistungen über Branchendurchschnitt (4)
Internal Rate of Return der Investitionen mindestens 12% (3)
= Zu maximierendes Hauptziel
Mindestens Anlagevermögen mit Eigenkapital finanziert (3)
(1) = Marktpositionsziel
(2) = Leistungswirtschaftliches Ziel = Zu satisfizierendes Nebenziel = Konflikt
(3) = Finanzziel (4) = Gesellschaftsbezogenes Ziel
Abb. 3.3 Beispiel eines Zielsystems
Vertiefungsfenster 3.1: In der Praxis verfolgte Unternehmensziele
Das Vertiefungsfenster basiert auf Grünig et al. (2022, S. 131). Eine Synthese zahlreicher Studien zeigt, welche Ziele Unternehmen als wichtigste ansehen (vgl. Raffée und Fritz 1992; Macharzina und Wolf 2015, S. 234; Welge und Al-Laham 2008, S. 205; Becker 2013, S. 18; Deloitte 2019, S. 13): • • • • •
Eigenkapitalrentabilität Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Gesamtkapitalrentabilität Kosteneinsparungen Kundenzufriedenheit
3.3
Problementdeckungssysteme
• • • • • • • •
19
Langfristiger Gewinn Marktanteil Produktivitätssteigerungen Qualität des Angebots Schutz der Umwelt Sicherung des Unternehmensbestandes Soziale Verantwortung Umsatzwachstum
Die Studienergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Welge und AlLaham 2008, S. 204): • Finanzziele dominieren nach wie vor. • Gesellschaftsbezogene Ziele, wie soziale Verantwortung und Schutz der Umwelt, gewinnen an Bedeutung. Sie sind in die oberste Ebene der Zielhierarchie aufgerückt.
3.3
Problementdeckungssysteme
Um Probleme systematisch und frühzeitig erkennen zu können, entwickeln und betreiben die Unternehmen Problementdeckungssysteme respektive Monitoringsysteme. Problementdeckungssysteme sind (vgl. Kühn und Walliser 1978, S. 227 ff.): • Subsysteme des betrieblichen Informationssystems, • welche Informationen beschaffen, verarbeiten, speichern und bereitstellen, • die unter anderem oder ausschließlich der Entdeckung von Entscheidungsproblemen dienen. Mit der Finanzbuchhaltung besitzt jedes Unternehmen ein von Gesetzes wegen vorgeschriebenes Instrument, das neben der Dokumentation und Rechenschaftslegung auch der Problementdeckung dienen kann. Allerdings handelt es sich um ein Problementdeckungssystem, das spät reagiert und deshalb den notwendigen Analyse- und Entscheidungsprozess oft zu spät in Gang setzt. Dies ist der Grund dafür, dass eine Mehrzahl der Unternehmen neben der vorgeschriebenen Finanzbuchhaltung weitere Systeme aufbauen und betreiben, die ausschließlich der Problementdeckung dienen und Probleme früher anzeigen.
20
3 Ziel- und Problemendeckungssysteme
Es lassen sich zwei Kategorien von Problementdeckungssystemen unterscheiden (vgl. Kühn und Walliser 1978, S. 229 ff.): • Problementdeckungssysteme des Rechnungswesens, die Zielindikatoren nutzen. Dabei handelt es sich sowohl um globale Zielgrößen wie z. B. die Kapitalrentabilität als auch um differenzierte Zielgrößen wie z. B. der Umsatz von Produktgruppen, von Ländern oder von Produktgruppen pro Land. • Problementdeckungssysteme mit Frühwarneigenschaften resp. Frühwarnsysteme, die auf Ursachenindikatoren basieren. Ursachenindikatoren sind Variablen, die in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis zu einem Zielindikator stehen und die Probleme deshalb früher anzeigen. In Vertiefungsfenster 3.2 werden zur Illustration die Frühwarnindikatoren von Parfitt und Collins (1968, S. 131 ff.) vorgestellt. Sie überwachen die Marktstellung von Konsumgütern und zeigen diesbezügliche Probleme an, bevor Absatzeinbrüche auftreten.
Vertiefungsfenster 3.2: Frühwarnsystem von Parfitt und Collins
Der Marktanteil bildet eine wichtige Größe, um die Marktposition von Konsumgütern zu steuern. Um Marktanteilsveränderungen prognostizieren zu können und im Falle von sich abzeichnenden Marktanteilsverlusten frühzeitig reagieren zu können, entwickelten Parfitt und Collins ihr Frühwarnsystem. Es basiert auf vier mengenmäßigen, periodenbezogenen Indikatoren: Absatzmenge von Produkt a Absatzmenge von Produktkategorie A Anzahl Nachfrager, die Produkt a wenigstens einmal gekauft haben • Penetration von Produkt a = Anzahl Nachfrager nach Produkten der Produktkategorie A Anzahl Kaufakte von Nachfrageren von Produkt a • Widerkaufsrate von Produkt a = Anzahl Kaufakte aller Nachfrager der Produktkategorie A Menge von Produkt a pro Kaufakt • Kaufintensit¨aat von Produkt a = Menge der Produktekatagorie A pro Kaufakt • Mengenm¨assiger Marktanteil von Produkt a =
Die vier Indikatoren stehen in einem arithmetischen Verhältnis zueinander: Mengenm¨assiger Marktanteil von Produkt a =
Penetration von a · Kaufintensit¨at von a · Widerkaufsrate von a 100
Die arithmetische Verknüpfung erlaubt bei einer empirischen Bestimmung der Indikatorenwerte eine Validierung der Messresultate (vgl. Kühn und Walliser 1978, S. 237 ff.; Parfitt und Collins 1968, S. 131 ff.). Die Funktionsweise des Frühwarnsystems soll nun anhand eines Beispiels illustriert werden: Die nachfolgende Abbildung zeigt den effektiven mengenmäßigen Marktanteil der Produktgruppe a der Inova AG im Vergleich zum Sollmarktanteil. Zusätzlich zum Marktanteilsvergleich zeigt die Tabelle die Werte für die
3.3
Problementdeckungssysteme Indikatoren
21 Quartale Quartal 1
Quartal 2
Quartal 3
Quartal 4
(1) Penetration Ist
40 %
44 %
49 %
52 %
(2) Widerkaufsrate Ist
39 %
35 %
32 %
30 %
(3) Kaufintensität Ist
0.63
0.64
0.63
0.63
(4a) Mengenmässiger Marktanteil Ist
9.83 %
9.86 %
9.88 %
9.83 %
(4b) Mengenmässiger Marktanteil Soll
10 %
10 %
10 %
10 %
Die vier Indikatoren von Parfitt und Collins für die Produktgruppe a der Inova AG (in Anlehnung an Grünig 2002, S. 36; Kühn und Walliser 1978, S. 239) drei anderen Problemindikatoren von Parfitt und Collins. Im Gegensatz zum Soll-IstVergleich auf der Stufe des mengenmäßigen Marktanteils, der für alle vier Quartale zu keinerlei Beunruhigung Anlass gibt, weist die ab dem zweiten Quartal sinkende Wiederkaufsrate auf das Problem einer abnehmenden Kundenzufriedenheit hin. Dieses Problem wirkt sich nur deshalb noch nicht negativ auf den Umsatz aus, weil eine Werbekampagne in den Quartalen 2, 3 und 4 neue Käufer anzieht und damit eine höhere Penetration ergibt. Wenn jedoch nach Beendigung der Werbekampagne die Penetration wieder auf den ursprünglichen Wert von 40 % absinkt, die Wiederkaufsrate jedoch bei 30 % und die Kaufintensität bei 0.63 bleiben, wird es im nächsten Quartal zu einem Absacken des mengenmäßigen Marktanteils auf 7.56 % kommen. Die Indikatoren von Parfitt und Collins erlauben somit die Entdeckung von Marktpositionsproblemen, bevor sich diese marktanteilsmäßig auswirken und damit akut werden (vgl. Grünig 2002, S. 34 f.; Kühn und Walliser 1978, S. 237 ff.).
Abb. 3.4 zeigt die Vor- und Nachteile der Problementdeckungssysteme des Rechnungswesens und der Frühwarnsysteme: • Frühwarnsysteme reagieren frühzeitig und zeigen Probleme an, bevor sie bereits weit eskaliert sind. Dies verschafft dem Aktor wertvolle Zeit zum Bearbeiten des Problems und zur Umsetzung der gewählten Lösung. Problementdeckungssysteme des Rechnungswesens reagieren hingegen spät. Entsprechend ist der Aktor unter Umständen mit der Situation konfrontiert, dass es für wirkungsvolle Maßnahmen bereits zu spät ist. • Bei der Verwendung von Frühwarnsystemen besteht das Risiko eines Fehlalarms. Ein solcher Fehlalarm bewirkt mit Sicherheit Analyseaufwand. Wird im Rahmen der Problembearbeitung nicht bemerkt, dass zu Unrecht ein Problem angezeigt wird, kann der Fehlalarm sogar zu unnötigen und damit wirkungslosen Maßnahmen führen. Dieses Risiko existiert bei den Problementdeckungssystemen des Rechnungswesens praktisch nie. Wenn sie reagieren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass effektiv ein Entscheidungsproblem vorliegt.
22
3 Ziel- und Problemendeckungssysteme Problemintensität; Anzeigenunsicherheit; Kosten
Frühwarnsystem
Rechnungswesen Kosten
Kosten
Zeit
Abb. 3.4 Vor- und Nachteile der zwei Arten von Problementdeckungssystemen resp. von Problemindikatoren (in Anlehnung an Kühn und Walliser 1978, S. 231)
• Frühwarnsysteme verursachen in der Regel wesentliche Kosten für die Informationsbeschaffung, während Rechnungswesen-basierte Problementdeckungssysteme weitgehend auf bereits existierende Informationen zurückgreifen können.
Literatur Becker J (2013) Marketing-Konzeption, 10. Aufl. Vahlen, München Buzzell RD, Gale BT (1987) The PIMS principles. Free Press, New York Deloitte (Hrsg) (2019) Long-term goals, meet short-term drive – global family business survey 2019, Deloitte Insights Grünig R (2002) Planung und Kontrolle, 3. Aufl. Haupt, Bern Grünig R (2021) Komplexe Unternehmen erfolgreich führen. Springer Gabler, Berlin Grünig R, Kühn R, Morschett D (2022) Strategieplanungsprozess, 3. Aufl. Haupt, Bern Heinen E (1976) Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, 3. Aufl. Gabler, Wiesbaden Kühn R, Walliser M (1978) Problementdeckungssystem mit Frühwarneigenschaften. Die Unternehmung 32(3):223–243 Macharzina K, Wolf J (2015) Unternehmensführung: Das internationale Managementwissen, 9. Aufl. SpringerGabler, Berlin Parfitt J, Collins, B (1968) The use of consumer panels for brand-share prediction. J Market Res (May):131–145 Raffée H, Fritz W (1992) Die Führungskonzeption erfolgreicher und weniger erfolgreicher Unternehmen im Vergleich. Z betriebswirtschaftliche Forsch 44(4):303–322 Stelling JN (2005) Betriebliche Zielbestimmung und Entscheidungsfindung. http://www.htwm.de/ ww/teachware/profst/zue.pdf, 22.04.2005:1–44 Thommen J-P (2002) Betriebswirtschaftslehre, 5. Aufl. Versus, Zürich Ulrich P, Fluri E (1995) Management, 7. Aufl. Haupt, Bern Welge M, Al-Laham A (2008) Strategisches Management, 5. Aufl. Gabler, Wiesbaden Wöhe G (1996) Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Vahlens, München
4
Rationale Problemlösungen
4.1
Wege zur Lösung von Entscheidungsproblemen
Wie in Abschn. 2.1 gezeigt, entsteht ein Entscheidungsproblem, wenn eine Soll-IstAbweichung durch verschiedene Handlungsmöglichkeiten reduziert oder sogar eliminiert werden kann. Die Bestimmung der zu realisierenden Lösungsvariante kann auf sehr unterschiedliche Weise erfolgen: • • • •
Übernahme einer nicht hinterfragten Expertenlösung, intuitive Wahl einer Lösungsvariante, Wahl einer Lösungsvariante, die sich aufgrund der Erfahrung bewährt hat, oder Bestimmung einer Lösungsvariante in einem rationalen Problemlösungsprozess
Wie Abb. 4.1 zeigt, ergeben die vier möglichen Wege zur Lösung von Entscheidungsproblemen aus Sicht der Verfasser eine unterschiedliche Lösungsqualität. Ein rationaler Problemlösungsprozess führt in der Regel zu einer besseren Entscheidung als ein reines Abstützen auf die Intuition oder die Erfahrung. Besonders kritisch wird die Übernahme einer Standardlösung eines Experten gesehen. Expertenlösungen können zwar eine gute Grundlage für die Erarbeitung einer Problemlösung sein. Allerdings ist es wichtig, dass sie an die spezifische Situation des Unternehmens angepasst wird. Die Präferenz für einen rationalen Problemlösungsprozess bedeutet nicht, dass die Autoren die Intuition und die Erfahrung der Führungskräfte als unwesentlich ansehen. Auch in einem rationalen Problemlösungsprozess führen unvollständige Informationen und Unsicherheiten über die Auswirkungen der Handlungsmöglichkeiten dazu, dass die Aktoren auf ihre Erfahrung und Intuition zurückgreifen müssen. Wenn – was in der Praxis häufig der Fall ist – Entscheidungen unter Zeitdruck gefällt werden müssen, verstärkt sich die Notwendigkeit, fehlende Informationen durch Intuition und Erfahrung zu © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_4
23
24
4 Rationale Problemlösungen
Bestimmung einer Lösungsvariante in einem rationalen Problemlösungsprozess
Wahl einer Lösungsvariante, die sich aufgrund der Erfahrung bewährt hat
Intuitive Wahl einer Lösungsvariante
Übernahme einer nicht hinterfragten Expertenlösung
Lösungsqualität
Abb. 4.1 Qualitativ unterschiedliche Wege zur Lösung von Entscheidungsproblemen
überbrücken. Intuition und Erfahrung sind somit wichtige Ergänzungen eines rationalen Problemlösungsprozesses (vgl. Robbins et al. 2011, S. 92 f.). Die im Vordergrund stehenden rationalen Problemlösungsprozesse basieren häufig auf einem Problemlösungsverfahren. In Kap. 5 wird gezeigt, was unter einem Problemlösungsverfahren verstanden wird und welche Arten es gibt.
4.2
Unterscheidung von formaler und substanzieller Rationalität
Das Eigenschaftswort „rational“ wird im Zusammenhang mit Problemlösungsprozessen häufig verwendet. Eine präzise Umschreibung, was damit gemeint ist, fehlt allerdings meist. Um eine klarere Vorstellung zu erhalten, was mit einer rationalen Problemlösung gemeint ist, muss zwischen formaler Rationalität und substanzieller oder inhaltlicher
4.3
Anforderungen an einen formal-rationalen Problemlösungsprozess
25
Rationalität unterschieden werden (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 3 f.; Brauchlin 1990, S. 344 f.; Pfohl und Braun 1981, S. 129 f.): • Von formaler Rationalität wird gesprochen, wenn die verfolgten Ziele nicht auf ihre Rationalität hinterfragt werden. Die Rationalitätsanforderungen beziehen sich somit nur auf den Problemlösungsprozess. • Substanzielle bzw. inhaltliche Rationalität setzt dagegen voraus, dass die Ziele rational sind, weil sie die einzig akzeptablen, „richtigen“ Ziele darstellen. Die geforderte Rationalität bezieht sich somit nicht nur auf den Problemlösungsprozess, sondern auch auf die verfolgten Ziele. Sie werden zu den allein „richtigen“ Zielen, neben denen alle anderen Ziele „falsch“ erscheinen (vgl. z. B. auch Pfohl und Braun 1981, S. 129). Die meisten Forscher gehen davon aus, dass die Wahl der für die Entscheidungen maßgebenden obersten Ziele subjektive Wertungen darstellen, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht als objektiv richtig oder falsch qualifiziert werden können. Sie akzeptieren deshalb, dass die in einem Entscheidungsproblem verfolgten Ziele subjektiv sind. „Für Werte lebt man, für Werte stirbt man, wenn es notwendig ist. Werte aber beweist man nicht“ (Sombart 1967, S. 83). Da es somit keine „richtigen“ Ziele gibt, bildet nur die formale Rationalität eine sinnvolle Anforderung an Problemlösungsverfahren. Die Tatsache, dass es keine wissenschaftlich beweisbaren „richtigen“ Ziele gibt, bedeutet nicht, dass die Unternehmen in der Definition ihrer Ziele völlig frei sind. Sie tragen die Verantwortung für die von ihnen verfolgten Ziele und müssen im Sinne der Corporate Social Responsibility (vgl. Bowen 1953; Carroll 1991, S. 39 ff., Crane et al. 2008) dafür sorgen, dass ihre Ziele ethischen respektive moralischen Maßstäben genügen.
4.3
Anforderungen an einen formal-rationalen Problemlösungsprozess
Wie Eisenführ und Weber (2003, S. 4) ausführen, ist „der spätere Erfolg oder Misserfolg […] kein […] Maßstab“. Es muss zwischen einem formal-rationalen Problemlösungsprozess und einer erfolgreichen Problemlösung unterschieden werden. Zwar soll ein formal-rationales Vorgehen erfolgreichere Entscheidungen produzieren. Es wäre jedoch ein Fehlverständnis von formaler Rationalität, wenn man annähme, sie könnte die mit vielen Entscheidungen verbundene Unsicherheit eliminieren und Erfolg garantieren. Eisenführ/Weber verdeutlichen den Unterschied zwischen erfolgreichen und rationalen Entscheidungen mit folgenden einfachen Beispielen: „Haben Sie. nach sorgfältiger Analyse ein Wertpapier gekauft und geht später der Kurs in den Keller, so wird die Entscheidung dadurch nicht nachträglich weniger rational. Setzt ein […] Student seine letzten
26
4 Rationale Problemlösungen
hundert Mark beim Roulette auf die Zahl 17 und gewinnt tatsächlich, so wird die Entscheidung durch ihren Erfolg nicht rationaler, als sie es vorher war“ (Eisenführ und Weber 2003, S. 4). Formale Rationalität bezieht sich somit nicht auf den Erfolg der gewählten und realisierten Variante, sondern auf den Problemlösungsprozess. Nach Ansicht der Verfasser ist ein Problemlösungsprozess formal-rational, wenn er folgende Anforderungen erfüllt: (1) (2) (3) (4) (5)
Durchgängig zielgerichteter Problemlösungsprozess Abstützung auf vorhandene und beschaffbare Informationen Systematisches Vorgehen Befolgung der Regeln der formalen Logik Verständliche und den Aktor nicht-beeinflussende Aussagen
Die für formal-rationale Entscheidungen geforderte Zielorientierung – Anforderung (1) – betrifft alle wesentlichen Schritte des Problemlösungsprozesses: Bereits die Problementdeckung basiert auf nicht erreichten oder besser erreichbaren Zielen. Die Problemanalyse sucht nach Erklärungen der mangelnden Zielerreichung. Als Lösungsvarianten sollten folgerichtig nur Maßnahmen und Mittel diskutiert werden, die eine Verbesserung der Zielerfüllung versprechen. Schließlich basiert die Bewertung der Varianten auf Entscheidungskriterien, die aus den verfolgten Zielen abgeleitet werden (vgl. Eisenhardt und Zbaracki 1992, S. 18; Kühn 1969, S. 6 ff.; Pinker 2021, S. 52 f.). Die Forderung, Problemlösungsprozesse auf die vorhandenen und beschaffbaren Informationen abzustützen – Anforderungen (2) – erscheint selbstverständlich. Es kann jedoch nicht darum gehen, vollständige Informationen zu verlangen. Es entspricht dem Merkmal der Zielorientierung, dass bei der Informationsbeschaffung Kosten-Nutzen-Überlegungen anzustellen sind. Es hängt deshalb von der Bedeutung des zu lösenden Problems und vom Zeitdruck ab, welcher Informationsbeschaffungsaufwand sich rechtfertigt. Eine vollständige und auch bezogen auf künftige Entwicklungen sichere Informationsbasis zu fordern, wäre aber in jedem Fall schlicht unrealistisch. Formale Rationalität strebt nur eine möglichst objektive und vollständige Informationsbasis an. Die fehlenden Informationen sind, wie bereits in Abschn. 4.1 erwähnt, durch Intuition und Erfahrung zu kompensieren (vgl. Kühn 1969, S. 6 ff.). Die Forderung nach einem systematischen Vorgehen – Anforderung (3) – soll sicherstellen, dass Dritte den Problemlösungsprozess nachvollziehen können. Diese Nachvollziehbarkeit bedeutet jedoch nicht, dass jeder Außenstehende auch mit der gewählten Lösung einverstanden sein muss. Ein Außenstehender kann andere Ziele verfolgen, unsichere Informationen anders interpretieren oder über andere Informationen verfügen als der Aktor. Entsprechend kommt er auch zu einer anderen Lösung (vgl. Kühn 1969, S. 6 ff.). Die Befolgung der Regeln der formalen Logik (vgl. Pinker 2021, S. 90 ff.) – Anforderung (4) – ist in einem rationalen Problemlösungsprozess eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Sie betrifft alle Schritte des Problemlösungsprozesses, jedoch insbesondere die
4.3
Anforderungen an einen formal-rationalen Problemlösungsprozess
27
Beurteilung der Lösungsvarianten. Wie Vertiefungsfenster 4.1 zeigt, ist die Einhaltung der Regeln der Entscheidungslogik manchmal herausfordernd und setzt Gründlichkeit im Problemlösungsprozess voraus. Es können in der Praxis auch banalere Verstöße gegenüber der formalen Logik beobachtet werden. So kommt es z. B. vor, dass bereits getätigte Ausgaben (sunk cost) als Konsequenzen von Varianten aufgeführt werden, obschon sie dies rein logisch gar nicht sein können.
Vertiefungsfenster 4.1: Befolgung der Regeln der formalen Logik als Herausforderung
Wie Pinker (2021, S. 28 ff.) ausführt, ist die Befolgung der Regeln der formalen Logik keine Selbstverständlichkeit. Dies, weil es oft an der notwendigen Gründlichkeit fehlt. Pinker belegt dies anhand eines. Beispiels, in dem sogar renommierte Mathematiker falsch entschieden. Beim Beispiel handelt es sich um die Spielshow „Let’s Make a Deal“, die in den USA während vielen Jahren des letzten Jahrhunderts sehr populär war (vgl. Pinker 2021, S. 32). „Ein [Spieler] steht vor drei Türen. Hinter einer befindet sich ein schnittiges neues Auto. Hinter den beiden anderen befindet sich je eine Ziege. Der [Spieler] nennt eine Türe“ (Pinker 2021, S. 32). Wie die folgende Abbildung zeigt, beträgt die Gewinnchance bei jeder Türe 1/3.
Türe A
Türe B
Türe C
Fall 1
Fall 2
Fall 3
Situation vor der Entscheidung, die Türe zu wechseln oder nicht (In Anlehnung an Pinker 2021, S. 35).
28
4 Rationale Problemlösungen
Nachdem der Spieler eine Tür bezeichnet hat, öffnet der Showmaster eine der zwei anderen Türen, hinter der eine Ziege sichtbar wird. Anschließend fragt der Showmaster den Spieler, ob er von der bereits bezeichneten Türe zur anderen noch verschlossenen Türe wechseln möchte (Pinker 2021, S. 32 ff.). Wie Pinker (2021, S. 32 ff.) ausführt, bleiben fast alle Spieler bei ihrer ersten Wahl und wechseln die Türe nicht. Dies ist jedoch ein Fehler, weil sich durch das Öffnen einer Türe mit einer Ziege die Spielsituation verändert und ein Wechsel die Gewinnchance erhöht. Wenn der Spieler bei der ursprünglich gewählten Türe bleibt, hat er weiterhin eine Gewinnchance von 1/3. Dies bedeutet, dass die Gewinnchance bei einem Wechsel der Türe 2/3 beträgt. Der Grund dafür liegt im Umstand, dass der Showmaster eine Türe mit einer Ziege geöffnet hat. Dadurch verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Auto hinter der anderen Türe befindet, die vom Spieler ursprünglich nicht gewählt wurde. Die offene und die vom Spieler ursprünglich nicht gewählte noch geschlossenen Türe bilden in der Entscheidung, zu wechseln oder nicht zu wechseln, somit eine Einheit. Verständliche, den Aktor nicht beeinflussende Aussagen – Anforderung (5) – erleichtern es ihm, sich an seinen Zielen zu orientieren. Die Forderung bezweckt die Vermeidung von sogenannten Framing-Effekten. Dabei handelt es sich um Darstellungen des Entscheidungsproblems, die den Aktor bewusst beeinflussen respektive manipulieren. Kahnemann und Tversky (1982, S. 136 ff.) konnten empirisch nachweisen, dass durch Framing die Entscheidung eines Aktors beeinflusst werden kann. Vertiefungsfenster 4.2 zeigt ein Beispiel eines solchen Framings.
Vertiefungsfenster 4.2: Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens durch Framing
Das Beispiel von von Nitzsch (2002, S. 113 ff.) vergleicht zwei Entscheidungssituationen: • „Situation A: Sie erhalten in einem Briefumschlag 1000 EUR und können wählen, ob Sie weitere 500 EUR bekommen wollen oder an einem Spiel teilnehmen, in dem Sie jeweils mit 50 % Wahrscheinlichkeit entweder nichts oder einen zusätzlichen Gewinn von 1000 EUR erhalten. • Situation B: Sie erhalten in einem Briefumschlag 2000 EUR und müssen wählen, ob Sie 500 EUR an die Spielleitung abgeben oder an einem Spiel teilnehmen, in
4.3
Anforderungen an einen formal-rationalen Problemlösungsprozess
29
dem Sie mit jeweils 50 % Wahrscheinlichkeit entweder 1000 EUR oder nichts abgeben müssen“ (von Nitzsch 2002, S. 113) Wie die folgende Abbildung zeigt, sind die beiden Entscheidungssituationen identisch: Es handelt sich „um die Entscheidung, ob man einen sicheren Betrag von 1500 EUR einem Spiel vorzieht, in dem man mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1000 EUR gewinnt und mit den restlichen 50 % einen Gewinn von 2000 EUR erzielt“ (von Nitzsch 2002, S. 113). Entscheidungssituation A
Entscheidungssituation B
Sie bekommen in einem Briefumschlag EUR 1'000
Sie bekommen in einem Briefumschlag EUR 2'000 und
und
wählen zusätzlich:
wählen zusätzlich:
EUR -1'000
EUR 0 50%
50% EUR -500 oder
EUR 500 oder 50%
50% EUR 0
EUR 1'000
Entscheidungssituation C Sie wählen: EUR 1'000 50% EUR 1'500 oder 50% EUR 2'000
Drei Darstellungen des gleichen Entscheidungsproblems (In Anlehnung an von Nitzsch 2002, S. 113). Wie empirische Untersuchungen von Kahnemann und Tverski (1982, S. 136 ff.) zeigen, entscheiden sich die meisten Menschen in den Entscheidungssituationen A und B unterschiedlich. Sie verhalten sich in Situation A risikoavers und wählen den sicheren Betrag. In Situation B verhalten sie sich hingegen risikofreudig und wählen das Spiel. Von Nitzsch begründet dieses unterschiedliche Verhalten damit, dass die Entscheidungssituationen A und B eine zweistufige Spielsituation suggerieren. Die
30
4 Rationale Problemlösungen
sicheren Beträge in der ersten Spielstufe schaffen den Bezugspunkt für die zweite Spielstufe. Der höhere sichere Betrag der ersten Spielstufe in der Entscheidungssituation B verleitet den Aktor zu einem risikoreicheren Verhalten als der tiefere sichere Betrag in der Entscheidungssituation A. Eine formal-rationale Entscheidung ist nur möglich, wenn der Aktor unbeeinflusst entscheiden kann. Deshalb ist es wichtig, dass ihm das Entscheidungsproblem in der Form C präsentiert wird.
4.4
Die Grenzen der formalen Rationalität
Auch wenn sich der Aktor bemüht, den in Abschn. 4.3 beschriebenen Anforderungen der formalen Rationalität bestmöglich gerecht zu werden, wird seine Problemlösung in den meisten Fällen nicht völlig formal rational sein. Die Analyse, Lösungserarbeitung und Entscheidung unterliegt fast immer dem Prinzip der begrenzten Rationalität (bounded rationality) von Simon (1966, S. 19). Es besagt, dass eine 100 % formal rationale Entscheidung nicht möglich ist und der Aktor deshalb nicht nach einer optimalen, sondern nach einer guten Lösung streben sollte. Es sind mehrere Gründe dafür verantwortlich, dass es in den meisten Entscheidungsproblemen Grenzen der formalen Rationalität gibt: • Wie bereits erwähnt, verfügt der Aktor praktisch nie über vollständige, aktuelle und präzise Informationen. • Die meisten Entscheidungsprobleme sind schlecht strukturiert (ill-structured) im Sinne von Simon und Newell (1958, S. 4 ff.). Dies bedeutet, dass kein Problemlösungsverfahren existiert, das die optimale Lösung zu garantieren vermag (vgl. Abschn. 5.4). • Der wichtigste Grund liegt aber wohl in den Grenzen der menschlichen Urteilsfähigkeit. Aktoren sind stets „biased“ und deshalb nicht in der Lage, vollständig zielorientiert zu analysieren und zu entscheiden. Wie Bazerman und Moore (2009, S. 40 f.) zeigen, konnten durch die empirische Forschung sehr unterschiedliche solche „Biase“ identifiziert werden.
Literatur Bamberg G, Coenenberg A (2002) Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 11. Aufl. Vahlen, München Bazerman MH, Moore DA (2009) Judgment in Managerial Decision Making, 7. Aufl. Wiley, New York Bowen HR (1953) Social responsibility of the businessman. University Of Iowa Press, Iowa City
Literatur
31
Brauchlin E (1990) Problemlösungs- und Entscheidungsmethodik, 3. Aufl. Haupt, Bern Carroll AB (1991) The pyramid of corporate social responsibility. Business Horizons (July– August):39–48 Crane A, McWilliams A, Matten D, Moon J, Siegel DS (Hrsg) (2008) The Oxford handbook of corporate social responsibility. Oxford University Press, Oxford Eisenführ F, Weber M (2003) Rationales Entscheiden, 4. Aufl. Springer, Berlin Eisenhardt K, Zbaracki M (1992) Strategic decision making. Strateg Manage J (December):17–37 Kahneman D, Tversky A (1982) The psychology of preferences. Sci Am 246 (January):160–173 Kühn R (1969) Möglichkeiten rationaler Entscheidung im Absatzsektor unter besonderer Berücksichtigung der Unsicherheit der Information. Haupt, Bern Pfohl H, Braun G (1981) Entscheidungstheorie: Normative und deskriptive Grundlagen des Entscheidens. Verlag Moderne Industrie, Landsberg am Lech Pinker S (2021) Mehr Rationalität. Fischer, Frankfurt a. M. Robbins S, De Cenzo D, Coulter M (2011) Fundamentals of management, 7. Aufl. Pearson, Boston Simon HA (1966) The logic of heuristic decision making. In: Rescher N (Hrsg) The logic of decision and action. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh, S 1–20 Simon HA, Newell A (1958) Heuristic problem solving; The next advance in operations research. Oper Res 1 (January–February):1–10 Sombart W (1967) Die drei Nationalökonomien, 2. Aufl. DUV, Berlin von Nitzsch R (2002) Entscheidungslehre: wie Menschen entscheiden und wie sie entscheiden sollten. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
5
Problemlösungsverfahren
5.1
Begriff des Problemlösungsverfahrens
Unter einem Problemlösungsverfahren • wird ein System von intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln der Informationsbeschaffung und -verarbeitung verstanden, • das zur Bewältigung einer bestimmten Art von Entscheidungsproblemen eingesetzt werden kann (vgl. Grünig 1990, S. 69 f.; Gygi 1982, S. 20; Klein 1971, S. 31; Kühn 1978, S. 52 und 139; Little 1970, S. B-469 f.; Streim 1975, S. 145 f.). Folgende Erläuterungen erscheinen angebracht, um diese Begriffsumschreibung besser zu verstehen: • Damit von einem Problemlösungsverfahren gesprochen werden kann, sollte das System von Regeln zumindest die wesentlichen Teilaufgaben der Bewältigung eines Entscheidungsproblems abdecken. Dies sind die Problemanalyse, die Variantenerarbeitung, die Variantenbewertung, die Gesamtbeurteilung der Varianten und die Entscheidung. Regeln, die den Aktor bloß bei der Bewältigung einer einzelnen Teilaufgabe unterstützen, sollen hingegen nicht als Problemlösungsverfahren bezeichnet werden. Solche Regelsysteme zur Bewältigung von Teilaufgaben existieren beispielsweise für die Variantenerarbeitung und für die Bildung der Gesamtkonsequenzen. Die erstgenannten Regelsysteme werden oft als Kreativitätstechniken bezeichnet, während die zweitgenannten Regelsysteme unter dem Begriff der Entscheidungsmaximen bekannt sind.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_5
33
34
5 Problemlösungsverfahren
• Es gibt sehr verschiedenartige Regelsysteme. Dies kommt bereits in ihrer äußeren Form zum Ausdruck. Das Spektrum reicht von verbal umschriebenen Regeln über Prozessdarstellungen bis zu mehr oder weniger komplexen mathematischen Algorithmen. Wichtiger jedoch sind die inhaltlichen Unterschiede. • Die Regeln beziehen sich in erster Linie auf die Informationsverarbeitung. Sie enthalten dagegen meist nur grobe Angaben zu den zu beschaffenden Informationen und grundsätzlich keine Empfehlungen zum Vorgehen bei der Informationsbeschaffung. Letzteres ist insofern verständlich, als die Möglichkeiten zur Beschaffung entscheidungsrelevanter Informationen durch die konkrete Entscheidungssituation geprägt werden.
5.2
Dimensionen von Problemlösungsverfahren und ihre Ausprägungen
Die Absicht der Wissenschaft, die Entscheidungsträger in ihrer Aufgabe zu unterstützen, hat zu einer großen Zahl von verschiedenartigen Verfahrensvorschlägen geführt. Diese können nach verschiedenen Kriterien in Kategorien unterteilt werden. Aus praktischer Sicht erscheinen drei Kriterien wichtig: • die inhaltliche Breite der Problemstellungen, auf welche die Verfahren anwendbar sind, • die den Verfahren zugrunde gelegten formalen Anwendungsbedingungen sowie • die Qualität der von den Verfahren produzierten Lösungen. Nach dem Kriterium der inhaltlichen Breite der zugrunde gelegten Problemstellungen lassen sich allgemeine und spezielle Problemlösungsverfahren unterscheiden. Während ein allgemeines Problemlösungsverfahren den Anspruch erhebt, bei der Bewältigung irgendwelcher Problemstellungen hilfreich zu sein, orientieren sich die speziellen Verfahren an einer mehr oder weniger eng umschriebenen Problemstellung. Beispiele für letztere sind die Erarbeitung eines Marketingkonzeptes oder die Bestimmung des optimalen Lagerbestandes einer Produktgruppe. Die Verwendung eines Problemlösungsverfahrens kann an einschränkende formale Bedingungen geknüpft sein. Diese werden teilweise explizit genannt; teilweise sind sie jedoch bloß implizit vorhanden und manifestieren sich dem Aktor erst als Schwierigkeiten im Rahmen der Verfahrensanwendung. Die am häufigsten anzutreffende formale Anwendungsbedingung besteht darin, dass das Verfahren nur quantitative Entscheidungsvariablen und Entscheidungskriterien beinhaltet und damit qualitative Problemaspekte ausschließt. Aufgrund der Anwendungsbedingungen wird – vorerst bewusst unpräzis – zwischen Verfahren mit restriktiven formalen Anwendungsbedingungen und Verfahren ohne
5.3
Arten von Problemlösungsverfahren
35
Dimensionen
Ausprägungen
(1) Inhaltliche Breite der zugrunde gelegten Problemstellung
Allgemeine Spezielle Problemlösungsverfahren Problemlösungsverfahren
(2) Formale Anwendungsbedingungen
Problemlösungsverfahren Problemlösungsverfahren mit restriktiven formalen ohne wesentliche formale Anwendungsbedingungen Anwendungsbedingungen
(3) Qualität der produzierten Lösung
Problemlösungsverfahren, die eine optimale Problemlösung ermöglichen
Problemlösungsverfahren, die eine befriedigende Problemlösung ermöglichen
Abb. 5.1 Dimensionen von Problemlösungsverfahren und ihre Ausprägungen
wesentliche einschränkende Anwendungsbedingungen unterschieden. Eine differenziertere Betrachtung der wichtigsten formalen Anwendungsbedingungen von Problemlösungsverfahren zeigt Vertiefungsfenster 5.1. Nach der Qualität der produzierten Lösungen können Verfahren mit optimaler und solche mit nur befriedigender Problemlösung unterschieden werden. Abb. 5.1 fasst die Ausführungen zusammen.
5.3
Arten von Problemlösungsverfahren
Im vorangegangenen Abschnitt wurden mit der inhaltlichen Breite der Problemstellung, den formalen Anwendungsbedingungen und der Lösungsqualität drei Dimensionen zur Unterscheidung von Verfahrenskategorien eingeführt. Zwischen den beiden Dimensionen „Anwendungsbedingungen“ und „Lösungsqualität“ besteht jedoch ein Zusammenhang: Restriktive Anwendungsbedingungen ermöglichen die Bestimmung der optimalen Lösung. Der Verzicht auf enge formale Anwendungsbedingungen führt hingegen dazu, dass keine Lösungsgarantie besteht und die beste gefundene Lösung nur ausnahmsweise der optimalen Lösung entspricht. Insofern handelt es sich bei den beiden Kriterien letztlich nur um zwei verschiedene Betrachtungsweisen desselben Phänomens. Da aufgrund der inhaltlichen Breite und aufgrund der Anwendungsbedingungen bzw. der Lösungsqualität je zwei Verfahrenskategorien zu unterscheiden sind, haben wir es insgesamt mit vier Verfahrenstypen zu tun. Abb. 5.2 zeigt diese vier Arten von Problemlösungsverfahren. Es existieren in der Literatur differenziertere Ansätze zur Bildung von Verfahrenskategorien (vgl. z. B. Fischer 1981, S. 297; Streim 1975, S. 151). Für unsere Zwecke genügt
36
5 Problemlösungsverfahren
Inhaltliche Breite der zugrunde gelegten Formale Problemstellung Anwendungsbedingungenu. Lösungsqualität Keine wesentlichen formalen Anwendungsbedingungen; befriedigende Lösung
Allgemein einsetzbar
Nur zur Bewältigung spezieller Probleme einsetzbar
Allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren
Spezielle heuristische Problemlösungsverfahren
Restriktive formale Anwendungsbedingungen; optimale Lösung
Allgemeine analytische Problemlösungsverfahren
Spezielle analytische Problemlösungsverfahren
Abb. 5.2 Arten von Problemlösungsverfahren
jedoch die Unterscheidung der vier Arten. Sie grenzt das uns interessierende allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren von den anderen Verfahrensarten genügend klar ab.
5.4
Gegenüberstellung von heuristischen und analytischen Verfahren
Bevor die beiden Arten von Problemlösungsverfahren miteinander verglichen werden, erfolgt zuerst eine Klärung der in der Umgangssprache nicht gebräuchlichen Begriffe „heuristisch“ und „Heuristik“. • Die Worte „heuristisch“ und „Heuristik“ haben ihren Ursprung in einem altgriechischen Verb, das sich mit „suchen“ resp. „finden“ übersetzen lässt. Entsprechend kann das Eigenschaftswort „heuristisch“ auf Deutsch mit der Formulierung „zum Finden geeignet“ umschrieben werden (vgl. Klein 1971, S. 35). • “A heuristic […] is a rule of thumb, strategy, trick, simplification, or any other kind of device which drastically limits search for solutions in large problem spaces. Heuristics do not guarantee optimal solutions; in fact, they do not guarantee any solution at all; all that can be said for a useful heuristic is that it offers solutions which are good enough most of the time” (Feigenbaum und Feldmann 1963, S. 6). Unter einer Heuristik wird somit eine Denkregel verstanden, mit deren Hilfe sich der Aufwand zum Auffinden einer Lösung in komplexen Problemen reduzieren lässt. Dem Vorteil eines geringeren Lösungsaufwandes steht der Nachteil gegenüber, dass nur eine befriedigende und
5.4
Gegenüberstellung von heuristischen und analytischen Verfahren
37
nicht die optimale Lösung angestrebt werden kann. Es kann sogar vorkommen, dass überhaupt keine brauchbare Lösung aus der Anwendung der Heuristik resultiert. Die wesentlichen Vorteile von heuristischen Problemlösungsverfahren im Vergleich zu analytischen Verfahren liegen im weitgehenden Fehlen von formalen Anwendungsbedingungen und in ihrem relativ geringen Anwendungsaufwand. Die mit heuristischen Problemlösungsverfahren verbundenen Nachteile sind die fehlende Lösungsgarantie und, falls eine Lösung gefunden werden kann, die fehlende Garantie der optimalen Lösung. Abb. 5.3 zeigt schematisch den Unterschied zwischen heuristischen und analytischen Problemlösungsverfahren. Wie bereits erwähnt, erkaufen die analytischen Problemlösungsverfahren die Garantie der optimalen Lösung mit einschneidenden formalen Anwendungsbedingungen. Vertiefungsfenster 5.1 zeigt, welche Anwendungsbedingungen für den Einsatz von analytischen Verfahren erfüllt sein müssen. Da auf heuristische Problemlösungsverfahren zurückgegriffen werden muss, falls eine der Anwendungsbedingungen nicht erfüllt ist, ermöglicht das Vertiefungsfenster gleichzeitig eine präzisere Positionierung der heuristischen Problemlösungsverfahren.
Anwendbarkeit
+ Keine wesentlichen formalen Anwendungsbedingungen; beschränkter Lösungsaufwand
Heuristische Problemlösungsverfahren
Restriktive formale Anwendungsbedingungen; grosser Lösungsaufwand
Ideale aber in der Realität nicht verfügbare Problemlösungsverfahren
Analytische Problemlösungsverfahren
Meistens nur eine befriedigende Lösung
+ LösungsGarantie der qualität optimalen Lösung
Abb. 5.3 Vergleich von heuristischen und analytischen Problemlösungsverfahren
38
5 Problemlösungsverfahren
Vertiefungsfenster 5.1: Wohlstrukturierte Probleme als Voraussetzung für den Einsatz von analytischen Problemlösungsverfahren
Damit ein analytisches Problemlösungsverfahren eingesetzt werden kann, muss das zugrunde liegende Problem im Sinne (1958) wohlstrukturiert sein. Damit von einem wohlstrukturierten Problem (well-structured problem) gesprochen werden kann, muss die Problemstellung drei Bedingungen genügen. Die erste Bedingung für den Einsatz eines analytischen Verfahrens besteht darin, dass die Problemumschreibung nur quantitative Aspekte enthält resp. darauf reduziert wird. Die zweite Bedingung besteht aus klaren Regeln, die angeben, ob eine erarbeitete Lösung annehmbar ist oder nicht. Wenn solche Regeln existieren, wird ein Problem in Anlehnung an Minsky als wohldefiniert (well-defined) bezeichnet. Existieren keine solchen Regeln, handelt es sich um ein schlecht definiertes Problem (ill-defined problem) (vgl. Klein 1971, S. 32; Minsky 1961, S. 8 ff.). Solche Regeln existieren beispielsweise für das Schachspiel. Es ist aufgrund der Spielregeln eindeutig feststellbar, wann ein König schachmatt ist und der gegnerische Spieler somit gewonnen hat. Dabei spielt es keine Rolle, wer die Regeln anwendet, da diese keinen Spielraum für subjektive Beurteilungen enthalten. Es darf jedoch auch von einem wohldefinierten Problem gesprochen werden, wenn das Regelsystem zur Auswahl zulässiger Lösungen gewisse subjektive Beurteilungen einschließt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn im Rahmen des Prozedere zur Bestimmung der optimalen Lösung die Risikoeinstellung des Aktors zu ermitteln ist. In diesem Fall ist „nur“ das Prozedere eindeutig und personenunabhängig. Die Anwendung des Prozedere basiert jedoch stets auf subjektiven Risikoeinstellungen. Dies führt dazu, dass nicht für jeden Aktor die gleiche Lösung optimal ist. Die dritte Bedingung besteht darin, dass es möglich sein muss, ein analytisches Verfahren zu entwickeln, das mit vernünftigem Zeit- und Kostenaufwand die optimale Lösung findet (vgl. Klein 1971, S. 32 ff.). Dies ist beispielsweise für das Schachspiel bis heute nicht gelungen: Es gibt kein Verfahren, das eine Garantie enthält, ein Spiel zu gewinnen. Gäbe es ein solches Verfahren, würde sich zudem immer noch die Frage stellen, ob dieses mit tragbarem Aufwand anwendbar ist. Die heute existierenden, leistungsfähigen Schachprogramme basieren nicht auf analytischen, sondern auf heuristischen Verfahren. Existiert ein analytisches Verfahren, das mit tragbarem Zeit- und Kostenaufwand anwendbar ist oder ist ein solches Verfahren entwickelbar, wird in Anlehnung an Simon und Newell von einem wohlstrukturierten Problem (well-structured problem) gesprochen. Andernfalls handelt es sich um ein schlecht strukturiertes Problem (illstructured problem) (vgl. Klein 1971, S. 32; Simon und Newell 1958, S. 4 ff.). Die folgende Abbildung fasst die Aussagen zusammen.
5.5
Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren
39
Umfasst die Problemstellung nur quantitative Aspekte?
Ja
Nein
Bestehen Regeln, die sagen, ob eine Problemlösung akzeptabel ist?
Ja = well-defined Problem
Nein = ill-defined Problem
Besteht ein anwendbares analytisches Verfahren oder kann ein solches entwickelt werden?
Nein = ill-structured Problem
Heuristisches Verfahren einsetzen
Ja = well-structured Problem
Analytisches Verfahren einsetzen
Bedingungen für die Anwendung eines analytischen Verfahrens
5.5
Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren
5.5.1
Einleitung
Um eine bessere Vorstellung von den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren zu vermitteln, werden nachfolgend drei konkrete Verfahrensvorschläge vorgestellt. Diese dienen anschließend dazu, die Unterschiede zwischen den Verfahrensarten zu verdeutlichen. Da der Teil II der Darstellung eines allgemeinen heuristischen Verfahrens gewidmet ist, kann auf ein Beispiel zu dieser Verfahrenskategorie verzichtet werden. Einen Überblick über das vorgeschlagene allgemeine heuristische Verfahren verschafft Kap. 6.
40
5.5.2
5 Problemlösungsverfahren
Beispiel eines speziellen heuristischen Problemlösungsverfahrens
Als Beispiel eines speziellen heuristischen Problemlösungsverfahrens wird der von Grünig, Kühn und Morschett vorgeschlagene Strategieplanungsprozess (vgl. 2022, S. 36 ff.) vorgestellt. Wie Abb. 5.4 zeigt, wird die komplexe Analyse- und Planungsaufgabe in sechs Schritte aufgeteilt. Es entspricht der Natur heuristischer Verfahren, dass es jederzeit zu Schlaufen kommen kann. Die in der Abb. 5.4 eingezeichnete Schlaufe stellt nur ein besonders wichtiges Beispiel dar. Die im ganzen Prozess möglichen heuristischen Schlaufen bewirken, dass alle Ergebnisse der Planungsschritte bis zum Abschluss der Arbeiten als provisorisch anzusehen sind. Wie Abb. 5.4 zeigt, stehen die Schritte 2 und 4 sowie die Schritte 3 und 5 nebeneinander. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass sowohl bei der Analyse als auch bei der Planung starke Interdependenzen zwischen der Unternehmensebene und der Geschäftsebene bestehen. Entsprechend kann • zuerst auf Unternehmensebene und anschließend auf Geschäftsebene analysiert und geplant werden. • der umgekehrte Weg beschritten werden. • auf beiden Ebenen parallel gearbeitet werden.
5.5.3
Beispiel eines allgemeinen analytischen Problemlösungsverfahrens
Ein gutes Beispiel für ein allgemeines analytisches Problemlösungsverfahren ist die lineare Programmierung. Die Technik wird anhand eines einfachen Zahlenbeispiels illustriert. Es handelt sich bei dem von. Bertsimas und Freund (2004, S. 328 ff.) übernommenen Beispiel um eine Aufgabenstellung mit nur zwei Entscheidungsvariablen. Dies erlaubt es, die Lösungsfindung graphisch darzustellen. Sofern mehr als zwei Entscheidungsvariablen existieren – dies dürfte in der Praxis der Normalfall sein – kann mithilfe eines Algorithmus gleich vorgegangen werden, wie im Beispiel graphisch demonstriert. Das Beispiel basiert auf der Annahme, dass eine Unternehmung zwei Produkte I und II produziert und verkauft, die zu ihrer Herstellung jeweils drei Kostenstellen A, B und C durchlaufen. Die durch die Kostenstellen zur Verfügung gestellten Kapazitäten werden von den beiden Produkten unterschiedlich beansprucht. Für jedes Produkt existieren bei vorgegebenen Preisen zudem bestimmte Absatzhöchstmengen.
5.5
Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren
1.
Initialisierung der strate gischen Planung 1.1 Erarbeitung oder Über arbeitung des Leitbildes 1.2 Definition der existierenden strategischen Geschäfte 1.3 Vorbereitung des Strategie planungsprojektes
2.
Strategische Analyse auf Gesamtebene 2.1 Analyse des globalen Umfeldes 2.2 Portfolioanalyse 2.3 Diagnose der strategischen Herausforderungen auf Gesamtebene
4. 4.1
4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
3. 3.1
3.2 3.3 3.4
Erarbeitung der Gesamtstrategie Erarbeitung und Beurteilung von strategischen Optionen für das Unternehmen Definition der strategischen Unternehmensziele Formulierung der Gesamtstrategie Erarbeitung der Projektpläne zur Implementierung der Gesamtstrategie
5. 5.1
5.2 5.3 5.4
Strategische Analyse eines Geschäfts Identifikation der branchenspezifischen Erfolgsfaktoren Analyse des Branchenumfeldes Analyse der Branche Analyse des Marktes Analyse der Wettbewerbsposition und des Geschäfts modells Diagnose der strategischen Herausforderungen des Geschäfts
Erarbeitung einer Geschäftsstrategie Erarbeitung und Beurteilung von strategischen Optionen für das Geschäft Definition der strategischen Geschäftsziele Formulierung der Geschäftsstrategie Erarbeitung der Projektpläne zur Implementierung der Geschäftsstrategie
6. = Einseitige Abhängigkeit = Gegenseitige Abhängigkeit = Wichtige mögliche Schlaufe
Finalisierung der strate gischen Planung 6.1 Erarbeitung der funktionalen Strategien 6.2 Abschliessende Beurteilung aller strategischen Vorgaben 6.3 Vorbereitung der Strategieimplementierung
Abb. 5.4 Strategieplanungsprozess (Grünig et al. 2022, S. 37)
41
42
5 Problemlösungsverfahren
Angaben zu den Produkten Produkt
Verkaufspreis
Variable Kosten
Absatzhöchstmenge
I
USD 270
USD 140
15 Stk./Tag
II
USD 300
USD 200
16 Stk./Tag
Angaben zu den Kostenstellen Kostenstelle
Kapazität
Bearbeitungszeit Produkt I
Bearbeitungszeit Produkt II
A
27 Std./Tag
1.5 Std./Stk.
1 Std./Stk.
B
21 Std./Tag
1 Std./Stk.
1 Std./Stk.
C
9 Std./Tag
0.3 Std./Stk.
0.5 Std./Stk.
Abb. 5.5 Ausgangsdaten für die Bestimmung des optimalen Absatz- und Produktionsprogramms. (in Anlehnung an Bertsimas und Freund 2004, S. 328)
Aufgrund der Ausgangsdaten gemäß Abb. 5.5 soll festgelegt werden, welche Produktarten in welchen Mengen zu produzieren und abzusetzen sind, damit die Unternehmung ihr Gewinnmaximum erreicht. Dabei dürfen weder die verfügbaren Kapazitäten noch die Absatzhöchstgrenzen überschritten werden (vgl. Bertsimas und Freund 2004, S. 328). Die Informationen von Abb. 5.5 werden nun schrittweise in eine Koordinatendarstellung gemäß Abb. 5.6 eingearbeitet, deren Abszisse die Stückzahlen von Produkt I und deren Ordinate die Stückzahlen von Produkt II sind: • Zuerst werden die zwei Absatz- und die drei Produktionsrestriktionen eingetragen. • Anschließend wird der Alternativenraum bestimmt. • Darauf wird die Neigung der Zielfunktion ermittelt. Da mit einem Stück von Produkt I 30 % mehr Deckungsbeitrag erzielt werden kann als mit einem Stück von Produkt II, braucht es zur Erzielung des gleichen totalen Deckungsbeitrages 30 % mehr Stück von Produkt II als von Produkt I. Deshalb sind die Zielfunktionen, welche jeweils einen gleichen totalen Deckungsbeitrag repräsentieren, steiler als 45 Grad. • Die Zielgerade wird nun solange parallel nach oben rechts verschoben wie es möglich ist, ohne den Alternativenraum zu verlassen. • Wie der Abbildung entnommen werden kann, besteht das optimale Absatz- und Produktionsprogramm aus 12 Stück des Produktes I und 9 Stück des Produktes II.
5.5
Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren
M II 27
43
M I = Menge Produkt I M II = Menge Produkt II = Restriktion
A
21
B
18
C
I
= Absatzrestriktion Produkt I
II
= Absatzrestriktion Produkt II
A
= Produktionsrestriktion Kostenstelle A
B
= Produktionsrestriktion Kostenstelle B
C
= Produktionsrestriktion Kostenstelle C = Alternativeraum = Zielfunktion
II
= Optimale Absatz - und Produktions menge von Produkt I und II
16 13 I 9
10
12
15
18
21
30 M I
Abb. 5.6 Graphische Bestimmung des optimalen Absatz- und Produktionsprogramms
5.5.4
Beispiel eines speziellen analytischen Problemlösungsverfahrens
Ein Beispiel für ein spezielles analytisches Verfahren bildet das Modell von Harris und Wilson zur Bestimmung der optimalen Bestellmenge eines Produktes. Das Modell geht, wie Abb. 5.7 zeigt, von einem konstanten Bedarf nach dem Gut und einer zeitverzugslosen Anlieferung bestellter Mengen aus. Es unterstellt zudem, dass die Bestellmenge keinen Einfluss auf den Beschaffungspreis hat. Ferner wird angenommen, dass bei jeder Bestellmenge genügend Platz zur Einlagerung der angelieferten Produkte vorhanden ist und somit keine Kosten für die Miete von Fremdlagern anfallen. Ausgehend von all diesen Annahmen minimiert das Modell die bestellmengenabhängigen Kosten (vgl. Simchi-Levi et al. 2009, S. 33 ff.). Es handelt sich bei den bestellmengenabhängigen Kosten zum einen um die mit jedem Bestellvorgang anfallenden Kosten. Diese steigen mit kleinerer Bestellmenge. Zum anderen sind die Lagerkosten, die mit größerer Bestellmenge steigen, in den
44
5 Problemlösungsverfahren
Lagerbestand
a t
Lagerbestand
b
t
a = Kleine Bestellmenge b = Grosse Bestellmenge
Abb. 5.7 Der dem Modell von Harris und Wilson unterstellte Sägezahn der Lagerbewegungen
K(B) K(B) = K(L) + K(E) KI ● B K(L) = 2
K(E) = Bopt
M ● Kb B B
M = Jahresbedarf B = Bestellmenge Bopt = Optimale Bestellmenge K(B) = Von der Bestellmenge abhängige Kosten K(L) = Von der Bestellmenge abhängige Lagerkosten K(E) = Von der Bestellmenge abhängige Einkaufskosten KI = Lagerkosten pro Stk. und Jahr Kb = Kosten pro Bestellvorgang
Abb. 5.8 Kostenfunktion des Harris-Wilson-Modells. (in Anlehnung an Simchi-Levi et al. 2009, S. 34)
5.5
Beispiele zu den verschiedenen Arten von Problemlösungsverfahren
45
Optimierungsprozess einbezogen. Abb. 5.8 zeigt die beiden Kostenkomponenten, die Gesamtkosten und die durch das Modell von Harris und Wilson errechnete optimale Bestellmenge (vgl. Simchi-Levi et al. 2009, S. 34). Die Bestimmung der optimalen Bestellmenge soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Dem Beispiel liegen folgende Ausgangsdaten zugrunde (vgl. Simchi-Levi et al. 2009, S. 35): • Jahresbedarf = 50.000 Stk. • Lagerkosten = CHF 0,25 pro Stück und Jahr • Kosten pro Bestellvorgang = CHF 20 Aufgrund der drei Zahlen lässt sich die von der Bestellmenge abhängige Kostenfunktion ermitteln: K(B) =
0,25 · B 50.000 · 20 + 2 B
Die Kostenfunktion wird nun abgeleitet und gleich Null gesetzt: 0,125 −
1.000.000 =0 B2
Daraus lässt sich nun die optimale Bestellmenge berechnen. Sie entspricht 2828 Stück.
5.5.5
Vergleich der drei Beispiele
Die drei Beispiele geben Gelegenheit, noch einmal die Unterschiede zwischen den Arten von Problemlösungsverfahren zu verdeutlichen. Das Verfahren der strategischen Planung und das Modell von Harris und Wilson zur Bestimmung der optimalen Bestellmenge eignen sich zur Bearbeitung und Lösung einer inhaltlich spezifischen Fragestellung. Bereits der Name des Problemlösungsverfahrens zeigt, um welche Problemstellung es sich dabei handelt. Folgerichtig sind die beiden Verfahren der Kategorie der speziellen Problemlösungsverfahren zuzuordnen. Im Gegensatz dazu ist die lineare Programmierung zur Optimierung inhaltlich nicht weiter spezifizierter aber gut strukturierter Probleme geeignet. Es kann sich dabei um die Bestimmung des optimalen Investitionsprogramms eines Unternehmens, um die Lösung eines Transportproblems oder – wie im Beispiel – um die Festlegung des optimalen Absatz- und Produktionsprogramms handeln. Die lineare Programmierung gehört somit zur Kategorie der generellen Problemlösungsverfahren. Das Verfahren von Harris und Wilson und die lineare Programmierung besitzen beide sehr restriktive formale Anwendungsbedingungen: Es ist sehr präzise festgelegt, welche quantitativen Informationen über die Ausgangssituation bekannt sein müssen. Fehlt eine dieser Informationen, kann das Problemlösungsverfahren nicht angewendet werden. Auch wenn eine der quantitativen Ausgangsinformationen falsch ist, errechnet das
46
5 Problemlösungsverfahren
Verfahren nur noch die auf dem Papier, nicht jedoch die in der Wirklichkeit optimale Lösung. Beide Verfahren werden den analytischen Verfahren zugeordnet. Im Gegensatz dazu verlangt die Anwendung des Verfahrens der strategischen Planung keine präzisen quantitativen Informationen. Verfügt der Aktor über solche Informationen, wird dies die Qualität der entwickelten Strategie zwar erhöhen, zwingend notwendig sind sie aber nicht. In jedem Fall vermag das Verfahren jedoch nicht die optimale Lösung aufzuzeigen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ergibt die Verfahrensanwendung aber für das Unternehmen eine brauchbare Strategie. Es kann allerdings niemand sagen, wie weit sie vom Optimum entfernt ist. Entsprechend gehört das Verfahren der strategischen Planung zur Kategorie der heuristischen Verfahren.
5.6
Die Entwicklung von Problemlösungsverfahren als Aufgabe der BWL
Es lassen sich in der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft zwei Forschungsrichtungen unterscheiden (vgl. Köhler 1978, S. 186 ff.): • Die empirisch-analytische oder theoretische Betriebswirtschaftslehre will die Wirklichkeit erklären. Sie formuliert Hypothesen resp. Erklärungsmodelle und unterzieht diese empirischen Tests. Das Resultat ihrer Überprüfung besteht entweder in einer Falsifizierung oder in einer vorläufigen Bestätigung. Eine Bestätigung ist deshalb nur vorläufig, weil nie ausgeschlossen werden kann, dass die Hypothesen bei einem weiteren empirischen Test falsifiziert werden. Die Hypothesen werden teilweise aus reinem Erkenntnisinteresse heraus entwickelt und getestet. Die meisten Wissenschaftler dieser Forschungsrichtung versuchen jedoch, Erkenntnisse zu gewinnen, die praxisrelevant sind. Mit Blick auf Entscheidungsprobleme bezeichnet Gäfgen (1974, S. 50 ff.) die empirisch-analytische Forschungsrichtung als explikative oder deskriptive Entscheidungstheorie. • Die praktisch-normative oder pragmatische Betriebswirtschaftslehre verfolgt das Ziel, die Unternehmen durch praxisorientierte Empfehlungen zu unterstützen. Gäfgen (1974, S. 50 ff.) nennt die praktisch-normative Betriebswirtschaftslehre im Kontext der Entscheidungsprobleme präskriptive Entscheidungstheorie. Beide Forschungsrichtungen beschäftigen sich intensiv mit Entscheidungsproblemen. Deshalb spricht Heinen (1969, S. 207 ff.) von der entscheidungsorientierten Betriebswirtschafslehre: • Die empirisch-analytische Betriebswirtschaftslehre respektive die explikative Entscheidungstheorie untersucht das Entscheidungsverhalten von Aktoren. Dieser Richtung sind beispielsweise die umfangreichen Arbeiten von Kahneman (vgl. z. B. Kahneman 2011; Kahneman et al. 2021; Kahneman und Tversky 1982, S. 136 ff.; Kahneman und Tversky 2000; Tversky und Kahneman 1992) zuzuordnen.
5.6
Die Entwicklung von Problemlösungsverfahren als Aufgabe der BWL
47
• Die praktische-normative Betriebswirtschaftslehre respektive die präskriptive Entscheidungstheorie entwickelt Problemlösungsverfahren. Ein Beispiel ist das in Teil II vorgeschlagene allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren. Wie Gäfgen (1974, S. 50 ff.) zeigt, basieren die explikative und die präskriptive Entscheidungstheorie teilweise auf der gleichen Grundlage, der Entscheidungslogik. Vertiefungsfenster 5.2 erläutert diesen Zusammenhang.
Vertiefungsfenster 5.2: Explikative Entscheidungstheorie, präskriptive Entscheidungstheorie und Entscheidungslogik
Im Rahmen der Entscheidungslogik werden Modelle rationaler Wahl entwickelt, ohne dabei die Realität mit in Betracht zu ziehen. Solche Modelle sind „nur Gedankenexperimente, nämlich logische Ableitungen aus postulierten […] Annahmen […], deren Ergebnis rein logisch wahr ist. Sofern die strengen Anforderungen der Logik erfüllt sind, ist ja eine absolute Sicherheit in der Herleitung neuer [.] Sätze aus den gesetzten Grundannahmen [resp.] Axiomen gewährleistet“ (Gäfgen 1974, S. 50 f.). Die Entscheidungslogik bildet eine Teilmenge der Regeln der formalen Logik gemäß Abschn. 4.3. Auf der Basis solcher entscheidungslogischer Erkenntnisse lässt sich jedoch nicht bloß zeigen, „wie rationales Verhalten im einzelnen aussieht“ (Gäfgen 1974, S. 52). Die Entscheidungslogik kann auch als Basis dienen, um auf empirischem Wege zu erforschen, inwieweit in der Praxis rational entschieden wird. Wir sprechen in diesem Fall von explikativer oder deskriptiver Entscheidungstheorie (vgl. Gäfgen 1974, S. 52). Die Entscheidungslogik lässt sich aber auch als Grundlage für die Entwicklung von präskriptiven Entscheidungsmodellen nutzen. Diese enthalten Handlungsanleitungen für rationales Entscheiden und werden als präskriptive Entscheidungstheorie bezeichnet (vgl. Gäfgen 1974, S. 52). Die Entscheidungslogik stellt zweifellos eine wichtige Grundlage der präskriptiven Entscheidungsmethodik dar. Gleichzeitig muss jedoch betont werden, dass die Entscheidungslogik nicht die einzige Grundlage bildet. Um brauchbare Problemlösungsverfahren entwickeln zu können, braucht es zusätzliches Wissen über Problemlösungsfähigkeiten von Aktoren und praktische Erfahrung mit Problemlösungspro-zessen. Auch die deskriptive Entscheidungstheorie kann Erkenntnisse für die Entwicklung präskriptiver Entscheidungsmodelle liefern. Die Abbildung zeigt die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Arten der Entscheidungsforschung.
48
5 Problemlösungsverfahren
Weitere Grundlagen
Entscheidungslogik
Deskriptive Entscheidungstheorie
Präskriptive Entscheidungstheorie
= Abhängigkeiten
Verschiedene Arten der Entscheidungsforschung und ihre Abhängigkeiten Im vorliegenden Buch wird ausschließlich präskriptive Entscheidungstheorie betrieben. Da eine Theorie nach allgemeinem Verständnis eine Erklärung eines Ausschnittes der Wirklichkeit ist und die präskriptive Entscheidungstheorie keine Erklärungen, sondern Vorgehensempfehlungen enthält, wird der Ausdruck „Theorie“ allerdings als unglücklich angesehen. Der Begriff Entscheidungsmethodik erscheint angebrachter.
Literatur Bertsimas D, Freund M (2004) Data, models and decisions; The fundamentals of management science. Dynamic Ideas, Belmont Feigenbaum E, Feldman J (1963) Artificial intelligence; Introduction. In: Feigenbaum E, Feldmann J (Hrsg) Computers and thought. McGraw-Hill, New York, S 1–10 Fischer J (1981) Heuristische Investitionsplanung. Schmidt, Berlin Gäfgen G (1974) Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 3. Aufl. Mohr, Tübingen Grünig R (1990) Verfahren zur Überprüfung und Verbesserung von Planungskonzepten. Haupt, Bern Grünig R, Kühn R, Morschett D (2022) Strategieplanungsprozess, 3. Aufl. Haupt, Bern Gygi U (1982) Wissenschaftsprogramme in der Betriebswirtschaftslehre. Ringier, Zofingen Heinen E (1969) Zum Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. J Bus Econ 39(4):207–220 Kahneman D (2011) Thinking fast and slow. Farrar, Straus and Giroux, New York Kahneman D, Sibony O, Sunstein C (2021) Noise: a flaw in human judgment. Little, Brown Spark Kahneman D, Tversky A (1982) The psychology of preferences. Sci Am (January):160–173
Literatur
49
Kahneman D, Tversky A (Hrsg) (2000) Choices, values and frames. Cambridge University Press and the Russell Sage Foundation, New York Klein H (1971) Heuristische Entscheidungsmodelle; Neue Techniken des Programmierens und Entscheidens für das Management. Springer Fachmedien, Wiesbaden Köhler R (1978) Forschungsobjekte und Forschungsstrategien. Die Unternehmung 32(3):181–196 Kühn R (1978) Entscheidungsmethodik und Unternehmungspolitik; Methodische Überlegungen zum Aufbau einer betriebswirtschaftlichen Spezialdisziplin, erarbeitet am Gegenstandsbereich der Unternehmungspolitik. Haupt, Bern Little JDC (1970) Models and managers: the concept of a decision calculus. Manage Sci 16(8):B466–B-485 Minsky M (1961) Steps toward artificial intelligence. Proc IRE 49(1):8–30 Simchi-Levi D, Kaminsky P, Simchi-Levi E (2009) Designing and managing the supply chain, 3. Aufl. McGraw Hill, Boston Simon HA, Newell A (1958) Heuristic problem solving; The next advance in operations research. Oper Res (January–February):1–10 Streim H (1975) Heuristische Lösungsverfahren; Versuch einer Begriffsklärung. Z Oper Res 19(5):143–162 Tversky A, Kahneman D (1992) Advances in prospect theory: Cumulative representation of uncertainty. J Risk Uncertain 5:297–323
Teil II Ein allgemeines heuristisches Problemlösungsverfahren
6
Das Problemlösungsverfahren im Überblick
6.1
Nutzen eines allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens
Bevor ein Überblick über das vorgeschlagene Verfahren gegeben wird, sollen zuerst die Möglichkeiten und Grenzen eines allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens aufgezeigt werden. Dies um sicherzustellen, dass der Leser und potenzielle Benutzer von Anfang an mit realistischen Erwartungen an das Verfahren herantritt. Wenn das Entscheidungsproblem alle Anwendungsbedingungen für den Einsatz eines analytischen Problemlösungsverfahrens erfüllt, sollte dieses analytische Verfahren auch tatsächlich angewendet werden. Dies, weil das analytische Verfahren im Gegensatz zum vorgeschlagenen heuristischen Verfahren die optimale Lösung garantiert. Aber wie gezeigt wurde, ist es selten, dass ein komplexes Entscheidungsproblem die Anwendungsbedingungen eines analytischen Problemlösungsverfahren erfüllen kann. Steht für die Lösung eines Entscheidungsproblems ein spezielles heuristisches Verfahren zur Verfügung, das auf die Problemstellung zugeschnitten ist, sollte es gegenüber dem vorgeschlagenen allgemeinen heuristischen Verfahren bevorzugt werden. Dies, weil die Problemlösungsschritte an das zu bewältigende Problem angepasst sind und den Aktor deshalb in der Verwendung seines Faktenwissens besser führen. Es ist allerdings die Ausnahme, dass für eine spezifische Problemstellung ein passendes spezielles heuristisches Lösungsverfahren zur Verfügung steht. Im Normalfall kann der Aktor somit weder auf ein analytisches noch auf ein spezielles heuristisches Problemlösungsverfahren zurückgreifen. Er steht folglich vor der Frage, ob er das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren anwenden will oder nicht. Verzichtet er auf die Verfahrensanwendung, wird er sein Vorgehen kurzfristig ad hoc
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_6
53
54
6 Das Problemlösungsverfahren im Überblick
festlegen. Aus Sicht der Verfasser ergibt die Anwendung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahren gegenüber einem solchen ad hoc Vorgehen klare Vorteile: • Das Verfahren erleichtert eine konsequente Ausrichtung aller Problemlösungsüberlegungen auf die übergeordneten Ziele und senkt damit die Wahrscheinlichkeit, dass mangelnde Zielorientierung zu einer Fehlentscheidung führt. • Das Verfahren ermöglicht durch die Trennung von Analyse, Erarbeitung von Lösungsvarianten und Lösungsbeurteilung ein bewusstes Auseinanderhalten von Faktenwissen und subjektiver Wertung. Es ermöglicht zudem eine optimale Nutzung des Wissens über die Entscheidungssituation. Diese zwei Umstände schlagen sich im Allgemeinen in einer höheren Entscheidungsqualität nieder. • Die mit der Verfahrensanwendung verbundene systematische Vorgehensweise führt zu weniger heuristischen Schlaufen und ergibt damit eine höhere Entscheidungseffizienz.
6.2
Vorgeschlagene Sequenz von Teilproblemen und Schritten
Abb. 6.1 zeigt das vorgeschlagene Problemlösungsverfahren in seiner Grundform. Komplexe Entscheidungsprobleme werden in der Problemanalyse meist in mehrere Teilprobleme zerlegt. Abb. 6.2 und 6.3 illustrieren die Verfahrensanwendung für diesen Fall. Sie zeigen exemplarisch das Vorgehen bei zwei parallel und bei zwei nacheinander zu lösenden Teilproblemen. Folgende Bemerkungen erscheinen zu den drei Abbildungen notwendig: • Zwei Teilprobleme können, wie Abb. 6.2 zeigt, parallel bearbeitet werden. Da die Teilprobleme jedoch nur ausnahmsweise völlig unabhängig voneinander sind, müssen die Entscheidungen in Schritt 7 aufeinander abgestimmt werden. Abb. 6.3 stellt die Situation dar, in der die zwei Teilproblemen nacheinander gelöst werden. In dieser Situation bildet die gewählte Variante des ersten Teilproblems die Grundlage für die Bearbeitung des zweiten Teilproblems. Selbstverständlich sind weitere, insbesondere auch komplexere Fälle denkbar. So kann beispielsweise die Problemanalyse ein Teilproblem A ergeben, das parallel zu zwei nacheinander zu lösenden Teilproblemen B1 und B2 steht. • Die Abbildungen zeigen nur eine heuristische Schlaufe, die von Schritt 7 zu Schritt 3 zurückführt. Es handelt sich dabei um die am wichtigsten erachtete Schlaufe. Es liegt jedoch in der Natur heuristischer Prozesse, dass es in allen Prozessschritten zu Schlaufen kommen kann. So ist es beispielsweise denkbar, dass im Rahmen der Ermittlung der Konsequenzen in Schritt 6 auf die in Schritt 4 festgelegten Entscheidungskriterien zurückgekommen werden muss. Diese Schlaufe tritt auf, wenn sich die Varianten nicht nach den definierten Entscheidungskriterien bewerten lassen. Ein anderes Beispiel für eine denkbare aber nicht eingezeichnete Schlaufe bezieht sich auf Abb. 6.3. Im Fall von
6.2 Vorgeschlagene Sequenz von Teilproblemen und Schritten
1.
Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
2.
Problemanalyse
55
pro Teilproblem
3.
Erarbeitung von Lösungsvarianten
4.
Festlegung der Entscheidungskriterien
5.
Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
6.
Ermittlung der Konsequenzen der Varianten pro Teilproblem aber abgestimmt
7.
Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
= Schritt = Schrittsequenz = heuristische Schlaufe
Abb. 6.1 Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren in seiner Grundform
zwei nacheinander zu bewältigenden Teilproblemen ist denkbar, dass im Rahmen der Bearbeitung des zweiten Teilproblems keine befriedigende Lösung gefunden werden
56
6 Das Problemlösungsverfahren im Überblick
1. Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
2. Problemanalyse
Teilproblem A
Teilproblem B
3. Erarbeitung von Lösungsvarianten
3. Erarbeitung von Lösungsvarianten
4. Festlegung der Entscheidungskriterien
4. Festlegung der Entscheidungskriterien
5. Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
5. Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
= Schritt = Schrittsequenz = heuristische Schlaufe = Abstimmung
Abb. 6.2 Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren bei parallel zu bewältigenden Teilproblemen
6.2 Vorgeschlagene Sequenz von Teilproblemen und Schritten
57
1. Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
2. Problemanalyse
Teilproblem A
Teilproblem B
3. Erarbeitung von Lösungsvarianten
3. Erarbeitung von Lösungsvarianten
4. Festlegung der Entscheidungskriterien
4. Festlegung der Entscheidungskriterien
5. Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
5. Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
= Schritt = Schrittsequenz = heuristische Schlaufe
Abb. 6.3 Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren bei nacheinander zu bewältigenden Teilproblemen
58
6 Das Problemlösungsverfahren im Überblick
kann. In diesem Fall muss auf die Lösung des ersten Teilproblems zurückgekommen werden. Es finden sich in der Literatur verschiedene allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren (vgl. z. B. Bazerman und Moore 2009, S. 1 ff.; Jennings und Wattam 1998, S. 5 ff.; Robbins et al. 2011, S. 84 ff.). Ihnen ist gemeinsam, dass die Aufgabe gleich wie im hier unterbreiteten Vorschlag in Schritte unterteilt wird. Unterschiede bestehen hingegen in der Abgrenzung der Schritte und in der Reihenfolge ihrer Anordnung.
6.3
Kurze Erläuterung der Schritte
Nachdem in Abschn. 6.2 die Struktur des Problemlösungsverfahrens vorgestellt wurde, sollen nachfolgend die vorgeschlagenen Schritte kurz erläutert werden. Damit erhält der Leser eine Übersicht über die Arbeiten, die im Rahmen der Verfahrensanwendung zu leisten sind. Der Problemlösungsprozess beginnt, nachdem ein Entscheidungsproblem ad hoc oder mithilfe eines Problementdeckungssystems identifiziert worden ist (vgl. Kap. 3). Er beginnt damit, dass das entdeckte Problem in Schritt 1 verifiziert wird. Dabei hat der Aktor zu prüfen, ob die entdeckte Divergenz zwischen Soll und Ist auf verlässlichen Informationen beruht und ob sie so erheblich ist, dass sich eine Bearbeitung lohnt. In Schritt 2 ist das Problem zu analysieren. Der Schritt beginnt mit der Zusammenfassung der Ausgangslage. Darauf sind im Falle eines Gefahrenproblems die Problemursachen zu ermitteln. Schließlich ist das Problem in Teilprobleme zu zerlegen und ihre Bearbeitung festzulegen. Die Schritte 3 bis 7 sind pro Teilproblem zu absolvieren. Es hängt dabei von der in Schritt 2 festgelegten Problemstruktur ab, ob die Teilprobleme parallel oder nacheinander angegangen werden. Der Schritt 3 besteht in der Erarbeitung von mindestens zwei Lösungsvarianten. Gelingt es nicht, zwei sich wesentlich und nicht nur in Details unterscheidbare Varianten zu entwickeln, existiert kein Entscheidungsproblem. In diesem Fall kann der Problemlösungsprozess abgebrochen werden. Aus Sicht der Verfasser handelt es sich dabei allerdings um eine seltene Ausnahme. In den meisten Fällen lassen sich mehrere Lösungsvarianten finden, um die Soll-Ist-Abweichung zu eliminieren oder zu reduzieren. Darauf hat der Aktor in Schritt 4 die Entscheidungskriterien zu bestimmen, aufgrund derer die Problemlösungsvarianten beurteilt werden sollen. Im Gegensatz zu den Zielsetzungen, die meist eher vage Umschreibungen des Sollzustandes darstellen, sind mit den Entscheidungskriterien konkrete Beurteilungsmaßstäbe zu definieren. Nachdem mit den Entscheidungskriterien die relevanten Zieldimensionen festgelegt worden sind, hat sich der Aktor in Schritt 5 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die
6.4
Grundlagen des Problemlösungsverfahrens
59
Varianten mehr oder weniger sichere Auswirkungen haben, oder ob ihre Beurteilung parallel für verschiedene Umfeldszenarien vorzunehmen ist. Falls die Konsequenzen parallel für mehrere Szenarien ermittelt werden müssen, sind diese festzulegen. Wenn immer möglich sind ihnen zudem Eintretenswahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Im Schritt 6 geht es darum, für jede Variante, für jedes Entscheidungskriterium und allenfalls für jedes Umfeldszenario die Konsequenzenwerte zu bestimmen. In Schritt 7 sind schließlich die Varianten abschließend zu beurteilen. Diese Gesamtbeurteilung der Varianten kann analytisch oder summarisch durchgeführt werden. Wenn sich der Aktor für den analytischen Weg entscheidet, benötigt er zur Bildung der Gesamtkonsequenzen methodische Regeln. Diese werden Entscheidungsmaximen genannt. Abb. 6.4 fasst die Ausführungen anhand eines einfachen Beispiels zusammen. Dabei geht es um die ungenügende Rendite eines auf den Schweizer Markt fokussierten Herstellers von Küchengeräten.
6.4
Grundlagen des Problemlösungsverfahrens
Nach der überblicksartigen Vorstellung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens in den Abschn. 6.2 und 6.3 werden nun als Abschluss des Kapitels noch die Grundlagen des Verfahrensvorschlages aufgezeigt. Wie aus Abb. 6.5 hervorgeht, basiert das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren auf Beiträgen der Literatur und auf Erfahrungen der Autoren. Der Literatur entstammen drei Grundlagen: • Die Heuristikliteratur liefert mit den heuristischen Prinzipien wichtige Regeln, die bei der Schaffung heuristischer Problemlösungsverfahren zu berücksichtigen sind. Das auf Kühn (1978, S. 129 ff.) basierende Vertiefungsfenster 6.1 stellt die für das Problemlösungsverfahren zentralen heuristischen Prinzipien vor und zeigt, wie sie im Verfahren berücksichtigt werden. • Wie in Abschn. 6.2 erwähnt, existieren in der Literatur allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren. Sie ermöglichten eine kritische Beurteilung und Optimierung des eigenen Vorschlags. • Eine weitere Grundlage des Verfahrens bilden die in der Literatur vorgeschlagenen Entscheidungsmaximen zur analytischen Bildung der Gesamtkonsequenzen. Sie werden in Kap. 8 vorgestellt.
60
6 Das Problemlösungsverfahren im Überblick
1. Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
mehr als 7% Rendite
Soll
nur 4% Rendite
Ist
2. Problemanalyse
Teilproblem 1: Teilproblem 2: Zu viel Umsatz- Zu hohe Lageranteil in Gross- bestände verteilern
Teilproblem 3: Zu hohe Personalkosten in der Produktion
pro Teilproblem
z.B. Teilproblem 3: Zu hohe Personalkosten in der Produktion
3. Erarbeitung von Lösungsvarianten
A = Rationalisierung der Produktion am bestehenden Standort in der Schweiz B = Verlagerung der Produktion In eine neue eigene Fabrik im Euro-Raum C = Outsourcing an einen Lohnproduzenten im Euro-Raum
4. Festlegung der Entscheidungskriterien
1 = Gesamtkosten der Produkte 2 = Qualität der Produkte
5. Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
a = Devisenkurs EUR/CHF sinkt b = Devisenkurs EUR/CHF bleibt konstant oder steigt
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
Varianten
Entscheidungskriterien 1
2
Umfeldszenarien a
b
-
Konsequenzen
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
A
KA1a
KA1b
KA2
B
KB1a
KB1b
KB2
C
KC1a
KC1b
KC2
B>A>C
Abb. 6.4 Einfaches Beispiel zur Anwendung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens
6.4
Grundlagen des Problemlösungsverfahrens
61
Heuristische Prinzipien
Existierende allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren anderer Autoren
Erfahrungen als Berater in komplexen Entscheidungssituationen Allgemeines heuristisches Problemlösungsverfahren Erfahrungen im Unterricht von Entscheidungsmethodik
= Grundlagen
Entscheidungsmaximen
Erfahrungen aus der Entwicklung spezieller heuristischer Problemlösungsverfahren
= Resultat
Abb. 6.5 Grundlagen des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens
Vertiefungsfenster 6.1: Heuristische Prinzipien und ihre Anwendung
Das Vertiefungsfenster basiert auf Kühn (1978, S. 129 ff.). Heuristische Prinzipien sind, salopp gesagt, „Denktricks“, die Problemlöser anwenden, um komplexe Probleme lösbar zu machen. Das in diesem Buch vorgeschlagene Verfahren nutzt im Wesentlichen fünf heuristische Prinzipien. Sie werden nachfolgend kurz beschrieben und es wird gezeigt, wie sie zur Anwendung kommen. Eine zentrale Bedeutung besitzt das Prinzip der beschränkten Rationalität von Simon (1966, S. 19). Es besagt, dass es für komplexe Entscheidungsprobleme in der Regel kein analytisches Problemlösungsverfahren gibt und deshalb die optimale Lösung nicht ermittelt werden kann. Der Aktor ist folglich gezwungen, ein heuristisches Problemlösungsverfahren anzuwenden und sich mit einer befriedigenden Problemlösung zufrieden zu geben. Das heuristische Prinzip der
62
6 Das Problemlösungsverfahren im Überblick
beschränkten Rationalität bildet die Grundannahme des gesamten vorgeschlagen Problemlösungsverfahrens. Die heuristische Regel der Faktorisation (vgl. March und Simon 1958, S. 193) schlägt vor, die Lösung eines komplexen Entscheidungsproblems durch seine Zerlegung in nacheinander oder parallel zu bewältigende Teilprobleme zu erleichtern. Mit der Aufteilung des Problems in Schritte, die nacheinander und teilweise parallel bewältigt werden können, wird das Prinzip intensiv genutzt. Das Prinzip der Modellbildung (vgl. Klix 1971, S. 724) verlangt, dass die Teilprobleme so abgegrenzt werden, dass zu ihrer Lösung bekannte und erprobte Methoden zur Verfügung stehen. Dieses Prinzip liegt insbesondere der Bildung des Schrittes 7 zugrunde: Es gibt zahlreiche Entscheidungsmaximen, mit deren Hilfe sich die Gesamtkonsequenzen der Varianten analytisch bilden lassen. Ein weiteres wichtiges heuristisches Prinzip ist die Unterzielreduktion (vgl. Newell et al. 1965, S. 259). Es schlägt vor, zur Bewertung von. Lösungsvarianten schlecht anwendbare generelle Ziele durch konkretere, vom Entscheider leichter anwendbare Entscheidungskrite-rien zu ersetzen. Das Prinzip bildet die Basis von Schritt 3. Das Prinzip des Generate-and-test (vgl. Herroelen 1972, S. 227) empfiehlt, statt der Erarbeitung und Beurteilung mehrerer Varianten nur eine sinnvoll erscheinende Lösung zu entwickeln (generate) und zu beurteilen (test). Falls diese die vorgegebenen Mindestziele erfüllt, wird sie als Problemlösung akzeptiert. Führt die Evaluation dagegen zu einem unbefriedigenden Ergebnis, ist die Lösungssuche fortzusetzen. Die Heuristik des Generate-and-test wird im vorgeschlagenen Verfahren in der heuristischen Schlaufe von Schritt 7 zu Schritt 3 angewendet: Ergibt die Gesamtbeurteilung für alle bewerteten Varianten ein unbefriedigendes Resultat, sind weitere Varianten zu suchen und zu beurteilen. Auch die Erfahrungen der Autoren lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: • Die Verfasser entwickelten sowohl einzeln als auch gemeinsam spezielle heuristische Problemlösungsverfahren. Mit dieser Tätigkeit wurden nicht nur Erkenntnisse im Anwendungsbereich des jeweiligen Verfahrens, sondern vor allem auch methodische Erkenntnisse gesammelt. Diese ließen sich bei der Schaffung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens nutzbringend einsetzen. • Auch der Unterricht in allgemeiner Entscheidungsmethodik erbrachte wertvolle Erkenntnisse. Methodische Empfehlungen konnten im Rahmen von Fallstudien getestet und gezielt verbessert werden. • Die wichtigsten Erfahrungen konnten jedoch zweifellos als Berater von Unternehmen in wichtigen und gleichzeitig komplexen Entscheidungssituationen gesammelt werden. Auch hier wurden Methoden angewendet und getestet. Noch wesentlicher erscheint
Literatur
63
jedoch das damit gewonnene Wissen über die Situation und das Befinden der Führungskräfte in schwierigen Entscheidungen: Sie haben nicht nur eine intellektuelle Aufgabe zu lösen, sondern stehen gleichzeitig auch unter einem bedeutenden Erfolgsdruck. Zudem herrscht in solchen Entscheidungen oft großer Zeitdruck. Diese Gesichtspunkte wurden bei der Erarbeitung des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens ebenfalls berücksichtigt.
Literatur Bazerman MH, Moore DA (2009) Judgment in managerial decision making, 7. Aufl. Wiley, New York Herroelen WS (1972) Heuristic programming in operations management. Die Unternehmung 26(4):213–231 Jennings D, Wattam S (1998) Decision making, 2. Aufl. Prentice Hall, Harlow Klix F (1971) Information und verhalten. Haupt, Bern Kühn R (1978) Entscheidungsmethodik und Unternehmungspolitik; Methodische Überlegungen zum Aufbau einer betriebswirtschaftlichen Spezialdisziplin, erarbeitet am Gegenstandsbereich der Unternehmungspolitik. Haupt, Bern March JG, Simon HA (1958) Organizations. Wiley, New York Newell A, Shaw JC, Simon HA (1965) Report on a general problem-solving program. In: Luce RD, Bush RR, Galanter E (Hrsg) Readings in mathematical psychology, Bd II. Wiley, New York, S 41–50 Robbins S, De Cenzo D, Coulter M (2011) Fundamentals of management, 7. Aufl. Pearson, Boston Simon HA (1966) The logic of heuristic decision making. In: Rescher N (Hrsg) The logic of decision and action. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh, S 1–20
7
Problemverifizierung und –analyse
7.1
Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
7.1.1
Einleitung
Ausgangspunkt jedes Problemlösungsprozesses ist die Vermutung, dass eine Situation vorliegt, in der übergeordnete Ziele verfehlt werden (= Gefahr) oder in der übergeordnete Ziele besser erfüllt werden können (= Chance). Der Ausdruck Entscheidungsproblem umfasst somit negativ aber auch positiv beurteilte Situationen. Er wird folglich neutral verstanden. Das im Rahmen der laufenden Lagebeurteilung (vgl. Abschn. 3.1) systematisch oder ad hoc entdeckte Entscheidungsproblem setzt den Problemlösungsprozess in Gang. Er beginnt damit, dass in Schritt 1 noch einmal verifiziert respektive überprüft wird, ob die Problembearbeitung wirklich sinnvoll ist. Damit soll verhindert werden, dass ein großer Aufwand für die Bearbeitung eines nicht existierenden oder unerheblichen Entscheidungsproblems geleistet wird. Die Problemverifizierung beinhaltet unterschiedliche Fragen, je nachdem ob es sich um ein Gefahren- oder um ein Chancenproblem handelt.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_7
65
66
7.1.2
7 Problemverifizierung und –analyse
Verifizierung eines Gefahrenproblems
Im Falle eines Gefahrenproblems sollte der Aktor zwei Fragen klären, bevor er in Schritt 2 mit der Problemanalyse beginnt: • Basiert die festgestellte Soll-Ist-Abweichung auf verlässlichen Informationen? • Ist die Soll-Ist-Abweichung erheblich? Die erste Frage betrifft die Zuverlässigkeit der Informationen über den Istzustand: • Vor allem im Falle einer ad hoc Problementdeckung lohnt es sich in der Regel, die Qualität der Informationen zu überprüfen. Beispielsweise kann der Besuch einer Verkaufsniederlassung durch den CEO den Eindruck erwecken, dass ein schlechtes Arbeitsklima herrscht und sich die Mitarbeitenden nicht offen äußern. Bevor nun eine Problemanalyse gestartet wird, sollte eine anderer Person, beispielsweise der Personalchef respektive die Personalchefin, die Niederlassung noch einmal unangemeldet besuchen. • Aber auch im Falle einer Problementdeckung mithilfe eines Problementdeckungssystems kann es sinnvoll sein, die Qualität der Informationen zu prüfen. Zeigt beispielsweise ein Zwischenabschluss ein deutlich schlechteres Resultat als erwartet, kann dies an Einmaleffekten oder an falsch erfassten Lagerveränderungen liegen. Es lohnt sich deshalb eine Überprüfung des Zwischenabschlusses, bevor die Problemanalyse in Gang gesetzt wird. Zweitens muss sich der Aktor fragen, ob die Soll-Ist-Abweichung erheblich ist und sich die Problembearbeitung folglich lohnt: • Basiert die Problementdeckung auf der Verwendung eines Problementdeckungssystems, lässt sich die Frage ohne größere Schwierigkeiten beantworten. Normalerweise verfügt der Aktor in diesem Fall über Vorstellungen von „normalen“ und von „ungewöhnlichen“ Abweichungen. Abb. 7.1 zeigt das Beispiel einer Problementdeckung auf der Basis des kumulierten Soll-Umsatzes einer Produktgruppe. Abweichungen von ±10 % werden im vorliegenden Beispiel als normal angesehen und durch die Toleranzgrenzen angezeigt. Deshalb ist bis Ende Mai alles im „grünen Bereich“. Im Juni sinkt der kumulierte Istumsatz dann an die untere Toleranzgrenze. Im Juli unterschreitet er sie, womit ein Problem angezeigt wird. • Wenn die Problementdeckung ad hoc geschieht, ist die zweite Frage schwieriger zu beantworten. Soll- und Istzustand können in diesem Fall oft nur vage umschrieben werden. Entsprechend schwierig wird die Beurteilung, ob die Differenz erheblich ist. Wenn der CEO eines Werkzeugmaschinenproduzenten beispielsweise an einer Messe mit einer neuen Generation von Maschinen seines stärksten Konkurrenten konfrontiert
7.1 Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
67
Kumulierter Umsatz in Mio CHF
10
8
6
4
2
0 Jan.
Feb.
März
Apr.
Mai
Juni.
Juli
Monate Toleranzgrenze Sollumsatz Istumsatz
Abb. 7.1 Problementdeckung auf der Basis des kumulierten Sollumsatzes
wird, ist der Handlungsbedarf für das eigene Unternehmen schwer abzuschätzen. Was ist an den Maschinen des Konkurrenten neben dem neuen Design anders? Sind die allfälligen technischen Verbesserungen für die Kunden bedeutsam? Welche Kunden könnten bereit sein, für die technische Verbesserung den vom Konkurrenten verlangten Mehrpreis zu bezahlen? Wird eine der beiden Fragen verneint, sollte der Problembearbeitungsprozess abgebrochen werden. Das entdeckte Entscheidungsproblem konnte in diesem Fall nicht verifiziert werden und der mit den weiteren Schritten verbundene Aufwand würde sich nicht rechtfertigen.
7.1.3
Verifizierung eines Chancenproblems
Im Falle eines Chancenproblems umfasst die Verifizierung drei Fragen: • Basiert die festgestellte Soll-Ist-Abweichung auf verlässlichen Informationen? • Handelt es sich um eine attraktive Opportunität respektive um eine echte Chance?
68
7 Problemverifizierung und –analyse
• Handelt es sich um eine Opportunität respektive Chance für das eigene Unternehmen? Gleich wie bei einem Gefahrenproblem ist zuerst die Frage zu beantworten, ob die entdeckte Soll-Ist-Abweichung wirklich besteht. Die Entdeckung einer Chance erfolgt jedoch häufiger als die Entdeckung eines Gefahrenproblems ad hoc. Entsprechend beruht die Problementdeckung oft auf qualitativen Informationen. Dies führt dazu, dass die Beantwortung der ersten Frage bei einem Chancenproblem in der Regel schwieriger ist als bei einem Gefahrenproblem. Die zweite Frage betrifft die Qualität der Opportunität. Bei einem Übernahmeangebot sind beispielsweise die Attraktivität der bearbeiten Märkte sowie die Wettbewerbsstärke und die Profitabilität des angebotenen Unternehmens abzuschätzen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Beurteilung aufgrund der normalerweise beschränken Informationen schwierig ist. Schließlich ist die Frage zu beantworten, ob es sich um eine Opportunität handelt, die das eigene Unternehmen auch wahrnehmen kann. Bei einem Übernahmeangebot sind zu diesem Zweck die Synergien abzuschätzen. Es ist aber auch die Frage zu beantworten, ob die Übernahme finanzierbar ist, ohne dass das Unternehmen dabei zu große Risiken eingehen muss. Eine Chance sollte nur weiterverfolgt werden, wenn alle drei Fragen klar mit ja beantwortet werden können. Sonst sollte auf eine weitere Bearbeitung verzichtet werden.
7.2
Problemanalyse
7.2.1
Einleitung
Bei der Problemanalyse in Schritt 2 geht es darum, das in Schritt 1 entdeckte Problem soweit zu verstehen, dass sich im anschließenden Schritt 3 wirkungsvolle Problemlösungsvarianten entwickeln lassen. Die Problemanalyse löst somit das entdeckte und verifizierte Entscheidungsproblem nicht, sondern dient nur dazu, es präziser zu umschreiben. Es ist jedoch Drucker zuzustimmen, dass diese Aufgabe wichtiger und schwieriger ist als die anschließende Problemlösung. „The important and difficult job is never to find the right answer; it is to find the right question.“ (Drucker 1954). • Ohne gutes „Problemverständnis“ werden im nachfolgenden Schritt die Lösungsvarianten am falschen Ort gesucht resp. in die falsche Richtung entwickelt. Unter Umständen wird dieser Fehler bei der Variantenbewertung entdeckt und korrigiert. In diesem Fall ist lediglich viel unnötige Arbeit geleistet worden. Eventuell kommt der Fehler in der weiteren Problembearbeitung jedoch nicht mehr zum Vorschein und der Aktor löst ein unbedeutendes Nebenproblem oder er entwirft Ansätze zur Nutzung einer Chance, die es in Tat und Wahrheit gar nicht gibt.
7.2
Problemanalyse
69
2.1 Zusammenfassung der Ausgangslage Falls Gefahrenproblem
Falls Chancenproblem
2.2 Ermittlung der Problemursachen
2.3 Bildung von Teilproblemen und Festlegung ihrer Bearbeitung
Abb. 7.2 Unterschritte der Problemanalyse
• Schwierig ist die Problemanalyse deshalb, weil jedes komplexe Entscheidungsproblem eine andere Struktur aufweist und es aus diesem Grund nicht möglich ist, allgemeingültige und trotzdem konkrete methodische Hilfestellungen zu geben. Da nur relativ abstrakte methodische Empfehlungen unterbreitet werden können, ist der Aktor bei der Problemanalyse zu großen Teilen auf sich selbst gestellt. Der Schritt 2 beinhaltet somit normalerweise eine komplexe Aufgabe. Es lohnt sich deshalb, sie der Heuristik der Faktorisation folgend in drei Unterschritte gemäß Abb. 7.2 aufzuteilen. Sie werden in den nachfolgenden Unterabschnitten erläutert.
7.2.2
Zusammenfassung der Ausgangslage
In Unterschritt 2.1 geht es darum, die Ausgangslage des entdeckten und verifizierten Entscheidungsproblems übersichtlich und verständlich zusammenzufassen. Die Form dieser Zusammenfassung hängt vom konkreten Entscheidungsproblem ab und kann sich sehr unterschiedlich präsentieren. Die folgenden Beispiele illustrieren die große Vielfalt der möglichen Arten von Zusammenfassung der Ausgangslage: • Wenn ein Unternehmensberatungsunternehmen mit der Reduktion des Markenportfolios beauftragt werden soll, ist ein Überblick über die existierenden Marken zu geben. Zudem ist kurz zu schildern, weshalb das aktuelle Markenportfolio aus Sicht des Unternehmens ein Problem darstellt, welche Erwartungen mit dem Beratungsmandat verknüpft sind und welche Rahmenbedingungen zu beachten sind. Aufbauend auf diesen Informationen sollte ein spezialisiertes Beratungsunternehmen in der Lage sein, eine Offerte zu unterbreiten.
70
7 Problemverifizierung und –analyse
• Wenn ein Konsumgüterhersteller rückläufige Umsätze und Margen im Exportgeschäft feststellt, können als Ausgangslage in einer Tabelle die Entwicklungen der Umsätze und Bruttomargen nach Exportmärkten und Produktgruppen zusammengefasst werden. • Unklare Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten und damit verbundene Konflikte in einer Geschäftsleitung lassen sich durch die Zusammenfassung von Interviews mit den Geschäftsleitungsmitgliedern dokumentieren. Dazu können die Antworten der befragten Personen beispielsweise in einer Tabelle zusammengefasst werden. • Wenn das Entscheidungsproblem aus der Festlegung des weiteren Vorgehens in einem Rechtsstreit besteht, eignet sich zur Zusammenfassung der Ausgangslage eine chronologische Wiedergabe der Ereignisse. • Besteht das entdeckte und verifizierte Entscheidungsprobleme in einer neuen verkehrsmäßigen Erschließung eines Industriequartiers, sind in einem Plan die aktuellen Verkehrsflüsse darzustellen und zu quantifizieren. • Die Zusammenfassung der Ausgangslage kann auch aus einem Framework (vgl. Osterloh und Grand 1994, S. 97 ff.) bestehen. Wenn einem Technologiekonzern von einer Investmentbank ein Produzent von Photovoltaikanlagen angeboten wird, lassen sich die erhaltenen Informationen und die ersten Überlegungen der Abteilung „Strategic Development“ beispielsweise im Framework gemäß Abb. 7.3 zusammenfassen.
Beurteilung der Marktattraktivität Volumen, Wachstum und Margen der bearbeiten Märkte Subventionen in den bearbeiteten Märkten
Beurteilung der Unternehmens
Positionen in der bearbeiteten Märkten Stärken und Schwächen des Angebotes und der Ressourcen Profitabilität
Beurteilung der Übernahmebedingungen Preisvorstellungen Weitere Übernahmebedingungen
Beurteilung der Synergien
Marktsynergien Angebots -und Ressourcensynergien
= wichtige Abhängigkeit = Abhängigkeit
Abb. 7.3 Framework zur ersten Beurteilung der Übernahme eines Produzenten von Photovoltaikanlagen
7.2
Problemanalyse
71
Die Ausgangslage lässt sich nicht nur in sehr vielfältiger Art zusammenfassen. Die Erarbeitung der Zusammenfassungen basiert auch auf unterschiedlichen Prozessen. Es gibt aus Sicht der Verfasser im vorgeschlagenen Problemlösungsverfahren keine andere Teilaufgabe, die sich von Entscheidungsproblem zu Entscheidungsproblem so stark unterscheidet wie der Unterschritt 2.1. Diese verschiedenartigen Aufgabenstellungen führen dazu, dass kein allgemeingültiges Vorgehen für die Bewältigung dieses Unterschrittes vorgeschlagen werden kann. Neben der Form der Zusammenfassung und dem Vorgehen zur Erstellung der Zusammenfassung variiert auch der Aufwand von Fall zu Fall stark. Manchmal geht es nur darum, bereits bekannte Fakten zusammenzustellen. In anderen Situationen sind als Basis der Zusammenfassung der Ausgangslage umfangreiche Datenbeschaffungen notwendig.
7.2.3
Ermittlung der Problemursachen
Eine nachhaltige Lösung von Gefahrenproblemen bedingt Maßnahmen, welche die Problemursachen beseitigen oder zumindest deren negative Auswirkungen auf die Unternehmensziele verringern. Aktoren, die handeln, ohne die Problemursachen zu kennen, betreiben Symptomtherapie. So erlebt man es beispielsweise häufig, dass auf Marktanteilsverluste stereotyp mit Preissenkungen „geanwortet“ wird. Die Reaktion erfolgt dabei ohne die Ursachen der Marktanteilsverluste zu kennen. Die Bestimmung der Problemursachen erfolgt über eine rückwärts-schreitende Problemindikation. Ausgangspunkt bildet das entdeckte und verifizierte Problem. „Rückwärtsschreiten“ bedeutet dabei folgendes Vorgehen: Ausgehend vom entdeckten und verifizierten Problem werden alle denkbaren Ursachen aufgelistet. Von diesen möglichen Ursachen werden möglichst viele ausgeschlossen. Die verbleibenden Ursachen werden in denkbare Teilursachen aufgeteilt. Dann wird wiederum versucht, möglichst viele dieser Teilursachen auszuschließen. Dieses Vorgehen wird solange wiederholt, bis der Aktor genügend präzise sagen kann, was zum Gefahrenproblem geführt hat. Vertiefungsfenster 7.1 stellt den deduktiven Baum und das Du Pont Schema als zwei Ansätze zur rückwärtsschreitenden Problemindikation vor. Beide Methoden kommen in der Praxis häufig zur Anwendung. Der Ermittlung der Problemursachen kommt für die Lösung eines Gefahrenproblems eine große Bedeutung zu. Es lohnt sich deshalb, die Aufgabe gründlich und nicht bloß oberflächlich zu lösen. Damit können allerdings erhebliche Kosten verbunden sein. Unter Umständen ist sogar eine empirische Erhebung notwendig, um die Problemursachen mit genügender Sicherheit benennen zu können. Dies war beispielsweise der
72
7 Problemverifizierung und –analyse
Fall, als ein großes Dienstleitungsunternehmen der öffentlichen Hand Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen bekundete. Die Verantwortlichen konnten zwar mehrere möglichen Ursachen identifizieren. Die Benennung der tatsächlichen Ursachen gelang jedoch nur über eine Befragung von Absolventen. Vertiefungsfenster 7.1: Ansätze zur rückwärtsschreitenden Problemindikation
Der deduktive Baum (vgl. Hungenberg 1999, S. 25 ff.) ist eine generell anwendbare Methode der rückwärtsschreitenden Problemindikation. Das Verfahren teilt das entdeckte Problem in Teilbereiche auf. Es erlaubt dem Aktor, das Problem einem oder wenigen Teilbereichen zuzuordnen und dadurch gleichzeitig viele andere Teilbereiche auszuschließen. Bei der Konstruktion von deduktiven Bäumen sollten folgende Regeln eingehalten werden (vgl. Hungenberg 1999, S. 22 ff.): • Die Aussagen auf einer Ebene dürfen sich nicht überschneiden, sondern müssen sich logisch ausschließen (= Exclusiveness). • Die Aussagen auf einer Ebene müssen durch die Aussagen auf der nächsttieferen Ebene vollständig abgedeckt sein (= Exhaustiveness). Wenn beispielsweise das festgestellte Problem in einer stark angestiegenen Personalfluktuation in der Forschungsabteilung eines Herstellers von Pharmazeutika liegt, könnte der deduktive Baum sich gemäß folgender Abbildung präsentieren. Wie das Beispiel zeigt, lässt sich das aufgedeckte Problem mithilfe des Baums zumindest ein Stück weit zurückverfolgen. Selbstverständlich stellt die Erkenntnis, dass das Ansteigen der Fluktuationsraten wesentlich auf den Weggang von Akademikern und Fachhochschulabsolventen zurückzuführen ist, keine abschließende Problemdiagnose dar. Durch eine Befragung müsste nun eruiert werden, wieso viele qualifizierte Forscher das Unternehmen verlassen. Das Ishikawa- oder Fishbone-Diagramm (vgl. Joiner 1995) präsentiert sich zwar anders als der deduktive Baum, basiert aber auf der gleichen Grundidee und den gleichen zwei Regeln.
7.2
Problemanalyse
Fluktuationsrate
73
Pensionierung
Bei Teamleitern
Interne Beförderung
Beim akademischen Personal
Kündigung des Mitarbeiters
Bei den Fachhochschulabsolventen
Entlassung
Beim Laborpersonal
Beim übrigen Personal = Beispiel einer rückwärtsschreitenden Problemindikation
Deduktiver Baum zur Ermittlung der Ursachen einer hohen Personalfluktuation in einer Forschungsabteilung Wenn das entdeckte und verifizierte Problem in einer ungenügenden Rentabilität liegt, was häufig der Fall ist, kann die rückwärts-schreitende Problemindikation mithilfe des Du Pont Schemas erfolgen. Es zerlegt die Betriebskapitalrentabilität in die Umsatzrentabilität und den Kapitalumschlag und die beiden Faktoren weiter in einzelne Komponenten des Ertrags, Aufwands, Umlaufvermögens und Anlagevermögens. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel. Die Verschlechterung der Rentabilität kann auf einen tieferen Kapitalumschlag und diese wiederum auf eine starke Zunahme der Rohmaterialbestände zurückgeführt werden. Wie im Beispiel zum deduktiven Baum ist die Problemanalyse damit noch nicht abgeschlossen. Es muss nun eruiert werden, wieso die Rohmaterialvorräte derart stark angestiegen sind.
Du Pont Schema zur Ermittlung der Problemursachen x
Kapitalumschlag 0.443 / 0.494 :
:
Betriebskapital 18'710 / 16'240
Betriebserträge 8'300 / 8'016
Betriebserträge 8'300 / 8'016
1. Zahl = Jahreswert in % oder 1'000 CHF 2. Zahl = Vorjahreswert in % oder 1'000 CHF = rückwärtsschreitende Problemindikation
Betriebskapitalrentabilität 6.94% / 8.07%
Umsatzrentabilität 15.66% / 16.34%
Betriebsgewinn 1'300 / 1'310
+
-
Anlagevermögen 9'480 / 9'480
Umlaufvermögen 9'230 / 6'760
Betriebsaufwand 7'000 / 6'706
Betriebserträge 8'300 / 8'016
+
+
Fertigwarenbestand 2'050 / 2'000
Rohmaterialvorräte 3'500 / 1'200
Debitoren 2'680 / 2'560
liquide Mittel 1'000 / 1'000
Zinsen und übr. Betriebsaufwand 1'120 / 1'016
Abschreibungsaufwand 950 / 950
Lohnaufwand 3'020 / 2'900
Materialaufwand 1'910 / 1'840
74 7 Problemverifizierung und –analyse
7.2
Problemanalyse
7.2.4
75
Bildung von Teilproblemen und Festlegung ihrer Bearbeitung
Komplexe Entscheidungsprobleme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass eine große Zahl verschiedenartiger Maßnahmen einzusetzen ist, um die festgestellte Soll-IstAbweichung zu verkleinern oder zum Verschwinden zu bringen. Entsprechend wäre der Aktor überfordert, wenn er alle zur Problemlösung nötigen Maßnahmen simultan überlegen und bewerten müsste. Es wird deshalb empfohlen, das heuristische Prinzip der Faktorisation (vgl. Vertiefungsfenster 6.1) anzuwenden und durch Aufteilung des Problems in Teilprobleme die Komplexität zu reduzieren. Die Schritte 3 bis 7 können dann für jedes Teilproblem separat durchgeführt werden. Dadurch wird die Komplexität reduziert und die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Bewältigung der weiteren Schritte erhöht. Die Bildung der Teilprobleme muss lösungsorientiert erfolgen. Dies bedeutet, dass der Aktor die Teilprobleme so abgrenzen sollte, dass er bei ihrer anschließenden Lösung auf bekannte Vorgehensweisen und Modelle und auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen kann. Eine solche Bildung der Teilprobleme entspricht dem heuristischen Prinzip der Modell-Bildung (vgl. Vertiefungsfenster 6.1). Sie erleichtert es in der Regel, einen geeigneten Verantwortlichen für die Lösung des Teilproblems zu benennen. Schließlich ist die weitere Bearbeitung der Teilprobleme festzulegen. Dazu sind zwei Überlegungen anzustellen: • Einerseits sind sachliche Abhängigkeiten zu berücksichtigen. Es ist denkbar, dass die Lösung eines Teilproblems erst auf der Basis der Lösung eines anderen Teilproblems möglich ist. Dies ist beispielsweise in folgender Situation der Fall: In einem Unternehmen wird das Problem einer ungenügenden Motivation des Verkaufsaußendienstes entdeckt. Die Problemanalyse ergibt zwei Ursachen: Einerseits existieren zu wenig klare Zielvorgaben für den Außendienst. Andererseits bestehen nur ungenügende Lohnanreize, weil die Erfolgsbeteiligung zu gering ist. Da ein Anreizsystem dazu dient, eine bessere Zielerreichung sicherzustellen, ergibt sich in diesem Fall eine klare Problemlösungssequenz: Es ist zuerst das Teilproblem der Zielvorgaben und anschließend das Teilproblem des Anreizsystems zu lösen. • Andererseits ist die Dringlichkeit der Teilprobleme zu berücksichtigen. Dies ist beispielsweise in folgender Situation der Fall: Als Ursache einer ungenügenden Rentabilität werden ein zu hohes Umlaufvermögen und ein zu geringer Automatisierungsgrad identifiziert. Der Abbau des Umlaufvermögens durch die Reduktion der Debitoren und der Lager sollte rasch an die Hand genommen werden, weil hier „Quick wins“ möglich sind. Die Erhöhung des Automatisierungsgrades verlangt hingegen umfangreiche Studien und ist mit Investitionen verbunden.
76
7 Problemverifizierung und –analyse
Literatur Drucker PF (1954) The practice of management. Harper and Brothers, New York Hungenberg H (1999) Problemlösung und Kommunikation. De Gruyter Oldenbourg, München Joiner, (Hrsg) (1995) Cause-and-effect diagram. Oriel Inc, Madison Osterloh M, Grand S (1994) Modelling oder Mapping? Die Unternehmung 48(4):277–294
8
Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
8.1
Erarbeitung von Lösungsvarianten
8.1.1
Einleitung
Die Erarbeitung von Lösungsvarianten stellt den dritten Schritt im allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahren dar. Diese Aufgabe ist, wie die weiteren Schritte des Problemlösungsverfahrens auch, für jedes in Unterschritt 2.3 (vgl. Unterabschnitt 7.2.4) definierte Teilproblem zu lösen. Wie Abb. 8.1 zeigt, lässt sich die Erarbeitung der Lösungsvarianten in drei Unteraufgaben zerlegen. Sie werden nachfolgend beschrieben.
8.1.2
Evtl. Festlegung von Rahmenbedingungen
Es ist möglich Rahmenbedingungen zu definieren, welche die Lösungsvarianten erfüllen müssen. Beispielsweise kann für die Rationalisierung der Leistungserstellung ein maximaler Investitionsbetrag festgelegt werden. Es ist auch denkbar, dass Rahmenbedingungen generell gelten. So kann die Unternehmenspolitik eines Kleiderhändlers vorschreiben, dass nur bei Produzenten eingekauft wird, deren Fabriken auf die Einhaltung sozialer Standards überprüft wurden. Rahmenbedingungen reduzieren den Aufwand der Erarbeitung von Lösungsvarianten. Sie können zudem Frustrationen vermeiden, die durch das Erarbeiten von Lösungsvarianten entstehen, die sich später als nicht realisierbar erweisen. Rahmenbedingungen haben jedoch nicht nur Vorteile. Sie können innovative und radikale Lösungen ausschließen und damit das Denken „out of the box“ verhindern. Je restriktiver die Rahmenbedingungen sind, desto eher werden die Problemlösungsvarianten sich auf eine Optimierung des Bestehenden beschränken. Dies genügt jedoch oft nicht, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_8
77
78
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
3.1
Evtl. Festlegung von Rahmenbedingungen
3.2
Evtl. Gewinnung eines Überblicks über denLösungsraum
3.3
Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Varianten
Abb. 8.1 Unterschritte zur Erarbeitung von Lösungsvarianten
um ein Problem nachhaltig zu lösen. Deshalb sollte der Aktor bei der Formulierung von Rahmenbedingungen Zurückhaltung üben.
8.1.3
Evtl. Gewinnung eines Überblicks über den Lösungsraum
Es ist für die Qualität der Problemlösung wichtig, dass der Aktor unterschiedliche Lösungsvarianten zur Auswahl hat. Um diese Anforderung zu erfüllen, müssen die zur Diskussion stehenden Varianten den Lösungsraum gut abdecken. Falls der Aktor den Lösungsraum nicht überblickt, lohnt es sich, in Unterschritt 3.2 auf systematische Weise die Dimensionen des Lösungsraumes und ihre Ausprägungen zusammenzustellen. Ein guter Ansatz dazu ist der morphologische Kasten von Zwicky (1966, S. 14 ff.). Er entspricht einer Matrix, die einen Überblick über die Gestaltungsdimensionen eines Gegenstands und über ihre Ausprägungen vermittelt. Auf der Vertikalen sind die Dimensionen des betrachteten Gegenstandes, in unserem Fall die Entscheidungsdimensionen, aufgeführt. Auf der Horizontalen befinden sich die Ausprägungen der Entscheidungsdimensionen. Abb. 8.2 zeigt den morphologischen Kasten eines Konzerns, der die dezentral untergebrachten Mitarbeiter der Konzernzentrale in einem Gebäude zusammenfassen will.
8.1.4
Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Varianten
Um eine Wahl zu haben und eine Entscheidung treffen zu können, sind mindestens zwei Lösungsvarianten zu entwickeln. Diese Forderung ist allerdings sofort wieder zu relativieren: Sofern nämlich die Weiterführung des Status Quo eine Möglichkeit darstellt, bildet
8.1
Erarbeitung von Lösungsvarianten
79
Dimensionen
Ausprägungen
Lage in der Stadt
Zentrum mit ÖVAnbindung
Peripherie mit Parkplätzen und ÖV-Anbindung
Peripherie mit Parkplätzen
Kapazität
Aktueller Bedarf
Aktueller Bedarf + 20%
Aktueller Bedarf + 40%
Zustand des Gebäudes
Neubau
Bestehender Bau Bestehender Bau mit Totalsanierung mit Renovation
Image
Herausragende Architektur; Baudenkmal
Standardbau
Besitzverhältnisse
Eigentum
Langfristiger Mietvertrag
Abb. 8.2 Morphologischer Kasten für eine neue Konzernzentrale
sie eine Variante. Die Forderung beschränkt sich in diesem Fall auf die Erarbeitung von mindestens einer zusätzlichen Variante. Der Einbezug des Status Quo bietet zudem methodische Vorteile: Im Allgemeinen sind die Konsequenzen des Status Quo, weil entsprechende Erfahrungszahlen vorliegen, leichter zu bestimmen als für die neuen Varianten. Es kann deshalb sinnvoll sein, den Status Quo als Bewertungsbasis zu verwenden und für die neuen Varianten die Konsequenzendifferenzen zu schätzen. Um in Schritt 7 eine gute Lösung wählen zu können, sollten die in Schritt 3 erarbeiteten Varianten den Lösungsraum vollständig abdecken. Wird nur ein Teil des Lösungsraumes mit Varianten abgedeckt, kann sich die optimale Variante im restlichen Raum befinden. Entsprechend ist die gewählte Lösung weit weg vom Optimum. Abb. 8.3 visualisiert diesen Sachverhalt. Die angestrebte gute Abdeckung des Lösungsraumes kommt jedoch keinesfalls der Erarbeitung einer großen Zahl von Varianten gleich. Aus praktischer Sicht sollten für jedes in Schritt 2 gebildete Teilproblem zwei bis drei, jedoch nicht mehr als ein halbes Dutzend Lösungsvarianten entwickelt und anschließend bewertet werden. Bei einer größeren Zahl von Varianten werden die nachfolgenden Schritte aufwendig. Gleichzeitig erhöht sich die Qualität der in Schritt 7 gewählten Lösung jedoch nur marginal. Je nach Problemstellung kann die Entwicklung der Varianten Kreativität und unkonventionelle Ideen erfordern. Man denke z. B. an die Entwicklung alternativer Werbekonzepte
80
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
Gute Abdeckung des Lösungsraumes mit Varianten
Schlechte Abdeckung des Lösungsraumes mit Varianten
= Lösungsraum = Optimale, dem Aktor jedoch nicht bekannte Variante = In Schritt 3 erarbeitete Varianten = In Schritt 7 gewählte Variante = Distanz zwischen optimaler und gewählter Variante
Abb. 8.3 Gute und schlechte Abdeckung des Lösungsraumes mit Varianten
oder neuer technischer Varianten zur Lösung eines Verpackungsproblems. In der Literatur wird vorgeschlagen, in diesen Fällen auf Kreativitätstechniken wie Brainstorming, Brainwriting, Synektik usw. zurückzugreifen (vgl. z. B. Nöllke 2012).
8.2
Festlegung der Entscheidungskriterien
8.2.1
Einleitung
Da Ziele oft vage formuliert sind, müssen sie konkretisiert werden, bevor sie zur Bewertung von Varianten eingesetzt werden können. Dazu sind in Schritt 4 des allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahrens Entscheidungskriterien zu definieren. Unter einem Entscheidungskriterium wird die konkrete Formulierung eines Ziels im Hinblick auf die Bewertung der Varianten in einer speziellen Entscheidung verstanden. Häufig müssen mehrere Entscheidungskriterien definiert werden, um die Wirkungen der Varianten in Bezug auf ein Ziel messen zu können.
8.2
Festlegung der Entscheidungskriterien
4.1
Klärung der verfolgten Ziele
4.2
Festlegung von einem oder mehreren Entscheidungskriterien pro Ziel
4.3
Eliminierung von Überschneidungen
81
Abb. 8.4 Unterschritte der Festlegung der Entscheidungskriterien
Der Zusammenhang zwischen Ziel und Entscheidungskriterien soll anhand eines Beispiels erläutert werden: • Die Zielsetzung besteht in einer hohen Produktequalität • Ein Händler von Elektrowerkzeugen könnte die Produktequalität in seinem Sortimentsentscheid durch die folgenden Entscheidungskriterien messen: Anzahl Funktionen, Bedienungsfreundlichkeit, Unfallsicherheit und Reparaturanfälligkeit. • Ein Hersteller von Präzisionsteilen könnte beim Kauf einer Werkzeugmaschine die Qualität der zur Diskussion stehenden Maschinen über folgende Entscheidungskriterien beurteilen: Genauigkeit, Automatisierungsgrad und Unfallsicherheit. Die Festlegung der Entscheidungskriterien in Schritt 4 erfolgt in drei Unterschritten gemäß Abb. 8.4. Die drei Unterschritte werden in den nachfolgenden Unterabschnitten erläutert.
8.2.2
Klärung der verfolgten Ziele
Unternehmen verfolgen in der Regel gleichzeitig mehrere Ziele (vgl. Abschn. 3.2). Im Hinblick auf ein konkretes Entscheidungsproblem sind sie in der Regel nicht alle von Bedeutung. Es ist deshalb wichtig, vor der Definition der Entscheidungskriterien zu klären, welche Zielsetzungen das Unternehmen im konkreten Entscheidungsproblem verfolgen will. Die Aufgabenstellung des Unterschrittes 4.1 ist normativer Art. Entsprechend können dazu keine methodischen Empfehlungen unterbreitet werden.
82
8.2.3
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
Festlegung von einem oder mehreren Entscheidungskriterien pro Ziel
Ausgehend von den verfolgten Zielen sind in Unterschritt 4.2 die Entscheidungskriterien festzulegen. Ein Entscheidungskriterium muss dabei zwei Anforderungen erfüllen: • Das Kriterium muss einerseits das repräsentierte Ziel oder eine Dimension des repräsentierten Zieles abdecken. So kann beispielsweise das Ziel einer hohen Kundenbindung über die Wiederkaufrate und die Bereitschaft der Kunden zur Weiterempfehlung des Anbieters gemessen werden. Da die beiden Kriterien unterschiedliche Aspekte der Kundenbindung messen, dürfte es in diesem Beispiel sinnvoll sein, sie gleichzeitig zu verwenden. • Andererseits soll ein Entscheidungskriterium die Bewertung der Varianten ermöglichen. Dies setzt eine klare Vorstellung voraus, was mit dem Entscheidungskriterium gemeint ist. Diese Vorstellung muss von allen an der Entscheidung beteiligten Personen mitgetragen werden. Je nach Entscheidungskriterium lassen sich die Konsequenzen der Varianten auf einer Ratioskala (z. B. Entscheidungskriterium „Investitionsausgaben“ zur Beurteilung von Varianten der Kapazitätserweiterung), einer Intervallskala (z. B. Entscheidungskriterium „Temperatur“ zur Beurteilung verschiedener Typen von Fernheizwerken) oder Ordinalskala (z. B. Entscheidungskriterium „Lage“ zur Beurteilung von Ladenlokalen) messen (vgl. Anderson et al. 2008, S. 6 f.): Falls die Messung auf einer Ordinalskala erfolgt, ist zusätzlich zum Entscheidungskriterium die Skala zu bestimmen. Beispielsweise kann festgelegt werden, dass die Lage von Ladenlokalen mit „sehr gut“, „gut“, „genügend“ und „schlecht“ bewertet wird. Ohne diese Konkretisierung ist eine einheitliche Beurteilung der Varianten nicht möglich und damit die zweite Anforderung nicht erfüllt.
8.2.4
Eliminierung von Überschneidungen
In komplexen Entscheidungsproblemen basiert die Bewertung der Varianten beinahe immer auf mehreren Entscheidungskriterien. Diese sollten weitgehend unabhängig voneinander sein bzw. einander nicht überschneiden. Sonst misst man mit zwei Kriterien – unter Umständen ohne sich dessen bewusst zu sein – die gleiche Wirkung der Varianten zweimal und bevorzugt damit Varianten, die diese Kriterien gut erfüllen. Beispielsweise sollten zur Beurteilung von Ladenlokalen nicht gleichzeitig die Miete/ m2 und die Raumkosten/m2 als Entscheidungskriterien verwendet werden. Da die Miete in der Regel der wichtigste Bestandteil der Raumkosten ist, würde sie sonst zweimal zur Beurteilung der Varianten verwendet.
8.3
Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
83
Zur Eliminierung von Überschneidungen ist gesunder Menschenverstand gefragt. Einfach anzuwendende Methoden gibt es nicht. Falls sich eine Überschneidung nicht eliminieren lässt, ist sie bei der Bildung der Gesamtkonsequenzen durch eine geringere Gewichtung der entsprechenden Entscheidungskriterien respektive Konsequenzenarten auszugleichen (vgl. Unterabschnitt 9.4.5).
8.3
Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
8.3.1
Einleitung
Die Konsequenzen der Varianten hängen nicht nur von den Varianten selbst, sondern auch vom Umfeld ab. Beispielsweise ist die Profitabilität einer neuen Verkaufsniederlassung einerseits das Resultat des gewählten Standortes. Andererseits wird die Profitabilität aber auch von der Konjunktur in der Region und von der Reaktion der Konkurrenten abhängen. Der Aktor muss sich deshalb vor der Konsequenzenermittlung zuerst in Schritt 5 mit dem Umfeld auseinandersetzen und entscheiden, ob die Konsequenzen der Varianten für verschiedene Umfeldszenarien zu ermitteln sind. Falls er die Frage mit ja beantwortet, muss er die Szenarien definieren. Der Schritt 5 wird gemäß der heuristischen Regel der Faktorisation in drei Teilprobleme aufgeteilt. Abb. 8.5 zeigt die drei resultierenden Unterschritte. Sie werden in den nachfolgenden Unterabschnitten erläutert.
8.3.2
Klärung der Notwendigkeit von Umfeldszenarien
Die Umfeldentwicklung kann nie mit 100 % Sicherheit vorausgesagt werden. Aber es gibt Entscheidungsprobleme, in denen die zukünftige Entwicklung des Umfeldes einigermaßen verlässlich abgeschätzt werden kann. Courtney et al. (1997, S. 68 ff.) sprechen in dieser Situation von „A clear enough future“. In diesem Fall ist es vertretbar, die Konsequen zen der Varianten direkt zu bestimmen und auf Umfeldszenarien zu verzichten. In anderen Entscheidungsproblemen ist der Aktor nicht in der Lage, die Umfeldentwicklung vorauszusagen. Er steht, um es in den Worten von Courtney et al. (1997, S. 68 ff.) zu sagen, „A range of futures“ gegenüber. In diesen Fall wäre es fahrlässig die Entscheidung unter der Annahme einer Umfeldentwicklung zu treffen und die anderen möglichen Entwicklungen auszublenden. Der Aktor würde damit von einer falschen Sicherheit ausgehen. „It isn’t what we don’t know that gives us trouble, it’s what we [mean to] know that ain’t so“ (Rogers 2022). Es gibt Entscheidungsprobleme, in denen es eindeutig ist, ob „A clear enough future“ oder „A range of futures“ vorliegt. Oft ist es jedoch nicht klar, ob eine geringe oder eine erhebliche Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Umfeldentwicklung besteht. In diesen
84
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
5.1
Klärung der Notwendigkeit von Umfeldszenarien
5.2
Evtl. Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Umfeldszenarien
5.3
Evtl. Festlegung von Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Umfeldszenarien
Abb. 8.5 Unterschritte zur Festlegung von Umfeldszenarien
Fällen wird eine Diskussion im Problemlösungsteam über die zukünftige Umfeldentwicklung empfohlen. Zeigt sich ein Konsens bezüglich oder großen Linien dieser Entwicklung, spricht dies für „A clear enough future“. Auf die Erarbeitung von Szenarien kann verzichtet werden. Kommen hingegen unterschiedliche Auffassungen zum Vorschein, handelt es sich um den Fall „A range of futures“ und es sind Umfeldszenarien zu entwickeln (vgl. Grünig et al. 2022, S. 76 f.).
8.3.3
Evtl. Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Umfeldszenarien
Wenn der Aktor in Unterschritt 5.1 zum Schluss kommt, dass die Umfeldentwicklung unsicher ist, sind in Unterschritt 5.2 wenige, sich klar unterscheidbare Umfeldszenarien zu erarbeiten. Zur Erarbeitung der Umfeldszenarien empfehlen die Verfasser ein Vorgehen in Anlehnung an Schwartz (1991, S. 226 ff.) und an van der Heijden et al. (2002, S. 202 ff.). Es besteht aus fünf Aufgaben: • Zuerst sind alle im Kontext des Entscheidungsproblems relevanten Umfeldfaktoren zu identifizieren. Eine dafür geeignete Methode ist die PESTEL-Analyse (vgl. Grünig et al. 2022, S. 69 ff.). • Darauf sind die identifizierten Umfeldfaktoren nach ihrer Bedeutung und nach der Prognostizierbarkeit ihrer zukünftigen Entwicklung (predictability) zu ordnen. • Die nächste Aufgabe besteht in der Wahl von ein oder zwei Faktoren mit hoher Bedeutung und schlechter Prognostizierbarkeit. Es sollten nicht mehr als zwei Faktoren gewählt werden, weil sonst zu viele Umfeldszenarien resultieren.
8.3
Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien
85
• Für den gewählten Faktor respektive für die zwei gewählten Faktoren sind anschließend wenige, sich klar unterscheidbare Ausprägungen zu bestimmen. Im Falle eines Umfeldfaktors bilden sie die Umfeldszenarien. Im Falle von zwei Umfeldfaktoren bestehen die Szenarien aus den Kombinationen der Ausprägungen. Abb. 8.6 zeigt zwei Beispiel von Umfeldszenarien. Das erst Beispiel zeigt drei Szenarien, die für die Beurteilung von Kapazitätserweiterungsvarianten eingesetzt wurden. Das zweite Beispiel illustriert die vier Umfeldszenarien, die der Wahl der zukünftigen Strategie eines schweizerischen Elektrizitätsunternehmens zugrunde lagen. • Falls notwendig, sind die Umfeldszenarien schließlich zu beschreiben. „Szenarios are [often] narratives of alternative environments“ (Ogilvy und Schwartz 1998, S. 1). Mit Bezug auf die zwei in Abb. 8.6 dargestellten Beispiele erscheint eine Beschreibung im ersten Beispiel unnötig. Hingegen dürfte sie im zweiten Beispiel sinnvoll sein, damit bei der Beurteilung der Entscheidungsvarianten alle beteiligten Personen die Umfeldszenarien gleich verstehen.
Umfeldszenarien auf der Basis eines unsicheren Umfeldfaktors Negatives Wirtschaftswachstum
Wirtschaftswachstum zwischen 0 und 3%
Wirtschaftswachstum über 3%
Zukünftige Konjunktur
Kooerparation der Schweiz mit der EU
Umfeldszenarien auf der Basis von zwei unsicheren Umfeldfaktoren Schweiz integriert in einen freien europäischen Elektrizitätsmarkt
Schweiz integriert in einen regulierten europäischen Elektrizitätsmarkt
Abgeschotteter freier schweizerischer Elektrizitätsmarkt
Abgeschotteter regulierter schweizerischer Elektrizitätsmarkt
Regulierungsintensität
Abb. 8.6 Beispiele von Umfeldszenarien
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
Wetter und Schneeverhältnisse im Winter
86
Guter Winter und schlechter Sommer 0.0625
Guter Winter und mittlerer Sommer 0.125
Guter Winter und guter Sommer 0.0625
Mittlerer Winter und schlechter Sommer 0.125
Mittlerer Winter und mittlerer Sommer 0.25
Mittlerer Winter und guter Sommer 0.125
Schlechter Winter und schlechter Sommer 0.0625
Schlechter Winter und mittlerer Sommer 0.125
Schlechter Winter und guter Sommer 0.0625
Wetter im Sommer
Abb. 8.7 Wetterszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten
8.3.4
Evtl. Festlegung von Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Umfeldszenarien
Schließlich ist in Unterschritt 5.3 zu prüfen, ob den Umfeldszenarien Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können. Die Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten ist nicht zwingend und sollte deshalb nur vorgenommen werden, wenn sie auf Fakten abgestützt werden kann. Falsche Wahrscheinlichkeiten können zu Fehlentscheidungen führen. Wenn z. B. als Grundlage für die Beurteilung verschiedener Bergbahnprojekte Wetterszenarien definiert werden, können ihnen aufgrund meteorologischer Daten Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. Abb. 8.7 zeigt die neun Umfeldszenarien mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten.
8.4
Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
8.4.1
Einleitung
Die zielrelevanten Folgen einer Variante werden als ihre Konsequenzen bezeichnet. Wie Abb. 8.8 zeigt, beginnen die Konsequenzen in der Regel, nachdem die Entscheidung getroffen worden ist und sie dauern häufig wesentlich länger als die Realisierung der gewählten Variante. Die Bestimmung der Konsequenzen der Varianten bildet im allgemeinen heuristischen Problemlösungsverfahren den Schritt 6. Abb. 8.9 zeigt die drei Unterschritte zur Bestimmung der Konsequenzen der Varianten. Sie werden in den nachfolgenden Unterabschnitten beschrieben.
8.4
Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
87
Konsequenzen der gewählten Variante
Bearbeitung des Entscheidungsproblems
Realisierung der gewählten Variante
t = Entscheidung
= Handlungen des Aktors
= resultierende Konsequenzen
Abb. 8.8 Abfolge von Entscheidungsprozess, Entscheidungsrealisierung und Entscheidungskonsequenzen
6.1 Erstellung der Entscheidungsmatrix
6.2 Festlegung des Qualitätsniveaus und des Zeithorizontes der Konsequenzen
6.3 Ermittlung der Einzelkonsequenzen
Abb. 8.9 Unterschritte zur Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
8.4.2
Erstellung der Entscheidungsmatrix
In den Schritten 3, 4 und 5 wurden der Reihe nach die Varianten, die Entscheidungskriterien und, falls notwendig, die Umfeldszenarien festgelegt. Diese drei Elemente erlauben es, als Basis der Konsequenzenermittlung die Entscheidungsmatrix zu erstellen. Sie definiert die in Unterschritt 6.2 zu ermittelnden Konsequenzenwerte. Abb. 8.10 zeigt ein Beispiel. Es geht im Entscheidungsproblem um die Ausweitung der Geschäftstätigkeit eines bisher nur in der Schweiz aktiven Familienunternehmens im Eigentum polnischer Emigranten. Wie der Abbildung entnommen werden kann, bestehen drei Varianten, die mithilfe von drei Entscheidungskriterien bewertet werden sollen. Bei einem Kriterium sind die Konsequenzen von der Konjunkturlage in Deutschland und Polen abhängig.
88
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
Kriterien (K), K1: Diskontierter FreeGewichte (G), Cash-Flow in Mio. EUR Szenarien (S) und Wahrscheinlichkeiten (W) G1: 0,7
K2: Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen (1)
K3: Benötigte Managementkapazität (2)
G2: 0,2
G3: 0,1
S1: Gute S2: SchlechteKonjunk- Konjunkturlage turlage
-
W1: 0,6
W2: 0,4
-
-
k111
k112
k12
k13
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k211
k212
k22
k23
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k311
k312
k32
k33
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
k = Einzelkonsequenz (1) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „wenige “ und „keine“ (2) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „keine“
„viele“, „einige“, „hoch“, „gering“ und
Abb. 8.10 Beispiel einer Entscheidungsmatrix ohne Einzelkonsequenzen
Damit ein Entscheidungsproblem entsteht, müssen immer mindestens zwei Varianten vorliegen. Hingegen ist es nicht zwingend, dass die Variantenbewertung, wie in der Abbildung gezeigt, aufgrund mehrerer Entscheidungskriterien erfolgt: • Ein einwertiges Entscheidungsproblem liegt vor, wenn die Variantenbewertung aufgrund eines Entscheidungskriteriums erfolgt. Von einem einwertigen Entscheidungsproblem wird auch dann gesprochen, wenn zur Beurteilung der Varianten zwar mehrere Entscheidungskriterien verwendet werden, diese jedoch in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn in einer Sortimentsentscheidung die Varianten anhand der zwei Entscheidungskriterien „Nettoerlöse pro Stück“ und „variable Kosten pro Stück“ beurteilt werden. Die Evaluation der Varianten könnte genauso gut anhand der Differenz der beiden Kriterien, des Deckungsbeitrages pro Stück, erfolgen.
8.4
Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
89
• Um ein mehrwertiges Entscheidungsproblem handelt es sich, wenn zur Beurteilung der Variablen mehrere, nicht in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehende Entscheidungskriterien eingesetzt werden. Da die drei Kriterien im Beispiel der Abb. 8.10 nicht in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehen, handelt es sich um ein mehrwertiges Entscheidungsproblem. Auch die in Abb. 8.10 aufgeführten Szenarien sind nicht zwingend. Es lassen sich drei verschiedene Situationen unterscheiden: • Es gibt keine wesentlichen unsicheren Umfeldfaktoren. Es handelt sich in diesem Fall um eine Entscheidung unter Sicherheit. • Es existieren ein oder mehrere unsichere Umfeldfaktoren, die einen wesentlichen Einfluss auf die Variantenbewertung ausüben. Auf ihrer Basis werden Umfeldszenarien gebildet, für die Eintretenswahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Man spricht in dieser Situation vom Fall der Unsicherheit. Dieser Fall liegt dem Beispiel von Abb. 8.10 zugrunde. • Es sind, gleich wie in der oben geschilderten Situation, mehrere Umfeldszenarien denkbar. Nur lassen sich für diese keine Eintretenswahrscheinlichkeiten angeben. Dies wird als Fall der Ungewissheit bezeichnet. Da sich die Fälle der ein- und der mehrwertigen Entscheidung mit den Fällen der Entscheidung unter Sicherheit, unter Unsicherheit und unter Ungewissheit kombinieren lassen, ergeben sich sechs mögliche Entscheidungskonstellationen. Sie sind in Abb. 8.11 dargestellt.
Kriterien Entscheidung unter Einwertigkeit
Entscheidung unter Mehrwertigkeit
Umfeldszenarien Entscheidung unter Sicherheit
Entscheidung unter Einwertigkeit und Sicherheit
Entscheidung unter Mehrwertigkeit und Sicherheit
Entscheidung unter Unsicherheit
Entscheidung unter Einwertigkeit und Unsicherheit
Entscheidung unter Mehrwertigkeit und Unsicherheit
Entscheidung unter Ungewissheit
Entscheidung unter Einwertigkeit und Ungewissheit
Entscheidung unter Mehrwertigkeit und Ungewissheit
Abb. 8.11 Die sechs Entscheidungskonstellationen
90
8.4.3
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
Festlegung des Qualitätsniveaus und der Zeithorizontes der Konsequenzen
Aus praktischer Sicht lassen sich zwei Qualitätsniveaus der Konsequenzen unterscheiden: • Die Ermittlung der Konsequenzen kann auf empirischen Studien und Prognosemodellen basieren. Beispielsweise kann über eine Marktforschung die Wirkung von TV-Spots ermittelt werden. Oder die Ermittlung der Nachfrage alternativer Preise kann über statistisch fundierte Nachfragefunktionen erfolgen. • Die Konsequenzen werden auf der Basis des Wissens des Aktors geschätzt. Diese subjektive Konsequenzenbestimmung basiert auf dem Erfahrungswissen des Aktors. Das gewählte Qualitätsniveau der Konsequenzen hängt von zwei Faktoren ab: • Es wird durch die Bedeutung des Entscheidungsproblems beeinflusst. Je wichtiger ein Entscheidungsproblem für den Aktor ist, desto mehr Aufwand wird er zur Beurteilung der Lösungsvarianten akzeptieren. • Das Qualitätsniveau hängt zudem von den Möglichkeiten ab, empirische Erhebungen durchzuführen oder Prognosen zu erstellen. Dies ist nicht immer möglich. Insbesondere, wenn die Entscheidung unter Zeitdruck gefällt werden muss, bleibt oft nur eine subjektive Konsequenzenermittlung. In den meisten Fällen werden die Konsequenzen geschätzt. Ein damit verbundenes Problem ist, dass Menschen ihr Wissen in der Regel überschätzen und deshalb ihren subjektiven Beurteilungen ein zu großes Vertrauen entgegenbringen. Um verlässliche Bewertungen der Varianten zu erhalten, ist somit dieser Tendenz zur Selbstüberschätzung des eigenen Wissens entgegenzuwirken. Folgende Maßnahmen erscheinen dazu tauglich: • Die Konsequenzen können zuerst unabhängig durch mehrere Einzelpersonen ermittelt werden. Anschließend ist jede von ihnen mit den Urteilen der anderen Personen zu konfrontieren und die Unterschiede sind auszudiskutieren. Dieser, einer Delphistudie ähnliche, aber viel weniger aufwendige Prozess führt zu einem Gruppenurteil, das im Allgemeinen wesentlich besser ist als die Einzelurteile. Das Gruppenurteil ist aber auch besser als der Durchschnitt der Einzelurteile, weil in der Diskussion Fehlüberlegungen aufgedeckt werden und damit einzelne Personen ihre Beurteilungen revidieren. • Die Diskussion in der Gruppe kann zusätzlich durch verunsichernde Fragen (disconfirming questions) angeregt werden. Diese können beispielsweise das Erfahrungswissen anzweifeln, auf dem die Konsequenzenschätzungen basieren oder Annahmen infrage stellen, die implizit hinter den angegebenen Konsequenzen stehen (vgl. Russo und Schoemaker 1990, S. 103 ff.). • Wesentlich erscheint auch, dass die Personen im Nachhinein mit den effektiven Auswirkungen der gewählten Variante konfrontiert werden. Dadurch lassen sich Lerneffekte
8.4
Ermittlung der Konsequenzen der Varianten
91
erzielen, die sich in einem nächsten, ähnlich gelagerten Entscheidungsproblem positiv auswirken (vgl. Russo und Schoemaker 1990, S. 98 ff.). Wie Abb. 8.8 schematisch zeigt, hat eine Entscheidung unter Umständen sehr langfristige Konsequenzen. Die Akquisition eines Konkurrenten wirkt sich beispielsweise ohne zeitliche Grenze auf den weiteren Verlauf der Unternehmensentwicklung aus. Es ist deshalb in vielen Entscheidungsproblemen unmöglich, sämtliche Konsequenzen der zur Diskussion stehenden Varianten zu ermitteln. Der Aktor ist in dieser Situation gezwungen, neben der anvisierten Qualität der Konsequenzen auch ihren Zeithorizont festzulegen. Aus praktischer Sicht erscheint es wichtig, diesen Zeithorizont länger zu wählen als die Realisierung der Varianten benötigt. Dadurch fließen die Wirkungen der Variante nach ihrer Umsetzung in die Beurteilung mit ein.
8.4.4
Ermittlung der Einzelkonsequenzen
Nachdem das Qualitätsniveau und der Zeithorizont der Konsequenzen festgelegt sind, geht es in Unterschritt 6.3 darum, die durch die Entscheidungsmatrix vorgegebenen Einzelkonsequenzen der Varianten zu ermitteln. Abb. 8.12 zeigt die in Unterabschnitt 8.4.2 eingeführte Entscheidungsmatrix mit den Einzelkonsequenzen der Varianten.
Kriterien (K), K1: Diskontierter FreeGewichte (G), Cash-Flow in Mio. EUR Szenarien (S) und Wahrscheinlichkeiten (W) G1: 0,7
K2: Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen (1)
K3: Benötigte Managementkapazität (2)
G2: 0,2
G3: 0,1
S1: Gute S2: SchlechteKonjunk- Konjunkturlage turlage
-
W1: 0,6
W2: 0,4
-
-
k111 = 16
k112 = -8,5
k12 = viele
k13 = hoch
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k211 = 10
k212 = -1
k22 = wenige
k23 = gering
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k311 = 0
k312 = 0
k32 = keine
k33 = keine
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
k = Einzelkonsequenz (1) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „wenige “ und „keine“ (2) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „keine“
„viele“, „einige“, „hoch“, „gering“ und
Abb. 8.12 Beispiel einer Entscheidungsmatrix mit Einzelkonsequenzen
92
8 Erarbeitung und Bewertung von Lösungsvarianten
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9
Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
9.1
Einleitung
Nach Abschluss des Schrittes 6 verfügt der Aktor über eine Entscheidungsmatrix, welche für jede Variante ihre Einzelkonsequenzen zeigt. Darauf aufbauend ist nun im Schritt 7 eine Gesamtbeurteilung der Varianten vorzunehmen und eine Entscheidung zu treffen. Die Gesamtbeurteilung der Varianten und die darauf aufbauende Entscheidung stellt eine komplexe Aufgabenstellung dar. Der Schritt 7 wird deshalb in Unterschritte gemäß Abb. 9.1 unterteilt.
9.2
Eliminierung von irrelevanten Varianten
Wenn eine Variante bezüglich aller Kriterien und/oder Szenarien gleich oder schlechter abschneidet als eine andere Variante, kann sie von vorneherein ausgeschlossen werden. Sie ist irrelevant, weil eine natürliche Ordnung vorliegt. Mit dieser Eliminierung irrelevanter Varianten lässt sich der Aufwand des Schrittes 7 reduzieren. Abb. 9.2 zeigt ein Beispiel einer natürlichen Ordnung für den Fall der Mehrwertigkeit unter Sicherheit. Wie der Abbildung entnommen werden kann, ist die Werkzeugmaschine A der Werkzeugmaschine B in drei von vier Kriterien unterlegen. In Bezug auf das Kriterium „Kapazität“ ist sie ihr ebenbürtig. Sie kann deshalb eliminiert werden. Der Aktor wird sich folglich nur noch zwischen den Werkzeugmaschinen B und C entscheiden müssen. Aber auch in den vier Entscheidungskonstellationen der Ein- und der Mehrwertigkeit unter Unsicherheit und unter Ungewissheit sind natürliche Ordnungen denkbar. Abb. 9.3 zeigt ein Beispiel einer natürlichen Ordnung für den Fall der Mehrwertigkeit unter Ungewissheit. Da nur zwei Alternativen existieren und die Alternative B der Alternative A in jeder Hinsicht überlegen ist, kann sie direkt gewählt werden. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_9
93
94
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
7.1 Eliminierung von irrelevanten Varianten
7.2 Wahl des analytischen oder des summarischen Vorgehens zur Gesamtbeurteilung der Varianten falls analytisches Vorgehen
falls summarisches Vorgehen
7.3 Herausarbeitung der zentralen Stärken und Schwächen der Varianten
7.3 Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
7.4 Treffen der Entscheidung
Abb. 9.1 Unterschritte zur Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
Kriterien Investitionssumme in CHF Varianten
Kapazität in Stück/h
Präzision in mm
Unfallsicherheit
Werkzeugmaschine A
550'000
1'000
± 0.2
Gut
Werkzeugmaschine B
500'000
1'000
± 0.1
Sehr gut
Werkzeugmaschine C
380'000
1'050
± 0.15
Genügend
Abb. 9.2 Beispiel einer natürlichen Ordnung in einem Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Sicherheit
9.3
Wahl des analytischen oder des summarischen Vorgehens
Auf der Basis der um natürliche Ordnungen bereinigten Entscheidungsmatrix stehen dem Aktor zwei Wege offen: • Er kann analytisch vorgehen und unter Anwendung von Entscheidungsmaximen die Gesamtkonsequenzen der Varianten ermitteln. Anschließend kann er aufgrund dieser Gesamtkonsequenzen eine Variante wählen oder alle Varianten verwerfen.
9.3 Wahl des analytischen oder des summarischen Vorgehens
Kriterien und Projektkosten Szenarien in CHF
Varianten
Patentierung gelingt
95
Kumulierter Gewinn Technologieder nächsten fünf gewinn Jahre in CHF
Patentierung gelingt nicht
Patentierung gelingt
Patentierung gelingt nicht
Entwicklungsprojekt A
480'000
440'000
1'250'000
625'000
Hoch
Entwicklungsprojekt B
430'000
390'000
1'500'000
975'000
Sehr hoch
Abb. 9.3 Beispiel einer natürlichen Ordnung in einem Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit und Ungewissheit
• Er kann die zur Diskussion stehenden Varianten summarisch beurteilen und entweder eine von ihnen wählen oder im Sinne einer heuristischen Schlaufe auf Schritt 3 zurückgehen und neue Varianten entwickeln. Sofern es sich um ein einwertiges Entscheidungsproblem unter Sicherheit handelt, entfällt die Frage, ob analytisch oder summarisch vorzugehen ist: Die Konsequenzen der Varianten entsprechen ihren Gesamtkonsequenzen und bilden damit die Grundlage der Entscheidung. Abb. 9.4 zeigt die Entscheidungsmatrix eines einwertigen Entscheidungsproblems unter Sicherheit: Ein Handelsunternehmen hat darüber zu entscheiden, welches von drei sich ausschließenden Produkten neu ins Sortiment aufgenommen werden soll. Da alle drei Artikel den gleichen mengenmäßigen Absatz ergeben, kann auf der Basis der Deckungsbeiträge pro Stück entschieden werden. Die Deckungsbeiträge der Varianten bilden nicht nur deren Einzelkonsequenzen, sondern gleichzeitig auch deren Gesamtkonsequenzen.
Deckungsbeiträge pro Stück Varianten von ins Sortiment aufzunehmenden Handelsprodukten in CHF als Konsequenzen
Variante A
50
Variante B
61
Variante C
46
Abb. 9.4 Beispiel einer Entscheidungsmatrix unter Einwertigkeit und Sicherheit
96
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
Viele Bücher zur Entscheidungsmethodik setzen stillschweigend voraus, dass der analytische Weg gewählt wird. Aus Sicht der Verfasser greift dies jedoch zu kurz: Beide Vorgehensweisen haben wesentliche Vor -und Nachteile. Es handelt sich deshalb bei der Wahl zwischen analytischem und summarischem Vorgehen um eine echte prozessuale Entscheidung, die bewusst gefällt werden sollte. Die Ermittlung der Gesamtkonsequenzen mithilfe von Entscheidungsmaximen berücksichtigt die Regeln der Entscheidungslogik respektive der formalen Logik und leistet damit einen Beitrag zur formalen Rationalität der Entscheidung (vgl. Kap. 4). Diesem Vorteil steht der gewichtige Nachteil gegenüber, dass die Gesamtkonsequenzenwerte wegen den hinter ihnen stehenden Rechenoperationen oft nur schwer zu interpretieren sind. Wie Little nachweist, vertrauen Führungskräfte bei Entscheidungen großer Tragweite jedoch lieber Werten, deren Entstehung sie nachvollziehen können (vgl. Little 1970, S. B-466 ff.). Das summarische Vorgehen wägt die in der Entscheidungsmatrix zusammengefassten Einzelkonsequenzen der Varianten ganzheitlich ab. Diese Abwägung ist zwangsläufig subjektiv. Sie führt aber im Gegensatz zu den Rechenoperationen im Falle des analytischen Vorgehens zu einer bewussten und damit zielorientierten Entscheidung. Wie gezeigt wurde, ist die Zielorientierung gleich wie die Befolgung der Regeln der formalen Logik ebenfalls eine Eigenschaft formal relationaler Entscheidungen (vgl. Kap. 4). Im Gegensatz zur Literatur, die großmehrheitlich und häufig das analytische Vorgehen in den Vordergrund stellt, präferieren die Verfasser eher das summarische Vorgehen. Im Falle des analytischen Vorgehens ist es für sie wichtig, dass die auf den Gesamtkonsequenzen der Varianten basierende Entscheidung durch Intuition und Erfahrung „getragen“ wird.
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
9.4.1
Umschreibung der Aufgabe
Wird in Unterschritt 7.2 das analytische Vorgehen gewählt, sind in Unterschritt 7.3 unter Anwendung von Entscheidungsmaximen die Gesamtkonsequenzen der Varianten zu ermitteln. Entscheidungsmaximen sind Systeme von Regeln zur Zusammenfassung der Einzelkonsequenzen der Varianten zu ihren Gesamtkonsequenzen. Sie basieren auf der formalen Logik (vgl. Abschn. 4.3) und bilden einen wesentlichen Bestandteil der Entscheidungslogik (vgl. Abschn. 5.6).
9.4.2
Überblick über die Entscheidungsmaximen
Abb. 9.5 gibt einen Überblick über die verschiedenen Entscheidungsmaximen und ihre Anwendung. Wie der Abbildung entnommen werden kann, hängt es von der Entscheidungskonstellation ab, welche Entscheidungsmaximen zur Anwendung kommen können:
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
Kriterien Entscheidung unter Einwertigkeit
Umfeldszenarien Entscheidung unter Sicherheit
Entscheidung unter Unsicherheit
Keine Entscheidungsmaximen notwendig
97
Entscheidung unter Mehrwertigkeit
Nutzenwert Scoringmodelle
Erwartungswert Nutzenerwartungswert Kombinierte Anwendung
Entscheidung unter Ungewissheit
Minimax Maximax Gleichwahrscheinlichkeit OptimismusPessimismus-Index Minimax-Risiko
Kombinierte Anwendung
= Uneingeschränkt anwendbar = Nur unter Vernachlässigung von Informationen anwendbar
Abb. 9.5 Die Entscheidungsmaximen und ihre Anwendung
• Für den Fall der Einwertigkeit und Sicherheit ist keine Entscheidungsmaxime notwendig. Die Konsequenzen der Varianten entsprechen ihren Gesamtkonsequenzen (vgl. Abschn. 9.3). • Für Entscheidungskonstellationen unter Einwertigkeit und Unsicherheit kann der Erwartungswert berechnet werden. Ein komplexeres Verfahren, welches die Risikoeinstellung des Aktors mitberücksichtigt, ist von Bernoulli entwickelt worden. Daneben sind auch die Maximen für den Fall der Ungewissheit anwendbar. Dies allerdings nur unter Vernachlässigung vorhandener Informationen, da dann zwar die verschiedenen Szenarien, nicht aber ihre Eintretenswahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden. • Liegt eine Entscheidungskonstellation mit Einwertigkeit und Ungewissheit vor, so kommen als einfache Regeln zur Bildung der Gesamtkonsequenz die Maximen des Maximax, des Minimax von Wald und der Gleichwahrscheinlichkeit von Laplace in Frage. Des Weiteren stehen mit dem Optimismus-Pessimismus-Index von Hurwicz und der Minimax-Risiko-Regel von Niehans und Savage zwei weitere, in der Anwendung etwas anspruchsvollere Maximen zur Verfügung.
98
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
• Bei Mehrwertigkeit und Sicherheit bedarf es lediglich einer Maxime zur Überwindung der Mehrwertigkeit. Die Maxime der Nutzenwertes und die Scoringmodelle stellen solche Entscheidungsmaximen dar. • Für den Fall der Unsicherheit und Mehrwertigkeit ist eine Maxime zur Überwindung der Unsicherheit mit einer Maxime zur Überwindung der Mehrwertigkeit zu kombinieren. Anstelle einer Maxime zur Überwindung der Unsicherheit kann auch hier eine Maxime zur Überwindung der Ungewissheit eingesetzt werden. Dabei werden jedoch wiederum Informationen vernachlässigt. • Entscheidungen unter Ungewissheit und Mehrwertigkeit schließlich bedürfen einer Kombination einer Maxime zur Überwindung der Ungewissheit und einer Maxime zur Überwindung der Mehrwertigkeit. Nachfolgend werden die Maximen kurz vorgestellt.
9.4.3
Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Unsicherheit
Wie Abb. 9.5 zeigt, stehen zur Überwindung der Unsicherheit die Maximen des Erwartungswerts und des Nutzenerwartungswerts zur Verfügung. Im Falle der Unsicherheit besteht eine naheliegende Regel darin, die unsicheren Konsequenzen mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten zu multiplizieren und anschließend für jede Variante die mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichteten Konsequenzenwerte zu addieren. Die so gebildeten Summen werden Erwartungswerte genannt. Zu wählen ist die Variante mit dem besten Erwartungswert. Abb. 9.6 zeigt ein Entscheidungsproblem unter Unsicherheit. Der Erwartungswerte betragen 6,2 für Variante 1, 5,6 für Variante 2 und 0 für Variante 3. Zu wählen ist somit Variante 1. Der Erwartungswert ist nur eine sinnvolle Entscheidungsmaxime, wenn keine der Einzelkonsequenzen ein ins Gewicht fallendes Risiko beinhaltet. Mit Bezug auf das Beispiel bedeutet dies, dass der diskontierte Free-Cash-Flow von −8,5 Mio. EUR von Variante 1 im Falle einer schlechten Konjunktur vom Aktor als „tragbar“ beurteilt wird. Falls dies nicht der Fall ist, sollte die Maxime des Nutzenerwartungswertes zur Anwendung kommen. Die Idee dieser auf Bernoulli zurückgehenden Maxime besteht darin, dass der Aktor vor der Berechnung des Erwartungswertes seine Konsequenzenwerte in Nutzenwerte transformiert und dabei seine Risikoeinstellung einfließen lässt (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 81 ff.; Bitz 1981, S. 153 ff.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 72 ff.). Die Anwendung der Maxime beinhaltet zwei Aufgaben: • Zuerst sind die Konsequenzenwerte in Nutzenwerte zu transformieren, welche die Risikoeinstellung mitberücksichtigen. Die Transformation der Konsequenzenwerte in Nutzenwerte erfolgt normalerweise mithilfe einer Transformationskurve.
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
99
Kriterium (K), K: Diskontierter Free-Cash-Flow in Mio. EUR Szenarien (S) und Wahrscheinlichkeiten (W) S1: Gute Konjunkturlage S2: Schlechte Konjunkturlage
W1: 0,6
W2: 0,4
k111 = 16
k112 = -8,5
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k211 = 10
k212 = -1
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k311 = 0
k312 = 0
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
k = Einzelkonsequenzen
Abb. 9.6 Entscheidungsproblem unter Unsicherheit
• Liegen die Nutzenwerte vor, wird anschließend analog zum Erwartungswert der Nutzenerwartungswert gebildet und die Variante mit dem höchsten Nutzenerwartungswert gewählt. Abb. 9.7 zeigt für das Beispiel die Transformationskurve eines Aktors für die Umwandlung der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte. Wie aus der Abbildung hervorgeht, erhält die tiefste Einzelkonsequenz bei der Transformation stets den Wert 0 und die höchste Einzelkonsequenz den Wert 1. Den anderen Einzelkonsequenzen werden Nutzenwerte zugeordnet, welche die Risikoeinstellung des Aktors wiedergeben. Die Nutzenwerte für die Einzelkonsequenzen von −1 Mio. EUR, 0 Mio. EUR und 10 Mio. EUR liegen deutlich über der Diagonalen. Dies bedeutet, dass der Aktor risikoscheu ist und die drei Einzelkonsequenzen im Vergleich zur tiefsten Einzelkonsequenz von −8,5 Mio. EUR wesentlich besser beurteilt. Auf der Basis der fünf Nutzenwerte lassen sich nun die Nutzenerwartungswerte der drei Varianten berechnen. Dazu werden für jede Variante die Nutzenwerte mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten multipliziert und anschließend addiert. Die Nutzenerwartungswerte betragen 0,6 für Variante 1, 0,85 für Variante 2 und 0,75 für Variante 3. Die Berücksichtigung der Risikoeinstellung führt somit dazu, dass der Aktor die mit kleineren Risiken verbundene Variante 2 wählt.
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
Nutzenwerte
100
1 0.95 0.9 0.85 0.8 0.75 0.7 0.65 0.6 0.55 0.5 0.45 0.4 0.35 0.3 0.25 0.2 0.15 0.1 0.05 0
-8,5
-1 0
10
16
Diskontierter Cash-Flow
Abb. 9.7 Kurve zur Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte
Die korrekte Abbildung der eigenen Risikoeinstellung in der Transformationskurve ist nicht trivial. Dies dürfte der Grund sein, wieso die Maxime des Nutzenerwartungswertes in der Praxis relativ selten zur Anwendung kommt. Da, wie bereits gezeigt, die Alternative des Erwartungswertes problematisch ist, wird oft auf eine Maxime zur Überwindung der Ungewissheit ausgewichen. Die Maximen zur Bewältigung der Ungewissheit sind teilweise sehr einfach anzuwenden. Allerdings bedeutet dies, dass auf die Berücksichtigung des Wissens über die Eintretenswahrscheinlichkeiten verzichtet wird.
9.4.4
Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Ungewissheit
Zur Überwindung von Ungewissheitssituationen werden vor allem fünf Entscheidungsmaximen empfohlen (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 129 ff.; Bitz 1981, S. 62 ff.; Laux 2002, S. 106 ff.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 51 ff.). Es sind dies • die Maxime des Minimax von Wald, • die Maxime des Maximax, • die Maxime der Gleichwahrscheinlichkeit von Laplace,
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
101
• die Maxime des Optimismus-Pessimismus-Index von Hurwicz sowie • die Minimax-Risiko-Maxime von Niehans und Savage. Nachfolgend werden die fünf Maximen zuerst kurz vorgestellt und anschließend wird ihre Anwendung an einem Beispiel erläutert. Die Maxime des Minimax vergleicht die Varianten ausschließlich aufgrund ihrer schlechtesten Konsequenzen. Gewählt wird diejenige Alternative, bei der dieser schlechteste Konsequenzenwert am besten ist. Die Anwendung der Minimax-Regel entspricht einem extrem risikoscheuen Verhalten; sie basiert auf einer Worst Case-Haltung. Die Maxime des Maximax entspricht genau dem Gegenteil. Sie besagt, dass der Aktor von jeder Variante nur den besten Konsequenzenwert betrachten soll. Es ist diejenige Alternative zu realisieren, bei der dieser Wert am besten ist. Die Regel der Gleichwahrscheinlichkeit bildet einen Mittelweg zwischen den Maximen des Minimax und des Maximax. Wie ihr Name sagt, geht sie von der Annahme aus, dass alle Konsequenzenwerte gleichwahrscheinlich sind. Die Maxime sieht deshalb vor, dass für jede Variante der durchschnittliche Konsequenzenwert zu ermitteln ist. Anschließend ist diejenige Variante zu wählen, bei der dieser Wert am besten ist. Gleich wie die Maxime der Gleichwahrscheinlichkeit sucht auch die Maxime des Optimismus-Pessimismus-Index einen Mittelweg zwischen den extremen Regeln des Maximax und des Minimax. Die Anwendung der Maxime besteht aus drei Aufgaben: • Zuerst legt der Aktor einen Wert für den Optimismus-Pessimismus-Index zwischen 0 und 1 fest. Je höher dieser Wert festgelegt wird, desto optimistischer resp. risikofreudiger ist der Aktor. • Darauf werden für jede Variante der beste Konsequenzenwert mit dem Indexwert und der schlechteste Konsequenzenwert mit der Differenz zwischen dem Indexwert und 1 multipliziert. • Schließlich werden die beiden Produkte addiert. Es ist diejenige Variante zu wählen, bei der diese Summe am besten ist. Einen grundsätzlich anderen Ansatz verfolgt die Minimax-Risiko-Maxime von Niehans und Savage. Sie betrachtet nicht wie die anderen vier Maximen aus einer mehr oder weniger pessimistischen oder optimistischen Haltung heraus die Konsequenzenwerte, sondern orientiert sich an den Differenzen zwischen den Konsequenzenwerten der verschiedenen Varianten in einem Szenario: Entscheidet sich der Aktor für eine Variante und es tritt anschließend ein bestimmtes Szenarium ein, so wird sich der Aktor für die Differenz zwischen der Konsequenz dieser Variante und der Konsequenz der in diesem Szenarium optimalen Variante interessieren. Ist diese Differenz groß, führt dies zu einer großen Enttäuschung. Ist die Differenz klein, ist der Aktor weniger enttäuscht. Hat er für das eingetretene Szenarium die optimale Variante gewählt, ergibt sich für ihn kein Grund,
102
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
enttäuscht zu sein. Die Maxime versucht nun, die maximal mögliche Enttäuschung zu minimieren. Ihre Anwendung beinhaltet drei Aufgaben: • Zuerst werden für jedes Szenarium die Differenzen der Konsequenzenwerte zum besten Konsequenzenwert errechnet. Sie entsprechen den möglichen Enttäuschungen in den verschiedenen Szenarien. • Anschließend wird für jede Variante die höchste mögliche Enttäuschung eruiert. • Schließlich wird diejenige Variante bestimmt, bei der diese höchste mögliche Enttäuschung am geringsten ist. Abb. 9.8 zeigt ein Entscheidungsproblem unter Ungewissheit. Bei Anwendung der Minimax-Regel wird der Aktor Variante 3 wählen und auf eine Geschäftserweiterung verzichten. Dies, weil beide Ausbauvarianten bei schlechter Konjunktur zu negativen Free-Cash-Flows führen. Bei einem Entscheid nach der Maximax-Maxime wählt der Aktor Variante 1, die bei guter Konjunkturlage den höchsten Free-Cash-Flow verspricht. Wird die Maxime der Gleichwahrscheinlichkeit angewendet, läuft es auf die Variante 2 hinaus. Sie weist mit 4,5 Mio. EUR den höchsten Durchschnittswert auf. Die Anwendung der Maxime des Optimismus-Pessimismus Index beginnt mit der Festlegung des Indexwertes. Wenn der Aktor einen Wert von 1/3 wählt, gewichtet er die beste
Kriterium (K) K: Diskontierter Free-Cash-Flow in Mio. EUR und Szenarien (S)
S1: Gute Konjunkturlage S2: Schlechte Konjunkturlage Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
k111 = 16
k112 = -8,5
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k211 = 10
k212 = -1
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k311 = 0
k312 = 0
k = Einzelkonsequenzen
Abb. 9.8 Entscheidungsproblem unter Ungewissheit
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
103
Einzelkonsequenz nur halb so stark wie die schlechteste Einzelkonsequenz. Er ist damit risikoscheu. Die Gesamtkonsequenzen betragen in diesem Fall −0,3 Mio. EUR für Variante 1, 2,6 Mio. EUR für Variante 2 und 0 Mio. EUR für Variante 3. Gewählt wird somit mit klarem Abstand Variante 2. Die Enttäuschung beträgt bei guter Konjunkturlage 0 Mio. EUR für Variante 1, 6 Mio. EUR für Variante 2 und 16 Mio. EUR für Variante 3. Bei schlechter Konjunkturlage sind die Enttäuschungen 8,5 Mio. EUR für Variante 1, 1 Mio. EUR für Variante 2 und 0 Mio. EUR für Variante 3. Die kleinste maximale Enttäuschung resultiert somit, wenn Variante 2 gewählt wird. Sie beträgt 6 Mio. EUR für Variante 2, während Variante 1 eine maximale Enttäuschung von 8,5 Mio. EUR und Variante 3 eine maximale Enttäuschung von 16 Mio. EUR aufweisen.
9.4.5
Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Mehrwertigkeit
Für die Überwindung der Mehrwertigkeit steht die Nutzenwertmaxime im Vordergrund. Sie ist aufwendig. Deshalb wird teilweise auf die wesentlichen einfacheren Scoringmodelle ausgewichen. Die Anwendung der Nutzenwertmaxime (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 47 ff.; Eisenführ und Weber 2003, S. 115 ff.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 140 ff.) umfasst drei Aufgaben: • Zuerst sind die Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte zu transformieren. Dies geschieht parallel für jede Konsequenzenart. Um nicht indirekte Gewichtungen der Einzelkonsequenzen vorzunehmen, ist für jede Konsequenzenart die gleiche Summe von Nutzenwerten zu vergeben. Es wird empfohlen, als Summe der Nutzenwerte einer Konsequenzenart den Wert „1“ zu wählen. Die Nutzenwerte der Varianten liegen damit für jede Konsequenzenart zwischen 0 und 1. Es dürfte ferner zweckmäßig sein, den höchsten Nutzenwert für die günstigste und den tiefsten Nutzenwert für die ungünstigste Konsequenz zu vergeben. Dies würde zum Beispiel beim Kauf einer Werkzeugmaschine in Bezug auf den Anschaffungspreis bedeuten, dass die Maschine mit dem tiefsten Preis den höchsten Nutzenwert erhält. • Die zweite Aufgabe besteht in der Gewichtung der Konsequenzenarten. Die auf subjektiven Urteilen beruhenden Gewichte sollten die relative Bedeutung der Kriterien widerspiegeln. Es wird vorgeschlagen, als Summe aller Gewichte den Wert 1 zu wählen. • Sind die Konsequenzenwerte in Nutzenwerte transformiert und die Gewichte der Entscheidungskriterien bzw. Konsequenzenarten bestimmt, so können die Gesamtkonsequenzen ermittelt werden. Zu diesem Zweck sind die Nutzenwerte mit ihren Gewichten zu multiplizieren und die gewichteten Nutzenwerte zu addieren. Abb. 9.9 zeigt ein Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit.
104
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
Kriterien (K) und K1: Diskontierter K2: Schaffung Gewichte (G) Free-Cash-Flow von Arbeitsplätzen in in Mio. EUR Polen (1)
K3: Benötigte Managementkapazität (2)
G1: 0,7
G2: 0,2
G3: 0,1
k11 = 3,75
k12 = viele
k13 = hoch
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k21 = 4,5
k22 = wenige
k23 = gering
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k31 = 0
k32 = keine
k33 = keine
Varianten V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
k = Einzelkonsequenzen (1) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „wenige “ und „keine “ (2) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „keine “
„viele“, „einige “, „hoch“, „gering “ und
Abb. 9.9 Entscheidungsproblem unter Mehrwertigkeit
Abb. 9.10 fasst die Anwendung der Maxime des Nutzenwertes zusammen: Die erste Zeile zeigt die den Einzelkonsequenzen entsprechenden Nutzenwerte. Die Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte wird in Vertiefungsfenster 9.1 erklärt. Anschließend werden gemäß Zeile 2 die Nutzenwerte mit den Gewichten multipliziert und die gewichteten Nutzenwerte addiert. Wie die Abbildung zeigt, hat Variante 2 die höchste Summe und wird deshalb gewählt. Die Summe der Variante 1 ist allerdings nur etwas mehr als 4 % schlechter. Vertiefungsfenster 9.1: Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte
Die Transformation der Einzelkonsequenzen in Nutzenwerte erfolgt pro Konsequenzenart respektive Entscheidungskriterium. Dabei sind vier verschiedene Kategorien von Konsequenzenarten zu unterscheiden: • Quantitative Konsequenzenarten, bei denen ein hoher Wert positiv ist, wie zum Beispiel der diskontierte Free-Cash-Flow • Quantitative Konsequenzenarten, bei denen ein hoher Wert negativ ist, wie zum Beispiel die Kosten
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
Kriterien (K) und K1: DiskonGewichte (G) tierter FreeCash-Flow in Mio. EUR
105
K2: Schaffung K3 :Benötigte von Arbeits- Manageplätzen in mentkapaPolen zität
Summe der gewichteten Nutzenwerte
G1: 0,7
G2: 0,2G
G3: 0,1
-
n11 = 0,45 g11 = 0,32
n12 = 0,57 g12 = 0,11
n13 = 0,17 g13 = 0,02
g1. = 0,45
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
n21 = 0,55 g21 = 0,38
n22 = 0,29 g22 = 0,06
n23 = 0,33 g23 = 0,03
g2. = 0,47
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
n31 = 0 g31 = 0
n32 = 0,14 g32 = 0,03
n33 = 0,50 g33 = 0,05
g3. = 0,08
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
n = Nutzenwerte g = gewichtete Nutzenwerte
Abb. 9.10 Resultat der Anwendung der Maxime des Nutzenwertes
• Qualitative Konsequenzenarten, bei denen eine hohe Bewertung positiv ist, wie zum Beispiel die Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen • Qualitative Konsequenzenarten, bei denen eine hohe Bewertung negativ ist, wie zum Beispiel die benötigte Managementkapazität Um implizite Gewichtungen zu vermeiden, erfolgt die Transformation für jede Konsequenzenart respektive für jedes Entscheidungskriterium so, dass die Summe der Nutzenwerte 1 ergibt. Für die Transformation in Nutzenwerte wird bei den vier Kategorien von Konsequenzenarten wie folgt vorgegangen: • Quantitative, positive Konsequenzenarten werden in Nutzenwerte transformiert, indem die einzelnen Konsequenzenwerte zur Summe aller Konsequenzenwerte ins Verhältnis gesetzt werden • Quantitative, negative Konsequenzenarten werden in Nutzenwerte transformiert, indem für jeden Konsequenzenwert zunächst der Kehrwert ermittelt wird und dann die Kehrwerte zur Summe aller Kehrwerte ins Verhältnis gesetzt werden • Qualitative, positive Konsequenzenarten werden zunächst anhand einer zu definierenden Skala in quantitative Konsequenzenwerte übersetzt. Dabei ist darauf
106
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
zu achten, dass die Transformation die „Abstände“ zwischen den verbalen Konsequenzenwerten möglichst gut widerspiegelt. Darauf können gleich wie bei quantitativen, positiven Konsequenzenarten die Nutzenwerte errechnet werden • Qualitative, negative Konsequenzenarten werden zuerst ebenfalls anhand einer Skala in quantitative Größen übersetzt. Dabei wird jedoch gleichzeitig die negative Konsequenzenart in eine positive Konsequenzenart transformiert. Dazu ist der für den Aktor nachteiligsten verbalen Konsequenz der kleinste und der für den Aktor vorteilhaftesten verbalen Konsequenz der grösste numerische Wert zuzuordnen. Zudem ist wiederum darauf zu achten, dass die „Abstände“ gut wiedergegeben werden. Darauf kann gleich wie bei quantitativen, positiven Konsequenzenarten die Transformation in Nutzenwerte vorgenommen werden Bei den quantitativen Konsequenzenarten kann es vorkommen, dass die Konsequenzenwerte sich von negativen Größen über den Nullpunkt bis zu positiven Größen erstrecken. Dies ist beispielsweise bei einer Konsequenzenart wie der Rentabilität möglich. In diesem Fall ist die Umrechnung in Nutzenwerte, wie sie oben vorgeschlagen wird, nicht möglich. Deshalb sind die Konsequenzenwerte vor ihrer Umrechnung in Nutzenwerte zuerst in einen Wertebereich ≥ 0 zu transformieren. Dies geschieht durch Addition einer Konstanten zu allen Konsequenzenwerten. Diese Erhöhung der Konsequenzenwerte um einen konstanten Betrag ist messtechnisch deshalb nicht störend, weil die Nutzenwerte unabhängig von dieser Operation in jedem Fall bloß eine Intervallskala darstellen.
Die Anwendung der Maxime des Nutzenwertes ist aufwendig. Sie kommt deshalb in der Praxis relativ selten zur Anwendung und wird häufig durch eines des wesentlich einfacheren Scoringmodelle ersetzt. Dabei werden die Einzelkonsequenzen durch Punkte (Scores) ersetzt. Um diese Aufgabe zu erfüllen, kommen unterschiedliche Regeln zur Anwendung. Nachfolgend werden zwei häufig angewendete Regeln kurz erläutert: • Für jede Konsequenzenart steht eine bestimmte Zahl von Punkten zur Verfügung. Diese sind entsprechend ihren Konsequenzen möglichst gut auf die Varianten zu verteilen. • Es wird eine ordinale Skala vorgegeben. Die Einzelkonsequenzen der Varianten werden durch Werte diese Skala ersetzt. Dabei empfiehlt sich, die Aufgabe für eine Konsequenzenart nach der anderen zu erfüllen. Dadurch kann besser sichergestellt werden, dass der Ersatz der Einzelkonsequenzen durch Punkte sachgerecht erfolgt. Die Punkte werden anschließend wie bei der Maxime des Nutzenwertes mit den Gewichten der Konsequenzenarten respektive Entscheidungskriterien multipliziert und zu den Gesamtkonsequenzen der Varianten addiert.
9.4
Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten
Kriterien (K) und K1: DiskonGewichte (G) tierter FreeCash-Flow in Mio. EUR
107
K2: Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen
K3: Benötigte Managementkapazität
Summe der gewichteten Nutzenwerte
G1: 0,7
G2: 0,2
G3: 0,1
-
p11 = 3 g11 = 2,1
p12 = 4 g12 = 0,8
p13 = 1 g13 = 0,1
g1. = 3,0
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
p21 = 4 g21 = 2,8
p22 = 2 g22 = 0,4
p23 = 2 g23 = 0,2
g2. = 3,4
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
p31 = 1 g31 = 0,7
p32 = 1 g32 = 0,2
p33 = 4 g33 = 0,4
g3. = 1,3
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
p = Punkte g = gewichtete Punkte
Abb. 9.11 Resultat der Anwendung eines Scoringmodells
Abb. 9.11 zeigt für das Entscheidungsproblem von Abb. 9.9 die Anwendung des zweiten beschriebenen Vorgehens. Der Ersatz der Einzelkonsequenzen durch Punkte erfolgt auf der Basis einer Skala die von „1 = genügend“ bis „4 = sehr gut“ reicht. Dem großen Vorteil der Einfachheit steht der Nachteil der Subjektivität gegenüber. Verdient ein Discounted Free-Cash-Flow von 4,5 Mio. EUR 4 Punkte oder sind 3 Punkte angebrachter oder sollten sogar nur 2 Punkte vergeben werden? Es gibt keine objektive Möglichkeit, diese Frage zu beantworten.
9.4.6
Kombinierte Anwendung von Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Unsicherheit respektive Ungewissheit und der Mehrwertigkeit
Falls gleichzeitig Unsicherheit und Mehrwertigkeit oder Ungewissheit und Mehrwertigkeit vorliegen, müssen zur Bestimmung der Gesamtkonsequenzen zwei Entscheidungsmaximen angewendet werden. Dabei muss zuerst die Unsicherheit respektive die Ungewissheit und nachher die Mehrwertigkeit überwunden werden. Abb. 9.12 zeigt ein Entscheidungsproblem unter Unsicherheit und Mehrwertigkeit. Wird zur Überwindung der Unsicherheit bezüglich des Discounted Free-Cash-Flow beispielsweise die Maxime des Erwar-tungswertes eingesetzt, resultieren für die drei Varianten Werte von 3,75 Mio. EUR, 4,5 Mio. EUR und 0 Mio. EUR. Das Entscheidungsproblem entspricht damit dem Entscheidungsproblem der Abb. 9.9 unter Sicherheit
108
9 Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung
Kriterien (K), K1: Diskontierter FreeGewichte (G), Cash-Flow in Mio. EUR Szenarien (S) und Wahrscheinlichkeiten (W) G1: 0,7
K2: Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen (1)
K3: Benötigte Managementkapazität (2)
G2: 0,2
G3: 0,1
S1: Gute Konjunkturlage
S2: SchlechteKonjunkturlage
W1: 0,6
W2: 0,4
-
-
k111 = 16
k112 = -8,5
k12 = viele
k13 = hoch
V2: Aufbau von Vertriebsniederlassungen in Deutschland und Polen
k211 = 10
k212 = -1
k22 = wenige
k23 = gering
V3: Verzicht auf eine Geschäftserweiterung
k311 = 0
k312 = 0
k32 = keine
k33 = keine
Varianten (V) V1: Kauf eines Herstellers mit Produktionsstätten in Deutschland und Polen
-
k = Einzelkonsequenz (1) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „wenige “ und „keine“ (2) = Gemessen auf einer Ordinalskala mit den Ausprägungen „keine “
„viele“, „einige “, „hoch“, „gering “ und
Abb. 9.12 Entscheidungsproblem unter Unsicherheit und Mehrwertigkeit
und Mehrwertigkeit. Die Gesamtkonsequenzen der drei Varianten können nun, wie in Unterabschnitt 9.4.4 gezeigt, beispielsweise mit der Maxime des Nutzenwertes ermittelt werden.
9.5
Bestimmung der zentralen Stärken und Schwächen der Varianten im Falle des summarischen Vorgehens
Falls sich der Aktor in Unterschritt 7.2 für ein summarisches Vorgehen entscheidet, sind in Unterschritt 7.3 die zentralen Stärken und Schwächen der Varianten herauszuarbeiten. Es kann sich dabei um unterschiedliche Punkte handeln. Beispielsweise ist denkbar, dass die zentrale Stärke einer Variante in der internen Akzeptanz liegt, während eine andere Variante als zentrale Stärke den Eintritt in Wachstumsmärkte ermöglicht. Mit Blick auf das in Abb. 9.12 zusammengefasste Entscheidungsproblem könnte beispielsweise argumentiert werden, dass der diskontierte Free-Cash-Flow von −
Literatur
109
8,5 Mio. EUR im Falle einer schlechten Konjunkturlage die finanzielle Stabilität des Unternehmens gefährden würde. Entsprechend kann Variante 1 nicht gewählt werden, obschon sie bei guter Konjunkturlage mit Abstand das beste finanzielle Resultat ergeben und zudem viele Arbeitsplätze in Polen schaffen würde. Hingegen ist der Free-Cash-Flow von Variante 2 von −1 Mio. EUR im Falle einer schlechten Konjunkturlage tragbar. Sie wird im Hinblick auf die 10 Mio. EUR Free-Cash-Flow bei guter Konjunkturlage und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Polen gewählt.
9.6
Treffen der Entscheidung
In Unterschritt 7.4 ist schließlich die Entscheidung zu treffen und eine Variante zu wählen. Wenn der Aktor von keiner Variante überzeugt ist und die Hoffnung hat, dass eine bessere Lösung auffindbar ist, kann er auch die Erarbeitung weiterer Varianten beschließen. Dies kommt dann einer heuristischen Schlaufe mit einem Zurückgehen auf Schritt 3 im Sinne der Heuristik des Generate-and-test (vgl. Abschn. 6.4) gleich. Das Vertagen der Entscheidung und die Fortsetzung des Problemlösungsprozesses sollte allerdings die Ausnahme bleiben. Wenn den Problemlösungsprozess mit der notwendigen Gründlichkeit erfolgte, ist die Wahrscheinlichkeit gering, durch eine heuristische Schlaufe noch eine wesentlich bessere Variante zu finden. Das häufige Vertagen der Entscheidung zeugt dann eher von mangelndem Mut als von Gründlichkeit. Aus praktischer Sicht ist zentral, dass der Entscheidungsprozess mit einer klaren Entscheidung endet. Es ist für die am Entscheidungsprozess Beteiligten und von der Entscheidung betroffenen Personen wichtig zu wissen, ob eine Entscheidung gefällt wurde und wenn ja, wie diese ausgefallen ist.
Literatur Bamberg G, Coenenberg A (2002) Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 11. Aufl. Vahlen, München Bitz M (1981) Entscheidungstheorie. Vahlen, München Eisenführ F, Weber M (2003) Rationales Entscheiden, 4. Aufl. Springer, Berlin Laux H (2002) Entscheidungstheorie, 5. Aufl. Springer, Berlin Little JDC (1970) Models and managers: the concept of a decision calculus. Manag Sci 16(8):B466–B-485 Rommelfanger H, Eickemeier S (2002) Entscheidungstheorie; Klassische Konzepte und FuzzyErweiterungen. Springer, Berlin
Teil III Sonderprobleme und Ansätze zu ihrer Lösung
10
Entscheidungssequenzen
10.1
Entscheidungssequenzen und ihre Abgrenzung gegenüber nacheinander zu lösenden Teilproblemen
In Teil II wurde ein allgemeines heuristisches Problemlösungsverfahren eingeführt und detailliert erläutert. Dabei wurde gezeigt, dass komplexe Probleme vielfach mehrere Ursachen haben. Daraus ergeben sich in der Problemanalyse häufig mehrere Teilprobleme, die nebeneinander oder hintereinander zu lösen sind. Beispielsweise kann eine ungenügende Leistung des Verkaufspersonals auf unklare Verkaufszielsetzungen und ein Entlöhnungssystem mit ungenügenden Leistungsanreizen zurückgeführt werden. Da wirkungsvolle Leistungsanreize erst festgelegt werden können, wenn die Zielsetzungen klar sind, muss das Teilproblem der Verkaufsziele vor dem Teilproblem der Außendienstentlöhnung bearbeitet werden. Der Aktor hat damit eine Sequenz von zwei aktuell zur Lösung anstehenden Teilproblemen zu bearbeiten. Dabei kann er das Teilproblem der Außendienstentlöhnung ohne Zeitverzug anpacken, sobald er das Teilproblem der Verkaufsziele gelöst hat. Je nachdem welche Dringlichkeit er dem Problem der mangelnden Leistung des Verkaufspersonals beimisst, wird er das erste Teilproblem innerhalb einer Woche oder einiger Monate lösen. In jedem Fall wird er jedoch versuchen, das aus zwei Teilproblemen bestehende Gesamtproblem der ungenügenden Leistung seiner Verkäufer in nützlicher Frist zu lösen. Im Kap. 10 geht es nicht um nacheinander zu lösende Teilprobleme, die „Bestandteile“ eines aktuell zu lösenden Gesamtproblems darstellen. Eine Entscheidungssequenz im Sinne dieses Kapitels bedeutet, dass eine, mehrere oder alle der heute zur Diskussion stehenden Varianten zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. nach einigen Jahren, zu weiteren, heute bereits absehbaren Entscheidungen führen. Um in der jetzt anstehenden Entscheidung die richtige Variante auswählen zu können, muss der Aktor die zukünftigen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_10
113
114
10 Entscheidungssequenzen
Entscheidungen mit ihren Varianten und Konsequenzen mitberücksichtigen. Selbstverständlich kann er dies nur insoweit tun, als er heute die zukünftigen Entscheidungen mit ihren Varianten und Konsequenzen bereits erkennt.
10.2
Visualisierung von Entscheidungssequenzen
In Teil II wurden Entscheidungsprobleme mithilfe von Entscheidungsmatrizen zusammengefasst. Diese Form eignet sich für Entscheidungssequenzen mit Entscheidungen zu verschiedenen Zeitpunkten nicht. Um die verschiedenen miteinander verknüpften Entscheidungen mit ihren Varianten und Konsequenzen übersichtlich darstellen zu können, wird sinnvollerweise ein Entscheidungsbaum erstellt. Ein Entscheidungsbaum • • • •
ist eine graphische Darstellung, die miteinander verknüpfte Entscheidungen auf mindestens zwei Ebenen mit ihren Varianten und eventuell mit ihren Konsequenzen zeigt. In Entscheidungen unter Risiko und Ungewissheit enthält der Entscheidungsbaum zusätzlich mindestens eine weitere Ebene mit Szenarien (vgl. Bamberg 1993, S. 886 ff.).
Abb. 10.1 zeigt zwei Entscheidungsbäume. Der erste Entscheidungsbaum stellt eine Entscheidungssequenz unter Sicherheit mit Entscheidungen auf zwei Ebenen dar. Der zweite Baum gibt eine Entscheidungssequenz unter Ungewissheit wieder. Neben zwei Entscheidungsebenen enthält er eine Ebene mit Szenarien. Im Zusammenhang mit den beiden Grafiken soll speziell auf folgende zwei Punkte hingewiesen werden: • Es ist denkbar, dass eine heute gewählte Entscheidungsvariante später keine weiteren Entscheidungen notwendig macht resp. ermöglicht. Dies ist in beiden Entscheidungsbäumen für die Variante 1 der Fall. Diese Situation liegt zudem auch im unteren Entscheidungsbaum im Falle der Wahl von Variante 3 und des Eintretens von Szenario 2 vor. • In Entscheidungsbäumen für Risiko- und Ungewissheitssituationen ist es möglich, dass die Szenarien nur für einzelne Varianten relevant sind. Dies bedeutet, dass es Varianten geben kann, deren Konsequenzen sicher vorausgesagt werden können. Dies ist in der unteren Grafik für Variante 1 der Fall: Sie ergibt nicht nur keine Folgeentscheidung, sondern lässt sich auch unabhängig von den zwei Szenarien bewerten.
10.2 Visualisierung von Entscheidungssequenzen
115
Entscheidungsbaum unter Sicherheit
V1
V2
V 21 V 22 V 23
V3 V 32 V 33
Entscheidungsbaum unter Ungewissheit
V 211 V 210 V1
S1
V 213
V2
S2
V 221 V 212
V 223 V3 V 311 S1
S2 = Entscheidungsknoten = Ereignisknoten = Konsequenz V = Variante S = Szenarium
Abb. 10.1 Zwei Beispiele von Entscheidungsbäumen
V 310
116
10.3
10 Entscheidungssequenzen
Wahl der besten Variante in einer Entscheidungssequenz
Wie in Abschn. 10.1 gezeigt, handelt es sich bei einer Entscheidungssequenz um eine Verknüpfung von Entscheidungen zu (klar) verschiedenen Zeitpunkten. Dabei beinhaltet eine heute anstehende Entscheidung Varianten, die zu einem späteren Zeitpunkt zu weiteren, heute bereits absehbaren, Entscheidungen führen. Diese Verknüpfung von zeitlich auseinanderliegenden Entscheidungen bedeutet nicht, dass bereits heute alle Entscheidungen getroffen werden müssen. Da sich die Varianten und/oder die Konsequenzen der erst in einigen Jahren anstehenden Entscheidungen noch ändern können, wäre eine Entscheidung darüber zum heutigen Zeitpunkt nicht rational. Nur die anstehende Entscheidung sollte zum jetzigen Zeitpunkt getroffen werden. Bei der Beurteilung der Varianten der heute anstehenden Entscheidung müssen jedoch die sich aus den zukünftigen Entscheidungen ergebenden Varianten und Konsequenzen mitberücksichtigt werden. Wird dies nicht gemacht, fließen zukünftige Chancen und Gefahren und damit unter Umständen wesentliche Auswirkungen der heute zur Diskussion stehenden Varianten nicht in die Entscheidung ein. Ausgangspunkt der Wahl der besten Variante der anstehenden Entscheidung ist der Entscheidungsbaum. Die Handlungskonsequenzen befinden sich, wie in Abb. 10.1 dargestellt, ganz rechts neben den Baumenden (vgl. Bamberg 1993, S. 891). Dies bedeutet, dass die sich aus den heutigen Varianten ergebenden Konsequenzen durch die Konsequenzen der Varianten der späteren Entscheidungen ergänzt werden müssen. Wie in den unabhängigen Entscheidungen im Teil II auch, sind bei der Konsequenzenermittlung zudem die Einflüsse allfälliger Szenarien zu berücksichtigen. Die Wahl der optimalen Variante der anstehenden Entscheidung kann, gleich wie in einer unabhängigen Entscheidung, entweder summarisch oder analytisch erfolgen. Beim summarischen Vorgehen studiert der Aktor den erstellten Entscheidungsbaum. Auf der Basis dieser Grafik beurteilt er die heute zur Wahl stehenden Varianten ganzheitlich und entscheidet. Da Entscheidungsbäume auch relativ komplexe Entscheidungssequenzen übersichtlich abzubilden vermögen, ist das summarische Vorgehen durchaus tauglich. Das analytische Vorgehen sieht die Bestimmung der Gesamtkonsequenzen der Varianten und die Wahl der Variante mit der besten Gesamtkonsequenz vor. Die Bildung der Gesamtkonsequenzen erfolgt dabei im sogenannten Roll-Back-Verfahren (vgl. Bamberg 1993, S. 891 ff.): 1. Falls es sich um ein mehrwertiges Entscheidungsproblem handelt, ist die Mehrwertigkeit direkt an den Baumenden zu überwinden. Dabei kann auf eine in Kap. 9 beschriebene Entscheidungsmaxime zurückgegriffen werden.
10.3 Wahl der besten Variante in einer Entscheidungssequenz
117
2. Anschließend sind die Konsequenzen von den Baumenden auf der rechten Seite gegen die Baumwurzel auf der linken Seite zu verdichten. 2.1. In den Entscheidungsknoten ist die Variante mit den jeweils besseren Konsequenzen zu wählen. 2.2. In den Ereignisknoten ist ein Konsequenzenwert zu errechnen oder auszuwählen. Dazu ist im Unsicherheitsfall eine Maxime zur Überwindung der Unsicherheit und im Ungewissheitsfall eine Maxime zur Überwindung der Ungewissheit gemäß Kap. 9 zu verwenden. Das Roll-Back-Verfahren soll nun anhand eines Beispiels erläutert werden: Abb. 10.2 zeigt den bereits aus Abb. 10.1 bekannten Entscheidungsbaum unter Ungewissheit. An den Baumenden sind nun jedoch als Konsequenzen abgezinste Einzahlungsüberschüsse aufgeführt. Da keine anderen Konsequenzen erwähnt sind, handelt es sich um ein einwertiges Entscheidungsproblem:
0,5 Mio 2 Mio
V1
S1
V 211 V 210
1,8 Mio
V 213
1,6 Mio 1 Mio
V2
S2
V 221 V 212
0,8 Mio
V 223
0,6 Mio
V3
5 Mio V 311 S1 S2
= Entscheidungsknoten = Ereignisknoten = Konsequenz V = Variante S = Szenarium
Abb. 10.2 Entscheidungsbaum unter Ungewissheit
V 310
4,8 Mio -1 Mio
118
10 Entscheidungssequenzen
• Zuerst wird für die drei Entscheidungsknoten auf der rechten Seite je die beste Variante identifiziert. Es sind dies die Varianten V 211: 2 Mio., V 221: 1 Mio. und V 311: 5 Mio. • Darauf werden für die beiden Ereignisknoten in der Mitte die Konsequenzenwerte errechnet. Wenn z. B. die Entscheidungsmaxime der Gleichwahrscheinlichkeit angewendet wird, ergibt dies für den oberen Ereignisknoten 1,5 Mio. und für den unteren Ereignisknoten 2 Mio. (Bei Anwendung der Minimax-Maxime wären die Werte 1 Mio. und −1 Mio.). • Anschließend ist zwischen den drei Varianten des Entscheidungsknotens auf der linken Seite zu wählen. Von den drei Varianten V 1: 0,5 Mio., V 2: 1,5 Mio. und V 3: 2 Mio. wählt der Aktor V 3. Er geht damit ein nicht unerhebliches Risiko ein. Je nachdem ob S 1 oder S 2 eintreten, wird sein Einzahlungsüberschuss 5 Mio. oder − 1 Mio. sein (Ein risikoscheuer Aktor hätte im Ereignisknoten die Minimax-Maxime angewendet. Er hätte anschließend zwischen V 1: 0,5 Mio., V 2: 1 Mio. und V 3: − 1 Mio. entscheiden müssen und V 2 gewählt.).
Literatur Bamberg G (1993) Entscheidungsbaumverfahren. In: Wittman W, Kern W, Köhler R et al (Hrsg) Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Teilband 1, 5. Aufl. Poeschel, Stuttgart, S 886–896
Informationsbeschaffungsentscheidungen
11.1
11
Informationsbeschaffungsentscheidungen als Metaentscheidungen
Der Aktor hat im Rahmen der Bewältigung eines Entscheidungsproblems stets mit Problemen auf zwei Ebenen zu kämpfen: • Einerseits hat er sich mit dem entdeckten Problem auseinanderzusetzen: Es gilt das Problem zu verstehen, Lösungsvarianten zu finden, diese zu bewerten und schließlich zu entscheiden. • Andererseits fallen vielfältige Metaaufgaben an: Die Problembewältigung ist zeitlich und inhaltlich zu planen, Personen sind in die Problembearbeitung einzubeziehen und zu koordinieren und andere Personen sind über den Problemlösungsprozess und die erzielten Fortschritte zu informieren. Ein weiteres Problem auf der Metaebene, mit dem sich der Aktor beschäftigen muss, ist die Frage, ob auf der Basis der bestehenden Informationen mit der Problembearbeitung weitergefahren oder ob der Informationsstand verbessert werden soll. Bereits in der Problemanalyse lassen sich intern und vor allem extern Informationen in unterschiedlichem Detaillierungsgrad und mit unterschiedlicher Verlässlichkeit beschaffen. Aber auch in der Ausarbeitung der Varianten kann in der Informationsbeschaffung verschieden weit gegangen werden. Am klarsten stellt sich jedoch die Metaentscheidung der Beschaffung oder Nicht-Beschaffung zusätzlicher Informationen bei der Bewertung der Varianten: Soll aufgrund der vorliegenden Konsequenzen entschieden werden oder sind zusätzliche Mittel in die Variantenbeurteilung zu investieren? Je mehr in die Informationsbeschaffung investiert wird, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass gute Problemlösungsvarianten gefunden werden und die beste unter © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_11
119
120
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen
ihnen ausgewählt wird. Mit der Beschaffung zusätzlicher Informationen sind jedoch auch zusätzliche Kosten verbunden. Zudem verlängert sie den Problembewältigungsprozess und verzögert damit die Entscheidung. Es hängt dabei sehr von der Art der Problemstellung ab, ob der zweitgenannte Nachteil stark ins Gewicht fällt oder nicht. Ob zusätzliche Informationen beschafft werden sollen oder nicht, ist grundsätzlich einfach zu beantworten: Ihre Beschaffung ist immer sinnvoll, wenn ihr Zusatznutzen ihre Zusatzkosten überwiegt. Ist dies nicht der Fall, sollte auf das Einholen zusätzlicher Informationen verzichtet werden. Eine derart allgemein gehaltene Empfehlung nützt allerdings dem Aktor im konkreten Fall kaum etwas. In den nachfolgenden Abschnitten wird deshalb diese Grundregel konkretisiert.
11.2
Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen
Die wohl bekanntesten Überlegungen zum Treffen von Informationsbeschaffungsentscheidungen stammen von Bayes. Sie werden in Vertiefungsfenster 11.1 vorgestellt. Da die Ideen von Bayes auf einer ganzen Reihe von teilweise restriktiven Bedingungen basieren, sind sie allerdings in den wenigsten Fällen direkt anwendbar. Sie werden deshalb anschließend verallgemeinert und, kombiniert mit eigenen Erfahrungen, zu generellen Empfehlungen zum Treffen von Informationsbeschaffungsentscheidungen weiterentwickelt. Ist ein Aktor im Laufe der Bearbeitung eines Entscheidungsproblems mit der Frage der Beschaffung zusätzlicher Informationen konfrontiert, empfiehlt es sich, der Reihe nach die vier Überlegungen gemäß Abb. 11.1 anzustellen (vgl. Kühn und Kreuzer 2006). Detaillierte Überlegungen über Kosten und Nutzen der Beschaffung zusätzlicher Informationen erscheinen erst dann sinnvoll, wenn der Aktor zumindest eine Vorgehensweise zur Informationsbeschaffung sieht und wenn die Zeitverhältnisse entsprechende Maßnahmen erlauben. Es lohnt sich deshalb, zunächst in Schritt 1 in grober Weise die „Machbarkeit“ der Informationsbeschaffung zu beurteilen: • Zu diesem Zweck sind als erstes die Informationen zu umschreiben, die benötigt werden. So kann zum Beispiel im Rahmen der Problemanalyse das Bedürfnis nach quantitativen Informationen über den Markt bestehen. Oder es müssen zur Bestimmung der Konsequenzen die Wirkungen von Preisänderungen auf die Nachfrage prognostiziert werden. • Auf der Basis der grob umschriebenen Informationsbedürfnisse ist anschließend zu überlegen, wie viel Zeit für die Beschaffung eingesetzt werden muss. Die für die Informationsbeschaffung aufzuwendende Zeit spielt insbesondere in zwei Situationen eine Rolle: Die Zeitverhältnisse sind erstens wichtig, wenn die Entscheidung innerhalb einer durch äußere Umstände bestimmten Frist zu treffen ist. Man denke zum Beispiel an Entscheidungen über zeitlich befristete Akquisitionsofferten bei Firmenkäufen.
11.2
Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen
1.
121
Bestimmung der zu beschaffenden Informationen und Beurteilung der Machbarkeit der Informationsbeschaffung
falls die Beschaffung zusätzlicher Informationen machbar ist 2.
Präzisierung des Vorgehens zur Informationsbeschaffung und Bestimmung der damit verbundenen Kosten
3.
Schätzung des Nutzens der Informationsbeschaffung
4.
Treffen der Informationsbeschaffungsentscheidung
Abb. 11.1 Verfahren zum Treffen von Informationsbeschaffungsentscheidungen
Die Informationsbeschaffungszeit ist zweitens bedeutsam, wenn ein Gefahrenproblem zu eskalieren droht und deshalb rasch gehandelt werden muss. Man denke zum Beispiel an ein Qualitätsproblem bei einem bereits seit einiger Zeit vertriebenen Massenkonsumgut. Es kann somit durchaus vorkommen, dass die Machbarkeit der Informationsbeschaffung negativ beurteilt werden muss, weil die Zeitverhältnisse die Informationsbeschaffung nicht zulassen. Falls Maßnahmen zur Beschaffung zusätzlicher Informationen überhaupt machbar erscheinen, sind in Schritt 2 die hierfür einzusetzenden Methoden und ihre Kosten festzulegen. Unter Umständen müssen dazu zuerst die zu beschaffenden Informationen konkretisiert werden. Dies, weil oft die Datenarten für die Wahl der Datenbeschaffungsmethode und damit für die Kosten der Datenbeschaffung relevant sind. So kann zum Beispiel die präzisere Erfassung des Marktes über eine Quantifizierung der Produktgruppen und/oder der Kundensegmente geschehen. Für die Bestimmung der quantitativen Bedeutung der Produktgruppen existieren häufig Sekundärdaten, und es genügt deshalb für deren Beschaffung im Allgemeinen eine wenig aufwendige Recherche. Präzise und fundierte Daten zu Kundensegmenten sind dagegen oft nur mithilfe einer auf einer großen Stichprobe beruhenden Feldforschung zu ermitteln. Dies ist mit deutlich höheren Kosten verbunden. Der in Schritt 3 zu evaluierende Nutzen der Informationsbeschaffung hängt im Wesentlichen Aspekten ab: • Konsequenzen einer Fehlentscheidung. • Verbesserung der Entscheidungsqualität durch die beschafften Informationen.
122
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen
Im Allgemeinen lassen sich die Auswirkungen einer Fehlentscheidung zumindest in ihren Größenordnungen bestimmen. Als Annäherung genügt die Beantwortung der Frage, ob die Differenz zwischen einer guten und einer schlechten Problemlösung in einigen 10.000, in einigen 100.000 oder in einigen Millionen EUR liegt. Dagegen ist es im Allgemeinen sehr schwierig, die durch die Informationsbeschaffung ermöglichte Verbesserung der Entscheidungsqualität zu beurteilen. Der Aktor sollte jedoch wenigstens grob abschätzen können, ob die Informationsbeschaffung eine wesentliche Verbesserung seines Problemverständnisses erlaubt oder nicht. Nur wenn ersteres der Fall ist, lohnt es sich, die Idee der Beschaffung zusätzlicher Informationen weiter zu verfolgen. In der abschließenden Entscheidung in Schritt 4 geht es um ein Abwägen des Nutzens und der Kosten der Informationsbeschaffung. Wie gezeigt, kann der Informationsnutzen normalerweise nur als Größenordnung ermittelt werden. Dazu werden die Folgen einer Fehlentscheidung geschätzt. Der so ermittelte approximative Informationsnutzen wird mit den meist präzis schätzbaren Kosten der Informationsbeschaffung verglichen. Im Allgemeinen wird man sich für eine Informationsbeschaffung entscheiden, wenn die Folgen einer Fehlentscheidung die Informationsbeschaffungskosten deutlich übertreffen.
Vertiefungsfenster 11.1: Ermittlung des Wertes zusätzlicher Informationen durch Bayes
Um zu konkreten Empfehlungen zu gelangen, basiert Bayes seine Überlegungen auf einer Reihe teilweise sehr restriktiver Annahmen. Nachfolgend wird versucht, diese zusammenzufassen: 1. Eine erste Einschränkung besteht darin, dass sich alle Überlegungen von Bayes stets an einer einwertigen Entscheidung unter Risiko orientieren (vgl. Weibel 1978, S. 11). Bayes geht somit davon aus, dass sich der Aktor nur an einem Entscheidungskriterium orientiert und mit mehreren Umfeldszenarien konfrontiert ist, deren Eintretenswahrscheinlichkeiten er kennt. 2. Bayes geht zudem davon aus, dass der Aktor die Varianten, die Umfeldszenarien, ihre Eintretenswahrscheinlichkeiten und die Konsequenzenwerte kennt und aufgrund dieser Ausgangslage eigentlich entscheiden könnte. Er behandelt die Frage, ob aufgrund der vorliegenden Entscheidungsmatrix entschieden werden soll, oder ob es sich lohnt, die Entscheidung zu vertagen und durch die Beschaffung zusätzlicher Informationen die Qualität der Entscheidungsmatrix zu verbessern. Mit dieser Fokussierung auf die Entscheidungsmatrix verzichtet Bayes darauf, sich mit der Beschaffung zusätzlicher Informationen in der Analysephase und in der Phase der Erarbeitung der Varianten zu beschäftigen. 3. Die Überlegungen von Bayes zur Beschaffung zusätzlicher Informationen betreffen ausschließlich die Eintretenswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Umweltszenarien. Hingegen ergeben die zusätzlichen Investitionen in Informationen keine genaueren Konsequenzenwerte (vgl. von Nitzsch 2002, S. 220 ff.).
11.2
Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen
123
4. Die vierte Prämisse betrifft die vom Aktor angewendete Entscheidungsmaxime. Bayes geht davon aus, dass der Aktor die Maxime des Erwartungswertes verwendet, um seine unsicheren Konsequenzenwerte zu den Gesamtkonsequenzen der Varianten zu aggregieren (vgl. Weibel 1978, S. 20). Wie in Kap. 9 gezeigt wurde, ist die Anwendung dieser Maxime jedoch nicht unproblematisch. 5. Eine weitere Annahme besteht darin, dass ausschließlich Probleme mit den zwei Varianten „etwas tun oder nichts tun“ betrachtet werden (vgl. Weibel 1978, S. 21). 6. Schließlich verzichtet Bayes darauf, die Zeitdimension in seine Überlegungen einzubeziehen. Er klammert damit die aus praktischer Sicht wichtige Frage der Auswirkungen eines Hinausschiebens der Entscheidung aus. Der von Bayes verfolgte Weg zur Lösung des Informationsbeschaffungsproblems besteht in der Berechnung des Erwartungswertes bei Informationsbeschaffung und in ihrem Vergleich mit dem bereits bekannten Erwartungswert der besten Variante ohne Informationsbeschaffung. Wie der Erwartungswert bei Informationsbeschaffung zu berechnen ist, wird anhand eines Beispiels von von Nitzsch (2002, S. 220 ff.) dargelegt. Bei der Darstellung wird auf die Verwendung der von Bayes eingeführten und durch von Nitzsch übernommenen speziellen Begriffe verzichtet. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wird zudem versucht, mit einem Minimum an Symbolen auszukommen. Im Beispiel steht ein Unternehmen vor der Entscheidung, ein neues Produkt einzuführen oder nicht. Die erste Abbildung zeigt die Entscheidungsmatrix des Aktors.
Kriterium, Erfolg in Mio. EUR Szenarien und Wahrscheinlichkeiten Einführung erfolgreich
Varianten (1)Produkt einführen
(2)Produkt nicht einführen
Einführung nicht erfolgreich
Wahrscheinlichkeit 0,6
Wahrscheinlichkeit 0,4
+ 200
- 50
0
0
Entscheidungsmatrix als Ausgangslage Der Maxime des Erwartungswertes zufolge sollte das Produkt eingeführt werden: Der Erwartungswert beträgt nämlich EUR 100 Mio. gegenüber dem Erwartungswert Null bei Verzicht auf die Einführung.
124
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen
Da bei Produkteinführung mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,4 ein Verlust von 50 Mio. e eintritt, nimmt der Aktor bei einer Produkteinführung ein nicht unerhebliches Risiko auf sich. Dies kann ihn dazu veranlassen, zusätzliche Informationen zu beschaffen und damit das in der Entscheidung steckende Risiko zu reduzieren. Im Beispiel hat der Aktor die Möglichkeit, für EUR 2 Mio. eine Studie erstellen zu lassen. Sie wird die Einführung empfehlen oder davon abraten. Bezüglich der Treffsicherheit einer solchen Studie weiß der Aktor folgendes (vgl. von Nitzsch 2002, S. 220): • Eine erfolgreiche Einführung kann mit 90 % Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden. Lediglich in 10 % der erfolgreichen Einführungen rät die Studie davon ab. • Eine nicht erfolgreiche Einführung lässt sich sogar mit 95 % Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Nur in 5 % der nicht erfolgreichen Einführungen empfiehlt die Studie die Einführung. Der Aktor hat damit zum heutigen Zeitpunkt neu drei Varianten: (1) Er kann die Produkteinführung beschließen. (2) Er kann auf eine Produkteinführung verzichten. (3) Er kann die Sachentscheidung vertagen und vorerst die Studie in Auftrag geben. Falls er die Variante (3) wählt, wird er nach Vorliegen der Studie und damit auf der Basis eines besseren Informationsstandes zwischen den Varianten (1) und (2) wählen. Die zweite Abbildung zeigt den Entscheidungsbaum des um die Marktstudie erweiterten Entscheidungsproblems. Die Abbildung gibt nicht nur einen Überblick über die Problemstruktur, sondern auch über die vorhandenen und noch fehlenden Informationen. Wie der Entscheidungsbaum zeigt, fehlt insbesondere der zur Entscheidung notwendige Erwartungswert der Studie. Dieser wiederum lässt sich nur berechnen, wenn die noch fehlenden Wahrscheinlichkeiten ermittelt werden können. Die Wahrscheinlichkeiten, dass die Marktstudie die Produkteinführung empfiehlt resp. von der Produkteinführung abrät, lassen sich wie folgt ermitteln: • Der Aktor weiß, dass die Produkteinführung mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,6 erfolgreich und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,4 nicht erfolgreich ist. • Der Aktor weiß ferner, dass die Studie mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,9 eine erfolgreiche und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,95 eine nicht erfolgreiche Produkteinführung prognostizieren kann. • Diese beiden Informationen werden nun miteinander verknüpft. Wie die dritte Abbildung zeigt, wird die Studie mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,56 die Produkteinführung empfehlen und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,44 davon abraten.
11.2
Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen Erfolg K = 200 p = 0,6 (1)Einführung EW = 100 Misserfolg K = - 50 p = 0,4
(2)Keine Einführung EW = 0
Erfolg K = +198 p=? Einführung EW = ? Misserfolg K = - 52 p=?
Empfehlung K=? P=? Keine Einführung EW = -2 (3)Studie EW = ?
Erfolg K = +198 p=? Einführung EW = ? Misserfolg K = - 52 p=?
Ablehnung K=? P=?
= Entscheidungsknoten = Zufallsknoten K= Konsequenzwert EW = Erwartungswert p= Wahrscheinlichkeit ? = Informationslücke
Keine Einführung EW = -2
Entscheidungsbaum mit Informationslücken (In Anlehnung an von Nitzsch 2002, S. 221)
125
126
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen Produkte- Einführung einführung erfolgreich Marktstudie Studie empfiehlt Einführung Studie rät von Einführung ab
Summe
Liegt richtig 0,9 0,6 x 0,9 = 0,54 Liegt falsch 0,1 0,6 x 0,1 = 0,06
Einführung nicht Summe erfolgreich
Liegt falsch 0,05 0,4 x 0,05 = 0,02 Liegt richtig 0,95 0,4 x 0,95 = 0,38
11 0,6
0,56 0,44 -
0,4
1
Alle Zahlen = Wahrscheinlichkeiten
Berechnung der Wahrscheinlichkeiten empfehlender und ablehnender Studien (In Anlehnung an von Nitzsch 2002, S. 222) Damit sich der Erwartungswert der Studie berechnen lässt, sind nun noch vier weitere Wahrscheinlichkeiten zu berechnen: • Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Produkteinführung auf der Basis empfehlenden Studie. • Wahrscheinlichkeit einer nicht erfolgreichen Produkteinführung auf der einer empfehlenden Studie. • Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Produkteinführung auf der Basis ablehnenden Studie. • Wahrscheinlichkeit einer nicht erfolgreichen Produkteinführung auf der einer ablehnenden Studie.
einer Basis einer Basis
Wie die vierte Abbildung zeigt, erfolgt die Berechnung dieser vier Wahrscheinlichkeitswerte, indem je die in ihrem Urteil richtigen und falschen Studien zu allen empfehlenden resp. abratenden Studien in Relation gesetzt werden (vgl. von Nitzsch 2002, S. 222).
11.2
Empfehlungen für Informationsbeschaffungsentscheidungen Produkte- Einführung einführung erfolgreich
Einführung nicht Summe erfolgreich
Marktstudie Studie empfiehlt Einführung
0,54
0,02
0,56
0,54 ÷ 0,56 = 0,964
0,02 ÷ 0,56 = 0,036
1
Studie rät von Einführung ab
0,060,38 0,06 ÷ 0,44 = 0,136
Summe
127
0,44 0,38 ÷ 0,44 = 0,864
1
0,60,4
1
--
-
Alle Zahlen = Wahrscheinlichkeiten
Berechnung der Wahrscheinlichkeiten erfolgreicher und nicht erfolgreicher Produkteinführungen bei empfehlenden und ablehnenden Studien (In Anlehnung an von Nitzsch 2002, S. 222) Auf der Basis der ermittelten Wahrscheinlichkeitswerte lässt sich nun der Entscheidungsbaum von rechts nach links durchrechnen. Wie die fünfte Abbildung zeigt, ergibt sich für den Fall, dass die Studie eine Produkteinführung empfiehlt, ein Erwartungswert für die Produkteinführung von EUR 189 Mio. gegenüber einem Erwartungswert von EUR −2 Mio. bei einem Verzicht auf die Markteinführung. Der Aktor wird also in diesem Fall das Produkt einführen. Rät die Studie hingegen von einer Produkteinführung ab, ist der Erwartungswert EUR -18 Mio., wenn die Produkteinführung trotzdem erfolgt. Dieser erwartete Verlust steht EUR −2 Mio. Erwartungswert bei einem Einführungsverzicht gegenüber. Der Aktor wird folglich in dieser Situation auf eine Produkteinführung verzichten. Auf der Basis einer Produkteinführung bei empfehlender Studie und eines Einführungsverzichtes bei einer abratenden Studie kann nun der Erwartungswert der Studie selber berechnet werden: EUR 189 Mio. · 0,56 + (EUR − 2 Mio.) · 0,44 = EUR 105 Mio. Es lohnt sich somit für den Aktor, EUR 2 Mio. in die Studie zu investieren und die Entscheidung über die Produkteinführung erst auf der Basis des Studienresultates zu fällen (vgl. von Nitzsch 2002, S. 223). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bayes einen Ansatz entwickelt hat, mit dem im Risikofall unter Beachtung der eingangs dargestellten Anwendungsvoraussetzungen der Erwartungswert von Informationsbeschaffungsmaßnahmen ermittelt werden kann. Der Ansatz basiert dabei auf der Annahme, dass der Aktor die Verlässlichkeit der allenfalls zu beschaffenden Informationen in Form von Wahrscheinlichkeiten abschätzen kann (vgl. von Nitzsch 2002, S. 227 ff.).
128
11 Informationsbeschaffungsentscheidungen
Erfolg K = 200 p = 0,6 (1) Einführung EW = 100 Misserfolg K = -50 p = 0,4
(2) Keine Einführung EW = 0
Erfolg K = +198 p = 0,964 Einführung EW = 189 Misserfolg K = -52 p = 0,036
Empfehlung K = 189 P = 0,56 Keine Einführung EW = -2
(3) Studie EW = 105
Erfolg K = +198 p = 0,136 Einführung EW = -18 Misserfolg K = -52 p = 0,864
Ablehnung K = -2 P = 0,44
= Entscheidungsknoten = Zufallsknoten K = Konsequenzwert EW = Erwartungswert p = Wahrscheinlichkeit ? = Informationslücke
Keine Einführung EW = -2
Vollständiger Entscheidungsbaum (In Anlehnung an von Nitzsch 2002, S. 223)
Literatur Kühn R, Kreuzer M (2006) Marktforschung. Haupt, Bern von Nitzsch R (2002) Entscheidungslehre: wie Menschen entscheiden und wie sie entscheiden sollten. Schäffer-Poeschel, Stuttgart Weibel B (1978) Bayes’sche Entscheidungstheorie. Haupt, Bern
Kollektiventscheidungen
12.1
12
Kollektiventscheidungen und ihre Bedeutung in Unternehmen
Unter dem Begriff der Kollektiventscheidung werden sehr unterschiedliche Phänomene zusammengefasst. Sie lassen sich in Anlehnung an Brauchlin (1990, S. 250 ff.) und von Nitzsch (2002, S. 61) anhand von drei Kriterien in Kategorien unterteilen. Abb. 12.1 zeigt diese Morphologie der Kollektiventscheidung. Wie die Abbildung ebenfalls zeigt, stehen bei Kollektiventscheidungen in Unternehmen drei Ausprägungen im Vordergrund: • Kollektiventscheidungen in Unternehmen befassen sich mit Gruppen von drei bis ca. 20 Personen. • Es handelt sich bei den hier interessierenden Gruppen um formell gebildete Kollektive mit einer klaren Zuordnung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Das Spektrum solcher formeller Gruppen ist sehr breit: Es kann sich dabei beispielsweise um einen Verwaltungsrat, eine Konzernleitung, eine Spartenleitung, einen Lenkungsausschuss eines Projektes oder eine Kommission handeln. • Bezüglich der Zielsysteme der Gruppenmitglieder wird von einer Übereinstimmung in den wesentlichsten Punkten ausgegangen. Hingegen wird keine realitätsferne vollständige Deckungsgleichheit der Sollvorstellungen angenommen. Es werden vielmehr Differenzen in einzelnen Zielen und Unterschiede in der Interpretation und Gewichtung einzelner Ziele zugelassen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_12
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130
12 Kollektiventscheidungen
Dimensionen
Ausprägungen
Zahl der beteiligten Personen
Dyade; 2 Personen
Art des Kollektivs
Formelles Kollektiv
Zielvorstellungen
Völlig übereinstimmend
Gruppe; 3 bis ca. 20 Personen
Organisierte Gebilde; ca. 20 bis mehrere Mio. Personen
Informelles Kollektiv
In den wesentlichsten Punkten übereinstimmend
In einzelnen wesentlichen Punkten divergierend
Völlig divergierend
für Kollektiventscheidungen im hier verstandenen Sinn wesentlich
Abb. 12.1 Dimensionen und Ausprägungen von Kollektiventscheidungen. (In Anlehnung an Brauchlin 1990, S. 250 ff.; von Nitzsch 2002, S. 61)
In den vergangenen Jahrzehnten ist in Unternehmen eine Tendenz zu Kollektiventscheidungen zu beobachten. Hinter diesem Phänomen stehen verschiedene Ursachen: • Die Konzentration in der Wirtschaft führt dazu, dass es immer weniger Unternehmen gibt, die einem Einzelnen gehören und in denen dann folglich ein Einzelner „das Sagen hat“. Existieren mehrere wichtige Eigentümergruppen, so sind diese meist im Verwaltungsrat vertreten und damit an den wesentlichen Entscheidungen beteiligt. Handelt es sich um eine Publikumsgesellschaft, wählt die Generalversammlung einen Verwaltungsrat, der oft nicht nur die Eigentümer, sondern auch andere Stakeholder der Gesellschaft repräsentiert. • Es besteht auch in Unternehmen ein zunehmender „Wunsch, einer Vielzahl von Personen die Möglichkeit zu gewähren, sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen“ (Brauchlin 1990, S. 154). Dieser Wunsch ist letztlich Ausfluss der politischen Idee der Demokratie. • Der Wunsch eines Einzelnen, an einer Entscheidung beteiligt zu sein, kann oft auf Prestigestreben zurückgeführt werden. Zudem wird durch die Beteiligung am Entscheidungsprozess die Möglichkeit geboten, den eigenen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. Brauchlin 1990, S. 254). • Die zunehmende Verbreitung von Kollektiventscheidungen in der Wirtschaft wird zudem häufig damit begründet, dass sie zu besseren Entscheidungen führen würden. Ob dies zutrifft, ist allerdings fraglich. Entscheidungsgremien haben gegenüber Einzelpersonen nicht nur Vorteile, sondern auch gewichtige Nachteile.
12.2
12.2
Besonderheiten von Kollektiventscheidungen
131
Besonderheiten von Kollektiventscheidungen
12.2.1 Unterschiedliche Ziele und Einschätzungen der Situation durch die Gruppenmitglieder Kollektiventscheidungen sind schwieriger zu treffen als Einzelentscheide, weil die einzelnen Mitglieder des Kollektivs normalerweise unterschiedliche Ziele verfolgen und wichtige Merkmale der Entscheidungssituation anders einschätzen (vgl. Eisenhardt und Zbaracki 1992, S. 27). Die Unterschiede bezüglich der verfolgten Ziele können aus Sicht der Autoren aus folgenden Differenzen bestehen: • Es werden nicht alle Ziele der Gruppe von allen Mitgliedern verfolgt. • Die Vorstellungen bezüglich des konkreten Inhalts eines Ziels sind nicht deckungsgleich. • Es gibt Widersprüche in der Gewichtung der verfolgten Ziele. Neben unterschiedlichen Zielen existieren normalerweise auch Differenzen zwischen den Gruppenmitgliedern bezüglich der Einschätzung wichtiger Merkmale der Entscheidungssituation. Nach Meinung der Verfasser bestehen insbesondere häufig Differenzen bezüglich der denkbaren Umfeldszenarien und ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten sowie bezüglich der möglichen Lösungsvarianten und ihrer konkreten Ausgestaltung.
12.2.2 Unterschiedliches Entscheidungsverhalten von Gruppen als von Einzelpersonen Die Übertragung von Entscheidungen an Gruppen führt zu einem anderen Entscheidungsverhalten als es Einzelpersonen zeigen. Da es sich bei Gruppenentscheidungen um ein vielschichtiges Phänomen handelt und empirische Untersuchungen sich auf Einzelaspekte konzentrieren, ist es schwierig, einen Überblick über die Auswirkungen von Kollektiventscheidungen zu geben. Abb. 12.2 versucht trotzdem, diese Übersicht zu schaffen. Die Verfasser sind sich jedoch bewusst, dass ihre Darstellung unvollständig bleibt und zudem jede der aufgeführten Ursache-Wirkungs-Beziehungen kontrovers diskutiert werden kann. Es ist empirisch belegt, dass Mitglieder einer Gruppe nach Konformität streben. Die Gruppenmitglieder sind dafür bereit, ihre Wertvorstellungen und Zielsetzungen anzupassen. Wenn die Harmonie in der Gruppe einem Gruppenmitglied extrem wichtig erscheint, kann es sogar vorkommen, dass es mehr oder weniger bewusst Fakten übersieht oder verfälscht. Vertiefungsfenster 12.1 stellt ein Experiment von Asch vor, das die erstaunliche Tatsache belegt, dass nicht nur Werte und Ziele, sondern auch Fakten der Gruppenkonformität geopfert werden (vgl. von Nitzsch 2002, S. 63).
132
12 Kollektiventscheidungen
Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer Entscheidungsgruppe
Streben des Einzelnen nach Konformität
Einschränkung der Wahrnehmung des Einzelnen
Abnahme des Verantwortungsbewusstseins des Einzelnen
Zunahme der Risikobereitschaft des Einzelnen
Veränderung, meist Abnahme der Motivation des Einzelnen
Tendenz zur Verschlechterung von Gruppenentscheidungen im Vergleich zu Einzelentscheidungen = Ursache -Wirkungs -Beziehung
Abb. 12.2 Tendenziell schlechtere Entscheidungen einer Gruppe gegenüber einem Einzelnen
12.2
Besonderheiten von Kollektiventscheidungen
133
Vertiefungsfenster 12.1: Experiment von Asch zum Konformitätsstreben von Gruppenmitgliedern
Text basiert auf von Nitzsch (2002, S. 63 f.) Im Experiment von Asch (1955, S. 31 ff.) mussten Testpersonen die Länge einer vorgegebenen Linie mit der Länge von drei Referenzlinien A, B und C vergleichen und angeben, welcher der drei Vergleichslinien sie entspricht. Da sich die drei Vergleichslinien in ihrer Länge klar unterschieden, war die Aufgabe einfach zu lösen und ergab in den Einzeltests eine Fehlerquote von nur 0,7%. Anschließend wurden die Testpersonen in Gruppen von sieben Personen integriert. Die Testperson saß jeweilen an sechster Stelle und die Urteile wurden offen kommuniziert. Auf sechs Durchgänge, in denen die Komplizen der Übungsleitung die richtige Antwort gaben, folgten zwölf Durchgänge, in denen sie alle die gleiche falsche Referenzlinie nannten. Obschon die Aufgabe im Gruppenrahmen immer noch genau gleich einfach zu lösen gewesen wäre, stieg die Quote der falschen Antworten auf 37 % und 75 % der Testpersonen machten mindestens einmal einen Fehler.
Das Streben nach Konformität betrifft meistens nur die Äußerungen und das Verhalten, nicht jedoch die Einstellungen und das Denken. In diesem Fall wird von Compliance gesprochen. Es ist aber denkbar, dass die Gruppe langfristig sogar Einstellungen und Denken ändert und damit eine Akzeptanz (= Acceptance) der Gruppennormen durch die einzelnen Mitglieder entsteht (vgl. von Nitzsch 2002, S. 63 f.). Die Gruppenzugehörigkeit führt nicht nur zum Wunsch nach Homogenität, sondern ergibt auch Veränderungen im Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Gruppenmitglieds. Der Einzelne kann sich hinter der Gruppe verstecken. „Die Gruppensituation führt zu diffusen Verantwortlichkeiten. Das einzelne Gruppenmitglied fühlt sich nicht alleinverantwortlich, sondern lediglich mitverantwortlich“ (Brauchlin 1990, S. 261). Eine dritte Auswirkung der Gruppe besteht in Einschränkungen der Wahrnehmung der Realität der Entscheidungssituation durch die Gruppenmitglieder. Dieses für die Entscheidungsfindung unter Umständen fatale Phänomen hat im Wesentlichen drei Gründe (vgl. von Nitzsch 2002, S. 75 f.): • Das bereits diskutierte Streben nach Konformität führt dazu, dass gewisse unangenehme Fakten gar nicht vorgebracht werden. Damit wird der Informationsstand der Entscheidungsträger tiefer gehalten als er sein könnte. Besonders schlimm ist dabei die Tatsache, dass im Lagebild die negativen Elemente fehlen und es oft gerade diese sind, welche die Entscheidung maßgeblich beeinflussen würden. • Das Konformitätsstreben führt zudem dazu, dass in Gruppendiskussionen zustimmende Voten überwiegen. Dies wiederum ergibt eine zu große Selbstsicherheit der Gruppenmitglieder. Der Einzelne geht davon aus, dass sich „so viele Menschen nicht irren können“ (von Nitzsch 2002, S. 75).
134
12 Kollektiventscheidungen
• Schließlich „neigen Gruppenmitglieder dazu, Aussagen von Personen aus der eigenen Gruppe höher zu bewerten als von Personen außerhalb der Gruppe. Dieser Ingroup-Bias verhindert sozusagen automatisch die Wahrnehmung nicht gruppenkonformer, dissonanter Meinungen“ (von Nitzsch 2002, S. 75). Eine vierte Konsequenz von Gruppenentscheidungen ist eine höhere Risikobereitschaft. Dieser Risk-Shift-Effect ist einerseits das Resultat der Gruppenverantwortung an Stelle von Einzelverantwortungen. Andererseits haben die Personen mit einer hohen Risikoneigung in der Diskussion in der Regel ein größeres Gewicht als die risikoscheuen Gruppenmitglieder (vgl. Brauchlin 1990, S. 261; von Nitzsch 2002, S. 75). Schließlich beeinflusst die Gruppe die Motivation der Gruppenmitglieder (vgl. von Nitzsch 2002, S. 67 ff.). • Eine hohe Kohäsion der Gruppe kann anspornend wirken und damit die Motivation des Einzelnen steigern. • Häufiger ist jedoch das Gegenteil: Unbewusst oder bewusst wird die Motivation aufgrund der Gruppenzugehörigkeit reduziert. Die Kollektivverantwortung führt dazu, dass die Gruppenmitglieder unbewusst ihre Einsatzbereitschaft reduzieren. Dieses Phänomen wird als soziales Faulenzen (social Loafing) bezeichnet. Einzelne Gruppenmitglieder können sich jedoch auch bewusst wie Trittbrettfahrer verhalten und die anderen arbeiten lassen. Dieses als free Riding bezeichnete Verhalten kann langfristig die Motivation der anderen Gruppenmitglieder negativ beeinflussen: Um nicht ausgenutzt zu werden, können die anderen Mitglieder ihre Anstrengungen nämlich auch bewusst reduzieren und damit einen sogenannten Sucker-Effect zeigen. Im Zusammenhang mit dem Entscheidungsverhalten von Gruppen stellt der Zusammenbruch der Swissair ein interessantes Beispiel dar. Die im Anschluss vorgenommenen Analysen zeigen, dass das Entscheidungsverhalten des Verwaltungsrates einen wesentlichen Einfluss auf die negative Entwicklung des Konzerns ausgeübt hat: • Unangenehme Fragen stellen und abweichende Auffassungen äußern war offensichtlich verpönt und deshalb unüblich. • Die Tatsache, dass mehrere Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen wie zum Beispiel dem Kauf der LTU abwesend waren oder die Sitzung vorzeitig verließen, zeigt, dass sich einzelne Verwaltungsratsmitglieder nur beschränkt persönlich verantwortlich fühlten. • Ungenügende Informationen über die mit einer Akquisition verbundenen Verpflichtungen zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden von den Untersuchungsbehörden mehrfach belegt. Aber auch über die effektiven Rückflüsse der Akquisitionen im Vergleich zu den Planzahlen wurde der Verwaltungsrat nicht genügend informiert.
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
135
• Dass die verfolgte Hunter-Strategie risikoreich war, ist im Nachhinein offensichtlich geworden. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die vergleichsweise hohe Risikobereitschaft des Swissair-Verwaltungsrates auf den für Kollektiventscheidungen typischen „Risk-Shift-Effect“ zurückzuführen ist. • Die Motivation und das Involvement der Verwaltungsratsmitglieder sind im Nachhinein schwer zu beurteilen. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass diesbezüglich große Unterschiede bestanden. Es stellt sich zum Schluss des Unterabschnittes die schwierige Frage, was getan werden kann, um die negativen Effekte der Gruppe auf das Entscheidungsverhalten möglichst einzudämmen. Die Verfasser sehen zwei Ansatzpunkte: • Es muss sichergestellt werden, dass alle Fakten auf den Tisch kommen. Neben der Entwicklung einer Kultur, die abweichende Auffassungen zulässt, kann dies auch durch „Spielregeln“ gefördert werden. So kann beispielsweise eingeführt werden, dass sich die Gruppenmitglieder vor der Sitzung zu gewissen Fragen äußern oder dass sie vor Sitzungsbeginn Probleme nennen müssen, die diskutiert werden sollten. • Das Verantwortungsbewusstsein der einzelnen Gruppenmitglieder ist möglichst zu verstärken. Dies kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass protokolliert wird, wer was gestimmt hat. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Gruppe bestimmte Entscheidungsprobleme an Untergruppen oder sogar an Einzelmitglieder delegiert.
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
12.3.1 Unterschiedliche individuelle Präferenzordnungen als Ausgangspunkt Die nachfolgend vorgestellten Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen betreffen nur den letzten Schritt im Entscheidungsprozess, in welchem die beste Variante gewählt wird. Sie kommen zudem nur zur Anwendung, wenn die Gruppe sich in den vorangehenden Phasen des Entscheidungsprozesses nicht gefunden hat. Das Konformitätsstreben der Gruppenmitglieder führt dazu, dass sich Gruppen normalerweise im Laufe der Bearbeitung des Entscheidungsproblems auf eine Variante einigen und damit keine Schlussabstimmung mehr notwendig ist. Nur in einer Minderheit der Fälle besitzen die Gruppenmitglieder von Beginn weg unterschiedliche Präferenzen oder entwickeln solche während der gemeinsamen Problembearbeitung. Sie bilden den Ausgangspunkt der nachfolgend vorgestellten Regeln zum Treffen kollektiver Entscheidungen. Der Abschnitt setzt sich somit mit einem Problem auseinander, das in der Unternehmenspraxis nicht häufig vorkommt. Wenn es jedoch auftritt, hat es eine große Tragweite. Es ist nämlich nicht nur wichtig, dass die Gruppe bezüglich des Problems zu einer klaren und guten Entscheidung kommt. Von der Art und Weise, wie die Entscheidung getroffen wird, hängt oft auch das weitere Einvernehmen der Gruppe ab.
136
12 Kollektiventscheidungen
Die Präferenzordnung eines Mitglieds ist die Reihenfolge in welcher es die Varianten wählen würde, wenn es allein entscheiden könnte. Besitzt die Gruppe die zwei Varianten a und b, kann das Mitglied X • a gegenüber b vorziehen. • b gegenüber a vorziehen. • a und b als gleichwertig ansehen. Das Gruppenmitglied X hat somit zwischen drei möglichen Präferenzordnungen zu wählen. Stehen der Gruppe jedoch drei verschiedene Varianten offen, ergeben sich bereits 13 mögliche Präferenzordnungen, zwischen denen das Mitglied X wählen muss (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 25 ff.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 192 f.). Besteht das Entscheidungsgremium aus drei Mitgliedern X, Y und Z, so bestehen bei zwei Varianten bereits 27 mögliche Entscheidungskonstellationen resp. 27 mögliche Präferenzordnungsprofile: • X, Y und Z können a gegenüber b vorziehen. • X und Y können a gegenüber b vorziehen, während Z b gegenüber a vorzieht. • etc. Bei drei Entscheidungsvarianten a, b und c und drei Gruppenmitgliedern steigt die Zahl der denkbaren Entscheidungskonstellationen auf 133 und die der Präferenzordnungsprofile auf 2197 (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 252; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 193 f.). Ausgangspunkt jeder Kollektiventscheidung sind die individuellen Präferenzordnungen der Gruppenmitglieder resp. das sogenannte Präferenzordnungsprofil der Gruppe. In der Kollektiventscheidung geht es nun darum, aus den individuellen Präferenzordnungen der Gruppenmitglieder eine kollektive Präferenzordnung der Gruppe zu machen oder zumindest die aus Sicht der Gruppe beste Variante zu bestimmen. Dazu bedarf es Regeln. Bevor jedoch mit der Präsentation möglicher solcher Regeln begonnen wird, werden zuerst die Anforderungen definiert, denen diese Regeln vernünftigerweise genügen sollten.
12.3.2 Anforderungen an Regeln zur Bildung kollektiver Präferenzordnungen Arrow definiert vier Anforderungen, die ein vernünftiges und demokratisches Regelsystem zur Aggregation der individuellen Präferenzordnungen zur kollektiven Präferenzordnung erfüllen sollte (vgl. Arrow 1963, S. 22 ff.; Bamberg und Coenenberg 2002, S. 255 ff.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 198 f.): 1. Das Regelsystem sollte für jede denkbare Konstellation von individuellen Präferenzordnungen resp. für jedes denkbare Präferenzordnungsprofil eine kollektive
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
137
Präferenzordnung ergeben. Wie gezeigt wurde, existieren bei drei Gruppenmitgliedern, die über drei Varianten zu entscheiden haben, bereits 2197 mögliche Präferenzordnungsprofile. Die erste Anforderung besagt nun, dass ein Regelsystem für jedes dieser Profile eine kollektive Präferenzordnung ergeben muss. 2. Die zweite Anforderung besteht darin, dass die Bevorzugung einer Variante a gegenüber einer Variante b durch alle Gruppenmitglieder zu einer kollektiven Präferenzordnung führen muss, die ebenfalls a gegenüber b vorzieht. 3. Die dritte Forderung von Arrow besagt, dass wenn zwei Präferenzordnungsprofile in Bezug auf zwei Varianten a und b übereinstimmen, auch die beiden kollektiven Präferenzordnungen in Bezug auf a und b übereinstimmen müssen. Dies bedeutet, dass irgendwelche anderen Unterschiede der Präferenzordnungsprofile keinen Einfluss auf die Rangierung von a und b in den beiden kollektiven Präferenzordnungen haben dürfen. Vertiefungsfenster 12.2 enthält ein Beispiel zu dieser etwas schwer verständlichen Anforderung der sogenannten Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten. 4. Schließlich untersagt die vierte Anforderung die Diktatur durch ein einzelnes Mitglied. Wenn jede Präferenz des Mitgliedes X automatisch auch Bestandteil der kollektiven Präferenzordnung würde, hätte X eine diktatorische Stellung. Die Präferenzen der anderen Gruppenmitglieder würden unter dieser Bedingung nur noch bezüglich der Varianten eine Rolle spielen, bei denen X indifferent ist. Es ist einleuchtend, dass alle vier Anforderungen gleichzeitig erfüllt sein sollten, damit ein Aggregationsmechansimus vernünftig und demokratisch ist. Es ist nun aber Arrow – unterstützt durch die Beiträge anderer Forscher – der Nachweis gelungen, dass nur für den Spezialfall von zwei Varianten ein Aggregationsmechanismus existiert, der alle vier Forderungen gleichzeitig erfüllt. Der Aggregationsmechanismus für diesen Spezialfall ist zudem sehr einfach; es handelt sich nämlich um die Mehrheitsentscheidung. Stehen hingegen drei oder mehr Varianten zur Auswahl, gibt es keinen Aggregationsmechanismus, der alle vier vernünftigen und demokratischen Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen vermag (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 257 f.).
Vertiefungsfenster 12.2: Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten als Anforderung an Regelsysteme zur Bildung kollektiver Präferenzordnungen
Text basiert auf Bamberg und Coenenberg (2002, S. 256 f.) Die Forderung der Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten (Independence of irrelevant alternatives) bedeutet, dass wenn zwei Präferenzordnungsprofile in Bezug auf zwei Varianten übereinstimmen, auch die beiden kollektiven Präferenzordnungen in Bezug auf die zwei Varianten übereinstimmen müssen. Unterschiedliche Präferenzen der beiden Präferenzordnungsprofile in Bezug auf andere Varianten dürfen daran nichts ändern.
138
12 Kollektiventscheidungen
Die folgende Abbildung zeigt zwei Präferenzordnungsprofile von je drei Personen in Bezug auf drei Varianten a, b und c. Wie der Abbildung entnommen werden kann, stimmen die beiden Präferenzordnungsprofile in Bezug auf die Varianten a und b überein: Je zwei Gruppenmitglieder bevorzugen a gegenüber b, während das dritte Gruppenmitglied b gegenüber a vorzieht.
Präferenz- 1. Präferenzordnungs- ordnungsprofil profile Individuelle X Y Z Präferenzordnungen
2. Präferenzordnungsprofil U
V
W
1. Präferenz
a
a
c
c
c
b
2. Präferenz
b
b
b
a
a
a
3. Präferenz
c
c
a
b
b
c
X, Y und Z = Mitglieder einer ersten Entscheidungsgruppe U, V und W = Mitglieder einer zweiten Entscheidungsgruppe a, b und c = Varianten
Zwei Präferenzordnungsprofile von drei Personen in Bezug auf drei Varianten (In Anlehnung an Bamberg und Coenenberg 2002, S. 156) Arrow stellt nun an das Regelsystem zur Bildung der kollektiven Präferenzordnung die Anforderung, dass die kollektiven Präferenzordnungen in beiden Fällen in Bezug auf a und b gleich sein müssen. Da in beiden Präferenzordnungsprofilen zwei der drei Gruppenmitglieder a gegenüber b vorziehen, können zum Beispiel auch die beiden kollektiven Präferenzordnungen a gegenüber b vorziehen. Da sich die drei Gruppenmitglieder in Bezug auf a und b jedoch nicht einig sind, ist auch denkbar, dass die kollektiven Präferenzordnungen eine Indifferenz von a und b enthalten. Mit der Forderung der Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten schließt Arrow aus, dass in der einen kollektiven Präferenzordnung zum Beispiel a gegenüber b bevorzugt wird und in der anderen kollektiven Präferenzordnung zum Beispiel die beiden Varianten als gleichwertig betrachtet werden.
12.3.3 Klassische Regeln zur Bildung der kollektiven Präferenzordnung oder zur Bestimmung der vom Kollektiv präferierten Variante Im vorangehenden Unterabschnitt wurde festgestellt, dass es keinen Aggregationsmechanismus gibt, der die vier Vernunft und Demokratie repräsentierenden Forderungen von Arrow
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
139
gleichzeitig erfüllt. Trotzdem existieren in Unternehmen zahlreiche Gremien, die gemeinsame Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen haben und deshalb Kollektiventscheidungen zu fällen haben. Nachfolgend werden deshalb Regelsysteme vorgestellt, die zwar nicht alle Forderungen von Arrow erfüllen, die aber trotzdem die Entscheidungsfindung in Gruppen ermöglichen. Die Regelsysteme unterscheiden sich danach, ob sie • eine kollektive Präferenzordnung der Varianten herstellen oder • bloß die von der Gruppe präferierte Variante bestimmen. Eine einfache Methode ist die einfache Mehrheit: Jedes Gruppenmitglied gibt eine Stimme ab und es wird diejenige Varianten gewählt, die am meisten Stimmen erhält. Befinden sich zwei Varianten auf Rang 1, entscheidet der Vorsitzende. Eine andere Regel für diesen Fall besteht darin, dass zuerst eine zweite Abstimmung nur über diese beiden auf Rang 1 stehenden Varianten stattfindet und erst bei erneuter Stimmengleichheit der Vorsitzende entscheidet. Die Methode der einfachen Mehrheit ist leicht verständlich und führt zu einer Entscheidung. Sie hat den Nachteil, dass sie nur die präferierte Variante ergibt und nichts über die Präferenzordnung der übrigen Alternativen sagt. Stellt sich nachträglich die ausgewählte Variante als nicht realisierbar heraus, muss die Abstimmung wiederholt werden. Selbstverständlich ist es auch denkbar, die absolute Mehrheit oder sogar Einstimmigkeit zu verlangen. Dies hat jedoch den Nachteil, dass oft keine Entscheidung getroffen werden kann und das Problem vertagt wird. Es ist deshalb in Unternehmen unüblich, die absolute Mehrheit oder Einstimmigkeit zu verlangen. Um aber Zufallsentscheidungen zu verhindern, kann jedoch bei Abstimmungen und Wahlen ein bestimmtes Anwesenheitsquorum verlangt werden. Einen anders gearteten Vorschlag unterbreitet Borda. Er schlägt vor, dass jedes Mitglied der Gruppe der schlechtesten Variante einen Punkt, der zweitschlechtesten Variante zwei Punkte usw. gibt. Bei fünf Varianten würden die Mitglieder der Gruppe ihrer präferierten Variante somit fünf Punkte geben. Die kollektive Präferenzordnung lässt sich nun ermitteln, indem von jeder Variante die Punkte addiert werden und die Varianten nach ihren Punktezahlen geordnet werden (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 263 f.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 195 f.). Das Vorgehen ist einfach und bestimmt nicht nur die beste Variante, sondern ergibt eine Präferenzordnung. Es ist deshalb eigentlich verwunderlich, dass es in Unternehmen nicht häufiger zur Anwendung gelangt. Wiederum ein anderer, in der Praxis häufig beschrittener Weg ist der Paarvergleich. Er beginnt mit der Gegenüberstellung von zwei Varianten. Die siegreiche Variante wird einer dritten Variante gegenübergestellt usw. Gewählt ist diejenige Variante, die in der letzten Abstimmung siegt (vgl. Bamberg und Coenenberg 2002, S. 265 f.; Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 196).
140
12 Kollektiventscheidungen
Falls eine Variante existiert, die aus Sicht einer Mehrheit der Entscheidungsgruppe allen anderen Varianten überlegen ist, wird diese beim Paarvergleich auch siegen. Falls jedoch keine solche absolut überlegene Variante existiert, hängt es vom Zufall resp. vom Vorsitzenden ab, welche Variante gewählt wird. Dies wurde bereits vor über 200 Jahren durch Condorcet entdeckt. Vertiefungsfenster 12.3 beschreibt dieses sogenannte Wählerparadoxon nach Condorcet.
Vertiefungsfenster 12.3: Wählerparadoxon nach Condorcet
Text basiert auf Bamberg und Coenenberg (2002, S. 253 ff.) Die folgende Abbildung zeigt das dem Wählerparadoxon zugrunde liegende Präferenzordnungsprofil von drei Personen in Bezug auf drei Varianten. Wie der Abbildung entnommen werden kann • bevorzugen X und Z die Variante a gegenüber der Variante b, • bevorzugen X und Y die Variante b gegenüber der Variante c und • bevorzugen Y und Z die Variante c gegenüber der Variante a. Wird nun zuerst zwischen a und b abgestimmt, siegt a. Diese Variante wird anschließend gegenüber c unterliegen, womit c gewählt
Individuen X Individuelle Präferenzordnungen
Y
Z
1. Präferenz
a
b
c
b
c
c
a
2. Präferenz 3. Präferenz
a b
X, Y und Z = Mitglieder der Entscheidungsgruppe a, b und c = Varianten
Das dem Wählerparadoxon von Condorcet zugrunde liegende Präferenzordnungsprofil ist. Wird jedoch zuerst zwischen b und c gewählt, wird b bevorzugt. Anschließend wird b gegenüber a unterliegen und a ist gewählt. Möchte der Vorsitzende jedoch, dass die Variante b siegt, muss er den ersten Paarvergleich zwischen a und c durchführen. In diesem Paarvergleich wird nämlich c siegen, das anschließend gegenüber b unterliegt.
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
141
Die Schlussfolgerung aus dem Wählerparadoxon von Condorcet ist einfach: Falls keine absolut überlegene Variante besteht, ist es Zufall oder in der Macht des Vorsitzenden, welche Variante gewählt wird. Werden die Varianten, die im Paarvergleich zur Abstimmung gelangen ausgelost, so ist die siegreiche Variante ein Zufallsresultat. Kann der Vorsitzende die Reihenfolge bestimmen, wird die von ihm präferierte Variante siegen, falls er die Präferenzen der Gruppenmitglieder kennt und die Abstimmungsreihenfolge richtig ansetzt.
12.3.4 Komplexere Verfahren zur Bildung der kollektiven Präferenzordnung Zum Schluss werden zwei komplexere Ansätze zur Bildung einer kollektiven Präferenzordnung vorgestellt. Es handelt sich zum einen um den Ansatz der Präferenzintensitäten von Blin und Whinston (1974, S. 28 ff.) und zum anderen um den Analytischen Hierarchischen Prozess von Saaty (vgl. z. B. 1980). Der Vorschlag von Blin und Whinston (1974, S. 28 ff.) ermittelt auf der Basis der individuellen Präferenzordnungen die sogenannten Präferenzintensitäten der Gruppe bezüglich der verschiedenen Varianten. Anschließend wird auf dieser Grundlage die kollektive Präferenzordnung erstellt. Vertiefungsfenster 12.4 stellt diesen auf der Fuzzy Logic basierenden Ansatz anhand eines Beispiels vor. Der Analytische Hierarchische Prozess von Saaty (vgl. z. B. 1980) stellt eine Methodik dar, die es erlaubt, komplexe Entscheidungssituationen zu modellieren und die Handlungsmöglichkeiten zu bewerten. Das Verfahren wurde für die Bewältigung komplexer Probleme entwickelt und ist nicht ausschließlich auf Kollektiventscheidungen ausgerichtet. Es eignet sich jedoch wegen des systematischen und in jeder Phase transparenten Vorgehens speziell gut für Kollektiventscheidungen und kommt auch häufig in Gruppenentscheidungen zur Anwendung. Vertiefungsfenster 12.5 stellt das Verfahren von Saaty vor und erläutert, weshalb es sich für Kollektiventscheidungen besonders eignet.
Vertiefungsfenster 12.4: Ansatz der Präferenzintensitäten von Blin und Whinston
Text basiert auf Rommelfanger und Eickemeier (2002, S. 207 ff.) Eine aus zehn Personen bestehende Gruppe soll vier LKW-Modelle a bis d rangieren. Die erste Abbildung zeigt das Präferenzordnungsprofil der Gruppe. Wie der ersten Abbildung entnommen werden kann, präferieren zum Beispiel alle zehn Gruppenmitglieder a gegenüber b, während nur sechs a gegenüber c präferieren. Auf dieser Art von Analyse des Präferenzordnungsprofils lässt sich nun die Matrix der Präferenzintensitäten der Gruppe gemäß der zweiten Abbildung erstellen.
142
12 Kollektiventscheidungen Individuen Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z
1. Präferenz a
d
d
d
a
c
d
d
a
d
2. Präferenz b
c
c
c
b
a
a
a
d
a
3. Präferenz d
a
a
a
d
b
c
c
c
b
4. Präferenz c
b
b
b
c
d
b
b
b
c
Präferenzen
Q, R ... Z = Mitglieder der Entscheidungsgruppe a, b, c und d = Varianten
Präferenzordnungsprofil bezüglich der vier LKW-Modelle (In Anlehnung an Rommelfanger und Eickemeier 2002, S. 210)
Wird a präferiert gegenüber
b
c
d
Variante a
-
10
6
4
b
0
-
3
3
c
4
7
-
1
c
6
7
9
-
a, b und c = Varianten
Präferenzintensitäten der Gruppe Im nächsten Schritt werden nun alle Präferenzordnungen bestimmt, die mit der höchsten Präferenzintensität kompatibel sind. Die höchste Präferenzintensität besteht von a gegenüber b mit 10:0. Damit sind noch zwölf der 24 denkbaren Präferenzordnungen kompatibel: (a > b > c > d), (a > c > d > b), (c > a > b > d), (d > a > b > c),
(a > b > d > c), (a > c > b > d), (a > d > b, > c), (a > d > c > b), (c > a > d > b), (c > d > a > b), (d > a > c > b), (d > c > a > b)
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
143
Darauf werden aus den zwölf Präferenzordnungen diejenigen ausgewählt, die auch mit der zweithöchsten Präferenzintensität kompatibel sind. Sie betrifft den Vorzug von d gegenüber c mit 9:1 und führt dazu, dass von den zwölf Präferenzordnungen sechs ausscheiden. Es bleiben folgende sechs Präferenzordnungen im Rennen: (a > b > d > c), (a > d > b > c), (a > d > c > b), (d > a > b > c), (d > a > c > b), (d > c > a > b) Die nächste Präferenzintensitätsstufe besteht mit 7:3 sowohl für c gegenüber b als auch für d gegenüber b. Bei simultaner Berücksichtigung beider Präferenzintensitäten verbleiben drei Präferenzordnungen im Rennen: (a > d > c > b), (d > a > c > b), (d > c > a > b) Auch die vierthöchste Präferenzintensitätsstufe existiert zweimal: a wird gegenüber c und d gegenüber a mit der Intensität von 6:4 bevorzugt. Da nur noch das Präferenzprofil (d > a > c > b) simultan auch diese zwei Präferenzintensitäten berücksichtigt, wird es zum Präferenzprofil der Gruppe.
144
12 Kollektiventscheidungen Präferenzordnungen
Präferenzintensitäten hinter den Präferenzordnungen
Summen der Präferenzintensitäten
a>b>c>d
10 + 6 + 4 + 3 + 3 + 1
27
a>b>d>c
10 + 4 + 6 + 3 + 3 + 9
35
a>c>b>d
6 + 10 + 4 + 7 + 1 + 3
31
a>c>d>b
6 + 4 + 10 + 1 + 7 + 7
35
a>d>b>c
4 + 10 + 6 + 7 + 9 + 3
39
a>d>c>b
4 + 6 + 10 + 9 + 7 + 7
43
b>a>c>d
0+3+3+6+4+1
17
b>a>d>c
0+3+3+4+6+9
25
b>c>a>d
3+0+3+4+1+4
15
b>c>d>a
3+3+0+1+4+6
17
b>d>a>c
3+0+3+6+9+6
27
b>d>c>a
3+3+0+9+6+4
25
c>a>b>d
4 + 7 + 1 + 10 + 4 + 3
29
c>a>d>b
4 + 1 + 7 + 4 + 10 + 7
33
c>b>a>d
7+4+1+0+3+4
19
c>b>d>a
7+1+4+3+0+6
21
c>d>a>b
1 + 4 + 7 + 6 + 7 + 10
35
c>d>b>a
1+7+4+7+6+0
25
d>a>b>c
6 + 7 + 9 + 10 + 6 + 3
41
d>a>c>b
6 + 9 + 7 + 6 + 10 + 7
45
d>b>a>c
7+6+9+0+3+6
31
d>b>c>a
7+9+6+3+0+4
29
d>c>a>b
9 + 6 + 7 + 4 + 7 + 10
43
d>c>b>a
9+7+6+7+4+0
33
Fett = von der Gruppe gewählte Präferenzordnung
Summen der Präferenzintensitäten der 24 denkbaren Präferenzordnungen Dass das Prozedere von Blin und Whinston vernünftig ist, zeigt die vorangehende Abbildung. In der Abbildung wird für alle 24 möglichen Präferenzordnungen die dahinter stehende Summe der Präferenzintensitäten ermittelt. Es zeigt sich, dass die gewählte Präferenzordnung die höchste Präferenzintensitätssumme aufweist.
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen
145
Vertiefungsfenster 12.5: Analytischer Hierarchischer Prozess von Saaty
Text basiert auf Dellmann und Grünig (1999, S. 33 ff.) Der Analytische Hierarchische Prozess (= AHP) wurde von Saaty Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre entwickelt (vgl. z. B. Saaty 1980). Der AHP stellt eine Methodik dar, „die es auf systematische Weise gestattet, auch komplexe Entscheidungssituationen zu strukturieren, und die Handlungsmöglichkeiten. zu bewerten. … Das Verfahren des AHP entstand im Rahmen der Lösung eines praktischen Problems und wurde im Laufe der … Jahre durch eine axiomatisierte Theorie untermauert. Es hat sich in den Jahren seiner Entwicklung zu einem flexibel einsetzbaren Instrument praktischer Entscheidungsunterstützung ausgebildet. In einer Vielzahl von Anwendungen … in Wirtschaft, Verwaltung und Politik sowie in vielen anderen Gebieten hat der AHP seine Feuerprobe bestanden“ (Dellmann und Grünig 1999, S. 34). Die Methode des AHP ist sowohl in Entscheidungen einzelner Personen als auch in Kollektiventscheidungen einsetzbar und wird auch in beiden Situationen tatsächlich angewendet. Die Begriffskomponenten geben Auskunft über die Merkmale der Methodik: • „Analytisch“ bezeichnet zunächst die Aufgliederung des Entscheidungsziels in Kriterien. Die zur Auswahl stehenden Varianten können sowohl in Bezug auf quantitative als auch auf qualitative Kriterien miteinander verglichen werden. Dabei erfolgen die Ermittlung von Kriteriengewichten und die Alternativenbewertung auf mathematischem Weg. • „Hierarchisch“ bezieht sich auf die Darstellungsform der Kriterien, Umfeldzustände und Alternativen. Diese sind beim AHP stets in verschiedenen hierarchischen Ebenen angeordnet. • „Prozess“ bringt zum Ausdruck, dass sich die Lösung komplexer Entscheidungsprobleme in einer systematischen Abfolge von Teilschritten vollzieht. Die AHP-Technik kann in fünf Verfahrensschritte gegliedert werden. Diese werden nachfolgend kurz beschrieben. 1. In Schritt 1 sind die Elemente des Modells festzulegen. Es geht dabei um die Definition der entscheidungsrelevanten Variablen. Hierzu zählen neben dem obersten Bewertungs- resp. Entscheidungsziel die Entscheidungskriterien, die Umfeldzustände und die Handlungsalternativen. Um eine Entscheidung zu ermöglichen, müssen mindestens zwei Varianten zur Auswahl stehen. 2. Darauf ist in Schritt 2 die Problemstruktur als Hierarchie darzustellen. Während an der Spitze der Hierarchie immer das oberste Bewertungsziel steht, befinden sich auf der untersten Hierarchiestufe stets die zu bewertenden Varianten. Auf den dazwischen liegenden Ebenen sind die Haupt- und die Subkriterien
146
12 Kollektiventscheidungen
sowie – falls notwendig – die Umfeldzustände anzuordnen. Mit Ausnahme der Hierarchiespitze umfasst jede Stufe mindestens zwei Elemente. Elemente untergeordneter Ebenen stehen dabei mit Elementen übergeordneter Ebenen in Beziehung. Die erste Abbildung zeigt eine solche Hierarchie. 3. Gegenstand von Schritt 3 bildet die Ermittlung von Prioritäten. Als Priorität wird die relative Bedeutung resp. Einflussstärke von Elementen in Bezug auf ein übergeordnetes Element bezeichnet. Prioritäten werden soweit möglich auf Ratioskalen gemessen. Bei quantitativen Daten, die nur auf einer Intervallskala gemessen werden können (z. B. Temperatur), und bei qualitativen Daten (z. B. Schönheitsempfinden) sind die Prioritäten mit Hilfe eines Paarver-gleichs zu bestimmen. Dabei werden die relativen Präferenzen, die sich durch einen paarweisen Vergleich von Elementen in Bezug auf ein übergeordnetes Element ergeben, in einer quadratischen Matrix abgebildet. Als Bewertungsgrundlage dient die sogenannte Saaty-Skala, die in der zweiten Abbildung dargestellt ist. Die Skala umfasst die Werte 1 bis 9 sowie deren Reziprokwerte. Sofern die Prioritäten mithilfe von Paarvergleichen bestimmt wurden, ist deren Konsistenz zu prüfen. Ist sie unzureichend, gilt es die Bewertung zu wiederholen. Sobald eine konsistente Paarvergleichsmatrix vorliegt, sind anschließend die Eigenvektoren dieser Matrix zu bestimmen. Dies wird durch Transformation der absoluten numerischen Werte in normalisierte Werte (d. h. die Summe der Werte entspricht 1) erreicht. Auf diese Weise können Daten unterschiedlichster Skalen miteinander verknüpft werden.
Bewertungsziel
Kriterium a
Kriterium a1
Kriterium b
Kriterium a2
Alternative 1
Beispiel für eine Hierarchie mit vier Ebenen
Alternative 2
12.3
Regeln zum Treffen von Kollektiventscheidungen Wert
Definition
Erläuterung
a
Gleiche Bedeutung
Zwei Elemente sind zur Erfüllung eines übergeordneten Kriteriums gleichbedeutend
b
Etwas höhere Ein Element wird dem anderen geringfügig Bedeutung vorgezogen
c
Wesentlich höhere Bedeutung Viel höhere Bedeutung
Ein Element wird dem anderen stark vorgezogen
Sehr viel höhere Bedeutung
Die Vorziehenswürdigkeit eines Elementes ist von grösstmöglichem Ausmass
c
c
147
Ein Element wird dem anderen sehr stark vorgezogen
Saaty-Skala (In Anlehnung an Saaty 1995, S. 73) 4. Die in Schritt 4 zu ermittelnden Overall-Prioritäten stellen das Rechenergebnis der AHP-Methode dar. Die Overall-Prioritäten bringen die relative Vorziehenswürdigkeit der Alternativen zum Ausdruck. Zu den Overall-Prioritäten gelangt man durch fortgesetztes Ausmultiplizieren und Aufsummieren der Prioritäten von der obersten zur untersten Hierarchieebene. 5. Mit der Sensitivitätsanalyse in Schritt 5 lässt sich die Stabilität der Lösung überprüfen. Dabei wird untersucht, wie stark das Ergebnis im Hinblick auf die Variation einzelner Einflussstärken reagiert. Das Verfahren von Saaty eignet sich aus drei Gründen besonders gut für Gruppenentscheidungen: • Durch die gemeinsame Modellierung des Problems in den Schritten 1 und 2 entsteht eine gemeinsame Sichtweise. Alle Gruppenmitglieder können in Schritt 1 die aus ihrer Sicht wichtigen Elemente des Problems – Varianten, Entscheidungskriterien und Umfeldzustände – einbringen. Auch die Verknüpfung der Elemente in Schritt 2 kann in der Gruppe vorgenommen werden. Allerdings ist hier die zwingende Vorschrift zu beachten, dass das oberste Bewertungsziel an der Spitze und die Varianten zuunterst angeordnet werden müssen. • Die in Schritt 3 stattfindende Festlegung der Kriteriengewichte, Bewertung der Umfeldzustände und Beurteilung der Varianten erfolgt systematisch und
148
12 Kollektiventscheidungen
transparent. Das durch die Methodik vorgeschriebene systematische Vorgehen verhindert, dass die Gruppe die Orientierung verliert. Die Transparenz bewirkt, dass die Gruppenmitglieder ihre Beurteilungen offen legen müssen und sich damit nicht hinter dem Kollektiv verstecken können. Unterschiedliche Einschätzungen können ausdiskutiert werden. Anstatt verschiedene Bewertungen zu besprechen, kann auch einfach das geometrische Mittel der Einzelurteile ermittelt werden. Dies ist allerdings suboptimal, weil sich mit der Besprechung unterschiedlicher Urteile meist qualitative Verbesserungen der Variantenbewertung erzielen lassen. • Schließlich legt die AHP-Methodik inkonsistente Einzel- und Gruppenurteile offen und verlangt ihre Revision. Damit ist unter Umständen ein erheblicher Qualitätsgewinn in der Entscheidung verbunden. Allerdings erfordert es einiges Fingerspitzengefühl, wenn der Gruppenleiter einzelne Mitglieder auf Widersprüche in ihren Beurteilungen hinweisen und um eine erneute Bewertung bitten muss. Im Unterabschnitt 12.2.2 wurden zum Schluss Maßnahmen empfohlen, welche es den Gruppenmitgliedern erschweren oder verunmöglichen, sich hinter den anderen zu verstecken. Die Anwendung der AHP-Methode von Saaty stellt eine solche Maßnahme dar.
Literatur Arrow K (1963) Social choice and individual values. Wiley, New York Asch S (1955) Opinions and social pressure. Sci Am 193(5):31–35 Bamberg G, Coenenberg A (2002) Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 11. Aufl. Vahlen, München Blin J, Whinston A (1974) Fuzzy sets and social choice. J Cybern 3(4):28–36 Brauchlin E (1990) Problemlösungs- und Entscheidungsmethodik, 3. Aufl. Haupt, Bern Dellmann K, Grünig R (1999) Die Bewertung von Gesamtunternehmensstrategien mithilfe des Analytischen Netzwerk Prozesses resp. des Analytischen Hierarchischen Prozesses. In: Grünig R, Pasquier M (Hrsg) Strategisches Management und Marketing, Stuttgart, Bern, S 33–56 Eisenhardt K, Zbaracki M (1992) Strategic decision making. Strateg Manag J 13:17–37 Rommelfanger H, Eickemeier S (2002) Entscheidungstheorie; Klassische Konzepte und FuzzyErweiterungen. Springer, Berlin Th, Saaty (1980) The analytic hierarchy process. McGraw-Hill, New York von Nitzsch R (2002) Entscheidungslehre: wie Menschen entscheiden und wie sie entscheiden sollten. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Schluss
13
Im Zentrum des Buches steht das in Kap. 6 eingeführte und in den Kap. 7 bis 9 beschriebene Problemlösungsverfahren. Abb. 13.1 zeigt das Verfahren mit seinen Schritten und Unterschritten. Es kann zur Lösung irgendwelcher komplexer Entscheidungsprobleme wie beispielsweise Firmenübernahmen, Sanierungen, gravierende Qualitätsprobleme oder schwerwiegende Konflikte eingesetzt werden. Mit seiner Hilfe können auch Entscheidungsprobleme mit unklaren Zielvorgaben und unvollständigen Informationen erfolgreich bearbeitet werden. Das vorgeschlagene allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren führt, egal wie schwierig die Problemstellung auch sein mag, in den meisten Fällen zu einer mindestens brauchbaren Lösung. Es erreicht dies, indem die komplexe Aufgabe in Teilaufgaben zerlegt und diese in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Dadurch ist ein effektives und systematisches Vorgehen sichergestellt und der Aktor kann sich auf die inhaltlichen Herausforderungen konzentrieren. Die Autoren hoffen, dass sich das vorgeschlagene Problemlösungsverfahren in vielen komplexen Entscheidungsproblemen als hilfreich erweist. Komplexe Probleme bearbeiten und brauchbare bis gute Lösungen erarbeiten, ist jedoch nicht nur eine intellektuelle Herausforderung. Oft geht es in den anstehenden Entscheidungsproblemen um sehr viel. Die Führungskräfte stehen entsprechend unter psychischem Druck. Erfolgreich ist in einer solchen Situation nur, wer Ruhe und einen kühlen Kopf bewahrt. Dazu kann das vorliegende Buch leider nichts beitragen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6_13
149
150
13 Schluss
1.
Verifizierung des entdeckten Entscheidungsproblems
2. 2.1 2.2 2.3
Problemanalyse Zusammenfassung der Ausgangslage Ermittlung der Problemursachen Bildung von Teilproblemen und Festlegung ihrer Bearbeitung pro Teilproblem
3. 3.1 3.2 3.3
Erarbeitung von Lösungsvarianten Evtl. Festlegung von Rahmenbedingungen Evtl. Gewinnung eines Überblicks über den Lösungsraum Erarbeitung weniger, sich klar unterscheidbarer Varianten
4. 4.1 4.2 4.3
Festlegung der Entscheidungskriterien Klärung der verfolgten Ziele Festlegung von einem oder mehreren Entscheidungskriterien pro Ziel Eliminierung von Überschneidungen
5. 5.1 5.2 5.3
Evtl. Festlegung von Umfeldszenarien Klärung der Notwendigkeit vo n Umfeldszenarien Evtl. Erarbeitung weniger , sich klar unterscheidbarer Umfeldszenarien Evtl. Festlegung von Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Umfeldszenarien
6. Ermittlung der Konsequenzen der Varianten 6.1 Erstellung der Entscheidungsmatrix 6.2 Festlegung des Qualitätsniveaus und des Zeithorizontes der Konsequenzen 6.3 Ermittlung der Einzelkonsequenzen pro Teilproblem aber abgestimmt
7. Gesamtbeurteilung der Varianten und Entscheidung 7.1 Eliminierung von irrelevanten Varianten 7.2 Wahl des analytischen oder des summarischen Vorgehens zur Gesamtbeurteilung der Varianten 7.3 Bestimmung der Gesamtkonsequenzen oder der zentralen Stärken und Schwächen der Varianten 7.4 Treffen der Entscheidung = Schritt = Schrittsequenz = heuristische Schlaufe
Abb. 13.1 Das allgemeine heuristische Problemlösungsverfahren
Glossar
Aktor Person oder Personengruppe, welche die Entscheidung trifft. Im zweiten Fall wird von Kollektiventscheidung gesprochen. Alternative Variante Alternativenraum Lösungsraum Einwertige Entscheidung Entscheidungsproblem, in welchem der Aktor zur Beurteilung der Varianten nur ein Entscheidungskriterium verwendet. Von einer einwertigen Entscheidung wird auch gesprochen, wenn der Aktor zur Beurteilung zwar mehrere Entscheidungskriterien verwendet, diese jedoch in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehen. Einzelkonsequenz Die zu ermittelnden einzelnen Folgen der Varianten. Sie werden durch die Entscheidungsmatrix oder den Entscheidungsbaum vorgegeben. Entscheidung Letzter Schritt der Bearbeitung eines Entscheidungsproblems, in welchem die beste Variante gewählt wird. Entscheidungsbaum Entscheidungsbäume sind Grafiken zur Darstellung von Entscheidungssequenzen. Entscheidungsbäume beginnen immer mit einem Entscheidungsknoten und weisen anschließend weitere Entscheidungsknoten und Situations- resp. Zufallsknoten auf. Am Ende der einzelnen Äste befinden sich die Einzelkonsequenzen Entscheidungskriterium Da Ziele oft vage formuliert sind, müssen sie konkretisiert werden, bevor sie in einer Entscheidung zur Bewertung von Varianten eingesetzt werden können. Diese konkrete Ausformulierung eines Ziels im Hinblick auf die Bewertung der Varianten in einer speziellen Entscheidung wird Entscheidungskriterium genannt. Meist müssen mehrere Entscheidungskriterien definiert werden, um die Wirkungen der Varianten in Bezug auf ein Ziel messen zu können. Entscheidungsmatrix Matrix, die alle relevanten Informationen über eine zu treffende Entscheidung enthält. Meist sind auf der Vertikalen die Varianten aufgeführt. Die horizontale Dimension zeigt die Entscheidungskriterien resp. Konsequenzenarten und allenfalls die Umfeldszenarien. In den Feldern der Matrix befinden sich die Einzelkonsequenzen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6
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Glossar
Entscheidungsmaxime Entscheidungsmaximen sind Systeme von Regeln, mit deren Hilfe die Einzelkonsequenzen der Varianten zu ihren Gesamtkonsequenzen zusammengefasst werden können. Entscheidungsmaximen setzen somit voraus, dass der Aktor die Varianten und ihre Konsequenzen kennt. Es gibt Entscheidungsmaximen zur Überwindung der Unsicherheit, zur Überwindung der Ungewissheit und zur Überwindung der Mehrwertigkeit. Entscheidungsproblem Ein Problem ist eine Abweichung des Istzustandes von einer Sollvorstellung respektive von einem oder mehreren Zielen. Daraus ergibt sich ein Entscheidungsproblem, wenn der Aktor über mindestens zwei Varianten zur Reduktion oder Eliminierung der Abweichung verfügt. Entscheidungsprozess Problemlösungsverfahren Entscheidungssequenz Eine Entscheidungssequenz liegt vor, wenn eine heute getroffene Entscheidung in Zukunft Möglichkeiten oder Notwendigkeiten für weitere Entscheidungen eröffnet. Dabei sind die in den zukünftigen Entscheidungen offen stehenden Varianten und/oder die sich daraus ergebenden Konsequenzen abhängig von der heute gewählten Variante. Entscheidungssequenzen werden meist mithilfe von Entscheidungsbäumen dargestellt. Entscheidungstheorie Zusammenfassung der Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Forschung zur Entscheidungsfindung. Die Entscheidungstheorie lässt sich in die Entscheidungslogik, die deskriptive respektive explikative Entscheidungstheorie und die präskriptive Entscheidungstheorie unterteilen. Entscheidungsvariable Eine Variable, die der Aktor beherrscht und deren Wert er festlegen kann. Normalerweise verfügt ein Aktor in einem Entscheidungsproblem über mehrere Entscheidungsvariablen mit je einem vorgegebenen Spektrum von Ausprägungen. Die Entscheidungsvariablen und ihre Ausprägungen bestimmen den Lösungsraum und bilden die Grundlage für die Formulierung von Varianten. Gesamtkonsequenz Normalerweise werden die Folgen einer Variante in mehreren Einzelkonsequenzen erfasst. Diese können mithilfe von Entscheidungsmaximen zur Gesamtkonsequenz der Variante zusammengefasst werden. Heuristische Prinzipien Denktricks, die Problemlöser anwenden, um komplexe Probleme lösbar zu machen. Heuristische Prinzipien bilden eine wichtige Grundlage heuristischer Problemlösungsverfahren. Ein wichtiges heuristisches Prinzip ist z. B. die Problemfaktorisation. Es empfiehlt, eine komplexe Problemstellung in Teilprobleme zu zerlegen, die parallel und/oder nacheinander gelöst werden können. Kollektiventscheidung Entscheidung, welche mehrere Personen gemeinsam treffen. Die Entscheidungsfindung ist in einer Kollektiventscheidung komplizierter, weil die daran beteiligten Personen unterschiedliche, manchmal stark divergierende Zielsysteme haben. Zudem beurteilen unterschiedliche Personen die Zielerreichung der zur Diskussion stehenden Varianten unterschiedlich. Es braucht deshalb Regeln, um die individuellen Präferenzordnungen zu einer kollektiven Präferenzordnung zu aggregieren. Arrow hat
Glossar
153
Anforderungen an einen solchen Aggregationsmechanismus formuliert und nachgewiesen, dass sie nur ausnahmsweise gleichzeitig erfüllbar sind. Konsequenz Die relevanten Folgen einer Variante werden als Konsequenzen bezeichnet. Die Entscheidungskriterien geben die relevanten Konsequenzenarten vor. Die Folgen einer Varianten werden in der Regel durch mehrere Einzelkonsequenzen abgebildet. Diese können durch die Anwendung von Entscheidungsmaximen zur Gesamtkonsequenz aggregiert werden. Konsequenzenart Die Konsequenzenart ist eine Kategorie von Konsequenzen. Welche Konsequenzenarten in einem Entscheidungsproblem relevant sind, wird durch die Entscheidungskriterien ab. Konsequenzenmatrix Entscheidungsmatrix Lösungsraum Der Lösungsraum eines Entscheidungsproblems wird durch die Entscheidungsvariablen und ihre Ausprägungen definiert. Die zur Problemlösung erarbeiteten Varianten sollten diesen Lösungsraum möglichst gut abdecken. Mehrstufige Entscheidung Entscheidungssequenz Mehrwertige Entscheidung Entscheidungsproblem, in welchem der Aktor zur Beurteilung der Varianten mehrere, nicht in einem arithmetischen Verhältnis zueinander stehende Entscheidungskriterien verwendet. Problementdeckungssystem Teil des betrieblichen Informationssystems, das unter anderem oder ausschließlich der Entdeckung von Entscheidungsproblemen dient. Problemindikator Variable, deren Veränderung auf ein Entscheidungsproblem hinweisen kann. Zentraler Baustein eines Problementdeckungssystems. Problemlösungsprozess Problemlösungsverfahren Problemlösungsverfahren System von intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln der Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Die Problemlösungsverfahren lassen sich nach der inhaltlichen Breite der damit bearbeitbaren Problemlösungsprobleme in allgemeine und spezielle unterteilen. Nach der Lösungsqualität kann zwischen analytischen Problemlösungsverfahren respektive Algorithmen und heuristischen Problemlösungsverfahren unterschieden werden. Erstere ergeben eine optimale Lösung, besitzen allerdings restriktive Anwendungsbedingungen. Die zweitgenannten Verfahren führen in der Regel nur zu einer brauchbaren Lösung. Sie haben dafür den Vorteil, dass sie nur wenige oder keine Anwendungsbedingungen besitzen. Rationale Entscheidung Es gibt zwei divergierende Verständnisse darüber, wann eine Entscheidung rational ist. Die substantielle Rationalität verlangt, dass die verfolgten Ziele richtig resp. rational sein müssen und der Entscheidungsprozess zudem rational abläuft. Die formale Rationalität verlangt hingegen bloß, dass der Entscheidungsprozess rational abläuft. Da Ziele nach allgemeiner Auffassung subjektive Werthaltungen darstellen, gibt es keine richtigen und falschen Ziele und damit auch keine substantielle Rationalität. Die Betriebswirtschaftslehre orientiert sich deshalb an der formalen Rationalität. Risiko-Entscheidungsproblem Unsichere Entscheidung
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Glossar
Sequentielle Entscheidung Entscheidungssequenz Sicheres Entscheidungsproblem Entscheidungsproblem, in welchem die Umfeldentwicklung einigermaßen sicher vorausgesagt werden können und deshalb auch die Konsequenzen der Varianten genügend sicher voraussagbar sind. Szenarium Umfeldszenarium Umfeldszenarium Falls in einem Entscheidungsproblem die zukünftigen Werte wichtiger Umfeldvariablen nicht einigermaßen sicher vorausgesagt werden können, ergeben sich mehrere denkbare Umfeldszenarien. Sie beeinflussen in der Regel zumindest einen Teil der Einzelkonsequenzen der Varianten. Je nachdem, ob für die Umfeldszenarien Eintretenswahrscheinlichkeiten angegeben werden können oder nicht, ergibt sich ein unsicheres Entscheidungsproblem oder ein ungewisses Entscheidungsproblem. Umfeldvariable Variable, die der Aktor nicht beeinflussen kann, die aber einen Einfluss auf die Konsequenzen der Varianten in einer Entscheidung ausübt. Häufig kann der Aktor den zukünftigen Wert der Umfeldvariablen nicht voraussagen, sondern muss von mehreren möglichen Werten ausgehen. Sie bilden die Basis der Umfeldszenarien. Ungewisses Entscheidungsproblem Entscheidungsproblem, in welchem die Umfeldentwicklung nicht sicher vorausgesagt werden kann. Der Aktor muss deshalb von mehreren möglichen Umfeldszenarien ausgehen, denen er – im Gegensatz zur unsicheren Entscheidung – keine Eintretenswahrscheinlichkeiten zuordnen kann. Unsicheres Entscheidungsproblem Entscheidungsproblem, in welchem die Umfeldentwicklung nicht sicher vorausgesagt werden kann. Der Aktor muss deshalb von mehreren möglichen Umfeldszenarien ausgehen, denen er – im Gegensatz zur ungewissen Entscheidung – Eintretenswahrscheinlichkeiten zuordnen kann. Variante Eine Variante ist eine Möglichkeit des Aktors um die Abweichung des Istzustandes vom Sollzustand zu reduzieren oder vollständig zu eliminieren. Eine Variante stellt eine Kombination von je einer Ausprägung der Entscheidungsvariablen dar. Ziel Ein Ziel ist ein gewünschter und deshalb angestrebter Zustand. Ziele sind oft nicht völlig präzis, sondern nur vage umschrieben. Normalerweise verfügt der Aktor über mehrere Ziele und besitzt damit ein Zielsystem. Die Ziele bilden die Basis für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen und für das Treffen von Entscheidungen. Zielsystem Ein Aktor verfolgt in der Regel mehrere Ziele gleichzeitig und besitzt damit ein Zielsystem. Es bildet die Basis für die Entdeckung von Entscheidungsproblemen und für das Treffen der Entscheidungen. Das Zielsystem ist selten völlig präzis, sondern meist nur vage formuliert. Es kann sogar Widersprüche enthalten.
Literatur
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Stichwortverzeichnis
A Aggregationsmechanismus, 143, 145 AHP, 151, 153, 154 Aktor, 7, 8, 11, 12, 15, 21, 25, 30, 40, 48, 55, 60, 68, 73, 77, 85, 97, 103, 105, 110, 113, 123, 126 Algorithmus, 42 Alternative, 98, 105, 145, 151, 153 Alternativenraum, 44 Analytischer Hierarchischer Prozess, 151, 153, 154 Anwendungsbedingung von Problemlösungsverfahren, formale, 36 Arrows Anforderungen an einen Aggregationsmechanismus, 143, 145 Asch’s Experiment, 138, 139
B Baum, deduktiver, 75 Bayes-Entscheidungstheorie, 124 Bernoulli-Maxime, 103 Betriebswirtschaftslehre empirisch-analytische, 48 Forschungseinrichtungen, 48 pragmatische, 48 praktisch-normative, 48, 49 theoretische, 48 Bias, 32 Bildung der Gesamtkonsequenzen der Varianten, 64 Blin/Whinston-Verfahren, 147
Borda-Verfahren, 145 Breite von Problemlösungsverfahren, inhaltliche, 36
C Chancenproblem, 11, 67, 70 Condorcet-Wählerparadoxon, 146
D Du Pont-Schema, 73, 75, 76
E Einschränkung der Wahrnehmung, 139 Einstimmigkeit, 145 Eintretenswahrscheinlichkeit von Umfeldszenarien, 8 Einzelkonsequenz, 104, 106 Eliminierung von irrelevanten Varianten, 97 Entdeckung des Entscheidungsproblems, 15 Entscheidung, 1 rationale, 27, 28, 32, 161 Entscheidungsbaum, 118, 120, 121, 129, 132, 134 Entscheidungsforschung, 50 Entscheidungskonstellation, 101 Entscheidungskriterium, 11, 61, 82, 84, 90, 110, 126 Entscheidungslogik, 29, 49, 100, 101 Entscheidungsmatrix, 89, 90, 93, 99, 100, 126, 127 Entscheidungsmaxime
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R. Grünig and R. Kühn, Prozess zur Lösung komplexer Entscheidungsprobleme, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67411-6
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160 Begriff, 35 Bernoulli, 103 Erwartungswert, 102 Gleichwahrscheinlichkeit, 106, 122 Hurwicz, 101 Laplace, 101 Maximax, 101 Minimax, 101 Minimax-Risiko, 101, 105 Niehans/Savage, 105 Nutzenerwartungswert, 102 Nutzenwert, 101 Optimismus-Pessimismus-Index, 101, 105, 106 Scoringmodelle, 101 Überblick, 101 Wald, 101 Entscheidungsproblem Arten, 8, 10, 12 Begriff, 7 Chancenproblem, 11, 67, 69 Choice-Problem. See Wahlproblem Design-Problem. See Gestaltungsproblem einfaches, 8, 10 einwertiges, 11, 90, 99, 121 Entdeckung, 15 Gestaltungsproblem, 10 gut strukturiertes, 10 in Entscheidungssequenz, 2, 11, 118, 120 Informationsbeschaffung, 11 komplexes, 8, 55 mehrwertiges, 91, 120 Meta-Entscheidungsproblem, 11 originäres, 11 schlecht definiertes, 40 schlecht strukturiertes, 8, 10, 32, 40 sicheres, 162 unabhängiges, 11 ungewisses, 91, 101, 105, 107, 121, 162 unsicheres, 162 unter Sicherheit, 99, 112 unter Ungewissheit, 106 unter Unsicherheit, 103, 112, 113, 162 Wahlproblem, 10 wohldefiniertes, 40 wohlstrukturiertes, 8, 40 Entscheidungssequenz, 2, 11, 117, 118, 120 Entscheidungstheorie deskriptive, 48, 49
Stichwortverzeichnis Entscheidungslogik, 49 explikative, 48 präskriptive, 48–50 Entscheidungsvariable, 8, 36, 42 Entscheidungsverhalten von Gruppen, 137, 140 Einschränkung der Wahrnehmung, 139 Free Riding, 140 Ingroup-Bias, 140 Konformitätsstreben, 139 Motivationsabnahme, 140 Risikobereitschaft, 140 Risk-Shift-Effect, 140 soziales Faulenzen (social loafing), 140 Sucker-Effect, 140 Überblick, 137 Erwartungswert-Maxime, 102
F Faktorisation, 64, 71, 77, 85 Faulenzen, soziales, 140 Festlegung der Entscheidungskriterien, 82–84 von Umfeldszenarien, 85, 86, 88 Fishbone-Diagramm, 74 Forschungsrichtungen der Betriebswirtschaftslehre, 48 empirisch-analytische, 48 pragmatische, 48 praktisch-normative, 48 theoretische, 48 Framework, 72, 73 Framing, 30 Framing-Effekt, 30 Free Riding, 140 Frühwarnsystem, 20
G Gefahrenproblem, 10, 70, 73, 125 Generate-and-test, 64, 114 Gesamtbeurteilung der Varianten, 35, 97, 98 analytische, 61, 99 summarische, 99 Gesamtkonsequenz, 101, 120 Gestaltungsproblem, 10 Gleichwahrscheinlichkeit-Maxime, 101 Gruppe, formelle, 135 Gruppenentscheidung, 137, 140, 148, 153
Stichwortverzeichnis H Harris und Wilson-Verfahren, 45–47 Hauptziel, 17 Heuristik, 38, 39, 64, 71, 114 Hurwicz-Maxime, 101
I Ill-defined decision problem, 40 Ill-structured decision problem, 40 Informationsbeschaffungsentscheidung, 11, 123, 124 Informationsbeschaffungsproblem, 127 Ingroup-Bias, 140 Intervallskala, 84, 111, 152 Ishikawa-Diagramm, 74 Istzustand, 7, 10, 15, 68
K Kahneman-Tversky-Experiment, 30, 31, 48 Kasten, morphologischer, 80, 81 Kollektiv, 137 formelles, 135 Kollektiventscheidungsproblem, 135, 137, 141, 145 Konformitätsstreben, 140, 141 Konsequenz, 2, 12, 29, 56, 61, 81, 84, 85, 88, 90, 92, 93, 99, 102, 105, 108, 110, 118, 120, 123, 124, 126, 140 Konsequenzenart, 85, 108, 110, 111 Kreativitätstechnik, 35, 82
L Laplace-Maxime, 101 Logik, formale, 28, 29, 49, 100, 101 Lösungsraum, 8, 80, 81 Lösungsvariante, 2, 25, 28, 29, 56, 60, 64, 70, 79–81, 92, 123, 137
M Maximax-Maxime, 101, 105 Mehrheit absolute, 145 einfache, 145 Minimax-Maxime, 105 Minimax-Risiko-Maxime, 105
161 Modellbildung, 64
N Nebenziel, 17 Niehans/Savage-Maxime, 101, 105, 106 Nutzenerwartungswert-Maxime, 102 Nutzenwert-Maxime, 101
O Optimismus-Pessimismus-Index, 101, 105, 106 Ordinalskala, 84 Ordnung, natürliche, 97, 99
P Paarvergleich, 146, 147, 152 Parfitt/Collins-Problemindikatoren, 21 Präferenzintensität, 149 Präferenzordnung, 142 individuelle, 141–143 kollektive, 142–145, 147 Präferenzordnungsprofil, 142, 143, 146, 148 Prinzip, heuristisches, 61, 63 Faktorisation, 77 generate-and-test, 114 generate-and-test, 64 Modellbildung, 77 Unterzielreduktion, 64 Problem, 2, 7, 8, 10, 15, 19, 21, 38, 40, 60, 68, 70, 71, 73, 74, 77, 117, 123 Problemanalyse, 2, 11, 28, 35, 56, 68, 70, 71, 75, 77, 117, 123, 124 Problementdeckungssystem, 15, 19 Arten, 19 Begriff, 15 Frühwarnsystem, 20, 21 Parfitt/Collins-Problemindikatoren, 20 Rechnungswesen, 21 Problemfaktorisation, 160 Problemindikation, rückwärtsschreitende, 73–75 Problemindikator, 21 Problemlösung, 2, 26, 32 befriedigende, 37, 63 optimale, 37 Problemlösungsqualität, 37, 80 Problemlösungsverfahren, 1, 7, 35, 36
162 Algorithmus, 42 allgemeines, 36, 161 analytisches, 10, 38, 39 Anwendungsbedingungen, 36 Arten, 37, 38, 41 Begriff, 35 brauchbares, 49 Dimensionen, 36, 37 heuristisches, 38, 39, 55, 58, 60, 61, 63, 79, 88 inhaltliche Breite, 36 spezielles, 36, 161 Problemursachen, 60, 73 Programmierung, lineare, 42, 47
Q Qualität der Lösung, 25, 37, 80, 161
R Rahmenbedingungen, 71, 79 Rationalität beschränkte, 63 formale, 26–28, 32, 100 inhaltliche, 27 substantielle, 161 Ratioskala, 84 Rechnungswesen als Problementdeckungssystem, 20, 21 Risikobereitschaft, 140, 141 Risikoeinstellung, 40, 101, 103, 104 Risiko-Entscheidungsproblem, 15, 22, 161 Risk-Shift-Effect, 140, 141 Roll-Back-Verfahren, 120
S Saaty-Skala, 152 Saaty-Verfahren, 147, 151, 153 Scoringmodell, 101, 107, 111 Social Loafing, 140 Soll-Ist-Abweichung, 7, 8, 15, 60, 68, 70, 77 Sollzustand, 7, 16, 60 Status Quo, 80 Strategieplanungsprozess, 42, 43 Sucker-Effect, 140 Szenarium, 106, 162
Stichwortverzeichnis T Teilproblem, 10, 56, 64, 77, 85, 117 Transformationskurve, 104
U Umfeldszenarium, 8, 12, 61, 85, 86, 88, 91, 126, 162 Umfeldvariable, 8, 162 Unabhängigkeit von irrelevanten Varianten, 143, 144 Unterzielreduktion, 64 Ursachen des Entscheidungsproblems, 73, 77, 117 von Gefahrenproblemen, 60, 73
V Variante, 2, 7, 8, 10, 25, 28, 35, 60, 64, 70, 79, 81, 84, 88, 93, 105, 120, 129, 142, 162 Bewertung, 123 Gesamtbeurteilung, 97, 99 Gesamtkonsequenzen, 101 irrelevante, 97, 144 präferierte, 145 Stärken und Schwächen, 113 Variantenraum, 81 Verbot der Diktatur eines Mitglieds im Kollektiv, 143 Verifizierung des Entscheidungsproblems, 67 eines Chancenproblems, 69 eines Gefahrenproblems, 68
W Wählerparadoxon nach Condorcet, 146 Wahlproblem, 10 Wahrnehmungseinschränkung bei Kollektiventscheidung, 139 Wahrscheinlichkeit von Umfeldszenarien, 8, 88, 137 Wald-Maxime, 101, 105 Well-defined problem, 40 Well-structured problem, 40 Wissenschaftsauffassungen der Betriebswirtschaftslehre, 48 Worst Case-Haltung, 105
Stichwortverzeichnis Z Ziel, 16, 27, 82 Arten, 17 gesellschaftbezogenes, 19 Zielindikator, 20
163 Zielsystem, 16 kollektives, 135, 139 von Gruppen, 135, 139 Zwickys morphologischer Kasten, 80